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Silke Helfrich und Heinrich-Böll-Stiftung (Hg.) FüR EINE NEUE POLITIK JENSEITS VON MARKT UND STAAT

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Silke Helfrich und Heinrich-Bll-Stiftung (Hg.)

Fr eine neue Politik jenseits von Markt und staat

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Silke Helfrich und Heinrich-Bll-Stiftung (Hg.) Commons

Silke Helfrich im Interview (Youtube-Link)

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet ber http://dnb.d-nb.de abrufbar. 1. Auflage: transcript Verlag, Bielefeld 2012 Dieses Werk erscheint unter der Creative-Commons-Lizenz BY SA 3.0. unported: http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/

Sie drfen: das Werk bzw. den Inhalt vervielfltigen, verbreiten und ffentlich zugnglich machen Abwandlungen und Bearbeitungen des Werkes bzw. Inhaltes anfertigen das Werk kommerziell nutzen Weitere Informationen und Download des Bandes: www.transcript-verlag.de/commons Umschlaggestaltung: Kordula Rckenhaus, Bielefeld Korrektorat: Kirsten Hellmich, Bielefeld Satz: Justine Haida, Bielefeld Druck: Aalexx Buchproduktion GmbH, Groburgwedel ISBN 978-3-8376-2036-8 Gedruckt auf alterungsbestndigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschren an unter: [email protected]

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Silke Helfrich und Heinrich-Bll-Stiftung (Hg.)

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Barbara Unmig | 13

Vorwort

Silke Helfrich/David Bollier | 15

Commons als transformative Kraft. Zur Einfhrung

Silke Helfrich | 24

Danke

Kapitel I Commons. Ein Paradigmenwechsel

Jacques Paysan | 28 Mein steiniger Weg zu den Commons. Ein Rckblick Andreas Weber | 32 Wirtschaft der Verschwendung. Die Biologie der Allmende Friederike Habermann | 39 Wir werden nicht als Egoisten geboren Rob Hopkins | 45 Resilienz denken Martin Beckenkamp | 51 Der Umgang mit sozialen Dilemmata. Institutionen und Vertrauen in den Commons Stefan Meretz | 58

Ubuntu-Philosophie. Die strukturelle Gemeinschaftlichkeit der Commons

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Silke Helfrich | 66

Das Betriebssystem der Commons. Version 0.5

Ugo Mattei | 70 Eine kurze Phnomenologie der Commons Brigitte Kratzwald | 79 Commons und das entliche. Wem gehren entliche Dienstleistungen? Silke Helfrich | 85 Gemeingter sind nicht, sie werden gemacht Michael Heller | 92 Die Tragik der Anti-Allmende James B. Quilligan | 99 Warum wir Commons von entlichen Gtern unterscheiden mssen Veronika Bennholdt-Thomsen | 107 Subsistenz Perspektive fr eine Gesellschaft, die auf Gemeingtern grndet Josh Tenenberg | 112 Technik und Commons Franz Nahrada | 122 Das Commoning von Mustern und die Muster des Commoning. Eine Skizze Ein Gesprch zwischen Roberto Verzola, Brian Davey, Wolfgang Hschele und Silke Helfrich | 131 Commons: Quelle der Flle?

Kapitel II Kapitalismus, Einhegungen, Widerstand

Peter Linebaugh | 145 Commons: Von Grund auf eingehegt Hartmut Zckert | 158 Allmende: Von Grund auf eingehegt Liz Alden Wily | 166 Globaler Landraub. Die neue Einhegung

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P.V. Satheesh | 177 Transgene Versprechen. ber die Folgen der Gentechnologie in der Landwirtschaft Antonio Tricarico/Heike Lschmann | 184 Finanzialisierung ein Hebel zur Einhegung der Commons Cesar Padilla | 196 Bergbauprojekte bedrohen Gemeingter. Das Beispiel Sdamerika Maude Barlow | 201 Wasser ist Gemeingut. Vorschlge zu seiner Rettung Vinod Raina | 206 Was ist rckstndig: Subsistenzwirtschaft oder moderne Entwicklung? Der Widerstand gegen Staudmme Gerhard Dilger | 215 Belo Monte oder die Zerstrung der Commons Herv Le Crosnier | 218 Die Geschichte stottert oder wiederholt sich. Neue Commons, neue Einhegungen Jonathan Rowe | 224 Wer den Namen bestimmt, deniert die Verhltnisse Massimo de Angelis | 227 Krise, Kapital und Vereinnahmung braucht das Kapital die Commons? Gustavo Esteva | 236 Honung von unten. Das besondere Prinzip des Zusammenlebens in Oaxaca Lili Fuhr | 244 Neue Deutsche Rohstostrategie eine moderne Enclosure of the Commons? Ana de Ita | 248 Die Zerstrung von Commons durch den Naturschutz Beatriz Busaniche | 251 Geistige Eigentumsrechte und Freihandelsabkommen. Eine unendliche Geschichte David Bollier | 259 Globale Einhegungen im Dienste des Imperiums. Die NATO als Kommandeur der Commons

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Kapitel III Commoning soziale Innovationen weltweit

George Por | 264 Commoning lernen Christa Mller | 267 Reiche Ernte in Gemeinschaftsgrten. Beim Urban Gardening ndet der Homo oeconomicus sein Korrektiv Katharina Frosch | 273 Mundraub? Allmendeobst! Margrit Kennedy | 275 Leben im Lebensgarten Thomas H. Greco | 278 Die Rckeroberung der Kredit-Allmende. Auf dem Weg zur Schmetterlings-Gesellschaft Stefan Rost | 285 Das Mietshuser Syndikat Geert de Pauw | 288 Die Stadt von morgen steht auf Gemeinschaftsland Beate Kppers | 292 Artabana Gesundheitsversorgung in die eigenen Hnde nehmen Sabine Lutz | 295 Shared Space: Geteilter Raum ist doppelter Raum Gerd Wessling | 299 Transition Initiativen des Wandels Takayoshi Kusago | 302 Von Minamata lernen. Gut leben in lokalen Gemeinschaften Mayra Lafoz Bertussi | 309 Faxinais und ihre Nutzer. Commons in einem komplexen Verhltnis zum Staat Gloria L. Gallardo Fernndez/Eva Friman | 313 Kstennahe Commons in Chile. Kompetente Menschen, starke Institutionen, reiche Natur

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Shrikrishna Upadhyay | 321 Frischer Wind in den Wldern. Gemeinschaftliche Waldbewirtschaftung und Lebenssicherung in Nepal Papa Sow/Elina Marmer | 328 Salz und Handel am Lac Rose. Der Lebensunterhalt senegalesischer Gemeinschaften Gustavo Soto Santiesteban/Silke Helfrich | 335 Der Schaum dieser Tage: Buen Vivir und Commons. Ein Gesprch Adriana Sanchez/Silke Helfrich | 344 Der Code ist das Saatgut der Software. Ein Interview

Kapitel IV Wissensallmende fr den gesellschaftlichen Wandel

Christian Siefkes | 348 Peer-Produktion der unerwartete Aufstieg einer commonsbasierten Produktionsweise Carolina Botero Cabrera/Julio Cesar Gaitn | 354 Von Mrchen und Autorenrechten Mike Linksvayer | 359 Creative Commons: Die Wissensallmende in unsere Hnde nehmen Benjamin Mako Hill | 366 Freiheit fr Nutzer, nicht fr Software Federico Heinz | 371 entliche Verwaltung braucht Freie Software Thomas Gegenhuber/Nauman Haque/Stefan Pawel | 375 Linz: Von der Stahlstadt zur Open-Commons-Region. Wie eine Kommune von einem Bekenntnis zur Allmende protieren kann David E. Martin | 378 Innovationen emanzipieren. Global Innovation Commons

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Javier de la Cueva/Bastien Guerry/Samer Hassan/Vicente J. Ruiz Jurado | 385 Move Commons: Labels fr soziale Initiativen. Ein Vernetzungsinstrument Philippe Aigrain | 390 Die Grundlagen einer langlebigen, commonsbasierten Informationsproduktion Michel Bauwens/Franco Iacomella | 397 Die Peer-to-Peer-konomie und eine neue commonsbasierte Zivilisation Rainer Kuhlen | 405 Wissenskonomie und Wissenskologie zusammen denken

Kapitel V Commons produzieren, Politik neu denken

David Bollier/Burns H. Weston | 416 Das Menschenrecht auf eine saubere Umwelt und die Renaissance der Commons Prue Taylor | 426 Das Gemeinsame Erbe der Menschheit. Eine khne Doktrin in einem engen Korsett Ryan T. Conway | 434 Ideen fr den Wandel der Institutionenvielfalt Sinn geben Michael J. Madison/Brett M. Frischmann/Katherine J. Strandburg | 443 Von Wissen und anderen Reichtmern. Kulturelle Commons konstruieren Michel Bauwens | 450 Peer-Produktion und Peer-Governance der digitalen Commons Esther Mwangi/Helen Markelova | 455 Lokal, regional, global? Mehrebenen-Governance und die Frage des Mastabs Gerhard Scherhorn | 466 Die Welt als Allmende. Fr ein gemeingtersensitives Wettbewerbsrecht Ottmar Edenhofer/Christian Flachsland/Bernhard Lorentz | 473 Die Atmosphre als globales Gemeingut Julio Lambing | 479 Stromallmende: Wege in eine neue Industriegesellschaft

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Dirk Lhr | 487 Das Scheitern der Bodenprivatisierung. Zum berflligen Kurswechsel in der Entwicklungspolitik Alberto Acosta | 493 Die komplexe Konstruktion der Utopie. Ein Blick auf die Initiative Yasun-ITT Christine Godt/Christian Wagner-Ahlfs/Peter Tinnemann | 500 Equitable Licensing den Zugang zu Innovationen sichern Nikos A. Salingaros/Federico Mena-Quintero | 508 Peer-to-Peer-Stadtplanung: Aus Erfahrung lernen. Neuere Entwicklungen in der Stadtplanung Silke Helfrich | 516 Epilog Sachregister | 520

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Vorwort

Eine Politik der Zukunft gestalten das ist ein hoher Anspruch. Die Heinrich Bll-Stiftung mchte sie mitgestalten und untersttzt deshalb weltweit Vorden kerinnen und Vordenker, Pionierinnen und Pioniere sozialer und kologischer Innovationen, die wir fr die notwendige Transformation unserer zerstrerischen Wirtschaftsweise dringend brauchen. Die Protagonisten der Commons-Debatte sind solche Pioniere. Sie engagieren sich lokal und international gegen die weitere Privatisierung und Kommerzialisie rung von Natur, Wissen, entlichem Raum und fr eine andere Form der institu tionellen Organisation. Die Commons eignen sich fr eine groe Erzhlung. Ihr Potential besteht darin, soziale Innovation als entscheidenden Hebel gesellschaft licher Transformation zu entwickeln. Dieser Hebel ist eben nicht technologischer Fortschritt und Ezienzgewinn und auch nicht der Export gesellschaftlicher Par tizipation oder demokratischer Institutionen. Bei den Commons, den Gemeing tern, geht es vor allem um die Frage, wie sie durch die Strkung vertrauensvoller und fairer sozialer Beziehungen geschtzt und weiterentwickelt werden knnen. Die Heinrich-Bll-Stiftung engagiert sich seit 2007 aktiv fr die Commons als Politik der Zukunft. Startschuss waren interdisziplinre Salongesprche: Zeit fr Allmende. Zudem entstand im Jahr 2009 gemeinsam mit Silke Helfrich die Anthologie Wem gehrt die Welt? Zur Wiederentdeckung der Gemeingter. Ein Jahr sp ter wurde dann mit Gemeingter Wohlstand durch Teilen eine allgemein verstnd liche Einfhrung in die Welt der Commons und des Commoning verentlicht. Die Commons-Theorie weiterzuentwickeln, ihre politische Begrndung zu ver feinern, Anstze fr eine commons-sensitive Politik auszutauschen und das inter nationale Netzwerk der verschiedenen Commons-Initiativen zu strken das sind unsere Anliegen. Auf der internationalen Konferenz Constructing a Commons Based Policy Platform, die wir in Kooperation mit der Commons Strategies Group im November 2010 durchgefhrt haben, ist die Idee zu diesem Buch entstanden. Silke Helfrich hat den Grundstein dafr gelegt und David Bollier fr die Bearbei tung der englischen Ausgabe gewonnen. Ihnen gilt mein allergrter Dank. Dieses Buch richtet sich mit einer Flle von theoretischen Anstzen, Analysen und Berichten aus der Praxis an Leserinnen und Leser, die oen sind, sich inspi rieren, aber auch irritieren zu lassen, die bereit sind, aus ihren gewohnten Denkmustern und Datenverarbeitungsbahnen auszubrechen, die neugierig und nicht nur gedanklich experimentierfreudig sind. Es soll eine Auseinandersetzung mit

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dem Thema der gesellschaftlichen und persnlichen Gestaltungsoptionen fr die Zukunft provozieren. Einen endgltigen Bauplan liefert dieser Sammelband nicht. Er ist als Antho logie konzipiert, jeder Beitrag steht also auch fr sich allein und reektiert die Vielfalt der Perspektiven und Zugnge zum Thema. Sollten Sie Zweifel hegen, ob der Umbau unserer Gesellschaft gegen den Strom berhaupt gelingen kann, dann lassen Sie mich entgegnen: In der Tat, wir wissen es nicht! Aber ohne Experimente, ohne Mut, Neues auszutesten, geht es auch nicht. Wenn die Zweierin und der Feigling in uns zu kapitulieren begin nen und die innere Stimme ruft: Ich frchte das Schlimmste, dann muss der Optimist dagegenhalten: Das Schlimmste frchte ich auch, denn das Beste zu frchten, wre ja wohl komplette Zeitverschwendung. Dem Verlag transcript fhlen wir uns sehr verbunden wegen der guten Part nerschaft und der Pionierentscheidung, eine freie Lizenz zu whlen. Wissen ein fach zugnglich zu machen und zu vermehren wird so Realitt. Und dieses Buch wre ohne Silke Helfrich nie Realitt geworden. Mir fehlen so manches Mal die Worte, ihren Enthusiasmus zu beschreiben, ihre berzeugungs kraft, ihren Einsatz, den Commons und der Commons-Bewegung zum politischen Durchbruch zu verhelfen. Die Heinrich-Bll-Stiftung kann sich fr die jahrelange fruchtbare Zusammen arbeit mit ihr glcklich schtzen. Ich wnsche diesem Buch viele interessierte Menschen, die sich von den Tex ten dieses Bandes zum Commoning fr eine neue Politik jenseits von Markt und Staat mitreien lassen. Berlin, im Januar 2012 Barbara Unmig Vorstand der Heinrich-Bll-Stiftung

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Commons als transformative KraftZur EinfhrungSilke Helfrich und David Bollier

Die alte Welt treibt durch strmische Zeiten. Sie wirkt wie ein aus dem Ruder ge laufener Tanker in schwerer See. Eine neue Welt ist nicht in Sicht, aber Leuchtfeuer am Horizont weisen in Richtungen, die wir jederzeit einschlagen knnen, um dem Sturm zu entkommen. Dieses Buch beschreibt sie. Es handelt von unserer Zukunft. berall auf der Welt suchen Menschen nach Alternativen zu der berkomme nen Ordnung, die sie umgibt: zentralisierte Hierarchien einerseits und entfesselte Mrkte andererseits. Diesen Mrkten sind die Staaten, am Steuer eines umwelt zerstrenden Wachstums stehend, verpichtet. Die Suche nach Alternativen ndet ihren Ausdruck bei den spanischen Indignados, in den sozialen Konikten Latein amerikas, in der Occupy-Bewegung und im innovationsberstenden Internet. Men schen wollen sich nicht nur aus Armut oder von schwindenden Teilhabechancen befreien. Sie suchen auch neue Kommunikationsformen, Produktionsweisen und Regeln, die ihnen Stimme geben und Verantwortung zutrauen. Die bestehende Ordnung bietet keinen plausiblen Weg in die Zukunft. Wir selbst mssen diesen Weg bahnen! Das Buchprojekt, das Sie jetzt in den Hnden halten, ist Teil dieses Prozesses. Die Essays dieses Bandes entfalten das Potential der Commons (der Allmende oder Gemeingter). Sie weisen Wege und Strategien, um unsere Zukunft neu zu denken und selbstbestimmt zu gestalten. Die Beitrge der bewusst aus den unterschiedlichsten Sphren ausgewhlten Autorinnen und Autoren aus 30 Lndern bilden drei Kategorien: erstens diejenigen, die unser theo retisches Verstndnis der Commons festigen und erweitern; zweitens diejenigen, die eindringlich Kritik an der zunehmend dysfunktionalen Verquickung von Markt und Staat formulieren; drittens diejenigen, die konkrete Ideen und Projekte vor stellen und zeigen, wie innovativ, machbar und attraktiv Commons sind. Die Beitrge zur Commons-Theorie und zur politischen konomie (Kapitel I) er kunden unter anderem die Tragik der Anti-Allmende, die beschreibt, wie ber mige, fragmentierte Eigentumsrechte Innovation und Kooperation behindern. Sie erlutern die zentralen Unterschiede zwischen Gemeingtern und ent lichen Gtern und analysieren die Weisen, wie Commons elementare Prinzipien der Moderne, des Liberalismus und des Rechts herausfordern. Und sie zeigen, wie das Denken in Commons-Kategorien erkennen lsst, dass die Methodik der

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Natur selbst die Commons als stabiles und tragfhiges Paradigma nahelegt; ein Paradigma mit eigenem Betriebssystem und eigenen Grundmustern, das noch im Verborgenen liegt und erst allmhlich identizierbar und generalisierbar wird. Die Kritik konzentriert sich auf die Privatisierung und Kommerzialisierung ge meinsam genutzter Ressourcen; auf die Einhegungen der Commons (Kapitel II). Sie gehren zu den groen unerzhlten Geschichten unserer Zeit. Einhegung das bedeutet Entrechtung von Stadtbewohnern, deren Parks und entliche Rume in einem unvertretbaren Ausma fr gewerbliche Zwecke missbraucht werden. Es be deutet Enteignung von Millionen von Bauern, deren Leben von der gewohnheits rechtlichen Nutzung ihres Landes abhngt, insbesondere in Afrika, Asien und La teinamerika. Es bedeutet, dass Internetnutzern durch sich permanent ausweitende Urheber- und Verwertungsrechte und internationale Vertrge Kultur vorenthalten wird. Es bedeutet eine Entmndigung der Brger in vielen Lebensbereichen. berall auf der Welt entstehen Projekte und Innovationen, die auf der Idee der Commons grnden (Kapitel III und IV). Ganz gleich, ob es sich um die ge meinschaftliche Nutzung von Dingen handelt oder um allmhliche Schritte wie beim Aufbau einer chilenischen Fischereiallmende, um die Wiederentdeckung der Obstallmende in Deutschland die es Menschen erlaubt zu ernten, was der Markt ignoriert oder um den Versuch der Schaung einer internationalen Institution des Rohstomanagements, die eine megabiodiverse Region in Ecuador vor der lfrderung und uns alle vor steigenden CO2-Emissionen bewahren soll. Nicht zu vergessen die aufregenden Innovationen in der digitalen Welt der rasante Aufstieg von Creative Commons oder die Flle an Peer-to-Peer-Projekten. Sie alle gewinnen gesellschaftlich an Bedeutung und an Bekanntheit durch dieses Buch. Eine einheitliche Sicht auf die Commons bieten wir nicht schlielich wre das ein Widerspruch in sich. Dafr ernet sich den Leserinnen und Lesern ein farbenprchtiges Kaleidoskop von Commons-Perspektiven und Perspektiven auf die Commons. Durch den Sehspalt wird sichtbar, wie Commons als intellektuelles Fundament und politische Philosophie verstanden werden knnen, die konkrete soziale Praktiken begrnden. Man kann die Commons aber auch als (experimen tierfreudige) Art und Weise des Seins oder gar als geistige bzw. spirituelle Haltung betrachten. Oder man versteht sie als Weltsicht. Und genau genommen sind Com mons all dies zusammen. Um das zu beschreiben, bedarf es eines frischen und modernen Wortschatzes, der die Logik der Commons angemessen abbildet. Diese Logik fhrt aus der Sackgasse marktfundamentalistischer Politik und stellt unsere Sozial- und Naturbeziehungen in den Mittelpunkt. Erwarten Sie kein Gewusst-wie-Handbuch und noch viel weniger Vollstndig keit. Der Band bleibt trotz aller Flle ein bescheidener, selektiver berblick ber wichtige Diskussionen und Anstze zum Thema in diesem historischen Moment. Einige Perspektiven und Themen werden Sie vermissen (so wie wir). Andere sind nur unzureichend beleuchtet etwa die Rolle der Kunst, die Relevanz der GenderDimension, die Einhegung des Weltraums, unsere Handhabe des thers (durch Funk und Fernsehen), die Rolle der Arbeiterbewegung und Gewerkschaften, die Bewertung von Zukunftstechnologien wie Nanotechnologie und Geo-Engineering und andere mehr. Doch wer im Laufe der Lektre lernt, die Welt durch die Brille

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der Commons zu sehen, wird diese Brille fortan bei sich tragen. Durch sie ergeben sich vielfltige, individuelle Commons-Begegnungen mit all jenen Themen, die wir nur streifen konnten. Darauf vertrauen wir.

Jenseits von Markt und StaatSeit Generationen haben Staat und Markt eine enge, ja symbiotische Beziehung entwickelt. Sie verschmolzen schlielich zu dem, was man ein Markt-Staat-Duo pol nennen knnte. Markt und Staat verfolgen oft eine gemeinsame Vision von technologischem Fortschritt und Wettbewerb, (zumeist) eingebettet in ein libera les, nominell demokratisches Gemeinwesen, dessen Kern individuelle Rechte und Freiheiten sind. In dieser gemeinsam konstruierten Weltsicht ist die Rollenvertei lung komplementr, aber das Bemhen gleich: (de facto unerreichbares) Endlos wachstum und Konsumentenzufriedenheit. Der Markt bestimmt dafr den Preis. Er verwaltet Personen, Kapital und Res sourcen, um materiellen Wohlstand zu generieren. Der Staat reprsentiert den Wil len des Volkes, whrend er zugleich das Funktionieren des freien Marktes so ein fach wie mglich macht. Das zumindest ist die groe Erzhlung. Nach diesem Ideal des demokratischen Kapitalismus maximiert sich das Wohlbenden des Konsu menten, der zugleich immer mehr politische und wirtschaftliche Freiheiten geniet. Historisch gesehen waren Markt und Staat freinander durchaus fruchtbar. Die Mrkte haben die staatlich bereitgestellten Infrastrukturen genutzt und davon protiert, dass Investitionen und Marktaktivitten staatlich durchgesetzten Regeln folgen. Ihnen kamen und kommen der kostenlose oder vergnstigte Zugang zu Wldern, Mineralien, zur Atmosphre und dem elektromagnetischen Spektrum, zu Forschungsmitteln und anderen entlichen Leistungen zu Gute. Der Staat wiede rum, so wie er heute verfasst ist, hngt vom Wirtschaftswachstum ab, das auf dem Markt produziert wird. Es ist (potentiell) Quelle fr Steuereinnahmen und Arbeits pltze. Wer politisch Verantwortung trgt, deniert daher das Wirtschaftswachstum als Knigsweg zur Verteilung von materiellem Reichtum und sozialen Chancen. Die multiplen Krisen der Gegenwart, zuletzt die Finanzkrise von 2007/2008, haben jedoch gezeigt, dass die Lehrbuchweisheiten des demokratischen Kapitalis mus weitgehend eine Farce sind. Die politischen und persnlichen Verbindungen zwischen den grten Unternehmen und staatlichen Institutionen sind enorm. Der freie Markt reguliert sich so wenig von unsichtbarer Hand, wie er aus schlielich privat ist. Er ist weitgehend abhngig von staatlichen Interventionen und Subventionen, von Manahmen zur Risikobegrenzung und rechtlichen Pri vilegien, mitunter auch von militrischer Sicherung der Handelswege und Ener giequellen. Dieser Markt vernachlssigt die Prferenzen kleiner Investoren, die Interessen von Menschen mit geringer Kaufkraft und die Natur, so wie der Staat nicht wirklich den souvernen Willen des Volkes reprsentiert. Das System erin nert an ein elitres Insider-Oligopol. Transparenz ist minimal, Regulierung wird durch Wirtschaftsinteressen korrumpiert, Rechenschaft bleibt politisch manipu liert, und die Mitbestimmung der Brger beschrnkt sich nicht selten auf die Wahl zwischen Teufel und Beelzebub. In einigen Lndern macht sich der Staat zum Juniorpartner von Clans, dominanten Ethnien oder masen Strukturen. In an

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deren zum Juniorpartner eines marktfundamentalistischen Projekts. Fortschrei tende Privatisierung, Deregulierung, Budgetkrzungen, expansive private Eigen tumsrechte und ungehinderter Investitionszugang sind die Schlagworte dieses Prozesses. Der Staat fungiert hier als Feigenblatt. Eingrie, die den Marktexzessen vorbeugen sollen, haben meist nur den Eekt von Beruhigungsmitteln. Sie lassen das eigentliche Problem unangetastet. Mehr noch: Sie legitimieren nicht selten die Prinzipien und Verfahrensregeln des Marktes. Am Ende beherrschen die Markt krfte die wichtigen politischen Themen. In den USA sind Unternehmen als juris tische Personen sogar berechtigt, Kandidaten fr politische mter unbegrenzte Mengen an Geld zur Verfgung zu stellen. Dazu kommt, dass politische Ziele kurzfristig erreicht werden mssen. Die Regierungen von Nationalstaaten (sowie unsere parlamentarischen Vertretungen) erweisen sich deshalb oft als unfhig, in langen Zeitrumen zu denken. Und mit seinen mrben, brokratischen Strukturen mutet der Staat im Zeitalter der elekt ronischen Vernetzung ohnehin wie ein chronischer Zusptkommer an. Nein, die Annahme, der Staat wrde und knnte eingreifen, um die Interessen der Men schen zu vertreten, ist eine zerbrechende Illusion. In dem Mae, wie sich dieses Markt-Staat-Duopol unserer Gesellschaften be mchtigte, korrumpierte sich auch unsere Sprache. Der konventionelle politische Diskurs, selbst ein Artefakt aus einer anderen Zeit, vermag weder unsere Proble me adquat zu benennen, noch Alternativen zu formulieren oder Visionen zu ent werfen. Die Fallstricke der derzeit dominierenden politischen Sprache sind eng gespannt. Dualismen wie entlich versus privat und Staat versus Markt gelten als selbstverstndlich. Als Erben von Descartes sind wir es gewohnt sub jektiv von objektiv zu unterscheiden und Individuum von Kollektiv. Wir fassen sie als Gegenstze auf. Auch das sind Relikte lexikalische Erbschaften, die das Relationale verschleiern, die Tatsache, dass das Eine mit dem Anderen untrennbar verbunden ist. Noch sind diese Dualismen in unser Denken einge graben. Das wird vor allem sprbar, wenn wir die Probleme der Gegenwart ana lysieren (oder deren Analyse in den Medien verfolgen) und wenn wir uns das Spektrum an Lsungen vergegenwrtigen, das gemeinhin fr plausibel gehalten wird. Entweder oder, heit es dann. Ganz oder gar nicht. So segnet die Spra che des Kapitalismus dessen Zweckbestimmungen und Machtverhltnisse ab und vernagelt unser Denken mit einem schwer zu durchbohrenden Brett. Deswegen sind Commons so wichtig.

Die transformierende Sprache der CommonsDer Commons-Diskurs berwindet die Kategorien der herrschenden politischen und wirtschaftlichen Ordnung. Er identiziert die Beziehungen von Belang und deren operative Logik sowohl in der Art, wie wir produzieren, als auch in der Art, wie wir unsere gesellschaftlichen Verhltnisse ordnen. Commons bieten uns die Mglichkeit, die Dinge so beim Namen zu nennen, dass wir nicht blindlings die Fiktionen der alten Ordnung wiederholen, etwa: dass nur das Wirtschaftswachstum unsere sozialen Missstnde zu lsen im Stande sei oder dass Regulierung die kologische Krise meistern knne. Wir brauchen ein

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Umdenken, neue soziale Praktiken und einen neuen Diskurs, so dass sich die Funktionsprinzipien dieser groen Erzhlung und mit ihnen eine neue Regie rungsweise (Governance) durchsetzen knnen. Nennen wir sie Commonance. Die Governance der Commons. Worte haben performative Kraft. Sie gestalten die Welt. Deshalb ist es alles andere als Phantasterei, nach einer Sprache zu suchen, die die Grundmuster der Commons-Praxis spiegelt. Diese Praxis nennen wir Commoning. Schon in dem Moment, in dem wir die Sprache der Commons nutzen, beginnen wir, eine andere Kultur zu schaen. Wir hren auf, Kunden oder Manager zu sein, Businessmo delle, Vertriebsoptimierungsplne und Alleinstellungsmerkmale zu ersinnen oder uns permanent mit den Konkurrenten abzugleichen. Wir beginnen, in Beziehung zu sein, als Commoners, eine Kultur der Treuhnderschaft, Mitverantwortung und Teilhabe fr die gemeinsamen Ressourcen zu entwickeln und zugleich das Recht auf die Gestaltung des eigenen Lebensraums und der eigenen Lebensverhltnisse zu verteidigen. Wir erkennen uns als interaktive Akteure grerer Gemeinschaften und Zusammenhnge. Das ist unserer Individualitt nicht abtrglich, aber es prgt unsere Vorlieben, Perspektiven, Werte und Verhaltensweisen, kurz: wer wir sind. Wir sind keine isolierten, atomistischen Wesen, keine Amben, denen nichts Menschliches anhaftet auer utilitaristischen Prferenzen, die auf dem Markt ver handelt werden. Nein: Wir sind kreative, unverwechselbare Individuen als Teil von vielfltigem Grerem. Commoners. Zweifellos haben wir auch unattraktive Zge, die aus individuellen ngsten und unserem Ego resultieren, aber wir sind in der Lage zur Selbstorganisation und zur Zusammenarbeit. Wir streiten fr Fairness und soziale Gerechtigkeit, tragen bei zum Allgemeinwohl und zur Sorge fr knf tige Generationen. Die Sprache der Commoners hilft, diesen Anteil in uns zu erkennen und durch die Praxis zu strken. Sie fordert uns auf, die veralteten Dualismen der Marktkultur und die damit verbundene mechanistische Denkweise zu berwinden und ber die Welt in ganzheitlicher Weise und langfristiger Perspektive nachzudenken. Wer dies tut, sieht, dass das Verhalten des Einzelnen auf andere und auf das Ganze zurck wirkt, und begreift, dass die Entfaltung des Einzelnen die Entfaltung der anderen voraussetzt und umgekehrt. Das sind selbstredend komplexe soziale Prozesse. Der Mythos des Marktes, der den Selfmademan feiert, ist absurd. Er ist eine selbstgefllige Tuschung, der die Rolle und die Leistungen der Familie, der Ge meinschaften, der Netzwerke, der Institutionen und der Naturbeziehungen unter schtzt. Viele Pathologien der heutigen Wirtschaftsweise nhren sich vom Substrat der dualisierenden Sprache. Und tatschlich erweist sich bei genauerem Hinsehen de ren Verwendung fr die elitren Wchter des Markt-Staat-Duopols als sinnvoll. Ein Konzern etwa stellt sich in der Regel als privater Akteur dar, der ber den meis ten Problemen der Gesellschaft schwebt. Doch sein Zweck ist einfach: Kosten mi nimieren, Umsatz maximieren, Gewinne erwirtschaften, Investoren zufriedens tellen. Dies ist seine institutionelle DNA. Sie wurde im unbarmherzigen Streben nach Wachstum entworfen, um produzierend Gewinne zu erwirtschaften und dabei die sozialen und kologischen Schden (von konomen camouierend als externe Eekte beschrieben) zu ignorieren.

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In den letzten Jahren haben sehr viele Menschen die Konsequenzen dieses Denkens und dieser Kultur verstanden: Wir sind in den wichtigsten Lebensberei chen in ein globales Wirtschaftssystem integriert, das soziale Spaltung produziert und endliche natrliche Ressourcen (l, Mineralien, Wlder, Fischerei, Wasser) in abstrakte Finanzprodukte verwandelt. Peak Oil, Peak Everything und die globale Erwrmung lassen vermuten, dass diese Dynamik zeitlich begrenzt ist, denn die Natur hat reale Grenzen. Das ist der rote Faden des Dramas, das im nchsten Jahr zehnt zur Auhrung kommt. Die Frage ist, ob der Kapitalismus in der Lage ist, ihn zu erkennen und die realen Grenzen zu respektieren. Die Prmissen des demokratischen Kapitalismus betreen auch Wissen, Kultur und Informationen. Sie verbreiten sich wie das Licht, schranken- und gren zenlos. Anders als bei endlichen Ressourcen geht es in der Logik des Marktes da rum, Kultur, Wissen und Informationen gezielt zu verknappen, um maximalen Gewinn aus immateriellen Vermgenswerten (Worte, Musik, Bilder) zu ziehen. Das ist der Hauptzweck der permanenten Erweiterung von Urheber- und Patent recht. Dieser Imperativ wird immer deutlicher, denn digitale Technologien haben die Vervielfltigung von Informationen und kreativen Arbeiten im Wesentlichen frei gemacht und damit gewohnte Geschftsmodelle untergraben. In allen Bereichen Soziales, Natur und Kultur werden Commons, ein wich tiges Mittel zur Befriedigung vieler Grundbedrfnisse, fragmentiert und in den Dienst des globalen Marktes gestellt. Die Natur wird zur Ware; Commoners zu iso lierten Individuen, Konsumenten und Arbeitnehmern. Gemeinsame Ressourcen, die niemandes alleiniges Eigentum sind, werden zum Rohsto fr die Herstellung von Produkten fr den Verkauf degradiert. Und wenn der letzte Rest monetarisiert ist, gehen die unvermeidlichen Abflle des Marktes zurck in die Commons. Die Regierung ist damit betraut, diese Reste einzusammeln und die externen Eekte zu beseitigen. Dieser Aufgabe kann sie nur unzureichend nachkommen, denn im neoliberalen Paradigma gibt es andere Prioritten. Sie treiben den heimtckischen Prozess der Einhegung voran. Dabei werden Enteignung und Plnderung hug als rechtmig, vernnftig und fortschrittlich dargestellt. Ein prominentes Beispiel dafr ist die Welthandelsorganisation, die fr Entwick lung durch freien Handel sorgen soll und entsprechend fr transparente Regeln und deren Einhaltung auf dem Weltmarkt. Dabei ist sie im Wesentlichen ein System, das die Einverleibung noch nicht kommodizierter Ressourcen und fragiler ko systeme in den Markt sowie die Enteignung der Communities rechtlich legitimiert. Um das durchzusetzen, bedarf es eines zunehmend komplexen Gesetzes- und Ver waltungsapparats, intellektueller Rechtfertigungen und politischer Untersttzung. In anderen Worten: Einhegung muss durch Propaganda, Lobbyarbeit und gezielt gestreute Zwietracht salonfhig gemacht werden. Im Ergebnis werden Lebewesen privatisiert, von Vielfalt geprgte Anbauchen durch Monokulturen verdrngt, In halte im Internet zensiert, Kommunikationsinfrastrukturen kontrolliert, die Grund wasservorrte genutzt, um die Flaschenwasserindustrie zu frdern, indigenes Wis sen und Kultur enteignet und sich selbst reproduzierende Nutzpanzen in sterile Samen verwandelt, die immer wieder nachgekauft werden mssen. Diese Funk tionslogik unseres Wirtschaftssystems erfordert stndig neue Ressourcen die mo ralisch oder rechtlich allen gehren , um sie in handelbare Gter umzuwandeln.

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Unsere moderne Idee von der Wirtschaft wurde durch all dies mit geformt. Auch sie ist geprgt von Dualismen. Es gibt das, was sich rechnet Dinge, die einen Preis haben und das, was nicht zhlt Dinge, die qualitative, ethische, subjektive Werte verkrpern. Im Laufe der Zeit kommt die Marktwirtschaft als universelles, ahistorisches, natrliches Phnomen daher, ein Moloch, der irgend wie seit Anbeginn existierte und den niemand kontrollieren kann. Ein System, das zum psychisch sensiblen Subjekt geworden zu sein scheint und geradezu menschliche Zge trgt: Von nervsen, angespannten und stark irritierten oder erleichterten und zufriedenen Mrkten hren und lesen wir tglich in den Medien. Der Alptraum der Einhegungen hat viele Menschen in Bedrngnis gebracht, denn in dieser Welt genieen unsere kologischen Lebensgrundlagen, Gemein schaftlichkeit, Gewohnheitsrecht und Selbstorganisation keinen systematischen rechtlichen Schutz und keine kulturelle Anerkennung.

Generative CommonsDie Debatte ber Commons erlaubt es, uns auerhalb der dominanten Wirt schaftsweise (und ihrer Dichotomien) zu stellen. Das gelingt nicht nur mit einer neuen Sprache, sondern vor allem mit einer Praxis, die einen umfassenderen Be gri von der Wirtschaft (besser: von dem Haushalten) spiegelt. Commons frdern Sozialbeziehungen und Gemeinschaftlichkeit. Sie sind jene vielfltigen Formen gemeinsamen Sorgetragens, die fr die am Homo oeconomicus orientier ten Marktkonomen weithin unverstndlich bleiben. Sie ermglichen uns, das Wertvolle des Unveruerlichen in den Blick zu nehmen: den Schutz gegen die Verbetriebswirtschaftlichung von allem und jedem. Die Beziehungen zur Natur mssen nicht an Verwertung und Extraktion orientiert sein sie knnen den Prin zipien der Nachhaltigkeit und Fairness folgen. Fr die Menschen der sdlichen Hemisphre sind Commons mehr gelebte Realitt als Metapher. Gerade von dort kommen Impulse, um Commons als Alternative zum klassischen Entwicklungs denken zu verstehen. Immer wieder wurden Commons als Niemandsland, als res nullius, angese hen; als Orte ohne Eigentmer und ohne Wert. Doch ungeachtet dieser Tatsache und ungeachtet des hugen Kurzschlusses, die Commons als tragisch abzutun, sind sie unheimlich produktiv. Sie fllen das Reservoir, aus dem wir Leben und Nutzen schpfen. Das Problem ist, dass sich dieser Nutzen nicht einfach mes sen lsst. Es gibt keine skalare Gre, die ihn misst, so wie der Preis es mit han delbaren Werten tut. Den schpferischen Prozessen der Commons auf die Spur zu kommen, ist komplexer und langfristiger als fr die Mandarine des Marktes denkbar, denn Commons neigen dazu, ihre Gaben in der Dynamik des Lebens selbst zum Ausdruck zu bringen. Wir knnen sie nicht xieren. Und schon gar nicht zhlen wie Aktien und Inventar. In diesem reichtumschaenden Prozess des Commoning, geht es nicht darum, Dinge zu produzieren oder Rendite zu erzielen. Es geht um den Erhalt unserer Lebensgrundlagen und die Integritt von Sozial beziehungen. Es geht um den schpferischen Prozess selbst und um die gerechte Verteilung des Reichtums, der in den Commons reproduziert wird.

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Commons Fr eine neue Politik jenseits von Markt und Staat

Eine commons-sensitive Architektur von Recht und PolitikCommoners sind sehr verschieden, und sie wissen nicht unbedingt im Voraus, wie ein gemeinsames Ziel vereinbart und verfolgt werden kann. Die einzige verall gemeinerbare Aussage ist daher, dass wir berall (Frei-)Rume fr den intensiven und konstruktiven Dialog und fr das Ausprobieren von Regeln und Vereinbarun gen brauchen. Die Belastbarkeit der Commons hngt auch davon ab, dass Institutionen und Gesetze diese Vereinbarungen nicht unterlaufen: Wir brauchen Gesetze, Institutio nen und eine Politik, die Commoning leichter machen (Kapitel V). Wir brauchen einen Staat, der Allmendeprinzipien aktiv untersttzt und deren Torpedierung sanktioniert, so wie er derzeit das Marktprinzip untersttzt und dessen bertre tung sanktioniert. Commoners mssen ihre Interessen deutlich machen und dazu beitragen, dass Commons-Prinzipien im Mittelpunkt politischer und rechtlicher Innovation stehen. So konstitutiert sich beides neu: Brgerschaft und Governance. Seitdem die Dysfunktionalitten des Staates in der Unfhigkeit, die Finanz krise strukturell zu lsen oder der kologischen Zerstrung wirksam zu begegnen, deutlich wurden, hat der Staat ein vermehrtes Interesse daran, dass die Menschen Aufgaben bernehmen, die er selbst nicht lsen kann. Doch damit dieser Pro zess tatschlich unseren Lebensinteressen dient und nicht in unverantwortlicher Staatsverschlankung und Vereinnahmung endet, muss der Staat zunchst die Viel falt kollektiver Eigentumsformen anerkennen und es den Menschen tatschlich ermglichen, dass sie Mitbesitzer und -verwalter der Gemeinressourcen sind. In der jngeren Geschichte hingegen wurden Commons von der Politik ignoriert. Projekte oder Netzwerke waren gezwungen, ihre eigenen Lsungen und Regeln zu entwickeln, um kollektive Rechte zu verteidigen. Prominente Beispiele hierfr sind die General Public License fr freie Software (und andere kulturelle Inhalte) sowie Rechtsformen zur gemeinsamen Nutzung von Wohnraum und Land (Land Trusts, Mietshusersyndikate), Beispiele, in denen Commons, obwohl formal in Privateigentum bendlich, von allen in Besitz genommen werden (Eigentum auen sorgt fr Commons innen [Rose 2003]). Die Zukunft der Commons wre vielversprechender, wrde der Staat formale Chartas und Rechtsnormen fr die Commons vorantreiben und in seine Institutionen einschreiben. Dass wir davon weit entfernt sind, lsst sich an einigen Analysen dieses Bandes deutlich ablesen. Auch die Marktstrukturen gilt es neu zu ernden und zwar so, dass die alten, zentralen (oft monopolisierten) kapitalistischen Unternehmensstrukturen nicht die lokalen Alternativen, die solidarischen konomien oder die sozial verantwort lichen Geschftsmodelle erdrcken. Unternehmen sind durchaus in der Lage, ihre Interessen der Gewinnmaximierung den langfristigen Interessen ihrer Gemein den und der Menschen unterzuordnen. Community Supported Agriculture (CSA), die Slow-Food-Bewegung und Fair-Trade-Unternehmen sind nur einige Beispiele. Wo immer Keimformen neuer Commons auftauchen, bilden sie ein Span nungsverhltnis mit dem Bestehenden, denn sie mssen oft innerhalb des exis tierenden Systems von Recht und Politik bestehen. Die doppelte Gefahr der Ko optierung und Domestizierung ist eine Herausforderung, gegenber der jedes Projekt sein transformatives Potential behaupten muss. Dabei ist klar, dass es

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Silke Helfrich und David Bollier Commons als transformative Kraft

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unter Commoners immer strategische Auseinandersetzungen ber die Reinheit eines Commons geben wird. Da sind einerseits jene, die mglichst geringe oder keine Schnittchen mit den Mrkten bevorzugen, und andererseits jene, die mei nen, ihre Communitys gedeihen gerade in der Wechselwirkung mit den Mrkten. In diesem Buch begegnen sie beiden. Der permanente Abgleich zwischen ihnen ist wichtig und kann sehr kreativ sein. Doch auch tiefere philosophische Spannun gen innerhalb der Commons-Bewegung sind nicht ausgeschlossen. Diese Span nung wird (und sollte) nie vergehen. Sie wirft wichtige Themen auf, die kontrovers diskutiert werden, doch die alles entscheidende Frage fr Commoners ist: Wofr produzieren wir eigentlich? Die Frage ist einfach zu beantworten: Fr das Leben. Bei den Commons ver standen als Lebensnetz geht es primr um die Befriedigung von Bedrfnissen und die Erweiterung einer commons-basierten Kultur. In anderen Worten: Es geht darum, dass Commons Commons produzieren. In der Geschichte menschlicher Zivilisation gab es immer eine jeweils dominante Organisationsform. In Stam mesgesellschaften war es die Schenk-konomie; in vorkapitalistischen Gesell schaften wie dem Feudalismus die Hierarchie. Chancen wurden auf der Grundlage des sozialen Status verteilt. Im Kapitalismus ist der Markt das primre System, das sozialen Status, Reichtum und Entwicklungschancen zuteilt. Jetzt, wo die Grenzen des marktfundamentalistischen Kapitalismus berall auf der Welt oenbar gewor den sind, stellt sich die Frage, ob sich die Sphre der Commons so ausweiten kann, dass sie die dominante gesellschaftliche Form wird. Wir hoen, die Beitrge dieses Buches tragen dazu bei, dass es mehr Forschung zu diesen Fragen gibt und dass Freirume fr Initiativen des Commoning auf allen Ebenen gefrdert werden. Wir leben in einer spannenden Zeit. Sie gehrt zu den seltenen historischen Mo menten, in denen alte, verkrustete Denkkategorien (auf-)brechen und Neuem Platz bieten. Doch jeder bergang zu einem neuen Paradigma setzt voraus, dass gen gend Menschen aktiv Teil der Geschichte werden und sich diese neuen Kategorien in ihrer und durch ihre Lebenspraxis aneignen. Honung fr unsere Zukunft liegt allein in den Menschen. Wir sind auf Kooperation geeicht. Dies prdestiniert uns, eine vielfltige Kultur des Commoning zu entwickeln. Tatschlich erlebt die Sprache der Commons auch deshalb einen Aufschwung, weil sie in uns Resonanz erzeugt. Sie berhrt uns. Sie spornt uns an, die beengende politische Kultur und Denkweise abzuschtteln, die das Markt-Staat-Duopol uns aufzwingt.

LiteraturRose, Carol M. (2003): Romans, Roads and Romantic Creators. Traditions of Public Property in the Information Age, in: Law Contemporary Problems, 66, Winter/ Frhjahr.

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Danke

Es hat mehr als ein Jahr gedauert, um dieses Buch zu produzieren, und ein Jahr fnft, um es vor dem inneren Auge entstehen zu lassen. Es hat die Gedanken von vergangenen und lebenden Generationen gebraucht, um es zu verdichten, und eine Hundertschaft, um es so zu gestalten, wie es jetzt ist. Das Ergebnis ist das Werk vieler Menschen, bei denen ich mich herzlich bedanke. Allen voran David Bollier, mein Kollege und fellow commoner aus Amherst (USA), mit dem ich auch die englischsprachige Ausgabe dieses Sammelbandes produziere. Mit David konzipiere ich, wage ich mich vor, verwerfe wieder, tausche Zweifel und Befrch tungen aus. Es ist eine unschtzbar wertvolle Zusammenarbeit. Da sind die vielen Autorinnen und Autoren aus aller Welt. Manch persnliche Bekanntschaft hat die Kommunikation vereinfacht, andere Kontakte entstanden aus weit verzweigten Netzwerken in der Welt der Wissenschaft und der Sozialen Bewegungen. Wieder andere wurden aus den Untiefen des Internets zu Tage ge frdert und ergaben einen fruchtbaren Austausch. Es ist uns gemeinsam gelun gen, dem unerbittlichen Takt des Zeitplans zu folgen. Die Beitrge der Autoren samt aller Debatten zu Entwurfs- und Endfassungen haben mich immer wieder damit vershnt, endlos vor dem Bildschirm zu sitzen. Ich hatte ein sachkundiges, gewissenhaftes und engagiertes bersetzerteam. Die Zusammenarbeit mit Sandra Lustig, Brigitte Kratzwald, Katharina Frosch, Thomas Pfeier und Martin Siefkes hat mir viel Spa und einige gefallene Gro schen gebracht. Ein Riesendankeschn dafr! Zum bersetzungsgelingen beige tragen haben auch Andreas Weber, Jacques Paysan und Paul Helfrich. Auch ihnen: Danke! Stefan Tuschen hat in der Endphase entscheidend zur Fertigstellung des Gesamtwerks beigetragen und mit ihm Wolfgang Burggraf, Stefan Meretz und Brigitte Kratzwald, die wertvolle Hinweise zur Abrundung der Einleitung gegeben haben. Irgendwann Ende 2010, wir hatten soeben gemeinsam eine groe Interna tionale Commons-Konferenz bewltigt, sa ich im einzigen Sessel der Wohnung von Heike Lschmann von der Heinrich-Bll-Stiftung und schwadronierte von der Struktur eines Buches, das man unbedingt mal machen muss. Die Struktur hat sich seither mehrfach verndert. Die groartige Untersttzung von Heike Lsch mann nicht. Sie hat den Entstehungsprozess dieses Bandes von Anfang an beglei tet. Ich bin ihr fr das intensive Mitdenken und die wunderbare Zusammenarbeit sehr verbunden. Dank gilt auch ihrem Team in der Heinrich-Bll-Stiftung, insbe

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Silke Helfrich Danke

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sondere Simone Zhr und Joanna Barelkowska, sowie dem Lektor Bernd Rhein berg. Barbara Unmig aus dem Vorstand der Stiftung frderte (und forderte) seit 2007 das intensive Nachdenken ber eine neue Politik jenseits von Markt und Staat. Das war Antrieb und Ermutigung fr uns. Im Namen der Commons Strate gies Group geht ein groes Dankeschn an sie. Oft nrgelte ich zu Hause darber, dass ein Artikel fast fertig erscheint und es doch nicht ist; dass die Neufassung eines Gedankens in deutscher Sprache so viel Kraft brauchen kann wie die sorgfltige Durchsicht eines ganzen Beitrags. Meine Familie hat es ermunternd hingenommen. Sicherlich kann ich nicht jeden beim Namen nennen. Es sind einfach zu viele, aber ich freue mich, dass unseren Lesern und allen, die zum Gelingen dieses Bu ches beigetragen haben, das hier versammelte Wissen unter einer Copyleft-Lizenz weitergegeben werden kann. Es ist ein groes Glck, dass wir fr die Publikation nicht einfach einen Verlag gefunden haben, sondern einen Kooperationspartner, der den Mut hat, ins Oene zu gehen. Karin Werner und ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vom transcript Verlag gilt mein ganz besonderer Dank. Experi mentierfreude und neue soziale Praktiken braucht diese Welt. Jena, im Januar 2012 Silke Helfrich

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Die Definition von Wahnsinn ist: wieder und wieder das Gleiche zu tun und zu erwarten, dass dabei jedesmal anderes herauskommt. Rita Mae Brown

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Kapitel I Commons. Ein Paradigmenwechsel

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Mein steiniger Weg zu den CommonsEin RckblickJacques PaysanDie Pyrenen. Sie sind nicht allzu hoch ihre Linien sind sanft geschwungen, der scharfe Grat ist hier selten, und alle Kup pen sind rund. Es ist wie erstarrte Musik in diesen Hhenzgen. Kurt Tucholsky, 1927

Wir stehen auf dem Col de Peyreget, wo ein kleines Schild eine Hhe von 2.320m ber dem Meeresspiegel anzeigt. Nicht allzu hoch also, ich bin trotzdem auer Atem. Vermutlich ist aber nicht der Berg daran schuld, sondern meine mangelhafte Kondition. Die runden Kuppen kann ich nicht sehen. Sie dsen im Morgennebel vor sich hin. Es duftet nach Thymian und feuchtem Gras. In der Ferne hrt man Schafglocken. Dort unten, sage ich und zeige ins Tal. Sie blickt suchend in die Tiefe. Siehst du sie?, frage ich. Die Schafe! Die Schafe von Garrett Hardin.

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Jacques Paysan Mein steiniger Weg zu den Commons

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Sie verdreht die Augen. Garrett Hardin? Lass mich blo mit Garrett Hardin in Ruhe, gibt sie zurck und macht sich an den Abstieg. Ich schaue ihr nach und muss lachen. Als wir uns kennenlernten, hatte ich noch nie von Hardin gehrt. Auch nicht von seinem Nutzenoptimierer, der so lange Vieh auf die Weide treibt, bis die leergefressene Grasnarbe verdet von der Tragedy of the Commons also. Commons? Ich hatte keine Ahnung, was das sein sollte. Ich schaue zurck zu den Schafen und nehme einen Schluck aus der Wasser asche. Dann folge ich ihr. Seit unseren ersten Gesprchen ber die Commons hat sich mein Blick in die Welt dramatisch verndert. Ich habe einen klaren Standpunkt zu den Commons: Commons? Einfach genial! Es war ein steiniger Weg bis zu diesem Punkt. Dagegen war unser Aufstieg zum Col de Peyreget ein Zuckerschlecken. Am schwersten tat ich mich mit dem Unterschied zwischen Ressourcen und Commons. Dieser Lernprozess erin nert mich an das Bild, in dem man entweder zwei Gesichter oder eine Vase sieht. Das dominierende Bild verdrngt die komplementre Kontur aus unserer Wahr nehmung bis der Groschen fllt. Dann sind beide Aspekte pltzlich problem los erkennbar. Ist es nicht erstaunlich? Die Commons verstecken sich in Missver stndnissen, wie die Bergkuppen im Nebel. Was also sind Commons? Eine Wiese, auf der die Hirten gemeinsam ihre Schafe weiden? Nein? Eine Sozialbeziehung, die den Zugang der Schafe zur Wiese regelt? Damals sthnte ich und raufte mir die Haare. Was sollte das sein: eine Sozial beziehung, auf der die Schafe weiden? Mein Groschen el erst mit ei-nem Beispiel, das wenig mit Politik und Schafen zu tun hat: dem Bergsteigen! Ich bleibe stehen und lausche. Aus der schroen Felswand, an deren Fu wir gera de wandern, hrt man das Klirren der Karabiner und die Rufe der Kletterer, die ihre Krfte mit der Schwerkraft messen. Einst eine Extremsportart, treibt das Klettern heute Tausende in Hal len und Felswnde. Der Berg und die Route bilden die Ressource. Die akti ven Kletterer, das sind die Commo ners, die sich eigenstndig auf kom plizierte Regelwerke geeinigt haben: Verhaltensregeln und Schwierigkeits grade. Einfach war das nicht und koniktfrei schon gar nicht. Aber heu te sind die Dierenzen berwunden. Die Kletterer kmmern sich um die Routen, sorgen fr stabile Veranke rungen, die vor gefhrlichen Strzen bewahren, zeichnen Routenskizzen

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Kapitel I Commons. Ein Paradigmenwechsel

und bezeichnen die Passagen mit einfallsreichen Namen. Auch Konikte mit Na turschtzern versucht man einvernehmlich zu lsen, was manchmal die Hilfe von Behrden erfordert. Schutzrechte und Patente gibt es nicht. Im Gegenteil: Die Cracks unter den Kletterern ernden stndig neue Routen und laden alle Welt dazu ein, sich daran zu versuchen. Dabei gilt die Regel: Dont leave footsteps! Ermgliche nachfol genden Kletterern, die Route in dem Zustand zu entdecken, in dem du sie ent deckt hast. Einige der so entstandenen Routen sind weltberhmt, wie The Nose am El Capitan im kalifornischen Yosemite-Nationalpark. In Tausenden von Jahren aber, wenn die Kletterer lngst ausgestorben sind, werden diese Felsen dort immer noch stehen. Ein Commons sind sie dann nicht mehr, denn das Commons ist die Sozialbeziehung: der Klettersport und nicht der Fels. Meine Begleiterin ist lngst ber alle Berge, und ich msste mich sputen, um sie einzuholen. Stattdessen stolpere ich durchs Gerll, versunken in philoso phische Betrachtungen. Aber die Commons haben mir eben die Augen genet. Und wie! Heute sehe ich berall Commons. In jedem Park, in dem Menschen zusam men Boule spielen, ein Glas Wein trinken und reden. An den Wasserquellen in Baktapur, wo die nepalesischen Frauen lange Schlangen mit ihren Wasserkrgen bilden und dort nach fr uns unsichtbaren Regeln Trinkwasser abfllen. Wenn ich mit meinem Sohn zum Angeln gehe oder mit rzten ber satellitengesttz te Telemedizin diskutiere, mit deren Hilfe ein Arzt in Zentralafrika die Expertise von Kollegen in Grobritannien nutzen knnte, wenn, ja wenn wir die Nutzung dieser Expertise als ein Commons und nicht als eine kommerzielle Dienstleistung organisieren wrden. Das Kaleidoskop der Commons ist bunt, und die Liste der Mglichkeiten, die ich sehe, wchst mit jedem Gedanken. Unten im Tal blken die Schafe. As a rational being, schrieb Hardin 1968, each herdsman seeks to maximize his gain. Als rationales Wesen versucht also jeder Schfer seine Gewinne zu maximieren? Als sei der Schfer dmmer als das Schaf. Als wre er nicht imstande, sich mit Kollegen auf Regeln zu einigen, die eine nach haltige Nutzung der Wiese im Interesse aller sichern. Wie bizarr erscheint mir heute dieser Kurzschluss im Gehirn, der uns blind macht fr die Tatsache, dass Menschen sich kooperativ verhalten wollen, wenn auch andere dies tun. Das un selige Bild vom Nutzenmaximierer versperrt uns die Sicht auf die Commons wie ein Brett vor dem Kopf. Mir fllt ein Satz ein, den ich vor zwanzig Jahren in meiner Dissertation geschrie ben habe: Seit Charles Darwin 1871 die gemeinsame Abstammung von Mensch und Ae postulierte, hat der Mensch versucht seinen prinzipiellen Unterschied zum Af fen zu denieren (Paysan 1994). Damals kam es mir gar nicht in den Sinn, die Frage selbst zu beantworten, aber heute erscheint mir die Lsung dieses Problems ganz einfach. Es ist das Broca-Areal, das Sprachfeld der Hirnrinde, das nur beim Menschen existiert. Und die Sprache ist das wichtigste Werkzeug der Kooperation. Jeder Wurm mit seinem Strickleiternervensystem kann konkurrieren, und wenn es nur um ein Erdloch ist. Was aber den Menschen ausmacht, ist die Fhigkeit zur vorausschauenden Kooperation auf abstraktem Niveau und in hchster Perfektion.

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Jacques Paysan Mein steiniger Weg zu den Commons

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Beim Versuch, meine Begleiterin einzuholen, stolpere ich ber einen Stein und lande unsanft auf dem Boden. Alles zu seiner Zeit, denke ich und setze mich ins Gras. Die Thematik ist komplex und nicht im Gehen zu lsen. Auch Konkur renz braucht ihren Raum. Ungeteilte Aufmerksamkeit zum Beispiel ist ein hart umkmpftes Gut. Wenn es um Anerkennung und Zuneigung geht, ndet Koope ration oft ein jhes Ende. Im Vergleich zu den potentiellen Problemen in einer Paarbeziehung ist die Frage, wie wir unseren Umgang mit Algorithmen und Me lodien, mit Rezepten, Literatur und wissenschaftlicher Erkenntnis, mit geistigem Eigentum, Autorenrechten und dem Zugang zu Badestrnden und Bildung regeln knnten, ja geradezu ein Kinderspiel. Aber wer sagt eigentlich, dass es einfach sein muss? Apropos schwierig! Die hrtesten Auseinandersetzungen hatten wir um Paten te und ber das Copyright. Warum sollte jemand von einem Text protieren, den er frech von mir abge kupfert hat?, fragte ich noch vor kurzem emprt. Warum eigentlich nicht?, denke ich heute. Solange er mich als Autor nennt. Was Tucholsky betrit, so zitiere ich ihn jedenfalls oft und gerne und sein Werk ist inzwischen gemeinfrei und von verwertungsrechtlichen Brden erlst. Erlst vom Gebirge, so schrieb er 1927, erlst vom Klettern und Steigen. In meinem Herzen liegt eine kleine Flocke, eben geboren, ein Ei: Sehnsucht nach den Pyrenen.

LiteraturPaysan, Jacques (1994): GABAA-Rezeptor-Subtypen als Area-Marker in der Onto genese des cerebralen Neocortex, Universitt Zrich. Tucholsky, Kurt (1927): Ein Pyrenenbuch, Rowohlt.

AbbildungenFotos: Jacques Paysan

Jacques Paysan (Deutschland) ist promovierter Neurobiologe und Commons-Fan und lebt in Mnchen. Ein Teil der Geschichte aus seinem Beitrag ist auf dem Blog http:// pyrenaeen.wordpress.com illustriert.

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Wirtschaft der VerschwendungDie Biologie der AllmendeAndreas Weber

ko-logisch: Die wahre konomie der BiosphreEs gibt eine seit Milliarden von Jahren erfolgreiche Allmendewirtschaft: die Bio sphre. Deren ko-logie ist jener irdische Haushalt von Energie, Stoen, Wesen, Beziehungen und Bedeutungen, der die menschengemachte ko-nomie enthlt und erst ermglicht. Licht, Sauersto, Trinkwasser, Klima, Boden, Energie versor gen auch den Homo oeconomicus der Gegenwart, der sich nach wie vor von Erzeug nissen der Biosphre ernhrt. Die Natur ist das gemeinwirtschaftliche Paradigma par excellence. Damit meine ich nicht nur, dass der Mensch mit den brigen Wesen whrend einer berwlti genden Zeitspanne nach den Standards einer Commons-Wirtschaft zusammenleb te. Ich bin vielmehr berzeugt, dass die Beziehungen innerhalb der Biosphre nach Allmendegesichtspunkten verlaufen. Darum kann uns die Natur eine schlagkrfti ge Methodologie fr die Allmende als eine neue natrliche und soziale kologie lie fern. Eine solche existentielle kologie der Allmende soll hier skizziert werden.

Wirtschaftsliberalismus als heimliche Metaphysik des LebensAber von welcher Natur ist die Rede? Um den Haushalt der Lebewesen ohne die Lasten der liberalistischen konomie bzw. Natur-Metaphorik zu betrachten, ist es zunchst ntig, ko-logie und ko-nomie des natrlichen Haushaltens neu zu verstehen. Wir knnen dabei in der Natur eine Entfaltungsgeschichte der Freiheit erkennen, zu der hin sich autonome Subjekte in gegenseitiger Abhngigkeit entwi ckeln. Diese Auassung steht freilich im Gegensatz zum gngigen Bild des Lebens und Stoaustausches in Biologie und Wirtschaftslehre. Wenige Modelle der Wirklichkeit waren in den letzten 200 Jahren so eng mit einander verschwistert wie die Theorie der Natur und die Theorie unseres Haus haltens. Beide Disziplinen fanden ihre heutige Form im viktorianischen England, beide prgten die entscheidenden Metaphern der jeweils anderen. Das fhrte dazu, dass Zustnde der Gesellschaft auf den Kosmos abgebildet und die dort na turwissenschaftlich gewonnenen Erkenntnisse wieder auf die Gesellschaft proji ziert wurden.

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Andreas Weber Wirtschaft der Verschwendung

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So lieferte Thomas Robert Malthus, ein politischer konom, mit der Idee von berbevlkerung und Ressourcenknappheit dem Biologen Charles Darwin das entscheidende Puzzlestck fr die These vom berleben des Fittesten. Diese erhob Daseinskampf, Konkurrenz, Wachstum und Optimierung still schweigend zu Axiomen unseres Selbstverstndnisses. Biologischer, technischer und sozialer Fortschritt werden allein aus der Summe einzelner Egoismen ge boren: Im immerwhrenden Wettkampf erschlieen sich Arten (Firmen) ihre Nischen (Mrkte) und erhhen so ihre berlebenschancen (Gewinnmargen), whrend schwchere (weniger eziente) zugrunde gehen (Konkurs anmelden). Die daraus entstandene Wirtschafts- und Bio-Metaphysik enthlt jedoch weniger eine objektive Weltbeschreibung als ein Urteil der Zivilisation ber sich selbst. Die konomie sah sich zunehmend als harte Naturwissenschaft. Sie leitete ihre Modelle aus Biologie und Physik ab bis hin zum mathematischen Begri des Homo oeconomicus. Dieser ein maschinengleich seinen Nutzen maximieren der kooperationsfeindlicher Egoist entwickelte sich zum heimlichen Modell des Humanen.1 Umgekehrt protierte auch die Evolutionsbiologie von konomischen Modellen. Das egoistische Gen ist kaum etwas anderes als ein auf die Biochemie zurckgespiegelter Homo oeconomicus (vgl. Dawkins 1978). Man knnte die Allianz zwischen Biologie und Wirtschaft eine konomische Naturideologie nennen. Diese regiert heute unser Verstndnis von Mensch und Kosmos. Sie deniert sowohl unsere krperliche Seite (den Homo sapiens als gen gesteuerte berlebensmaschine) als auch unseren gesellschaftlichen Aspekt (den Homo oeconomicus als egoistischen Nutzenmaximierer). Die Ratio hinter dem Wettkampf ums berleben ist immer rival und exklusiv2: Es geht darum, so viele Mitspieler wie mglich auszuschalten und sich das grte Stck vom Kuchen zu sichern, kurz: den anderen Leben zu stehlen. Geistesgeschichtlich war die Neuer ndung der Natur als konomischer Konkurrenz- und Optimierungsprozess eine zentrale Figur in der Einhegung der Allmende. Sie geht als geistige enclosure den realen Enteignungen und Vertreibungen voraus und legitimiert sie. Histo risch fallen die ersten Umwandlungen von Gemeineigentum in Privatkapital in die frhe Neuzeit (ca. 1500-1800). In derselben Epoche brach sich im Denken die Vorstellung des franzsischen Denkers Ren Descartes Bahn, dass der mensch liche Geist mit dem Krper nichts zu tun habe, dass dieser bloe Sache sei, ein mechanischer Automat, so wie alle brigen nichtmenschlichen Lebewesen auch. Eine solche Auassung ist die Absage an jede Form der Verbundenheit. Die Natur ist hier das Reich blinder Kausalzusammenhnge und somit fr die menschliche Selbsterfahrung als Bezugspunkt nicht mehr verfgbar so wie der griche Wald immer weniger fr den zum Tagelhner herabgestuften Bauern verfgbar war. Die Idee, dass die unmenschlichen Krfte von Optimierung und Selektion das Reich der bloen Dinge und damit letztlich auch uns beherrschen, ist nur die kon

1 | Zum Homo oeconomicus siehe den Beitrag von Friederike Habermann in diesem Buch (Anm. der Hg.). 2 | Die Begriffe Rivalitt und Exklusivitt werden im Beitrag von Silke Helfrich ab S. 85 erlutert (Anm. der Hg.).

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Kapitel I Commons. Ein Paradigmenwechsel

sequente Steigerung dieses Grundmodells der Entfremdung, des Grundmusters einer seelischen Exklusion. Die Einhegung der einst allen frei verfgbaren Natur reicht bis tief in unsere Psyche hinein. Unter Kontrolle geriet zunehmend auch die innere Wildnis des Menschen, der sich immer weniger als verkrperter Teil des wachsenden Gan zen versteht und sich somit in seinen Erfahrungen und Gefhlen vom Rest des Kosmos isoliert erfhrt bis hin zur heute gngigen Idee, Natur existiere nur als Begri, nicht als Realitt, whrend sie real zerstrt wird. Die konomische Naturideologie schliet Wildnis, die sich von selbst vervoll kommnet und die keinem Wesen gehrt, aus der menschlichen Empndung aus. Keine ber die Prinzipien von Konkurrenz und Optimierung hinausgehende Be schreibung kann noch Allgemeingltigkeit beanspruchen. Eine solche ist nichts als schne Illusion, der in Wahrheit die Triebkrfte des erbarmungslosen Wett bewerbs zugrunde liegen. Liebe reduziert sich auf die Wahl des besten Fortpan zungspartners, Kooperation erscheint als Trick im Ressourcenwettkampf und knstlerischer Ausdruck als konomie der Diskurse. Die Enteignung bemchtigt sich des Homo sacer (Giorgio Agamben), jenes tiefsten Kerns individueller Unversehrtheit im Menschen, der die verletzliche Leib lichkeit, die pure Krperexistenz des Menschen enthlt. In ihrer letzten Konse quenz droht die Einhegung der Allmende somit zu Biopolitik zu werden.

Natrlicher AntikapitalismusEine anderes Haushalten wird greifbarer, wenn sich nachweisen lsst, dass Bio logie anders funktioniert als ein Optimierungswettkampf. Ein neues Bild ist tat schlich berfllig, denn mittlerweile wird in der Biologie selbst die Geltung des Paradigmas Alle gegen alle in Frage gestellt. Der biologische Kosmos und dar in auch das Bild des Menschen wandelt sich von einem Schlachtfeld feindlicher Optimierungsmaschinen zu einem Reigen von Subjekten, denen ihr eigenes Exis tieren etwas bedeutet und die ihre Existenzen in einem bedingten Wettbewerb und unter schwacher Kausalitt miteinander aushandeln. Diese Wandlung ergibt fr die Schlagwrter des biologischen Liberalismus folgendes Bild: 1. zienz: Die Biosphre ist nicht ezient. Warmblter verbrauchen ber 97 E Prozent ihrer Energie allein zur Unterhaltung des Krpers. Die Photosynthe se erreicht einen lcherlichen Wirkungsgrad von rund sieben Prozent. Fische, Amphibien und Insekten mssen oft Millionen von Eiern legen, damit ein ein ziger Nachkomme berlebt. Statt ezient zu sein, ist die Natur redundant: Sie macht mgliche Verluste durch unvorstellbare Flle und atemberaubende Verschwendung wett. Sie ist nicht sparsam, weil die Grundlage aller Arbeit, die Sonnenenergie, als Geschenk vom Himmel fllt.3

3 | Weitere Beispiele finden sich im Gesprch zwischen Brian Davey, Silke Helfrich, Wolf gang Hschele und Roberto Verzola in diesem Buch (Anm. der Hg.).

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Andreas Weber Wirtschaft der Verschwendung

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2. Wachstum: Die Biosphre wchst nicht. Die Menge der Biomasse erhht sich nicht. Der Durchsatz steigert sich nicht: Die Natur betreibt eine SteadyState-konomie4 . Auch die Zahl der Arten vermehrt sich nicht notwendig, sie nimmt in manchen Epochen zu, in anderen wieder ab. Was sich aber erhht, ist die Vielfalt von Erfahrung: Empndungsarten, Ausdrucksweisen, Erschei nungsvarianten. Die Natur gewinnt somit nicht an Masse, sondern an Tiefe. 3. Konkurrenz: Noch nie ist nachweislich eine neue Art aus der Konkurrenz um eine Ressource entstanden. Arten werden vom Zufall geboren: Durch ber raschende Mutationen, durch die Isolation einer Gruppe vom Rest ihrer Art genossen, durch unerwartete Symbiosen, also durch Kooperation. Erhhte Konkurrenz allein etwa um einen begrenzten Nhrsto bewirkt biologisch Verdung. 4. Knappheit: Die grundlegende energetische Ressource der Natur, das Sonnen licht, ist im beruss vorhanden. Auch eine zweite entscheidende Ressource, die Zahl kologischer Beziehungen und neuer Nischen, ist nach oben unbe grenzt. Eine hohe Zahl von Arten und die Vielfalt der Beziehungen zwischen ihnen fhren in einem Lebensraum nicht zu verschrfter Konkurrenz und Do minanz eines Strkeren, sondern zu mehr Beziehungen zwischen den Arten und damit zur Steigerung der Freiheit bei Zunahme gegenseitiger Abhngig keit. Je mehr verschwendet wird, desto grer ist der Reichtum. 5. Eigentum: In der Biosphre existiert er nicht. Nicht einmal der eigene Krper gehrt einem Individuum sein Sto wechselt und wird dauernd durch Sauer sto, CO2 oder Nahrung ersetzt. Sprache ist von der Gemeinschaft der Spre cher hervorgebracht worden. Die Wildnis des von selbst Gewordenen, ber das der Einzelne nicht verfgt, durchzieht dessen innerste Identitt. Jede In dividualitt, jedes inmitten anderem Leben gelungene eigene Leben, ist somit einer sowohl biologischen als auch symbolischen Allmende geschuldet.

Commons-Elemente der BiosphreIm Laubwald gelten andere Regeln des individuellen und des gemeinschaftlichen Gedeihens als in einer Trockenwste, denn in der Natur entfalten sich Subjekte unter jeweils komplexen und lokal-spezischen, immer wieder neu entstehenden Beziehungen. Die Gesamtheit dieser Entfaltungen ist der Lebensraum, den die Wesen nicht einfach nutzen, sondern dessen Bestandteile sie sind. Ihr Gedeihen ist an das Gedeihen des gemeinsam hervorgebrachten Systems gekoppelt. Dessen Gesundheit liegt auf einem von Augenblick zu Augenblick neu errungenen pre kren Gleichgewicht zwischen zu viel Autonomie des Einzelnen und zu strengen Zwngen durch das Ganze. Die jeweiligen Erscheinungsweisen dieser Balance sind die sinnlichen Formen der Natur jene Schnheit des Lebendigen, welche die meisten Menschen mit dem Gefhl von Sinn und Zugehrigkeit erfllt. Die Natur als Ganze ist das Paradigma eines Haushaltes der Gemeingter. Nichts ist in ihr Monopol, alles ist Open Source. Nicht das egoistische Gen ist die4 | Zustand einer Wirtschaft, bei dem alle relevanten Gren relativ zueinander konstant sind (Anm. der Hg.).

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Kapitel I Commons. Ein Paradigmenwechsel

Quintessenz des Organischen, sondern der oenliegende Quelltext jeder geneti schen Information. Auch die Gene, die heute patentiert werden, sind natrlicher weise nicht rival und nicht exklusiv, und nur so bringen sie Neuheit zustande. Die DNA konnte sich in so viele Spezies versteln, weil alle ihren Code nutzen drfen, weil jeder das fr ihn Sinnvollste daraus basteln kann. So besteht das menschliche Erbgut zu etwa einem Fnftel aus den Genen von Viren. Wie es in der Natur kein Eigentum gibt, so gibt es auch keinen Abfall. Alle Verfallsprodukte sind Nahrung. Jedes Individuum macht sich, wenn es stirbt, einem anderen zum Geschenk, so wie es selbst durch die Gabe des Sonnenlichts seine Existenz empfangen hat. Zwi schen Geben und Nehmen herrscht ein Zusammenhang, in dem Produktivitt Verlust bedingt. In der kologischen Allmende stehen eine Vielzahl unterschiedlicher Indivi duen und Arten in mannigfachen Verbindungen Kooperation und Konkurrenz, Partner- und Beuteschaft, Produktivitt und Destruenz. Sie alle folgen jedoch einem bergeordneten Gesetz: Langfristig hat nur solches Verhalten Bestand, welches dem kosystem Produktivitt ermglicht und das Netz der Beziehungen nicht schlagartig zerstrt. Das Individuum kann sich nur selbst realisieren, wenn sich das Ganze realisiert. kologische Freiheit gehorcht dieser Notwendigkeit. Je tiefer die Bezge im Ganzen des Systems werden, desto mehr schpferische Ni schen bieten sich fr die einzelnen Teilnehmer.

Allmende als LebensbeziehungEine genaue Analyse der konomie der Natur ist in der Lage, eine Ontologie der Allmende zu liefern; das heit: eine allgemeine Theorie der Funktionsprinzipi en oder Muster der Allmende,5 welche die Unterscheidung zwischen materiell und sozial zu integrieren im Stande ist. Natrliche Prozesse denieren die Richtschnur, um den Umgang mit dem verkrperten, materiellen Aspekt unserer Existenz in eine Kultur unserer Lebendigkeit zu verwandeln. Der Begri der Allmende (oder Commons) liefert das verbindende Element zwischen dem Natrlichen der von selbst werdenden Welt der Wesen und Arten und dem Sozialen oder Kulturellen der Sphre der vom Menschen mittels symboli scher Systeme, Diskurse und Praktiken gemachten Dinge. Die Natur in ihremge nuinen Allmendecharakter zu verstehen ist ein Weg, uns selbst neu zu verstehen, und zwar sowohl in unserer biologischen wie in unserer sozialen Lebendig keit. Wenn die Natur tatschlich ein Allmendesystem ist, besteht konsequenter weise die einzige Mglichkeit, ein beglckendes Verhltnis zu ihr aufzubauen, in einem Haushalt der Gemeingter. Die Selbstrealisation der Art Homo sapiens ist in einem Allmendesystem gut aufgehoben, da Kultur die arttypische Realisierung unserer Lebendigkeit ist. Eine Gemeinschaft (zwischen Menschen und nicht menschlichen Akteuren) nach dem Prinzip der Commons zu organisieren heit

5 | Zur Idee universeller Muster von Commons-Prozessen siehe den Beitrag von Franz Nahrada in diesem Buch (Anm. der Hg.).

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Andreas Weber Wirtschaft der Verschwendung

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stets, individuelle Freiheit in und mit der Freiheit der Gemeinschaft zu erhhen (siehe Tabelle). Tabelle: Existentielle Auswirkungen verschiedener Arten des HaushaltensNeoliberalismus Konzentration Abhngigkeit Fragmentierung Kunden Lokal vs. global Gelingen = Verdrngung Patente Sieger: wer am meisten Ressourcen besitzt Ezienz Monopol Egos in feindlicher Umwelt System der Trennung Darwinismus Verdrngung Ressourcenabhngigkeit Sequentielle Optimierung berlebenskmpfer Lokal Gelingen = Verdrngung Beute- und Abwehrmechanismen Allmende (kologisch/sozial) Vielfalt Freiheit in Bezogenheit Integration Subjekt der Gemeinschaft Lokal und global (holistisch) Gelingen = Kompromiss Open source

Sieger: wer die hchste Sieger: wer am tiefsten relative Nachkommenzahl hat mit der Gemeinschaft verwoben ist Ezienz Dominanz Arten unter Selektionsdruck Vielfalt der Ausdrucksformen Selbstausdruck als Kultur Prekre Gemeinschaft der Individuen Netz der Teilhabe

Die Wirklichkeit ist, anders als unsere dem Dualismus verhaftete Kultur an nimmt, nicht in die zwei Substanzen des deterministisch gedachten Materiellen, der Biophysik, und des freiheitlich verstandenen Immateriellen, der Kultur und Gesellschaft, gespalten. Lebendige Wirklichkeit hngt vielmehr immer und auf jeder Ebene vom Gelingen einer prekren Balance zwischen Autonomie und Be zogenheit ab von einem schpferischen Prozess, in dem historisch und lokal einmalige Prinzipien fr die Steigerung des Ganzen durch die Selbstrealisierung des Einzelnen geschaen werden und umgekehrt. Es sind Funktionsprinzipien, die eine stets fragile Balance zwischen dem Einzelnen und der Gemeinschaft zum Ziel haben. Diese Grundstze gelten fr die Autopoiese, die Selbstherstellung des Organischen, ebenso wie fr eine gelungene menschliche Beziehung, fr das Ge deihen eines kosystems genauso wie fr gelingendes Wirtschaften im Einklang mit den Stohaushalten der Erde. Es sind die Gesetze der Allmende. Der Allmendegedanke ist somit das vereinende Band fr eine Weltsicht, die nicht lnger vom Gegensatz Natur Gesellschaft/Kultur ausgeht, sondern von den viel fltigsten Gemischen zwischen Kulturen und Naturen. Er hebt die Konkurrenz zwi schen dem kologischen und dem Sozialen auf. Im Kern einer jeden Existenz, die sich der Allmende verpichtet, liegt die Problematik, wie das Gedeihen des Einzelnen unter Steigerung des ihn enthaltenden und tragenden Ganzen realisierbar ist. Genau an diesem Punkt kehren die theoretischen berlegungen in die Praxis zurck, in die Rituale und Idiosynkrasien des Vermittelns, Kooperierens, Sanktionierens und Eini gens. Auch hier ist die Praxis der Allmende nichts anderes als die Praxis des Lebens.

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LiteraturDawkins, Richard (1978): Das egoistische Gen, Reinbek bei Hamburg.

Andreas Weber (Deutschland) ist promovierter Biologe, Philosoph und Autor. Sein Denken und Schreiben dreht sich um die Beziehung zwischen menschlichem Selbstver stndnis und der Natur. Er lebt in Berlin und Varese/Italien. Seine Aktivitten kann man unter http://autor-andreas-weber.de verfolgen.

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Wir werden nicht als Egoisten geboren

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Die Frau schreibt einen Brief, doch dann fllt ihr der Stift zu Boden. Sie beugt sich ber den Schreibtisch und versucht, nach ihm zu greifen, schat es aber nicht. Da erkennt der kleine Junge, dass er ihr helfen kann. Er geht zum Stift, hebt ihn auf und reicht ihn der Frau. Es handelt sich um ein Experiment mit 20 Monate alten Kindern: In einer ersten Phase zeigen sich fast alle hilfsbereit gegenber Erwachsenen, denen Gegenstnde entgleiten und die sich scheinbar vergeblich bemhen, sie wieder aufzuheben. Danach werden die Kinder willkrlich auf drei Gruppen verteilt: In der ersten reagiert die erwachsene Person gar nicht auf die Hilfe des Kindes, in der zweiten lobt sie das Kind und in der dritten belohnt sie es mit einem Spiel zeug. Ergebnis: Whrend die Kinder der ersten und zweiten Gruppe weiterhin wie selbstverstndlich helfen, zeigen die Kinder der dritten Gruppe berwiegend nur noch dann Hilfsbereitschaft, wenn sie dafr belohnt werden (Warneken/To masello 2008). Die Szene ist rhrend, beginnt der Philosoph Richard David Precht in sei nem Buch Die Kunst, kein Egoist zu sein sein Kapitel Was Geld mit Moral macht. Gemeint ist zunchst ein ganz hnlicher Versuch mit 14 Monate alten Kindern, die Erwachsenen helfen, eine Schranktr zu nen (Precht 2010: 314). Wer mchte, kann sich diese Experimente des Leipziger Max-Planck-Instituts fr Evolutionre Anthropologie im Internet anschauen.1 Doch das mit der dritten Kindergruppe n det sich dort nicht, und oen gestanden: Ich wrde es nicht sehen wollen. Es wre mir zu traurig. In einem Artikel mit dem Titel Der Gummibrcheneekt ber monetre An reize fr Mitarbeiter ndet sich im Internet auf der Plattform fr Innovations kultur folgendes Debakel, das der Wissenschaft lange bekannt ist: Man erzhle auf einem Kindergeburtstag eine spannende Geschichte von Piraten, Drachen und einem versunkenen Schatz. Anschlieend lsst man die Kinder Bil der zur Geschichte malen. Die Kinder strzen sich auf das Papier und zeichnen passioniert Piratenbuchten, Seeungeheuer und detaillierte Flotten von Piratenschien. Nun wird das Experiment variiert, und man fhrt ein Incentive-System1 | Webseite des Max-Planck-Instituts: http://email.eva.mpg.de/~warneken/video (Zu griff am 17.07.2011).

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ein. Fr jedes fertige Bild bekommt das Kind ein Gummibrchen. Zunchst ist die Begeisterung gro, doch schlagartig werden zwei Typen von Kindern sichtbar: Die Knstlerpersnlichkeiten arbeiten weiter mit gleichem Eifer an ihren Kunst werken und nehmen die Belohnung als positiven Nebeneekt mit. Die Unterneh merpersnlichkeiten hingegen steigen in die Massenproduktion ein: Nach dem Motto Punkt, Punkt, Komma, Strich fertig ist das Mondgesicht werden die Bilder immer schlampiger und schneller produziert. Als Zeichen ihres Erfolges trmen die Unternehmerpersnlichkeiten Gummibrchen vor sich auf. Die vl lig in ihren Bildern vertieften Knstlerpersnlichkeiten nehmen im Augenwinkel die Gummibrchenberge der Kollegen wahr und verlieren langsam, aber sicher die Lust an den Details ihrer Werke []. Es folgt die letzte Phase des Experiments: Die Spielregeln werden erneut gendert, erklrt, dass die Gummibrchen auf gebraucht sind. Schlagartig verlieren nicht nur die Unternehmer, sondern auch die Knstler ihre Motivation. Die Einfhrung und Abschaung eines IncentiveSystems hat aus einer hoch motivierten Rasselbande einen mies gelaunten Mob gemacht.2 Experimente mit Erwachsenen laufen auf hnliches hinaus. So hatte der ko nom Uri Gneezy bemerkt, dass im Kindergarten seiner dreijhrigen Tochter die Einfhrung einer Strafgebhr fr Eltern, die ihr Kind nachmittags zu spt ab holten, nicht zu dem gewnschten Ergebnis fhrte. Daraufhin lie er gemeinsam mit seinem Kollegen Aldo Rustichini in Haifa, Israel, in zehn anderen Kindergr ten prfen, wie viele Eltern zu spt kamen. Dann wurde ab einer Versptung von zehn Minuten jeweils ein Bugeld von zehn Schekel (etwa zwei Euro) eingefhrt. Ergebnis: Nun kamen im Schnitt mehr als doppelt so viele Eltern zu spt. Und selbst nachdem das Bugeld wieder abgeschat wurde, blieb es dabei. Was vorher eine soziale Qualitt gewesen war die betreuende Person nicht warten zu las sen , war nunmehr zu einer Quantitt degradiert, die das Verantwortungsgefhl noch weniger stimulierte. Dass es das Zusptkommen dann wieder umsonst gab, mag den Eltern wie ein Sonderangebot erschienen sein (Gneezy/Rustichini 2000). Precht spricht von der seltsamen Macht des Geldes: Es zerstre in uns den Sinn fr [] die individuellen Qualitten, fr das Seltene und Flchtige, fr den Moment, fr die Nhe und so weiter. Alles klingt farblos und indierent, wo das Geld den Taktstock schwingt. Das Leben erscheint vllig versachlicht so sehr, dass alles auer dem Geld an Bedeutung verliert (Precht 2010: 319). Auch von Wirtschaftswissenschaftlern durchgefhrte Kooperationsspiele mit Erwachsenen widersprechen zunchst dem ihrer Disziplin zugrunde liegenden Menschenbild des Homo oeconomicus, welcher stets auf den eigenen Vorteil be dacht ist; stattdessen zeugen sie von der Neigung, sich fair zu verhalten aller dings nur solange, bis der erste Egoist auftritt (vgl. Precht 2010: 394f)3 . Dabei ist es keine berraschung, dass beim Vergleich mit anderen Studierenden die Studie2 | Siehe unter: http://www.die-erfinder.com/innovationskultur/der-gummibarchen-effekt monetare-anreize-sind-fuer-mitarbeiter-nicht-alles (Zugriff am 16.08.2011) (Rechtschreib fehler im Zitat wurden korrigiert). 3 | Precht bezieht sich hier auf Experimente von Ernst Fehr.

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renden der Wirtschaftswissenschaften die ersten sind, die in solchen Spielsituatio nen die Kooperation aufgeben und unkooperative Strategien beginnen: Der Homo oeconomicus ist das, was sie tagtglich lernen. An dem grten derartigen Experiment nehmen wir alle teil: die moderne Geldwirtschaft. Auch ihr liegt das Menschenbild des Homo oeconomicus zugrunde. Dieser wird im Duden-Fremdwrterbuch (2005) beschrieben als der ausschlie lich von wirtschaftlichen Zweckmigkeitserwgungen geleitete Mensch. Zudem bezeichne er gelegentlich den heutigen Menschen schlechthin denn, siehe oben, die Reduktion des Lebens auf Verwertbarkeit, Egoismus und Konkurrenz ist das, was wir alle tagtglich lernen. In seinem Buch Homo oeconomicus verteidigt der Volkswirtschaftler Gebhard Kirchgssner diesen als gar nicht so unsympathisch, verhalte er sich doch eben so desinteressiert vernnftig wie der Priester und der Levit im Gleichnis vom barmherzigen Samariter, die den Mann, der unter die Ruber gefallen war, sahen und vorbeigingen: Soweit er zu seinem Nchsten nicht in einer besonderen Be ziehung stehe, bedeute es ihm nichts, ob es diesem gut oder schlecht gehe (Kirch gssner 2000: 47). Eben dies sei der Vorteil der modernen konomischen Theo rie: Sie geht von einem realistischen Menschenbild aus und [] behauptet nicht, dass sie unter anderen Bedingungen besser werden (ebd.: 27). Precht kommt zu einem anderen Schluss: Strenges und hartes Nutzenkalkl, Rcksichtslosig keit und Gier sind nicht die Haupttriebkrfte des Menschen, sondern das Ergeb nis einer gezielten Zchtung. Den Ursprung des Egoismus durch kapitalistische Zuchtwahl knnte man diesen Prozess nennen in Anlehnung an das berhmte Hauptwerk von Charles Darwin (Precht 2010: 394). Feministinnen diskutieren seit ber zwei Jahrzehnten einen poststrukturalis tischen Ansatz, der die Tatsache, dass der Mensch mit seinem sozialen Kontext verwoben ist, ebenso theoretisch zu fassen versucht wie die andere Tatsache, dass Menschen diesen Kontext selbst immer wieder konstruieren und ihn dabei vern dern. Deshalb sind unsere Krper und (Mit-)Gefhle nur zusammen mit all dem denkbar, was uns prgt; aber dennoch sind wir mehr als ein leeres Blatt, welches rein passiv vom gesellschaftlichen Diskurs beschrieben wird (Habermann 2008). Sicher sind wir keine autonom denkenden und empndenden Individuen, son dern mit unserem ganzen Sein Teil unserer Gesellschaft. Woher aber sollte Mit gefhl kommen, wenn nicht aus uns Menschen? Erkenntnisse der Epigenetik zeigen, wie unsere Biologie, einschlielich unse rer Gene, gar nicht gedacht werden kann ohne die jeweiligen Umwelteinsse. Der kanadische Arzt und Autor Gabor Mat betont, niemand sei zu trennen von der Umgebung, in der er oder sie aufwachse. Die allein genetische Argumentation erlaube, nicht zu hinterfragen, was es an sozialen, politischen oder konomischen Bedingungen gebe, indem man sich auf eine fundamentale und unvernderliche menschliche Natur berufe. Entsprechend unterliege unserer auf Wettbewerb aus gelegten Gesellschaft der Mythos, Menschen seien von Natur aus kompetitiv, in dividualistisch und eigenntzig. Im Gegenteil aber sei nur in einer einzigen Hin sicht von menschlicher Natur zu sprechen, und das sei die Existenz bestimmter menschlicher Bedrfnisse: Wir haben als Menschen ein Bedrfnis nach Gesell schaft und engem Kontakt; danach, geliebt zu werden, Anschluss zu haben, ak

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zeptiert zu werden, gesehen zu werden; fr das angenommen zu werden, was wir sind. Wenn dieses Bedrfnis erfllt wird, entwickeln wir uns zu mitfhlenden und kooperativen Menschen, die Empathie fr andere haben.4 In unserer Gesellschaft sei aber oft das Gegenteil zu beobachten was zu anderen Charaktereigenschaften fhre. Ohne diese als essentiell und ahistorisch vorauszusetzen, wird auch im post strukturalistischen Feminismus davon ausgegangen, dass sich solche Bedrfnisse, sofern sie unerfllt bleiben, als Melancholie in der Psyche eines Subjekts nieder schlagen. Hanna Meiner spricht von einem Verlust, der nicht betrauert werden kann, weil er als Verlust gar nicht bewusst ist, da die verlorene oder ausgeschlosse ne Lebensoption im Rahmen der symbolischen Ordnung als mgliche Option gar nicht denkbar ist (Meiner 2008: 30). Was dies fr eine Suche nach einer glcklicheren Gesellschaft bedeutet, ist oen sichtlich. Jedes Mal, wenn behauptet wird, es knne keine bessere Gesellschaft geben und kein weniger auf Selbstsucht beruhendes Wirtschaftsmodell, denn die Men schen seien nun mal so, knnen wir mit Richard David Precht entgegnen: Wir werden nicht als Egoisten geboren, wir werden dazu gemacht (Precht 2010: 316). Die Erkenntnis, dass materielle Belohnungen den Charakter verderben, so Precht, habe etwas zutiefst Verstrendes. Schlielich beruhe unser ganzes Wirt schaftssystem auf einem solchen Tauschhandel. Und wenn konomie die Fortset zung der Ethik mit anderen Mitteln ist, wie dies unter anderem von dem konom Karl Homann behauptet wird was ist das dann fr eine Ethik, wegen der tglich Zigtausende Menschen verhungern? Jene, die nicht gengend zum Tausch anzu bieten hatten. Entsprechend lautet die Frage, wie Menschen sich ohne eine, auch von Precht als illusorisch dargestellte, Grokritik unseres gesamten Wirtschaftssystems die ser seltsamen Macht des Geldes entziehen knnen sollten? Zu Recht bezeichnet der Sozialpsychologe Harald Welzer die sogenannte Realpolitik als Illusionspolitik, wenn man sieht, wie sehr vor dem Ausma der weltweiten gesellschaftlichen Katas trophen die Augen verschlossen werden. Insofern sei nur utopische Politik realis tisch: Fetischisierung und Sakralisierung von Wachstum und solchen im Grunde genommen Pseudokonzepten aus der Vergangenheit fhren zu illusionren Wirk lichkeiten wie Realpolitik wirklich nur die Herstellung einer Illusion eines Status quo ist, der gar nicht mehr existiert. Das heit, was im Moment Realpolitik ist, ist Illusionspolitik, und was Utopismus ist, ist Realismus weil utopisches Handeln bzw. eine utopische Handlungsmaxime sind insofern ja realistisch, als sie davon ausgehen, so wie jetzt knnen wir einfach nicht weitermachen, und es muss einen ganz fundamentalen Wandel geben, und zwar keinen Wandel [] im Kontext be stehender Praktiken, sondern was wir brauchen ist eine Vernderung des Rah mens selber, der Praktiken selber.5

4 | Zitat aus dem Film Zeitgeist Moving Forward (2011); siehe unter: http://www.youtube. com/watch?v=AQNktvqGkkQ (Zugriff am 19.08.2011). 5 | Harald Welzer auf der Utopia-Konferenz 2009; siehe unter: http://www.youtube. com/watch?v=Ov-gnuj3wY8&feature=related (Zugriff am 16.08.2011).

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Welzer antwortet auf Prechts Frage nach einer sozialen und kologischen Radi kalerneuerung auf demokratischem Weg mit einem Pldoyer fr die Vernderung kultureller Praxis man msse sie als politisch verstehen.6 hnlich verorten nicht zuletzt Feministinnen seit Jahrzehnten Ansatzpunkte fr eine andere Wirtschaftsweise in den dissidenten Praktiken (Carola Mller) des Alltags. Dies bedeutet nicht, dass andere Rume des Politischen bedeutungslos wren, doch bilde die Vernderung unserer tglichen Praktiken in einer Form, die eben auch den Rahmen dieser Praktiken zu verndern vermag, eine wesentliche Grundlage: Wenn wir verstanden haben, dass es uns Menschen nur verwoben mit unserer Umwelt gibt, verstehen wir auch, dass neue Denk- und Handlungsho rizonte nur im Zusammenspiel mit der vernderten Umwelt, sprich: mit einem vernderten materiell-konomischem Alltag entstehen. Die Gesellschaft formt uns mageblich, so ebenfalls Robert Maurice Sapol sky, Professor fr Neurologie an der Stanford University. Unterschiedliche Gesell schaften individualistische und kollektivistische brchten ganz unterschied liche Menschen mit unterschiedlichen Denkweisen hervor. Und er warnt: In einer Welt, in der es um Aufstieg gehe, in der Menschen sich als Teil unterschiedlicher Schichten denierten wie im heutigen Kapitalismus, htten sie nur wenige eben brtige Menschen, mit denen sie reziproke, ebenbrtige Beziehungen verbinden. Dies aber fhre zu weniger Altruismus.7 Der englische Ausdruck fr ebenbrtige Menschen, welchen Sapolsky be nutzt, heit peers. Commons-based peer production nennt der Harvard-Pro fessor Yochai Benkler die Art und Weise, wie Freie Software entsteht ein Ph nomen, das die auf den Homo oeconomicus gesttzte Theorie nicht zu erklren imstande ist.8 Erst im Nachklang meines Buches Halbinseln gegen den Strom. Anders leben und wirtschaften (2009) ber Anstze alternativen Wirtschaftens im deutschsprachigen Gebiet wurde mir deutlich, dass dies im Grunde ebenfalls die Prinzipien sind, die sich aus den jngeren Initiativen herauslesen lassen. Etwas weniger umstndlich spreche ich hier von Ecommony, doch der Gedanke von Sapolsky macht mich nachdenklich, ob das peer nicht zu wichtig ist, um es auszulassen. Denn aus diesen Grundstzen ergibt sich und das ist der entscheidende Punkt struktu relle Gemeinschaftlichkeit (Stefan Meretz), welche Kooperation statt Konkurrenz frdert und Menschen andere Entfaltungsmglichkeiten ernet.9 Diese Halbinseln sind Rume (tatschlich territoriale oder schlicht soziale), in denen Menschen sich ein Stck weit eine andere Wirklichkeit erschaen und ausprobieren, wohin es gehen knnte. Es sind Rume, die es Menschen durch6 | Ebd., Teil 2: http://www.youtube.com/watch?v=aS3Eck7c-3Q&feature=related (Zu griff am 16.08.2011). 7 | Zeitgeist Moving Forward, a.a.O. 8 | Vergleiche dazu auch die Beitrge von Christian Siefkes und Michel Bauwens/Franco Iacomella in diesem Buch (Anm. der Hg.). 9 | Zumal eine Untersuchung von Machtverhltnissen seien es sexistische, rassisti sche oder andere ergibt, dass sie immer als Grundlage die Konstruktion der Nicht-Eben brtigen, der Anderen implizieren und voraussetzen; vgl. Habermann 2008.

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die darin gelebten anderen Selbstverstndlichkeiten erlauben, sich anders zu ent wickeln.10 Allerdings: Wie eine davon inspirierte Gesellschaft im Detail aussehen kann, knnen wir in unserem heutigen Sein gar nicht wissen. Tausch, Wettbewerb und Sich-durchsetzen-Mssen haben uns geformt. Wir brauchen neue Erfahrun gen, in denen wir uns verndern und so neue Erkenntnisse erlangen knnen. Inso fern ist nicht nur realistisch, was im Augenblick durchfhrbar erscheint: Die Welt formt uns, und wir formen die Welt.

LiteraturGneezy, Uri/Rustichini, Aldo (2000): A Fine is a Price, in: Journal of Legal Stu dies, Vol. XXIX, No. 1, S. 1-17. Habermann, Friederike (2008): Der Homo oeconomicus und das Andere. Hegemo nie, Identitt und Emanzipation, Baden-Baden. Habermann, Friederike (2009): Halbinseln gegen den Strom. Anders leben und wirtschaften im Alltag, Knigstein. Habermann, Friederike (2011): Solidaritt wr eine prima Alternative. Oder: Brot, Schoki und Frei