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Thomas Henning Sperrmüll, 1983

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Thomas Henning Sperrmüll, 1983

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Die kurzenNächte der Anarchie

von Diedrich Diederichsen

Manchma l , vor a l l em nach E inbruch der Dämmerung, sah es

aus w ie e ine Szene aus e inem Romero -F i lm: »Zomb ie« oder

»D ie Nacht der lebenden Toten« , V is ionen e iner unerwarteten

nächt l i chen Revo l te durch d ie Vergessenen, Verbannten .

»Wenn in der Hö l le ke in P la tz mehr i s t , kommen d ie Toten auf

d ie Erde zurück« , h ieß der Werbes logan e ines d ieser F i lme.

»Sperrmü l l « war, w ie »Vo l lmond« , e in so lcher Term in , an dem

d ie Ordnung der bürger l i chen, d iesse i t i gen We l t außer Kraft

gesetzt wurde. Für d ie Hamburger Verwa l tung muß es je -

denfa l l s bedroh l i ch ausgesehen haben; denn d ie für d ie Ab-

schaffung vorgegebenen Kosten - und Rat iona l i tä tsgründe

überzeugen n icht e inma l d ie Leserbr iefschre iber von Spr in -

gers »Abendb lat t « . Sper rmü l l bedeutet vor a l l em d ie Aufhe -

bung des E igentumsbegr i f fs. Was auf der St raße lag, gehör te

a l l en , »Me in und De in« war außer Kraft .

A l l es darf angefaßt , begrabbe l t , auch ause inandergenom-

men, zer legt und kaputtgemacht werden. Ke in Bes i tzer i s t

da , der se in E igentum schützt oder se ine Ware gegen Ge ld

Im Sommer 1983 künd igte d ie Stadt re in igung Hamburg d ie E inste l l ung des t rad i t i one l l en St raßensperrmü l l s an .

Der Text von D iedr ich D ieder ichsen ersch ien in Heft 10 /83 der Ze i tschr i f t konkret m i t B i ldern von Thomas Henn ing.

Endgü l t ig e ingeste l l t wurde d ie St raßensammlung des Sperrmü l l s sch l i eß l i ch zu Beg inn des Jahres 1990.

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tauschen w i l l . D ie D inge, d ie da in unförm igen p lan losen Hau-

fen l i egen, s tecken, zw ischen anderen D ingen k lemmen, s ind

p lö tz l i ch aus der Warenwe l t herausgefa l l en , kennen ke inen

E igentümer, Herste l l e r oder Käufer mehr, s ind w ie n ichts,

ohne Referenz . Und doch s ind s ie ganz mass iv mater ie l l vor-

handen. S ie s ind w ie d ie Menschen, d ie s ie bef ingern und

aufheben, e ine Randgruppe, e ine Randgruppe der D ingwe l t .

Waren -Zomb ies. Und was s ind D inge, d ie ke inen Tauschwert

mehr haben, was wo l len s ie, was bedeuten s ie?

Dre i Voraussetzungen waren vonnöten , um dem Schrot t e i -

ner Überf lußgese l l schaft d ie ku l tu re l l e und ökonomische Be-

deutung zu ver le ihen , d ie er heute hat . Zuwanderung armer

Aus länder, zunehmende Verarmung auch in e iner Erste -We l t -

Mode l lkap i ta l i smus -Gese l l schaft , vor a l l em aber d ie Entste -

hung und Verbre i tung e iner e rs t jugend l ichen, i nzw ischen a l t

gewordenen Subku l tur, d ie d ie Konsumgese l l schaft l aut ab -

lehnte. H ipp ies und studentenbewegte Studenten waren d ie

ersten und entsche idenden Kunden der großen Waren lager

auf den Straßen. Wer er inner t s ich noch an d ie Paro le »Dem

Estab l i shment d ie K inder wegnehmen!«? Wenn es Innene in -

r ichtungen für e rs te e igene Wohnungen und WeeGee-Z immer

n icht mehr kosten los von der St raße zu ho len g ibt , w i rd das

Ver lassen des E l te rnhauses w ieder schwier iger; d ie chr i s t -

demokrat i sche K le infami l i e, d ie in den S iebz igern wahrhaft ig

schwere Sch läge e instecken mußte, auch s ie prof i t i e r t von

der Abschaffung des Sperrmü l l -Systems.

Vor a l l em aber waren d ie a l ten , weggeworfenen Möbe l und

Hausha l tsgegenstände e ine ideo log ische Ange legenhe i t , und

zwar e ine verdammt w icht ige ! D ie N ichtware Sperrmü l l paßte

nur zu gut zur warenfe ind l i chen, asket i schen Grundha l tung

der ersten We l le jugend l ichen Andersse inwo l lens. Es war

ega l , ob d ieser T isch vor se inem Warentod e in kafkaesker

Bürokratenschre ibt i sch oder ob er e in sch l i chtes Küchen-

möbe l war; der Konsumfe ind reduz ie r te ihn auf se ine Funkt i -

on . Untersch iede zw ischen funkt ionsg le ichen Gegenständen

ga l ten a ls F in ten des Konsumter rors. Möbe l wurden a ls be -

deutende Ze ichen innerha lb e ines ästhet i schen Systems ge -

nauso ignor ie r t w ie K le idung; d ie g le ichar t igen langen Haare,

Parkas und Jeans kor respond ier ten m i t der a l l e Setzungen

und Entsche idungen n ive l l i e renden St i lw i l l kür i n den Wee-

Gees. Ich er innere m ich , daß es e ine Ze i t l ang großen Spaß

gemacht hat , a l l d ie Bezugssysteme, d ie d ie E l te rngenera -

t ion für e inen Gegenstand aufbrachte, vom Warenpre is b is

zum Statuswert , e infach m i t e iner e inz igen großar t igen Ver-

n ichtungsgeste außer Kraft zu setzen. G le ichmachere i i n der

D ingwe l t – das war e ine kräf t ige Revo l te im Pr ivat leben, e in

befre iender Rundumsch lag, der Luft zum Atmen schaff te.

Natür l i ch war d ieser Zustand n icht l ange zu ha l ten , i rgend-

wann entdeckte ich be im Ausz iehen aus der ersten Wohnung,

daß me in Schre ibt i sch , dem ich b is dah in genausowen ig Be-

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achtung geschenkt hat te w ie den w i l l kür l i ch um ihn herum-

grupp ier ten Gebrauchsgegenständen, e in k raf tvo l l es A l tham-

burger Kontormöbe l war, das nur zu gut in den gerade m i t

g roßem Spaß ge lesenen Te i l des »Zauberbergs« paßte und

daher unbed ingt erha l tenswert war. Während der Rest des

Gerümpe ls, ges ichts loses BRD-Zeug, gerne w ieder auf e inem

Sperrmü l l l anden durf te, von dem ich es e in paar Monate zu -

vor entnommen hat te. D ie Subku l tur konnte s ich das Sch le i -

fen lassen der Bedeutungssysteme auch n icht l änger le i s ten .

Aus der Befre iung der D inge wurde d ie eke lhaf te, neosp ie -

ß ige Vor l i ebe für das SCHÖNE ALTE, e ine b löde Var iante des

Ant iqu i tä tensammelns. Im Gegensatz zur Le idenschaft der

Ant iqu i tä tenbesessenhe i t i n teress ie r te be i d ieser Obsess i -

on n icht d ie spez i f i sche Gesch ichte e ines Gegenstands, d ie

Zugehör igke i t zu den Epochen, Bewußtse insmode l len oder

a l ten F i lmen, sondern e inz ig und a l l e in der Umstand, daß er,

der Gegenstand, schön a l t war. War es in der ers ten Phase

der w i lden Ignoranz den D ingen gegenüber vö l l i g ega l , ob

etwas a l t , neu , aus Meta l l , P last ik oder E iche gemacht war,

Hauptsache, es erfü l l te se ine Funkt ion , so entstanden je tz t

se l tsame Präferenzen für a l l e mög l ichen Ind iz ien im Mate -

r ia l , d ie ke inen Zwe i fe l am erhabenen A l ter des erwäh l ten

E in r ichtungsgegenstands aufkommen lassen konnten . D ie -

se lbe Sor te Mensch f indet me is tens auch heute noch, daß

der K lang e iner akust i schen G i tar re ( » i rgendwie mensch l i ch« )

den v ie l fä l t i gen Tönen e ines Synthes izers ( » i rgendwie un -

mensch l i ch« ) vorzuz iehen se i . D iese Obsess ion für das A l te

mochte s ich h in ter vernünft igen Argumenten verstecken

(Recyc l ing etc. ) , wenn man entsprechende, schön -a l tmö-

b l i e r te Wohnungen bet rat , machte e inen das In ter ieur Grau -

sen , e rschrak man vor der schreck l i chen Wahrhe i t : Der Muff

von Jahrhunderten hat te auch d ie Herzen d ieser a l t gewor-

denen Konsum-Boykotteure von innen staub ig gemacht . W ie

in e inem Sumpf sackten d ie Bewohner geme insam mi t i h ren

abgestorbenen Gegenständen immer t iefer i n e ine moder ige

Vergangenhe i t : Kerzen f lacker ten auf Lambrusco -F laschen,

Leonard Cohen oder be i s imp leren Gemütern Cat Stevens

z i rpte we l tschmerz iges Zeug aus der »An lage« , i n der Re-

ge l der e inz ige neuwert ige Gegenstand e iner so lchen Woh-

nung, und man machte den Bewohnern gern den Vorsch lag,

das ganze Zeug doch ma l we iß zu lack ie ren , dami t e twas

mehr Fr i sche in i h re Ex is tenz ge länge. Doch s ie lehnten me i -

s tens müde ab: Fr i sche war sch l i eß l i ch e in suspekter Begr i f f

aus e iner zut iefst ver logenen Werbewe l t . Daß s ie in i h ren

Asbach-Ura l t -Wohnungen anderen Stereotypen aus der g le i -

chen We l t aufgesessen waren, wo l l ten s ie n icht verstehen.

Ke in Wunder, daß im Zuge der Estab l i shment -Werdung d ie -

ser e inst igen Subku l tur ba ld auch kommerz ie l l e Sperrmü l lbe -

t r iebe entstanden. F lohmarkt -Stände und B i l l i g -Ant iqu i tä ten -

läden boten den inzw ischen a ls Ware w iederbe lebten , m i t

neuem Tauschwert versehenen Gegenstand Sperrmü l lmöbe l

für Ge ld an . D ie Aura des Befre i ten , Kosten losen, d ie den

ursprüng l i chen Re iz des Sperrmü l lob jekts ausmachte, wurde

nun für teures Ge ld gekauft , a l s e ine dem schrabbe l igen A l t -

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möbe l anhaftende E igenschaft , d ie auch dann noch Bestand

zu haben sch ien , wenn das D ing gar n icht mehr kosten los

war. Derwe i l machte e in nach e igener E inschätzung »unmög-

l i ches« schwed isches Möbe lhaus e inen Re ibach m i t mög l ichst

e igenschafts losen, mög l ichst natür l i chen, mög l ichst funkt io -

ne l l en Möbe ln .

Doch während M i t tzwanz iger b is M i t tdre iß iger zw ischen nor-

d isch -aufgek lä r ten IKEA-Möbe ln oder schön -a l tem Schrot t

i h r Dase in f r i s teten , wuchs e ine neue Generat ion von Sperr-

mü l lbenutzern nach. Für d ie, nennen w i r s ie e inma l vergrö -

bernd Punk-Generat ion , g i l t i n e inem Punkt das Gegente i l

von dem, was den Sperrmü l l -Umgang der ersten Sperrmü l l -

epoche ausmachte. Gerade d ie Bedeutung e ines Ob jekts,

se in ursprüng l i ches Bezugssystem, i s t für d iese Generat ion

ext rem w icht ig. D iese Form-bewußten Jahrgänge 60 ff. be -

tonen in K le idung, Mus ik , Sprache d ie Bedeutung des k le i -

nen Deta i l s, j ede Haarst rähne i s t e in bedeutendes Ze ichen.

Vor d iesem H intergrund hat s ich auch der Umgang m i t ko -

s ten losen Möbe ln von der St raße geändert . Anarch ie und

Aufhebung des Pr ivate igentums s ind n icht mehr d ie ganz

großen Sensat ionen für d iese A l tersgruppe. Für s ie s teht

auch n icht das A l te, sondern das Besondere, D i f ferent ie l l e

des jewe i l i gen Fundstücks im Vordergrund. D ie Kombinat i -

on von Gebrauchtem, anderen Systemen entnommenen Ver-

satzstücken i s t e in Essent ia l der neuen Subku l tur-Ästhet ik .

Denn d iese Ästhet ik hä l t d ie vorgefundene Ku l tur ohneh in

für e ine e inz ige r ies ige Sperrmü l lha lde. N iemandem gehör t

h ie r n ichts, ke iner i s t der E igentümer /Autor, der i rgendwe l -

che Ideen bes i tz t und festha l ten darf. D ie e i l i g wechse lnden

Moden und Gegenmoden d ieser Generat ion beruhen auf a l l en

Arten von Kombinat ionen und Montagen vorgefundener Ze i -

chen. Für d ie Sperrmü l l s t raße he iß t das : D ie junge Subku l tur

sucht und untersucht noch genauer und bewußter. Ih re ande-

re We l t s ieht noch ausgeprägter anders aus, und für d ie Be-

hörden w i rd d ie Anwesenhe i t des Bedroh l i chen, Aggress iven ,

Unverständ l ichen auf den Straßen noch unumgäng l icher. Ih re

Abschaffung w i rd noch nöt iger.

Natür l i ch kann man kaum annehmen, daß s ich d ieser Schr i t t

für d ie Verantwort l i chen bewußt a ls ku l tu rpo l i t i sche Repres -

s ionsmaßnahme darste l l t . Natür l i ch ver t rauen s ie den For-

me ln ih rer Rat io, berufen s ie s ich auf Beschwerden von der

Bevö lkerung, d ie s ich von Dreck be läst ig t füh l t , und von

Stadt re in igungsangeste l l ten , d ie argument ie ren , d ie Suchen -

den würden d ie Mü l lhaufen zu sehr ause inandert ragen und

so den Abtransport e rschweren (dabe i i gnor ie rend, daß d ie

Sperrmü l lkunden im Schn i t t gut d ie Hä l f te der Mü l lmenge

m i tnehmen) . Dennoch i s t ebenso k la r, daß h ie r e in ant i - sub -

vers ives Wo l len se inen k le inen S ieg davonget ragen hat , über

we lchen D ienstweg auch immer.

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Hamburgsgroße Abfuhr

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1. Auf lage 2014

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