Zur “Wortbildung im Sumerischen”

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Zur "Wortbildung im Sumerischen" Von D. O. Edzard München B. Kienast hat oben (S. iff.) einen sehr anregenden Aufsatz „Zur Wortbildung im Sumerischen" veröffentlicht. Im folgenden kurzen Beitrag möge er die Bestätigung dafür sehen, wie sehr das Thema der Diskussion wert ist. Während allerdings Kienast als Zweck seiner Untersuchung ,,nicht die Detailforschung, sondern die Heraus- arbeitung der geltenden sprachlichen Prinzipien" angibt (S. i), gehe ich von einer niedrigeren Warte aus, da ich glaube, daß man nur von der Analyse im Einzelnen zur Erkenntnis höherwaltender Regeln vordringen kann. Kienast zufolge kannte das Sumerische nur ein einziges Verbal- nomen, und dieses wurde mit dem Morphem [a] gebildet. Er stellt die Realisierung der Verbalbasis ohne Bildungszusatz in Frage, und in dennoch bezeugten Fällen nimmt er sekundären Abfall eines ursprüng- lich vorhandenen -a an (S. 15, 19, 23, 27). An drei Beispielen (S. 10) sucht er nachzuweisen, daß eine Zusammensetzung Basis-f [a] durch- aus auch als „aktives Partizip" fungieren könne. Meine eigene These ist, daß [a] nur mit der hamtu-Basis des Verbums zu vereinbaren sei 1 , nicht aber mit maru, und daß Aaw/w-Formen von Hause aus etwa den vollendeten Verbalaspekt wiedergeben. Dabei wären die Formen hin- sichtlich des genus verbi zunächst neutral gewesen, und erst als das Ergebnis einer historischen Entwicklung hätte die Aaw/w-Basis mit [a] überwiegend die Bedeutung eines Passivpartizips (so aus unserer Sicht) angenommen 2 . Kienasts drei Beispiele für X-a im Sinne eines aktiven Präsens- partizips haben m. E. nicht die Beweiskraft, die er aus ihnen für den ganzen Aufsatz ableiten möchte. Ich stelle sie hier erneut zur Dis- kussion : i. en a-hu§ gi 4 -a (mit A. Falkenstein, AnOr. 30,92 Anm. 9) „Herr, der die wilden Wasser zurückhält" (Gudea Zyl. A VIII 15; Epithet Ningirsus) ist nicht eindeutig. Ohne weiteres läßt sich auch eine 1 ZA 62 (1972) ioff.; s.a. dort Anm. in; S. 29ff. 2 Ebd. S. io Anm. 112 (Bezugnahme auf I. Kaneva); S. 12, 13!, 17. Brought to you by | Columbia University Library The Burke Library New Y Authenticated | 128.59.62.83 Download Date | 8/19/12 4:48 PM

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Zur "Wortbildung im Sumerischen"

Von D. O. Edzard — München

B. Kienast hat oben (S. iff.) einen sehr anregenden Aufsatz „ZurWortbildung im Sumerischen" veröffentlicht. Im folgenden kurzenBeitrag möge er die Bestätigung dafür sehen, wie sehr das Themader Diskussion wert ist. Während allerdings Kienast als Zweckseiner Untersuchung ,,nicht die Detailforschung, sondern die Heraus-arbeitung der geltenden sprachlichen Prinzipien" angibt (S. i), geheich von einer niedrigeren Warte aus, da ich glaube, daß man nur vonder Analyse im Einzelnen zur Erkenntnis höherwaltender Regelnvordringen kann.

Kienast zufolge kannte das Sumerische nur ein einziges Verbal-nomen, und dieses wurde mit dem Morphem [a] gebildet. Er stellt dieRealisierung der Verbalbasis ohne Bildungszusatz in Frage, und indennoch bezeugten Fällen nimmt er sekundären Abfall eines ursprüng-lich vorhandenen -a an (S. 15, 19, 23, 27). An drei Beispielen (S. 10)sucht er nachzuweisen, daß eine Zusammensetzung Basis-f [a] durch-aus auch als „aktives Partizip" fungieren könne. Meine eigene Theseist, daß [a] nur mit der hamtu-Basis des Verbums zu vereinbaren sei1,nicht aber mit maru, und daß Aaw/w-Formen von Hause aus etwa denvollendeten Verbalaspekt wiedergeben. Dabei wären die Formen hin-sichtlich des genus verbi zunächst neutral gewesen, und erst als dasErgebnis einer historischen Entwicklung hätte die Aaw/w-Basis mit[a] überwiegend die Bedeutung eines Passivpartizips (so aus unsererSicht) angenommen2.

Kienasts drei Beispiele für X-a im Sinne eines aktiven Präsens-partizips haben m. E. nicht die Beweiskraft, die er aus ihnen für denganzen Aufsatz ableiten möchte. Ich stelle sie hier erneut zur Dis-kussion :

i. en a-hu§ gi4-a (mit A. Falkenstein, AnOr. 30,92 Anm. 9) „Herr,der die wilden Wasser zurückhält" (Gudea Zyl. A VIII 15; EpithetNingirsus) ist nicht eindeutig. Ohne weiteres läßt sich auch eine

1 ZA 62 (1972) ioff.; s.a. dort Anm. in; S. 29ff.2 Ebd. S. io Anm. 112 (Bezugnahme auf I. Kaneva); S. 12, 13!, 17.

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Genitivverbindung ,/Herr' vom zurückkehrenden wild (schäumenden)Wasser" annehmen. In dem Falle wäre a ,,Wasser" nicht das Objektvon gi4 und letzteres seiner Bedeutung nach intransitiv-passiv3.

2. ,,eme nl-hul da-ga14" (mit A. Falkenstein) ,,Zunge, die Bösesspricht" (Gudea Zyl. B XVIII 2) erweckt schon durch die Annahmeeines ganz ungewöhnlichen Lautwertes KA = gau Verdacht. Über-blickt man Z. 2—3 als Ganzes, so ergibt sich ein anderer, m. E. völligannehmbarer Sinn: eme-nig-hul-da KA ba-da-kur, nig-erim-e

-ba im -m a -an -g [ij ,,(an =) von der Zunge, der bösen, entfernteer die Worte, er wendete Widriges von diesem Hause ab". Alsonicht ,,da-ga14", sondern -da KA. Es herrscht Kongruenz zwischender Postposition -da und dem Verbalinfix -da-4.

3. mu§ guru5-a-gim ,,wie eine gif t (zahn) wetzende Schlange"(Gudea Zyl. A X 23)? Was bedeutet URU GU = gur(u)5, das mitakk. kasämu ,,zerschneiden" und k/gasäsu ,,abschleifen" (AHw.)geglichen ist, im Zusammenhang mit = martu ,,(Gift und) Galle"?Ein älterer Beleg für gur(u)5 dürfte die Richtung weisen, Lugalza-gesi, BE I 87 II 44—45 (SAK 154): u8 sila4 guru5-a-gim sig4mu-da-gi4-gi4 ,,Zabalam) blökt (mit ihm =) unter seiner (Regierung)wie ein Mutterschaf, das vom Lamm / von dem das Lamm getrenntworden ist"6. Hiernach ist mu§ guru5-a wohl zu übersetzen,, Schlange, die vom Gif t (zahn) / von der der Gif t (zahn) getrenntworden ist". Das bezieht sich zweifellos auf den weltweit verbreitetenBrauch, einer abzurichtenden Giftschlange den Zahn herauszureißen,durch den sie das in der Giftdrüse befindliche Gift in den Körper desOpfers befördert. guru5-a ,,abgeschnitten, weggerissen" wäre alsoein normales hamtu-Partizip auf -a, das wir, wie in so vielen Fällen,durch ein deutsches Passivpartizip wiedergeben6.

Ich kann hiernach also nicht B. Kienasts Schlußfolgerung, die denAufsatz als roter Faden durchzieht, beipflichten, ,,daß auch das

3 en ist aber nicht „Herr" im Sinne von „Herr über, Eigentümer, Besitzer";denn das wäre lugal = belu. Eine genaue Übersetzung des Epithets ist erstdann möglich, wenn man die zugrunde liegende mythologische Anspielungversteht. [Möglich auch "..., der ... hat zurückkehren lassen".]

4 Für die Bildung A-nig-B (A = Substantiv, B = Adjektiv), die sich stilistischvon A-B unterscheidet, vgl. G. Farber, StPohl 10 (1973) 89f.

5 Möglicherweise steht sila4 im Lokativ-Terminativ, so daß wörtlich „Schaf,das beim Lamm getrennt worden ist" zu übersetzen wäre.

6 Der auch sonst schwierige Passus bei Gudea bedarf ebenso wie die vonW. Heimpel, StPohl 2 (1968) 504: 9.2, angeführten Belege weiterer Diskus-sion. [J. Klein wies mir weitere Stellen nach; obige Deutung wohl falsch.]

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'aktive Partizip transitiver Verba' in weitem Umfang mit dem Mor-phem /a/ von der unerweiterten Verbalwurzel abgeleitet wurde"(S. 10).

Im Folgenden noch einige Einzelbemerkungen.§ 10 (S. 6) mit Anm. 13: K. nimmt an, daß die sumerische verbale Basis

nicht isolierbar war, und er läßt Beispiele aus lexikalischen Listen nur gelten,wenn sie ,,aus sumerischer Zeit" nachgewiesen werden, wobei das Postulateines frühen Aussterbens der gesprochenen sumerischen Sprache eine großeRolle spielt (s. S. 2 Anm. 3). Viele Beispiele, m.E. ,,aus sumerischer Zeit"stammend, enthält die einspaltig-sumerische, vielfach akkadisch glossierteListe Proto-Izi; vgl. MSL XIII 34 Z. 526! si-sä; 51 Z. 394 e7.

§ 19 (S. n): Daß ein Partizip in einer gegebenen Sprache sowohl frei alsauch lexikalisiert verwendet werden kann, zeigt jede beliebige Sprache Euro-pas: „Das singende Kind" (ad hoc), „der entzückende Anblick" (lexikalisiert).Ich kann der These nicht folgen, daß man unterschieden hätte zwischen sarin dub-sar „Tafelschreiber" (lexikalisiert, nach K. mit abgefallenem -a)und *sar-a „schreibend" (ad hoc).

§ 20b (S. 12): B. Kienast stellt anheim, daß die reduplizierte verbale Basis(maru oder 'freie Reduplikation') das Morphem [a] enthalten kann und daßeine Schreibung wie gar-gar, nach ihm besser GAR. G AR, dieses [a] vielleichtnur orthographisch verberge. Aber meine dort, Anm. 22, zitierte Zurückhaltunghinsichtlich der Voraussagbarkeit der Reduplikationsform sollte nicht in dieserRichtung interpretiert werden. Die in ZA 61,227 zitierten Beispiele in unortho-graphischer Schreibung (ba-ad-ba-ad, gu-ul-gu-ul, gd-ar-ga-ar, ur-ru-ur usw.) bieten keinerlei Handhabe, ein nachgesetztes -a hineinzudeuten.

§ 2oc (S. 12): In pa-e-a-äm ist -a berechtigt, da Aaw/w-Basis; in nig-ad-gi4-gi4-ni endet gigi (freie Reduplikation) vokalisch, und das Possessivsuffixerscheint in der Variante -ni wie bei uru-ni „seine Stadt".

§ 2od (S. 13): Es stehen m.E. nicht ndg(a) und na8 als Wurzelformennebeneinander, sondern es handelt sich um eine Verteilung nag (hamfu),na8-na8 (maru, Reduplikationsklasse)8.

§ 26a (S. i) mit Anm. 30: Es bedarf keines hypothetischen „mu-sarax(SAR)", um der akk. Lehnwortform musaru „Inschrift" gerecht zu werden.Tatsächlich ist als sum. Kontextform mu-sar-ra sehr gut bezeugt; vgl. nurAfO 19, 8f. IV i, 17, 30, 36 u.ö. (Sü-Su'en von Ur III). mu-SAR in einerlexikalischen Liste wäre demgegenüber sekundär.

7 Ich habe mit Bedacht Belege ohne akkadische Glosse ausgewählt. — DerVorstellung eines nicht isolierbaren Stammes liegen offenbar Vorbilder ausden indogermanischen Sprachen zugrunde: im Griechischen z.B. kommt derStamm anthropo- in der Tat nicht allein, sondern nur in Komposita wieanthropo-phagos „Menschenfresser" vor.

8 Vgl. M. Yoshikawa, Or. 43 (1974) 25:8, der allerdings nag/nag-nag ansetzt.Für die verkürzte mariJ-Form sprechen Stellen wie kü-ü-de ... na8-na8-d(Fluch über Akkade 14—15) oder ka§ l-na8-na8-ne (Eridu-Hymne no).

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§ 29 (S. 20) mit Anm. 37: ki-di-ku5 wohl nicht ,,ki + di-kud-a" =,,Ort -f- Rechtentscheiden" mit sekundärem Verlust des -a, sondern in genauersyntaktischer Analyse der „Ort, der das Recht entscheidet".

B. Kienast ist völlig im Recht, wenn er betont, daß die ausschließ-lich syntaktische Analyse sumerischer Nominalkomposita bisweilenzu keiner befriedigenden Lösung führt (s. besonders S. 21 f.); dochscheinen mir der Verzicht auf eine solche Analyse und das Argu-mentieren mit einem in bestimmten Komposita geschwundenen -anicht überzeugender. Das Thema verdient unbedingt, weiter verfolgtzu werden, und für seinen wichtigen Diskussionsbeitrag ist B. Kienastsehr zu danken.

ZA 65/2 17

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