2 — Lehrbuch für Lernen und Lehren mit Technologien (L3T)
1. Einführung
Versucht man Medienpädagogik genauer zu fassen,stößt man leicht an Grenzen, denn es gibt die Medi-enpädagogik nicht. Medienpädagogik als eigen-ständige wissenschaftliche Disziplin hat sich erst seitden 1970er Jahren herausgebildet. UnterschiedlicheDisziplinen haben Zugang zum Feld der Medien-pädagogik, von der Pädagogik, der Medienwissen-schaft, der Publizistik- und Kommunikationswissen-schaft über die Psychologie bis hin zur Soziologie –all diese Disziplinen setzen sich mit medienpädagogi-schen Fragestellungen auseinander. So verwundert esnicht, dass es unterschiedliche und konkurrierendefachspezifische Traditionen und Fragestellungen gibt,die wissenschaftsinstitutionelle Verankerung eherdiffus ist, eine unzureichende strukturelle Absi-cherung der Medienpädagogik als Forschungs- undLehrgebiet vorliegt und vor allem widersprüchlichegesellschaftspolitische Perspektiven existieren(Swoboda, 1994, 11). Von daher wird im Folgendenversucht das Feld der Medienpädagogik zu über-blicken.
Erziehungsprozesse, sei es in der Freizeit oder derAusbildung, sind kaum mehr von Medien zu trennen.Medien sind „Teile sozialer Wirklichkeit, die nichtnur den Informations- und Wissenserwerb beein-flussen, sondern auch den Prozess der sozialen Wirk-lichkeitskonstruktion mit tragen“ (Barsch & Erlinger,2002, 12). Die Frage der Medienpädagogik ist also dieSozialisation in Medienwelten sowie die Vermittlungund der Aufbau von Medienkompetenz über die ge-samte Lebensspanne hinweg.
Während es medienpädagogische Bestrebungen ei-gentlich seit der Weimarer Republik gibt, wird in derwissenschaftlichen Auseinandersetzung oft Baacke alseiner der ersten Vorreiter für die Disziplin der Medi-enpädagogik genannt. Er definiert Medienpädagogika l s Überbegriff für die pädagogische Beschäf-tigung mit Medien in Theorie und Praxis, der ausden Aspekten Medienerziehung, Mediendidaktik, Me-dienkunde, Medienforschung besteht (Baacke,2007, 4). Sie unterscheidet sich somit auch von Kom-munikations- und Medienforschung (Swoboda, 1994,13).
2. Strömungen der Medienpädagogik Dabei kann man im Laufe der Zeit verschiedeneStrömungen in der Medienpädagogik unterscheiden,die sich allerdings nicht gegenseitig ablösen, sondernteilweise bis heute parallel nebeneinander stehen, jenachdem, welches Ziel mit Medienpädagogik verfolgtwerden soll:▸ traditionell bewahrpädagogische Position ▸ kritisch-emanzipative Medienpädagogik▸ bildungstechnologische Medienpädagogik▸ handlungsorientierte Medienpädagogik
Im Rahmen der traditionell bewahrpädagogischenPosition steht vor allem das Bewahren der Kinderund Jugendlichen vor den schädlichen Medienein-flüssen im Vordergrund. Bewahrpädagogische Tradi-tionen kamen schon in der Weimarer Republik aufund ziehen sich bis heute durch die Diskussion vonMedien, vor allem in Erziehungsprozessen. Medienwerden potenziell als gefährlich angesehen. Dabei be-ziehen sich bewahrpädagogische Haltungen immerauf die aktuell neuen Medien: vom „Schund undSchmutz“ der Massenliteratur der frühen 1920erJahre, über die Kritik am Kino bis zur heutigen Kritikan Computerspielen und dem Internet reichen dienach bewahrpädagogischen Aspekten kritischen undgefährlichen Medien, vor denen vor allem Kinderund Jugendliche geschützt werden müssen (vgl.Postman, 2003, Spitzer, 2006).
Ganz anders sieht die kritisch-emanzipativeMedienpädagogik Medien. Ausgehend von derFrankfurter Schule und der kritischen Theorie umAdorno und Horkheimer geht es im Rahmen kri-tisch-emanzipativer Medienpädagogik um kritischeAuseinandersetzung mit Medien und die darüber gel-tenden Herrschaftsstrukturen. Massenmedien stehenunter dem politischen Manipulationsverdacht, so dassdas Subjekt Opfer der Medien wird. Schwerpunktwar die theoretische und analytische Tiefe der Dis-kussionen rund um Medien vergleichbar mit den ge-sellschaftlich-politischen Diskussionen der Zeit. DieSozialwissenschaft in den 1960er und 1970er Jahrensetzte in der „Praxis weniger auf klassische pädago-gische Arbeit, sondern auf politisch orientierte Ge-sellschaftsveränderung“ (Ganguin & Sander, 2008,62). Damit fehlt der Medienpädagogik aber klar diePraxis und Handlungsorientierung, in der sie hättewirksam werden können. Es fehlten didaktische Mo-delle und Forschungen über die konkrete Nutzungdes Rezipienten. Denn der Rezipient wurde noch alspassiv angesehen, indem man von einem Kommuni-kationsmodell ausgeht, das Wirkungen von Medienbeim Rezipienten vor allem auf Reiz-Reaktions-Sche-
Medienpädagogik ist somit die „Gesamtheit aller päd-‐agogisch relevanten handlungsanleitenden Überle-‐gungen mit Medienbezug, einschließlich ihrer empiri-‐schen, theoreGschen und normaGven Grundlagen“(Tulodzieki, 1989, 21).
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Medienpädagogik. Strömungen, Forschungsfragen und Aufgaben — 3
matas begrenzt (Hüther & Podehl, 2006, 123). Er-weitert wurde diese Strömung durch eine gesell-schaftskritische Position, in der die Medieneinflüssedurch die Schaffung einer Gegenöffentlichkeit zu-rückgedrängt werden und das Individuum als poli-tisch aktives Wesen begriffen wird, das Medien auchaktiv nutzt.
Neben diesen Betrachtungen von Medien alsMittel öffentlicher Kommunikation entwickelte sichparallel dazu ein Bereich der Medienpädagogik, dersich vor allem um den Medieneinsatz im Bildungsbe-reich bemühte und Medien als Mittel in Lehr-Lern-settings und pädagogischer Kommunikation in dasBlickfeld nahm. Bildungstechnologisch-optimie-rende Medienpädagogik richtete somit den Blickvor allem auf den effizienten Einsatz von Medien inBildungsprozessen. Medien sollen hier, angeregtdurch „bildungsökonomische Argumente, Lehrer-mangel, Übernahme von Erkenntnissen der behavio-ristischen Lerntheorie in die Erziehungswissenschaftund erste Formen der progammierten Unterweisung“(Hüther & Podehl, 2006, 117) Lehren und Lernenverbessern.
Dies änderte sich mit Aufkommen der hand-lungsorientierten Medienpädagogik, die von ak-tiven Nutzenden ausgeht. Der Rezipient von Medienhandelt so, dass seine Bedürfnisse befriedigt werden.Es kommt zu einer aktiven und erfahrungsbezogenenAuseinandersetzung mit Medien, man denke nur anBürgerjournalismus und den offenen Kanal, die alshandlungsorientierte Medien in den 80er Jahren desletzten Jahrhunderts dominierten. Aufgabe der Medi-enpädagogik ist es in diesem Ansatz, Medienkritik zurangemessenen Nutzung von Medien auszubilden.Aus der handlungsorientierten Medienpädagogik ent-wickelte sich so das Konzept der Medienkompetenz.
Man sieht an diesen Strömungen sehr gut die Ver-knüpfung der Medienpädagogik mit gesamtgesell-schaftlichen Entwicklungen: von Zeiten, in denenMedien noch eine vermeintliche Allmacht zuge-sprochen wurde und man Kinder vor diesen be-wahren musste über Entwicklungen der 68er-Be-wegung und der kritischen Theorie, die der Medien-pädagogik vor allem aufklärerisches Potenzial überMacht- und Einflussstrukturen im Mediensektor zu-wiesen bis hin zu aktiver Medienarbeit als Folgedieser Aufklärung und jetzigen partizipativen Struk-turen mit Web-2.0-Medien. Immer wieder verändertesich das Konzept bzw. die Ansprüche von Medien-pädagogik.
3. Forschungsfragen und -‐methoden der Medienpäd-‐agogik
Den unterschiedlichen beschriebenen Strömungenentsprechen die heterogenen Forschungsmethodenim Bereich der Medienpädagogik.
Medienpädagogische Fragestellungen ergeben sichimmer dort, wo Medien und Rezipienten aufeinandertreffen. Durch die immer größere Durchdringungvon Medien in der Gesellschaft breiten sich auch me-dienpädagogische Fragestellungen aus. Je nach derBetrachtung der Medien stehen unterschiedliche For-schungsaspekte im Fokus.
Am Anfang der Beschäftigung mit Medien in derGesellschaft haben in der Medienforschung vor allemFragestellungen interessiert, die sich mit den Wir-kungen von Medien auf den Rezipienten beschäftigthaben, sogenannter Rezeptionsforschung. The-menbereiche sind hier vor allem Gewalt, Sexualitätund Werbung. So wurde vor allem Medienforschungbetrieben, die meist quantitativ orientiert war. Diesequantitative Ausrichtung speiste sich aus zweiRichtungen: zum einen war dies meist das vorherr-schende Forschungsparadigma der „Heimatdiszi-plinen“ wie Psychologie, Pädagogik oder Medienwis-senschaft, zum anderen lehnte sich das Medienver-ständnis stark an dem Stimulus-Response-Modell an.Wenn Medien im Vordergrund stehen, lautetdemnach die zentrale Frage: „Wie wirken Medien aufdie Rezipientinnen und Rezipienten?“ Charakteris-tisch für quantitative Medienforschung ist die primäreOrientierung an Hypothesen, die eine Ursache-Wir-
Zeichnen Sie die Entwicklung der Medienpädagogiknach. Welche Faktoren beeinflussten die Entwick-‐lungen im Bereich der Medienpädagogik?
Welche Entwicklungen im Bereich der Medienpäd-‐agogik zeichnen sich aktuell ab? Wie können diese inder Schule oder Hochschule integriert werden?
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Welche Berufsfelder können für medienpädagogischeFragestellungen interessant sein??
Zeichnen Sie die unterschiedlichen Strömungen derMedienpädagogik nach und versuchen sie zu jeder einaktuelles Beispiel aus der Diskussion rund um Er-‐ziehung mit Medien zu finden.
Schauen Sie sich dann folgendes Video an. In welcheder Strömungen von Medienpädagogik lässt sich derVortrag einordnen? Worin liegt die anfängliche Über-‐zeugungskra^ Spitzers mit seinen Thesen?
h_p://www.youtube.com/watch?v=81kuRBE6R3c.
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4 — Lehrbuch für Lernen und Lehren mit Technologien (L3T)
kungs-Relation postulieren. Zur Datengewinnungwerden meist Fragebogenstudien oder Experimentedurchgeführt (Möller, 2008, S. 310). Neuere Entwick-lungen im Bereich quantitativer Medienforschung in-tegrieren Verfahren datenbasierter Typenbildung wieCluster- oder Korrespondenzanalysen, da die bishe-rigen Indikatoren gesellschaftlicher Heterogenität wieAlter oder Schicht nicht mehr ausreichen, um ho-mogene Untergruppen zu bilden (Möller, 2008, 312).
Frühe Forschungen im Bereich Medien und Kom-munikation waren meist Medienwirkungsforschungmit der Frage, wie ein medialer Reiz auf ein Indi-viduum wirkt. So wurden vor allem bis in die 1950er-Jahre PR-Kampagnen und Werbemaßnahmen sowiepolitische Kampagnen untersucht (Grimm, 2008, S.320). Diese Forschungsfokussierung hatte dieGründe zum einen in der generellen Beeinfluss-barkeit der Menschen durch Medien, wie ersteStudien aus den USA nachwiesen und Erfahrungenaus dem dritten Reich zeigten. Überdies hinaus warman sich auch der Wirkung von Medien auf die Po-litik bewusst, da man nach Untersuchungen von La-zarsfeld et al. (1944/1968) wusste, dass etwa einDrittel der Wähler bis zur Wahlentscheidung unent-schlossen und damit durch politische Werbe-Kam-pagnen beeinflussbar sind.
In den Frühformen kamen meist Inhaltsanalysenmedialer Produkte zum Einsatz, aus deren Quantitätdann auf die Wirkung beim Individuum geschlossenwird Inhaltsanalysen und Rezeptionsforschung ver-weisen aber meist auf punktuelle Ergebnisse (ebd,S. 253). Somit gibt es Probleme, sollen einzelne Wir-kungen direkt auf Medien zurückgeführt werden:„Aus ihrer Komplexität folgt, dass das, was mit demglobalen Begriff der Wirkung bezeichnet wird, inWahrheit ein nicht bis ins letzte zu entwirrendes Ge-flecht ist von Wirkung, Gegenwirkung, Wechsel-wirkung, von Neben-, Mit- und Nachwirkung, vonkurzfristigen und langfristigen, von offenen und la-tenten, von kognitiven und emotionalen, von teilseinander verstärkenden, teils einander neutralisie-renden Wirkungen“ (Merkert, 1992, 27).
Für Medienwirkungsforschung gibt es mittlerweilezwei Bedingungen: Es muss eine Veränderung desRezipienten auf der Wirkungsdimension zweifelsfreifestgestellt werden, wofür somit mehr als zwei Mess-zeitpunkte benötigt werden und der mediale Stimulusmuss genau erfasst und mögliche Einflussgrößenmüssen kontrolliert werden (Grimm, 2008, 322).Daher kommen heute vermehrt Laborexperimentezum Einsatz.
Qualitative Medienforschung beschäftigt sichim Gegensatz zur quantitativen Medienforschung mit
der zentralen Frage „Was macht der Mensch mit denMedien, die er in Gebrauch nimmt, im Kontext undin Bezug auf seine soziale Umwelt?“ (Theunert,2008, 302). Es geht also vor allem um Medienan-eignung durch das rezipierende Subjekt. Medienan-eignung umfasst so Nutzungsstrukturen, also zumBeispiel die Auswahl eines Medienprodukts, oderauch Präferenzen, zum anderen gehören zu Mediena-neignung auch qualitative Dimensionen wie dieWahrnehmung von Inhalten sowie die Bewertungund die Verarbeitung von Medieninhalten.
Somit haben sich Fragestellungen entwickelt, dienach den Motiven der Rezipienten fragen, sichMedien zuzuwenden oder diese zu nutzen (Gehrau,2008, 341ff) und in qualitativen Untersuchungsde-signs meist an Einzelfällen in der Tiefe untersuchtwerden. Auch biographische (z. B. Ganguin, 2008)oder ethnographische Methoden (vgl. Bergmann,2008) werden im Bereich qualitativer Medienfor-schung eingesetzt. Der medienbiographische Ansatzthematisiert die Bedeutung und Rolle von Medien fürdie Biographiekonstruktion und -rekonstruktion vonKindern, Jugendlichen und Erwachsenen“ (Ganguin,2008, 335), während der medienethnographischeAnsatz soziale und kulturelle Praktiken in Bezug aufMedien mit ethnographischen Methoden untersucht.
4. Aufgabe von Medienpädagogik: VermiElung von Me-‐dienkompetenz
Wie in allen Bereichen der Pädagogik braucht es auchim Rahmen von Medienpädagogik ein Ziel der päd-agogischen Maßnahmen. Im Bereich der Medienpäd-agogik ist das Ziel die Erhöhung von Medienkom-petenz, sei es auf individueller oder auf gesellschaft-licher Ebene. Aufgrund der unterschiedlichen Refe-renzdisziplinen der Medienpädagogik verwundert es-nicht, dass sich unterschiedliche Disziplinen demKonstrukt der Medienkompetenz unterschiedlichnähern und eigene Facetten betonen.
Reflexionsfragen:▸ Welche Richtungen medienpädagogischer For-‐schung gibt es? ▸ Worin liegen zentrale Unterschiede?
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Wie unterscheiden sich die unterschiedlichen For-‐schungsrichtungen im Bereich Medienpädagogik zumeinen im Blick auf die Medien, zum anderen mit Blickauf die RezipienGnnen und Rezipienten?
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Medienpädagogik. Strömungen, Forschungsfragen und Aufgaben — 5
So gibt es die Diskussion um Medienkompetenz klas-sischer Weise in der (Medien-) Pädagogik (Tulod-ziecki, 2005; Spanhel, 2002; Aufenanger, 1999; u.a.),in der Psychologie (z.B. Groeben, 2004; Groeben &Hurrelmann, 2002; Winterhoff-Spurk, 1997; 2000),der Kommunikationswissenschaft (z. B. Jarren &Wassmer, 2009) und vielen Disziplinen mehr.
Seit in den 1970er Jahren von Baacke Medienkom-petenz in die Diskussion gebracht wurde, hat der Be-griff auf jeder Debatte rund um das Lernen mitMedien Konjunktur. Medienkompetenz ist zumSchlag- und Modewort in einer Gesellschaft ge-worden, in der Medien in immer mehr Bereichen einerelevante Rolle spielen. Baacke entwickelte Medien-kompetenz aus dem Konzept der KommunikativenKompetenz von Habermas heraus, unter der man„die umfassende Fähigkeit des Menschen zu ver-sehen, sich zu verständigen, mittels des Austauschesvon Symbolen sprachlicher und nicht-sprachlicherArt verstand“ (Schorb, 2009, 258). Kommunikations-kompetenz, unabhängig von einer direkten oder einermedialen Kommunikation, ist dabei kein Wert ansich, sondern hat als Ziel die Gestaltung und Verän-derung des Zusammenlebens der Menschen. Somit
ist Kommunikation auf soziale Realität gerichtet(Schorb, 2009, 258). Diese Herleitung ist für das Ver-ständnis von Medienkompetenz zentral: es geht vorallem in den frühen Formen um gesellschaftlicheKommunikation und um die Herausbildung kriti-scher und mündiger Bürger. Somit verfügt Medien-kompetenz schon aus der Frühform heraus über un-terschiedliche Dimensionen, von der reinen Hand-habbarkeit von Medien bis hin zur Analyse der Me-diensprache und der Reflexion über Medien.
Ausgehend vom Ursprungskonzept nach Baackehaben sich unterschiedliche Facetten von Me-dienkompetenz aufgegliedert (vgl. z.B. Rosebrockand Zitzelsberger, 2002). In einigen Definitionsver-suchen fokussierte man eher auf die gesellschaftlichePerspektive des Begriffes (z. B. Hillebrand & Lange,1996), in anderen wurden die Lehrenden mehr in denBlick genommen, so zum Beispiel bei Groebel (2001;1997) und wieder andere widmeten sich der individu-ellen Ebene (Dewe & Sander, 1996; Pöttinger, 1997).
Bei all der Eindeutigkeit, die diese Unterscheidungvon Baacke und anderen anscheinend liefert, mussfestgestellt werden, dass die Medienpädagogik ei-gentlich keinen universalen Begriff von Medienkom-petenz hat. Dieser ist zudem meist immer abhängigvon aktuellen Medientechnologien, so dass eroftmals „über einige Allerweltsformulierungen hinaus(...) hohl, zumindest porös und amorph“ (Kübler,1996) ist.
Aufenanger (1997) Baacke (1998) Tulodzieki (1997) Kübler (1999) Groeben (2002)
KogniGve Dimension
Medienkunde Mediengestaltung verstehen undbewerten
Bedingungen der Medienproduk-‐Gon und -‐verbreitung analysie-‐rend erfassen
KogniGve Fähigkei-‐ten
Meidenwissen/Mediali-‐tätsbewusstsein
Handlungsdimension
Mediennutzung Medienangebote sinnvoll aus-‐wählen und nutzen
Handlungsorien-‐Gerte Fähigkeiten
Medienspezifische Re-‐zepGonsmuster
SelekGon/KombinaGonvon Mediennutzung
Moralische Dimension
MedienkriGk Medieneinflüsse erkennen undaufarbeiten
AnalyGsche undevaluaGve Fähig-‐keiten
Medienbezogene KriGk-‐fähigkeit
ÄstheGsche Dimension
Mediengestaltung Eigene Medienbeiträge gestaltenund verbreiten
Sozial-‐reflexive Fä-‐higkeiten
AnschlusskommunikaGon
AffekGve Dimension
Medienbezogene Ge-‐nussfähigkeit
Tabelle 1: Ansätze und Definitionsversuche der Teilbereiche von Medienkompetenz (Gapski, 2006, 17)
Die Aufgabe von Medienpädagogik ist die Vermi_lungund der Aumau von Medienkompetenz als eine derwichGgen Fähigkeiten in der heuGgen medial ge-‐prägten Welt.
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6 — Lehrbuch für Lernen und Lehren mit Technologien (L3T)
So verwundert es nicht, dass allein Gapski (2001)in seiner Dissertationsschrift 104 Definitionen vonMedienkompetenz auflistet, die aus allen gesellschaft-lichen Bereichen stammen. Folgende Tabelle gibteinen Überblick über die wichtigsten Ansätze undDefinitionsversuche der Teilbereiche von Medien-kompetenz (Gapski, 2006, 17, siehe Tabelle 1).
Nach Hugger (2008, 95) gibt es zentrale Über-einstimmungen aller theoretischen Konzepte vonMedienkompetenz:▸ „Medienkompetenz rekurriert in zentraler Weise
auf die Selbstorganisationsdispositionen und -fä-higkeiten des Menschen (Agieren unter unbe-stimmten Bedingungen, selbst aktiv werden,immer wieder umlernen)
▸ Unterstützung und Förderung (formell wie in-formell) ist nötig
▸ Medienkompetenz ist ein Beobachterbegriff, d.h.er bezieht sich auf 'Dispositionen', (Anlagen, Fä-higkeiten, Bereitschaften), die es ermöglichen, be-stimmte Handlungen auszuführen (Medienkom-petenz vs. Medienperformanz)“
Ebenso gibt es Dimensionen, die in allen gängigenDefinitionen von Medienkompetenz enthalten sind,wenn auch unter sich unterscheidenden Bezeich-nungen, wie kognitive, analytische und evaluativesowie sozial-reflexive Fähigkeiten inklusive morali-scher Orientierungen und emotionaler Aspekte(Kübler, 1999):
Stellt man Medienpädagogik in den Vordergrund,so betrachtet man vor allem die Vermittlung und denAufbau von Medienkompetenz in formellenLehr-/Lern-Settings wie die Schule und Hochschuleoder der außerschulischen Jugendarbeit. Vor allemfür Schule und Hochschule geht es vor allem in Zu-kunft auch darum, Lehrpersonen im Bereich Medien-pädagogik und -kompetenz auszubilden (vgl. Bett etal., 2004).
5.Medienpädagogik und Medienkompetenz – immernoch aktuell?Doch was ist nun „aktuelle“ Medienpädagogik? Wirhaben gesehen, dass Medienpädagogik sich meist inAbhängigkeit gesellschaftlicher medialer Entwick-lungen entwickelt und diese Entwicklungen auchEinfluss auf die Diskussion rund um den Begriffvon Medienkompetenz haben. Verschiedene Rich-tungen sind im Moment im Rahmen der Medienpäd-agogik und somit der Medienkompetenzvermittlungbeobachtbar:
Zum einen ändert sich der Ort der Medienkom-petenzentwicklung immer mehr: Medienkompe-tenzen werden jenseits von formalen Lehr-/Lern-Set-tings erworben (Hug, 2000). So rücken mit aktuellenMedienentwicklungen auch informelle Lehr-/Lern-Settings, vor allem beim Lernen mit und überMedien, stärker in den Blickpunkt. Manche Autorensprechen gar von einer Selbstsozialisation, die mittelsWeb-2.0-Medien stattfindet (Sutter, 2010).
Eine zweite Entwicklung ist die stärkere Fokus-sierung auf den reflexiven Anteil von Medienkom-petenz. In Zeiten, in denen Lernende Medienpro-dukte auf einfache Weise selbst erstellen können, indenen jedermann Informationen über Wikis und We-blogs schnell verbreiten kann und Medienkonvergenzimmer mehr zunimmt, ist es von wachsender Be-deutung, kritisch mit Medien umzugehen, beispiels-weise die Qualität der Informationen kritisch be-werten zu können und Aussagen kritisch zu analy-sieren. Studien weisen nach, dass Kinder und Jugend-liche bisher meist sehr medienkompetent in den Be-reichen der Mediennutzung und -handhabung sindund Medien scheinbar mühelos benutzen, die Medienund die Informationen aber weniger hinterfragen undreflektieren (z.B. CIBER, 2007; Kennedy et al., 2008;Bennett, Maton & Kervin, 2008).
Eine dritte Entwicklung ist die stärkere Be-trachtung von Medienkompetenz unter dem Aspektder ganzheitlichen Bildung. Medienkompetenzenthält immer auch eine normative Komponente(Groeben, 2004) und ist nicht auf den Bereich der(Aus-)Bildung, auf das Lehren und Lernen be-schränkt, sondern es geht vor allem um einen eigen-verantwortlichen Umgang mit Medien in allen Be-reichen des Lebens. Somit sprechen vieleVertreter/innen heute nicht mehr nur nur von Me-dienkompetenz, sondern auch von einer umfas-senden Medienbildung unter einer lebenslangen Per-spektive (Marotzki & Jörissen, 2008). Allerdings gibtes widersprüchliche Auffassungen, inwieweit Medien-bildung schon im Begriff der Medienkomeptenz ent-halten ist oder nicht (vgl. dazu Schorb, 2009).
Vor allem im Bereich des Lehrens und Lernens undsomit der Medienpädagogik stellt sich die Frage nachder Medienkompetenz in zweifacher Form: ▸ Welche Medienkompetenz braucht es, um Medienadäquat im Bereich Lehren und Lernen einsetzenzu können? Über welche Medienkompetenzverfügt die Zielgruppe der medienpädagogischenVermi_lung?▸ Wie muss Lehren und Lernen gestaltet sein, umMedienkompetenz auf Seiten der Lernenden auf-‐zubauen bzw. diese Fähigkeit zu begünsGgen?
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Medienpädagogik. Strömungen, Forschungsfragen und Aufgaben — 7
Literatur
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Literaturempfehlung:
Sander, U.; von Gross, F. & Hugger, K.-‐U. (Hrsg.).Handbuch Medienpädagogik, München: VS Verlag.
Das Buch bietet eine Übersicht über die vielschich-‐Ggen und vielfälGgen Face_en eines kaum klar zu um-‐reißenden Fachbereiches. Die Experten und Exper-‐Gnnen geben einen umfassenden Einblick in Historie,Bezugstheorien, Methoden und Diskussionsfelder derDisziplin. In der Breite der eingebrachten Diskurse ausunterschiedlichen wissenscha^lichen Disziplinen wiePädagogik, Soziologie oder KommunikaGons-‐ und Me-‐dienwissenscha^ ensaltet der Band seine Stärke undeignet sich auf für Einsteiger, um einen Überblick überdas vielschichGge Feld der Medienpädagogik zu er-‐halten.
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8 — Lehrbuch für Lernen und Lehren mit Technologien (L3T)
▸ Kübler, H.-D. (1996). Kompetenz der Kompetenz der Kom-petenz ... Anmerkungen zur Lieblingsmethapher der Medien-pädagogik. Medien praktisch 2, 11-15.
▸ Lazarsfeld, P.; Berelson, B. & Gaudet, H. (1944). The People’sChoice. How the Voter makes up his Mind in a presidentialCampaign. New York/London: Columbia University Press.
▸ Marotzki, W. & Jörissen, B. (2008). Medienbildung. In: U.Sander, F. von Gross, & K.-U. Hugger (Hrsg.), Handbuch Me-dienpädagogik, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften,100-109.
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