Dr. Stefan Meyer Georg-August-Universität Göttingen Albrecht-von-Haller-Institut für Pflanzenwissenschaften
EINFÜHRUNG ….zu Ackerwildkräutern und Schutzmaßnahmen
Stefan Meyer
► Werden und Wandel der Segetalflora Fokus: Veränderungen in den letzten Jahrzehnten ► Möglichkeiten zur Förderung Schutzkonzepten, Flächeneinschätzung, Bewirtschaftung
► Ausblick
GLIEDERUNG
12. Oktober 2017
Stefan Meyer
EINLEITUNG
12. Oktober 2017
Thema ist in der breiten Bevölkerung angekommen
Stefan Meyer
EINLEITUNG
12. Oktober 2017
Stefan Meyer
ENTSTEHUNG AGRARLANDSCHAFT
Zagros-Gebirge: 10.000 - 9.000 v. Chr. (älteste bekannte Nachweise neolithischer Siedlungen)
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Wechsel von Anbau-, Brache- und Grünlandphasen (diversifizierte Ackerflora) 12. Oktober 2017
Stefan Meyer
© Erika Bird // Robin Searle © Stefan Meyer © Stefan Meyer © Stefan Meyer
12. Oktober 2017
ENTSTEHUNG AGRARLANDSCHAFT
Ausbreitung des Ackerbaus nach (Mittel-)Europa
Stefan Meyer
BURRICHTER et al. 1993
12. Oktober 2017
ENTSTEHUNG AGRARLANDSCHAFT
Stefan Meyer
Fortschritte im Ackerbau über Jahrtausende wirkten sich auch auf die Zusammensetzung der Ackerwildkrautflora aus!
12. Oktober 2017
● (Grün-)Düngung seit der Antike bekannt (Gesteinsmehle)
• 11. Jhd. Einführung der Dreifelderwirtschaft
• Fortschritte in der Züchtung von Getreidesorten
• 18. und 19. Jahrhundert ”industrielle Revolution” im Ackerbau (Erfindung Kunstdünger, Mechanisierung, Einsatz Herbizide)
• industrielle Landwirtschaft im 20./21. Jahrhundert
„welche stellenweise als eine wahre
Landplage, als eine Pest der Äcker
auftreten, … dem Landmann bekannt
und verhaßt“.
Bogenhard (1850) Taschenbuch der Flora von Jena Breitblättrige Haftdolde Strahlen-Breitsame
ENTSTEHUNG AGRARLANDSCHAFT
Stefan Meyer
• Gesamtartenzahl der mitteleuropäischen Segetalflora ca. 320-350 Arten (1/3 heimisch, 2/3 zugewandert)
• ca. 90 Arten „Segetalarten“ / ca. Arten ertragsmindernd • in Roten Listen in Deutschland ca. 120 Arten (ausgestorben oder verschollen 15-18 Arten)
20-25
12. Oktober 2017
ENTSTEHUNG AGRARLANDSCHAFT
Stefan Meyer
RÜCKGANGSURSACHEN (Auswahl)
• Lichtkonkurrenz durch extrem dicht stehende Getreidezuchtsorten
• Nutzungsaufgabe von ertragsschwachen Standorten (flachgründige Kalkäcker, bodensaure Sandäcker, vernässungsgefährdete Standorte) „Vergrünlandung der Landschaft“ Hauptgefährdungsursache!
• Flurbereinigung Schwund von typischen Strukturelementen wie Hecken, Feldraine und nasse Senken als Rückzugsräume
• dauerhafte Anwendung effizienter Herbizide Rückdrängung herbizidempfindlicher Arten
Sommer-Adonisröschen (Adonis aestivalis) „Getreidewüste“
12. Oktober 2017
Landwirtschaft größter Nutzungstyp in Europa (Stoate et al. 2009)
Deutschland: Hälfte des Landes = Landwirtschaft (DESTATIS 2014)
~4 Mio. ha (11.5%) GL – ~12 Mio. ha (35%) AL [430.000 ha ÖL]
Hoher Druck auf Ackerland!
Stefan Meyer
STATUS QUO
12. Oktober 2017
► Intensive (konventionelle) Landwirtschaft braucht einen hohen Energieaufwand (Pestizide, synthetische Stickstoffdünger), enge Fruchtfolgen, geringe Kulturartenvielfalt….
(Leuschner, Meyer et al. 2013)
Stark steigende Erträge (z.B. Winterweizen 2.5fach höher als in 1950ern)
Stefan Meyer
STATUS QUO
12. Oktober 2017
► Intensive (konventionelle) Landwirtschaft stellvertretend Glyphosat-Debatte Befragung 2026 Landwirte (23% keine Nutzung Glyphosat) Stoppel/Vorsaat
Wieder stärker „ackerbauliche“ Maßnahmen berücksichtigen!
Wichtig bei EU-Zulassung BIODIVERSITÄT!
Stefan Meyer
STATUS QUO
12. Oktober 2017
Wiese et al. (2017) Pest Management Science
Stefan Meyer
Bedeutung Artenvielfalt auf Ackerstandorten
Millenium Ecosystem Assessment (Duriappah & Naeem 2005)
• Diversität ist entscheidend für das Funktionieren von „Ecosystem Services“ (Duriappah & Naeem 2005, Tscharntke et al. 2005)
• Fördernde Leistungen: bietet Lebensraum- und Nahrungsressourcen
• Regulierende Leistungen: Bestäubung/Biologische Schädlingskontrolle
• Studien von Ackerstandorten (Obrist & Duelli 1998) zeigen einen positiven Zusammenhang zwischen Diversität von Flora und Fauna
STATUS QUO
12. Oktober 2017
Warum sollte man Segetalarten erhalten?
• Schutz und Erhalt gefährdeter Arten und -gesellschaften aus naturwissenschaftlichen, ethischen u. ästhetischen Gründen Zeugen der Kulturlandschaftsentwicklung (Faktor Emotion) • Bewahrung des genetischen Potentials von „Unkraut“-Sippen! (Ökonomie) • „Ökosystemdienstleistungen“ Bestäuber, Ressourcenschutz (z.B. Grundwasser) • Nahrungs-/Pollenressourcen z.B. für Feldvögel (auch starker Rückgang) Primärressource in Nahrungsnetzen Rückgang Biomasse flugaktiver Insekten >75% (SORG et al. 2013) • Erosionsminderung, N-Fixierung
Stefan Meyer
STATUS QUO
12. Oktober 2017
© Roland Günther
Starke Verluste Pflanzendiversität auf Äckern durch land-wirtschaftliche Intensivierung (Stoate et al. 2009)
• Konflikt Landwirtschaft ↔ Naturschutz (Hampicke 2010)
• stark gefährdeter Habitattyp in Mitteleuropa (Ellenberg & Leuschner 2010)
• ~120 Ackerwildkräuter auf Rote Liste Deutschlands (Hofmeister & Garve 2006)
• hohe Verantwortung für Schutz/Förderung einzelner Arten (Welk 2001)
• (sehr) beschränkte gesetzliche Schutzinstrumente (Meyer et al. 2010)
• kein NATURA 2000 Habitattyp (nur Bromus grossus FFH-taxa)
‚Problemgruppe der Naturschutzes‘
Stefan Meyer
Biodiversitätsstrategie der Bundesregierung
„bis 2015 ist der Artenschwund in der Kulturlandschaft gestoppt“
STATUS QUO
12. Oktober 2017
Stefan Meyer
BioChange (Uni Göttingen)
Sand 1 – Reese (1951) 31 2 – Berkhof (1955) 38 3 – Nuthe-Neplitz (1956) 46 4 – Luckau (1960-61) 39
Lehm 5 – Erzhausen (1959) 45 6 – Göttingen (1960) 37 7 – Halle (1958) 40
Kalk 8 – Hainleite (1956-57) 39 9 – Arnstadt (1959-62) 37 10 – Saaletal (1959)-61 40
12. Oktober 2017
392 Wiederholungs-Kartierungen 1950er/60er - 2009
Stefan Meyer
Veränderungen Deckungsgrade Feldfrüchte: 60% → 95% (+45%) Begleitvegetation (Inneres) 20% → 3% Deckung (-75%)
hist Y20090
2040
6080
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cropsherbs
2009 1950/60
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%
DECKUNGSGRAD
12. Oktober 2017
ARTENZAHLEN
Stefan Meyer
Artenzahlen pro Aufnahme Gesamtartenset - historisch: 301 Arten - aktuell: 198 Arten (-34%)
Median Gesamtzahl - historisch: 24 - aktuell: 7 (-71%) Substrat-Unterschiede - historisch: Kalk artenreich (29) - aktuell: Kalk artenarm (7) (-76%) Wenig Substratdifferenzierung
(Meyer et al. Div. & Distr. 2013) histor. recent
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1950/60 2009
12. Oktober 2017
ARTENZUSAMMENSETZUNG
Stefan Meyer
Vergleich nur Innen Vergleich hist Innen - Rand Außen
50er I 2009 I p 2009 R 50er I p Differenzen p2-p1ARNOSERIS MINIMA 16 0 0,0005 0 16 0,00050 0,00000CENTAUREA CYANUS 35 10 0,0005 20 35 0,00050 0,00000SPEGULA ARVENSIS 30 4 0,0005 9 30 0,00050 0,00000PAPAVER RHOEAS 35 15 0,0005 36 35 0,42070 0,42020ANAGALIS ARVENSE 46 7 0,0005 13 46 0,00050 0,00000CAPSELLA BURSA-PAST. 56 25 0,0005 35 56 0,00050 0,00000ADONIS AESTIVALIS 16 1 0,0005 5 16 0,00050 0,00000CONSOLIDA REGALIS 22 3 0,0005 9 22 0,00050 0,00000LATHYRUS TUBEROSUS 18 0 0,0005 5 18 0,00050 0,00000
%Frequenz %Frequenz
Signifikante Abnahmen bei 131 Arten, Zunahmen bei 18 Arten 12. Oktober 2017
Stefan Meyer
Art Deutscher Name Honigbiene
Wildbienen Trend (1950er – 2009) Nektar Pollen
Daucus carota Wilde Möhre ++ + + -43%
Knautia arvensis Acker-Witwenblume +++ + ++ -100%
Matricaria chamomilla Echte Kamille + ++ ++ -53%
Myosotis arvensis Acker-Vergißmeinnicht +++ +++ ++ -65%
Papaver rhoeas Klatschmohn - +++ +++ -57%
Bewertung Nahrungsgrundlage Bienen Auszug aus Krautzer & Grains (2014)
ARTENRÜCKGANG
Acker-Witwenblume Echte Kamille Klatschmohn
12. Oktober 2017
SCHUTZKONZEPTE
Stefan Meyer
• erste Überlegungen in den 1950er-Jahren - Erhaltungskulturen in Botanischen Gärten, Freilichtmuseen - Sicherung von „Mustern“ in Genbanken - Anlage von Feldflorareservaten/Ackerrandstreifen Problem: Konzepte zielen (meist) nur Arterhalt ab
Erhaltungskulturen im Freilichtmuseum Kommern (1984)
Ebenen der Diversität genetische Arten Gesellschaft Ökosystem
04. April 2017
100 ÄCKER FÜR DIE VIELFALT
Stefan Meyer
112 Schutzacker(komplexe) 480 ha Kalk-, Lehm-, Sand- und Feucht-äcker, Weinberg Defizite bei Feuchtäckern, z.T. Bewirtschaftung und Monitoring
12. Oktober 2017
ACKERRANDSTREIFEN
Stefan Meyer
• AUM verlieren (?) bei den Landwirten zunehmend an Attraktivität - ständig wechselnde Förderbedingungen - oft starre, unflexible Programmausgestaltung (Bsp. Kartoffeln, doppelte Reihe) - bürokratischer Aufwand „Angst“ vor Kontrollen - keine langfristige Deckung (<5 Jahre) der Bewirtschaftungsmehrkosten - Flächenkonkurrenz Anbau von Bioenergie/Blühstreifenprogramme/ÖVF
Effizienz der Maßnahmen? unterschiedliche Ergebnisse (Kleijn et al. 2001, 2006)
12. Oktober 2017
Vortrag Stefan Meyer
Baukastenprinzip (Module) Finanziell gut ausgestattet Erfolge durch „große“ Flächenkulisse
Beispiel: LK Bayreuth ca. 70 ha (56 Äcker) TW-Schutzgebiet Flächenauswahl UNB Probleme mit Gräsern! Naturschutzfachliche Wertigkeit
12. Oktober 2017
VNP-ACKER BAYERN
VNP-ACKER BAYERN
Vortrag Stefan Meyer
PROBLEME: Keine Beratung bei Auswahl Flächen/Module Doppelter Reihenabstand!!! bis 2015 verpflichtend anschl. freiwillig
Totale Verungrasung der Flächen (50-70%) Alo myo, Ely rep, Ape spi-ven, Ave fat „Weite“ Reihe auf mittleren Standorten nicht sinnvoll!!!
12. Oktober 2017
Vortrag Stefan Meyer
Probleme & Take Home-Message
nicht nur Vorkommen seltener Arten bewerten!! (bisheriger Ansatz bei Vergleichsuntersuchungen)
Neuansatz Flächenbewertung 3 Kategorien (Habitateignung, Vorkommen Zielarten, Deckung „Unkraut“) StUMLV / LfU gefordert!
Was ist Unkraut? Hohe Deckung von Vicia villosa negativ? Holostischer Ansatz!
Was macht man mit den Flächen? Raus aus den Acker-VNP? Mehrzahl der Bewirtschafter offen mal was „zu probieren“ dafür ist das VNP zu unflexibel
Stoppelbrache: nur dort wo wirklich sinnvoll!!!
FLÄCHENAUSWAHL STEUERN! BERATUNG FÖRDERN!
12. Oktober 2017
VNP-ACKER BAYERN
RESTORATION & PIK
Stefan Meyer
„Restoration“ Ackerwildkrautflora durch jahrzehntelange intensive Bewirtschaftung sind die
Samenbanken leer (5-8 % jährliche Auflaufrate)
keine Möglichkeit der „Selbstregulation“ PIK – Produktionsintegrierte Kompensation
12. Oktober 2017
Vortrag Marion Lang
Vortrag Dominik Himmler
BRACHEN
Vortrag Stefan Meyer
Potential für Segetalflora stark abhängig vom Standort
Schwarzbrachen für max. 1-2 Jahre
Typische Brachezeiger Filzkräuter und Gelber Günsel
Anerkennung als Ökologische Vorrangflächen (ÖVF) (aber mehrjährig)
12. Oktober 2017
ÖKOLOGISCHER LANDBAU
Vortrag Stefan Meyer
Frieben et al. 2012
Oftmals auf produktionstechnisch schlechteren Standorten
bis zu 5fach höhere Artenzahlen (vor allem im Feldinneren)
Striegeln hat Einfluss, ist aber notwendig!
12. Oktober 2017
ÖKOLOGISCHE VORRANGFLÄCHEN
Vortrag Stefan Meyer
GAP-Reform Bringt keine Verbesserung für Ackerwildkräuter!
Hellgrüne Maßnahmen (Zwischenfrucht, Leguminosen) ebenso
wie dunkelgrüne Maßnahmen (Blüh- und Pufferstreifen) nicht
wirksam! …keine Produktion erlaubt!
Wirksame Maßnahme im Acker wir Ackerrandstreifen,
einjährige Brachen, extensiver Getreideanbau, Lichtäcker
wurden nicht berücksichtigt! …weil ja Produktion!
ÖVF MÜSSEN dringendst fachlich überdacht werden!
12. Oktober 2017
BLÜHSTREIFEN
Vortrag Stefan Meyer
Einjährige können (beschränkt) positive Effekte auf die Segetalflora haben
Problem: meist Anlage im Frühjahr (viele Arten sind Herbstkeimer)
Mehrjährige oft sehr Konkurrenzstark und „unkrautunterdrückend“
Evtl. positive Effekte nur im 1.(2.) Jahr!
12. Oktober 2017
BEWIRTSCHAFTUNG
Stefan Meyer
Festsetzungen von …
… Grundmaßnahmen:
- ackerbauliche Nutzung/Bodenbearbeitung
- kein Einsatz von Pestiziden (Ausnahme: selektive Herbizide)
… flexible Maßnahmen:
- organische Düngung
- später Stoppelsturz (Teiljahre)
- Bodenbearbeitung Pflug
- bei Geophyten = flach pflügen
- Betonung auf Winterfrüchte
- lichte Bestände (Bestandsreduktion)
12. Oktober 2017
BEWIRTSCHAFTUNG
Stefan Meyer
Kleegras Keine „seltenen“ Arten in den Anbaujahren (Arten überdauern in der
Samenbank -> in solchen Jahren keine Maßnahmenevaluierung)
Zwischenfrüchte
Keine positiven Effekte für Segetalarten Auflauf von Arten im Herbst / Umpflügen im Frühjahr Untersaaten standortabhängig, z.T. stark „wildkraut-unterdrückend“
12. Oktober 2017
BEWERTUNG ACKERFLÄCHEN
Stefan Meyer
Aufnahmemethoden Kartierung Indikatorartensystem
Arten des HNV-Farming-Indikators
Seltene / Rote Liste-Arten Problemarten
Abhängig von Zielstellung
Feldbegehung (zickzack) und (alle) Arten notieren
Feldrandbegehung um Potential abzuschätzen
12. Oktober 2017
AUSBLICK/EMPFEHLUNGEN
Nationale Biodiversitätsstrategie (NBS): “Bis zum Jahre 2020 ist die Biodiversität in Agrarökosystemen deutlich erhöht. Bis 2015 sind die Populationen der Mehrzahl der Arten (insbesondere wildlebende Arten), die für die agrarisch genutzten Kulturlandschaften typisch sind, gesichert und nehmen wieder zu.“
Ansatz: Extensivierung von 10% ertragsschwacher Ackerstandorte 300.000 ha (Hampicke 2010) [2.5% der Ackerfläche Deutschlands)
Stefan Meyer
Wie viel Biodiversität brauchen wir? 12. Oktober 2017
AUSBLICK/EMPFEHLUNGEN
Stefan Meyer 12. Oktober 2017
BLUME DES JAHRES
Stefan Meyer
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
12. Oktober 2017
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