Anwendungsmöglichkeiten in der Krankenpflege
Fachbereichsarbeit
Zur Erlangung des Diploms für den gehobenen Dienst für Gesundheits- und Krankenpflege
an der Schule für allgemeine Gesundheits- und Krankenpflege Vöcklabruck –
eine Ausbildungseinrichtung der gespag
Beurteiler: Frau Mag. Ingrid Spalt
akademische Lehrerin für Gesundheits- und Krankenpflege
vorgelegt von: Manuel Huemer
Seewalchen, im Mai 2007
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Vorwort
Was macht eine gute Pflege aus? Die Auseinandersetzung mit diesem Thema
beschäftigte mich und meine Kollegen in der Zeit unserer Ausbildung zum
gehobenen Dienst für Gesundheits- und Krankenpflege. Im Unterricht heißt es
immer wieder, eine gute Pflege ist ganzheitlich, sieht also den Menschen als
Ganzes und vergisst dabei auch die psychischen und seelischen Bedürfnisse des
Patienten nicht. Doch die Theorie ist meistens einfacher als die Praxis und so
frage ich mich in vielen Situationen, wie einem Patienten jetzt weiterzuhelfen ist.
Im Laufe des zweiten Ausbildungsjahres kam ich durch Anregung meiner Mutter
auf das Thema Logotherapie. Bereits nach dem ersten Buch war mein Interesse
geweckt und ich begann mich intensiver mit dem Thema zu beschäftigen. In den
Büchern von Viktor Frankl finden sich in einer Psychotherapie verpackt,
interessante Ideen und frische Beispiele über den Umgang mit Patienten. Speziell
die positive Weltanschauung und das aufwertende Menschenbild, erläutert anhand
von vielen Beispielen aus der Praxis, brachte mich auf gute Ideen, die ich auch an
„meinen Patienten“ im Krankenhaus anwenden könnte.
Da sich herausstellte, dass es noch keine Literatur gibt, die versucht die Ideen der
Logotherapie auf die Krankenpflege anzuwenden, beschränkte sich das
Literaturstudium auf die Bücher von Viktor Frankl und seiner Schülerin Elisabeth
Lukas. Die Aussagen über die Pflege stellen meine eigenen Vorstellungen dar, wie
eine Anwendung von Methoden und Theorien der Logotherapie in der Pflege
aussehen könnte. Da meine persönlichen Erfahrungen im Pflegeberuf sich bislang
auf die Praktikumszeit im Zuge der Ausbildung beschränkten, sind diese
Erkenntnisse noch nicht sehr weit fortgeschritten. Mit dem Laufe der Zeit und den
immer wieder neuen Herausforderungen des Pflegeberufes werden sich aber
bestimmt neue Ideen aus der Logotherapie finden. Ein Anfang hierzu ist für mich
persönlich gemacht und die immer aktuelle Frage nach guter Pflege wird mich und
vielleicht auch die Leser dieser Arbeit anregen, sich weitere Gedanken über
„Logotherapie in der Pflege“ zu machen.
Seewalchen, im Mai 2007 Manuel Huemer
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Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung ............................................................................................................... 3
1.1 Zur Person Viktor E. Frankl ................................................................................ 4
1.2 Entstehung der Logotherapie ............................................................................. 4
1.3 Einordnung der Logotherapie............................................................................. 5
2. Grundlagen der Logotherapie ............................................................................ 6
2.1 Das Menschenbild der Logotherapie ................................................................ 7
2.2 Die Methoden der Logotherapie ........................................................................ 8
2.2.1 Die Einstellungsmodulation ................................................................................ 9
2.2.2 Die paradoxe Intention ...................................................................................... 10
2.2.3 Die Dereflexion ................................................................................................... 11
2.2.4 Hilfsmittel ............................................................................................................. 12
2.3 Die Gesprächsform der Logotherapie............................................................. 13
2.4 Die Logotherapie als Psychotherapie ............................................................. 14
3. Anwendung der Logotherapie in der Pflege .................................................. 14
3.1 Das Menschenbild der Logotherapie – angewandt in der Pflege............... 15
3.2 Die Logotherapie im Krankenhaus .................................................................. 17
3.2.1 Der Sinn des Lebens ......................................................................................... 18
3.2.2 Der Sinn des Leidens ........................................................................................ 19
3.2.3 Der Sinn des Todes ........................................................................................... 21
3.2.4 Die Trotzmacht des Geistes ............................................................................. 22
3.3 Einfache Anwendungsbeispiele ....................................................................... 22
3.3.1 Logotherapie vs. Schlafmedikamente............................................................. 23
3.3.2 Logotherapie vs. Psychopharmaka ................................................................. 23
3.4 Die Gesprächsführung der Logotherapie in der Pflege................................ 24
3.5 Kritische Reflexion der Umsetzbarkeit............................................................ 27
4. Zusammenfassung und Fazit ........................................................................... 28
5. Literaturverzeichnis ............................................................................................ 29
Erklärung ......................................................................................................................... 30
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1. Einleitung
Die Arbeit des Pflegepersonals in einem Krankenhaus umfasst viele verschiedene
Bereiche. Die Pflegearbeit beginnt bei der Unterstützung des Patienten bei seinen
Grundbedürfnissen und geht zum Teil bis in Bereiche der Seelsorge. Die Bereiche
der psychischen und seelischen Betreuung eines Patienten finden aber
keineswegs nur auf psychiatrischen oder psychosomatischen Stationen statt. Auch
in der alltäglichen Pflege auf internistischen und chirurgischen Abteilungen werden
die Pflegenden mit den psychischen und seelischen Leiden, der ihnen
anvertrauten Patienten, konfrontiert. Als erste Ansprechperson für Patienten im
Krankenhaus aber auch im Sinne der immer wieder propagierten „ganzheitlichen
Pflege“ ist es Aufgabe der Pflege auch diese Probleme ihrer Patienten zu sehen
und darauf einzugehen. Das Pflegepersonal soll dabei natürlich nicht die Arbeit
eines Psychotherapeuten, Psychiaters oder Seelsorgers übernehmen, sondern als
Vermittler und direkte Ansprechperson auf der Station wirken. Diese Aufgaben
sind keineswegs einfach und nicht jede/r im Pflegebereich fühlt sich dazu in der
Lage.
Der Autor des Buches „Ärztliche Seelsorge“ Viktor E. Frankl entwickelte mit der
Logotherapie eine Richtung der Psychotherapie, die neben ihren praktischen
Methoden auch ein Menschenbild und viele interessante Ideen transportiert, die
man als Pflegekraft bei den psychischen und seelischen Problemen seiner
Patienten anwenden kann. Diese Arbeit will Ideen geben wie man das
Menschenbild, die Methoden und Ideen der Logotherapie in der täglichen Arbeit
des Pflegepersonals anwenden kann.
Im ersten Teil wird die Logotherapie, im Speziellen das Menschenbild und die
daran anknüpfende Philosophie, erläutert. Dieser Teil ist zum einen Grundlage für
das Verständnis der Logotherapie aber auch Anregung für jeden Einzelnen, sich
Gedanken über „gute – ganzheitliche“ Pflege zu machen. Im zweiten Teil folgen
Ideen für die praktische Anwendung. Einerseits die Umsetzung der Philosophie
und zum anderen der Versuch, einzelne Ansatzpunkte der Logotherapie in der
Krankenpflege anzuwenden.
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1.1 Zur Person Viktor E. Frankl
Der Begründer der Logotherapie, Viktor Emil Frankl wurde 1905 in Wien geboren.
In seiner Jugend zeigte sich, dass Frankl ein hochintelligenter, aufgeweckter und
durchaus kritischer Mensch war, der sich schon damals mit der Frage nach dem
Sinn des Lebens beschäftigte. Während seines Studiums der Medizin engagierte
er sich hinsichtlich vieler menschlicher Anliegen. Nach seinem Studium arbeitete
Frankl als junger Arzt am Wiener psychiatrischen Krankenhaus „Am Steinhof“. In
dieser Zeit, wo er mit über 12000 depressiven Patienten arbeitete, bewies er zum
ersten Mal seine Standfestigkeit, die er aus einer starken positiven
Weltanschauung bezog. Diese Kraft war es auch, die ihn, als Juden, die
Verfolgung und Verschleppung ins KZ durch die Nazis überleben ließ. Dies war
auch jene Zeit, in der Frankl die von ihm aufgestellte Philosophie lebte, nämlich
dass selbst im Leiden noch Sinn zu finden sei. Nach seiner Befreiung aus dem KZ
nahm er seine Arbeit als Arzt wieder auf und hielt Vorlesungen an der Wiener
Universität. Bis zu seinem Tod 1997 sind 32 Bücher von ihm, in 29 Sprachen
übersetzt, erschienen. Er hat Vorträge an 209 Universitäten in allen 5 Erdteilen der
Welt gehalten und 29 Ehrendoktoratstitel erhalten.
Viele seiner Schüler haben die Logotherapie auch in der Praxis angewandt und sie
weiterentwickelt. Einige von ihnen konnten sich auf dem Gebiet der Logotherapie,
so wie ihr Lehrer, einen Namen machen und verfassten Bücher zu diesem Thema.
Als die wichtigste Vertreterin im deutschsprachigen Raum ist Elisabeth Lukas zu
nennen. Sie leitete unter anderem von 1986 bis 2003 das „Süddeutsche Institut für
Logotherapie“.
1.2 Entstehung der Logotherapie
Bereits als 15-jähriger hatte Frankl Kontakt mit Sigmund Freud und so erschien die
erste Publikation Frankls in der „Internationalen Zeitschrift für Psychoanalyse“ auf
ausdrücklicher Empfehlung von Sigmund Freud. Bis 1927 wirkte Frankl neben
seinem Studium im Verein für Individualpsychologie rund um Alfred Adler, der ihn
1927 wegen „Unorthodoxie“ aus diesem Verein ausschloss. Frankl hatte zu dieser
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Zeit schon viele Vorträge im In- und Ausland gehalten und beschäftigte sich immer
mehr auch mit den geistigen Dimensionen des Menschen. Vor allem aber
beschäftigte er sich mit der großen Frage der Menschheit, der Frage nach dem
Sinn im Leben. Frankl entwickelte auf Basis seiner Existenzanalyse, die eine
anthropologische Theorie für eine existentielle Richtung der Psychotherapie
darstellt, die Logotherapie als eine sinnorientierte Beratungs- und
Behandlungsform. Unter Existenzanalyse versteht man, die Analyse der
Bedingungen für ein werterfülltes, selbstgestaltetes und menschenwürdiges
Leben. Ziel der Existenzanalyse ist die Entfaltung der Offenheit und Eigenaktivität
(Hingabefähigkeit) im Erleben, in den Beziehungen und im Handeln1. Erste
Arbeiten der „Logotherapie und Existenzanalyse“, wie er seine Richtung der
Psychotherapie nannte, wurden bereits vor dem Zweiten Weltkrieg veröffentlicht.
Selbst im KZ entwickelte Frankl seine Theorien weiter und setzte seine Arbeit nach
dem Ende des Krieges erfolgreich fort. Er und seine Schüler entwickelten auf
Basis seiner Theorien praktische Anwendungsmethoden und bauten die
Logotherapie zu dem aus, was sie heute ist: Eine international anerkannte,
eigenständige Richtung der Psychotherapie (vgl. Breitwieser, 2007).
1.3 Einordnung der Logotherapie
Die Logotherapie nach Viktor Frankl wird heute, innerhalb der Psychotherapie,
nach zwei verschiedenen Gesichtspunkten eingereiht.
Im europäischen Raum wird die Logotherapie nach W. Soucek als die „Dritte
Wiener Schule der Psychotherapie“ bezeichnet. Als „Erste Schule“ wird demnach
die Psychoanalyse von Sigmund Freud bezeichnet und die Individualpsychologie
von Alfred Adler stellt die „Zweite Schule“ dar. Als grobe Richtungsvorgabe, die die
einzelnen Forschungsschwerpunkte beschreiben, könnte man diese drei mit einer
einfachen Faustregel definieren: „Sigmund Freud beschäftigt sich mit dem „Willen
zur Lust“, Alfred Adler mit dem „Willen zur Macht“ und Viktor E. Frankl mit dem
„Willen zum Sinn“ im Menschen“ (Lukas, 2006, S.14).
1 vgl. Gesellschaft für Logotherapie und Existenzanalyse Österreich, 2007
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Im amerikanischen Raum wird die Logotherapie als „Third Force“ kategorisiert.
Auch hier wird aus historischer Sicht die Psychoanalyse als „First Force“
bezeichnet und als „Second Force“ wird die Verhaltenstherapie gesehen. Diese
„Third Force“ bezeichnet die Richtung der Existentialpsychiatrie, die im
europäischen Raum unter dem Begriff „Humanistische Psychologie“ bekannt ist.
Um diese Kategorisierung zu veranschaulichen kann sie ebenfalls mit einfachen
Schlagworten verglichen werden: Die Psychoanalyse erachtet den Menschen als
ein „abreagierendes Wesen“; die Verhaltenstherapie erachtet den Menschen als
„reagierendes Wesen“; und die Logotherapie erachtet ihn als ein „agierendes
Wesen“ (Lukas, 2006, S.15).
Giambattista Torello bezeichnete die Logotherapie als das letzte vollständige
System in der Geschichte der Psychotherapie. Mit „vollständig“ verwies er auf das
ausgefeilte Welt- und Menschenbild, das die Logotherapie trägt (vgl. Lukas, 2006,
S.16).
2. Grundlagen der Logotherapie
Das Gedankengebäude, das die Logotherapie aufbaut wird von drei Säulen
getragen: Freiheit des Willens – Wille zum Sinn – Sinn des Le bens (vgl. Lukas,
2006, S.16).
Die erste Säule beschäftigt sich mit der Freiheit des Menschen. Laut Frankl ist
jeder Mensch zumindest potentiell willensfrei. Damit ist gemeint, dass jeder
Mensch sich zu einer Sache eine Meinung bilden kann und zu etwas ja oder nein
sagen kann. Frankl bestätigt aber auch, dass diese Freiheit durch Krankheit,
Unreife oder Senilität eingeschränkt oder gar aufgehoben werden kann. Dies
ändert aber nichts an der Tatsache, dass sie grundsätzlich vorhanden ist.
Die zweite Säule besagt, dass jeder Mensch von einem Streben nach Sinn
angetrieben wird. Dieses Streben ist es auch, was den Menschen von den Tieren
unterscheidet. Frankl definiert dabei zwei Anteile: Einerseits einen „inneren“ Anteil,
der genau dieses Streben nach Sinn darstellt und einen „äußeren“ Teil. Dieser
„äußere“ Teil meint das Sinnangebot der Situation, also jenes Erfahren von
Dingen, die dem Menschen als sinnvoll und sinngebend erscheinen. Durch
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Krankheit, Unreife und Senilität kann und wird diese Sinnwilligkeit eingeschränkt.
Es handelt sich dabei aber immer um eine Einschränkung des „äußeren“ Anteils,
also um eine Beeinträchtigung der Sinn-Wahrnehmung. Der „innere“ Anteil, das
Streben nach einem Sinn bleibt immer vollständig erhalten.
Die Dritte Säule definiert die logotherapeutische Überzeugung, dass das Leben
einen bedingungslosen Sinn hat. Allerdings kann sich dieser Sinn z.B. durch
extreme Situationen dem menschlichen Begreifen entziehen. Die Sinnhaftigkeit
des Lebens ist eine den Menschen übergreifende Größe, die er immer wieder
spüren und erahnen muss. Kurzum, die Logotherapie ist eine positive
Weltanschauung.
Die beiden „äußeren“ Säulen, die Themen aufgreifen, mit denen sich schon viele
Denker und Philosophen auseinandergesetzt haben, lassen sich wissenschaftlich
nicht überprüfen. Die „mittlere“ Säule, der „Wille zum Sinn“ ist als
Urmotivationskraft des Menschen in experimentalpsychologischen Studien
nachgewiesen worden.
Jede dieser Säulen stellt auch eine Disziplin der Logotherapie dar. Die Säule
„Freiheit des Willens“ ist Basis für das Menschenbild, also die Anthropologie der
Logotherapie.
Der „Wille zum Sinn“ ist Grundlage für die Heilkunde der Logotherapie, also Basis
der Psychotherapie.
Der Glaube an einen unverrückbaren „Sinn des Lebens“ gehört zum Weltbild also
zur Philosophie der Logotherapie.
2.1 Das Menschenbild der Logotherapie
Das Menschenbild der Logotherapie beruht auf dem von Viktor Frankl definiertem
Konzept der Dimensionalontologie. Dieses Konzept definiert das menschliche Sein
in drei Dimensionen oder Ebenen (vgl. Lukas, 1991, S.52):
(1) Die körperliche (somatische) Ebene, die aus unseren Zellgeweben und
somit unseren Organen und ihren Funktionen besteht.
(2) Die psychische Ebene, mit den emotionalen, kognitiven und sozialen
Fähigkeiten des Menschen.
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(3) Die geistige (noetische, gr. nous = Geist) Ebene, die Frankl als die Ebene
bezeichnet, die den Menschen vom Tier unterscheidet. Es ist die Ebene,
die im Menschen Lebenspläne entwickelt, die das Leben gestaltet, die
sich Ziele setzt, einen Willen entwickelt und nach einem Sinn fragt.
Weiters ist dies auch die Ebene, die das Gewissen, die Religiosität und
Wertverständnisse des Menschen, sowie die Liebe beherbergt.
Diese drei Ebenen sind jedoch nicht als drei übereinander liegende Schichten zu
sehen, sondern eher wie die drei Dimensionen des Raumes. Sie durchdringen
einander vollkommen und so kann jedes Symptom sich auch in jeder Richtung
ausbreiten.
Die Logotherapie als Psychotherapie behandelt hauptsächlich die noetische Ebene
des Menschen, ohne jedoch dabei die beiden anderen Ebenen außer Acht zu
lassen. Viktor Frankl sagte dazu: „Die Logotherapie ist Psychotherapie vom
Geistigen her und auf Geistiges hin“ (Lukas, 2006, S. 21). Diese Ausrichtung auf
die geistigen Probleme des Menschen unterscheidet die Logotherapie
grundsätzlich von den meisten anderen Richtungen der Psychotherapie. Laut
Elisabeth Lukas war es der Verdienst Frankls, spezifisch menschliche Aspekte in
die Psychotherapie zu integrieren.
2.2 Die Methoden der Logotherapie
Viktor Frankl und seine Schüler haben im Laufe der Jahre mehrere Methoden
entwickelt, die im Sinne der Logotherapie, spezifisch, je nach Problemstellung
angewendet werden. Die Wirkung dieser Methoden ist jedoch sehr unspezifisch,
man könnte fast sagen, die Logotherapie wirkt symptomatisch. Dies erklärt sich
auch damit, dass Frankl mit kritischem Blick zur Psychoanalyse meint, dass nicht
jede Neurose aus der Kindheit herzuleiten sei und es darüber hinaus nicht immer
notwendig sei, den genauen Grund für ein neurotisches Verhalten zu kennen (vgl.
Frankl, 2006, S. 70ff.).
Immer wieder wird von Frankl und seinen Schülern betont, dass es bei der
Anwendung der Logotherapie nicht nur auf die Technik ankommt, sondern in
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hohem Maß auch auf den Therapeuten2. Die Logotherapie, die für Frankl auch ein
Beitrag zur Rehumanisierung der Psychotherapie ist und sich als eine spezifisch
„menschliche“ Therapie versteht, verlangt auch vom Therapeuten spezifisch
menschliches Können. Kurzum, nicht jeder Therapeut wird mit jeder Methode
gleich viel Erfolg haben und nicht jeder ist als Logotherapeut geeignet.
Andererseits sind die Methoden der Logotherapie alles andere als komplex und
undurchsichtig. Jeder, der sich mit dem Gedankengut der Logotherapie und ihrer
Anwendung beschäftigt, kann diese auch in seinem Leben umsetzen. Viktor Frankl
schreibt im Vorwort zu einem Buch von Elisabeth Lukas, „Ein Buch über
Logotherapie ist Logotherapie“. (1991, S.12) Und so kann die Logotherapie, egal
ob von einem professionellen Therapeuten oder von einem interessierten Laien
angewandt, einen großen Beitrag zu einer kollektiven Psychohygiene leisten (vgl.
Lukas, 1991, S.229ff.).
2.2.1 Die Einstellungsmodulation
Der Einfluss der persönlichen Einstellung eines Menschen auf seine Gesundheit,
sowohl physisch als auch psychisch war der Psychotherapie nicht immer bekannt.
Statistiken beweisen, dass Menschen, die sich beruflich voll engagieren oder auch
Mütter mit Kleinkindern, nicht so oft krank werden (auch wenn alle anderen rings
um sie husten), weil sie ganz einfach keine Zeit haben um krank zu sein.
Andererseits ist es auch bekannt, dass ein Kranker, der sich aufgibt, in Todesnähe
gerät.
In der Logotherapie ist es deshalb wichtig, schon in der Frühphase des
Gespräches, in der es anfangs um Vertrauensaufbau und ein grobes Betrachten
des Problems geht, auch hellhörig für Aussagen zu sein, die über die Einstellung
des Patienten Auskunft geben. Dabei geht es jedoch nicht darum, die Einstellung
oder Ansichten des Patienten zu werten, sondern hellhörig zu sein für Aussagen,
die aus „psychohygienisch ungesunden“ Einstellungen herführen. Ob eine
Einstellung „psychohygienisch gesund“ ist hängt also nicht von der Einstellung des
Therapeuten ab und ist auch nicht bei jedem Patient gleich, sondern sie ist dann 2 Gilt im gesamten Verlauf der Arbeit für beide Geschlechter.
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gesund, wenn sie für den Patienten persönlich positiv ist.
Persönlich negative Einstellungen, also „psychohygienisch ungesunde“
Einstellungen sollten vom Therapeuten in Frage gestellt werden und diese
eventuell mit positiven Einstellungshaltungen bekräftigt werden. Nicht immer wird
es möglich sein, eine solche Einstellung zu verändern. Aber selbst wenn der
Patient während des Gespräches abwehrend reagiert, wird er sich doch damit
beschäftigen und vielleicht in einer Notsituation die positivere Variante wählen oder
auch nur die schlechtere noch mal überdenken (vgl. Lukas, 1991, S. 72ff., S. 96ff.).
2.2.2 Die paradoxe Intention
Die Methode der paradoxen Intention kommt rein aus dem Arbeitsbereich der
Logotherapie und findet in der Psychiatrie weltweit Anerkennung.
Angewendet wird diese Methode bei Angst- und Zwangsneurosen. Wörtlich
bedeutet paradoxe Intention soviel wie umgekehrter Wunsch. Der Patient soll sich
nämlich genau das wünschen, wovor er Angst hat. Das Problem der
Angstneurosen ist, dass sich der Patient in einem Kreislauf der Angst befindet.
Das wovor er flüchtet, holt ihn immer mehr ein, und je mehr der Patient gegen
seine Ängste ankämpft, umso mehr ist er ihnen ausgeliefert. Wenn sich der Patient
nun genau das, wovor er sich fürchtet, wünscht und dies mittels humoristischen
paradoxen Formeln tut, so durchbricht er diesen Kreislauf. Wie aber schafft man
es, sich genau das zu wünschen, vor dem man im Augenblick riesige Angst hat?
Die Grundlage dafür ist die Fähigkeit des Menschen, sich gedanklich von sich
selbst zu distanzieren. Mittels dieser Selbstdistanzierung soll sich der Patient von
seinem Symptom lösen. In der paradoxen Intention geschieht dies dadurch, dass
sich der Patient seine Angst auf eine humorvolle Art wünscht, seine Angst also
auslacht.
Praktisch würde dies zum Beispiel so aussehen: Ein Patient der an Prüfungsangst
leidet und durch diese Angst im Denken gestört ist, soll sich zur Prüfung möglichst
schlechte Noten und nur Unrichtiges zu schreiben wünschen. Um das Ganze
humorvoll zu sehen, nimmt er sich vor, einen regelrechten „Durchfall-Rekord“
aufzustellen; also den schlechtesten Test der je geschrieben wurde, zu schreiben.
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Über solche Vorstellungen wird der Patient nur lachen können und genau dieses
Lachen, diese Auflockerung der Stimmung wird ihm helfen, sich von seiner Angst
zu distanzieren und sich mit voller Kraft auf die Prüfung zu konzentrieren.
Die Rückfallquote ist bei der paradoxen Intention sehr gering. Dies liegt daran,
dass die Patienten rasch begreifen worum es geht und so schnell lernen, sich in
Angstsituationen selbst zu helfen (vgl. Lukas, 1991, S.72ff., S. 137ff.).
2.2.3 Die Dereflexion
Im Absatz über die paradoxe Intention wurde über die menschliche Fähigkeit der
Selbstdistanzierung gesprochen. Aus dieser Fähigkeit heraus ergibt sich eine
weitere, rein menschliche Fähigkeit, nämlich die der Selbst-Transzendenz. Diese
bezeichnet die Fähigkeit des Menschen sich gedanklich selbst und weiters über
sich selbst hinaus zu reflektieren. Diese Fähigkeit ist einerseits Ansatzpunkt für
eine weitere Methode der Logotherapie aber auch Ursache für viele psychische
Störungen. Patienten, die zu viel Augenmerk auf eine gewisse Sache legen, sie
also hyperreflektieren, speziell wenn dies Dinge oder Vorgänge sind, die
normalerweise autonom gesteuert werden, leiden an Schlafstörungen oder
Sexualstörungen. Aber auch Suchtprobleme und egoistisches Verhalten
resultieren teilweise aus solchen Hyperreflexionen. Die Therapie muss also
versuchen diese übermäßige Aufmerksamkeit zu lösen, also eine Dereflexion
herbeiführen. Nun ist es nicht gerade einfach, wenn nicht sogar meist unmöglich,
an etwas, an das man gerade noch gedacht hat, plötzlich nicht mehr zu denken,
geschweige denn, an gar nichts zu denken. Die einzige Möglichkeit, seine
Aufmerksamkeit von etwas wegzulenken ist, sich mit etwas Anderem zu
beschäftigen. Der Therapeut wird also versuchen, den Patienten „abzulenken“,
indem er die Aufmerksamkeit von jener Sache, die bisher sozusagen der alleinige
Sinninhalt war, auf andere Sinninhalte lenkt. Diese Sinninhalte werden jedoch nicht
vom Therapeuten vorgeben, sondern der Patienten soll so geleitet werden, dass er
die Inhalte selber findet. Denn, Sinn kann nicht gegeben werden, sondern Sinn
muss immer gefunden werden. Wichtig ist dabei auch die Aufmerksamkeit auf
mehrere Sinninhalte zu lenken. Kurz gesagt wird mit der Dereflexion, durch eine
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Erweiterung der Sinnorientierung, eine Ablenkung von übermäßig Reflektiertem
herbeigeführt (vgl. Lukas, 1991, S. 83ff., S. 163ff.).
2.2.4 Hilfsmittel
In der Praxis zeigt sich, dass bei vielen Patienten die Methode, die je nach
Erkrankung angebracht scheint, nicht ausreichend ist. So gibt es eine Reihe von
Hilfsmitteln, auf die der Therapeut zurückgreifen kann.
Zwei dieser Hilfsmittel wurden in den vorangegangen Kapiteln schon erwähnt,
nämlich die Selbstdistanzierung und die Selbst-Transzendenz. Die
Selbstdistanzierung ist, wie schon gesagt, die Grundlage und auch Voraussetzung
für die paradoxe Intention. Gleiches gilt für die Selbst-Transzendenz in Bezug auf
die Dereflexion.
Elisabeth Lukas beschreibt Methoden der Suggestion und Autosuggestion um bei
Patienten die Einstellungsmodulation oder auch die paradoxe Intention zu
erleichtern oder zum Teil auch erst zu ermöglichen. Dabei warnt sie aber auch
davor, durch diese Methoden den freien Willen des Menschen, den die
Logotherapie ja als ein Grundelement sieht, nicht zu verletzen. In Situationen, in
denen der Patient gar nicht zuhören will und so eine Einstellungsmodulation
unmöglich erscheint, oder bei Patienten, die kurz vor dem Kollaps stehen und auf
paradoxe Formeln gar nicht reagieren würden, sind diese Methoden sehr hilfreich
und durchaus anzuwenden (vgl. Lukas 1991, S. 86f.).
Autogenes Training kann Patienten, die mittels paradoxer Intention Angstneurosen
überwinden lernen, helfen, sich in Situationen größter Anspannung, in denen auch
die paradoxen Formeln nichts helfen, sich zu entspannen und so auch diese
Situationen zu überstehen.
Der von Frankl beschriebene „Sokratische Dialog“ ist eine Art der
Gesprächsführung, die mittels „naiver Fragetechnik“3 versucht, den Patienten so
zu lenken, seine ungesunden Einstellungen zu erfassen. Diese Art der
Gesprächsführung, kombiniert mit paradoxen Formeln kann sehr gut in Hinsicht
3 Der Begriff Naive Fragetechnik wurde von Elisabeth Lukas für eine von ihr abgewandelte Form des Sokratischen Dialogs verwendet. (vgl. Lukas, 1991, S. 127 f.)
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auf eine Einstellungsmodulation angewendet werden.4
Ein starkes Hilfsmittel zur Motivation ist der so genannte „Appell an die Trotzmacht
des Geistes“. Frankl bezeichnet diese Trotzmacht als die überhaupt stärkste
geistige Macht, die ein Mensch besitzt. Es ist dies jene Macht, die Menschen dazu
bewegt, sich wider aller Probleme, gegen die vielleicht schlechte Meinung Anderer
hinwegzusetzen, sein Leben oder die Situation in die Hand zu nehmen und zu
beweisen, dass er es trotzdem schafft.
2.3 Die Gesprächsform der Logotherapie
Die Logotherapie hat im Laufe ihrer Entwicklung viele Methoden hervorgebracht.
Sie wird bei Problemen verschiedenster Art, an Menschen jeder Altersgruppe und
in vielen verschiedenen Lebenslagen angewendet. Trotz dieser Vielfältigkeit bedarf
die Logotherapie aber nur eines einzigen Werkzeugs, dem Gespräch.
Was also ist nun das Besondere an der Gesprächsform der Logotherapie?
Elisabeth Lukas vergleicht die Logotherapie anhand eines Spruches aus Ruanda:
„Ein Freund ist einer, der die Melodie Deines Herzens kennt und sie Dir wieder ins
Gedächtnis ruft, wenn du sie vergessen hast“ (2006, S.69). Die Logotherapie
möchte genau so ein Freund sein.
Wie sieht ein logotherapeutisches Gespräch also aus? Grundvoraussetzung für ein
gutes Gespräch ist, wie im alltäglichen Leben ein empathisches,
vertrauensbildendes Gesprächsklima. Anders als in anderen Gesprächstherapien
bleibt der Therapeut jedoch nicht werteneutral. Der Therapeut reflektiert das
Gesagte im Hinblick auf dessen Werthaftigkeit, Wirklichkeitsnähe und
Verantwortbarkeit. Diese Reflexion sollte dabei nie einer Belehrung gleichkommen,
sondern immer ein Dialog sein, wobei mit Dialog hier ein wechselseitiger
Gedankenaustausch gemeint ist. Das Ziel dieses Gedankenaustausches sollte ein
im Konsens gefundenes Wahrheitsverständnis sein. Der Therapeut übt laut Frankl
keine Spiegelfunktion aus, auf dass sich der Patient besser verstehe, sondern
vielmehr eine Katalysatorfunktion die dem Patienten hilft, die in der Welt
4 vgl. hierzu Stavemann, Sokratische Gesprächsführung in Therapie und Beratung. Eine Anleitung für Psychotherapeuten, Berater und Seelsorger. Weinheim, Basel, Berlin. Beltz Verlag. 2002
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bereitliegenden Sinnmöglichkeiten besser zu verstehen (vgl. Lukas, 2006, S.67f.).
Der Therapeut kann dazu auch eigene Ideen einbringen und hilft mit
Konsequenzen zu überlegen. Diese Wahrheitsfindung, auf die sich der Patient
gemeinsam mit dem Therapeuten begibt kann aber nur eine Wahrheit finden: die
Wahrheit des Patienten. Genau darin liegt der springende Punkt. Das Ergebnis
muss vom Patienten gefunden werden und kann niemals das Ergebnis des
Therapeuten sein.
2.4 Die Logotherapie als Psychotherapie
Die Logotherapie wurde von Viktor Frankl, der als Arzt mit psychisch kranken
Menschen arbeitete, als Therapie entwickelt. Sie ist auch heute noch als Dritte
Wiener Schule der Psychotherapie anerkannt. Die Logotherapie als
Psychotherapie, angewandt an Patienten, darf und kann daher nur von
ausgebildeten Logotherapeuten ausgeführt werden.
Als Psychotherapie angewandt, verfügt die Logotherapie über verschiedenste
Methoden der Bewältigung von Neurosen. Sehr gute Erfolge erzielen Therapeuten
bei Angst- und Zwangsneurosen, in der Suchtbehandlung, bei Schlaf- und
Sexualstörungen sowie bei der Behandlung von Depressionen. Frankl beschrieb
für viele weitere Erkrankungen, die mittlerweile zum Teil unter anderen
Bezeichnungen in den ICD-10 Kategorien der WHO angeführt sind,
Therapiemöglichkeiten innerhalb der Logotherapie (vgl. Lukas, 2006, S.265ff). In
erster Linie ist die Logotherapie also eine Psychotherapieform, die von
ausgebildeten Therapeuten angewendet wird.
3. Anwendung der Logotherapie in der Pflege
Neben der klassischen Anwendung als Psychotherapie finden sich in der
Logotherapie Ideen und Ansätze, die auch für Laien interessante Möglichkeiten
bieten, die Logotherapie anzuwenden. Hierbei handelt es sich um praktische
Anwendungsmöglichkeiten, wie Ideen für den zwischenmenschlichen Umgang,
Methoden der Gesprächsführung und Möglichkeiten der Hilfestellung für
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Menschen in schweren Situationen. Grundsätzlich kann die Logotherapie mit ihrer
positiven Weltanschauung und ihrem wertvollem Menschenbild hilfreich sein, wenn
Menschen mit und für Menschen arbeiten. Speziell in den Pflegeberufen, wo diese
Arbeit oft sehr kompliziert und durch viele Umstände erschwert wird, bietet die
Logotherapie viele gute Ideen.
3.1 Das Menschenbild der Logotherapie – angewandt i n der Pflege
Das Menschenbild der Logotherapie beruht auf den „drei Säulen“ Freiheit des
Willens – Wille zum Sinn – Sinn des Lebens.
Die Logotherapie besagt also, dass der Mensch grundsätzlich ein freies Wesen ist.
Frei, im Sinne von frei zu etwas und nicht frei von etwas (vgl. Frankl, 2005, S.
129f.). Menschen neigen dazu, wenn sie in die „Rolle des Patienten schlüpfen“ ihre
Verantwortung an die Ärzte und das Pflegepersonal abzugeben. Genau diese
Verantwortung ist es aber, die im Sinne der Logotherapie auch die Freiheit
ausmacht.
Aus Sicht der Logotherapie sollte es also der Patient sein, der die Verantwortung
für seine Gesundheit übernimmt und nicht die Ärzte oder das Pflegepersonal. Der
Grund für diese Verantwortungsübertragung ist mitunter darin zu sehen, dass sich
der Patient aus Mangel an Wissen nicht in der Lage fühlt das Beste für sich selbst
zu entscheiden. Diese Situationen zeigen sich an Patientenaussagen wie: „Da
kenn ich mich nicht aus, aber der Herr Doktor wird schon das Richtige machen.“
Abhilfe kann hier nur eine, für den Patienten verständliche, Aufklärung schaffen,
die dann in eine Entscheidungsfindung gemeinsam mit dem Patienten endet. Die
Entscheidung selbst sollte aber immer der Patient finden und nicht vorgegeben
werden. Die Maßnahmen zur Stärkung der Verantwortung des Patienten sollten
jedoch nicht nur bei der Entscheidungsfindung über die medizinische Therapie
bleiben sondern sich in die tägliche Pflege fortsetzen. Der Patient soll so viel wie
möglich selber machen. Von der Körperpflege am Morgen über das Essen bis zum
Vorbereiten für die Nachtruhe. Denn das, was die Pflege als Förderung der
Ressourcen bezeichnet, fördert nicht nur die körperliche Selbstständigkeit des
Patienten, sondern stärkt auch seine Verantwortung.
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Die zweite Säule besagt, dass der Mensch von einem Streben nach Sinn
angetrieben wird. Dieses Streben haben neben Viktor Frankl auch viele andere als
einen bedeutenden Aspekt im Leben des Menschen bezeichnet. So hat zum
Beispiel Liliane Juchli (die unter anderem eine logotherapeutische Ausbildung am
Institut für Logotherapie in Deutschland absolviert hat5) in ihrem Pflegemodell der
„Aktivitäten des täglichen Lebens“, eine dieser Aktivitäten als „Sinn finden“
beschrieben. Juchli bestätigt damit, dass der Mensch tagtäglich auch damit
beschäftigt ist, in seinem Leben einen Sinn zu finden. Frankl weist darauf hin, das
der Menschen durch Krankheit und Leid seine Wahrnehmung für Sinnvolles
verlieren kann.
Aufgabe der Pflege ist es demnach, den Menschen in solchen Situationen zu
unterstützen, also seine Sinnvorstellungen zu erhalten oder auch wieder zu finden.
Um einen Patienten derart unterstützen zu können muss die Pflegekraft die
individuellen Sinnvorstellungen des Patienten kennen. In
Langzeitpflegeeinrichtungen geschieht dies meist über eine Biografieerhebung. In
der Kurzzeitpflege, wie z.B. in Krankenhäusern, kann ein ausführliches Erst- und
Aufnahmegespräch derartige Informationen liefern. Die Sinninhalte sind bei jedem
Menschen verschieden und können sich auf verschiedenste Art ausprägen. Sie
können ideeller Natur sein und auf Religion, Weltanschauung oder
Überzeugungen beruhen. Andere Inhalte können eher praktischer Natur sein und
Hobbys oder Vorlieben sein. Die Erhaltung dieser Inhalte, indem sie dem Patienten
auch in Krankheitssituationen ermöglicht werden, ist die eine Aufgabe der Pflege.
Eine weitere, mitunter viel schwierigere Aufgabe ist es, Patienten zu helfen,
verlorene Wertvorstellungen wieder zu finden oder neue zu entdecken.
Entsprechend der Logotherapie kann und soll die Pflegekraft Vorschläge und
Einwände bringen. Das Ergebnis der Sinnfindung muss aber das Ergebnis des
Patienten sein.
Mit der dritten Säule bringt die Logotherapie ein starkes Zeichen für das Leben ein.
Frankl besagt darin, dass das Leben einen bedingungslosen Sinn hat. Einzig der
Blick für den Sinn im Leben kann Menschen durch Krankheit verloren gehen,
5 vgl. Wikimedia Foundation Inc.
- 17 -
niemals aber kann die Sinnhaftigkeit des Lebens an sich in Frage gestellt werden.
Die Logotherapie gibt damit einen klaren Standpunkt ab, in einer Zeit in der trotz,
aber vielleicht auch gerade wegen der Erfolge der modernen Medizin, vielfach
Leben als wertlos und sinnlos bezeichnet wird. Aus Sicht der Logotherapie ist es
nötig, Menschen, denen die Sinnhaftigkeit ihres Lebens abhanden gekommen ist
zu unterstützen und ihnen zu helfen, diesen Sinn des Lebens wieder zu finden.
Auch in Fragen bezüglich Suizid und Freitod bezieht die Logotherapie klar Stellung
und verweist darauf, dass kein Problem groß genug sein kann, um den Sinn des
Lebens in Frage stellen zu können. Ja es ist laut Frankl die Aufgabe der Ärzte und
auch des Pflegepersonals, die Patienten immer wieder darauf hinzuweisen (vgl.
Frankl, 2006 S.98f.).
3.2 Die Logotherapie im Krankenhaus
Menschen, die als Patienten in ein Krankenhaus kommen sind neben der
Belastung durch ihre primäre Erkrankung auch starken psychischen Belastungen
ausgesetzt. Der Patient steht in einem Wechselspiel aus Angst vor dem
Ungewissen und Erwartungen. Ein Krankenhausaufenthalt bedeutet für die
meisten Patienten zunächst einmal, dass sie aus ihrem alltäglichen Leben
gerissen werden, nicht mehr ihren bisherigen Gewohnheiten nachgehen können
und sich an einen Rhythmus der von Anderen vorgegeben wird anpassen müssen.
Vor allem ältere Menschen können diese Umstellung nur schwer verarbeiten.
Neben den Veränderungen, die den Lebensrhythmus betreffen, bedeuten
Krankenhausaufenthalte aber auch immer, sich mit Schmerzen, Leid und sogar mit
dem Tod auseinanderzusetzen. Für viele Menschen bedeutet der
Krankenhausaufenthalt schlussendlich eine nachhaltige Veränderung ihres
bisherigen Lebens, sei es durch die Verordnung von Medikamenten, die nun
regelmäßig eingenommen werden müssen oder auch Diagnosen, die im
schlimmsten Fall eine Verkürzung des eigenen Lebens bedeutet.
Viktor Frankl war stets Einer, der auch auf für diese Probleme seiner Patienten ein
Ohr hatte und sich ihrer, teilweise mit sehr verblüffenden aber auch sehr
effizienten Methoden, annahm. Diese Methoden sind Teil der Logotherapie und
- 18 -
genauso wie Frankl seinen Patienten damit weiterhalf, können sie auch für das
Pflegepersonal von heute Ideen und Anregungen sein, sich mit diesen, oft weniger
beachteten Problem der Patienten, auseinander zu setzen.
3.2.1 Der Sinn des Lebens
Die Frage nach dem Sinn des Lebens ist so alt wie die Menschheit selber. Viktor
Frankl bezeichnet diese Frage als Ausdruck dessen, was den Menschen
ausmacht, dass er sich Gedanken über sich selber und über sich hinaus stellt und
dabei sein eigenes Leben in Frage stellt. Diese Frage nach der Sinnhaftigkeit des
Lebens hat dabei keineswegs etwas Krankhaftes an sich, sie gehört einfach zum
Menschsein dazu. Speziell in der für viele oft von Krisen gezeichneten Zeit der
Pubertät stellen die jungen Leute diese Frage. Diese „Lebenskrisen“ werden aber
auch durch andere Ereignisse ausgelöst. So kann zum Beispiel der Verlust eines
lieben Menschen oder auch eine schwere Krankheit zum Hinterfragen des
Lebenssinnes führen.
Was den Menschen in ihrem Leben Sinn gibt ist wiederum sehr individuell. Sinn ist
laut Frankl immer an Werte gekoppelt. Sinnvoll ist zum einen etwas, das für den
Menschen persönlich einen Wert hat. Diese Werte sind teilweise auch ethischer
und moralischer Natur, also Werte die der Mensch mit seinem Gewissen
verarbeitet. Frankl bezeichnet das Gewissen deshalb auch als „Sinn-Organ“.
Andere Werte werden durch ein Tun gesetzt. Es sind also Werte, die auf
Aktivitäten beruhen. Ein Mensch der etwas leistet, der etwas hervorbringt, macht
etwas Sinnvolles und gibt somit auch seinem Leben und sich selber Sinn. Sinn
muss aber nicht durch Aktivitäten gegeben werden oder auf Moral beruhen,
sondern kann auch erlebt werden. Menschen, die sich zum Beispiel an der
Schönheit der Natur erfreuen, finden darin auch einen Sinn. Über den Sinn
allgemein sagt Frankl, dass dieser immer gefunden werden muss und nicht
erfunden werden kann (vgl. Frankl, 2005, S.66f). Wenn der Sinn also gefunden
werden muss kann er auch wieder verloren gehen. Dieser Sinnverlust ist für den
Menschen verbunden mit einer starken Krise. Mit solchen Situationen werden
Ärzte und Pflegepersonal im Krankenhaus immer wieder konfrontiert.
- 19 -
Wichtig in solchen Situationen ist das Erkennen der Krise, wobei der genaue
Grund für die Krise nicht immer herausgefunden werden muss. Von Bedeutung ist
dabei der Zeitfaktor. Manche Patienten ziehen sich in ihrer Krise sehr zurück und
wirken depressiv, sie benötigen Zeit in denen man zu ihnen einen Zugang aufbaut.
Bei anderen Patienten kann sich die Krise durch Unruhe oder Angst zeigen. Diese
Patienten fallen auf der Station durch „ständiges Läuten“ und Forderungen an das
Personal auf. Natürlich steht nicht hinter jedem auffälligen Verhalten eine
Sinnkrise. Um diese herauszufinden, benötigt es im Gespräch mit den Patienten
einer gewissen Hellhörigkeit. Die Hinweise auf solche Sinnkrisen verstecken sich
oft hinter anderen Dingen. Wichtig sind hierbei Schlüsselwörter, wie sie Elisabeth
Lukas nennt (vgl. 2006, S.67). Meist ist in diesen Wörtern das Wort Sinn schon
enthalten (sinnlos, sinnvoll) oder sie haben einen Sinnbezug (nutzlos). Solche
Worte sind es, auf die das Pflegepersonal reagieren muss. Reagieren, indem
Aussagen, die etwas als sinnlos darstellen, hinterfragt werden. Gleichzeitig kann
dem Patienten geholfen werden neue Sinninhalte zu finden. Dies kann auch
dadurch geschehen, den Patienten, ähnlich einem validierendem Gespräch6 aus
der Altenpflege, nach Interessen und Vorlieben aus früheren Zeiten zu befragen
und diese anzusprechen. Menschen, deren Lebenssinn nur auf wenigen Werten
basieren, sind anfälliger, durch Wegfall eines Wertes in eine Sinnkrise zu stürzen.
Deshalb ist es auch wichtig, nicht nur einen bestimmenden Sinninhalt zu finden,
sondern immer mehrere Inhalte zu finden um eine breitere Basis zu haben.
3.2.2 Der Sinn des Leidens
Die Aussage, im Leiden sei ein Sinn zu finden, mag für viele anfänglich recht
paradox klingen. Viktor Frankl, der selber die Leiden des KZ erlebt hat, behauptet
jedoch genau dieses. Aus dem vorherigen Kapitel ging hervor, dass Sinnfindung
auf einer Einstellung zu etwas beruhen kann. Demzufolge kann auch im Leiden,
wenn man die richtige Einstellung dazu findet, ein Sinn gefunden werden. Über
das Leiden schreibt Frankl: „Erst unter den Hammerschlägen des Schicksals, in 6 Validation ist eine Methode um mit Demenzerkrankten zu kommunizieren. Entwickelt wurde die Methode von Naomi Feil. vgl. hierzu Feil, Validation. Ein Weg zum Verständnis verwirrter alter Menschen. München, Ernst Reinhardt, 2002.
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der Weißglut des Leidens an ihm, gewinnt das Leben Form und Gestalt. Das
Schicksal, daß ein Mensch erleidet, hat also erstens den Sinn gestaltet zu werden
– wo möglich- und zweitens, getragen zu werden – wenn nötig“ (2005, S.162).
Das Leiden soll also nicht von vornherein ertragen und angenommen werden
sondern es kann erst ein Sinn im ertragen des Leidens entstehen, wenn es
unabdingbar wird und als letzter Ausweg das Annehmen bleibt. Für die Arbeit im
Krankenhaus bedeutet dies ebenso, dem Patienten unnötiges Leid zu ersparen.
Dies gilt vor allem für eine angemessene Schmerztherapie.
Elisabeth Lukas hat mit vier Begriffen ein Vorgehen skizziert, das in der
Logotherapie auf der Methode der Einstellungsmodulation basiert und Patienten
helfen soll auch in scheinbar sinnlosen Situationen wieder einen Sinn zu finden
(2006, S178f.):
Wert aufzeigen
Darunter ist gemeint, den Patienten darauf hinzuweisen, dass eine positive und
aufrechte Einstellung zu einem negativen Schicksal eine große Leistung ist. Solch
eine Anerkennung allein kann dem Patienten viel Trost und Kraft geben und bringt
meist viel mehr als Mitgefühl oder Mitleid.
Sinn aufzeigen
Mit Sinn aufzeigen ist gemeint, dem Betroffenen auf eventuell „gute Seiten“ also
positiven Dingen, die aus seinem Schicksal entstehen hinzuweisen. Wichtig ist
dabei ein sehr behutsamer Umgang. Letztendlich können aber Außenstehende
dieses „Dennoch-Gute“ oft besser erkennen.
Rest aufzeigen
Hierbei handelt es sich um ein Aufzeigen der verblieben positiven Werte. Denn bei
allem Leid gibt es immer noch Bereiche die davon nicht betroffen sind. Diese gilt
es aufzuzeigen, ohne jedoch die verlorenen damit ersetzen zu wollen. Auch hierbei
ist ein behutsames Vorgehen nötig, indem man die Aufmerksamkeit vom
Verlorenen auf das noch Erhaltene lenkt.
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Perspektiven aufzeigen
Patienten versuchen oft ihr Leid aus philosophischen oder theologischen
Perspektiven zu sehen und zu verstehen. Aus Sicht der „Logophilosophie“, wie
Elisabeth Lukas es treffend bezeichnet könnte man den Patienten darauf
hinweisen, dass jedes Leid ein Anstoß für einen Reifeprozess sein kann. Ein
Reifeprozess der den Menschen von der Oberfläche in die Tiefe bringt, also einen
tieferen Sinn erschließt. Elisabeth Lukas vergleicht dies mit einem Satz des
Augustinus: „Schmerzt dich der Verlust einer Sache, ist es ein Zeichen, dass du
sie liebtest, als du sie hattest“ (Lukas, 2006, S. 181). Daraus lässt sich leiten, dass
der im Schmerz gereifte Mensch oft „liebesbewusster“ ist und dadurch auch
dankbarer für die wertvollen Dinge im Leben, die er nun besser zu schätzen weiß.
3.2.3 Der Sinn des Todes
Die Logotherapie gibt mit ihrer positiven Weltanschauung ein Plädoyer für die
Sinnhaftigkeit des Lebens und zeigt auf, dass selbst im Leiden ein Sinn zu finden
ist. Der Tod ist etwas, das vielen Menschen Angst macht, geschweige denn, dass
man einen Sinn in ihm sieht. So manch einer mag argumentieren, dass angesichts
des Todes das Leben selber als sinnlos erscheint. Die Logotherapie erwidert dem,
dass der Tod zum Leben gehört. Ja würde am Ende unseres Lebens nicht der
Tod stehen, dann würde unser Leben viel eher sinnlos sein. Denn wenn nicht der
Tod unserem Leben ein Ende setzt, dann gibt es für uns keinen Grund Dinge jetzt
zu tun, aus jeder Situation etwas zu machen und danach zu trachten etwas zu
erreichen. Der Tod begrenzt die Zeit unseres Handelns und spornt uns somit an,
Verantwortung zu übernehmen, aus unserem Leben etwas zu machen. Auch der
Zeitpunkt des Todes hat keinen Einfluss darauf ob ein Leben sinnvoll war oder
nicht, denn „…nie können wir aus der Länge eines Menschenlebens auf seine
Sinnfülle schließen“ (Frankl, 2005, S.121).
Frankl vergleicht das Leben mit einem Film, bei dem der Mensch teilweise die
Regie führt. Teilweise deshalb weil im Leben oft auch das Schicksal die
Regieführung übernimmt, jedoch der Mensch immer die Kameraführung
beeinflussen kann. Der wichtigste Punkt in diesem Vergleich ist aber, dass für
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diesen Film kein Schnitt vorgesehen ist. Alles was der Mensch also tut oder nicht
tut ist endgültig. Der weitere Vergleich mit dem Film besagt aber auch, dass es ein
Ende geben muss. Worauf es dann bei einem Film letztendlich ankommt ist der
Inhalt und die Details darin (vgl. Frankl, 2005, S.118f.).
3.2.4 Die Trotzmacht des Geistes
Gerade in Krankheit und Elend bekommen Menschen die Macht des Schicksals
sehr zu spüren, so eine landläufige Aussage. Gemeint ist damit, dass in solchen
Situationen der Mensch in seiner Freiheit eingeschränkt wird, durch seinen Körper,
seine Umgebung oder auch durch seine Psyche. Viktor Frankl entgegnet dem mit
den Worten: „…wer von vornherein sein Schicksal für besiegelt hält, wird
außerstande sein, es zu besiegen“ (1981, S.128). Mit dieser Aussage stellt er dem
Schicksal den, von ihm immer wieder bezeugten, freien Willen des Menschen
gegenüber. Dieser freie Wille beherbergt nämlich die stärkste innere Kraft des
Menschen, die Frankl die „Trotzmacht des Geistes“ nennt. Frankl definiert zur
Veranschaulichung ein altes Sprichwort neu, dass heißt: „Wo ein Wille da ein
Weg.“ Er formuliert es um und sagt: „Wo ein Ziel – dort ist auch ein Wille“. (1981,
S.125) Damit spricht er jene Kräfte an, die ein Mensch mobilisieren kann, wenn er
ein Ziel vor Augen hat.
Diese Kräfte können auch Pflegende in ihren Patienten entfachen, indem sie ihnen
helfen einen Sinn und ein Ziel zu finden, auf das es sich lohnt hinzuarbeiten. Denn
wer sich aufgibt, sich also dem Schicksal ergibt ist oftmals verloren. Wer jedoch
ein Ziel vor Augen hat und auf dieses Ziel hin arbeitet, ist selbst in scheinbar
hoffnungslosen Fällen, trotz aller Prognosen oft wieder gesund geworden. Diese
Erfahrung haben schon viele Pflegende und Ärzte gemacht, vielleicht auch indem
sie vorher an die „Trotzmacht des Geistes“ in ihren Patienten appelliert haben.
3.3 Einfache Anwendungsbeispiele
Auf Grundlage von logotherapeutischen Methoden gibt es auch für die Pflege
einfache anwendbare Tipps. Zwei einfache Anwendungen sollen hier kurz erläutert
werden.
- 23 -
3.3.1 Logotherapie vs. Schlafmedikamente
Menschen, die unter Schlafstörungen leiden bleibt oftmals nur noch der Griff zu
Schlafmedikamenten um zu dem von ihnen ersehnten Schlaf zu kommen. Aus
diesem Ausdruck, dem „ersehnten Schlaf“ kann man schon das eigentliche
Problem von Einschlafproblemen erkennen. Einschlafen ist im Normalfall etwas,
das nicht gesteuert werden muss. Wenn diese Automatisierung über längere Zeit
nicht funktioniert, gerät der Patient schnell in einen Teufelskreis. Er versucht aus
der Erwartungsangst heraus krampfhaft und angespannt etwas zu erreichen, einen
Zustand, der eigentlich völlige Entspanntheit bedeuten sollte. Grundsätzlich kann
dem Patienten gesagt werden, der Körper holt sich den Schlaf, den er braucht. Es
muss sich also keiner, der glaubt die ganze Nacht kein Auge zugetan zu haben,
Angst machen (vgl. Frankl, 1981, S.76). Logotherapeutisch gesehen könnte man
dem Patienten raten sich anstatt auf das Einschlafen zu konzentrieren auf ein
anderes Thema zu konzentrieren: Nicht einzuschlafen und versuchen die Augen
offen zu halten. Er wird in kürzester Zeit die Augen nicht mehr offen halten können
und dann einschlafen ohne es wirklich zu merken. Diese Anwendung der
paradoxen Intention kann vielen Patienten helfen ohne Schlafmedikamente und
die damit verbundenen Nebenwirkungen Schlaf zu finden.
3.3.2 Logotherapie vs. Psychopharmaka
Das zweite Beispiel aus dem Alltag des Krankenhauses soll Anregung sein anstatt
voreilig Psychopharmaka zu verabreichen, auf andere Art Patienten zu helfen.
Anschauungsbeispiel ist ein Patient der nach einer tumorindizierten
Blasenentfernung zur Nachsorge auf der Intensivstation lag. Der Patient hatte den
doch recht großen Eingriff gut überstanden, hatte zwar noch einige erträgliche
Schmerzen, war aber auf einem guten Weg der Genesung. Im Gespräch mit dem
Pflegepersonal interessierte er sich für die technischen Geräte und seine Werte
auf dem Überwachungsmonitor. Aus diesem Interesse entwickelte sich, aus dem
- 24 -
Wissen über „optimale Werte“, eine starke Konzentration auf den Wert der
Sauerstoffsättigung, der mittels Fingerclip abgenommen wird. Dieser Wert war bei
jenem Patienten aufgrund von Messfehlern aber zum Teil auch durch schlechte
Atemtechnik des Patienten nicht optimal. Der Patient, der vielleicht auch durch die
Diagnose eines Blasenkarzinoms und seiner generell misstrauischen Art
übervorsichtig war, entwickelte aus dieser ständigen Beobachtung seiner Werte,
Zustände von Panik. Als Therapie dieser Zustände bekam der Patient, in
Rücksprache mit dem Psychiater, Medikamente verschrieben, die ihm in diesen
Situationen sehr gut halfen. Aus logotherapeutischer Sicht wäre es eventuell gar
nicht notwendig gewesen, diesen Patienten medikamentös zu behandeln. Der
Patient hatte, logotherapeutisch gesehen, seine Aufmerksamkeit zu sehr auf eine
Sache gerichtet, was sich in einem ängstlichen Beobachten und schließlich in
Panikattacken auswirkte. Eine Ablenkung des Patienten auf andere Dinge, weg
vom Monitor und dem Fingerclip, hätte vielleicht dieselbe Wirkung gezeigt, wie die
Medikamente. Was der Patient in diesem Fall benötigt hätte, wäre eine
Verlagerung seiner Aufmerksamkeit durch Hinweise und interessierte Fragen des
Pflegepersonals.7
3.4 Die Gesprächsführung der Logotherapie in der Pf lege
Das Gespräch ist in der Psychotherapie „Die Methode“ mit der Krankheiten
behandelt werden. In der Pflege ist das Gespräch mit dem Patienten ein ebenso
wichtiger Bereich. Somit können gewisse Methoden der Gesprächsführung aus der
Psychotherapie, speziell auch aus der Logotherapie für die Pflege von großem
Nutzen sein. Für den Logotherapeuten ist ein empathisches, vertrauensbildendes
Kommunikationsklima Voraussetzung für seine weitere Arbeit. Auch in der Pflege
erleichtert ein guter Zugang zum Patienten die Arbeit. Der Logotherapeut versucht
dieses Gesprächsklima dadurch zu erreichen, dass er zunächst den Patienten als
„Person“, wertefrei und ohne Vorurteile, annimmt und ihn auch ernst nimmt.
Gleichzeitig geht der Therapeut aber kritisch reflektierend auf das vom Patienten
Gesagte ein. Wichtig aus logotherapeutischer Sicht ist hierbei auch das „Hinhören“ 7 Dieses Beispiel entstammt dem persönlichen Arbeitsalltag des Verfassers.
- 25 -
auf Schlüsselwörter durch die der Therapeut eventuell Türen zu wichtigen
Hintergrundinformationen finden kann. In der Pflege geht es hierbei weniger um
das Aufdecken von Ursachen für psychische Probleme, sondern eher darum, den
Patienten ernst zu nehmen. Vielleicht deckt man aber auch durch dieses
aufmerksame Zuhören pflegerelevant Probleme auf, die sich zum Beispiel aus der
privaten Situation des Patienten ergeben. Auch Versorgungsprobleme nach einem
Krankenhausaufenthalt, die sich der Patient nicht anzusprechen traut, können so
in Erfahrung gebracht werden.
Elisabeth Lukas hat in ihrem Lehrbuch der Logotherapie vier
Gesprächsstilelemente beschrieben, die gut zur Logotherapie passen. Diese vier
Stilelemente, die Lukas unter den Begriff der „Rhetorik der Liebe“ zusammenfasst
sind aber auch für jede andere Kommunikation gültig und somit auch sehr hilfreich
für die Kommunikation in der Pflege (2006, S.87f.):
Die Person aufwerten:
Die Wichtigkeit eines respektvollen Umgangs im Gespräch mit Patienten ist nicht
zuletzt für den Vertrauensaufbau unumgänglich. Wenn von respektvollem Umgang
gesprochen wird, ist oft auch die Rede davon, den Patienten nicht zu werten.
Dabei bleibt es dann jedoch meist bei einem geduldigem Zuhören und eventuellem
Nachfragen. Elisabeth Lukas meint dazu, dass ein gewisses Maß an Aufwertung,
durch Betonung der guten Seiten des Patienten nicht schaden kann.
Logotherapeutisch gesehen heißt dies, den Patienten einerseits seine guten
Seiten im heute aufzuzeigen und gleichzeitig seine guten Entfaltungsmöglichkeiten
für morgen darzulegen. Frankl definiert das „Phänomen Liebe“ als ein doppeltes
Erschauen der Person: in ihrer realen und in ihrer optimalen Gestalt (vgl. n. Lukas,
2006, S.88). Es gilt also aufwertend, statt nicht wertend zu kommunizieren.
Zur Klarheit beitragen:
Unter diesem Stilelement versteht Lukas das Bemühen die innere „Sicht-Qualität“
leidender Menschen zu lichten. Mit solchen Gesprächen soll dem Patienten
geholfen werden sein Leid besser zu verstehen oder es in einem anderen Licht zu
sehen. Dabei genügt es aber nicht durch „bloßes Zuhören“ Anteil zu nehmen. In
- 26 -
diesem Fall ist es angebracht dem Patienten auch Inhalte zu vermitteln und auch
teilweise Ratschläge zu geben. Zum Thema „Ratschläge“ verweist die Autorin
darauf, dass Patienten allemal mündig sind und solche Ratschläge annehmen
oder verwerfen können. Sie müssen sich also nicht vom Gegenüber beeinflussen
lassen. Zur Klarheit beitragen heißt, im Konkreten, vorschnelle Interpretationen
des Patienten zu bremsen oder auch Widersprüche aufzudecken. Weiters soll man
Patienten ermutigen, auf krumme rhetorische Aussagen wie: „Mir sagt ja keiner
was“ ohne darzulegen wer „Keiner“ ist, verzichten. Eine Reaktion darauf könnte
zum Beispiel die Aufforderungen sein: „Hilf mir dich verstehen“. Damit wird rasch
und kritiklos versucht Klarheit zu schaffen. Der Patient wird dabei auch ermutigt die
Sachlage vorerst neutral zu schildern und kommt so eventuell selber zur Einsicht
über Fehlsichten, Widersprüche und der Gleichen.
Mit Alternativen spielen:
Als weiteres Gesprächsstilelement nennt Elisabeth Lukas den Punkt Alternativen.
Viele Menschen sehen gerade in Krisen sehr engstirnig. Sie bedürfen dann eines
Gesprächspartners, der sie auf Alternativen aufmerksam macht. Dazu muss
diesen Patienten jedoch oftmals ihre enge Sicht bewusst gemacht werden. Wenn
dies gelungen ist, werden viele von ihnen selber kreativ und suchen neue Wege.
Vorerst kann man dem Patienten aber auch eigene Lösungsmöglichkeiten oder
Sichtweisen vorschlagen. Er muss sie gar nicht annehmen, es genügt wenn er
dadurch merkt, dass es noch andere Wege gibt.
Dem Sinn nachspüren:
Diesen Punkt könnte man auch dem „Warum“ nachspüren nennen. Es geht darum,
im Gespräch, die im dritten Stilelement erwähnten Möglichkeiten, auch auf ihren
Sinn hin zu prüfen. In einem Fallbeispiel beschrieb Elisabeth Lukas eine Frau, die
wegen Eheproblemen zu ihr kam. Sie hatten gemeinsam alternative
Vorgehensweisen gesucht und waren nun dabei die Beste daraus zu suchen.
Dabei suchte sie sich eine sehr „unerwartete Methode“ aus, die aber wie sich
herausstellte, viel mehr erreichte. Sie ging nämlich nicht nur auf Streitsituationen
ein, sondern ging auch auf ein von ihr vorher noch nicht erwähnte Problem ihres
- 27 -
Mannes ein. So kam am Ende des Gespräches nicht nur eine Lösung zustande,
sondern auch ein weiteres Stück „Wahrheit“ und damit auch ein Sinn in dem
gefundenen Vorgehen (Lukas. 2006, S.98).
Diese vier Stilelemente der „Rhetorik der Liebe“ fließen ineinander über und
kennzeichnen allesamt logotherapeutische Interventionen. Kurz zusammengefasst
trifft es dieser Satz von Elisabeth Lukas: „…wo Menschen liebevoll miteinander
kommunizieren, dort wenden sie sich an das Beste in ihrem Gegenüber, sprechen
sie klar und Klarheit schaffend, bringen sie der Freiheit ihres Gegenüber
Wohlwollen entgegen und unterstützen sie einander beim Abenteuer der
Sinnsuche“ (2006, S.100).
3.5 Kritische Reflexion der Umsetzbarkeit
Bei der Frage der Umsetzbarkeit neuer Ideen kommt in der Pflege immer auch das
Argument der Zeit ins Spiel. Dazu muss man sagen, dass hierbei sicherlich von
einem zusätzlichen Zeitaufwand gesprochen werden muss. Denn um einen
Patienten kennen zu lernen, was Voraussetzung ist, um später auf ihn einzugehen,
benötigt es Zeit. Leider ist diese Zeit, wie sich aus dem Krankenhausalltag zeigt,
kaum vorhanden. Viele Pflegekräfte klagen, dass zu wenig Zeit für den Patienten
bleibt, dass Patienten oft regelrecht abgefertigt werden.
Eine andere Frage ist ob es überhaupt Aufgabe der Pflege sein soll, auf seelische
Probleme des Patienten einzugehen oder diese Aufgabe der Psychologie und der
Seelsorge zu überlassen. Im Sinne der so oft propagierten ganzheitlichen Pflege
aber auch im Sinne der Prävention und Förderung einer gesunden Psychohygiene
sollte hier ein klares Ja stehen. Schließlich ist es das Pflegepersonal, das der erste
Ansprechpartner des Patienten ist. Fakt ist, dass Patienten ihre seelischen
Probleme nicht vor dem Krankenhaus abladen und diese im Krankenhaus sicher
nur dann weniger werden, wenn sie dort kompetente Ansprechpartner für diese
Probleme finden.
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4. Zusammenfassung und Fazit
Die Logotherapie ist als Psychotherapie weltweit anerkannt und auch angewandt.
Doch die Logotherapie ist mehr als nur Psychotherapie. Mit ihrer, von Viktor Frankl
geprägten Philosophie, einer positiven Weltanschauung und einem aufwertenden
Menschenbild, kann sie auch für jene, die direkt am Krankenbett arbeiten, die
Schwestern und Pfleger im Krankenhaus, Ideen liefern und gibt Anreize sich
immer wieder neu mit dem Thema „ganzheitliche Pflege“ auseinanderzusetzen.
Pflege, die am Patienten nicht nur die körperlichen Probleme erkennt sondern
auch auf die psychischen und seelischen Sorgen eingeht, ist ganzheitliche Pflege.
Der Bereich der seelischen Probleme kommt dabei immer noch zu kurz und hier
kann die Logotherapie auch in der Pflege ansetzen. Einerseits mit ganz konkreten
Lösungen für Probleme, andererseits mit Ideen und klaren Stellungnahmen aus
dem Bereich des Menschenbildes, das die Logotherapie prägt. Einzelne Methoden
aus der Logotherapie können schnell vermittelt werden und sind somit schnell
greifbar. Zum Einbringen der Theorien aus der Anthropologie in die tägliche Arbeit
bedarf es eines genaueren Studiums dieser und vor allem muss sich der
Anwender mit ihr identifizieren können. Viele Werte die die Logotherapie vermittelt
sind für eine gute Pflege selbstverständlich, aber man kann sich aus der
Logotherapie immer wieder inspirieren lassen.
Was schlussendlich für den Logotherapeuten genauso wie für die Pflege gilt, ist,
dass sie immer nur so gut sein kann, wie derjenige der sie ausführt.
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5. Literaturverzeichnis
Frankl, V. E. (2005): Ärztliche Seelsorge. 11. Aufl. Wien: Deutike
Frankl, V. E. (2006): Das Leiden am sinnlosen Leben. Psychotherapie für heute.
28. Ges.Aufl. Freiburg: Herder
Frankl, V. E. (1981): Psychotherapie für den Laien. Rundfunkvorträge über
Seelenheilkunde. 9. Aufl. Freiburg: Herder
Lukas, E. (1991): Auch dein Leben hat Sinn. Logotherapeutische Wege zur
Gesundung. 4. Aufl. Freiburg: Herder
Lukas, E. (2006): Lehrbuch der Logotherapie. Menschenbild und Methoden. 3.
erw. Aufl. München: Profil
Internet:
Breitwieser G. (2007): Logotherapie und Existenzanalyse. Viktor Frankl Zentrum
Wien. http://www.franklzentrum.org/logotherapie (20.02.2007)
Gesellschaft für Logotherapie und Existenzanalyse – Österreich (2007): Was ist
Existenzanalyse/Logotherapie. http://www.gle.at/Was-ist-Existenzanal.108.0.html
(17.04.2007)
Wikimedia Foundation Inc. (2007): Liliane Juchli.
http://de.wikipedia.org/wiki/Liliane_Juchli (13.04.2007)
- 30 -
Erklärung:
Hiermit erkläre ich, dass es sich bei der hier vorliegenden Fachbereichsarbeit mit
dem Thema:
Logotherapie und Existenzanalyse nach Viktor E. Fra nkl –
Anwendungsmöglichkeiten in der Pflege
um meine eigene Arbeit handelt, die ich selbst verfasst und in der ich sämtliche
Unterlagen zitiert habe.
Lehrgang: 2004/2007
Datum: 10.05.07
Manuel Huemer
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