WIr brauchen eine Renaissance der Industrie

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Artikel im IHK Magazin Wirtschaft Nordhessen Dezember 2014

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Industrie im Wettbewerb: Grünen-Politiker Reinhard Bütikofer bei IHK-Veranstaltung

„Brauchen Renaissance der Industrie“

D ie Informationsveranstaltung „Industrieim Wettbewerb: Gutes sichern, Neues

wagen“, zu der die IHK Kassel-Marburg mitden Firmen Bombardier und RGM ExperSiteGmbH eingeladen hatte, ist bei den Unterneh-mern aus der Region auf große Resonanz ge-stoßen. Neben einem Vortrag von ReinhardBütikofer und einer anschließenden Podiums-diskussion stand eingangs ein spannenderRundgang durch das Kasseler Bombardier-Werk auf dem Programm.

Der stellvertretende IHK-Hauptgeschäfts-führer Oskar Edelmann begrüßte die Gäste imAnschluss in den Räumen der RGM ExperSiteGmbH, der Betreibergesellschaft der KasselerIndustrieparks Mittelfeld und Rothenditmold.„Die Industrie in unserem Land ist nach wievor ein unverzichtbares Standbein für unserenWohlstand und wirtschaftlichen Erfolg“, un-terstrich Edelmann die Relevanz des Veran-staltungsthemas. Immerhin seien mit regiona-len Unterschieden zwischen 25 und 35 Pro-zent der Beschäftigten im Kammerbezirk inder Industrie tätig, führte er aus.

Allein im Kasseler Industriepark Mittelfeldarbeiten 2500 Menschen in rund 40 Unter-nehmen. Neben Bombardier haben dort unteranderem Rheinmetall Landsysteme und dieHenschel GmbH Standorte. Frank Bethge, Ge-schäftsführer von RGM ExperSite, erläutertekurz die Historie des ehemaligen Henschel-Standortes, der eng mit der Stadt Kassel ver-bunden ist. Über sechs Generationen der Hen-schel-Familie hätten dort von der Glocke biszum Feuerwehrfahrzeug eine breite Produkt-palette hergestellt. Auch das Portfolio derRGM ExperSite ist weit gefächert. Nebentechnischem und kaufmännischem Gebäude-management gehörten dazu unter anderemKälte- und Klimatechnik, Energiemanagementund Umweltschutz, so der Geschäftsführer.

Für fundierte Ausführungen zur Industrie-politik auf europäischer Ebene sorgte an-schließend Reinhard Bütikofer, der industrie-politische Sprecher der Grünen im Europäi-schen Parlament. „Ohne eine innovationsori-entierte Industriepolitik wird Europa auf glo-baler Bühne nicht erfolgreich sein“, lautete

sein zentrales Credo. Europa sei heute einemfundamental veränderten industriellen Wett-bewerb ausgesetzt, denn auch China, Brasilienoder Indien müsse man mittlerweile als Kon-kurrenten auf dem Zettel haben. Darum sei eswichtig, dass Europa bei industriepolitischenFragen eng zusammenarbeite. „Wir brauchenaußerdem eine Renaissance der Industrie fürein nachhaltiges Europa“, betonte er. Dieskönne nur erreicht werden, wenn Wettbewerbund Nachhaltigkeit verknüpft würden.

Die große industrielle Chance der nächstenGenerationen sei eine maximale Ressourcen-effizienz im Technologiebereich, zeigte sichBütikofer überzeugt. „Europa hat in diesem

Bereich aber schon lange keine Vorreiterrollemehr“, mahnte der Grünen-Politiker. Hier gel-te es, ein eigenes Profil zu entwickeln, etwadurch besseres Ökodesign, und neue Finanzie-rungsstrategien zu finden. „Wir können nichtweiterhin alles über Banken finanzieren, son-dern müssen auch private Modelle auf denWeg bringen“, führte er aus.

Zur anschließenden Podiumsdiskussion hat-te die IHK Kassel-Marburg neben ReinhardBütikofer und Frank Bethge noch drei kompe-tente Gesprächspartner gewinnen können: Al-brecht Teich, Geschäftsführer der Osborn In-ternational GmbH, einem weltweit agierendenUnternehmen für technische Werkzeuge mitSitz in Burgwald, Dr. Michael Liecke, Referats-

leiter Industrie und Forschung beim Deut-schen Industrie- und Handelskammertag(DIHK) in Berlin, sowie Michael Rudolph, Regi-onsgeschäftsführer Nordhessen des Deut-schen Gewerkschaftsbundes (DGB).

Bei der von Werner Schlierike von hr-Infomoderierten Gesprächsrunde ging es zunächstum die Frage nach den Auswirkungen europäi-scher Reindustrialisierung auf die RegionNordhessen. „Wir sehen für die hiesigen Un-ternehmen dadurch keine Bedrohung“, kon-statierte Frank Bethge. Der regionale Wirt-schaftszweig könne trotz einer hohen indus-triellen Wertschöpfung neue Impulse gebrau-chen und seine Stärken dadurch ausbauen.Bütikofer fügte hinzu, dass eine europäischeVernetzung gerade für kleinere und mittlereIndustrieunternehmen genauso wichtig seiwie eine internationale Ausrichtung. Ein wei-teres Thema auf der Agenda war die Bedeu-tung des deutschen Mittelstandes für die eu-ropäische Industriepolitik. DIHK-FachmannLiecke konstatierte, dass der deutsche Mittel-stand auch vom europäischen Binnenmarktprofitiere. Eine zunehmende europäische Re-gulierung, gerade in der Bürokratie, werde sichaber nachteilig auswirken, gab er zu bedenken.

Bei der Frage nach der regionalen Infra-struktur, speziell im IT-Bereich, war man sicheinig: Noch gebe es gerade im ländlichen Be-reich größere Defizite. „Im Umland gibt es vie-le Industriebetriebe, die in ihrer Branche Welt-niveau erreichen, aber aufgrund einer schlech-ten Breitbandanbindung Wettbewerbsnach-teile haben“, betonte Bethge. Das konnte auchOsborn-Chef Teich bestätigen. Der Anschlussan das schnelle Internet sei auch für das Burg-walder Unternehmen problematisch, doch ge-rade für seine ausländischen Mitarbeiter seidieser Faktor unerlässlich. „Wir können Chinanur schlagen, wenn wir gute Leute bekommen,und da muss die Infrastruktur vor Ort stim-men“, betonte Teich. Michael Rudolph plä-dierte in dem Zusammenhang dafür, die Rolleder deutschen Facharbeiter zu stärken. „Diekönnen wir nur in der Region halten, wenn wirihnen eine gute Ausbildung, gute Löhne undgute Arbeitsbedingungen bieten.“ Abschlie-ßend gab er zu bedenken, dass auch Innovati-onsprozesse mit personeller Weiterbildung ge-koppelt werden müssten und fügte hinzu: „Dapassiert mir noch zu wenig in der Region.“

Christina Reis (Artikel/Bilder) �

Sie debattierten: (v.l.) Michael Rudolph (DGB), Dr. Michael Liecke (DIHK), Albrecht Teich (OsbornInternational), Frank Bethge (RGM ExperSite) und Reinhard Bütikofer, Ko-Vorsitzender der Euro-päischen Grünen Partei und industriepolitischer Sprecher der Grünen im Europaparlament.

Informierten sich: (v.l.)Markus Schwerzmann(Infrareal, Marburg),Markus Siebert undMichael Conzelmann(Baunataler Diakonie),Edwin Eichel, Wolf-gang und Imke Thei-ßen (Theißen-Design,Lohfelden).

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8 Wirtschaft Nordhessen 12.2014