Vorschau auf die ICD-11 - suchthilfe.de · Vorschau auf die ICD-11 –Was verändert sich...
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Vorschau auf die ICD-11
– Was verändert sich gegenüber der ICD-10 und dem DSM-5?
Prof. Dr. em. Rolf-Dieter Stieglitz(ehemals Fakultät für Psychologie, Abt. Klinische Psychologie und Psychiatrie)
Berlin, den 20.3.2019
Gliederung
• Einleitung
• Funktion von Klassifikationssystemen
• Entwicklung von Klassifikationssystemen
• Entwicklung von DSM-5
• Entwicklung der ICD-11
• Fazit und Perspektiven
Aktuelle Klassifikationssysteme
• International Classification of Diseases, Tenth Revision (ICD-10)– international (World Health Organisation, WHO), verpflichtend für
Mitgliedsländer
– dominierend Praxis
• Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, FifthEdition (DSM-5)– ursprünglich national (American Psychiatric Association, APA), jedoch
weite internationale Verbreitung und Akzeptanz
– dominierend Forschung
Gliederung
• Einleitung
• Funktion von Klassifikationssystemen
• Entwicklung von Klassifikationssystemen
• Entwicklung von DSM-5
• Entwicklung der ICD-11
• Fazit und Perspektiven
Klassifikationssysteme:Relevanz für Praxis
• Vereinfachung des Denkens und dadurch Reduktion der Komplexität klinischer Phänomene (Ordnung und Struktur)
• Verbesserung der Kommunikation zwischen Klinikern
• Grundlage der klinisch-psychiatrischen Ausbildung
• (erste) Hinweise für Behandlung (z.B. differentielle Therapieentscheidungen)
• Dokumentation von Patienten psychiatrischer Versorgungseinrichtungen sowie Bedarfsplanung für psychiatrische Versorgungseinrichtungen
• Nichterkennen / Fehldiagnostik führt zu teureren und komplizierteren Krankheitsverläufen
Klassifikationssysteme:Relevanz für Forschung
• Deskription von Störungsgruppen in empirischen Studien
• Verbesserung der Kommunikation von Forschungsergebnissen
• Grundlage empirischer Studien zur Entwicklung und Evaluation therapeutischer Interventionen
• Grundlage von empirischen Studien zur Pathophysiologie und Ätiologie
• Fallidentifikation in epidemiologischen Studien
• Voraussetzungen für Metaanalysen und Behandlungsleitlinien (allgemein: Störung X, die mit Methode y behandelt wurde)
Gliederung
• Einleitung
• Funktion von Klassifikationssystemen
• Entwicklung von Klassifikationssystemen
• Entwicklung von DSM-5
• Entwicklung der ICD-11
• Fazit und Perspektiven
Entwicklung Klassifikationssysteme
Psychiatrische Klassifikationssysteme keine statischen Konstrukte, in stetigem Wandel
_______________________________________________________________________________________________
Jahr System Anmerkungen_______________________________________________________________________________________________
1972 SLK St. Louis Kriterien1975 RDC Research Diagnostic Criteria1980 DSM-III erste offizielle Operationalisierung psychiatrischer Störungen,
multiaxiale Klassifikation; Feldstudien vor Einführung1987 DSM-III-R offizielle Einführung des Komorbiditätsprinzips1992 ICD-10 klinisch-diagnostische Leitlinien (deutsch)1994 ICD-10 Forschungskriterien (deutsch)
DSM-IV2013 DSM-5 englisch (deutsch: 2014)2018 ICD-11 erster Entwurf, offiziell vermutlich 2022_______________________________________________________________________________________________
ICD: International Classification of Diseases der Weltgesundheitsorganisation (WHO)DSM: Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders der American Psychiatric Association (APA)
Frage
• Warum brauchen wir überhaupt Klassifikationssysteme, wie wir sie jetzt haben?
Ein Beispiel
Fall: Beziehungswahn bei Verstimmung nach einer Entlobung bei einer Frau mit Struma
• Göttingen beginnende Schizophrenie
• Tübingen sensitiver Beziehungswahn bei schizoider Konstitution und Basedowoid
• Heidelberg Untergrunddepression
• Ost-Berlin affektvolle Paraphrenie
• Zürich endokrine Psychose bei Schilddrüsenerkrankung
• Bonn endoreaktiven Dysthymie
• Hamburg cyclothyme Depression
• Frankfurt Gestörte Daseinsordnung als Form des Scheiterns des Lebensweges
Babylonische Verwirrung der Diagnosen
Klaus Conrad (1959)
Gliederung
• Einleitung
• Funktion von Klassifikationssystemen
• Entwicklung von Klassifikationssystemen
• Entwicklung von DSM-5
• Entwicklung der ICD-11
• Fazit und Perspektiven
DSM-5
• seit Mai 2013 offiziell, jahrelanger Vorlauf
• Reihe von Änderungen
• besonders auffällig: DSM-5 statt DSM-V
– Gründe?
– offen für Revisionen vor DSM-6, d.h. DSM-5.1 etc.
DSM: Versionen
Jahr Version Umfang Störungen
1952 DSM-I 130 Seiten 106
1968 DSM-II 134 Seiten 182
1980 DSM-III 494 Seiten 265
1987 DSM-III-R 567 Seiten 292
1994 DSM-IV 886 Seiten 297
2000 DSM-IV-TR 950 Seiten Unverändert
2013 DSM-5 947 Seiten 312
DSM-5: Ausgangspunkt der Entwicklung/Prinzipien Ergebnis
• Einbeziehung der Ergebnisse der Neurobiologie bisher nicht aus-
reichend, zu unspezifisch
• Dimensionalität kategorial geblieben
– Formale Schweregradratings nur im Anhang
DSM-5: wichtigsten Änderungen
• Strukturelle Änderungen
– Neuorganisation der Kapitel
– Eliminierung des im DSM-III eingeführten multiaxialen Systems (!), speziell relevant Achse II «Persönlichkeitsstörungen»
Aufgabe des Multiaxialen Systems
Achse 1:Klinische Syndrome
Achse 2:Persönlichkeitsstörungen
Geistige Behinderung
Achse 3:Medizinische
Krankheitsfaktoren
Teil II:Diagnostische Kriterien
und Codierungen
DSM-IV DSM-5
DSM-5: wichtigsten Änderungen
• Konzeptuelle Änderungen (Beispiele)– Eliminierung einzelner Abschnitte: Anpassungsstörungen, Artifizielle
Störungen– grundlegende Änderungen (z.B. Suchtbereich)– Autismus-Spektrumsstörung mit Asperger-Syndrom– Demenz als neurokognitive Störung differenziert nach Schweregrad– Anhang: Keine Entscheidungsbäume mehr
• konkrete inhaltliche Änderungen (Beispiele)– Kriterien einzelner Kategorien ausgeweitet (z.B. ADHS auch für Erw.)– Eliminierung einzelner Kriterien (z.B. Trauerkriterium der MDD)– neue Kategorien (z.B. «Intermittierende Explosible Störung» bei
Kindern)
DSM-5: Aufbau
Teil I Grundlegende Informationen zum DSM-5
Einleitung
Gebrauch des Manuals
Warnhinweise für den forensischen Gebrauch des DSM-5
Teil II Diagnostische Kriterien und Codierungen
24 Abschnitte
Teil III In Entwicklung befindliche Instrumente und Modelle
Erhebungsinstrumente
Kulturell gebundenen Ausdrucksformen («Cultural formulations»)
Das alternative DSM-5 Modell für Persönlichkeitsstörungen
Klinische Erscheinungsbilder mit weiterem Forschungsbedarf
DSM-5: Aufbau
Appendix Wichtige Änderungen von DSM-IV zu DSM-5
Glossar der Fachbegriffe
Glossar kulturell gebundener Leidenskonzepte
Alphabethische Liste der DSM-5-Diagnosen und Codes (ICD-9-CM und ICD-10-CM)
Numerische Liste der DSM-5-Diagnosen (ICD-9-CM)
Numerische Liste der DSM-5-Diagnosen (ICD-10-CM)
Alternative ICD-10-Codierungen für einzelne Störungsbilder
DSM-5 Advisors and Other Contributors
Mitwirkende an der deutschen Ausgabe
Section II: Diagnostische Kriterien und Kodierungen24 Kapitel (Auszug)
DSM-5 DSM-IV
Störungen der neuronalen und mentalen Entwicklung Störungen im Kleinkindalter, in der Kindheit oder Adoleszenz
Schizophrenie-Spektrum und andere psychotische Störung
Schizophrenie und andere psychotische Störungen
Bipolare und verwandte Störungen Neu: vorher in Affektive Störungen
Depressive Störungen Neu: vorher in Affektive Störungen
Angststörungen Angststörungen (Neu: ohne Zwang, PTSD)
Zwangsstörungen und verwandte Störungen Neu: vorher in Angststörungen
Trauma- und belastungsgezogene Störungen Neu: vorher in Angststörungen
Dissoziative Störungen Dissoziative Störungen
Somatische Belastungsstörungen und verwandte Störungen
Somatoforme Störungen
Fütter- und Essstörungen Essstörungen
Ausscheidungsstörungen Neu: vorher in Störungen im Kleinkindalter, in der Kindheit oder Adoleszenz
Schlaf-Wach-Störungen Neu: vorher in Schlafstörungen
Neugruppierung von Kategorien: Beispiel Angststörung
DSM-IV DSM-5
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Spezifische Phobie
Panikstörung
Agoraphobie
Zwangsstörung
Generalisierte Angststörung
Soziale Phobie
Posttraumatische Belastungsstörung
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DSM-5: Depressive StörungenDSM-IV: in Affektive Störungen
• MD unverändert, ausser Wegfall Kriterium «Trauerreaktion»
• neue Bezeichnung: Dysthymie jetzt «Persistierende depressive Störung»
• keine «mixed-anxiety depression» (DSM-IV Anhang), da unreliabel
• neu: Definition für «Mit gemischten Merkmalen»• Schweregradbeurteilungen möglich («Specifier«: Anzahl
Kriterien)• neu: «Prämenstruelle Dysphorische Störung» (aus
Appendix DSM-IV)• neu: «Disruptive Affektregulationsstörung» (Kinder 6 – 18
Jahren)
DSM-5: Störungen im Zusammenhang mit psychotropen Substanzen und abhängigen Verhaltensweisen
DSM-IV: Störungen im Zusammenhang mit psychotropen Substanzen
• viele Änderungen• gutes Beispiel für Problem der Abgrenzung «Störungen durch Substanzkonsum»
und «Substanzinduzierte Störungen» ( in spezifischen Kapiteln)• neu: jetzt auch Verhalten hier abgebildet und nicht nur Substanzen
(«Glückspielen» jetzt hier; nicht jedoch «Störung durch Spielen von Internetspielen» Anhang)
• keine Trennung mehr zwischen «Missbrauch» und «Abhängigkeit» (!!!)• «Störungen durch Substanzkonsum»
– maladaptives Muster mindestens 12 Monate– 2 von 11 Kriterien (!!!)– neues Kriterium «craving»– Eliminierung Kriterium «Probleme mit dem Gesetz»– Schweregraduierung anhand Anzahl Kriterien (≥ 6: «schwer»)
• Kriterien für alle Substanzen gleich(!)• neu: Kategorien «Cannabisentzug» und «Koffeinentzug»• abgeschafft «körperlicher Abhängigkeit», «Polytoxikomanie»• neue «Specifier»: «in geschützter Umgebung», «in Erhaltungstherapie»
DSM-5: PersönlichkeitsstörungenDSM-IV: Persönlichkeitsstörungen
• ursprünglich die grössten Änderungen geplant, vor allem dimensionale Betrachtung, aber alle abgelehnt (Gründe u.a. geringe empirische Basis, nicht praktikabel)!!!
• jedoch im Appendix neue Vorschläge
• Eliminierung Achse II– nicht bewährt
– nicht chronischer als Achse-I Störungen (!)
– USA: Ablehnung Behandlungskosten für Achse-II
DSM-5: Instrumente
DSM-5: Instrumente
DSM-5: Instrumente
DSM-5: Instrumente
Gliederung
• Einleitung
• Funktion von Klassifikationssystemen
• Entwicklung von Klassifikationssystemen
• Entwicklung von DSM-5
• Entwicklung der ICD-11
• Fazit und Perspektiven
aktuell ICD-10
• ICD-10: International Classification ofDiseases, 10. Revision (seit 1992)
• Offizielles Klassifikationssystem der World Health Organisation (WHO)
Grundlegende Neuerungen ICD-9 versus ICD-10
• Operationalisierte Diagnostik
• Offenes System (neu alphanumerische System: Fxx.xx)
• unterschiedliche Anwendungsmöglichkeiten (u.a. Praxis, Forschung)
• Ergänzungstexte und Instrumente (u.a. Lexikon, Fallgeschichten)
• Konzeptuelle Neuerungen (u.a. Aufgabe Begriffe wie Neurose)
Entwicklung ICD-11
• Zeitplan: ursprünglich 2011 (aktuell 2022)– wichtig: erste Revision seit über 20 Jahre (sonst alle 10 Jahre!)– Aktueller Stand: Homepage WHO oder gleich:
http://apps.who.int/classifications/icd11/browse/f/en
• relevant– mittlerweile 193 Mitgliedsländer der WHO (ICD-10: 52)– gesamt ICD-10, d.h. auch andere Disziplinen (!!)– auch andere Bereiche ausserhalb der Psychiatrie zu beachten: u.a.
• Medizin allgemein (z.B. Hausarztbereich)• andere wie Gesundheitspolitik, Krankenkassen, Rechtsprechung
– Advisory Group (u.a. Experten aus allen WHO-Regionen, Vertreter von Fachgesellschaften) sowie u.a. «DSM-ICD Harmonisation CoordinatoryGroup»
Ziele
• Applicability - feasibilityeasy to use
• Reliability - consistency gives same resultsin the hands of all
• Utility - added value renders usefulinformation
• ICD-11 - 11. Revision der ICD der WHODie ICD dient weltweit zur Verschlüsselung von Diagnosen. Die derzeit gültige Revision ist die ICD-10. An der Pflege und Weiterentwicklung dieser und anderer Klassifikationen der WHO beteiligt sich als WHO-Kooperationszentrum auch das DIMDI. Parallel zur Weiterentwicklung der ICD-10 der WHO wird an einer grundlegenden 11. Revision gearbeitet. Die ICD-11 soll 2018 von der WHO verabschiedet werden.
• Transparenter Revisionsprozess• Die WHO hat auf ihrer Website eine Onlinefassung zur ICD-11 Beta Draft veröffentlicht,
die täglich aktualisiert wird. Dort können Sie Ihre Anmerkungen und Vorschläge direkt eingeben.
• Allgemeine Informationen im Zusammenhang mit der ICD-11 finden Sie ebenfalls auf den Webseiten der WHO.
• Seit Ende 2015 informiert die WHO zusätzlich durch einen auf der Website publizierten Newsletter über den aktuellen Stand der Revisionsarbeiten.
• ICD-11 bei der WHO• ICD-11 Beta Draft Online zum Browsen und Kommentieren bei der WHO
Entwicklungsprozess
• Reihe von Symposien im Rahmen von Kongressen etc.
• Aktive Beteiligung und Einbeziehung potentieller Nutzer
– Kommentare zu vorhandene Entwürfen
– Beantwortung von Fragen zu Entwürfen
– Vorschläge zu Ergänzungen und Veränderungen
Vergleich ICD-10 versus ICD-11
• Operationalisierte Diagnostik
• Offenes System (alphanumerische System) nein
• unterschiedliche Anwendungsmöglichkeiten
(u.a. Praxis, Forschung)
• Ergänzungstexte und Instrumente ?(u.a. Lexikon, Fallgeschichten)
• Konzeptuelle Neuerungen
Neuerungen
• Neue Gesamtstruktur und Neugliederung des Kapitels zu den psychischen Störungen
• Neustrukturierung der Darstellung einzelner Störungsgruppen
• Revision bei einzelnen Störungen
Neustrukturierung Kapitel psychische Störungen
• Aufgabe der bisherigen Struktur
– Kapitel V (F) Kapitel 6
– Fxx.x 6A, 6B usw.
• Beispiel:
– F20 Schizophrenie 6A20
– F32.x depr. Episode 6A70, 6A71
– F41.1 General. Angstst. 6B00
ICD-11: Struktur «Mortality and Morbidity Statistics»(Auszug)
Kapitel Bezeichnung
01 Certain infectious or parasitic diseases
06 Mental, behavioural or neurodevelopmental diseases
07 Sleep-wake disorders
08 Diseases of the nervous system
V Supplementary section for functioning assessment
ICD-11: 06 «Mental, behavioural orneurodevelopmental diseases» (Auszug)
Code Bezeichnung
6A20 ff Schizophrenia or other primary psychotic disorders
6A60 ff6A70 ff
Mood Disorders, u.a.• Bipolar and related disorders• Depressive disorders
6B00 ff Anxiety or fear related disorders
6B20 ff Obssessive-compulsive or related disorders
6B40 ff Disorders specifically associated with stress
6C20 ff Disorders of bodily stress or bodily experience
6D10 f Personality disorders and related traits
ICD-11: Beispiel
Struktur «Klinische Beschreibungen und Diagnostische Leitlinien»
ähnlich DSM-5
Beispiel PTSD: Definition and essential Features
Beispiel PTSD: Boundaries with normality andwith other conditions
Beispiel PTSD: Course and Associated features
Studien zur Einführung der ICD-11
ICD-11 Internet-Based Field Studies Beginning Next Week (2.5.2013)
Dear Colleague,
You are receiving this message because you have registered as a member of the World Health Organization’s (WHO) Global Clinical Practice Network (GCPN). After several months of building the GCPN to include over 3,500 mental health professionals (and counting), we are now ready to begin our first study! The Internet-Based Field Study for Disorders Specifically Associated with Stress will begin within the next week. As a member of the GCPN, you may be asked to participate. In order to prepare for this study and other future studies, please take note of the following information.
Reed et al. (2018), World Psychiatry, 17, 174-186
alle ≥ .45 («moderate»; einige «almost perfect», ≥ .81; Landis & Koch, 1977)
• 13 Länder mit 28 Zentren• 4 Sprachen• 339 Kliniker• Joint-Interview• 1806 Patienten
Reed et al. (2018), World Psychiatry, 17, 174-186
Übergreifende EinschätzungenV Supplementary section for functioning assessmentDescription
The section allows for creating functioning profiles and overall functioning scores ofindividuals, which are suitable to describe and quantify the level of functioningassociated with a health conditions. To guide functioning assessment, the sectionincludes two ICF-based instruments developed by WHO: • WHO Disability Assessment Schedule (WHODAS 2.0 36-item version), and• Model Disability Survey (MDS). The section is complemented by a generic set of functioning categories of high explanatory power derived from the ICF Annex 9.
DSM-5 versus ICD-11 (Beispiele)
DSM-5 ICD-11
Störungen der neuronalen und mentalen Entwicklung Neurodevelopmetal disorders
Schizophrenie-Spektrum und andere psychotische Störung
Schizophrenia and or other primary psychoticdisorders
Bipolare und verwandte Störungen Mood disorders
Depressive Störungen Mood disorders
Angststörungen Anxiety or fear-related disorders
Zwangsstörungen und verwandte Störungen Obssessive-compulsive or related disorders
Trauma- und belastungsgezogene Störungen Disorders specifically associated with stress
Dissoziative Störungen Dissoziative Disorders
Somatische Belastungsstörungen und verwandte Störungen
Disorders of bodily stress or bodily experience
Fütter- und Essstörungen Feeding or eating disorders
Störungen im Zusammenhang mit psychotropen Substanzen und abhängigen Verhaltensweisen
Disorders due to substance use or addictive
Persönlichkeitsstörungen Personality disorders and related traits
Planung ICD-11: Persönlichkeitsstörungen
Stieglitz & Freyberger (2018)
Ausmass sozialer Funktionsbeeinträchtigungen und Selbst- und Fremdgefährdung
Optional
Ähnlich DSM-5 (Anhang)
Vorgehen:
1. SchrittPrüfung der allgemeinen Kriterien
2. SchrittBestimmung Schweregrad (incl. «subthresholddegree of disorder»: Art Z-Kodierung in ICD-10; Z73.1 akzentuierte Persönlichkeitszüge)
Vorgehen:
3. SchrittSpezifizierung mittels sog «trait domains»
Aktueller Stand Revision
• Aktueller Stand: Homepage WHO oder gleich:http://apps.who.int/classifications/icd11/browse/f/en
• In der wissenschaftlichen Literatur PubMed (18.3.2019)• Stichwort «ICD-11 and psychiatry»
• 2364 Arbeiten, davon u.a.– 997 (= 42%) Affektive Störungen
– 670 (= 28%) Schizophrenie
– 488 (= 21%) Störungen durch Substanzen
– 308 (= 13%) PTSD
– 228 (= 10%) Anpassungsstörungen
The International Classification of Diseases
11th Revision is due by 2015
Participate in the ICD Revision
Beta phase participants will have the opportunity to:
• Make Comments
• Make Proposals
• Propose definitions of diseases in a structured way• Participate in Field Trials
• Assist in translating ICD into other languages
ICD-11: Zeitplan
• Verabschiedung am 18. Juni 2018 (vorläufige Version)
• Testung etc. bis 2019
• 2019 definitive Verabschiedung durch Mitgliederversammlung der WHO
• Inkraftsetzung 1. Januar 2022
Gliederung
• Einleitung
• Funktion von Klassifikationssystemen
• Entwicklung von Klassifikationssystemen
• Entwicklung von DSM-5
• Entwicklung der ICD-11
• Fazit und Perspektiven
Psychiatrische Diagnosen:Abstraktion und Informationsverlust
Informationsmenge
Abstraktionsgrad nimmt zu, Informationsmenge nimmt ab
Individuum in seiner Ganzheit, in allen Lebensbereichen
Symptomebene Syndromebene Diagnose
Vor- und Nachteile des DSM-5 nach Frances (2016)1)
Vorteile Nachteile
klinisch Verbesserung der Kommunikation und Reliabilität
Praktiker mit diagnostischen Kriterien oft wenig vertraut, stellen oft weiter idiosynkratrische Diagnosen
Ausbildung Gutes Trainingsmittel Komplexität des Patienten geht verloren
Forschung Hohe Reliabilität Störungen heterogen
Epidemiologie Statistiken über Verteilung psychischer Störungen
Überschätzung der Raten (Grenzen gesund/krank unklar)
1) gilt für ICD-10/ICD-11 ebenfalls
Die neue psychiatrische Diagnostik nach DSM-5Fortschritte oder Gefahr?
• Fortschritte?– schwer erkennbar– kein Paradigmenwechsel wie ursprünglich geplant
• Gefahr?– Validität der Störungsgruppen generell unverändert fraglich
(hier: kein Source-Book geplant!), speziell neu eingeführter Gruppen
– Reliabilitätskriterien durchaus fraglich (Kraemer et al., 2012: «a realistic goal is k1 between 0.4 and 0.6, while k1 between 0.2 and 0.4 would be acceptable»)
– sehr unter Zeitdruck entstanden, daher kaum Feldstudien– zu schnell publiziert (Paris, 2013, p. 31: «DSM-5 worked on
another principle: ready or not, here we come»)
Die neue psychiatrische Diagnostik nach DSM-5Fortschritte oder Gefahr?
Allen Frances (2012)
DSM-5 Is a Guide, Not a Bible: Simply Ignore Its 10 Worst Changes
DSM-5: A Manual Run Amok
It's time for psychiatry to drop its field guide and try to learn about mental ills
The Wall Street Journal (17.5.2013)
Die neue psychiatrische Diagnostik nach DSM-5Fortschritte oder Gefahr?
DSM-5 Could Categorize 40% of College Students as Alcoholics
(TIME, 14.5. 2012)
Gefahr Inflation????
Die neue psychiatrische Diagnostik nach DSM-5Fortschritte oder Gefahr?
10.5.2013
Die neue psychiatrische Diagnostik nach DSM-5Fortschritte oder Gefahr?
• eine weitere Gefahr: zunehmende Kommerzialisierung der Klassifikationssysteme– Ehret & Berking (2013, S. 266): extrem rigide
Handhabung des Copyrights«Nach Auskunft der APA ist es nicht gestattet, von Inhalten des DSM-5 mehr als eine Zeile wörtlich zu zitieren, ohne dafür der APA eine kostenpflichtige Zustimmung einzuholen»
– Folgen: Vorträge, Lehrbücher, Untersuchungs-verfahren, Vorlesungen etc.
Die neue psychiatrische Diagnostik nach DSM-5Fortschritte oder Gefahr?
• eine weitere Gefahr: zunehmende Kommerzialisierung der Klassifikationssysteme
– Hiller et al. (1995): Internationale Diagnosen Checkliste für DSM-IV/ICD-10
– Adaptation an DSM-5 von APA
verboten!!
Brauchen wir DSM-5 im deutschsprachigen Raum, in der Praxis?
• eher nein
– keine hinreichende empirische Basis, die eine Revision (mit Folgen) rechtfertigt
– WHO verpflichtet (wie USA!)
– aktuell ICD-10 etabliert, vertraut
– geringe «clinical utility»
Die neue psychiatrische Diagnostik nach ICD-11Fortschritte oder Gefahr?
• Fortschritte?
– ????????
• Gefahr?
– Übernahme von DSM-5
– ?????
Fazit und Perspektiven
wichtig sich klarzumachen:
Diagnose suggeriert: «Wahrheiten», «natürliche» Einheiten
Diagnosen letztlich immer noch Konventionen
Fazit und Perspektiven
«Eine Klassifikation muss so einfach und verständlich sein, dass sie ohne Schwierigkeit allen, die mit den üblichen psychischen Erkrankungen zu tun haben, verständlich ist»
(Stroemgren, 1994; S. 13)
Fazit und Perspektiven
ICD-10 – DSM-5 – ICD-11
• Übergangszeit bis 2022: ICD-10 und DSM-5
• danach: ICD-11 und DSM-5
Literatur
• APA (2013).Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders. Fifth Edition. DSM-5. New York: APA.
• Frances, A. (2013). Normal. Gegen die Inflation psychiatrischer Diagnosen. Köln: Dumont.
Literatur
• Ehret, A.M. & Berking, M. (2013). DSM-IV und DSM-5: Was hat sich verändert? Verhaltenstherapie, 23, 258-266.
• Paris, J. (2013). The intelligent clinician’s guide to the DSM-5. Oxford: University Press.
• Stieglitz, R.-D. & Hiller, W. (2013). Definition und Erfassung psychischer Störungen. Psychotherapeut, 58, 237-248.
• Stieglitz, R.-D. & Jäger, M. (2019). Status und Zukunft psychiatrischer Klassifikationssysteme. Verhaltenstherapie (im Druck)
• Whitaker, R. (2010). Anatomy of an epidemic. New York: Broadway Paperbacks.
Bielefeld: Transcript, 2012
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