Zusammenfassung Junggesellenball

8
Zusammenfassung Junggesellenball Abstract Dieses Buch besteht aus mehreren Artikeln, die Bourdieu während der Frühphase – hauptsächlich in den 1960er Jahren – verfasst hat. Der erste Teil ist „Ehelosigkeit in der bäuerlichen Gesellschaft“ betitelt und stellt den wichtigsten Abschnitt dar. 1962 in der Fachzeitschrift „Etudes Rurales“ erschienen, lässt er eine Vorahnung von Bourdieus später ausgearbeiteter Theorie symbolischer Güter erahnen. Ebenso (unterschwellig) präsent ist der Habitusbegriff. Der zweite Teil „Heiratsstrategien im System der Reproduktionsstrategien“ versucht eine Abgrenzung vom Strukturalismus, indem er mit dem Juridismus bricht und strenge, gleichsam mechanische Gesetzmässigkeiten des Sozialen verwirft. Der dritte Teil „Reproduktion verboten – Zur symbolischen Dimension ökonomischer Herrschaft“ versucht eine Theorie des symbolischen Tausches zu entwickeln und resümiert den ersten Artikel aus der Gegenwart, versucht also eine Bilanz. 1) Ehelosigkeit in der bäuerlichen Gesellschaft Zunächst gilt es die ungewöhnliche Schilderung des Weihnachtsballs auf den Seiten 7 und 8 zu erwähnen. Eindrücklich schildert Bourdieu eine Tanzveranstaltung, bei der sich die symbolische Ordnung und die später angesprochenen Heiratsprobleme der Bauern beispielhaft ausdrücken. Die Junggesellen stehen am Rande des Tanzball, bleiben mehrheitlich unter sich und trauen sich nicht, mit den Frauen zu tanzen. „Dann brechen sie langsam auf und kehren in kleinen Gruppen zu ihren abgelegenen Höfen zurück.“ Das System der Heiratsbeziehungen in früherer Zeit Das erste Kapitel „Das System der Heiratsbeziehungen in früherer Zeit“ schildert die traditionellen Regeln beim Heiraten im Béarn, der Region im Südwesten Frankreichs aus der auch Bourdieu stammt. Das Jahr 1914 stellt offenbar eine wichtige zeitliche Grenze dar, nach der sich die Regeln zunehmend lockern. „Es war die Familie, die heiratete und man vermählte sich mit der Familie.“ Für die ehelichen Verbindungen waren nicht so sehr die Gefühle ausschlaggebend, sondern die Weitergabe des Erbes und damit die Erhaltung des (Familien)Namens. Es bestehen relativ genaue Vorschriften, wie die Heirat arrangiert wird und wer wen ehelichen darf. Die Mitgift wird dabei von der Familie der Gattin gestellt und je nach Art der Ehe unterschiedlich bestimmt und vertraglich festgelegt (zur genauen Bestimmung siehe S. 24 f.). Sie erfüllt verschiedene Funktionen: einerseits bietet sie Sicherheit, andererseits Mitbestimmungsrecht für die Geberfamilie, schliesslich stärkt sie die sozialen Banden zwischen den Familien. „Aus dem Vorhergehenden ergibt sich, dass der Älteste sich weder zu hoch verheiraten darf noch zu niedrig.“ Da der Familienälteste in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle als Haupterbe (d. h. als Weiterführer des Hofes) vorgesehen war, erhielt er die grösste Mitgift. Die jüngeren Brüder bekamen z. B. den Hausrat. Noch stärker benachteiligt wurden die Töchter, denn das System ist männlich ausgerichtet: „In der Realität ist der Erbe nicht der Erstgeborene, Junge oder Mädchen, sondern der erstgeborene Sohn, auch wenn er an siebter Stelle

description

this is a summary of pierre bourdieus uprecedented masterpiece "junggesellenball" (don't know how to translate)

Transcript of Zusammenfassung Junggesellenball

Page 1: Zusammenfassung Junggesellenball

Zusammenfassung Junggesellenball

Abstract

Dieses Buch besteht aus mehreren Artikeln, die Bourdieu während der Frühphase – hauptsächlich in

den 1960er Jahren – verfasst hat. Der erste Teil ist „Ehelosigkeit in der bäuerlichen Gesellschaft“

betitelt und stellt den wichtigsten Abschnitt dar. 1962 in der Fachzeitschrift „Etudes Rurales“

erschienen, lässt er eine Vorahnung von Bourdieus später ausgearbeiteter Theorie symbolischer

Güter erahnen. Ebenso (unterschwellig) präsent ist der Habitusbegriff. Der zweite Teil

„Heiratsstrategien im System der Reproduktionsstrategien“ versucht eine Abgrenzung vom

Strukturalismus, indem er mit dem Juridismus bricht und strenge, gleichsam mechanische

Gesetzmässigkeiten des Sozialen verwirft. Der dritte Teil „Reproduktion verboten – Zur symbolischen

Dimension ökonomischer Herrschaft“ versucht eine Theorie des symbolischen Tausches zu

entwickeln und resümiert den ersten Artikel aus der Gegenwart, versucht also eine Bilanz.

1) Ehelosigkeit in der bäuerlichen Gesellschaft

Zunächst gilt es die ungewöhnliche Schilderung des Weihnachtsballs auf den Seiten 7 und 8 zu

erwähnen. Eindrücklich schildert Bourdieu eine Tanzveranstaltung, bei der sich die symbolische

Ordnung und die später angesprochenen Heiratsprobleme der Bauern beispielhaft ausdrücken. Die

Junggesellen stehen am Rande des Tanzball, bleiben mehrheitlich unter sich und trauen sich nicht,

mit den Frauen zu tanzen. „Dann brechen sie langsam auf und kehren in kleinen Gruppen zu ihren

abgelegenen Höfen zurück.“

Das System der Heiratsbeziehungen in früherer Zeit

Das erste Kapitel „Das System der Heiratsbeziehungen in früherer Zeit“ schildert die traditionellen

Regeln beim Heiraten im Béarn, der Region im Südwesten Frankreichs aus der auch Bourdieu

stammt. Das Jahr 1914 stellt offenbar eine wichtige zeitliche Grenze dar, nach der sich die Regeln

zunehmend lockern. „Es war die Familie, die heiratete und man vermählte sich mit der Familie.“ Für

die ehelichen Verbindungen waren nicht so sehr die Gefühle ausschlaggebend, sondern die

Weitergabe des Erbes und damit die Erhaltung des (Familien)Namens. Es bestehen relativ genaue

Vorschriften, wie die Heirat arrangiert wird und wer wen ehelichen darf. Die Mitgift wird dabei von

der Familie der Gattin gestellt und je nach Art der Ehe unterschiedlich bestimmt und vertraglich

festgelegt (zur genauen Bestimmung siehe S. 24 f.). Sie erfüllt verschiedene Funktionen: einerseits

bietet sie Sicherheit, andererseits Mitbestimmungsrecht für die Geberfamilie, schliesslich stärkt sie

die sozialen Banden zwischen den Familien. „Aus dem Vorhergehenden ergibt sich, dass der Älteste

sich weder zu hoch verheiraten darf noch zu niedrig.“ Da der Familienälteste in der überwiegenden

Mehrzahl der Fälle als Haupterbe (d. h. als Weiterführer des Hofes) vorgesehen war, erhielt er die

grösste Mitgift. Die jüngeren Brüder bekamen z. B. den Hausrat. Noch stärker benachteiligt wurden

die Töchter, denn das System ist männlich ausgerichtet: „In der Realität ist der Erbe nicht der

Erstgeborene, Junge oder Mädchen, sondern der erstgeborene Sohn, auch wenn er an siebter Stelle

Page 2: Zusammenfassung Junggesellenball

kommt.“ Üblich sind Überkreuzheiraten: Der Älteste ehelicht eine Jüngere, die Älteste ehelicht einen

Jüngeren. Ausgesprochen selten und unter allen Umständen zu vermeiden sind Heiraten zweier

Familienältester. Dadurch geht das Erbe und der Name verloren. Während die Familienältesten

früher ohne Mühe eine Frau fanden, führten die gesellschaftlichen Veränderungen dazu, dass dies

heute (beim Datum der Verfassung des Artikels) nicht mehr der Falls ist. Die Jüngeren hatten

dagegen traditionell mehr Mühe bei der Partnersuche und –findung und wanderten deshalb häufig

(nach Amerika) aus oder verdingten sich als Hilfsarbeiter, in der Stadt oder ausserhalb der

Landwirtschaft. Das Erstgeburtsrecht wird vom Autor dagegen auch als Pflicht aufgefasst: „Das

Erstgeburtsrecht ist weniger ein Besitzrecht als vielmehr das Recht, oder besser die Pflicht, als

Eigentümer zu handeln.“ Im Zentrum steht dabei der Schutz des Erbes:

„So wird die Logik der Eheschliessungen von dem grundlegenden Zweck, dem Schutz des Erbes,

bestimmt.“ Es existieren zwei grundlegende Prinzipien, die es hervorzuheben gilt: Gegensatz

zwischen dem Ältesten und dem Jüngsten, Gegensatz zwischen dem Nach-oben-Heiraten und dem

Nach-unten-Heiraten. Dabei gilt es grosse und kleine Häuser zu unterscheiden. Sie unterscheiden sich

nach Besitz und Tradition. „Daraus ergibt sich, dass Heiraten eher zwischen vom ökonomischen

Standpunkt aus gleichwertigen Familien stattfanden. Zweifellos machte ein grosses Besitztum noch

keine grosse Familie.“ Die Wahl des Heiratspartner des Ältesten ist äusserst wichtig, denn dadurch

wird die Mitgift für die Jüngeren bestimmt. „Als Gegenleistung lastet die Zahl der jüngeren

Schwestern und vor allem jüngeren Brüdern schwer auf diese Wahl.“ Die Mutter und Herrin des

Hauses (daune) hat einen entscheinden Einfluss auf diese Wahl.

„Die ökonomischen Unterschiede verhängen faktische Unmöglichkeiten, die kulturellen Imperative

Unvereinbarkeiten des Rechts... Trotz der Rigidität und Strenge, mit denen dieses System seine

Logik besonders den jungen Männern aufzwingt, die den ökonomischen Notwendigkeiten und den

Imperativen der Ehre unterworfen waren, funktionierte es niemals mechanisch.“

Alsdann geht Bourdieu auf die Unterscheidung von grossen und kleinen Häusern ein, was sie

ausmacht etc. Im nächsten Abschnitt wird die Frage „Wer waren innerhalb einer solchen Logik1 die

Junggesellen?“ Antwort: Vor allem die jüngeren Geschwister, hauptsächlich in kinderreichen und

armen Familien. Ebenfalls – wie wir später sehen – eher Männer als Frauen. Mit der zeitlichen

Veränderung und seit einigen Jahrzehnten kommen aber auch die Ältesten bisweilen hinzu. Was sind

Gründe dafür, dass die Ältesten keine Frau abkriegen (eigentlich diejenigen, die es auf jeden Fall

schaffen sollten). Hier stösst das Buch in den Kern vor, indem es verschiedene gesellschaftlich

plausible Erklärungen bringt. Gründe:

- Übertriebene Autorität der Eltern

- Aber die Ehelosigkeit von einigen ist tief in die Kohärenz des gesellschaftlichen Systems

integriert und hat deshalb eine herausragende gesellschaftliche Funktion

- Scharfe Trennung zwischen den Geschlechtern (Wertesystem, Trennung, Distanz von

Männern und Frauen)

- Geographische Aufteilung und Besitz

- Mitgift ist ins Wanken geraten (z. B. aufgrund Inflation nach dem 1. Weltkrieg) -> „Aus

diesem Grund wurde die Abhängigkeit der ehelichen Tauschbeziehungen im Hinblick auf die

Ökonomie schwächer, oder genauer gesagt, sie änderte ihre Form: Anstelle der Position in

der gesellschaftlichen Hierarchie, die durch das Erbe an Grund und Boden festgelegt wurde,

1 Die Logik ist das, was zuvor ausgeführt wurde (d. h. bis Seite 41)

Page 3: Zusammenfassung Junggesellenball

ist es viel mehr der gesellschaftliche Status – und genauer: der Lebensstil – mit dem die

Heirat verbunden zu sein scheint.“

- Wertewandel aufgrund ökonomischer Grunde und Erziehung (mehr Frauenrechte etc.)

- Lockerung der sozialen Bindungen, Mobilität. „Weil sie zugleich selten sind und weil alles

Lernen darauf gerichtet ist, die männliche und weibliche Gesellschaft zu trennen..., mangelt

es den Geschlechterbeziehungen an Ungezwungenheit und Freiheit.“ Gilt für Frauen stärker

als für Männer

Innere Widersprüche und Anomie

„Heute wird die Ehelosigkeit als absurdes und sinnloses Schicksal erfahren.“ Der Prozentsatz der

Junggesellen ist stark vom sozialen Status abhängig: Bei den Pächtern und Teilpächtern liegt er bei

knapp einem Drittel, bei den Landarbeitern bei 82% und bei den Bediensteten bei 100%. Bei den

Frauen stellt der Gegensatz von Dorf und Weiler kein Differenzierungskriterium dar. Hier wie da

beträgt der Anteil der Unverheirateten über 21 13%.

Im Gegensatz zu früher ist die Partnersuche mehr und mehr dem einzelnen überlassen. „Mehr denn

je werden „Vermittler“ unentbehrlich.

„Aber der wesentliche Punkt ist zweifellos der, dass diese Gesellschaft, die früher relativ

geschlossen war, sich entschieden nach aussen geöffnet hat.“ Frauen wandern dabei häufiger aus

den Dörfern aus als Männer, oft in die Städte. Trotz alldem bleibt das wesentliche Merkmal der

Heiratsbeziehungen erhalten: das Nach-oben- und Nach-unten-Heiraten. „Und das deshalb, weil

dieses Prinzip sehr eng mit den fundamentalen Werten der gesamten Kultur zusammenhängt.“

Ebenfalls verändert hat sich das Verhältnis im Bezug auf Erst- und Nachgeborene: Viel öfter als früher

heiraten Nachgeborene untereinander. Diese Ehen sind fast immer mit einer Beschäftigung

ausserhalb der Landwirtschaft verbunden.

Zudem hat sich das Gebiet der Heiratsbeziehungen erweitert. Früher fanden neun von zehn Heiraten

innerhalb von 15km statt, heute nur noch acht von zehn. Der Prozentsatz der Heiraten im Umkreis

von mehr als 30km hat dagegen deutlich zugenommen. Gleichzeitig findet eine Segregation statt,

denn Heiraten zwischen Dorf und Weiler sind sehr selten geworden. Frauen aus den Weilern

verheiraten sich öfter mit Männern aus dem Dorf als Männer aus den Weilern mit Frauen aus dem

Dorf. „Folglich hat ein junger Mann aus dem Weiler so gut wie keine Chance, eine Dorfbewohnerin zu

heiraten, weil diese eine solche Heirat für unvorstellbar hält, sollte sie auch eine alter Jungfer

bleiben.“ Innerhalb des Dorfes und der Weiler steigt die Heiratszahl, genauso wie gegen aussen

(Anwachsen des Anteils der auswärtigen Heiratsbeziehungen).

„Die geographischen Gebiete fallen nicht mit den sozialen Gebieten zusammen.“

„Daraus ergibt sich, dasss, während der Städter theoretisch eine Frau aus der Stadt, aus den Dörfern

oder den Weilern heiraten kann, der Bauer aus den Weilern sich auf seinen Bereich muss.“

Page 4: Zusammenfassung Junggesellenball

Der Gegensatz zwischen dem Dorf und den Weilern

Dieses Kapitel geht auf die Differenz zwischen den Dörfern und Weilern ein. Zunächst beschreibt

Bourdieu die Gegend, in der die empirische Untersuchung stattfindet. Das Dorf Lesquire befindet sich

in einer Talsenke, die Weiler verteilen sich auf die Hügel rund um das Dorf. Sie liegen oft an steilen

Abhängen und recht abgelegen. Es besteht eine Vielfalt von Anbaukulturen, aber ein grosser Teil des

früher kultivierten Landes liegt heute brach. „Und so hat, auch wenn das Dorf allein auf Grund seiner

Lage immer die Rolle eines Verwaltungs-, Handwerks- und Handelszentrums spielte, der Gegensatz,

der heute das gesamte dörfliche Leben beherrscht, seine gegenwärtige Form nur allmählich und

insbesondere seit 1918 angenommen.“ Im Dorf üben nur rund 10% landwirtschaftliche Tätigkeiten

aus (trotz traditionell bäuerlicher Prägung der Gemeinschaft). In den Weilern dagegen beträgt dieser

Anteil fast 90%. Eingegangen sind auch die Gasthöfe mit Kegelbahnen und entsprechenden

Tanzveranstaltungen. „In der damaligen Gesellschaft wurde die räumliche Vereinzelung der Höfe

aufgrund der starken sozialen Dichte, der Intensität des kollektiven gemeinsamen Lebens, nicht als

solche empfunden. Heute spüren die bäuerlichen Familien konkret ihre Isolation, die gemeinsamen

Arbeiten und Feste des Viertels sind verschwunden.“ Im Weiler sind die Familien grösser als im Dorf:

Mehr Leute leben unter einem Dach. „Diese Auseinanderentwicklung zwischen Dorf und Weiler

geschah in den letzten fünfzig Jahren.“ Das Dorf hat mehr und mehr die Demogaphie der Stadt

angenommen (Anstieg der Alleinlebenden, v. a. bei Rentnern und Nicht-Erwerbstätigen). Die

Grossfamilien in den Weilern sind v. a. für die Jungen eine Belastung.

„So findet man im Dorf eine viel stärker durchmischte Bevölkerung, das auch aus diesem Grund

eher zum Einfallstor für die Aussenwelt wird.“

$prache: Vor 1914 wurde das Béarnais im Dorf (ausser in der Schule) fast ausschliesslich verwendet.

Nach dem ersten Weltkrieg breitet sich das Französisch mehr und mehr aus und 1939 ist es fast

üblich, dass die Eltern mit den Kindern so sprechen – und manchmal auch untereinander. „Dagegen

bleibt für den Bauern das Béarnais die Ausdrucksweise, die eng mit den Sorgen des täglichen Lebens

verbunden ist.“

Der Bauer und sein Körper

Hier wählt Bourdieu einen etnhographischen Zugang, indem er Tanzveranstaltungen beobachtet und

untersucht, wie die Bauern dabei den Körper einsetzen. Am Anfang dieses Kapitels findet sich auch

die Schilderung des Weihnachtsballs von ganz zu Beginn des Buchs. „Nun sollte man sich

vergegenwärtigen, dass Körpertechniken regelrechte Systeme bilden, dass sie als Ganzes mit einem

kulturellen Kontext verbunden sind [...] 66% der Junggesellen können nicht tanzen (gegenüber 20%

der verheirateten Männer). Ein Drittel von ihnen geht dennoch zu Tanzveranstaltungen.“

Der Dialog bzw. das Kennenlernen von Männern und Frauen gestaltet sich schwierig, was wesentlich

mit den kulturellen Normen zu tun hat, die den Ausdruck von Gefühlen bestimmen. „Selbst wenn er

Vergnügen daran findet, die freizügigsten Gespräche zu führen oder ihnen zuzuhören, ist der Bauer

von äusserster Verschwiegenheit, wenn es sich um sein eigenes Geschlechtsleben, vor allem aber

sein eigenes Gefühlsleben handelt.“ Früher galt der Junggeselle in den Augen der Gesellschaft noch

nicht als Erwachsener, weil diese deutlich zwischen Verantwortlichkeiten unterschieden, die den

jungen Leuten überlassen wurden und den Verantwortlichkeiten der Erwachsenen.

Page 5: Zusammenfassung Junggesellenball

Es besteht ein Zusammenhang zwischen dem Status eines Bauernhofs (in seiner zeitlichen

Verlaufskurve) und dem Junggesellendasein seines Besitzers: Höfe im Besitz von Junggesellen sind

deutlich häufiger im Niedergang begriffen als ihre Gegenüber mit verheiratetem Besitzer.

Schluss

Im Schlussteil reflektiert Bourdieu die Stellung des Soziologen. Einerseits muss er die objektiven

Gegebenheiten und Strukturen erfassen und verstehen, andererseits darf er aber auch die subjektive

Sicht und die Gewissheiten, mit denen sie gelebt werden, nicht aussen vor lassen: „Deshalb muss er

die Wahrheit der objektiven Gegebenheiten, die ihm seine Analyse offenbart, mit der subjektiven

Gewissheit derer, die sie tatsächlich leben, in Einklang bringen.“ Hier sehen wir den frühen Versuch

prägende Gegensätze der Soziologie – quantitativ vs. qualitativ, Mikro vs. Makro, verstehen vs.

Erklären – zu überbrücken, der in den folgenden Jahrzehnten seiner akedemischen Tätigkeit so

hearusragend und bestimmend sein wird.

2) Heiratsstrategien im System der Reproduktionsstrategien

Dieser Teil versucht mit dem Strukturalismus und dem juridischen Paradigma zu brechen, bleibt

dabei aber auf theoretisch-reflexiver Ebene, bringt also keine empirischen Ergebnisse vor.

Entscheidend ist der Übergang von der „Regel“, wie sie in der ethnologischen Tradition (Radcliffe-

Brown, Lévi-Strauss) dominant war/ist, zur „Strategie“. Der Schluss von Regelmässigkeiten auf Regeln

ist nicht direkt möglich. „In Wirklichkeit ist das durch die materiellen Existenzbedingungen und die

familiäre Erziehung (d. h. den Habitus) vermittelte System von Dispositionen, welches das generative

und vereinhetilichende Prinzip der Praktiken bildet, Produkt der Strukturen, die diese Praktiken zu

reproduzieren bestrebt sind, in der Weise, dass die Ausführenden sie nur reproduzieren können, sie

unbewusst neu erfinden oder bewusst nachahmen, weil es schlicht selbstverständlich ist,

angemessener oder einfach bequemer, bewährte Strategien, die, weil sie Praktiken aller Zeiten

(oder, wie die Alten sagten, des ‚verlorenen Gedächtnisses‘) bestimmt haben, in der Natur der Dinge

eingeschrieben scheinen.“

Die Strategien oder einzelnen Elemente der Strategien sind nicht unbedingt miteinander vereinbar.

Der Habitus tritt als Erklärungsfaktor hinzu, der diese Widersprüchlichkeiten koordiniert, bzw.

unsichtbar macht. Ethnologen, die z. B. die uneingeschränkte Gültigkeit des Erstgeburtsrechts im

Béarn propagieren, übersehen dabei die Rolle der Maskulinität, d. h. dass der erste Sohn das Erbe

bekommt – auch wenn er 3 ältere Schwestern hat. „Wenn man zugesteht, dass die Heirat eines jeden

Kindes für eine Familie das Äquivalent zum Ausspielen einer Karte bei einem Kartenspiel darstellt,

sieht man, dass der Wert dieser Karte von der Qualität des Spiels in einem doppelten Sinn abhängt,

das heisst vom Geben aus der Gesamtheit der erhaltenen Karten, deren Wert durch die Spielregeln

bestimmt wird, und die mehr oder weniger geschickte Art und Weise, diese Karten zu handhaben.“

Page 6: Zusammenfassung Junggesellenball

Das System der Heiratsregelungen führt zu relativ strikter Homogamie: Man kann sich weder allzu

hoch noch allzu tief verheiraten. Ersteres führt zur Möglichkeit, die Mitgift nicht zurückzahlen zu

können und zu Abhängigkeit von den Schwiegereltern, letzteres zum Verlust von Ehre und Ansehen.

Wie Bourdieu schreibt, sollte dieses Kapitel den ersten Teil des ersten Kapitels („Das System der

Heiratsbeziehungen in früherer Zeit“) ersetzen, da hier die Theorie besser ausgearbeitet ist,

insbesondere mit dem Begriff der Strategie.

3) Reproduktion verboten – Zur symbolischen Dimension ökonomischer

Herschaft

Dieser Artikel betrachtet den ersten Artikel aus der Post-hoc Perspektive. Mit 30 Jahren Abstand geht

Bourdieu auf den ersten Artikel des Bandes über die „Ehelosigkeit in der bäuerlichen Gesellschaft“

von 1962 ein. Zunächst bringt er „Addenda und Corrigenda“ an, erläutert also, was er im Nachhinein

anders gemacht hätte.

Addenda und corrigenda

Statt des ersten Kapitels, des damaligen Artikels, der die Heiratsbeziehungen beschreibt und die

Methoden und Strategien, die dabei zur Anwendung kommen, sollte der zweite Artikel

(„Heiratsstrategien im System der Reproduktionsstrategien“) an dessen Stelle treten. Darin ist der

Begriff der Strategie ausgearbeitet, der dem ursprünglichen Beitrag fehlte. Anhand der Entwicklung

dieses Begriffs lässt sich der Bruch mit dem strukturalistischen Paradigma gut nachvollziehen. Die

bäuerlichen Gemeinschaften in den ländlichen Regionen Europas bieten eine hervorragende

Gelegenheit für diese Aufgabe: „Die lange von der grossen ethnologischen Tradition übergangenen

bäuerlichen Gemeinschaften im europäischen Raum waren nahe genug, um nach Überwindun

anfänglicher sozialer Distanz ein Verhältnis theoretischer Nähe zur Praxis zu ermöglichen, das sich

sowohl der populistischen Mystik einer blinden Teilhabe an der gelebten Erfahrung der Akteure

widersetzt, wie auch der distanzierten Objektivierung, die eine ganze anthropologische Tradition aus

der Not als methodologische Tugend ausgibt.“

Von der geschlossenen Welt zum unendlichen Universum

Der Titel bezieht sich auf einen Buchtitel von Alexandre Koyré. Damit sollen die Prozesse angedeutet

werden, die die ökonomische und v. a. symbolische Öffnung der bäuerlichen Welt erlaubten und die

alte Autonomie „zerstörten“ – diese Autonomie bezeichnet Bourdieu als geschlossene Welt. Sie ist

durch Widerstand, kulturellen Partikularismus, eine lokale Basis und damit einhergehend durch

Lokalpatriotismus geprägt. Es ist auch von einer „Privilegierung genügsamer Selbstversorgung“ die

Rede. „Diese Vereinheitlichung des Marktes ökonomischer und symbolischer Güter hat als erst(es?)

Page 7: Zusammenfassung Junggesellenball

zur Folge, dass die Voraussetzungen für die Existenz bäuerlicher Werte verschwinden, die sich

gegenüber den herrschenden Werten, zumindest subjektiv, als antagonistisch verstehen und nicht

nur als anders.“ Die landwirtschaftliche Produktion ist immer stärker von einem Markt industrieller

Güter abhängig, funktioniert also nach den Prinzipien der freien Marktwirtschaft (Stichwort

Nahrungsmittelindustrie). Die Zufälligkeiten der Preisentwicklung nehmen damit mehr und mehr den

früheren Stellenwert des Wetters ein. Die Bauern sind zu „Quasi-Angestellten“ geworden. Ihre

konservativen, manchmal auch rebellischen Ansichten sind auf diese Ambiguität der Lage

zurückzuführen. Komplett verstehen kann man diese Transformationen aber nur, wenn man auch

den Markt der symbolischen Güter berücksichtigt. Hier spricht Bourdieu den „Niedergang der

ethischen Autonomie der Bauern“ an. Erst wenn sich die Bauern zu vergleichen beginnen (in Bezug

auf den bäurischen Lebensentwurf), sowohl untereinander als auch gegen aussen, kommt die

Entscheidung für die Alternative und die Ablehnung des Lebensentwurfes zum Tragen. „Wir haben es

hier mit der kollektiven Konversion einer Weltsicht zu tun, die dem objektiv sich immer mehr

vereinheitlichenden sozialen Feld eine symbolische Macht zuführt, welche auf der einmütig geteilten

Anerkennung der herrschenden Werte beruht.“ Nach wie vor ist es die alte Ordnung, die bestimmt in

welcher Reihenfolge sich die Leute von der alten Welt abwenden (zuerst Frauen, Jüngste, Ärmere...).

Bourdieu spricht im Zusammenhang mit der symbolischen Dimension von einer „kollektiven

Konversion“.

Die Vereinheitlichung des Heiratsmarkts

Aufgrund der Relevanz und besonderen Stellung des Heiratsmarkts im Leben der Bauern erleben

diese die Transformationen besonders eindringlich. „Sie müssen feststellen, dass der soziale Preis,

mit dem sie ausgezeichnet werden, ins Bodenlose fällt.“ Dann kommt Bourdieu auf den eingangs

beschriebenen Ball zu sprechen. „Tatsächlich ist der damals beschriebene Ball die sichtbare Form

einer neuen Logik des Heiratsmarktes.“ Anstelle der lokalen Tauschbeziehungen treten

eigengesetzliche Mechanismen des unendlichen Universums (der Welt ausserhalb der Region). Hier

wird diese Transformation von einem lokalen Markt zur Marktwirtschaft sichtbar. „Die Herrschaft der

Gruppe über die Tauschbeziehungen zeigte sich sehr deutlich an der Begrenzung der Grösse des

Heiratsmarktes, gemessen in geographischen, besonders aber in sozialen Distanzen... Die

Homogenität der materiellen Existenzbedingungen und folglich der Habitus ist in der Tat der beste

Garant für den Fortbestand der Grundwerte der Gruppe.“ Allerdings öffnete sich diese geschlossene

Welt zusehends. Wenn Städter auf den Heiratsbällen auftauchen, sind die Bauern einer ungleichen

Konkurrenz ausgesetzt, denn sie sind – im Gegensatz zu den Städtern - auf ihr Gebiet beschränkt.

Bourdieu spricht anschliessend über Hystereseeffekte (229). Auf einmal ist der Habitus nicht mehr

perfekt angepasst und es kommt zu „Fehlverhalten“. Die Bauernfamilien sind innerlich zerrissen,

denn sie wollen für ihre Töchter andere Partien (eher Städter) als für ihre Söhne (eher

Bauerntöchter). „Es ist, als würde sich die symbolisch beherrschte Gruppe gegen sich selbst

verschwören.“ Auch die Einstellung der Bauern gegenüber dem Bildungssystem hat sich gewandelt.

Der alte Widerstand verflüchtigt sich mehr und mehr. „Auf diese Weise erfüllt die Schule ihre

Funktion als Instrument symbolischer Herrschaft und trägt zur Eroberung eines neuen Marktes für

die symbolischen Produkte der Stadt bei.“ Vergleichsbasis für die Bauren sind die niedrigen Beamten

und Arbeiter. „Der Vergleich ist nun nicht mehr abstrakt und imaginär, wie das früher der Fall war.“

Schliesslich tragen auch die Massenmedien zu den benannten Transformationen bei.

Page 8: Zusammenfassung Junggesellenball

Der gesunde Menschenverstand

Zuletzt sagt Bourdieu, „dass die Verzweiflung und Empörung der unmittelbar Betroffenen oft auf

Probleme hinweist, die von der Forschung gerne übersehen oder gemieden werden.“ Genau das gilt

für die Ehelosigkeit der Erben. Der Autor betont die Rolle der symbolischen Dimension, deren

Berücksichtigung für ein Verständnis von Herrschaftsphänomenen unabdingbar ist.