WOLFRAM ZURHORST: Ich habe vermasselt, sondern wie ......Manche denken, sie werden nur von meiner...

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06 MAGAZIN Samstag/Sonntag, 23./24. Mai 2020 – Nr. 119 07 tion vor der Trennung genötigt wurden. Das ist jetzt wirklich total anders. Herr Zurhorst, glauben Sie, es ist für die Män- ner einfacher, dass sie mit Ihnen mit einem an- deren Mann sozusagen auf Augenhöhe spre- chen können? WOLFRAM ZURHORST: Es gibt Männer, für die ist es leichter, dass sie mit mir als Mann re- den können. Es gab aber auch früher Män- ner, die haben sich meiner Frau gegenüber leichter öffnen können. Die waren mit mir in so einem gefühlten Konkurrenzding nach dem Motto: „Ich kann vor einem Mann keine Schwäche zeigen.“ Genauso verhält es sich mit den Frauen. Manche denken, sie werden nur von meiner Frau verstanden. Und es gibt Frauen, die total dankbar sind, wenn sie mit einem Mann reden können, der sich beruf- lich damit beschäftigt und vielleicht für ih- ren Mann übersetzen kann. EVA-MARIA ZURHORST: Wenn die Frauen partout nur mit mir reden wollen, dann weiß ich innerlich, dass sie am besten mit meinem Mann reden sollten, um eine andere Sicht- weise zu bekommen und ihr Herz überhaupt mal wieder für einen Mann zu öffnen. Die ha- ben sich aus Angst vor weiteren Enttäu- schungen so in der Frauenecke verkrümelt, dass es ganz wichtig ist, mal wieder zu mer- ken, dass da ein Mann ist, der bereit ist, sie zu hören und zu verstehen. Das kann oft viel Gutes bewirken. Sie hatten selbst in Ihre Ehe eine größere Krise und hätten sich beinahe getrennt, weil eine an- dere Frau im Spiel war. Hilft Ihnen diese Erfah- rung heute bei Ihrer Arbeit? Haben Sie das Ge- fühl, dadurch Ihre Klienten besser zu verste- hen? WOLFRAM ZURHORST: Ich würde sogar noch weiter gehen und sagen, das ist eines unse- rer Erfolgskriterien, das wir über Dinge re- den und aus Erfahrung ableiten, die wir sel- ber durchlaufen haben. Das ist eine un- glaubliche Kraft. Ich höre immer wieder, dass es Leute einfach beruhigt, dass wir nicht über irgendetwas reden, das wir gele- sen oder gelernt haben, sondern selbst durchlebt haben. Sie vertrauen uns mehr. EVA-MARIA ZURHORST: Zu uns kommen re- lativ oft auch Menschen, die schon Paarthe- rapie bei einem Therapeuten gemacht ha- ben. Wir hören oft, dass das tendenziell an- onymer ist. Weil ich selbst den Schmerz kenne, kann ich zu Frauen, die von ihrem Mann betrogen wurden, mit offenem Her- zen, authentisch, warmherzig und nicht oberlehrerhaft sagen: „Wissen Sie, ich habe auch sehr gelitten und mich zum Opfer ge- macht, aber Aufopfern und dem anderen die Schuld in die Schuhe schieben ist Quatsch.“ Dann sind wir beide zusammen beim Berg- steigen. Ich habe den Berg nur vor ihr bestie- gen. Ich weiß, dass man da Angst hat und dass man runterfallen kann. Ich weiß aber auch, dass man auch oben ankommen kann. Können Sie rückblickend zusammenfassen, was ihre Beziehung nach der Krise gerettet und sogar stärker gemacht hat? Die Leute beruhigt es, dass wir nicht über etwas reden, das wir gelesen haben, sondern das wir selbst durchlebt haben EVA-MARIA ZURHORST: Dass wir wissen, eine wirklich verarbeitete Krise bringt immer ei- ne Sache, die einen erweitert. Wir sind vor 25 Jahren in unsere Ehe gestartet und haben geglaubt: „So bin ich, das ist Beziehung, so wird das.“ Und dann ist nichts so geworden. Aus meiner heutigen Sicht kann ich sagen: „Gott sei Dank.“ Als das alles nicht eingetre- ten ist, als meine Orchidee das erste, zweite und dritte Mal die Blätter und Blüten verlo- ren hat, musste ich immer wieder etwas Neues herausfinden, was ihr fehlt und was sie braucht. Ich bin heute ein viel besserer Gärtner! Ich weiß heute, wenn die Blume die Blätter verliert, dass ich weder abhauen, noch den Kopf unter die Decke stecken, son- dern was verändern und mehr auf mein Herz hören muss. Das habe ich gelernt. Auch, dass es mir guttut, wenn ich die Sicht meines Mannes integriere, statt sein Anderssein zu verurteilen. Und ich habe immer wieder ge- lernt, dass die Krise mir das Leben nicht ver- masselt, sondern wie ein Navi funktioniert, das mir sagt:„Hör’ mal, du bist auf dem Holz- weg.“ Wie machen Sie das konkret, die andere Sicht- weise mit einzubeziehen? WOLFRAM ZURHORST: Ich habe in den Jahren immer mehr gelernt, dass ich mich – am An- fang ziemlich widerwillig – darin üben musste, den Fokus immer wieder auf mich zu richten. Dass ich nicht sage: „Ich fühle mich jetzt so schlecht, weil die das und das ge- macht oder nicht gemacht hat.“ Stattdessen konnte ich immer mehr erkennen, was ich nicht gemacht habe, was mir gefehlt hat. Wenn es mir nicht gut ging, konnte ich mich immer mehr fragen, was ich selbst tun muss, um das zu ändern. EVA-MARIA ZURHORST: In einer Beziehung gibt es fast immer zwei Grundbewegungen. Da ist tendenziell einer, der eher weggeht, der eher zumacht und abtaucht. Der hat meistens einen Partner, der eher festhält, der eher klammert, der alles so erhalten will, wie es ist. Ich war bei uns eher das Modell Klammern, ich wollte, dass er dieses tut und jenes lässt. Sobald ich anfing mit dem, was ich wollte, war er weg, ob innerlich oder äu- ßerlich. Da habe ich dann da gesessen und geschimpft: „Wie kann er nur, wie rück- sichtslos.“ Was ich im Laufe der Jahre gelernt habe, ist ihn loszulassen und erst mal mit mir selbst da durchzukommen. Dann habe ich gelernt, statt zu jammern und mich ab- hängig zu machen, wie ich mein eigenes We- sen so richtig in den Saft bringen kann und mal nachzuhorchen, was meine Träume sind. Das ist auch meine Hauptarbeit mit den Frauen. Als junge Mutter ging es mir wie vie- len anderen auch, ich wollte unbedingt, dass er nach Hause kommt und sich mehr küm- mert. Als er dann immer wieder weg war, weil er gerade mit seiner Karriere beschäf- tigt war und ich zuhause getobt und geheult habe, bin ich irgendwann bei einem Paar- Coach gelandet, der mich fragte: „Aber was wollen Sie denn eigentlich?“ Ich sagte:„Wis- sen Sie, ich habe mal in Afrika gelebt, ich war Managerin: Ich kann die Sandkästen nicht mehr sehen! Ich bin hinter meinem Mann hergezogen, wir haben keine Großeltern, die uns helfen. Ich bin es so leid.“ Da kam mal alles raus. Und da sagte er: „Darum geht es. Dass Sie einen Weg finden, wie Sie Ihre eige- nen Freiräume wieder kriegen und wie Sie wieder Dinge tun, die Sie erfüllen.“ Das war für mich ein komplett neuer Weg. Ich musste mich gar nicht trennen und meinen Mann in den Wind schießen. In dem Maße, in dem ich mir mein Leben zurückerobert habe, sah ich meinen Mann mit anderen Augen. Es entwi- ckelte sich bei uns eine Dynamik, er kam auf eine ganz andere Art und Weise – auf einmal zugewandt - nach Hause zurück. Warum war das so, Herr Zurhorst? Fanden Sie Ihre Frau wieder attraktiver, als sie wieder ihr eigenes Ding gemacht hat? WOLFRAM ZURHORST: Absolut. Wenn jeder wieder sein Profil bekommt, ist das deutlich attraktiver. Ich habe in einem unserer Bü- cher geschrieben, dass ich nach unseren ganzen Auseinandersetzungen und Streite- reien irgendwann erkannt habe, dass es mei- ner Frau nicht darum ging, mich verändern zu wollen. Davor hatte ich jahrelang Panik, dass sie mich nicht so will, wie ich bin. Sie wollte mich nicht anders, sie wollte mir vor allem näher kommen und mich besser ken- nenlernen. Wenn ich Männer heute an den Punkt führen kann, dass es nicht mehr um Kritik geht, wovor so viele Männer Angst ha- ben, sondern darum, sich gemeinsam tiefer und weiter zu entwickeln, dann ist das eine wahnsinnige Erleichterung und Freude für den Mann. EVA-MARIA ZURHORST: Viele Männer haben gar nicht gelernt, sich nach innen zu fokus- sieren und die eigenen Gefühle zu entde- Ich habe gelernt, dass die Krise mir das Leben nicht vermasselt, sondern wie ein Navi funktioniert

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06 MAGAZIN Samstag/Sonntag, 23./24. Mai 2020 – Nr. 119 07

tion vor der Trennung genötigt wurden. Dasist jetzt wirklich total anders.

Herr Zurhorst, glauben Sie, es ist für die Män-ner einfacher, dass sie mit Ihnen mit einem an-deren Mann sozusagen auf Augenhöhe spre-chen können?WOLFRAMZURHORST:EsgibtMänner, fürdieist es leichter, dass sie mit mir als Mann re-den können. Es gab aber auch früher Män-ner, die haben sich meiner Frau gegenüberleichter öffnen können. Die waren mit mir inso einem gefühlten Konkurrenzding nachdem Motto:„Ich kann vor einem Mann keineSchwäche zeigen.“ Genauso verhält es sichmit den Frauen. Manche denken, sie werdennur von meiner Frau verstanden. Und es gibtFrauen, die total dankbar sind, wenn sie miteinem Mann reden können, der sich beruf-

lich damit beschäftigt und vielleicht für ih-ren Mann übersetzen kann.EVA-MARIA ZURHORST: Wenn die Frauenpartout nur mit mir reden wollen, dann weißichinnerlich,dasssieambestenmitmeinemMann reden sollten, um eine andere Sicht-weise zu bekommen und ihr Herz überhauptmalwiederfüreinenMannzuöffnen.Dieha-ben sich aus Angst vor weiteren Enttäu-schungen so in der Frauenecke verkrümelt,dass es ganz wichtig ist, mal wieder zu mer-ken, dass da ein Mann ist, der bereit ist, siezu hören und zu verstehen. Das kann oft vielGutes bewirken.

Sie hatten selbst in Ihre Ehe eine größere Kriseund hätten sich beinahe getrennt, weil eine an-dere Frau im Spiel war. Hilft Ihnen diese Erfah-rung heute bei Ihrer Arbeit? Haben Sie das Ge-

fühl, dadurch Ihre Klienten besser zu verste-hen?WOLFRAM ZURHORST: Ich würde sogar nochweiter gehen und sagen, das ist eines unse-rer Erfolgskriterien, das wir über Dinge re-den und aus Erfahrung ableiten, die wir sel-ber durchlaufen haben. Das ist eine un-glaubliche Kraft. Ich höre immer wieder,dass es Leute einfach beruhigt, dass wirnicht über irgendetwas reden, das wir gele-sen oder gelernt haben, sondern selbstdurchlebt haben. Sie vertrauen uns mehr.EVA-MARIA ZURHORST: Zu uns kommen re-lativ oft auch Menschen, die schon Paarthe-rapie bei einem Therapeuten gemacht ha-ben. Wir hören oft, dass das tendenziell an-onymer ist. Weil ich selbst den Schmerzkenne, kann ich zu Frauen, die von ihremMann betrogen wurden, mit offenem Her-zen, authentisch, warmherzig und nichtoberlehrerhaft sagen: „Wissen Sie, ich habeauch sehr gelitten und mich zum Opfer ge-macht, aber Aufopfern und dem anderen dieSchuld in die Schuhe schieben ist Quatsch.“Dann sind wir beide zusammen beim Berg-steigen. Ich habe den Berg nur vor ihr bestie-gen. Ich weiß, dass man da Angst hat unddass man runterfallen kann. Ich weiß aberauch, dass man auch oben ankommen kann.

Können Sie rückblickend zusammenfassen,was ihre Beziehung nach der Krise gerettet undsogar stärker gemacht hat?

” Die Leuteberuhigt es,dass wir nichtüber etwasreden, das wirgelesen haben,sondern das wirselbst durchlebthaben

EVA-MARIAZURHORST:Dasswirwissen,einewirklich verarbeitete Krise bringt immer ei-ne Sache, die einen erweitert. Wir sind vor25 Jahren in unsere Ehe gestartet und habengeglaubt: „So bin ich, das ist Beziehung, sowird das.“ Und dann ist nichts so geworden.Aus meiner heutigen Sicht kann ich sagen:„Gott sei Dank.“ Als das alles nicht eingetre-ten ist, als meine Orchidee das erste, zweiteund dritte Mal die Blätter und Blüten verlo-ren hat, musste ich immer wieder etwasNeues herausfinden, was ihr fehlt und wassie braucht. Ich bin heute ein viel besserer

Gärtner! Ich weiß heute, wenn die Blume dieBlätter verliert, dass ich weder abhauen,noch den Kopf unter die Decke stecken, son-dern was verändern und mehr auf mein Herzhörenmuss.Dashabeichgelernt.Auch,dasses mir guttut, wenn ich die Sicht meinesMannes integriere, statt sein Anderssein zuverurteilen. Und ich habe immer wieder ge-lernt, dass die Krise mir das Leben nicht ver-masselt, sondern wie ein Navi funktioniert,dasmirsagt:„Hör’mal,dubistaufdemHolz-weg.“

Wie machen Sie das konkret, die andere Sicht-weise mit einzubeziehen?WOLFRAMZURHORST: IchhabeindenJahrenimmer mehr gelernt, dass ich mich– am An-fang ziemlich widerwillig – darin übenmusste,denFokusimmerwiederaufmichzurichten. Dass ich nicht sage: „Ich fühle michjetzt so schlecht, weil die das und das ge-macht oder nicht gemacht hat.“ Stattdessenkonnte ich immer mehr erkennen, was ichnicht gemacht habe, was mir gefehlt hat.Wenn es mir nicht gut ging, konnte ich michimmer mehr fragen, was ich selbst tun muss,um das zu ändern.EVA-MARIA ZURHORST: In einer Beziehunggibt es fast immer zwei Grundbewegungen.Da ist tendenziell einer, der eher weggeht,der eher zumacht und abtaucht. Der hatmeistens einen Partner, der eher festhält,der eher klammert, der alles so erhalten will,wie es ist. Ich war bei uns eher das ModellKlammern, ich wollte, dass er dieses tut undjenes lässt. Sobald ich anfing mit dem, wasich wollte, war er weg, ob innerlich oder äu-ßerlich. Da habe ich dann da gesessen undgeschimpft: „Wie kann er nur, wie rück-sichtslos.“WasichimLaufederJahregelernthabe, ist ihn loszulassen und erst mal mitmir selbst da durchzukommen. Dann habeich gelernt, statt zu jammern und mich ab-hängig zu machen, wie ich mein eigenes We-sen so richtig in den Saft bringen kann undmal nachzuhorchen, was meine Träumesind.DasistauchmeineHauptarbeitmitdenFrauen. Als junge Mutter ging es mir wie vie-len anderen auch, ich wollte unbedingt, dasser nach Hause kommt und sich mehr küm-mert. Als er dann immer wieder weg war,weil er gerade mit seiner Karriere beschäf-tigt war und ich zuhause getobt und geheulthabe, bin ich irgendwann bei einem Paar-Coach gelandet, der mich fragte: „Aber waswollenSiedenneigentlich?“Ichsagte:„Wis-sen Sie, ich habe mal in Afrika gelebt, ich warManagerin: Ich kann die Sandkästen nichtmehr sehen! Ich bin hinter meinem Mannhergezogen, wir haben keine Großeltern,dieunshelfen.Ichbinessoleid.“Dakammalalles raus. Und da sagte er: „Darum geht es.Dass Sie einen Weg finden, wie Sie Ihre eige-nen Freiräume wieder kriegen und wie Siewieder Dinge tun, die Sie erfüllen.“ Das warfürmicheinkomplettneuerWeg.Ichmusstemich gar nicht trennen und meinen Mann indenWindschießen.IndemMaße, indemichmir mein Leben zurückerobert habe, sah ichmeinen Mann mit anderen Augen. Es entwi-ckelte sich bei uns eine Dynamik, er kam auf

eine ganz andere Art und Weise– auf einmalzugewandt - nach Hause zurück.

Warum war das so, Herr Zurhorst? Fanden SieIhre Frau wieder attraktiver, als sie wieder ihreigenes Ding gemacht hat?WOLFRAM ZURHORST: Absolut. Wenn jederwieder sein Profil bekommt, ist das deutlichattraktiver. Ich habe in einem unserer Bü-cher geschrieben, dass ich nach unserenganzen Auseinandersetzungen und Streite-reienirgendwannerkannthabe,dassesmei-ner Frau nicht darum ging, mich verändernzu wollen. Davor hatte ich jahrelang Panik,dass sie mich nicht so will, wie ich bin. Siewollte mich nicht anders, sie wollte mir vorallem näher kommen und mich besser ken-nenlernen. Wenn ich Männer heute an denPunkt führen kann, dass es nicht mehr umKritik geht, wovor so viele Männer Angst ha-ben, sondern darum, sich gemeinsam tieferund weiter zu entwickeln, dann ist das einewahnsinnige Erleichterung und Freude fürden Mann.EVA-MARIA ZURHORST: Viele Männer habengar nicht gelernt, sich nach innen zu fokus-sieren und die eigenen Gefühle zu entde-

” Ich habegelernt, dass dieKrise mir dasLeben nichtvermasselt,sondern wie einNavifunktioniert