Wie Medien den Alkohol- undTabakkonsum von Jugendlichen
beeinflussen
Vortragsveranstaltung des Arbeitskreises Sucht der Julius-Maximilians-Universität Würzburg
25. Juni 2014
Prof. Dr. Reiner Hanewinkel
(1) Medien und Jugendliche(2) Tabak- und Alkoholwerbung(3) Rauchen und Trinken im Film (4) Präventive Implikationen
Inhaltsvorschau
(1)
Medien und Jugendliche
Quelle: ARD/ZDF Langzeitstudie Massenkommunikation
151144
136
80
30
10840
20
40
60
80
100
120
140
160
180M
inut
en p
ro T
ag
TVInternetRadioCD/MP3BücherZeitungVideoZeitschrift
Tägliche Mediennutzung in Minuten (14-29 J.)
3-13 J.
933:28
5:50
7:06
8:239:23
4
6
8
10
Stu
nden
pro
Tag
1970 1980 1990 2000 2010
Gesamtzeit in h
Mediennutzung― weit verbreitet bei Jugendlichen― Einfluss auf Kognitionen, Emotionen und
Verhalten seit längerem Forschungsthema der Sozialwissenschaften
― bedeutende Plattform für soziales Lernen (insbesondere Film und Fernsehen, neuerdings auch: „social media“)
― aufgrund weiter Verbreitung und Omnipräsenz ist der Einfluss prinzipiell schwer zu untersuchen
Mediennutzung und Tabak/Alkohol
(1) Massenmedien vermitteln Informationen über Tabak und Alkohol (z.B. Häufigkeit, Wirkung)
(2) Informationsvermittlung kann gezielt oder ungezielt/unbeabsichtigt sein ─ Beispiel für gezielte Information:
Kommerzielle Werbung für Tabak und Alkohol─ Beispiel für ungezielte Information:
Tabak- und Alkoholkonsum von Darsteller/innen in Film und TV
(2)
Tabak- und Alkoholwerbung
„Above the line“:− Plakate− Kino
„Below the line“:− Sponsoring
„Above the line“ vs.
„Below the line“
Tabakwerbung
Ausgaben für Alkoholwerbung 2011 in Deutschland:
585 Millionen €plus 600 Millionen € Sponsoring
=über eine Milliarde €
Warum wirbt die Industrie?
Größe des Kuchenstücks?
Größe des Kuchens? oder
Empirische Evidenz
7 Kohortenstudien mit mehrals 13.000 Jugendlichen
19 Kohortenstudien mit mehr als 30.000 Jugendlichen
Empirische Evidenz
Beispielstudie
Zigarettenwerbungen Kontrollwerbungen
Sämtliche Werbungen waren maskiert, also ohne Namen des Produktes
Erfassung des Werbekontakts
Krombacher Jägermeister Marlboro Lucky Strike Kinder Pingui0%
20%
40%
60%
80%
100% 95%
84%
34%
55%
99%
55%
35%
7%
18%
76%
32%
56%
24% 22%
89%
1-mal gesehenmehr als 10 mal gesehenMarke korrekt benannt
Kontakt mit Werbung (3.415 Kinder)
2.346 Nie-Raucher
2.102 (90%)erneut erfasst
277 Teenager (13%) rauchten
erstmals
Nachuntersuchung 9 Monate später
Rauchen zur Baseline
Nachuntersuchung
Initiierung des Rauchens im
Beobachtungszeitraum
Pediatrics 2011;127:e271-8
5%
10%
15%
20%
25%
30%In
zide
nzra
te
Niedrig Medium Hoch
Werbekontakt
Werbekontakt und Initiierung des Rauchens
RR = 1
RR = 1,30
RR = 2,19*
*p<.001
(1) Alter,(2) Geschlecht,(3) Sozioökonomischer Status,(4) TV-Konsum,(5) Tendenz zu Risikoverhaltensweisen,(6) Schulleistung,(7) Schulart,(8) Bundesland, (9) Rauchen der Freunde und Eltern,(10) Kontakt zu anderen Werbungen
Kontrollierte Störgrößen (Confounder)
Pediatrics 2011; 127: e271-8
Effektspezifität
0
1
2ad
just
iert
es re
lativ
es R
isik
o
1,46
0,98
Initiierung des Rauchens
Kontakt mit Zigarettenwerbung Kontrollwerbung
geringer Kontakt
Pediatrics 2011;127:e271-8
2.346 Nie-Raucher
1.320 (56%)erneut erfasst
5% rauchten >100 Zigaretten
4,4% rauchten täglich
Nachuntersuchung 30 Monate später
Rauchen zur Baseline
Nachuntersuchung
Initiierung des Rauchens im
Beobachtungszeitraum
BMJ Open 2013;3:e002907
Adjustiertes Relatives Risiko: +38%; p<0.001
Adjustiertes Relatives Risiko: +30%; p<0.05
n.s.
n.s.
BMJ Open 2013;3:e002907
Wie erklärt man die Wirkung der Werbung?
AttentionAufmerkamkeit erregen
A
InterestInteresse wecken
I
DesireBesitzwunsch auslösen
D
ActionKauf bewirken
A
AIDA-Formel: Werbewirkung als vierstufiger Prozess
Lewis (1898) „Hierarchy of effects models“
Ein frühes Modell
„Denken“ und/oder „Emotionen“
(1) Werbung beeinflusst Einstellungen gegenüber dem Produkt
(2) Werbung beeinflusst direkt Emotionen des Rezipienten
Werbung beeinflusst Einstellungen gegenüber dem Produkt
„Zentrale Verarbeitung“
Über tatsächliche Merkmale des Produktes
„Periphere Verarbeitung“
Über periphere Hinweisreize, z.B.
Merkmale des Senders der Botschaft
„Denken“
Braucht es bewusste Verarbeitung überhaupt?
Mere-Exposure-Effekt(Effekt der bloßen Darstellung):
Dieser Effekt beschreibt, dass allein durch die mehrfache Darbietung von Personen, Situationen oder Dingen die Einstellung eines Menschen zu diesen Dingen positiv beeinflusst werden kann.
Einstellungsänderungen setzen folglich keine bewusste Verarbeitung voraus.
Grundsätzlich schwierig vorstellbar, wie man sich vor unbewussten Einflüssen schützen kann.
(3) Rauchen und Trinken in Film und Fernsehen
Exposition mit Trink- und Rauchszenen in Filmen und Initiierung des
Substanzkonsums im Jugendalter
Studie in sechs europäischen Ländern
n = 4.105
n = 2.668n = 1.423
n = 2.937
n = 2.664
n = 2.754
Gesamt:
n = 16.551
Ø = 13,4 Jahre
Thorax 2011, 66: 875-83
0
200
400
600
800Za
hl d
er S
chül
er/in
nen
0 4000 60001000 30002000 5000
Gesehene Tabakszenen
Im Durchschnitt etwa 1700 gesehene Tabakszenen
Jugendliche mit der höchsten Exposition sahen mehr als
5000 Tabakszenen
„Exposition“ von JugendlichenBasis: 250 populäre Kinofilme der Jahre 2004-2009
Thorax 2011, 66: 875-83
„IRR = 1.13“
13% Risikoerhöhung je 1.000 Tabakszenen
Am J Prev Med, 2013; 44: 339–44
13%
27%
13.632
11.328
15.326
13.021
11.20811.767
Deutschland Island Italien Polen Holland Schottland
Zahl der Alkoholszenen in den 250 erfolgreichsten Filmen der Jahre 2004‐2009
Pediatrics 2012; 129: 709-20
5% bzw. 13% Risikoerhöhung je 1.000 Alkoholszenen- Jugendliche mit geringem Risiko -
„IRR = 1.05“
„IRR = 1.13“
Pediatrics 2014;133:973-82
Auswirkungen von Rauchszenen in Filmen auf bereits rauchende
(junge) Erwachsene
Klassische Konditionierung
Ivan Petrovich Pavlov14. September 1849 – 27. Februar 1936
… ist ein Phänomen, das in unzähligen Laborexperimenten bei Drogenkonsumenten nachgewiesen wurde.
Es konnte gezeigt werden, dass Abhängige signifikante physiologische und subjektive Reaktionen bei der Präsentation von drogenbezogenen Stimuli (z.B. Zigaretten) im Vergleich zu drogenneutralen Reizen (z.B. Schreibstiften) zeigen.
Reizreaktivität (Cue reactivity)
Feldstudie über einen Monatim CinemaxX Kiel
Bis auf Filme, die nach 23:00 Uhr vorgeführt wurden, wurden alle Vorführungen einbezogen.
27 unterschiedliche Kinofilme liefen im Untersuchungszeitraum.
In 13 Kinofilmen (48%) wurde geraucht.
Nicotine Tob Res 2009;11:1042-6
02
46
810
Film ohne Rauchszenen Film mit RauchszenenR
auch
verla
ngen
Signifikanter Unterschied, auch bei Berücksichtigung von─Alter─Geschlecht─Abhängigkeit (Heaviness of Smoking Index)─Zeitpunkt der zuletzt gerauchten Zigarette─Altersfreigabe der Filme
Nicotine Tob Res 2009;11:1042-6
(4)Präventive Implikationen
Prävention
bevölkerungsbezogen individuumszentriert
VerhaltenspräventionPersonale Veränderungen
Förderung der Medienkompetenz(Eltern und Kinder)
Gegenwerbung
VerhältnispräventionStrukturelle Veränderungen
Werbeeinschränkungen/ -verbote
Zugangsbeschränkungenzu Filmen mit Substanzkonsum
Reduktion der Exposition― Empirische Hinweise, dass die Einführung von
Tabak- und Alkoholwerbeverboten den Gesamtkonsum in der Population senken
― Dosis-Wirkungs-Zusammenhang: Auch partielle Einschränkungen (z.B. im Hinblick auf die Uhrzeit oder bestimmte Sendungstypen) sollten theoretisch wirksam sein
― Plausibel, dass nicht alle Werbeinhalte gleich große Wirkungen entfalten, hierzu ist die Datenlage jedoch ungenügend (und: unbewusste Verarbeitungsprozesse schwer zu kontrollieren)
Reduktion der Exposition
― Werbeverbote berühren nicht den Einfluss filmischer Darstellungen oder Dokumentationen
― Weg 1: Erschwerung der Zugangswege (z.B. Erhöhung der Altersfreigaben für Filme mit Tabak- und Alkoholkonsum, Verschiebung von Sendezeiten)
― Weg 2: Sensibilisierung der Eltern für eine stärkere Inhaltskontrolle der rezipierten Bildschirmmedien (für jüngere Zuschauer)
10%14%
24%33%
nie selten häufig immerWie häufig dürfen Filme
mit Altersfreigabe 16 Jahre gesehen werden?
0%
5%
10%
15%
20%
25%
30%
35%In
itiie
rung
des
Rau
chen
s
Initiierung des Rauchens in Abhängigkeit vonden elterlichen Medienrestriktionen
Addiction 2008;103:1722-30
Immunisierung gegenüber der Exposition
47.916 Zuschauer4-Wochen
4.073 (8,5%)Fragebogen ausgefüllt
1.891 (46%)Kontrollbedingung:
Kein Spot
2.182 (54%) Interventionsbedingung:
Anti-Tabak-SpotAddiction 2010;105:1269-77
Zufällige Auswahl der Startwoche mitsich anschließendem wöchentlichen Wechsel
Addiction 2010;105:1269-77
Intervention Kontrolle0
1
2
3
4
5
6
7Sk
ala
von
0 bi
s 10
Beurteilung des Rauchens im Film
0 = überhaupt nicht o.k.10 = völlig o.k.
p=0,039
Addiction 2010;105:1269-77
Intervention Kontrolle0
0,5
1
1,5
2Sk
ala
von
0 bi
s 10
Allgemeine Einstellung zum
Rauchen
Rauchen ist...0 = sehr schlecht10 = sehr gut
p=0,021
Addiction 2010;105:1269-77
Intervention Kontrolle0
0,5
1
1,5
2
2,5
Skal
a vo
n 0
bis
10
Intention in den nächsten 12 Monaten zu
rauchen
0 = auf keinen Fall10 = auf jeden Fall
p=0,083
Zusammenfassung(1) Häufiger Kontakt zu Tabak und Alkohol in Bildschirm-
und anderen Medien erhöht die Wahrscheinlichkeit des Konsumbeginns bei Jugendlichen und trägt vermutlich auch zur Aufrechterhaltung bzw. fehlenden Beendigung des Konsums von Tabak und Alkohol bei.
(2) Eine Verringerung des Einflusses dieses Faktors ist− grundsätzlich möglich, − allerdings in hohem Maße von politischen
Rahmenbedingungen abhängig,− ein potentiell bedeutsamer Beitrag zur
Gesundheitsförderung der Bevölkerung.
Inhaltsanalyse der amerikanischen Kinofilme: National Institutes of Health
Europäische Kommission
Medical Research Council, UK
Förderhinweis
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
E-Mail: [email protected]