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Rede zur Eröffnung

der Bregenzer Festspiele 2006

DIE KELTEN SIND ÜBERALL

Arno Geiger

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ERÖFFNUNG DER BREGENZER FESTSPIELE

19. JULI 2006

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Die Kelten sind überall

Arno Geiger

Es ist schwer zu sagen, was hier und heute bedeutsamer ist, daß ichein neuerdings erfolgreicher Schriftsteller bin oder daß ich auf denBrettern dieses Hauses während siebzehn Saisonen Bühnenarbeiterwar, einer im Maschinenraum dieses Theaters, einer derer, die mannicht sieht und auch nicht sehen soll.Susan Sontag antwortete auf die Frage, was einen Schriftsteller aus-mache: Er solle die Sprache lieben, um das richtige Wort ringen. Undaufmerksam sein für die Welt.Aufmerksam sein für die Welt kann man besser, wenn man selbstnicht im Zentrum der Aufmerksamkeit steht. Vielleicht kann manüberhaupt nur das eine oder das andere, sehen oder gesehen werden– das Gesehenwerden ist eine sehr ernsthafte Angelegenheit, dieeinen ganz in Anspruch nimmt.In kurzen Hosen unter der schwarzen Kutte des Bühnenarbeiters, inder zum Berufsbild des Bühnenarbeiters gehörenden Unsichtbarkeitbesaß ich eine unvergleichlich größere Wahrnehmungsfreiheit, dabesaß ich die Möglichkeit, das Geschehen um mich herum in einemZustand weitgehender Unbefangenheit zu betrachten, in derGeborgenheit des Verborgenseins.Die Kelten sind überall, man sieht sie bloß nicht.Das war ein Ausspruch der Römer - er gilt auch beim Theater für dieTechniker und Technikerinnen im Unter- und Hinterbühnendunkel. Ergilt nicht zuletzt in diesem Moment. Denn daß man etwas nicht sieht,heißt keineswegs, daß es nicht da ist.

Wenn ich vom Verborgensein spreche, dann tue ich das, ohne zu ver-gessen, daß nur derjenige die Öffentlichkeit erreicht, der bereit ist,seine Person dem Wagnis der Öffentlichkeit auszusetzen: sich zuoffenbaren. So steht heute doch mehr der Schriftsteller vor Ihnen alsder langjährige Bühnentechniker. Trennen kann man eins vom ande-ren ohnehin nur schwer, ich bin auf der Seebühne – wenn Sie so wol-len - aufgewachsen, ich bekam es hier erstmals hautnah mit der Weltder Kunst zu tun. Ich erinnere mich, als ich mit achtzehn Jahren hier

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anfing, es wurde die Zauberflöte gespielt, sagte ein Vorgesetzer zueinem ebenfalls sehr jungen Kollegen und zu mir (er meinte es augen-zwinkernd): Macht eure Arbeit, laßt euch nicht ablenken von denScheinwerfern und dem Jubel und vergeßt eins nicht, noch vor hun-dert Jahren hätte kein anständiger Mensch einen Künstler, geschwei-ge denn eine Schauspielerin über seine Schwelle gelassen.Ich nehme nicht an, daß ich deshalb Künstler geworden bin - dererwähnte junge Kollege wurde Apotheker. Aber alles, was geschah,war wichtig, und alles geschah, um uns zum Nachdenken zu bringen.Nachdenken heißt kritisch denken, heißt Überzeugungen unterminie-ren, heißt versuchen, Dinge aus dem Schatten zu ziehen, sie bloßzu-stellen im guten Sinn des Wortes, ihnen ihre Masken abzustreifen,Schicht für Schicht. Das Herunterreißen der Masken ist Aufgabe derKunst. Kunst macht sichtbar, sagt Paul Klee.

Ein Mensch, der weiß, daß er gesehen wird, ist auf entscheidendeWeise – es hat mit Unschuld zu tun – befangen, er legt seine Maskenan, er trägt dick auf, er versucht, auf eine bestimmte Art gesehen zuwerden. Man macht sich passend. Ein Mensch, der gesehen werdenwill und weiß, daß er gesehen wird, inszeniert sich. Meist hat er keinoffenes Gesicht und selten einen offenen Blick, es sei denn in derWelt des Vertrauens, in der wir sein wollen, in der wir aber nicht sind,weil ein gewisses Mißtrauen gegen die lauernden Kelten des Alltagszu den menschlichen Grundgefühlen gehört. Trotzdem lassen wir unsanschauen, erwidern wir den Blick, geben wir uns immer auch einwenig preis. Wir verführen und sind verführbar.

Unsere Aufmerksamkeit ist ein begehrtes und umworbenes Gut. Wirsind Zielgruppe. Unsere Aufmerksamkeit ist dem Wettbewerb ausge-setzt, dem ständigen Versuch, sie auf etwas zu lenken. UnsereAufmerksamkeit IST gelenkt. Wer schaut, übergibt seine Lebenszeitins Teileigentum dessen, der angeschaut wird, wer schaut, konsu-miert, wer konsumiert, steigert den Marktwert eines Produkts odereiner Person. Das Produkt wird Kult, die Person prominent, selbstwenn sie keinerlei Verdienst vorzuweisen hat, nur das Kapital der vie-len Augen, die auf sie gerichtet sind. All diese hungrigen Sternchen

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im Rampenlicht, die sich bei genauerem Hinsehen als Entenfuß-abdrücke im schlammigen Untergrund der Massenmedien erweisen,all diese geltungssüchtigen Charaktere, die unsere Kinder küssenund deren Hauptanliegen darin besteht, im Bilde zu sein, dies imschlechten Sinn des Wortes - es geht ihnen nicht ums Verstehen,sondern ums Ansehen und Aufsehen, ums Angesehen Werden, damitsie Meinung oder Geld machen können oder beides zugleich. DasWohl des Gemeinwesens haben sie nicht oder nur beiläufig im Auge,umso mehr sich selbst. Man schaut hin, man denkt sich nicht viel,vielleicht, daß nicht jede Einfalt heilig ist und nicht jede Komödiegöttlich. Doch das ist unzureichend. In einer sich den Gesetzen desfreien Marktes ausliefernden Gesellschaft heißt sehen kaufen undgesehen werden verkaufen.

Schauen ist Schauen ist gedankenloses Wahrnehmen. Sehen ineinem tieferen Sinn heißt, hingeschaut und das Geschaute gedeutetzu haben. Jemanden ansehen, ihn als Person ansehen und über ihnnachdenken, bedeutet, daß man sich ihm annähert, sich in ihn hin-einversetzt und sich somit für einen Moment der Möglichkeit aus-setzt, so zu sein wie er. Ich, das ist ein anderer, sagt Rimbaud. Ich binnicht du, sagt der Hausverstand. Es sind tatsächlich zwei unter-schiedliche Dinge, ob ich über den eigenen Schmerz rede oder übereinen fremden. Doch ein Austausch zwischen Menschen kann nurdann sinnvoll sein, wenn man den eigenen Blickwinkel mit dem desGegenübers für einen Augenblick vertauscht und den fremden Blick-winkel mit dem eigenen in Beziehung setzt. Nur wer in der Lage ist,sich selbst mit den Augen des Anderen und den Anderen mit desseneigenen Augen zu sehen, kann sich unvoreingenommen auf dieWirklichkeit einlassen und sie in ihrer Vielschichtigkeit deuten.Vorurteile machen die Augen fett.Eine Flut konfektionierter Bilder macht die Augen fett.Partout gesehen werden wollen macht die Augen fett.Genau hinsehen kann einem helfen, leichter zu werden.

Jeder ist be-achtlich, in seiner Unergründlichkeit und Nicht-Wieder-holbarkeit, jeder – und sei es nur in Kleinigkeiten – eine Ausnahmevon der Regel, singulär in Aussehen, Denken und Empfinden. Dies sei

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betont angesichts einer Zeit, in der der Einzelne verstärkt zu einemRädchen im ökonomischen Regelkreis degradiert werden soll und inder die Herrschaft der maximalen Rendite den Blick auf dasIndividuelle und auf die unverzichtbare Solidarität der Einzelnenuntereinander zu verstellen droht. Die neoliberalen Wirtschafts- undFinanzgeneräle pochen zwar auf das Recht der Freiheit zu Handeln,verkaufen aber gleichzeitig das Leben der Menschen. Das Victory-Zeichen der Spitzenmanager ist identisch mit dem Zeichen für einegeöffnete Schere, der Schere zwischen Reich und Arm. Diese Scheredroht das Tuch unserer Gesellschaft zu zerschneiden. Nichts geringe-res als die Zukunft des Gemeinwesens ist in das Tuch gewickelt.Es ist - allen voran - die Kunst, die die unantastbare Würde desMenschen verteidigen sollte jenseits der Frage nach der ökonomi-schen Rentabilität dieser Würde. Es ist – allen voran - die Kunst, diemit einer widerständigen, beharrlichen Aufmerksamkeit versuchensollte, den Weg an einen souveränen Ort vorauszudenken, an demder Mensch mündig ist und wo er nicht allein gelassen ist mit seinemLeid. Es ist die Kunst, die den Menschen zur Sprache bringen, die dasIndividuum beim Wort nehmen muß, zum Beispiel eines der fünfzehn-tausend, die in den letzten zehn Jahren zwischen Afrika und Europaertrunken sind, in der Hoffnung auf ein menschenwürdigeres Leben.Zur Masse gehört immer einer mehr als man denkt. Dieser eine soll-te jeder sein.

Verehrte Damen und Herren - - jetzt habe ich noch eineLiebeserklärung zu machen: An die Seebühne, auf der ich siebzehnSommer meines Lebens verbracht habe, mit ihrem speziellenWitterungscharakter, wo auf nichts Verlaß ist außer darauf, daß esum halb neun am Abend aufhört zu regnen, an diesen Ort, über demdie Berge stehen in dünnem Blau wie Engel über den menschlichenNöten, mit dessen sämtlichen Wassern ich gewaschen bin, freiwilligund unfreiwillig, wo die Vögel nicht aufhören zu singen, weder am Tagnoch bei Nacht. Die Erbsünde, wenn es sie je gegeben hat, tangiertdort niemanden. Sogar diejenigen, die wochenlang nicht nüchternwerden, behalten dort ihren klaren unergründlichen Blick. Dort findetjeder einen Beweis für seine Besonderheit, auch im Dunkeln. Dortweiß man, daß die eine Choristin Liebeskummer hat und die andere

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unter Heimweh leidet, nach Moskau oder nach Petuschki. Und auchder Chorleiter hat Liebeskummer. Der Dirigent hingegen scheintglücklich.Der Bühnenarbeiter sitzt im Dunkeln wie das verlorene Mädchen imWald und hat Vertrauen. Das Summen und Sirren der Scheinwerferklingt normal, und auch mit dem Ton scheint alles in Ordnung. DieMusik tröstet den Arbeiter, während sich auf der Bühne und im LebenTragödien ereignen. Auch das Buch tröstet ihn, das er zuweilen aufden Knien hat, einige Zeilen beleuchtet vom Kegel der winzigenTaschenlampe, grad so, als schaute da einer dem lieben Gott durcheinen Vorhangspalt zum Fenster rein. Kafka schreibt: "Es ist Unrechtüber den Helden zu lächeln, der mit der Todeswunde auf der Bühneliegt und eine Arie singt. Wir liegen und singen jahrelang."Das ist während der Vorstellung, im Stand der Unsichtbarkeit. DerBühnenarbeiter weiß, er muß einsehen, daß er nicht eingesehen wer-den darf. Er weiß, die Kelten sind überall -. Doch nach der Vorstellungtritt auch er hervor, er enthüllt sich ein wenig, er ist zerzaust, manch-mal schmutzig, manchmal verschwitzt und stinkend (als Zeichen sei-ner Unabhängigkeit). Er hängt seine Kutte an den Haken und ermög-licht jetzt jedem, der sehen kann und sehen will, Einsicht: Einsichtdarauf, daß auch dieser Mensch nicht davon ausgeschlossen ist, einEinzelner zu sein mit seiner eigenen Geschichte und seinen eigenenGedanken.Kann sein, daß gerade niemand hinsieht.

Liebe Freunde im Dunkeln, ich kann euch in diesem Moment nichtsehen, aber Ihr seht mich. Ihr werdet mir erzählen, was Ihr gesehenhabt. Herzlichen Dank für die schönen Jahre. Und Ihnen, verehrteDamen und Herren, herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit, diesesso wertvolle Gut, das vor Verschleuderung bewahrt werden soll. Ich wünsche Ihnen und Euch allen eine wunderbare Saison.