Niedersächsische Landesmuseen Oldenburg
Schloss - Augusteum - Prinzenpalais
Damm 1, 26135 Oldenburg
Telefon (04 41) 220 73 00
Fax (04 41) 220 73 09
www.landesmuseum-ol.de
Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Oldenburg
Schloss - Augusteum - Prinzenpalais
Das Kunstwerk des Monats Dezember 2017Johannes Lingelbach, Hafenszene, um 1647
Foto Titelseite© Sven Adelaide, Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Oldenburg
aus Depots des Einsatzstabes Reichsleiter Rosenberg (ERR)
bediente und bedeutende Werke bei französischen Sammlern
und Händlern weit unter Marktwert erwarb. Da der Linzer
Museumsbau kriegsbedingt nicht realisiert werden konnte,
wurden die umfangreichen Kunstbestände zunächst im
Münchner „Führerbau“ und einigen österreichischen Depots
gesammelt. Mit der Zunahme der alliierten Bombenangriffe
wurden sie in Mienen und Bergwerken wie im Salzbergwerk
Altaussee im steirischen Salzkammergut deponiert. Ab Mai
1945 wurden sie von den Alliierten sichergestellt und u.a.
im Münchner „Central Collecting Point“ mit dem Ziel der
Rückführung deponiert.
Im Kunstbesitz des Bundes
Am 10. Oktober 1945 wurde Johannes Lingelbachs
Hafenszene unter der Münchner Nummer (Mü-Nr.) 8662
im CCP registriert. Das Bild hatte den Zweiten Weltkrieg
zwar unbeschadet überstanden, anfängliche Versuche, die
Herkunft des Kunstwerkes zu rekonstruieren und etwaige
Vorbesitzer zu ermitteln, scheiterten jedoch. So wurde es
am 6. Oktober 1949 mit zahlreichen weiteren Kunst- und
Kulturobjekten mit unbekannter Provenienz an die Behörden
der Bundesrepublik Deutschland übergeben, die seitdem für
die Aufarbeitung von verfolgungsbedingten Vermögensver-
lusten zur Zeit des Nationalsozialismus verantwortlich sind.
Die Entscheidung der Bundesfinanzverwaltung, im Verlauf
der 1960er Jahre einen großen Teil der rund 3.000 Gemälde,
Grafiken, Skulpturen und kunstgewerblichen Objekte und der
über 10.000 Münzen und Bücher, die allesamt aus frühe-
rem Reichsbesitz oder privaten NS-Sammlungen stammen,
öffentlichen Museen zur Verfügung zu stellen, resultierte
aus dem Bestreben, durch Veröffentlichung Hinweise auf die
Provenienz zu erhalten.
Johannes Lingelbachs Hafenszene ist vom 4. November 2017
bis zum 25. Februar 2018 in der Sonderausstellung des Lan-
desmuseums „Herkunft verpflichtet! Die Geschichte hinter
den Werken!“ zu sehen.
Literatur:
Marcus Kenzler (Hrsg.): Herkunft verpflichtet! Die Geschichte hinter den Werken, Begleitpublikation zur gleichnamigen Ausstellung, Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Oldenburg, Oldenburg 2017Kathrin Iselt: „Sonderbeauftragter des Führers“. Der Kunsthistoriker und Museumsmann Hermann Voss (1884–1969), Wien / Köln / Weimar 2010Hanns Christian Löhr: Das Braune Haus der Kunst. Hitler und der „Sonderauftrag Linz“. Visionen, Verbrechen, Verluste, Berlin 2005http://www.lostart.dehttp://www.bva.bund.de https://www.kollerauktionen.ch
Ein Frankfurter Maler in Amsterdam
Mit der figurenreichen Hafenszene konnte das Landesmuse-
um seine Galerie Alter Meister um eine bemerkenswerte
Arbeit des deutschstämmigen Landschaftsmalers und Grafi-
kers Johannes Lingelbach ergänzen, der sich als Vertreter der
zweiten Generation der sogenannten niederländischen „Itali-
anisanten“ einen Namen machte. Als sechstes Kind von Da-
vid und Agnes Lingelbach von Eckershausen 1622 in Frank-
furt am Main geboren, siedelte er zu Beginn der 1630er Jahre
mit seiner Familie nach Amsterdam über, wo der Vater die
Bewirtschaftung der Freizeit- und Vergnügungsanlage „Ou-
den Doolhof“ übernahm.1 Johannes interessierte sich schon
frühzeitig für Malerei und absolvierte erste Ausbildungs-
schritte an einer Amsterdamer Kunstschule. 1642 begab er
sich auf Reisen, um aktuelle Positionen in den vom Barock
geprägten Kunstzentren Europas zu studieren. Nach einem
zweijährigen Aufenthalt in Paris reiste er nach Rom, das im
17. Jahrhundert als impulsgebendes Zentrum europäischer
Malerei galt und mit seinen berühmten Kunstsammlungen,
der imposanten Architektur, den Ateliers zeitgenössischer
Künstler und dem berühmten „warmen Licht des Südens“ ein
Pflichtprogramm auch für niederländische Maler darstellte.
Bis er im Frühjahr 1650 seine Rückreise über Deutschland
nach Amsterdam antrat, lebte und arbeitete Lingelbach in
der pulsierenden italienischen Metropole und schuf zahlrei-
che römische Veduten und figurenreiche Hafenansichten, die
sich durch ihre außerordentliche kompositorische Qualität,
einen beeindruckenden Detailreichtum und die präzise Schil-
derung zeitgenössischer Verhältnisse auszeichnen.
Hafenbilder zwischen Orient und Okzident
Ausdruck dieser Schaffenszeit ist auch die um 1647 entstan-
dene Hafenszene, die ein frühes Zeugnis für die intensive
Beschäftigung des Malers mit südländischen Hafenszenerien
darstellt, welche sich zu dieser Zeit zu einem beliebten Sujet
niederländischer Malerei entwickelten und vor allem ab den
1660er Jahren das Œuvre Lingelbachs prägten. Vor einer
aufragenden Bergkulisse und dem Fragment einer antiken
Säulenarchitektur wird das bunte Treiben an einem Hafen-
kai geschildert, welcher durch die räumliche Verdichtung
des Bildpersonals und die narrative Bildsprache als Bühne
eines Theatrum mundi erscheint. Begüterte Reisende mit
einem Windhund an ihrer Seite warten auf das Ablegen des
Schiffes, während Matrosen ihrer Arbeit nachgehen und
Güter auf- beziehungsweise abladen. Händler aus Europa
und dem Orient verhandeln über die Preise ihrer Waren und
stehen damit stellvertretend für die damalige Verlagerung
des europäischen Orienthandels auf den Seeweg. Ob es sich
bei dem dargestellten Hafen um einen fiktiven Ort handelt
oder der Hafen von Civitavecchia möglicherweise als Vorbild
gedient hat, der 69 Kilometer nordwestlich von Rom gelegen
zu den wichtigsten Häfen im Mittelmeer gehörte, ist nicht
geklärt. Belegt ist hingegen, dass der Maler wiederholt topo-
graphische Elemente und architektonische Versatzstücke aus
bekannten südeuropäischen Städten wie Genua verwendete,
um aus ihnen Ideallandschaften zu komponieren, die der Vor-
liebe niederländischer Käufer an exotischen Hafenansichten
entsprachen. Die Bedeutung der Niederlande als weltumspan-
nende See- und Handelsmacht, die sich in den Arbeiten des
„Goldenen Zeitalters“ widerspiegelt, mag den Kunstgeschmack
dieser Zeit geprägt haben. Die gekonnt in Szene gesetzte
Lichtführung erinnert an die kunstvolle Hell-Dunkel-Malerei
des frühbarocken Meisters Caravaggio (1571–1610), dessen
Arbeiten Lingelbach in Rom sicherlich studieren konnte. Das
warme, von links auf die Szenerie scheinende Licht verrät
einen niedrigen Sonnenstand und lässt die bloßen Oberkörper
von zwei Matrosen und das reisende Paar im Mittelpunkt der
Personenanordnung hell erstrahlen. Die übrigen Bildakteure
treten in den Schatten des Bildes zurück und verschmelzen
teilweise mit der sie umgebenden Kulisse. Der meisterliche
Duktus, die detailliert-personalisiert ausgearbeiteten Ge-
sichtszüge der Figuren und nicht zuletzt der Bildaufbau deuten
darauf hin, dass sich Lingelbach mit diesem Gemälde dem
Höhenpunkt seines Schaffens näherte.
Ein Bild für Linz
Im Mai 1943, rund 300 Jahre nach der Entstehung der Hafen-
szene, erwarb der Direktor der Städtischen Kunstsammlung
Wiesbaden Hermann Voss (1884–1969), der als Sonderbeauf-
tragter Hitlers für den Aufbau der Sammlungen des geplanten
„Führermuseums“ in Linz verantwortlich war, Lingelbachs
Gemälde „aus altem Besitz“ bei der Berliner Kunsthandlung
Dr. Rudolf Grosse. Adolf Hitler besaß eine besondere Vorlie-
be für die niederländische Malerei des „Goldenen Zeitalters“,
zudem wird die deutsche Herkunft des Malers eine gewis-
se Rolle bei der Erwerbung gespielt haben. Doch auch der
altmeisterliche Realismus der Darstellung und die detaillierte
Hervorhebung gestählter Körper entsprachen der nationalso-
zialistischen Kunstauffassung. „Ich möchte die ‚Hafenszene‘
von Lingelbach, deren Fotografie Sie soeben sandten, zum
Preis von RM 5000,-, das Barockbild der Geburt Christi (mit
Nachtbeleuchtung) für RM 7500,- für den Sonderauftrag Linz
erwerben […]“,2 schrieb Voss am 14. Mai 1943 an Grosse,
der beide Gemälde unverzüglich durch die Berliner Spedition
Haberling verschickte. Über die Kunsthandlung Rudolf Grosse
ist bis heute nur wenig bekannt. Sie ist seit 1937 mit Sitz in
der Bellevuestraße 16–18a in Berlin-Charlottenburg nach-
weisbar und arbeitete offensichtlich mit dem „Sonderauftrag
Linz“ zusammen. Inwieweit Grosse in den NS-Kunstraub und
die „Weiterverwertung“ jüdischen Eigentums verstrickt war, ist
jedoch ungeklärt.
Der „Sonderauftrag Linz“ wurde 1939 auf Befehl Hitlers ins
Leben gerufen und hatte den Sammlungsaufbau für das ge-
plante „Führermuseum“ zum Ziel, das der NS-Architekt Albert
Speer in Linz realisieren sollte. Zunächst wurde der Direktor der
Staatlichen Gemäldegalerie Dresden Hans Posse (1879–1942)
zum Sonderbeauftragten ernannt, der geeignete Stücke auf
dem europäischen Kunstmarkt sowie aus deutschen und
österreichischen Museumsbeständen erwarb; in zunehmendem
Maße wurden aber auch Exponate aus konfiszierten jüdi-
schen Kunstsammlungen ausgewählt. Im Verlauf des Zwei-
ten Weltkriegs errichtete der „Sonderauftrag Linz“ ein weit
verzweigtes Netzwerk und trug tausende Kunstwerke des 15.
bis 19. Jahrhunderts aus ganz Europa für das „Führermuseum“
zusammen. Ein beträchtlicher Teil davon war Raubkunst. Als
Posse im Dezember 1942 starb, wurde Hermann Voss zu sei-
nem Nachfolger ernannt. 1943 berief dieser den Kunsthändler
Hildebrand Gurlitt zum leitenden Ankäufer des Sonderauftrags
mit Sitz im besetzten Teil Frankreichs, der sich aus den im
„Jeu de Paume“ gelagerten, konfiszierten Kunstbeständen und
Johannes Lingelbach: Hafenszene, um 1647Öl auf Leinwand121 x 108 cmLeihgabe der Bundesrepublik DeutschlandInv. L-13.963
Marcus Kenzler
1 Vgl. https://sammlung.staedelmuseum.de/de/person/lingelbach-johannes 2 Schreiben von Voss an Grosse vom 14.05.1943, zitiert nach: http://www.lostart.de/Content/04_Datenbank/_Zusatzinformationen/eobj_392115.pdf?__blob=publicationFile
Im Oktober 1967 gelangte das großformatige Gemälde Hafenszene von Johannes Lingelbach (1622–1674) als Leihgabe der Bun-
desrepublik Deutschland in die Gemäldesammlung des Landesmuseums für Kunst und Kulturgeschichte Oldenburg. Es gehört zu
einem Konvolut von insgesamt 31 Gemälden, mehreren Arbeiten auf Papier und einigen kunstgewerblichen Objekten, das im Ver-
lauf der 1960er Jahre aus dem Ressortvermögen der Bundesfinanzverwaltung nach Oldenburg gegeben wurde, um es der Öffent-
lichkeit zugänglich zu machen. Ursprünglich stammen die Werke aus den Beständen des Münchner „Central Collecting Point“
(CCP), der 1945 als Sammelstelle für sichergestellte Kunst- und Kulturgüter mit unbekannter Herkunft eingerichtet worden war.
Johannes Lingelbach: Hafenansicht im Sonnenaufgang, 1669, Öl auf Leinwand, 89,5 x 115,5 cm, signiert und datiert, Koller Auktionen AG, Zürich
Top Related