1. Einleitung, Problemdarstellung
1.1 Begriffsbestimmungen
Beim Versuch einer gültigen Beschreibung unseres Problem-
kreises und unserer Fragestellung stoßen wir bereits bei
der Wortwahl auf Vieldeutigkeiten und Unklarheiten. Die
„Trainingsmaßnahmen“ beziehen sich in unserem Fall auf Aus-
Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen im wirtschaftlichen Kon-
text. Der Begriff Ausbildung beschreibt dabei den Erwerb
und die Festigung von Fähigkeiten und Fertigkeiten, welche
zur Ausübung eines „Basisberufes“ dienen. Fortbildung dient
der laufenden Aktualisierung und Vertiefung dieser Kennt-
nisse. Weiterbildung baut auf einem Basisberuf auf und
führt zu einer Spezialisierung innerhalb des Basisberufes
oder auch in durch den technologischen Wandel gegebenen
Randbereichen. {Rosenstiel 1987, S. 173; n. Bieling, 1980}
Der Vollständigkeit halber muss hier auch auf den sozialpo-
litisch bedeutsamen Unterschied zwischen den Begriffen Qua-
lifizierung und Bildung hingewiesen werden. Ersterer wird
stärker als das konkret auf eng umrissene Fertigkeiten zie-
lende Training verstanden. Letzterer wird häufiger mit dem
auf allgemeiner und übergeordneter besetzten Fähigkeiten
hinzielenden Training assoziiert. {Schmidt, in Münch 1996,
S. 10}
Evaluation ist ein Begriff aus dem Englischen und bedeutet
nach Langenscheidts Wörterbuch Englisch – Deutsch so viel
wie „Bewertung, Beurteilung, Auswertung, Abschätzung, Ein-
schätzung“. Die Anwendung auf Bildungsinhalte ist schwer-
punktmäßig erst ab Beginn der 90-er Jahre aus dem anglo-
amerikanischen Raum nach Europa, ab Mitte der 90-er Jahre
auch verstärkt in den deutschen Sprachraum vorgedrungen.
M.Herdlitzka - Evaluation von Trainingsmaßnahmen, S. 2 / 27
Man kann die Evaluation als notwendigen und logischen „Be-
gleiter“ der Thematik Qualität, Qualitätssicherung und Qua-
litätsmanagement betrachten, welche etwa zeitgleich ver-
mehrten Eingang in den Bildungssektor gefunden hat. Die
Entwicklung hat dabei ganz ähnlich wie in den Herkunftslän-
dern stattgefunden, nur mit zeitlicher Verzögerung, dafür
dann aber insgesamt rascher. Evaluation von Bildungsmaßna-
men fand zunächst fast ausschließlich im Bildungssektor
statt, beginnend an Universitäten und sich nur allmählich
in die „niedrigeren“ institutionellen Bildungsebenen vor-
tastend. Von universitären und vergleichbaren Einrichtungen
aus verbreiteten sich Methoden und Begriffe gemeinsam mit
der Qualitätsthematik in Richtung wirtschaftlicher und auch
anderer Organisationsformen, wie NGOûs, Kammern und Ver-
bände. {Keiner 2001, S. 10 f.}
1.2 Qualität – Kosten – Nutzen
Der wirtschaftliche Kontext bedingt, dass sämtliche o.a.
Arten von Trainingsmaßnahmen auch und vor allem unter öko-
nomischen Gesichtspunkten betrachtet werden müssen. Das be-
deutet, dass ein Training aus ökonomischer Sicht nur sinn-
voll und daher finanzierbar ist, wenn es eine bestimmte
„Qualität“ besitzt. Dies wiederum heißt auf einen einfachen
Nenner gebracht, ein eindeutig bestimmbarer und von vorne
herein „erwünschter“ Nutzen muss zu vertretbaren Kosten er-
bracht werden können. {Münch 1996, S. 38} Als „vertretbar“
werden in diesem Zusammenhang Kosten betrachtet, wenn der
zu erwartende Nutzen zumindest mittelfristig auch materiell
überwiegt. Dieser Nutzen richtet sich wiederum nach der ak-
tuellen Bedürfnislage, welche sich in unterschiedlichen mo-
tivatorischen „Grundstimmungen“ ausdrückt. Man unterschei-
det zwischen den Bedürfnissen nach Wachstum, Problembehe-
bung und Nichtstörung.
M.Herdlitzka - Evaluation von Trainingsmaßnahmen, S. 3 / 27
Im Wachstumsbedürfnis drückt sich der Wunsch aus, eine Tä-
tigkeit oder ein Produkt „besser, schöner, neuer, größer,
etc.“ zu machen oder zu erhalten. {Heiman & Sanchez 1998,
S. 143 f.} Die Motivation, die entsprechenden Änderungen
auch im Sinne der Personalentwicklung herbeizuführen, ist
sehr hoch und langfristig orientiert. Wir können folgern,
dass hier aus der Sicht des Trainers „optimale“ Bedingungen
vorliegen werden.
Im Bedürfnis nach Problembehebung steckt der Bedarf nach
der möglichst raschen Wiederherstellung eines Zustandes,
welcher durch eine Störung, ein Problem, einen nicht ge-
wünschten Umstand nicht mehr besteht. {Heiman & Sanchez
1998, S. 145 f.} Die Motivation, die „Reparatur“ schnells-
tens durchzuführen ist besonders hoch, die zeitliche Orien-
tierung allerdings besonders kurzfristig. Anzusetzende
Trainingsmaßnahmen werden am kurzfristigen Erwerb ganz spe-
zifischer, für die „Reparatur“ benötigter „Techniken“ aus-
zurichten sein.
Das Bedürfnis nach Nichtstörung kann auf Grund einer kor-
rekten Situationsanalyse bestehen und entspricht dem ver-
ständlichen Wunsch, den gegenwärtigen Kurs im derzeit opti-
mal ruhigen Fahrwasser beizubehalten. {Heiman & Sanchez
1998, S. 150 f.} Die Motivation, etwaige Änderungen wie
etwa Trainings durchzuführen ist gering. Allenfalls wird
man an Maßnahmen mit Incentive – Charakter denken. Die
gleiche Bedürfnislage kann sich auf Grund überheblicher
Verkennung der Lage ergeben. {Heiman & Sanchez 1998, S. 155
f.} Dieser mittelfristig äußerst gefährliche Zustand einer
Organisation ist auf die wahrnehmungsverzerrenden Phänomene
des sog. „Groupthink“ infolge zu hoher Konformität zurück-
zuführen. {O’Hair & Friedrich 1992, S. 286 f.} In diesen
M.Herdlitzka - Evaluation von Trainingsmaßnahmen, S. 4 / 27
Fällen wird jeder Versuch, Änderungen wie etwa Trainings-
maßnahmen vorzuschlagen, kläglich scheitern.
1.3 Evaluation von Nutzen
Um den Nutzen einer Trainingsmaßnahme konkret bestimmen und
daher auch überprüfen zu können, ist zunächst die Aufstel-
lung definierter Lernziele notwendig. Dabei ist es beson-
ders wichtig, die Ziele der Organisation mit jenen der In-
dividuen abzustimmen, um die Zielfestsetzung nicht aus-
schließlich nach den hier-und-jetzt Bedürfnissen, sondern
auch im Hinblick auf die zu erwartende Entwicklung der Or-
ganisation, der Technologie, der Umwelt und vor allem der
Individuen zu orientieren. Die Entwicklung geeigneter Lern-
programme mit nachhaltigem Erfolg wird daher nur in enger
Kooperation von fachlichen und psychologischen / pädagogi-
schen Experten wirklich zielführend sein können. Leicht
fassbare Kriterien, an welchen die Erfolgsbeurteilung aus-
gerichtet werden kann, sind zu entwickeln. {Rosenstiel
1987, S. 174}
Mögliche Kriterien kann man nach den zu messenden Quali-
tätsdimensionen einer Trainingsmaßnahme einteilen. Man un-
terscheidet z.B. Akzeptanzkriterien, wobei es um die Mes-
sung der Annahme von Inhalt, Darbietung und Darbieter geht.
An Hand von Lernkriterien stellt man fest, ob und wie weit
tatsächlich ein Wissens-, Könnens- oder Wollenszuwachs
stattgefunden hat. Transferkriterien sind wichtig, um das
Ausmaß der tatsächlichen Anwendung des Gelernten in der je-
weiligen Ist-Situation oder auch in anderen, ähnlichen
Kenntnisfeldern feststellen zu können. Schließlich kann man
mit Hilfe von Ergebniskriterien die praktischen und ökono-
misch fassbaren Auswirkungen von Bildungsmaßnahmen untersu-
chen. {Keiner 2001, S. 43 f.}
M.Herdlitzka - Evaluation von Trainingsmaßnahmen, S. 5 / 27
Darüber hinaus ist zwischen verschiedenen Beurteilungsquel-
len zu unterscheiden. Solche können die Lehrenden sein, de-
ren nicht direkt beteiligte Kollegen, die Trainierten
selbst oder interne oder externe, fachliche oder psycholo-
gische Experten. Schließlich gibt es auch „objektive“ Da-
ten, die zumeist im engen Zusammenhang mit Ergebniskrite-
rien stehen, wie z.B. die Fluktuationsrate. Des weiteren
sollte man sich über die Beurteilungseinheit im Klaren
sein. Wer oder was genau ist zu evaluieren, eine bestimmte
Lehreinheit, eine ganze Veranstaltung, ein bestimmter Leh-
render oder der organisatorische Träger einer Lehrveran-
staltung? {Keiner 2001, S. 43} Der Einsatz objektiver Quel-
len und die Feststellung von Veränderungen an Hand von ein-
deutigen Ergebniskriterien würde die Evaluation der Quali-
tät im Sinne der Beurteilung der Kosten- / Nutzenrelation
unter ökonomischen Gesichtspunkten ermöglichen.
1.4 Ausgangslage, Fragestellung
In der Praxiserfahrung werden einem sozusagen auf „den ers-
ten Blick“ eine Reihe von Mängeln und Einseitigkeiten übli-
cher Evaluationsverfahren bewusst. Selten existieren klare
und wohldefinierte Lernziele, am ehesten in Fällen, wo es
vordergründig um das Erfüllen von Lernkriterien, um das Be-
stehen von Prüfungen im weitesten Sinne geht. Institutio-
nelle Lehrveranstalter neigen dazu, sich fast ausschließ-
lich auf Akzeptanzkriterien zu verlassen, sogar dann, wenn
dies den selbst auferlegten Vorgaben eines Qualitätssiche-
rungssystems, z.B. nach ISO Norm 9000 f., widerspricht.
{Pribich, in Münch 1996, S. 75} Wo auch derartige quali-
tätssichernde Normen nicht gegeben sind, kann man mit größ-
ter Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass unter „Evalua-
tion“ die – nur selten professionelle – Abfrage der aktuel-
M.Herdlitzka - Evaluation von Trainingsmaßnahmen, S. 6 / 27
len Teilnehmerbefindlichkeit am Ende einer Lehrveranstal-
tung zu verstehen ist. Manche Unternehmen als Auftraggeber
sehen hingegen ihr Heil in der extrem kurzfristig orien-
tierten – und damit den Zeitfaktor für erfolgreichen Trans-
fer negierenden – Festlegung von Ergebniskriterien.
So ist auch einer der häufigsten Kritikpunkte in Bezug auf
Trainings der mangelnde Transfer. Sehr oft beruht der
schlechte Transfer auf zu wenig Gelegenheit zum „Training
on the Job“. Diese fehlende Gelegenheit kann selbst wie-
derum in der Organisationsstruktur (Zwang zur stereotypen
„Fließbandarbeit“, fehlende organisatorische Vorkehrungen
zur gezielten Weiterentwicklung) oder auch in der Organisa-
tionskultur (geringe Fehlertoleranz, fehlende motivatori-
sche Vorkehrungen zur gezielten Weiterentwicklung) begrün-
det sein. {Anthony & Perrewe & Kacmar 1993, S. 324 f.}
Die gegenständliche Arbeit will näher beschreiben, wie eine
Evaluation von Trainingsmaßnahmen aussehen soll, um dem
„Stand der Wissenschaft“ zu entsprechen. Den „Stand der
Wissenschaft“ auszuloten ist dabei kein Selbstzweck, son-
dern dient lediglich als Vehikel, die Trainingsmaßnahmen
umfassend im Hinblick auf den nachhaltigen Erfolg der Teil-
nehmer (!) in unserer sich rasant ändernden ökonomischen
und politischen Umwelt ständig weiter zu entwickeln. Ge-
zeigt werden soll dies am Beispiel eines großen Institutes
(WiFI Kärnten, mehr als 1000 hauptamtliche und
nebenbeschäftigte Trainer, mehr als 30000 Teilnehmer p.a.),
welches in Anerkenntnis einer nicht völlig befriedigenden
Situation im Evaluationsbereich die Entwicklung vom Quali-
tätssicherungsmodell ISO 9001 zum EFQM Modell vornehmen
möchte. Die dazu notwendigen und sinnvollen Schritte im Be-
reich der Evaluation herauszufinden, möchte diese Arbeit
unterstützen.
M.Herdlitzka - Evaluation von Trainingsmaßnahmen, S. 7 / 27
Ein möglicher Ansatzpunkt ist das Konzept „Leistungsbewer-
tung statt Evaluation“. Dieses Konzept unterstützt sehr
stark die Vorstellung, dass nicht der Vorgang der Bewertung
im Vordergrund der Überlegungen stehen soll, sondern der
Prozess einer kontinuierlichen Leistungsverbesserung. {An-
thony & Perrewe & Kacmar 1993, S. 440 f.}
1.5 Literatur:
Rosenstiel, Lutz von; Grundlagen der Organisationspsycholo-
gie; Poeschel, Stuttgart 1987
Münch, Joachim, (Hrsg.); Ökonomie betrieblicher Bildungsar-
beit; Erich Schmidt, Berlin 1996
Keiner, Edwin, (Hrsg.); Evaluation in der Erziehungswissen-
schaft; Beltz, Weinheim, Basel 2001
Heiman, Stephen E. & Sanchez, Diane; The New Strategic Sel-
ling; Warner, New York 1998
O’Hair, Dan & Friedrich, Gustav W.; Strategic Communica-
tion; Houghton Mifflin, Boston 1992
Anthony, William P. & Perrewe, Pamela L. & Kacmar, K. Mich-
ele; Strategic Human Resource Management; Dryden, Orlando
1993
M.Herdlitzka - Evaluation von Trainingsmaßnahmen, S. 8 / 27
2. Die „ideale“ Evaluation
Von Robert Musil (1880 – 1942) ist der folgende Aphorismus über-
liefert: „Ideale haben merkwürdige Eigenschaften, unter anderem
die, dass sie in ihr Gegenteil umschlagen, sobald man sie ver-
wirklicht.“
Nach allem, was sich schon aus der Einleitung zum Thema in Er-
fahrung bringen lässt, scheint diese Gefahr auch bei der Evalua-
tion durchaus gegeben. Ein „idealer, nach dem Stand der Wissen-
schaft vollständiger“ Evaluationsprozess wäre in den meisten
Fällen derart aufwändig, dass der Umfang der Evaluation den Um-
fang der zu vermittelnden Inhalte übertreffen würde. Ein Blick
in ein Standardwerk methodisch ausgefeilter Evaluation {Bortz &
Döring 2002} genügt um festzustellen, dass man bei methodisch
„wirklich korrektem“ Vorgehen aus jedem Evaluationsverfahren
praktisch eine Habilitation machen müsste. Man würde aber zu-
meist nur ein bürokratisches Monstrum schaffen, welches haupt-
sächlich sich selbst dienen und den Blick auf den ursprünglichen
Zweck komplett verstellen würde. Daher wird die „wirklich ide-
ale“ Evaluation immer nur eine kluge, dem jeweiligen Erfordernis
gut angepasste Auswahl aus den sich bietenden Möglichkeiten dar-
stellen. Daran wollen wir uns vor allem im nächsten Kapitel,
wenn wir die „Fehler“ gängiger, allgemein bekannter Evaluations-
verfahren beleuchten, nochmals erinnern, vor allem, wo sich die
„Fehler“ auf „Fehlendes“ beziehen.
2.1 Der Zeitrahmen des Evaluationsverfahrens
Wie wir in 1.2 gesehen haben, beginnt ein sinnvoller Evalua-
tionsprozess lange vor einer letztlich zu evaluierenden
Lehrveranstaltung. Ausgehend von einer Erhebung der motiva-
torischen Grundstimmung muss man konkrete Zielvorgaben zur
Entwicklung der tatsächlich geforderten Lehrinhalte heraus-
M.Herdlitzka - Evaluation von Trainingsmaßnahmen, S. 9 / 27
bilden. Hier wird der enge Konnex zu qualitätssichernden
Prozessen deutlich, denn ohne konkrete Zielvorgaben wird man
keine der Situation adäquaten Inhalte anbieten können. Und
was sollte man sonst evaluieren, wenn nicht die „Wirksam-
keit“, den Nutzen einer Bildungsmaßnahme im Hinblick auf
eine klar definierte, erwünschte Änderung.
Beispiele für mögliche Zielsetzungen, welche je nach unter-
nehmensspezifischer Situation die Rahmenbedingungen für er-
wünschte Änderungen mit unterschiedlicher Gewichtung bilden,
finden sich reichlich. Zitiert sei hier nur die Untersuchung
von Maisberger, welche 1996 an 200 Unternehmen durchgeführt
wurde, und die folgenden Resultate zeigte:
Abb. 1: Ziele beruflicher Weiterbildung heute und in Zukunft
{Immenroth 2000, S. 11; zit. n. Becker, M., Personalentwick-
lung, Stuttgart 1999}
M.Herdlitzka - Evaluation von Trainingsmaßnahmen, S. 10 / 27
An Hand dieser Studie wird deutlich, dass bei Unternehmen
mit strategischer Personalentwicklung die Ausbildung „über-
geordneter“ oder „sozialer“ Kompetenzen eher im Vordergrund
steht, als die Entwicklung ganz konkreter Fertigkeiten. Die-
ser Trend wird sich in Zukunft noch weiter verstärken.
In 1.3 wurde bereits gezeigt, dass die Zielsetzung bzw. de-
ren Erreichung an Hand ganz unterschiedlicher Kriterien ge-
messen werden kann. Es ist einleuchtend, dass zur Beurtei-
lung einer Trainingsmaßnahme mit der Zielsetzung „Sichern
der Basisqualifikation“ völlig andere Kriterien ausschlagge-
bend sein werden, als hinsichtlich der Zielsetzung „Bestand-
teil der Unternehmenskultur“. Die Abstimmung der persönli-
chen Weiterbildungsziele mit jenen der Organisation wird je
nach Beurteilungskriterium einen mehr oder weniger hohen
Aufwand erfordern und daher ebenfalls auf den Zeitrahmen
sehr stark einwirken. Der „weise Evaluator“ wird stets einen
gewissen Mix aus den möglichen und sinnvollen Kriterien vor-
sehen. Einige dieser Kriterien, etwa Transfer- und Ergebnis-
kriterien sind aber zum Zeitpunkt des Endes der Bildungsmaß-
nahme noch in keiner Weise anwendbar. Bei Anwendung solcher
Kriterien muss also ein Zeitraum nach der Lehrveranstaltung
abgeschätzt werden, wo man frühestens bzw. nochmals eine
sinnvolle Abfrage erwarten kann.
2.2 Der Gegenstand der Evaluation
Wer ein Evaluationsverfahren entwickeln möchte, muss sich
ganz genau die Frage stellen, wer oder was genau der eigent-
liche Gegenstand der Beurteilung sein soll. Hier gibt es
zahlreiche Möglichkeiten (eine Lehrveranstaltung, eine Reihe
von Lehrveranstaltungen, also ein ganzer Kurs oder ein gan-
zes Semester, der organisatorische Träger der Veranstaltung,
der Trainer, das Umfeld, die Lehrmittel) und es sollte auch
M.Herdlitzka - Evaluation von Trainingsmaßnahmen, S. 11 / 27
hier ein optimaler Mix angestrebt werden. In diesem Fall
sind die Beurteilungsgegenstände deutlich voneinander abzu-
grenzen und auch offen zu kommunizieren. Sowohl den zu Beur-
teilenden als auch den Beurteilern sollte bei jeder einzel-
nen Fragestellung klar sein, um wen oder was es inhaltlich
geht. Denn sonst funktioniert die Zuordnung von geäußerter
Kritik (positiv wie negativ) zu den betreffenden Ursachen
nicht mehr. Durch die Offenlegung und Abgrenzung aller Eva-
luationsgegenstände kann es aber zu brisanten Interessens-
konflikten zwischen den impliziten und expliziten Zielen des
Evaluierenden kommen. {Prof. Pichler}
2.2.1 Explizite Ziele
Diese sind die sozusagen „offiziellen“ Ziele, welche
mit der Evaluierung in Zusammenhang gebracht werden.
Alles, was im Sinne von Qualitätssicherung, Kundenori-
entierung, Weiterentwicklung usw. genannt werden kann,
fällt in diese Sparte. Diese Ziele sind meist offen und
deutlich kommuniziert. Die in der vorstehenden Abbil-
dung gezeigten Möglichkeiten stellen sicher nur einen
kleinen Ausschnitt der denkbaren Zielsetzungen dar. Der
zu evaluierende Gegenstand wird sehr stark von Umfang
und Ausprägung dieser Art von Zielsetzungen abhängen.
Alle Beteiligten werden sich in mehr oder weniger aus-
geprägter Übereinstimmung im Hinblick auf die Zielver-
folgung befinden. Jedenfalls bedarf es zu einer zweck-
optimierten Zielfestsetzung einer gezielten Bedarfsana-
lyse.
Der jeweilige „optimale“ Bedarf errechnet sich dabei
aus dem Schnittpunkt der Bedarfsfunktionen instrumen-
tendominiertes Angebot – verhaltensdominierte Nachfrage
- problemdominierter Bedarf an Information.
M.Herdlitzka - Evaluation von Trainingsmaßnahmen, S. 12 / 27
Abb. 2: Schema einer Informationsbedarfsanalyse {Immen-
roth 2000, S. 11; zit. n. Weber, J., Controlling 7,
Stuttgart 1998}
2.2.2 Implizite Ziele
Darüber hinaus werden aber in den meisten Fällen auch
„inoffizielle“ Ziele vorhanden sein. Ein „idealer“ Eva-
luator wird diese Ziele bei sich und anderen Entschei-
dungsträgern ernsthaft zu finden versuchen. Es könnte
sein, dass man in der Evaluation auch ein Disziplinie-
rungsmittel (etwa dem Trainer gegenüber) sieht. Es
könnte sein, dass die offen kommunizierte Einhaltung
von Qualitätsstandards auch oder vordergründig durch
das nicht offen kommunizierte Ausfiltern der „schlech-
testen“ Lehrenden erreicht werden soll. Über die Legi-
timität solcher Ziele wird besser an anderer Stelle zu
diskutieren sein. Aber das grundsätzliche Dilemma muss
hier dargelegt werden, das Verfolgen impliziter Ziele
vernebelt und erschwert die Erreichung der expliziten
Ziele. Es entstehen Angst, Misstrauen und daraus wie-
derum bilden sich offene und / oder verdeckte Wider-
stände. Das Offenlegen impliziter Ziele hingegen macht
M.Herdlitzka - Evaluation von Trainingsmaßnahmen, S. 13 / 27
diese zu expliziten und somit das weitere Verfolgen der
impliziten, so legitim und wichtig sie auch sein mögen,
unmöglich. Der „ideale Evaluator“ wird sich dessen be-
wusst sein und berücksichtigen, dass – meiner Meinung
nach – ein gutes Evaluationsverfahren kein geeignetes
Medium zur Verfolgung der impliziten Ziele bildet.
In diesem Zusammenhang ließe sich eine interessante
Hypothese bilden, welche die Sinnhaftigkeit der Evalua-
tion grundsätzlich in Frage stellen könnte. Reischmann
{Reischmann 2003, S. 95 f.} hat festgestellt, dass
„qualitativ höchstwertige“ Programme, deren Wirkung
„offensichtlich“ ist, im Grunde gar nicht evaluiert zu
werden brauchen. Der Wunsch nach Evaluation stellte
sich seiner Erfahrung nach hauptsächlich im Zuge „wenig
erfolgreicher“ Maßnahmen ein. Hier scheinen also a pri-
ori implizite Ziele im Vordergrund zu stehen, quasi um
den „Misserfolg“ objektivieren zu können. Demnach wäre
der Verzicht aller Beteiligten auf eine separate Beur-
teilung ein Erfolgs- und Qualitätskriterium an sich. Zu
berücksichtigen ist dabei allerdings, dass seine Daten
in erster Linie aus Programmen zur Förderung simpelster
Basisqualifikationen in Ländern der dritten Welt stam-
men. Solche Ergebnisse sind nicht ohne weiteres auf
z.B. eine Leitbildentwicklung mit Führungskräften eines
internationalen Konzerns zu übertragen. Trotzdem muss
man sich fragen, inwieweit implizite Ziele die Entwick-
lung vieler Evaluationsverfahren ausgelöst oder geför-
dert, deren Brauchbarkeit jedoch beschädigt haben.
2.3 Die möglichen Beurteilungsquellen
An dieser Stelle müssen wir uns zunächst um eine Klärung der
verwendeten Begriffe bemühen. Die Literatur verweist häufig
M.Herdlitzka - Evaluation von Trainingsmaßnahmen, S. 14 / 27
auf die Wechselwirkungen von Fremd- und Selbstevaluation. Um
keine heillose Verwirrung zu stiften und keine wichtige
Quelle für Daten zur Beurteilung von Trainingsmaßnahmen,
sollten wir aber im folgenden die drei folgenden Begriffe
verwenden:
Externe, oder auch Fremdevaluation {Reischmann 2003, S. 106
f.} bedeutet, dass die Beurteilung „von aussen“, also von
nicht am zu evaluierenden Prozess Beteiligten erfolgt. Dies
geschieht etwa, wenn die Leistungen eines Weiterbildungsin-
stitutes durch den organisatorischen Kostenträger (also eine
Universität durch das entsprechende Ministerium) beurteilt,
oder wenn externe Experten dem Evaluationsverfahren hinzuge-
zogen werden. Die in der Praxis so häufige Befragung von Se-
minarteilnehmern fällt nicht unter diesen Begriff, weil die
Teilnehmer als dem Trainingsprozess zugehörig verstanden
werden. Der Einsatz „objektiver“ Datenquellen, also nur in-
direkt aber valide mit den Zielen der Trainingsmaßnahme ver-
bundener Daten, wie etwa einer Fluktuationsrate, würde aber
hierunter zu verstehen sein.
Hingegen wird der Begriff Selbstevaluation in unterschiedli-
cher Weise verwendet. Einerseits beschäftigt sich die in-
terne Evaluation {Reischmann 2003, S. 106 f.} mit der Beur-
teilung der Organisation durch sich selbst. Die Bildungsin-
stitution entwickelt also ein Verfahren, welches durch die
selbst an der Trainingsmaßnahme Beteiligten getragen und
ausgeführt wird. Davon sollte jedoch der enger zu verste-
hende Begriff Selbstevaluation {Riemann, in Irskens & Vogt
2000, S. 136 f.} klar unterschieden werden. Damit ist manch-
mal, und so wollen wir den Begriff weiter verwenden, die
tatsächlich persönliche Beurteilung durch sich selbst, ide-
alerweise an Hand eines strukturierten Verfahrens, gemeint.
Wie später noch aus den von uns durchgeführten Trainerinter-
M.Herdlitzka - Evaluation von Trainingsmaßnahmen, S. 15 / 27
views ersichtlich sein wird, stellt diese Methode eine
wichtige, weil in letzter Konsequenz „wirklich“ qualitäts-
steigernde, oft jedoch vernachlässigte Verfahrensweise dar.
Grundsätzlich erscheint auch hier ein Mix aus mehreren, dem
Situationserfordernis angepassten Quellen sinnvoller als die
Beschränkung auf eine einzige und auch niemals gewechselte
Datenquelle, z.B. die Teilnehmer. Denn es muss klar sein,
dass jede Datenquelle bestimmte Daten bestens, andere jedoch
schlecht oder gar nicht zur Verfügung stellen kann.
2.4 Bildungscontrolling
Ein umfassendes Konzept des Bildungscontrollings wird insge-
samt zielführender sein, als einzelne, abgeschlossene und in
anekdotischer Weise auf bestimmte Aspekte bestimmter Maßnah-
men abzielende Evaluierungen. Wie ein Ansatz eines solchen
Konzeptes gestaltet sein könnte, zeigt die folgende Abbil-
dung. Ein „vollständiges“ Controlling im Trainingsbereich
würde aber sehr schnell Gefahr laufen, das Schicksal der
eingangs erwähnten Musilûschen Ideale zu erleiden. Wie in
anderen wirtschaftlich orientierten Bereichen ebenfalls wird
es aber ohne ein Controlling auf Dauer nicht gehen, wenn man
die Verfolgung der expliziten Ziele wirklich ernsthaft
betreiben will.
Damit ergibt sich die Notwendigkeit eines vollständigen Pla-
nungszyklus, wie er aus mannigfachen anderen Wirtschaftsbe-
reichen bekannt ist. Beginnend bei einer Bedarfserhebung
werden Ziele festgelegt, Maßnahmen geplant, umgesetzt, deren
Wirksamkeit wird überprüft und schließlich die gelungene Um-
setzung in die reale Arbeitssituation beurteilt. Diese
Sichtweise führt die Bedeutungslosigkeit einer einzelnen,
punktuellen Messung deutlich vor Augen.
M.Herdlitzka - Evaluation von Trainingsmaßnahmen, S. 16 / 27
Abb. 3: Ein Konzept für Bildungscontrolling {Immenroth 2000,
S. 30; zit. n. Becker, M., Personalentwicklung, Stuttgart
1999}
Nach diesem Konzept ist es wichtig, die einzelnen Maßnahmen
als Teile eines Kreislaufes, welcher in verschiedenen Ebenen
abläuft, zu begreifen. Der Kreislauf Bedarfsermittlung –
Ziele festlegen – Maßnahmenplanung – Durchführung – Erfolgs-
kontrolle – Transfersicherung passt hervorragend ins bisher
gezeichnete Bild des „idealen“ Evaluationsverfahrens. Hält
man sich an diesen überschaubaren Regelkreis, müsste sich
der Aufwand für die Bildungsevaluation in vernünftigen Gren-
zen halten lassen. Der qualitätssteigernde Effekt wäre aber
so gut wie garantiert. Erfolg ist planbar – dieser Lehrsatz
lässt sich auch problemlos auf unseren Themenkreis anwenden.
Die Evaluation „an sich“ hätte demnach nur eine Berechtigung
und die oftmals behauptete qualitätssichernde Wirkung im
Rahmen eines umfassenden Planungs- und Controllingprozesses.
M.Herdlitzka - Evaluation von Trainingsmaßnahmen, S. 17 / 27
2.5 Literatur:
Bortz, Jürgen & Döring, Nicola; Forschungsmethoden und Eva-
luation; Springer, Berlin 2002
Immenroth, Tobias; Bildungscontrolling im Rahmen der Perso-
nalentwicklung; TIV, Braunschweig 2000
Reischmann, Jost; Weiterbildungs-Evaluation; Luchterhand,
Neuwied 2002
Irskens, Beate & Vogt, Herbert (Hrsg.); Qualität und Evalua-
tion; Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge,
Frankfurt 2000
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3. Die „Fehler“ in der Praxis
Wie bereits erwähnt, werden angesichts der im vorigen dargeleg-
ten Fülle von Erfolgsfaktoren für eine gelungene Evaluation in
der spontanen Erinnerung „selbst erlebter“ Evaluationen auf den
ersten Blick eine Reihe von Fehlern, auch im Sinne von fehlend,
bewusst. Auf diese augenfälligen Mängel brauchen wir hier nicht
näher einzugehen. Es würde sich ein reziprokes Abbild des 2. Ka-
pitels ergeben, eine Übung, die ich dem Leser und mir gerne er-
spare.
Ich begnüge mich mit der oberflächlichen Aufzählung, dass es in
den spontan erinnerten Evaluationsverfahren sozusagen „überall“
mangelt. Der Zeitrahmen wird viel zu kurzfristig gesetzt, die
gesamte Evaluation besteht oft aus einer einzigen Momentaufnahme
zum Zeitpunkt des Endes einer Trainingsmaßnahme. Die motivatori-
sche Ausgangslage wird nicht berücksichtigt, ja nicht einmal er-
hoben. Konkrete Ziele werden nicht formuliert oder, falls doch,
dann kaum unter den betreffenden Interessensgruppen (z.B. Unter-
nehmensleitung und Mitarbeiter) abgestimmt. Der genaue Gegens-
tand der Evaluation bleibt meist unklar, zur Beurteilung werden
Kriterien herangezogen, welche leicht verfügbar (Akzeptanzkrite-
rien) sind, anstelle von solchen, die dem Prozess insgesamt am
dienlichsten wären. Und letztlich beschränkt man sich sehr oft
auf eine einzige Datenquelle, meistens die Teilnehmer. Ein Be-
reich, welcher im Rahmen dieser Arbeit gar nicht oder nur am
Rande berührt wird, darf an dieser Stelle nicht unerwähnt blei-
ben: Die Wahl der Methodik, welche wiederum ein unerschöpfliches
Reservoir an Fehlerquellen bieten würde.
Einige Aspekte ergeben sich jedoch nicht so offensichtlich aus
dem bisher Gesagten. Diesen Aspekten und deren näherer Beleuch-
tung ist dieses Kapitel gewidmet.
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3.1 Gelungene Weiterbildung wird „unsichtbar“
Bei Reischmann haben wir bereits gefunden, dass gerade bei
„offensichtlichem“ Erreichen von Bildungszielen der Wunsch
nach und die Notwendigkeit von Evaluierungsmaßnahmen deut-
lich nachlässt. Er geht einen Schritt weiter, wenn er sich
auf die gestaltpsychologische Erkenntnis beruft, dass be-
friedigte Bedürfnisse nicht mehr wahr genommen werden.
{Reischmann 2003, S. 96 f.} Stimmt die Outputquote in einer
Produktionsabteilung mit den Planzahlen überein, sieht nie-
mand mehr den Qualifizierungsaufwand, welcher zuvor damit
verbunden war. Spielt in einem Orchester niemand falsch,
wird der Einsatz aller einzelnen Musiker an Übung und des
gesamten Orchesters an Proben nicht bewusst. Es bedarf er-
heblichen Gehirnschmalzes, solchen Tendenzen durch Auswahl
und Definition der Bildungsziele gekonnt entgegen zu wirken.
Auch und gerade das Erreichen solcher Ziele muss dann aber
auch entsprechend kommuniziert werden, denn mit dem Errei-
chen wird auf das ursprüngliche Ziel leicht und schnell ver-
gessen.
Es ist daher auch sehr schwierig, dem solcherart bereits Er-
reichten einen Wert beizumessen. Da das Selbstverständliche
eben selbstverständlich ist, wird sich kaum jemand bereit
finden, dafür in die Tasche zu greifen. Ein in Planung und
Controlling „perfektes“ Bildungssystem, welches so früh ein-
greifen und wirksam werden würde, dass „Störungen“ gar nicht
erst auftreten, hätte demnach größte Probleme mit der eige-
nen Rechtfertigung.
Ein möglicher Ausweg ergäbe sich im Einsatz vergleichender
Verfahren (Benchmarking) zur Evaluation, weil die dadurch
erzwungene Außensicht das Entstehen blinder Flecken bezüg-
lich eigener „Selbstverständlichkeiten“ verhindern würde.
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3.2 Objektiver und subjektiver Erfolg
Ein nicht unwesentlicher Punkt ist die Unterscheidung zwi-
schen dem objektiven Erfolg und dem subjektiven Erfolg. Ers-
terer stellt das Ergebnis der Erfolgsbeurteilung an Hand der
expliziten Ziele dar. Darüber hinaus gibt es aber auch auf
der Seite der Individuen so etwas wie implizite Ziele, d.h.
solche, deren Existenz dem Individuum (= in der Regel Teil-
nehmer) mehr oder weniger bewusst ist, das Wissen darüber
wird aber nicht oder nur im engsten Vertrautenkreis geteilt.
Jemand, der die Teilnahme an einem Seminar vorzeitig ab-
bricht, mag „objektiv“ in der Misserfolgsstatistik aufschei-
nen. Subjektiv kann ein großer Erfolg darin liegen, ein in-
dividuelles Ziel schon frühzeitig erreicht oder auch ganz
genau erfahren zu haben, was man nicht will. Je nach Komple-
xität solcher individuellen Zielsetzungen bzw. je nach deren
Unterschieden zu den „allgemeinen“ Zielen kann es durch eine
Trainingsmaßnahme zu einer gewaltigen Sammlung von „Neben-
wirkungen“ kommen. {Reischmann 2003, S. 97 f.}
„In den Griff“ kann man solche Nebenwirkungen nur durch eine
besonders akribische Erhebung der persönlichen Zielvorstel-
lungen und eine möglichst genaue, zumindest offen kommuni-
zierte Abstimmung der Organisationsziele mit den persönli-
chen Zielen bekommen. Dazu bedarf es in jedem Fall eines
sehr angstfreien, kooperativen Klimas zwischen allen Betei-
ligten, ein Punkt, auf den wir noch eingehen werden. Die an-
dere Möglichkeit wäre, das gesamte Erwachsenenbildungssystem
„offen“ zu lassen für Entwicklungen, welche zwar nicht ab-
sehbar sind, aber im Einzelfall wie oben erwähnt durchaus
positive Wirkungen entfalten können. Diese Offenheit würde
jeden Versuch einer Evaluation ad absurdum führen, trüge
aber auch die Gefahr in sich, dass manche „Nebenwirkungen“
auch sehr negative Folgen für den Einzelnen haben könnten.
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3.3 Intervention und Validität
Ganz entscheidend an den folgenden Unterkapiteln ist die Er-
kenntnis, dass das „Ergebnis“ einer Trainingsmaßnahme durch
einen Evaluationsprozess verändert wird. Diese Veränderungen
können nicht nur negative, sondern durchaus positive Wirkun-
gen auf den Erfolg entfalten. Als „Fehler“ im Sinne dieses
Kapitels wäre auch eine positive Veränderung anzusehen, wenn
diese „passiert“ wäre, sich also unreflektiert in das Evalu-
ationsverfahren eingeschlichen hätte. Denn unbewusste Verän-
derungen der Messergebnisse verfälschen natürlich die Vali-
dität der Messung, also die Gültigkeit dessen, was zu messen
vorgegeben wurde. {Bortz & Döring 2002, S. 504 f.}
3.3.1 Einfluss der Intervention
Physikern dürfte es sofort bewusst werden, den mit der
Evaluation im Bildungsbereich meist betrauten Sozial-
wissenschaftlern vielleicht nicht: Ein Evaluationsver-
fahren stellt eine Intervention innerhalb des gesamten
Bildungsprozesses dar und es werden – wie in der Physik
– die Messergebnisse durch die Tatsache der Messung be-
einflusst. Diese Intervention kann aktiv genutzt wer-
den, um die positive Wirkung einer Trainingsmaßnahme zu
verstärken. {Patton 1997, in Heiner 1998, S. 61 f.}
Voraussetzung dafür ist, dass ein Evaluationsschritt in
einem definierten Zeitraum nach dem Ende der Bildungs-
maßnahme erfolgt und dies den Teilnehmern auch vorher
bekannt ist. Dann steigert die gedankliche Beschäfti-
gung mit der bevorstehenden Abfrage die Behaltensleis-
tung. Analog sind natürlich auch zahlreiche negative
Einflüsse denkbar.
M.Herdlitzka - Evaluation von Trainingsmaßnahmen, S. 22 / 27
3.3.2 Einfluss der Kriterien
Einen wesentlichen Einfluss auf den „Erfolg“ einer Bil-
dungsmaßnahme haben die angewendeten Kriterien. „Was
gemessen wird, wird getan“ lautet ein nicht von der
Hand zu weisendes Axiom. {Patton 1997, in Heiner 1998,
S. 63 f.} Ein Trainer, dessen Leistung vorwiegend mit-
tels Akzeptanzkriterien gemessen wird, wird mit Sicher-
heit früher oder später ein „guter Unterhalter“ sein,
der seinen Teilnehmern das Gefühl des Wohlbefindens
während der Seminarteilnahme vermitteln kann. Ob dies
den „eigentlichen“ Bildungsinhalten in deren Vermitt-
lung und Umsetzung wirklich optimal angemessen ist,
darf bezweifelt werden.
3.3.3 Einfluss des Prozesses
Wie es auch aus anderen qualitätsorientierten Prozessen
bekannt ist, entfaltet sich die positive Wirkung im
Hinblick auf die Zielsetzung oft weniger durch das „Er-
gebnis“ des Prozesses, sondern dadurch, dass überhaupt
dieser Prozess stattgefunden hat. Dieses Phänomen fin-
det sich genau so bei der Evaluation von Bildungsmaß-
nahmen. {Patton 1997, in Heiner 1998, S. 55 f.} Die
Ausbildung evaluativen Denkens ist ein wesentlicher,
wenn nicht der wesentliche Schritt auf dem Weg zur
„lernenden Organisation“. Das evaluative Denken stellt
praktisch eine Anleitung zum Lernen des Lernens dar,
ein wichtiges Hilfsmittel in einem Umfeld, wo Lernin-
halte eine stets kürzer werdende Halbwertszeit besit-
zen.
Dies wäre ein sehr starkes und einleuchtendes Argument
für die Evaluation – das Erlernen des evaluativen Den-
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kens als „erwünschte Nebenwirkung“ und möglicherweise
in vielen Fällen in den langfristigen Auswirkungen
wichtiger als die evaluierten Inhalte selbst.
3.4 Macht ist im Spiel
In einem Beurteilungsverfahren, egal welcher Art, wird stets
explizit oder implizit auch Macht ausgeübt. Der Mächtigere
hat gegenüber dem weniger Mächtigen Zugriff auf vermehrte
oder qualitativ andere Ressourcen. Der Beurteiler ist dem zu
Beurteilenden gegenüber zweifellos in einer Machtposition.
Auch wenn diese Macht „real“ gar nicht eingesetzt wird, in
der Vorstellung des Beurteilten spielt dieser Faktor eine
wesentliche Rolle. {König 2002, S. 33 f.} Der Machtfaktor
sollte in irgendeiner Form „neutralisiert“ werden, etwa
durch eine „Gegenbeurteilung“ des Beurteilers durch den Be-
urteilten, um die Messung nicht unkontrollierbar zu beein-
flussen oder gar unmöglich zu machen. {Prof. Pichler}
Man muss nun aber Klarheit darüber gewinnen, wer letztlich
welche Rolle wann inne hat. Schon in der „gängigen Versuchs-
anordnung“ - die Teilnehmer eines Seminars beurteilen an
dessen Ende den Trainer durch Ausfüllen eines entsprechenden
Bogens - sind die Dinge nicht so einfach, wie sie scheinen
mögen. Der Trainer ist ja während des Seminars den Teilneh-
mern gegenüber in einer Machtposition, beurteilt laufend und
tut seine Beurteilungen laufend verbal und nonverbal kund.
Sind mit dem „positiven“ Absolvieren des Seminars gar „Prü-
fungen“ verbunden, wird diese Machtfülle durch die Prüfungs-
ergebnisse auch noch persönlich und öffentlich dokumentiert.
Dann wäre also das Ausfüllen des Evaluierungsbogens ein be-
scheidener Versuch, das vorhandene Machtgefälle wenigstens
ansatzweise zu neutralisieren.
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Es ist nun aber in dieser Versuchsanordnung der beurteilende
Teilnehmer ja keineswegs die „letzte Instanz“. Denn irgend
jemand wertet die Fragebögen aus und kommt infolge dessen zu
einer Beurteilung. Diese Instanz ist nunmehr eigentlich dem
Beurteilten gegenüber in einer nicht neutralisierten Macht-
position. Von der individuellen Vorgeschichte, von den Um-
ständen, sicher auch von der Konzeption des Evaluierungsver-
fahrens (mit dessen expliziten und impliziten Zielen) wird
die Interpretation der Auswertung und damit die Beurteilung
abhängen. Je „externer“ die beurteilende Instanz erlebt
wird, desto deutlicher wird durch den Beurteilten das Macht-
gefälle empfunden werden. Je „interner“ Sinn und Durchfüh-
rung der Evaluation erlebt werden, je näher man sich ge-
fühlsmäßig an tatsächlicher Selbstevaluation befinden kann,
desto geringer werden störende Einflüsse des Machtfaktors
sein. Es sollte daher das „evaluative Denken“ innerhalb der
trainierenden Organisation selbst gestärkt und gefördert
werden. Denn nur dadurch kann es zu einer „inneren Neutrali-
sierung“ der Macht kommen, wenn man sich „freiwillig“ einer
Macht unterwirft, weil man vom Nutzen überzeugt ist. {König
2002, S. 36 f.} In diesem Zusammenhang ist es besonders in-
teressant, dass die Suche nach dem „Sinn“ - vielleicht nur
ein anderer Ausdruck für unser evaluatives Denken - immer
häufiger zur Triebfeder zur Teilnahme an Aktivitäten der Er-
wachsenenbildung wird.
In anderer Betrachtung ist auch die auswertende und beurtei-
lende Instanz nicht die „letzte“. Unter der Annahme markt-
wirtschaftlicher Gegebenheiten ist ja letztlich der Kunde
die unwiderruflich letzte Instanz. Irgend jemand nimmt Geld
in die Hand, um für die Teilnahme von sich selbst oder Mit-
arbeitern an einer Trainingsmaßnahme zu bezahlen. Auf diese
Weise findet die „eigentliche“ Beurteilung statt, ein Pro-
dukt wird (wieder) gekauft oder eben nicht. Der Kunde ent-
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scheidet sich also und bezahlt auch noch für die zeitweilige
Aufhebung, ja Umkehrung der „realen“ Machtverhältnisse. {Kö-
nig 2002, S. 150 f.} Unter diesem Gesichtspunkt wäre ein
Evaluationsverfahren als ausgefeiltes Abfragesystem der Kun-
denzufriedenheit sogar besonders wichtig, um den zukünftigen
Erfolg zu sichern. Umso mehr kann eine einmalige Abfrage
nach Akzeptanzkriterien diesen Anspruch nicht erfüllen, son-
dern es müsste sich ein umfassendes System von der Bedarfs-
erhebung bis zur Transferkontrolle etablieren, ein Bildungs-
Marketing- Planungs- und Controllingsystem.
3.5 Vertrauen und Kooperation
Bereits in 3.2 haben wir auf die Notwendigkeit eines ver-
trauensfördernden, kooperativen Klimas hingewiesen, um man-
che „Nebenwirkungen“ kontrollieren zu können. Diese Notwen-
digkeit wird durch die in 3.4 herausgestellte „Freiwillig-
keit“ unterstrichen. Freiwilliges Eingliedern in ein Macht-
verhältnis setzt nicht nur die kognitive Einsicht in den
Nutzen dieses Tuns voraus, sondern kann auch nur in einem
vertrauensvollen Klima gelingen.
In allen erfolgreichen kundenorientierten Prozessen kann man
eine weitgehende Auflösung der Externalität beobachten. Kun-
den werden aktiv zu Gliedern und Teilnehmern des Prozesses
gemacht, von der „Leitung“ bis zum Kunden wird ein zusammen-
gehöriges Kontinuum hergestellt, in welchem jede Stufe je-
weils bestimmte Leistungen erhält und selbst auch liefert.
Nach diesem Muster müssten auch Bildungseinrichtungen struk-
turiert werden, um den langfristigen Erfolg aller Beteilig-
ten zu sichern.
Das „Spiel der Macht“, welches sich auf selektiven Zugang zu
bestimmten Ressourcen gründet, bedeutet demzufolge immer
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auch Konkurrenz. Es kommt zu einer Konkurrenz der Mächtigen
um die Ressourcen und zu einer Konkurrenz der weniger Mäch-
tigen um die Zuteilung der von den Mächtigen ergatterten
Ressourcen. Dieser Mechanismus arbeitet immer selbsttätig,
während die Kooperation stets gefördert werden muss. {König
2002, S. 75 f.} Die Förderung gelingt durch Hervorheben der
Orientierung an der zu lösenden Aufgabe und an der Gruppe
der an der Lösung Beteiligten.
Obwohl es Belege für so etwas wie eine „angeborene“ Koopera-
tionsbereitschaft gibt {Ritschel 2000, S. 7 ff.}, stehen im
realen Alltag Kooperation und Konkurrenz ständig in einer
Art „Kontinuum“ gegenüber, in welchem manchmal das eine und
manchmal das andere Phänomen überwiegt. Die „natürliche“ Ko-
operation wird immer dann durch Konkurrenz überlagert, wenn
es in Folge massiv erlebter Ressourcenverknappung zu ver-
stärkter Individualisierung kommt. Dieser Effekt wird durch
Evaluierungsverfahren, welche nicht den durchgängigen Pro-
zess zwischen Leitung und Kunden verfolgen, gefördert. Trai-
ner werden in Konkurrenz zueinander sowohl um die Gunst der
Beurteilenden als auch um die „externen“ Teilnehmer ge-
schickt.
Wenig Zweifel besteht an der Auffassung, dass Kooperation im
Hinblick auf die Aufgabe zu besseren Leistungen befähigt als
Konkurrenz. Es scheint so zu sein, dass Konkurrenz, also das
Bestreben, jemand anderen zu übertrumpfen, sehr viel Energie
bindet, welche dann zur Lösung der Aufgabe fehlt. {Ritschel
2000, S. 13 ff.} Vertrauen als aktiver Entscheidungsprozess
mit dem Nutzen der Komplexitätsreduktion {Ritschel 2000, S.
23 ff.} muss gefördert werden, indem Externalität insofern
aufgelöst wird, dass die Erfüllung der Aufgabe im Rahmen ei-
nes komplexen Prozesses mit vielen Beteiligten in den Vor-
dergrund gerückt wird. Solches wäre also die Aufgabe eines
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Evaluationsverfahrens. Es gibt ja auch Beispiele, die zei-
gen, dass auch erfahrene Trainer in schwierige Situationen
geraten können, welche am besten durch ein hohes Maß an Ko-
operation mit Kollegen, resp. der Kursleitung und den Teil-
nehmern gelöst werden können. {Herdlitzka 2002, S. 25 f.}
Als besonders ernsthaft in diese Richtung gehend können dem-
nach Versuche angesehen werden, wo Kundenorientierung und
Prozessdenken bereits durch die Konzeption sichtbar und
vielleicht sogar durch ein integriertes Managementsystem
nachgewiesen sind.
3.6 Literatur:
Reischmann, Jost; Weiterbildungs-Evaluation; Luchterhand,
Neuwied 2002
Bortz, Jürgen & Döring, Nicola; Forschungsmethoden und Eva-
luation; Springer, Berlin 2002
Heiner, Maja (Hrsg.); Experimentierende Evaluation; Juventa,
Weinheim 1998
König, Oliver; Macht in Gruppen; Pfeiffer Klett-Cotta,
Stuttgart 2002
Ritschel, Nicola; Die Rolle von Vertrauen und Identität in
Kooperation und Konkurrenz; Diplomarbeit, Johannes Kepler
Universität, Linz 2000
Herdlitzka, Michael R.; Intervention und Erfahrung; Projekt-
arbeit, University of Salzburg Business School, Salzburg
2002
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