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325 BERICHTE - RAPPORTS Die Lebenshaltung der Arbeiter in Grossbritannien vor dem Kriege Von Dr. J. Rosen Die Zeit vor dem Ausbruch dieses zweiten Weltkriegs ist besonders reich an Erhebungen über den Verbrauch in Haushaltungen, meistens von Arbeiter- familien. Das gilt fur eine Reihe der wichtigsten Länder 1 . Dieses zeitliche Zusammentreffen ist kein zufälliges Ereignis. Infolge der Notwendigkeit ver- stärkter staatlicher Eingriffe in den Wirtschaftsprozess — in Produktion, Ver- teilung und Verbrauch — hat es sich als unumgänglich erwiesen, die gewandelte Struktur des Konsums allgemein besser zu erkennen und somit diese eher ver- nachlässigte Wirtschaftssphäre mit exakteren Methoden zu untersuchen. Dass dafür der Arbeiterhaushalt als der für die Sozialbevölkerung typische, daher allgemein wichtige, in erster Linie in Betracht kommt, liegt auf der Hand. Neben diesen grundlegenden Umständen wirkte im besonderen die sogenannte «Indexkritik» mit. Die Gleichzeitigkeit, mit der fast überall, vielleicht weniger der Index der Lebenshaltungskosten in seiner Konstruktion, als vielmehr im Grunde der Index, der keine stabile Lebenshaltung mehr anzuzeigen vermochte, angegriffen wurde, ist bemerkenswert; sie ist letztlich eben darauf zurück- zuführen, dass die Erscheinungsform für den Inhalt genommen wurde. Dass seit der grossen Weltwirtschaftskrise die Lebenshaltung der Sozialbevölkerung gesenkt wurde, geht natürlich nicht auf Konto des Indexes, wie ja auch das Thermometer nicht an der Kälte der letzten Winter die Schuld trägt; immerhin wird den Indices der Lebenshaltungskosten immer wieder vorgeworfen, sie zeigten die «Kältegrade» der Lebenshaltung nicht angemessen an. Unmittelbarer Anlass für die im britischen Königreich durchgeführte und hier besprochene Erhebung über den Haushaltsverbrauch 2 war gleich- falls die Absicht, Material für eine Revision der Indexgrundlagen beizubringen, da der auf das Jahr 1914 zurückgehende Normverbrauch vermutlich den neuen Erfordernissen nicht entsprach. Die Enquete wurde vom britischen Arbeits- ministerium veranstaltet. Art und Methoden ihrer Durchführung unterscheiden 1 Vgl. die Berichte des Verfassers in dieser Zeitschrift über die Enqueten in Deutschland und in den Vereinigten Staaten, verglichen mit der schweizerischen Erhebung: «Lebenshaltung von Arbeitern in Deutschland und in der Schweiz», Jahrg. 1939, Heft 3, sowie «Lebenshaltung in USA», Jahrg. 1942, Heft 1. Vgl. auch den seither erschienenen Aufsatz: «Erhebungen über Haushaltungsrechnungen in den Vereinigten Staaten und der Schweiz», von Dr. W. Kuli, Jahrg. 1945, Nr. 1. * «Weekly expenditure of working-class households in the United Kingdom in 1937— 1938», in: «The Ministry of Labour Gazette», December 1940, p. 300—305.

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BERICHTE - RAPPORTS

Die Lebenshaltung der Arbeiter in Grossbritannien vor dem Kriege

Von Dr. J. Rosen

Die Zeit vor dem Ausbruch dieses zweiten Weltkriegs ist besonders reich an Erhebungen über den Verbrauch in Haushaltungen, meistens von Arbeiter­familien. Das gilt fur eine Reihe der wichtigsten Länder 1. Dieses zeitliche Zusammentreffen ist kein zufälliges Ereignis. Infolge der Notwendigkeit ver­stärkter staatlicher Eingriffe in den Wirtschaftsprozess — in Produktion, Ver­teilung und Verbrauch — hat es sich als unumgänglich erwiesen, die gewandelte Struktur des Konsums allgemein besser zu erkennen und somit diese eher ver­nachlässigte Wirtschaftssphäre mit exakteren Methoden zu untersuchen. Dass dafür der Arbeiterhaushalt als der für die Sozialbevölkerung typische, daher allgemein wichtige, in erster Linie in Betracht kommt, liegt auf der Hand. Neben diesen grundlegenden Umständen wirkte im besonderen die sogenannte «Indexkritik» mit. Die Gleichzeitigkeit, mit der fast überall, vielleicht weniger der Index der Lebenshaltungskosten in seiner Konstruktion, als vielmehr im Grunde der Index, der keine stabile Lebenshaltung mehr anzuzeigen vermochte, angegriffen wurde, ist bemerkenswert; sie ist letztlich eben darauf zurück­zuführen, dass die Erscheinungsform für den Inhalt genommen wurde. Dass seit der grossen Weltwirtschaftskrise die Lebenshaltung der Sozialbevölkerung gesenkt wurde, geht natürlich nicht auf Konto des Indexes, wie ja auch das Thermometer nicht an der Kälte der letzten Winter die Schuld trägt; immerhin wird den Indices der Lebenshaltungskosten immer wieder vorgeworfen, sie zeigten die «Kältegrade» der Lebenshaltung nicht angemessen an.

Unmittelbarer Anlass für die im britischen Königreich durchgeführte und hier besprochene Erhebung über den Haushaltsverbrauch2 war gleich­falls die Absicht, Material für eine Revision der Indexgrundlagen beizubringen, da der auf das Jahr 1914 zurückgehende Normverbrauch vermutlich den neuen Erfordernissen nicht entsprach. Die Enquete wurde vom britischen Arbeits­ministerium veranstaltet. Art und Methoden ihrer Durchführung unterscheiden

1 Vgl. die Berichte des Verfassers in dieser Zeitschrift über die Enqueten in Deutschland und in den Vereinigten Staaten, verglichen mit der schweizerischen Erhebung: «Lebenshaltung von Arbeitern in Deutschland und in der Schweiz», Jahrg. 1939, Heft 3, sowie «Lebenshaltung in USA», Jahrg. 1942, Heft 1. Vgl. auch den seither erschienenen Aufsatz: «Erhebungen über Haushaltungsrechnungen in den Vereinigten Staaten und der Schweiz», von Dr. W. Kuli, Jahrg. 1945, Nr. 1.

* «Weekly expenditure of working-class households in the United Kingdom in 1937— 1938», in: «The Ministry of Labour Gazette», December 1940, p. 300—305.

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sich beträchtlich von den hierfür in der Schweiz üblichen, und beispielsweise bei der vom BIGA geleiteten Erhebungx über Haushaltsrechnungen von 1936—1938. Die englische Erhebung ist in jeder Hinsicht «extensiver», — allerdings mit dem Vorbehalt, dass die «intensive» schweizerische Unter­suchung nicht nur ergiebiger im Ergebnis war, sondern unseres Erachtens auch mit relativ weniger Arbeitsaufwand erzielt wurde.

Während in der Schweiz Jahresaufzeichnungen verlangt und erzielt wurden (1454 Haushaltungsbudgets), beschränkten sich die englischen Bearbeiter auf das Sammeln von JFocAerebudgets 2. Allerdings sollten es vier Wochen­budgets pro Familie und Jahr sein, je eine Wochenaufzeichnung im Abstand eines Vierteljahres. Somit erstreckte sich die englische Erhebung — summiert — auf 1/13 eines Jahresbudgets. Solche Verbrauchsnotizen sollten von wenigstens 10 000 Familien, in angemessener Streuung über das ganze Land verteilt (England, das ist London und der Südosten, der Südwesten, die Midlands, Nord­osten, Nordwesten und Norden Englands; Wales; Schottland; sowie Nord-Irland), gesammelt werden.

Es wurde tatsächlich erreicht, dass die zahlenmässige Verteilung der ge­sammelten Budgets auf die adniinistrativen Regionen recht gut der wirtschaft­lichen Gewichtung dieser Gebiete entsprach (gemessen am Bestand der gegen Arbeitslosigkeit Versicherten).

Um das Soll von 10 000 Budgets einzuhalten, war vorgesehen, an 25 000 bis 30 000 geeignete Familien zu gelangen; es erwies sich in der Tat als nötig — in entsprechender regionaler Streuung — rund 31 000 Haushalte zur Teilnahme aufzufordern. In Frage kamen Familien evtl. Alleinstehende mit einem Ein­kommen bis zu £, 250 im Jahr: gegen Arbeitslosigkeit versicherte Lohnbezieher im allgemeinen und nichtmanuell Tätige mit Gehältern unter £, 250. «Die Umfrage erfasste Landarbeiter wie auch Arbeiter in industriellen, kommerziellen und Angestellten-Beschäftigungen.» Daneben wurden auch NichtVersicherte einbezogen, d. h. im wesentlichen Arbeiter der (damals privaten) Bahnen, Gemeinden, öffentlichen Versorgungsbetriebe und der Regierungsdepartemente. Es ist also zu beachten, dass in den folgenden Daten für die britischen Familien teilweise auch «Angestellte» eingeschlossen sind — doch dürfte

1 Haushaltungsrechnungen von Familien unselbständig Erwerbender 1936/37 und 1937/38. Sonderheft 42 der «Volkswirtschaft». Bern 1942.

Zürcher Haushaltungsrechnungen 1936/37. Statistik der Stadt Zürich, Heft 47. Zürich 1938. Basler Haushaltungsrechnungen 1936/38. Mitteilungen des Statistischen Amtes des

Kantons Basel-Stadt, Nr. 61. Basel 1939. 2 In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die Woche als Zeiteinheit in

Grossbritannien eine wesentlich stärkere Bedeutung als auf dem Kontinent hat. Der Wochen­termin ist besonders für Arbeitnehmer geradezu als der Zahlungsmodus anzusehen. Nicht nur werden — anders als in der Schweiz — die Arbeitereinkommen durchweg wöchentlich aus­bezahlt, auch die hauptsächlichen Ausgabenposten im Haushalt des britischen Arbeitnehmers sind wöchentlich fällig: Miete, Milchrechnungen, Versicherungsbeiträge, Zeitungsabonnements etc. werden jede Woche bezahlt. Wurde somit in der britischen Erhebung als Befragungszeit­raum die Woche gewählt, so ist nicht zu bezweifeln, dass er trotz seiner Kürze den dortigen Einkommensverhältnissen und Zahlungssitten der Arbeitnehmer durchaus angemessen ist.

Ich verdanke diese und andere wertvolle Hinweise Herrn Dr. W. Bickel.

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Die Lebenshaltung der Arbeiter in Grossbritannien vor dem Kriege 327

davon der Charakter dieser Erhebung als einer von Arbeiterhaushalten nicht berührt sein.

Die erwähnten 31 000 Adressen von geeigneten Haushaltungen wurden durch — man möchte sagen — «systematischen Zufall» erlangt, indem vor allem aus den Verzeichnissen der gegen Arbeitslosigkeit versicherten Erwachsenen in regelmässigen Abständen Namen herausgegriffen wurden. Kurz vor dem auf den 17. Oktober 1937 angesetzten Beginn der ersten Etappe der Erhebung wurde an jede dieser Adressen ein Schreiben des Arbeitsministeriums gerichtet, worin eine kurze Erklärung des Gegenstandes der geplanten Umfrage gegeben und auch mitgeteilt wurde, dass die Haushaltung demnächst im Auftrage des Ministeriums aufgesucht und zur Teilnahme aufgefordert werden würde. Das geschah dann in der ersten Hälfte des Monats durch freiwillige Helfer. Sie hatten das Wesen der Enquete in allen Einzelheiten zu erklären und luden die betreffenden Familien ein, erstmalig während der am 17. Oktober beginnenden Woche alle Ausgaben aufzuzeichnen und für die Angaben die vorgesehenen gedruckten Formulare auszufüllen. Diejenigen Haushalte, die sich dazu bereit­fanden, wurden nochmals während der Erhebungswoche aufgesucht und er­hielten Auskunft und Hilfe beim Ausfüllen der Bogen. Und schliesslich suchten die Einsammler kurz nach dem 23. Oktober die Familien erneut auf, holten die fertigen Wochenaufzeichnungen ab und sahen soweit möglich darauf, dass keine Ausgabenposten weggelassen waren.

Das ist eine recht gedrängte Darstellung der notwendig gewesenen Vor-und Nebenarbeiten zur Sicherstellung dieser Erhebung. Das gleiche Vorgehen wurde im Prinzip noch dreimal während der Wochen durchgeführt, die am 23. Januar, 24. April und 17. Juli 1938 begannen. Von den im Anfang auf­gesuchten 31 000 Haushalten hatten deren 12 283 brauchbare Aufzeichnungen für die erste Erhebungswoche begonnen, davon 10 221 industrielle. Verständ­licherweise schied zwischen den Erhebungsintervallen eine Reihe von Teil­nehmern aus : zuletzt waren es 10762 insgesamt und deren 8 9 0 5 industrielle Haus­halte, die die gewünschten Notizen während jeder der vier Wochen im Abstand eines Vierteljahres gemacht haben. Die im Verfolg des vorliegenden Berichtes ge­gebene Darstellung bezieht sich immer auf diese Gruppe von 8905 Haushaltungen.

In diesem Zusammenhang verdient angemerkt zu werden, dass die in solchen Fällen übliche Anerkennungsprämie für korrekte Ausfüllung der Frage­bogen hier recht generös bemessen war. Die Teilnehmer erhielten nämlich für jedes anweisungsgemäss geführte Wochenbudget den Betrag von 2% Shilling (der Kaufkraft von 1937 nach mindestens 2% Franken), zusammen also für vier Wochenaufzeichnungen 10 s; und dazu noch für diese 4 Budgets eine weitere Prämie von 2% s; in Summa 12% s für Vis eines Jahresbudgets. Dem­gegenüber wurden bei der schweizerischen Erhebung Prämien von 30 Franken pro Jahresbudget ausgerichtet. Nach dem englischen Maßstab wären es 162% Franken gewesen.

Die personelle Zusammensetzung der 8905 industriellen Haushaltungen, auf die hier abgestellt wird, ist der der schweizerischen Familien von 1936 bis 1937 recht ähnlich:

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Durchschnittliche Personenzahl pro Haushalt in der britischen Erhebung:

Kinder unter 14 Jahren 0,99 Männliche Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren 0,15 Weibliche Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren 0,16 Männer über 18 Jahre 1,22 Frauen über 18 Jahre 1,25 Personen pro Haushalt 3,77

Die schweizerische Erhebung weist ihrerseits 3,9 Personen pro Arbeiter­haushalt auf. Die Familiengrösse in beiden Gruppen ist also praktisch identisch. Die durchschnitthche Personenzahl von 3,9 Köpfen pro Haushalt entspricht einer Zahl von 2,37 Konsumeinheiten, oder nach der Quetskala : von 9,65 Quets (das wären 2% Vollpersonen zu 3% Qnets). Doch kann bei den weiteren Be­rechnungen nur die Kopfzahl, nicht aber die wichtigere des Vollpersonendurch-schnitts berücksichtigt werden, da die englische Erhebung die entsprechenden Zahlen nicht anzeigt.

Das Budget, in dessen Rahmen eine durchschnittliche englische Arbeiter­familie nach den vorliegenden Untersuchungsergebnissen wirtschaftet, beläuft sich auf 85 s pro Woche. Dies sind die notierten Ausgaben. Angaben über die Einkommen sind nicht gemacht. Es wirkt ein wenig befremdend, dass in Wirt­schaftsrechnungen eine Darstellung der Einkommensverhältnisse der befragten Familien nicht auch ihren Platz gefunden hat. Ja, in den Erhebungen nach Art der letzten schweizerischen bildet die Analyse des Einkommens, wenn auch nicht die Grundlage, so doch immer einen wichtigen Ausgangspunkt der Unter­suchung. Wohl könnte man anführen, dass Haushaltungsrechnungen letzten Endes von den effektiven Ausgaben ausgehen; aber es gilt doch als Maßstab für die Vollständigkeit der Budgetführung, wenn buchmässiger Eingang und Ausgang in der Haushaltungskasse sich decken. Diese Kontrollmöglichkeit fehlt bei der englischen Erhebung also völlig. Es kann auch nicht mit Sicher­heit ersehen werden, inwieweit das ganze Einkommen in den vier Befragungs­wochen für die dargestellten Ausgaben verwendet wurde. Man wird jedoch annehmen dürfen, und bei dieser Annahme nicht weit fehl gehen, dass die eine Grösse für die andere gesetzt werden kann, auch wenn man erwägt, dass er-fahrungsgemäss Haushaltungsrechnungen vielfach ein gewisses — rechne­risches — Defizit aufweisen.

Wie setzt sich nach den Ergebnissen dieser Erhebung das typische englische Arbeiterbudget zusammen ?

Stellt man nun die Ausgaben der Familien der britischen den der schweize­rischen Erhebung gegenüber, so lassen sich vorerst einige aufschlussreiche Grö8senordnungen gewinnen. Im übrigen soll aus ihnen keine weitere Schluss­folgerung gezogen werden. Jedoch scheinen die Ergebnisse geeignet, auch den absoluten Werten in den Landeswährungen Gewicht beizumessen. Für den Durchschnitt der untersuchten schweizerischen Haushaltung wurden nämlich Ausgaben in Höhe von rund 4570 Franken pro Jahr und Haushalt gefunden. Die Wochenausgabe von 85 s bei den englischen Familien bedeutet, voraus-

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gesetzt, dass der Durchschnitt von vier Wochenzahlen auf das ganze Jahr übertragen werden darf, einen Jahresaufwand von 4420 s. Es liegt nahe, ohne vorerst die Kaufkraft des Frankens und des Shillings zu betrachten, auch die absoluten Beträge zu vergleichen.

Bei der Darstellung der Bestandteile der zu besprechenden Budgets werden wir uns an die englische Gliederung der Ausgaben halten. Dadurch wird eine nicht unbeträchtliche Umstellung der in der schweizerischen Erhebung üblichen normalen Reihenfolge erforderlich, aber auch eine Einsicht in die englische Verfahrensweise bei der Behandlung von Wirtschaftsrechnungen möglich.

Die wöchentlichen Ausgaben der englischen Arbeiterfamilie (von 3,77 Per­sonen) werden von den Bearbeitern in die folgenden Hauptposten gegliedert, denen wir die entsprechenden Aufwendungen der schweizerischen Arbeiter­haushaltung (von 3,9 Personen) gegenüberstellen:

Tab. 1

I . Wohnungsmiete H . Nahrungsmittel

IIa. (renussmittel III. Bekleidung und Schuhe inkl. R e p . . . IV. Heizung und Beleuchtung

V. Übrige Ausgaben

Alle Ausgaben

Grossbritannien

• d

10 10 1

34 1 3 S%« 8 l 3

6 5 22 3 %

85 0

%

12,7 40,1

3,9 9,5 7,6

26,2

100

Sobweiz

Franken

15,29 28,86

3,29 7,85 4,69

27,56

87,54

%

17,46 32,97

3,76 8,97 5,36

31,48

100

1 Miete oder Kaufzahlungen, Raten, Wassergebühr etc., abzüglich Einnahmen aus Unter­miete.

Die schweizerische Ziffer for die Miete von Fr. 15, 63 wurde um die Einnahmen aus Ver­mietung (pro Jahr Fr. 17, 80, pro Woche Fr. —, 34) gekürzt, ebenso die Gesamtausgaben von Fr. 87, 88 auf Fr. 87, 54.

In der schweizerischen Erhebung wurde für Rechnungsführer mit Eigentümerwohnung «teine besondere Hausrechnung erstellt. Auf der Aktivseite • . . figurierten all fallige Mietzinsein­nahmen und der Mietwert der Wohnung des Rechnungsführers, auf der Passivseite die Hypothekar-Zinsen, die Amortisationen und die Reparaturen. In die Jahresrechnung wurden zwei Posten eingesetzt: Der Mietwert der Wohnung des Rechnungsführers als Ausgaben für Miete, der Saldo der Hausrechnung als Zinsen von Sparanlagen, falls aktiv, als Ausgabe für Zinsen, falls passiv.» (BIGA, S. 18.)

Infolge dieser (zweifellos genaueren) Einteilung decken sich die beiden Mietbegriffe nicht ganz, jedoch sind die fraglichen Beträge nicht ausscheidbar, und die Zahl der Eigentümerwohnungen unter den untersuchten schweizerischen Arbeiterfamilien ist mit 40 resp. 5,4 % relativ gering.

Im übrigen betrug in England die Wochenmiete für Mietwohnungen 10 s 8 d, für Eigentümer­wohnungen 12 s 9 d, woraus sich der eingesetzte Mietdurchschnitt von 10 s 10 d ergibt.

2 Rauchwaren = 2 s 6% d; Getränke (Bier, Mineralwasser etc.) = 9% d; zusammen 3 s 3 % d. Um diesen Betrag wurden die «Übrigen Ausgaben» gekürzt und dafür der Posten «Genussmittel» eingeschoben. — Vermutlich ohne die «(Kleineren Wirtshausausgaben » der schweizerischen Erhebung.

3 12-Monats-Durchschnitte von 2100 Haushaltungen. Weicht leicht von den Aufzeichnungen

gaben für Bekleidung, anders als die meisten anderen Posten, nicht wöchentlich vorgenommen werden; daher ergab sich die Notwendigkeit, hierfür einen längeren Zeitraum zu untersuchen.

Einschliesslich Färben und Reinigung; Schweiz: Ohne Färben und Reinigung.

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Diese summarische Übersicht lässt bereits einige charakteristische Züge der Lebenshaltung britischer Arbeiterfamilien erkennen und auch sehen, wo Unterschiede gegenüber dem Lebensstandard entsprechender Schichten in der Schweiz bestehen.

I. Der Aufwand für Wohnung mit rund einem Achtel des Totais erscheint recht niedrig; der Vergleichssatz in der Schweiz liegt um 2/5 höher. Die durch­schnittliche Grösse der untersuchten englischen Arbeiterwohnung lässt sich mit der Zahl von 3,9 Räumen pro Familie kennzeichnen. Darin sind vermietete Zimmer nicht enthalten, auch nicht Badezimmer und Spülküchen (das sind Nebenräume zur Küche, die regelmässig zu einer solchen gehören), dagegen sind Küchen inbegriffen, worunter man nach hiesigen Begriffen eher Wohnküchen zu verstehen hat.

Wenn man sich in Erinnerung ruft, dass eine Familie, die eine solche Wohnung bewohnt, 3,77 Köpfe zählt, somit auf eine Person gut ein Raum ent­fällt, so dürften diese Verhältnisse — die gewiss nicht die der «slums» sind — als günstig angesprochen werden.

Von allen Wohnungen wurden genau 4/6 in Miete bewohnt; 17,8 % der Befragten hatten ein Eigenheim; der Rest entfällt auf Freiwohnungen.

Ein Vergleich der Wohnungsgrosse mit schweizerischen Verhältnissen beschränkt sich auf Zürich, wofür Daten bekannt sind. Wenn aber in der Zürcher Veröffentlichung x die Zahl der Wohnräume je Arbeiterwohnung mit 2,85 angegeben ist (die Angestelltenwohnung mit 3,38 Räumen), so ist zu be­achten, dass hierbei die (ausser in zwei Fällen immer vorhandene) Küche nicht mitgezählt, während sie in der englischen Erhebung als Wohnraum berück­sichtigt wurde. Somit beträgt die vergleichbare Wohnraumzahl in Zürich 3,85, und sie ist ziemlich identisch mit der in Grossbritannien; immerhin ist die Kopfzahl pro Haushaltung mit 3,64 etwas kleiner als bei den englischen Ar­beiterfamilien. Schliesslich wohnten in Zürich von 346 dort erfassten Familien von Arbeitern und Angestellten nur 24 in eigenen, sowie 4 in Dienstwohnungen. Zusammen nicht einmal 7 %, verglichen mit genau 20 % der englischen Arbeiter­haushalte. — Die Zahlen für die Schweiz entnehmen wir wieder der Veröffent­lichung des BIGA 2. Danach wohnten die untersuchten Familien im folgenden Verhältnis in Miet-, Dienst- oder Eigentümerwohnungen:

Arbeiter %

in reinen Mietwohnungen. . 1295 89,1 6813 i ( 91,9 in Dienstwohnungen . . . . 39 2,7 208 / 7 l 2,7 in Eigentümerwohnungen. . 120 8,2 40 5,4

alle Wohnungen 1454 100 741 100

Alle Familien Anzahl %

1295 89,1 39 2,7

120 8,2

Anzahl

681» 20» 40

1 A. a. O. S. 65. * A. a. O. S. 108. 8 A. a. O. S. 108; unsere Schätzung.

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Anders als hei den Wohnausgaben wenden englische Arbeiter wesentlich mehr fur Nahrungs- und Genussmittel auf als die Schweizerfamilien. Jedoch wird man hier die Schlussfolgerung, die sich aus dem Engeischen Gesetz ergibt (steigender Satz für Nahrung parallel einem abnehmenden Einkommen bzw. Lebensstandard), nicht anwenden dürfen. Die Nahrungsqualität für die hier verglichenen britischen Arbeiterfamilien dürfte keineswegs niedriger liegen als für die schweizerischen — wenn auch gewiss Unterschiede in der Nahrungs­struktur bestehen, auf die aber erst später eingegangen werden soll —, schon deswegen nicht, weil ein höherer absoluter Betrag bei im ganzen sicher nicht höheren Preisen für diesen Zweck verfügbar ist.

Für Bekleidung wenden die Arbeiterfamilien in den beiden Ländern einen ähnlichen Anteil auf. Erstaunlicherweise belastet der Posten Heizung und Beleuchtung das englische Budget mit 7,6 % stärker als das schweizerische mit 5,3 %. Das mag unerwartet scheinen für jenes typische Kohlenland. Hängt es mit einem höheren mengenmässigen Heizverbrauch zusammen ?

Durchschnittliche Ausgaben fur Heizung und Beleuchtung pro Woche: Ordnungsnnmmer England Schweiz

der engl. Erhebung s d in Franken 67. Kohle 3 2 1 68. Koks 0 1 j u ' ö i >

69. Gas1 1 5% 1,19 70. Strom1 0 liyé 1,23 71. Öl, Feuerholz etc 0 834 0, 702

— Anderes . 0,72

Total 6 5 4,69

In Geld ausgedrückt wird in den englischen Haushaltungen entschieden mehr für Kohle ausgegeben als in den schweizerischen, auch wenn man hier den Aufwand fur Zentralheizung («Anderes») berücksichtigt. Gemessen an den verbrauchten (gekauften) Mengen jedoch ist der Unterschied ganz erstaunlich. Für alle schweizerischen Familien wird als jährliche Verbrauchsmenge u. a. 799 kg Kohlen ausgewiesen, wovon für Angestellte und Beamte 982 kg, und fur Arbeiterhaushalte dementsprechend weniger: 622 kg, die während des Erhebungsjahres gekauft wurden. Die Zahlen für Grossbritannien sind pro Stichwoche genannt. In den betreffenden Wochen im Oktober, Januar, April und Juli betrug die durchschnittliche gekaufte Menge je 1,7; 2,1; 1,7 und 1,3 cwt; der allgemeine Durchschnitt für die vier Wochen belief sich auf 1,7 cwt pro Woche. Das wären pro Jahr 88,4 cwt zu 50,802 kg = 4491 kg, mehr als das Siebenfache der schweizerischen Ziffern. Hier mögen zwar die niedrigeren Kohlen­preise mitspielen — vermögen sie aber eine solche Verbrauchsdifferenz zu erklären? Ahnlich wie beim Posten «Bekleidung» hätten sich in diesem Falle Jahresaufzeichnungen empfohlen, und es ist anzunehmen, dass die «Besonder­heit» dieses Postens durch die dargestellte methodologische «Besonderheit»

1 Einschliesslich Zählermiete etc. * Holz.

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der englischen Enquete mindestens mitbeeinflusst wurde. Es darf aber als zutreffend angenommen werden, dass der Heizmaterialverbrauch in britischen Wohnungen grösser ist (unrationelles offenes Kaminfeuer). Umgekehrt drücken sich die höheren Installations- und Unterhaltskosten fur Zentralheizung zum Teil in höheren Mietkosten für schweizerische Wohnungen aus.

Der Restposten der übrigen Ausgaben ist fur britische Arbeiterfamilien mit 26,2 % kleiner als in der Schweiz mit 31,4 %. Ein zutreffendes Urteil über die Bedeutung dieser Relation lässt sich zwar erst aus der Einzelbetrachtung dieser Ausgabengruppe gewinnen. Immerhin kann schon aus der Gesamtziffer geschlossen werden, dass der englischen Arbeiterfamilie nach Befriedigung ihrer Bedürfnisse für Essen, Wohnen und Kleidung weniger bleibt als der schweizerischen, die somit mehr für freien, nicht so lebensnotwendigen Bedarf aufzuwenden in der Lage ist.

II. Die Ausgaben einer englischen Arbeiterhaushaltung pro Woche für Nahrung sind in der folgenden Tabelle enthalten. Wir haben die Shilling-Pence-Beträge auch in Prozente umgerechnet, und stellen ihnen die vergleich­baren Sätze der schweizerischen Erhebung gegenüber.

Tab. 2

Brot Mehl Hafermehl, Reis,

Makkaroni etc. . Kuchen etc. . . . Fleisch1 . . . . . Fische Milch, frisch . . . Milch, andere. . . Butter andere Fette . . . Käse Eier

Übertrag

Gronbritannien

s d

2 sy4

10

33/4

i 6y 4

8 1% 1 43/4

3 03/4

6 2 sy2

ny4 1 10%

24 4%

%

7,90 2,44

0,92 4,46

23,80 4,09 9,00 1,46 7,23 2,75 2,01 5,50

71,56

Schweiz

%

7,8

1 4,2

3,4 19,7

0,5 17,0

0,6 6,4 3,7 3,6 3,6

70,5

Übertrag Tee Kakao • . Kaffee Zucker Konfitüre, Honig

etc Kartoffeln . . . . andere Gemüse. . Obst Mahlzeiten aus­

wärts andere Nahrung .

Total

Großbritannien

• d

24 4% 1 73/4

1

i oy2

l iy4

1 4% 1 9% 1 1%

9y2 34 1

%

71,56 4,82 0,37 0,24 3,05

1,77 3,23 4,03 5,25

3,36 2,32

100,0

Sehweis

%

70,5 0,3 1.9 1,6 2,7

0,7 2,4 6,4 7,7

3,2 2,6

100,0

1 Davon Wurst (und Fleischpasteten): 0 s iy% d = 7,7%, dagegen in der Schweiz (ohne Fleischpasteten) 1/3 des gesamten Fleischverbrauchs.

An dieser Ausgabenzuteilung fallen zunächst einmal die fur schweizerische Verhältnisse beträchtlichen Anteile auf, die die britische Arbeiterfamilie für den Fischkonsum und gar für den von Tee aufwendet.

Im übrigen wird man beim Vergleich der Anteile der verschiedenen Nah­rungsposten feststellen, dass nur wenige in den beiden «Küchen» gleich stark

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vertreten sind. Das trifft einigermassen zu für Brot, andere Getreideprodukte, sowie für ausserhalb der Haushaltungen verzehrte fertige Mahlzeiten.

Man kann die nationalen Unterschiede in der Verbrauchsstärke für die einzelnen Nahrungsmittel ungefähr der folgenden Übersicht entnehmen, in der nur eine Ordnung nach solchen Waren vorgenommen ist, die im einen Land mehr, im andern Land anteüsmässig schwächer konsumiert werden.

Eine Haushaltung verbraucht mehr in England mehr in der Schweiz mehr in England mehr in der Schweiz

Kuchen, Feingebäck Milch Eier Kaffee Fleisch Fette, ausser Butter Zucker andere Nahrung Fische Käse Konfitüre Butter Gemüse Kartoffeln Tee Obst

Kakao

Hier muss die übliche Vorstellung von Nahrungsmitteln, die für gehobene oder niedrige Lebenshaltung typisch sind, versagen: Fleisch, Fische, Eier mehr auf der einen; Milch, Obst, Gemüse mehr auf der anderen Seite. Man wird der Sachlage eher gerecht werden, wenn man diese Besonderheiten auf Unter­schiede in der Lebensweise zurückfuhrt, auf nationale Eigenheiten und Ge­gebenheiten der Verbrauchsstruktur, die also nicht als Indizien der Lebens-haltxmgsqualität angesehen werden können. Diese Unterschiede erscheinen wohl bemerkenswert, und man könnte das Mehr für die eine mit dem Minus für die andere Ware erklären. Doch muss in jedem Fall ein Vergleich, der auf die Prozentsätze der Ausgaben abstellt, irgendwie wirklichkeitsfern bleiben, solange das Preisniveau ausser Vergleich bleibt. Wohl sagt die Höhe des Anteils für eine Ware über die sich durchsetzende «Neigung zum Verbrauch» eben dieses Gutes aus, und somit über Konsumvorliebe oder sogar Konsumnot­wendigkeit. Einen schlüssigen Vergleich wird man aber nur aus jener Gegen­überstellung ziehen dürfen, die gleiche Preise für die betreffende Ware zur Grundlage hat, weil man sonst — ohne spezielle Kenntnis der Landesverhält­nisse — nicht wird entscheiden können, welcher Anteil des Verbrauchssatzes infolge des niedrigen Preises ermöglicht, oder aber welcher infolge Verbrauchs­vorliebe oder Verbrauchsnotwendigkeit bewirkt wurde. In jedem Fall wird man eine richtige Vorstellung vom «Gehalt» eines solchen nationalen «Lebens­mittelkorbes» erst gewinnen können, wenn man die verzehrten Mengen be­trachtet. Das geschieht im Folgenden. (Siehe Tabelle 3.)

Hier ist anzumerken, dass die englischen Angaben — gemäss dem Charakter der dortigen Erhebung — die konsumierten Quantitäten nicht fur alle Nahrungs­mittel nennen (können). Immerhin sind die wichtigsten Posten der Ernährung berücksichtigt, während für die fehlenden keine ausreichend genauen und voll­ständigen Notizen gemacht wurden. Man muss sich also darauf beschränken, die entsprechenden schweizerischen Zahlen nur für diese Waren anzuführen. Weiter waren umzurechnen: 1. die englischen Masse auf metrische Masse, 2. die schweizerische Jahresziffer auf den Wochenwert. Dadurch wird der

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Vergleich erleichtert. Wieder zeigt sich, ja noch stärker als bei den Geldwerten, eine grundlegende Verschiedenheit im Verbrauch englischer und schweizerischer Arbeiterhaushaltungen. Der Speisezettel ist in den beiden Ländern sozusagen völlig anders zusammengesetzt. Nur eine Übereinstimmung fällt auf, und zwar dort, wo wir es vielleicht am wenigsten erwartet hät ten: beim Käse. Sonst aber sind die Unterschiede hier und dort zum Teil ausserordentlich gross, wie etwa im Falle des Tee Verbrauchs. Im teetrinkenden Grossbritannien konsu­mieren Arbeiterhaushalte rund das 30fache der schweizerischen. Zunächst muss auch der starke Unterschied der Mehlmengen auffallen; doch wissen wir nicht, inwieweit dies auf Konsumunterschiede oder aber auf Differenzen in der Klassi­fikation zurückzuführen ist. Den üblichen Vorstellungen entsprechen die Re­lationen im Milchkonsum; hiervon trinkt man in der Schweiz fast dreimal so viel. Anderseits — oder damit zusammenhängend — wird nur halb soviel Butter gegessen. Auch der schweizerische Zuckerverbrauch ist beträchtlich kleiner. Das gilt auch für Konfitüre, Eier, Fleisch und Kartoffeln, die im schweizerischen Arbeiterhaushalt mit zum Teil erheblich kleineren Mengen vertreten sind.

Tab. 3

Brot Mehl Fleisch2

Speck, Schinken etc frische Vollmilch, Liter Butter

Margarine

Schweineschmalz Käse Tee Zucker Konfitüre etc Kartoffeln Eier, Stück

England

pro Woche in Ib.1

13,5 4,4

11,2* 1,8

0,7

0,5 0,7« 0,7 4,8 1,0

13,8 14,1

Schweiz

pro Jahr in kg

277,6 25,6

96,0

835,6 20,3

13,3 • / z*»* 4 ,1 7

19,2 0,6

90,6 6,1

215,6 456

England Schweiz

umgerechnet: je Woche in kg

6,123 1,996

2,767

6,364 0,817

0,317

0,227 0,363* 0,317 2,177 0,454 6,260

14,1

5,338 0,492

1,846

16,069 0,390

0,211 M 0,256«/ ° ' 4 6 7

0,079 0,369 0,011 1,742 0,117 4,146 8,76

1 Das englische Pfund zu 453,6 g. 2 Rind-, Kalb-, Lamm- und Schaffleisch. 8 Pints zu je 0,568 Liter. 4 Unkomplett. Ohne Käse in Packungen etc. Dieser ist im Gesamtbetrag der Ausgaben

für Käse, nämlich 8 ^ d, enthalten; ohne ihn sind es ca. 7% d. Man kann deshalb das Gesamt­gewicht für Käse mit rund 0,8 Ib. ansetzen, = 0,363 kg pro Woche.

5 Speiseöl. * Pflanzenfett. 7 Schweine- und Rinderfett. Schweiz: Fleisch und Fleischwaren zusammen, ohne Büchsenfleisch.

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Die Lebenshaltung der Arbeiter in Grossbritannien vor dem Kriege 335

Man hatte schon aus den Anteilen der Nahrungsmittel an den Gesamt­ausgaben (40,1% gegen 32,97% in der Schweiz) den Eindruck gewinnen können, dass der englische Arbeiterhaushalt entschieden mehr fur das Essen aufwendet. Die Wochenausgaben betrugen im Total 85 s und Fr. 88. Dabei wird man gewiss kein höheres Preisniveau in England annehmen dürfen; die Kaufkraft des Shillings war in der Vergleichszeit sicher nicht geringer als die des Schweizer­frankens. Wenn somit dort 34 s, hier nur Fr. 29 in der Woche für Ernährung aufgewendet wurden — bei guter und freier Versorgungslage — so darf daraus schon geschlossen werden, dass englische Arbeiterfamilien effektiv «mehr» ver­zehren. Dies entspricht übrigens den Vorstellungen, die man aus anderen Schil­derungen gewinnen kann. Die Übersicht über die tatsächlich gegessenen Mengen bestätigt dieses Urteil fast durchwegs — und sie unterstreicht das Charakte­ristikum der schweizerischen Volksernährung vor dem Krieg, die durch erfreulich hohen Milchkonsum gekennzeichnet war.

Wenn wir noch den Nährgehalt der angegebenen Quantitäten an Lebens­mitteln betrachten — leider enthalten die Berichte über die beiden Erhebungen diese Berechnungen nicht — so wird das Bild vervollständigt. Wie gesagt, sind die Mengenangaben für die englischen Haushaltungen nicht für alle Waren verfug­bar. Immerhin wurden die wichtigeren Posten hinreichend genau aufgezeichnet. Der Vergleich muss sich also auf diesen Ausschnitt aus dem Verzehr beschränken, gibt ihn demnach nur fragmentarisch wieder. Unter Berücksichtigung dieses Vorbehalts lässt sich die folgende Rechnung anstellen. (Siehe Tabelle 4.)

Somit verzehren — wohlgemerkt nicht insgesamt, vielmehr nur von den aufgeführten Nahrungsmitteln — die englischen Familien rund 22 % mehr an Kalorien (60 008 gegen 49 168 pro Woche). Diese Differenz vergrössert sich jedoch, wenn man die Kopfzahl pro Haushaltung einbezieht, auf 26,3 % (3,77 gegen 3,9 Personen). Demnach entfallen pro Person und Tag auf den Konsum nur dieser Waren 2274 gegen 1801 Kalorien. Hier muss die Rechnung, will man sich nicht in unüberprüfbare Hypothesen verlieren — abgebrochen werden. Wir wissen nicht, welchen Bruchteil des Totalverzehrs diese 2274 Kalorien bei den englischen Konsumenten ausmachen, und verzichten daher darauf, den gesamten Kalorienverbrauch der schweizerischen Arbeiterfamilien zu errechnen. Nur soviel scheint sicher: wohl wird pro Einheit der englischen Familien ein grösserer verzehrter Nährwert anzusetzen sein — aber der Anteil am Total (2274 Kalorien vom ganzen Kalorienverbrauch; 1801 Kalorien vom Total) dürfte in England grösser sein. Mit andern Worten: die reichlichere Kost in England wird zu einem grösseren Teil von den angeführten Lebensmitteln gedeckt, während der Speisezettel des schweizerischen Arbeiters zur Ergänzung neben diesen einen relativ grösseren Teil von anderen Nahrungsmitteln ein-8chliesst (Obst, Gemüse etc.).

III. Die übrigen Ausgaben. Dieser Sammelposten enthält die ganze Viel­falt der im Haushalt vorkommenden und bisher unerwähnt gebliebenen Aufwendungen. Mit 25 s 7 d macht er rund 30 % des Gesamtaufwandes aus. Doch um die in der Tab. 1 gegebene Übersicht mit der schweizerischen Er-

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Tab. 4 : Nährwert wichtiger Lebensmittel im Verbrauch englischer und schwei­zerischer Arbeiterfamilien.

Auf die angeführten Waren entfielen pro Haushaltung und Woche an Kalorien :

Brot Mehl Fleisch, Speck, Schinken etc frische Vollmilch Bntter Margarine Schweineschmalz Käse Tee Zncker Konfitüre etc. -Ï C f l r t n f Ï e l T I - T T T T T t T T T . T T T T T

Eier

Kalorien pro Haushalt und Woche1

Kalorien pro Person und Woche1

Kalorien pro Person und Tag1

Kalorien pro 100 g

246 351 211 67

751 748 926 319

409 274 75 87»

.

Kalorien pro Haushalt und Woche

England 3,77

Schwelm 3,9

Personen

15 063 7 006 5 838 4 264 6136 2 371 2 102 1158

8 904 1244 4 695 1227

60 008 15 917 2 274

13131 1727 3 895

10 766 2 929 3 493

732 1177

7125 321

3110 762

49168 12 607 1801

1 Beachten, dass dies nicht der ganze Verbrauch ist. 2 Pro Stuck.

hebung vergleichbar zu machen, sind kleinere Umgruppierungen erforderlich gewesen. Denn die englische Erhebung enthält unter den sogenannten übrigen Ausgaben solche Posten, die nach der schweizerischen Methodik unter «Nah-rungs- und Genussmitteln», genauer unter «Genussmitteln» ihren Platz finden. Es sind die Posten Nr. 81 : Tabak und Zigaretten mit 2/6 %, ferner Nr. 100 Ge­tränke (Bier, Mineralwasser etc.) mit 0/9%, zusammen 3 s 3% d.

Inwieweit das Ausgabenverzeichnis identisch, und im Falle der britischen Erhebung : vollständig ist — es sei u. a. auf Steuern verwiesen — kann nicht eindeutig entschieden werden. Dadurch wird die Vergleichbarkeit teilweise in Frage gestellt.

Wir haben die laufende Numerierung der englischen Übersicht von Haus­haltszusammensetzung und Ausgaben angeführt, um einen Eindruck davon zu geben, in welchem Masse die englischen Bearbeiter selbst bei dieser summa­rischen Darstellung ins Detail gehen. — Zieht man die erwähnten 3 s 3% d von der Summe der «Übrigen Ausgaben» ab, so verbleiben vergleichbare Auf­wendungen von 22 s 3% d pro Woche und Haushaltung. Diese setzen sich wie folgt zusammen:

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Die Lebenshaltung der Arbeiter in Grossbritannien vor dem Kriege 337

Tab. 5

Gegenstand Ausgaben %

der Gesamt­aasgaben

72, 73 74—80 82 83, 84 85 86 87 88 89 90, 91 92—94 95 96 97 98

99, 101

Seife, Soda etc Haushaltseinrichtnng Verkehrsaasgaben Schreibwaren, Bücher, Zeitungen etc Porto, Telephon, Telegramm Vergnügungen Unterricht Coiffeur Wäschereiausgaben Gesundheitspflege Versicherungen Gewerkschaftsbeiträge Gebühren (Hund, Radio, Motorrad etc.) Barlöhne für Dienstpersonal Ferienausgaben Andere Ausgaben

Total

1 1% 2 11% 2 3

2y2

5 4% 3%

6y2 4% «y2

* y 4 6

0 2% 0 73/4 2 83/4

1,32 3,48 2,65 1,42 0,49 1,62 0,37 0,61 0,64 1,64 5,54 1,59 0,59 0,27 0,76 3,21

22 3% 26,20

IV. Als Wochenausgabe pro Haushalt wurden 85 s gefunden. Entspricht dieses Niveau der Lebenshaltung dem allgemeinen Durchschnitt britischer Arbeiterhaushalte ? Darauf kann die Erhebung natürlich keine Antwort geben. Wir versuchen daher, durch Gegenüberstellung mit generell gültigen Ein­kommenszahlen Aufschluss zu erhalten.

Diese Prüfung hat sich in doppelter Richtung zu bewegen: es muss fest­gestellt werden, inwieweit die in der Erhebung erfassten Bedingungen allgemein­gültig sind; und es muss weiter geprüft werden, inwieweit sie gewissen sozialen und physiologischen Mindesterfordernissen genügen. Dass es sich hier um kein «Existenzminimum» handeln kann, haben wir an anderer Stelle dargelegt1. Solche Sollminima sind speziell für England verschiedentlich konstruiert worden. Das bekannteste und anerkannteste ist wohl das von JB. S. Rowntree («The Human Needs of Labour. 1937»).

Nach den Berechnungen von Rowntree 2 bezifferten sich die Gesamtaus­gaben einer englischen Arbeiterfamilie (bestehend aus Eltern und 3 Kindern, also 5 Personen) im Spätherbst 1936 im Minimum pro Woche wie folgt:

s d Nahrung 20 6 Miete 9 6 Kleidung. . . . . . . . 8 0 Heizung und Beleuchtung 4 4

Übertrag 42 4 1 Rosen, Das fbristenzminimum in Deutschland, Zürich 1939. 1 a. a. O. S. 117.

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s d

Diverses: Übertrag 42 4 Haushalt. . . . . . . 1 8 Persönlich 9 0

Total 53 0

Bei einem Vergleich des Rowntree-Minimums mit den Beträgen der vor­liegenden Enquete muss noch, obwohl es sich um nur leicht auseinander liegende Termine handelt, der Index der Lebenshaltungskosten berücksichtigt werden. Dieser stand nach den amtlichen Angaben 1 im Oktober 1936 in England auf 148, dagegen im Oktober 1937 auf 158 (1914 = 100). Somit konnten die im Rowntree-Miiiimum einbezogenen Wochenausgaben zum Beginn der hier be­sprochenen Erhebung, mit dem Betrag von 56 s 7 d getätigt (und gleiche Güter und Leistungen hiermit gekauft) werden.

Bei dem von Rowntree errechneten Mindestbetrag (53 s pro Woche im Herbst 1936, resp. 56 s 7 d ein Jahr später) wird auf einen Haushalt von 5 Personen (2 Erwachsene und 3 Kinder) abgestellt. Wenn Kuczynski in seiner beachtenswerten Studie diesen Personenbestand der Normalfamilie als voll­kommen richtig ansieht, so vermögen wir uns diesem Urteil nicht anzuschliessen :

« Ganz richtig besteht die Familie bei Rowntree aus 3 Kindern und nicht, wie es bei den „modernen und up-to-date44 Budgets der meisten Arbeitsministerien in Europa und den USA der Fall ist, aus nur 2 Kindern. Denn 2 Kinder sichern nicht die Bevölkerungsreproduktion (Tod scheidet einige aus, bevor sie das Pubertätsalter erreichen, andre sind unfruchtbar etc.) und derart setzt jedes Budget, das 2 Kinder als ausreichend für eine Standardfamilie annimmt gleichzeitig voraus, dass die Bevölkerung auf die Dauer zum Aussterben bestimmt ist8.]»

Hier scheinen uns zwei verschiedenartige Dinge gleichgesetzt worden zu sein. Die Norm für ein Familienbudget ist nicht identisch mit dem (richtigen oder unrichtigen) bevölkerungspolitischen Soll der Familiengrosse. Auch wenn man es bedauert, bleibt doch das Faktum, dass seit einiger Zeit (und mit tenden­zieller Verstärkung dieses Umstandes) die Normalfamilie (nicht die Norm­familie) des gewerblichen Arbeitnehmers im Durchschnitt tatsächlich nicht nur nicht aus 5 Personen, sondern vielfach aus weniger als 4 Personen be­steht, also weniger als 2 Kinder pro Ehe zählt.

Es scheint uns daher nur folgerichtig und notwendig, diese Tatsache als solche zu nehmen und bei der Berechnung des Budgetsolls zu berücksichtigen. Dabei glauben wir sogar, dass gewisse Unzulänglichkeiten manchen Lebens­haltungsindexes darauf zurückzuführen ist, dass im Gegenteil dieser wirkliche Personen- resp. Kinderbestand der durchschnittlichen Arbeitnehmerfamilie der Gegenwart nicht in Rechnung gestellt, sondern eine im allgemeinen nicht mehr zutreffende grössere Personen- resp. Kinderzahl supponiert und für die Kosten einkalkuliert wird. Denn in Wirklichkeit verteuert der kleinere Haushalt die Kosten der Lebenshaltung relativ.

1 Statistical Abstract for the United Kingdom 1924—1938. HMSO 1940. * Jürgen Kuczynski, Hunger and Work. Statistical Studies. London 1938. S. 1 ; die

angeführten Stellen wurden übersetzt.

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Die Lebenshaltung der Arbeiter in Grossbritannien vor dem Kriege 339

Wenn unter diesen Umständen das Rowntreesche Standardbudget der Kritik Kuczynskis — deren Ergebnis sich aus dem Titel seines Buches ergibt — doch einigermassen standhält, so dürfen wir das Urteil dieses Sachkenners übernehmen :

«Das von Rowntree konstruierte Budget ist nicht so offenkundig ungenügend wie das von anderen, die herauszufinden versucht haben, wie billig eine Arbeiterfamilie leben und noch ein lohnendes Ausbeutungsobjekt sein kann. Aber es ist noch weit davon entfernt zu genügen, ,den Bedarf für körperliche Leistungsfähigkeit4 zu garantieren: es sieht beispielsweise keine Er­fordernisse für die Mutter vor, die kurz zuvor ein Kind geboren hat; . . . (etc.) 1.»

Als «Minimum» wird der Mindestbetrag von Rowntree also doch nicht restlos zu verwerfen sein, so sehr auch jede faktische Besserstellung darüber hinaus zu begrüssen und erforderlich ist. Aber man wird nicht ausser acht lassen können, dass — wie auch Kuczynski betont — überall weit niedrigere «Minima» berechnet, und vor allem, tatsächlich festgestellt worden sind.

Vergleicht man dann die Daten des Rowntreeschen Minimums mit den Zahlen der englischen Erhebung von 1937/38, so ergibt sich eindeutig, dass der Standard der Lebenshaltung dieser Familien im Durchschnitt beträchtlich über Rowntrees Mindestmass liegt. Die Standardfamilie nach Rowntree besteht aus 5 Personen und sollte je Woche im Oktober 1937 mindestens 56 s 7 d ver­verbrauchen können. Eine untersuchte Familie der Erhebung zählt aber nur 3,77 Personen, und kann 85 s (also rund 50,2% mehr) ausgeben, unter Berück­sichtigung der Personenzahl ziemlich genau das Doppelte.

Man wird daher zum summarischen Urteil berechtigt sein, dass die hier untersuchten Haushalte keineswegs eine gedrückte Lebenshaltung fuhren.

Können die Verhältnisse dieser Erhebungsfamilien als allgemeingültig angesehen werden und können sie für das Gros der englischen Arbeitnehmer­familien vor Ausbruch dieses Weltkriegs Geltung beanspruchen? Einer vor kurzem veröffentlichten Statistik der gleichen britischen Amtsstelle lässt sich eine Übersicht des mittleren Lohneinkommens britischer Arbeiter entnehmen. Danach bezifferte sich das vom britischen Arbeitsministerium ermittelte mittlere Lohneinkommen in der letzten Oktoberwoche 1938 wie folgt 2 :

s d Männer über 21 Jahre 69 0 Männliche Jugendliche unter 21 Jahren 26 1 Frauen über 18 Jahre 32 6 Mädchen unter 18 Jahren 18 6

Durchschnitt aller Arbeitskräfte 53 3

1 A. a. O. S. 4 f. 2 cThe Ministry of Labour Gazette», Juni 1942, S. 118 ff. «Average Weekly Earnings

of Workpeople in the Principal Industries at January, 1942». Vgl. auch «Neue Zürcher Zeitung», Nr. 65, vom 13. I. 1942, wo die Lohnbeträge pro Juli 1941 und deren Steigerung gegenüber Oktober 1938 genannt werden; Löhne und Zunahmen weichen von den endgül­tigen in der «Labour Gazette» ab. Aus ihnen hatte sich ein durchschnittlicher Gesamtwochen-lohn von 53 s errechnen lassen.

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Diese Untersuchung über das effektive Lohneinkommen der englischen Industriearbeiterschaft ist als durchaus repräsentativ anzusehen. Es wurden über 56 000 Unternehmungen mit einer Belegschaft von mehr als 6 Millionen Personen erfasst, was rund der Hälfte der gesamten Industriearbeiterschaft in England entsprach.

Wenn sich somit für Ende Oktober 1938 das Einkommen im Durchschnitt pro Arbeitskraft und Woche mit etwa 53 s errechnen lässt, so will diese Zahl mit einem gesamten Haushaltseinkommen von 85 s für das jener Woche voran­gehende Jahr recht gut übereinstimmen. Es sei erwähnt, dass in der Erhebungs­familie im Durchschnitt 1,75 Personen berufstätig sind.

Man wird also annehmen dürfen, dass — anders als vielfach bei Haushal-tungsrechnungserhebungen — die Verhältnisse der untersuchten britischen Arbeiterfamilien dem allgemeinen Durchschnitt einigermassen entsprachen. Dies auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass hier die Familien, in denen Mann und Frau Einkommen aus Erwerb bezogen, stärker vertreten waren als beim Gros der Arbeiterhaushalte.