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BAYERN 6 25.10.15 25. OKTOBER 2015 WSMU-RVP1BELICHTERFREIGABE: -- ZEIT:::BELICHTER: FARBE:
WELT AM SONNTAG NR. 43 25 . OKTOBER 2015BAYERN 6
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Am strahlend blauen Himmel leuchtetdie Sonne, die Alpen wirken zum Grei-fen nah. Ein Traumtag – wenn nurnicht dieser fiese Kopfschmerz, dieÜbelkeit und das gleißende Licht wä-ren. „Der Föhn halt“, sagt man dann inMünchen.
Ob das Wetter wirklich schuld ist anMigräneattacken, das untersuchenWissenschaftler der Hochschule Hof.Die bisher vorliegenden Daten stamm-ten meist nur von einzelnen Kopf-schmerzkliniken oder Ambulanzen undwaren daher nur regional aussagekräf-tig. Das „Migräneradar“ der Hochschu-le Hof deckt dagegen nun erstmals dengesamten deutschsprachigen Raum abund hat jetzt schon 800 Teilnehmer.Unter der Leitung von Jörg Scheidt,Professor und Leiter des Instituts fürInformationssysteme an der Fachhoch-schule Hof, werden dazu in Deutsch-land, Österreich und der Schweiz überdas Internet Daten von Migränepatien-ten gesammelt und zusammen mit derUniklinik Rostock sowie der Migräne-
und Kopfschmerzklinik Königsteinausgewertet.
Seit Juni ist das „Migräneradar 2.0“im Netz, eine App für Android ist eben-falls kostenlos verfügbar. Jetzt loggensich die Patienten persönlich ein, jedeAngabe kann also einem bestimmtenTeilnehmer zugeordnet werden. Davonhaben die Migränepatienten auch ganzpraktische Vorteile: Wer in ärztlicher
Behandlung ist, wird oft aufgefordert,ein Migränetagebuch zu führen. „DieTeilnahme an unserem Projekt bein-haltet jetzt ein solches Tagebuch undist eine individuelle Kopfschmerzaus-wertung“, sagt Scheidt.
Wenn solche Zusammenhänge tau-sendfach als Datenmaterial vorhandensind, dann ist die wissenschaftliche Ba-sis für Abhilfe geschaffen. Es ist die
Menge, die den Erfolg des Migränera-dars ausmacht. Das Ziel ist laut Scheidt„die größte Sammlung von Anfallsda-ten weltweit“. Und er ist zuversicht-lich: „Wenn 1000 Teilnehmer kontinu-ierlich ein, zwei Jahre mitmachen,dann können wir verlässliche Aussagentätigen.“ Zum Beispiel, ob wirklich derFöhn schuld ist an der Migräne beimMünchner.
Der Begriff Migräne stammt aus demAltgriechischen und bedeutet so vielwie „halber Schädel“. Sie ist eine neu-rologische Erkrankung, unter der rundzehn Prozent der Bevölkerung leiden.Sie tritt bei Frauen etwa dreimal sohäufig auf wie bei Männern. Bei Er-wachsenen äußert sie sich typischer-weise durch einen periodisch wieder-kehrenden, anfallartigen, pulsierendenund halbseitigen Kopfschmerz. WeitereSymptome sind Übelkeit und Erbre-chen sowie Licht- oder Geräuschemp-findlichkeit. Bei manchen Patientengeht einem Migräneanfall eine soge-nannte Migräneaura voraus, währendder optische oder sensible Wahrneh-mungsstörungen auftreten können. Essind aber auch motorische Störungenmöglich.
Erste Behandlungsversuche sind be-reits aus der Jungsteinzeit bekannt.Heilbar ist Migräne bis heute nicht, esgibt jedoch verschiedene Behandlungs-methoden mit Medikamenten, aberauch nichtmedikamentöse Ansätze wieAromatherapien oder schlichtweg Ru-he und Abschirmung vor Reizen wieLicht oder Geräuschen.
Das Hofer Projekt hat seine Wurzelnin der Teilnahme in einem Wettbewerbdes Bundesbildungsministeriums: EineStudentengruppe – drei der fünf Infor-matiker sind selbst von Migräne be-troffen – wollte herausfinden, welchenEinfluss das Wetter auf Migräne-Atta-cken hat und sammelte dazu via Twit-ter und Internet Migräne-Meldungen,die sie zu Wetterdaten in Relation setz-te. „Dass es einen Zusammenhang zwi-schen Migräne und Wetter gibt, sagtman immer, aber das war bisher nochnicht nachgewiesen“, erklärt JörgScheidt. Ausgangspunkt war zunächstweniger die medizinische Seite als viel-mehr das Thema „Data Mining“, beidem es um die Sammlung und Verar-beitung großer Datenmengen geht.„Mit dem Internet kann man sehr viel
größere Gruppen erreichen, darumgeht es“, erläutert Scheidt.
Mittlerweile hat das Projekt eineneue Dimension erreicht: Seit diesemJahr sind zwei spezialisierte Klinikenmit im Boot und beteiligen sich an dermedizinischen Gestaltung und Auswer-tung der Erhebung. Charly Gaul, Chef-arzt der Migräne- und Kopfschmerzkli-nik Königstein sowie der Diplompsy-chologe Peter Kropp, Direktor des In-stituts für Medizinische Psychologieder Universität Rostock, haben den an-fangs unpersonalisierten Fragebogenangepasst, sodass nun mehr Detailsüber den Patienten und seinen Kopf-schmerz erhoben werden. Scheidt er-läutert: „Anfangs haben wir nur die Mi-gräneanfälle gesammelt, wir wusstenaber nicht, ob die von mehreren odernur einer Person eingegeben wordenwaren.“ Eine weitere Unsicherheit: ObMigräne oder nur Spannungskopf-schmerz vorlagen, gaben die Patientennach eigener Einschätzung an.
Das Migräneradar macht auch dieAnalyse konkreter. Denn jetzt wirdauch klar unterschieden zwischenSpannungskopfschmerz und echter Mi-gräne: „Wenn Übelkeit, Licht- und Ge-räuschempfindlichkeit sowie eine Zu-nahme des Kopfschmerzes bei An-strengung hinzukommen, dann sprichtman von Migräne“, sagt der Kopf-schmerz-Fachmann Charly Gaul. Ent-sprechend ist der Fragebogen aufge-baut. Außerdem werden zum BeispielUmstände, Häufigkeit, Intensität derAttacken abgefragt.
Die Datensammler in Hof erkennenan den Daten die Migräne-Auslöser: Siekönnen etwa sehen, wie viele Patientennach einem Wetterumschwung, beiStress oder nachlassendem Stress Mi-gräne bekommen. Und auch die Hin-tergrundinfos werden eingespeist: Obes jüngere oder ältere Menschen sind,ob es eher Frauen oder Männer sind.Ob in der Familie bereits Migräne vor-kam, ob die geografische und die Wet-terlage eine Rolle spielen.
„Wenn wir erkennen, wo Zusam-menhänge existieren und wo ebennicht, können wir auch Methoden zurVermeidung von Migräneattacken ent-wickeln oder optimieren“, sagt PeterKropp, der auch Vizepräsident derDeutschen Migräne- und Kopf-schmerzgesellschaft ist. Der Psycho-loge weist auch auf einen möglichenmentalen Aspekt bei Migränepatientenhin: „Wenn jemand zweimal hinterei-nander am Wochenende oder bei einerKlassenarbeit Migräne bekam, dannstellt sich sein Kopf darauf ein und hatam dritten Wochenende oder bei derdritten Klassenarbeit vielleicht wiederMigräne. Diese Konditionierung gilt eszu durchbrechen.“
Auch dabei helfen die gesammeltenDaten: Das Protokoll im Migräneradarkann auch andere Zusammenhänge alsnur „Stressabfall am Wochenende“oder „Prüfungsangst“ aufdecken. Näm-lich zum Beispiel, dass „der normaleSchlaf-Wach-Rhythmus durcheinan-dergeraten ist und deshalb am Wo-chenende vielleicht eher die Migränekommt“, ergänzt Kropps Kollege Gaul.
Infos im Internet unterwww.migraene-radar.de
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