Transcript of Erfolgsfaktor Personal: Zukunft des Gesundheitswesens
Erfolgsfaktor Personal Zukunft des Gesundheitswesens
Centaurus Verlag & Media UG 2010
Zu den Herausgebern:
Dr. Frank Deickert ist Leiter von: ,,Gesundheitsmarkt", Vertrieb
Marketing Labordiagnostik bei Rache Diagnostics Deutschland
GmbH.
Prof. Dr. Björn Maier ist Professor und Studiengangleiter an der
Dualen Hochschule Baden-Württemberg Mannheim.
Prof. Dr. Dr. Siegfried Schwab ist Professor und Studiengangleiter
an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg Mannheim sowie
Lehrbeauftrag ter an der deutschen Hochschule für
Verwaltungswissenschaften in Speyer und an der Universität
Mainz/Germersheim.
Die Herausgabe des Buches wurde durch die freundliche Unterstützung
der Rache Diagnostics Deutschland GmbH ermöglicht.
Herausgeber und Verlag danken für die Unterstützung.
Bibliografische Informationen der Deutschen
Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in
der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische
Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
ISBN 978-3-86226-008-9 ISBN 978-3-86226-393-6 (eBook) DOI
10.1007/978-3-86226-393-6
ISSN 2190-8850
Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und
Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des
Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder
ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmi gung des Verlages
reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme
verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
© CENTAURUS Verlag & Media KG 2010
Umschlaggestaltung: Jasmin Morgenthaler Satz: Vorlage der
Herausgeber
Zum Geleit
Wir haben Band 1 einer neuen Schriftenreihe „Mannheimer Schrif ten
zur Gesundheitswirtschaft" an der Dualen Hochschule Baden-Württem
berg Mannheim in den Händen. Unse re beiden Studiengänge
„Gesundheits wesen und soziale Einrichtungen" und „Öffentliche
Wirtschaft" tragen die inhaltliche Verantwortung.
Die Schriftenreihe widmet sich Fragen der Gesundheitswirtschaft -
einem Wirt schaftszweig, der vor vielen neuen Herausforderungen
steht. Dieser Band behandelt auch gleich ein zentrales Thema im
Gesundheitswesen: das Personal. Es ist eine wichtige Kostenart bei
den Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen. Ferner ist die Qualität des
Personals für die Leistungsfähigkeit des Gesundheitswesens von
zentraler Bedeutung und ein wesentlicher Erfolgsfaktor, wie es ja
auch der Titel des Bandes schon aussagt. Ich danke den Herausgebern
für das Projekt und wünsche eine gute Zukunft.
Prof. Dr. Rainer Beedgen
.Duale Hochschule Baden-Württemberg Mannheim
Ich wünsche der neuen Schriftenreihe viel Erfolg, eine umfangreiche
Verbreitung und dass sie einen Beitrag leisten möge zur
Weiterentwicklung unseres Gesundheits wesens.
Dr. Frank Deickert
Roche Diagnostics Deutschland GmbH
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
haben wir es mit wohlfeilen Schlag worten zu tun? Erfolgsfaktor
Perso nal, Bildung und lebenslanges Ler nen, menschliche Führung,
hohe ethi sche Ansprüche beim Umgang mit der Belegschaft, all das
sind oft gehörte Begriffe insbesondere in der durch die Finanz- und
Wirtschaftskrise gepräg ten politischen Diskussion.
Besinnen wir uns hingegen auf grundlegende Erfahrungen in
Dienstleistungs branchen, so ist unzweifelhaft: entscheidend für
den Erfolg eines Dienstleistungsun ternehmens sind die
Mitarbeiter, die Fach- und Führungskräfte. Durch ihren Einsatz, ihr
Know-how und ihre Qualifikation bestimmen sie Produktivität,
Innovativität, Kundenfreundlichkeit, Kostenbewusstsein und andere
erfolgsbestimmende Faktoren ganz maßgeblich.
Im Gesundheitswesen ist diese Erkenntnis für die Mitarbeiter an der
Front, die Pfle gerinnen und Pfleger, die Ärztinnen und Ärzte eine
Selbstverständlichkeit: im Um gang mit dem Patienten zählt in
erster Linie die persönliche Kompetenz - in fach licher und
menschlicher Hinsicht.
Inzwischen ist aber auch immer mehr die Belegschaft im Hintergrund
von zentraler Bedeutung für den Erfolg jeder
Gesundheitseinrichtung. Effiziente kunden orientierte Prozesse,
reibungslose und schnelle administrative Abläufe, ein kosten
günstiger Einkauf oder ein zielgerichtetes Controlling sind in
verstärktem Maße gefragt, um die Wirtschaftlichkeit genauso wie die
Kundenzufriedenheit sicher zustellen. Damit steigen die
Anforderungen an die fachliche Aus- und Weiterbildung und an die
sogenannten „soft skills". Aus dem früheren Stereotyp des
bürokratischen
X Stephan Huxold
Den Erfolgsfaktor Personal gibt es natürlich nicht kostenlos.
Bedenkt man den nach wie vor sich beschleunigenden Zuwachs an
Wissen, die zunehmende Komplexität der Zusammenhänge, die
notwendige Souveränität in der Beherrschung von Metho dik oder die
Fähigkeit zur intelligenten Problemlösungsfindung, so wird der Ruf
nach lebenslangem Lernen unmittelbar offensichtlich. Unternehmen
der Gesund heitsbranche dürfen genau wie in anderen Branchen den
Weiterbildungsbedarf ihrer Mitarbeiter nicht unterschätzen.
Gleiches gilt für jeden Berufstätigen im eigenen Interesse: die
Beschäftigungsfähigkeit des Einzelnen ist der zentrale
Erfolgsfaktor für die individuelle Karriere und mehr denn je von
einem kontinuierlichen Wis sensfortschritt abhängig.
Ich wünsche Ihnen eine erkenntnisreiche Lektüre!
Dr. Stephan Huxold
Inhalt
Neue Herausforderungen verlangen nach neuen Lösungen
Karrieremodell: Gesundheitscontrolling Björn Maier
...........................................................................................................
XIX
Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) - Ein präventives und
rehabilitatives Instrument der Personalfürsorge Sarah Bohländer
.......................................................................................................
I
Electronic Healthcare im Krankenhausbereich Ralf Daum
................................................................................................................
I 5
Personalmanagement im Verpflegungsbetrieb Martin Meyer
...........................................................................................................
4 7
Personalführung in der Sozialwirtschaft Christiane Willing
....................................................................................................
65
Kündigung schwerbehinderter Arbeitnehmer - Grenzen der
Klagebefugnis und Verwirkung des Klagerechts mit Anmerkungen von
Siegfried Schwab unter Mitarbeit von Silke Schwab
...........................................................................................................
97
Unentschuldigtes Fehlen (Selbstbeurlaubung) - Ausübung eines
Zurückbehaltungsrechts - unzulässige Rechtsausübung mit
vertiefenden Anmerkungen von Siegfried Schwab unter Mitarbeit von
Silke Schwab
..........................................................................................................
I 15
Krankheitsbedingte Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen -
betriebliches Eingliederungsmanagement nach § 84 Abs. 2 SGB mit
vertiefenden Anmerkungen von Siegfried Schwab und Silke Schwab
............. 125
ArbG Stuttgart: Keine mehrmalige Inanspruchnahme von Pflegezeit pro
pflegebedürftigen nahen Angehörigen mit Erläuterungen von Siegfried
Schwab unter Mitarbeit von Silke Schwab und Heike Schwab
...........................................................................
133
XII Inhalt
Entgeltzahlung trotz fehlender Arbeit - kurzzeitige und persönliche
Verhinderung mit Erläuterungen von Siegfried Schwab unter Mitarbeit
von Silke Schwab und Heike Schwab
...........................................................................
151
Das EFZG in der neueren Rechtsprechung - Entgeltfortzahlung im
Krankheitsfall mit Erläuterungen von Siegfried Schwab unter
Mitarbeit von Silke Schwab und Heike Schwab
...........................................................................
157
Das Apothekengesetz mit vertiefenden Anmerkungen von Siegfried
Schwab unter Mitarbeit von Silke Schwab
..........................................................................................................
17 3
,, Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats - Niederlassungsfreiheit
- Freier Kapitalverkehr - Art. 43 EG und 56 EG - Gesundheit der
Bevölkerung - Apotheken - Vorschriften, die Apothekern das Recht
vorbehalten, eine Apotheke zu betreiben - Rechtfertigung - Sichere
und qualitativ hochwertige Versorgung der Bevölkerung mit
Arzneimitteln - Berufliche Unabhängigkeit der Apotheker -
Vertriebsunternehmen von pharmazeutischen Produkten - Kommunale
Apotheken" mit vertiefenden Erläuterungen von Siegfried Schwab
unter Mitarbeit von Silke Schwab
..........................................................................................................
181
Verdachtskündigung - Zulässigkeit und rechtsstaatliche Grenzen mit
vertiefenden Hinweisen und Erläuterungen von Siegfried Schwab unter
Mitarbeit von Silke Schwab und Heike Schwab
.................................................... 193
Vorwort
Wirtschafts- und Finanzkrisen bleiben nicht ohne Auswirkungen auf
die Arbeits verhältnisse. Die Betriebe streben Kosten senkungen
auch ohne vereinbarten ver traglichen Vorbehalt an. Dabei kommen
vorrangig die Instrumente, die den Vertrag aufrechterhalten in
Betracht: Flexibilisierung von Entgelt und Arbeitszeit, Kurzarbeit,
Änderungskündigung und Einsparungen bei der Altersversorgung.
Finden sich durch diese Instrumente keine passenden Lösungsansätze,
muss man sich Gedanken zum Umgang mit betroffenen Mitarbeitern,
deren Arbeitsverhältnis beendet werden soll, machen und sich mit
den menschlichen Aspekten, Emotionen der Betroffenen,
Befindlichkeiten der Verblei benden kritisch auseinandersetzen.
Schließlich haben Veränderungen im Unterneh men, die mit
Personalabbau einhergehen, erhebliche Auswirkungen auf die Unter
nehmenskultur. Nicht nur das Image nach innen (Identifikation) und
außen (Kun denbindung) ist in Gefahr. Die verbleibenden
Mitarbeiter verlieren das Vertrauen in die Führungskräfte
(Motivationsknick und Loyalitätskonflikte). Sie denken krisen
hafter (Risikoscheu, Innovationsstau). Leistungsträger sehen sich
nach anderen Be schäftigungsmöglichkeiten um
(Know-how-Verlust).
Änderungskündigung zur Entgeltsenkung - Geldmangel allein entlastet
den Ar beitgeber nicht, weil er das Wirtschaftsrisiko trägt.2 Die
Dringlichkeit eines schwer wiegenden Eingriffs in das
Leistungs-/Lohngefüge, wie es die Änderungskündigung
1 Prof. Dr. jur. Dr. rer. publ., Mag. rer. publ. 2 BAG, NZA 2006,
587.
XIV Siegfried Schwab
zur Durchsetzung einer erheblichen Lohnsenkung darstellt, ist nur
dann begründet, wenn bei einer Aufrechterhaltung der bisherigen
Personalkostenstruktur weitere, betrieblich nicht mehr auffangbare
Verluste entstehen, die absehbar zu einer Redu zierung der
Belegschaft oder sogar zu einer Schließung des Betriebs führen. Der
Arbeitgeber bleibt grundsätzlich an den einmal geschlossenen
Arbeitsvertrag gebun den, auch wenn er später Arbeitnehmer zu für
ihn günstigeren Bedingungen einstel len kann. Dies gilt auch dann,
wenn eine neue gesetzliche Regelung die Möglichkeit vorsieht, durch
Parteivereinbarung einen geringeren tariflichen Lohn festzulegen,
als er dem Arbeitnehmer bisher gesetzlich oder vertraglich zustand.
Eine Änderungs kündigung im Anwendungsbereich des KSchG bedarf
ebenso der sozialen Rechtfer tigung gern. § 1 Abs. 2 KSchG wie
eine Beendigungskündigung.3 Dies ergibt sich aus § 2 S. 1 KSchG,
der bestimmt, dass der Arbeitnehmer das Änderungsangebot unter dem
Vorbehalt der sozialen Rechtfertigung der Änderung der
Arbeitsbedin gungen annehmen kann. Die Unrentabilität des Betriebs
kann einer Weiterbeschäfti gung des Arbeitnehmers zu unveränderten
Bedingungen entgegenstehen und ein dringendes betriebliches
Erfordernis zur Änderung der Arbeitsbedingungen darstel len, wenn
durch die Senkung der Personalkosten die Stilllegung des Betriebs
oder die Reduzierung der Belegschaft verhindert werden kann und die
Kosten durch an dere Maßnahmen nicht zu senken sind.4 Die
betriebsbedingte Änderungskündigung kann die aus wirtschaftlichen
Gründen sonst erforderlich werdende Beendigungs kündigung
vermeiden. Da sie oft das einzige dem Arbeitgeber zur Verfügung
ste hende Mittel darstellt, den Arbeitsplatz zu sichern, ist sie
im Regelfall zulässig. Maßgebend ist, ob die betrieblichen
Erfordernisse einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers zu
unveränderten Bedingungen entgegenstehen. Die betrieblichen
Erfordernisse müssen dringend sein. Der ArbG greift bei der
Änderungskündigung zur Entgeltsenkung nachhaltig in das
arbeitsvertraglich vereinbarte Verhältnis von Leistung und
Gegenleistung ein, wenn er die vereinbarte Vergütung
reduziert.5
Regelmäßig ist deshalb ein umfassender Sanierungsplan zu erstellen,
der alle gegen über der beabsichtigten Änderungskündigung milderen
Mittel ausschöpft.6 Der Arbeitgeber muss die Finanzlage des
Betriebs, den Anteil der Personalkosten, die Auswirkung der
erstrebten Kostensenkungen für den Betrieb und für die Arbeitneh
mer darstellen und darlegen, warum andere Maßnahmen nicht in
Betracht kommen.
3 BAG, NZA 1990, 734; NJOZ 2002, 1487. 4 BAG, NZA 2006, 92. 5 BAG,
NZA 2006, 92 = AP KSchG 1969 § 2 Nr. AP KSCHGl969 § 81; BAGE 79,
159 = NZA
1995, 626. 6 BAG, NZA 1999, 255 = AP KSchG 1969 § 2 Nr. § 50 = EzA
KSchG § 2 Nr. 31 und BAG, NZA
1999, 1336 = AP KSchG 1969 § 2 Nr. 53 = EzA KSchG § 2 Nr. 35.
Vorwort - Das Arbeitsrecht in Krisenzeiten XV
Aufgrund der präzisen und hohen Anforderungen an die Begründung ist
eine Ver gütungsreduzierung durch Änderungskündigung praktisch
aussichtslos. Der ArbG muss arbeitsvertraglich geeignete
Flexibilisierungsregelungen vereinbaren, die es ihm ermöglichen,
auf wirtschaftliche Schwankungen zu reagieren. In Betracht kom men
insbesondere Widerrufs- und Freiwilligkeitsvorbehalte. Etwa: Die
Zahlung der Zulage erfolgt unter dem Vorbehalt des jederzeitigen
Widerrufs. Vom Widerrufs recht kann Gebrauch gemacht werden, wenn
ein betriebliches Erfordernis vorliegt, insbesondere wenn der
Jahresgewinn des Unternehmens unter X % des Jahresum satzes
sinkt.
Zu den klassischen Flexibilisierungsmethoden sind in den letzten
Jahren Vergü tungsmodelle mit Zielvereinbarung entwickelt worden.
Sie gehören zum innova tiv-motivierenden Handwerkszeug moderner
Personalführung. Sie verknüpfen nicht nur die Leistungen des
Mitarbeiters mit den erwarteten Zielen des Unternehmens, sondern
eröffnen den Mitarbeitern die Chance auf mehr Einkommen. Wer aber
ein festes Gehalt zugunsten des variablen Teils mindert, riskiert
am Ende des Abrech nungszeitraums Verluste. Zielvereinbarungen
sind in! Sie eröffnen Chancen und Risiken für die Beteiligten,
stärken die Motivation und Identifikation mit dem je weiligen
Betrieb, bilden die Grundlage einer gerechteren Personalbeurteilung
und haben letztlich eine leistungsgerechtere Entlohnung zur Folge.
Zusammenfassend kann man nur festhalten - eine neue Arbeits- und
Unternehmenskultur kann dadurch entstehen. Voraussetzung für eine
erfolgreiche Umsetzung ist allerdings die frühzei tige Einbindung
und Beteiligung der Mitarbeiter bei der Zielfestlegung. Damit ver
bunden sind allerdings auch ständige Informations- und
Zielüberprüfungsgespräche, ein Soll/Ist - Vergleich und eine mit
dem Gesamtprozess einhergehende standardi sierte Leistungs- und
Verhaltenskontrolle.7 Die für den Fall der Zielerreichung zuge
sagte variable Vergütung dient als Anreiz. 8 Diese Anreizfunktion
kann eine an das Erreichen von Zielen geknüpfte variable Vergütung
nur erfüllen, wenn es dem Arbeitnehmer möglich ist, die von ihm zu
verfolgenden Ziele auch zu erreichen. Im Einzelfall ist zu prüfen,
ob es sich um eine echte, vertragliche Vergütungsvereinba rung
gekoppelt mit konkret messbaren Unternehmenszielen handelt, oder ob
der ArbG einseitig Ziele kraft seines Direktionsrechts vorgegeben
hat. Zielbonussys teme dienen der Mitarbeitermotivation. Der Bonus
erfüllt seine Funktion als zusätz licher Anreiz aber nur, wenn
realistische Ziele vereinbart werden, die der Arbeit-
7 Vgl. Riesenhuber/Steinau-Steinrück, NZA 2005, 785 ff.; Annuß, NZA
2007, 290 ff.; Lischka, BB 2007, 552 ff; Schmied!, BB 2004, 329
ff.; Däubler, NZA 2005, 793 ff.
8 BAG, NJW 2008, 872 = NZA 2008, 409 = AP BGB§ 280 Nr. 7 = EzA BGB
2002 § 611 Gratifi kation, Prämie Nr. 22.
XVI Siegfried Schwab
nehmer grundsätzlich erfüllen kann.9 Die Inhaltskontrolle von
Zielvereinbarungen nach § 307 Abs. 1 BGB greift, wenn die variable
Vergütung mehr als 30 % der Gesamtvergütung ausmacht. 10 Maßgeblich
ist die tatsächliche Höhe des Entgelts, ob es im gehobenen Bereich
oder eher am Rande des Existenzminimus liegt. Faust formel sei 2/3
des Tariflohns. Hat der Arbeitnehmer nach dem Arbeitsvertrag
Anspruch auf einen Bonus, wenn er die von den
Arbeitsvertragsparteien gemein sam für jedes Geschäftsjahr
gesondert festzulegenden Ziele erreicht, kann der Arbeit nehmer
Schadensersatz verlangen, wenn eine solche Zielvereinbarung aus
Grün den, die der Arbeitgeber zu vertreten hat, nicht getroffen
wird. Die für den Fall der Zielerreichung vereinbarte Bonuszahlung
ist Grundlage für die Ermittlung des dem Arbeitnehmer zu
ersetzenden Schadens. Der Arbeitgeber kann bei einer nicht abge
schlossenen Zielvereinbarung nach Ablauf der Zielperiode gern. §
280 Abs. 1 und Abs. 3 BGB i. V. mit §§ 283 S. 1, 252 BGB
verpflichtet sein, dem Arbeitnehmer wegen der entgangenen Vergütung
Schadensersatz zu leisten. 11 Oblag es dem Arbeitgeber, die
Initiative zur Führung eines Gesprächs mit dem Arbeitnehmer über
eine Zielvereinbarung zu ergreifen und hat er ein solches Gespräch
nicht anberaumt, hat er eine vertragliche Nebenpflicht verletzt.
Auch dann, wenn der Arbeitgeber nicht allein die Initiativpflicht
hat, verletzt er eine vertragliche Nebenpflicht und kann deshalb
zur Leistung von Schadensersatz verpflichtet sein, wenn er der Auf
forderung des Arbeitnehmers nicht nachkommt, mit ihm eine
Zielvereinbarung ab zuschließen. Allerdings ist der Arbeitgeber
nach § 280 Abs. 1 S. 2 BGB nicht zur Leistung von Schadensersatz
verpflichtet, wenn er das Nichtzustandekommen einer
Zielvereinbarung nicht zu vertreten hat. Weist der Arbeitgeber
nach, dass er seiner arbeitsvertraglichen Verpflichtung, für jede
Zielperiode gemeinsam mit dem Arbeitnehmer Ziele festzulegen,
nachgekommen ist und dem Arbeit nehmer Ziele vorgeschlagen hat,
die dieser nach einer auf den Zeitpunkt des Ange bots bezogenen
Prognose hätte erreichen können, fehlt es an einer Verletzung der
Verhandlungspflicht des Arbeitgebers und damit an einer
Voraussetzung für einen Schadensersatzanspruch des
Arbeitnehmers.
Für einen Entlastungsnachweis des Arbeitgebers ist es allerdings
unzureichend, wenn dieser von Verhandlungen über eine
Zielvereinbarung abgesehen hat, weil der
9 BAG, Urteil vom 12. Dezember 2007 - 10 AZR 97/07; vgl. auch
Pelzer, Arbeitsrechtliche Ziel vereinbarungen -
Individualrechtliche Grundlagen. Einführung von
Zielvereinbarungssystemen, 2007. Leistung muss sich wieder lohnen,
Blanke, AuR 2007, 420 f. Zu flexiblen Vergütungsmo dellen und den
Chancen und Vorteilen auch Reiserer, NZA 2007, 1249 f.
10 Horcher, BB 2007, 2065[; vgl. auch Hromadka/Schmitt-Rolfes, NJW
2007, 1780. 11 BAG, NJW 2008, 872 = NZA 2008, 409 = AP BGB § 280
Nr. 7 = EzA BGB 2002 § 611 Gratifi
kation, Prämie Nr. 22.
Arbeitnehmer bisher die festgelegten Ziele nicht oder nicht
vollständig erreicht hat. 12
In der Regel reicht es für den Entlastungsnachweis des Arbeitgebers
deshalb noch nicht aus, wenn dieser nachweist, dass er dem
Arbeitnehmer die Fortführung einer abgelaufenen Zielvereinbarung
angeboten und der Arbeitnehmer dieses Ange bot abgelehnt hat. Dies
gilt insbesondere dann, wenn sich die für den Abschluss der
abgelaufenen Zielvereinbarung maßgebenden Rahmenbedingungen der
Leistungs erbringung durch inner- oder außerbetriebliche Einflüsse
geändert haben. Eine ver änderte innerbetriebliche Organisation
und/oder eine andere Wettbewerbssituation oder Wirtschaftslage
können dazu führen, dass die bisherigen Ziele vom Arbeitneh mer
nicht mehr oder auch leichter erreicht werden können und die
Parteien sich des halb im Vergleich zur abgelaufenen Zielperiode
auf weniger ehrgeizigere oder auf anspruchsvollere Ziele
verständigen müssen, um dem mit dem Abschluss einer Ziel
vereinbarung verbundenen Sinn und Zweck gerecht zu werden. Ist
nicht vereinbart, dass eine getroffene Zielvereinbarung nach Ablauf
der Zielperiode nachwirkt, bis sie durch eine andere Abmachung
ersetzt wird, ist dieser Wille der Arbeitsvertragspar teien zu
achten.
Macht der Arbeitgeber den Abschluss einer Zielvereinbarung davon
abhängig, dass der Arbeitnehmer einer Änderung des Arbeitsvertrags
zustimmt, und lehnt der Arbeitnehmer die ihm angetragene Änderung
der Arbeitsbedingungen ab, hat der Arbeitgeber das
Nichtzustandekommen der Zielvereinbarung zu vertreten. Hat er im
Arbeitsvertrag dem Arbeitnehmer eine zusätzliche Vergütung für den
Fall versprochen, dass dieser die für jede Zielperiode neu
aufzustellenden Ziele erreicht, darf er sein Angebot zum Abschluss
einer Zielvereinbarung nicht daran knüpfen, dass der Arbeitnehmer
einer Änderung des Arbeitsvertrags zustimmt.
Der vorliegende Band der Mannheimer Schriften befasst sich mit
weiteren arbeits rechtlichen und personalpolitischen
Flexibilisierungsinstrumenten. Die einzelnen Abhandlungen sollen im
betrieblichen Ablauf Ratgeber und Diskussionsgrundlage sein. Sie
richten sich aber auch an die Studierenden der Dualen Hochschule,
die sich während ihres Studiums mit arbeitsrechtlichen und
personalwirtschaftlichen Fragen beschäftigen.
12 BAG, NJW 2008, 872 = NZA 2008, 409 = AP BGB § 280 Nr. 7 = EzA
BGB 2002 § 611 Gratifi kation, Prämie Nr. 22.
Neue Herausforderungen verlangen nach neuen Lösungen
Karrieremodell: Gesundheitscontrolling
Björn Maier1
Die Gesundheitswirtschaft ist einer der am schnellsten wachsenden
Wirtschafts zweige in Deutschland. Die Duale Hoch schule
Baden-Württemberg hat - in Kooperation mit der Graduate School
Rhein Neckar gGmbH und dem Deutschen Verein für
Krankenhauscontrolling e.V. - einen Studiengang
„Gesundheitsmanagement und -controlling" zum Master of Business
Administration (MBA) entwickelt, der den Veränderungen in der
Gesundheitswirt schaft, dem damit verbundenen Wachstum und den
daraus resultierenden Verände rungen Rechnung trägt.
Verschiedenste Mechanismen haben in den letzten Jahren dazu
geführt, dass die Wirtschaftlichkeit in der Gesundheitswirtschaft
immer mehr an Bedeutung gewon nen hat. Dabei geht es primär nicht
um die reine Kostenreduzierung, sondern die Anwendung der
wirtschaftlichen Prinzipien; eine gegebene Qualität mit möglichst
geringem Input zu erreichen oder eben mit den gegebenen Mitteln
eine möglichst gute Qualität zu erzielen.
Viele - sich teilweise auch überlagernde - Tendenzen führen zum
sogenannten Kostendruck, der aber eher als Wirtschaftlichkeitsdruck
bezeichnet werden sollte. So führt der demographische Wandel mit
Sicherheit zu einem Ansteigen der Gesamt kosten im
Gesundheitssystem; die damit einhergehende Steigerung der Nachfrage
führt aber auch entsprechend zu einzelwirtschaftlichen Chancen.
Diese sind aber nur
1 Prof. Dr. Björn Maier ist Professor und Studiengangleiter an der
Dualen Hochschule Baden Württemberg, Mannheim.
XX Björn Maier
realisierbar, wenn das einzelne Angebot wirtschaftlich ist und
damit das Gesamt paket bezahlbar bleibt.
Neben diesen gesamtgesellschaftlichen Faktoren, zu denen auch die
veränderte Einstellung zur individuellen Gesundheit, sowie die sich
wandelnden Anforde rungen und Ansprüche an die Arbeitswelt gehört,
führen aber vor allem die organisatorischen Veränderungen im
gesamten Gesundheitssektor dazu, dass die Wirtschaftlichkeit und
die Steuerung von Organisationen immer wichtiger wird.
Die Anforderungen gehen inzwischen weit über die Steuerung
einzelner Organi sationen oder gar nur Organisationseinheiten
hinaus. Parallel zur Entwicklung in vielen anderen Sektoren der
Volkswirtschaft lässt sich beobachten, dass immer mehr eine
Steuerung ganzer Wertschöpfungsketten über Organisationsgrenzen
hinweg notwendig wird. Schlagworte wie: Integrierte Versorgung,
Medizinische Versor gungszentren oder Hausarztmodelle sind nicht
nur eine Frage der Organisation der Medizin und damit des Angebots,
sondern in erster Linie auch eine Frage der Steue rung der
jeweiligen Prozesse.
Steuerung als die korrekte Übersetzung des englischen Begriffes
Controlling stellt Anforderungen an alle Beteiligten. Dies führt
dazu, dass alle Berufssparten und wis senschaftlichen Disziplinen
in den beteiligten Organisationen über die Sektoren- und
Spartengrenzen hinweg zusammen arbeiten müssen. Um dieses Bestreben
verwirk lichen zu können, ist es notwendig Personal mit
entsprechender Methodenkompe tenz und entsprechendem Fachwissen in
allen Bereichen der Organisation zu veran kern.
Eine solche Controllingorganisation lässt sich auf zwei Arten
verwirklichen: durch interne Personal- und Talententwicklung oder
durch externe Personalakquisi tion. Ein Blick in den Stellenmarkt
macht aber deutlich, dass der Bedarf an ausgebildeten Controllern
mit Fachwissen im Gesundheitssektor übersteigt das Angebot bei
Weitem. Controller mit speziellem gesundheitswirtschaftlichem
Wissen sind oft nur bei den Mitbewerbern zu finden. So bleiben zur
Personalgewinnung zwei Wege: internes Personal wird entsprechend
weitergebildet und entwickelt oder externes Personal mit
Methodenkompetenz, aber (noch) ohne das einschlägige Fachwissen
wird rekrutiert.
Bei beiden Varianten bleibt aber eine Notwendigkeit: Meist muss das
spezielle Methoden- und/oder Fachwissen entsprechend geschult
werden. Denn sowohl die Nachwuchskräfte aus den eigenen
Organisationen, als auch die Quereinsteiger aus anderen Branchen
bringen gewisse Schlüsselqualifikationen für die zukünftige Auf
gaben nicht mit.
Dabei gehen die Aufgaben und Anforderungen schon heute weit über
das klassi sche Wirtschaftscontrolling eines Betriebes oder das
Medizincontrolling hinaus.
Neue Herausforderungen verlangen nach neuen Lösungen XXI
Ganze Prozesse und daraus abgeleitet Behandlungspfade von
Präventionsangeboten über Akutbehandlungen bis hin zur
Rehabilitation und Pflege müssen entsprechend gesteuert werden.
Schließlich kann dies häufig nicht als eine isolierte Frage des
Medizincontrollings oder des Erlöscontrollings behandelt werden,
sondern es fließen eben auch sehr schnell Teilaspekte des
Personal-, Liquiditäts- oder Finanzcontrol lings in diesen
Steuerungsprozess mit ein.
Reha & Pf lege 1 - ~ - . - - .
Abb. 1: Steuerungsrelevante Teilgrößen für ein Curriculum
Eine zusätzliche Schwierigkeit, gerade für Quereinsteiger oder
Berufsanfänger ohne entsprechendes „Know how", ist darüber hinaus
das spezifische Zielsystem in der Gesundheitswirtschaft. Hier geht
es in erster Linie um Qualität, unter Beachtung von Kosten und
Zeitvorgaben und nicht wie in vielen anderen Bereichen der
Wirtschaft um die reine Gewinnmaximierung.
Die notwendigen speziellen Bildungsangebote sind aber
organisationsintern nur schwer in qualifizierter Form zu erbringen.
Selbst wenn es entsprechend qualifizierte Manager gibt, sind deren
Ressourcen für Schulung und Entwicklung für Nach
wuchsführungskräfte meist völlig erschöpft. Daraus entsteht die
Notwendigkeit ein entsprechendes Bildungsangebot maßzuschneidern,
das nicht nur die theoretische Fach- und Methodenkompetenz des
Einzelnen fördert, sondern ihn auch optimal auf sein praktisches
Einsatzfeld in seiner Organisation vorbereitet oder sogar dabei be
gleitet. Lernen in der Theorie und in der Praxis sollen im
Idealfall vereint sein. Dabei sollten sich entsprechende theorie-
und praxisorientierte Lehrveranstaltungen abwechseln und die
praxisorientierten Bestandteile schon frühzeitig weit in das
tägliche „Business" hineinreichen.
XXII Björn Maier
Diese Dualität verlangt, dass es eine enge Verzahnung zwischen der
Arbeitsstätte und der ausbildenden Institution geben muss, die
allerdings nicht die wissenschaftli che Freiheit beschränken darf.
Idealerweise wird dies in Form eines „Leaming Agreements", inkl.
dokumentierter Rechten und Pflichten festgelegt. Dies verlangt
einen engen Konsens über die gesamte Zielsetzung des Programms
zwischen der Nachwuchsführungskraft und aller beteiligten
Institutionen.
Inhaltlich muss die Aus- und Weiterbildung einerseits mit der
gebotenen Breite erfolgen, allerdings muss darauf geachtet werden,
dass die erlangten Erkenntnisse auch sofort fachspezifisch - im
optimalen Fall sogar organisationsspezifisch - an gewendet werden
können. Im Bereich der Fach- und Methodenkompetenz geht es vor
allem darum den Schwerpunkt auf die Fragestellungen zu legen, die
für einen Controller in seiner täglichen Arbeit von entsprechender
Relevanz sind. Dies be deutet, dass im Idealfall, immer vor dem
Hintergrund der gesundheitswirtschaftli chen Fragestellungen,
folgende Inhalte im Fokus stehen:
• Controlling: von der Philosophie über das Handwerkszeug im
Bereich des operativen Controllings bis hin zur
Strategieunterstützung.
• General Management: von den Grundlagen der
Betriebswirtschaftslehre über die marktorientierte Führung bis hin
zur Positionierung des Betriebs.
• Informationstechnologie und Wissensmanagement: von den Grundlagen
des Informationsmanagements über Relationship-Managementsysteme bis
hin zum Data Warehouse und der Business Intelligence.
Buls· ebene
(1. Semester)
Abb. 2: Säulen des Curriculums im Bereich Gesundheitsmanagement und
-controlling
Neue Herausforderungen verlangen nach neuen Lösungen XXIII
Dabei ist es elementar, dass die ganze Bandbreite von der
Vermittlung des fachli chen und methodischen Grundlagenwissens
über die operativen Aufgaben bis hin zu den strategischen
Implikationen in den jeweiligen Teilbereichen abgedeckt ist.
Neben der Vermittlung von Fach- und Methodenkompetenz, die als Hard
Skills bezeichnet werden können, ist es gerade für die zukünftigen
Gesundheitscontroller von großer Bedeutung, dass ein besonderer
Wert auf die Vermittlung von Soft Skills gelegt wird. Gerade bei
Controllingansätzen über die Organisationsgrenzen hinweg ist
besonderes Fingerspitzengefühl und kommunikatives „Know how"
erforderlich. In solchen Verbünden und Kooperationsformen kann das
Controlling meistens nicht mit entsprechender Weisungskompetenz
agieren, sondern es muss via Einfluss management operiert werden.
Positiver Nebenaspekt: Die Verbesserung der Soft Skills führt zur
Steigerung der Führungskompetenz und ebnet den Weg auf der wei
teren Karriereleiter.
Eine Herausforderung bei der Entwicklung eines Karrieremodells für
Controller in der Gesundheitswirtschaft stellen sicherlich die
schon beschriebenen unterschied lichen Ausbildungen und Zugänge zu
diesem Berufsbild dar. Dabei darf nicht über sehen werden, dass es
„das Controlling" in der Gesundheitswirtschaft nicht gibt. Es gibt
Controller, die eher im Bereich medizinischer Fragestellungen
angesiedelt sind, es gibt Controller, die sich um eher
betriebswirtschaftliche Fragestellungen küm mern und es gibt
zunehmend mehr Controller, deren Tätigkeit große Schnittmengen zu
beiden Teilbereichen hat.
Der Findung einer gemeinsamen Sprache und der Steigerung des
Problembe wusstseins dient auf jeden Fall eine
Grundlagenausbildung in beiden Teilbereichen. Im Rahmen eines
Qualifizierungsstudiums kann solch eine Grundlagenausbildung
sicherlich nicht ein fachspezifisches Studium ersetzen, aber einen
vertiefenden Ein blick gewähren. Zu überlegen ist, inwieweit die
weitergehende Ausbildung dann auf die speziellen Einsatzfelder der
jeweiligen Controller ( etwa: Medizincontrolling/
Finanzcontrolling) zugeschnitten sein muss oder inwieweit hier
schwerpunktmäßig auf die Vermittlung der Methodenkompetenz Wert
gelegt werden sollte.
Das Controlling in der Gesundheitswirtschaft steht durch die
Veränderung des gesamten Sektors vor einem großen Wandel und wohl
auch Entwicklung. Das Managen von Schnittstellen, schon heute
innerhalb von Organisationen eine große Herausforderung, wird bei
Kooperationen von Organisationen noch eine weit größere Bedeutung
erlangen. Aus diesem Grund wird es zukünftig noch wichtiger werden
zielgerichtet Zahlen und Informationen zu sammeln, aufzubereiten
und zur Entscheidungsunterstützung vorzubereiten. Dies ist die
ursprüngliche Aufgabe des Controllings.
Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) - Ein präventives und
rehabilitatives Instrument
der Personalfürsorge
Sarah Bohländer1
1. Aktualität und gesundheitspolitische Relevanz
,,Der zuverlässigste Weg, in die Zukunft zu sehen, ist das
Verstehen der Gegenwart."
(John Naisbitt)
Die Signale der Gegenwart sind offensichtlich, Unternehmen sollten
die Warnzei chen erkennen und sich für die Zukunft rüsten.
Globalisierung und Strukturwandel der Wirtschaft erhöhen den
Zeitdruck, den Erfolgszwang sowie die Komplexität und den Umfang
der Arbeitsaufgaben. Mitarbeiter sind zunehmend höheren psycho
mentalen und psychosozialen Belastungen ausgesetzt. Es ist nicht zu
verachten, dass sich die Gesundheit des Individuums in permanenter
Interaktion mit seiner Umwelt entwickelt.2 Und - die Gesundheit des
Einzelnen hat eine hohe Relevanz für ein ,gesundes Unternehmen',
sie ist eine Voraussetzung für außerordentliche Unterneh
mensergebnisse. Eng damit verbunden ist die Herausforderung des
demografischen Wandels. Niedrige Geburtenraten vermindern die
Anzahl qualifizierter Nachwuchs kräfte, sodass der
Arbeitskräftebedarf zunehmend aus dem Kreis älterer Arbeitneh mer
gedeckt werden muss. ,,Im Ergebnis ist klar, dass Unternehmen die
Zukunft nur mit gesunden, motivierten und flexiblen Mitarbeitern
erfolgreich bewältigen können und sie sich daher viel stärker auch
um die Gesundheit ihrer Beschäftigten kümmern
1 Bachelor of Arts. 2 Vgl. Maikranz, Frank C./Mäkinen, Mirja:
Betriebliches Gesundheitsmanagement und Generation
50+, 2008, S. 241.
2 Sarah Bohländer
müssen, nicht zuletzt, um im Wettbewerb um gute Nachwuchskräfte
nicht"3 der Konkurrenz zu unterliegen.
Das BEM gemäß § 84 Abs. 2 SGB IX knüpft mit seinem präventiven und
rehabi litativen Charakter genau an diesen Satz an. Es dient seit
1. Mai 2004 als neue Ge setzesgrundlage der Förderung des
Wohlbefindens und der Gesundheit von Ange stellten. Derzeit ist
jeder Arbeitgeber, unhängig von der Größe oder Rechtsform,4
verpflichtet, seinen Beschäftigten ein BEM anzubieten, sobald diese
länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt innerhalb
von zwölf Monaten arbeitsunfä hig sind. Mit der Verpflichtung,
bereits nach sechs Wochen aktiv zu werden, möchte der Gesetzgeber
vermeiden, dass eine hinderliche Trennung vom Betrieb
erfolgt.5
Ferner hat das BEM gemäß dem Wortlaut der Gesetzesgrundlage zum
Ziel:
• die bestehende Arbeitsunfähigkeit zu überwinden, • erneuter
Arbeitsunfähigkeit vorzubeugen, • den Arbeitsplatz zu
erhalten.
2. Ansatzpunkt
• • •
Sonderfehlzeiten Krankenstand Absentismus8
3 Heilmann, Wolfgang: Gesunde Mitarbeiter als Erfolgsfaktor, 2007,
S. 54 f. 4 Vgl. Muschiol, Thomas; DeCoite, Friederike: Abmahnung
und Kündigung - was tun?, 2006,
S. 84. 5 Vgl. www.sozialportal.de 6 Klimecki, Rüdiger G./Gmür,
Markus: Personalmanagement, 2005, S. 342. 7 Vgl. Brandenburg,
Uwe/Nieder, Peter: Betriebliches Fehlzeiten-Management, 2003, S.
15. 8 Vgl. Kolb, Meinulf: Personalmanagement, 2008, S. 154.
Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) 3
Krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit und Absentismus sind entweder
auf außer betriebliche (Familienstand, Lebensalter, Berufsstatus,
usw.) oder betriebliche Ein flussfaktoren (Arbeitsplatzsicherheit,
Führungsstil, usw.) zurückzuführen.9 Eine Be fragung von
Führungskräften aus verschiedenen Branchen hat 2004 ergeben, dass
diese zu 74% betriebliche Ursachen als Auslöser für den
Krankenstand vermuten. 10
In sozialer wie ökonomischer Hinsicht tragen gesunde, motivierte
und gut ausge bildete Mitarbeiter nachhaltig zum Erfolg eines
Unternehmens bei. Dementspre chend sollten Unternehmen neben dem
gesetzlich verpflichtenden BEM durch wei tere direkte und
indirekte Methoden dem Krankenstand, der mit 80 % den Hauptteil der
drei F ehlzeitenarten ausmacht, entgegenwirken. 11 Denn Fehlzeiten
erstrecken sich als Kosten- und Störfaktor in viele Bereiche. Sie
verändern den generellen Ar beitsprozess der Führungskräfte und
Kollegen des erkrankten Arbeitnehmers.
Einige Methoden zur Fehlzeitenreduktion sind in Tabelle l
aufgelistet.
Direkte Methoden Indirekte Methoden • Fehlzeitengespräche •
Gezielte Personalauswahl • BEM • Soziale Mitarbeiterbetreuung •
Überstundeneinschränkung • Vorschlagswesen • Entlassung oder
Versetzung • Berichtswesen • Prämien • Motivationsmaßnahmen
Tab. 1: Methoden zur Fehlzeitenreduktion. Quelle: Eigene
Darstellung in Anlehnung an Bröckermann, Reiner:
Personalwirtschaft (2001), S. 302 und www.haufe.de
3. Fundamentale Parameter
3.1. Beteiligte des BEM
Im Rahmen des BEM hat der Arbeitgeber mit der zuständigen
Interessenvertretung im Sinne des § 93 SGB IX, bei
(schwer-)behinderten Menschen außerdem mit der
Schwerbehindertenvertretung (Vgl. § 94 SGB IX), sowie mit dem
betroffenen Mit arbeiter zusammenzuarbeiten. Zusätzlich können
interne Fachkräfte (Werks- oder
9 Vgl. Schmohl, Michael: Betriebliche Fehlzeiten, 2003, S. 10. 10
Vgl. Bitzer, Bernd: Fehlzeiten als Chance, 2005, S. 8. 11 Vgl.
Klimecki, Rüdiger G./Gmür, Markus: Personalmanagement, 2005, S.
343.
4 Sarah Bohländer
Die folgende Grafik veranschaulicht die beteiligten Personen des
Eingliederungs prozesses.
Übersicht über die wichtigsten Akteurinnen/Akteure:
• wertet Krankheitszeiten aus und macht Gesprächsangebote
- holt Zustimmung der Arbeitneh merin/des Arbeitnehmers ein
- bindet mit Zusllmmung weitere Akteure ein
- klart zusammen mit PR mögliche Maßnahmen
/~ ' ergänzende•beratende Funktion
• bestimmt weitere Bete1h9te neben dem Arbeitgeber
- ist während des BEM m,~.wkungsverpfllchtet
intern
Abb. 1: Übersicht über die wichtigsten Akteure. Quelle: Bonorden,
Volker (2008): Leitfaden zum Betrieblichen
Eingliederungsmanagement (in der Freien und Hansestadt Hamburg), S.
10
Jeder dieser Beteiligten hat sowohl Rechte als auch Pflichten
innerhalb des BEM Verfahrens. Der Arbeitgeber dient als
Koordinator und ist für den gesamten Ablauf verantwortlich.
13
3.2. Ablauf des BEM
Im Auftrag des Bundesministerium für Arbeit und Soziales führten
die Arbeitsge meinschaft Deutscher Berufsförderungswerke mit dem
Institut für Qualitätssiche rung in Prävention und Rehabilitation
GmbH ein gemeinsames Projekt zur ,Ent wicklung und Integration
eines Betrieblichen Eingliederungsmanagements (EIBE-
12 Vgl. www.lwv-hessen.de 13 Vgl. www.sozialportal.de
Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) 5
Projekt) durch. Im Zeitraum April 2005 bis März 2007 wurde in 25
Berufsförde rungswerken ein BEM entwickelt. Ziel des Projektes war
es, Abläufe zu testen, Erfahrungen zu sammeln und mit dem
gewonnenen Know-how die Skepsis und Unsicherheiten anderer
Arbeitgeber bezüglich der Neuregelung abzubauen.
Innerhalb der Projektzeit erstellten die Projektpartner folgenden
Kernprozess, der sich als praktikabel herausstellte:
,· . \v
Aus ihren eigenen Auswertungen und Erkenntnissen entwickelte das
EIBE-Team folgende Empfehlungen:
• BEM-Team einrichten • Ziele und Abläufe festlegen • Regelungen
zum Datenschutz erarbeiten
6 Sarah Bohländer
• interne Gesundheitspolitik weiterentwickeln14
,,Das ideale, passgenaue betriebliche Eingliederungsmanagement wird
aus dem un ternehmensspezifischen Bedarf heraus entwickelt!"15
Doch diese aus der Praxis - und nicht nur durch theoretische
Überlegungen - entstandenen Punkte liefern Unter nehmen fundierte
Hilfestellungen und können als Wegweiser bei der Implementie rung
eines BEM dienen.
Die zu ergreifenden Maßnahmen sind vielfältig und von Fall zu Fall
unterschied lich. Das Spektrum umfasst drei Schwerpunkte:
Maßnahmen der Prävention, Ge sundheitsförderung und
Rehabilitation. Konkret könnten z.B. folgende Handlungen ergriffen
werden:
• interne Versetzung • Nutzung von Arbeitshilfen • Raumgestaltung •
stufenweise Wiedereingliederung
3.3. Finanzierung des BEM
Die Finanzierungsfrage des BEM ist in § 84 Abs. 2 SGB IX nicht
geklärt. Lediglich wird in Abs. 3 die Möglichkeit aufgezeigt,
Prämien und einen Bonus von den Reha bilitationsträgern und
Integrationsämtern zu erhalten. Auch in den verschiedenen ver
öffentlichten Handlungsempfehlungen wird kaum auf die Finanzierung
eingegangen. Da das BEM eine Angelegenheit des Arbeitgebers ist,
lässt sich daraus schließen, dass er dieses finanziell zu tragen
hat. Unterstützung kann er durch externe Partner bekommen, indem
diese auf Grundlage des § 33 und § 34 SGB IX für Leistungen zur
Teilhabe am Arbeitsleben aufkommen und z.B. Ausbildungs- und
Eingliede rungszuschüsse beisteuern. Bei einer stufenweisen
Wiedereingliederung gemäß § 28 SGB IX zahlen die gesetzlichen
Krankenkassen Krankengeld und je nach Notwen digkeit die Unfall-
oder Rentenversicherungsträger laufende Leistungen. 16
Wie in§ 84 Abs. 3 SGB IX und§ 102 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. d SGB IX
i.V.m. § 26c SchwbA V verankert, kann der Arbeitgeber daneben
Prämien oder einen
14 Vgl. www.eibe-projekt.de 15 www.bmas.de 16 Vgl.
www.eibe-projekt.de
Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) 7
Bonus von den externen Beteiligten erhalten. Über Art, Höhe und
Zeitpunkt dieser ist nichts niedergeschrieben. Teilweise wird die
Meinung vertreten, dass die Zulage an gewissen Kriterien wie einer
schriftlichen Vereinbarung zur Implementierung eines BEM, dem
Bestehen einer Interessenvertretung17 oder einem eingeführten
Frühwarnsystem18 festgemacht wird.
Vereinzelt interpretieren Autoren die Zuwendungshöhe mit Bezug auf
die Emp fehlung der Bundesarbeitsgemeinschaft der
Integrationsämter und Hauptfürsorge stellen wie folgt: ,,Die Höhe
der Prämie wird jedem Integrationsamt anheim gestellt. Die Prämie
soll spürbar sein und dem Aufwand der Betriebe bei der Erstellung
einer Vereinbarung gerecht werden. Ein Betrag bis zu EUR 20.000
erscheint angemes sen.'.i9
Da keine klaren Aussagen zur Finanzierung des BEM getroffen sind,
empfiehlt es sich, die Servicestellen und das Integrationsamt zu
den einzelnen BEM-Fällen zuvor zu kontaktieren und von ihnen prüfen
zu lassen, ob und von wem Kosten übernom men werden. 20
3.4. Einfluss des BEM aufkrankheitsbedingte Kündigungen
Der Verstoß gegen die Verpflichtung zur Durchführung des BEM ist
nicht im Ord nungswidrigkeitskatalog des § 156 SGB IX aufgeführt
und bleibt somit ohne staatli che Sanktion.
In den Medien wird stark diskutiert, welche Bedeutung dem BEM bei
einer krankheitsbedingten Kündigung zukommt. Verschiedene
Gerichtsurteile zeigen, dass dieses im Kündigungsrechtsstreit eine
gewisse Relevanz aufweist.
Eine Entlassung, die in den Geltungsbereich des § 1 KSchG und § 23
KSchG fällt, ist dann wirksam, wenn sie sozial gerechtfertigt ist.
Die ständige Rechtspre chung gibt vor, eine krankheitsbedingte
Kündigung nach einem dreistufigen Schema des Bundesarbeitsgerichts
zu prüfen:
• negative Gesundheitsprognose • erhebliche Beeinträchtigung der
betrieblichen Interessen des Arbeitgebers • Einzelfallbezogene
Interessenabwägung.21
17 Vgl. www.haufe.de 18 Vgl. Britschgi, Siggy: Krankheit und
betriebliches Eingliederungsmanagement, 2006, S. 25. 19 Bauer,
J.-H.; Röder, G./Lingemann, S.: Krankheit im Arbeitsverhältnis,
2006, S. 108. 20 Vgl. www.eibe-projekt.de 21 Vgl. Breuer,
Frank/Rath, Martin: Krankheit und Kündigung, 2003, S. 20.
8 Sarah Bohländer
„Mit der Einführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements in
§ 84 Abs. 2 SGB IX wird zunehmend die Frage aufgeworfen, ob
betriebliches Eingliederungs management; eine weitere
Vorraussetzung für die wirksame krankheitsbedingte Kündigung
ist."22
In einem Urteil vom 7. Dezember 2006 führte das
Bundesarbeitsgericht aus, dass „die Unterlassung des Verfahrens zu
Lasten des Arbeitgebers bei der Bewertung des Kündigungsgrundes
Berücksichtigung findet"23 • Der Arbeitnehmer kann argumen tieren,
dass eine künftige Arbeitsunfähigkeit und die daraus resultierende
Beendi gung des Arbeitsverhältnisses hätten vermieden werden
können, wenn frühzeitig nötige Eingliederungsmaßnahmen ergriffen
worden wären. Dadurch wäre der aktu elle schlechte
Gesundheitszustand ggf. nicht eingetreten und die Beeinträchtigung
der betrieblichen Interessen wäre billigerweise dem Arbeitgeber
noch zumutbar. Des Weiteren kann der Kläger einwenden, dass ein
Verstoß gegen den Verhält nismäßigkeitsgrundsatz vorliegt. Um auf
die Störung des Arbeits-verhältnisses zu reagieren, stehen dem
Unternehmen mildere Mittel als die Kündigung zur Verfü gung -
nämlich Maßnahmen des BEM.24 Hat es diese nicht oder unzureichend
durchgeführt, wird es schwer zu beweisen, dass die Entlassung im
konkreten Fall ultima ratio sei. Sodann wäre diese sozial
ungerechtfertigt im Sinnes des § 1 KSchG und unwirksam.
Grundsätzlich trägt der Arbeitgeber die Darlegungs- und
Beweislastpflicht. Bei Verstößen gegen § 84 Abs. 2 SGB IX muss er
in Rechtsstreitigkeiten belegen, dass auch mit Durchführung eines
BEM die Kündigung unabdingbar gewesen wäre.25 Nur in Ausnahmefällen
können Betriebe dieser Darlegungs- und Beweislast genügen. 26
4. BEM in der Universitätsmedizin Mannheim (UMM)
Die UMM hat den Bedarf an gesundheitsbezogenen Interventionen
frühzeitig er kannt und seit einigen Jahren erste Maßnahmen zur
Gesundheitsförderung ergriffen. Im Jahr 2008 wurde ein neues
Konzept zur betrieblichen Gesundheitspolitik entwi ckelt. Die
Gesundheitsförderung wurde zunehmend mit dem Management verzahnt um
so notwendige Maßnahmen zeitig zu erkennen und zu ergreifen: Das
Betriebli-
22 Bauer, J.-H.; Röder, G./Lingemann, S.: Krankheit im
Arbeitsverhältnis, 2006, S. 101. 23 SAG-Urteil vom 07.12.2006, 2
AZR 182/06. 24 Vgl. HAG-Urteil vom 23.04.2008, 2 AZR 1012/06. 25
Vgl. LAG-Hamm Urteil vom 29.03.2006, 18 Sa 2104/05. 26 Vgl. Faber,
Ulrich: Betriebliches Eingliederungsmanagement, in Soziale
Sicherheit 4/2008, S. 133.
Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) 9
ehe Gesundheitsmanagement (BGM) entstand. Die Aufspaltung des BGM
in drei Zweige erschien geeignet.
Betriebliche Gesundheitspolitik
Betriebliches Gesundheitsmanagement
Abb. 3: Einbindung des BEM in ein BGM. Quelle: www.bmas.de
Mit der im Oktober 2008 abgeschlossenen Betriebsvereinbarung wird
das BEM - durch das BGM in die Unternehmensstruktur eingegliedert -
zentralisiert durchge führt. Das Angebot des Arbeitgebers zur
Teilnahme am BEM gilt über Hierarchie Grenzen hinweg - alle
tariflich Beschäftigten können es in Anspruch nehmen. Dar über
hinaus gilt die Offerte präventiv. D.h. falls ein Arbeitnehmer
unterhalb der Krankheitsgrenze von 42 Tagen liegt, ennöglicht die
UMM ihm, selbstständig die Initiative zu ergreifen und freiwillig
das BEM in Anspruch zu nehmen, sobald er Bedarf dafür sieht.
,,Alles Repräsentative kostet Geld. " (August Lämmle)
10 Sarah Bohländer
Ist das wirklich so? Kann die Befürchtung der Betriebe bestätigt
werden, dass durch die Implementierung eines BEM-Verfahrens
Mehrkosten anfallen?27 U.a. analysierte die diesem Artikel zu
Grunde liegende Bachelorarbeit diese Fragestellung anhand eines
eigens erstellten Kostenmodells. In der UMM wurden exemplarisch an
zwei Fällen die Zusatzkosten ermittelt, die durch die Durchführung
des BEM angefallen sind. Des Weiteren wurde gemutmaßt, wie das
Ereignis verlaufen wäre, wenn der Arbeitgeber nicht aktiv geworden
wäre. Die Gegenüberstellung der Zusatz- und Opportunitätskosten
ergab eine positive Bilanz. Ferner wurde dargelegt, dass das
präventive und rehabilitative Instrument der Personalfürsorge den
aus Ausfallzeiten resultierenden Kosten- und Störfaktoren entgegen
wirkt.
5. Resümee
Eine 2008 im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales
durchge führte ,Studie zur Umsetzung des BEM' hat belegt, dass ein
BEM gegenwärtig erst in jedem zweiten Betrieb durchgeführt wird.28
Zu dem relativ geringen Verbrei tungsgrad trägt sicherlich bei,
dass § 84 Abs. 2 SGB IX lediglich Rahmenbedingun gen festlegt und
somit etliche Aspekte und Sachverhalte der Auslegung bedürfen. Die
Rechtssprechung zur Deutung der Vorschrift steht noch „am
Anfang"29,
weshalb bislang nicht auf größere Praxiserfahrungen zurückgegriffen
werden kann. Die Analyse des BEM in der UMM hat gezeigt, dass
Unternehmen, Beschäftigte
und Sozialversicherungssysteme einen Profit aus dem BEM-Verfahren
ziehen. ,,Die in der Wirtschaft ansonsten allgegenwärtige Logik des
Nullsummenspiels - was der eine gewinnt, muss ein anderer irgendwo
verlieren - ist hier außer Kraft gesetzt. "30
Eine ,Win-Win-Situation' entsteht, die als fundamentale Prämisse
für das reibungs lose Funktionieren eines BEM gilt. So hat auch
schon Goethe angemerkt:
,, Was ist unser höchstes Gesetz? Unser eigener Vorteil." (Johann
Wolfgang von Goethe)
Summa summarum ist ein BEM als ein komplexer Prozess anzusehen, bei
dem „medizinische, berufliche und soziale Vorgänge ineinander
greifen"31 • Im Rahmen
27 Vgl. Britschgi, Siggy: Krankheit und betriebliches
Eingliederungsmanagement, 2006, S. 70. 28 Vgl. www.bmas.de 29
www.bmas.de 30 www.kraus-und-partner.de 31 www.ergo-online.de
Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) 11
einer betrieblichen Gesundheitspolitik kann es als ein Instrument
unter mehreren dazu beitragen, sich auf die künftige Globalisierung
und den Strukturwandel der Wirtschaft vorzubereiten.
Allerdings werden vermutlich auch gerade diese
Zukunftsentwicklungen die Be triebe an ihre Grenzen bringen. In
Hinblick auf den demographischen Wandel und die Anhebung des
Renteneintrittsalters, wird künftig die Belegschaft der Unterneh
men zunehmend aus älteren Angestellten bestehen. Der zusätzlich
erhöhte Leis tungs- und Belastungsdruck wird die Zahl der
potentiellen Kandidaten für das BEM steigen lassen.
Gerade im Gesundheitssektor ist das Hauptaufgabengebiet des BEM im
Pflege bereich zu erwarten, da diese Mitarbeiterschaft großen
körperlichen und psychischen Belastungen ausgesetzten ist. Da laut
Gesundheitsbericht der AOK die meisten Fehlzeiten durch Schäden des
Muskel-Skelett-Systems und des Bindegewebes ver ursacht werden,32
ist es den Betroffenen häufig nicht möglich, weiterhin pflegerische
Tätigkeit auszuüben. Eine Versetzung auf einen anderen Arbeitsplatz
ist unabding bar. Schon in naher Zukunft werden viele Unternehmen
einen Engpass an leistungs geminderten Arbeitsplätzen
erleiden.
Literatur
Printmedien:
Bauer, J.-H./Röder, G.; Lingemann, S.: Krankheit im
Arbeitsverhältnis, 3. Auflage, Frank furt am Main 2006.
Bitzer, Bernd: Fehlzeiten als Chance - Ein praxisorientierter
Leitfaden für das betriebliche Gesundheitsmanagement, 4. Auflage,
Renningen 2005.
Brandenburg, Uwe/Nieder, Peter: Betriebliches Fehlzeiten-Management
- Anwesenheit der Mitarbeiter erhöhen - Instrumente und
Praxisbeispiele, 1. Auflage, Wiesbaden 2003.
Breuer, Frank/Rath, Martin: Krankheit und Kündigung - Was Sie bei
krankheitsbedingten Fehlzeiten beachten müssen - Wie Sie damit
verbundenen Kündigungen entgegenwirken können, 1. Auflage, Kissing
2003.
Britschgi, Siggy: Krankheit und betriebliches
Eingliederungsmanagement, 1. Auflage, Frankfurt am Main 2006.
32 Vgl. AOK - Die Gesundheitskasse Rhein-Neckar-Odenwald:
Abteilungsbezogener Gesundheits bericht 2007 - Klinikum Mannheim
gGmbH, 2007, S. 18.
12 Sarah Bohländer
Faber, Ulrich: Betriebliches Eingliederungsmanagement - Was
Betriebe für Langzeitkranke tun müssen - Auswirkungen des BEM auf
das Arbeits- und Kündigungsschutzrecht, in Soziale Sicherheit
4/2008.
Heilmann, Wolfgang: Gesunde Mitarbeiter als Erfolgsfaktor - Ein
neuer Weg zu mehr Qua lität im Krankenhaus, 1. Auflage, Heidelberg
2007.
Klimecki, Rüdiger G./Gmür, Markus: Personalmanagement, 3. Auflage,
Stuttgart 2005. Kolb, Meinulf: Personalmanagement: Grundlagen -
Konzepte - Praxis, 1. Auflage, Wiesba
den 2008. Maikranz, Frank C./Mäkinen, Mirja: Betriebliches
Gesundheitsmanagement und Generation
50+ - Wandlung, Anpassung, neue Chancen?!, 1. Auflage, Norderstedt
2008. Muschiol, Thomas/DeCoite, Friederike: Abmahnung und Kündigung
- was tun?, 2. Aufla
ge, Planegg/München 2006. Schmohl, Michael: Betriebliche
Fehlzeiten: Struktur, Ursache, Auswirkung und Reduzie
rungsmöglichkeiten am Beispiel einer fiktiven GmbH & Co. KG, 1.
Auflage, Norder stedt 2003.
Internetquellen:
Bundesministerium für Arbeit und Soziales (Hrsg.): EIBE -
Betriebliches Eingliede rungsmanagement in der Praxis -
Eingliederung sichern - es lohnt sich:
http://www.bmas.de/coremedia/generator/2244/property=pdf/2007 _ 07
_ 02 _ jobbilanz _ praes_eibe.pdf, vom 21.01.2009
Bonorden, Volker (Hrsg.): Leitfaden zum Betrieblichen
Eingliederungsmanagement (in der Freien und Hansestadt Hamburg), 1.
Auflage, Hamburg 2008: http://www.hamburg.de/contentblob/3017 4/
data/bem-leitfaden-pa.pdf; Stand 22.01.2009
Dr. Kraus und Partner (Hrsg.): Knowledge Base - Management Lexikon
- Win-Win-Situa tion:
http://www.kraus-und-partner.de/1578/Win-win-Situation, vom
24.02.2009
Gesellschaft für Arbeit und Ergonomie - online e.V.(Hrsg.):
Eingliederungsmanagement:
http://www.ergo-online.de/site.aspx?url=html/gesundheitsvorsorge/eingliederungs
management/eingliederungsmanagement.htm, vom 20.01.2009
13
Institut für Qualitätssicherung in Prävention und Rehabilitation
(GmbH) an der Deutschen Sporthochschule Köln (Hrsg.):
Eibe-Projektbericht:
http://www.eibe-projekt.de/eibe/seiten/intem/downloads/EIBE-05-07,Projektbericht.pdf,
vom 20.01.2009
Landeswohlfahrtsverband Hessen (Hrsg.): Betriebliches
Eingliederungsmanagement: http://www.lwv-hessen.de/files/266/F
altblatt 15 _ 2008 _ 05 .pdf, vom 16.01.2009
Landschaftsverband Rheinland (Hrsg.): Handlungsempfehlungen zum
Betrieblichen Ein gliederungsmanagement:
http://www.sozialportal.de/Gesetze _
Verordnungen/handlungsempfehlungenzumbem _ lvr _ 12 _2005.pdf, vom
19.01.2009
Gerichtsentscheidungen:
BAG-Urteil vom 07.12.2006, 2 AZR 182/06 BAG-Urteil vom 23.04.2008,
2 AZR 1012/06 LAG-Hamm Urteil vom 29.03.2006, 18 Sa 2104/05
Electronic Healthcare im Krankenhausbereich
1. Begriff
Lange Zeit prägten Begriffe wie „Telemedizin" oder
„Gesundheitstelematik" den Einsatz von Informations- und
Kommunikationstechnologien (IuK) im Gesundheits wesen. Mit
Aufkommen der New Economy und Begriffen wie Electronic Business,
Electronic Commerce und Electronic Government entstand sehr schnell
mit Electro nic Healthcare ein entsprechender Ausdruck für den
Gesundheitssektor. Trotz seiner starken Verbreitung fehlt eine
eindeutige Definition. Bei einigen Definitionen domi niert der
Bezug zum Internet. Sie subsumieren unter Electronic Healthcare die
Be reitstellung von Gesundheitsinformationen und -dienstleistungen
über das Internet2
oder die Übertragung des Electronic Commerce-Gedankens auf das
Gesundheits wesen3. Andere Definitionen rücken die Digitalisierung
von gesundheitsbezogenen Informationen und die damit verbundenen
Kommunikations- und Behandlungschan cen in den Vordergrund.4
Dieser Aufsatz versteht unter Electronic Healthcare bzw. E-Health
die Abwick lung von Geschäftsprozessen im Gesundheitswesen mit
Hilfe von modernen Infor mations- und Kommunikationstechnologien.
Es durchdringt den gesamten Gesund-
1 Prof. Dr. Ralf Daum ist Professor an der Dualen Hochschule
Baden-Württemberg Mannheim. 2 Vgl. Sharon Baker, e-health, in: CMA
Management, Vol. 74, 2000, Issue 3, S. 41-44, hier S. 41. 3 Vgl.
Heiko Burchert, E-Health = E-Commerce + Gesundheit?, in: Electronic
und Mobile Busi
ness, hrsg. von Frank Keuper, Wiesbaden 2002, S. 319-335, hier S.
328. 4 Vgl. Gottfried T.W. Dietzel, Gesundheitstelematik,
Telemedizin & eHealth- Deutsche und Euro
päische Perspektiven, in: Telemedizinführer Deutschland - Ausgabe
2001, Bad Nauheim 2000, S. 14-19, hier S. 14.
16 RalfDaum
Electronic Healthcare beeinflusst sowohl die internen Abläufe der
eingebundenen Organisationen als auch deren Schnittstellen zu
externen Kommunikationspartnern. Zu den Zielen der internen
Leistungsverbesserung durch Electronic Healthcare ge hören z.B. im
Krankenhausbereich die Verkürzung der Verweildauer und Senkung der
Behandlungskosten durch Vermeidung unnötiger Untersuchungen,
Verbesse rung der Zusammenarbeit zwischen einzelnen Stationen
durch freien Informations fluss5, Abbau und Vereinfachung
komplexer krankenhausinterner Abläufe sowie Verbesserung des
Controlling durch die Erfassung von Qualität, Umfang und Kos ten
der erbrachten Leistungen6• Nach außen gerichtet betrifft
Electronic Healthcare das Zusammenspiel der im Gesundheitswesen
tätigen Gruppen über elektronische Netze, z.B. elektronische
Beschaffung, Austausch von Patientendaten und Abrech nung von
Behandlungen. 7
2. Dimensionen von Electronic Healthcare
Electronic Healthcare besitzt drei Dimensionen. 8 Die
betriebswirtschaftliche Dimen sion (Business Electronic
Healthcare) beschäftigt sich mit den Managementprozes sen im
Gesundheitswesen. Dazu zählen die Bereiche Controlling,
Kostenrechnung, Finanzbuchhaltung, Materialwirtschaft,
Patientenverwaltung- und -abrechnung, Per sonalwirtschaft etc. Die
medizinische Dimension (Medical Electronic Healthcare) umfasst die
Erstellung, Verarbeitung, Analyse, Übertragung, Speicherung und Be
reitstellung medizinischer Daten in digitaler Form. Die
verbraucherorientierte Sicht (Consumer Electronic Healthcare)
berücksichtigt die Einbeziehung der Konsumen ten bzw. Patienten in
die Prozesse des Gesundheitswesens.9
5 Vgl. Peter Haas, eHealth verändert das Gesundheitswesen -
Grundlagen, Anwendungen, Konse quenzen, in: HMD-Praxis der
Wirtschaftsinformatik, 43. Jg., 2006, Heft 251, S. 6-19, hier S. 8
f.
6 Vgl. Andreas Hoffian/fim Schröder, Einsatzmöglichkeiten der
Prozesskostenrechnung im Kran kenhaus, in: Gesundheit und
Ökonomie: Interdisziplinäre Lösungsvorschläge, hrsg. von Heiko
Burchertffhomas Hering, Baden-Baden 1998, S. 107-127, hier S.
112.
7 Vgl. Susanne Züffle, Die Krankenhäuser schöpfen die Potenziale
der E-Health nicht aus, in: füh ren und wirtschaften im
Krankenhaus, 18. Jg., 2001, Heft 2, S. 143-146, hier S. 146.
8 Vgl. Abbildung 1. 9 In Anlehnung an Joseph M. Deluca/Rebecca
Enmark, E-Health: The Changing Model ofHealth
care, in: Frontiers ofHealth Service Management, Vol. 17, 2000,
Issue 1, S. 3-15, hier S. 6.
Electronic Healthcare im Krankenhausbereich 17
Der Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien im
Gesund heitswesen lässt sich nicht immer eindeutig einer Dimension
zuordnen. 10 Beispiels weise gehören Patientenabrechnung und
-verwaltung hauptsächlich zu Business Electronic Healthcare,
berühren aber gleichzeitig Prozesse des Consumer bzw. Medical
Electronic Healthcare. 11 Ebenso besitzt das Telemonitoring aus dem
Be reich Medical Electronic Healthcare Berührungspunkte zu
Consumer Electronic Healthcare. 12 Alle drei Dimensionen laufen in
der Elektronischen Patientenakte zu sammen, die das zentrale
Element in Electronic Healthcare darstellt. 13
Business E-Health Medical E-Health
3. Electronic Healthcare-Portale
Als Einstieg zu Electronic Healthcare im Internet dienen Portale.
Bei Portalen han delt es sich um Internet-Seiten, die
übersichtlich strukturiert ausgewählte Inhalte des WWW redaktionell
aufbereiten und als Plattform für den Aufruf anderer Seiten
im
10 Vgl. Abb. 1. 11 Vgl. Abschnitt Il.2.b). 12 Vgl. Abschnitt
Il.3.b). 13 Vgl. Abschnitt Il.3.a).
18 RalfDaum
• Informationsportale, • Verkaufsportale und •
Integrationsportale.15
Verkaufsportale dienen der elektronischen Beschaffung und
versuchen, Beschaf fungsprozesse über das Internet abzuwickeln. Im
direkten Kontakt zum Endverbrau cher (Business to Consumer) stehen
Internet-Apotheken. Beispielsweise verkaufen drugstore.com
(http://www.drugstore.com) in den USA, und DocMorris (http://
www.docmorris.de) in Deutschland verschreibungspflichtige
Medikamente über das Internet. Bei Transaktionen zwischen
Unternehmen (Business to Business) speziali sieren sich einerseits
einige deutsche Online-Shops wie DocCheck/Shop (http://
shop.doccheck.com/de/) und Medishop (http://medishop.de) auf die
Versorgung von Arztpraxen. Andererseits entstehen elektronische
Marktplätze für die Bedarfe von Krankenhäusern, z.B. GHX
(http://www.ghxeurope.com/ger/home.html).
14 Vgl. Bernd W. Wirtz/Nikolai Lihotzky, Internetökonomie,
Kundenbindung und Portalstrategien, in: Die Betriebswirtschaft, 61.
Jg., 2001, S. 285-305, hier S. 293.
15 Vgl. Thomas Puschmann, Healthcare-Portale, in: HMD - Praxis der
Wirtschaftsinformatik, 37. Jg., 2000, Heft 215, S. 57-68, hier S.
61 f.
Electronic Healthcare im Krankenhausbereich 19
Integrationsportale haben das Ziel, die einzelnen Teilnehmer im
Gesundheitswe sen miteinander zu verknüpfen. Einer der
bekanntesten Anbieter auf diesem Gebiet ist WebMD
(http://www.webmd.com). Neben umfangreichen Informationssamm
lungen für medizinische Laien und Professionelle stellt er den
Benutzern ein per sönliches, intemet-basiertes Dossier für
gesundheitsrelevante Informationen zur Verfügung. Diese
elektronischen Akten mit Einträgen über Arztbesuche, Impfungen,
Medikamente, Therapien etc. kann ein Patient jederzeit und überall
seinem behan delnden Arzt zugänglich machen. Die Integration einer
Online-Apotheke und Such maschinen für die Recherche nach Ärzten,
Krankenhäuser und Krankenversicherun gen ergänzen das
Angebot.
Für Electronic Healthcare bedeutet das Portalkonzept,
Online-Dienste nicht streng nach zuständigen Organisationen zu
trennen, sondern über das Portal alle Dienstleistungen übergreifend
aus der Perspektive des Portalbenutzers zusammenzu führen.
4. Krankenhausiriformationssysteme und Electronic Healthcare
Im Mittelpunkt von Krankenhausinformationssystemen steht der
Patient. Ein Kran kenhausinformationssystem hat die Hauptaufgabe
mit Hilfe der elektronischen Da tenverarbeitung die richtigen
Informationen an der richtigen Stelle, beim richtigen Adressaten,
zur richtigen Zeit und in einer adäquaten Form bereitzustellen, um
dem Patienten die bestmögliche Diagnostik und Therapie zu
gewährleisten.16 Gleichzei tig muss es sowohl den Ansprüchen und
Bedürfnissen des Krankenhauspersonals als auch gesellschaftlichen
Anforderungen an Wirtschaftlichkeit und Wirksamkeit ge recht
werden. 17 Als integriertes Krankenhausinformationssystem umfasst
es die Informationsverarbeitung in allen Betriebsbereichen eines
Krankenhauses (Diagnos tik und Therapie, Pflege, Versorgung und
Verwaltung). Krankenhausinformations systeme bilden folglich eine
krankenhausbezogene Teilmenge von Electronic Healthcare, die alle
drei Dimensionen betriffi. 18
Die Vielzahl der erforderlichen Funktionalitäten führt dazu, dass
kein Software hersteller eine Gesamtlösung anbietet, die alle
Anforderungen eines Krankenhauses
16 Vgl. Rolf Engelbrecht/Klaus Schlaefer, Information und
Kommunikation im Krankenhaus, Landsberg und München 1986, S.
29.
17 Vgl. Claus 0. Köhler, Ziele, Aufgaben, Realisation eines
Krankenhausinformationssystems, Ber lin, Heidelberg und New York
1982, S. 10 f.
18 Vgl. Abbildung 2.
Business E-Health Medical E-Health
II. Einsatz von Electronic Healthcare in Krankenhäusern
1. Business Electronic Healthcare
19 Vgl. Jörg-Peter Schröder, Krankenhausinformationssysteme, in:
Krankenhausmanagement, hrsg. von Peter Eichhorn/Hans-Jürgen
Seelos/J.-Matthias Graf von der Schulenburg, München und Jena 2000,
S. 517-532, hier S. 520 f.
Electronic Healthcare im Krankenhausbereich 21
waltung und -abrechnung sowie das interne und externe
Rechnungswesen.20 Die Möglichkeiten der elektronischen Vernetzung,
insbesondere des Internets, beeinflus sen hauptsächlich drei
Gebiete: das Beschaffungswesen, das mit den Lieferanten in Kontakt
steht, die Patientenverwaltung und -abrechnung, die ärztliche,
pflegerische und administrative Bereiche miteinander verzahnt, und
Managementinformations systeme, die interne und externe
Informationen für die Krankenhausleitung zur
Entscheidungsunterstützung sammeln und verdichten. Die Aufgabe von
Business Electronic Healthcare liegt dabei hauptsächlich im Aufbau
einer offenen System architektur, die über standardisierte
Schnittstellen und Protokolle21 die heterogenen IuK-Systeme eines
Krankenhauses integriert.
a) Verbesserung des Beschaffungswesens durch Electronic
Procurement
Das Beschaffungswesen in Krankenhäusern unterscheidet sich in
einigen Punkten vom Einkauf herkömmlicher Unternehmen. Zum einen
setzen Krankenhäuser ein breites Spektrum an Materialien ein. Es
reicht von konventioneller Büroausstattung über Lebensmittel bis
hin zu Blutprodukten, Medikamenten und komplexen medizi nischen
Geräten. 22 Zum anderen unterliegen einige Güter einschlägigen
Gesetzen, z.B. Arzneimittel, deren Einkauf das Apothekengesetz nur
besonders geschultem Personal erlaubt.23 Krankenhäuser in
öffentlich-rechtlicher Rechtsform, z.B. Eigen betriebe, müssen
zusätzlich die Vorgaben des nationalen und europäischen Vergabe
rechts beachten und die spezifischen Prozesse der Öffentlichen
Ausschreibung und des Offenen Verfahrens, der Beschränkten
Ausschreibung und des Nichtoffenen Verfahrens sowie der
Freihändigen Vergabe und des Verhandlungsverfahrens be
rücksichtigen. 24
Der Begriff Electronic Procurement bezeichnet die Nutzung von
Informations und Kommunikationstechnologien zur elektronischen
Unterstützung von Beschaf fungsvorgängen und deren Integration in
die Geschäftsprozesse eines Unternehmens bzw. eines Krankenhauses.
Die gesamte Steuerung und Abwicklung des Einkaufes erfolgt über das
Internet mit den Zielen, die Kosten zu reduzieren, die
Einkaufsab-
20 Vgl. Bernhard Schneider, Krankenhaus-Informations-System (KIS),
in: Unternehmen Kranken haus, hrsg. von Wilfried Köhler-Frost,
Berlin 1995, S. 61-93, hier S. 84 f.
21 Vgl. Stephan H. Schug/Ingeborg Schramm-Wölk, Telematik-Standards
für das Gesundheitswe sen, in: e-Health, hrsg. von Karl Jähn und
Eckard Nagel, Berlin u.a. 2004, S. 11-15, hier S. 11 ff.
22 Vgl. Jürgen G. Tauch, Beschaffung/Lagerhaltung im Krankenhaus,
Gütersloh 1989, S. 15 ff. 23 Vgl.§ 14 Gesetz über das
Apothekenwesen, vom 20. August 1960 (BGB!. I 1960 S. 697),
zuletzt
geändert durch Art. 16a Pflege-Weiterentwicklungsgesetz vom
28.05.2008 (BGB!. I S. 874). 24 Vgl. Thomas Müller-Bellingrodt,
Einkaufsmanagement für Krankenhäuser, in: Handbuch Kran
kenhausmanagement, hrsg. von Günther E. Braun, Stuttgart 1999, S.
887-910, hier S. 891 f.
22 RalfDaum
wicklung zu beschleunigen und die Markttransparenz zu steigern.25
Vier verschie dene Technologien werden unter Electronic
Procurement im weitesten Sinne subsu miert. Electronic Procurement
im engeren Sinne unterstützt die Käuferseite bei Aus schreibungen,
Aufnahme und Auswertung von Angeboten, Bestellungen, Bezahlvor
gängen etc. Die Verkäufer setzen Elektronische Kataloge ein, um
ihre Produkte über das Internet anzubieten. Elektronische Auktionen
veranstalten Versteigerungen im Internet. Elektronische Marktplätze
fassen die Angebote und Kataloge verschiedener Lieferanten zusammen
und bieten den Käufern spezielle Dienstleistungen wie Preis und
Produktvergleiche oder Suchmechanismen für das Auffinden von
Produkten an.26
Krankenhäuser nutzen bereits das Internet für die Lieferantensuche,
-beurteilung und -auswahl. Sie recherchieren in
Informationsportalen für medizinische Geräte und Krankenhausbedarf
nach neuen Lieferanten und Online-Preisvergleichen, unter suchen
die Internet-Seiten potenzieller Lieferanten bezüglich der Produkte
und Preise und werten gegebenenfalls deren Online-Kataloge aus.
Zusätzlich erleichtern E-Mail und Online-Formulare die
Kontaktaufnahme mit den Lieferanten.27
Der Einsatz von Electronic Procurement im Krankenhauswesen
beschränkt sich aber nicht auf solche unterstützende Maßnahmen im
Beschaffungswesen, sondern er führt zu einer Reorganisation der
Beschaffungsprozesse. Krankenhäuser stehen vor der Wahl, entweder
die elektronische Schnittstelle zu ihren Lieferanten eigenständig
mit Hilfe von Käuferkatalogen zu organisieren oder an
Verkaufsportale bzw. elekt ronische Marktplätze auszulagern.
Ausgangspunkt jedes Verfahrens bildet ein Desk top Purchasing
System, das die Einkaufsberechtigungsstruktur der Krankenhausmit
arbeiter und damit verbundene Regelungen abbildet sowie aufgegebene
Bestellun gen sammelt, kontrolliert und weiterleitet.
Genehmigungspflichtige Bestellungen leitet das System elektronisch
an den zuständigen Vorgesetzten weiter, der online die Freigabe
erteilen kann.28 Die erste Variante29 erfordert zusätzlich die
Anbindung
25 Vgl. Alexander Prosser/Robert Müller, Öffentliche Beschaffung
mittels Electronic Commerce, in: Wirtschaftsinformatik. 41. Jg.,
1999, Heft 3, S. 254-264, hier S. 258 ff., sowie Michael Essig/Ulli
Arnold, Electronic Procurement in Supply Chain Management: An
Information Economics-Based Analysis of Electronic Markets, in: The
Journal of Supply Chain Management, Vol. 37, 2001, Issue 4, S.
43-49, hier S. 44 ff.
26 Vgl. Trichy M. Rajkumar, E-Procurement: Business and Technical
Issues, in: Information Sys tems Management, Vol. 18, 2001, Issue
4, 52-60, hier S. 53 ff.
27 Vgl. Wilfred von Eiff, Die Internet-Revolution, in: krankenhaus
umschau, 69. Jg., 2000, Heft 3, S. 167-172, hier S. 170 sowie
Kerstin Oppel, Elektronische Beschaffung im Krankenhaus, Wies
baden 2003. S. 44 ff.
28 Vgl. Bernd W. Wirtz/Ulrich Ecker!, Electronic Procurement, in:
Zeitschrift für Führung & Orga nisation, 70. Jg., 2001, Heft
3, S. 151-158, hier S. 155 f.
29 Vgl. Abbildung 3.
eines Käuferkataloges an das Desktop Purchasing System. Der
Käuferkatalog hat die Aufgabe die heterogenen elektronischen
Kataloge unterschiedlicher Lieferanten in einem Gesamtkatalog zu
integrieren und zu verwalten. Gruppierungen und Suchmechanismen
unterstützen die Produktsuche.30 Die zweite Variante31 arbeitet
nicht mit einem eigenem Katalog, sondern nutzt die Dienstleistungen
eines elektro nischen Marktplatzes. Gegen eine fixe Teilnahme-
oder variable Vermittlungsgebühr stellt der Marktplatzbetreiber
einen aggregierten Produktkatalog, der die Objekte
unterschiedlicher Anbieter enthält, zur Verfügung. 32
<') .... § .... s <l!:l
§ .s bl) .... "' ~ § o:S
"' p... ~ g 1l §'
Abb. 3: Desktop Purchasing System mit Käuferkatalog Quelle: Eigene
Darstellung
30 Vgl. Uwe Meyer-Vogelsang, E-Procurement: Neue Wege im
Krankenhauseinkauf, in: kranken haus umschau, 69. Jg., 2000, Heft
11, S. 1052-1059, hier S. 1057 f.
31 Vgl. Abbildung 4. 32 Vgl. Tobias Kollmann, Virtuelle
Marktplätze, in: Die Betriebswirtschaft, 60. Jg., 2000, Heft 6,
S.
816-819, hier S. 818 f.
24
Krankenhaus
RalfDaum
Abb. 4: Desktop Purchasing System mit elektronischem Marktplatz
Quelle: Eigene Darstellung
Die Auswahl des elektronischen Markplatzes besitzt große
strategische Bedeutung. Aufgrund der hohen Investitionen in die
technologische Schnittstelle zwischen Desktop Purchasing System auf
Krankenhausseite und Katalog auf Marktplatzseite muss das
Krankenhaus bestrebt sein, eine längerfristige Zusammenarbeit mit
zuver lässigen Partnern einzugehen.33 Als Marktplatzbetreiber
kommen käuferzentrierte, verkäuferzentrierte und unabhängige
Gruppierungen in Frage. Bei käuferzentrierten Marktplätzen
schließen sich mehrere Nachfrager zum Betrieb eines elektronischen
Marktplatzes zusammen. Verkäuferzentrierte Marktplätze werden
gemeinsam von mehreren Lieferanten und Herstellern aufgebaut,
während unabhängige Marktplätze als neutrale Intermediäre Käufer
und Verkäufer zusammenbringen möchten. 34 Ob wohl
Einkaufsgenossenschaften im Krankhaussektor üblich sind35, nutzen
Kranken häuser häufig nicht die Potenziale käuferzentrierter
Marktplätze. Neben deutlichen
33 Vgl. Douglas E. Goldstein, Medical E-Procurement - Navigating in
a B2B Marke!, in: Health Management Technology, Vol. 21, 2000,
Issue 8, S. 30-32, hier S. 32.
34 Vgl. Jörg Schlüchtermann/Rainer Sibbel, Internet-Euphorie führt
zu Ernüchterung, aber Realis mus zum Erfolg, in: führen und
wirtschaften im Krankenhaus, 19. Jg., 2002, Heft 3, S. 274-277,
hier S. 277.
35 Vgl. Wolfgang Appelstiel, Mehr als gemeinsamer Einkauf, in:
krankenhaus umschau, 71. Jg., 2002, Heft 4, S. 267-271, hier S. 267
f.
Electronic Healthcare im Krankenhausbereich 25
Preisvorteilen durch die Bündelung der Nachfragemacht und die
Erhöhung der Transparenz, bestimmen die teilnehmenden Krankenhäuser
die eingesetzte Techno logie, was die Integration in die eigenen
Krankenhausinformationssysteme erleichtert.
Außerdem können Krankenhäuser, die das nationale und europäische
Vergabe recht beachten müssen, Electronic Procurement für die
öffentliche Beschaffung ein setzen. Es liefert Werkzeuge zur
Erstellung der Ausschreibungsunterlagen, Bekannt gabe der
Ausschreibungen über das Internet sowie Bewertung und Auswahl der
An gebote. Neben den herkömmlichen Anforderungen an elektronische
Vergabesysteme, z.B. Vermeidung von Medienbrüchen und Integration
in die sonstigen IuK-Systeme, müssen diese Systeme alle Elemente
des öffentlichen Vergabewesens, z.B. Steu erung des Ablaufs,
Einhaltung von Fristen und Ergebnisbekanntgabe, abdecken.36
Auch in diesem Zusammenhang stellt sich für Krankenhäuser die
Frage, ob sie die dazu notwendige IuK-Infrastruktur eigenständig,
in Kooperation mit anderen Krankenhäusern oder mit einem privaten
Partner (Public Private Partnership) betrei ben oder sogar ganz an
einen Dienstleister ausgliedern möchten.37
Innovative Handelsunternehmen betten mittlerweile ihren
elektronischen Ver triebskanal in eine Multichannel-Strategie ein.
Kunden können den Zugangskanal nach Belieben, auch während der
Abwicklung einer Bestellung, wechseln oder meh rere Zugangswege
gleichzeitig nutzen.38 Andere Lieferanten im Krankenhauswesen,
insbesondere solche aus dem Bereich Medizintechnik und
Investitionsgüter, wickeln den Verkauf eher klassisch ab. Um auf
Käuferseite sämtliche Bestellvorgänge wirt schaftlich und wirksam
abzuwickeln, müssen Krankenhäuser eine Infrastruktur schaffen, die
alle Beschaffungskanäle und -wege auf einer gemeinsamen informati
ons- und kommunikationstechnologischen Plattform vereinigt. Auf
dieser Plattform muss ein integriertes Beschaffungsmanagement
aufbauen, in dem papiergebundene (z.B. Brief und Fax), telefonische
oder elektronische Bestellungen zusammenlaufen.
Krankenhäuser stehen bei der Planung ihrer Electronic
Procurement-Aktivitäten vor vielfältigen Herausforderungen. Dazu
zählen beispielsweise die Bestimmung der für Electronic Procurement
geeigneten Materialien, die Auswahl der technologi schen Plattform
und deren Ankopplung an das Krankenhausinformationssystem, die
Reorganisation der bestehenden Beschaffungsprozesse sowie der
Aufbau von Ko-
36 Vgl. Ulli Arnold/Michael Eßig, Ökonomische Anforderungen an die
e-Vergabe, in: e-Vergabe - Grundlagen der elektronischen Vergabe,
hrsg. vom Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik
e.V. und dem Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie,
Mühlheim an der Ruhr 2002, S. 31-37, hier S. 35 f.
37 Vgl. Stephan A. Jansen, Public Electronic Procurement, Witten
2001, S. 21 f. 38 Vgl. Joachim Zentes/Bemhard Swoboda, Auswirkungen
des Electronic Commerce auf den Han
del, in: Die Betriebswirtschaft, 60. Jg., 2000, Heft 6, S. 687-706,
hier S. 698 f.
26 RalfDaum
operationen mit anderen Krankenhäusern. Zusätzlich stellt
Electronic Procurement neue Anforderungen an die
Krankenhausmitarbeiter. Das Krankenhausmanagement muss deshalb
anhand der Größe des eigenen Hauses, der möglichen Kooperations
partner und der voraussichtlichen Kosten für Einführung und Betrieb
sorgfältig ab wägen, ob Electronic Procurement im gesamten
Krankenhaus oder nur in einzelnen Einkaufsbereichen genutzt werden
soll.
b) Patientenorientierung durch Patientenverwaltungs- und
Patientenabrechnungssysteme
Zur Betreuung eines Patienten im Krankenhaus gehören nicht nur
medizinische und pflegerische, sondern auch administrative
Prozesse. IuK-gestützte Patientenverwal tungssysteme übernehmen
die zentrale Speicherung und Verwaltung der Stammda ten (z.B.
Name, Anschrift und Geschlecht) und Bewegungen der Patienten (z.B.
Aufnahme, Entlassung oder Verlegung). Sie erfassen alle im Rahmen
des Kranken hausaufenthalts erforderlichen Informationen.
Beispielweise halten sie fest, ob es sich um einen ambulanten,
teilstationären oder stationären Fall handelt und proto kollieren
das Aufnahmedatum, den Aufnahmegrund sowie die Zuweisung zur zu
ständigen Organisationseinheit. Außerdem registrieren sie die
Versicherungsverhält nisse des Patienten, z.B. gesetzliche oder
private Krankenversicherung, Sozialhilfe träger,
Unfallversicherungsträger und Selbstzahler.39
IuK-Systeme in den Stationen planen und steuern den
Behandlungsverlauf. Sie stimmen Termine für Untersuchungen zwischen
Ärzten und Patienten ab gegebenen falls verbunden mit einer
Geräte- und Raumreservierung. Sie dienen weiterhin der ärztlichen
und pflegerischen Dokumentation, inklusive Leistungsdokumentation
und Erstellung von Arztbriefen. Falls andere Abteilungen oder
Stationen, z.B. Radiolo gie oder Labore, Dienstleistungen
erbringen, verwalten diese Stationsinformations systeme die
Zuweisung von Aufträgen an die Leistungserbringer und die Übernah
me der zugehörigen Befunde.40 Die nicht bettenführenden Bereiche
einer Abteilung (z.B. Endoskopie oder Operationssaal) verfügen über
eigene IuK-Systeme, die die spezifischen Aufgaben des Bereichs
(z.B. die Terminplanung, Übernahme von Patientendaten,
Dokumentation und Befundschreibung) unterstützen.41
39 Vgl. Peter Pfaffenberger, Modeme
Patientendurchlauf-Organisation, in: Handbuch Krankenhaus
management, hrsg. von Günther E. Braun, Stuttgart 1999, S. 601-622,
hier S. 612 ff.
40 Vgl. Bruno Presenhuber, EDV und Krankenpflege, in: EDV-Einsatz
in Krankenanstalten, hrsg. von Bike E. Dittel/Peter Kopacek, Wien
und New York 1995, S. 66-71, hier S. 68 f.
41 Vgl. Christof Mutter/Rene Morar/Christian Keller,
,,Punktlandung" im OP, in: krankenhaus um schau, 71. Jg., 2002,
Heft 7, S. 573-575, hier S. 574.
Electronic Healthcare im Krankenhausbereich 27
Die Aufteilung der Behandlung auf unterschiedliche
Organisationseinheiten und die Datenhaltung in verschiedenen,
teilweise isolierten Informationssystemen führt zu Verzögerungen im
Behandlungsverlauf, Mehrfacherhebung von Informationen sowie einem
hohen Kommunikations- und Koordinierungsaufwand. Diese Probleme
beeinträchtigen die Wirtschaftlichkeit und Wirksamkeit der
Leistungserstellung im Krankenhaus. Business Electronic Healthcare
bietet technologische Möglichkeiten, um administrative und
medizinische Krankenhausprozesse stärker an den Bedürfnis sen der
Patienten auszurichten. Diese so genannte Middleware verbindet die
vielfäl tigen Komponenten der IuK auf der Basis standardisierter
Schnittstellen und Proto kolle und integriert sie auf einer
informations- und kommunikationstechnologischen Ebene.42 Die
dadurch mögliche Integration der patientenbezogenen Aktivitäten
über verschiedene Organisations- und Informationssysteme hinweg
erleichtert die Koor dination von Terminvereinbarungen, die
Disposition von Geräten und Räumen, den Datenaustausch über
verschiedene Abteilungen und Stationen sowie die Kommuni kation
zwischen Ärzten, Pflegepersonal und Verwaltung. In Analogie zu
Produkti onsplanungs- und Steuerungssystemen in der Industrie
entstehen „Patientenpla nungs- und Steuerungssysteme".43
Neue Möglichkeiten für diesen Bereich und generell für die
Krankenhauslogistik ergeben sich durch die Radio Frequency
Identification (RFID). RFID benutzt elekt romagnetische Wellen, um
Gegenstände zu erkennen. Bestandteile eines RFID Systems sind
Schreibgerät, Transponder und Lesegerät. Die zu identifizierenden
Ob jekte erhalten einen Transponder, der alle relevanten Daten,
z.B. Artikelnummer, Artikelbezeichnung oder ein Verfalldatum
enthält. Die Eingabe dieser Daten erfolgt über das Schreibgerät.
Der Transponder wird beispielsweise auf einem Klebeetikett am
Objekt angebracht und durch das von einem Lesegerät erzeugte
elektromagneti sche Feld automatisch und berührungslos
angesprochen. Die Übermittlung der Daten aus dem Transponder an ein
Lesegerät erfolgt ebenfalls mittels Radiowellen. Das Lesegerät kann
wiederum ist mit anderen Informationssystemen verbunden sein, z.B.
mit einem Warenwirtschaftssystem. Im Krankhausbereich bestehen zwei
generelle Anwendungsgebiete für RFID.44 Zum einen können
RFID-Armbänder am Handgelenk von Patienten zur Identifikation von
Patienten genutzt werden. Sie spei-
42 Vgl. Hubert Österle, Integration - Schlüssel zur
Informationsgesellschaft, in: Middleware, hrsg. von Hubert
Österle/Rainer Riehm/Petra Vogler, Braunschweig und Wiesbaden 1996,
S. 1-23, hier s. 21.
43 Vgl. August-Wilhelm Scheer u.a., Geschäftsprozesse und
integrierte Informationssysteme im Krankenhaus, in:
Krankenhaus-Controlling, hrsg. von Joachim Hentze/Burkhard
Huch/Erich Kehres, Stuttgart, Berlin und Köln 1998, S. 155-172,
hier S. 170 f.
44 Vgl. Torsten Brendelfforsten Stein, RFID in der
Krankenhauslogistik, in: HMD - Praxis der Wirtschaftsinformatik,
46. Jg., 2009, Heft 266, S. 108-116, hier S. 109 f.
28 RalfDaum
Die Strnkturen in Krankenhäusern eignen sich darüber hinaus für
agentenorien tierte Softwaresysteme. In dieser neuen Kategorie von
Werkzeugen für digitale, ver netzte Umgebungen bearbeitet eine
spezielle Software, so genannte intelligente Agenten, selbstständig
Aufgaben im Auftrag ihres Benutzers.46 Ein intelligenter Agent
erhält Angaben über die Bedürfnisse des Benutzers und arbeitet
danach auto nom an der Lösung der Problemstellung. Er sammelt
Informationen, zieht aus diesen Informationen Schlüsse und leitet
basierend auf den erzielten Schlussfolgernngen konkrete Handlungen
ein.47 Erste Prototypen werden zur Unterstützung der Termin
planung in Krankenhäusern eingesetzt. Sie koordinieren Termine,
überwachen deren Einhaltung und reagieren selbstständig auf
Terminverschiebungen und Notfälle.48
Neben der Unterstützung von Diagnose und Therapie di