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Prof. Dr.-Ing. Rolf Katzenbach Direktor des Institutes und der Versuchsanstalt für Geotechnik der TU Darmstadt Studienunterlagen Geotechnik Seite X-1 X Stützbauwerke 06.10.2011 X Stützbauwerke 1 Einführung Stützbauwerke übernehmen die vorübergehende oder ständige Sicherung von Gelände- sprüngen, die aus technischen bzw. wirtschaftlichen Gründen nicht abgeböscht werden können. Sie haben die Funktion, Einwirkungen aus Bodeneigengwicht und Auflasten am Geländesprung aufzunehmen und sicher abzutragen. Konventionelle Konstruktionen von Stützbauwerken lassen sich hinsichtlich ihres Tragverhaltens einteilen in: flachgegründete Stützwände, die die auftretenden Einwirkungen im We- sentlichen durch Sohlreibung und durch Sohlnormalspannungen in den Bau- grund einleiten und wandartige Tragwerke, bei denen die Einwirkungen über Anker- bzw. Steifenkräfte, den mobilisierten Erdwiderstand im Einbindebereich der Wand und den Spitzenwiderstand des Wandfußes in den Baugrund abgetragen wer- den (siehe Kapitel „Verbauwände“). G A E (C) B R b a E a R Abb. X-1 Konventionelle Stützbauwerke

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X Stützbauwerke 06.10.2011

X Stützbauwerke

1 Einführung

Stützbauwerke übernehmen die vorübergehende oder ständige Sicherung von Gelände-

sprüngen, die aus technischen bzw. wirtschaftlichen Gründen nicht abgeböscht werden

können. Sie haben die Funktion, Einwirkungen aus Bodeneigengwicht und Auflasten am

Geländesprung aufzunehmen und sicher abzutragen. Konventionelle Konstruktionen von

Stützbauwerken lassen sich hinsichtlich ihres Tragverhaltens einteilen in:

flachgegründete Stützwände, die die auftretenden Einwirkungen im We-

sentlichen durch Sohlreibung und durch Sohlnormalspannungen in den Bau-

grund einleiten und

wandartige Tragwerke, bei denen die Einwirkungen über Anker- bzw.

Steifenkräfte, den mobilisierten Erdwiderstand im Einbindebereich der Wand

und den Spitzenwiderstand des Wandfußes in den Baugrund abgetragen wer-

den (siehe Kapitel „Verbauwände“).

G

A

E

(C)B

Rb

a

Ea

R

Abb. X-1 Konventionelle Stützbauwerke

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Nach den aktuellen, europaweit harmonisierten, nationalen technischen Regelwerken (vgl.

DIN 4085:2011 „Berechnung des Erddrucks“) ist der Ansatz des Erddrucks auf dauerhafte

Stützbauwerke in Abhängigkeit von der Nachgiebigkeit der Stützkonstruktion festzulegen.

Tab. X-1 Erddruckansatz in Abhängigkeit von der Nachgiebigkeit der Stützkonstrukti-

on bei Dauerbauwerken nach DIN 4085:2011

Zeile

Nach-

giebigkeit der Stütz-

konstruktion

Konstruktion (Beispiele) Erddruckansatz

1 nachgiebig

Stützwände, die während ihrer gesamten Nut-zungszeit geringe Verformungen in Richtung der Erddruckbelastung ausführen können und dürfen, z.B.: Uferwände, auf Lockergestein gegründete Stütz-wände

aktiver Erddruck

2 wenig nachgiebig

Stützwände nach Zeile 1, bei denen während ihrer Nutzungszeit Verformungen in Richtung der Erddruckbelastung unerwünscht sind, und die gegen den ungestörten Boden hergestellt worden sind.

erhöhter aktiver Erddruck ah ah 0hE 0,75 E 0, 25 E

3 annährend unnachgiebig

Stützwände, die auf Grund ihrer Konstruktion unter der Erddruckbelastung anfänglich geringfügig nachgeben, sich dann aber nicht verformen können oder dürfen, z.B.: Kellerwände und Stützwände, die in Bauwerke einbezogen sind und von diesen zusätzlich gestützt werden, Bemessung der stehenden Schenkel von Winkelstützwänden

erhöhter aktiver Erddruck im Normalfall:

ah ah 0hE 0,5 E 0,5 E in Ausnahmefällen:

ah ah 0hE 0,25 E 0,75 E

4 unnachgiebig

Stützwände, die auf Grund ihrer Konstruktion weitgehend unnachgiebig sind, z.B.: auf Festgestein gegründete Stützmauern als ebene Systeme und auf Lockergestein gegründete Stützwände als räumlich Systeme, z.B. Brückenwi-derlager mit biegesteif angeschlossenen Parallel-flügelmauern.

erhöhter aktiver Erddruck ah ah 0hE 0,25 E 0,75 E

in Ausnahmefällen bis Erdruhedruck

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2 Stützwandtypen

2.1 Schwergewichtsmauer

Die Formgebung und die Abmessungen von Schwergewichtsmauern werden u.a. auf der

Basis der Tragfähigkeitsnachweise und dem Nachweis der Gesamtstandsicherheit festge-

legt. Einfache Konstruktionen mit einer konstanten Wandstärke werden nur bei kleinen

Wandhöhen eingesetzt. In der Regel verbreitert sich das Profil der Wand nach unten,

wobei die Anschrägung vom Hang weg gelegt werden sollte ( < 0), so dass es nicht zu

einer Erhöhung des einwirkenden aktiven Erddrucks kommt. Um den Eindruck eines

Überkippens der Wand zu vermeiden, kann es sinnvoll sein, die Wand auch luftseitig

anzuschrägen.

Abb. X-2 Versagensmechanismen bei einer Stützwand

Die Idealform der Wand lässt sich mathematisch aus der Bedingung ableiten, dass für

jeden Punkt der Mauerachse die Momentensumme gleich Null sein soll (Abb. X-3).

Abb. X-3 Annäherung an die Idealform einer Abb. X-4 Stützwand mit Talsporn und Stützwand – „Schöllenen-Mauer“ geneigter Sohlfläche

Gleiten Kippen Grundbruch Geländebruch

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Weitere konstruktive Maßnahmen zur Verbesserung der Tragfähigkeit einer Stützmauer

sind:

Talsporn – Die vordere Fußverbreiterung dient der Erhöhung der Sicherheit

gegen Kippen.

Geneigte Sohlfläche – Zur Verbesserung der Gleitsicherheit kann es wirt-

schaftlich sein, die Sohlfläche schräg auszuführen.

A

C B

R

H

V

A

C B

R

T

N

Abb. X-5 Ansatz der Horizontal- und Vertikalkraft bzw. der Tangential- und Normal-

kraft an einer geneigten Sohlfläche

Im Fall einer geneigten Sohlfläche ist auch der Nachweis der Sicherheit gegen Kippen in

der horizontalen, fiktiven Sohlfläche B-C zu führen. Dabei darf das Eigengewicht des

Bodenkörpers A-B-C in Rechnung zu gestellt werden.

Der Nachweis der Gleitsicherheit ist in zwei Schnitten zu führen:

Nachweis für die geneigte Sohlfläche A-B

Die in der geneigten Sohlfläche angreifenden, vertikalen und horizontalen

Beanspruchungen H und V der Resultierenden R sind in die sohlnormale

Komponente N und sohlparallele Komponente T umzurechnen.

N V cos H sin

T V sin H cos

(Gl. X-1)

Nachweis für die fiktive Sohlfuge B-C

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Wie beim Nachweis gegen Kippen muss hier das Eigengewicht des Boden-

körpers A-B-C angesetzt werden. Bei kohäsiven Böden darf bei der Ermitt-

lung des charakteristischen Gleitwiderstands Rt die Kohäsion in der fiktiven

Sohlfuge zum Ansatz gebracht werden, wenn die Kohäsion tatsächlich mobi-

lisiert werden kann.

tR N tan A c (Gl. X-2)

mit: N charakteristischer Wert der normal zur Gleitfuge angreifenden

Beanspruchung

′ charakteristischer Reibungswinkel des Bodens unter dem

Fundament

A′ die für die Kraftübertragung massgebende Sohlfläche [m², m²/m]

c′ charakteristischer Wert der Kohäsion des Bodens [kN/m²]

Bei der Ermittlung des Grundbruchwiderstands eines Gründungskörpers mit geneigter

Sohlfläche und ausmittiger Belastung ergibt sich die rechnerische Länge a′ bzw. rechneri-

sche Breite b′ aus dem Abstand der resultierenden Normalkraft von der Mittelachse der

Sohlfläche ea bzw. eb.

N

eb

b2

b2

Abb. X-6 Ausmittig angreifende Normalkraft auf die geneigten Sohlfläche eines Streifen-

fundaments

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2.2 Winkelstützmauer

Winkelstützmauern sind Stützwände, bei denen durch Anfügen eines Kragarms (Sporn

oder Konsole) zusätzliche „Totlast“ durch das aufliegende Erdreich in Rechnung gestellt

werden kann und so eine Einsparung an konstruktiver Wandstärke ermöglicht wird.

Abb. X-7 Vereinfachter Erddruckansatz an einer Winkelstützmauer und Verlauf

der Gleitflächen

a) nicht vollständig im Boden ausgebildete konjugierte Gleitflächen

(Ea = Näherung)

b) vollständig im Boden ausgebildete konjugierte Gleitflächen

(gleichwertiger Ansatz)

Der Erddruck ist gemäß Kapitel VI.3.2.1 „Erddruckanteil infolge Eigengewicht des

Bodens“ in Abhängigkeit der Gleitkeilausbildung hinter der Wand entweder an der Fläche

A-B-C-D gemäß Abb. X-9 oder im vertikalen Schnitt E-C-D zu ermitteln. Bei dem in Abb.

X-9 dargestellten Beispiel mit nicht vollständig im Boden ausgebildeter konjugierter

Gleitfläche führt der Ansatz des Erddrucks im vertikalen Schnitt nur zu einer Näherung

des aktiven Erddrucks.

Abb. X-8 Stützwände mit angefügten Kragelementen zur Erhöhung der

Tragfähigkeit und zur Nutzflächengewinnung (Talkonsole)

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Zur Erhöhung der Sicherheit gegen Gleiten kann ein zusätzlicher vertikaler Sporn am

bergseitigen Rand der Fundamentplatte einer Winkelstützmauer angeordnet werden. Mit

Hilfe dieser konstruktiven Maßnahme wird der Verlauf der Scherfuge von der Grenz-

schicht Fundament – Boden in den Boden verlagert. Auf diese Weise kann eine Erhöhung

des Gleitwiderstandes um die in der Scherfuge wirkende Kohäsion erreicht werden (siehe

Kapitel „Flächengründungen“).

D

C

B

A

E

�max

�a� �a�

�a

� �a=

Horizontalkomponentedes Erddrucks imSchnitt ABCD

Horizontalkomponentedes Erddrucks imSchnitt ECD( Näherung )

� �a(CD)a(EC)<

F

�ag

Abb. X-9 Erddruckansatz bei einer Winkelstützmauer mit nicht frei ausgebildeter kon-

jugierter Gleitfläche

2.3 Raumgitterwand

Seit Jahrhunderten werden in Gebirgsregionen Hangsicherungen mit Stützkonstruktionen

nach dem „Blockhaus-Prinzip“ angewendet. Das aus gekreuzten Balken bestehende

räumliche Gitter wird mit Boden verfüllt, wodurch ein tragender Verbundkörper entsteht.

Heutzutage haben allerdings Beton- oder Stahlbetonfertigteile diese klassische Konstrukti-

on weitestgehend verdrängt. Die Raumgitterwände werden regional auch als Krainerwände

bezeichnet

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Mauerhöhen bis ca. 25 m, in abgetreppter Bauweise sogar bis 50 m, sind erreichbar, da das

Baukastensystem nahezu beliebige Verbreiterungen oder Abtreppungen des Querschnittes

ermöglicht. Auch eine zusätzliche Verankerung hat sich in der Praxis bewährt.

Abb. X-10 Raumgitterwand („Krainerwand“) aus Holz

Die wesentlichen Vorteile der Raumgitterwände lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Rasche und vergleichsweise einfache Herstellung, auch in sehr unwegsamem

Gelände,

gute Anpassungsmöglichkeiten an örtlich unregelmäßige Gelände-, Erdruck-

und Auflastverhältnisse (problemlose Abtreppung oder Höhenstaffelung der

Konstruktion),

hohe Verformungsunempfindlichkeit der gelenkigen Konstruktion,

Entwässerung der Hinterfüllung bei guter Durchlässigkeit des Füllmaterials,

naturnaher Verbau und optisch ansprechende Gestaltung (Begrünbarkeit),

Umweltfreundlichkeit (Schallabsorption),

mögliche Verwertung von unwelthygienisch unbedenklichen, d.h. nicht

eluierbaren Abfallstoffen (als Verfüllmaterial und als Ausgangsmaterial für

Raumgitterelemente) bei relativ geringer Beanspruchung.

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Abb. X-11 Fertigteil-Raumgitterwand System „Evergreen“

Die Vorteile der Raumgitterkonstruktionen führen zu vielfältigen Anwendungen, z.B. als

Stützwand, Lärmschutzwand, für Bachverbauungen, Lawinen- und Steinschlagsicherun-

gen, gärtnerische Gestaltungen etc.

Zur Bemessung von Raumgitterwänden wird die Konstruktion einerseits als fiktive

Schwergewichtsmauer aufgefasst, andererseits als eine Reihe von Silozellen, auf deren

Rückseite der Erddruck und eventuell Verkehrslasten wirken. Der Erddruck auf die

Rückseite der Konstruktion kann mit hinreichender Genauigkeit sinngemäß wie bei

geschlossenen Wänden angesetzt werden. Im Regelfall kann vom aktiven Grenzzustand

ausgegangen und die COULOMB’sche Erddrucktheorie verwendet werden. Der Wandrei-

bungswinkel von Raumgitterwänden ist wesentlich größer als der von massiven Beton-

mauern. Er hängt vom Verhältnis der Bodenfläche zur Gesamtfläche je Laufmeter

erdseitiger Wand sowie deren konstruktiver Ausbildung ab und variiert in der Regel im

Bereich 0,75 ≤ ≤ Für die Praxis kann mit hinreichender Genauigkeit das Diagramm

in Abb. X-12 der Erddruckberechung zugrunde gelegt werden.

Zusätzlich zu den Nachweisen der äußeren Standsicherheit, die entsprechend einer

Schwergewichtsmauer zu führen sind, muss die Abtragung der inneren Kräfte aus Erdfül-

lung und Verdichtung nachgewiesen werden. Besondere Beachtung sind dem Nachweis

der Grundbruchsicherheit und dem Nachweis der Gesamtstandsicherheit (Geländebruch-

nachweis) zu schenken.

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20 40 60 80 100

0,8

1,0

0,6

k [-]

KLEINGLIE

DRIGE

ELEMENTE

GROSSFLÄCHIGE

ELEMENTE

VERHÄLTNIS BODEN- ZU GESAMTFLÄCHE [%]

� �= k

Abb. X-12 Wandreibungswinkel von Raumgitterwänden als Funktion des Verhältnisses

Bodenfläche zur Gesamtfläche (Öffnungsweite) und der Gliedrigkeit (Verzah-

nung) an der Wandrückseite

2.4 Bewehrte Erde

Unter dem Begriff „Bewehrte Erde“ versteht man einen Verbundkörper aus Boden und

Bewehrung. Übliche Bewehrungen, die zur Errichtung dieser Art von Stützkonstruktionen

zum Einsatz kommen, sind zum Beispiel dünne Injektionspfähle, Stahl- oder Kunststoff-

stäbe, Reibungsbänder, Geogitter und -textilien. Die Idee der „Bewehrten Erde“ beruht auf

einer Form von Stützbauwerken, die der französische Ingenieur HENRI VIDAL in den

sechziger Jahren entwickelte („Terre Armée“). Im Boden werden Bewehrungsbänder

eingelegt, die Zugkräfte aufnehmen und diese über Reibung in den Boden abtragen. An der

Luftseite wird die bewehrte Erde durch eine Außenhaut aus Stahlbeton-Fertigteilen oder

Stahlblechen abgeschlossen, an welche die Bewehrungsbänder angeschlossen werden.

Aufgrund der Korrosionsproblematik von Stahlbewehrungen im Boden werden zunehmend

Kunststoffe für diese Aufgabe eingesetzt.

Die Berechnung von Stützkörpern nach dem System der „Bewehrten Erde“ umfasst die

Untersuchung der äußeren und inneren Standsicherheit. Im ersten Fall wird der Verbund-

körper als „Quasi-Monolith“ idealisiert. Die Standsicherheitsnachweise können somit wie

für ein konventionelles, massives Stützsystem geführt werden. Die Ermittlung der inneren

Stabilität dient der Bemessung der Geometrie des bewehrten Erdkörpers, der Bewehrung

sowie der Außenhaut. In der Regel sind für den Nachweis der inneren Standsicherheit

folgende Nachweise zu führen:

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Sicherheit gegen Bandbruch,

Sicherheit des Bandanschlusses,

Sicherheit gegen Herausziehen der Bänder und

Sicherheit der Außenhaut.

Abb. X-13 Stützbauwerke nach dem System „bewehrte Erde“

Bei den Berechnungen kann von der klassischen Erddrucktheorie mit einem aktiven

Gleitkeil innerhalb des bewehrten Bodenkörpers ausgegangen werden. Der Wandrei-

bungswinkel ist mit = 0 anzusetzen, wenn kein genauerer Nachweis erfolgt. Der Einfluss

von Auflasten oder Geländeneigungen auf den Erddruck kann konventionell ermittelt

werden. Die Zugkräfte in der horizontalen Bewehrung können in Abhängigkeit von der

horizontalen Erddruckspannung an der Vorderkante des bewehrten Erdkörpers wie folgt

berechnet werden:

2 2

1 1

z b

i,k ah

z b

F e z dz db (Gl. X-3)

mit: Fi,k Zugkraft in der i-ten Bewehrungslage [kN]

eah(z) Horizontaler Erddruck im maßgeblichen Bereich vom Tiefen-

niveau z1 bis zum Tiefenniveau z2 [kN/m²]

zi betrachtete, maßgebliche Tiefenniveaus [m]

bi betrachtete, maßgebliche Abschnittsbreite [m]

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Abb. X-14 Montageschema in Ansicht und Schnitt für eine Betonaußenhaut

Für den Nachweis gegen Herausziehen der Bewehrungsbänder sind Annahmen über die

wirksame Haftlänge der Bewehrung zu treffen, längs der sie ihre Haftkraft mittels Reibung

auf den Boden übertragen. Für den Nachweis sind die außerhalb des aktiven Gleitkeils

verbleibenden Teillängen der Bewehrung li anzusetzen.

2.5 Polsterwand

Die Polsterwände wurden in Anlehnung an die konventionellen Stützbauwerke aus

bewehrter Erde entwickelt. Bei dieser speziellen Form der „Bewehrten Erde“ bestehen

sowohl die Verankerungselemente als auch die Außenhaut aus Geokunststoffen. In der

Regel werden die Zugeinlagen an der Luftseite umgeschlagen, wodurch sich ein polster-

ähnliches Aussehen ergibt.

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Abb. X-15 Übliche Querschnitte von Polsterwänden aus Geokunststoffen

Der Einsatz von Geokunststoffen für Stützkonstruktionen hat folgende Vorteile:

Keine Korrosionsprobleme wie bei Stahlbändern; für die Außenhaut muss

UV-beständiges Material verwendet oder der Geokunststoff imprägniert bzw.

abgedeckt werden.

Die sehr flexible Konstruktion ist ausgesprochen unempfindlich gegenüber

Setzungsdifferenzen.

Die große Variation der Spannungs-Dehnungs-Eigenschaften unterschiedli-

cher Geokunststoffe ermöglicht eine optimale Abstimmung auf die bodenme-

chanischen Erfordernisse.

Durch das Umschlagen der Bewehrungslagen an der Luftseite der Wand ent-

fallen die Probleme des Bandanschlusses, und eine zusätzliche Außenhaut ist

nicht zwingend erforderlich.

Polsterwände können begrünt werden.

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Abb. X-16 Herstellungsablauf einer Polsterwand

Für den Aufbau der einzelnen Lagen einer Polsterböschung werden temporäre oder

verlorene Schalungen vertikal auf kleinen Bermen oder im Winkel der Böschung errichtet.

Diese müssen dem Druck der Verdichtung des Füllbodens standhalten sowie eine Verdich-

tung bis an die Außenhaut des Bauwerks erlauben. Die Schalungen können nach dem

Einbau jeder Lage gezogen und für die nächste Lage verwendet werden.

Abb. X-17 Polsterwand

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2.6 Gabionenwand

Gabionen – auch als Drahtschotterkörbe oder Steinkörbe bezeichnet – sind mit Steinen

verfüllte quaderförmige Stahlgitterkörbe, die nach dem statischen Prinzip der Schwerge-

wichtsmauer zur Hangsicherung und als Verbau verwendet werden. Die Langzeitbestän-

digkeit der Gitterkörbe ist dabei von entscheidender Bedeutung. Meist werden die

Stahlgitterkörbe daher in feuerverzinkter Qualität oder aus rostfreien Edelstahlgittern bzw.

-stäben gefertigt. Je Fabrikat sind verschiedene Standardmaschentypen und Abmessungen

der quaderförmigen Elemente üblich. Gängige Abmessungen sind hierbei: Breite

50 300 cm, Höhe 50 100 cm, Länge 50 400 cm. Für die Verfüllung kann plattiges

oder rundkörniges natürliches Gesteinsmaterial oder auch Recyclingmaterial verwendet

werden. Die Korngrößen bewegen sich – je nach Maschenweite des Korbes und Hersteller

– in der Regel zwischen 80 und 200 mm. Die wichtigsten Merkmale von Bauwerken aus

Gabionen sind:

Gute Anpassungsfähigkeit an unregelmäßige Geländeoberflächen,

hoher Widerstand gegen Druck- und Zugbeanspruchungen und gute Anpas-

sung an Änderungen der Einwirkungen,

Flexibilität und ausgeprägtes Verformungsvermögen,

Durchlässigkeit,

Wirtschaftlichkeit und einfache Herstellung,

Begrünbarkeit.

Das Drahtgeflecht der Gabionen wird in der Regel zusammengelegt in Bündeln angelie-

fert, an der Baustelle geöffnet und an der Einbaustelle befüllt. Gabionenmauern erhalten

entweder luft- oder erdseitig eine Abtreppung, die üblichen Wandneigungen variieren hier

zwischen = 0° bis 10°. Dabei werden die Drahtkörbe mit versetzten Fugen übereinander

gestapelt.

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Abb. X-18 Hangsicherung mit Hilfe von Gabionen

Hinsichtlich des Langzeitverhaltens von Gabionen existieren in Italien und Österreich

positive Erfahrungen seit etwa 1890. Im Laufe der Jahrzehnte kam es meist zu einem

Einspülen von Boden und zu einem kräftigen natürlichen Bewuchs, so dass die Funktion

der Stützkörper trotz verschlechterter Drahteigenschaften erhalten blieb.

Die Bemessung von Gabionen erfolgt sinngemäß wie bei Schwergewichtsmauern.

Aufgrund der Verformbarkeit der Stützmauer kann mit hinreichender Genauigkeit der

aktive Erddruck angesetzt werden. Auf die Berücksichtigung eines Wasserdrucks kann

aufgrund der sehr guten Durchlässigkeit von Gabionen in der Regel verzichtet werden.

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3 Entwässerung

Um zusätzliche Beanspruchungen massiver (wasserundurchlässiger) Stützkonstruktionen

aus Wasserdrücken zu vermeiden, muss das im anstehenden Boden vorhandene Grund-,

Sicker- oder Kluftwasser und das durch Niederschläge bergseitig eingespeiste Wasser zur

Talseite hin frei dräniert werden. Je nach Wasserdurchlässigkeit des

Hinterfüllungsmaterials müssen hierfür zusätzliche Dränageschichten hinter der Stützwand

angeordnet werden. Abb. X-19 zeigt mögliche Anordnungen der Dränageschicht.

14

5

3

12653

19

1053

211

1

1210

53

1 Aushub 2 Hinterfüllung 3 Füllbeton 4 Steinpackung oder Rundkies 5 Gelochte oder poröse Leitung, d = 20 cm 6 Einfachfilter 7 Filter 1 8 Filter 2 9 Sickerboden10 Rundkies, 30 bis 50 mm11 Filterstein oder - platten12 Fußstein

min

Abb. X-19 Gebräuchliche Ausführungen von Hinterfüllungen

Die Dränageschichten sind filterfest (Bodenfeinteile dürfen nicht eingespült werden) und

hydraulisch wirksam (ausreichende Durchlässigkeit) auszubilden. Gegebenenfalls müssen

Stufenfilter mit abgestuften Korngrößen angeordnet werden. Die Filterschichten sind an

ihren tiefsten Punkten über Rohrleitungen durch die Wand hindurch oder unter der Wand

mit einer Leitung zu entwässern, die in die Vorflut mündet. Gegebenenfalls wird das

Wasser der Filterschichten hinter der Wand zunächst in einer längslaufenden Rohrleitung

gefasst (Längsgefälle der Sammelleitung ≥1 %; Durchmesser dmin = 20 cm; Kontroll-

schächte alle 50 m bis 70 m je nach Knickstellen der Leitung oder Änderungen im

Längsgefälle zum Spülen und Reinigen der Leitung), die dann das Wasser, wie oben

beschrieben, durch oder unter der Wand abführt.

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Ableitung des Oberflächenwassers: auf der Böschung der Bergseite anfallendes Oberflä-

chenwasser muss in Mulden, Schalen oder Rinnen hinter der Wandkrone gesammelt und

über Schlammsammler in die Sammelleitung abgeleitet werden. In Abb. X-20 sind

gebräuchliche Ableitungssysteme dargestellt:

a: Einfacher Fall ohne Schale; Geländeneigung weniger als 5 %, kleiner Was-

seranfall

b: Rasenmulde

c: Betonschale; Normalfall; mittlere Geländeneigung und mittlerer Wasseranfall

d: Wasserrinne; Geländeneigung mehr als 20 %; großer Wasseranfall

e: Schlammsammler

Abb. X-20 Ableitung des Oberflächenwassers

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Literatur:

[1] Brandl, H. (1980)

Tragverhalten und Dimensionierung von Raumgitterstützmauern

(Krainerwänden) – Heft 141 · Forschungsgesellschaft für das Straßenwesen,

Wien

[2] Brandl, H. (2001)

Konstruktive Hangsicherung, Grundbautaschenbuch Band 3, 6. Auflage ·

Ernst & Sohn, Berlin

[3] DIN 4085:2011

Berechnung des Erddrucks · Beuth, Berlin

[4] EBGEO (2010)

Empfehlungen des Arbeitskreises Geokunststoffe, DGGT · Ernst & Sohn,

Berlin

[5] Smoltczyk, U. (2001)

Stützmauern, Grundbautaschenbuch Band 3, 6. Auflage · Ernst & Sohn, Ber-

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[6] Zilch, K.; Diederichs, C.J.; Katzenbach, R. (2001)

Handbuch für Bauingenieure · Springer, Berlin u. a.