TECHNISCHE MECHANIK 4 (1983)Heft2
Manuskripteingang: 22. 7. 1982
Schwingungen und Stabilität einiger medianischer Systeme mit
einer Totzeit im Steuersystem
Sergej Komarow
l. Einleitung
In den letzten Jahren findet die automatische Regelung
bei Antrieben eine große Anwendung, z. B. bei Kränen,
Industrierobotern oder vielen anderen Systemen und Ma-
schinen. Einfach gesagt, ein Regelsystem reguliert die
Bewegung eines mechanischen Systems, z. B. bekommt
ein Steuersystem ein Signal von dem Geschwindigkeits-
meßgeber und steuert die Energiezufuhr in das Antriebs-
system. Für den elektrischen Antrieb kann das System
den Strom oder die Spannung regulieren, fiir den hydrau-
lischen Antrieb- den Druck oder Flüssigkeitsverbrauch
usw.
Man hat gemerkt, daß jedes Steuersystem eine bestimm-
te Verspätung der Steuergröße aufweist. Diese Verspä-
tung bedeutet das Folgende: das Steuersystem reagiert
auf eine Signaländerung nicht sofort, sondern nach einer
gewissen Zeit, die Totzeit genannt wird. In dem hydrau-
lischen Antrieb wird die Totzeit durch die Trägheit der
mechanischen Elemente und durch die begrenzte Ge—
schwindigkeit der Druckausbreitung in der Flüssigkeit
bedingt.
Wenn eine Totzeit viel kleiner als die Periodendauer der
Eigenschwingungen ist, kann man sie außer Betracht
lassen. Hier wird die Aufgabe formuliert, den Einflufs
der Totzeit des Steuersystems auf die Schwingungen
und die Stabilität des einfachen mechanischen Antriebs-
systems durch eine analytische Lösung zu bestimmen.
2. Betrachten wir den einfachsten Fall — ein me-
chanisches Antriebssystem mit zwei Freiheits-
graden (Bild l)
Dabei bedeuten
1112 — reduzierte Massenträgheitsmomente;
c — Drehfederkonstante;
Ma —— Drehmoment des Antriebsmotors;
M —— Moment äußerer Kräfte;C
491 ‚4p2 »— Winkelkoordinaten;
Bild l:
Berechnungsmodell des geregelten Antriebssysteme
58
Falls die Drehzahl-Drehmomentenkennlinie des An-
triebsmotors linear ist, dann kann man die folgenden
Differentialgleichungen für die Bewegung des Systems
zusammensetzen:
I1‘51 + C(‘Pl "902): ‘Mc
.. 1 _ _
I2‘P2+C(802_‘P1):M0l1* w ¢2(t—T)]‘Ma (1)
max
w ist die größte Winkelgeschwindigkeit, die dasm 3X
Steuersystem regulieren kann. Wenn die Winkelgeschwin-
digkeit n52 des Antriebs gleich Null ist, dann ist das An-
triebsmoment Ma am größten und gleich M0.
T ist die Totzeit oder die Verspätung. Wenn T gleich
Null ist, bekommt man die bekannte Lösung (z. B.
[11).q5 (ter) ist die sogenannte Funktion des nacheilenden
Arguments, und man nennt diese Gleichung eine Diffe-
rentialgleichung mit nacheilcndem Argument.
Die Lösung wird für die einfachsten Anfangsbedingun-
gen und Anfangsfunktionen gesucht. Sie haben keinen
Einfluß auf die Stabilität und die Schwingungsfrequen-
zen.
Mc _ . .
m0): —C; w(0):0; w2(t>=0: sage) =o;
t E (— 1', 0)
Es gibt einige Wege, wie man die Gleichungen (l) lösen
kann ([2], Wenden wir die Laplace-Transformation
an, so ergibt sich für die Laplace—Transformierte des An-
triebsmoments
~ M —M MMl(p)= ( 0 9° +4.
Me'pT2 2
12 mp? +K,> + fi—(pz +K >1I w 22 max
(2)
wobei Ml = c(<p1 —«,02) die dynamische Belastung in der
Antriebswelle ist, Ä
p — komplexe Veränderliche;
‚ c I +I
K: = —(ILI——2—) — Eigenkreisfrequenz des Zweimas-
1 2 sensystems;
— Eigenkreisfrequenz des Systems,
1 falls der Antrieb gebremst wird;
MU) l
2(M0 —Mc) c
Zur Abkürzung wird eingeführt:
‚M _p,
Q(p) = M2 + Ki) + (p2 + Ki) (3)2 max
Um die Zeitfunktion M1 (t) zu finden, wenden wir die
Laplace-Rücktransformationen an:
00 +äoo
j Mama.)‚'0000 l
M1“) = (4)211i
Um das Integral (4) zu berechnen, muß man die Pole
der Funktion M1 (p) wissen. Die Pole dieser Funktion
sind Wurzeln des Quasipolynoms Q(p)
Das Quasipolynom hat eine unzählbare Menge von Wur-
zeln. Es wird angenommen, daß alle Wurzeln des Quasi—
polynoms die Bedingung Rep<00 erfüllen [3], [4].
Dann kann das Integral (4) mit Hilfe der Theorie der
komplexen Veränderlichen berechnet werden:
( —L c) c
M = R —————— ; . M1 (t) esl 12 e 1331+ C
wobei p. eine Wurzel des Quasipolynoms ist. Hat das
Quasipo ynom keine Doppelwurzeln, gibt es nur ein-
fache Pole der Funktion. Nach einigen Manipulationen
kann man schreiben:
(M —M )c p.t
M1<t>= ~‘lI—° P<pj>e1 + M...2 pj
wobei
2 2
I’(P) = Pj + K2
J (sz + K?) (p,2 + Kg) (1),” 1) + 2P,-2 (K3 -Kf)
(5)
(6)
Der interessanteste Fall ist, wenn alle Wurzeln konju-
gierte komplexe sind: [>25 = l'j i Sji
Dann sieht die Lösung (6) so aus:
12 pm
(7)
Das ist eine unendliche Reihe von gedämpften harmoni-
schen Schwingungen. Wird die Totzeit T verändert, dann
entstehen verschiedene Wurzeln des Quasipolynoms, bzw.
verschiedene Schwingungsformen. Es ist sehr schwer, per
Hand die Wurzeln des Quasipolynoms zu berechnen. Zu-
erst kann man sogenannte asymptotische Wurzeln [3]
finden, und dann mit Hilfe eines Iterationsprozesses die
Wurzeln berechnen.
Numerische Lösungen mit Hilfe von EDV lassen sich
verhältnismäßig leicht gewinnen.
Das Bild 2. zeigt einige Schwingungsvorgänge in dem
System für verschiedene Werte der Totzeit 'r.
Es ist möglich, daß die Amplitude der Schwingungen für
einen bestimmten Wert von ’r wächst, und das System
sich in ein instabiles System verwandelt. In diesem Fall
genügt es, dafi der Realteil einer einzigen Wurzel größer
als Null ist. Die Reihe (7) konvergiert sehr schnell, und
p.t
Z [Re P(pj) cos sjt —— Im P(pj) sin sjt] e J +M
H1 (f)
E“
ä C.s \ fl
l \/f\’\ ,N’-_\_ ’_/"‘-
Mt ‘ X „z
l
l
Zeit t
Bild 2:
Schwingungsprozeß bei unterschiedlichen Totzeiten
es genügt, nur 3 bis 4 Glieder zu berechnen, um die
Kurve des Belastungsablaufs zu ziehen. Trotzdem gibt
es die Möglichkeit, dalä das 6., 7. oder höhere Wurzel-
paar einen positiven Realteil hat. Deshalb muß man
mindestens zehn Wurzclpaare ermitteln.
Für die Stabilitätsuntersuchung des Systems. wird das
analytische Ponu'jagin-Kriterium angewendet. Das Kri-
terium erlaubt, die Stabilität ohne Kenntnis der Wur—
zeln zu bestimmen Dafür multiplizieren wir das
Quasipolynom mit ept und erhalten:
p3 epT+7p2 + pKf epT+ 1K: = 0, (3)
wobei
TM“
I2 wmax
Nach Pontrjagin (1. Theorem) lautet die notwendige
Bedingung der Stabilität, dafi ein Quasipolynom nur
ein einziges Glied einer höchsten Potenz haben soll. Die
Bedingung ist erfüllt.
Nach dem 2. Theorem befinden sich alle Wurzeln des
Quasipolynoms (8) links von der Imaginärachse, falls:
ds (w)
R(w) ' > 0, (9)
wobei R(w) und S(w) Real- und Imaginärteil des Quasi»
polynoms für einen reinen imaginären Wert sind.
p = iw:
R(w) = w(w2 _Kf) sian + 7m: we?)
S(w) = «MK; —w2) cosz.
Dabei sollen alle Wurzeln der Gleichung 8(a)) = O die
reellen Wurzeln sein und die Beziehung (9) erfüllen. Die
Wurzeln sind folgende:
wl = 0
“2,3 ‘ iK1
.1, _
wm+3= ; (m+0,5)„ m—1,2,...
Die Bedingung (9) für wl = 0 lautet 7 K: K: > 0 und ist
immer erfüllt. Für (02,3 gilt:
2 2
27Kf(K1 —K2) cos K17> o (10)
59
Weil K: > K: ist, bekommt man aus (10) die erste Bedingung der Stabilität: 1r(2n — 0,5) < K1 T <1r(2n + 0,5) (11)
Für die anderen Wurzeln erhält man:
[wm sinwm 1(0)?“ _Kf) _ 70,92 4(3)] (umman 1(0)?" —K§) > 0
Ist m eine gerade Zahl, ist sin wm 'r = 1 und wenn m ungerade ist, gilt sin (om T 2 —1. Damit folgt:
1T
_ (2n + 0,5) [172(2n + 0,5)2—K212] _T 1
—7[1r2(2n+0,5)2—K:1'2]>0;
1r 2 (12)T. (2n _o,5) [112 (2n —0,5)2—K112]+
+ vln2(2n_0,5)2_K§TZ] <0.
Mit den neuen dimensionslosen Kenngröfien
G=K1T 7 .. M0und = m —
1r n I K1
1
lauten die Bedingungen (12):
w2 max
_enoi’g — 462(2n+0‚5)—2n®(2n+0,5)2 +
+ (2n+0‚5)3 >o;
317935—492 (2n——0‚5)+2n6(2n——0,5)2 +
+ (2n~—0,5)3 <0; (13)
wobei2
g = K_2 = l .
2 I ’K1 l + .1—
I2
Gemäß den Bedingungen (13) kann man die Stabilitäts-
karte des Systems zeichnen.
Das Diagramm ist im Bild 3 zu sehen.
n=0,1,2,...
Das System ist stabil innerhalb der gestrichelten Gebie-
te. Aus dem Diagramm sieht man, daß die Stabilität des
Systems von allen Eigenparametern abhängt:
Federkonstante, Trägheitsmomente, Totzeit, Antriebs-
drehmoment usw.
Nun wird untersucht, wie das System auf eine harmoni—
sche Erregung reagiert. Das Moment der äußeren Kräfte
Mc möge sich nach dem Sinusgesetz harmonisch verän-
dem:
Ilqß'l +c(tp1 —¢2) = —Mc sin M
l (14)
12‘52+C(¢2“¢1):M0[1‘ w 9520—7”-
max
Die Anfangsbedingungen lauten:
m0): 0; ¢1(0)= 0;
' t6 (— 7,0) .
$2“) = 0; ¢2(0)= 0;
Die Differentialgleichungen (l4) wurden auch mit Hilfe
der Laplace-Transformation gelöst:
_ MCC MC-pT MC 2 2
l 00+I°°—(p+I w )+l—(p “U
M (t) : _ f l 2 max 2 ept
1 ( 2 +
004w p P)
Mit der Theorie einer komplexen Veränderlichen ergibt
sich:
2c _ r.t
M1 (t) = q Mc Z [Re PÄ(pj) cossj t— Im PÄ(pj) srn sj t] e J
P2j
2 2 2 2+ [A (K1-—J\ )+72(K2_>\2)_(Kf+K§_2A2)Msinmsinmng_Kf)cosxrcosxt
2 2 2 2 2 (15)
Ä (Kl —>\ ) + 72(K2 —7\2)2 — 2M<Kf 42) (K: 42) sin Ä'r
Mo
7: hum—K‘
l 2
‘E
E
ä’
2;; 1ä
0
Bild 3:
__ Mager-e m" Stabilititskarte des Systems
60
wobei M0 (112+ K2) _ K2 Äpj
——. J 2 2 2 2
M P- + Ä
P «0- ° JÄ j S 2 2 2 2 2 2 2
und
pj = rj i sii ein konjugiertes komplexes Wurzelpaar des
Quasipolynoms 3) ist.
Beziehung (15) ist die allgemeine Lösung der Gleichun-
gen (l4). Sie besteht aus zwei Teilen. Der erste Teil be-
schreibt die Eigenschwingungen, die uns schon bekannt
sind. Der zweite Teil beschreibt die erzwungenen
Schwingungen mit der Erregerkreisfrequenz Ä. Ist der
Nenner gleich Null, ergibt sich die Resonanz. Die
Existenzbedingungen einer Resonanz lauten:
1T
1. x: —(2n+0,5), n=0,1,2,...T
(16)
2. x3_>\27_fo+yK§ :0
Falls Ä gleich ‘y ist, entsteht eine Tilgung, weil eine Am-
plitude der erzwungenen Schwingungen gleich Null ist.
Sind die beiden Bedingungen gleichzeitig erfüllt, dann ist
die Amplitude unendlich groß. Das ist die starke Reso-
nanz. Erfiillt Ä nur eine Bedingung oder beide Bedin-
gungen ungefähr, dann ergibt sich eine schwache Reso-
nanz. lm Prinzip hat das System eine Menge von schwa-
chen Resonanzen. Je größer 7 ist, desto weiter von einer
Eigenfrequenz existiert die Resonanz, und dann hängt
sie nur von 'y und von der Totzeit 'r ab.
Bild 4 zeigt einige Resonanzkurven (Vergrößerungsfunk.
tionen), die durch den Plotter des Tischrechners „Hew-
lett-Packard” gezeichnet wurden.
[ggf-f l
4-
relative
Torsmnsmomeni-Ampliiude-
A»
W!
I
—— bezogene Erregerkreisfrequenz
Bild 4:
Resonanzkurven bei speziellen Parameterwerten
° 1' 2' 3 i
1
3. Zusammenfassung
l. Eine Totzeit in einem Steuersystem hat großen Ein-
fluß auf alle dynamischen Eigenschaften des mecha-
nischen Systems.
2. Das System mit Totzeit kann seine Stabilität leicht
verlieren. Wenn man einen beliebigen Parameter des
Systems verändert, dann kann das System von einem
stabilen in einen instabilen übergehen.
3. Eine Resonanz in solchen Systemen ist sowohl von
allen mechanischen Parametern (Federkonstante,
Trägheitsmomente) als auch von den Steuersystem-
parametem (Totzeit 'r, Geschwindigkeit wmax und
Faktor des Antriebsmoments M0) und sie
kann weit von der Eigenfrequenz existieren.
LITERATUR
[l] Holzweißig, F., H. Dresig: Lehrbuch der Masehinendyna-
mik. Leipzig: VEB Fachbuchverlag, 1979.
[2] Ditkin, V.A., A.P. Prudnikov: Operazionnoje iscislenije.
Moskau: Nauka—Verlag, 1975.
[3] Myskis, A.D.: Lineinye differenzialnye uravnenija s sapas—
davajuscim argumentom. Moskau: Nauka-Verlag, 1972.
[4] Elsgolz,L.E.: Vvedeniie v teoriju differenzialnych urav-
nenij s otklonjajuscimsja argumentom. Moskau: Nauka-
Verlag, 1971.
[5] Gorecki, M.: Analyza i Synteza system z opozneniem
(Übersetzung aus dem poln.) Moskau: Verlag Masinostroe-
nije, 1974.
Anschrift des Verfassers:
Bin-Ing. S.M. Komarow
Ukrainisches Polygrafisches Institut
„I. Fedorow"
Lehrstuhl Detali masin
290006 Lwow—6
Ul. Podvalnaja 17
relativebrsionsrmmem
-Amplitude——
L»
4.
"'-
N
'3 A
K1
—’ bezogene Erregerkreisfrequenz
61
Top Related