Von Mäusen und Magyaren
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Von Musen und Magyaren
ein Panoptikum
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To travel hopefully is a better thing than to arrive. (Robert Louis Stevenson)
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Komplementrchamleon
Seht Ihr, erklrte meine ungarische Biologielehrerin
Zsuzsanna Ferencz, setzt man das Tier auf grnes Tuch,
frbt es sich rot. Sieht das niedliche Ungeheuer ein rotes
Tuch, luft es vor Schreck grn an. In der lateinischer
Nomenklatur Chamaeleo Daud kompl. Ferencz, nach mir
benannt, weil ich seine hervorstechenden Eigenschaften zum
ersten Mal beschreiben habe.
Solange ich in Deutschland lebte, lobte man meine
hervorragenden Deutschkenntnisse. Meine akzentfreie
Aussprache und dergleichen. Wenn ich verwundert fragte,
welchen Akzent ich denn in meiner Muttersprache haben
solle, erwiderte man erbost, ich sei doch Ungar.
Nach dem Umzug in meine angebliche Urheimat Ungarn
entdecke ich mehr und mehr deutsche Eigenschaften an mir.
Als setze man ein Chamleon auf die Landkarte Ungarns,
formen sich Pickelhauben auf meiner Haut, wenn ich mich
rgere. Der Rhein am Deutschen Eck.
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Verrter
Die Ungarn lieben ihre Heimat abgttisch. Vor ber zwanzig
Jahren hatte ich erklrt, dass ich gern in Ungarn leben
mchte. Seitdem wurde bei jedem Besuch mit sffisantem
Lcheln, gefragt, ob es denn bald so weit sei. Keiner nahm
mich ernst. Mitunter nahm ich mich selbst nicht mehr ernst.
Ungarn lieben ihre Heimat auerordentlich. Ich bin stolz auf
mein Vaterland, schrieb die einzige ungarische Bekannte, die
ich in meine Umzugsplne eingeweiht hatte. Den sffisanten
Lchlern sagte ich kein Sterbenswrtchen. Sollten sie vor
berraschung die Muler aufsperren wie Fische auf dem
Trockenen. Das sffisante Lcheln sollte ihnen eine Weile
vergehen. Mein Land ist doch eher dafr bekannt, dass es
Menschen exportiert, schrieb die Bekannte zurck.
Patriotengeschwtz: Vaterlandsliebe, das schnste Land der
Welt, aber wer sich hier freiwillig niederlsst, kann nicht alle
Tassen im Schrank haben.
Milos nannte mich spttisch einen Heimatverrter. So hatte
man die geschimpft, die nach 68 die Tschechoslowakei
verlassen hatten.
Klingt schlimmer als Vaterlandsverrter.
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Bakelit
Da haben Sie ja eine Menge Bakelit, staunte der Zllner
und begutachtete meine Schallplattensammlung.
Ganz schne Schlepperei, klagte ich, dritter Stock, ohne
Aufzug.
Aber das sind noch die richtigen Scheiben
Da war der gemeinsame Nenner gefunden.
Mein Spediteur dste in der Sonne, Zinkhund leistete ihm
Gesellschaft.
Noch vor fnf Minuten hatte ich alles verloren geglaubt.
Die ersten Menschen, auf die gestoen war, sterreicher in
Uniform, hatten nichts dagegen einzuwenden, dass ich mich
in Ungarn niederlassen wollte. Dummerweise hatte ich sie
auf Ungarisch angesprochen und so rchten sie sich mit
eisigem Schweigen auf meine Frage, mit welcher Prozedur
ich hier ber die Grenze kme. Eine ungarische
Uniformierte knallte einen Stempel in meinen Reisepass und
verwies mich an ihre Kollegen hinter den Fensterchen. Vor
den Fensterchen ballten sich Fernfahrer aller Herren Lnder.
Vor dem einen mehr, vor dem anderen weniger, ohne dass
ich einen Grund dafr ausmachen konnte.
Kompromissbereit whlte ich eine mittellange Schlange.
Stndig drngten sich Menschen vor, da sie nicht
niedergestochen wurden, schien das in Ordnung zu sein,
doch konnte ich mich eines Kommentars nicht enthalten.
Ein Hollnder erbarmte sich meiner. Heilfroh, dass ich
grner Junge Deutsch verstand, fragte er mich, wo den
meine Ladeliste sei, der Pass in meiner Hand reiche nicht
aus. Nachdem er mich aufgeklrt hatte, ging alles wie
geschmiert. Ich fand eine Spedition, die gegen geringes
Entgelt meine schnell und lckenhaft erstellte Ladeliste
abstempelte. Der Hllenhund hinter dem Fensterchen lie
die Wut ber sein schweres Schicksal nicht an mir, sondern
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an seinen Rechner aus und wies mich an am Fahrzeug auf
die Kontrolle zu warten.
Was ich denn mit den Sachen vorhabe, fragte der
Bakelitfreund.
Das sei mein geringer Hausrat und ich beabsichtige, mich in
Ungarn anzusiedeln.
Ein bisschen viel, nrgelte er gutmtig.
Das Konsulat habe mir besttigt, dass ich meinen Hausrat
zollfrei einfhren drfe.
Zollfrei? wunderte er sich und verschwand mit allen
Papieren im Zollgebude.
Spediteur und Zinkhund kamen, um sich nach dem Stand
der Dinge zu erkundigen. Kleinlaut bereitete ich sie darauf
vor, dass wir noch Tage im Niemandsland zubringen
wrden, geschhe kein Wunder. Das ergibt sich schon,
murmelte der Spediteur und legte sich wieder aufs Ohr.
Wohin ich denn zge, fragte der Schallplattenkenner gut
gelaunt und nachdem ich ihm geantwortet hatte, drckte er
mir meine Papiere in die Hand und wnschte eine gute
Fahrt. Dass ich als Tourist eingereist war, hatte in dem
ganzen Durcheinander niemand bemerkt.
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Inventur
Hundertfnfzig Jahre nach ihrer Grndung beschloss die
Britische Ost-Indien-Compagnie eine Generalinventur
abzuhalten, die offenbarte, dass die ehrwrdige Firma schon
seit fnfzig Jahren pleite war.
Hundert Jahre kann ich nicht mehr warten, daher nehme ich
mein fnfzigstes Firmenjubilum zum Anlass einer Inventur.
Das erstaunliche Ergebnis der Briten kann ich sicher nicht
berbieten. Bisher gestern war ich berzeugt, ein Wunder
knne mich retten. Heute bezweifle ich, dass zwei Wunder
ausreichen. Die Inventur wird eine Menge von Dingen
zutage frdern, die auf den Mllhaufen der Geschichte
gehren: lieb gewonnene Abseitsfallen, unzeitgeme
Psychokrcken, altmodische, verhaltensgemusterte
Zwangsjacken, retouchierte Erinnerungen, aus Fliegenbeinen
hergestellte Elefanten, das Fotoalbum der schnsten
Eigentore, die Tagebcher des Buchhalters, der immer auf
das falsche Pferd setzte.
Gleichzeitig wird sich herausstellen das wichtige Gter
restlos aus den Lagern verschwunden sind: Kraft, Ausdauer
und Hoffnung. Nicht klren wird die Inventur, wer aus der
groen Eingangshalle das eherne Ziel geklaut hat.
Mit einem Wort: Krise. Schon seit fnfzig Jahren.
Grund genug stolz zu sein.
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Der Frhling ist da
Strche stehen mit windzerzaustem
Kopfgefieder in ihren Nestern. Die Nutten an der
Landstrae haben ihre Sume bis zur Schamgrenze
hochgezogen und auch ordentliche Mdchen lassen kurze
Glockenrcke schwingen, zeigen gnsehutige Buche und
mir wird vor ppiger Schnheit schwer ums Herz, denn der
Frhling bekommt im Herbst des Lebens einen bitteren
Beigeschmack. An der Bushaltestelle auf dem Weg zur Post
werde ich gemustert. Unsere Blicke kreuzen sich mehrfach
wie Klingen bei einem Duell. Eine schwarzhaarige Schnheit
in enger kakifarbener Hose und schwarzer Lederjacke. An
irgend etwas erinnert mich die Mode. Aber es fllt mir nicht
ein. Ausnahmsweise bin ich nicht bse, dass die Post schon
geschlossen ist. Ich bringe die Briefe zurck ins Auto und
hole den Hund. Manchmal schafft er eine Kontaktaufnahme
besser als ich. Noch bevor der Bus sich zeigt, hlt hupend
ein weier Kleinbus. Meine Schnheit ergreift ihre
Einkaufstten und steigt ein. Nach dem Kennzeichen zu
urteilen ein Fahrzeug der Polizei. Wurde
erkennungsdienstlich beugt.
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Der Psychologe
Zinkhund geht gern ins Caf Eckermann. Ich auch. Mein
Hund, um den Kellerinnen und Kellnern schne Augen zu
machen, in der Hoffnung ein Stck Schinken zu ergattern.
Ich schme mich, den Kellnerinnen schne Augen zu
machen und verstecke mich hinter einer Zeitung. Schon an
der Oper ist der Hund nicht mehr zu halten,
schwanzwedelnd eilt er in das Kaffeehaus. Krzlich hat er
dem Personal das Fuballspiel beigebracht. Mitten in der
Partie, es war schon kurz vor Feierabend, betrat ein lterer
Mann mit Sonnenbrille, wohlgemerkt Feierabend ist um
zehn Uhr abends und da scheint auch im Sommer keine
Sonne mehr, den Raum. Ein Typ, aus dem Fahndungsbuch,
einer, wie ich sie nicht ausstehen kann. Man mag zurecht
einwenden, ich msse schrfer gegen meine Vorurteile
vorgehen, aber er gab dazu keinerlei Anlass. Im Gegenteil.
Schwarze Brille in der Nacht, einen blauen Steppmantel mit
einem Grtel, vor dem Bauch geknotet, begab er sich
unverzglich auf das Spielfeld, stapfte laut auf und
kommandierte seinen Hund zu sich. Zinkhund brach das
Spiel ab, schnappte den Korken, der als Ball diente, und
brachte sich unter einem Stuhl neben mir in Sicherheit.
Ohne zu zgern und grulos trat der Mensch an unseren
Tisch, ergriff den Stuhl und knallte ihn auf den Boden.
Der Hund kann mich nicht leiden, begann er in schlechtem
Englisch. Wem gehrt er? Er gehrt mir, erwiderte ich und
starrte auf die Tischplatte. Der Mensch hatte offenbar genau
so wenig Lust mit mir zu reden wie ich mit ihm. Der Hund
legte seine groen Segelohren an, verhielt sich aber ruhig.
Meinen Freunden zwang er einen Disput ber Hunde und
Katzen auf. Ein Hund passt sich an seinen Herrn an, sagte
er. Ich bin Psychologe. Wen sein Herr nicht mag, den mag
er auch nicht.
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Gar nicht mal so bld der Mensch.
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Die Einbrgerung
Endlich wollte ich die Einbrgerung hinter mich bringen.
Der Beamte in dem riesigen, kalten Saal sprach Deutsch mit
mir. Ich erwiderte auf Ungarisch.
Wie sagen Sie Geschwindigkeit auf Ungarisch? fragte er.
Sebessg! antwortete ich, wie aus der Pistole geschossen.
Das Wort gibt es nicht!
Betrbt und offensichtlich an seiner Aufgabe leidend,
schaute er mich an, obwohl eher ich leiden sollte.
Gyorsasg! versuchte ich wieder mein Glck. Verdammt,
ich war doch sicher, dass es nur diese beiden Wrter gab.
Kennen wir nicht. Schauen Sie hier nach!
Er drckte mir das schwere einsprachige Wrterbuch in die
Hand.
Das haben wir gleich! Siegessicher schlug ich den Wlzer
auf. Genau die gleiche Schwarte hatte ich ja zu Hause. Da
gehorchte sie aufs Wort. Ich versuchte sebessg zu finden.
Alles war durcheinander. Wo der Buchstabe S sein sollte war
GY. Na gut, denn eben gyors. Dort fand ich sebes. Sebessg
nirgendwo. Der Beamte strahlte. Jetzt fing ich zu schwitzen
an. Alles war kunterbunt durcheinander gewrfelt. Ich hatte
verspielt. Niemals wrde ich Brger Ungarns werden.
Kommen Sie in einer Woche wieder, sagte der Beamte
beim Abschied, mir mitleidig die Hand drckend. Dann
sind die Papiere fertig.
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Herr Mischek
Auch wenn man sich um eine gelassene, buddhistischen
Einstellung zum Leben und den Lebewesen bemht, fallen
einem die Muse irgendwann auf die Nerven. Der Hund
ersetzt keine Katze, aber er duldet auch keinen
professionellen Musefnger auf dem Grundstck. Im
Freien, im Sommer auf der Wiese versucht er, Muse zu
fangen, indem er sich aus geringer Hhe, erreicht durch
wenig elegante Sprnge, auf die Nager fallen lsst.
Zumindest versucht er es. Wenn die Schdlinge Humor
htten, knnte man sie sicher lachen hren. Aber nicht
einmal mein Hund hat Humor, um ber sich selbst zu
lachen. In letzter Konsequenz greift er zu einem zweiten,
ebenso untauglichen Mittel. Er versucht sie auszugraben.
Voller Elan und mit Begeisterung. Im Haus taugt er
allerhchstens zum Musemelder. Sobald eine irgendwo
raschelt, ist er da und schnffelt ratlos. Wrden die Muse
nicht gemeldet, knnte man sie fast ertragen.
Mrti empfahl mir eine clevere, altungarische Methode. Man
nehme eine halbe Walnuss, ein Einmachglas und stelle das
Glas mit der Kante auf die Nuss, die ebenfalls auf der Kante
stehen soll, sodass die Maus in Glas muss. Sobald sie sich an
der Nuss zu schaffen macht, fllt das Glas und sie sitzt in
der Falle.
Das Glas hatte Herrn Mischek leider den Schwanz
eingeklemmt. Trotzdem verurteilte ich ihn zu einer
Haftstrafe bis zum folgenden Nachmittag. Das dargereichte
Hundetrockenfutter vertilgte er sofort. Auf Walnsse zeigte
er keine groe Lust mehr. Mit gewaltigen Froschsprngen
erreichte er fast den Rand des Glases und wollte sich so in
die Freiheit schwingen. Eine Stck Pappe und ein
Gewichtsstein verhinderten seine Flucht.
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Am Morgen hockte er niedergeschlagen auf seiner Walnuss.
Die Idee ihn als neuen Hausgenossen in einem Aquarium zu
halten, verwarf ich, schraubte das Glas zu, steckte es in eine
Einkaufstte und trug Herrn Mischek zum Pfarrhaus. Dort
entlie ich ihn die Freiheit. Hoffentlich hat mich niemand
beobachtet.
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Froschkundler auf Knien
Balzs hatte vor Jahren ein paar Monate in China verbracht,
um sich von einem Meister in die Kunst des Malens
einweihen zu lassen. Nach zwei Wochen wurde er
ungeduldig. Immer nur Bambus, er wrde gern einen Lotus
malen. Der Meister war entsetzt. Das Thema knne er
frhestens in zwei Jahren ins Auge fassen. Von der Reise
brachte er einen neuen Namen mit. Balzs Farkas knne ein
Mensch unmglich heien. Ob das denn in seiner Sprache
einen Sinn habe. Nun, Farkas sei der Wolf, seinen
Vornamen knne er nicht bersetzen. Daraufhin taufte die
Einwanderungsbehrde Lang Xing. Den Namen trgt der
Schildkrtenforscher, der heutzutage fr eine Werbefirma
Margarinedosen in Supermrkten ablichten muss mit Stolz.
Krisen und das Schicksal zwingen ihn nicht in die Knie, aber
die Frsche. Schildkrten nennen die Ungarn Frsche mit
einem Trog auf dem Rcken. Balzs kmmert sich auch um
die ohne Trog, kniet auf der Landstrae nach Gyr im
Scheinwerferlicht und sammelt Frsche ein, um ihr junges
Leben zu retten. Zwei in der rechten Hand und zwei in der
linken, kann er kaum das Steuer seines Wagens bedienen.
Und zu Hause hocken schon zwanzig Artgenossen, die er
bald wieder in die Freiheit entlassen will. Ich hre schon das
freudige Klappern der Strochenschnbel.
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Merkblatt der Ungarischen Staatsbahnen
Fahrtentgelt fr lebende Tiere ist zu entrichten fr 1 Hund
oder 1 Affen oder 2 Katzen oder zwei Stallhasen, 2
Papageien beziehungsweise einen Jagdfalken. Lebende Tiere
sind ausschlielich in der 2. Klasse zu befrdern, im Abteil
nur mit der ausdrcklichen Zustimmung aller Reisenden.
Hunde und Affen ber 20 kg drfen nur in Vorraum
befrdert werden. Hunde und Affen sind an der Leine zu
fhren und mit einem Maulkorb zu versehen. Bei
Befrderung von Hunden und Affen jnger als 3 Monate, ist
auf Verlangen - der Impfpass vorzuweisen.
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Proletdiktatur
Zinkhund luft die, die Schnauze dicht am Boden. Man
behauptet, die Hunde haben einen ausgezeichneten
Geruchssinn. Warum, um alles in der Welt, stecken sie die
Nasen in die Gerche, wie Kurzsichtige in eine Zeitung.
Der Gestank scheint ihre Presse zu sein. Mein Sinnieren
wird durch hysterisches Geklff gestrt. Aus den Garten des
Proletenhauses strzen sich zwei Pinscher auf Zinkhund,
zwei schreiende, schreckensbleiche Mdchen in ihrem
Gefolge.
Warum ausgerechnet der Prolet die Herrschaft ber die neue
Welt erhalten sollte, hat mir nie eingeleuchtet, obwohl ich
gestehen muss, dass Poligraf Poligrafowitsch Moppel, der
Vertreter dieser Spezies nicht unsympathisch war. Michail
Afanasjewitsch Bulgakow htte auch in Gyr ausgezeichnet
seine Studien betreiben knnen. Warum man wohl
Hundeherz neu ins Deutsche bersetzt hat, und die Kreatur
des Professors Preobrashenski nun Genosse Bellow nennt?
Zinkhund ist es gleich, ob Moppel oder Bellow, sie weist die
Angreifer emprt in ihre Schranken. Die Moppelkinder
sehen das mit Entsetzen. Ich schere mich nicht um den
Zank. Sollen die Hunde das unter sich ausmachen.
Knurrend und grulos wlzt sich die Mutter der verstrten
Kinder heran, schnappt sich die Pinscher. Einen unter jeden
Arm, tritt sie den Rckzug an. Natrlich passt ihr das nicht.
Hunde sind an der Leine zu fhren.
Zum Glck habe ich mir angewhnt auf deutsch zu fluchen.
Das Weib dreht sich um. Haben Sie was gesagt? Ihre
Augen blitzen wie Messer. Wir gehen aufeinander zu wie
Helden im Wilden Westen.
Ihre Biester mssen an die Leine, habe ich gesagt!
Ihr Hund hat angegriffen ... haben die Kinder gesagt.
Bldsinn, mein Hund hat Zeitung gelesen.
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Sie knnen den Gemeindeschreiber fragen, der wird Ihnen
schon sagen, dass Sie Ihren Hund an der Leine fhren
mssen.
Der Prolet fhlt sich auch im Turbokapitalismus als Herr der
Welt und hat Recht und Gesetz auf seiner Seite.
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Radiosprecherin
Manchmal erwachte ich aus dem Mittagsschlaf, weil ich
meinte, die Stimme einer Radiosprecherin zu hren. Im
Halbschlaf wurde mir klar, dass ich gar keinen Empfnger
besitze. Halluzinationen dachte ich erschrocken, denn es
konnte kein Traum sein, da die Stimme immer noch aus der
Kche ertnte. Ich sprang auf. In der Tr stand Tante
Ilonka und salbaderte vor sich hin. Sie brauchte immer
Publikum, auch wenn es gar nicht zuhrte. Ihre Fragen
waren immer rhetorisch und drehte man ihr nicht den Strom
ab, kam sie vom Stckchen aufs Hlzchen. Ein wahre
Xylofonsymphonie von Alltagsproblemen klppelte sie mit
emotionsloser Stimme im sdungarischen Dialekt.
Zwei Shne hat sie, wie Kain und Abel. Der eine sitzt in der
Kneipe am Sportplatz und suft, der andere arbeitet
pausenlos und trinkt nur Himbeersirup. Ein Wunder, dass
sie sich noch nicht gegenseitig umgebracht haben.
Die Hand aufs Herz gelegt und stehe ich vor ihr.
Was ist, Goldstck?
Sie haben mich erschreckt ...
Hast dich sicher ausgeruht ...
Das sei durchaus meine Absicht gewesen. Ich merke, dass
die Pferde mir durchzugehen drohen. Auch sie merkt das
und tippelt aus dem Raum.
Nicht fr ungut, Goldstck!
Ich muss dringend mit dem versoffenen Sohn reden, dass er
mir bald die Pfosten fr das Tor setzt.
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Schnaken
Amors Giftpfeil brannte zwischen meinen Rippen. Der
Boden bebte unter meinen Fen. Trotz der spten Stunde
herrscht wahnsinniger Verkehr auf der Andrssy. Die Oper
war zu Ende. Menschen strmten nach Hause. Adl plaudert
mit Lda. Sie erwarten einen Theaterbesucher. Ich versuchte
mir einzureden, der Pfeil brenne nur meiner Einbildung,
daher gbe es keinen Schmerz. In Adl verliebt zu sein,
musste ich es mir auch wieder ausreden knnen. Ich sitze
mit ihnen am Tisch, trinke Kaffee, rauche und schweige.
Denn Schweigen ist Gold und es bedarf keiner
Selbstkasteiung, denn mein Kopf ist leer. Ich finde kein
Thema. Ich habe nichts zu sagen, bin leer und langweilig.
Von den Huserfassaden und Passanten lasse ich von Zeit
zu Zeit lasse ich meinen Blick verlegen ber ihr Gesicht
gleiten. Zwischen uns schwingt nichts. Meine Blicke bleiben
unerwidert. Gleichgltig sind sie ihr, wie den Husern. Die
Frauen unterhalten sich ber Gott und die Welt. Adl klagt
ber die Schnakenplage.
Gibts bei dir auch welche?, fragt sie mich.
Nein, erwidere ich wie aus der Pistole geschossen.
Wahnsinniger Verkehr auf der Andrssy.
Das Traum ist aus.
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Zwei Kilo Aprikosen
Guten Morgen, brllte die Dame mit dem Fahrrad.
Seltsam, dass die Menschen in der Provinz so laut sprechen.
Die Nachbarin wollte Aprikosen, aber jetzt ist sie nicht zu
Hause. Nehmen Sie zwei Kilo? Sie hatte strahlend blaue
Augen und ein gewinnendes Lcheln. Schwer widerstand ich
der Versuchung. Zuviel fr mich. Ich bin allein. Das ist
doch nicht viel, winkte sie ab. Ich will sie nicht zurck nach
Hause bringen. Ich schttelte den Kopf. Leider nein. Ich
bin kein Obstesser, versuchte ich zu erklren. Da schttelte
sie den Kopf. Wissen Sie, wo Ilonka ist? Nein, wusste ich
nicht. Die hats schwer, kam die Aprikosenverkuferin ins
Reden. Der Mann ist doch im Winter gestorben. Ich
nickte, denn das hatte ich gehrt. Der Anblick des
Weihaarigen, der im Sommermorgengrauen mit der Sense
in der Hand auf der Wiese stand, hatte mich zu Tode
erschreckt.
Wissen Sie, wo der jetzt ist? Wo sollte er schon sein? Was
meinte meine Blauugige? Paradies? Jenseits? Welche
Parzelle? Das Geld hat nicht fr die Beerdigung gereicht,
deshalb steht er jetzt auf dem Bcherregal. Ich meine seine
Urne. Na, vielleicht doch zwei Kilo, gnstig, damit ich sie
nicht zurck nach Hause bringe. Ich schttelte den Kopf,
die Aprikosenverkuferin schwang sich auf Fahrrad und lie
sich rollen.
Nichts fr ungut.
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(c) 2011 Karlheinz Schweitzer edition zinkhund Usinger Strae 21 D- 61239 Ober-Mrlen [email protected] Das koplette e-book finden sie bei Amazon:
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