Faculteit Letteren en Wijsbegeerte
Sieg der individuellen Figur über das sozialistische
Kollektiv
Eine Analyse des kämpfenden Protagonisten in Uwe Tellkamps Der Turm
Hans Rasschaert
Promotorin: Dr. Elke Gilson
Opleiding: Master Vergelijkende Academiejaar 2010 - 2011
Moderne Letterkunde
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Dankeswort
An erster Stelle möchte ich mich ausführlich bei meiner Promotorin Dr. Elke Gilson
bedanken, denn sie hat mich immer mit riesengroßer Geduld und Flexibilität betreut. Auch
hat sie mir nützlichen Quellen in Bezug auf Der Turm, die ich selber nie gefunden hätte,
besorgt. Dazu hat sie mich, mit ihren kritischen und notwendigen Bemerkungen und
interessanten Vorschlägen, angeregt, die Arbeit besser und deutlicher zu machen. Die
Ausforderung, Uwe Tellkamps Der Turm literaturwissenschaftlich zu analysieren, hatte ich
ohne sie nicht geschafft. Ich danke auch meinen Eltern, denn sie haben mich nach meinem
Wunsch in Ruhe gelassen, auch wenn sie Angst hatten, ich wurde diese Arbeit nie
fertigschreiben können. Doch haben sie nie das Zutrauen zu mir verloren. Ich bedanke mich
auch bei meiner Freundin und meinen Freunden, um mir die mehr als notwendige Erholung
und immer wieder neue Energie zu besorgen. Schließlich möchte ich Uwe Tellkamp
danken, denn er hat mir neue Einsichten in der sozialistischen Welt Ost-Deutschlands
gegeben und meine, vorher abwesende, Interessen für die DDR aufgeregt.
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Inhalt
0. Einleitung 8
1. Rekonstruktion einer Lebenswelt 13
1.1 Eine bestimmte Familie in einer bestimmten Zeit 13
1.1.1 Die Familie Hoffmann 13
1.1.2 Die Zeit der DDR 14
1.2 Einblicke in Schule und Militär 15
1.3 Diktatorische Gesellschaft 16
1.4 Opposition der Welten 18
1.4.1 Innen vs. Außen 18
1.4.2 Wohlfühlen vs. Zerfall 20
1.5 Variation der Stile 23
2. Schlaf der Zeit 25
2.1 Stillstand des Systems 25
2.2 Symbole der Zeit 25
2.2.1 Der Fluss 26
2.2.2 Der Zug 27
2.2.3 Die Standuhr 27
2.3 Tempo des Erzählens: Aufbau zu einer Explosion 28
2.4 Das allererste Wort gegenüber dem allerletzten 30
2.4.1 Untertitel als Ankündigung 30
2.4.2 Doppelpunkt als Abschluss 31
3. Funktion und Wirkung der DDR in Der Turm 33
3.1 Erziehung und Umerziehung 33
3.1.1 Der Begriff ‚Bildung’ 33
3.1.2 Sinn der Umerziehung 36
3.2 Stadt unter Quarantäne 37
3.3 Pfeiler der DDR 39
3.3.1 Die Jugend und Kultur 39
3.3.2 Das Kollektiv 41
6
3.3.3 Das Volk 42
3.4 Armee als Einordnung 43
3.4.1 ‚Freiwilliger’ Eintritt 43
3.4.2 Sinn des Soldatseins 44
3.4.2.1 Kapitel 39: eine neue Lebensphase 44
3.4.2.2 Kapitel 44: Sei Sozialist 45
3.4.2.3 Kapitel 47: Teil der Gruppe 46
3.4.2.4 Kapitel 50: Gemeinsames Ziel 46
3.4.2.5 Kapitel 55: Unvergessliche Erlebnisse 47
3.4.2.6 Kapitel 58: Rolle der Frau 47
4. Die Figur Christians: entgegengearbeitete Entwicklung 49
4.1 Von einem Extrem ins andere 49
4.1.1 Immer weiter bergab 49
4.1.2 Radikaler Umschlag 51
4.2 Dekonstruktion von Christians Ich 52
4.2.1 Wendepunkte als Leitfaden 52
4.2.2 Armee zum Brechen des Individuums 56
4.2.3 Verlust der Identität 57
4.2.3.1 Christians Namensgebung 57
4.2.3.2 Christian wird zu niemandem 59
4.3 Konstruktion von Christians Ich 59
4.3.1 Struktur des Charakters 59
4.3.2 Position in der Welt 61
4.3.3 Identitätssuche 63
4.3.4 Erreichtes Ziel? 64
5. Schlussbetrachtung 67
6. Bibliografie 69
7
8
0. Einleitung
In Uwe Tellkamps erfolgreichem Roman, Der Turm (2008), werden die letzten sieben
Jahre, die dem Mauerfall vorangehen, erzählt. Bisher gibt es wenig sekundäre Quellen
über dieses Epos, aber in den meisten Rezensionen behandelt man vor allem die
autobiografischen und historischen Elemente, die Tellkamp anhand der Figuren in der
Welt seines Romans darstellt. Ich werde dagegen vielmehr die fiktionalen Merkmale
dieses Romans behandeln und mich auf die Geschichte an sich konzentrieren, ohne die
Welt außerhalb des Buches zu viel zu betrachten. Der Roman folgt nämlich einem
klaren Handlungsverlauf mit einem Anlauf, einem Konflikt und einer Wende. Die
vorhandenen sekundären Quellen behandeln zum Beispiel Raum in Der Turm1, den
Untergang der DDR2, die kulturelle Erinnerung an die DDR in der Gegenwart
3 und die
Art und Weise, in der Tellkamp Dresden betrachtet4. Ich habe mich also dazu
entschieden, in Bezug auf dieses Buch, ein anderes Thema zu wählen. Ich frage mich,
wie Tellkamp die ständige Opposition zwischen der Utopie der Bildungsbürger, die sich
mit einer idealen Gesellschaft befasst, und der Dystopie, die Erzählung mit negativem
Ausgang, des Sozialismus darstellt. Mit dieser Frage zusammenhängend, beschäftige
ich mich auch mit der Analyse der adoleszenten Hauptfigur, Christian, der sich, trotz
seiner Krisen und anhand von verschiedenen textlichen Wendepunkten, zu entwickeln
versucht. In meiner Methode betrachte ich den dramatischen Aufbau des Textes anhand
der Analyse der verschiedenen Wendepunkte. Genau wie im Text werde ich mich oft
auf die Funktion und Darstellung der Armee konzentrieren.
Tellkamp stellt die Opposition zwischen der Evolution der Figur Christians und
der Gesellschaft des Sozialismus, in einer Zeit, die stillzustehen scheint, dar. Mit dieser
Opposition ist übrigens auch die zentrale politische Frage, der ideologische Unterschied
zwischen Sozialismus und Bildungsbürgertum, gemeint. Auch wenn alles im Zeichen
dieser Gesellschaft steht, gibt es lebenswichtige, persönliche Wendungen, die auf den
1 Anne Fuchs: „Topographien des System-Verfalls. Nostalgische und dystopische Raumentwürfe in Uwe
Tellkamps Der Turm.“ In: Germanistische Mitteilungen 70 (2009), S. 43 – 58. 2 Julia Hell: “Dissolution / Revolution: Uwe Tellkamp's post-89 Novel Der Turm and the Peculiar
Configuration of the Public Sphere in the Late GDR.” 5. Januar 2010. <http://publicsphere.ssrc.org/hell-uwe-tellkamps-post-89-novel-der-turm-and-the-peculiar-configuration-of-the-public-sphere-in-the-late-
gdr/> (20.5.2011) 3 Louise Holm und Søren Madsen: „Die Erinnerung an die DDR. Uwe Tellkamps Roman Der Turm in
den aktuellen deutschen Erinnerungsverhandlungen.“ 2009/2010, S 34.
<http://rudar.ruc.dk/bitstream/1800/4890/1/Die%20Erinnerung%20an%20die%20DDR%20-
%20Uwe%20Tellkamps%20Roman%20der%20Turm%20in%20den%20aktuellen%20deutschen%20Erin
nerungsverhandlungen.pdf> (16.06.2011) 4 David Clarke: „Space, Time and Power: The Chronotopes of Uwe Tellkamp‟s Der Turm“. In: German
Life and Letters 63:4 (Oktober 2010) S. 490 – 503.
9
ersten Blick nichts mit dem System zu tun haben, aber nach weiterer Analyse immer
damit verknüpft sind. Obwohl die Wende in Deutschland 1989 kam, gibt es im Roman
schon einige Wendepunkte, die Christians Leben auf verschiedenen Ebenen, wie
derjenigen der Familie und der Freundschaft, revolutionär verändern. Die
Schlüsselszenen, die ihn betreffen, stehen auch immer mehr oder weniger auf das
Regime der DDR in Bezug. Anhand dieses gegenseitigen Zusammenarbeitens werde ich
die Art und Weise, in der Tellkamp das bildungsbürgerliche Individuum gegenüber dem
sozialistischen Kollektiv darstellt, analysieren. Diese Konfrontation zwischen der Figur
und deren zeitlichen Umgebung wird letztendlich zum Überleben des Protagonisten
führen.
Im ersten Abschnitt dieser Arbeit untersuche ich die Darstellung der Lebenswelt
einer Familie während der DDR-Zeit, wie sie von Tellkamp im Roman gestaltet wird. In
der Geschichte werden verschiedene Aspekte der Gesellschaft, wie Schule und Militär,
behandelt, und versucht Tellkamp auf diese Art und Weise die Darstellung des
Zeitalters so detailliert wie möglich zu präsentieren. Daneben gibt es für die Einwohner
lebenswichtige Oppositionen. Der illusionäre Schutz innerhalb der Häuser, der
Tellkamp kreiert, ist der Einschüchterung, Unterdrückung, dem Zwang, dem Misstrauen
und der Angst der äußeren Lebenswelt des Sozialismus diametral entgegengesetzt.
Dadurch scheint es, als ob zwei Lebenswelten dargestellt werden: Einerseits eine Welt
zum Wohlfühlen und andererseits eine Welt drumherum, die grau und von Zerfall
charakterisiert ist. Diese Kette von Gegensätzen hat in der diktatorischen DDR-
Gesellschaft zur Folge, dass die Hoffnungslosigkeit immer mehr hervortritt.
Zweitens kommt der Aspekt der Zeit, der von Tellkamp eine besondere Funktion
bekommt, an die Reihe. Wenn Meno schon am Anfang der Geschichte beschreibt, „wie
den Lauf der Zeiger auf den Uhren, an den Stillstand bremsten“5, ist es, als ob die Zeit
stehen geblieben wäre. Der Untertitel des Buches, „Geschichte aus einem versunkenen
Land“, kommt in dieser Arbeit erst dann an die Reihe, um die Behauptungen über den
Stillstand der Zeit zu bestätigen. Tellkamp hat in seinem Epos auch einige Symbole, die
das Stillstehen bzw. Bewegen der Zeit betonen, aufgegriffen. Die Standuhr kann zum
Beispiel die Zeit als auch familiäre Ordnung symbolisieren und der Fluss, die Elbe,
kann als Symbolisierung des sozialistischen Zeitlaufs gesehen werden. Auch die
Straßenbahn, die im Roman mehrmals aufgegriffen wird, repräsentiert den Ablauf der
5 Uwe Tellkamp: Der Turm. Geschichte aus einem versunkenen Land. Frankfurt am Main: Suhrkamp
Verlag 2008. S.8. (Später im Text bezeichnet als: T Seitenzahl)
10
Zeit. Das bemerkenswerteste Symbol aber ist vielleicht der Doppelpunkt ganz am Ende
der Geschichte. Dieses abschließende Satzzeichen kann auf viele Arten und Weisen
interpretiert werden. Dass es sich hier um ein offenes Ende handelt, ist
selbstverständlich, aber wie wird es weitergehen nach diesem Doppelpunkt?
Auch das Erzähltempo des Romans werde ich mit dem Zeitalter verknüpfen. Die
Geschichte wird im größten Teil des Buches langsam erzählt, ohne allzu große
Aufregungen, und macht dabei einen eingeschlafenen Eindruck. Das hat Tellkamp
meiner Meinung nach so dargestellt, um den Eindruck der stillstehenden Gesellschaft zu
betonen. Am Ende gibt es dagegen eine Art ‚Explosion‟ der Erzählung. „… aber dann
auf einmal …“ (T 966, 968, 970, 973) wird am Ende mehrmals zur Beschleunigung des
Erzählens benutzt. Das „Finale“ (T 890) ist das Synonym vom Epilog und kündigt an,
dass die Figuren sich dieser Klimax nähern. Zum Schluss dieses Abschnitts werde ich
dazu einen anderen Aspekt des Erzählstils, der zum Schlafenden in Opposition steht,
analysieren. Einen lebendigen Eindruck erreicht Tellkamp nämlich dadurch, dass er
verschiedene Erzählweisen verwendet. Der Stil ist vor allem beschreibend, aber
daneben benutzt er auch mehrmals Formen wie Dialoge, Tagebuchnotizen, Briefe, …
In der weiteren Analyse werde ich die Situation in der Gesellschaft der DDR, wie
sie von Tellkamp dargestellt wird, besprechen. Die buchstäblich eingemauerten Bürger,
die er darstellt, sind widerwillig Mitglieder des Systems, in dem sie nicht freiwillig
funktionieren wollen. Mit der Wahl der Bildungsbürger, von denen auch Uwe Tellkamp
entstammt und die die Außenseiter der Gesellschaft sind, kreiert der Autor eine klare
Opposition zwischen Ideal und Wirklichkeit. Dabei werde ich mich mit der Ambiguität
des Begriffs Bildung und der Umerziehung in der DDR und Der Turm beschäftigen. Es
gibt Voraussetzungen, wie die Einordnung im Kollektiv und die Aneignung der ‚roten
Logik‟ des Sozialismus, die immer wieder auf Lügen und Täuschungen stoßen.
Eines der wichtigsten ideologischen Mittel der DDR, das auch in Der Turm so
dargestellt wird, ist die NVA (= die Nationale Volksarmee) als Locus Terribilis. Sie hat
als Hauptaufgabe, das Individuum im Kollektiv einzuordnen und die Erwartungen des
Sozialismus zu bestätigen. Übrigens enthält die Armee auch eine militärische
Selbstdefinition, die das menschliche Wesen und die menschliche Existenz auf ihre
militärische Funktion reduziert. Sie hat nicht unmittelbar die Absicht, die Gesellschaft
im günstigen und ideologischen Sinne zu verändern, sondern die Individuen dieser
Gesellschaft zu manipulieren und anhand dieser sozialistischen Persönlichkeiten eine
starke Gesellschaft zu bilden. Die Respektlosigkeit der Offiziere gegenüber den
11
Soldaten kommt sowohl in ihrer Sprache als auch in ihren Handlungen hervor. Hier
werden aufs Neue die Beschränkungen betont und entsteht die Frage, wie freiwillig der
‚freiwillige Eintritt‟ in die Armee wirklich ist. Auch der „Sinn des Soldatseins“, der in
Der Turm am Anfang einiger Kapitel (39, 44, 47, 50, 55, 58) beschrieben wird,
betrachte ich vielmehr als ambigue Auffassung Tellkamps.
Zum Schluss werde ich den Charakter Christians unter die Lupe nehmen. Dabei
werde ich auch untersuchen, welche die wichtigsten Wendepunkte, während der sieben
Jahre, im Leben Christians sind. Es gibt zentrale Szenen, die alle einen anderen Aspekt
seiner Entwicklung ändern: die Liebe und Freundschaft, die Familie, seine Position
gegenüber der Gesellschaft, … Anhand dieser Szenen versuche ich zu analysieren, wie
die Person Christians sich radikal geändert hat. In verschiedenen Schritten von immer
größer werdenden Krisen hat er sich von einem schüchternen Jungen zu einem
ausdienenden Dienstpflichtigen der NVA entwickelt.
Als Ausgangspunkt meiner Untersuchung nach der Konstruktion der Figur
Christians werde ich mich auf eine Behauptung von Hyunseon Lee beziehen. In Bezug
auf den Charakter in der Literatur der DDR schrieb sie:
Der Charakter veranlasst den Menschen, sich in einer bestimmten Weise zu verhalten. In
sämtlichen, das Verhalten determinierenden Charakterzügen zeigt sich eine bestimmte
Grundorientierung, die dem psychischen Geschehen eine Struktur gibt, so dass der Mensch als
„System” begriffen werden muss.6
Laut Lee werden Charaktere von drei Eigenschaften gekennzeichnet: von der
Distinktionsfunktion, dem gesamten Ensemble von Charakterzügen und der
Identitätsfunktion7. Ich werde die Aspekte von Christians täglichem Leben, die er
benutzt, um sein eigenes Ich zu konstruieren, anwenden. Diese Suche nach Identität
stellt sich als eine Konstruktion verschiedener und widersprüchlicher Elemente heraus.
Er befindet sich in einer bestimmten Zeit und Umgebung und steht in Bezug zu den
familiären Leitfiguren. Schon schnell stellt sich im Roman heraus, dass das Arztstudium
das Ziel seines Lebens ist. Er will das Studium, aber gerät von der Armee ins Gefängnis.
Die Reaktion Christians, wird von dem Autor als eine Bestätigung der Macht des
Systems beschrieben. Ein Fluchtort wird von Christian nie gefunden. Darum bekommt
er keine Selbstfreiheit und steht unter ständigem Druck des Sozialismus.
Am Ende stelle ich mich die Frage, ob Christian wirklich glücklich ist und wie der
Bildungserfolg sich vollzogen hat. Auch werde ich das ‚Ich vor der Krise‟ nochmals mit
6 Hyunseon Lee: Geständniszwang und »Wahrheit des Charakters« in der Literatur der DDR.
Diskursanalytische Fallstudien. Stuttgart: Metzler 2000. S. 204. 7 Ebd. S. 202.
12
dem ‚Ich nach der Krise‟ vergleichen. Christian hat am Ende scheinbar die Stabilität im
Leben erreicht und der Mauerfall hat stattgefunden, wodurch die Zeit sich wieder in
Bewegung zu setzen scheint. Wenn ich beide Sachen letztendlich mit dem Anfang des
Romans verknüpfe, hoffe ich Klarheit über die Situation Christians, sowie über die Art
und Weise, in der die Gesellschaft sich geändert hat, verschaffen zu können.
13
1. Rekonstruktion einer Lebenswelt
1.1 Eine bestimmte Familie in einer bestimmten Zeit
In Der Turm bekommt der Leser von Uwe Tellkamp eine haargenaue und detaillierte
Wiedergabe von einer spezifischen Familie in einer spezifischen Zeit. Die Familie, die
hier beschrieben wird, ist die Familie Hoffmann, und insbesondere der Sohn Christian,
Vater Richard und Onkel Meno. In dieser Arbeit wird Christian ins Zentrum gezogen.
Ich betrachte ihn in Bezug zu seiner zeitlichen Umgebung. Zeit, Umgebung und Figuren
treten nämlich immer miteinander in Wechselwirkung. Die Figuren werden anhand der
Umgebung, Umgebung anhand der Zeit, Zeit anhand der Figuren gestaltet,…
1.1.1 Die Familie Hoffmann
Die Geschichte handelt von den Hauptgestalten Christian, Richard, Meno und ihren
interfamiliären Beziehungen vor dem Fall der Mauer. Da sie endet, als die Mauer
gerade gefallen ist, kann dieses Buch vielmehr als Familienroman und nicht sosehr als
Wenderoman8 betrachtet werden. Die Familie Hoffmann hat bildungsbürgerliche Ideale
und versucht sich vom System zu distanzieren, dadurch, dass sie eine eigene, alternative
Welt bildet9. Der Autor stellt eine ganze Menge von menschlichen Interaktionen
zwischen Familienmitgliedern dar, die den erwarteten entgegengestellt sind. Die
Familie soll nämlich im Idealfall eine harmonische Einheit bilden und als Basis der
Entwicklung der Figuren dienen. Diese Annahme wird auch mehr oder weniger von
Thomas Martinec und Claudia Nitschke, im Beitrag zu Familie und Identität in der
deutschen Literatur, dargestellt. Ihre Aussage werde ich hier und im weiteren Verlauf
meiner Arbeit dazu benutzen, die familiäre Situation in Der Turm zu analysieren. Ihre
Behauptung lautet:
Als scheinbar selbstverständlichste Form gesellschaftlicher Nahwelt und als gewöhnlich erste
Gruppe, in die der Mensch aufgenommen wird, liefert die Familie oftmals die initialen Stimuli für
die Generierung der personalen Identität. In der Interaktion zwischen Individuum und Gesellschaft
beginnt ein Deutungsprozess, in dessen Verlauf das Individuum seine Identität über die
Erfahrungen mit anderen Familienmitgliedern herstellt.10
8 Vgl. dazu: Wenderomane sind „Romane, die nach dem Mauerfall publiziert worden sind, dieses historische Ereignis beschreiben und in denen die Auswirkungen auf die Bevölkerung thematisiert werden
(also ein Roman der vorrangig in der Nachwendezeit spielt).“ (Anne Hector: Der Wenderoman:
Definition eines Genres, Dissertation for the degree of Doctor of Philosophy. Michigan. University of
Massachusetts Amherst 2009, 32. <http://scholarworks.umass.edu/dissertations/AAI3359139>
Eingesehen am 2.8.2011) 9 Siehe weiter 1.4.1 10 Thomas Martinec und Claudia: “Vorwort” In: Familie und Identität in der deutschen Literatur. Hg. von
Thomas Martinec und Claudia Nitschke. Frankfurt am Main: Peter Lang 2009 (=Regensburger Beiträge
zur deutschen Sprach- und Literaturwissenschaft Reihe B, Untersuchungen 95), S. 9-12, S. 9-10.
14
Da Martinec und Nitschke schon selber sagen, dass es sich hier um eine Situation
handelt, die sich ‚oftmals‟ vollzieht, schließe ich daraus, dass es logischerweise auch
Sonderfälle gibt. Ein solcher Sonderfall ist die Familie Hoffmann aus Dresden. Für
Christian scheint die Rolle seiner Eltern nicht so wichtig zu sein. Am Anfang der
Geschichte ist er schon 17 Jahre alt und wissen wir als Leser nicht, was in der
Vergangenheit mit ihm passiert ist. Die Darstellung der Beziehungen mit seinen Eltern
gibt uns den Eindruck, dass er mit ihnen keinen intimen Umgang hatte und hat, und dass
diese familiäre Relation überhaupt auf eine elterliche Distanz beruht. Dieses Gefühl
bekommen wir schon am Anfang, wird aber während des Romans bestätigt. Als
Christian als Siebzehnjähriger vom Internat zurückkehrt, wird er am Bahnhof nicht von
seinen Eltern, sondern von Meno, dem Bruder seiner Mutter, abgeholt, bei wer er auch
die Nacht verbringen wird (T 23). Später behält er die Distanz, wenn er zum Beispiel in
die Armee eintritt und sich von der Familie verabschieden muss (T 436). Übrigens
vermeidet er, seine Eltern Mutter und Vater zu nennen. „Er vermied das Wort: Vater“
(T 956), vielleicht weil er eher Meno als Vaterfigur betrachtet.
Wir erfahren auch, wie die Interaktionen sich innerhalb der Geschichte ändern und
von Tellkamp ein deutlicher Kontrast zwischen Handlung und Gefühl dargestellt wird.
So dürfen die Beziehungen im Allgemeinen distanziert aussehen, doch bleibt die
gegenseitige Liebe als subtiler und roter Faden die Familie dominieren. Die Gefühle
sorgen ständig dafür, dass Christians grundsätzliche Liebe für seine Eltern immer
versteckt anwesend bleibt. So will er keinen Abschied nehmen, als er in die Armee tritt,
aber wechselt er in der NVA fortwährend Briefe mit seiner Familie. Ähnlich verhält er
sich gegenüber der Außenwelt zurückhaltend, aber heulte er und wurde er weich, als
seine Mutter von den Soldaten geschlagen wurde. Die Situation dieser Szene beweist
aufs Neue die Absurdität des Regimes. Anne, Christians Mutter, sprach nämlich nur
„auf einen Polizisten ein. Der Polizist hob den Stock und schlug zu.“ (T 962) Weitere
Ursachen erhalten wir für das Schlagen aber nicht.
1.1.2 Die Zeit der DDR
Die Zeit, um die es sich in Der Turm handelt, ist die der Deutschen Demokratischen
Republik mit ihren typischen Eigenschaften wie Beschränkung irgendwelcher Freiheit,
Zwang und Unterdrückung. Diese Eigenschaften stellt Tellkamp auf solche Art und
Weise dar, dass das System rein negativ betrachtet wird. Die Hauptfiguren haben es
demzufolge schwer, die DDR-Politik zu akzeptieren. Vor allem Christian wird von der
15
Kraft des Staates in negativem Sinne beeinflusst. Der Leser weiß normalerweise von
Anfang an, dass es sich hier um die letzten sieben Jahre vor dem Mauerfall handelt, die
Figuren in der Geschichte wissen es aber nicht. Für sie ist die letztendliche Wende viel
mehr eine Art Deus ex Machina. Wir müssen als Leser also in Bezug zu der Geschichte
einen doppelten Standpunkt behalten. Ich werde aber nicht sosehr die reale Welt der
DDR berücksichtigen, sondern die Welt der DDR, wie Uwe Tellkamp sie im Roman
präsentiert und von der die Figuren beeinflusst werden. Auch wenn Tellkamp von
verschiedenen Klassen erzählt, macht er aber keinen Sprachstilunterschied. Dieser
Sprachstil ist bei den Sozialisten und Bildungsbürgern immer derselbe.
1.2 Einblicke in Schule und Militär
In der Lebenswelt, die Tellkamp hier präsentiert, greift er verschiedene Aspekte des
Lebens auf. Anhand Richard, der als Chirurg in einer Klinik arbeitet, bekommen wir
einen Einblick in das Gesundheitswesen und in die Art und Weise, in der die DDR
fungiert. Dank Meno, der gleichzeitig Zoologe und Lektor in einem Verlag ist, werden
wir in die Welt der Wissenschaft bzw. des Verlagswesens mitgeführt. Da ich mich in
dieser Arbeit vor allem auf was mit Christians Lebenswelt verknüpft ist, fokussiere, sind
diese Einblicke nicht so wichtig. In Christians Fall ist es vielmehr das Schulwesen und
die militärische Welt, worin wir Einblicke bekommen.
In der Schule zeigt sich zum ersten Mal, dass die Unterschiede zwischen Christian
und dem System, mit dem er als Einwohner der DDR verpflichtet verbunden ist,
riesengroß sind. Christians erstes Ziel im Leben ist, sich als Arzt zu unterscheiden. Das
will er erreichen, anhand guter Resultate in der Schule. Die Forderungen des Systems,
die die Schule eine sekundäre Funktion in der Entwicklung zuschreiben, stehen aber in
Opposition zu seinem erwünschten Ziel. Die Ziele des Regimes, die Bevölkerung im
Vorteil und Dienst des Staates funktionieren zu lassen, sind denen von Christian ganz
entgegengesetzt. Der Schriftsteller scheint mit dem Roman fast zu sagen: „Wer sich
nicht für den Sozialismus anstrengt, der verdient in dessen Ideologie keine Stelle.“
Christian repräsentiert hier, kann man sagen, das ganze Bildungsbürgertum, dessen
Vertreter auch im Abseits leben und immerhin an die freie Rede glauben, in Opposition
zur äußeren Welt, in der sie leben.
Christian tritt nur in die Armee ein, weil er auf diese Art und Weise die
Zustimmung bekommen wird, mit dem Arztstudium anzufangen. Dieser Eintritt wird
aus dem Standpunkt der DDR aber gesehen als die beste Möglichkeit, die Figur von den
16
DDR-Forderungen, wie unbedingte Ergebung, zu überzeugen. Was also für Christian
wichtig ist, ist ganz unwichtig für das System, und das sorgt dafür, dass er auch von
Tellkamp als Außenseiter dargestellt wird und in einer anderen Welt lebt, als die, in der
er sich wirklich befindet. Diese Opposition von Welten werde ich im nächsten Kapitel
weiterführen.
Die Opposition zwischen Schule und Militär spürt Christian selber, wenn er eines
Abends ein Buch liest. „Das Buch hieß ››Mein Weg nach Scapa Flow‹‹, Verfasser war
der U-Boot-Kommandant Günther Prien.“ (T 449) Die Tatsache aber, dass Prien ein
Held der Nazis war und es im Buch ein Bild von ihm mit Hitler gibt, ist in der DDR
ganz unakzeptabel. Unteroffizier Hantsch äußert sich demzufolge auch nicht mild, wenn
er Christian beim Lesen dieses Buchs ‚ertappt‟: ‚Sie Lesen Nazi-Literatur, Sie … ein
Abiturient. Ein Abiturient an einer sozialistischen EOS.‟ (T 449) Wenn man in der
Armee etwas lesen will, muss es wenigstens mit dem Sozialismus zu tun haben, und
hilfreich für seine weitere Entwicklung sein. Christian teilt die Meinungen der Nazis
nicht, aber ist nur in viele Sachen interessiert und liest gerne, offensichtlich auch über
die Geschichte Deutschlands, U-Boote und den zweiten Weltkrieg. Diese Szene beweist
nochmals, dass Christian sich für das System ganz aufopfern und seine Interessen und
Liebe für das Lesen vernachlässigen muss. Lesen trägt laut den Offizieren zu nichts bei,
sicher nicht, wenn man sich mit den Idealen der Nazis, die denen der sozialistischen
Gesellschaft ganz entgegengesetzt sind, beschäftigt.
1.3 Diktatorische Gesellschaft
Die Machtausübung der DDR wird von Tellkamp auf solche Art und Weise dargestellt,
dass sie mehrmals diktatorisch scheint, während der Gesellschaft eigentlich sozialistisch
sein müsste. Vor allem in der Armee kommen diese Merkmale hervor und daher ist es
auch Christian, der sie körperlich empfindet. Es ist also nicht zufällig, dass Christian das
Buch Scapa Flow, das an die Hitlerdiktatur erinnert, liest. Unteroffizier Hantsch, der
Christian ertappt, verbreitet diesen Skandal unmittelbar, aber verwendet sogleich selbst
eine Art Diktatur, die menschenunwürdig ist. Diktatorische Arbeitsweisen wie
Einschüchterung, Zwang, Misstrauen und Gewalt werden auch im Sozialismus
ausführlich zugepasst.
Eine erste Arbeitsweise, die die Armee verwendet, um die Neulinge zu
beeindrucken, ist die Einschüchterung. Vor allem für Christian, der aus seinem
vertrauten Versteck gekommen ist und noch nicht bereit ist, diese andere Welt zu
17
betreten, fordert dieses Heraustreten eine ganze Anpassung. Als er nur kurz in der
Armee angekommen ist, wird er unmittelbar mit der Machtlosigkeit des Individuums
konfrontiert:
Zum ersten Mal in seinem Leben lernte er einen Menschen kennen, dem es offensichtliches
Vergnügen bereitete, andere zu kommandieren, ihnen seine Macht zu zeigen, indem er ihre
Schwächen herauszufinden versucht und, wenn er sie gefunden hatte, sie zu seiner Befriedigung
und zur Qual des Opfers bloßstellte. (T 439)
Und nur kurz nach dieser Konstatierung ist es nicht zufällig Christian, mit seinem
mit Pickeln bedecktes Gesicht, der auf die Probe gestellt wird. Er scheint in negativem
Sinne der Auserwählte zu sein, darf sich nicht dagegen revoltieren, und muss versuchen,
die Vorwürfe auf eine bestimmte Weise zu verwenden, um so zur Gesellschaft
beizutragen. Er wird aber so sehr von der verbalen Gewalt beeindruckt, dass er sich
immer mehr absondert. Dadurch, dass die Offiziere sich überdeutlich als psychologische
Machthaber zeigen und die jungen Soldaten in Grund und Boden reden, hoffen sie, dass
die Jugendlichen die Ideale des Regimes sklavisch akzeptieren und später verbreiten
werden.
Nicht nur psychologisch, sondern auch physisch versuchen die Lageroffiziere ihre
Macht zu betonen. Mit körperlicher Gewalt versuchen sie, ihre starke Position zu
bestätigen und Angst beim Opfer zu erregen. Die Opferrolle Christians zeigt sich hier
zum zweiten Mal. Nachdem er schon psychologisch von den Offizieren getestet wurde,
ist es jetzt ein vierundzwanzigjähriger Feldwebel11
, der Christian verprügelt, nur weil er
Medizin studieren will: „Im nächsten Moment schlug Ruden zu, Christian sackte nach
vorn, bekam sekundenlang keine Luft […]. Ruden zerrte Christian hoch und hieb ihm
mit der flachen Faust aufs Ohr.“ (T 626) Ruden wiederholt diese Handlung ein weiteres
Mal und steckt sogar Christians Kopf ins Klo. Diese physische Misshandlung scheint
Christian aber viel weniger zu beeindrucken. Nach einer Weile in der Armee begreift er
die Vorgehensweise der Offiziere. „Christian entdeckte, daß es ein Spaß sein konnte,
wenn jemand verprügelt wurde; Gott, wie absurd rollten die Augen, verzogen sich die
Fressen, wie quäkend und ferkelmäßig grunzend klang das Gejammer, zum Prusten war
das Gestolper bei schlechtem Licht … Macht.“ (T 648) Dadurch, dass Tellkamp diese
zwei Szenen kurz aufeinanderfolgen lässt, beweist aufs Neue, dass er die Welt im
Roman sehr Oppositionsreich darstellt. In der ersten Szene wurde Christian geschlagen,
während er in der zweiten, nur 20 Seiten später, mit dieser Handlung scheinbar
11 Feldwebel: „niedrigster Dienstgrad in der Rangordnung der Unteroffiziere mit Portepee.“ (In:
Dudenredaktion: Duden. Deutsches Universalwörterbuch. 6., überarbeitete und erweiterte Auflage.
Mannheim: Dudenverlag 2006. S. 563.)
18
einverstanden ist und die Gewalt als akzeptablen Ausdruck der Machtausübung
betrachtet. Meine Meinung dazu ist nicht eindeutig, dass diese Gewalt der des Nazismus
ähnlich ist, aber auch hier können wir sehen, was das Gefühl der Macht verursachen
kann, und dass es eine deutliche Opfer – Täter Verteilung gibt.
Es gibt noch ein Merkmal der Diktatur, das mit dieser psychologischen und
körperlichen Gewalt verknüpft ist: der Zwang. Christian tritt in die Armee ein weil er
nur auf diese Art und Weise einen Studienplatz bekommen kann. Er ist aber
wehrpflichtig und wird daher drei Jahre in der Nationale Volksarmee dienen, auch wenn
es nicht zum Erreichen seines Studiums wäre. Diese Dienstzeit ist ein ständig
gezwungenes Handeln und ein völliges Fehlen von Freiheit. Aber nicht nur in der
Armee ist der Zwang deutlich fühlbar. Auch in der täglichen Welt müssen die Figuren
handeln, wie das System es erwartet und vorausgesetzt hat.
Ein weiteres Merkmal dieser diktatorischen Gesellschaft, dass in Tellkamps
Roman versteckt ist, ist das Misstrauen. Ein Teil der Bevölkerung, die Bildungsbürger,
vertraut den Sozialismus nicht, aber kann dagegen nichts tun. Die DDR hält ihre Ideale
für selbstverständlich, die Gegner tun dasselbe für ihre bildungsbürgerlichen Ideale. Das
deutlichste Beispiel dafür ist die Turmgesellschaft, wozu Christian, Meno und Richard
gehören. Sie hat ein riesengroßes Misstrauen gegenüber dem Sozialismus. In der
Außenwelt dürfen die Mitglieder ihre Unzufriedenheit aber nicht zu äußern und daher
verteidigen sie ihre Ideale in intimem Kreis12
.
1.4 Opposition der Welten
1.4.1 Innen vs. außen
Wie schon gesagt, sind die Bildungsbürger, wegen ihrer abweichenden Ideale, die
Außenseiter der Gesellschaft. Sie unterscheiden sich, dadurch, dass sie in zwei Welten,
in den sie sich ganz anders verhalten, zu leben scheinen. Einerseits haben sie ihr Leben
außerhalb ihres Hauses, in der sozialistischen Welt, in der sie sich einer vorhandenen
Ordnung und Umgebung anpassen. Dort verhalten sie sich, wie es von Kindheit an
erwartet wird: Die Bewohner müssen in den Worten von Christa Wolf, „sich anpassen,
ja nicht aus der Reihe tanzen, besonders in der Schule sorgfältig die Meinung zu sagen,
12 Siehe dazu 1.4.1
19
die man erwartete, um sich ein problemloses Fortkommen zu sichern.“13
Andererseits
leben sie gleichzeitig auch innerhalb des Hauses. Hier versuchen sie, beschreibt Katrien
Schuermans, die elitären Gewohnheiten beizubehalten und ist das unterdrückte
Individuum völlig von seinen Idealen überzeugt.14
Bei Meno kommt der Unterschied zwischen Sozialismus und eigenem Denken am
deutlichsten hervor. Er hat sich entwickelt als intellektueller Denker, der sich, getrennt
von der äußeren Welt und zusammen mit anderen Gegnern des Systems, mit den
Idealen beschäftigt, die es, Julia Enckes Meinung in ihrer Rezension zufolge, „im
Sozialismus eigentlich gar nicht hätte geben sollen“15
. Es sind Leute, die sich in ihrer
eigenen Gesellschaft für Literatur, Meinungsfreiheit und freidenkerischen Tugenden
interessieren. Sie haben ihre eigene Meinung und wollen sie deshalb miteinander teilen
und darüber reden. Warum Meno aber so sicher gegen den Sozialismus auftritt und sich
in der Turmgemeinschaft so deutlich als Bildungsbürger profiliert, wissen wir als Leser
nicht. Wir wissen nur, wie er sich in diesem Zeitalter benimmt und nicht, was Meno so
weit getrieben hat. Die wesentliche Identitätsbildung, die im Roman bei Christian völlig
in Entwicklung ist, hat sich bei Meno schon vollzogen. Er hat seine Stelle als
Erwachsener schon gefunden und versucht, von seinem Standpunkt aus, seine Ideale
weiterzuführen.
Christian dagegen befindet sich noch immer in seiner Entwicklung und sucht noch
immer die richtige Wendung im Leben. In meiner Arbeit fungiert er sozusagen auch als
Hauptfigur, dessen eigene Welt sich sehr deutlich von der äußeren unterscheidet. Bei
ihm haben aber vielmehr seine Persönlichkeit und sein Alter Schuld. Wie schon gesagt,
fühlt er sich zu Hause und wenn er alleine ist am sichersten, solang er lesen und
studieren kann und sich nicht in der großen Masse zeigen muss. Die Unsicherheit über
sein Aussehen aber hat ihn so weit getrieben, dass er die äußere Welt als unzuverlässig
betrachtet. „Sein eigentlich anziehendes und ausdrucksvolles Gesicht war von
13 Sylvia Kloetzer: Mitläufer und Überläufer : erzählte Ich-Krise in der DDR-Literatur der achtziger
Jahre. University of Massachussets: UMI dissertation services, 1992, S.1. Zitiert nach Christa Wolf. „Das
haben wir nicht gelernt.“ 14 Vgl. dazu: “Ditmaal geen arbeidersfamilie aan de eettafel, maar de oude garde van intelligentsia die
moeten buigen of breken onder het DDR-bewind. Buitenshuis conformeren ze zich aan de regels,
binnenhuis houden ze vast aan hun oude elitaire gewoontes.” (Katrien Schuermans: “Het individu versus de
Staat.” Cutting Edge, 4. Januar 2010. <http://www.cuttingedge.be/books/reviews/194118-toren-verhaal-uit-een-
verzonken-stad>. (20.5.2011)) 15Julia Encke: „Das geheime Land“. In: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 14. September 2008,
Nr. 37 / Seite28.
<http://www.faz.net/s/Rub79A33397BE834406A5D2BFA87FD13913/Doc~E9D5BFD8F90B6435CB9A
E16ACF7A39E33~ATpl~Ecommon~Scontent.html> (20.5.2011)
20
Pubertätspickeln übersät, und er empfand gräßliche Scham bei dem Gedanken an all die
Augenpaare, die ihn forschend vielleicht auch spöttisch oder angeekelt anstarren
würden.“ (T 39) Am liebsten sitzt er also alleine in seinem Zimmer, liest Bücher und
bereitet seine Zukunft als Arzt vor. Diese Entwicklung als Außenseiter führt er sogar in
der Armee weiter. Auch hier spricht er „mit niemandem über seine Eindrücke“ (T 441)
und „wollte er allein sein.“ (T 612) Ganz am Ende gibt es sogar einen Moment, an dem
Christian tot sein will (T 962), als wollte er damit auch der einen Welt entfliehen und
sich für immer und ewig in die innere zurückziehen.
Diese Opposition wird von einer Aussage der Literaturwissenschaftlerin Claudia
Nitschke bestätigt. „Obwohl alle Nationalstaaten diesem Antagonismus zwischen zwei
verschiedenen Höchstwerten […] gegenüberstehen, wurde insbesondere in Deutschland
die Unvereinbarkeit betont“16
. Sie bezieht sich auf eine allgemeine Tendenz
Deutschlands, die Unmöglichkeit eine Einheit zu bilden, die aber auch in Der Turm
gefunden werden kann. Auch greift sie, um ihre Behauptung zu betonen, eine Äußerung
von Norbert Elias, der sich auch zu diesem Thema ausgesprochen hat, auf: „Es gab in
bezug [sic!] auf sie [= die Unvereinbarkeit in Deutschland, H.R.] nur ein Entweder-
Oder. Kompromisse zwischen ihnen waren, entsprechend dem ganzen Tenor des
deutschen Denkens, unsauber.“17
Auch die Familie Hoffman hat wählen müssen.
Entweder knüpfen sie an die Ideale der DDR an und werden sie ein Teil des Kollektivs,
oder sie behalten ihre eigenen Ideale und damit auch ihr eigenes Individuum. In der
Turmgesellschaft haben sie sich vom System distanziert und ihre eigene Welt kreiert.
Da die beiden einander ganz entgegengesetzt sind, ist eine Art Mischung ganz
unmöglich. Es ist undenkbar, dass man in der Turmgesellschaft Ideale verteidigt, die in
der DDR-Gesellschaft auch akzeptabel sind und auch vice versa. Jedermann hat seine
eigenen Auffassungen und deren Verteidiger akzeptieren es dazu nicht, dass man
Gegenargumente oder abweichende Meinungen äußert.
1.4.2 Wohlfühlen vs. Zerfall
Neben diesem soeben analysierten innen - außen Unterschied gibt es noch einen
weiteren, der mehr oder weniger damit zusammenhängt. Ich habe nämlich auch einen
16 Claudia Nitschke: “‟Selbstverspottung ist Lüge‟. Die Familie als Mediator von Identität in Fontanes
Die Puggenpuhls.” In: Familie und Identität in der deutschen Literatur. Hg. von Thomas Martinec und
Claudia Nitschke. Frankfurt am Main: Peter Lang 2009, S. 221-241. (=Regensburger Beiträge zur
deutschen Sprach- und Literaturwissenschaft Reihe B, Untersuchungen 95), S. 232.
17 Norbert Elias: Studien über die deutschen. Machtkämpfe und Habitusentwicklung im 19. und 20.
Jahrhundert. Frankfurt: Suhrkamp , 1989, S. 201.
21
Unterschied zwischen einer Welt zum Wohlfühlen und einer zerfallenen drumherum
festgestellt. Dieser Unterschied ist natürlich demjenigen zwischen dem Innen – und
Außenbereich des Hauses ähnlich, aber wird von mir doch getrennt behandelt, weil hier
nicht sosehr die Forderungen und Regeln der DDR gegenüber den Idealen der
Bildungsbürger überwiegen, sondern nur das Aussehen der Welt und die Art und Weise
in der die Figuren, und dann vor allem Christian, ihre Umwelt betrachten. Es handelt
sich um eine häusliche Schönheit und eine Umwelt, die zerfallen und schrecklich
aussieht. Bei dieser Schönheit sind auch aufs Neue die familiären Gefühle
ausschlaggebend. So können wir als Leser feststellen, dass es die kleinen Sachen sind,
die Christian glücklich machen, wenn er eines Morgens den Wintergarten am
Tausendaugenhaus, in dem auch Meno wohnt, betrachtet und die Schönheit über sich
hingehen lässt.
Christian stand am Fenster des Wintergartens und lauschte den Geräuschen, die von unten und aus
dem Haus herandrangen, Stimmenschleier, Auflachen, Musik aus den Gärten jenseits des Parks, in
dem leichter Wind Lichtfasern hin- und herhuschen ließ. Die Farben waren durch den Regen
erfrischt, das noch junge Grün der Buchen und Ahorne mischte sich in unruhigen Wellen unter die
Blüten von Mandelbäumen und Rhododendren, die am oberen Rand des abschüssigen Parks
standen. Leise, laut; dazwischen Keile von Melancholie. (T 612)
Der Zerfall und die negativen Gefühle, die damit zusammengehen, werden aber hier
schon angekündigt. Ganz am Ende dieses Zitats ist nämlich die Rede von einer
gewissen Melancholie und mit dieser Schwermut wird die Schönheit schnell relativiert.
Dieser Verfallszustand wird von Richard überzeugender wiedergegeben, wenn er
die Stadt Dresden betrachtet. Sie ist alles andere als leise und ruft keine Melancholie
auf. Bei den Betrachtungen von Christians Vater unterscheidet die Stadt sich in dem
Sinn, dass sie dargestellt wird „mit den schlierigen Straßen, katarrhgedämpften
Häusern.“ Er versucht nicht, den Zustand zu relativieren und sagt einfach, was er sieht:
„daß Dresden nur noch ein Schatten war, zerstört, krank. Auf den riesigen,
windüberpfiffenen Brachen der Stadt wucherte Unkraut, in den Neubaugebieten wurden
die Wege unkenntlich unter Morast und Schlamm. Regen …“ (T, 702) Hier kehrt das
Wort ‚Regen‟, dass auch in Christians Beschreibung vom Wintergarten benutzt wurde,
wieder. Die zwei gleichen Wörter, in beiden Zitaten, bedeuten zweimal dasselbe, aber
bedingen die Situation auf eine ganz andere Art und Weise. Bei Richards Betrachtung
betont die Anwesenheit des Regens den Zerfall und die Hässlichkeit der Stadt,
wohingegen der erfrischend wirkende Regen bei Christian dazu beitrug, die ästhetische
Schönheit der Landschaft zu bekräftigen.
22
Natürlich hängt die Schönheit bzw. Hässlichkeit des Wahrgenommenen mit den
Figuren, die darin funktionieren, und die Art und Weise, in der sie ihnen
gegenübersteht, zusammen. Von Christian wird der Wintergarten als vertraut erfahren,
weil an diesem Ort auch Meno wohnt, mit dem er sehr gute Beziehungen hat. Richard
aber betrachtet die Welt, in der er sich bewegt, als Wohnort der DDR-Machthaber, mit
denen er als Arzt und Bildungsbürger alles andere als einverstanden ist. Sicherheit und
Freiheit sind also von großer Bedeutung und sind dem Wohlfühlen förderlich.
Zusammenfassend verwende ich ein Zitat von Martin Sabrow, der die Situation, in
Bezug auf die Erinnerung an die DDR, auf folgende Art und Weise umschreibt: “In
einer Welt, in der soziale Interaktionen streng überwacht wurden, diente die
Privatsphäre vielen Menschen als Rückzugsraum für Individualität, abweichende
Meinung und eigene Identitätsbildung“18
.
Ein Unterschied, der zu der weltlichen Schönheitsdiskussion passt, aber nicht mit
dem Opposition zwischen Innen und Außen zu tun hat, ist die chronologische
Einteilung des Buches. „Auf den ersten hundert, zweihundert Seiten glaubt man sich ins
19. Jahrhundert zurückversetzt, in ein behagliches zurückgezogenes, deutsches
bürgerliches Erzählen.“19
Wir bekommen das Bild einer bürgerlichen und glücklichen
Familie, die mit dem Sozialismus nicht allzu viel zu tun hat und ihre eigene Gesellschaft
gebildet hat. Christian ist ein begeisterter Schüler und scheint relativ in Ruhe zu leben,
trotz seiner persönlichen Beschränkungen. Aber nach einer Weile ändert sich diese
Situation, zusammen mit dem Zustand der Figuren. Die dargestellte Ruhe der ersten
hundert Seiten wird zu einer brutalen Welt. „Dann wird der bürgerliche Realismus
beinahe unmerklich durch eine Art DDR-Realismus abgelöst, einer harten,
ungeschönten Prosa mit Armee, Repression und Denunziantentum.“20
Die ruhige
Umgebung des Bürgertums hat Platz gemacht für die, von den Bildungsbürgern,
umstrittene Umgebung des Sozialismus mit der Armee als wichtigster Repräsentant des
Staates im Roman. Es gibt also ein langsamer Aufbau zum letztendlichen Höhepunkt
und Explosion, dem Mauerfall.21
18 Martin Sabrow: Erinnerungsorte der DDR. München: Beck, 2009. S. 316. 19 Helmut Böttiger. „Weißer Hirsch, schwarzer Schimmel. Tellkamps klassischer Bildungsroman über die
DDR erzählt meisterlich aus einer stillgelegten Zeit: »Der Turm«“. In: Die Zeit, 18.September 2008.
<http://www.zeit.de/2008/39/L-Tellkamp?page=all>. (20.5.2011) 20 Ebd. 21 Siehe dazu 2.3.1
23
1.5 Variation der Stile
Obwohl die Geschichte, global betrachtet, eine lange Aneinanderreihung von
detaillierten Beschreibungen ist, versucht Tellkamp die Erzählung doch fließend zu
machen, indem er verschiedene Stile verwendet. In seinem epischen Roman vermischt
er monologischen und dialogischen Situationen. Es handelt sich vor allem um lange
Sätze, die die Handlungen oder Betrachtungen der Figuren in Detail beschreiben.
Tellkamp variiert in seiner Erzählweise aber auch noch zwischen unter anderem
Dialoge, Briefformen und Tagebuchnotizen um die Geschichte vor die Langeweile zu
schützen.
Die meisten Dialoge sind, im Gegensatz zu den Beschreibungen, sehr leicht zu
verstehen und enthalten eine einfache Sprache mit einfachen Sätzen. Damit betont
Tellkamp die bürgerliche Logik, die diese Figuren beibehalten und an die sie glauben,
wenn sie die Gespräche führen. Für sie sind ihre Ideale viel leichter als die Wirkung des
Sozialismus zu verstehen. Es gibt sogar ein Kapitel mit dem Titel „Dialog über Kinder“
(T 255). Dieser fällt auf, weil es das Einzige ist, das auf diese Art und Weise
geschrieben ist. Hier ist das Thema die Erziehung der Kinder und wird das Menschliche
betont. Anhand der anderen Dialoge gibt Tellkamp den Figuren die Möglichkeit, ihre
Meinungen und Gedanken mit Vertrauten zu teilen, damit das Gefühl bestätigt wird,
dass sie nicht allein sind. Mit der schwierigen und komplexen Sprache, die benutzt
wird, wenn Betrachtungen der DDR-Welt vorgestellt werden, symbolisiert er vielleicht
auch, dass die Welt der Unterdrückung komplex und schwer zu verstehen ist. Dagegen
ist die Welt der Figuren, von der sie sprechen in den Dialogen, viel leichter zu
verstehen, und wird die Opposition zwischen den zwei Welten hier nochmals bestätigt.
Zweitens gibt es, wenn Christian sich in der Armee befindet, die aufgeschriebene
Erlebnisse in monologischer Briefform. Es ist eine Wiedergabe der Briefe, wie
Christian sie buchstäblich geschrieben hat, mit einer Anrede und einem Datum des
Schreibens am Anfang. Zum Beispiel: „Ausbildungszentrum Q/Unteroffiziersschule
Schwanenberg, 9. 11. 84“ (T 534) als Ort und Datum und „Liebe Eltern“ als Anrede.
Auch hier benutzt Tellkamp, oder Briefschreiber Christian, keine komplexe Sprache
und sind es vielmehr direkte Erzählungen seiner Erlebnisse. Die Sprache stimmt hier
mit der Situation überein, in der sich die Figuren befinden. In der Armee wird ohne
Umschweife direkt gesagt, was von den Soldaten erwartet wird, und auf diese Art und
Weise wird es auch von Christian aufgeschrieben und berichtet er mit diesen Briefen
seinen Eltern. Übrigens sind die Briefe auch als öffentliches Schreiben zu bezeichnen.
24
Sie enthalten immer überflüssige Information, die das Publikum informieren müssen
und die Beziehung ist ein zu viel, mit der gemeint ist, das die Briefe, die nur von
Christian geschrieben sind, an viele Menschen gerichtet sind. Er schreibt unter anderem
seiner Eltern, Meno, der Tietzes, Frau Dr. Knabe,… Die Adressaten und der Leser
bleiben also nicht mit Fragen zurück. Der Leser ist hier also der implizite Adressat. Die
Briefe sind nämlich nicht an ihm gerichtet, aber er empfängt sie doch.
Neben Dialogen und Briefen gibt es in Der Turm noch eine dritte Erzählform, die
Tagebuchnotizen von Meno, in denen er als Ich-Erzähler auftritt. Diese sind, wenn man
sie mit den Briefen und Dialogen vergleicht, viel komplexer und haben einen
schwierigeren Sprachgebrauch. Auf der Ebene der Sprache sind sie also vielmehr den
detaillierten Beschreibungen ähnlich. Auf diese Art und Weise versucht Tellkamp die
Komplexität des Systems, das er schon beschrieben hat und dem er doch fortwährend
widersetzt, beizubehalten. Die langen und komplexen, fast langweiligen Sätze, mit dem
das System beschrieben wird, werden von Meno übernommen, womit er fast sagen will,
dass seine Ideale die des Systems aufwiegen. Meno selber schreibt in einem Abschnitt
aber: „Die deutsche Sprache ist kompliziert und weist manche scheinbare Ungereimtheit
auf, wenn Sie aber näher hinsehen, hat das alles seine guten Gründe.“ (T 308) Wenn
der Leser also begreifen will, was geschrieben steht, muss er sich Mühe geben, um zu
Verständnis zu kommen.
25
2. Schlaf der Zeit
2.1 Stillstand des Systems
Wie sich am Ende in Der Turm buchstäblich herausstellt, muss die Welt mit dem
Mauerfall aufwachen aus dem tiefen „Schlaf der Zeit“ (T 928, 940). Diesen Eindruck
haben wir aber in Gedanken schon am Anfang bekommen. Die Geschichte spielt sich
ab, wie der Untertitel22
es sagt, in ‚einem versunkenen Land‟, das auch am Ende
fortwährend von einem Regime mit einem müden und siechen Körper geleitet wird:
„eine [Stadt, Dresden, H.R.] mit allen Kräften vorgenommene Auspressung des müden, siechen
Körpers der Republik, um aus den verdorbenen Säften einen Becher Schierling zu keltern, der, in
die Adern der Hauptstadt geträufelt, Krankheit zum Leben, Erschöpfung in Hoffnung und Tatkraft
verwandeln sollte…“ (T 867)
Tellkamp gibt der DDR hier menschliche Charakterzüge und behauptet damit, dass sie
alt wird und am Rand des Abgrundes steht. Auch auf diese personifizierende Art und
Weise übt er Kritik an dem System, in dem Christian aufwachsen muss. Er muss sich
entwickeln in einer Zeit, die selber keine Fortschritte mehr macht, sondern im Gegenteil
an Ort und Stelle stehen bleibt. Wie Julia Hell es in ihrer Arbeit in Bezug auf die
allgemeine Gemütslage in der späten DDR, über Der Turm, die sie aus Anlass des
Mauerfalls sehr passend ‚Dissolution / Revolution‟ genannt hat, schrieb, wird die Zeit
alt und ist diese Zeit auch zu einem Zustand des Stillstands gekommen23
. Was
letztendlich aus diesem tiefen Schlaf kommen wird, wissen die Figuren nicht im
Voraus. Tellkamp kündigt aber schon an, dass eine große Änderung vor der Tür steht.
Im letzten Kapitel benutzt er oftmals den Ausdruck „… aber dann auf einmal …“ (T
943, 966, 968, 970,). Wenn er diesen Satz zum letzten Mal verwendet, vollzieht die
Wende sich und fangen die Uhren aufs Neue zu schlagen an: „… aber dann auf
einmal… schlugen die Uhren, schlugen den 9. November, »Deutschland einig
Vaterland«, schlugen ans Brandenburger Tor:“ (T 973) Auf diesen letzten Satz, und vor
allem den Doppelpunkt als letztes Zeichen des Romans, komme ich später noch
ausführlicher zurück.24
2.2 Symbole der Zeit
Da die Zeit und Entwicklung in diesem Roman einen entscheidenden Einfluss auf den
Verlauf der Geschichte haben, benutzt Tellkamp auch einige Symbole um diesen
22 Siehe dazu 2.4.1 23 Vgl. Dazu: “Time has come to a standstill”. (Hell. „Dissolution / Revolution.“) 24 Siehe dazu 2.4.2
26
Aspekte zu erwähnen. So beschäftigt er sich mit dem Fluss der Elbe, dem Zug und der
Fahrt, die Christian mit ihm macht, und mit der Standuhr, die als roter Faden der Zeit,
Familie und Gesellschaft funktioniert.
2.2.1 Der Fluss
Der erste zeitliche Aspekt, mit dem einen Symbolwert verknüpft werden kann, hat mit
der Elbe, die durch Dresden, Ost-Deutschland, fließt, zu tun. Schon im ersten Satz des
Romans wird von ihr gesprochen und zeigt sich deren symbolisierten Zustand:
„Suchend, der Strom scheint sich zu straffen in der beginnenden Nacht, seine Haut
knitterte und knisterte“ (T 7). Der Strom weiß nicht, wohin er leiten soll und scheint
ohne bestimmte Richtung zu fließen. Der symbolhafte Wert liegt darin, dass er die
Gesellschaft, die zu diesem Zeitpunkt auch die Richtung verloren hat, darstellt.
Dadurch, dass sie durch Dresden fließt, fließt sie figürlich auch durch das System, das
diese Stadt im Griff hält. Daneben bekommt dieser Strom auch menschlichen Merkmale
anhand einer Haut und die „Flüssigkeit kostbar wie Blut und Sperma“ (T 973). Auf
diese Art und Weise kann die Elbe auch betrachtet werden, als ob sie die Bevölkerung
der Gesellschaft, die auch auf der Suche ist und die richtige Wendung nicht mehr findet,
darstellt. Die ‚beginnende Nacht‟ betrachte ich dann als den Anfang des grauen Zerfalls.
Wenn man jetzt den Zustand der Elbe, und die Art und Weise, in der sie sich
fortbewegt, am Ende des Romans betrachtet, liest man, dass eine radikale Änderung
stattgefunden hat. Sie scheint jetzt die Seite der Bevölkerung gewählt zu haben, mit der
Absicht, den Sozialismus wegzuspülen. Das Wasser scheint stärker und selbstsicherer
geworden zu sein. Auch Meno stellt diese Tatsache mit folgender Betrachtung fest: „die
Briketts mit zuviel Wasser bröckeln, lösen sich auf“. (T 968) Auch wenn er in seinem
Tagebuch schreibt: „Suchend: Reinheit“ (T 972), sind es nicht nur die Menschen, die
suchen, sondern es ist auch der Fluss, der diese Reinheit nachstrebt: „Widerrufendes
Papier; Papier für die WAHRHEIT, den gedruckten Spiegel, NEUES DEUTSCHLAND,
JUNGE WELT, PRAWDA, Zeitungen, die ins Wasser gespült werden, […]“. (T 972)
Diese Papiere, die alle vom Wasser mitgeführt werden, sind allegorisch für das System,
das sich sozusagen auch auflösen muss, sodass man mit einem neuen Zeitalter anfangen
kann und die Schönheit wieder erleben wird.
27
2.2.2 Der Zug
Der Zug bekommt eine zentrale Position in der Mitte des Romans. Das Reisemotiv wird
hier anhand der Zugfahrt dargestellt. Ich betrachte den Zug als die Verbindung
zwischen zwei Welten: Einerseits der Welt Christians, in der er 19 Jahre auf seine
eigene, abgesonderte Art und Weise gelebt hat, und andererseits der Welt, die er nicht
kennt und in der er letztendlich fünf Jahre verbringen wird. Christian befindet sich in
diesem Zug und reist zur Armee, in der die nächste Phase seines Lebens anfangen wird.
Die Fahrt des Zuges symbolisiert aus diesem Grund einen Teil der Entwicklung der
Figur Christians. Er fährt unaufhaltsam und ohne dass er sich eine eigene Richtung
wählen kann. Allgemein betrachtet folgt dieser Zug die im Voraus aufgestellte Richtung
des Gleises, genauso wie die Figuren der Richtung des DDR-Systems folgen müssen.
Auch sie können sich keine eigene Richtung wählen, sondern müssen den Gleisen, die
vom Sozialismus festgelegt wurden, ohne Widerstand folgen. Im 38. Kapitel, wenn
Christian wirklich in seine neue Welt fährt, betont Tellkamp die Entschiedenheit des
Zuges, der nicht anhält, sondern immer weiterfährt. Im Text gibt er das anhand des
Satzes „… aber die Bahn fuhr“ (T 526, 527, 528) wieder. Jeder Absatzbeginn in diesem
Kapitel fängt mit einer Beschreibung der Zugbewegung an und dieser Erzählstil ist
demjenigen im letzten Kapitel ähnlich. Dort fangen die Absätze mit „… aber dann auf
einmal…“ an. In beiden Kapiteln steht der Zeit eine große Änderung bevor. Im 38. ist
Christian auf dem Weg, in die NVA zu treten, im 72. steht die Wende vor der Tür. Auch
beim Leser erweckt Tellkamp damit eine bestimmte Neugier und die Erwartung, dass
eine entscheidende Entwicklung stattfinden wird.
2.2.3 Die Standuhr
Drittens ist die ständige Anwesenheit einer Standuhr im Text eine Art zeitlicher roter
Faden. Das erste Merkmal dieser Uhr kann man schlussfolgern aus einer Behauptung
von Hans-Joachim Hahn. Er behauptet, in Bezug auf die Beobachtungen zur Ästhetik
des heutigen Familienromans, dass die „Stand- oder Pendeluhr als Symbol familiärer
Ordnung25
“ eine wichtige Rolle bei der Kreation eines Heimatgefühls spielt. Aber nicht
nur dieser Hinweis kann man auf die Standuhr beziehen. Meiner Meinung nach benutzt
Tellkamp die Standuhr vielmehr, um eine oppositionelle Zeitdarstellung zu kreieren.
25 Hans-Joachim Hahn: “Beobachtungen zur Ästhetik des Familienromans heute” In: Familie und
Identität in der deutschen Literatur. Hg. von Thomas Martinec und Claudia Nitschke. Frankfurt am Main:
Peter Lang 2009 (=Regensburger Beiträge zur deutschen Sprach- und Literaturwissenschaft Reihe B,
Untersuchungen 95), S. 275-292, S. 284.
28
Aufs Neue unterscheidet er anhand der Standuhr zwischen einer inneren und äußeren
Welt. Wie schon gesagt, scheint die DDR-Zeit stillzustehen, schlagen die Uhren nicht
mehr und gibt es nur Zerfall. Innerhalb des Hauses scheint die Situation aber anders zu
sein und gibt es noch immer zeitliche Fortschritte. An den vertrauten, heimlichen Orten
stellt sich heraus, dass die Zeit und die Standuhren fortwährend ticken. Ihre
Lebendigkeit betont, dass das Leben sich hier nach wie vor fortbewegt. Mit den
„Gongschlägen [HR.] der Standuhr“ (T 147) in Haus Abendstern und dem Ticken der
Standuhr, das immer lauter wurde (T 441) in Haus Karavelle, beweist Tellkamp, dass
innerhalb der eigenen Gesellschaft die Hoffnung auf eine radikale Wendung lebendig
bleibt. Dadurch, dass die Standuhr bei Tellkamp immer im Zusammenhang mit Heimat
und Familie verwendet wird, bekommt sie auch eine positive Assoziation mit den
Figuren. Der Stillstand, mit dem sie konfrontiert werden, scheint hier dann nicht zu
gelten. Die Ideale und Denkrichtungen, die die Vertreter der Turmgesellschaft
beibehalten, werden nicht umsonst sein, es braucht nur Zeit.
Wenn die Wende sich letztendlich vollziehen wird, verweist Meno kurz zuvor in
seinem Tagebuch noch einmal auf den Zustand der Kreml-Uhr als Zentrum des
Sozialismus: “… aber dann auf einmal … schlugen die Uhren der sozialistischen Union,
die Kreml-Uhr bleibt stehen mit dem Geräusch einer gebrochenen Sprungfeder.“ (T
970) Die erste Uhr in dieser Szene symbolisiert die Hoffnung innerhalb der Häuser der
Bevölkerung, die an eine Wende glauben. Dadurch, dass diese Uhr schlägt, wird die
Änderung angekündigt. Die zweite Uhr, die noch immer stillsteht und gebrochen zu sein
scheint, symbolisiert den ganzen Sozialismus, mit dem Zentrum in Moskau, Russland.
Die DDR-Zeit ist damit auch gebrochen und wird nie wieder in Gang gebracht werden,
da sie einfach unheilbar ist. Das fortwährende Stillstehen der Uhr des Sozialismus
betont die Tatsache, dass die Ideale der Bildungsbürger den Sieg über die ‚DDR-
Feinde‟ bekommen werden, und die Zukunft weiter bedingen werden, oder wie Hell
schrieb: “liberation of time, time whose historical course had been arrested for
decades.”26
2.3 Tempo des Erzählens: Aufbau zu einer Explosion
Nicht nur die Zeit, wie sie in Der Turm unmittelbar präsentiert wird, sondern auch der
Aufbau des Textes an sich, tragen zum besseren Verständnis der Zeiteinteilung des
26 Hell: „Dissolution / Revolution.“
29
Romans und dessen, was Tellkamp damit erreichen will, bei. Er fängt seine Geschichte
in Dezember 1982 mit einem vorsichtigen Aufbau, in dem, wie schon gesagt, die
Erlebnisse einer Familie sich in einem gemächlichen Tempo fortbewegen, an. Die
Figuren scheinen sich friedfertig zu verhalten, und nichts scheint äußerst bemerkenswert
zu sein. Aber Schein trügt, und allmählich stellt sich im Text das Gegenteil heraus.
Tellkamp beschreibt den Zustand der Familie und deren Entwicklungen in einer Welt,
die am Ende auseinanderfällt. Julia Hell fasst diese Feststellung folgendermaßen: „the
story of slow and inevitable decay to the moment when time explodes like a force of
nature, depicting the 1989 demonstrations in Dresden.“27
Richards 50. Geburtstag wird
gefeiert, aber später stellt sich heraus, dass er seine Frau betrogen hat und sogar ein
außereheliches Kind hat. Christian dagegen will nur zum Arztstudium zugelassen
werden, aber kommt in der Gefängnis an und wird mit dem Tod eines Freundes
konfrontiert. Genauso wie die DDR-Führung rational fast unerklärbar ist, sind auch
manche Handlungen der Figuren Kritik und Zweifel von den Lesern unterworfen. So
hat man es als Leser schwer zu verstehen, warum Richard Anne betrogen hat, weil es
eine glückliche Ehe scheint, und warum Christian in einem Moment leichter Aufregung
Siegbert, seinen Freund, ins Bein sticht (T 444). Diese Gedanken haben aber nichts mit
persönlichen Gefühlen beim Leser zu tun, nur mit Unverständnis der Geschichte. Diese
unlogischen Handlungen der Figuren sind sozusagen eine negative Folge einer
unlogischen Führung in der DDR. Diese Ereignisse führen bei diesen Gestalten zu
kleinen Handlungsexplosionen, um letztendlich zum Höhepunkt zu kommen: die
Wende. Mit den Demonstrationen der Bevölkerung gegen die DDR explodiert das
System, und führt Tellkamp die Geschichte mit „den immer mehr und immer sicherer
werdenden Demonstranten.“ (T 970) zu ihrer letztendlichen Apotheose.
Wenn die Figuren sich unbewusst dichter bei der Wende befinden, verläuft die
Geschichte auch schneller und ist die Erzählung elliptischer. Die ersten 4 Jahre der
erzählten Zeit umfassen mehr als 800 Seiten, während die übrigen drei Jahre in nur 100
Seiten erzählt werden. Diese Tatsache ist nur Tellkamp zuzuschreiben. Auch wenn die
Figuren im Roman nicht wissen, was ihnen bevorsteht, versucht der Erzähler mit dieser
Beschleunigung die Aufregung der Wende auf den Leser zu übertragen.
27 Ebd.
30
2.4 Das allererste Wort gegenüber dem allerletzten
2.4.1 Untertitel als Ankündigung
Die Zeit, in der die Geschichte sich abspielt, wird schon früher als der erste Satz
angekündigt. Im Untertitel des Romans verrät Tellkamp, dass es sich um eine
„Geschichte aus einem versunkenen Land“ handeln wird. Wir treten als Leser
sozusagen im selben Moment der Figuren in die Geschichte: wenn das Versinken der
Nation sich schon zum größten Teil vollzogen hat. Wir wissen sozusagen auch nicht,
wohin die Situation des Verfalls letztendlich führen wird. Die reale Geschichte
Deutschlands ist bekannt, und damit auch, dass diese zur Wende und zum Mauerfall
führt. Zur gleichen Zeit müssen wir aber in einer vorwiegend fiktionalen Erzählung auf
alles vorbereitet sein, da in Fiktion alles möglich ist, und Tellkamp der Erzählung eine
andere Wendung geben kann. Obwohl sie mit einem reinen ‚Happy End‟ ohne Ironie
endet, betont der Untertitel vor allem den negativen Aspekt der Geschichte und spüren
wir noch keinen Optimismus. Während des Textes wird demzufolge auch der
Verfallzustand betont. Statt des Verfalls könnte Tellkamp am Anfang auch auf diese
positive Wende hinweisen, aber er macht das nicht. Er verwendet diese Wende nicht bis
am Ende und benutzt sie dann als Überraschung anhand der Explosion des Textes.28
Die Vergleiche zwischen Der Turm und Thomas Manns Buddenbrooks, die in
verschiedenen Rezensionen und Kritiken behandelt werden weil sie beide von einer
epischen Familiengeschichte erzählen, haben indirekt auch mit dem Untertitel zu tun.
Bei beiden ist nämlich von einer Verfallszeit die Rede: bei Tellkamp eines Landes und
bei Mann einer Familie29
. Dieser Verfall ist aber nicht unbedingt schlimm und
unheilvoll. Für Mann ist Verfall nämlich „auch die Voraussetzung für neue
Lebensformen“30
und auch bei Tellkamp führt es für die Einwohner des versunkenen
Landes letztendlich zu einem positiven Ereignis. Dank dieses Verfalls bekommen die
Bildungsbürger schließlich eine neue Lebensform, mit Freiheit, und wird dieser
Untertitel eigentlich zu einer Ankündigung, die das Gute erwarten lässt. Daneben
handeln die beiden Untertitel auch noch vom Verfall einer Kultur und eines politischen
Systems, und wird Der Turm auch durch diesen Vergleich mit ‚Buddenbrooks‟ als ein
Epos bezeichnet.
28 Siehe dazu 2.3.1 29 Mann, Thomas. Buddenbrooks. Verfall einer Familie. Berlin: S. Fischer Verlag, 1901. 30 N,N. „Thomas Mann: Buddenbrooks.“
<http://www.dhm.de/lemo/html/kaiserreich/kunst/buddenbrooks/> (20.5.2011)
31
2.4.2 Doppelpunkt als Abschluss
Neben diesem Untertitel ist auch das allerletzte Wort, oder genauer gesagt das
abschließende Satzzeichen, bedeutungsvoll für die Wiedergabe der Zeit in Der Turm.
Zuerst wäre es in diesem Abschnitt meiner Arbeit nützlich, den letzten Satz des Romans
noch einmal zu erwähnen, da mehrere glaubwürdige Erklärungen, für die Tatsache, dass
Tellkamp auf diese bestimmte Art und Weise enden lässt, möglich sind.31
Es ist
deutlich, dass dieser Satz den Mauerfall und das Ende der DDR als Inhalt hat, aber
warum Tellkamp die ganze Geschichte mit einem Doppelpunkt beendet, und nicht mit
einem einfachen Punkt, hat viele mögliche Gründe. Jede Geschichte kann nämlich auf
verschiedene Weisen gelesen werden. Je komplexer die Geschichte, je mehr Leseweisen
sie hat. Bei Der Turm muss es also, wenn wir die Komplexität betrachten, viele geben.
Auch wenn es verschiedene Erklärungen gibt, wird von dem Mauerfall nur einmal
erzählt. Diese singulative Erzählung bedeutet, dass ein Ereignis in der Geschichte auch
in der Erzählung nur einmal erzählt wird. In Der Turm wird diese Ereignis, die Wende,
ganz am Ende aufgegriffen, dadurch, dass ihre Wichtigkeit betont wird, auch wenn sie
nur einmal erwähnt wird.
Eine erste mögliche Erklärung für den Doppelpunkt, ist eine symbolische. Hier
kann dieses Satzzeichen ein Symbol für die Mauer, hinter der die Freiheit wartet, sein.
Die Geschichte hat sich bis jetzt mit der Anwesenheit der Mauer und damit auch
Unterdrückung abgespielt, jetzt, nach diesem Doppelpunkt, läuft die geänderte
Geschichte in die geöffnete Welt weiter. Es bezeichnet also auch ein offenes Ende des
Romans mit dem weiteren Leben der Figuren. Man kann sagen, dass, nach dem
Gewinnen der Freiheit, ihr Leben jetzt wirklich anfängt, während es für den Leser auf
dem Papier aufhört.
Zweitens ist es auch eine Art Einladung für den Leser, aufs Neue mit dem Lektüre
des Romans anzufangen. Emilie Van Brakel hat zu dieser Erklärung in ihrer Rezension
zu Der Turm geschrieben, dass Revolutionen nämlich Zeit brauchen.32
Hierbei werde
ich kurz die Tatsache, dass Der Turm ein teils biografischer Roman ist, erwähnen. Auch
bei Tellkamp hat es ungefähr zwanzig Jahre gedauert, bevor er dieses Epos beenden
konnte. Aber in dieser literaturwissenschaftlichen Arbeit werde ich mich vom
31 Siehe dazu 2.1: Der Schlusssatz lautet: „… aber dann auf einmal … schlugen die Uhren, schlugen den
9. November, »Deutschland einig Vaterland«, schlugen ans Brandenburger Tor:“ (T 973) 32 Vgl. dazu: “De dubbele punt aan het eind van het boek nodigt de lezer uit: begin opnieuw, revoluties
hebben tijd nodig.” (Emilie Van Brakel: “Vrijheid in bruinkooldampen”. In: 8weekly, 15. Januar 2010.
<http://www.8weekly.nl/artikel/8043/uwe-tellkamp-vert-goverdien-hauth-grubben-de-toren-verhaal-uit-
een-verzonken-land-vrijheid-in-bruinkooldampen.html> (20.5.2011))
32
biografischen Aspekt distanzieren und es nicht weiter analysieren. Wenn wir Marcel
Proust folgen, müssen wir nämlich den Unterschied zwischen dem Autor als
Schriftsteller und dem Autor als soziales und lebendiges Wesen beibehalten33
.
Eine dritte Erklärung, und vielleicht die wahrscheinlichste, ist aus den Worten, die
Tellkamp selber gesagt hat, abzuleiten. In einem Interview hat er auf die Frage, wann
seine geschriebene Geschichte weitergehen wird, geantwortet: „Wenn die Musen geben,
der Wirbel sich gesenkt hat und die Ruhe zurückkehrt, in der man hört, was die Figuren
auf dem weißen Papier dem Autor, ihrem Geburtshelfer, erzählen.“34
Er kündigt mit
dem Doppelpunkt ein sogenanntes Sequel an, das als Fortsetzung zu Der Turm dienen
muss. Diese neue Geschichte wird dann, wie Tellkamp versprochen hat, anfangen, wo
Der Turm aufgehört hat. Ob er dieselben Figuren aufgreifen wird, müssen wir aber noch
abwarten.
33 Marcel Proust: „La méthode de Sainte-Beuve.“ In: Contre Sainte-Beuve. Hg. von P. Clarac, Paris:
Gallimard, 1971, S. 221f. 34Ansorg, Jörg. "Was halten Sie vom Abenteuerurlaub in ehemaligen NVA-Kasernen? Interview zum
Mauerfall mit Uwe Tellkamp, Autor und Chirurg”. In: Berufsverband der deutschen Chirurgen, 1.Oktober
2009.
<http://www.bdc.de/index_level3.jsp?form=Dokumente&documentid=3A40B1ECC6A6CDF7C1257655
00418B3D> (20.5.2011)
33
3. Funktion und Wirkung der DDR in Der Turm
3.1 Erziehung und Umerziehung
Erziehung scheint, so wird von Tellkamp in Der Turm dargestellt, in der DDR sehr
wichtig zu sein, um das Individuum im Kollektiv einzuordnen. Die Bevölkerung, und
also auch die Figuren im Roman, müssen nach festgelegten Regeln gebildet werden,
damit sie gut in der sozialistischen Gesellschaft funktionieren können und dieses
System mit ihrem Zusammengehörigkeitsgefühl stützen können. Diese Regeln werden
präsentiert als die Ideale des Sozialismus und müssen außerdem von der Bevölkerung
sehr genau befolgt werden. Auch Paul Michael Lützeler hat in Bezug auf die DDR-
Literatur in einem Kapitel, Die gebildete Nation genannt, den idealistischen Zustand in
der DDR beschrieben: „Die hervorstechendsten Merkmale dieser Erziehungsdiktatur
sind auf der einen Seite eine geradezu starre politische Stabilität und andererseits eine
außerordentliche soziale Mobilität.“35
Auch wenn Lützelers Arbeit schon 1976
veröffentlicht wurde, ist sie noch von Relevanz für die Ereignisse der 80er Jahre. Die so
genannte ‚starre politische Stabilität‟ und konservative Haltung der DDR wird auch
zehn Jahre später, zwischen 1983 und 1989, noch verfolgt. Was in diesem System in all
diesen Jahren erreicht werden muss, wird anhand der Idealen deutlich ausgedrückt, aber
wie sie letztendlich erreicht werden sollen, ist viel weniger deutlich. Die gebildete
Nation wird als Ideal betrachtet, der Zustand verläuft in der Realität aber nicht, wie das
Ideal es darstellt. Dadurch, dass der Begriff ‚Bildung‟ schwer zu erstreben ist, wird im
Roman, und selbstverständlich auch in der DDR, die Möglichkeit der Umerziehung
erwähnt. Sie wird dazu benutzt, dem Leben der DDR-Einwohner die richtige Wendung
zu geben.
3.1.1 Der Begriff ‚Bildung’
Wie ich schon viele Male erwähnt habe, handelt es sich in Der Turm um
Bildungsbürger und deren Gesellschaft. Was diese ‚Bildung‟ jetzt genau beinhaltet,
werde ich in diesem Abschnitt behandeln. Zuerst beziehe ich dazu die Umschreibung,
die im Duden dem Begriff ‚Bildungsbürgertum‟ gegeben wird: “Gruppen des
Bürgertums mit einem an idealistischen Werten u. am klassischen Altertum orientierten
35 Paul Michael Lützeler: „Von der Arbeiterschaft zur Intelligenz: Zur Darstellung sozialer Mobilität im
Roman der DDR.“ In: Literatur und Literaturtheorie in der DDR. Hg. von Peter Uwe Hohendahl und
Patricia Herminghouse. 1. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1976, S. 241.
34
Bildungsideal“36
. Diese Umschreibung stimmt überein mit der Art und Weise, in der die
Bildungsbürger in Der Turm dargestellt werden. Die Ideale, an den diese Elite
festhalten, sind für sie sehr wertvoll, aber der Außenwelt gegenüber haben sie keinen
praktischen Nutzen. Dadurch wird diese Gruppe der Bevölkerung im Roman auch als
Außenseiter betrachtet.
In Bezug auf die Debatte über die Bestimmung des Menschen bekommt die
‚Bildung‟ folgende erweiternde Bedeutung. Die Literaturwissenschaftlerin Katrin
Fischer hat in einer Studie zu Wilhelm Meisters Lehrjahre37
von Johann Wolfgang von
Goethe zu diesem Thema behauptet, „dass Bildung deshalb als Antwort auf die Frage,
was ein gelungenes Leben gewährleistet zu verstehen ist, weil der Mensch seine
Bestimmung erfüllt, wenn er die in ihm angelegten Anlagen ausbildet.“38
Hier handelt
es sich aber um eine allgemeine und vage Beschreibung und entsteht eine neue Frage;
Was ist eigentlich der Inhalt von einem gelungenen Leben? ‚Bildung‟ ist in diesem
Sinne also ein schwer zu erklärender Begriff. Die Diskussion um das gelungene und
glückliche Leben wird später aufs Neue aufgegriffen, als Christians Bilanz der sieben
Jahre gezogen wird.39
In Der Turm gibt es die Voraussetzung, eine gebildete Nation, mit
zuverlässigen Einwohnern, die bereit sind, diese Nation zu dienen, zu bilden. Um diese
Einheitsnation zu erreichen, ist die kollektive Identitätsbildung einer der primären Ziele.
Es handelt sich dann um eine gemeinsame Bildung, in der die menschliche Identität zu
einem Teil der sozialistischen Maschine wird.
Die Frage, welche Bildung in der DDR erwünscht ist, ist fast unmöglich
vollständig zu beantworten. Das erwünschte Ideal der DDR-Regierung, alle Einwohner
im Kollektiv einzuordnen, ist den Erwartungen der Bildungsbürger entgegengesetzt. Die
Bildung ist für die beiden wichtig, aber auf eine ganz andere Art und Weise. Die
Bildung für die Mitglieder der Turmgesellschaft ist an der individuellen Identität und
persönlicher Entwicklung orientiert. Uwe Tellkamp erklärt dazu, dass es für sie
gleichzeitig ein Vorrecht und eine Verpflichtung ist, diesen Weg zu folgen, und dass
man dadurch die klassisch humanistischen Ideale folgen muss. Ohne Bildung wird es
36 Dudenredaktion: Duden. Deutsches Universalwörterbuch. 6., überarbeitete und erweiterte Auflage.
Mannheim: Dudenverlag 2006. S. 306.
37 Behandelt das ähnliche Thema einer abgetrennten Turmgesellschaft. 38 Katrin Fischer: „Die Turmgesellschaft in Goethes Wilhelm Meisters Lehrjahre. Eine Deutung unter
Bezug auf Goethes Einstellung gegenüber Teleologie und im Kontext der Frage, was ein gelungenes
Leben gewährleistet.“ In: Goethezeitportal, 11.Oktober 2004 39 Siehe dazu 4.3.4
35
nur Mord und Totschlag und keine bürgerliche Gesellschaft geben.40
Es gibt also auch
auf der Ebene der Bildung eine Opposition zwischen Sozialismus und Turmgesellschaft.
Die kollektive Bildung innerhalb des sozialistischen Systems der DDR ist der
Möglichkeit zur persönlichen Bildung innerhalb der eigenen und intimen Gesellschaft
entgegengesetzt. Louise Holm und Søren Madsen haben in ihrer Arbeit über Tellkamps
Der Turm auch auf diesen Unterschied hingewiesen: „Dem intellektuellen Bürgertum
angehörend, vertreten die drei [Christian, Meno und Richard, H.R.] die Eigenschaften
einer Klasse, die in der DDR eigentlich nicht vorgesehen war.“41
Die Klasse, von der
bei Holm und Madsen die Rede ist, steht für Individualitätsentwicklung, und genau
diese Art Entwicklung muss in der DDR vermieden werden. Das Kollektiv hat im
Sozialismus nämlich die Priorität und muss als erstes Ziel, einen sozialistischen Bürger
zu bilden, erreicht werden.
In vielen rein geschichtlichen Umschreibungen der DDR, unter anderem auch bei
Mary Fulbrook, wird dieser Staat „als ‚Arbeiter- und Bauernstaat‟ bezeichnet“42
. Aber
diese Bezeichnung war auch der offizielle Name. Mit dieser Beschreibung muss die
Bildung eigentlich das Lernen einer Handarbeit als wichtigstes Ziel haben. Die DDR
war aber ein Staat mit Industrie und Landwirtschaft an zentraler Stelle und auch im
Roman wird der Eindruck dieses Industriestaates als Modell für die DDR-Gesellschaft
präsentiert. Schon in der Ouvertüre des Romans wird die industrielle Umgebung
ausführlich beschrieben. Es gibt unter anderem
Schaumbäche der Reinigungsmittelfabriken, Abwässer der Stahlwerke, der Krankenhäuser, der
Eisenhütten und der Industriezonen, die verstrahlte Beize der Uranbergwerke, Giftsuppen der
Chemieanlagen Leuna Buna Halle und der Kaliwerke, von Magnitogorsk und von den
Plattenbaugebieten, die Toxine der Düngemittelanlagen, der Schwefelsäurefabriken. (T 7)
Die Beschreibung des Industries muss in Der Turm aber viel mehr im negativen Sinne
begriffen werden. Mit den Worten ‚Schaumbäche‟, ‚Abwässer‟, ‚Giftsuppen‟ und
‚Toxine‟ wird nicht nur die Industrie an sich betont. Die Umwelt wird vergiftet, aber
Meno, der diese Umschreibung macht, verweist schon auf die Tatsache, dass auch die
Bildungsbürger vom Sozialismus ‚vergiftet‟ werden.
40
Vgl. dazu: “Het schier onvertaalbare woord Bildung is voor hem niet alleen een voorrecht maar ook de verplichting tot een leven volgens de klassieke humanistische idealen. „Zonder Bildung‟‟, zegt hij, „rest
er alleen maar moord en doodslag. Zonder Bildung geen burgerlijke gemeenschap.‟‟ (Anneriek de Jong:
“Schrijven is een dienst aan God. Uwe Tellkamp over zijn DDR-jeugd en zijn bejubelde epos „Der
Turm‟”. In: NRC boeken, 9 November 2009. <http://www.nrcboeken.nl/recensie/schrijven-is-een-dienst-
aan-god> (16.06.2011)) 41 Holm und Madsen: „Die Erinnerung an die DDR. Uwe Tellkamps Roman Der Turm in den aktuellen
deutschen Erinnerungsverhandlungen.“ S 34. 42 Mary Fulbrook: Ein ganz normales Leben. Alltag und Gesellschaft in der DDR. Darmstadt:
Primus, 2008. S. 232.
36
3.1.2 Sinn der Umerziehung
Wichtiger und wirkungsvoller als die ‚Bildung‟ scheint in der DDR aber die
Umerziehung zu sein. In dieser Erziehungsweise werden die Figuren im Roman
sozusagen zu loyalen Sozialisten umgestaltet. Wenn sie einfach ihre Meinung sagen,
während es nicht von ihnen erwartet wird und nicht mit den Idealen übereinstimmt,
werden sie gestraft oder einfach zu einem Jugendwerkhof untergebracht. Diese
Arbeitsweise war solchermaßen eingebürgert, dass auch Tellkamp sie im Roman als
selbstverständliche und nützliche Erziehungsform darstellt. Er beschreibt hier das
Ereignis vom Standpunkt der DDR aus. Muriel, Christians Cousine, „wurde in einen
Jugendwerkhof eingewiesen“ (T 509) und in dieser Szene wird unmittelbar das Ziel
dieses Werkhofs, wie es buchstäblich in der Richtlinie steht, umschrieben:
Das Ziel der Umerziehung in einem Jugendwerkhof besteht darin, die Besonderheiten in der
Persönlichkeitsentwicklung zu überwinden, die Eigenheiten im Denken und Verhalten der Kinder
und Jugendlichen zu beseitigen und damit die Voraussetzungen für eine normale
Persönlichkeitsentwicklung zu schaffen. (T 509)
Dadurch, dass Tellkamp die Wiedergabe der Richtlinie nur kurz aufgreift, betont auch
die Tatsache, dass Widerstand leisten nicht reicht und dass man sich damit abfinden
muss. Die erste form der Erziehung im Leben der Kinder, die natürliche durch die
Eltern, reicht hier nicht, und eine zweite, eine durch den Staat erzwungene, muss die
Mängel der ersten einholen und dem Leben die wichtige und sozialistische Wendung
geben. Auf diese Weise wird die ‚Rote Logik‟ des Sozialismus, die nicht verneint
werden darf, beigebracht. Christian weiß aber auch, dass diese ‚Rote Logik‟ beibehalten
werden muss, um sein Arztstudium bekommen zu können. Dafür tritt er auch freiwillig
in die Armee ein. Aber wie ‚freiwillig‟ dieser Eintritt wirklich ist, wird später noch
behandelt.43
Die soeben erwähnte Richtlinie scheint friedvoll zu sein, doch bestätigt sie aufs
Neue den starken Widerstand des Systems gegen die Meinungsfreiheit. Die Erziehung
durch den Staat wird von Tellkamp im Roman selber beschrieben als eine
„Rotlichtbestrahlung“ (T 559), welche er in einem Interview selber erklärt als ‚ein
humoristischer Ausdruck für eine kommunistische Unterrichtstunde, in dem die
Studenten mit der roten Ideologie bestrahlt wurden.‟44
Diese Bestrahlung darf überhaupt
43 Siehe dazu 3.4.1 44 Vgl. dazu: „Een vertaalster: „Wat is Rotlichtbestrahlung?‟ De schrijver: „Dat is de humoristische
uitdrukking voor een uur lang communistisch onderwijs. We werden met rode ideologie bestraald,
begrijpen jullie dat?‟“ (Anneriek de Jong: “Schrijven is een dienst aan God.”)
37
nie infrage gestellt werden, und Widerstand dagegen wird für denjenigen, den sich
widersetzen, schwere Folgen haben. Verena, eine Mitschülerin Christians, verweigert
sich in der Schule einen Aufsatz über folgende Frage zu schreiben: „Woran ist die
Gesetzmäßigkeit des Siegs des Sozialismus über den Kapitalismus zu erkennen? Stützen
Sie Ihre Argumentation auf den Marxschen Geschichtsbegriff!“ (T 190) Sie hatte die
Frage, als Art Protest, mit einem leeren Blatt beantwortet (T 192). Da sie später aber
lügnerisch sagt, dass sie sich in diesem Moment nicht wohl gefühlt hatte, wird sie
wegen der Verweigerung nicht unmittelbar gestraft. Dieses Ereignis wird aber nicht
vergessen und später in der Geschichte stellt sich heraus, dass sie exmatrikuliert wurde.
Obwohl diese Folge vor allem aufgrund ihrer Ausreiseanträge stattfindet, gibt Tellkamp
doch den Eindruck, dass die Verweigerung, die Frage in der Schule zu beantworten,
indirekt mit der Exmatrikulation zu tun hat und dass die erste Verweigerung in der DDR
unabwendbar irgendwann bestraft werden musste.
3.2 Stadt unter Quarantäne
Die Beschränkungen, mit denen die Bürger zu kämpfen haben, haben natürlich damit zu
tun, dass sie in einer Welt, in der sie ständig von der Mauer beeinflusst werden, leben.
Die Ideologie der dominanten Sozialisten wird von ihnen präsentiert, als wäre es die
universelle. Dadurch wird ihnen die Möglichkeit entnommen, sich frei zu bewegen und
werden sie darüber hinaus kontrolliert, wenn sie die sozialistische Grenze überschreiten
wollen. Die andere Seite der Grenze wird im Roman mehrmals einfach und kurz als „da
drüben“ (T 49, 74, 75, 103, 581, 582, 755) beschrieben. Mit dieser Beschreibung gibt
Tellkamp die Geringschätzung der DDR gegenüber der kapitalistischen Welt wieder.
Dadurch, dass diese sozusagen minderwertig ist, dürfen die Einwohner ohne einen
deutlichen Grund nicht nach der anderen Seite zu reisen. Auch Meno unterfindet diese
Unterdrückung, als er ‚da drüben‟ einen arbeitsbezogenen Besuch machen muss. In
seinem Fall handelt es sich aber um eine Grenze, innerhalb der DDR, „die den Wohnsitz
der Dresdner Nomenklatura – ironisch als ‚Ostrom‟ bezeichnet – von dem
angrenzenden Wohnviertel der Dresdner Bürger trennt.“45
Um dort anzukommen,
muss er die Brücke über die Elbe zu überqueren versuchen, und „wer den Brückenweg
betrat, wollte nach Ostrom, und es gab nur weniges, was mit größerem Mißtrauen im
Viertel angesehen wurde als ein Besuch »da drüben«, wie es ausweichend-abfällig
45 Anne Fuchs: „Topographien des System-Verfalls.“ S. 44.
38
hieß.“ (T 103) Dieses Misstrauen wird von Meno betont mit der Beschreibung des
Brückenwegs:
„Der Brückenweg hatte Mauern zu beiden Seiten. Nach zwanzig Schritten traf man auf einen
Tordurchlass, eine Wand quer über den Weg, die bis zur Mauerkrone in etwa vier Metern Höhe
reichte. Ein rotweiß gestreiftes Wächterhäuschen stand neben dem Tor; der Posten darin hatte eine Kalaschnikow geschultert“. (T 104)
Für Meno wirkt der Kontrollenpost eindrucksvoll und daher wird es auch beschrieben,
als ob es bei dem intellektuellen Bildungsbürger einen starken Eindruck hinterlässt. Er
fühlt sich in dieser Situation übertriebener Überwachung alles andere als wohl und will
diesen Weg so schnell wie möglich hinter sich haben. Die Grenze, „die mit ihren
Wachtürmen und Kontrollenposten die DDR-Grenze zur Bundesrepublik imitiert“46
,
bilden eine zweite Quarantäne und damit auch größere Zerrissenheit innerhalb des
versunkenen Landes.
Eine kleinere Geschichte innerhalb der eigentlichen Geschichte der Hauptgestalten
betrifft das Leben Regines, einer Freundin der Familie Hoffman. Das Leben dieser
Figur ist das deutlichste Vorbild, das das Leben in der DDR für die meisten Einwohner
fast wie das Leben in einem Gefängnis ist. Regines Mann, Jürgen, war nach München
geflüchtet, und sie haben seit dieser Flucht alle Schwierigkeiten, einander sprechen oder
sehen zu können.
Seitdem konnten sie einander nur in Prag sehen, einmal im Jahr, nach großen Schwierigkeiten,
Jürgen immer in Angst, verhaftet zu werden. Regine war nach ihrem Ausreiseantrag das Telefon
gesperrt worden. Um mit Jürgen sprechen zu können, mußte sie Annes und Richards Anschluss
benutzen. Die Freigabe des Gesprächs konnte morgens um vier Uhr geschehen; man wußte nie
vorher, wann, deshalb hatte Anne für Regine und ihren Sohn vorsorglich die Betten bereitet. (T
82f.)
Auch wenn sie einander jedes Jahr nur einmal sehen können, vollzieht dieses Treffen
sich immer wieder voller Schwierigkeiten. Regine will auch über die Grenze reisen und
wartet schon „seit zwei Jahren“ (T 289) auf eine positive Antwort auf ihren Antrag.
Immer bleibt die Hoffnung anwesend, dass die Regierung den Antrag akzeptieren wird,
aber „in dürren Worten teilte man ihr mit, daß ihr Ausreisegesuch abschlägig
beschieden worden sei.“ (T 574) In dem Moment, in dem sie keine weiteren
Nachrichten mehr über die Ausreise erwartet, bekommt sie doch noch eine neue
Benachrichtigung. Regine bekommt „die Auflage, das Gebiet der DDR bis 0.00 Uhr zu
verlassen“ (T 580), aber sie weiß nicht genau, wie sie darauf reagieren muss. Die
Schwierigkeiten und Beschränkungen, die die DDR-Regierung bis diesen Moment
verursacht hat, sorgen für Zweifel bei der ekstatischen Frau: „Ich weiß gar nicht, ob ich
46 Ebd. S. 54
39
lachen oder weinen soll […]. Diese Zustände! Eine Wut hatte ich, und dann musste ich
heulen…“ (T 581). Als sie letztendlich auf den Zug, der nach ‚da drüben‟ führt, sitzt
und die Ausreise sich vollzieht, spürt sie zum letzten Mal die Kontrolle des Systems.
Meno und Anne, die sich nur von Regine verabschieden wollen, werden von den
Soldaten verdächtigt, auch die Ausreise machen zu wollen und werden dadurch
verhaftet. (T 592f.) Bis zum allerletzten Moment spürt Regine also den Widerstand der
DDR gegenüber unerlaubten Ausreiseversuchen. Die Geschichte Regines fängt gleich
mit der Geschichte der Hoffmanns an und vollzieht sich fast am Ende, d.h. auf Seite
594, als sie mit dem Zug abfährt. Obwohl Regines Zustand in Der Turm nur ab und zu
aufgegriffen wurde, dient sie, zusammen mit der Geschichte der Hoffmans, als Vertreter
der ganzen DDR, deren Republik als Gefängnis bezeichnet werden kann.
Die Bildungsbürger haben dank der Turmgesellschaft eigentlich eine doppelte
Mauer um sich herum gebaut. Sie haben, wie ich schon einige Male erwähnt habe, eine
eigene, private Gesellschaft kreiert innerhalb der Mauern ihrer Häuser. Der Name, der
in Der Turm dafür benutzt wird, ist nicht zufällig ‚Turmgesellschaft‟. Mit diesem
Begriff wird der Raum gemeint, in dem die Intellektuellen ihre Ideale verteidigen und
darüber sprechen können. Dabei wird der Turm betrachtet als eine Art Festung, in der
die Sicherheit, die sie mit dem Bau der Mauer der DDR verloren haben, zurückfinden
können. In Tellkamps Roman wird dargestellt, dass die Einwohner dieses Turms
scheinbar eine zweite Welt kreiert haben, um auf diese Art und Weise aus der
sozialistischen fliehen zu können.
3.3 Pfeiler der DDR
Wie schon gesagt, betont die Regierung der Republik einige Elemente, die als
Repräsentation des sozialistischen Systems dienen sollen. Einige davon sind die Jugend,
zusammen mit der Kultur, dem Kollektiv und dem Volk. Weil ihr Einfluss auf die
Figuren auch im Roman in den Vordergrund tritt, werden diese Elemente in der Sprache
in Der Turm häufig aufgegriffen.
3.3.1 Die Jugend und Kultur
Die ersten Begriffe, die in Bezug auf den Sozialismus im Text häufig erwähnt werden,
sind ‚Jugend‟ und ‚Kultur‟. In einer Untersuchung zum DDR-typischen Wortschatz, zu
dem die allgemeinen Sammelbegriffe gehören, hat Sabina Schroeter die Wichtigkeit
und Funktion der beiden ersten Begriffe wie folgt beschrieben:
40
Die Lexeme Jugend und Kultur […] dokumentieren das große Interesse, das Staat und Partei
sowohl an der Jugend als auch an kulturellen Einrichtungen und Veranstaltungen hatten. Jugend-
und Kulturpolitik waren wichtige Elemente, um das angestrebte Ziel, die allseitig entwickelte
sozialistische Persönlichkeit, zu erreichen.47
In Bezug zu dieser ‚allseitig entwickelten sozialistischen Persönlichkeit‟ kann aufs Neue
der Begriff ‚Bildung‟48
aufgegriffen werden. In folgender Szene befindet Christian sich
in Gedanken in der Schule und denkt er am (vom Staat dargestellten) Etappenplan des
Großen Menschen. Die erste Etappe ein Großer Mensch im Sozialismus zu werden, ist
nämlich die Bildung. „Eine hohe Bildung war die erste Voraussetzung […]. Außerdem
hatte der Große Mensch Kultur.“ (T 156) Um diese erwünschte Kultur zu erreichen, hat
die DDR ihre Kulturpolitik gegründet. Obwohl die bildungsbürgerlichen Figuren eine
kulturelle Ausbildung erstreben, stehen sie dieser Art von politischer Führung kritisch
gegenüber. Sie fragen sich, was die Kulturpolitik des Staates betrifft, zum Beispiel, „ob
nicht ihre Kulturpolitik, ihr Bild vom lesenden Arbeiter, auf falschen Voraussetzungen
beruhe“. (T 282) Da diese Politik von den Bildungsbürgern in Zweifel gezogen wird,
entsteht im 45. Kapitel, „Die Papierrepublik“ (T 627-642) genannt, eine Diskussion zu
diesem Thema. In diesem Abschnitt kommt die Dialektik zwischen verschiedenen
Meinungen von verschiedenen Personen am deutlichsten hervor. Anhänger von der
Kulturpolitik versuchen die Arbeitsweise der Regierung zu verteidigen und betrachten
es als das ‚gut‟, während die Gegner solche politische Führung für unlogisch und ‚böse‟
halten. Diese kleine Diskussion stärkt aber aufs Neue die allgemeine Opposition
zwischen den Anhängern, die die politische Führung der DDR für selbstverständlich
halten, und den Gegnern, die mit dem Sozialismus uneinig sind und versuchen, eigene
alternative dafür zu formulieren. Tellkamp versucht hier nicht einseitig die Gegner, mit
denen er, biografisch gesehen, sympathisiert zum Fokus zu machen, sondern er gibt
auch den Sozialisten die Möglichkeit, ihre Meinung dazu zu verteidigen. Als Erzähler
versucht er an dieser Stelle also einen neutralen Standpunkt einzunehmen.
Die Kulturpolitik, die zu der ‚allseitig entwickelten sozialistischen Persönlichkeit‟
beitragen muss, ist also auch Teil der Jugendbildung. Von klein auf müssen die
sozialistischen Ideale beigebracht werden und wird die Jugendpolitik als wichtiges
Mittel zur Fortsetzung des Regimes gesehen. Um dieses Ideal zu erreichen, hat die DDR
unterschiedliche Instanzen gegründet, die alle der Jugend förderlich sind. Es gibt zum
Beispiel die Freie Deutsche Jugend (FDJ), um „die heranwachsende Generation zu
47 Sabina Schroeter: Die Sprache der DDR im Spiegel ihrer Literatur. Studien zum DDR-typischen
Wortschatz. Berlin: Walter de Gruyter & Co. 1994, S. 45. 48 Siehe dazu 3.1.1
41
sozialisieren und zu erziehen“49
, die Jugendwerkhöfe, um die widerwilligen
Jugendlichen umzuerziehen und die NVA, um sie im Kollektiv einzuordnen. Anhand
dieses sozialistischen Fokus auf Jugend, war es für Tellkamp nicht so schwierig, auch
die Figur Christians mit solchem Fokus zu versehen. So ist auch der siebzehnjährige
Christian Mitglied der FDJ, tritt er in die Armee und wird er in einem Jugendwerkhof
eingewiesen50
.
3.3.2 Das Kollektiv
Wie ich gerade im vorigen Abschnitt erwähnt habe, ist auch das Kollektiv eine der
wichtigsten Mittel des Regimes. Schroeter hat in Bezug zum Adjektiv ‚kollektiv‟
folgende allgemeine Behauptung gemacht: „Das Arbeiten, Leben und Lernen im
Kollektiv gehört zu den Grundelementen des Sozialismus.“51
Ihrer Meinung nach hat es
aber auch „eine ideologische Komponente, ‚weil das sozialistische K. [= Kollektiv,
H.R.] als Bindeglied zwischen Individuum und Gesellschaft die Entwicklung
sozialistischer Persönlichkeiten maßgeblich beeinflussen soll.‟“52
Vor allem in der
Armee wird betont, dass die Soldaten eigentlich nur ein Teil des Kollektiven sind und
dazu werden sie auch untergeordnet. Schon vor seinem Eintritt in die NVA wird
Christian vor dieser Tatsache ‚gewarnt‟: „Ja zum dreijährigen Ehrendienst in unseren
Streitkräften, mit dem Sie Ihrem Volk ein klein wenig von dem zurückgeben, was es für
Sie leistet. Zumal Sie als Agitator eine Vorbildrolle in ihrem Klassenkollektiv
einnehmen!“ (T 329) Übrigens ist die kollektive Leistung nicht nur in der Armee
primär. Auch im täglichen Leben muss die kollektive Arbeit nachgelebt werden. Dies
bedeutet laut Schroeter, „dass Arbeit nicht allein getan, eine Entscheidung nicht
individuell, sondern im Rahmen einer Gruppe gelöst werden sollen.“53
Diese Aussage
wird von folgendem Zitat aus Der Turm bestätigt: „Er war auch hier, bei der Armee,
Teil eines Großen Plans, einer großen Rechenoperation vom Menschen; auch hier gab
es die Worte Kollektiv (seine Besatzung war ein »Kampfkollektiv«) und
Hauptaufgabe.“ (T 767) Mit dem Wort ‚auch‟ meint die Figur Christian, dass die Armee
keine ganz neue Welt ist. Wenn man die Funktion betrachtet, ist es genauso wie die
Welt außerhalb der NVA. In beiden wird einfach dasselbe von einem DDR-Einwohner
49 Fulbrook: Ein ganz normales Leben. S. 147. 50 Siehe dazu Kapitel 4. dieser Arbeit 51 Schroeter: Die Sprache der DDR im Spiegel ihrer Literatur. S. 69. 52 Ebd. S. 58. 53 Ebd. S. 69.
42
erwartet, nämlich nur funktionieren in Bezug auf das Kollektiv und sich immer
verhalten, wie von ihnen erwartet wird.
3.3.3 Das Volk
Inhaltlich ist die Bedeutung des Kollektiven folgender Analyse des Begriffs ‚Volkes‟
ähnlich. Sprachlich werden die beiden von Tellkamp doch unterschiedlich im Roman
erwähnt. Zum letzten Mal zitiere ich, in Bezug auf die Pfeiler der DDR, Schroeter:
„Volk ist letztlich eine vage, undefinierbare Größe, wie schon Adelung in seinem
Wörterbuch vermerkte, ‚ein Wort, welches überhaupt eine unbestimmte Menge oder
Vielheit, besonders lebendiger Geschöpfe, bedeutet.‟“54
Auch Julia Hell bestätigt mit
einer Aussage über die Demonstrationen 1989 die Allgemeinheit des Begriffes ‚Volk‟.
Zu den Demonstrationen sagt sie: „In 1989, no heads were lost. Instead, a state
dissolved, while its citizens escaped or poured into the streets discovering themselves as
‚the people‟.“55
Nur mit diesen Demonstrationen werden die Menschen zu „Das Volk‟,
einer neuen Instanz. In diesem Moment rufen sie dann auch „Wir sind das Volk“ (T
969, 970) und haben sie den Mut, ihre Meinung zu sagen, ohne Angst zu haben, gestraft
zu werden: „(Volk, im Chor) Freiheit!“ (T 966) Vor diesem Zeitpunkt wurde der DDR-
Bevölkerung den Mund gestopft und hatten sie gar nicht zu sagen. Es war ein Volk ohne
Freiheit. Die DDR sprach an ihrer Stelle.
Die Gesamtheit des Volkes wurde sogar personalisiert und als eine menschliche
Einheit mit einem Körper betrachtet. Alle einzelnen Personen gehören nämlich zum
„Körper des deutschen Volkes“ (T 131). Das Wort ‚Volk‟ bedeutete also die
selbstverständliche Zugehörigkeit zu dem Sozialismus, nicht nur als Individuum,
sondern als Gesamtheit aller verpflichteten Vertreter dieses sozialistischen Staates. Auf
diese Art und Weise wird auch der Ausdruck „Im Namen des Volkes“ (T 169, 821, 883)
mehrmals für öffentlichen Institutionen benutzt, wenn diese eigentlich nur den Staat
betreffen. Ein erstes Mal wird es in Der Turm erwähnt auf einer Urkunde, später in
einem Gericht und letztens wird es ausgesprochen bei einer Verhaftung wegen
Republikflucht. Diese Vorfälle haben eigentlich nichts mit dem Volk zu tun, betreffen
nur einzelne Personen, die auf diese Weise von der Macht des Staates beeinflusst
werden. Am Ende des Romans stellt sich dann heraus, dass das Volk eigentlich nur als
Mittel vom Staat, um die sozialistischen Ideale zu verbreiten, benutzt oder missbraucht
54 Ebd. S. 139. 55 Hell: „Dissolution / Revolution.“
43
wurde. Ein Anhänger des Kommunismus sagt letztendlich, was Sache ist: „Wir haben
eine Wahrheit, wir haben die Wahrheit, merken Sie sich das, und wir werden sie
verteidigen, wenn es sein muß, auch wieder gegen ein Volk!“ (T 943) Wenn die
Wahrheit, die die Kommunisten beibehalten, vom Volk in Zweifel gezogen wird, wird
die Stimme des Volkes nicht gehört, sondern sollte dieses Volk gegen ihre Machthaber
revoltieren. Diese Aussage aus Der Turm beweist aufs Neue die geringe Wichtigkeit des
Volkes für die DDR.
3.4 Armee als Einordnung
3.4.1 ‚Freiwilliger’ Eintritt
1962 wurde die Wehrpflicht für die DDR-Männer festgelegt und mussten sie, laut
diesem Gesetz, normalerweise mindestens 18 Monate in der Nationalen Volksarmee,
der Armee der DDR, dienen. Auch in der Familie Hoffmann sind sie an diesem, wie es
in Der Turm beschrieben wird, „Verpflichtungszirkus“, (T 324) beteiligt. Im Fall
Christians wird die Dienstzeit in seiner Lebensentwicklung von großer Bedeutung sein.
Die Bejahung seines Eintritts wird als Wendepunkt seiner jugendlichen Entwicklung
bezeichnet. Er wird sich diesen Tag, sogar diese Stunde, denn auch sein ganzes Leben
erinnern: „Drei Jahre Nationale Volksarmee. Christian wußte, dass er diese Stunde nicht
vergessen würde, diesen fünfundzwanzigsten April neunzehndreiundachtzig;
vorgestern.“ (T 327)
Er muss seiner Zeit in der Armee auch sozusagen freiwillig dienen. Im vorigen
Satz stellt sich die Diskrepanz zwischen dem Adverb ‚freiwillig‟ und dem Verb
‚müssen‟ heraus. Jetzt werde ich also tiefer eingehen auf diese Widersprüchlichkeit und
darauf, wie sie auch weiter in Der Turm erwähnt wird. Die Schüler, die Tellkamp
präsentiert, wissen, was von ihnen erwartet wird, und dass dieser Eintritt eigentlich alles
andere als freiwillig ist: „Jeder männliche Absolvent unserer Schule verpflichtet sich
zum freiwilligen Ehrendienst in der Nationalen Volksarmee.“ (T 324) Die Art und
Weise, in die Tellkamp die freiwillige Einberufung darstellt, sorgt dafür, dass nur die
staatliche Taktik betont wird. Auch der Staat weiß natürlich selber, dass diese
Freiwilligkeit sehr relativ zu verstehen ist. Dadurch, dass Christian das Arztstudium
anstrebt, wird er drei Jahre dienen müssen, da „insbesondere von Abiturienten, die ein
Studium anstrebten, eine über die normalen 18 Monate Wehrdienst hinausgehende drei-
44
oder vierjährige Verpflichtung […] erwartet“56
wurde. Auch wenn die Studenten sich
scheinbar freiwillig dazu verpflichten, dem Staat zu dienen, enthält die Freiwilligkeit
eine Doppeldeutigkeit. Diese Erwartung wird dann auch von Gesamtdirektor Fahner,
bei dem er sich für den Dienst anmelden muss, aufgegriffen, um den Eintritt als
logischer Schritt ins Leben zu präsentieren. Dieser Direktor sagt zu Christian: „Deshalb
erwarte ich von Ihnen Ihr Ja zum dreijährigen Ehrendienst in unseren Streitkräften, mit
dem Sie Ihrem Volk ein klein wenig von dem zurückgeben, was es für Sie leistet.
Zumal Sie als Agitator eine Vorbildrolle in Ihrem Klassenkollektiv einnehmen.“ (T 329)
Es scheint hier, als ob Fahner mit seiner verbalen Kraft Werbung für die NVA macht
und auf diese Art und Weise Christian in die Armee zu locken versucht. Christian und
Fahner wissen natürlich beide, dass Christian auch ohne die Überredungskraft Fahners
seinen Dienst vollziehen muss, auch wenn es keinen Gegendienst für das Volk gäbe.
3.4.2 Sinn des Soldatseins
Die sechs Auffassungen über den „Sinn des Soldatseins“, die am Anfang sechs
verschiedener Kapitel (39, 44, 47, 50, 55 und 58) erwähnt werden, stimmen mit den
Erzählungen über die Figuren und ihren Erlebnissen in diesen Kapiteln überein. Diese
Übereinstimmungen haben aber einen ironischen Unterton. Die utopische Vorstellung
des Soldatseins ist nicht wirklich so utopisch, sondern vielmehr pessimistisch, wenn
man die wirklichen Erlebnisse der Soldaten, die im Roman beschrieben werden,
betrachtet. Diese Kapitel sind mehr oder weniger immer auf dieselbe Art und Weise
aufgebaut, um die Unterschiede zwischen Utopie und dystopischer Realität akkurat
darzustellen. Als Erstes gibt es immer die Anweisung über das Soldatsein, als eine Art
Einleitung im weiteren Kapitel, gefolgt von Christians Erlebnissen in der Armee.
3.4.2.1 Kapitel 39: eine neue Lebensphase
„Genosse Soldat! Genosse Matrose! Ein neuer Lebensabschnitt liegt vor Ihnen – der
aktive Wehrdienst in der Nationalen Volksarmee. Durch Ihre Arbeit, Ihr Lernen haben
Sie bereits unsere sozialistische Gesellschaft mitgestaltet. Jetzt verwirklichen Sie ein
verfassungsmäßiges Grundrecht als Soldat, erfüllen Sie Ihre Ehrenpflicht, Frieden und
Sozialismus gegen jeden Feind zuverlässig zu schützen“ (T 534)
56 Martin Sabrow: Erinnerungsorte der DDR. München : Beck, 2009. S. 260.
45
Die erste offizielle Anweisung des ‚Sinns des Soldatseins‟ wird am Anfang von
Christians Dienstzeit, als die ersten Tage in der NVA beschrieben werden, aufgegriffen.
Es handelt sich, wie die Anweisung es buchstäblich voraussetzt, tatsächlich um einen
neuen Teil von Christians Leben, der von diesem Moment anfängt. In seinen Briefen
beschreibt er zum Beispiel die neue Umgebung, die neuen ‚Kameraden‟, seine neuen
Aufgaben, sein neues Aussehen,… Er schreibt 12 Briefe in 38 Tagen, um seine
Erfahrungen in dieser neuen Welt ausführlich zu beschreiben und die neue Lebensphase
mit seiner Familie zu teilen. Was er in seinen Briefen mitteilt, stimmt aber nicht mit
dem vorausgesetzten Inhalt des Soldatseins überein. Der enthält nämlich sozialistischen
Pfeiler wie Ehrenpflicht, Frieden und Sozialismus, die alle von den Soldaten angestrebt
werden müssen, aber darüber erzählt Christian nicht.
3.4.2.2 Kapitel 44: Sei Sozialist
„Sich als Sozialist in der Nationalen Volksarmee zu bewähren, als Soldat stets im Sinne
der Arbeiterklasse zu denken und zu handeln, das heißt für Sie nunmehr, sich den
Gesetzen des militärischen Lebens unterzuordnen“ (T 623)
Die zweite Voraussetzung handelt sich um die militärischen Gesetze, die von den
Soldaten nachgelebt werden müssen. Sich diesen Gesetzen unterzuordnen, bedeutet
also, dass sie nur Teil der Soldatengesellschaft sind. Gegenüber den Offizieren dürfen
sie überhaupt keinen Widerstand leisten. Nur auf diese Art und Weise werden sie zu
einem vollwertigen Sozialisten. Obwohl dieses ‚Sozialistwerden‟ für Christian nicht so
wichtig ist, weiß er, dass er nicht aus der Reihe tanzen darf. Genau hier befindet sich der
Unterschied zwischen Utopie und Realität. Die Utopie behauptet, dass, wenn die
Soldaten dem Gesetz gehorsam sind, sie sich auf diese Weise zu einem reinen
Sozialisten entwickeln werden und weiter keine Probleme erfahren werden. Die
Wirklichkeit ist aber nicht so utopisch, wie sie dargestellt wurde. Immerhin darf
Christian keinen Widerstand leisten, auch nicht im Moment, dass er verprügelt und
erniedrigt wird. Sich dem Gesetz aneignen, heißt in diesem Fall vielmehr es im
negativen Sinn zu erleiden. Von den einfachen Soldaten wird erwartet, dass sie nur die
Handlungen und Aussagen der Offiziere bejahen. Damit verschwinden die Probleme
aber nicht. Auch als er sehr überzeugt „Jawohl, Genosse Feldwebel!“ (T 626) sagt, wird
Christians Kopf ins Klo untergetaucht und wird die Spülung gezogen. Das scheint aber
das Schicksal eines Soldaten zu sein.
46
3.4.2.3 Kapitel 47: Teil der Gruppe
„Deshalb dürfen Sie niemals abseits von Ihrer Gruppe, Bedienung oder Besatzung
stehen. Nur im Kreise der Genossen können Sie sich als sozialistische
Soldatenpersönlichkeit entwickeln und bewähren“ (T 648)
Die nächste Priorität der Armee ist die Gruppe und die Rolle der Genossen in der
Entwicklung zu einem wahren Sozialisten. Die Gruppe, in der das Individuum sich
befindet, soll dazu beitragen, die Entwicklung als Sozialist zu vollziehen. Aufs Neue
werden die tatsächlichen Erlebnisse hier nicht in Bezug zum Sozialismus beschrieben,
sondern nur in Bezug zur Gruppe. Es gibt Beschreibungen von ihrer Freiheit und was
sie als Gruppe darin machen, um sich zu stärken: Sie singen, saufen und machen Spaß.
In diesem Abschnitt wird aber auch erwähnt, wie einem Soldaten, Jan Burre, ein Freund
Christians, gequält wird, „weil einer zum Quälen da sein musste.“ (T 648) Dadurch,
dass Tellkamp die Quälerei in diesem Kapitel aufgreift, sorgt dafür, dass die erwünschte
Entwicklung des Soldaten sich immer schwieriger vollziehen wird. Die Erniedrigung
hat nämlich einen negativen Effekt auf die Entwicklung als sozialistischen Soldaten.
Auch werden andere negative Aspekte mit der Gruppe verbunden. So entdeckte
Christian, dass „es ein Spaß sein konnte, wenn jemand verprügelt wurde“. (T 649) Der
Einfluss der Gruppe, die mit ihrem Lachen zu dieser Erniedrigung bestätigend wirkt, hat
für die Entwicklung aber eine verunsichernde Wirkung.
3.4.2.4 Kapitel 50: Gemeinsames Ziel
„Klassengenosse – befiehl! Klassengenosse – führ aus! Gleicher Willen. Gemeinsames
Ziel. So wird Vertrauen daraus“ (T 687)
Mit der Gruppe, die im vorigen Abschnitt besprochen wurde, hängt auch das Gefühl
von Vertrauen zusammen. Das Vertrauen, das hier aber gemeint und gewünscht wird,
ist dasjenige gegenüber den Offizieren, wenn die Soldaten ihre Befehle ausführen, weil
sie dasselbe Ziel haben. In den Erlebnissen in diesem Kapitel wird aber vielmehr das
gegenseitige Vertrauen zwischen den Soldaten, als Zeichen der Freundschaft, betont. So
erzählt Burre Christian einige Geheimnisse, er hat zum Beispiel keine Mutter mehr, und
teilt er mit ihm seine Probleme und Sorgen. Obwohl Burre sagt, dass er „keine Hilfe
braucht“ (T 700), bestätigt Christians Besorgnis und seine Frage („kann ich irgendwas
für dich machen“ (T 700)) die Freundschaft. Ihr gemeinsames Ziel scheint das
47
Durchkommen der Armeezeit zu sein, dadurch, dass sie einander vertrauen und sich an
der Freundschaft festklammern.
3.4.2.5 Kapitel 55: Unvergessliche Erlebnisse
„Die Waffenbrüderschaft wird Ihnen unvergeßliche Erlebnisse schaffen“ (T 752)
Was in Der Turm als fünfte Erwartung der Armee dargestellt wird, sind die
unvergesslichen Erlebnisse, die man dort scheinbar erleben wird. Natürlich sind diese
im positiven Sinn aufzufassen. Das Gruppengefühl, die Freundschaft, der Frieden und
Sozialismus müssen alle dafür sorgen, dass die Armeezeit nie vergessen wird. Im Fall
Christians wird er seine Dienstzeit sicher nicht vergessen. Seine Erinnerungen an die
Armee werden aber wider Erwarten vor allem negativ betont sein. Wenn Christian als
Fahrer in einer Nacht die Verantwortung über einen Panzer bekommt, läuft alles schief.
Diese Szene wird dann haargenau beschrieben, und damit wird betont, wie peinlich
dieser Vorfall für Christian ist. Schritt für Schritt erfahren wir als Leser zusammen mit
Christian die schmerzhafte Entwicklung bis zum dramatischen Ablauf. Im vorigen
Armee-Abschnitt wurde die Art und Weise, in der Christian Burres Vertrauen gewann,
sowie die Tatsache, dass damit eine Freundschaft entstand, beschrieben. Im 55. Kapitel
ist Jan Burre in einem Unfall mit einem Panzer, für den Christian verantwortlich war,
gestorben, und kann Christian nichts mehr für seinen Freund tun. Er wird diese
Konfrontation mit dem Tod sicher nie vergessen und daher kann auch der Verlust eines
Freundes, im negativen Sinn, als unvergessliches Erlebnis betrachtet werden.
3.4.2.6 Kapitel 58: Rolle der Frau
„Die Frau oder das Mädchen, das Sie lieben, werden Sie in alle diese Überlegungen,
Wünsche und Träume einbeziehen. Sie werden ihr schreiben und Post von ihr erhalten.
Durch ihre Liebe wird sie Ihnen helfen, die hohen militärischen Forderungen zu erfüllen
und alle Anstrengungen zu meistern“ (T 782)
Der letzte Aspekt der Armee, der nachdrücklich zusammen mit Christians Erlebnissen
genannt wird, betrifft die Frau. Auch in seinem Leben ist eine Frau, meistens in
Gedanken, ständig anwesend. Reina, eine Mitschülerin, ist das Mädchen, das er als
seine erste Liebe betrachtet. „Das sollte die erste Liebe sein? […] Reina seine Julia, und
er ein außer Rand und Band geratener Romeo?“ (T 487). Dadurch, dass er diese
Feststellungen als Frage präsentiert, kündigt schon an, dass er noch immer an seinen
48
Gefühlen zweifelt. Im 58. Kapitel wird dieser Zweifel, nach einem Treffen mit seiner so
genannten ersten Geliebten, bestätigt und stellt sich heraus, dass sie eigentlich nicht
zueinander gehören. Dieses Treffen in seiner Situation als Soldat war keine gute Idee
und schon schnell sieht er ein, dass „es ein Fehler gewesen war, Reina zu treffen“. (T
785) Das wird aber auch von den Gesprächen, die sie führen, bestätigt. Sie reden fast
nicht übereinander, sondern meistens über andere Personen, die sie beide kennen. Sie
scheinen sich nicht füreinander zu interessieren und das Gespräch verläuft sehr
mühsam. Bei Christian spielen die Liebe, und vielmehr die Gedanken daran, während er
sich in der Armee befindet, eine große Rolle. Dessen ungeachtet läuft es schief und wird
ein letztes Mal die Opposition zwischen Utopie und harte Realität betont.
Merkwürdigerweise hat hier aber nicht die Armee für das Scheitern der Liebe gesorgt.
Von der NVA wird die Frau herausgestrichen, aber Christian selber hat dafür gesorgt,
dass er auch von der Liebe nicht geholfen wird, um ‚die hohen militärischen
Forderungen zu erfüllen‟.
49
4. Die Figur Christians: entgegengearbeitete Entwicklung
In den ersten drei Teilen meiner Arbeit wurde die Art und Weise, in der die DDR
anhand ihres Systems und der dazu gehörenden Beschränkungen die die freie
Entwicklung der Figuren verhinderte, behandelt. Jetzt werde ich, anhand Christians
Adoleszenz und Tellkamps Erzählweise, zu analysieren versuchen, dass eine
individuelle Persönlichkeitsentwicklung fortwährend möglich ist und gemacht wird.
Obwohl der Sozialismus vermeiden will, dass seine verpflichtete Vertreter sich
individuell Entwickeln, gelingt es Christian, seine eigene Persönlichkeit nach vielen
Problemen zu bilden. Obwohl er sie meistens nicht selber im Griff hat, kommt die
Hauptfigur während der Geschichte von einer Schwierigkeit in die andere. Weil
Christian ständig vom Staat widersetzt wird, muss er für die Konstruktion seines Ichs
als individuelle und selbstständige Person immer mit der gleichzeitigen Dekonstruktion
seines Ichs, herbeigeführt von der DDR, rechnen.
4.1 Von einem Extrem ins andere
4.1.1 Immer weiter bergab
Vom Anfang der Geschichte an können wir als Leser nicht voraussehen, wie das Leben
der Figur Christian sich entwickeln wird. Schritt für Schritt, mit dem langsamen Tempo
der Erzählung, befindet diese Hauptgestalt sich in einer immer schlimmer werdenden
Situation. Gewalt, psychologische Erniedrigung, Strafen und Gefangenschaft sind allen
Sachen, die Christian ertragen muss. Seine Situation, die ich jetzt anhand der
wichtigsten Wendepunkte analysieren werde, entwickelt sich nur im negativen Sinn und
sein Leben scheint sich nur immer bergab fortzubewegen. In manchen Rezensionen gibt
es kurze Beschreibungen, die vielmehr eine Zusammenfassung der Geschichte sind,
aber schon ein erstes Bild von Christians Evolution darstellen. Ein schönes Beispiel
wird in einer Rezension von Elmar Krekeler für Welt Online geäußert:
Der anfangs unsichere und reichlich unsympathische, großmannsüchtige Eliteinternatsschüler
versucht sich zu wehren, das Erbe zu bewahren, zu nutzen, fährt dann durch die apokalyptischen
Landschaften des Braunkohletagebaus und die lebensfeindliche Hölle einer Karbid-Fabrik, fährt
ein ins so genannte U-Boot, durch mehrere Sprachverluste in eine lichtlose Einzelzelle, in der er
sich endlich im Zentrum des Systems angekommen und bei sich fühlt, ganz unten, zum Niemand
zerschrotet.57
57 Elmar Krekeler: “Bei Uwe Tellkamp ticken die Uhren der DDR noch.” In Die Welt Literatur, 13
September 2008. <http://www.welt.de/kultur/article2438531/Bei-Uwe-Tellkamp-ticken-die-Uhren-der-
DDR-noch.html> (16.06.2011)
50
Diese Zusammenfassung ist schon eine gute Einführung im Lebenslauf Christians, als
eine Art Fahrt mit dem Zug.58
Solche Rezensionen sind aber sehr subjektiv geschrieben.
In dieser zum Beispiel wird Christian von Krekeler am Anfang beschrieben als
‚reichlich unsympathisch‟. Meiner Meinung nach ist es eine übertriebene Beschreibung
und ist die unsympathische Haltung nur eine Folge seiner Schüchternheit. Ich werde
aber diese Zusammenfassung der so genannten Fahrt jetzt detaillierter analysieren, um
einen tieferen Einblick in die Entwicklung Christians zu bekommen.
Wenn auch ich erstens die wichtigsten Schritte in der Entwicklung Christians
darstelle, wird sich schon schnell herausstellen, dass die Erwartungen, die er am Anfang
der Geschichte hat, sich schwer und sogar fast unmöglich zu einem guten Abschluss
bringen werden. Am Anfang des Romans wird er als der unsichere, siebzehnjährige
Junge, dessen Traum die Zulassung zum Arztstudium ist, präsentiert. Um dies zu
erreichen, muss er aber eine verpflichtete Zeit in der Armee dienen. Nachdem er sich
angemeldet hat (26. Kapitel), muss er zuerst im Sommer 1984 ins Wehrlager fahren, um
dort seine Dienstzeit vorzubereiten. Hier findet schon die erste, für den Leser
unerwartete, Konfrontation mit der Gewalt statt, und wird auch die Freundschaft
getestet, dadurch, dass er seinen Freund Siegbert, weil er einen Frosch misshandelt hat,
ins Bein sticht (T 444). Auch spürt er in dieser Zeit den weiteren Druck der DDR, als er
ein Buch, das mit der Hitlerdiktatur zu tun hat, liest. Dafür muss er normalerweise
gestraft werden, aber dank Anwalt Sperber kann er, vorläufig, an der Strafe
vorbeikommen. Als Christian sich tatsächlich in der Armee befindet (T 534), fangen die
wirkliche Probleme an. Jetzt gibt es keine Möglichkeit mehr, wenn die Soldaten etwas
falsch machen, an einer Strafe vorbeizukommen. „Wegen Öffentlicher Herabwürdigung
der Öffentlichen Ordnung“ wurde Christian dann auch „zu einer Strafe von zwölf
Monaten Strafarrest“ (T 821) verurteilt. Der Tiefpunkt seiner Krisen ist aber nicht die
Gefangenschaft, sondern die Tatsache, dass ihm sein Medizinstudium entnommen wird.
Die Utopie und Realität sind einander hier also aufs Neue entgegengesetzt. Je
weiter die Geschichte sich entwickelt, je weiter Christian sich von seinem Traum, sich
zu einem erfolgreichen Arzt zu entwickeln, befindet. Im Traum kann nämlich dasjenige
überwunden werden, was in der realen Welt unmöglich ist. Man kann also am Ende eine
deutliche Evolution feststellen, wie Christians Zukunftsbild während der Geschichte
unter der harten Realität gelitten hat. Letztendlich kann man feststellen, dass es umsonst
58 Siehe dazu 2.2.2
51
wäre, sich in der DDR große individuelle Zukunftspläne vor Augen zu halten. Auch
wenn Christian teils selber dafür gesorgt hat, dass er nicht mehr zum Medizinstudium
zugelassen wurde, ist der Widerstand des Systems gegen die freie Entwicklung des
Individuums doch immer für das Scheitern der Jugendträume mitverantwortlich. So
kommt er ins Gefängnis, nicht weil er teils für den Tod eines Mitsoldaten verantwortlich
ist, sondern weil er den Staat beschimpft hat:
„Das Problem ist nicht, was Sie getan haben, sondern was Sie gesagt haben. Sie haben Vertrauen
verletzt. Es geht hier nicht um den Tod des Genossen Unteroffizier Burre, der ist natürlich bedauerlich. […] Sie haben Bemerkungen gemacht. Sie haben uns verleumdet. Haben öffentlich
unseren Staat angegriffen!“ (T 798)
Als die Probleme für Christian letztendlich zu groß geworden sind, äußert er in die
Öffentlichkeit seine persönliche Meinung in Bezug auf die DDR. Ohne weiter
nachzudenken kritisiert er den Staat. Die Worte, „So was ist nur in diesem Scheißstaat
möglich“ (T 799), wiegen in der idealistischen DDR scheinbar schwerer als der Tod
eines Soldaten, sogar eines Unteroffiziers. So ist es nicht seine Verantwortung über den
Panzer die ihn ins Gefängnis getrieben hat, sondern seinem Zornesausbruch gegenüber
den Verteidigern des Staates, die Christian, wegen der Unterdrückung, soweit getrieben
haben. Nicht die rein menschlichen Fehler werden also bestraft, sondern die Meinungen,
die diese Menschen haben und die nicht an den Meinungen des Systems anschließen.
Der Fehler Christians, der Burres Tod verursachte, wird von der DDR betrachtet, als
wäre es ein maschineller Fehler, der in den Augen des Staates nur ‚bedauerlich‟ ist. Das
ist vielleicht der beste Beweis, dass es mit Christian immer weiter bergab gegangen ist.
Am Anfang hatte er noch die Möglichkeit zu träumen, im Gefängnis wurde er behandelt
als Teil der Maschine, der nichts sagen darf, sondern nur nach dem Gesetz richtig
handeln musste.
4.1.2 Radikaler Umschlag
Ganz am Anfang der Geschichte kehrt Christian für eine Weile aus der Armee nach
Hause zurück. Er ist ein schüchterner Junge, ist träumerisch und den Mädchen versucht
er mit seiner Belesenheit zu imponieren. Die Welt scheint sich ruhig um ihn herum
fortzubewegen. Ganz am Ende des Romans, nach einer anhaltenden Aufeinanderfolge
von Wendepunkten, ist er nur noch ein ausdienender Dienstpflichtiger der NVA. Aber
dann, an diesem Ende, sogar auf der letzten Seite des Romans, findet ein radikaler
Umschlag statt. Mit dem Mauerfall scheint nur noch die Glück-Stimmung die
Geschichte zu dominieren, und scheint alles, was sich vorher in seinem Leben passiert
52
hatte, vergessen zu sein. Nur in einer Seite scheint die vergangene Geschichte, in der
Christian eine ganze Menge Probleme empfunden hat, ganz unwichtig geworden zu sein
und sind diese Erlebnisse, im Vergleich zu der Wichtigkeit des Mauerfalls, umsonst.
Letztendlich hat sich dasjenige, was die Figuren die ganze Zeit erwünschten, vollzogen
und dreht sich die Geschichte nur noch um die erworbene Freiheit. Es muss aufs Neue
gesagt werden, dass mit dem Schlagen der Uhren im allerletzten Satz des Romans, der
Stillstand der Geschichte aufgehoben wird.
Mit schon 972 von den 973 Seiten hinter sich, bekommt der Leser den Eindruck,
dass die wichtigsten Erlebnisse der Geschichte schon erzählt wurden. Doch wird die
Erzählung noch zu einem Höhepunkt kommen. Nachdem Christian seinen äußersten
Tiefpunkt in der Armee erlebt hat, ist es jetzt Zeit für den äußersten Höhepunkt. Mit
einem trockenen „Tschüß“ (T 970) verabschiedet er sich von Pfannkuchen und der
Armee. Nach allem, was er in der Armee erlebt hat, wird man glauben, dass seine
Reaktion auf die Entlassung irgendwie emotionaler sein würde. Er will diese Zeit
wahrscheinlich so schnell wie möglich vergessen und danach mit einem neuen
Abschnitt in seinem Leben anfangen. Er hat sich verabschiedet, aber der Höhepunkt der
Geschichte muss noch erreicht werden. Nur einige Momente, nachdem er aus der
Armee entlassen wurde, findet die extreme Klimax, die auch Christians weiteres Leben
bedingen wird, statt. Wenn sie als Leser wissen, dass der Roman sich um die letzten
sieben Jahre vor dem Mauerfall handelt, erwartet man einen Aufbau zu diesem
historisch wichtigen Zeitpunkt. Der Fall kam aber ganz unerwartet, auch für die Figuren
in Der Turm, und wird in der Geschichte dann auch nur kurz und in einem Satz, dem
Schlusssatz, zusammengefasst. Tellkamp benutzt dafür also keine ausführliche
Beschreibung, wie er im Gegenteil in den übrigen Teilen macht. Beschreibungen der
Bilder, wie Bürger durch die Mauer krochen, bedürfen wir, weil die Wende für sich
spricht, nicht. Der Mauerfall brauchte keine ausführlichen Worte, da jedermann wusste,
dass die Freiheit letztendlich erreicht wurde. Dadurch, dass Tellkamp es nur am
äußersten Ende erwähnt, gelingt es ihm, die Wichtigkeit dieses Ereignisses als
Glanznummer der Geschichte zu betonen.
4.2 Dekonstruktion von Christians Ich
4.2.1 Wendepunkte als Leitfaden
In Christians Leben gibt es, in Bezug auf seine Persönlichkeit, eine Aufeinanderfolge
von wichtigen Wendepunkten. Von einem heimkehrenden Schüler aus dem Internat bis
53
zum Mauerfall macht er eine individuelle Evolution durch. Fünf bestimmte Erlebnisse,
die alle aber negativ zu bezeichnen sind, betrachte ich als ausschlaggebend für die
Dekonstruktion seines Ichs, das auch vom System erwirkt wird. Auch hier handelt es
sich eigentlich um einen Aufbau zu einem Höhepunkt, an dem Christian final
zusammenbricht und die Situation demzufolge psychologisch und körperlich nicht mehr
ertragen kann. In der DDR-Literatur ist die Evolution, die auch Christian erlebt, kein
seltsames Thema. Karsten Dümmel hat in seiner Studie zu Identitätsprobleme in der
DDR-Literatur geschrieben: „Je mehr ein Individuum in die Komplexität und damit
auch in die Widersprüchlichkeit der Welt und der eigenen Beziehungen zu ihr eindringt,
desto mehr krisenhafte Situationen muß es bestehen.“59
Dümmels Arbeit und Zitat ist
für meine eigene Arbeit relevant, weil er auch Texte, die von unterschiedlichen sozialen
Gruppen handeln, untersucht, genauso wie ich teils mit Der Turm tue. Dadurch, dass
Christian in die Armee tritt, tritt er zugleich auch in eine für ihn widersprüchliche Welt
und erlebt er immer mehr und größer werdenden Krisen.
Der erste Wendepunkt, von dem in Der Turm erzählt wird, umfasst eigentlich ein
ganzes Kapitel. Im 26. Kapitel wird beschrieben, wie Christian sich für seine Dienstzeit
bei Gesamtdirektor Fahner anmeldet60
. Von diesem Moment an fangen die Probleme
eigentlich an. Gerade bei der Anmeldung sieht Christian aber nur die positive Seite der
Sache:
Jedem geistig Tätigen tue es gut, einmal für längere Zeit mit einfachen Menschen
zusammenzuleben und sie dadurch besser kennenzulernen, gerade dann, wenn man Medizin
studieren wolle, seien die so gewonnenen Kenntnisse außerordentlich wertvoll, denn wie wolle
man Menschen ein guter Arzt sein, wenn man ihnen mit Standesdünkel, mit Distanz oder mit Herablassung begegne. (T 331)
Die Anmeldung steht also völlig im Zeichen seines Arztstudiums und die Armee wird
nur als Übergansphase, um dieses Studium zu erreichen, gesehen. Später wird dieses
Erstreben aber weniger wichtig und wird das Überleben das wichtigste Ziel seiner
Dienstzeit, vor allem wenn er das Studium letztendlich verloren hat.
Schon in der Vorbereitung auf seine Dienstzeit bekommen wir ein Bild von
Christian, das nicht mit der Vergangenheit der vorigen 25 Kapitel übereinstimmt. Der
vorher ruhige und schüchterne Junge ändert sich jetzt in einen Gewalttäter, der die
physische Gewalt statt der verbalen bevorzugt. Die Szene aber, in der er Siegbert ins
Bein sticht, wird im Roman sehr eigenartig beschrieben. In dieser Szene scheint auch
59 Karsten Dümmel: Identitätsprobleme in der DDR-Literatur der siebziger und achtziger Jahre.
Frankfurt am Main: Peter Lang, 1997, S. 25. 60 Siehe dazu 3.4.1
54
die Freundschaft eine besondere Rolle zu spielen, aber derjenige, der sich nicht um die
Freundschaft kümmert, ist Christian. Siegbert, das Opfer, verteidigt ihn, trotz seiner
Gewalttat: „Christian hat damit … gar nichts zu tun. Er wollte mir helfen. Ich bin blöd
gefallen … genau in was Spitzes rein.“ (T 445) Damit will er Christian, der trotzdem
auch sein Freund bleibt, vor einer Strafe behüten. Auch Falk, ein anderer Mitsoldat, hilft
Christan, indem er das Messer vergräbt, sodass die Offiziere es nicht finden können.
Später wird dieser Vorfall nur umschrieben als ‚Unfall‟ und hat die Freundschaft
gesiegt. Diese Szene, in der wir eine andere Seite Christians sehen, scheint aber schnell
vergessen zu sein. Sie ist aber signifikant für Christians Änderung, die mit seiner
Anmeldung in Gang gebracht wurde.
Der dritte Wendepunkt hat aufs Neue mehr oder weniger mit dem Thema der
Freundschaft zu tun. Jetzt ist Christian aber nicht gewalttätig, sondern ist er, obwohl ihn
keine Schuld trifft und er nur ausführt, was von ihm erwartet wird, an dem Tod eines
Freundes (Jan Burre) beteiligt: „Mein Fahrer ist bei einer Übung verunglückt und im
Lazarett gestorben. Ich habe eine Dummheit gemacht, meinen Kompaniechef
angegriffen.“ (T 777f.) In dieser Szene handelt es sich, im Gegensatz zur Szene mit
Siegbert, um einen wirklichen Unfall und haben die Ereignisse schwerere Folgen: Der
Freund ist gestorben und Christian hat in derselben Szene seinen Kompaniechef
angegriffen, was zugleich einen Angriff auf den Staat bedeutet. Diese beiden Vorfälle,
der Tod und der Angriff, werden die nächsten Jahre seines militärischen Lebens sowohl
psychisch als auch physisch beeinflussen. Für Christian ist der Tod, für den er sich doch
mitverantwortlich fühlt, psychologisch schwer zu ertragen. Der Staat hat den Tod eines
Genossen aber schnell vergessen und will Christian nur für den Angriff auf den Chef
psychologisch und körperlich strafen. Bei der Gewalttat an Siegbert konnte er der Strafe
noch entgehen, jetzt wird es ihm nicht mehr gelingen.
Als Christian sich in seiner Zelle, in der er seine Strafe verbüßen muss, befindet,
geschieht letztendlich, was der Staat von ihm erwartet und wofür er eigentlich der
Armee dient. Er kommt zum vollen Einverständnis mit dem System und dessen
Wirkung und lässt den bisherigen Widerstand hinter sich:
Der Widerstand, den Christian lange in sich gespürt hatte – gegen die Gesellschaft, den
Sozialismus, wie er ihn erlebte und sah -, schwand, wich einem Gefühl des Einverständnisses mit
allem. Es war richtig, daß er hier war. Er war ein Gegner der Armee und des Systems, und deshalb
wurde er bestraft. […] Hier, an diesem Ort, dem von Braunkohletagebauen und vergifteten Flüssen
zerfressenen Chemie-Reich, war er richtig, hier war sein Platz. (T 840)
55
Der Staat hat also erreicht, was er erreichen wollte, nämlich Einverständnis mit dem
System. Christian ist in diesem Moment psychisch ganz gebrochen und nicht mehr
imstande, rational zu denken. Julia Hell beschreibt in ihrem Essay diese Szene als „the
moment when he is ready to give up all resistance, as becoming one with the rotten,
poisoned territory of the GDR‟s ‚chemical empire‟ that surrounds him“61
. Das Ziel, alle
Individuen ins Kollektiv einzuordnen, scheint sich bei Christian vollzogen zu haben.
Vom Standpunkt der DDR aus kann man also sagen: ‚mission accomplished‟. Auch
Andrea Geier behandelt in ihrer Rezension zu Der Turm diese Szene als
ausschlaggebend. Sie analysiert die Übergabe an das System wie folgt: „Diese
eigentlich perverse Identifizierung des Opfers mit der Weltsicht seiner Peiniger bildet
einen Umschlagpunkt, der sich bei anderen Figuren weniger offensichtlich vollzieht.“62
Sie hat Recht, wenn sie sagt, dass es eigentlich nur Christian ist, der sich mit dem
System abfindet.
Als letzter Wendepunkt in Christians krisenhaftem Leben, kurz bevor die Mauer
fallen wird, ist die Szene, in der seine Mutter verprügelt wird, zu bezeichnen. Hier wird
Anne vor den Augen ihres Sohns von Polizisten öffentlich geschlagen: „Der Polizist
hob den Stock und schlug zu. Einmal, zweimal. Anne fiel. Der Polizist bückte sich und
prügelte weiter. […] Christian sah seine Mutter, die am Boden lag und von einem
Polizisten getreten, geprügelt wurde.“ (T 961) Er stand dieser Gewalt machtlos
gegenüber und konnte nichts tun, nur die Situation ertragen. Er befindet sich nämlich
nach wie vor in der Armee und muss sich auch dazu verhalten und sich selber
bezwingen. Eine Reaktion, wobei er seiner Mutter helfen will, soll von der DDR nicht
akzeptiert werden. Es scheint aber der allerletzte Test seines Ichs zu sein. Zum letzten
Mal wird er psychologisch gebrochen, aber auch körperlich scheint er die Schmerzen
seiner Mutter zu fühlen: „Christian schrie […] und heulte und strampelte mit den
Beinen und urinierte vor Ohnmacht […] Christian schluchzte, Christian wollte tot sein.“
(T 962) Er will nicht wissen, wie weit die Polizisten die Schläge durchgeführt hätten
und fürchtet, seine Mutter sei tot. Aber am Ende, als alles sich gleichermaßen im
positiven Sinne entwickelt hat, gibt es auch eine Beschreibung von Anne, die am Leben
ist: „Anne, das Gesicht noch zerschlagen, die Handgelenke von Knüppelhieben
61 Hell: „Dissolution / Revolution.“ 62 Andrea Geier: „Die Welt der 1000 Dinge. Uwe Tellkamp erzählt von den Türme(r)n und Toren
Dresdens.“ In: Literaturkritik, 10. Oktober 2010.
<http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=12380> (16.06.2011)
56
geschwollen, nahm eine Kerze.“ (T 966) Mit dieser Szene aber enden die Krisen
Christians und ist es Zeit für die geschichtliche Wende, den Mauerfall.
4.2.2 Armee zum Brechen des Individuums
Fünf der sieben erzählten Lebensjahre Christians spielen sich in der Armee ab. Das
wichtigste Ziel der NVA ist die Widerspenstigkeit bei den Soldaten zu unterdrücken
und sie im Kollektiv einzuordnen anhand einer erniedrigenden Einverleibung. Auch
Christian wird dazu zum Äußersten getrieben. Er wird herabwürdigt und gebrochen,
kommt, als er sich im Arrest befindet, im so genannten inneren Raum des totalitären
Regimes an:
Die Idee, daß er nun im Innersten des Systems angekommen sein mußte, ließ Christian eine lange
Zeit in der noch längeren Dunkelheit der Zelle nicht los. Er war in der DDR, die hatte befestigte
Grenzen und eine Mauer. Er war bei der Nationalen Volksarmee, die hatte Kasernenmauern und
Kontrolldurchlässe. Er war Insasse der Militärstrafvollzugsanstalt Schwedt, hinter einer Mauer und
Stacheldraht. Und in der Militärstrafvollzugsanstalt Schwedt hockte er im U-Boot, hinter Mauern ohne Fenster. (T 827)
In diesem Moment realisiert er, dass er nicht tiefer fallen kann. Die Zelle, in der er
hockt, hat keine Fenster und dient nur dazu, die innere Widerspenstigkeit des
Individuums zu brechen. Das so genannte U-Boot, offiziell ‚Arrest‟ genannt, ist das
Symbol für die Arbeitsweise der DDR und inwieweit sie ihr Regime führen kann. Wenn
Christian hier ankommt, gibt es aus dieser Situation nur einen Ausweg: Überleben. „Er
mußte, dachte Christian, er selbst sein. Er mußte nackt sein, das bare, blanke Ich, und er
dachte, daß nun die großen Erkenntnisse und Einsichten kommen müssten, von denen er
in der Schule und zu Hause geträumt hatte.“ (T 827) Diese Konfrontation mit dem
Leben an sich wird auch von Anne Fuchs in ihrer Analyse vom Verfall in Der Turm
erwähnt. In Bezug zur Christians ‚nackten‟ Person stellt sie Folgendes fest: „Die
Erfahrung des Selbst […] innerhalb eines Camp-Systems zerstört endgültig die
restaurative Macht der Nostalgie, mit der Christian als Türmer aufgewachsen war.“63
Auch kann er sich dann folgende Frage stellen: „Was half all das Lernen, Wissen,
Betrachten und Nachdenken, wenn man auf archaisches Überleben zurückgeworfen
wird?“64
Alles was vorher stattgefunden hat, scheint umsonst gewesen. Da seine Krise
eigentlich nicht größer werden kann, sieht Christian letztendlich keinen Ausweg mehr.
Tiefer wird er nicht fallen.
63 Anne Fuchs: „Topographien des System-Verfalls.“ S. 56. 64 Lothar Struck: “Opulenz und Strenge.“ In: Glanz und Elend. Magazin für Literatur und Zeitkritik.
<http://www.glanzundelend.de/Artikel/tellkamp.htm> (16.06.2011)
57
4.2.3 Verlust der Identität
4.2.3.1 Christians Namensgebung
Auch bei der Art und Weise, in der Christian anhand seines Namens eine Identität
bekommt, ist eine Evolution zu einem ‚Niemand‟ festzustellen. Diese Entwicklung setzt
sich im Roman vor allem durch, wenn die Figur sich in der Armee befindet.
Vor diesem Zeitpunkt heißt er einfach Christian und wird er von den anderen
Figuren auch mit seinem Vornamen benannt. In dieser Zeit hat er also fortwährend seine
Identität, die er von seinen Eltern mit seiner Geburt bekommen hat. Die Entwicklung als
‚Christian‟, Einwohner von Dresden und Sohn von Richard und Anne, ist bis die
Anmeldung für die Armee einzig in ihrer Art. Es gibt nur ein Individuum, das sich so
benimmt. In der Armee aber fängt der Namenwechsel der Figuren an und wirkt der
Verlust des persönlichen Namens zusammen mit dem Verlust der Identität.
Schon in den ersten Beschreibungen von Christians Armeezeit gibt es eine
Umschreibung von einer bestimmten Art Person, deren Merkmale auch Christian
identisch sind. Es handelt sich hier um eine Gruppe von Personen, die von den
Machthabern geringschätzig den Namen ‚Brille‟ bekommen:
‚Die Brille glaubt, was Besseres zu sein‟ […]. Fisch (so nennen wir unseren Zugführer, eine
Genosse Oberstleutnant) schleift ‚Brillen‟ gern abends privat nach der Aktuellen Kamera auf der
Sturmbahn. Übrigens trägt er selber eine Brille, was mich immer wieder irritiert. (T 553)
Hier hat Christian das Wort und schreibt er die Brille-Erfahrung in einem Brief an
seinem Onkel. Er sagt aber dasjenige, was die Offiziere denken und wie sie die Soldaten
spöttisch betrachten, auch wenn sie selber eine Brille tragen. Die Beschreibung enthält
aber die Eigenschaften, die auch Christan besitzt und mit denen man in der Armee
überhaupt nicht verbunden werden will. Der schlagende Vergleich mit Christan und der
‚Brille‟ wird in dieser Hinsicht gezogen, dass sie beide gerne lesen. Daher „es nicht
ratsam ist, allzu oft mit einem Buch in der Hand gesehen zu werden“ (T 553), ist seine
bevorstehende Zeit in der Armee hier nicht so hoffnungsvoll. Sogar für eine Gruppe,
deren Mitglieder nur gerne lesen, hat man in der Armee einen Sammelnamen, der das
Kollektivum bezeichnet. Schon hier wird betont, dass man in der NVA nicht als reines
Individuum funktionieren kann und darf. Immer wird man einem größeren Kollektiv
zugeteilt, auch wenn es eine Gruppe ist, die man in der Armee nicht haben will. Mit
dieser Einordnung in allgemeinen Gesamtgruppen versuchen die Offiziere, die
Einzigartigkeit zu beschränken.
58
Auch die verschiedenen Sorten von Soldaten, zum Beispiel eingeteilt nach
Dienstzeit oder Rang, bekommen einen Gesamtnamen. Es gibt zum Beispiel das
Sammelwort ‚Ohrli‟, das auch Christian als Name bekommt. Ob dieser Begriff nach
Alter oder Rang eingeteilt wurde, können wir als Leser nicht genau wissen. Obwohl die
Bedeutung dieses Begriffs in der Geschichte nicht buchstäblich erwähnt wird, wird doch
auf eine wahrscheinliche Bedeutung hingewiesen. Es wird einige Male in bestimmten
Situationen aufgegriffen, so auch von Stabsoberfähnrich Emmerich, der über Christian
Folgendes sagt: „Du bist ein Ohrli im Zweiten Diensthalbjahr, und Ohrlis fahren
eigentlich nicht auf Urlaub.“ (T 596) Was ein Ohrli wirklich ist, wissen wir nie, aber der
Leser kann sich denken, dass es nicht so sehr mit Alter, sondern mit Erfahrung zu tun
hat. Wahrscheinlich sind diese Soldaten unerfahren und können sie sich dadurch wenig
erlauben. Übrigens scheint es eine Beschimpfung zu sein, die von Offizieren mit einem
hohen Rang geäußert wird. Christian ist in ihren Augen nicht länger Christian. Er ist
eine ‚Brille‟, ein ‚Ohrli‟.
Neben diesen zwei Benennungen bekommt Christian auch noch den Namen
‚Nemo‟. Obwohl wir als Leser wissen, dass es sich hier tatsächlich um die Figur
Christians handelt, wird er von den Machthabern der DDR vernachlässigt und
entnehmen sie ihm seinen Namen und damit auch seine Identität: „Du bist Niemand.
Also Nemo. Ab jetzt heißt du Nemo.“ (T 651) Wenn Christian sich später in der
dunkelsten Zelle befindet, und er eigentlich nicht mehr zu dieser Welt gehört, betrachtet
er sich in einer Selbstreflexion als ‚Niemand‟: „Jetzt, dachte Christian, bin ich wirklich
Nemo. Niemand.“ (T 827) Der Unterschied zwischen dem Machthaber und Christian ist
aber, dass der Machthaber Christian als Nemo betrachtet und ihm auch diesen Namen
gibt. Tellkamp aber schreibt auf Seite 827: ‚dachte Christian‟. Damit behauptet er, dass
Christian sich selber nur als Nemo betrachtet, aber doch seinen eigenen Namen behält.
Es ist noch immer die Figur Christian, er scheint in der Geschichte der DDR aber
niemanden mehr vorzustellen, sogar keine Rolle mehr zu spielen.
Nicht nur Christian bekommt in der Armee aber einen anderen Namen. Auch seine
Mitsoldaten erhalten, auch wenn es Christian selber ist, der diesen Namen gibt,
Beinamen. Steffen Kretschmar zum Beispiel wird von Christian immer ‚Pfannkuchen‟
genannt aus folgendem Grund: „Steffen Kretschmar, den sie sofort und einhellig, der
Bäckerhände und des runden Gesichts mit den henkelartig abstehenden Ohren, des
schwarzen kurzgeschorenen Drahtbürstenhaars wegen, ‚Pfannkuchen‟ tauften.“ (T 692)
Dieser Beiname ist freundschaftlich gemeint, aber beweist auch, dass man in der Armee
59
zu jemandem anders wird. Wenn Pfannkuchen die Armee verlassen und sich von
Christian verabschieden wird, verliert er aber diesen zeitlichen Namen und wird er aufs
Neue Steffen Kretschmar.
4.2.3.2 Christian wird zu niemandem
Als Christian in die Armee eintrat, wurde er unmittelbar damit konfrontiert, dass er dort
eigentlich eine andere Person sein würde. Später in der Geschichte wird die Art und
Weise, in der Christian beim Eintritt seinen Personalausweis für einen
Wehrdienstausweis wechselt, beschrieben:
Christian hatte bei Abgabe seines Personalausweises, am Tag, als er den Wehrdienstausweis, dies
graue Dokument mit erbsbreigelben Seiten, dafür erhalten hatte, schon einmal in der Zentrale mit
den Buchstabenschaltern, dann in der Rotunde mit den Skulpturen gestanden – diese Flure jedoch,
durch die sie von dem Oberleutnant zielsicher geführt wurden, schienen älterer Zeit anzugehören.
(T 803)
Die Identität, die mit seinem Personalausweis übereinstimmt, hat sich in diesem
Moment geändert in eine Identität, die einem Wehrdienstausweis besitzt. Wenn er also
seine Zeit in der Armee ausgedient hat, wird er, genauso wie Pfannkuchen, der seinen
wirklichen Namen wiederbekommt, seine alte Identität wiederbekommen. Eigentlich ist
es fast eine neue Identität, die er bekommt, wenn er in die Armee ankommt. Dann wird
die Person ‚Christian als Soldat‟ geboren, und wird seine angeborene Identität,
‚Christian als Sohn von Richard und Anne‟, während seiner Dienstzeit zur Seite
geschoben und besteht diese in dieser Zeit nicht mehr.
Der Verlust seines eigenen Ichs wird in der NVA immer weitergeführt bis zum
äußersten Höhepunkt. Als er wegen „Öffentlicher Herabwürdigung der Öffentlichen
Ordnung“ gestraft werden muss, geschieht Folgendes: „Christian bekam sein
Deckenbündel, ein Blatt Papier und einen Bleistift. Er sollte seinen Lebenslauf
schreiben? Mutter, Vater, wann wurde ich Jung-, wann Thälmannpionier, wann
Mitglied der Freien Deutschen Jugend. Hobbies, schulischer Werdegang,
Berufswunsch.“ (T 808) Die Informationen über sein eigenes Leben, die er auf dem
Blatt Papier schreiben muss, scheint er ab jetzt nicht mehr selber zu besitzen. Mit
diesem Aufschreiben verliert er buchstäblich seine eigene Identität.
4.3 Konstruktion von Christians Ich
4.3.1 Struktur des Charakters
Im vorigen Kapitel habe ich die Art und Weise, in der Christian vom sozialistischen
System entgegengewirkt wird, analysiert. Ungeachtet dessen betrachten wir als Leser
60
Christian auch als einen sich entwickelnden Adoleszenten. Obwohl seine Lebensweise
vom Sozialismus beeinflusst und bedingt wird, bleibt Christian eine Figur mit eigenen
Charakterzügen. Die Literaturwissenschaftlerin Hyunseon Lee hat in ihrer Arbeit zum
Charakter in der DDR-Literatur den Charakter drei Eigenschaften zugeteilt:
Die erste Eigenschaft, eine in den meisten Fällen deutliche Besonderheit einer Person (eines
Individuums) gegenüber anderen Personen, kann man die Distinktionsfunktion des Charakters
nennen. Als die zweite läßt sich das gesamte Ensemble von Charakterzügen bezeichnen. Die dritte
Eigenschaft des Charakters kann man als Identitätsfunktion bezeichnen. Sie liegt in der
Vorstellung, daß Änderungen entweder gar nicht oder nur eingeschränkt möglich sind. Charakter
bedeutet in diesem Sinne so etwas wie Festigkeit.65
Die theoretische Behauptung von Lee, die handelt vom Charakter im
Allgemeinen, werde ich dazu benutzen, Christians Situation in Der Turm zu
analysieren. Die erste Funktion, die ‚Distinktionsfunktion‟, verknüpfe ich mit der Art
und Weise, in der Christian sich von den anderen Figuren im Roman unterscheidet.
Diese Eigenschaft wird schon am Anfang der Geschichte, wenn er als Siebzehnjähriger
beschrieben wird, aufgegriffen: „Sein eigentlich anziehendes und ausdrucksvolles
Gesicht war von Pubertätspickeln übersät, und er empfand grässliche Scham bei dem
Gedanken an all die Augenpaare, die ihn forschend, vielleicht auch spöttisch oder
angeekelt anstarren würden.“ (T 39) Die Distinktion seiner Person entsteht also wegen
seiner Pickel. Auch wenn Aussehen und Charakter nicht miteinander gleichzusetzen
sind, bedingt das Aussehen bei Christian seine weitere Charakterentwicklung. Durch
seine körperliche Besonderheit verhält er sich der Außenwelt gegenüber sehr
zurückhaltend und schüchtern. Dieses Merkmal ist für Christians Entwicklung
entscheidend, da eine vergleichbare Situation auch später in der Geschichte erwähnt
wird. In der Armee sagt einen Offizier nämlich zu Christian: „Mensch, dich will doch
nie eine vögeln. Alles kehrt!“ Am meisten befürchtet Christian aber die Reaktion der
Umstehenden, wenn er mit seinem ‚Mangel‟ konfrontiert wird: „Der gesamte Zug
wandte sich um, Christian schloss die Augen, aber er spürte die Blicke der anderen auf
seinem Körper brennen.“(T 439f.) Er wird ständig mit diesem körperlichen Komplex
konfrontiert, sodass er sein eigenes Aussehen nie vergessen und relativieren kann. Sein
körperliches Aussehen, an dem er selber nichts ändern kann, hat also dazu geführt, dass
er psychisch verunsichert wird. Die Entwicklung zu einem Erwachsenen fängt mit
Schwierigkeiten an und wird auch auf diese Weise in der Geschichte weitergeführt. Es
ist folglich auch dieses negative Merkmal, dass Christian das Gefühl gibt, dass er sich
von den anderen Figuren unterscheidet.
65 Lee: Geständniszwang und »Wahrheit des Charakters« in der Literatur der DDR. S. 202.
61
Zweitens wird von Lee das ‚gesamte Ensemble von Charakterzügen‟ aufgegriffen.
Hierbei werden alle Merkmale, die eine Figur besitzt, gemeint. Zu dieser Gesamtheit
gehört auch die Distinktionsfunktion, zusammen mit allen anderen Eigenschaften, die
den Charakter kennzeichnen. Meistens handelt es sich um eine ganze Menge von
Charakterzügen, auch die kleinsten, die nicht so sehr auffallen, und sind sie daher zu
zahlreich, sie alle zu nennen. Neben seiner auffallenden Schüchternheit können wir als
Leser bei Christian zum Beispiel auch seine Leidenschaft für das Arztstudium, die
sonderbare Liebe für Reina und seine bemerkenswerten familiären Beziehungen
unterscheiden. Diese Eigenschaften können auch als Antwort auf die Frage, wer
Christian ist, betrachtet werden. Die Antwort wird dann eine Aneinanderreihung von
persönlichen Charakterzügen sein, wodurch er unvergleichlich in seiner Art ist.
Die dritte und letzte Funktion wird von Lee als Identitätsfunktion bezeichnet.
Damit wird gemeint, dass die Charakterzüge an einer bestimmten Figur gebunden sind
und daher auch schwer, fast unmöglich zu ändern. Es kommt für die Figuren also darauf
an, ihre persönliche Identität zu akzeptieren, sie nicht zu ändern und sie nur eine
bestimmte Richtung zu geben. In Bezug auf die Figur Christians beinhaltet diese
Evolution also die Art und Weise, in der er sich selbst als Individuum betrachtet. Das
heißt auch das Bewusstwerden seiner Situation und wie er darauf reagiert. In Bezug auf
seines Ansehen zum Beispiel wurde die Unsicherheit weniger deutlich sein, wenn er es
gegenüber der Außenwelt akzeptieren wird. Er ist sich seines ‚hässlichen Ansehens‟
bewusst, aber er kann das nicht akzeptieren. Diese letzte Funktion muss zu einem
stabilen Charakter führen, der letztendlich auch zu Festigkeit im Leben führt. Diese
Stabilität wird in Der Turm dann auch am Ende, zusammen mit dem Mauerfall, erreicht.
4.3.2 Position in der Welt
Zusammen mit der soeben erwähnten Identitätsfunktion, werde ich jetzt Christians
bewusste Position in der Welt analysieren. In der täglichen Welt ist aber der
Unterschied zwischen dem Vertraute und der Fremde festzustellen. Auch Sebastian
Möckel hat auf das Zusammenspiel zwischen beiden Aspekten hingewiesen. In Bezug
auf das familiäre Abenteuer und die Initiation, mit denen auch Christian oft konfrontiert
wird, hat er folgendes geschrieben:
Identität als Selbstverhältnis zur Welt prägt sich dabei auf dem Schnittpunkt von Selbst- und
Fremdzuschreibung aus […]. Sie [Christian und die Soldaten, H.R.] verlieren ihre Familie und
62
treten in eine Welt der Alterität ein, die ihnen zudem feindlich gesonnen ist und ihre ständische
Herkunft missachtet.66
Die ‚Selbstzuschreibung‟ kann nur gut funktionieren, wenn man stark am Vertrauten
festhält. Bei Christian ist das aber nicht der Fall. Es kommt für ihn also auch darauf an,
eine gute Position zwischen vertraut und fremd zu finden. Bei ihm sind sie aber beide
ambigue zu bezeichnen. Zuerst verhält er sich dem Vertrauten misstrauisch gegenüber
und findet er keine Möglichkeit, sich der Fremde anzupassen. Familie und Freunde
versucht er meistens zu vermeiden und er sondert sich von ihnen ab. Wenn Möckel
danach behauptet, dass Verlust der Familie mit dem Eintritt in die Welt der Alterität
zusammen zu betrachten sind, kann man die Situation Christians dieser Feststellung
gegenübersetzen. Für Christian ist die Funktion der Familie relativ und daher keine
unmittelbare Ursache für den Eintritt in die Alterität. Für ihn ist die Welt, die vertraut
sein soll, selbst mehr oder weniger als fremd aufzufassen. Damit ist der Schritt in die
fremde Welt nicht so groß, wie er von Möckel dargestellt wird. Auch die affektive
Reaktion, wobei das ‚Ich‟ von den Körpern um sich herum bedingt wird, fehlt bei
Christian. Auf diese Art und Weise gewöhnt ein Kind normalerweise an die Umgebung,
aber bei Christian ist das wegen seiner isolierten Position nicht der Fall.
Christians Position entwickelt sich während der Geschichte, und nur von diesen
sieben erzählten Jahren wird von Tellkamp berichtet. Die Gestaltung dieser Figur wird
aber nicht anhand der früheren Erinnerungen gemacht. Die Wichtigkeit dieser
Erinnerungen, in Der Turm, wird aber von Louise Holm und Søren Madsen beibehalten.
Mit folgendem Zitat behaupten sie, dass das individuelle Gedächtnis immer
perspektivisch ist:
Jedes Individuum hat seine eigene Lebensgeschichte und dadurch seine eigene
Wahrnehmungsposition. Im individuellen Gedächtnis sind viele verschiedene Erinnerungen, die
alle vernetzt sind. Erinnerungen sind aber auch fragmentarisch, sie sind in ihrer Repräsentation
begrenzt und ungeformt.67
Auch bei Christian ist die Perspektive sehr individuell. Als Leser erhalten wir nur das
Bild Christians zwischen einem Alter von 17 und 23 Jahren. Was vorher passiert ist und
was die Funktion der Erinnerungen ist, scheint in diesem Roman aber unwichtig. Der
Erzähler der Geschichte benutzt fast keine Flashbacks oder Flashforwards und
66 Sebastian Möckel: “Abenteuer und Initiation. Einübung in Familie im antiken Liebesroman der Frühen
Neuzeit” In: Familie und Identität in der deutschen Literatur. Hg. von Thomas Martinec und Claudia
Nitschke. Frankfurt am Main: Peter Lang 2009, S. 57-77. (=Regensburger Beiträge zur deutschen Sprach-
und Literaturwissenschaft Reihe B, Untersuchungen 95), S. 62-63. 67 Holm und Madsen: „Die Erinnerung an die DDR. Uwe Tellkamps Roman Der Turm in den aktuellen
deutschen Erinnerungsverhandlungen.“ S, 9.
63
beschränkt sich dadurch auf die sieben erzählten Jahre an sich. Damit betont er auch,
was im Moment passiert. Christian sieht sich in der Geschichte nicht nach der
Vergangenheit um, da die gegenwärtigen Erlebnisse für seine weitere Entwicklung zu
wichtig und ausschlaggebend sind.
Weiter zu dieser relativierten Rolle der Erinnerung an früheren Erlebnissen, steht
folgende Betrachtung von Laurel Cohen-Pfister, in Opposition zu Christians Situation.
Die Wichtigkeit der Erinnerung für die Identitätsfrage, wobei sie sich auch auf ein Zitat
von Allan Megill bezieht, stellt sie auf folgende Art und Weise dar:
Je problematischer die Identitätsfrage wird, um so mehr dient nämlich die Erinnerung als
‚stabilizer of and justification for the self-designations that people claim.‟68 Erinnerung ist, laut
Allan Megill, ‚the name we give to the faculty that sustains continuity in collective and in
individual experience‟.69
Christian fehlt aber die kollektiven und individuellen Erinnerungen. Er scheint
dazu auch keine Erfahrung mit dem Leben zu haben und dadurch bieten ihm auch die
fehlenden Erinnerungen keine Stabilität. Auch wenn seine Identitätsfrage und die dazu
gehörenden Schwierigkeiten immer problematischer werden, weiß er nicht, wie er damit
umgehen soll.
4.3.3 Identitätssuche
Für Christian sind die sieben Jahre des Kampfs gegen den Sozialismus vor allem eine
Suche nach Identität in diesem entgegenarbeitenden System. Auch wenn er von immer
größer werdenden Schwierigkeiten entgegengewirkt wird, sind diese Probleme an sich
doch mehr oder weniger wirkungsvoll für die weitere Entwicklung seiner Figur. Laut
Nitschke ist die Identitätssuche eine „Konstruktion auf der Basis verschiedener,
eigentlich widersprüchlicher Elemente.“70
Es kommt also darauf an, zwischen diesen
verschiedenen oppositionellen Elementen eine bestimmte Richtung zu finden. In
Christians Leben betreffen die Widersprüche zum Beispiel das erwünschte Arztstudium
gegenüber harter sozialistischer Realität, die Liebe für Reina gegenüber einfacher
Freundschaft und verschiedenen Arten familiärer Beziehungen. Demzufolge kommt es
für ihn darauf an, dazwischen die gute Richtung für sein weiteres Leben zu finden, und
auf diese Art und Weise die erwünschte Stabilität zu erreichen.
68 Allan Megill: History, Memory, Identity. In: History of the Human Sciences 11, 3 (1998), S. 42. 69 Laurel Cohen-Pfister: “Kriegstrauma und die deutsche Familie. Identitätssuche im deutschen
Gegenwartsroman” In: Familie und Identität in der deutschen Literatur. Hg. von Thomas Martinec und
Claudia Nitschke. Frankfurt am Main: Peter Lang 2009 (=Regensburger Beiträge zur deutschen Sprach-
und Literaturwissenschaft Reihe B, Untersuchungen 95), S. 243-257, S, 244. 70 Nitschke: ‚Selbstverspottung ist Lüge’. S.223.
64
Bei Christian sind die beiden Seiten der Widersprüche aber zu groß, als dass er sie
kontrollieren könnte und seelische Stabilität erreichen würde. Das sorgt dafür, dass
immer neue Krisen entstehen. Die erste Absicht seiner Suche ist demzufolge, der
Versuch, diese Krisen zu überwinden. Dieser Krisenkampf spielt sich also zwischen
dem krisenvollen Ich und dem krisenlosen Ich ab. Für Valeska Steinig, Autorin einer
Studie über autobiografisches Schreiben nach dem Ende DDR, kommt es für das
individuelle Subjekt darauf an, den „ich-bedrohenden Zustand zu überwinden.“71
Weil
Tellkamp sich, aufgrund des autobiografischen Charakters des Romans, oft an Christian
spiegelt, muss auch die Figur sich den Krisen bewusst werden und sie darum selber
hinter sich lassen können.
Schließlich wird es am Ende der Geschichte einen Unterschied geben zwischen
dem Ich, das die Krisen erlebt hat, und dem Ich, das die Krisen letztendlich
durchgekommen ist. Laut Steinig handelt es sich hier scheinbar um zwei verschiedene
Personen, eine alte und eine neue. In Bezug auf das autobiografische Schreiben
unterscheidet sie auch zwischen vor und nach der Krise: „Das alte Ich vor der Krise ist
nicht identisch mit dem Ich, das die Krise überwunden hat.“72
Auch wenn sie eigentlich
das biografische Ich analysiert, kann es im autobiografischen Der Turm Christian
zugeschrieben werden. Die zweite Lebensphase, die neue, wird nur dann erreicht, wenn
man die erste hinter sich gelassen hat. Bei Christian dauert die erste Phase bis zum Ende
der krisenhaften Armeezeit und fängt die zweite Phase erst an, als der Mauerfall sich
vollzogen hat. In diesem Moment hat er die Möglichkeit, einen neuen Anfang zu
machen.
4.3.4 Erreichtes Ziel?
Zum Schluss dieser Arbeit werde ich analysieren, wo Christian letztendlich
angekommen ist, und was er jetzt wirklich erreicht hat. Zuerst werde ich dazu den
Begriff ‚Schicksal‟ verwenden. Der stellt nämlich in Frage, ob die Figuren ihr eigenes
Leben kontrollieren können, oder ob sie dem Schicksal unterworfen sind. Da Christians
Lebenslauf sich chronologisch mit dem Untergang der DDR fortbewegt, können wir
auch ihre Schicksale oder Endpunkte in der Geschichte, nebeneinander betrachten.
71 Valeska Steinig: „Abschied von der DDR. Autobiografisches Schreiben nach dem Ende der politischen
Alternative.“ In: Studien zur Deutschen und Europäischen Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts. Hg.
von Dieter Kafitz, Franz Norbert Mennemeier, Erwin Rotermund und Bernhard Spies. Frankfurt am
Main: Peter Lang 2007 (= Internationaler Verlag der Wissenschaften, Bd. 61), S. 155-185, S. 155. 72 Ebd. S. 94.
65
Holm und Madsen haben dazu den Verlauf der DDR bis zur Wende als unvermeidlich
beschrieben: „Das Schicksal der DDR war unabwendbar und die Einwohner waren in
dem Schicksalsspiel gefangen, bis die Zeit endlich ablief und die Uhren schlugen.“73
Auch in Der Turm bekommen wir einmal den Eindruck, dass Christians Schicksal
festgelegt und nicht zu beeinflussen ist. Rechtsanwalt Sperber, der Christian wegen
Besitz von Nazi-Literatur verteidigen soll, bestimmt anhand einer Münze, als Symbol
des Schicksals, die Zukunft des so genannten Verbrechers. Sperber stellt Richard die
Frage: „Ordnen Sie Ihrem Jungen Kopf oder Zahl zu.“ (T 467) Er kann sich also nicht
auf rationale Art und Weise entscheiden. Die Reaktion des Vaters auf diese absurde
Szene relativiert aber gleich schnell den Glauben an das Schicksal: „Ist das Ihr Ernst?“
Wenn Christian in dieser Szene letztendlich die Verteidigung ‚gewinnt‟, ist laut Vater
und Sohn vielmehr die Rede von Glück als vom Einfluss des Schicksals. Mit dieser
übertriebenen, sogar komischen Szene, wird die Rolle des Schicksals relativiert. Damit
stellt Tellkamp fest, dass das Leben nicht von schicksalhaften Ereignissen geführt
werden kann. Die Ratio muss die Oberhand gewinnen.
Jetzt bleibt nur noch die Frage übrig, ob Christian am Ende, trotz aller Krisen,
Stabilität und Glück gefunden hat und wie er nach dem Mauerfall mit seinem Leben
weiter muss. Dass sein junges Leben bisher nicht gelungen ist, steht fest. Er hat seine
erwünschte Bestimmung, das Arztstudium, nicht erreicht und hat zu viel mentale und
körperliche Rückschläge erlebt. Er hat vorläufig keinen Erfolg erreicht, aber das
bedeutet nicht, dass er dadurch nicht glücklich sein kann. Wenn von Katrin Fischer
noch behauptet wird, dass nur die Liebe „Glück im Leben gewährleisten kann“74, hat
diese Liebe in Der Turm und im Leben Christians nur eine geringe Funktion. Auch
wenn Christians erwünschte Ausbildung, welche für Fischer auch ein wichtiger Schritt
in die Richtung des Glücks ist, nicht zu einem guten Ende gekommen ist, kann man am
Ende der Geschichte doch sagen, dass die Hauptfigur, trotz aller vorangehenden
Ereignisse, glücklich ist. Steinig hat auf sehr logische Art und Weise beschrieben,
worauf es in diesem Moment ankommt: „‚Ich bin glücklich‟. Damit wird explizit ein
harmonisches Ich- und Weltverhältnis behauptet“75
, nicht nur vom autobiografischen
Autor, sondern auch von der Hauptgestalt, Christian, die mit diesem Autor zu
73 Holm und Madsen: „Die Erinnerung an die DDR. Uwe Tellkamps Roman Der Turm in den aktuellen
deutschen Erinnerungsverhandlungen.“ S,57. 74 Katrin Fischer: „Die Turmgesellschaft in Goethes Wilhelm Meisters Lehrjahre.“ S. 65 75 Steinig: Abschied von der DDR. Autobiografisches Schreiben nach dem Ende der politischen
Alternative. S.178.
66
identifizieren ist. Mit dem Schlagen der Uhren scheint Christians Glück wiedergekehrt
und fängt eine ganz neue Geschichte an, die Tellkamp in einer Fortsetzung schreiben
wird. Der Autor hat seinen Roman also auf solche Art und Weise aufgebaut, dass fast
während der ganzen Geschichte negative und schreckliche Ereignisse aneinandergereiht
wurden. Doch schließt er ‚die Geschichte aus einem versunkenen Land‟ mit einem
Höhepunkt, der alles übertrifft, ab.
67
5. Schlussbetrachtung
Das Ziel meiner Untersuchung war, herauszufinden, wie Tellkamp verfährt, um
gleichzeitig den kollektiven Sozialismus als auch den individuellen Bildungsbürger
darzustellen. Abschließend kann ich dazu schlussfolgern, dass Uwe Tellkamp es
geschafft hat, nach vielen literarischen und geschichtlichen Wendepunkten, dem
bildungsbürgerlichen Individuum über die sozialistische DDR triumphieren zu lassen.
Die Utopie hat die Oberhand über die Dystopie gewonnen und der dramatische Aufbau
wurde mit dem radikalen Umschlag im letzten Moment abgewendet. Die ganze
Geschichte wurde vom ständigen Streit mit dem Sozialismus charakterisiert. Wenn in
Der Turm von der DDR und ihrer Ideologie erzählt wurde, handelte es sich gleichzeitig
auch um die Krisen der Hauptgestalten aus der „Turmgesellschaft“. Tellkamp
unterscheidet zwischen den theoretisch erörterten Zielen des Regimes und ihrer
praktischen Verwirklichung. Diese Opposition kam am besten bei der Utopie – Realität
Analyse vom „Sinn des Soldatseins“ hervor. Der Turm ist aber kein Roman über die
DDR an sich, sondern ein Roman über eine Familie in der Zeit des Sozialismus.
Tellkamp verwendet aber keinen Dokumentarstil, sondern hat eine bestimmte Absicht
mit diesem Epos. Er wollte die Möglichkeit eines schwierigen aber gelungenen
Überlebens in der sozialistischen DDR anhand verschiedener Wendepunkte und
gesellschaftlicher Oppositionen erzählen. In Tellkamps Geschichte betraf das Überleben
vor allem Christian, und genau darum habe ich ihn als zentrale Figur meiner
Untersuchung gewählt.
In Der Turm werden die Ereignisse anhand eines klaren Handlungsverlaufs
erzählt. Der Roman fängt mit einem Anlauf an, allmählich findet der komplexe Konflikt
statt und schließlich ereignet sich die, für die Figuren unerwartete aber angenehme,
Wende. Diese für die Bevölkerung der DDR politisch wichtige Wende, hat aber auch
eine persönliche Bedeutung für die Figur Christians. Von Tellkamp wird die, als
diktatorisch hervorkommende DDR vor allem anhand der Machtverteilung innerhalb
der Armee dargestellt. Fast die ganze Geschichte wurde von Christians Armeezeit
beherrscht. Die Offiziere sind den Soldaten sowohl in der Sprache als auch in den
Handlungen überlegen, und durch dieses Gefühl von Machtlosigkeit fehlt auch
Christian die Möglichkeit, sein erwünschtes Arztstudium zu erreichen. Die von
Tellkamp aufgebaute chronologische Aufeinanderfolge von krisenhaften Wendepunkten
sorgt dafür, dass Christian seine erwachsene Persönlichkeit auf den ersten Blick viel
68
mehr dekonstruiert als konstruiert. Aus diesem Grund verliert er Schritt für Schritt seine
eigene Identität und entwickelt er sich von einem isolierten Individuum zu einem
Niemanden. Diese Dekonstruktion wird sprachlich bestätigt, dadurch, dass Christians
Namensgebung auch ähnlich dekonstruiert wird, sodass er letztendlich, auf dem
Höhepunkt seiner Krisen (aber nicht auf dem Höhepunkt der Geschichte), buchstäblich
‚Niemand‟ mehr ist.
Von Anfang bis Ende des Romans haben die Machthaber der DDR die Kontrolle
über ihren Einwohner. Christians Beziehung zur Umgebung und Zeit wurde anhand
einer Kette von Oppositionen, mit der Opposition zwischen Sozialismus und
Bildungsbürgern als roten Faden, und Krisen aufgebaut. Seine scheinbar hoffnungslose
Situation wird nur ganz am Ende brutal aufgehoben und aus dieser Explosion kommt
ein ‚Happy End‟ voller Hoffnung hervor. Auch wenn Tellkamp in Der Turm von immer
schlimmer und gewalttätiger werdenden Krisen erzählt, findet auf den letzten 100 Seiten
der Geschichte eine für Christian lebenswichtige Wende statt. Mit dem Mauerfall hat
das Überleben für das wieder Aufleben Platz gemacht. Aufgrund dieses Auferstehens
hatte er auch die Möglichkeit gefunden, seine Identität wieder zu entwickeln. Der
Kampf hat letztendlich zum Sieg geführt.
In Bezug auf diesen Roman gibt es noch eine ganze Menge von Themen, die
analysiert werden können. Dadurch, dass Der Turm so dick und komplex, ist es eine
unmögliche Aufgabe, alle Aspekten in einer wissenschaftlichen Arbeit zu behandeln. In
meiner Arbeit habe ich mich vor allem auf die oppositionelle Relation zwischen der
Figur Christians und dem Zeitalter konzentriert, aber auch die familiären Beziehungen,
der autobiografische Aspekt und eine noch tiefer greifende historische Analyse sind
mögliche Untersuchungsebenen. Auch mit einer möglichen Fortsetzung, die Tellkamp
zu schreiben versprach, kann meine Arbeit neu belebt werden.
69
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(2009), S. 43 – 58.
70
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