Politischer Humanismus und europäische Renaissance · Die (italienische) Stadt der Renaissance...

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Politischer Humanismus und europäische Renaissance Prof. Dr. Alexander Thumfart

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Politischer Humanismus und europäische Renaissance

Prof. Dr. Alexander Thumfart

04.2017 Staatstheorie des italienischen Bürgerhumanismus 2

Gliederungspunkt 3

Die (italienische) Stadt als Entstehungs- und Entfaltungsraum

des zivilen/bürgerschaftlichen Humanismus

Die (italienische) Stadt der Renaissance

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Die Stadt der Renaissance

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Die Stadt der Renaissance

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Dom von Florenz

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Die (italienische) Stadt der Renaissance: Siena

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Die (italienische) Stadt der RenaissanceGubbio (samt Franziskus und Wolf)

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Die (italienische) Stadt der Renaissance

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„No more than in its first beginning was the city in Italy defined merely by its

instrumental, political or economic, secular or religious function. In its survival

as in its origin the civitas was first of all a society, a society, as in the past, not

urban simply but territorial, indissolable from the land, and composed, not of

‚burgleite‘, ministerial or mercantile, but of landlords and owners, town-

dwelling possesores, of all ranks and classes, minores, mediocres, but most of

all primores, nobles and territorial domini. In radical divergence from the

transalpine world, the nobility in Italy did not forsake the towns.“

Jones, Philip, The Italian City-State. From Commune to Signoria, Oxford 1997,

S. 83.

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Ab etwa 1200:

Etablierung eines Regierungssystems, das um den Großen Rat (Consilium

Magnum, Consiglio Grosso bzw. Maggiore) gruppiert ist, aus diversen

Beratungs- und/oder Entscheidungsgremien besteht (priori, capitano/i,

consilium parvum, sapientes, protectores libertatis populi), in dem bzw.

denen die Populani zumindest über die Mehrheit von Sitz und Stimme

verfügen (gegenüber dem Adel/nobiles).

Davon abgesetzt die exekutive und judikative Gewalt (potestas), deren

Vertreter meist von außerhalb für eine relativ kurze Zeit (6-12 Monate)

eingekauft wurde (podestà).

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Wir haben es in den Städten mit etwa 5 Schichten/Gruppen zu tun:

a) nobiles/Adel – kompliziert und in Dauerfehden verstrickt

b) Popolani – Zünfte: große und kleine Zünfte; Händler, sehr divers

c) Plebs – Tagelöhner, Handlanger, Un-Zünftige

d) Klerus

e) Bauern bzw. aus dem Umland (contado) – contadini

18-23% der städtischen Bevölkerung (cittadini) wählbar und legitim

politisch Handelnde; contadini ohne politische Rechte.

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Sowohl die Gruppen/Schichten als auch das Regierungssystem blieben im

Prinzip konstant bis zum Beginn des 15. Jahrhunderts.

In enger Kooperation erarbeiten die Städte Nord- und Mittel-Italiens ab dem

13. Jahrhundert ein mehr oder weniger systematisches, schriftlich fixiertes

Rechtssystem (acta comunis, acta publica), das gegen den Flickenteppich aus

römischem, germanischem, feudalem und aus Gewohnheit entstandenem

Recht gesetzt wird.

Kaufverträge, Friedensverträge werden kommunal vorformuliert, es gibt ein

System von Strafen, Maßeinheiten für Lebensmittel, Zölle, Abgaben, Steuern,

Bauordnungen, Kleiderordnungen, Festordnungen, etc.

Ein System rationaler(er) Herrschaft gegen Willkür entsteht in den Städten

Italiens: libertas = Willkürfreiheit.

Ambrogio Lorenzetti: Buon Governo(Palazzo Pubblico, Siena 1337/38)

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Mitte/Ende des 13. Jahrhunderts entwickeln die Städte eine rege

Bautätigkeit (Warmzeit) mit kollektiv verbindlicher Planung.

Dante Alighieri etwa agiert als Mitglied einer Kommission zur

Straßenbegradigung und –verbreiterung in Florenz und erlebt

gleichzeitig den Bau des Palazzo della Signoria (publico) (1299-1302).

Bereits 1250 gab es in Florenz die Vorschrift, dass die Wohn- und

Geschlechtertürme auf 50 braccia (etwa 30 Meter) zu begrenzen sind.

Der neue Turm des Palazzo della Signoria sollte 90 braccia hoch sein.

Und nun denken wir an den Trump-Tower und seine Macht-Symbolik.

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Ab etwa Mitte des 14. Jahrhunderts beginnen die internen Spaltungen

der res publica entlang klientelistischer oder ideologischer Linien. Die

Ursachen sind komplex (Spaltung der Gilden, Vertreibung eines Teils

des Adels, Exklusion der plebs und der contadini), führen aber zu

rivalisierenden „Familiensystemen“ der „Montagues“ und „Capulets“

(meist unter der Führung z.T. exilierter Adeliger), der „Guelfen“ und der

„Ghibellinen“.

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Mit der (Wieder-)Etablierung einer (nun ja) Regierung des Volkes nach der

kurzzeitigen Herrschaft Charles von Anjou (einem Prinzipat), startete in

Florenz ein politisches Experiment „that (…) was very significant

historically“.Brucker 1998: 15.

Die im Gefolge geschaffene politische (republikanische) Institutionen- und

Verfahrensordnung „(survived) in its major features until the final

destruction of the republic in the sixteenth century“.Brucker 1998: 119.

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Aufteilung des Stadtgebietes in sechs Bezirke (sesti)

Die Signoria (die Regierung)

6 (ab etwa 1344) 8 Prioren (Priori delli Arti) und der

Gonfaloniere di Giustizia (Bannerträger der Gerechtigkeit)

de facto mehrheitlich aus den Oberen Zünften

2-monatige Amtszeit, leben im Palazzo della Signoria (Pubblico)

Zwei Notare, ein Kanzler für die Korrespondenz, Wachen, Boten, Köche

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Palazzo della Signoria

(sehr viel später und nach

der definitiven Machtübernahme

der Medici Palazzo Vecchio)

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Weitere beratende Gremien, deren Mitglieder gewählt/gelost wurden:

12 Buonuomini (2 aus jedem Bezirk) – für 3 Monate

19 (ab 1343) 16 Gonfaloniere di militia – für 4 Monate

Beraten die Signoria politisch; ab 1366 war Zustimmung erforderlich, bevor

die Signoria Gesetzesvorschläge an den Großen Rat leiten durfte.

Bestimmen mit bei der Besetzung der untergeordneten Magistratsämter

(Verwaltung der Burgen, des contado, der Lebensmittel, der Truppen etc.)

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Das Wahl- und Losverfahren zur Besetzung der politischen Ämter

Phase I:

Vertreter der

- Parte Guelfa

- Der herrschenden Signoria

- Der quinque cancellieri/capitani di Mercanzia (der mächtigsten Gilden)

Konnten jeweils bis zu 28 Personen benennen, die ihrerseits aus dem Kreis

der amtsfähigen Gesamtbevölkerung (ca. 5000) Kandidaten für drei der

obersten Regierungsämter vorschlagen konnten.

Die 3 Listen gingen an die aktuelle Signoria.

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Phase II:

Ein Gremium aus den aktuellen Prioren, dem Gonfaloniere, den 19/16

gonfaloniere de milizia, zwei Konsuln jeder Gilde und (von der Signoria

bestimmten) 30 Vertretern der Parte Guelfa durchmusterten diese Listen

anhand variabler Kriterien.

Bei mindestens 2/3-Zustimmung zu jedem Namen, wurde dieser Namen auf

einer Rolle in einen Beutel getan (imborsazione).

Aus diesem Beutel wurden dann kurz vor Ablauf der Amtszeiten, die

Amtsnachfolger gezogen.

Die Beutel wurden in ‚regelmäßigem‘ Turnus neu gefüllt. Oftmals mussten

bereits Geloste Jahre warten, um wieder „in den Beutel“ kommen zu können.

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Die Idee hinter dem Wahlverfahren:

Die Funktionen so deutlich wie möglich zu trennen. Es gibt Gremien,die (nur bzw. primär) vorschlagen, und es gibt Gremien, die (nur undprimär) auswählen, und Gremien, die (nur) durch Los entscheiden.

Vorschlagen, Auswählen und Entscheiden sind institutionell getrennt.

Damit soll Dominanz einer Gruppe/Clique verhindert oder zumindesterschwert werden. Denn je größer eine relevante Gruppe ist, umsoschwieriger die Koordination und der Geheimniserhalt.

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Weitere Ämter

Konsultative Komitees (consulte/pratiche) auf Wunsch und unter Vorsitz des

Gonfaloniere di Giustizia, bestehend aus einer variablen Zahl verständiger

Bürger zur Lösung aktueller Probleme.

So genannte balìe, auf Zeit eingesetzte Kommissionen, für besondere

Maßnahmen, etwa in Kriegszeiten, bei Zwangsanleihen, Veränderungen der

Wahlstatuten etc.

Im Laufe der Zeit entstanden dauerhaftere weitere Institutionen:

Otto di Guardia (nach 1378), politische Polizei mit Spitzelsystem

Monte – für die Finanzen der Stadt zuständig

Dieci di Balìa (ab 1384) für Kriegsführung und Außenpolitik zuständig

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Die Kanzleien (das institutionelle Gedächtnis und die politische

Kontinuität)

Cancelliere dettatore und Notar der Gesetzgebung auf ein Jahr gewählt,

Wiederwahl möglich; de facto so etwas wie eine Dauerstelle.

Zuständig für die redaktionelle Überarbeitung (und Archivierung) der

Gesetze, die Wahllisten, den gesamten inneren und äußeren

Schriftverkehr und die Koordination der einzelnen Ämter.

Die politisch-administrative Schaltstelle, besetzt mit Gebildeten (eruditi) –

den Humanisten (nicht nur, aber sehr häufig).

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Die legislativen Organe

Rat des Volkes (consiglio di popolo) Rat der Kommune (consiglio di

commune)

300 Mitglieder auf 6 (später 4) Monate 200 Mitglieder auf 6 (später 4)

Monate (1/4 Adlige)

Wahl in etwa wie bei der Besetzung der Ämter (inklusive Wartezeit).

Ausschließliche Entscheidung über Gesetzesvorlagen mit 2/3-Mehrheit in

beiden Räten; d.h. kein Initiativrecht (wie ehemals das EU-Parlament).

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Die ausführenden Ämter (getrennt von Regierung und Legislative) hatten

judikative und administrative Aufgaben zu erfüllen

Podestá diverse Rechtsbereiche (Strafrecht, Zivilrecht, Steuerrecht etc.)

Capitano di popolo (eher politische Straftatsbestände)

Esecutore degli ordinamenti

Podstá wird extern rekrutiert und für 6 Monate bestellt sowie verpflichtet,

im „Bargello“ (einem großen Wehrturm) zu leben.

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Ein System der Gewaltenteilung und Gewaltenverschränkung gleichzeitig

Großes Augenmerk, keine Dauerhaftigkeit von Personen in Ämtern

entstehen zu lassen, damit keine Netzwerke, Klientelsysteme,

Abhängigkeiten, Einseitigkeiten und letztlich Korruption.

Es geht um größtmögliche Verhinderung von politischer Willkürmacht =

Republikanismus/Republik.

Getragen vom Misstrauen in politische Macht, die zugleich als

unumgänglich angesehen wurde.

Dennoch: im Grunde eine Oligarchie von etwa 700 Personen, die als gate-

keeper und Vorentscheider fungierten.