W ar um tr eiben nic ht mehr Älter e Spor t? Eine Studie...
Transcript of W ar um tr eiben nic ht mehr Älter e Spor t? Eine Studie...
Simone Quantmeyer de Polack
Warum treiben nicht mehr Ältere Sport?Eine Studie zum "inneren Schweinehund"
Zu den Selbststeuerungsunterschieden zwischen langjährigsportaktiven Älteren und Älteren, die sich bishervergeblich um eine dauerhafte Sportteilnahme bemühthaben
Magisterarbeit
Sport
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Simone Quantmeyer de Polack
Warum treiben nicht mehr Ältere Sport? Eine Studiezum "inneren Schweinehund"
Zu den Selbststeuerungsunterschieden zwischen langjährig sportaktivenÄlteren und Älteren, die sich bisher vergeblich um eine dauerhafteSportteilnahme bemüht haben
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Zu den Selbststeuerungsunterschieden von langjährig,
sportaktiven Älteren und Älteren, die sich bisher vergeblich um eine dauerhafte Sportteilnahme bemüht haben
Magisterarbeit zu Erlangung des Grades
einer Magistra Artium M.A.
vorgelegt der
Philosophischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität
zu Bonn
von Simone Quantmeyer de Polack
aus Northeim
2
3
Dankeschön
Ich möchte mich herzlich bei allen Menschen bedanken, die mich bei der Magisterarbeit und
während des Studiums begleitet und unterstützt haben. Besonders bedeutsam waren für mich:
die Studienteilnehmer, Studienteilnehmerinnen und Übungsleiterinnen,
Prof. Dr. Dieter Schmidt und Herr Kunda vom Wesselinger Seniorensportverein,
Prof. Dr. Heinz Mechling,
Prof. Dr. Jürgen Beckmann,
Prof. Dr. Hans-Peter Erb,
Dr. Dieter Pache, Dr. Michael Brach, Dr. Sabine Eichberg,
Prof. Dr. Julius Kuhl, PhD. Dr. Craig Wrisberg und sein Team,
Martina Eilmes, Elisabeth Raabe, Christiane Schroeder,
Ingelore und Walter Quantmeyer,
Daniel Polack Valdivieso, Jonah Sebastian Polack, Lucia Giovanna Polack Quantmeyer
und Frau Raedel, die Babysitterin.
DANKE SCHÖN!
4
Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung ............................................................................................................................... 9
2 Altern und sportliche Aktivität .......................................................................................... 11
2.1 Altern .............................................................................................................................. 11
2.1.1 Primäres und sekundäres Altern .............................................................................. 11
2.1.2 Das Alter .................................................................................................................. 11
2.1.3 Gesunde Lebensjahre ............................................................................................... 12
2.1.4 Individualisierung .................................................................................................... 13
2.2 Sportliche Aktivität und Inaktivität ............................................................................... 14
2.2.1 Gegenwärtige Situation des Sportengagements im Alter ........................................ 14
2.2.2 Bewegung und Sport als gesunde Lebensweise ...................................................... 15
2.2.3 Motive für Sportaktivität im Alter ........................................................................... 16
2.2.4 Gründe für sportliche Inaktivität im Alter ............................................................... 17
2.2.5 Schlüsselthemen ....................................................................................................... 19
2.2.6 Wunschliste für Sportaktivität im Alter ................................................................... 19
2.3 Wunsch und Verwirklichung im Alltag ........................................................................ 20
2.3.1 Alltag von Senioren ................................................................................................. 20
2.3.2 Beeinträchtigungen im Alter .................................................................................... 20
2.3.2.1 Physische Beeinträchtigungen im Alter ................................................................ 20
2.3.2.2 Ängste vor Beeinträchtigungen im Alter ............................................................... 22
2.3.2.3 Stressbelastungen im Alter ................................................................................... 22
2.3.3 Kompetenzen im Alter ............................................................................................. 23
2.3.4 Selbstregulation im Alter ......................................................................................... 23
2.4 Sportaktivität .................................................................................................................. 25
2.4.1. Lebensstilaktivität ................................................................................................... 25
2.4.2 Qualitative Facetten des Sports ............................................................................... 26
2.4.3 Qualitative Facetten des Alterssports ..................................................................... 26
2.5 Die Bindung an eine sportliche Aktivität ...................................................................... 28
2.5.1 Determinanten des Sportteilnahmeverhaltens ......................................................... 28
2.5.2 Determinanten des Sportteilnahmeverhaltens im Alter ........................................... 30
2.5.3 Theorien der Gesundheitspsychologie ..................................................................... 32
2.5.4 Sportverhalten zwischen Rückfall und Gewohnheit ................................................ 33
2.5.4.1 Die Beschreibung von Sportverhalten .................................................................. 33
5
2.5.4.2 Rückfälle bei Verhaltensänderungen .................................................................... 34
2.5.4.2 Die Entwicklung von Gewohnheiten ..................................................................... 34
2.6 Zusammenfassung zu Altern und sportliche Aktivität ................................................. 38
3 Theoretischer Hintergrund zur Selbststeuerung ............................................................. 40
3.1 Motiviertes Handeln ...................................................................................................... 40
3.1.1 Motivation und Volition .......................................................................................... 40
3.1.2 Motive ...................................................................................................................... 40
3.1.3 Entstehung von Motivationstendenzen .................................................................... 41
3.1.4 Barrieren aufgrund fehlender Motivation ................................................................ 43
3.1.5 Barrieren aufgrund nicht ausreichender Motivation ................................................ 43
3.1.�� Die Aufgaben der Handlungssteuerung ................................................................... 44
3.2 Zielgerichtetes Verhalten ............................................................................................... 44
3.2.1 Sportteilnahme als zielgerichtetes Gesundheitsverhalten ........................................ 45
3.2.2 Intrinsische und extrinsische Motivation ................................................................. 45
3.2.3 Situative Rahmenbedingungen ................................................................................ 46
3.2.4 Explizite und implizite Motive ................................................................................ 47
3.2.5 Willensprozesse ....................................................................................................... 48
3.2.6 Absichtswechsel oder Selbststeuerungsdefizit ........................................................ 49
3.3 Die Theorie der Persönlichkeits-System-Interaktionen ............................................... 50
3.3.1 Aufbau der PSI-Theorie ........................................................................................... 50
3.3.2 Motive, Motivationen und Willensprozesse ............................................................ 54
3.4 Selbststeuerung .............................................................................................................. 55
3.4.1 Selbstkontrolle ......................................................................................................... 56
3.4.2 Selbstregulation ....................................................................................................... 56
3.4.3 Willenshemmung ..................................................................................................... 58
3.4.4 Willensbahnung ....................................................................................................... 60
3.4.5 Selbsthemmung ........................................................................................................ 61
3.4.6 Selbstbahnung .......................................................................................................... 63
3.4.7 Handlungs- und Lageorientierung ........................................................................... 63
3.4.7.1 Prospektive und misserfolgsbezogene Lageorientierung ..................................... 65
3.4.7.2 Prospektive Handlungsorientierung ..................................................................... 67
3.4.7.3 Misserfolgsbezogene Handlungsorientierung ...................................................... 69
3.4.8 Empirische Untersuchungen zur PSI-Theorie ......................................................... 70
6
3.4.9 Entwicklung der Selbststeuerung ............................................................................. 71
3.5 Zusammenfassung der theoretischen Grundlagen ...................................................... 72
4 Aufbau der Untersuchung .................................................................................................. 74
4.1 Fragestellung und Hypothesen ..................................................................................... 74
4.2 Rekrutierung und Teilnahmekriterien .......................................................................... 76
4.2.1 Versucher (Experimentalgruppe) ............................................................................. 77
4.2.2 Dabeibleiber (Kontrollgruppe) ................................................................................ 78
4.3 Materialien ..................................................................................................................... 80
4.3.1 Fragebogen ............................................................................................................... 80
4.3.1.1 Dimensionen des Selbststeuerungsinventars ........................................................ 80
4.3.1.2 Beschreibungen der Selbststeuerungsskalen ........................................................ 81
4.3.1.3 Skalen der Handlungs- und Lageorientierung ..................................................... 85
4.3.1.4 Die Absichtsstärke ............................................................................................... 87
4.3.1.�� Skala zur körperlichen Beeinträchtigung im Alltag ............................................ 87
4.3.2 Interview .................................................................................................................. 87
4.3.2.1 Themen des Interviews .......................................................................................... 87
4.3.2.2 Die Entwicklung des Interviewleitfadens ............................................................. 88
4.3.2.3 Der Ablauf des Interviews .................................................................................... 88
4.3.2.4 Kurze Interviews .................................................................................................. 90 4.4 Design ............................................................................................................................. 90
4.4.1 Quantitative Methode .............................................................................................. 91
4.4.2 Qualitative Methode ................................................................................................ 92
4.4.3 Ex post-Design und Leitfaden-Interview ................................................................. 93
4.5 Ablauf ............................................................................................................................. 93
4.6 Beschreibung der Gesamtstichprobe............................................................................. 94
4.6.1 Demografische Merkmale ........................................................................................ 94
4.6.2 Sportbezogene Merkmale ........................................................................................ 96
5 Darstellung der Ergebnisse ................................................................................................ 98
5.1 Kodierung ....................................................................................................................... 98
5.1.1 Bildungsjahre ........................................................................................................... 98
5.1.2 Sporterfahrungen ..................................................................................................... 99
5.2 Kategorien ...................................................................................................................... 99
5.2.1 Sporterfahrungen in Kategorien ............................................................................... 99
7
5.2.2 Prospektive Handlungsorientierung in Kategorien ................................................ 100
5.2.3 Beeinträchtigungen in Kategorien ......................................................................... 100
5.3 Fehlende Werte ............................................................................................................ 100
5.4 Paarbildung (matched sample) ................................................................................... 100
5.5 Normalverteilung ......................................................................................................... 101
5.6 Stichprobenbeschreibung der erhobenen Merkmale ................................................ 101
5.7 Hypothesen ................................................................................................................... 103
5.8 Ergebnisüberblick ........................................................................................................ 110
5.8.1 Handlungs- und Lageorientierung ......................................................................... 112
5.8.2 Sporterfahrungen ................................................................................................... 113
5.8.3 Selbstkontrolle ....................................................................................................... 114
5.8.4 Absichtsstärke ........................................................................................................ 115
5.8.5 Beeinträchtigungen ................................................................................................ 115
5.9 Vergleiche der Untergruppen ...................................................................................... 116
5.9.1 Dabeibleiber und nicht sportaktiven Versucher ..................................................... 116
5.9.2 Sportaktive Versucher und nicht sportaktiven Versucher ..................................... 118
5.9.3 Dabeibleiber und sportaktive Versucher ................................................................ 120
5.10 Funktionale Selbststeuerung und Gruppenunterschiede ........................................ 120
5.10.1 Extrem handlungsorientierte Versucher .............................................................. 124
5.10.2 Handlungsorientierung, Willenshemmung und Sporterfahrung .......................... 125
5.10.3 Altersvergleich ..................................................................................................... 125
5.11 Interviewausschnitte zur Selbststeuerung im Alltag ................................................ 125
6 Diskussion .......................................................................................................................... 128
6.1 Diskussion der Methodik ............................................................................................. 128
6.1.1 Design .................................................................................................................... 128
6.1.2 Stichproben ............................................................................................................ 129
6.1.3 Störvariablen .......................................................................................................... 130
6.1.4 Messinstrumente .................................................................................................... 132
6.1.4.1 Fragebogen ......................................................................................................... 132
6.1.4.2 Interviews ........................................................................................................... 134
6.2 Diskussion der Ergebnisse ......................................................................................... 135
6.2.1 Diskussion der Hypothesen und Untergruppen ..................................................... 135
6.2.2 Diskussion der Ergebnisse für den Alterssport ...................................................... 141
8
6.2.3 Diskussion der Ergebnisse für die Sportteilnahme ................................................ 144
6.2.4 Diskussion der Ergebnisse für die PSI-Theorie ..................................................... 148
6.3 Praktische Schlussfolgerungen ................................................................................... 152
7 Zusammenfassung ............................................................................................................. 153
8 Ausblick .............................................................................................................................. 155
Literaturverzeichnis ............................................................................................................. 157
Abbildungsverzeichnis ......................................................................................................... 170
Tabellenverzeichnis .............................................................................................................. 171
Anhang .................................................................................................................................. 172
9
1 Einleitung Ä'HU�VFKZLHULJVWH�*HJQHU�LVW�PDQ�PHLVWHQV�VHOEVW�³
(JOACHIM LÖW, Trainer der Deutschen Fußballnationalmannschaft,2007)
Wie kann ich mir selbst ein Gegner sein? Indem ich eine Handlung ausführe,
obwohl ich eine alternative Handlung für besser halte. Die Philosophie belegt das
3KlQRPHQ�PLW�GHP�%HJULII�Ä$NUDVLD³��DOWJULHFKLVFK�I�U�:LOOHQVVFKZlFKH��,Q�GHU�
GHXWVFKHQ�$OOWDJVVSUDFKH�H[LVWLHUW�HV�DOV�PHWDSKRULVFKH�8PVFKUHLEXQJ�ÄGHP�
LQQHUHQ�6FKZHLQHKXQG³��'8'(1��������:,.,3(',$���������Ä+DQGOXQJVORFK³
bezeichnen es die motivationspsychologischen Forscher (HÖNER&
WILLIMCZIK, 1998; SUDECK, 2006). Der Ursprung der Bezeichnung
Ä+DQGOXQJVORFK³�U�KUW�YRP�+DQGOXQJVSKDVHQPRGHOO��+(&.+$86(1��������KHU�
und beschreibt, dass zwar eine Absicht besteht, eine Handlung auszuführen, die
konkrete Umsetzung der Handlung aber scheitert. Die sozial-kognitive
3V\FKRORJLH�VSULFKW�GDQQ�YRQ�HLQHU�Ä,QWHQWLRQV-Verhaltens-/�FNH³�
�02+,<('',1,��%$8(5��������)8&+6��������6�������RGHU�YRQ�ÄLQWHQWLRQ-
behavior-JDS³��6HEERAN, 2002; BIDDLE, 2005). Kurz gesagt, es handelt sich
um ein bekanntes Phänomen, das jeder schon einmal erlebt hat.
Lücken wie Parklücken, Bildungslücken, Baulücken, Erkenntnislücken,
Finanzierungslücken, Erinnerungslücken, Zahnlücken oder Sicherheitslücken
zeugen von Auslassungen, Unvollständigkeiten oder Mängeln. Gleichzeitig
animieren die Lücken sie zu füllen. Trotz unzähliger Lücken fiel die Wahl auf die
Ä$OWHUVVSRUWO�FNH³��:DUXP�JHUDGH�VLH"�
Im Alter liegt die Zukunft der Gesellschaft. Nach Prognosen wachsen die
älteren Bevölkerungsgruppen zukünftig unverhältnismäßig stark und zwar nicht
nur in Deutschland, sondern auch in anderen Industrieländern und in allen übrigen
Nationen (DEUTSCHES STATISTISCHES BUNDESAMT, 2004; UNFPA,
1998). Bundesinnenminister Schäuble und Experten der Wirtschaftsförderung
fordern eine längere Erwerbstätigkeit für den Erhalt der sozialen
Sicherungssysteme (BILD, 22.11.2007). Altersforscher favorisieren zusätzlich ein
Lebensarbeitszeitkonto (VAUPEL & VON KISTOWSKI, 2007, S. 71-78).
Bewegung und Sport verlängert eine selbständige Lebensführung im Alter. Sie
entlastet damit langfristig die sozialen Versorgungssysteme (DENK & PACHE,
2003, S. 89f), unterstützt den Einzelnen im Alter vital, mobil und gesund zu
10
bleiben und steigert die gesamte Lebensqualität (SPIRDUSO, 2005, S. 257).
Investitionen in Sport belohnen.
Unglücklicher Weise sinkt gerade dann die Sportteilnahme, wenn die
Menschen am meisten von regelmäßiger körperlicher Aktivität profitieren
könnten, im Alter. (WEISSER & OKONEK, 2003, S. 145). Die Forscher der
Gesundheitsförderung (FUCHS, 2003; SCHLICHT & BRAND, 2007, S. 127) und
der Sportbindung (MARCUS, DUBBERT, FORSYTH, MCKENZIE, STONE,
DUNN & BLAIR, 2000; WING, 2000) vermuten, dass Defizite in der
Selbststeuerung eine kontinuierliche und regelmäßige Teilnahme verhindern. Die
Überprüfung der Vermutung ist Gegenstand der Magisterarbeit. Dazu werden
über 60-Jährige verglichen, die motiviert sind, aber Unterschiede in der
langfristigen Sportteilnahme zeigen. Herangezogen werden die Persönlichkeits-
System-Interaktionstheorie (KUHL, 2001) und das Persönlichkeitsmerkmal der
Handlungs- und Lageorientierung (KUHL, 1983, 1996, 2001; KUHL &
BECKMANN, 1994). Diese definieren Selbststeuerung als die Fähigkeit,
Entscheidungen zu treffen, eigene Ziele zu bilden und sie gegen innere und äußere
Widerstände umzusetzen (FRÖHLICH & KUHL, 2003).
Der Titel lautet: Zu den Selbststeuerungsunterschieden von langjährig
sportaktiven Älteren und Älteren, die sich bisher vergeblich um eine
dauerhafte Sportteilnahme bemüht haben.
Altern, Sportteilnahme und Selbststeuerung untergliedern die Magisterarbeit
thematisch. Die Lücke zwischen Altern und sportlicher Aktivität ergründet
Kapitel 2. Verortet wird die Lücke in den theoretischen Grundlagen zur
Selbststeuerung in Kapitel 3. Beschrieben wird die Untersuchung in Kapitel 4.
Kapitel 5 präsentiert die Ergebnisse zu den entwickelten Hypothesen, einzelnen
Merkmalen und Untergruppen. Kapitel 6 diskutiert die Ergebnisse hinsichtlich der
Methodik, des Alterssports, der Sportteilnahme und der Persönlichkeits-System-
Interaktionstheorie (KUHL, 2001). Den Abschluss bilden Zusammenfassung und
Ausblick in Kapitel 7.
Ziel der Magisterarbeit ist es zu klären, ob bestimmte Unterschiede in den
Selbststeuerungsstrategien und deren Ausprägung zumindest teilweise über eine
dauerhafte und regelmäßige Teilnahme im Alterssport entscheiden. Der Beitrag
dient einer präzisen Bestimmung wirkungsvoller Motivierungsmaßnahmen für
einen sportaktiven Lebensstil im Alter.
11
2 Altern und sportliche Aktivität Ä'DV�$OWHUQ�NDQQ�PDQ�QLFKW�DXI�PRUJHQ�YHUVFKLHEHQ��ZHLO�PDQ�GDQQ�noch älter ist. Deshalb sollte
PDQ�PLW�GHP�$OWHUQ�IU�K�JHQXJ�DQIDQJHQ��GDPLW�PDQ�)UHXGH�GDUDQ�KDW�³ (DIETER HILDEBRANDT, 2007, S. 10)
2.1 Altern
2.1.1 Primäres und sekundäres Altern
Es existieren viele Einteilungen und Theorien zum Alter und Altern. Zum
biologisch-medizinischen Bereich ist bei WEISSER & OKONEK (2003) und zum
psychologisch-sozialen Bereich ist bei LEHR (2003) ein guter Überblick zu
finden. Definiert wird Ä$OWHUQ³�QDFK�63,5'862��������XQG�5g7+,*��352+/�
��������+,/'(%5$1'7V�HUVWHU�6DW]�HQWVSULFKW�GHU�$XIIDVVXQJ�YRP�ÄSULPlUHQ³�
Altern als universelle Veränderungen einer Gattung, welche unabhängig von
Umwelt- und Krankheitseinflüssen stattfinden. Der Organismus altert seit der
Geburt. Wenn man schon altern muss, so HILDEBRANDT, dann wenigstens mit
Freude. Diese Art der positiven Beeinflussung des Lebensstils steht dem
ÄVHNXQGlUHQ³�$OWHUQ�QlKHU��'LH�$OWHUQVIRUVFKXQJ��EHU�GLH�/HEHQVVSDQQH�YHUVWHKW�
XQWHU�ÄVHNXQGlUHQ³�$OWHUQ��GDV�9HUKlOWQLV�YRQ�*HZLQQHQ�XQG�9HUOXVWHQ�EHL�
Altersprozessen (z.B. BALTES & BALTES, 1990; GRUSS, 2007; KUNZMANN,
2000; LINDENBERGER, 2002; STAUDINGER & GREVE, 2001;
STAUDINGER & SCHINDLER, 2002). Dass die Alterssportforschung dieser
Sichtweise IROJW��]HLJW�GHU�7LWHO�Ä3K\VLFDO�$FWLYLW\�DQG�6XFFHVVIXO�$JLQJ³�GHU�����
Internationale EGREPA-Konferenz letztes Jahr in Köln. Forschungen zu
körperlicher Aktivität und erfolgreichem Altern (übersetzter Konferenztitel)
befassen sich mit der positiven Beeinflussung von Alternsprozessen.
Entsprechende Interventionen versuchen den Verlauf des psychologischen Alterns
zu verändern (BALTES & DANISH, 1979), ein größeres psychophysisches
Wohlbefinden zu verschaffen (LEHR, 2003, S. 73) und mit Hilfestellungen
altersdienliche Kompetenzen zu fördern und aufrechtzuerhalten (KRUSE, 1991).
2.1.2 Das Alter
Die Geschichtsepoche, die Kultur, die Forschungsdisziplin, die Sportaktivität oder
das eigene Lebensalter prägen Definitionen des Alters. Alter ist eher ein
soziologisches Konstrukt als ein biologischer Zustand (KENT & ROST, 1996).
Der bekannteste Altersbeginn wird mit dem Übergang in den Ruhestand
12
eingeläutet. Diese Auffassung entwickelte sich aufgrund der Einführung der
bismarckschen Altersrente zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Damals lag die
durchschnittliche Lebenserwartung für Männer bei 45 Jahren und für Frauen bei
48 Jahren (STATISTISCHEN BUNDESAMT, 2004). Um 20 Jahre musste ein
Mann die durchschnittliche Lebenserwartung übertreffen, damit er mit 65 Jahren
in den Genuss des Ruhegeldes kam. Heutzutage begänne der Ruhestand mit 95
bzw. 101 Jahren, wenn zu den erhofften 75 Jahren für Männer und 81 Jahren für
Frauen ebenfalls 20 Jahre addiert würden. Dieses Zahlenspiel verdeutlicht, warum
das Alter lange Zeit mit Rückzug und körperlichen Zerfall gleichgesetzt wurde.
Wir verdanken es wahrscheinlich einer besseren medizinischen Versorgung und
günstigeren Ernährungsbedingungen (VAUPEL, CAREY & CHRISTENSEN,
2003 zit. n. VAUPEL & VON KISTOWSKI, 2007, S. 64), dass sich der Eintritt in
den Ruhestand inzwischen vom Altersfrust zum Altersgenuss wandelte. Ä'LH�
heutigen 70-Jährigen beispielsweise sind genauso fit, geistig und körperlich, wie
etwa die 65-Jährigen vor 30 Jahren oder vielleicht sogar auch wie die 60-
-lKULJHQ³��%$/7(S, 2007, S. 17). Altersmäßige Einschränkungen fallen
vorwiegend in das Ä4. $OWHU³�(über 80-Jährige). Diese Alterskategorien verwendet
die Entwicklungspsychologie über die Lebensspanne. Die Altersgruppe der 60-
bis 80-Jährigen reserviert I�U�VLFK�GDV�Ä3. Alter³ oder ÄMXQJH�$OWH³��*5866��
2007, S. 10).
2.1.3 Gesunde Lebensjahre
Wer durch eine bessere medizinische Versorgung länger lebt, ist aber nicht
gleichzeitig gesünder. Mit steigender Lebenserwartung erhöht sich die Zahl von
pflegebedürftigen Menschen (BUNDESMINISTERIUM FÜR FAMILIE,
SENIOREN, FRAUEN UND JUGEND, 2001, S. 159; DENK & PACHE, 2003,
S. 50). Jeder dritte Hochaltrige ist pflege- und hilfebedürftig (GARMS-
HOMOLOVA & HÜTTERER, 1983; HÄFNER, 1986 zit. n. OPASCHOWSKI,
1998, S. 25). Um Kompetenzen für ein höheres Alter zu sichern, sollten
präventive Maßnahmen die kurative Versorgung ergänzen (DENK & PACHE,
2003, S. 51). Das 3DUDGLJPD�Ä.RPSUHVVLRQ�GHU�0RUELGLWlW³ von FRIES (2000)
leitet sich aus der Erkenntnis ab, dass beispielsweise über Sportaktivität die
JHVXQGHQ�/HEHQVMDKUH��Ä+HDOWK\�/LIH�<HDUV³) verlängern und die
Krankheitsphasen vor dem Tod hinauszögern oder verkürzen lassen. Deutsche
13
verbringen durchschnittlich 65 gesunde Lebensjahre. Gemessen an der
Lebenserwartung, stehen Senioren elf morbide (= kränkliche) Jahre und
Seniorinnen 15 morbide Jahre bevor (EUROSTAT, 2003). Bei Rauchen,
Übergewicht und körperlicher Inaktivität vervielfachen sich die morbiden Jahre
(FRIES, 2003, S. 457, zit. n. MECHLING, 2005). Trainieren Demenzerkrankte
und Hochbetagte regelmäßig und abwechslungsreich, dann wandern die
sportlichen Gewinne auch in Alters- und Pflegeheime (Ä)LW�I�U����³- Projekt,
DEUTSCHE SPORTHOCHSCHULE KÖLN, 2007). Kalenderjahre sind im
Alterssport kein Maßstab mehr (MECHLING & BRINKMANN-HURTIG, 2007).
Diese Erkenntnis teilen auch OSTER, PFISTERER, SCHULER & HAUER
(2005). Außer dem Ratschlag einer gesunden Lebensweise gibt es kein spezielles
Lebenselixier (VAUPEL & VON KISTOWSKI, 2007, S. 62).
2.1.4 Individualisierung
Wie rüstig der Einzelne im hohen Alter dasteht, beruht auf einem bunten
Spektrum von Faktoren und einem sehr komplizierten Wechselspiel (LEHR,
2003, S. 72f). Einfache Vergleiche greifen bei älteren Generationen zu kurz. Dies
veranschaulicht je ein Beispiel aus Biophysiologie, Soziologie und Gerontologie.
Ä$XV�6LFKW�GHV�ELRORJLVFK-physiologischen Alterns wird davon ausgegangen, dass nicht der Körper oder der Mensch als Ganzes altert, sondern die höchst differenziert zu betrachtenden, ganzheitlich zu beobachtenden Altersphänomene die Folge zeitlich und dynamisch unterschiedlich verlaufender Alternsvorgänge in den N|USHUOLFKHQ�6\VWHPHQ�GDUVWHOOHQ³��0(&+/,1*��������
Der Zukunftsforscher OPASCHOWSKI (1998) befragte repräsentativ Senioren
wie sie ihren Ruhestand gestalten. Die Tätigkeitsformen reichten von einem
frühzeitigen Ruhestand, über Weiterarbeiten, Teilzeitarbeit bis zu einer neuen
Karriere als Selbständige. Epidemiologische und demografische Studien mit
Hundertjährigen zeigen zudem, dass diese sehr unterschiedliche Herkünfte,
Lebensentwürfe, Lebensweisen, Arbeitsbelastungen und Essensvorlieben
aufweisen (VAUPEL & VON KISTOWSKI, 2007, S. 62).
Faktoren wie die Persönlichkeit und körperliche Aktivität und Sport, die
im Mittelpunkt dieser Magisterarbeit stehen, tragen auch mit zu einer hohen
Individualisierung bei.
14
2.2 Sportliche Aktivität und Inaktivität
2.2.1 Gegenwärtige Situation des Sportengagements im Alter
Doch wie viele Ältere sind nach repräsentativen Umfragen wirklich sportlich
aktiv? Laut dem DEUTSCHEN INSTITUT FÜR WIRTSCHAFTSFORSCHUNG
(2001) sind nur etwa 10-20% der über 60-Jährigen jede Woche sportlich aktiv
(siehe Abb. 1). Der Anteil der Personen, die Sporttreiben nimmt mit dem Alter
dramatisch ab, während der Anteil der Personen, die überhaupt keinen Sport
treiben wiederum drastisch bis auf etwa 75% bei den 70-bis 79-Jährigen ansteigt
(MENSINK, 2002, S. 38). Grafiken verdeutlichen separat für Frauen und Männer
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wöchentlicher Sportteilnahme, die graue der kompletten Inaktivität.
Abb. 1 Sportengagement nach Geschlecht und Altersgruppen für 1998 nach Daten des DEUTSCHEN INSTITUT FÜR WIRTSCHAFTSFORSCHUNG (2001, zit. n. DENK & PACHE, 2003, S. 69).
Seit dem letzten Jahrhundert führten eine höhere Lebenserwartung, ein
vorgezogener Ruhestand und eine Abnahme der Wochenarbeitszeit sowie eine
Zunahme der freien Arbeitstage zu mehr Lebensfreizeit (OPASCHOWSKI, 1998,
S. 26). Durch mehr Freizeit ist es heute einfacher einen individuellen Lebensstil
zu pflegen und eine gesunde Lebensführung zu entwickeln. Zu einem sportaktiven
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