Wie die Blockchain die Investmentbranche verändert
Weltwirtschaft: Asynchrone Konjunktur und strukturelle Unterschiede sind Risiken, aber nicht mehrLangfristig vermietete Immobilien mit inflationsindexierten MietenWie man sich in der Region Asien-Pazifik von der Masse abheben kannDer Nutzen faktorbasierter Aktien-anlagen für die WertsicherungDie Grenzen des Factor Investing ausdehnen
Risk & RewardMärkte und Portfoliostrategien
Dieses Marketingdokument richtet sich ausschließlich an professionelle Anleger und Finanzberater in Deutschland und Österreich sowie an qualifizierte Investoren in der Schweiz. Eine Weitergabe an Privatkunden ist untersagt.
#033. Ausgabe 2018
Globales RedaktionskomiteeVorsitz: Dr. Henning Stein und Marlene Konecny. Jutta Becker, Ann Ginsburg, Kristina Hooper, Dr. Harald Lohre, Lisa Nell, Paula Niall, Dr. Bernhard Pfaff, Stephen Smith.
#033. Ausgabe 2018
Risk & Reward, #3/2018 1
Disruptive Entwicklungen und Technologien sind einer der Schwerpunkte von Risk & Reward. Topthema der aktuellen Ausgabe ist daher erneut die BlockchainTechnologie. Im Frühjahr befassten wir uns mit den mög lichen Vorteilen und Risiken blockchainbasierter Kryptoassets wie Bitcoin. In dieser Ausgabe geht es um die Auswirkungen der neuen Technik auf die Finanzmärkte und insbesondere die AssetmanagementBranche.
Die Blockchain ist zwar noch kein Grundbestandteil von InvestmentmanagementSystemen und Prozessen, aber sie entwickelt sich in diese Richtung. Aufgrund unserer Erfahrung glauben wir, dass die Blockchain im Assetmanagement in Zukunft eine wichtige Rolle spielen wird. Unser Hauptartikel und die Interviews mit führenden Experten aus Wirtschaft und Wissenschaft nennen vier Bereiche, in denen sie unserer Ansicht nach für grundlegenden Wandel sorgen wird: Settlement und Clearing, den Einsatz „intelligenter“ Verträge zur Transaktionsabwicklung, die Über tragung von Indexdaten und die „Tokenisierung“ von Assets. Assetmanager müssen hier auf Fortschritte vorbereitet sein, aber auch auf damit verbundene neue Risiken.
Hinzu kommt ein Artikel aus der Feder eines unserer inter nationalen Marktstrategen. Darin erörtert er, was die zunehmende Heterogenität der Konjunktur und strukturelle Unterschiede zwischen Ländern – beides auch eine Folge der höheren welt politischen Risiken – für Investoren bedeuten. Da nach untersuchen wir, wie die langfristigen, infla tions indexierten Cashflows sowie die laufenden Erträge und die niedrigere Volatilität von langfristig ver mie te ten Immobilien Pensions fonds und Versicherungen helfen können, ihre Zahlungsverpflichtungen zu erfüllen. Des Weite ren sprachen wir mit meiner geschätzten Kollegin Anna Tong, die einige ihrer Erkenntnisse und Er fahrungen preisgibt, die sie in über 30 Jahren in der Investment branche in der Region AsienPazifik gesammelt hat.
Keine Ausgabe von Risk & Reward wäre komplett ohne eine umfassende FactorInvestingAnalyse. Hier zählt Invesco seit über 30 Jahren zu den Inno vatoren. Unsere Forschungen gemeinsam mit der Universität Lancaster, einer der führenden Insti tutionen in der Finanzanalyse, zeigen, dass die Kombination aus volatilitätsarmen Aktienpositionen und einer dynamischen Portfolioabsicherung Investoren die Chance auf Aktienerträge bei einer Begrenzung des Verlustrisikos bietet. Schließlich befassen wir uns in unserem Bericht über die Frontiers of Factor Investing Conference in Lancaster mit wichtigen aktuellen Themen wie den Vorzügen integrierter Mehrfaktoren gegenüber Einfaktor strategien und den Auswirkungen von Transaktions kosten und Handelsstrategien auf Faktorportfolios.
Wir wünschen Ihnen eine anregende Lektüre.
Mit besten Grüßen
Marty Flanagan Präsident und CEO, Invesco Ltd.
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Inhalt
Topthema
4 Wie die Blockchain die Investmentbranche verändert Dave Dowsett und Heather Wied
Die Blockchain gilt immer mehr als eigenständige Infrastruktur zur Ausführung und Aufzeichnung von Transaktionen. Wir untersuchen, wie Smart Contracts, digitale Identitäten und andere innovative Elemente der Blockchain die Investmentbranche verändern könnten.
12 „Eine Blockchain ist keine Wahrheitsmaschine”Interview mit Bryan Zhang, Cambridge Judge Business School
Bryan Zhang, geschäftsführendes Boardmitglied und Mit begründer des Cambridge Centre for Alternative Finance (CCAF), spricht über zwei aktuelle Publikationen des CCAF: die erste „Global Blockchain Benchmarking Study“ und „Distributed Ledger Systems: A Conceptual Framework“.
14 „Einige Investmentmanager werden wohl umdenken müssen“ Interview mit Sandy Kaul, Global Head of Business Advisory Services, Citi
Lesen Sie, was Sandy Kaul über die aktuelle CitiStudie „Industry Revolution – Investment Management in 2033“ zu sagen hat. Die Studie zeigt, wie die Kombination aus Big Data, künstlicher Intelligenz und DistributedLedgerTechnologie (DLT) die Investmentbranche verändern könnte.
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Im Fokus 16 Weltwirtschaft: Asynchrone Konjunktur und strukturelle Unterschiede sind Risiken, aber nicht mehrArnab Das
Asynchrones Weltwirtschaftswachstum sowie strukturelle wirtschaftliche und finanzielle Differenzen sorgen für volatilere Asset preise und Wechselkurse. Wir analysieren die derzeitige Lage der Weltwirtschaft und ihre Folgen für Investoren. Dabei gehen wir besonders auf die Emerging Markets ein.
23 Langfristig vermietete Immobilien mit inflationsindexierten MietenChris Brassington und Matthew Hall
Bei sich ändernden Zinsen, niedrigen Renditen und einer alternden Bevölkerung sind Pensionsfonds und Versicherungen immer stärker auf inflationsindexierte Anlagen angewiesen, die zu ihrer Verbindlich keitenstruktur passen. Wir halten langfristig vermietete Immobilien für eine denkbare Lösung.
28 Wie man sich in der Region AsienPazifik von der Masse abheben kannEin Gespräch mit Anna Tong
In den letzten 30 Jahren gab es in der Region AsienPazifik heftige Auf und Abschwünge und Anna Tong von Invesco hat sie alle erlebt. Lesen Sie, was sie uns zu sagen hat.
32 Der Nutzen faktorbasierter Aktienanlagen für die Wertsicherung Dr. Harald Lohre, David Happersberger und Alexandar Cherkezov
Wertsicherungsverfahren wie die CPPI (Constant Proportion Portfolio Insurance) werden oft verwendet, um Kapitalanlagen vor möglichen Verlusten zu schützen. Wir untersuchen das Zusammenspiel der CPPI mit verschiedenen Aktienanlagen.
39 Die Grenzen des Factor Investing ausdehnen Marie Brière, Michael Fraikin, Raman Uppal und Daniel Giamouridis
Ende April 2018 war Invesco Quantitative Strategies CoGastgeber der Konferenz: „Frontiers of Factor Investing“ in Lancaster. Wir haben die wichtigsten Ergebnisse der vier Hauptreferenten zusammengefasst.
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Kurz gefasstIn diesem Beitrag untersuchen wir ver schiedene Aspekte des BlockchainPhänomens mit Kapitalmarktbezug. Unsere Hauptthese ist, dass die Blockchain die Kapitalmärkte verändern wird, indem sie Abwicklung und Clearing beschleunigt, Smart Contracts und schnelleren Daten austausch ermöglicht und für mehr Disintermediation sorgt. Wir gehen auch auf mögliche Hürden für diese neue Technologie – vor allem rechtliche – und potenzielle Risiken ein.
Wie die Blockchain die Investmentbranche verändert von Dave Dowsett und Heather Wied
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Die Blockchain wurde als revolutionäre Techno lo gie bekannt, auf der bekannte Kryptotoken wie Bitcoin basieren. Mittlerweile wird sie aber auch als eigenständige Infrastruktur zur Ausführung und Aufzeichnung von Transaktionen immer relevanter. In diesem Beitrag untersuchen wir, wie Smart Contracts, digitale Identitäten und andere innovative Elemente der Blockchain die Investmentbranche grundlegend verändern könnten.
Technologie hat Märkte und Geschäftsleben im Laufe der Geschichte immer wieder umgeformt. Das Internet ist heute ein digitaler Marktplatz, eine Dreh scheibe für wirtschaftliche Aktivitäten und ein Speicher für fast das gesamte Wissen der Menschheit. Facebook und andere soziale Netzwerke haben die menschliche Interaktion und Vernetzung neu definiert und den Informationsaustausch gewandelt. Durch das Smartphone haben Milliarden Menschen ständigen Zugang zu sagenhafte Informationsmengen und ihren sozialen Netzen. Alle diese Innovationen haben wesentlichen Einfluss auf Sozial und Gesellschaftssysteme, weil sie den Austausch von Informationen, Waren und Dienstleistungen verändert haben. Hinzu kommt, dass es vor 25 Jahren noch keine dieser Technologien gab.
Was wird das nächste technologische Paradigma sein? Unseres Erachtens wird die Blockchain die Kapitalmärkte umfassend wandeln. Sie kann Transaktionen grundlegend verändern, deren Strukturen und Protokolle meist noch recht ineffizient sind. Professor Bryan Zhang, Mitbegründer des Cambridge Centre for Alter native Finance (CCAF), stellt dazu fest, dass „die Blockchain unsere digitale Infrastruktur nach und nach neu vernetzt und unsere traditionelle Sicht,
wie man Daten, Informationen, Anlagen und sogar Rechtsansprüche organisieren und konzipieren kann, infrage stellt“. Anfang dieses Jahres analysierten wir in Risk & Reward verschiedene Aspekte von Kryptotoken und gaben einen Überblick über die Möglichkeiten der Blockchain.1 In diesem Beitrag geht es um mögliche Folgen für das Investmentmanagement, und wir gehen genauer auf einige Anwendungsbereiche ein. Dazu betrachten wir neben aktuellen Einsatz gebieten auch Chancen, die – zurzeit – noch in fernerer Zukunft liegen. Abschließend erörtern wir, welche Hürden die Blockchain überwinden muss, um ihre Stärken voll auszuspielen.
Wie die BlockchainTechnologie funktioniert Einfach ausgedrückt, ist die Blockchain ein dezentrales, verteiltes digitales Register, das Transaktionen sicher, nachprüfbar und permanent speichert. Diese Technologie kann viele verschiedene Abläufe und Produkte der gesamten Weltwirtschaft radikal verändern, weil sie drei große Vorteile hat: niedrigere Kosten, geringeres Risiko und höhere Effizienz. Firmen mit Weitblick untersuchen bereits, wie die Blockchain ihre Geschäftsmodelle verbessern oder gefährden könnte. Deloitte befragte 2018 für eine internationale BlockchainStudie über 1.000 Führungskräfte weltweit: 39% gaben an, dass ihre Firmen planten, im nächsten Jahr 5 Millionen USDollar oder mehr in die BlockchainTechnologie zu investieren. Vielleicht noch auffälliger ist, dass nur 5% gar keine Blockchain Investitionen planten.2 Abbildung 1 zeigt, dass der Banken und Finanzsektor ein BlockchainPionier ist.
Erstmals erläuterte 2008 das Whitepaper „Bitcoin: A PeertoPeer Electronic Cash System“, verfasst unter dem (vermutlichen) Pseudonym Satoshi Nakamoto3,
Abbildung 1Der Finanzsektor treibt die BlockchainRevolution voranWie die „Global Blockchain Benchmarking Study” des Cambridge Centre for Alternative Finance zeigt, nutzt der Banken und Finanzsektor die BlockchainTechnologie mit Abstand am intensivsten.
• Banken & Finanzwesen 30%
• Staat und öffentliche Güter 13%
• Versicherungen 12%
• Gesundheitsweisen 8%
• Medien, Unterhaltung, Glücksspiel 8%
• Querschnittsaktivitäten 6%
• Technologiedienstleistungen 6%
• Freie Berufe 4%
• Energie und Versorger 3%
• Verarbeitendes Gewerbe 3%
• Sonstige 7%
Quelle: Cambridge Centre for Alternative Finance, „Global Blockchain Benchmarking Study“ 2017. Die Angaben basieren auf 132 Anwendungsbereichen, die in öffentlichen Diskussionen, Berichten und Pressemeldungen oft vorkamen.
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das Konzept der Blockchain. Darin wurde die Blockchain als Grundlage für ein öffentliches Register skizziert, um BitcoinTransaktionen nachzuvollziehen. Die Bedeutung lag besonders im einzigartigen Ansatz, das Problem des Double Spending zu vermeiden: die Gefahr, Bitcoin zu duplizieren oder zu fälschen, um sie mehrfach ausgeben zu können.
Abhilfe schafft eine verteilte Datenbank bzw. ein verteiltes Register. Bei einem traditionellen zentralen System speichert und pflegt ein Teilnehmer alle Daten. Ein dezentrales System benötigt keine Struktur in Form von Nabe und Speichen, sondern ermöglicht bilateralen Datenaustausch (PeertoPeer). Noch einen Schritt weiter geht ein verteiltes System. Dort kann jeder Teilnehmer eine Kopie des Registers anlegen und die Datenintegrität jederzeit unabhängig verifizieren (Abbildung 2).
Für eine solche Datendemokratie ist ein Konsens Mechanismus nötig, um Änderungen des Registers zu genehmigen. Die zugrunde liegende Annahme ist, dass es sich um ein Konkurrenzsystem handelt, in das böswillige Akteure falsche Informationen eingeben könnten. Für alle Teilnehmer eines BlockchainSystems gelten dieselben Regeln, um Änderungen (neue Transaktionen) zu bestätigen und unabhängig ein neues Register zu erstellen. Transaktionen werden erst akzeptiert, wenn sie von der Mehrheit der Teilnehmer bestätigt wurden. Dadurch sinkt das Risiko von Einzelschwachstellen im System.
Transaktionen werden in Blöcken zusammengefasst, die kryptografisch miteinander verkettet werden. Diese Kette enthält alle bisherigen Transaktionen des Registers. Die Datenbank kann nur erweitert werden.
Daten früherer Blöcke kann man nicht löschen oder ändern.4 Dies ist der Unterschied zu anderen verteilten Datenbanken: Zur Blockchain kann man nur Daten hinzufügen.
Handel, Abwicklung und ClearingEin kurzer Überblick über die Geschichte und mögliche Zukunft der Handelsabwicklung zeigt das Potenzial der Blockchain zur schöpferischen Zerstörung. Außerdem wird deutlich, dass die Blockchain die Abläufe nicht nur verbessert, sondern völlig anders gestaltet.
An den meisten Börsen dauerte die Abwicklung von Handelsaufträgen seit deren Gründung etwa 14 Tage. In den 1970er und 1980erJahren verkürzte neue Technologie die Dauer auf fünf und dann auf drei Tage. Heute ist der standardmäßige Abwicklungszyklus für viele Investmentvehikel zwei Tage. Durch die Blockchain sind aber weniger Vermittler nötig (vor allem zentrale ClearingKontrahenten und zentrale Wertpapierverwahrstellen), sodass die Abwicklung fast in Echtzeit möglich wird (T+0).
Invesco hat an Versuchen zur Nachhandelsabwicklung und abrechnung teilgenommen, in denen das Konzept im Goldbarren und Aktienhandel bestätigt wurde. Das Unternehmen, mit dem wir bei diesem Konzeptnachweis zusammengearbeitet haben, sicherte sich Anfang 2018 eine Zweitrundenfinanzierung von 65 Millionen USDollar. Wir erforschen und testen nach wie vor Methoden zur Skalierung und Nutzung der Blockchain in der Abwicklung und bereiten uns auf die Zukunft vor. Neben der Risikominimierung schafft eine kürzere Abwicklungsdauer auch mehr Liquidität für Assetmanager, weil Mittel schneller
Abbildung 2Drei NetzparadigmenDie BlockchainTechnologie nutzt ein verteiltes Netz. Jeder Teilnehmer hat alle Daten und kann sie unabhängig verifizieren. Dieses Konzept unterscheidet sich vom traditionellen Ansatz einer Nabe mit Speichen und der dezentralen Methode für einfachere PeertoPeerNetze.
Zentrales Netz Dezentrales Netz Verteiltes Netz
Quelle: Paul Baran (1962), “On distributed communication networks”, https://www.rand.org/content/dam/rand/pubs/papers/2005/P2626.pdf.
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wieder angelegt werden können. Kevin Cronin, Global Head of Trading bei Invesco, stellt dazu fest: „Wir sehen großes Potenzial für die Blockchain in der Nachhandelsabwicklung. Die Aussicht auf Abwicklung fast in Echtzeit ist spannend. Dennoch gehen wir sehr sorgfältig an diese neue Technologie heran und prüfen sie genau. Besonders interessant ist, dass FastEchtzeitabwicklung Liquidität zur Wiederanlage freimacht. Die Märkte bewegen sich in ihrem eigenen Takt, und der Unterschied zwischen Tagen und Minuten kann einen wesentlichen Einfluss auf Handelsstrategien haben.“
Viele Clearing und Verwahrstellen führen eigene Konzeptnachweise im Zusammenhang mit der Blockchain durch, gehen Partnerschaften mit BlockchainStartups ein (oder kaufen sie) und untersuchen, wie diese Technologie ihre Geschäftsmodelle und abläufe beeinflussen könnte.
Die Auftaktstudie „Global Blockchain Benchmarking Study“ Das Fintech-Segment entwickelt sich schnell weiter. Im September 2017 veröffentlichte das Cambridge Centre for Alternative Finance in Zusammenarbeit mit Ernst & Young und Visa einen umfassenden Bericht über die Verbreitung der Blockchain und der Technologie verteilter Register (Distributed Ledger Technology, DLT). Die Erkenntnisse der Unter-suchung stützen sich auf Online-Umfragen und öffent lich verfügbare Datenquellen. Sie geben die Sicht von über 200 privaten und öffentlichen Orga-nisationen wieder, die sich mit dieser Technologie beschäftigen.
Einige der wichtigsten Erkenntnisse waren:*• Die Zahl der DLT-Start-ups hat sich seit 2014
von 37 auf mindestens 115 etwa verdreifacht.
• Etwa 47% aller DLT-Start-ups haben ihren Sitz in Nordamerika, gefolgt von Europa (28%) und dem asiatisch-pazifischen Raum (19%).
• 30% der bekannt gegebenen Anwendungs-möglichkeiten für verteilte Register kommen im Banken- und Finanzsektor vor, gefolgt von staat-lichen Stellen (13%), Ver siche rungen (12%) und dem Gesundheitswesen (8%).
• Nach wie vor gilt „unausgereifte“ Technologie als größte Hürde der Nutzung von verteilten Regis tern auf breiter Basis.
• Bislang wurde die Technologie nur wenig zur Bereitstellung von Netzen und Anwendungen genutzt.
Die Blockchain-Technologie und die entsprechenden Investitionen wachsen sehr schnell: Seit Veröffent-lichung des CCAF-Berichts 2017 hat Coindesk – ein führendes digitales Medienportal für Neuigkeiten zu Kryptowährungen und die Blockchain – festgestellt, dass es allein in den USA etwa 300 Blockchain-Start-ups mit gesamten Finanzmitteln von etwa 4,5 Milliarden US-Dollar gibt.**
* Stand September 2017. ** Der Bericht „State of Blockchain Q2 2018“ fasst die bisher wichtigsten Ereignisse rund um die Blockchain zusammen und zeigt, wie schnell sich das Marktumfeld für Blockchain-Start-ups verändert (https://www.coindesk.com/research/state-of-blockchain-q2-2018/?slide=63).
Das Potenzial zeigt sich beispielsweise, wenn man die Clearingfunktion zentraler Kontrahenten in kleinere Einheiten unterteilt. Vereinfacht formuliert sind dies operative Abwicklungsaufgaben, um das Risiko zu senken und die Integrität des Marktes sicherzustellen. Der zentrale Kontrahent kontrolliert die Kreditrisiken einzelner Handelsteilnehmer, ergreift Maßnahmen bei Zahlungsverzug und überwacht systemische Marktrisiken. Die Blockchain kann diese Verwaltungs, Kontroll und Aufsichtsfunktionen durch Protokolle vereinfachen, sogenannte Smart Contracts. Wir gehen darauf im nächsten Abschnitt ein. Durch die Aus führung von Smart Contracts kann man manuelle Aufgaben reduzieren und Abläufe effizienter machen. So können Finanzmarktakteure den Einsatz knapper Ressourcen überdenken und sie anderweitig nutzen.
Bereits seit über zwei Jahren wird daran gearbeitet, die Kapitalmärkte durch die Blockchain effizienter zu machen. So gab vor Kurzem ein angesehener Finanz datenanbieter eine Software auf BlockchainBasis bekannt, um in Reaktion auf Kritik von Aufsichtsbehörden wegen Abwicklungsverzögerungen den Handel von Konsortialkrediten „nahtlos zu integrieren und eine durchgängige, vollautomatisierte Verarbeitung (StraightThrough Processing)“ zu ermöglichen. Üblicherweise dauert die Abwicklung dort viel länger als T+0, wie es die Blockchain ermöglicht.5
Andere KonzeptnachweisProjekte analysieren, wie die Blockchain die Abwicklung grenzüberschreitender Zahlungen beschleunigen kann. Beispielsweise wird XRP, die Architektur, auf der die Kryptowährung Ripple basiert, als „für den Unternehmenseinsatz“ und „ein verlässliches, bedarfsorientiertes Instrument zur Liquiditätsbeschaffung“ beworben. Viele Unternehmen testen zurzeit die Tragfähigkeit des Systems.
Smart Contracts und digitale IdentitätenEnde 2013 machte der jugendliche Programmierer Vitalik Buterin auf sich aufmerksam, als er in einem Whitepaper Ethereum vorstellte – seine eigene BlockchainPlattform – und die Idee von Smart Contracts aufbrachte. Smart Contracts sind Programme, die bei einem bestimmten Vorgang oder unzureichenden Eingaben automatisch eine bestimmte Transaktion durchführen oder ein anderes Protokoll auslösen. Beispielsweise kann man festlegen, dass ein Betrag erst nach der Eingabe der erforderlichen Informationen übertragen werden oder eine Zahlung erst dann erfolgen darf, wenn eine Anlage innerhalb einer vorgegebenen Zeit übertragen wurde. Smart Contracts haben den Vorteil, dass sie programmgesteuerten Regeln unterliegen und ihre Ausführung in der Blockchain aufgezeichnet wird. Das ergibt einen transparenten und nachvollziehbaren Prüfpfad der Einträge.
Der Begriff Smart Contract wurde zwar bereits fast ein Jahrzehnt zuvor vom Computerpionier Nick Szabo geprägt. Aber erst die Einführung von Ethereum 2015 rückte das Konzept stärker ins Blickfeld. Ethereum ist eine dezentrale Plattform, die die eingeschränkteren Skriptsprachen von Bitcoin durch eine Programmiersprache ersetzte, in der Entwickler ihre eigenen Smart Contracts (sogenannte autonome Agenten) programmieren können. Die Prophezeiung von Buterin hat sich erfüllt: Smart Contracts könnten ein wesentlicher Bestandteil von „Systemen (...) werden, die wir uns noch gar nicht vorstellen können“.6 Heute stehen sie im Mittelpunkt der
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ständig zunehmenden Popularität der Blockchain: Zwei Drittel der Befragten im Rahmen der „Global Blockchain Benchmarking Study“ von CCAF (BlockchainStartups, etablierte Unternehmen, Zentralbanken und diverse öffentliche Institutionen) gaben an, dass ihre Lösungen voll funktionsfähige Smart Contracts enthielten.
Im Investmentmanagement führen Änderungen der Kundenpräferenzen zu niedrigeren Eintrittsbarrieren und sinkenden Gebühren. Smart Contracts bieten klare Vorteile. Sie verbessern praktisch jede Situation, in der eine vertragliche Vereinbarung nötig ist, um Vertrauen und Sicherheit zu schaffen. Deshalb untersuchen verschiedenste Finanzinstitutionen, wie man Smart Contracts nutzen kann, wenn ein Kontrahentenrisiko besteht. Sie können Verzögerungen eliminieren, Ineffizienzen minimieren und für Transparenz sorgen. Deshalb ist leicht nachvollziehbar, wie sie beispielsweise verzögerungsfrei die Performancegebühren von Fondsmanagern berechnen und zahlen – und wie bereits besprochen die Abwicklung und Abrechnung revolutionieren – könnten. Um den Kunden lebenszyklus digital abzubilden, hat Invesco an Versuchen teilgenommen, mittels Smart Contracts Kundengebühren zu verbuchen. Ziel ist es, aus einem komplexen Prozess einen transparenteren und besser nachvollziehbaren Eintrag zu machen.
Derivate sind ein weiteres Segment, in dem Smart Contracts lange bestehende Ineffizienzen eliminieren könnten. Die manuelle Abwicklung von Handelsaufträgen kann sehr komplex und zeitintensiv sein, was sich auch in den Gebühren von Brokern und Vermittlern niederschlägt. Durch die Blockchain könnte man laut ihren Befürwortern viele dieser Probleme (oder sogar alle) vermeiden. Letztes Jahr veröffentlichte die International Swaps and Derivatives Association (ISDA) aber einen Bericht, der schlussfolgerte, Smart Contracts seien noch nicht intelligent genug, um mit subjektiven oder auslegungsbedürftigen rechtlichen Klauseln umzugehen.7
Das KnowyourCustomerPrinzip („Kenne deinen Kunden”) und Regeln zur Geldwäschebekämpfung sind große Herausforderungen für den Finanzdienstleistungssektor. Zurzeit dauert die Erfüllung von Regulierungsauflagen oft Wochen, und Aufnahme und Kontrolle von Kunden sind langwierig und teuer. Abhilfe versprechen BlockchainStartups, die sich auf Wertpapiere in Tokenform wie unten beschrieben spezialisieren. Die nötigen Kundeninformationen und Geldwäschevorschriften können in Smart Contracts integriert werden. In einem verteilten Register mit Echtzeitzugang zu allen Änderungen des Kundenstatus könnten Smart Contracts die mühsame Aufgabe übernehmen, Betrug aufzudecken und zu dokumentieren. So könnten Institutionen, Aufsichtsbehörden und andere Stellen sofort auf verdächtiges Verhalten reagieren.8
Fondsdaten und handelDie Blockchain treibt auch den Wandel in der Verarbeitung von Indexfondsdaten durch Investmentmanager voran. Ziel ist es, durch verteilte Register Daten verschiedener Anbieter in einer einzigen Quelle unveränderbarer Echtzeitdaten zusammenzufassen.
Üblicherweise verteilen viele Anbieter Indexdaten über unterschiedliche Distributionskanäle. Auch hier
Smart Contracts und das OrakelproblemSkeptikern zufolge sind Smart Contracts – zu min dest in ihrer aktuellen Form – gar nicht so intelligent. Die Kritik lautet, dass sie keine Fragen über die reale Welt außerhalb der Blockchain beantworten können. Das gelingt nur mit externer Hilfe.
Hier kommen üblicherweise sogenannte Orakel ins Spiel, die Informationen an Smart Contracts liefern. Ihr Name ist Programm: So wie die Orakel der griechischen Mythologie verbinden sie zwei Welten. Als Datenlieferant bestimmt ein Orakel, was ein Smart Contract weiß – und tun kann.
Das führt zu einem Widerspruch: Durch die verteilte Struktur von Blockchains will man das Risiko von Einzelschwachstellen in einem Netz vermeiden. Orakel werden aber meist zentral betrieben und führen eben dieses Risiko wieder ein. Für die Ver-bindung zur Außenwelt muss man also auf den fundamentalen Vorteil der Blockchain verzichten: Dezentralisierung.
Eine der aussichtsreichsten Lösungen für dieses Dilemma ist ein Orakel, das selbst dezentral orga-nisiert ist. Es lässt mehrere andere Orakel Daten aus verschiedenen Quellen sammeln und fasst die Ergebnisse zusammen. Jedes Orakel, das wesent-lich vom Mittelwert abweicht, würde ausgeschlossen und hätte künftig weniger Einfluss. Ein anderer mög licher Ausweg wäre, einen Anbieter von Orakel-diensten einer genauen Sorgfaltsprüfung zu unter-ziehen. Das würde aber die Transaktionskosten wesentlich erhöhen und den Grundideen der Nutzung einer Blockchain widersprechen. Für viele Unter-stützer der Blockchain ist das Orakelproblem gar nicht relevant. Ihnen zufolge können sich Blockchain-Protokolle selbst gegen schlechte Orakel ver tei di-gen, indem sie deren Aktivitäten identifi zie ren und aufzeichnen. Abhilfe gegen das Orakel problem bieten auch private oder genehmigte Blockchains anstelle von öffentlichen.
stehen Vermittler im Zentrum. Tests haben gezeigt, dass die Blockchain die Datenlieferung beschleunigt und Fehler zu vermeiden hilft, die bei manueller Dateneingabe passieren können, beispielsweise bei Namen und Aktienkursen von Unternehmen. Große institutionelle Investoren führen diesbezüglich Untersuchungen durch. Invesco nimmt an mehreren BlockchainKonsortien teil, unter anderem an einem für Indexdaten. Weitere Teilnehmer sind große Branchenakteure, Anbieter von BlockchainLösungen für institutionelle Kunden und das Center for Research in Security Prices der Booth School of Business der University of Chicago.
In vielerlei Hinsicht ist das aber nur ein erster Schritt. Mittlerweile stellt sich bereits die Frage, wie sich die Blockchain allgemein auf Indexfonds auswirken könnte. Hier kommt es vielleicht zu den größten Veränderungen.
Exchange Traded Funds (ETFs) wurden in den frühen 1990erJahren entwickelt. Sie gelten als disruptives Symbol der Verdrängung von Vermittlern. Das enorme Wachstum dieses Sektors basiert auf der Umgehung von Drittparteien und dadurch niedrigeren Kosten.9 Es gab Überlegungen, dass eine neue Generation
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übertragen oder zu unterteilen sind. In der Vergangenheit waren sie daher für viele Investoren außer Reichweite. Durch Tokenisierung könnte der Kauf, Verkauf und Handel von relativ illiquiden alternativen Anlagen wie Immobiliendirektinvestments, Diamanten und Kunstgegenständen für viele Investoren recht einfach werden. Das gilt sogar für immaterielle Vermögenswerte wie Finanzindizes, Patente und Urheberrechte.
Tokenisierung könnte einen fundamentalen Wandel anstoßen, die Investitionstätigkeit demokratisieren, die Portfoliodiversifikation verbessern und administrative Kosten senken. Viele Fintechs entwickeln Methoden, um scheinbar illiquide Anlagen durch Tokenisierung und ähnliche Techniken für private und öffentliche Blockchains liquide zu machen. Invesco entwickelt zurzeit einen Konzeptnachweis für tokenisierte Anlagen auf Basis der EthereumBlockchain. Mögliche Hürden der Tokenisierung sind unter anderem Transaktionskosten und die Rechenleistung von Computern, die zur Bestätigung von BlockchainTransaktionen nötig ist.12
Tokenisierung ist in ihrem Kern eine neue Version einer alten Idee: Verbriefung. Colin Fitzgerald stellt dazu fest, dass „sich illiquide Anlagen wie Immobilien gut zur Umsetzung in Token eignen könnten. Tokenisierung schafft Liquidität und vielleicht sogar einen Sekundärmarkt für solche Anlagen. Außerdem gibt es nicht viele Investmentvehikel, bei denen der Durchschnittsinvestor direkt in Anlagen wie Immobilien investieren kann.“
Für Sandy Kaul, Global Head of Business Advisory Services bei der Citi, ist es wichtig, dass Investmentmanager diese neuen Methoden der Eigen tümerschaft von Sachwerten zur Kenntnis nehmen und sich darauf einstellen. Ihrer Ansicht nach „könnten sie die Geschäftsmodelle wesentlich beeinflussen. Es könnte zu einem Wettrüsten um die Finanzierung von Transaktionen und zur Suche nach neuen, spe zialisierten Marktakteuren kommen – von Market Makern und Verwaltern bis hin zu Immobilienmaklern und Kunstkuratoren. Verteilte Register und Smart
von ETFs, Blockchain Traded Funds oder BTFs, die Vermittler noch weiter zurück und den Wandel vorantreiben könnten.
BTFs könnten den Handel ohne Instanzen ermöglichen, die üblicherweise im Mittelpunkt des Prozesses stehen: Verwahrstellen, Börsen, Banken und andere vertrauenswürdige Dritte. So könnte man täglich und rund um die Uhr handeln. Das würde die Kosten für Vermittler und den Datenabgleich weiter senken. Für einen solchen Wandel müssten Indizes Befürwortern zufolge in Token transformiert werden. Diese Entwicklung kann wesentliche Auswirkungen haben, die wir als Nächstes besprechen.
Für Colin Fitzgerald, Head of EMEA Institutional bei Invesco, „gibt es klare Vorteile [der BlockchainTechnologie], wie die Möglichkeit, in Echtzeit täglich rund um die Uhr zu handeln. Die Technologie steht zwar noch am Anfang, aber diese Investmentvehikel sind jetzt auf einer ähnlichen Entwicklungsstufe wie handel bare Indexfonds in den 1990erJahren, als Vanguard das einzige Unternehmen in diesem Segment war. ETFs haben sich ähnlich entwickelt.“
Token und die Demokratisierung des InvestierensToken sind ein wesentlicher Bestandteil des BlockchainKonzepts. Einige Kryptowährungen auf der Basis öffentlicher Blockchains bieten Anreize zur Schaffung und Pflege von Netzen, indem sie Entwickler und Schürfer10 am Wachstum des Netzes teilhaben lassen. Dadurch werden die Netze zu Märkten. Token ermöglichen auch neue Arten der Kapitaleinwerbung. In der ersten Jahreshälfte 2018 brachten Initial Coin Offerings (ICOs) über 13 Milliarden USDollar ein.11
Die Tokenisierung dürfte aber noch weitergehen. Es wird immer mehr erkannt, dass dieses Konzept als Vorbild zur digitalen Darstellung physischer Anlagen dienen kann, die dann über die Blockchain gehandelt werden können.
Diese Überlegungen sind nachvollziehbar. Die Investmentwelt ist voller illiquider Anlagen, die schwer zu
Abbildung 3Mögliche Folgen der Blockchain für das InvestmentmanagementNach dem kürzlich veröffentlichten GartnerBericht „How Investment Management CIO’s Can Identify Practical Blockchain Use Cases“ ist „die größte Chance der Blockchain zurzeit der Einsatz als vertrauensstiftendes Protokoll, um Einheiten zu koordinieren, zwischen denen kein Vertrauensverhältnis besteht“.
Frontoffice Middle- und Backoffice Sonstige
Fondsausschüttungen
Intelligente Anlagen:
– Liquide Wertpapiere handeln
– Illiquide Wertpapiere handeln
Hohe Auswirkung
Niedrige Auswirkung
Mittlere Auswirkung
Nachhandelsleistungen,Verwahrung und Abwicklung
Hohe Auswirkung
Aufnahme von Kunden(KYC, ”Know your Customer”)
ReferenzdatenmanagementNiedrige Auswirkung
Mittlere Auswirkung
Quelle: Gartner, „How Investment Management CIOs Can Identify Practical Blockchain Use Cases“, 2018.
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Contracts sowie Big Data und künstliche Intelligenz können die Branche zweifellos umgestalten.“
Risiken, Vorschriften und die Zukunft Neue Technologien bringen in der Regel ein gewisses Risiko – und Veränderungspotenzial mit sich. Die Blockchain ist hier keine Ausnahme. Die Entwicklung wird nicht ohne Probleme verlaufen, und nicht alle Folgen werden positiv sein.
Gesetzesvorgaben könnten kurzfristig das größte Hindernis für eine weite Verbreitung der Blockchain sein. Dieser übereinstimmenden Auffassung waren die Befragten der „Global Blockchain Benchmarking Study“ des CCAF. Sie hielten vorhandene gesetzliche Regelungen für „unklar“. Verteilte Register haben naturgemäß weder einen bestimmten Sitz noch eine zentrale Verwaltung. Das wirft wesentliche Fragen zur Gerichtsbarkeit und dem anwendbaren Recht auf. Es dürfte schwer werden, einen Rahmen festzulegen, in dem Blockchains als grundsätzlich manipulationssicher anerkannt werden. Genauso schwer ist es, diverse Stellen davon zu überzeugen, sich auf internationale Standards zu einigen. Bislang sind sich beispielsweise die USBörsenaufsicht SEC und die Derivateaufsicht Commodity Futures Trading Commission noch nicht einmal darüber einig, wann eine Transaktion endgültig abgeschlossen ist. Offen ist auch, wie Aufsichtsbehörden mit Kryptowährungen, Anlagen in Tokenform usw. umgehen werden. Außerdem stellt sich die Frage, wie angeblich unveränderliche öffentliche Register mit Gesetzen wie der EUDatenschutzGrundverordnung (DSGVO) in Einklang zu bringen sind. Immerhin räumt sie Personen das Recht ein, vergessen zu werden.
Für Regierungen und Investoren wird auch die Umweltperspektive immer wichtiger. Es kann daher problematisch sein, die Umweltfolgen auszublenden. Um BlockchainTransaktionen in großem Umfang zu validieren, ist eine enorme Rechenleistung nötig. Die Größe von Rechnerfarmen zum Schürfen gibt bereits Anlass zur Sorge – zumindest in Ländern wie China und Russland. Angaben von Digiconomist zufolge ( einer OnlinePlattform, auf der Kryptowährungen analysiert und besprochen werden) verbraucht eine einzige BitcoinTransaktion so viel Energie wie ein durchschnittlicher USHaushalt in acht Tagen. Es wird geschätzt, dass Bitcoin jährlich dieselbe Umweltbelastung verursacht wie über 2,38 Millionen Autos.13
Letztlich ist es auch unvermeidlich, dass durch die Ver breitung der Blockchain und die damit verbundene Verdrängung von Vermittlern Arbeitsplätze verloren gehen. Zwar werden auch neue Berufsfelder entstehen (am offensichtlichsten in den Bereichen Computersicherheit und Verschlüsselung), aber es wird auch Verlierer geben. Ähnlich wie fahrerlose Autos die Arbeitswelt in der Transportbranche umgestalten werden, dürften der Blockchain Berufsfelder zum Opfer fallen, die mit Abgleichs, Authentifizierungs und Verwaltungsaufgaben von Bergen von Schriftstücken zu tun haben. Es wird sich zeigen, ob die Betroffenen genauso überflüssig werden wie Hersteller von Peitschen für Pferdekutschen, als das Auto kam. Vielleicht können sie aber auch neue Fähigkeiten entwickeln, die auf das Geschäftsmodell der Blockchain ausgerichtet sind. Angesichts der erwähnten aufsichtsrechtlichen Herausforderungen wird möglicherweise nicht alles den Maschinen überlassen: Wirtschaftsprüfer und Bevollmächtigte
Wenn Entwicklungsschritte übersprungen werdenInteressant an modernen Innovationen ist, dass Länder, die heute auf dem neuesten Stand der Technologie (oder kurz davor) sind, neue Kon-zepte nicht immer am schnellsten übernehmen. Ein Beispiel ist der jüngste Wandel hin zur Smartphone-Technologie in Indien.
Einer Analyse der Credit Suisse zufolge wächst der indische Markt für Zahlungen per Mobiltelefon weltweit am schnellsten und könnte sich in den nächsten fünf Jahren bis 2023 auf etwa 1 Billion US-Dollar ver fünf-fachen.* Zweifellos wird dieser Wandel durch Strategien zur Bargeld-verringerung und die Regierungsinitiative Digital India vorangetrieben. Indien wird in diesem Zusammenhang aber nicht von Altlasten gebremst – im Gegensatz zu fortschrittlicheren Ländern: Das Land überspringt gerade eine komplette Technologiegeneration.
Die Blockchain dürfte diesen Prozess beschleunigen, weil sie immer mehr Vermittler verdrängt. Warum sollten Länder wie Indien in Systeme wie Geldautomaten oder kontaktlose Kreditkartenzahlung investieren, wenn eine schnellere und nahtlosere Transaktionsmethode einfacher und billiger sein könnte? Straßenhändler mit QR-Codes und Konsumenten mit Smart-phones können bereits jetzt digitale Zahlungen abwickeln. Deshalb dürfte die Zukunft jenen gehören, die sich moderne Methoden zunutze machen – und nicht jenen, die Rückschritte in alte Technologien machen, die schon heute verdrängt werden.
Das Blockchain Council unterstützt diese Sicht und zielt darauf ab, „durch Weiterbildung rund um die Blockchain das Bewusstsein von Betrieben, Unternehmen, Entwicklern und der Gesellschaft zu schärfen“. Die Argu-mentation ist wie folgt: „Der Mangel an Infrastruktur in Schwellenländern ist ein Vorteil für die weitere Entwicklung. So können die Länder einige Stufen des technologischen Fortschritts überspringen und direkt auf die fortschrittlichste Stufe gelangen. Schwellenländer wie Indien, Kenia und Südafrika haben bereits große Netze aktiver Smartphone-Nutzer, weil sie Datendienste zu niedrigen Kosten anbieten (…). Und das ist eine einzig-artige Chance für Blockchains.“
* National Institution for Transforming India (NITI Aayog), „Digital Payments: Trends, Issues and Opportunities”.
könnten nach wie vor gebraucht werden, um den tatsächlichen Inhalt eines verteilten Registers zu prüfen – auch wenn Computerprogramme die Verarbeitungsreihenfolge der Einträge regeln.
Die Geschichte der Innovation hat mehrfach gezeigt, dass man das Rad des Fortschritts nicht so leicht anhalten kann, wenn es sich erst einmal dreht – und oft mit gutem Grund. Bei umwälzenden Fortschritten gibt es stets Gewinner und Verlierer. Neue Technologien nicht zu beachten, führt oft zu höheren Kosten, als sich darauf einzustellen. Das dürfte auch für die Blockchain gelten. Der Geist wurde bereits aus der Flasche gelassen, und die wahrscheinlichen langfristigen Folgen zu negieren oder zu ignorieren scheint unklug – auch wenn zurzeit niemand mit absoluter Gewissheit sagen kann, wie die Zukunft aussehen könnte.
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Anmerkungen1 Im 1. Quartal 2018 stellten wir in Risk & Reward im Beitrag
„Was Sie schon immer über Kryptowährungen wissen wollten“ fest, dass „auch die spekulativsten Blasen einen realen Kern und Veränderungskraft haben. Kryptoassets sind hier keine Ausnahme“.
2 Deloitte, „Breaking blockchain open—Deloitte’s 2018 global blockchain survey“ (https://www2.deloitte.com/us/en/pages/consulting/articles/innovationblockchainsurvey.html).
3 Satoshi Nakamoto gilt allgemein als Pseudonym. Es wurde spekuliert, dass „Bitcoin: A PeertoPeer Electronic Cash System“ die Arbeit eines Entwicklerteams und nicht eines einzigen Visionärs zusammenfasst – obwohl Berichten zufolge das USHeimatschutzministerium den Autor identifiziert hat (angeblich passenderweise durch hochmoderne Datenanalyse).
4 Das Cambridge Centre for Alternative Finance zeigt in der ersten „Global Blockchain Benchmarking Study“, dass es keine absolute Unveränderlichkeit gibt. Theoretisch könnten Blöcke nachträglich geändert werden, wenn sich genug Netzteilnehmer zusammentun.
5 Markit stellte im „Q3 2016 Loan Market Data Snapshot“ fest, dass die Abwicklung von Kredittransaktionen 2015 durchschnittlich noch immer verblüffend lang dauerte: 19,3 Tage. Auch zwölf Monate später ging die Abwicklung nur unwesentlich schneller und dauerte noch immer 18,7 Tage.
6 Buterin ging in seiner Studie „A NextGeneration Smart Contract and Decentralized Application Platform“ als einer der Ersten über Kryptowährungen hinaus und erkannte das enorme Potenzial der zugrunde liegenden Technologie.
7 Die ISDA hat die Studie „Smart Contracts and Distributed Ledger – A Legal Perspective“ gemeinsam mit der Londoner Anwaltskanzlei Linklaters verfasst und festgestellt: „Bestimmte operationelle Klauseln rechtsgültiger Verträge eignen sich zur Automatisierung. Nicht operationelle Klauseln wie etwa das anwendbare Recht eines Vertrages werden aber kaum in maschinenlesbaren Code umgesetzt werden.“
8 Deloitte skizzierte in einem Bericht über die digitale Identität eine ähnliche Zukunft und beschrieb im Vorwort folgendes Szenario: „Stellen Sie sich eine Welt vor, in der Kunden eine vertrauenswürdige digitale Identität haben, die mit ihren finanziellen Unterlagen und ihrer Transaktionshistorie verknüpft ist. Der Kunde stimmt digital der Eröffnung eines neuen Kontos zu. Dies löst einen Smart Contract aus, der nach den nötigen Unterlagen sucht und die Eröffnung des von der Finanzinstitution vorgeschlagenen Kontos autorisiert (oder nicht). Nach Abschluss der Identitätsprüfung zeigt eine persönliche App dem neuen Kunden die Eröffnungsunterlagen für das digitale Konto auf seinem Smartphone an (…) Dann sorgt die App durch eine automatisierte Zahlung oder einen automatisierten Wert papierübertrag für finanzielle Deckung der neuen Finanzpartnerschaft (...)”. Für Deloitte hinkt die Nutzung der Blockchain im Investmentmanagement „[dieser Vision] zurzeit einige Schritte hinterher“, aber: „Viele Unternehmen erforschen diese Entwicklung, sodass ein massiver Wandel zu erwarten ist.“ Deloitte, „Investment Management Firms: Getting started with blockchain”. (https://www2.deloitte.com/content/dam/Deloitte/us/Documents/financialservices/usfsiimfirmsgettingstartedwithblockchain.pdf).
9 Nach Angaben von EPFR, einem führenden Anbieter von Daten zu Fondsmittelflüssen, erreichte der ETFSektor 2017 ein Rekord wachstum. Die Zuflüsse betrugen weltweit 460 Milliarden USDollar, und 2018 dürfte das gesamte Anlagevolumen solcher Fonds 5 Billionen USDollar erreichen.
10 Als Schürfer werden Personen bezeichnet, die BlockchainTransaktionen validieren. Der Begriff erinnert an Goldgräber, weil die digitalen Schürfer ebenfalls etwas zutage fördern: Kryptotoken.
11 CoinDesk ICO Tracker.12 Beispielsweise verlangt Ethereum Gebühren (sogenannte Gas
Limits), damit BlockchainSchürfer Transaktionen bestätigen dürfen. Diese Gebühren hängen von der Rechenleistung ab, die zur Ausführung des Smart Contracts nötig ist. Bei komplexeren Bedingungen von Smart Contracts ist mehr „Gas“ nötig, damit die Transaktion ausgeführt werden kann.
13 Digiconomist veröffentlicht den Bitcoin Energy Consumption Index, demzufolge Bitcoin bereits mehr Energieverbrauch verursacht als die meisten Länder. Wäre das BitcoinNetz ein Land, wäre es laut Angaben der Plattform an 39. Stelle der Statistiken zum Energieverbrauch der Internationalen Energieagentur (zwischen den Philippinen und Österreich).
Über die Autoren
Dave DowsettGlobal Head of Strategy, Innovation and Scenario Planning, InvescoDave Dowsett ist Global Head of Technology Strategy, Disruptive Technology, Innovation and Scenario Planning bei Invesco. Zusammen mit seinem Team setzt er auf neue, innovative Technologien, um maximale Anlageerträge zu erzielen.
Heather WiedAdvanced Business Analyst, InvescoHeather Wied recherchiert und analysiert neue techno logische Entwicklungen in der Asset managementBranche und informiert sowohl das Technology Strategy, Innovation and Scenario Planning Team von Invesco als auch die Öffentlichkeit darüber.
Risk & Reward, #3/2018 12
„Eine Blockchain ist keine Wahrheitsmaschine”Interview mit Bryan Zhang
Bryan Zhang ist geschäftsführendes Board mitglied und Mitbegründer des Cambridge Centre for Alternative Finance (CCAF). Er hat einige der einflussreichsten britischen und internationalen Studien zu Finanzinnovationen mitverfasst. Wir sprachen mit ihm über zwei aktuelle Publikationen des CCAF: die erste „Global Blockchain Benchmarking Study“ und „Distributed Ledger Systems: A Conceptual Framework“.
Risk & RewardWarum haben Sie die erste „Global Blockchain Bench-marking Study“ veröffentlicht? Wollten Sie die neue Distributed Ledger Technology (DLT), die Tech nologie verteilter Register, in einen größeren Zusammen hang stellen?
Bryan ZhangWir merkten, dass es immer mehr BlockchainAktivitäten gibt. Interesse, Leistungsangebot, Finanzierungs aktivitäten und vieles andere nehmen stetig zu. Wir fanden aber keine konkreten empirischen Daten zu diesem neuen Sektor. Wir hatten in anderen alternativen Marktsegmenten bereits Erfahrung mit internationalen Vergleichsstudien gesammelt. So schien es logisch, unsere Analyse auszuweiten und neue Forschungen auf den Weg zu bringen, bei denen es allein um die BlockchainTechnologie geht. Schließlich wird immer mehr anerkannt, dass die Blockchain einen Wandel anstoßen kann. Doch bei aller Euphorie um neue Technologien darf man die Realität nicht aus den Augen verlieren.
Risk & RewardDas CCAF will einige Mythen um Distributed Ledger entzaubern. Können Sie uns mehr darüber sagen und erklären, warum es so wichtig ist, sie als Mythen zu erkennen?
Bryan ZhangEs herrscht ein regelrechter Hype um die Blockchain und Distributed Ledger. Die tatsächlichen Möglichkeiten werden aber manchmal übertrieben dargestellt, und die Einschränkungen oft ignoriert oder verharmlost. Das führt zu unrealistischen Erwartungen.
Ein weitverbreiteter Mythos ist, eine Blockchain käme „ohne Vertrauen“ aus. Tatsache ist aber, dass Sie letztlich immer irgendeiner Person oder Sache vertrauen müssen – und wenn es nur der Programmcode ist, der ausgeführt wird. Auch gibt es keine absolute Unveränderlichkeit. Die Veränderlichkeit kann bestenfalls unwahrscheinlich sein.
Eine Blockchain ist nicht auf geheimnisvolle Art sicherer als andere Datenbanken. Manchmal kann
sie bei Datenpannen aufgrund ihrer verteilten Struktur sogar unsicherer sein. Sicherheit bedeutet im Zusammenhang mit einer Blockchain vor allem, dass frühere Aufzeichnungen und die Transaktionshistorie nur schwer zu verändern sind. Aber eine Blockchain bietet keine 100prozentige Sicherheit.
Außerdem ist eine Blockchain keine Wahrheitsmaschine, durch die Daten auf wundersame Art Sinn ergeben. Wahrheitsgehalt und Genauigkeit der gespeicherten Daten stellen eine Blockchain vor dieselben Probleme wie jedes andere Dokumentationssystem. Der alte ITSpruch „Garbage In, Garbage Out“ stimmt noch immer: Unsinnige Daten führen zu unsinnigen Ergebnissen.
Und dann gibt es noch den Mythos der Durchsetzbarkeit. Eine Blockchain dient nur zur Dokumentation – wie jede andere Datenbank auch. Entscheidungen mit Bezug zur realen Welt kann sie nicht wirksam oder automatisch durchsetzen. Damit die Blockchain externe Objekte und Ereignisse nachvollziehen kann, ist nach wie vor Hilfe von außen nötig.
Die größte Herausforderung ist, dass Blockchains als Patentrezept für alles angepriesen werden. Wir müssen aber die Vor und Nachteile solcher Systeme ausgewogen und objektiv analysieren. Sonst verlieren wir vor lauter Begeisterung das Wesentliche aus den Augen. Hier setzt unsere vor Kurzem veröffentlichte Studie „Distributed Ledger Systems: A Conceptual Framework“ an, in der wir einige der häufigsten Missverständnisse beschreiben. Geleitet wurde sie von unserem Kryptowährungs und BlockchainExperten Michel Rauchs.
Risk & RewardNach der „Global Benchmarking Study“ ist Distri buted Ledger noch nicht ausgereift, und der Markt ist noch immer fragmentiert. Was kann diese Situation ver-bessern?
Bryan ZhangEines der größten Probleme ist, dass es keine einheitliche Terminologie gibt. Eine Blockchain kann heute alles sein – von einer einfachen Datenstruktur bis zu einem komplexen, genehmigungsfreien sozioökonomischen System. So werden zwar viele Projekte als „auf BlockchainBasis“ verkauft, aber sie entsprechen nicht dieser Definition.
Deshalb wollen wir eine einheitliche Terminologie schaffen und DistributedLedgerSysteme formell definieren. Außerdem schlagen wir einen Konzeptrahmen vor, der ein System in einzelne Komponenten zerlegt, deren Zusammenspiel auf drei Ebenen untersucht werden kann: auf der Protokoll, Netz und Datenebene.
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Bislang werden erst sehr wenige Netze auf Basis geschlossener, privater genehmigter Blockchains für betriebliche Abläufe eingesetzt. Andererseits führen Tausende Firmen Konzeptnachweise eigener privater Netze durch oder testen Versuchs und Pilotprojekte. So kommen wieder mehr geschlossene Datensilos auf, die oft nicht kompatibel sind.
Um das gesamte Potenzial der Blockchain auszuschöpfen, müssen verschiedene Einrichtungen im selben BlockchainNetz zusammenarbeiten. Wir gehen davon aus, dass in den nächsten Jahren große Netze für spezifische Anwendungen, Branchen und Regionen entstehen werden. Wie lange das dauert, ist schwer zu sagen: Es ist aufwendiger, eine neue Basisinfrastruktur für gesamte Branchen bereitzustellen, als eine einzelne Anwendung einzuführen.
Risk & RewardAngenommen, es kommt zu einem ausreichenden Grad an Einvernehmen und Standardisierung: Wie problematisch sind die aufsichtsrechtlichen und gesetzlichen Hindernisse, bevor Distributed Ledgers massentauglich werden können?
Bryan ZhangIn unserer ersten „Global Blockchain Benchmarking Study“ vom September 2017 haben wir herausgefunden, dass ein unklares aufsichtsrechtliches Umfeld und gesetzliche Risiken am häufigsten als wesentliche Hürden für die breitere Akzeptanz der BlockchainTechnologie genannt wurden. Das hat viele Gründe, und es sind noch viele Fragen offen.
Zum Beispiel stellt sich die Frage, ob Token, die in verteilten Registern ausgegeben werden, als rechtmäßiger Ersatz für traditionelle Assets anerkannt werden. Wie werden BlockchainAbspaltungen, also Unterteilungen in zwei Systeme, aus rechtlicher Sicht beurteilt? Werden Knotenbetreiber als Anbieter von Finanzmarktinfrastruktur angesehen und reguliert? Wie ist die angebliche Unveränderlichkeit mit dem Recht in Einklang zu bringen, vergessen zu werden?
Je mehr Netze und Anwendungsbereiche entstehen, desto wichtiger werden die praktischen Aspekte. Dann dürften sich auch diese Fragen klären. Hinzu kommt, dass die meisten aufsichtsrechtlichen und gesetzlichen Hürden bei öffentlichen, genehmigungsfreien Blockchains und deren Kryptoassets bestehen – weniger bei unternehmerisch genutzten.
Risk & RewardTrotz möglicher Probleme zeigt der Finanz dienst-leistungssektor großes Interesse an Distributed Ledgers. Es wird viel investiert und für Forschung und Entwicklung ausgegeben. Glauben Sie, dass es in diesem Sektor zu einem radikalen Wandel kommen wird, und wer könnte Ihrer Ansicht nach davon profitieren bzw. beeinträchtigt werden?
Bryan ZhangDas bringt mich wieder zum Terminologieproblem: Echte Blockchains oder DistributedLedgerSysteme mit dezentralen Konsensmechanismen und ohne Autoritäten werden für eine neue Finanzmarktinfrastruktur kaum oder gar nicht relevant sein. Potenzielle Systeme oder BeinaheBlockchains mit zentralen Kontrollinstanzen können aber durchaus
die Basis für eine neue Finanzmarktinfrastruktur werden.
Bislang scheint die Blockchain hauptsächlich einen Anreiz zu bieten, die Organisation zu ändern und überholte ITInfrastruktur endlich auf den neuesten Stand zu bringen. Viele Finanzinstitutionen nutzen SoftwareAltsysteme aus den 1970erJahren und haben seit Jahrzehnten nicht viel modernisiert. Der BlockchainBoom ist eine Chance für Unternehmen, Geschäftsprozesse zu überdenken und stärker auf eine gemeinsam genutzte Infrastruktur mit einheitlichen Datenformaten und besserer Kompatibilität zu setzen.
Eines ist aber klar: Intermediäre werden nicht verschwinden! Sie werden nur eine etwas andere Rolle spielen. Wer das rechtzeitig erkennt, kann sich darauf einstellen und die etablierte Marktstellung vertrauter Marken zum eigenen Vorteil nutzen.
Risk & RewardGlauben Sie abschließend, dass die Blockchain bald ein wichtiger Teil unseres täglichen Lebens wird – so wie in den letzten Jahren das Internet, Smartphones und soziale Medien? Sind wir dieser Realität bereits näher als viele glauben?
Bryan ZhangAuch das hängt hauptsächlich davon ab, was Sie unter einer „Blockchain“ verstehen. Wenn damit ein gemeinsamer, einheitlicher Standard für den Datenaustausch zwischen Unternehmen gemeint ist – absolut. Diese Infrastruktur dürfte aber hauptsächlich hinter den Kulissen im BackEnd laufen und für Konsumenten und Endnutzer kaum zu bemerken sein.
Echte Blockchains, die wir in unserer neuen Studie als ideale DistributedLedgerSysteme bezeichnen, dürften meiner Meinung nach aber nur eine Nische werden, die für einen kleinen Teil der Bevölkerung und der Geschäftswelt relevant ist. Ihre Effizienz, Skalierbarkeit, Möglichkeiten zur Kostensenkung und Nutzerorientierung sind systembedingt eingeschränkt. Deshalb werden sie kaum massentauglich und allgegenwärtig werden – wenn es nicht zu einem weiteren großen technologischen Durchbruch kommt.
Risk & RewardVielen Dank für das Gespräch.
Risk & Reward, #3/2018 14
„Einige Investmentmanager werden wohl umdenken müssen“Interview mit Sandy Kaulw
Sandy Kaul Managing Director Global Head of Business Advisory Services, Citi Global Investor Sales and Relationship Management
Vor einigen Monaten veröffentlichte Citi die Studie „Industry Revolution – Investment Manage ment in 2033“. Dazu wurden weltweit Fintechs, VentureCapitalUnternehmen, Technologie experten und Investmentmanager befragt. Die Ergebnisse zeigen, wie eine Kombination aus Big Data, künstlicher Intelligenz und der Distributed Ledger Technologie die Investment branche verändern könnte. Wir sprachen mit der Autorin der Studie, Sandy Kaul, über mögliche Chancen und Herausforderungen.
Risk & RewardAm Anfang Ihrer Studie beschreiben Sie vier Phasen einer industriellen Revolution: Probleme, die der aktuelle Status quo nicht lösen kann, Anzeichen einer Veränderung, neue Lösungen aufgrund dieser An-zeichen und Chancen durch den neuen Status quo. Wo stehen wir jetzt?
Sandy KaulIch glaube, wir sind noch in der Phase der Anzeichen einer Veränderung. Wir wissen zwar noch nicht, wie die Struktur künftig aussehen wird, aber wir erforschen verschiedene Bereiche. Es gibt mehrere Taktgeber für die aktuelle Entwicklung.
Erstens sind dies Bedenken wegen der betrieblichen Abläufe in dieser Branche. Es gibt noch immer Bereiche mit viel Ineffizienz, manueller Verarbeitung und zu viel Austausch von Schriftstücken. Bei vielen neuen Anlageklassen wie Bankdarlehen, Krediten unter Privat personen und Handelsfinanzierungen ist ein enormer manueller Aufwand nötig, um Transaktionen durchzuführen. Das bremst deren Wachstum – zu einer
Zeit, in der viel Geld an illiquideren Märkten oder abseits von Börsen darauf wartet, investiert zu werden.
Zweitens zeigt die Erfahrung bei Kryptowährungen, dass auch Kleinanleger an Märkten teilhaben wollen, die üblicherweise institutionellen und qualifizierten Investoren vorbehalten sind. So wird der Zugang zu illiquiden Assets demokratisiert.
Außerdem gibt es Versuche, physische Assets in kleineren Einheiten verfügbar zu machen. Ich glaube, dass sich hier noch einiges ändern wird und künftig mehr Token angeboten werden, die Eigentumsrechte und nicht nur Nutzungsrechte an Vermögensgegenständen repräsentieren. Wir stehen da noch ganz am Anfang, aber der Trend könnte sich in den nächsten 18 bis 24 Monaten wesentlich beschleunigen.
Risk & RewardIhr Report liefert einige faszinierende Beispiele für Investmentvehikel auf der Basis von Distributed Ledger, die auf den demografischen Wandel hin zu Kleinanlegern und deren eingeschränkte Diversifika-tionsmöglichkeiten bei Investments eingehen. Können Sie uns mehr über neue Modelle der Eigentümer-schaft von Sachwerten und deren Unterteilung in leistbare Einheiten sagen?
Sandy KaulNehmen wir zwei interessante Beispiele mit unterschiedlichen Ansätzen: BrickX kauft Gebäude und unterteilt deren Eigentümerschaft in kleine Anteile. Das zweite Beispiel ist das Unternehmen Maecenas, das den Zugang zu Kunst demokratisieren will.
BrickX hat seinen Sitz in Australien, wo Immobilien sehr teuer sind. Das Unternehmen hat ein neues Modell entwickelt. Es kauft Wohnimmobilien und unterteilt die Eigentümerschaft am Eigenkapitalanteil in 10.000 Einheiten oder „Bricks“ (Ziegelsteine). Das Unternehmen gibt diese Bricks in einer Emission über seine Plattform aus, auf der Eigentümer ihre Anteile auch am Sekundärmarkt handeln und so Liquidität für ihre Investments schaffen können.
Viele jüngere Menschen, denen der Einstieg in den Immobilienmarkt schwerfällt, nutzen Bricks als Sparform. Das macht sie außerdem zu Immobilieneigentümern. Diese Einheiten sind aber noch immer traditionelle Verträge und nicht „tokenisiert“. Ein Brick ist die kleinstmögliche Investition und Liquiditätseinheit.
Maecenas will hingegen durch Tokenisierung den Zugang zu Kunst ermöglichen. Wenn Sie einen Anteil an einem Kunstwerk bei Maecenas erwerben, kaufen Sie vielleicht nur einen Bruchteil eines Token. Egal, wie viel Sie kaufen, Sie können Bruchteile davon auch wieder verkaufen und müssen nicht Ihren gesamten Anteil tauschen. Das ist der größte Unterschied der beiden Systeme.
Risk & Reward, #3/2018 15
Risk & RewardDas meinen Sie also, wenn Sie sagen, man solle das Konzept der Eigentümerschaft neu interpretieren?
Sandy KaulWir glauben, dass das Modell von Maecenas zu höherer Liquidität führt. Allerdings sind wir auch der Meinung, dass ein weiterer Entwicklungsschritt nötig ist, um aus diesen Innovationen effektive Handelsinstrumente zu machen. Das Instrument muss für den Investor einen echten Nutzen haben.
Unseres Erachtens legen die Menschen immer mehr Wert darauf, dass ihre Investments langlebig sind, an Wert gewinnen und Nutzen stiften. Sie sollen Kosten sparen helfen, direkte Geldflüsse ermöglichen, Spaß machen und ihnen das Gefühl geben, etwas Gutes für die Welt zu tun. Um alle diese Anforderungen zu erfüllen, sind allumfassende Portfolios nötig. Token und Smart Contracts, die durch Distributed Ledgers möglich werden, scheinen uns dafür ideal. Sie geben uns die Möglichkeit, Mechanismen zur Übertragung und Kontrolle einzelner Rechte einzubauen – ohne dass viele Menschen mitwirken müssen.
Risk & RewardDas klingt großartig für Investoren. Aber welche Rolle werden Investmentmanager spielen, und wie wird sich ihr Angebot ändern müssen?
Sandy KaulGenau deshalb glaube ich, dass dies eine sehr spannende Zeit für Investmentmanager ist. Invesco setzt beispielsweise schon die richtigen Schritte. Viele der führenden Investmentmanager bieten seit einigen Jahren für ihre Portfolios auch alternative Investments an. So wurden Immobilien und Infrastrukturanlagen sowie Experten für illiquide Assets aufgenommen. Meines Erachtens werden bald immer mehr große, gut diversifizierte Assetmanager die Grundbausteine und talentierten Mitarbeiter haben, um in diese neuen Assets zu investieren.
Risk & RewardSind Gesetzesvorgaben die größte Herausforderung?
Sandy KaulIch glaube, Aufsichtsbehörden könnten den Einstieg in diese Märkte sogar erleichtern. Sie sind lange vor der Investmentbranche auf diesen Bereich aufmerksam geworden. Meiner Meinung nach dürfte die Security Exchange Commission (SEC = USBörsenaufsichtsbehörde) in den nächsten 12 bis 18 Monaten entsprechende Vorschriften präsentieren. Und das ist ein gutes Zeichen für die weitere Verbreitung dieser Instrumente.
Die größte Herausforderung ist meiner Meinung nach, dass diese Instrumente für unser Weltbild noch ungewohnt sind. Die meisten Investmentmanager bieten hauptsächlich traditionelle Aktien und An leihen. Einige werden aber umdenken und mögliche neue Anlageinstrumente erwägen müssen – Instrumente, die vielleicht nicht zu ihrer aktuellen Infrastruktur, Rechnungslegungsmethode, Art der Kundenbetreuung und auch nicht zu ihren Middle und Backoffice Abläufen passen.
Wir haben weltweit interessante Gespräche über unseren Bericht geführt. Viele Unternehmen interessieren sich überhaupt nicht für diese neuen Instru
mente, und andere sind begeistert und wollen sofort mit Versuchen beginnen. Deshalb glaube ich, dass das Potenzial dieser neuen Instrumente sehr unterschiedlich eingeschätzt wird. Wie wir in der Anfangszeit von ETFs gesehen haben, wird es auch dieses Mal viele überzeugte Befürworter und viele vehemente Gegner von Innovationen geben.
Risk & RewardKönnen Investmentmanager, die sich überhaupt nicht dafür interessieren, langfristig überleben?
Sandy KaulIch glaube, dass sie ihre Meinung ändern werden. Vielleicht hat ein Investmentmanager vor Jahren beschlossen, sich von ETFs fernzuhalten. Seit dort aber immer mehr investiert wird, kann ein diversifizierter Assetmanager ohne ETFs kaum mehr bestehen. Genauso könnten einige Investmentmanager von diesen neuen Assets Abstand nehmen. Dann müssen sie sich aber später vielleicht eingestehen, die Chance verpasst zu haben. Wenn sie dann nachziehen und ihre Organisationen neu aufstellen müssen, werden ihre Konkurrenten schon einen deutlichen Vorsprung haben.
Risk & RewardAm Anfang sagten Sie, wir seien noch in der Phase der „Anzeichen einer Veränderung“. Wie lange wird es dauern, bis diese Instrumente zum Alltag gehören?
Sandy KaulNun ja, als wir unseren Bericht verfassten, gingen wir davon aus, dass sie in acht bis zehn Jahren zum Alltag gehören könnten. Diese Schätzung ist vielleicht nicht mehr ganz angemessen! Ich glaube, dass einige Instrumente bereits in drei bis fünf Jahren auf breiter Basis gehandelt werden könnten. Es überrascht mich, wie groß das Interesse und die Akzeptanz einiger bedeutender Unternehmen sind. Sie durchforsten ihre Assetportfolios und überlegen, wie dieses neue Angebot das Anlageuniversum in neue Richtungen erweitern kann.
Risk & RewardVielen Dank für das Gespräch.
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Kurz gefasstDie Weltwirtschaft scheint auf dem Weg von einer synchronen Erholung zu einer heterogeneren Entwicklung zu sein, da sich die einzelnen Länder aufgrund politischer Risiken an den altbekannten wirtschaftlichen und finanziellen Sollbruchstellen aus einanderzuentwickeln drohen. Wir beurteilen zunächst die aktuelle Lage der Weltwirt schaft und analysieren dann detailliert Wahr schein lichkeit und Folgen eines USDollar und Zinsschocks sowie die Risiken durch zu nehmenden Protektionismus, jeweils im historischen Kontext. Zweifellos gibt es Risiken, doch extremer Pessimismus ist nicht unser Haupt szenario. Die Zeiten extrem niedriger Volatilität und synchronen Wachstums scheinen aber vorbei. Für Investoren könnte es sich vielleicht lohnen, mit defensiven taktischen Strategien auf Bewertungsunterschiede zu setzen.
Weltwirtschaft: Asynchrone Konjunktur und strukturelle Unterschiede sind Risiken, aber nicht mehrvon Arnab Das
Zwei Dinge sorgen an den Finanz und Währungsmärkten für mehr Volatilität: asynchrones Weltwirtschaftswachstum sowie strukturelle wirtschaftliche und finanzielle Differenzen. Zusammen führt dies zu heterogeneren Risikoprämien und Erträgen – auf Länder, Anlageklassen und sogar Einzelwertebene, je nachdem, wie stark sie von diesen konjunkturellen und strukturellen Risiken betroffen sind. Wir analysieren die derzeitige Lage der Weltwirtschaft und ihre Folgen für Investoren. Dabei gehen wir besonders auf die Emerging Markets ein.
Wir glauben, dass die Verwerfungen an den großen Anleihe und Währungsmärkten mehr mit Wachstumsunterschieden als mit dem Paradigmenwechsel der USamerikanischen Zentralbank (Fed) zu tun haben, die ihre in den letzten Jahren außergewöhnliche Geldpolitik jetzt normalisiert. 2017, als sich die Weltwirtschaft synchron zu erholen schien und man von einem GoldilocksSzenario mit durchweg stabilem Wachstum und niedriger Inflation sprach, war die Normalisierung offensichtlich un problematisch. Doch 2018 ist eine asynchrone Weltkonjunktur wahr scheinlicher geworden. Während Wachstum und Inflation in den USA bisweilen positiv überraschen, sind die Zahlen aus anderen Ländern oft unerwartet schwach.
Bis zum 1. Quartal 2018 entsprachen Wachstum und Inflation in den USA den Erwartungen, doch dann sorgten die Steuerreform und die für die zweite Hälfte eines Konjunkturzyklus beispiellos expansive Fiskalpolitik für überraschend gute Daten – zumal es, wenn
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überhaupt, kaum noch eine OutputLücke gab. In den anderen großen Volkswirtschaften ging das Wachstum hingegen zurück, vor allem in Europa und China, sodass die Weltwirtschaft zunehmend asynchroner wurde. Man begann, an der GoldilocksStory aus dem Jahr 2017 zu zweifeln. Die Anleger stellten ihre Portfoliorisiken infrage, die sie erstmals seit dem Taper Tantrum eingegangen waren.
Im 2. Quartal 2018 verschärfte sich die Lage dann weiter. Es gibt Anzeichen dafür, dass das Wachstum in den USA deutlich schneller steigen wird als in anderen großen Volkswirtschaften, selbst wenn sich der Euroraum von seiner Konjunkturdelle im Winter erholt und China vor allem wegen der strafferen Kreditvergabe weniger stark wächst. Die erste Schätzung für das amerikanische BIPWachstum im 2. Quartal betrug 4,1% (annualisiert), was der zuletzt deutlich optimistischeren Konsensprognose entsprach. Die NowcastModelle von Invesco Fixed Income besagen für das 2. Quartal etwa 3,6% (Abbildung 1). Andere Beobachter prognostizieren sogar Werte deutlich über 4%, insbesondere die Atlanta Fed.
Dennoch dürften Weltwirtschaft und Welthandel von einem deutlich höheren USWachstum profitieren, das die Schwäche in Europa und China ausgleicht. Dies wäre gut für die Exporte der Emerging Markets, des Euroraums und Chinas. Das Problem sind allerdings die Handelskonflikte und die Auseinandersetzungen um den Technologietransfer. Ein USWachstum von etwa 3,5% bis fast 5% bei einer Inflation nahe ihrem Zielwert würde im 2. Quartal 2018 aufs Jahr hochgerechnet etwa 1 bis 1,4 Billionen USDollar zur nominalen Weltnachfrage beitragen, gegenüber nur etwa 750 Milliarden USDollar im Jahr 2017. Zum Vergleich: Wenn das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) des Euroraums, wie es die Konsensprognosen für das Gesamtjahr zurzeit nahelegen, einen Prozentpunkt niedriger ausfällt als erwartet, ginge die Weltnachfrage 2018 gegenüber 2017 um etwa 100 bis 150 Milliarden USDollar zurück. Ein höheres USWachstum nützt der Weltwirtschaft zwar mehr als ihr ein schwächeres Wachstum im Euroraum schadet, doch steigt das Risiko einer asynchronen Weltkonjunktur. Möglicherweise muss die Fed die Zinsen dann schneller und stärker anheben als die Europäische Zentralbank (EZB), was den USDollar stärken und zu strafferen inter nationalen Finanzbedingungen führen würde, auch in den Emerging Markets.
Wachsende HerausforderungenSolange sich die USWirtschaft nicht überhitzt, ist für die Weltkonjunktur alles in Ordnung. Doch die Herausforderungen sind gestiegen – weniger für die Weltnachfrage als für die internationalen Finanzbedingungen, eine Folge von Divergenzen und dem starken USDollar. Dies liegt an der Kombination aus neuen Abwärtsrisiken in den USA und Aufwärtsrisiken in
Solange sich die USWirtschaft nicht überhitzt, ist für die Weltkonjunktur alles in Ordnung.
anderen Ländern. Eine expansive USFiskalpolitik zum falschen Zeitpunkt könnte die Inflation steigen lassen und die Fed zu einer restriktiveren Geldpolitik veranlassen, sodass die nächste USRezession vielleicht früher kommt und sich die Weltkonjunktur bis dahin weiter auseinanderentwickelt. Außerdem könnten Geld und Fiskalpolitik vielleicht nicht mehr viel ausrichten, wenn sich die Folgen des nächsten Abschwungs bemerkbar machen. All dies passt zur Ver flachung der USZinsstrukturkurve trotz hohen Wachstums, trotz Kapazitätsengpässen und trotz des höheren Anleihenangebots aufgrund der Defizitfinanzierung der USBundesregierung und der Bilanzsummenverringerung der Fed.
Ein deutlicher Anstieg des USHaushaltsdefizits – schon jetzt werden 5% bis 6% des BIP erwartet – in einer Volks wirtschaft, deren Wachstum dem Potenzialwachstum entspricht oder sogar da rüber liegt, könnte die Möglichkeiten einer anti zyklischen Fiskalpolitik in der nächsten Rezession begrenzen. Hinzu kommt, dass die Fed die Zinsen vielleicht nicht um die in Rezessionszeiten üblichen 500 bis 600 Basispunkte senken kann, weil sie schon früher bei null angelangt ist. Sie könnte
Abbildung 1US und EuroraumWachstum im Vergleich: Eher positive Überraschungen in den USA, eher negative im Euroraum
NowcastModelle von Invesco Fixed Income: USWachstum Schätzung Tatsächliche Werte • Interquartilsabstand
% zum Vorquartal, saisonbereinigt
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-8
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-2
0
2
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6
11/07 11/09 11/11 11/13 11/15 11/17
75-25 Actual IFI Estimate US
NowcastModelle von Invesco Fixed Income: EuroraumWachstum Schätzung Tatsächliche Werte • Interquartilsabstand
% zum Vorquartal, saisonbereinigt
-12
-9
-6
-3
0
3
6
12/07 12/09 12/11 12/13 12/15 12/17
75-25 IFI Estimate Actual EU
Quelle: Invesco Fixed Income. Stand: 31. Juni 2018.
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sich dann gezwungen sehen, das Quantitative Easing (QE) wieder aufzunehmen. Und vielleicht kommt die Rezession trotz der expansiven Fiskal politik sogar früher, wenn nämlich die Handels konflikte und die Auseinandersetzungen um den Technologietransfer zu deutlich strafferen Finanz bedingungen, einem schlechteren Geschäftsklima und abnehmenden Unternehmensinvestitionen führen.
Unerwartet schwache Zahlen außerhalb der USA haben im 1. Quartal 2018 zur asynchronen Konjunktur beigetragen, und sie bleiben ein Risiko – wegen der Handelskonflikte und der Auseinandersetzungen um den Technologietransfer sowie der Spätfolgen der strafferen Kreditvergabe in China, die durch die Lockerung der Geldpolitik nicht voll ausgeglichen werden. 2017 lag das Wachstum im Euroraum über dem Trend, doch im 1. Quartal 2018 scheint es nach zulassen (Abbildung 2). Die EZB hat bereits reagiert – mit Plänen, ihre Zins erhöhungen bis weit ins Jahr 2019 hinein aufzuschieben. Am Ende des Quantitative Easing noch vor Jahresende hält sie allerdings fest. Dies dürfte die Risiken für das Wachstum und die Inflation im Euro raum senken. Eine Verzögerung der Zinserhöhungen ist für den Euro aber ebenfalls negativ, so wie die Aufwärts risiken in den USA für den USDollar gut sind. Eine USDollaraufwertung aufgrund dieser gesamtwirtschaftlichen Differenzen führt unserer Ansicht nach zu strafferen Finanzbedingungen ins besondere in den Emerging Markets, die stark von Dollarinvesti tionen abhängig sind.
Im Euroraum könnte die Konjunktur weiter nachlassen; bei einem ausgewachsenen Handelskrieg, einem ungeordneten harten Brexit oder einer schweren politischen Konfrontation zwischen populistischen Regierungen und der Europäischen Union (EU) steigen die Rezessions risiken. Auch die EZB hat dann vielleicht nicht viel Handungsspielraum. Leitzinsen und kurzfristige Zinsen sind auch weiterhin negativ, was den Banken im Euro raum noch immer Probleme bereitet, nicht zuletzt, weil ihre Kreditvergabekapazität unter dem Wert verlust ihrer Aktienbestände (aufgrund der schwächeren Konjunktur und der Handelskonflikte) gelitten hat. Ein zusätzliches Quantitative Easing der EZB wurde bereits dadurch erschwert, dass nach dem EZBKapitalschlüssel das Angebot an manchen An leihen nicht ausreicht. Er verlangt nämlich, dass sich die Anleihekäufe faktisch gemäß den BIPAnteilen auf die Mitgliedsstaaten verteilen.
Dennoch glauben wir, dass das Wachstum im Euroraum zum Trendwachstum zurückkehrt und wir keine Rezession erleben – denn einige vorübergehende Effekte wie der harte Winter, die politischen Streiks in Frankreich und die schwierige Regierungsbildung in Deutschland und Italien werden dann aus den Daten herausfallen. Dennoch bleiben die politischen Risiken in Europa hoch. Die Herausforderungen – durch Populismus infolge von Einwanderung und Flüchtlingskrise, aber auch durch Haushalts und Strukturreformen – sind aber klein verglichen mit den existenziellen Risiken eines Auseinanderbrechens des Euroraums auf dem Höhepunkt der Eurokrise zwischen 2010 und 2012.
Und China?Chinas staatlich veranlasste Straffung der Kreditvergabe, die Konjunkturabkühlung und die Neuausrichtung der Wirtschaft könnten ebenfalls betroffen sein. Die Bemühungen um einen Strukturwandel von
hohen Nettoexporten und Investitionen zu Konsum und Dienstleistungen – bei anhaltend starkem Wachstum, um die Schuldenstandsquoten zu senken – würden durch einen Handelskrieg nicht einfacher. Höhere USHandelsschranken, nicht weit entfernt von Verboten oder drastischen Beschränkungen der für die Finanzierung des Handelsbilanzdefizits notwendigen Auslandsinvestitionen, würden den USDollar stärken und den Renminbi schwächen. Tatsächlich könnte die chinesische Notenbank versucht sein, dem Druck auf den Renminbi und andere Finanzaktiva aufgrund des Handelskonflikts entgegenzuwirken.
Eine Abwertung des Renminbi könnte als die natürliche Antwort des Marktes auf wachsende Handelsschranken angesehen werden, und implizite Drohungen mit einer Abwertung im Rahmen der amerikanischchinesischen Verhandlungen als strategische Antwort auf den Handels und Direktinvestitionskonflikt – zumal sich die USA, wenn sie von unfairem Handel sprechen, immer sehr stark auf den Wechselkurs beziehen. Eine starke Abwertung wäre schlecht für China, die USA und den Rest der Welt – auch für den Euroraum und die Emerging Markets. Chinas Wandel zu einer Wirtschaft, die stärker auf den Binnenkonsum setzt, würde verzögert, denn ihr käme dann nicht mehr die größere Kaufkraft eines real stärkeren Renminbis zugute. Eine Abwertung würde auch Inflation nach China importieren. Kurzfristig könnten dadurch zwar die Schuldenstandsquoten zurückgehen, aber zugleich würde Deflation exportiert, und vielleicht würde sogar der Welthandel schwächer wachsen. Das wiederum wäre schlecht für den Euroraum und die Emerging Markets und damit letztlich für China selbst.
Die wirtschaftlichen Kosten von Populismus und ProtektionismusDie schon jetzt schwierige Kombination aus asynchroner Konjunktur und gesamtwirtschaftlichen Risiken ist aber noch nicht alles. Hinzu kommen weltpolitische Extremrisiken, die letztlich sowohl den konjunkturellen als auch den strukturellen Wachstumsausblick schwächen könnten, insbesondere in den Emerging Markets. Der neue Populismus, vor allem in den USA und Europa, bedroht die Globali sierung
Abbildung 2Der schwache Euroraum, und nicht die starken USA, haben zu einer asynchronen Weltkonjunktur geführt
Euroraum USA China Japan WeltCompositePMIs (Einkaufsmanagerindizes)
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Euro Area, Business Surveys, Markit, Composite, Composite PMI Output Index, SAMarkit US Composite PMI SACaixin China Composite PMI Output SAJPMorgan Global Composite PMI SANikkei Japan Composite PMI Output SA
Quellen: Bloomberg, Macrobond, Invesco. Stand: 30. Juni 2018.
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die USLeitzinsen und Renditen steigen. Dieses Szenario erinnert an die USKonjunktur in den Jahren 2004 bis 2006/2007.
• Ein kombinierter USDollarZinsschock wäre ein Szenario, in dem eine Überhitzung der USKonjunktur eine entschlossene Antwort der Fed erfordert, die über die erwartete Straffung der Geldpolitik hinausgeht – und das vermutlich bei einer schwachen Konjunktur in anderen Ländern. Das Ergebnis wäre vermutlich eine erhebliche, wenn nicht massive Straffung der internationalen Finanzbedingungen, die dem Wachstum der Emerging Markets und der Weltkonjunktur ins gesamt massiv schaden könnte. In einem solchen Szenario könnten auch weltpolitische Risiken hinzukommen, beispielsweise Handelskonflikte und Auseinandersetzungen um den Technologietransfer, unter denen internationale Investitionen und das Weltwirtschaftswachstum leiden könnten. Hinzu käme eine Erholung der USKonjunktur aufgrund der kurzfristig expansiven Fiskalpolitik. Das Risiko eines solchen Szenarios ist im 2. Quartal 2018 gestiegen und könnte auch in den nächsten Monaten höher bleiben.
Wir glauben, dass ein starker USDollar Schwellenländer mit großen Ungleichgewichten, insbesondere Leistungsbilanzdefiziten und hohem kurzfristigem Finanzierungsbedarf, zu individuellen Anpassungsprozessen zwingt. Einen systematischen Marktschock wie während des Taper Tantrum 2013/2014 erwarten wir nicht. Damals waren der externe Finanzierungsbedarf und die Makroungleichgewichte der Emerging Markets beachtlich, doch seitdem sind die Inflationsraten und Leistungsbilanzdefizite der meisten Länder deutlich zurückgegangen.
Hinzu kommt, dass die steigenden Rohstoffpreise infolge des starken USDollars für eine ordentliche Verfassung der Weltwirtschaft sprechen – selbst wenn man einräumt, dass die Ölpreisrallye zumindest teilweise weltpolitischen Risiken geschuldet ist, beispielsweise den Sanktionen gegen den Iran oder Venezuela. Diese Veränderungen der Terms of Trade von Rohstoffen sprechen auch für eine unterschiedliche Entwicklung der einzelnen EmergingMarketLänder und ihrer Währungen. Man muss unterscheiden zwischen Rohstoffimporteuren, Exporteuren von Metallen und Bergbauerzeugnissen und Exporteuren von Kohlenwasserstoffen.
Ein längerer USZinsschock aufgrund einer beachtlichen Inflationsüberraschung erinnert in gewisser Weise an die Ära Reagan: Hohe Realzinsen und eine Versteilung der Zinsstrukturkurve könnten die Fed zu einer erheblichen Straffung der Geldpolitik veranlassen, die dann wiederum zu einem USDollarschock führen könnte. Ein solches Risikoszenario könnte eher mit
des Welthandels, Investitionen und Migra tion. Jahrzehntelang waren die westlichen Volkswirtschaften dereguliert worden. China hat sich geöffnet, ebenso wie Indien und der frühere Ostblock, Lateinamerika und Afrika. Und als ob die Krise der Globalisierung nicht genug wäre, kommen die Spannungen zwischen den USA und China hinzu. Sie stehen im diametralen Gegensatz zur Friedensdividende nach dem Zusammen bruch des Ostblocks. Im schlimmsten Fall könnte man sogar daran zweifeln, ob sich EmergingMarketAnlagen noch lohnen.
Befassen wir uns nun mit wichtigen Risikoszenarien und geschichtlichen Parallelen, um die aktuelle Situation ausführlicher zu analysieren – nicht, weil sich die Geschichte von Natur aus wiederholt, sondern, weil sich aus ihr oft wichtige Anhaltspunkte ableiten lassen.
Risiken und Folgen eines USDollarschocks, eines Zinsschocks und eines USDollarZinsschocksDie konjunkturellen sowie strukturellen weltpolitischen Risiken können zu einem USDollarschock, einem Zinsschock und einem kombinierten USDollarZinsschock führen. Wir untersuchen, wie sich die Weltwirtschaft, die Emerging Markets und die einzelnen Anlageklassen in diesen unterschiedlichen Szenarien voraussichtlich entwickeln.
• Als USDollarschock definieren wir ein Szenario, in dem der USDollar vor allem aufgrund von Problemen und negativen Überraschungen in anderen wichtigen Volkswirtschaften steigt, ohne dass sich die USZinsen verändern. Dazu käme es, wenn die USWirtschaft weiter planmäßig wächst, aber die Konjunktur in den anderen Ländern überraschend schwach ist. Die USLeitzinsen und Renditen würden dann nicht steigen, aber weltweit würden die Zinsen fallen, sodass andere Währungen gegen über dem USDollar abwerten. Die internationalen Finanzbedingungen würden deutlich straffer, aber nicht extrem. Ein solches Szenario könnte sich im 1. Quartal 2018 durchaus angebahnt haben.
• Bei einem Zinsschock würden die USLeitzinsen und Renditen ohne eine größere USDollarAufwertung steigen – weil sich die USBinnenwirtschaft überhitzt und es in den USA massive Ungleichgewichte gibt, insbesondere Inflation, aber auch das sogenannte Doppeldefizit aus Haushalts und Leistungsbilanzdefizit zu einer Zeit, in der andere Volkswirtschaften ohne grö ßere Ungleichgewichte ordentlich wachsen. Weltweit steigende Zinsen bei einem wachsenden Re finanzierungsbedarf der USA und einer erwarteten USDollarAbwertung würden den USDollar von einer massiven Aufwertung abhalten, selbst wenn
Ein längerer USZinsschock aufgrund einer beachtlichen Inflationsüberraschung erinnert in gewisser Weise an die Ära Reagan.
Die Spannungen zwischen den USA und China stehen im diametralen Gegensatz zur Friedensdividende nach dem Zusammenbruch des Ostblocks.
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Abbildung 3Die Leistungsbilanzdefizite der Emerging Markets sind zurück gegan gen, aber Schuldendienst und Refinanzierungsbedarf bleiben hoch
Auslandsschulden, gesamter Schuldendienst, Tilgungen Auslandsschulden, gesamter Schuldendienst, Zinsen Leistungsbilanz
Emerging Markets und Entwicklungsländer, in % des BIP (Schätzung)
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1980 1986 1992 1998 2004 2010 2016 2022
External Debt, Total Debt Service, Interest
External Debt, Total Debt Service, Amortization
Current Account Balance
Current account estimate
Quellen: Internationaler Währungsfonds (IWF), World Economic Outlook, Macrobond, Invesco. Stand: Ende Juni 2018. Schätzungen und Prognosen des IWF.
Abbildung 4Die Staatsschulden der Emerging Markets sind hoch und steigen weiter, aber der Anteil der Inlandsschulden nimmt zu
Bruttostaatsschulden (gesamt) Schulden in Fremdwährung (gesamt)
Emerging Markets und Entwicklungsländer, in % des BIP (Schätzung)
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1980 1986 1992 1998 2004 2010 2016 2022
General Government Gross Debt External Debt, Total estimate
Quellen: Internationaler Währungsfonds (IWF), World Economic Outlook, Macrobond, Invesco. Stand: Ende Juni 2018. Schätzungen und Prognosen des IWF.
systematischen Risiken für EmergingMarketTitel einhergehen, weil die weltweiten Risikoprämien dann deutlich stiegen. Die Zinsstrukturkurve würde nicht flacher, sondern steiler, und sich außerdem nach oben verschieben. Am Ende würde sie dann allerdings invers in Erwartung einer deutlichen Kon junk tur abschwächung in den USA und weltweit. EmergingMarketLänder wären dann mit wesentlich höheren Refinanzierungskosten konfrontiert, und anschließend könnte es durchaus Zahlungsausfälle von Unter nehmens anleihen, Finanzanleihen oder beidem geben.
Wir glauben, dass die Emerging Markets als Anlageklasse von einem Zinsschock oder einem USDollarZinsschock wesentlich stärker betroffen wären als von einem reinen USDollarschock. Ein USDollarschock aus gelöst durch Schwächen in den übrigen wichtigen Volkswirtschaften, wäre für den Gesamtmarkt keine so große Herausforderung, da die Emerging Markets insgesamt ihre Leistungsbilanzen deutlich verbessert haben (Abbildung 3). Sie haben damit auf den Entzug der USDollarFinanzierung infolge der Finanz krise im Euroraum und des Taper Tantrums reagiert.
Ein weltweiter Zinsschock oder ein USDollarZinsschock dürften eher systemisch sein, weil die Emerging Markets insgesamt hoch verschuldet sind. Dies gilt je nach Land für den öffentlichen oder den pri vaten Sektor. Ein Großteil dieser Schulden, insbesondere der öffentlichen, wurde im Rahmen eines allgemeinen Wechsels von festen zu flexiblen Wechselkursen gewissermaßen repatriiert. Aber noch immer gehören viele Anleihen USdollarbasierten Investoren, selbst wenn sie nach inländischem Recht in Lokalwährung emittiert wurden (Abbildung 4).
Wir wollen aber nicht unken. Ein USDollarZinsschock ist für uns ein Risikoszenario und keinesfalls das Haupt szenario, denn wir glauben, dass die derzeitigen Probleme ihren Grund in negativen Über raschungen und Risiken in den übrigen Ländern haben und nicht in einem überraschend starken Wachstum und einer hohen Inflation in den USA selbst. Dennoch sollte man ein solches Risikoszenario bei unseren Prognosen von Geldpolitik und Investorenverhalten berücksichtigen, vor allem aufgrund der expansiven US Fiskalpolitik in der Endphase des Konjunkturzyklus.
Die Weltpolitik der weltwirtschaftlichen FragmentierungKommen wir zur Welt und Innenpolitik. Hier sehen wir Parallelen zum 19. Jahrhundert – einer Zeit rascher Innovationen mit einem Wettbewerb zwischen verschiedenen wirtschaftlichen und politischen Modellen, einer beachtlichen internationalen und finanziellen Integration und den Maschinenstürmern, die sich Veränderungen widersetzten. Die heutige sogenannte vierte industrielle Revolution birgt Risiken für die Beschäftigung und die Arbeitseinkommen von gelernten und ungelernten Arbeitern in Industrie und Schwellenländern gleichermaßen. Dies spricht dafür, dass sowohl die allgemeine Verunsicherung als auch der Widerstand gegen den Fortschritt anhält. Hinzu kommt, dass das Zusammenspiel aus privaten Eigentumsrechten, Präferenzen der Verbraucher und der unsicheren Beschäf ti gungs situa tion für anhaltenden Wettbewerbsdruck sorgen dürfte, sodass die Produktivität weiter steigt und sich der Reallohn und Inflationsdruck in Grenzen hält.
Wir erwarten keine Wiederkehr einer Weltwirtschaft wie im Kalten Krieg, als ideologische Schranken Handel und Investitionen behinderten. Wir rechnen auch nicht damit, dass der internationale politische Dialog oder die wirtschaftliche und finanzielle Integration zum Stillstand kommen, wie es in der Zwischenkriegszeit der Fall war. Vielmehr glauben wir, dass die TrumpAdministration weiter auf den Widerstand der Wirtschaft einzelner Bundesstaaten und anderer Interessengruppen reagieren wird, die unter seiner protektionistischen Politik oder den Gegenmaßnahmen der anderen Länder leiden. Schließlich gibt es noch immer Anzeichen für eine Bereitschaft zum Kurswechsel, wenn sich zeigt, dass sich Trump mit der Politik am Ende selbst schadet. Dies sieht man beispielsweise bei den Sanktionen gegen einen russischen
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Aluminiumhersteller oder dem Richtungswechsel bei einem chinesischen Telekommunikationsausrüster, wo man sich durchaus zu einer anderen Politik bereitfand.
Und doch dürften die internationalen Handelskonflikte und die Auseinandersetzungen um grenzüberschreitende Investitionen eine dauerhafte Herausforderung bleiben. Für natürliche Spannungen in der Weltwirtschaft sorgt die Rivalität zwischen den USA und China, zumal im nationalen Sicherheitsbericht der USA China explizit als Bedrohung bezeichnet wurde. Die Handelskonflikte sind zweifellos wichtig, aber man kann verhandeln. Denkbar sind niedrigere Zölle oder nichttarifäre Handelshemm nisse. Der Kern des Konflikts zwischen den USA und China sind aber zwei unterschiedliche politischwirtschaftliche Modelle, die nicht verhandelbar sind: In den USA gelten Privat eigentum und die Marktkräfte als Basis des technischen und wirtschaftlichen Fortschritts. Im Gegensatz dazu dreht sich in China alles um das kollektive nationale Interesse. Dazu zählt jetzt auch eine Industriepolitik mit dem Ziel, an der Spitze der technologischen Entwicklung zu stehen. Die Folge ist eine wirtschaftliche und weltpolitische Rivalität, unterstützt von der jeweiligen Regierung.
Solche nachhaltigen Spannungen werden mit recht hoher Wahrscheinlichkeit auch zu Spannungen an den Finanzmärkten führen und damit zu strafferen Finanzbedingungen, die das Wachstum bremsen, insbesondere in EmergingMarketLändern, die mehr als andere von der Globalisierung, Handelskonflikten und Investitionsbeschränkungen betroffen sind. Dies führt auch zu Druck auf die EmergingMarketWährungen mit der möglichen Folge einer importierten Inflation. Die Notenbanken stehen dann vor einem Dilemma. Möglich ist ein geringeres Wachstum begleitet von höherer Inflation oder höheren Inflationserwartungen.
Und doch erwarten wir angesichts früherer internationaler Erfahrungen mit ausgeprägten Protektionismusphasen und Beschränkungen von Handel
und Investitionen keine große Krise. Massiver Protektionismus wird mit tiefen Rezessionen und offenen Konflikten in Verbindung gebracht, vor allem in der Zeit nach dem Börsenkrach 1929, der zweifellos einige Gemeinsamkeiten mit dem heutigen Protektionismus nach der internationalen Finanzkrise hat. In den 1930erJahren machten die SmootHawleyZölle in den USA die große Depression noch schlimmer und wurden erst mit der Mobilisierung für den Zweiten Weltkrieg überwunden. Weniger bekannt, aber deswegen nicht besser, war die Ent scheidung von Präsident Thomas Jefferson, im Jahr 1807 Zölle einzuführen. Seine Motivation waren die Spannungen mit Großbritannien und Frankreich. Man vermutet, dass diese Zölle das USBIP um 5% haben einbrechen lassen und sie letztlich den Krieg von 1812 und den Brand des Weißen Hauses auslösten.
Es muss aber nicht so schlimm kommen, und auch in der Vergangenheit ist es oft wesentlich besser ausgegangen. Auch dem Schwarzen Montag 1987, dem Tag mit dem größten Tagesverlust der USBörsen aller Zeiten, ging die Angst vor einem Handelskrieg voraus. Aber dazu kam es nicht. Der Protektionismus in der ReaganÄra in den 1980ern wurde letztlich dadurch überwunden, dass die Automobilindustrie mehr in den USA investiert hat. Das war das Ergebnis von Verhandlungen und Einigungen zwischen den drei großen Wirtschaftsmächten dieser Zeit, den USA, Europa und Japan.
Diesmal steht viel auf dem Spiel, und es geht dabei sowohl um wirtschaftliche Beziehungen als auch um Weltpolitik. Die Beziehungen der USA zu Russland sind sehr angespannt. Es geht um den Vorwurf, dass sich Russland in interne politische Prozesse eingemischt habe und die nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Kalten Krieg zumindest in Europa als selbstverständlich geltende Unverletzlichkeit der Grenzen nicht respektiert habe – mit der Annexion der Krim, der Destabilisierung des Donbass und den noch immer ungelösten Konflikten in Georgien und Molda wien. Außerdem scheinen für Trump innenpolitische Überlegungen eine wesentliche Rolle bei der Außen und
Abbildung 5Die Risikoaversion in den Emerging Markets ist schneller gestiegen als die Volatilität von USZinsen, Aktien und Wechselkursen
Citi Emerging Market Risk Aversion Index (EMRA) Deutsche Bank FX Volatility Index (rechte Skala) Chicago Board Options Exchange SPX Volatility Index (rechte Skala) USD SWPT NVOL OIS 3M10Y (rechte Skala)
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LHS Citi Emerging Market Risk Aversion Index (EMRA) RHS Deutsche Bank FX Volatility Index
RHS Chicago Board Options Exchange SPX Volatility Index RHS USD SWPT NVOL OIS 3M10Y
Quellen: Bloomberg, Macrobond, Invesco. Stand: Ende Juni 2018.
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Über den Autor
Arnab DasGlobal Market Strategist, EMEA Global Thought Leadership, InvescoArnab Das analysiert für Kunden, Regierungen und Notenbanken die Weltwirtschaft und die Finanzmärkte und informiert sie über unsere Ein schätzungen. Als Mitglied des Global Investor Forum Advisory Council von Invesco arbeitet er mit Investmentteams für unterschiedliche Strategien und Regionen zusammen. Seine Schwerpunkte sind die Weltwirtschaft und die Emerging Markets.
Wirtschaftspolitik zu spielen, anders als früher. Er konzentriert sich auf die wichtigen Probleme des amerikanischen Rostgürtels, Bundesstaaten mit unsicheren Mehrheiten, die stark von der Globalisierung und dem technischen Fortschritt betroffen sind.
Es gibt jedoch Gründe zur Hoffnung, denn die meisten anderen Länder wollen sich weiterhin am internationalen System beteiligen, und die TrumpAdminis tration macht einige Fortschritte, wie beispielsweise mit Mexiko. Obwohl die Spannungen mit China am größten sind, konzentriert sich die TrumpAdministration keineswegs nur auf China. Unterdessen bemüht sich Trump persönlich intensiv um einen Kontakt zum russischen Präsidenten Putin, offensichtlich, damit Russland mehr darauf vertraut, dass die NATO und Europa keine Bedrohung sind. Außerdem hat er auf die persönlichen Avancen des chinesischen Präsidenten Xi Jinping reagiert, beispielsweise im Fall eines chinesischen Telekommunikationsausrüsters. Nachdem der SmartphoneHersteller in den USA eine Strafe in Milliardenhöhe bezahlt hat, darf er jetzt wieder Geschäfte mit USUnternehmen machen.
Der Wunsch, eine wirtschaftliche Abschottung zu verhindern, ist in den großen EmergingMarket Ländern mindestens so groß wie im Westen. Im Kalten Krieg waren die Sowjetunion, China, Indien, Süd afrika und in geringerem Maße auch viele andere Länder in Lateinamerika, Afrika und Asien recht stark isoliert. Dies kann das recht niedrige Einkommen und Einkommenswachstum dieser Länder erklären, ebenso wie die niedrige Produktivität und die veraltete Technologie.
Alles in allem gibt es also durchaus Gründe, an Auswege zu glauben, selbst wenn viel auf dem Spiel steht und die Spannungen wohl noch anhalten. Am Ende ist Kontakt wahrscheinlicher als Isolation. Schließlich will kein großes Land sein Wirtschaftsmodell oder seine Ziele ändern – und wenn man der Geschichte glauben darf, fördern Isolation und wirtschaftliche Autarkie Spannungen, statt sie zu verhindern. Das Gleiche gilt für Konflikte sowie technischen und militärischen Wettbewerb.
Fazit: Defensive taktische Bewertungsstrategien statt strategischem RisikoabbauAus unseren Einschätzungen lassen sich für alle risikobehafteten Anlageklassen ähnliche Schlussfolgerungen ziehen: Der Weltwirtschaft geht es gut, aber sie sprüht nicht vor Gesundheit. Bei allen größeren Risiken und Herausforderungen ist eine ausgewachsene Krise wohl unwahrscheinlich. Trotz berechtigter Zweifel an Mitteln gegen den nächsten Abschwung oder die strukturellen Folgen zunehmender Handelsschranken erwarten wir keine plötzlichen Veränderungen. Doch die Zeit wird knapp, und es ist wichtig, dass sich die Realwirtschaft anpasst, unter Berücksichtigung des Verhaltens und der nationalen Inte ressen aller betroffenen Regierungen.
Für die meisten Emerging Markets bedeutet dies, dass sie ihre Geld und Fiskalpolitik straffen müssen, um gesamtwirtschaftliche Ungleichgewichte zu begrenzen. Dies gilt für eine Inflationsrate über dem Zielwert ebenso wie für sehr hohe Haushalts und Leistungsbilanzdefizite. Länder, die schon jetzt mit großen Ungleichgewichten konfrontiert sind, müssen sie daher schnell beseitigen. Alle EmergingMarketLänder brauchen aber strukturellen Wandel, um sich
an ein internationales Umfeld anzupassen, das große Ungleichgewichte strukturell möglicherweise nicht mehr so leicht verzeiht – wegen des jetzt höheren Risikos einer asynchronen Konjunktur und strukturell höheren Schranken für eine weitere weltwirtschaftliche Integration.
Unserer Ansicht nach gibt es Gründe für eine defensive taktische Positionierung, aber nicht für eine strategische Vorbereitung auf eine Eiszeit an den Finanzmärkten oder in der Realwirtschaft. Wir glauben, dass die geld, fiskal und allgemeinpolitischen Risiken immer wieder zu höherer Volatilität führen werden. Das spricht für eine straffere Geldpolitik und damit geringeres Wachstum in vielen Schwellenländern, aber auch für eine wesentlich größere Streuung der Ländererträge. Keineswegs steht der EmergingMarketAnlageklasse ein großes Aussortieren bevor. Einige Länder mit extremen Ungleichgewichten brauchen allerdings größere konjunkturelle und strukturelle Anpassungen, insbesondere die Türkei, Argentinien und Venezuela. Aber auch anderswo sind große Strukturreformen und haushaltspolitische Anpassungen nötig, um das Potenzialwachstum zu steigern. Das gilt insbesondere für Südafrika und Brasilien, um einige Beispiele zu nennen.
All dies, die Lage der Weltwirtschaft und die Lage einzelner Länder, könnte dafür sprechen, auf Bewertungsunterschiede zu setzen und nicht einfach wahllos zu verkaufen. Auch wenn das Umfeld heterogener und volatiler wird, rechnen wir am Ende nur mit einer größeren Selektivität der Anleger und nicht mit allgemeinen Verkäufen von EmergingMarketAssets. Wenn die Volkswirtschaften Europas und Japans weiter negativ überraschen oder die USFiskalpolitik die Inflation fördert, sodass die Fed die Zinsen stärker anhebt, halten wir eine ausgeprägte USDollarRallye für denkbar. Die Anleger würden dann vermutlich wieder auf die Gesamtmarktentwicklung, also das Beta, achten. Aufflammende weltpolitische Risiken oder Handelskonflikte hätten ähnliche Wirkungen. In einem solchen weltweiten Abschwung szenario würden EmergingMarketTitel stark. Schließlich litten die Schwellenländer am stärksten von der Globalisierung sowie dem jüngsten Aufschwung mit niedriger Inflation und lockerer Geld politik profitiert. Sie wuchsen stark und verzeichneten Mittelzuflüsse.
Risk & Reward, #3/2018 23
Kurz gefasstDie Altersvorsorgebranche steht an einem Wendepunkt. Bei immer mehr Rentenversicherungen beginnt die Auszahlungsphase, immer mehr Menschen gehen in den Ruhestand, und die Renditen traditioneller risikoarmer Anlageklassen bleiben niedrig. Wenn dann noch eine höhere Inflation absehbar ist, wird Liability Matching zu einer immer größeren Herausforderung. In diesem Umfeld könnten langfristig ver mietete Immobilien eine hervorragende Alternative zu klassi schen Festzinsanlagen sein, da sie hohe laufen de Erträge erwarten lassen und dabei einen gewissen Inflationsschutz bieten. Unsere Analyse zeigt, dass langfristig vermietete Immobilien in der Vergangenheit hohe Er träge bei extrem niedriger Volatilität ge liefert haben, zumindest im Vergleich zu anderen wichtigen Anlageklassen. Dennoch ist unserer Ansicht nach eine sorgfältige Objektauswahl der Schlüssel zum Erfolg.
Langfristig vermietete Immobilien mit inflationsindexierten Mietenvon Chris Brassington und Matthew Hall
In einer Welt mit sich ändernden Zinsen, niedrigen Renditen und einer alternden Bevölkerung sind Pensionsfonds und Versicherungen immer stärker auf inflationsindexierte Anlagen angewiesen, die zu ihrer Verbindlichkeitenstruktur passen. Wir halten langfristig vermietete Immobilien für eine denkbare Lösung.
In den letzten zehn Jahren war das Wirtschaftsumfeld so extrem wie zuletzt während der großen Depression – geprägt von Bankenrettungen und staatlichen Interventionen. Überduchschnittlich niedrige Zinsen, Quantitative Easing und risikoaverse Anleger haben die Bewertungen vieler Anlagen auf neue Rekordhochs getrieben, insbesondere bei Anlagen, die einen laufenden Ertrag bei niedrigem Risiko bieten.
Wer mit der Fälligkeitsstruktur seiner Anlagen seine Verbindlichkeitenstruktur nachbilden will, investiert traditionell in Staatsanleihen. Aber deren schon lange sehr niedrigen Renditen machen das klassische AssetLiabilityMatching immer schwieriger. Viele Investoren sehen daher heute über den Tellerrand und entdecken dabei anleiheähnliche Alternativen.
In Großbritannien haben Versicherungen und Pensions fonds ihre Investitionen in Staatsanleihen im Zeitablauf zwar leicht angehoben (Abbildung 1), aber ihr Anteil am Gesamtmarkt an staatlichen
Abbildung 1Britische Versicherungen und Pensionsfonds investieren verstärkt in Staatsanleihen …
• Versicherungen und Pensionsfonds • Kommunale Verwaltung • Öffentliche Unternehmen • Banken • Sonstige Finanzinstitute • Privatunternehmen (ohne Finanzsektor) • Privathaushalte • Private Organisationen ohne Erwerbszweck (POOE) • Ausländische Investoren (übrige Länder)Billionen GBP
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Insurance Companies and Pension funds Local Government Public Corporations
Monetary Financial Institutions Other Financial Institutions Private Non-Financial companies
Households Non- Profit Institutions serving Households Overseas Holdings (Rest of World)
Quelle: Debt Management Office. Stand: Mai 2018. Investitionen in britische Staatsanleihen nach Investoren.
Risk & Reward, #3/2018 24
Anleihen ist zurückgegangen. Heute befinden sich im Verhältnis zu Versicherungen und Pensionsfonds mehr Titel in den Händen von Banken und ausländischen Investoren (Abbildung 2).
Wenn Staatsanleihen nicht länger reichen …Wenn die Bank of England und die Europäische Zentral bank ihr Quantitative Easing auslaufen lassen und sich die Wirtschaft erholt, dürfte der Anteil von Versicherungen und Pensionsfonds am Staatsanleihenmarkt wieder steigen. Den Erträgen dürfte das aber kaum nützen. Da die Notenbanken ihre Bestände reduzieren und die Renditen steigen könnten, dürften die relativen Erträge der Versicherungs und Pensionsfondsbestände wohl zurückgehen.
Die wachsende Nachfrage nach sicheren Erträgen dürfte auch dann für niedrigere Renditen sorgen, wenn die Inflation steigt. Mittelfristig ist aber wohl eher mit einem Renditeanstieg zu rechnen. Selbst wenn die Anleiherenditen nur um etwa 200 Basispunkte zulegen, dürfte es privaten Rentenversicherungen schwerfallen, ihre Verbindlichkeiten zu decken.
… könnten Immobilien helfenFür Institutionen, die mit risikoarmen inflationsindexierten Aktiva reale Erträge erzielen sollen, ist die wachsende Zahl der Rentner eine enorme Herausforderung. Eine Anlageklasse, die in der Vergangenheit nachweislich für die nötige Performance gesorgt hat, sind Immobilien. Sie ähneln Anleihen in vielerlei Hinsicht, bieten aber zum Ausgleich für Liquiditäts, Kredit und Abschreibungsrisiken höhere Erträge.
Abbildung 3Immer mehr Rentner in den großen europäischen Volkswirtschaften
• Erwerbsbevölkerung (25 bis 65 Jahre) • Rentner (65 Jahre und älter)Bevölkerung von Frankreich, Deutschland, Großbritannien, Italien und Spanien (Millionen)
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Working Age (25-65) Retirement Age (65 and above)
Schätzungen bis 2040
Quelle: Oxford Economics. Schätzungen vom Mai 2018.
Abbildung 2… aber ihr Gesamtmarktanteil ist gefallen
• Versicherungen und Pensionsfonds • Kommunale Verwaltung • Öffentliche Unternehmen • Banken • Sonstige Finanzinstitute • Privatunternehmen (ohne Finanzsektor) • Privathaushalte • Private Organisationen ohne Erwerbszweck (POOE) • Ausländische Investoren (übrige Länder)%
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Insurance Companies and Pension funds Local Government Public Corporations
Monetary Financial Institutions Other Financial Institutions Private Non-Financial companies
Households Non- Profit Institutions serving Households Overseas Holdings (Rest of World)
Quelle: Debt Management Office. Stand: Mai 2018. Investitionen in britische Staatsanleihen nach Investoren.
Von 2017 bis 2040, so erwartet man, wird die Zahl der über 65Jährigen in Frankreich, Deutschland, Großbritannien, Italien und Spanien um 44% steigen.
Langfristig gibt es ein weiteres Problem: Die Nachfrage nach Aktiva mit regelmäßigen Zahlungen dürfte in den nächsten 20 Jahren deutlich steigen. Grund ist der ausgeprägte demografische Wandel: Von 2017 bis 2040, so erwartet man, wird die Zahl der über 65Jährigen in Frankreich, Deutschland, Großbritannien, Italien und Spanien um 44% steigen, und die Erwerbsbevölkerung dürfte in der gleichen Zeit um etwa 10% zurückgehen (Abbildung 3). Die wachsende Nachfrage wird die Renditen von Staatsanleihen und anderen als risikoarm wahrgenommenen Titeln wohl weiter dämpfen.
Risk & Reward, #3/2018 25
Das gilt insbesondere dann, wenn Fundamentaldaten wie Lage, Objektqualität und Sektorpositionierung gut sind.
Klassische Immobilienanlagen haben einiges mit Anleihen gemeinsam, beispielsweise vertraglich vereinbarte regelmäßige Zahlungen, aber auch einiges mit Aktien, nämlich den Verzicht auf Vertragsklauseln, die eine Rückzahlung des investierten Kapitals zusichern. Der Restwert einer Immobilie hängt vielmehr vom zukünftigen Ertragspotenzial ab.
Dieser Restwert ist relativ gewiss: Standardmietverträge, die die langfristig erwartete Entwicklung des Mietniveaus berücksichtigen, geben Investoren eine Einschätzung über die Marktnachfrage nach dem Objekt. Sie können aus Mieterhöhungen schließen, dass auch beim Auslaufen des aktuellen Mietvertrages noch immer Büros gebraucht werden, was den Restwert stabilisiert. Das ist auch der Grund dafür, dass etablierte Bürolagen im Büroimmobiliensektor als weniger riskant gelten.
Die Laufzeiten solcher Standardmietverträge sind von Land zu Land verschieden. In Großbritannien, sind bei Büroobjekten etwa zehn Jahre üblich, wobei die Miete alle fünf Jahre geprüft, aber nur angehoben und nicht gesenkt werden kann. Längere Mietverträge (mit mindestens 20 Jahren Laufzeit) und inflationsindexierte Mieten mit bindenden Vertragsklauseln sind anleiheähnlicher. Auch hier liegt der größte Unterschied gegenüber Anleihen darin, dass der Rest wert des Objektes höher oder niedriger als das ursprünglich investierte Kapital sein und dass er nicht eindeutig vorab bestimmt werden kann. Eine solche Investition ist also weniger passiv. Man kann sie aber verwalten und mit Objektauswahl, Objektmanagement und einer disziplinierten Verkaufsstrategie eine Wertstabilität erreichen.
Die Wertentwicklung der Vergangenheit …MSCI berichtet, dass Immobilienfonds in den letzten acht Jahren hohe Erträge erzielten. Im Schnitt betrugen sie 9% p.a. gegenüber 10% p.a. beim FTSE 100. Mit Anleihen verdiente man 5,9% p.a. (Abbildung 4).
Aufgrund der bereits erwähnten Veränderung der Allokation – besonders deutlich bei Pensionsfonds, die ihre inflationsindexierten Verbindlichkeiten abdecken wollen – wurden langfristig vermietete indexierte Objekte in den letzten Jahren immer interessanter. Die Investoren schätzen die Aussicht auf langfristig stabile Erträge und Inflationsschutz. Dies führte zu steigenden Preisen und hohen Erträgen. Seit dem 1. Quartal 2010 (als der MSCI Long Income Property Fund Index eingeführt wurde) verzeichneten Immobilienfonds für langfristig vermietete Objekte eine sehr gute Wertentwicklung.
Abbildung 4Risiko und Ertrag wichtiger Anlageklassen und Indizes für langfristig vermietete Immobilien im VergleichGesamtertrag der Anlageklassen (Q1/2010 bis Q1/2018)
• Erträge: Minimum bis Maximum Durchschnitt%
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MSCI Long Income Property Fund Index
Macrobond FTSE 100
Bloomberg Barclays UK Govt All Bonds
MSCI All Property Fund Index
min max average
Standard-abweichung: 0,113
Standard-abweichung: 0,064
Standard-abweichung: 0,057
Standard-abweichung: 0,025
Quellen: MSCI, Macrobond, Bloomberg. Stand: Q1/2018. Erträge in GBP. Die Wertentwicklung der Vergangenheit ist kein Indikator für zukünftige Erträge.
Abbildung 5Einjahreserträge wichtiger Anlageklassen
MSCI Long Income Property Fund Index Macrobond FTSE 100 Bloomberg Barclays UK Govt All Bonds
%
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Q1/10 Q1/11 Q1/12 Q1/13 Q1/14 Q1/15 Q1/16 Q1/17 Q1/18
MSCI Long Income Property fund index
Macrobond FTSE 100
Bloomberg Barclays UK Govt All Bonds
Quellen: MSCI, Macrobond, Bloomberg. Stand: Q1/2018. Erträge in GBP. Die Wert entwicklung der Vergangenheit ist kein Indikator für zukünftige Erträge.
Das Risiko von Fonds für lang fristig vermietete Objekte war in dieser Zeit weniger als halb so hoch wie das aller Immobilien und Anleihen.
Hinzu kommt, dass das Risiko von Fonds für langfristig vermietete Objekte in dieser Zeit weniger als halb so hoch war wie das aller Immobilien und Anleihen. Im Vergleichszeitraum war die Wertentwicklung dieser Immobilienfonds außerordentlich stabil. Zwar dürften langfristig vermietete Immobilien kaum so extreme Wertsteigerungen erleben wie Aktien oder Standardimmobilien, doch bieten sie auch einen gewissen Schutz vor extremen Abwertungen.
… und die AussichtenLangfristig vermietete Immobilien bieten die Aussicht auf Erträge, wie sie Pensionsfonds und Versicherungen im derzeitigen Marktumfeld brauchen – dank der hohen Nachfrage und des begrenzten Neuangebots. Allerdings werden sich die gewerblichen Mieter ihrer
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die unserer Ansicht nach Auswirkungen auf lang fristig vermietete Immobilien haben, sind flexibles CoWorking (noch kürzere Mietverträge), der zu nehmende Internet handel (Einzelhändler könnten darunter leiden, Logistikunternehmen davon profitieren) und sich ändernde Anforderungen an Wohn immobilien ( manche Lagen werden z.B. infolge von Infrastrukturprojekten attraktiver, andere weniger attraktiv).
Bei einer gesamteuropäischen Version der hier beschriebenen Strategie dürfte der Brexit durchweg negative Auswirkungen auf britische Immobilienpreise haben, jedenfalls kurz bis mittelfristig. Die meisten Investoren fürchten baldige Leerstände (bei Objekten, deren Mietverträge in zwei bis drei Jahren auslaufen). Objekte mit mindestens noch sieben Jahren Mietvertragslaufzeit gelten am Markt als attraktiver, weil die Volatilität durch den Brexit bis dahin abgenommen haben dürfte. In Großbritannien halten wir daher langfristig vermietete Immobilien für umso attraktiver, da während der Phase der Unsicherheit die laufenden Erträge gesichert sind.
FazitLangfristig vermietete Immobilien könnten eine strategische Langfristposition für Immobilienportfolios sein. Im derzeitigen Finanzmarktumfeld sind wir für die risikoadjustierten Erträge dieses Marktsegments optimistisch. Der Sektor kann langfristige, inflationsindexierte, laufende Erträge bieten, bei der Aussicht auf eine sehr niedrige Volatilität und sehr sichere Ein nahmen. Das Angebot an langfristigen Vermietungen dürfte kaum die Nachfrage decken. Man muss aber beachten, dass der Schlüssel zu einem attraktiven Ertrag noch immer das Objekt selbst ist.
Verhandlungsmacht immer mehr bewusst, und außerdem haben neue Bewertungsregeln die Attrakti vität langfristiger Mietverträge für Mieter verringert. Der Grund dafür ist, dass die Verbindlichkeiten über die Laufzeit sofort in voller Höhe bilanziert werden müssen, was langfristig vermietete Objekte für Mieter unattraktiver macht.1
Das kompetente Objektmanagement langfristig vermieteter Immobilien gilt noch immer als Schlüssel zu hohen Erträgen. Wie erwähnt, ist bei „anleiheähnlichen“ Anlagen eine gewisse Vorsicht geboten. Es muss sichergestellt werden, dass die Objekte auch nach Ablauf des Mietvertrages noch langfristig nutzbar sind, um eine gute Performance zu erzielen. Zurzeit erwirtschaften nur wenige Objekte eine ausreichend hohe Rendite, damit man auch bei einem Restwert von null noch genügend verdient. Meist hängt es aber vom Restwert ab, ob die Erträge durchschnittlich sind oder im oberen Bereich liegen. Wenn man in Objekte investiert, bei denen gegen Ende des Mietvertrages die Nachfrage über dem Angebot liegt, kann dies den Restwert und damit auch die Renditen stabilisieren.
Objekte, bei denen der Grundstückswert fallen könnte, bieten vielleicht zum Ausgleich einen höheren laufenden Ertrag. In einem ausgewogenen Portfolio dienen sie mitunter genau diesem Zweck. Sie sollten aber regelmäßig beobachtet werden, und möglicherweise empfiehlt sich ein Verkauf, bevor die Restlaufzeit des noch gültigen Mietvertrages so kurz ist, dass der Gesamtwert des Objektes darunter leidet.
Langfristige Trends sollten im Rahmen der Objektauswahl und des Objektmanagements ebenfalls genau beobachtet werden. Je länger der Mietvertrag läuft und je länger die Haltedauer ist, desto größer ist die Unsicherheit über den Restwert infolge neuer Entwicklungen. Beispiele für aktuelle Entwicklungen,
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Anmerkung1 Der International Financial Reporting Standard 16 – Leases (IFRS 16) des International
Accounting Standards Board (IASB) verlangt, dass ab 2019 alle Mieten bilanziert und in der Gewinn und Verlustrechnung anders behandelt werden, was die Gewinne belastet.
Über die Autoren
Chris Brassington, CFA, MRICSSenior Director – Fund Management,Invesco Real EstateChris Brassington ist Senior Director in Fund Management mit Zuständigkeit für Spezial und Publikumsfonds.
Matthew HallDirector – European Research,Invesco Real EstateMatthew Hall ist im Rahmen des Immobilienresearchs von Invesco für ausgewählte Prognosen ver ant wortlich. Er beobachtet Immobilien in Großbritannien und Skandinavien sowie europäische Hotels und Wohnimmobilien.
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Wie man sich in der Region AsienPazifik von der Masse abheben kannEin Gespräch mit Anna Tong
In den letzten 30 Jahren gab es in Asien heftige Auf und Abschwünge, und Anna Tong von Invesco hat sie alle erlebt. Wir sprachen mit ihr über die Chancen eines wachsenden Anlageuniversums und die steigende Nachfrage nach Investmentlösungen für konkrete Ziele – aber auch darüber, wie sich Assetmanager im immer stärkeren Wettbewerb in der Region von der Masse abheben und ihren Anteil an den Mittelzuflüssen von in und auslän dischen Investoren steigern können.
Anna Tong ist Regional Head of Investments AsiaPacific bei Invesco. Sie war an der Auflegung des ersten OffshoreFonds für chinesische Unternehmen mit Hongkonger Börsennotierung beteiligt und ist auch für andere Länder, Ländergruppen und Regionalfonds verantwortlich.
Als Anna Tong ihre Investmentlaufbahn 1985 begann, stand Japan am Anfang einer außergewöhnlich langen Hausse. Sie hatte drei Ursachen: den starken Yen, niedrige Ölpreise und niedrige Zinsen. 1990 ist die Blase geplatzt, gefolgt von 20 Jahren Deflation. Erst kürzlich gelang durch die expansive Politik von Premierminister Shinzō Abe eine wirtschaftliche Erholung.1
Aber auch andere asiatische Länder spielten in Anna Tongs Investmentlaufbahn eine wichtige Rolle, insbesondere China und Indien. China setzte früher auf exportgetriebenes Wachstum, doch jetzt wechselt man zu einem binnenorientierteren Modell. Vorausgegangen sind Strukturreformen, um den Konsum zu fördern, und steigende Haushaltseinkommen. Die beiden bevölkerungsreichsten Länder der Welt zählen heute zu den sechs größten Volkswirtschaften. 2023 könnten China und Indien zusammen etwa 22,9% des WeltBIP erwirtschaften, gegenüber 3,5% im Jahr 1993.2
Der positive Ausblick für AsienPazifik und der immer bessere Zugang für ausländische Anleger könnten zu höheren Investitionen in der Region führen. In internationalen Investmentportfolios ist die Region AsienPazifik noch immer unter repräsentiert. Auf die Region entfallen zwar 32% des weltweiten Vermögens, aber nur 14,5% des ge manag ten Portfoliovolumens.3 Aber schon 2019 könnte China zum zweitgrößten AssetmanagementMarkt der Welt werden, und für 2030 sind über 17 Billionen USDollar verwaltetes Vermögen denkbar.4
Anna TongRegional Head of Investments AsiaPacific, Invesco
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Risk & RewardWarum sind Sie ins Assetmanagement gegangen, und was gefällt Ihnen an Ihrem Beruf am besten?
Anna TongMeine ersten Erfahrungen habe ich als Praktikantin bei einem führenden Fondshaus in Hongkong gesammelt. Da gewann ich einen ersten Eindruck von der Arbeit als Fondsmanagerin an sich schnell ändernden Märkten. Jetzt bin ich seit 33 Jahren in der Branche und fand es niemals langweilig.
Die Märkte sind hier sehr dynamisch, und wir müssen die Entwicklung genau beobachten, um weiter zur Spitze zu zählen. Denken Sie etwa an Japan: In nur einer Generation hat das Land seine Industrie komplett reformiert und ist heute die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt.
Gerade erst war China ein weiteres Beispiel dafür, wie sehr sich Länder und Märkte in der Region Asien Pazifik ändern können. Zu Beginn meiner Laufbahn hat niemand die enorm schnelle Entwicklung Chinas vorausgesehen. Damals stand das Land noch ganz am Anfang seiner Wirtschaftsreformen. Man wollte ausländische Direkt investitionen ins Land holen und den Export steigern, aber es gab keinen inländischen Aktienmarkt. Seitdem haben, wie wir alle wissen, Wirtschaft und Märkte rasante Fortschritte gemacht und weltweit großen Einfluss gewonnen.
Risk & RewardIm Juni 2018 wurden chinesische A-Shares in den MSCI Emerging Markets Index aufgenommen, nach jahrelangen Überlegungen. Ist das ein wichtiger Meilenstein?
Anna TongZu Beginn haben AShares zwar nur 0,4% Indexgewicht, doch ich halte dies durchaus für signifikant. Mit chinesischen OnshoreAktien kann man nicht nur in wichtige Sektoren investieren – wie Konsumgebrauchsgüter und Konsumverbrauchsgüter, Industrie und Finanzen –, sondern auch in schnell wachsende Nischenbranchen wie Elektronik, Medien, Haushaltsgegenstände, Biotechnologie und erneuerbare Energien.
Der Anteil der AShares am MSCI Index wird zunehmen, da MSCI immer mehr Titel berücksichtigt. In Zukunft könnten Onshore und OffshoreAktien zusammen 40% des Index ausmachen.
Die Entscheidung von MSCI berücksichtigt auch die Fortschritte Chinas bei seinen Finanzreformen. Das Qualified Foreign Institutional Investor Scheme und, gerade erst, Stock Connect und Bond Connect haben
Um Erfolg zu haben, müssen wir uns anpassen, innovativ sein, Probleme lösen und mit unerwarteten Entwicklungen zurechtkommen.
Interessant an der Branche ist, dass sich Volkswirtschaften und Märkte ständig verändern. Es gibt immer neue Entwicklungen, die wir berücksichtigen müssen, und es mangelt nie an neuen Herausforderungen. Um Erfolg zu haben, müssen wir uns anpassen, innovativ sein, Probleme lösen und mit unerwarteten Entwicklungen zurechtkommen.
Risk & RewardDie Finanzmärkte Asiens sind in den letzten 30 Jahren stark gewachsen. Glauben Sie, dass sich die Region auch in Zukunft so schnell entwickeln wird?
Anna TongIn der Region AsienPazifik gab es viele positive Überraschungen, aber manchmal haben sich die hohen Erwartungen auch nicht erfüllt. Für die Zukunft erwarten wir viele spannende Anlagemöglichkeiten. China und Indien dürften dabei zu wichtigen Wachstumsmotoren werden.
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für mehr grenzüberschreitende Investments gesorgt. Ermutigend finde ich auch, dass seit 2016 auch rein ausländische Unternehmen OnshoreFonds managen dürfen.5
Risk & RewardWie hat sich Ihr Investmentstil weiterentwickelt, als die Finanzmärkte der Asien-Pazifik Region immer größere Fortschritte machten?
Anna TongZu Beginn meiner Laufbahn setzte ich mehr auf Topdown als auf BottomupAnalysen. Ich beobachtete eine Reihe von Märkten, weil es einfach nicht genug börsennotierte Unternehmen gab und sich nur wenige Investoren mit umfassendem Einzelwertresearch befassten.
Heute ist alles anders. TopdownAnalysen reichen nicht mehr, weil die Branche deutlich wettbewerbsintensiver wurde und die Märkte heute sehr viel effizienter sind. Um sich von der Konkurrenz abzuheben, muss man die einzelnen Unternehmen sehr genau verstehen, klare Überzeugungen umsetzen und langfristig denken. Wenn man die Unternehmen in seinem Portfolio wirklich durchschaut, kann man konsequent auf die Fundamentaldaten setzen, ohne sich von der Marktstimmung mitreißen zu lassen.
Um sich von der Konkurrenz abzuheben, muss man die einzelnen Unternehmen sehr genau verstehen.
Ich glaube nicht, dass es nur einen richtigen Investmentansatz gibt.
Früher war Alpha leichter zu erzielen.
In der AsienPazifik Region bringen wir in Strategiesitzungen Menschen zusammen. Sie sollen ihr Wissen austauschen und sich kennenlernen. Wir arbeiten in einer Welt des Informationsüberflusses. Nur wenn sich die Team mitglieder kennen und gegenseitig verstehen, lässt sich Vertrauen aufbauen. Das hilft ihnen, die Analysen und Empfehlungen der Kollegen zu schätzen.
Wir nutzen aber auch mögliche Spezialkenntnisse unserer Kollegen in anderen entwickelteren Märkten. So bin ich unserem USAnleiheteam sehr dankbar, weil es uns hilft, internationale Standards zu erfüllen. Die Kollegen bilden die Mitarbeiter unseres chinesischen Joint Ventures Invesco Great Wall beim Manage ment von Kurzläufern und in der Kredit analyse weiter . Diese Partnerschaft ist nur ein Beispiel dafür, wie wir mit lokalen Kenntnissen und globalem Knowhows ein Investmentgeschäft aufbauen können.
Risk & RewardNennen Sie einige der wichtigsten Heraus forde run gen für die weitere Entwicklung von Invesco in Asien.
Anna TongFrüher war Alpha leichter zu erzielen. Damals waren die Märkte nicht so effizient, und es gab nur wenige Fondsgesellschaften. Seitdem wurde der Markt deutlich wettbewerbsintensiver, und mittlerweile können Investoren zwischen aktiven, passiven und faktorbasierten Strategien wählen. Um ein Beispiel zu nennen: Heute gibt es über 3.000 OnshoreFonds allein für chinesische AShares.6
Bei so viel Wettbewerb braucht man eine sehr gute Performance, nicht nur gegenüber der Benchmark, sondern auch gegenüber der Peergroup. Aber wie können wir uns abheben und Menschen für unsere Fonds begeistern? Eine gute Vergangenheitsperformance ist natürlich wichtig, aber man braucht auch eine klare Investmentphilosophie und eine starke Marke. Das ist nicht selbstverständlich, und wir müssen ständig daran arbeiten.
Die Kunden wollen auch individuellere Lösungen. Da ihre Anforderungen sehr unterschiedlich sein können, muss man das Vertrauen jedes einzelnen Kunden gewinnen und seine individuellen Investmentziele verstehen. Dann muss man zusammen mit spezialisierten Investmentteams für eine Vielzahl von Anlageklassen und Stilen eine optimale Lösung entwickeln, passend zu den Kundenzielen.
Risk & RewardWelche Eigenschaften brauchen Assetmanager in Zukunft, insbesondere in der Region Asien-Pazifik?
Anna TongIn meiner Laufbahn habe ich gelernt, dass Assetmanager sich nicht von den Marktstimmungen mitreißen lassen dürfen. Im Oktober 1987 brach der
Über die Jahre haben wir in Asien ein erfahrenes Investmentteam aufgebaut. Unsere vielfältigen Sektorschwerpunkte helfen uns, Unternehmen mit nachhaltigen Wettbewerbsvorteilen und erfolgreichen Geschäftsmodellen zu finden. Meist beobachten unsere Analysten 20 bis 25 Unternehmen sehr genau, und sie kennen deren Strategie und Finanz lage sehr gut.
Risk & RewardSie leiten eine heterogene Gruppe aus Investment-experten für die Region. Wie sorgen Sie für Zusam men-arbeit im Team und Kontakte zu anderen Regionen?
Anna TongIn der Region AsienPazifik arbeiten wir in vielen unterschiedlichen Märkten, was Vielfalt und lokale Kenntnisse sehr wichtig macht. Ich bin sehr offen, und ich glaube nicht, dass es nur einen richtigen Investmentansatz gibt. Für die Qualitätskontrolle ist aber wichtig, dass alle Investmentexperten unabhängig vom Marktzyklus unsere klare Anlagephilosophie diszipliniert umsetzen.
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Anmerkungen1 „Japan sees new phase in long struggle against deflation”, Nikkei Asian Review,
17. November 2017.2 „World Economic Outlook Database”, International Monetary Fund, heruntergeladen am
23. Mai 2018.3 „Global Wealth 2017” und „Global Asset Management 2017”, The Boston Consulting Group,
abgerufen am 23. Mai 2018.4 „Leadership in times of plenty: Future winners in China’s asset management industry”,
Casey Quirk by Deloitte, abgerufen am 23. Mai 2018.5 Das „Wholly ForeignOwned Enterprise” (WFOE) von Invesco in Shanghai wurde im
November 2017 von der Asset Management Association of China als privater Fondsmanager zugelassen.
6 Gemessen an der Zahl zugelassener, öffentlich vertriebener ASharePublikumsfonds. Quelle: Wind Financial Data, Stand: 2. Februar 2018.
USMarkt ein, am sogenannten Schwarzen Montag, und am folgenden Morgen verkauften wir während der Panik auch in Asien Aktien. Natürlich erwiesen sich Verkäufe genau zu diesem Zeitpunkt im Nachhinein als sehr ungünstig. Wir haben gelernt, wie wichtig es ist, auf Bewertungen und Fundamentaldaten zu achten.
Ich glaube, dass sich das Assetmanagement im Laufe der Zeit weiterentwickelt, genauso wie die sich schnell wandelnden Märkte. Eines wird sich aber nicht ändern: Auch in Zukunft braucht man Leidenschaft, Einsatz und Stehvermögen – und man muss hart arbeiten, in guten wie in schlechten Zeiten. Das Asset management ist eine sehr wettbewerbsintensive Branche, und nur die Besten werden bestehen.
Ein klarer Investmentansatz hilft Assetmanagern, mit unerwarteten Marktentwicklungen zurechtzukommen, durch klare Überzeugungen und einen recht niedrigen Portfolioumschlag. Besonders wichtig ist dies in Asien, wo die Aktienmärkte tendenziell volatiler und stimmungsgetriebener sind als in anderen Regionen. Wenn wir unseren Kunden eine stetige risikoadjustierte Performance bieten, hilft ihnen das langfristig mehr als ein AllesodernichtsAnsatz.
Besonders wichtig ist dies in Asien, wo die Aktienmärkte tendenziell volatiler und stimmungsgetriebener sind.
Assetmanager dürfen sich nicht von den Markt stimmungen mitreißen lassen.
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Kurz gefasstAktienanlagen versprechen hohe erwartete Ren diten, aber ihre Risiken können nicht viele Anleger tragen. Eine mögliche Lösung kann ein Wertsicherungsverfahren sein, das idealerweise den Investitionsgrad in Aktien immer dann verringert, wenn dies zur Einhaltung einer im Voraus festgelegten Wertuntergrenze erforderlich ist. Mithilfe einer BlockBootstrapMethode zeigen wir, dass die Wahl der Basisanlage in Aktien dabei entscheidend ist. Insbesondere sind volatilitäts arme Basisanlagen zu bevorzugen, wobei sich andere Mehrfaktorenanlagen als Alternativen eignen, wenn zusätzlich ein dynamisches Risiko manage ment berücksichtigt wird.
Der Nutzen faktorbasierter Aktienanlagen für die Wertsicherungvon Dr. Harald Lohre, David Happersberger und Alexandar Cherkezov
Wertsicherungsverfahren wie die CPPI (Constant Proportion Portfolio Insurance) werden oft verwendet, um Kapitalanlagen vor möglichen Ver lus ten zu schützen.1 Dieses Risiko ist bei reinen Aktienanlagen offenbar besonders hoch. Wir unter suchen das Zusammenspiel der CPPI mit ver schie denen Aktienanlagen wie gewöhnlichen marktkapitali sierungs gewichteten Indizes sowie Mehrfaktoren und volatilitätsarmen An lagen.
Normalerweise beurteilt man CPPIStrategien für verschiedene Aktienanlagen anhand ihrer historischen Performance. Doch aufgrund der Pfad abhängig keit der CPPI hat ihre Vergangenheitsperformance nur begrenzte Aussagekraft. Wir haben deshalb in einem früheren Beitrag2 eine BlockBootstrap Methode vorgeschlagen, mit der man auf der Basis historischer Renditen eine große Zahl konsistenter verschiedener Kurspfade und CPPIErgebnisse simu lieren kann. Statt nur einen Kurspfad auszuwerten, stützen wir unsere Analyse auf die gesamte Ver teilung der mit einer bestimmten riskanten Basis anlage verbundenen Portfoliorendite. Während die ursprüngliche CPPIAnalyse auf einer statischen Annahme für das Übernachtrisiko (d.h. einem kon stanten Multiplikator) beruht, gehen wir noch weiter und betrachten den Mehrwert
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Statt nur einen Kurspfad auszuwerten, stützen wir unsere Analyse auf die ge samte Verteilung der mit einer bestimm ten riskanten Basisanlage verbundenen Portfolio rendite.
einer Zielvolatilitätssteuerung und einer dynamischen Risikoprognose, die die Wertsicherung als solche dynamisieren (DPPI – Dynamic Proportion Portfolio Insurance).
jenige Vielfache des Puffers interpretiert werden, das man in die riskante Basisanlage investieren kann, ohne eine Verletzung der Wertuntergrenze zu riskieren (sofern der unterstellte Maximalverlust nicht überschritten wird). Um möglichst sicherzugehen, könnte man einen statischen Multiplikator auf der Basis einer WorstCaseRisikoschätzung verwenden. In unserer ersten Analyse von CPPI für Aktienanlagen haben wir einen konstanten Multiplikator von 6 gewählt. Das entspricht einem Übernachtrisiko von 16,7%.4
Aktienanlagen mit StilAktieninvestments folgen oft kapitalisierungsgewichteten Gesamtmarktindizes. Es gibt aber Anlagestile, die sich von einfachen Indexinvestments unterscheiden. Dazu gehören die verbreiteten Anlagestile Value ( Bewertung) und Momentum. So bevorzugt ein Value Anleger Aktien, die nach einem fundamentalen Bewertungsmaß relativ günstig sind, und meidet relativ teure Aktien. Während der Value Anleger darauf baut, dass Aktien zu ihrem fundamentalen Wert zurückkehren, setzt der MomentumAnleger darauf, dass der aktuelle Kurstrend der Aktien anhält. Er sucht daher aktiv nach momentanen Gewinner aktien der letzten Zeit und trennt sich von den mo men tanen Verliereraktien.
Diese beiden Investmentphilosophien sind bei quantitativen, faktororientierten Managern besonders verbreitet. Neben Value und Momentum gibt es viele weitere Eigenschaften von Aktien, die als relevant für deren Rendite gelten. Bei der folgenden Analyse wollen wir die wichtigsten Aktienstile berücksichtigen und betrachten deshalb zusätzlich die defensiven Stile Quality (Qualität) und Low Volatility (niedrige Volatilität). Während Quality Unternehmen mit solider Bilanz und/oder nachhaltigem Investitions und Finanzierungsverhalten bevorzugt, meidet Low Volatility hochvolatile Aktien, um die risikoadjustierte Rendite eines Portfolios zu verbessern.
Tabelle 1 zeigt die Performance dieser verschiedenen Stile, angewandt auf europäische Aktien im Zeitraum vom 31. Oktober 2006 bis zum 31. Mai 2018.5 Da der Untersuchungszeitraum mit dem Ausbruch der internationalen Finanzkrise beginnt, ist die Performance des marktbreiten MSCI Europe Index nur mäßig. Er erzielte während der Finanzkrise eine Rendite von 3,25% p.a. bei einer Volatilität von 19,4% p.a. und
Tabelle 1Performance verschiedener Aktienstile
Index Geldmarkt Value Momentum Quality QMV Min Vol Active LowVol
Rendite p.a. (%) 3,25 0,84 1,29 6,53 6,22 4,88 4,33 5,87
Volatilität p.a. (%) 19,4 0,1 21,7 18,6 18,4 18,3 14,9 16,0
Sharpe Ratio 0,12 0,02 0,31 0,29 0,22 0,24 0,32
Maximum Drawdown (%) 58,5 65,1 54,9 46,8 55,6 50,5 46,3
Die Tabelle enthält Performancekennzahlen von Aktienstilen. Als Index verwenden wir den MSCI Europe Index, und „Value“, „Momentum“ sowie „Quality“ basierend auf den entsprechenden Indizes: MSCI Europe Value, MSCI Europe Momentum und MSCI Europe Quality. „QMV” steht für eine gleichgewichtete Kombination von Quality, Value und Momentum (auf Basis der entsprechenden MSCIIndizes). „Min Vol“ bezeichnet den MSCI Europe Minimum Volatility Index. Alle MSCIIndizes wurden auf Basis ihrer Nettogesamtrenditen in Euro ausgewertet. „Active LowVol“ basiert auf den BacktestRenditen eines integrierten MehrfaktorenAktienportfolios, das in Abhängigkeit von Quality, Momentum und ValueSignalen optimiert wurde, aber ein Risiko deutlich unter dem Marktniveau anstrebt. Die Geldmarktrenditen basieren auf dem EONIA. Ausgewiesen sind die annualisierten Renditen und Volatilitäten sowie die entsprechenden Sharpe Ratios und Maximum Drawdowns. Quellen: MSCI, Bloomberg, Deutsche Bundesbank. Zeitraum: 31. Oktober 2006 bis 31. Mai 2018. Dies ist simulierte Performance der Vergangenheit, und die Performance der Vergangenheit ist kein Indikator für zukünftige Renditen.
CPPI in KürzeEine CPPIStrategie3 zielt darauf ab, durch die aktive Steuerung des Investitionsgrads in einer riskanten Basis anlage in einem bestimmten Anlagezeitraum eine im Voraus festgelegte Wertuntergrenze nicht zu verletzen. Ein wichtiger Parameter ist der Puffer Ct, also die Differenz aus dem investierten Vermögen Wt (Wealth) und dem Barwert der Wertuntergrenze NPV(FT) (Net Present Value of the Floor):
(1) C W NPV Ft t T= − ( )Um die Wertuntergrenze abzusichern, muss
(2) C W Wt t t≥ ∗ ( )MaxLoss
gelten. Die entsprechende riskante Anlage – mit dem Investitionsgrad et (Exposure) – lässt sich ausdrücken als Et = et ∗ Wt, sodass sich Bedingung (2) umformuliert zu
(3) C e W risky asset
EC
risky assetm C
t t t
tt
t
≥ ∗ ∗ ( )
⇔ ≤( )
= ∗
MaxLoss
MaxLoss
Dabei wurde ein weiterer wichtiger Parameter eingeführt, der CPPIMultiplikator m. Er kann als das
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einem Maximum Drawdown von 58,5%. Die Stilrenditen variieren erheblich zwischen 1,29% ( Value) und 6,53% (Momentum). Interessanterweise war Value mit einer Volatilität von 21,7% p.a. und einem Maximum Drawdown von 65,1% der risikoreichste Stil. Qualitätsorientierte und auf minimale Volatilität (Mini mum Volatility) ausgerichtete An lagen waren mit Maximum Drawdowns von 46,8% (Quality) und 50,5% (Minimum Volatility) robuster. Dennoch haben QualityAnlagen eine Volatilität von 18,4% p.a., während MinimumVolatilityAnlagen mit 14,9% p.a. tatsächlich die geringste, um mindestens ein Fünftel niedrigere Volatilität aufweisen.
Es lohnt sich, neben dem Gesamtzeitraum zwei Teilzeiträume zu betrachten. Wir teilen dazu den Gesamtzeitraum im März 2009, als die internationalen Aktien märkte ihre Tiefststände während der Finanzkrise erreichten. Im volatilen ersten Teilzeitraum schnitten Quality und Minimum Volatility wesentlich besser ab als das ValuePortfolio, das sogar hinter dem Marktindex zurückblieb (Abbildung 1). Interessanterweise entwickelte sich Value auch in der darauffolgenden Hausse schlechter als die übrigen Aktienstile. Ab März 2009 war Momentum der Performancespitzenreiter, vor Quality auf Platz zwei. Besonders interessant ist, dass das MinimumVolatilityPortfolio indexähnliche Renditen bei niedrigerer Volatilität erzielte.
In der quantitativen Aktienanlage werden üblicherweise verschiedene Investmentstile zu einem besser diversifizierten Mehrfaktorenportfolio kombiniert.6 Oft werden dabei Quality, Momentum und Value zu einem Kernaktienportfolio zusammengeführt, das ähnliche Risikoeigenschaften wie der Marktindex, aber potenziell höhere Renditen hat. Tatsächlich übertraf eine einfache Gleichgewichtung dieser drei Stile („QMV“ in Tabelle 1) den MSCI Europe im Backtest um 1,63 Prozentpunkte p.a.
Um zusätzlich die Stärken defensiven Investierens zu nutzen, betrachten wir außerdem einen integrierten Mehrfaktorenansatz, der ein Aktienportfolio anhand von Quality, Momentum und ValueSignalen optimiert, aber dabei ein Risiko deutlich unter dem Marktniveau anstrebt („Active LowVol“ in Tabelle 1). Tatsächlich hätte ein solches aktives LowVolatilityPortfolio mit einer Rendite von 5,87% und einer Volatilität von 16,0%, d.h. einer Sharpe Ratio von 0,32, hervorragend abgeschnitten. Außerdem ist sein Maximum Drawdown (46,3%) noch geringer als der des QualityPortfolios.
Factor Investing und CPPIÜbertragen sich die großen Performanceunterschiede zwischen den Aktienstilen auf die entsprechenden CPPIStrategien? Der größte Teil der CPPILiteratur geht von Indexinvestments als zugrunde liegender Aktienanlage aus, lässt also diese Frage unbeantwortet. Eine Ausnahme bilden Ardia, Boudt und Wauters (2016). Sie untersuchen CPPIStrategien sorgfältig auf Basis verschiedener Aktienanlagen, die etwa nach Marktkapitalisierung, fundamentalen Kriterien oder ihrer Volatilität gewichtet sind.
In Anlehnung an diese Arbeit analysieren wir die Aktienstile aus dem letzten Abschnitt in Verbindung mit verschiedenen Wertsicherungsstrategien. Wie in einem früheren Beitrag7 legen wir unserer Analyse nicht die historische CPPIPerformance zugrunde,
Abbildung 1Aktienstile im Zeitablauf
MSCI Europe MSCI Value MSCI Momentum MSCI Quality MSCI Min Vol
31. Oktober 2006 – 31. März 200931. Oktober 2006 = 100
20
40
60
80
100
120
140
10/06 1/07 4/07 7/07 10/07 1/08 4/08 7/08 10/08 1/09
MSCI Europe MSCI Value MSCI Momentum
MSCI Quality MSCI MinVol
31. März 2009 – 31. Mai 201831. März 2009 = 100
100
140
180
220
260
300
340
380
3/09 3/10 3/11 3/12 3/13 3/14 3/15 3/16 3/17 3/18
MSCI Europe MSCI Value MSCI Momentum
MSCI Quality MSCI MinVol 31.03.2009
Die Grafiken zeigen die Performance von Aktienstilen im Zeitablauf. Als Index verwenden wir den MSCI Europe Index, und „Value“, „Momentum“ sowie „Quality“ basierend auf den entsprechenden Indizes: MSCI Europe Value, MSCI Europe Momentum und MSCI Europe Quality. „Min Vol“ bezeichnet den MSCI Europe Minimum Volatility Index. Alle MSCIIndizes wurden auf Basis ihrer Nettogesamtrenditen in Euro ausgewertet. Der Geldmarkt wird durch den EONIA abgebildet. Quellen: MSCI, Bloomberg. Stand: 31. Mai 2018. Dies ist simulierte Performance der Vergangenheit, und die Performance der Vergangenheit ist kein Indikator für zukünftige Renditen.
sondern 5.000 mit BlockBootstrapping simulierte Performance historien.8 Angesichts der Pfadabhängigkeit der CPPI ist dieser Ansatz üblichen Analysen deutlich über legen, weil wir die wahrscheinliche Renditeverteilung des auf einer bestimmten Aktienanlage basierenden Portfolios analysieren können.
Abbildung 2 zeigt die Ergebnisse für eine Wertuntergrenze von 85% und einen statischen Multiplikator von 6. Als Basisanlage wählen wir die wichtigsten Aktienstrategien, d.h. den Index, das Mehrfaktorenportfolio (QMV), das MinimumVolatilityPortfolio und das aktive LowVolatilityPortfolio.9 Natürlich haben alle diese Aktienanlagen erhebliche Abwärts risiken, allerdings schwächer ausgeprägt für die beiden volatilitätsarmen Alternativen. Interessanterweise ändert sich die Renditeverteilung durch die CPPI durchweg recht deutlich.
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verschlechtert sich das Ergebnis der CPPI mit zunehmender Volatilität der Basisanlage. Man kann sich also fragen, ob die CPPI bei LowVolatilityBasisanlagen nur wegen deren niedrigerer Volatilität so vielversprechend ist. Daher untersuchen wir im Folgenden, ob eine explizite Zielvolatilitätssteuerung der Indexanlage und der Mehrfaktorenanlage helfen kann, den Rückstand gegenüber volatilitätsarmen Basisanlagen aufzuholen. Die Zielvolatilitätssteuerung verringert das Engagement in der Index oder der Mehrfaktorenanlage, während man dynamisch die Volatilität der MinimumVolatilityStrategie repliziert.
Panel C in Tabelle 2 zeigt, dass die Volatilitätssteuerung bei der Indexanlage und der Mehrfaktorenanlage (QMV) von Vorteil ist. Sie führt zu einer höheren Rendite und einer niedrigeren Volatilität und verringert den Rückstand bei der risikoadjustierten Performance. Die mittlere Grafik in Abbildung 3
Um die Renditeverteilungen direkt vergleichen zu können, haben wir sie in einer Grafik zusammengefasst (Abbildung 3). In Verbindung mit dem Index liefert die CPPI relativ häufig Ergebnisse nahe der Wertuntergrenze. Bei der Basisanlage QMV ist dieser Effekt weniger ausgeprägt, und für das Minimum VolatilityPortfolio sowie das aktive LowVolatilityPortfolio sind die Ergebnisse noch besser. Dieser erste Eindruck aus Abbildung 3 wird durch die Kennzahlen in Tabelle 2 im Großen und Ganzen gestützt. Die Ergebnisse der statischen CPPIStrategie in Panel B bestätigen die oben erwähnte Rangfolge klar: In Bezug auf Rendite, Sharpe Ratio und Calmar Ratio liegt die aktive LowVolatilityAnlage auf dem ersten Platz und die Indexanlage auf dem letzten.
Zielvolatilitätssteuerung für die AktienbasisanlageDass CPPIStrategien mit volatilitätsarmen Basisanlagen besonders gut abschneiden, war von vornherein zu erwarten: Nach Black und Jones (1987)
Abbildung 2Factor Investing und CPPI
CPPI Buy and Hold
IndexDichte
QMVDichte
0,03
0,00
0,01
0,02
0 40-15 (Wert-untergrenze)
Rendite in %-40
2,76,1
0,03
0,00
0,01
0,02
0 40-15 (Wert-untergrenze)
Rendite in %-40
4,07,6
Min VolDichte
Active LowVolDichte
0,03
0,00
0,01
0,02
0 40-15 (Wert-untergrenze)
Rendite in %-40
3,96,5
0,03
0,00
0,01
0,02
0 40-15 (Wert-untergrenze)
Rendite in %-40
6,29,2
Die Grafik zeigt die Verteilungen der mit BlockBootstrapping simulierten Jahresrenditen des CPPIPortfolios (blaue Schattierung) und des reinen, in der simulierten Aktienanlage investierten BuyandHoldPortfolios (pinkfarbene Schattierung). Die Wertuntergrenze der CPPIStrategie beträgt 85%. Unter den Dichtekurven haben wir die zugehörigen Träger und Mittelwerte der Renditeverteilungen angegeben. Die Grafik oben links zeigt die Indexanlage, die Grafik oben rechts zeigt die gleichgewichtete Mehrfaktorenanlage in Quality, Momentum und Value (QMV), die Grafik unten links zeigt die MinimumVolatilityStrategie und die Grafik unten rechts zeigt die aktive LowVolatilityStrategie.Quellen: MSCI, Bloomberg, Invesco.
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Tabelle 2Performance simulierter Strategien
Basisanlage Index
Basisanlage QMV
Basisanlage Min Vol
Basisanlage Active LowVol
Panel A: Reine Aktienanlage
Rendite p.a. (%) 6,10 7,57 6,51 9,17
Volatilität p.a. (%) 17,22 16,19 13,23 14,24
Sharpe Ratio 0,31 0,42 0,43 0,58
Durchschnittl. jährlicher MDD (%) 18,79 17,48 14,24 14,59
Durchschnittl. jährliche Calmar Ratio 0,75 0,87 0,90 1,08
Durchschnittl. Investitionsgrad (%) 100,00 100,00 100,00 100,00
Value at Risk 99% (%) 39,45 34,38 26,81 25,95
Expected Shortfall 99% (%) 46,62 41,49 32,17 32,32
Panel B: CPPI
Rendite p.a. (%) 2,73 4,03 3,88 6,25
Volatilität p.a. (%) 15,72 15,49 12,95 14,42
Sharpe Ratio 0,12 0,21 0,23 0,37
Durchschnittl. jährlicher MDD (%) 14,34 13,80 11,69 12,24
Durchschnittl. jährliche Calmar Ratio 0,44 0,57 0,65 0,83
Durchschnittl. Investitionsgrad (%) 72,41 74,95 78,97 80,83
Value at Risk 99% (%) 17,83 17,60 16,25 15,98
Expected Shortfall 99% (%) 18,14 17,97 16,97 16,77
Panel C: CPPI mit Volatilitätssteuerung
Rendite p.a. (%) 3,15 4,25 3,88 6,17
Volatilität p.a. (%) 13,33 13,34 12,95 13,44
Sharpe Ratio 0,17 0,26 0,23 0,40
Durchschnittl. jährlicher MDD (%) 12,50 12,24 11,69 11,61
Durchschnittl. jährliche Calmar Ratio 0,60 0,72 0,65 0,89
Durchschnittl. Investitionsgrad (%) 63,34 66,66 78,97 76,70
Value at Risk 99% (%) 17,64 17,37 16,25 15,88
Expected Shortfall 99% (%) 17,98 17,84 16,97 16,68
Panel D: DPPI mit Volatilitätssteuerung
Rendite p.a. (%) 3,22 4,43 4,17 5,56
Volatilität p.a. (%) 11,95 12,16 12,75 13,25
Sharpe Ratio 0,20 0,29 0,26 0,36
Durchschnittl. jährlicher MDD (%) 11,33 11,20 11,45 11,58
Durchschnittl. jährliche Calmar Ratio 0,58 0,72 0,69 0,84
Durchschnittl. Investitionsgrad (%) 64,43 68,16 84,95 78,98
Value at Risk 99% (%) 15,36 15,23 15,63 15,65
Expected Shortfall 99% (%) 15,82 15,75 16,11 16,01
MDD = Maximum Drawdown.Die Tabelle zeigt durchschnittliche Performancekennziffern für mit BlockBootstrapping simulierte Aktienstrategien ohne Wertsicherung (Panel A), mit CPPI (Panels B und C) bzw. mit DPPI (Panel D). Die Wertuntergrenze beider Wertsicherungsverfahren, CPPI und DPPI, beträgt 85%. Ausgewiesen werden Durchschnittsrendite, Volatilität, Sharpe Ratio und der Expected Shortfall der simulierten Jahresrenditen sowie der Durchschnitt der (für jeden simulierten Pfad berechneten) Maximum Drawdowns und der durchschnittliche Investitionsgrad.Quellen: MSCI, Bloomberg, Invesco. BlockBootstrappingZeitraum: 31. Oktober 2006 bis 31. Mai 2018. Dies ist simulierte Performance der Vergangenheit, und die Performance der Vergangenheit ist kein Indikator für zukünftige Renditen.
Risk & Reward, #3/2018 37
veranschaulicht, dass die Renditeverteilungen nahe bei einanderliegen. Die Kennzahlen für das Extremrisiko ändern sich allerdings durch die Volatilitätsanpassung kaum. Offensichtlich liegt die robustere CPPIPerformance volatilitätsarmer Strategien nicht nur an der geringeren Volatilität der Basisanlagen, sondern auch am besonderen Muster der relativen Renditen solcher Strategien in fallenden Märkten. Diese Ergebnisse legen nahe, als weiteres Element der Wertsicherungsstrategie eine dynamische Risikoprognose zu betrachten, mit deren Hilfe der Investitionsgrad aktiv gesteuert werden kann, um Extremrisiken noch besser abzufedern.
Ist eine dynamische Wertsicherung von Vorteil?Eine konservative Wahl des Multiplikators könnte die Partizipation an Wertzuwächsen der Basisanlage stark beeinträchtigen. Wir betrachten daher alternativ den dynamischen Multiplikator
m mES risky asset
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Er hängt von einer Schätzung des Expected Shortfall der Basisanlage ab. Bei diesem DPPIAnsatz steigt der Investitionsgrad in ruhigeren Phasen und sinkt bei höheren Marktrisiken. Offensichtlich ist es wesentlich, Risikomodelle zu verwenden, die ein rechtzeitiges Erfassen von Extremrisiken in der Portfoliorenditeverteilung ermöglichen. Dazu verwenden wir ExpectedShortfallPrognosen, die aus einem GARCH(1,1) Modell abgeleitet werden.10
Gemäß Abbildung 3 (untere Grafik) und Panel D in Tabelle 2 können wir schlussfolgern: Die dynamische Risikoprognose verkürzt den Performancerückstand der Indexstrategie und der Mehrfaktorenstrategie gegenüber den volatilitätsarmen Alternativen. Alle drei Strategien – Index, QMV und MinimumVolatilityStrategie – verzeichnen eine etwas höhere Durchschnittsrendite. Die Volatilität und das Verlustrisiko sinken aber bei der Index und der QMVAlternative stärker, sodass sich die risikoadjustierten Wertentwicklungen angleichen. Der aktive LowVolatility Ansatz mit DPPI schneidet aber immer noch am besten ab.
Abbildung 3CPPI und Factor Investing: die Rolle von Zielvolatilitätssteuerung und dynamischer Risikoprognose
Index QMV Min Vol Active Low VolDichte
Rendite in %0 25 50-15 (Wert-untergrenze) 2,7 3,9
4,06,2
0,03
0,00
0,01
0,02
index minvol qmv active lowvolDichte
Rendite in %0 25 50-15(Wert-untergrenze) 3,1 3,9
4,36,2
0,03
0,00
0,01
0,02
index minvol qmv active lowvolDichte
Rendite in %0 25 50-15 (Wert-untergrenze) 3,2 4,2
4,45,6
0,03
0,00
0,01
0,02
index minvol qmv active lowvolDie Grafiken vergleichen die Verteilungen der mit BlockBootstrapping simulierten Jahresrenditen von Wertsicherungsstrategien für die Indexanlage, die Mehrfaktorenanlage, die MinimumVolatilityAnlage und die aktive LowVolatilityAnlage. Die Wertuntergrenze der Wertsicherungs strategien beträgt 85%. Die obere Grafik zeigt die statischen CPPIStrategien mit einem Multi plikator von 6. Die mittlere Grafik zeigt ebenfalls statische CPPIStrategien mit einem Multi plikator von 6, aber mit einer Volatilitätsanpassung der Basisanlagen an das Niveau der MinimumVolatilityAnlage. Die untere Grafik betrachtet diese modifizierten Basisanlagen in einer Wertsicherungsstrategie mit dynamischem Multiplikator (DPPI).Quellen: MSCI, Bloomberg, Invesco.
Die dynamische Risiko prognose verkürzt den Performance rückstand der Indexstrategie und der Mehrfaktoren strategie gegenüber den vola tilitätsarmen Alternativen.
FazitBei der Ausgestaltung von Wertsicherungsstrategien ist die Wahl der Basisanlage in Aktien wichtig, insbesondere, wenn einfache Wertsicherungsverfahren verwendet werden. Wir haben gezeigt, dass volatilitätsarme Basisanlagen aufgrund ihrer niedrigeren Volatilität und ihrer günstigeren Renditeverteilung
Risk & Reward, #3/2018 38
in fallenden Märkten für Wertsicherungsstrategien besonders vorteilhaft sind. Mithilfe einer BlockBootstrapMethode zur Simulation der Portfoliorenditeverteilung zeigen wir, dass eine Volatilitätssteuerung und dynamische Risikoprognose die Wertsicherungsergebnisse bei indexähnlichen Basisanlagen verbessern können. Eine aktive LowVolatilityBasisanlage, deren Investitionsgrad mit geeigneten dynamischen Risikoprognosen gesteuert wird, kann lang fristig das Mittel der Wahl sein.
Eine aktive LowVolatilityBasisanlage, deren Investitionsgrad mit geeigneten dynamischen Risiko prognosen gesteuert wird, kann lang fristig das Mittel der Wahl sein.
LiteraturAndersen, T. G., T. Bollerslev, P. F. Christoffersen und F. X. Diebold (2013): Financial risk measurement for financial risk management, Handbook of the Economics of Finance, hrsg. von G. M. Constantinides, M. Harris und R. M. Stulz, 2(17), 1127–1220.
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Happersberger, D., H. Lohre und I. Nolte (2018): Estimating portfolio risk for tail risk protection strategies, Working Paper, Lancaster University Management School.
Perold, A. F. (1986): Constant proportion portfolio insurance, Working Paper, Harvard Business School.
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Politis, D. N. und J. P. Romano (1994): The stationary bootstrap, Journal of the American Statistical Association 89 (428), 1303–1313.
Anmerkungen1 In „Theorie und Praxis von Wertsicherungsstrategien”, Risk & Reward #2/2017 untersuchten
wir Wertsicherungsstrategien, von statischen StopLossVerfahren über optionsbasierte Strategien bis zu dynamischen Wertsicherungsverfahren.
2 „Design und Bewertung von Wertsicherungsstrategien”, Risk & Reward #2/2018.3 Zu CPPIStrategien vgl. Perold (1986), Black und Jones (1987, 1988), Perold und Sharpe
(1988).4 Ardia, Boudt und Wauters (2016) geben einen Überblick über verschiedene CPPIStudien
und die jeweilige Wahl von Multiplikatoren.5 Alle Renditen in diesem Artikel verstehen sich in Euro. Bei Geldmarktanlagen verwenden wir
den EONIA. Alle Simulationen in diesem Artikel dienen ausschließlich zur Veranschaulichung und unterliegen Einschränkungen. Anders als die tatsächlichen Portfolioergebnisse spiegeln die Modellergebnisse Handelseffekte, Liquiditätsbeschränkungen, Gebühren, Aufwendungen, Steuern und andere die zukünftigen Renditen möglicherweise mindernde Faktoren nicht wider.
6 „Factor Investing: Wie man ausgewogene Faktorportfolios konstruiert”, Risk & Reward #1/2017.
7 „Design und Bewertung von Wertsicherungsstrategien”, Risk & Reward #2/2018.8 Für die Simulation alternativer Kurspfade verwenden wir den stationären BlockBootstrap
von Politis und Romano (1994). Ebenso wie Ardia, Boudt und Wauters (2016) leiten wir Blocklängen von mindestens einem und durchschnittlich 15 Tagen aus einer geometrischen Verteilung ab.
9 Investoren verwenden eher Einfaktorportfolios als ergänzende Bausteine oder um eine Investmenteinschätzung umzusetzen. Einfaktorportfolios liegen aber selten Wertsicherungsstrategien zugrunde.
10 Das GARCH(1,1)Modell bildet die wichtigsten empirischen Eigenschaften von Finanzmarktrenditen ab, wie Volatilitätsschwankungen, hohe Extremrisiken und VolatilitätsCluster. Zu GARCHModellen vgl. Andersen et al. (2013).
Die Ergebnisse der Berechnungen dienen nur der Veranschaulichung. Anders als die tatsächlichen Portfolioergebnisse spiegeln die Modellergebnisse Handelseffekte, Liquiditätsbeschränkungen, Gebühren, Aufwendungen, Steuern und andere die zukünftigen Renditen möglicherweise mindernde Faktoren nicht wider.
Über die Autoren
Dr. Harald LohreSenior Research Analyst,Invesco Quantitative StrategiesVisiting Research Fellow, EMP/Lancaster University Management School Dr. Harald Lohre entwickelt quantitative Prognosemodelle, die zur Verwaltung von MultiAssetStrategien eingesetzt werden.
David HappersbergerDoktorand, Lancaster University und Invesco Quantitative StrategiesIm Rahmen einer gemeinsamen Forschungsinitiative der Lancaster University mit Invesco Quantitative Strategies erforscht David Happersberger praxisrelevante Fragen der Finanzmarktokönometrie. Er unter stützt damit den Transfer wissenschaftlicher Erkenntnisse in den MultiAssetInvestmentprozess von Invesco Quantitative Strategies.
Alexandar Cherkezov, CFAPortfolio Manager,Invesco Quantitative StrategiesAlexandar Cherkezov managt MultiAssetPortfolios, die sich durch Factor Investing, eine aktive AssetAllokation und die Begrenzung des Verlustrisikos auszeichnen.
Risk & Reward, #3/2018 39
Die Grenzen des Factor Investing ausdehnen
Um das FactorInvestingAngebot zu stärken, steht Invesco Quantitative Strategies in stän di gem Kontakt mit der Wissenschaft. Auch deshalb richteten wir Ende April 2018 als CoGastgeber eine Konferenz in Lancaster aus. Ihr Titel: „Frontiers of Factor Investing“.
Für die Konferenz baten Invesco Quantitative Strategies und das Centre for Financial Econometrics, Asset Markets and Macroeconomic Policy (EMP) der Lancaster University Management School um Arbeitspapiere zum Factor Investing und verwandten Themen. Für die beste Studie wurde der Invesco Factor Investing Prize ausgelobt. Aus den etwa 200 Einreichungen wählte das Organisations komitee unter der Leitung von Prof. Dr. Ingmar Nolte die 60 besten zur Präsentation auf der Konferenz aus.
Den Rahmen bildeten vier Hauptreferate über die aktuelle Lage des Factor Investing – über aktuelle Forschungsarbeiten ebenso wie über die tatsächliche Umsetzung von Faktorstrategien:
• Marie Brière, Leiterin des Investor Research Center von Amundi und außerordentliche Professorin an der Universität Paris – Dauphine, gab eine allgemeine Einführung ins Factor Investing.
• Michael Fraikin, Global Head of Research bei Invesco Quantitative Strategies, sprach über Erkenntnisse der praktischen Umsetzung von Factor Investing in Aktienstrategien.
• Raman Uppal, Professor of Finance an der EDHEC Business School in London, untersuchte, wie viele Faktoren gemeinsam aus der Portfolioperspektive relevant sein können.
• Daniel Giamouridis, Leiter der Scientific Implemen tation Group und Leiter Global Portfolio Products bei Bank of America Merrill Lynch, informierte über neue Arbeiten zu den Auswirkungen systematischer und „gebündelter“ Investments auf Aktienrenditen, Risiken und Liquidität.
Im Folgenden geben wir einen Überblick über die wichtigsten Ergebnisse der vier Referenten.
Marie Brière: Was wissen wir über Factor Investing?In ihrem Eröffnungsreferat sprach Marie Brière darüber, wie sehr das Interesse an Factor Investing gestiegen ist und wie der Ansatz in den letzten
Jahren zu einem beliebten Forschungsgegenstand wurde. Lange hatten sich Wissenschaft und Praxis allein auf den Marktfaktor als den wesentlichen Risikofaktor verlassen – bis Fama und French 1992 auch die Faktoren Size (Unternehmensgröße) und Value (Bewertung) in ihr neues Dreifaktorenmodell aufnahmen. Später ergänzten dann Jegadeesh und Titman (1993) sowie Carhart (1997) den Momentumfaktor, also die Kursdynamik. Doch eine AssetAllokation auf Faktorbasis wurde erst ab 2009 für wirklich interessant gehalten: Damals zeigten Ang, Goetzmann und Schaefer für den norwegischen Staatsfonds, dass sich ein Großteil seiner aktiven Renditen mit zusätzlichen Risikofaktoren erklären lässt – oder, im Fachjargon, mit dem „Factor Exposure“. Seitdem haben große Investoren wesentliche Teile ihrer Anlagen in Faktorstrategien umgeschichtet, und die Zahl der beschriebenen Aktienfaktoren ist kontinuierlich gestiegen.
Zu viele Faktoren?Um einzuschätzen, ob dieser „Faktorzoo“ relevante Erkenntnisse liefern kann, sind nach Brière Robustheitstests nötig. Sie skizzierte zwei bekannte Probleme von Faktorstrategien: Erstens führten die hohen Trans aktionskosten im MicrocapUniversum dazu, dass die gerade hier häufig beschriebenen Anomalien eher Scheinanomalien sind. Zweitens gebe es bei Aktienfaktoren eine große Redundanz, sodass viele Faktoren nicht mehr statistisch signifikant seien, wenn andere Faktoren ins Spiel kämen. Darüber hinaus seien die Mehrerträge von Faktoren nach der Veröffentlichung oft niedriger, was nicht zuletzt mit der dann höheren Liquidität und der höheren Umschlagshäufigkeit zu erklären sei.
Ein neues Paradigma?Brière ging auch darauf ein, ob sich das Risiko der Einzelfaktoren durch eine optimale Faktorallokation diversifizieren lässt. Dazu beurteilte sie optimale Faktor und Sektorportfolios anhand unterschiedlicher Performancemaße. Ihre Ergebnisse1 belegten einen Tradeoff zwischen den Risikoprämien von Faktoren und den Diversifikationsvorteilen einer Sektorallokation. Nach Brière sorgt die Kombination von Faktoren für eine Überrendite gegenüber dem Markt sowie für bessere Ergebnissen als eine Sektorstrategie. Besonders ausgeprägt sei dies, wenn Leerverkäufe zulässig seien. In schwierigen Marktphasen, wenn Diversifikation wirklich notwendig sei, ließen Faktorstrategien Sektorstrategien nur dann hinter sich, wenn Leerverkäufe erlaubt seien.
Risk & Reward, #3/2018 40
Einzeltitelselektion anhand mehrerer FaktorenZuletzt ging Brière noch auf die Vorteile der Kombination einzelner Faktoren ein und verglich diese mit einem integrierten Einzelwertansatz auf Basis mehrerer Faktoren. Sie verwies auf wissenschaftliche Studien, denen zufolge die Integration zu einem besseren RenditeRisikoProfil führe, und kam zu dem Schluss, dass man mit einer Einzelwertauswahl anhand mehrerer Eigenschaften am besten von der – nichtlinearen – Interdependenz der Faktoren profitieren könne. Ein solcher integrierter Ansatz erlaube auch höhere Faktorexposure, weil sich die einzelnen Transaktionen neutralisieren könnten und man so Transaktionskosten sparen könne.
Michael Fraikin: Factor Investing aus Sicht eines PraktikersMichael Fraikin sprach über seine praktischen Erfahrungen bei der Umsetzung von Factor Investing in Aktienstrategien seit mehr als 20 Jahren.
Die Entwicklung der Marktrisiken – eine vereinfachte DarstellungZunächst sprach Fraikin über die jüngsten Entwicklungen im Assetmanagement und skizzierte, wie Factor Investing schließlich zur dritten Säule des Investierens wurde. Neben dem Marktbeta und dem einzeltitelspezifischen Alpha ließen sich mit Faktoren Renditen, aber auch Risiken erklären. Dies ermög liche eine stärkere Individualisierung und Anpassung der Investmentprodukte. Der Übergang zu Faktorstrategien werde durch jahrzehntelange empirische Studien gestützt und könne daher große Auswirkungen darauf haben, wie wir in Zukunft Vermögen managen.
Tatsächlich lässt sich beobachten, dass das Interesse am traditionellen aktiven Investieren nachlässt, während Factor Investing und passive Produkte immer mehr Marktanteile gewinnen. Nach der Invesco Global
Factor Investing Study aus dem Jahr 2016 hat der Rückzug der Investoren aus dem aktiven Investment vor allem zwei Gründe: Kostensenkung und den Wunsch nach mehr Risikodiversifikation. Die Studie hat auch gezeigt, dass die Investoren vor allem aufgrund des Wunsches nach Risikodiversifikation zum Factor Investing wechseln – aber auch, weil sie mehr Alpha erzielen müssen (Abbildung 1).
Laut Fraikin hat jeder Faktor etwas mit einer quantitativen Eigenschaft eines Assets zu tun. Empirische Studien zeigten, dass man mit einigen Faktoren Kurse verlässlich prognostizieren könne. In diesem Sinne sei Factor Investing die Essenz aus verlässlichen Eigenschaften von Faktoren, mit denen man diversifizierte Portfolios kosteneffizient managen könne – um eine Überrendite zu erzielen und Risiken zu steuern. Theoretisch müssen sich Investoren laut Fraikin entscheiden, ob sie in Makro oder Stilfaktoren investieren wollen, doch angesichts der begrenzten Investierbarkeit der Makrofaktoren diversifiziere man üblicherweise nach Stilfaktoren. Eine Stilfaktorstrategie habe sich weitgehend unabhängig vom Wirtschaftsumfeld als stabiler erwiesen als eine traditionelle Allokation nach Anlageklassen.
Bei Invesco Quantitative Strategies setzt Fraikins Researchteam zurzeit auf drei Gruppen von Faktoren mit dem Ziel, eine Überrendite gegenüber der Benchmark zu erzielen: Momentum (Kursdynamik), Qualität und Value (Bewertung). Um sicher sein zu können, dass diese auch in Zukunft Renditen versprechen, brauche man für die Faktoren dauerhafte Wirkungszusammenhänge. Für sie gebe es meist risiko, verhaltens oder marktstrukturbasierte Er klärungen.
Bin ich ein Faktor – und wenn ja, wie viele?Fraikin stellte die Frage, ob die 19 Einzelfaktoren des Mehrfaktorenmodells seines Teams in die vier Faktorfamilien Kursmomentum, Gewinnmomentum, Qualität und Bewertung gruppiert werden sollen oder ob sich ein sparsam parametrisiertes Modell entwickeln lässt, das Kurs und Gewinnmomentum zu einem einzigen Momentumfaktor zusammenfasst. Beide Faktoren
Abbildung 1Warum Vermögen wandert
Faktoren
Aktiv
Kosten
Erzielen von Alpha
Kosten
RisikodiversifikationAlpha
Risikodiversifikation
KapitalisierungsgewichtetPassiv
Smart Beta
Risikodiversifikation
Quelle: Invesco Global Factor Investing Study 2016. Nur zur Illustration. Die wichtigsten Gründe für die Umschichtungen werden hier genannt. Weitere Informationen finden Sie auf der InvescoWebseite https://assets.invesco.eu/dam/jcr:87f026c56eb9493290091cdd7c80f736/IGFIS_2016.pdf.
Risk & Reward, #3/2018 41
scheinen das gleiche wirtschaftliche Phänomen zu erfassen, und Fraikin lieferte starke empirische Belege dafür, dass sie letztlich auf den gleichen Eigenschaften beruhen. Das Gewinnmomentum sorge für höhere Renditen als das Kursmomentum, meinte er, allerdings auch um den Preis eines sehr viel höheren Portfolioumschlags. Die Kombi nation beider Faktoren führe daher zu nur geringen Informationsverlusten.
Argumente für aktive MehrfaktorenstrategienSchließlich lieferte Fraikin Hinweise darauf, dass F aktorstrategien günstigere Renditeprofile haben als ein breit gefasstes Marktportfolio. Einige solcher Strategien könnten aber kurz bis mittelfristig Unterrenditen liefern oder volatiler sein – was zeige, dass man nach Faktoren diversifizieren müsse. Ein diversifiziertes aktives Mehrfaktorenmodell dürfte am Ende stabilere relative Renditen liefern. Fraikin erwähnte aber auch, dass Märkte reagieren und sich an die Aktionen der Marktteilnehmer anpassen. Deshalb müssten Mehrfaktorenstrategien kontinuierlich weiterentwickelt werden.
Raman Uppal: Die Vielzahl von Unternehmensmerkmalen aus Portfoliosicht Der dritte Hauptreferent sprach zu einem ähnlichen Thema. Raman Uppal untersuchte, wie viele Faktoren gemein
sam für OutofSampleRenditen sorgen können, insbesondere mit Blick auf das Portfoliorisiko und die Transaktionskosten. Konkret untersuchte er die Auswirkungen der Transaktionskosten auf die Anzahl gemeinsam signifikanter Unternehmensmerkmalen im Mehrfaktorenportfolio.
In ihrer Studie untersuchten Uppal und seine Co Autoren2 die Daten von etwa 3.000 börsennotierten USUnternehmen aus den Jahren 1980 bis Ende 2014 und betrachteten dabei 51 unternehmens spezifische Merkmale. Nur wenige davon erwiesen sich, wenn man von Transaktionskosten abstrahiert, als gemeinsam signifikant. Fünf Eigenschaften – Gewinn momentum, niedrige Volatilität, Kapitalwachstum, kurzfristige Trendumkehr und Profitabilität – trugen der Studie zufolge zu höheren Durchschnittsrenditen bei und verringerten zugleich die Risiken. Der Betafaktor lieferte eine mittlere Rendite von etwa null, meinte Uppal, verringere aber dennoch das Risiko und diversifizierte mithin das Portfolio. Außerdem fanden Uppal und seine CoAutoren heraus, dass die Renditevolatilität und das Beta stark positiv korreliert sind und sich daher nahezu perfekt absichern.
Der Invesco Factor Investing PrizeAm Ende des ersten Konferenztages wurde die beste eingereichte Arbeit mit dem Invesco Factor Investing Prize ausgezeichnet, der mit 2.000 GBP dotiert ist. Nach sorgfältigen Über legungen vergab die Jury den Preis an Andrea Tamoni (London School of Economics) und seine Co-Autoren Fahiz Baba Yara und Martijn Boons von Nova SBE für ihre wissenschaftlich stringente und zugleich verständ liche Arbeit „Value Timing: Risk and Return across Asset Classes“. Bei der Zeremonie zitierte Dr. Harald Lohre von Invesco Quantitative Strategies aus der Begründung der Jury: Das Papier sei einfach, aber zugleich interessant, für Wissenschaftler und Praktiker gleichermaßen. Außerdem sei es sehr gut geschrieben und liefere eine umfassende Analyse. Die Autoren zeigten, dass die Ergebnisse von Value-Strategien für Aktien, Anleihen, Rohstoffe und Währungen mithilfe von Bewertungsdifferenzen (Value Spread) prognostizierbar seien. Die Renditen von Value-Strategien seien in allen Anlageklassen beachtlich, wenn die Bewertungsunterschiede recht hoch seien. Das Ausmaß sei sowohl statistisch signifikant als auch ökonomisch relevant.
Von links nach rechts: Prof. Dr. Ingmar Nolte, Michael Fraikin, Dr. Andrea Tamoni, Dr. Harald Lohre.
Risk & Reward, #3/2018 42
nicht wichtig genug, oder es ist zu segmentiert, um zu weitreichenderen Erkenntnissen für Kurse und Renditen beizutragen.
Schließlich zeigte Giamouridis auch, dass die Volatilität innerhalb klar definierter Marktsegmente oft sehr ähnlich und dauerhaft ist – also etwa die Volatilität von Aktien aus bestimmten Sektoren oder mit bestimmten Stileigenschaften. Diese Beobachtung verlange nach Schätzmodellen, die sich nicht allein auf Einzeltitel konzentrierten, sondern auch das Marktumfeld berücksichtigten.
Liquidität in einer „gebündelten“ InvestmentweltGiamouridis weitete seine Analyse auf die täg lichen Veränderungen der Handelsvolumina aus und beobachtete, dass es auch beim Handelsvolumen Gemeinsamkeiten innerhalb der Marktsegmente gibt – auf Sektor wie auf Faktorebene (d.h. auf Stilebene), und zwar besonders bei Handelseröffnung und Handelsschluss. Die Ergebnisse hätten Konsequenzen für Liquiditätsmodelle und die Ausführung von Strategien. Beispielsweise könnten nicht nur die Handels volu mi na der Einzeltitel, sondern auch die der Sektoren und des Gesamtmarktes einfache Modelle zur Prognose des Handelsvolumens verbessern. Gemeinsamkeiten beim Handelsvolumen lassen sich also nutzen, um genauere Modelle zur Prognose des Handelsvolumens und der Volatilität zu konstruieren.
FazitDie Konferenz „Frontiers of Finance“ in Lancaster hat gezeigt, dass Factor Investing ein sehr aktiver und ergiebiger Forschungsbereich ist. An den beiden Tagen kamen ausgewählte Wissenschaftler zusammen, um über die jüngsten Fortschritte in Theorie und Praxis des Factor Investing zu diskutieren. Angesichts des steigenden Interesses von Investoren an diesem neuen Paradigma, das die Allokation nach Faktoren der Einzeltitelselektion vorzieht, sollten quantitative Invest mentmanager die neuen Erkenntnisse unbedingt aufgreifen. Integrierte Mehrfaktorenansätze erweisen sich als Mittel der Wahl. Weil Finanz märkte aber auf die Vergangenheit reagieren, müssen die Prozesse ständig weiterentwickelt werden.
Vielleicht erscheint es auf den ersten Blick nicht sehr plausibel, dass die Zahl der signifikanten Faktoren auf 15 steigt, wenn Transaktionskosten in der Ana lyse berücksichtigt werden. Uppal argumentiert, dass die Kombination von Faktoren zur Verringerung der Transaktionskosten beitrage, weil sich die zum Ausgleich unterschiedlicher Faktoreigenschaften nötigen Transaktionen neutralisierten. Diese Handelsdiversi fikation verringere die InSampleTransaktionskosten um 65%.
Schließlich beantwortete Uppal auch die Frage, ob Anleger eine große Zahl an Merkmalen (oder Faktoren) ein beziehen sollten, um die Performance nach Abzug der Transaktionskosten zu steigern. Die Outof SamplePerformance seines Modells war nach Abzug von Transaktionskosten deutlich höher als die von anderen bekannten Bewertungsmodellen mit einer kleineren Zahl von Faktoren. Schließlich zeigten die Arbeiten von Uppal auch, dass die Trans aktionskosten der Grund dafür sind, dass Investoren bei der Konstruktion von AktienFaktorportfolios über mehr verschiedene Wertpapiermerkmale nachdenken sollten.
Daniel Giamouridis: Eine ge bündelte InvestmentweltDer letzte Hauptreferent war Daniel Giamouridis. Er präsentierte neue Arbeiten zu den Auswirkungen systematischer und „gebündelter“ Invest
mentstrategien auf die Aktienrenditen, das Risiko und die Liquidität. Beim systematischen Investieren folgen die Anlageentscheidungen Regeln, was zu Transaktionsbündeln führt – also zu zeitgleichen Transaktionen in einer Reihe von Aktien, die bestimmte Kriterien erfüllen, etwa weil sie ausnahmslos Momentumwerte sind. Das unterscheidet sich durchaus vom traditionellen Ansatz, bei dem Aktien nach einzelwertspezifischen Kriterien und weitgehend unabhängig voneinander gekauft werden, etwa, weil sie gerade billig sind. Da Indexprodukte immer beliebter geworden sind und Smart Beta sowie quantitative Ansätze für Investoren immer wichtiger werden, gewinnen auch Faktoransätze zunehmend an Bedeutung. Die Studie von Giamouridis und seinem Team dokumentiert eine Reihe empirischer Fakten über die Konsequenzen solcher Investmentstrategien für die Aktienkurse.
„Bundled Investing“ und seine Auswirkungen auf Renditen und RisikenZunächst verglichen Giamouridis und seine Kollegen die Besonderheiten der Marktmikrostruktur von Aktien mit hohem Indexanteil mit der von Aktien mit geringem Indexanteil. Ihr Ergebnis: Aktien mit höherem Indexanteil schwanken stärker, und ihre Erträge sind stärker negativ autokorreliert, ihre systematischen Risiken sind höher, sie sind liquider und werden häufiger gebündelt gehandelt. Bei Aktien mit hohem Indexanteil ist Mean Reversion daher wahrscheinlicher und das einzeltitelspezifische Risiko niedriger, sodass sie sich weniger gut zur Diversifikation oder zur Erzielung von Alpha eignen.
Dennoch seien die durchschnittlichen paarweisen Korrelationen am Aktienmarkt in den letzten Jahren zurückgegangen. Vielleicht ist Bundled Investing noch
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Anmerkungen1 Vgl. Brière und Szafarz (2017). Factor Investing: Risk Premia vs. Diversification Benefits.
https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=2615703.2 Vgl. DeMiguel, MartinUtrera, Nogales and Uppal (2018).
Über die Referenten
Marie BrièreMarie Brière leitet das Investor Research Center von Amundi (Assetmanagement von Crédit Agricole und Société Générale) in Paris. Sie ist außerdem außerordentliche Professorin an der Universität Paris – Dauphine und Associate Researcher beim Centre Emile Bernheim an der Solvay Business School, Université Libre de Bruxelles.
Michael FraikinMichael Fraikin ist Global Head of Research im Invesco Quantitative Strategies Team in Frankfurt. Hier ist er für die Pflege und Weiterentwicklung der quantitativen Modelle verantwortlich, auf denen die Entscheidungen für die Investmentprodukte von Invesco Quantitative Strategies beruhen.
Raman UppalRaman Uppal ist Professor of Finance an der EDHEC Business School in London. Seine Forschungen konzentrieren sich auf die optimale Portfolio zusam menstellung und die AssetAllokation in einem dyna mischen Umfeld, die Bewertung von Wertpapieren an den Märkten, das Risikomanagement und Wechselkurse. Studien von ihm wurden im Journal of Finance, dem Review of Financial Studies, dem Journal of Economic Theory, dem Journal of Financial and Quantitative Analysis, dem Journal of International Money and Finance sowie in Management Science veröffentlicht. Er ist zurzeit Herausgeber des Review of Asset Pricing Studies und Associate Editor des Critical Finance Review.
Daniel GiamouridisDr. Daniel Giamouridis ist Global Head of Scientific Implementation (Scientific Implementation Group, SIG), Global Portfolio Products bei Bank of America Merrill Lynch in London. Zurzeit ist er Gastdozent an der Cass Business School (City University), der Lancaster University Management School (Lancaster University) und am EDHECRisk Institute (EDHEC Business School). Daniel Giamouridis ist Mitglied des Governing Board des Institute for Quantitative Investment Research (INQUIRE) UK und CoEditor des Financial Analysts Journal, das vom CFA Institute herausgegeben wird.
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Carhart, M. M. (1997): On Persistence in Mutual Fund Performance, Journal of Finance, 52(1), S. 57–82.
DeMiguel, V., A. MartinUtrera, F. J. Nogales und R. Uppal (2018): A transactioncost perspective on the multitude of firm characteristics, https://papers.ssrn. com/sol3/papers.cfm?abstract_id=2912819.
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Jegadeesh, N. und S. Titman (1993): Returns to buying winners and selling losers: Implications for stock market efficiency, Journal of finance, 48(1), S. 65–91.
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Stand: 31. August 2018, sofern nicht anders angegeben.
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