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Ein guter Reporter entführt seine Leser an Orte, an die sie selbst nicht kommen, und bringt sie mit Menschen zusammen, die sie selbst nicht treffen können. Er beschreibt, was er gesehen und gehört hat – mal literarisch, mal sachlich-distanziert, stets aber lebendig und präzise. Mit dem n-ost Reportagepreis zeichnet das Netzwerk für Osteuropa-Berichterstattung Autoren aus, denen dies in hervorragender Weise gelingt. Ihre Reportagen durchbrechen die Stereotype eingefahrener Nachrichtenströme und machen jene Teile Osteuropas sichtbar, die sonst im Verborgenen liegen.
Michael Martens (1. Preis) sprach für seine Reportage „Die Folterer kommen nachts noch immer“ mit bulgarischen Krankenschwestern, die acht Jahre in der Gewalt libyscher Entführer verbringen mussten. Einfühlsam beschreibt er, wie sie ein Jahr nach ihrer Freilassung noch immer versuchen, in den Alltag zurückzufi nden.
Der in Zagreb geborene Autor Nicol Ljubic (2. Preis) hat sich in Al-banien auf die Suche nach „eingeschworenen Jungfrauen“ gemacht. Einem jahrhundertealten Brauch folgend, legen diese Frauen als junge
Mädchen den Schwur ab, keusch zu bleiben und wie ein Mann zu leben, um ihre Familien zu versorgen oder einer arrangierten Heirat zu entge-hen. In seinem Text „Das Leben hat sie zu Männern gemacht“ erzählt Ljubic die Geschichten solcher Mannfrauen.
n-ost-Korrespondent Oliver Bilger (3. Preis) beschreibt in „Wenn der Wehrdienst wehrlos macht“ einen der schlimmsten Misshandlungsfälle in der russischen Armee. Er besuchte Andrej Sytschow, den seine Kameraden so brutal quälten, dass ihm die Ärzte beide Beine amputieren mussten – und der dennoch nichts lieber täte, als wieder zum Militär zu gehen.
Der n-ost Reportagepreis
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„Dies sind eindringliche Reportagen, jede berührt ihre Leser auf ganz eigene Art“, urteilt der Jury-Vorsitzende Werner D’Inka. Bereits zum dritten Mal vergibt n-ost den Reportagepreis, der mit 2.500 Euro (1. Preis), 1.000 Euro (2. Preis) und 500 Euro (3. Preis) dotiert ist. Als einziger Journalistenpreis zeichnet er Journalistinnen und Journalisten für herausragende Texte über Mittel- und Osteuropa in deutschspra-chigen Medien aus.
Wir danken Vorjury und Jury für ihre engagierte Arbeit und dem Pol-nischen Institut Berlin für die Unterstützung. Den Preisträgern gratu-lieren wir herzlich und ermutigen sie und ihre Kollegen, weiter nach ausgefallen Geschichten zu suchen und ihre Leser in die verborgenen Winkel Osteuropas mitzunehmen.
Berlin, im September 2009
Christina Hebel Matthias EchterhagenVorsitzende Geschäftsführer
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Tatjana Brode
Hanno Christ
Melanie Longerich
Christian Mihr
Bernhard Rude
(freie Journalistin, Berlin)
(Fernsehjournalist RBB, Berlin)
(freie Journalistin, 2. Vorsitzende n-ost, Köln)
(Redaktionsleiter euro|topics, Berlin)
(Leiter der Ostkurse - Weiterbildung für Journalisten aus Osteuropa beim Institut zur Förderung publizistischen Nachwuchses, München)
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Seit einem Jahr sind sie wieder in Freiheit: Die fünf bulgarischen Krankenschwestern, einst in Libyen zum Tode verurteilt, versuchen, ein normales Leben zu führen. Aber es gelingt ihnen nicht.
SOFIA. Alle Welt dachte, dies müsse der glücklichste Tag in ihrem Leben sein, aber ihr war nur nach einem schweren Gewitter zu mute. Der Himmel sollte bersten, um alle zu vertreiben und die Stadt für einige Stunden unter Blitz und Donner zu verschütten. Doch am 24. Juli 2007 brannte nur die übliche einfallslose Hochsommersonne über Sofi a, und draußen vor dem Flugzeug wartete erbarmungslos die Welt. Vorn der Präsident mit seiner beschlipsten Entourage, da -hinter ein Wall aus Mikrofonen und Kameras – elektronische Blut -egel. Wie sie sich fühle am ersten Tag in der Freiheit, werden die Egel später fragen, aber sie wird ihnen nicht antworten können. „Ich war gefühllos. Ohne Gefühle. Ich wusste nicht, was geschah, weil alles so plötzlich kam. Am Morgen waren wir noch in Libyen im Gefängnis,
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Die Folterer kommen nachts noch immerFrankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 20.07.2008
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und um zehn waren wir schon als freie Menschen in Bulgarien. Ich kann nicht erklären, wie sich das anfühlt.“
Seither ist ein Jahr vergangen, die Kameras der Weltneugier sind längst auf andere Ziele gerichtet, aber Valentina Siropoulo weiß immer noch nicht, was sie damals hätte antworten sollen. Dass es beruhigend ist, die Folterknechte nicht mehr fürchten zu müssen, die sie nachts aus der Zelle holten, um sie blutig zu prügeln oder ihr mit vorge-täuschten Erschießungen Todesangst einzujagen? Dass es angenehm war, im französischen Regierungsfl ugzeug mit Cécilia Sarkozy ein Glas Champagner auf die Freiheit zu trinken? Dass sie sich nun aber vor dem Wiedersehen mit ihrem Sohn fürchte, der inzwischen ein erwachsener Mann ist, aber noch ein Kind war, als sie für mehr als acht Jahre in einem libyschen Gefängnis verschwand? „Ich spreche fast nie über die Zeit im Gefängnis, weil es schwer für mich ist, alles noch einmal vor mir zu sehen. Außerdem kann das sowieso niemand ver-stehen, der es nicht erlebt hat. Ich will lieber versuchen, an mein altes Leben anzuknüpfen.“
Die Luft fl irrt vor Hitze, wie vor einem Jahr auf dem Sofi oter Flug -hafen. Valentina Siropoulo hat ein Café in einem Park am Rande ihrer Stadt als Treffpunkt vorgeschlagen. Es ist Montag, der schönste Tag der Woche. Das Wochenende mit seiner tückischen Leere ist noch beruhigende vier Tage entfernt, dann erst wird der böse Freitag kom -men. Merkwürdig, wie sich die Dinge ändern – in Libyen war Freitag der beste Tag. Freitags wurde nur nachts gefoltert. Am Tage, wenn von den umliegenden Moscheen der Gesang der Muezzine in die Zelle drang, folgten die Schinder dem Ruf zum Gebet und ließen ihr Hand-werk ruhen. Beten und Quälen, alles hat seine Zeit. Auch Häftling Siropoulo und ihre Mitgefangenen entdeckten damals in ihrer Ver-zweifl ung den Himmel. Sie wollten beten, aber sie waren im kommu-nistischen Bulgarien allzu gründlich zu gläubigen Atheistinnen erzogen worden, und so trafen sie keinen Gott an, auf den sie sich hätten stützen können. Sie mussten alleine kämpfen. Eine von ihnen hat sich, als sie nicht mehr kämpfen wollte, die Pulsadern aufgeschnitten, wurde aber von ihren Peinigern entdeckt und gerettet, zurückgeholt in die Welt der Stromstöße.
Im Park riecht es nach frisch gemähtem Rasen, ein Kind fällt vom Dreirad, und es ist überhaupt wieder viel los an diesem Tag, aber Valen-tina hat Zeit, denn sie muss erst zur Spätschicht heute, wie vor fast einem Jahrzehnt an ihrem letzten Arbeitstag im Al-Fatah-Kinderkran-kenhaus von Bengasi, als sie im Treppenhaus von mehreren Männern überwältigt und gefesselt wurde, man ihr die Augen mit Plastikklebe-band verband, sie zusammenschlug und vom Klinikgebäude wegtrug. Ihre Erinnerung heute: Panik und Ratlosigkeit. Blind und wehrlos fragte sie sich, wer ihre Entführer seien, was sie wollten. Eine Bande? Aber wer käme auf die Idee, eine mittellose Bulgarin zu entführen? Sie wurde in ein Fahrzeug gebracht, in dem sie arabische Wortfetzen und Gespräche hörte, aber auch bulgarische Ausdrücke. Weitere Frauen wurden angeschleppt. Sie konnte aus ihren Klagen hören, dass es eben-falls Bulgarinnen waren. Erkennen konnte sie die Stimmen allerdings nicht, denn es gab viele bulgarische Krankenschwestern im Al-Fatah-Krankenhaus. Irgendwann fuhren sie los, und nach einer Weile nahm man den Frauen die Augenbinden ab. Niemand sprach. Als eine Frau darum bat, zur Toilette gehen zu dürfen, wurde sie geschlagen, bis sie still blieb. Es war eine lange Fahrt. Sie führte nach Tripolis, wo sich ein großes grünes Metalltor öffnete und der Bus auf einen Gefängnishof fuhr, auf dem das erste Leben von Valentina Siropoulo und ihren Mit-gefangenen endete.
Zuvor hatte sie ein bulgarisches Durchschnittsleben gelebt. Aufgewach-sen auf dem Lande, in Plowdiw zur Krankenschwester ausgebildet, geheiratet und in der Kinderabteilung des Krankenhauses der bulga-rischen Provinzstadt Pazardschik gearbeitet, 18 Jahre lang. Dass sie Pa-zardschik 1998 verließ, um für die Familie Geld in Libyen zu verdienen, war ebenfalls nichts Außergewöhnliches. Viele Bulgaren taten das, um dem wirtschaftlichen Zusammenbruch ihres Landes zu entfl iehen. Au-ßergewöhnlich wurde ihre Lebensgeschichte erst am 9. Februar 1999, dem Tag ihrer Verhaftung. Obwohl der eigentliche Wendepunkt, der ihr Leben für immer in ein „vorher“ und ein „nachher“ einteilen sollte, da noch vor ihr lag. Im Gefängnis war ihre anfängliche Panik zunächst dem Gefühl gewichen, dass es sich um ein schreckliches Missverständnis handeln müsse, um einen Albtraum, in dem die Hauptrolle durch einen Regiefehler irrtümlich mit ihr besetzt worden war. Sie habe ja nichts
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getan, beruhigte sie sich. Sie habe doch nichts getan, sagte sie auch, als man sie zum Verhör aus der Zelle holte. Sie habe doch nichts getan, sagte sie immer noch, als sie das erste Mal gefoltert wurde. „Aber diese Män-ner wollten nicht die Wahrheit wissen. Sie wollten nur hören, was sie brauchten.“ Sie sollten es hören.
Der Kaffee kommt. Valentina Siropoulo scheint zu überlegen, ob es über-haupt sinnvoll ist, ihre Geschichte weiterzuerzählen, diese Geschichte, die ja doch niemand versteht. Außer Walja Tscherwenjaschka, Nasja Nenowa, Kristijana Waltschewa und Sneschana Dimitrowa, die mit ihr im Gefängnis waren. Merkwürdig sei, dass sie keine Rachegefühle hege gegen die Männer, die sie gefoltert hätten, sagt Valentina. „Ich möchte einfach nur ihre Gesichter vergessen.“
Natürlich habe sie an Rache gedacht, sagt Walja Tscherwenjaschka. Wir sitzen im Hinterhof ihres kleinen Hauses in dem Städtchen Bjala Slatina, es ist auch hier sehr heiß, und es gibt Kirschen aus dem eigenen Garten, die haben ihre beiden Töchter gepfl ückt. Anders als Valentina Siropoulo, die verletzlich wirkt, ist Walja Tscherwenjaschka eine stäm-mige Frau mit einem mitunter fast grimmigen Blick. Mit ihr hatten die Folterknechte kein leichtes Spiel. Aber auch zu ihr kommen sie manch-mal noch zurück, nachts. Da steht dann plötzlich der Offi zier wieder vor ihr, der ihr droht, er werde seine Zigarette in ihrem Augapfel aus-drücken, und auch die Skorpione sind wieder da, all die Skorpione auf ihrem gefesselten Körper. Walja Tscherwenjaschka spricht davon mit kühler Distanz. Für sie sei das eine Art Therapie, denn indem sie ihre Geschichte erzähle, könne sie sich davon befreien, behauptet sie. Sie zündet sich noch eine Zigarette an und berichtet dann so trocken und scheinbar unberührt von Ungeheuerlichem, als verlese sie den Wetter-bericht von Radio Bulgarien. „Das erste Verhör begann als normales Gespräch – bis sie mich fragten, warum wir im Auftrag des amerika-nischen und des israelischen Geheimdienstes libysche Kinder in Bengasi mit HIV infi ziert hätten. Ich sagte, dass ich davon nichts wisse. Da wur-de ich an Armen und Beinen gefesselt, in der Luft aufgehängt und mit Stöcken geschlagen. Als ich das Bewusstsein verlor, gossen sie mir kaltes Wasser über den Kopf.“ Während sie spricht, bricht langsam die Welt auseinander. Hier der friedliche Hinterhof in der bulgarischen Provinz
mit dem Teller voller Kirschen und der Katze, die durch das Gemüse -beet streicht. Dort dieser Keller in Tripolis, in dem die Folterer wahr-scheinlich in diesem Moment einem Nachfolger der Gefangenen Tscher-wenjaschka die Stromkabel diagonal am Körper festschnallen, weil die Stöße dann noch schmerzhafter sind. Und bestimmt gibt es auch diese Käfer noch, von denen sie bis heute nicht weiß, wie sie heißen. Sie seien schwarz gewesen, erinnert sie sich, schwarze Käfer in Gläsern ohne Deckel, die mit Klebeband an ihrem Körper befestigt wurden, auf dem Gesicht und am Magen. Sie bissen oder stachen. Sie hat später in der Zelle versucht, die Wunden mit einer Mischung aus Milch und Urin zu waschen, aber es dauerte Wochen, bis sie verheilt waren. Die Narben sind noch heute zu sehen. Als Nächstes, drohte ihr einer der Männer, werde man dasselbe mit Skorpionen machen. Im Nebenkeller wurde Kristijana Waltschewa verhört, Walja hörte sie schreien. Ob Kristijana schon bei den Skorpionen angekommen war? Walja war sich sicher, dass sie nun bald sterben werde, und es sei ihr recht gewesen, sagt sie. „Ich habe den Tod erwartet, ich habe darum gebeten. Ich dachte immer dar-an, was sie noch alles mit mir machen können.“ Dann erzählt Walja, was sie noch alles mit ihr machen konnten, und wie sie trotzdem nicht starb. Ihre Geschichte handelt davon, wie wenig dazu gehört, einen Menschen zur Selbstaufgabe zu treiben, sein kleines bisschen Willenskraft zu bre-chen, ihm den Verstand zu rauben. Denn satt, sauber, ausgeschlafen, ohne Harndrang, korrekt gekleidet, ist es ein Leichtes, stolz durch die Welt zu schreiten und zu behaupten, man habe Prinzipien. Aber zwei Wochen später, starrend vor Schmutz, von unerfülltem Schlafbedürfnis zermürbt, in Schmerzfurcht vor Stromschlägen, gehört die Selbstach-tung einer anderen Welt an, dem früheren Leben. Die Würde des Men-schen ist eine ferne Galaxie, das Grauen ist im Keller nebenan. Die Fol-terer von Walja, Valentina und den anderen haben das gewusst, sie waren Meister im Gebrauch des Menschen. Unter ihren geschickten Händen erinnerten sich die Frauen an Ereignisse, die nicht geschehen waren, und an Taten, die sie nicht begangen hatten.
Die Schläge waren nur der Anfang, das hielten die meisten aus. Durst und Schmutz, das war schon etwas anderes. Nach mehr als einem Mo-nat in der Zelle, ohne Waschwasser, ohne Möglichkeit zur persönlichen Hygiene, habe sie sich wie verwandelt gefühlt, berichtet Valentina
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Siropoulo: „Ich fühlte mich nicht mehr als Mensch, nur noch als eine Art Geschöpf.“ Deshalb erinnert sie sich auch genau daran, wie eines Nachts ein Wunder geschah im Folterkeller. Die Männer zeigten ihr eine Toilettentasche mit Zahnpasta, Watte und anderen Zauberdingen darin. Eine ihrer Komplizinnen, sagten sie, habe endlich die Wahrheit gesagt und dafür als Belohnung eine solche Tasche bekommen. Sie dürfe auch eine haben, wenn sie zugebe, dass sie mit den anderen Frauen mehr als 400 libysche Kinder mit HIV infi ziert habe.
Wo Schläge oder Lockungen nicht reichten, standen den Schindern noch Schlafentzug und andere Kunstgriffe ihres Handwerks zur Verfügung, und wenn selbst die nicht wirkten, gab es da noch gewisse Fragen. Wie geht es eigentlich unserem kleinen Söhnchen – oder war es ein Töch-terchen? Jammerschade, wenn denen etwas zustieße, nicht? Sie wissen doch, das wir dort auch unsere Leute haben, oder? Dann noch einige Stromstöße, und die Opfer sind bereit für das Protokoll: Bulgarinnen sind Mörderinnen in weißen Kitteln? Natürlich! Wir haben im Auftrag des Mossad libysche Kinder mit HIV infi ziert? Sicher! Einen Auftragge-ber? Hatten wir. Wie er hieß? Sagen wir… John – ist das in Ordnung? Ob dieser John mit großen Säcken voller Dollar und Schekel kam und uns für jedes angesteckte Kind eine Prämie gab? Ja, so war es. Immer mehr Geld brachte er, und wir nahmen alles, denn wir wollten ganz Libyen vergiften! Halblang, das reicht. Unterschreiben Sie hier.
Auch Valentina Siropoulo brachten sie zum Reden. Sie verlangten von ihr, dass sie ihre Mitgefangenen beschuldige, nach dem üblichem Mus-ter: Auftrag der CIA, 1000 Dollar Belohnung für jedes infi zierte Kind, ein gewisser John brachte das Geld. Irgendwann gab sie nach. Heute spricht sie so, als müsse sie sich dafür entschuldigen, ihre Schmerzen nicht länger ertragen zu haben. „Es war ein schwerer innerer Kampf, weil ich wusste, dass ich etwas sehr Schreckliches behaupten sollte. Aber die Stromschläge machten mich wahnsinnig.“ Besser sei es ihr danach nicht gegangen: „Wenn man so schreckliche Lügen ausspricht, tötet man sich selbst.“ Seit sie frei ist, versucht sie, sich wieder zum Le-ben zu erwecken. Aber sie hat Mühe, sich in den Alltag einzufädeln, aus dem sie vor fast einem Jahrzehnt gerissen wurde. Sogar das Einkaufen war anfangs eine Herausforderung. Im Gefängnis hatte sie nichts selbst
entscheiden können, und jetzt kamen all diese Fragen auf sie zu: Blu-menkohl oder Kartoffeln? Ein Kilo oder zwei? „Ein Jahrzehnt lässt sich nicht einfach aus dem Gedächtnis streichen. Ich brauche noch Zeit. Aber ich bin nicht optimistisch, dass die Zeit alles heilen kann.“
Äußerlich ist es ihr gelungen, an das alte Leben anzuknüpfen. Sie arbei-tet wieder als Kinderkrankenschwester und wohnt mit ihrem Mann in Pazardschik in der alten Plattenbauwohnung mit Blick auf ein Denk-mal für die Opfer des Faschismus, einen einbetonierten Flusslauf und einen Billa-Supermarkt. Es ist alles wie früher, nur den Supermarkt gab es nicht. Und die Erinnerungen. Um sie abzuwehren, versucht sie, im-mer beschäftigt zu sein, denn in stillen Momenten kommt die Vergan-genheit wieder. Dann verlässt sie die Wohnung und geht stundenlang spazieren, um vor den Bildern davonzulaufen. Manchmal entkommt sie ihnen, dann ist sie die Siegerin. Manchmal aber holen die Bilder sie ein. Dann haben die anderen gewonnen. Jeden Tag telefoniert sie mit Walja Tscherwenjaschka. Die beiden sind Freundinnen geworden im Gefäng-nis, aber über ihre Zeit als Geiseln Gaddafi s reden sie nie, das ist eine unausgesprochene Abmachung. „Wir versuchen, fröhlich zu sein und alles mit Humor zu nehmen“, sagt Valentina. Am Telefon sprechen sie, worüber normale Menschen eben so sprechen – über die Arbeit, die Kinder, das Wetter und dass die Dreikilopackung Zucker bei Billa diese Woche nur 4,39 Lewa kostet statt 4,69. So wollen sie sich einen Alltag erzwingen, eine Normalität. Als lebten sie ein normales Leben, als sei nichts geschehen. Valentina und Walja haben immer viel zu tun. Die Welt hat sie wieder. Aber das sieht nur so aus.
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Sie kamen als Mädchen zur Welt und haben irgendwann geschwo-ren, als Männer zu leben. Um Familienoberhaupt zu werden oder auch nur ein Erbe antreten zu können. Burrneshas haben in Alba-nien eine lange Tradition.
Die erste Begegnung fi ndet am Strand statt. Es ist ein warmer Tag, drückend, draußen über dem Meer ist der Himmel tiefschwarz, erstes Gewittergrollen ist zu hören. Diana Rakipi ist an diesem Vormittag die Einzige am Strand. Sie zu treffen war nicht einfach. Durrës ist die größte Hafenstadt Albaniens, 200.000 Einwohner, und die wenigsten kennen Diana Rakipi, obwohl sie mit ihrer Geschichte schon mal in der Zeitung war. Im Hafen, wo sie als Wachmann arbeitet, ist sie schon länger nicht mehr gesehen worden. Aber dann hat sich doch jemand gefunden, der ihre Nummer hatte. Er sagte, sie sei am Strand, in der Nähe der Mole.
Diana trägt eine Schirmmütze und Bikini. Später wird sie sagen, dass es ihr peinlich sei, im Bikini gesehen zu werden. Weil Männer keine
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Das Leben hat sie zu Männern gemachtDer Stern, 26.03.2009
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Bikinis tragen. Wer sie hier am Strand sieht, käme nicht auf die Idee, dass sie keine Frau ist wie andere. Ihr Körper ist zwar kräftig, aber unzweifelhaft der einer Frau. Sie hat breite Hüften, schmale Schul -tern – und Busen. Trotzdem fühlt sie sich als Mann. Es sind ihre Augen, die das am ehesten widerspiegeln.
Von ihnen geht eine Kraft aus, eine Entschlossenheit, die vielleicht am besten beschreibt, wozu diese Frau imstande war: sich mit 17 Jahren für das Leben eines Mannes zu entscheiden und ihr biolo- gisches Geschlecht zu verdrängen. So konsequent, dass sie sich schämt, wenn sie das Weibliche ihres Körpers nicht wie sonst unter Männerkleidern verbirgt.
In einer Großstadt wie Durrës kennt kaum jemand die Tradition der Burrneshas. Es ist das albanische Wort für Mannfrauen. Und das hat nichts mit Transsexualität zu tun und auch nichts mit Transves-titen. Ein Engländer hat sie mal gefragt, ob sie einer sei. Sie hat ihm tief in die Augen geblickt und gesagt, er solle gut aufpassen, was er da sage. Und wer sie nach der Begegnung am Strand sieht, in Män -ner hosen und Pullover, mit bis zu den Ellbogen hochgeschobenen Ärmeln, der ahnt, dass es kein Vergnügen wäre, mit dieser Frau anein-anderzugeraten.
Diana ist 54, sie wurde in Tropojë geboren, im Norden Albaniens, in den Bergen. Dort gilt immer noch der Kanun, das mündlich überlie-ferte Gewohnheitsrecht aus dem 15. Jahrhundert. Es ist ein umfassender Lebens- und Moralkodex, der das Zusammenleben regelt, die soziale Ordnung, die Rituale, die Feste, die Familienhierarchie, aber auch die Sühne – die Blutrache.
In diesem Teil der Welt haben Männer alle und Frauen kaum Rechte. Söhne zu haben ist für eine Familie fast lebensnotwendig. Es ist der Sohn, der sich um die Familie zu kümmern hat, er verteidigt sie und rächt sie, nur er kann den Besitz erben. In diesem Teil der Welt kommt es immer noch vor, dass Frauen ihre Männer in Gegenwart anderer nicht ansprechen dürfen. Oder dass sie ein Zimmer meiden müssen, in dem sich Männer aufhalten.
Nicht weit vom Meer hat Diana ihre Stammkneipe. Es ist ein kleines Café, ein paar Tische, eine Theke und vor allem: nur Männer als Gäste. Diana ist hier einer von ihnen. Sie geht zu einem Tisch, an dem zwei ältere Männer sitzen. Sie klopft einem der beiden auf die Schulter. Dann ruft sie dem Wirt etwas zu. Sie scherzen und lachen. Und wer sie hier im Café sieht, käme nicht auf die Idee, dass sie kein Mann wie andere ist. Sie sagt, dass die Männer sie oft um Rat bitten und dass es schon immer so gewesen sei. Schon als Kind hat sie nur mit Jungs gespielt. Und die waren damals schon viel freier. „Ich wollte nicht akzeptieren, dass Männer alles tun dürfen und Frauen nicht“, sagt sie. „Frauen und Männer kommen gleichberechtigt zur Welt, aber dann wird die Frau vom Mann abhängig, und deswegen gibt es uns Burrne-shas, um uns gegen die Männer zu wehren.“
Der Kanun erlaubt einer Frau, ein Leben als Mann zu leben. Es gibt verschiedene Versionen des Kanuns. In der einen heißt es: Die Frau soll auf dem ehrbarsten Platz im Haus sitzen. Eine andere erlaubt es der Frau, über den Schwur, ein Mann zu werden, selbst zu entscheiden, auch dann, wenn die Bedingung dafür eigentlich nicht gegeben ist. Und die lautet: Es gibt keinen männlichen Nachfahren in der Familie. Das war oft auch eine Folge der Blutrache. Bis ins vergangene Jahrhun-dert hinein soll ein Drittel der männlichen Bevölkerung Albaniens der Blutrache zum Opfer gefallen sein. Die Anthropologin Antonia Young, die über die Mannfrauen in Albanien geforscht hat, schreibt in ihrem Buch „Frauen, die Männer werden“, dass der Rollenwechsel von Frau zu Mann weniger mit der individuellen als vielmehr mit der sozialen, wirt-schaftlichen und kulturellen Situation zu tun hat. Nur ein Geschlechter-wechsel ermögliche einer Frau, Familienoberhaupt und rechtmäßiger Erbe zu werden. Die Frau muss einen Schwur ablegen, den sie bis zum Ende ihres Lebens nicht brechen darf, sie muss schwören, keusch zu bleiben und nicht zu heiraten. Diese Frauen werden auch eingeschwo-rene Jungfrauen genannt, „Virgjinesha“ – es soll in Albanien noch etwa 40 von ihnen geben.
Bevor Diana auf die Welt kam, war ihr Bruder gestorben, kurz nach sei-ner Geburt. Der Vater wünschte sich wieder einen Sohn. Und er bekam Diana. Wenn er gefragt wurde, wie viele Kinder er habe, sagte der Vater
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jedes Mal: fünf Töchter und vier Söhne. Eigentlich sind es sechs Töchter und drei Söhne. Aber Diana ist anders, das hat ihr Vater immer gesagt. Sie hatte mehr Rechte als die anderen. Sie musste nicht um acht Uhr zu Hause sein. „Ich war freier“, sagt sie, auch später auf dem Gymnasium. Obwohl es nicht erlaubt war, trug sie kurze Hosen. Mit 17 Jahren dann legte sie den Schwur ab und entschied ein für alle Mal, auf eine Heirat, auf Sex und Liebe zu verzichten. So wie es der Kanun verlangt.
Antonia Young schreibt in ihrer Studie: „Diese Frauen sind vollständig akzeptiert und werden innerhalb ihrer Gemeinschaft sogar bewundert.“ Bewundert für ihre Stärke und ihren Willen.
Ob sie wissen, dass Diana eine Burrnesha ist? „Ja“, sagt einer der Män-ner. Ist sie in seinen Augen eine Frau oder ein Mann? „Xhimi?“, fragt er. „Xhimi ist ein Mann, ein richtiger Mann.“ Xhimi, Jimmy, so wird sie von manchen der Männer genannt.
Diana ist kein Mensch, der unbemerkt irgendwo sitzt. Sie lacht laut, sie redet laut, sie gestikuliert, schnalzt mit der Zunge, und manchmal haut sie auch auf den Tisch, dass die Tassen scheppern. Nur ein einziges Mal verändern sich ihr Ton und ihre Körperhaltung, dann wird sie fast ein wenig schüchtern oder eher: schamhaft. Mit leiser Stimme sagt sie: „Wie kannst du in Anwesenheit eines Mannes so eine Frage stellen?“ Die Fo-tografi n hatte sie gefragt, ob sie die Tage bekomme wie andere Frauen.
In einem Film hat eine andere Burrnesha erzählt, dass sie ihre Tage schon lange nicht mehr habe, dass ihr Körper irgendwann aufgehört habe, eine Frau zu sein. Das Leben dieser Frauen zeigt, wie sehr die Geschlechter-frage auch eine Frage von Erziehung und eigener Lebenseinstellung ist. Warum die Frauen sich für das Leben eines Mannes entscheiden, kann verschiedene Gründe haben. Die einen wollen so der arrangierten Hei-rat entgehen, ohne dass die eigene Familie das Gesicht verliert. Andere mussten Mann werden, weil der Patriarch der Familie gestorben war und es keine anderen männlichen Nachfahren gab.
Bei Drande Dodaj war es die Hoffnung auf ein Leben, für das sie sich nicht rechtfertigen muss. „Ein Mann“, sagt sie, „kann tun, was er will.“
Sie ist 53 und lebt in Lezhë, einer Stadt im Norden. Drande hat das Gesicht eines Mannes, wer sie sieht, kann sich nur schwer vorstellen, dass sie mal ein Mädchen mit langen Locken war. Ihre Züge sind hart geworden mit den Jahren. Als sie 19 war, ist ihr Vater gestorben. Ihre beiden älteren Schwestern waren bereits verheiratet, sie war die dritte in der Reihe: Es war an ihr, bei der Mutter zu bleiben und sich um sie zu kümmern.
Die Familie stammt ursprünglich aus den Bergen bei Shkodër. Es ist die Mutter, eine sanfte, kleine Frau, mit drei Zahnstümpfen im Mund, die von Drandes Vater erzählt. Die Heirat mit ihm war arrangiert, sie war 15, und als sie schwanger wurde, hat sie die Kinder allein zur Welt gebracht, sie traute sich nicht mal, ihren Mann um ein Glas Wasser zu bitten. Wäh-rend sie erzählt, starrt Drande in die Ferne. Einmal, erzählt die Mutter, seien Drande ein paar Schafe weggelaufen, und aus Angst vor dem Vater sei sie auf einen Baum geklettert, einen ganzen Tag lang harrte sie dort aus. Wer Drande erlebt, bekommt den Eindruck, dass die Strenge des Vaters sie geprägt hat. Es ist, als hätte sie eine Sehnsucht nach dieser Autorität. Sie klagt über eine Nachbarin, die mit ihren beiden Söhnen zu nachsichtig sei. Manchmal scheucht Drande die Kinder weg, mit lauter Stimme und einem festen Tritt auf den Boden.
Ihre Entscheidung, ein Junge zu werden, fällte Drande nach der achten Klasse. Ihre Mädchenkleider hat sie damals verbrannt. Hat sie die Ent-scheidung bereut? „Es ist mein Charakter, nicht über eine Entscheidung nachzudenken, die ich getroffen habe.“
So ist es bei den meisten Burrneshas: Sie vermeiden es, das Leben infrage zu stellen, für das sie sich in jungen Jahren entschieden haben. „Es be-leidigt die geschworenen Jungfrauen, über ihre Gefühle zu sprechen“, schreibt die Anthropologin Antonia Young, „es zerstört ihren Ruf als ehrbare Männer.“
Sanije Vatoci ist da eine Ausnahme. Sie hat sich als 14-Jährige den Schwur gegeben, nach dem Tod des Vaters. Sie sagt, es sei der Wunsch des Vaters gewesen, dass sie als Junge aufwuchs. Er hatte sich einen Sohn gewünscht, aber zwei Söhne waren kurz nach der Geburt gestorben.
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Dann kam Sanije zur Welt. Die Mutter sagte: „Sie ist ein Mädchen, lass sie ein Mädchen sein.“ Aber der Vater wollte davon nichts hören. Als die Mutter ihr ein Kleidchen anziehen wollte, sagte er: „Finger weg von meinem Sohn.“ Sanije sagt, er habe sie mehr geliebt als seine ande-ren Kinder.
Sanije ist anders als die anderen Burrneshas. Sie zweifelt. Und sie spricht darüber. Vielleicht ist es Zufall, aber Sanije ist diejenige, deren Gesicht am weiblichsten geblieben ist, weniger harsch. „Als ich mit 14 geschwo-ren habe, habe ich mir keine Gedanken gemacht, was das bedeutet“, sagt sie. „Je älter ich werde, desto mehr merke ich, die Entscheidung war falsch. Gott wollte, dass ich eine Frau bin und Kinder kriege.“ Dann zeigt sie ein Foto von sich in einem Hochzeitskleid. Es war das Kleid einer Freundin, zuerst wollte sie es nicht anziehen, aber dann hat die Freundin sie überredet, es anzuprobieren, nur so zum Spaß. Sie betrach-tet das Foto lange, und dann lächelt sie. „Es hat mir gepasst.“
Was würde sie einem jungen Mädchen sagen, das vor der Entscheidung steht, das Leben eines Mannes zu führen? „Mach den Fehler nicht, wür-de ich sagen, denn du wirst einsam bleiben und etwas in deinem Leben vermissen.“
Für Diana Rakipi ist klar: Sie würde niemals heiraten oder ein Kleid an-ziehen. Das hat sie geschworen, und der Schwur sei in Albanien wich-tiger als das Leben des eigenen Sohnes, sagt sie. Und was ist mit der Lie-be? Ist das nicht ein großer Verzicht?
Diana greift in die Tüte neben ihrem Stuhl, sie holt etwas heraus, das in ein Tuch gewickelt ist. Dann hält sie eine Gartenschere hoch. „Die habe ich immer dabei“, sagt sie. Manchmal läuft sie durch die Stadt und stutzt Hecken und Wildwuchs. Auch den Garten vor dem Café hat sie angelegt, Büsche und Blumen gepfl anzt. „Das ist meine Liebe“, sagt sie: Saatgut in die Erde pfl anzen, sehen, wie eines Tages die Blumen wachsen, und sie pfl egen.
Sie winkt den Kellner heran, bestellt die Rechnung, dann geht sie zur Toilette. Sie nimmt die Tür mit dem Männerkonterfei.
Zurück am Meer, auf der Mole, stellt sie sich neben die Angler und scherzt mit ihnen. Deren Beute bislang: zwei kleine Fische. Sie liegen in einer Pfütze. Sie sagt, vor Kurzem habe sie einen anderthalb Meter groß-en Fisch an Land gezogen, nicht solche Winzlinge. Sie zieht ein Messer aus der Tasche, bückt sich und schuppt die beiden kleinen Fische. Sie schneidet die Flossen ab, schlitzt sie auf, zieht die Gedärme heraus und wirft den Abfall ins Meer.
Auf die Frage, ob es schwierig sei, das Leben eines Mannes zu leben, sagt sie: „Nein. Es ist mein ganz normales Leben.“
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Andrej Sytschow verlor bei der Armee beide Beine – dennoch würde er zurückkehren. — Gewalt unter Kameraden ist trauriger Alltag in der russischen Armee. Jedes Jahr werden Tausende Rekruten von älteren Soldaten misshandelt. Mitunter enden die Schikanen tödlich oder die Opfer fristen ein Leben als Invaliden; wie Andrej Sytschow, der schockierendste Fall der so genannten Dedowschtschina. Auch wenn die Armee sein junges Leben zerstört hat – Sytschow würde am liebsten wieder eine Uniform anziehen.
Andrej sitzt im Wohnzimmer und ist doch ganz woanders. Vielleicht sind seine Gedanken gerade wieder in dieser einen Nacht, die sein bishe-riges Leben abrupt beendete. Und nach der nichts so sein sollte, wie er es sich für die Zukunft gewünscht hatte.
Diese eine Nacht war Silvester 2005. In der Panzeroffi ziersschule in Tscheljabinsk im Südural wollten die Soldaten das neue Jahr gebührend begrüßen. Seit sechs Monaten war auch der 19-jährige Andrej Sytschow in der Kaserne stationiert. Es gab Salate und viel Wodka. Als ältere Sol-daten den jüngeren Rekruten befahlen, den Tisch abzuräumen, bevor die Offi ziere zurückkehren, kam es zum Streit. Mehrere Soldaten zwangen Andrej in die Hocke, fesselten und verprügelten ihn. Stundenlang.
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Erst drei Tage nach dieser Folter kam er ins Lazarett der Kaserne, nach-dem Andrej nicht mehr aufstehen konnte. Von dort ging es einen Tag später ins Militärhospital der Stadt. In einem lebensbedrohlichen Zu-stand folgte weitere zwei Tage darauf die Verlegung in ein öffentliches Krankenhaus. Blutvergiftung und Wundbrand lautete die Diagnose der Ärzte. Um Andrejs Leben zu retten, mussten sie beide Beine und die Ge-nitalien amputieren. Nun erst erfuhr auch seine Mutter Galina Sytscho-wa von einem Chirurgen, was ihrem Sohn widerfahren war.
Heute, mehr als zweieinhalb Jahre später, starrt Andrej gedankenver-loren aus dem Wohnzimmerfenster auf den benachbarten Block. Das braune Haar trägt er nicht länger, als es beim Militär üblich ist. Er sagt kaum ein Wort. Stattdessen spricht seine Mutter. „Wir versuchen, uns nicht zu erinnern“, erklärt Sytschowa. Ein Alptraum sei das alles gewe-sen, so die 54-Jährige. Je öfter sich ihr Sohn an die Silvesternacht erin-nere, desto nervöser sei er. Dann schließe sich Andrej in seinem Zimmer ein und weine.
Sytschowa erzählte einer Journalistin damals vom Zustand ihres Sohnes. So gelangte die Nachricht vom Soldaten, der ohne Beine in einem Kran-kenhaus in Tscheljabinsk liegt, in die Medien und sorgte auch interna-tional für Schlagzeilen. Die Militärs versuchten den Skandal zunächst zu verschweigen und später herunterzuspielen. Andrej habe sich selbst die Beine abgebunden, um sich so dem Dienst zu entziehen, war nur eine von vielen offi ziellen Ausreden. Dabei gehört Gewalt unter Kame-raden zur russischen Armee wie Gleichschritt und Schießübungen. Er-pressung, Prügel, Zwangsarbeit, Folter und Vergewaltigung sind an der Tagesordnung. Die Soldaten sind sich selbst die größten Feinde.
„Dedowschtschina“ nennt der Volksmund die Misshandlung von Re-kruten durch ältere Soldaten, übersetzt bedeutet das Wort soviel wie „Herrschaft der Großväter“. Wer Erniedrigung und Folter im ersten Dienstjahr übersteht, gibt sie an die folgenden Militärdienstleistenden weiter.
Das Komitee der Soldatenmütter, eine Organisation, die gegen diese Missstände kämpft, zählt jedes Jahr Tausende Misshandlungen. 341 Sol-
daten setzten im vergangenen Jahr nach Angaben der Militärstaatsan-waltschaft ihrem Leben freiwillig ein Ende. Auslöser für diese Entschei-dung soll nach Expertenangaben in den meisten Fällen brutale Quälerei gewesen sein. Die Dunkelziffer der Gewalttaten dürfte noch weit höher liegen. Jeder Rekrut werde misshandelt, mal mehr mal weniger stark, heißt es bei den Soldatenmüttern. „Die Armee ist ein Menschenfresser“, sagt Ludmila Sintschenko von der Organisation in Tscheljabinsk.
Im Juli ist die Frühjahrseinberufung von gut 130 000 Rekruten zu Ende gegangen. Sie sind die ersten, deren Wehrdienst nur noch ein Jahr dau-ert statt bisher zwei Jahre oder anderthalb während einer kurzen Über-gangsphase. Die steigende Zahl der Zeitsoldaten erlaubt die kürzere Wehrdienstdauer, gleichzeitig könnte dies ein Mittel gegen die Dedow-schtschina sein. Zunächst werde allerdings das Gegenteil der Fall sein, glauben viele Kenner der Armee: Denn wer noch länger dienen müsse, „räche“ sich nun an den neuen Rekruten. Ein Ende der Misshandlungen sei nur mit einer Neuformation der Armee zu erreichen, zumal die Zu-stände von den Offi zieren gebilligt werden. Mitunter üben sie selbst Ge-walt gegen Unterstellte aus.
Kaum ein anderer Misshandlungsfall erschütterte das Land so wie die Tragödie von Tscheljabinsk. Der leitende Militärstaatsanwalt nannte die Quälerei damals das zynischste Verbrechen an einem Wehrpfl ichti-gen, das er je erlebt habe. Die Konsequenzen waren jedoch gering. Der Haupttäter wurde zu vier Jahren Haft verurteilt, zwei weitere Soldaten kamen mit anderthalb Jahren auf Bewährung davon. Der Generalmajor der Panzerfahrerschule musste seinen Posten räumen. Seit einem Jahr ist die Kaserne geschlossen, es gibt Pläne, das Gelände als Krankenhaus weiter zu nutzen. Nach dem Skandal war die Rede von mehreren Maß-nahmen gegen die Dedowschtschina: Zugang der Eltern zu den Kaser-nen etwa oder die Bildung einer Militärpolizei. Wirkliche Reformen blieben jedoch aus.
Die Familie Sytschow bekam Geld für Medikamente und auf Geheiß des Präsidenten Wladimir Putin eine Wohnung in Jekaterinburg vom Verteidigungsministerium gestellt: 66 Quadratmeter groß, in einem riesigen Wohnblock. Die Kosten für die Einrichtung mit Flachbild-
Wenn der Wehrdienst wehrlos macht Oliver Bilger
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fernseher und Einbauküche hat Andrejs jüngste Schwester Marina über-nommen, die mit ihrem Sohn Robert ebenfalls in der Wohnung lebt. Weder Andrejs staatliche Hilfe von umgerechnet knapp 210 Euro im Monat noch die rund acht Euro Arbeitslosengeld seiner Mutter würden für solche Ausgaben reichen. Ihren Beruf als Verkäuferin hat Sytschowa aufgegeben, um ganz für ihren Jungen da zu sein. In den drei Zimmern der Wohnung liegt Holzlaminat, in Andrejs Raum fl immert der Compu-ter. Das Haus ist erst wenige Jahre alt, der weiß-beige Anstrich blättert noch nicht so wie der Putz an umliegenden Häusern, die hier seit 20, 30 Jahren stehen.
Die Betonblocks reihen sich entlang einer Straße im Sortirowotschnyj-Bezirk, ganz im Nordwesten der Stadt. Es ist keine gute Wohngegend, Einheimische meiden sie, sofern sie es sich leisten können. Stattdessen leben hier überwiegend Gastarbeiter aus Zentralasien. Die Kriminalität ist hoch, das Stadtzentrum etwa eine halbe Busstunde entfernt.
Für Andrej ist die Innenstadt fast unerreichbar. Bis zur nächsten Bu-shaltestelle sind es fast 15 Minuten. Nach einigen hundert Metern verwandelt sich die Straße in einen ungeteerten Pfad, der viel eher in einem Uraldorf als in der Gebietshauptstadt zu erwarten ist und auf dem Andrejs Rollstuhl in den Schlaglöchern stecken bleibt. In die engen Marschrutka-Busse kommt er mit dem sperrigen Gefährt ohnehin nicht. Es gibt keinen Park in der Nähe. Nur den kleinen Hof vor dem Haus, wo viele Autos parken, der im Sommer staubig und im Winter vereist ist. „Mit dem Rollstuhl können wir in der Stadt nirgendwohin“, klagt Mutter Galina.
Deshalb soll Andrej die Sommermonate künftig in Krasnoturjinsk ver-bringen. Die Kleinstadt, fast fünf Autostunden nördlich von Jekaterin-burg, ist seine Heimat. Dort lässt die Familie gerade eine Datscha bau-en. Sytschowa hat ein bisschen gespart, damit das Häuschen schneller bezugsfertig ist. Arbeiter verputzen gerade die Wände, in der nächsten Woche sind die Gurken reif, die bereits im Garten wachsen. Im Herbst sollen die Arbeiten abgeschlossen sein. Auf dem Land sei es besser für Andrej, sagt seine Mutter. Dort könne er Obst und Gemüse anpfl anzen und sich so ein wenig beschäftigen. Im Winter muss Andrej zurück in
die Stadt, denn in der Provinz fehlen die Ärzte, auf die er noch immer angewiesen ist. Besonders im Notfall wäre er dort von einer schnellen Hilfe abgeschnitten. Immer wieder hat Andrej fi ebrige Anfälle, weil eine Niere nicht mehr funktioniert. Er nimmt Medikamente, die seinen Urin verdünnen. Ein Röhrchen in der Niere ermöglicht, dass er überhaupt auf Toilette kann.
Doch der nächste Sommer ist noch fern. Und der Alltag ist für Andrej ein Kampf gegen die Langeweile. Beschäftigung gibt es nur wenig. „Sein Leben ist ziemlich eintönig“, klagt Sytschowa. Die meiste Zeit verbringt er vor dem Computer, surft gewöhnlich durchs Internet. „Meistens auf Yandex“, sagt Andrej leise, während er eine Kurznachricht in sein Handy tippt. Oder er spricht mit Freunden am Telefon. Doch es sind nicht viele, seine Mutter kennt nur zwei oder drei. „Er telefoniert sogar mit einem Mädchen“, freut sie sich. Bis vor einem Jahr hat Andrej ein Internet-blog geschrieben. Worüber? „Ich kann mich nicht erinnern“, antwortet er knapp. Seiner Mutter hat das Blog ohnehin nicht gefallen. Denn im Internet gab es neben vielen unterstützenden Worten für Andrej auch Beschimpfungen und – kaum vorstellbar – Neid von Menschen, die ei-fersüchtig auf die fi nanzielle Hilfe und die Wohnung blicken. „Da wird man ganz traurig“, seufzt Sytschowa, „das macht mich krank.“
Die Wohnung würde sie sofort zurückgeben, könnte sie damit die Ver-gangenheit ändern. Aber: „Für kein Geld der Welt bekommt Andrej sei-ne Gesundheit zurück.“ Der Traum der Familie, gemeinsam unter einem Dach zu leben, ist geplatzt. Die beiden ältesten Töchter wohnen in Kras-noturjinsk, also zu weit vom nächsten Krankenhaus. Andrejs Vater starb vor fünf Jahren an Nierenversagen. Hätte Andrej noch zwei gesunde Beine, könnte er heute seinen Traumberuf ausüben. Dann wäre er Auto-mechaniker, davon ist seine Mutter überzeugt.
Nur wenn seine vier Neffen zu Besuch sind und sie gemeinsam spielen, ist es Andrej nicht langweilig. Obwohl sie sehen, was ihrem Onkel wider-fahren ist, sind sie begeistert von der Armee, träumen von Waffen und Uniform. Auf dem Regal über dem Fernseher steht sogar ein Foto mit dem siebenjährigen Robert in Uniform und mit Gewehr. Andrej selbst erklärte vor einigen Wochen, er würde jetzt gern zum Militär gehen. Er
Wenn der Wehrdienst wehrlos macht Oliver Bilger
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Wenn der Wehrdienst wehrlos macht Oliver Bilger
könne dort doch trotz allem als Sekretär arbeiten. In Russland entzieht sich dem Wehrdienst, wer irgend kann, aber Andrej wollte damals un-bedingt zur Truppe, Panzer fahren war sein großer Traum. Auch heute sieht er gerne Filme über die Streitkräfte. „Im Inneren will er noch im-mer zur Armee“, glaubt seine Mutter. Sytschowa selbst fi ndet die Ar-mee gut. Soldaten seien stark und vom Volk anerkannt. Und das Militär mache Jungs zu Männern. Ihre Worte klingen nach längst vergangenen Tagen, als die Rote Armee noch der Stolz einer Supermacht war.
Obwohl Andrejs körperliche und seelische Schäden eigentlich eine An-klage der Missstände in der Armee sind, sieht Sytschowa die Schuld nicht beim Militär generell. Sie schiebt die Verantwortung einer Reihe von schwarzen Schafen zu. Die Kette der Schuldigen sei sehr lang und reiche bis in die höchsten Ränge. Sie meint alle, die den Skandal verheimlichen wollten. Disziplin sei das einzige Mittel gegen diese Zustände. Alles hän-ge von den Kommandeuren ab.
Andrej ist noch immer traumatisiert. „Ich gebe mir Mühe, ihn auf-zumuntern, dass alles gut wird“, erzählt Sytschowa. Leicht sei das je-doch nicht, ergänzt sie und muss sich eine Träne aus dem Auge wischen. Mit einem Psychologen sprach Andrej nur kurze Zeit im Krankenhaus. Verändert habe er sich nicht, so seine Mutter. Vielleicht könne er ein-sehen, dass man auch mit der Behinderung leben kann – später einmal, wenn er älter sei.
Ob er dennoch Pläne und Träume für die Zukunft hat? Andrej schüt-telt den Kopf und verzieht die Lippen zu einem gequälten Lächeln. Dann spielt er an seinen Fingern herum, blickt auf den Boden. Keine Antwort. „Möchtest du dein eigenes Haus?“, fragt ihn die Mutter. Keine Reaktion. Sie seufzt: „Alle Pläne scheitern. Wozu sich dann überhaupt etwas wünschen?“ Nach der Armee wollte Andrej ein Haus bauen, ein Auto kaufen und arbeiten. „Aber auf einmal ging alles schief.“ Andrej dreht sich um und rollt aus der Wohnstube. „Er weint jetzt in seinem Zimmer“, sagt Sytschowa.
Ein spezielles Auto, das Andrej auch ohne Beine bedienen kann, hätten ihm „Leute“ versprochen, berichtet seine Mutter weiter, ohne zu verra-
ten, wen genau sie meint. Bekommen hat er es nie. Jura wollte er studie-ren, hat diesen Gedanken aber längst wieder verworfen. Vor einem Jahr versuchten Mitglieder der Oppositionspartei SPS, ihn zu einer Kandi-datur für die Stadt-Duma zu überreden. „Dort soll ein starker, gesunder Mann sitzen“, fi ndet Sytschowa, „für uns ist das nichts“.
Von den Politikern und anderen, die den Jungen für ihre Ziele einspannen wollten, interessiere sich heute niemand mehr für Andrej, sagt Sytscho-wa. Sie verstehe, dass mit der Zeit das Interesse nachlasse, dennoch ist sie ein wenig enttäuscht. „Manchmal tut es weh“, sagt sie, „sie könnten doch anrufen und fragen, wie es geht und ob wir etwas brauchen.“ Vom Militär fühlt sie sich schon lange allein gelassen. Zwei Mal im Jahr muss Andrej zu Untersuchungen in ein Militärhospital nach Moskau. Früher habe die Armee noch die Reisekosten gezahlt, seit diesem Jahr fehle auch dieser letzte Rest an Unterstützung. Sytschowa ist überzeugt, dass ihr Sohn trotz allem Wünsche hat: „Er träumt wie jeder andere Mensch.“ Im nächsten Jahr steht ihm eine weitere Nierenoperation bevor. Danach wollen sie weiterdenken, vielleicht an das Spezialauto. Kürzlich hat in Jekaterinburg ein neues Reha-Zentrum eröffnet. Eine Mannschaft von Rollstuhl-Volleyballern hat Andrej dorthin eingeladen. Er mag Volley-ball. Andrej spielt es mit seinen Neffen und Nachbarkindern, wenn ihn seine Schwester Marina alle zwei Wochen auf die fast fertige Datscha fährt. „Da wird er munter“, sagt seine Mutter.
Vielleicht ist der Sport eine Chance, häufi ger dem engen Wohnzimmer und somit der Langeweile zu entfl iehen – und dies ein kleiner Hoff-nungsschimmer auf ein besseres Leben. Andrej hat bereits versprochen, die Volleyballmannschaft zu besuchen.
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Thorsten Herdickerhoff
Boris Herrmann
Jan Pallokat
Andreas Unger
Annabel Wahba
Elke Windisch
Es bleibt das Gefühl des moralischen Sieges (Stuttgarter Zeitung, 19.08.2008)
Die Heimkehrer (Berliner Zeitung, Magazin, 24.05.2008)
Weizen ohne Ende (Die Zeit, 28.08.2008)
Herrn Makarewitschs Gespür für Eis (chrismon, März 2009)
Meine Putzfrau kehrt heim (Die Zeit, Magazin, 21.08.2008)
Die Sinfonie des Krieges (Tagesspiegel, 25.08.2008)
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