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AutogenesTraining
Der Entspannungs-bestseller
Wer Körper, Geist und Seele gleichermaßen etwas Gutes
tun möchte, dem sei Autogenes Training empfohlen. Eine
Entspannungsmethode bestens geeignet für unsere
schnelllebige Zeit, um innerhalb kurzer Zeit Stress
abzubauen und zur inneren Ruhe zu finden. Aber nicht nur
das. Weltweite Studien zeigen: Autogenes Training hilft
auch bei Schlafstörungen, Angst- und Panikattacken,
Bluthochdruck, Migräne und vielen anderen
Gesundheitsproblemen. BIO sprach mit einem Experten
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Autogenes Training ist alsGesundheitsprophylaxegenauso empfehlenswertwie zur Milderung vonKrankheitssymptomen.Jeder kann es erlernenund selbst anwenden
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Eine kleine Gruppe. Ein freundlich ge-
stalteter Übungsraum. Leise Entspan-
nungsmusik. Manche Teilnehmer lie-
gen auf Matten, die Arme locker ne-
ben sich ausgestreckt, andere sitzen bequem
zurückgelehnt auf Stühlen oder versuchen
sich im Kutschersitz, bei dem man in sich zu-
sammensinken darf wie früher die Kutscher
auf ihren Kutschböcken.
Irgendwann dann die Aufforderung des
Kursleiters, innerlich die Sätze mitzusprechen,
die er laut, aber mit beruhigender Stimme
vorgibt. Bis zu sechsmal werden die Sätze
wiederholt und alle lassen sich Zeit, um den
Wirkungen dieser Worte nachzuspüren:
l Ich bin vollkommen ruhig und entspannt.
l Mein Körper ist angenehm schwer.
l Mein Körper ist angenehm warm.
l Ich atme ganz ruhig und gleichmäßig.
l Mein Herz schlägt ganz ruhig und
regelmäßig.
l Mein Sonnengeflecht ist angenehm warm,
strömend warm.
l Meine Stirn ist angenehm kühl.
Das ist Autogenes Training. Diese formel-
haften Sätze sollen dabei helfen, körperlich
zu entspannen und innerlich zur Ruhe zu
kommen. Das Gefühl von Schwere und Wär-
me breitet sich im Körper aus. Nichts muss
jetzt geschehen. Außer dass ich mich um
mich selbst kümmere, um meine tiefe At-
mung, meinen regelmäßigen Herzschlag, um
ein gutes Bauchgefühl und eine kühle Stirn.
Und das sind auch schon die wesentlichen
Elemente dieser Entspannungsmethode, mit
der man so viel erreichen kann: Der Übende
wirkt ein auf etwas, das sonst vom unterbe-
wussten Anteil des Nervensystems gesteuert
wird, vom Parasympathikus. Und profitiert
davon auf allen Ebenen.
Wo kommt dasAutogene Training her?Das „Training für autogene Entspannung“ hat
seinen Namen von dem Berliner Psychiater
und Neurologen Prof. Dr. Johannes Heinrich
Schultz. 1926 stellte er die aus der Hypnose
entwickelte Methode zum ersten Mal vor und
machte sie 1932 in seinem Buch „Das auto-
gene Training“ der Allgemeinheit zugänglich.
„Autogen“ bedeutet dabei, dass nicht, wie
bei der Hypnose, ein anderer die Entspan-
nung oder den hypnotischen Zustand „gen“-
VON MARGOT MÜLLER
Auch tranceartige Tänzeoder buddhistischeMeditationstechnikenkönnen den Zugangzum Unterbewusstseinerleichtern
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eriert/erzeugt, sondern dass man es selbst („auto“)
tun kann. Deshalb findet man in diesem Zusam-
menhang auch die Begriffe Selbsthypnose oder
Autosuggestion.
In seinen Anfangszeiten hat man das Autogene
Training manchmal auch „das deutsche Yoga“ ge-
nannt. Mit dem Atem zu arbeiten, sich körperlich
entspannen zu lernen und auch seinen Geist zu
beeinflussen, ist sicher keine Erfindung moderner
Zeiten. Die Quellen liegen tief verborgen im Heil-
wissen verschiedener alter Kulturen – ob es sich um
Yoga oder schamanische Trancetänze handelt, um
buddhistische Meditationstechniken oder Selbst-
hypnose, wie sie schon die alten Ägypter kannten.
Es gibt viele Zugänge zum Unterbewussten.
J. H. Schultz, der Vater des Autogenen Trainings,
sammelte die grundlegenden Erfahrungen dafür
schon in den Zwanziger Jahren des letzten Jahr-
hunderts. Damals arbeitete er an einem Berliner
Hypnose-Ambulatorium und erforschte die Wirkung
der Tiefenentspannung unter Hypnose auf den Kör-
per. Er befragte seine Patienten, welche körperli-
chen Empfindungen während der Hypnose bei ih-
nen vor allem auftraten. Das waren Gefühle von
Schwere und Wärme, die dann auch im Autoge-
nen Training besonders wichtig wurden.
Die Autosuggestion im therapeutischen Einsatz
war damals schon recht bekannt. Emile Coué, ein
französischer Apotheker, hatte sie von 1880 an in
den Metropolen Europas gesellschaftsfähig ge-
macht. Sein wichtigster Satz mit dem sich seine
Schüler programmierten, lautete: „Es geht mir mit
jedem Tag in jeder Hinsicht besser und besser.“ Be-
achtliche Heilerfolge hatte er damit erzielt, und wer
auf sich hielt im Berlin des beginnenden 20. Jahr-
hunderts, „machte Coué“.
J. H. Schultz ging es von Anfang an um eine
schnell zu erlernende und leicht einsetzbare psy-
chotherapeutische Methode. Ärzte sollten sie auch
ohne fundierte psychiatrische Ausbildung an ihre
Patienten weitergeben können, damit diese den
wachsenden Anforderungen der modernen Zeiten
gewachsen waren. Auch den wichtigen Therapie-
zielen der damaligen Zeit, nämlich Leistungssteige-
rung, berufliche Tüchtigkeit und Erhaltung der
Volksgesundheit, kam die Methode entgegen.
Rasche Entspannungfür GestressteFür echte Meditation und ein wirkliches Nach-
Innen-Gehen, um sich zu verändern oder eine spiri-
tuelle Entwicklung einzuleiten, ist heutzutage oft
keine Zeit. Das nimmt man sich vielleicht für später
vor, wenn man in Rente ist und die Kinder aus dem
Haus sind. Für die hektischen Zeiten des Berufs- und
Familienlebens braucht man eine Methode, mit der
man schnell und zuverlässig einen entspannten Zu-
stand erreichen kann.
Und da kommt das Autogene Training ins Spiel.
Heute steht es zwar nicht mehr so konkurrenzlos da
wie vor einem knappen Jahrhundert, doch in seinen
Grundzügen enthält es das, was viele andere Ent-
spannungstechniken auch beinhalten: muskuläre
Entspannung, verbesserte Durchblutung, ruhige At-
mung, regelmäßigen Herzschlag, ein klarer Kopf.
Und noch mehr: Das Fühlen in den Körper hinein
und das bewusste Erleben körperlicher Vorgänge er-
möglicht auch ein Abschalten störender Gedanken
und erleichtert den Zugang zum Unterbewussten.
Das eigentliche Training läuft immer noch nach
den alten Grundsätzen der Methode ab, so wie
J. H. Schultz sie entwickelte. Die körperliche Ent-
spannung wird durch eine Art von Selbsthypnose
herbeigeführt. Ich sage und stelle mir vor, was jetzt
gleich in meinem Körper passieren wird.
Die Entspannungsformeln klingen bei jedem Kurs-
leiter ein bisschen anders. Jeder hat da so seine
Lieblingsformulierungen. Mal sind die Sätze länger,
mal kürzer. Das hängt auch davon ab, wie weit
man mit dem Üben schon ist. Aber immer geht es
um das Erleben von Schwere und Wärme, um ei-
nen warmen Bauch, einen kühlen Kopf und ein
Was die Kranken-kassen sagenDie DAK nennt das Autogene Training den„Star unter den Entspannungsmethoden“:„Unter den verschiedenen Entspannungs-techniken ist Autogenes Training einwahrer Bestseller. Mit der besserenStressbewältigung steigert sich nicht nurdas Wohlbefinden, sondern können auchverschiedene Beschwerden verhindertoder sanft behandelt werden. Klinischkontrollierte Studien haben gezeigt, dassAutogenes Training positiv wirkt bei:
l nervösen Herz- und Kreislaufstörungen
l verschiedenen Beschwerdenim Magen-Darm-Trakt
l Migräne, Kopfweh
l Wetterfühligkeit
l Schlafstörungen
l Nervosität, „Lampenfieber“
l Unsicherheit, Selbstzweifeln
l Angstzuständen
l Unterstützung bei derRaucher-Entwöhnung
l Überlastung
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wohltemperiertes Herz. Um körperli-
che Entspannung und innere Ruhe.
Wer regelmäßig übt und schnell in
den tief entspannten Zustand gelan-
gen kann, wird sich gerne auch mal
an weitergehenden „formelhaften Vor-
sätzen“ erproben wollen. Das sind
Sätze, mit denen man einen positiven
Zustand beschreibt, den man errei-
chen will.
Bei depressiven Zuständen kann
man sich zum Beispiel sagen: „Ich
lasse die Vergangenheit ohne Groll
hinter mir und blicke nach vorn“ oder
„Ich bejahe mich selbst“. Wenn ich für
eine Prüfung zu lernen habe, könnten
solche Sätze helfen: „Konzentriert
und aufmerksam präge ich mir das
Wichtige ein“ oder: „Mein Gedächt-
nis behält das Wesentliche“. Will ich
mehr Selbstvertrauen gewinnen, ma-
che ich mir klar: „Ich bin für mein ei-
genes Leben verantwortlich und gestalte es
nach meinen Wünschen. Ich denke klar und
bin gelassen.“
Heute spricht man in solchen Zusammen-
hängen auch von Affirmationen oder
insgesamt vom positiven Denken. „Positiv“ be-
deutet dabei, dass man auf Verneinungen
und Negativ-Formulierungen weitgehend
verzichtet. Also nicht: „Ich lasse mich von
nichts mehr aufregen“, sondern: „Ich bleibe
ruhig und gelassen“. Das Ganze verbindet
man dann noch mit einer bildhaften Vorstel-
lung des eigenen Verhaltens oder des Zu-
standes, den man erreichen will.
Was Autogenes Trainingbewirken kannHeilpraktiker Abbas Schirmohammadi be-
treibt in Erding, im Norden von München,
eine Praxis für Coaching, Managementbera-
tung und Entspannungstherapie. Dort gibt er
auch Kurse für Autogenes Training, mit dem
Patienten dann oft verblüffende Erfolge erzie-
len (siehe auch Interview). Zwei Beispiele aus
seiner Praxis zeigen, wie tief das Autogene
Training wirken kann.
Endlich wieder durchschlafen
„Silke Enke*, 32, litt seit langem unter Schlaf-
störungen, vor allem Durchschlafstörungen.
Bis zu zehnmal wurde sie nachts wach. Dazu
kamen Ängste aller Art. Morgens war sie er-
schöpft und konnte im Büro nichts leisten.
Abends war sie kaputt und hatte keine Lust
mehr auf Sex. Die Beziehung zu ihrem Freund
war gefährdet.
Silke arbeitete im dreitägigen Kurs sehr in-
tensiv und engagiert mit und lernte, sich vor
allem auf die Ruhe zu konzentrieren. Bereits
am zweiten Tag schaffte sie es, innerhalb von
drei Minuten in tiefe Entspannung zu kom-
men. Sie war sehr erfreut über ihre Fortschritte
und nahm sich vor, täglich zu üben. Der Heil-
praktiker empfahl ihr zusätzlich, ein Schlafta-
gebuch anzulegen und ihre Fortschritte zu
kontrollieren.
In den Folgemonaten übte sie zweimal
täglich das Autogene Training – morgens
nach dem Aufwachen und abends vor dem
Einschlafen. Abends kam zur allgemeinen
Entspannung der formelhafte Vorsatz: „Ich
habe einen wunderschönen, erholsamen,
gesunden Schlaf. Ich träume sehr gut. Ich
schlafe durch bis morgen früh.“
Schon nach einem Monat berichtete Silke
begeistert, dass sie nur noch ein- oder
zweimal pro Nacht aufwache und morgens
gut erholt sei. Drei Monate später der nächs-
te Anruf: die Schlafstörungen hätte sie nun
ganz überwunden.
Silke ist seitdem so fit, dass sie wieder an-
gefangen hat, Squash zu spielen. Auch im
Bett klappt es wieder. Dem Autogenen Trai-
ning ist sie weiterhin treu geblieben. Sie
macht es weiterhin zweimal täglich und ist
begeistert von dieser Entspannungsmethode,
Autogenes Training verhilft auchgestressten Managern zu mehrRuhe und Gelassenheit
Heilpraktiker AbbasSchirmohammadi gibtregelmäßig Kurse fürAutogenes Training
Wenn Ärger, Sorgen und Stressnicht schlafen lassen kann oftAutogenes Training helfen
Besonders bewährt hat sich dieSelbsthilfemethode, um vomRauchen loszukommen
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die ihr „das Leben und die Liebe
zurückgegeben hat.“
Zum Nichtraucher dankAutogenem Training
Eckhardt Meier*, 64, Topmana-
ger und Workaholic, wollte sich
mit Autogenem Training das
Rauchen abgewöhnen und sei-
nen Magen beruhigen. Im Kurs
hatte Eckhardt Probleme, sich zu
entspannen. Als Manager, der
immer auf Achse war und millio-
nenschwere Geschäfte abwickel-
te, kannte er das Wort Entspan-
nung nicht. Schnell wurde er un-
geduldig und meinte, das sei
nichts für ihn, er spüre gar nichts.
Heilpraktiker Schirmohammadi
erklärte ihm, dass das Autogene
Training wirklich regelmäßig ge-
übt werden muss und bat ihn,
sich selbst diese Zeit zu geben.
Mit viel Geduld gelang es dem
Patienten schließlich doch, einen
entspannten Zustand zu errei-
chen. Erst am dritten Kurstag war
er in der Lage, sich wirklich gut
und tief entspannen zu können.
Es war eine neue Erfahrung für
ihn, eine schöne und sehr positi-
ve, wie er auch den anderen
Kursteilnehmern berichtete. Zu-
sammen mit dem Therapeuten
entwickelte er passende Zusatz-
formeln, um sich das Rauchen
abzugewöhnen und den Magen
zu beruhigen.
„Ein Jahr später traf ich Eck-
hardt zufällig bei einem anderen
Seminar wieder“, berichtet der
Heilpraktiker. „Er war Nichtrau-
cher und absolut gesund, sein
Magen bereitete ihm keine Pro-
bleme mehr und auch sonst füh-
le er sich wie ein neuer Mensch.
Immer dann, wenn es sehr stres-
sig zuginge, beruhige und ent-
spanne er sich mit Autogenem
Training. Zudem mache er es re-
gelmäßig abends, wenn er von
der Arbeit nach Hause komme.“
Das Interview zum Thema
Warum AutogenesTraining heute soerfolgreich ist
Abbas Schirmohammadi
sammelte in verschiede-
nen Berufen und Tätig-
keitsfeldern Lebenserfahrung. Sei
es im Club Robinson, im Studium
oder als langjähriger TV-Kom-
mentator und Moderator mit ei-
gener Live-Sendung. Er ist auch
musikalisch versiert, bezeichnet
sich als „Multi-Instrumentalist“,
komponiert Entspannungs- und
Heilungsmusik und spielt sie auch
selbst ein. Zum Teil zusammen mit
seinem Bruder Kian Schirmo-
hammadi. BIO fragte ihn nach
seinen langjährigen Erfahrungen
mit dem Autogenen Training.
Herr Schirmohammadi, Sie
geben Kurse für Autogenes Trai-
ning. Welche Menschen kom-
men zu Ihnen und wem würden
Sie empfehlen, diese altbe-
währte Entspannungsmethode
zu erlernen?
Abbas Schirmohammadi: Es
sind Menschen aller Alterklassen,
die vom Autogenen Training
profitieren können. In meine Kur-
se kommen Manager, Bürokräf-
te, Verkäuferinnen, IT-Experten,
Hausfrauen, Studenten, Ärzte,
Rechtsanwälte, Barkeeper – je-
der Beruf ist vertreten. Jedem,
der nach einer Selbsthilfe-Me-
thode sucht, um zur inneren Mit-
te und zur Gelassenheit im Tru-
bel des Alltags zu finden, ist zum
Autogenen Training zu raten. Es
ist wirklich der Bestseller unter
den Entspannungstechniken.
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Wie läuft so ein Kurs denn ab? Machen
Sie das einmal in der Woche abends oder
in mehrtägigen Kursen?
Abbas Schirmohammadi: In der Regel ar-
beite ich mit festen Gruppen, zwischen sechs
und zehn Personen. Ein Kurs umfasst zehn
Einheiten, jeweils an einem Abend der Wo-
che. Hier lernt der Einsteiger wie es funktio-
niert. Im Laufe der Einheiten werden die sie-
ben Grundstufenübungen durchgeführt, mit
denen man sich selbst in einen Zustand der
Entspannung versetzen kann.
Hier gehen wir Schritt für Schritt vor. Durch
gezielte Ansprache des vegetativen Nerven-
systems, das unter anderem für Herzschlag
und Atmung zuständig ist, lernen wir, unsere
Organe und unseren Körper zu steuern. Wir
können somit eine Umschaltung von Stress
auf Entspannung durchführen.
Dies gelingt natürlich nicht von jetzt auf
sofort. Daher ist es wichtig, dass die Teilneh-
mer bis zum nächsten Termin täglich zu Hau-
se üben, damit der Körper sich auf die sug-
gestiven Formeln einstellen kann. Im An-
schluss an die Übungsrunden und zu Beginn
jeder neuen Einheit berichtet jeder Teilneh-
mer dann, wie es bei ihm geklappt hat und
welche Fortschritte er gemacht hat, bzw.
auch welche Blockaden aufgetaucht sind.
Fragen werden beantwortet und wichtige
Hinweise gegeben.
Der Unterschiedzur Hypnose
Autogenes Training wird ja als eine Form
der Selbsthypnose bezeichnet. Manche
Menschen haben aber gegenüber der Hyp-
nose so manche Vorbehalte. Kann man
auch solche Menschen vom Autogenen
Training überzeugen?
Abbas Schirmohammadi: Die medizinische
Hypnose ist ein außerordentlich wertvolles
therapeutisches Werkzeug, um Menschen hel-
fen zu können. Leider präsentieren diverse
Show-Hypnose-Inszenierungen und Berichter-
stattungen oft ein Bild der Hypnose, das so
überhaupt nicht stimmt. Hypnose wird als et-
was Unseriöses, Gefährliches dargestellt. Der
Mensch verliere die Kontrolle über sich und sei
dem Hypnotiseur komplett ausgeliefert. Das ist
völliger Quatsch! In der Hypnose behält jeder
voll und ganz die Kontrolle über sich.
Natürlich gibt es auch beim Autogenen
Training immer wieder Menschen, die unsi-
cher sind und Angst davor haben, die Kon-
trolle zu verlieren. Es sei klar gesagt: Bisher
hat sich noch jeder auf das Autogene Trai-
ning bei mir eingelassen. Der Proband muss
wissen, dass er im Autogenen Training
niemals die Kontrolle über sich verliert, dass
er lediglich in einem hypnoiden, tief ent-
spannten Zustand verweilt, doch gleichzeitig
wach, ansprechbar und komplett handlungs-
fähig ist. In den Kursen lauscht er meiner
Stimme, später gibt er sich selbst die Sugges-
tionen vor. Jede Entspannungshaltung wird
mit einem ganz bestimmten Auflösungs-Ritual
beendet, das ihn wieder komplett zurück ins
Hier und Jetzt holt. Die Gefahr, hilflos im hyp-
noiden Zustand gefangen zu bleiben, ist also
nicht gegeben.
Wie das AutogeneTraining wirkt
Im Autogenen Training wird meist mit
dem Gefühl von Schwere und Wärme gear-
beitet. Warum ist das so wichtig?
Abbas Schirmohammadi: Das Gefühl der
Schwere sorgt für körperliche Entspannung.
Verspannungen lösen sich und der Mensch
lässt alles los, was ihn belastet. Die Schwere,
die gefühlt wird, ist befreiend und wohltuend.
Im Anschluss daran lässt man angenehme
Wärme durch den Körper strömen. Die Wär-
me sorgt für eine optimale Durchblutung, löst
alle Stauungen im Körper und bewirkt einen
Autogenes Training lässt sich besondersgut in der Gruppe erlernen. UnterAnleitung eines erfahrenen Therapeuten
Im Zustand tiefer Entspannung könnenpositive Suggestionen wirksam werden
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intensiven Energiefluss von Kopf bis Fuß. Ähn-
lich wie in der warmen Badewanne: Hier ent-
spannt sich der Körper ja auch wunderbar
im warmen Wasser. Vertieft wird die Entspan-
nung dann weiter mit der Atemübung, der
Herzübung, der Sonnengeflechtsübung und
der Stirnübung.
Was ist sonst noch wichtig, um in den Zu-
stand dieser heilsamen Entspannung zu ge-
langen?
Abbas Schirmohammadi: Alle Probleme,
Sorgen und Gedanken ziehen lassen. An
nichts denken, sich ganz auf den Körper kon-
zentrieren und Außengeräusche ausblenden.
Die Muskeln loslassen. Die suggestiven For-
meln werden immer mehrfach, in der Regel
sechs Mal, wiederholt. Ab einem bestimmten
Zeitpunkt ist man so gut und tief entspannt,
dass störende Geräusche wie Husten, Han-
dyklingeln, Glockenschlagen oder Ähnliches
einen nicht mehr irritieren können. Selbst in
der überfüllten S-Bahn ist es jederzeit mög-
lich, sitzend Autogenes Training zu machen
und tief entspannen zu können, ohne von
den vielen Geräuschen um einen herum ge-
stört zu werden.
Wo AutogenesTraining hilft
Die Indikationen, bei denen Autogenes
Training angeblich helfen soll, sind sehr viel-
fältig. Asthma, Burnout, hoher Blutdruck, De-
pressionen, Hautkrankheiten, Migräne, Pa-
nikattacken, Schlafstörungen, Tinnitus und
vieles andere mehr. Wird da nicht ein biss-
chen viel versprochen?
Abbas Schirmohammadi: Nein, die Wirk-
samkeit des Autogenen Trainings bei all die-
sen Störungsbildern ist wissenschaftlich nach-
gewiesen! Die positiven Wirkungen dieser
Methode sind durch zahlreiche Studien und
Hunderttausende von Fallbeispielen belegt.
Autogenes Training ist natürlich kein ultimati-
ves Allheilmittel, das alle Probleme schnell
und einfach beseitigen kann, aber es ist eine
hervorragende Gesundungs- und Gesunder-
haltungsunterstützung. Ängste können mit
dem Autogenen Training verringert, oft auch
ganz aufgelöst werden. Allergien können
sich dadurch verbessern oder sogar ver-
schwinden. Es hilft bei Asthma, bessert Haut-
krankheiten wie Neurodermitis, wirkt gegen
Durchblutungsstörungen, hilft bei Burnout
und Erschöpfung, indem es neue Kraft und
Energie mobilisiert.
Mit dem Autogenen Training lassen sich
auch Herzrhythmusstörungen deutlich ver-
bessern, Konzentrationsstörungen beheben,
Kopfschmerzen/Migräne eliminieren, Magen-
und Darmprobleme beruhigen, Muskelver-
spannungen lösen, Ohrgeräusche in den
Griff bekommen. Schlafstörungen können be-
hoben, Schmerzen gelindert werden und vie-
les mehr. Dabei wird das Training auch gerne
begleitend zur ärztlichen oder psychothera-
peutischen Behandlung eingesetzt.
Individuelle Formelnfür jede Lebenslage
Mit Autogenem Training kann man auch
Einfluss auf sein Verhalten nehmen. Man
kann sich quasi selbst programmieren, wie
man sich verhalten will. Geht das denn?
Abbas Schirmohammadi: Hier sprechen Sie
die individuellen Formeln im Autogenen Trai-
ning an. Sie sind dafür da, sich erwünschtes
Verhalten anzueignen und unerwünschte Ver-
haltensweisen abzugewöhnen. Diese indivi-
duellen Formeln werden nach der jeweiligen
Stirnübung eingesetzt. Wenn jemand zum
Beispiel häufig Bauchschmerzen hat, kann
mit einer Suggestion wie „Mein Bauch ist ge-
sund und fühlt sich wohl“ entgegenwirken,
wer an Schlafstörungen leidet mit der Formel
„Ich schlafe nachts tief und fest und wache
morgens gut erholt auf.“ Je öfter man sich
diese Sätze suggeriert, desto wirksamer wer-
den sie.
Menschen, die ich als total schüchtern und
ängstlich kennen gelernt habe, traten ein
halbes Jahr später ganz anders auf. Andere,
die mir von immer wiederkehrenden Bezie-
hungsproblemen berichteten, und sich nach
spätestens fünf Monaten immer wieder trenn-
ten, luden mich drei Jahre später zu ihrer
Hochzeit ein. Sie konnten ihre eingravierten
negativen Verhaltensweisen verändern und
sind nun in der Lage, Probleme mit dem Part-
ner konstruktiv zu besprechen. Das alte Mus-
ter wurde durchbrochen und durch ein
neues, positives ersetzt. Solche individuellen
Formeln lassen sich auf alle Themengebiete
des Daseins, der Persönlichkeit und der Ge-
sundheit anwenden.
Wirksam auchbei Süchten
Kommt man mit so einem Vorsatz-Training
auch den Süchten bei? Was nimmt man sich
zum Beispiel vor, wenn man sich das Rau-
chen abgewöhnen will?
Abbas Schirmohammadi: Rauchen kann
man sich mit dem Autogenen Training sehr
gut abgewöhnen. Es hilft auch beim Abneh-
men oder um die Kaffee-Abhängigkeit zu
besiegen.
Bei Süchten müssen wir Kursleiter und The-
rapeuten für Autogenes Training allerdings
immer darauf achten, welche Sucht vorhan-
den ist, wie stark diese ausgeprägt ist und in
welchem Stadium sie sich befindet. Outet
sich der Übende als starker Alkoholiker, ge-
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hört er erst einmal in eine Entzugsklinik und
nicht in den Kurs für Autogenes Training. In
der Nachsorgephase schwerer Suchtfälle
allerdings kann Autogenes Training sehr hilf-
reich sein, denn der ehemalige Alkoholiker
soll ja nicht rückfällig werden. Bei der Rau-
cherentwöhnung, die wunderbar mit Autoge-
nem Training gelingen kann, wird das Rau-
cherprogramm (Zigarette gehört dazu, ist
cool, ich brauche sie, mein Verlangen
danach ist da etc.) durch ein Nichtraucher-
programm (schmeckt nicht mehr, brauche ich
nicht, ich bin stark etc.) ersetzt. Mit dem Auto-
genen Training habe ich schon viele Raucher
zum Nichtrauchen verhelfen können. Die Er-
folgsquote ist hier außerordentlich hoch.
Also, wer den Glimmstängel aufgeben
möchte, es aber bisher noch nicht geschafft
hat, sollte mal das Autogene Training aus-
probieren.
Zum Abschluss noch eine persönliche Fra-
ge: Haben Sie selbst auch intensive eigene
Erfahrungen mit dem Autogenen Training
gemacht?
Abbas Schirmohammadi: Und wie! Ich habe
das Autogene Training mit 19 erlernt, von
meinem Vater, einem Arzt, der seit über 40
Jahren mit dieser Entspannungsmethode ar-
beitet und Vorträge und Seminare dazu in
der ganzen Welt hält.
Schon während meiner Studienzeit half mir
das Autogene Training, gut und konzentriert
lernen zu können und Prüfungs-
ängste zu beseitigen. Auch wäh-
rend meiner Tätigkeit als TV-Mo-
derator half mir das Autogene
Training sehr, körperliche Ver-
spannungen während dreistün-
diger Live-Sendungen zu lösen,
Aufregung in den Griff zu be-
kommen, meinen beschleunigten
Herzschlag- und Atemrhythmus
zu normalisieren etc. Auch aktu-
ell setze ich das Autogene Trai-
ning gerne und regelmäßig für
mich ein, um Kraft zu tanken,
Verspannungen zu lösen und ei-
nen klaren Kopf zu gewinnen.
Mein Körper und mein Geist
schalten dann sofort um und ich
fühle mich gestärkt und losgelöst
von den Alltagsproblemen. Auf
dem Weg ins und zurück vom
Büro mache ich regelmäßig Au-
togenes Training in der S-Bahn.
So komme ich entspannt – trotz
eines harten und langen Arbeits-
tages – nach Hause und kann
den Abend genießen.
Vielen Dank für das interes-
sante Gespräch!
*) Namen von der Redaktion geändert.
Ruhe und Gelassen-heit statt heftigerGefühlsausbrüchebei Problemen in derPartnerschaft – auchdas lässt sich durchdie formelhafteVorsatzbildung inden Griff bekommen
Wo kann manAutogenesTraining lernen?Viele Volkshochschulen bietenAutogenes Training an, auch privateBildungsträger oder Anbieter imGesundheits- und Wellnessbereich.Arbeitgeber haben die Möglichkeit,Autogenes Training oder andereEntspannungsmaßnahmen imRahmen der betrieblichen Gesund-heitsförderung zu organisieren unddafür Zuschüsse zu erhalten.
Gute Grundlageninformationenfinden sich auch in Büchern zumThema Autogenes Training. Manchewerden gleich mit Übungs-CDangeboten. Das ist sicher hilfreich,wenn man das Autogene Trainingschon mal von einem autorisiertenLehrer gelernt hat. Besonders imTrend liegt man zurzeit natürlich miteiner „App“ dazu. Auch hier lassensich Angebote finden.
· Abbas Schirmohammadi: „Autogenes Training. In der Ruheliegt die Kraft“, Audio-CD, Shaker Media, ISBN 978-3-86858-599-5, € 16,90 · Dr. med. Delia Grasberger: „Autogenes Training“,Buch mit CD, GU, ISBN 978-3-8338-197-35, € 16,99 ·% CatharinaAdolphsen: „Autogenes Training für Dummies“, Wiley-VCHVerlag, ISBN 978-3-527706-34-1, € 16,95
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Autogenes Training kann bei entsprechender Indikation vomArzt im Rahmen der psychosomatischen Behandlung erbrachtwerden Im Rahmen der Primärprävention kann die DAK einenjährlichen Zuschuss für die Teilnahme an einem Kurs geben.“Andere Krankenkassen in Deutschland schätzen den möglichenNutzen des Autogenen Trainings ähnlich ein. Was genaubezahlt oder bezuschusst wird, muss man aber bei jeder Kasseeinzeln erfragen.
In Österreich gilt das Autogene Training als anerkanntePsychotherapie-Methode. Bei der Behandlung durch einenPsychotherapeuten, der Autogenes Training anwendet, erhältman von der Krankenkasse einen Teil der Kosten ersetzt.Voraussetzung: Der Psychotherapeut steht in der beimGesundheitsministerium geführten Therapeutenliste.
Bücher, CDs & Info
Mit Hilfe desAutogenen Trainings
kann der Ausstiegaus dem quälendenGedankenkarussellgelingen, lässt sichein Zustand tiefenFriedens erreichen
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