VCI-Position zur Sektorenkopplung in der Energieversorgung...2017/10/20 · 1 Zit. aus Chemie...
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20. Oktober 2017 1
VCI-Position zur Sektorenkopplung in der Energieversorgung
Potenziale und Herausforderungen sektorübergreifender Prozesse in der
Chemieindustrie und ihre Rolle bei der Hebung energietechnischer Potenziale aus
forschungspolitischer Sicht
Zusammenfassung
Das vorliegende Papier will ein grundlegendes Verständnis für die besonderen
Anforderungen industrieller FuE in der Chemie schaffen, fokussiert auf die
Herausforderung der Sektorenkopplung und die notwendigen forschungspolitischen
Rahmenbedingungen, und will spezifische Lösungsmöglichkeiten herausarbeiten.
Die deutsche Chemieindustrie kann einen wichtigen Beitrag zur Integration
erneuerbarer Energien in das deutsche Energieversorgungssystem und zur
Kopplung der Sektoren leisten. Hierfür sind beispielsweise strombasierte
Prozesse oder Prozesse zur Herstellung emissionsarmer Brenn- oder Treibstoffe
der Chemieindustrie prinzipiell geeignet. In Kooperation mit den Sektoren Energie,
Verkehr und anderen Industriebranchen ergeben sich unter bestimmten
Randbedingungen für die Chemieindustrie Wertschöpfungspotenziale, deren Größe
und wirtschaftliche Nutzbarkeit sorgfältig geprüft und mit anderen
Emissionsreduzierungsmaßnahmen verglichen werden müssen. Für die
Chemieindustrie resultieren daraus aber auch besondere Anforderungen an die
Förderung von Forschung und Entwicklung (FuE) und die politischen
Rahmenbedingungen, insbesondere mit Blick auf den internationalen
Standortwettbewerb.
Eine deutliche Reduzierung der CO2-Emissionen der Chemieindustrie kann nur
über die Nutzung von CO2 als Rohstoff für zentrale Plattformchemikalien
gelingen. Für die hierfür benötigten regenerativer Energien bedeutete dies eine
erhebliche Überschreitung der aktuellen Kapazitätsprognosen: Dieses Problem
kann durch die Entwicklung und Nutzung innovativer und effizientester
Technologien gemildert werden, die „klassische“ Technologien schrittweise
ergänzen und später ggf. ersetzen, um die verfügbare regenerative Energie unter
Minimierung der Umwandlungsschritte optimal zu nutzen.
Um eine Sektorenkopplung durch innovative Technologien erreichen zu können, ist
insbesondere industrielle Forschung und Entwicklung (FuE) zur
Implementierung der effektivsten Optionen der CO2-Vermeidung oder -Minderung
eine wichtige Voraussetzung. Politisch festgelegte Ziele zum Implementierungsgrad
vorgegebener Technologien gehen nicht zwangsläufig mit Emissionsminderungen
einher oder beschreiben nicht den volkswirtschaftlich und ökologisch sinnvollsten
Pfad. Zur Bewertung der technologischen und ökonomischen Sinnhaftigkeit
von Maßnahmen zur Förderung der Sektorenkopplung werden effektive
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ressort- und branchenübergreifend zu diskutierende Kriterien benötigt. Hier muss
übergreifend das Prinzip der „Technologieoffenheit“ gelten.
Flexibel betriebene Industrieprozesse haben weitgehend die gleiche
Systemwirkung wie die Kombination unflexibel laufender Verbraucher mit sehr
effizienten Speichern. Eine Flexibilisierung der Prozesse führt aber zu höheren
Produktionskosten und bedarf einer Gegenfinanzierung im Strommarkt. Diese
Sichtweise spiegelt sich weder in den Regularien, noch in der Allokation von
FuE-Fördermitteln und -maßnahmen angemessen wider.
Die erforderlichen Maßnahmen in der Forschungsförderung sollten schon heute
initiiert werden: Der Weg zur wirtschaftlichen Umsetzung von technologischen
Optionen zur Sektorenkopplung/ Power-to-X-Technologien kann adäquat nur
über die Demonstration großtechnischer industrieller Lösungen identifiziert,
untersucht und zur Lösung gebracht werden. Um die benötigten Technologien zur
technischen Reife entwickeln zu können, sind Pilotanlagen erforderlich. Diese sind
kostenintensiv, da sie mit einem technischen und wirtschaftlichen Risiko
einhergehen und daher adäquate Förderbedingungen benötigen. Zur Erforschung
und Umsetzung der technologischen Optionen zur Sektorenkopplung werden neue
Fördermodelle für industrienahe FuE-Projekte mit großem unternehmerischem
Risiko benötigt, zum Beispiel mit einer Finanzierung über höhere Fördersätze
und/oder über Fondsmodelle etc.
Empfohlen wird auch die Etablierung regionaler „Leuchtturm-Projekte“ im
Pilotmaßstab, die auch die erforderliche Wahrnehmung und Aktivierung in der
Chemieindustrie befördern können.
Die wirtschaftliche Umsetzung technologischer Optionen ist neben der
Technologieentwicklung auch vom Strommarkt und den Rahmensetzungen
abhängig. Diese Maßnahmen in Richtung Markteinführung sollten ebenfalls schon
heute initiiert werden: Die Energiemärkte und -regularien geben derzeit keine
hinreichenden Anreize zur Entwicklung flexibler strombasierter Produktions-
prozesse und Speicher und bieten keinen adäquaten Rahmen für
zukunftsweisende Investitionsentscheidungen.
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Inhaltsverzeichnis
1. Hintergrund und Ausgangssituation .................................................................... 4
1.1. Energiesektor ................................................................................................... 5
1.2. Verkehrssektor ................................................................................................. 5
1.3. Industrie- und Rohstoffsektor ........................................................................... 5
2. Zielstellung ............................................................................................................. 6
Möglichkeiten der Sektorenkopplung über die Standorte der Chemieproduktion .... 7
„Industrielle“ Forschung und Entwicklung und zum Verständnis von
„Sektorenkopplung“ ................................................................................................. 8
3. Alternative Ansätze der Chemie für die Sektorenkopplung ............................... 9
3.1. Forschungspolitische Fragestellungen und Stand der FuE-Aktivitäten zur
Sektorenkopplung ............................................................................................ 9
3.2. Kriterien zur Bewertung der technologischen und ökonomischen
Sinnhaftigkeit von Maßnahmen zur Sektorenkopplung auf Basis des
technologischen Status quo ........................................................................... 13
3.3. Technologische Entwicklungsschwerpunkte2, 3 .............................................. 13
Power-to-Heat in Kombination mit konstant laufenden Prozesswärmeerzeugern
(KWK-Anlagen) und Industrial Smart Grids ........................................................... 13
Elektrochemische Grundstoffherstellung inklusive Chlor-Alkali-Elektrolyse und
andere Prozesse mit Koppelerzeugung von Wasserstoff ...................................... 15
Umsetzung von emissionsarm erzeugtem H2 oder Synthesegasen in
Folgeprodukte ....................................................................................................... 16
Lastverschiebungen in Batch- und elektrochemischen Prozessen sowie Batterien
zur Nutzung von bedarfsüberschreitendem Strom ................................................ 16
Druckluft-Speicherung ........................................................................................... 16
4. Forschungspolitische Herausforderungen für die Entwicklung und die
Einführung von Technologien für die Sektorenkopplung ............................... 17
4.1. Besondere technologische Randbedingungen in der Industrie (Verbund-
effekte, Weiterentwicklung im Pilotmaßstab) ................................................. 17
4.2. Strukturelle Probleme und erforderliche Paradigmenwechsel in der
Industrie ......................................................................................................... 18
4.3. Unklare regulatorische und Marktbedingungen bei hoher Kapitalintensität und
langfristigen Technologiezyklen ..................................................................... 19
5. Lösungsvorschläge und Empfehlungen ............................................................ 19
5.1. Maßnahmen zur Förderung von Forschung und Entwicklung (FuE) .............. 19
5.2. Maßnahmen zur Anpassung regulatorischer Rahmenbedingungen .............. 21
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„Ist das jetzt der optimale Prozess?“ fragte der Politiker. „Vermutlich nicht“ antwortete der
Chemieingenieur.1
1. Hintergrund und Ausgangssituation
Im Zuge der „Energiewende“ wird in den nächsten zwei Jahrzehnten der Bedarf an
Technologien und Maßnahmen zur Reduktion von Kohlendioxid(CO2)-Emissionen
weiterhin deutlich steigen.2, 3 Eine besonders große Bedeutung hat in diesem
Zusammenhang die regenerative Erzeugung von Strom durch Wind- und Photovoltaik-
Anlagen. Die Chemieindustrie am Standort Deutschland ist als eine energieintensive
Industrie in hohem Maße auf kostengünstigen und kontinuierlich zur Verfügung
stehenden Strom angewiesen. Durch die zunehmende volatile, d.h. dargebots-
abhängige regenerative Stromerzeugung wächst der Bedarf an einer sektoren-
übergreifenden Speicherung und Nutzung elektrischer Energie respektive einer
höheren Flexibilität bei der Abnahme nicht bedarfsgerecht erzeugten Stroms. Somit
wird aus Sicht der Chemie die Stromspeicherung und -nutzung nunmehr auch in
Bereichen des Energieversorgungssystems, in denen der Einsatz von Elektrizität
bislang untypisch ist, eine immer stärker werdende Bedeutung erfahren: Es bestehen
Optionen, Strom beispielsweise zur Wärmeerzeugung, im Verkehrssektor und für die
Industrieproduktion zu nutzen, hier über strombasierte Verfahren sowie CO2 als
Rohstoff, beispielsweise zur Produktion flüssiger Kraftstoffe oder Plattformchemikalien.
Diese Produkte aus „erneuerbarem Strom“ und „CO2 als Rohstoff“ wären damit eine
Ergänzung zu bio- oder abfallbasierten Rohstoffen in chemischen Wertschöpfungs-
ketten auf der Basis regenerativer Rohstoffe, die fossile Energieträger, wo technisch
und wirtschaftlich sinnvoll, ergänzen oder substituieren können.
Diese Verzahnung der Sektoren miteinander unter verstärkter Nutzung regenerativer
Energien, alternativer strombasierter Prozesse sowie strombasierter Produkte wird als
„Sektorenkopplung“ bezeichnet (s.u. Kapitel 2). Allerdings gibt es zum gegenwärtigen
Zeitpunkt noch sehr unterschiedliche Erwartungen zum tatsächlich nutzbaren Potenzial
für eine Sektorenkopplung und flexibilisierte Energienutzung, die auf stark voneinander
abweichenden Studien beruhen. Für die Chemieindustrie sind perspektivisch zunächst
folgende Anknüpfungspunkte zu den nachfolgend aufgeführten Sektoren von
besonderer Relevanz:
1 Zit. aus Chemie Ingenieur Technik (CIT) 2017, 89 No. 5, 503; hier fragt der Kaufmann den Ingenieur,
beunruhigt über einen nicht „optimalen Prozess“ im Unternehmen, noch dazu nur „vermutlich“ nicht
optimal …
2 VCI-Diskussionspapier „Technologische Optionen zur flexiblen Nutzung von elektr. Energie und
Energiespeichern in der Chemieindustrie“, VCI-Position „Flexible Nutzung … Chemieindustrie“, April
2015
3 s.a. Koordinierungskreis „Chemische Energieforschung“ der Chemieorganisationen:
„Energiespeicherung als Element einer sicheren Energieversorgung“, „Chemie, Ingenieur, Technik“
(CIT), Vol. 87, Issue 1-2, pp. 17 - 89, Feb. 2015,
http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/cite.201400183/abstract
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1.1. Energiesektor
Der Energiesektor ist in zweierlei Hinsicht für die Chemieindustrie relevant: Die Chemieindustrie
ist als Hersteller energieintensiver Grundstoffe generell auf im internationalen Vergleich
wettbewerbsfähige Energiepreise und eine sichere Energieversorgung angewiesen. Eine hohe
Verfügbarkeit der Anlagen bei gleichzeitig hoher Anlagenauslastung ist eine
Grundvoraussetzung für eine wettbewerbsfähige Produktion. Zum anderen ist die
Chemieindustrie als Know-how-Träger ein wichtiger Partner der Energieerzeuger, der einen
Beitrag zur notwendigen Integration fluktuierender Energien leisten kann, indem die Chemie, in
Abhängigkeit der Produktionsanforderungen und Auslegung ihrer energieintensiven Anlagen,
die Produktion an das Stromangebot anpasst.2, 3
Darüber hinaus produziert die Chemieindustrie für alle Industriebranchen und für die Nutzung
in anderen Sektoren Stoffe und Materialien, die für effiziente Speicher- und
Transporttechnologien nutzbar sind, d.h. Energie aufnehmen und bedarfsgerecht verwenden
respektive wieder abgeben können: Wie beispielsweise Technologien zur flexiblen
strombasierten Wasserstoff(H2)-Erzeugung, die zum einen die Aufnahme großer elektrischer
Leistungen und Energiemengen aus dem Stromnetz ermöglichen, zum anderen mit H2 ein
transportierbares, speicherbares und sowohl energetisch als auch stofflich nutzbares Produkt
erzeugen, das in anderen Energie- und Industriesektoren eine Reduktion des Verbrauchs an
fossilen Einsatzstoffen und damit CO2-Emissionen ermöglicht.
1.2. Verkehrssektor
Der überwiegende Anteil an Kraftstoffen wird derzeit auf fossiler Basis über chemische
Raffinerieprozesse gewonnen. Auch für zukünftige Mobilitätskonzepte werden
chemische Prozesse und die Chemieindustrie eine wichtige Rolle spielen. Die Chemie
liefert die technologische Basis für den am Markt entscheidenden Kundennutzen der
zukünftigen Mobilität über leistungsfähigere und preiswertere Materialien, die den
entscheidenden Durchbruch in den spezifischen Performance-Parametern erzielen
können.4 Im Bereich der Brennstoffzellmobilität entwickelt sie Lösungen zur Produktion
von nachhaltigem CO2-frei erzeugten H2 aus erneuerbaren Quellen („Power-to-Gas“),
darüber hinaus Prozesse zur Herstellung synthetischer Kraftstoffe.5
1.3. Industrie- und Rohstoffsektor
Der Chemieindustrie steht eine Vielzahl weiterer technologischer Optionen sowohl zur
strombasierten Erzeugung als auch zur Verwertung von H2 zur Verfügung (s. Kap. 3),
Elektrolyse- und Lichtbogenverfahren mit H2 als wichtigem Koppelprodukt sind bereits
4 Beiträge der Chemieindustrie in einem sich entwickelnden Markt zur Elektromobilität, März 2016
5 White Paper, E-Fuels - Mehr als eine Option, DECHEMA, final, Mai 2017
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heute Teil von Chemieverbundproduktionen.6 Durch vermehrten Einsatz
elektrochemischer Prozesse lässt sich elektrische Energie speichern und in stoffliche
Energieträger wie Wasserstoff und Synthesegas überführen, als Basis für die
Produktion von Plattformchemikalien und Produkten wie Methan, Methanol und
Ethanol, die verschiedene Branchen und Wertschöpfungsketten verzahnen (s. Kapitel
3). So wird beispielsweise in Projekten auf deutscher und europäischer Ebene die
Nutzung von Gasströmen aus der Stahlproduktion für die Chemieproduktion erforscht.
Ein klassisches Verfahren zur Umwandlung elektrischer Energie in chemische
Produkte ist die elektrolytische Metallraffination. In Kooperation mit den aufgeführten
Sektoren Energie, Verkehr und anderen Industrie- bzw. rohstoff-erzeugenden
Branchen ergeben sich demnach unter bestimmten Randbedingungen
Wertschöpfungspotenziale für die Chemieindustrie, deren Größe und wirtschaftliche
Nutzbarkeit in Abwägung der Randbedingungen sorgfältig geprüft und mit anderen
Maßnahmen zur Minderung von Emissionen verglichen werden müssen. Die
Chemieindustrie kann damit ein entscheidender Partner für die energiewirtschaftlich
effektive und ökonomische effiziente Umsetzung der Energiewende werden.
2. Zielstellung
Die deutsche Energiewende – mit dem Ziel der GHG-Reduktion um mindestens 80%
bis 2050 bezogen auf das Basisjahr 1990 – fokussiert derzeit stark auf den Umbau der
nationalen Stromversorgung auf regenerative Erzeugung und wurde somit zunächst
als „Stromwende“ wahrgenommen. Eine regenerativ basierte Versorgung zum Beispiel
des Wärme- und Transportbereichs und der industriellen Produktion geht mit einer
Kopplung der unterschiedlichen Energiesektoren mit ihren Energieträgern Strom,
Wärme, Gas und flüssigen Kraftstoffen sowie chemischen Grundstoffen einher
(Abb.1.).
Abb. 1: Darstellung der allgemeinen Chemie-Wertschöpfungskette mit Bezug zur Sektorenkopplung
6 zur H2-Verwertung kommen zum Beispiel Hydrierungs- oder Hydroformylierungs-Prozesse in Betracht
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Diese Kopplung der Energiesektoren ist in der Technologiediskussion bislang
unterrepräsentiert geblieben, sollte aber nach Ansicht der Chemieindustrie vermehrt in
den Fokus rücken. Allerdings muss dabei der begrenzten Potenziale zur Erzeugung
erneuerbaren Stroms sowie dem um ein Vielfaches höher liegendem
Primärenergiebedarf in Deutschland adäquat Rechnung getragen werden (s. Kap.
3.1.). Daraus folgt, dass die verfügbare erneuerbare Energie über die effizientesten
Technologien, unter Minimierung der Umwandlungsschritte zur Herstellung der
gewünschten Zielprodukte, genutzt werden muss.
Möglichkeiten der Sektorenkopplung über die Standorte der
Chemieproduktion
Die Standorte der Chemieproduktion und Chemieparks sind gekennzeichnet durch
einen sehr hohen Energieumsatz vergleichbar mit einer mittleren Großstadt auf engem
Raum. Die energetischen Bilanzen des deutschen Energie- und
Rohstoffversorgungssystems (Abb. 2) vermitteln einen Eindruck von den theoretischen
Größenordnungen und den Einflussgrößen im Falle einer konsequenten Umsetzung
der Sektorenkopplung in der Chemieindustrie:
Der Endenergieverbrauch der Chemieindustrie in Deutschland liegt bei rund
165 TWh/a,7
der organische Rohstoffeinsatz in der Chemieindustrie in Deutschland bei rund 15
Megatonnen (Mt) an Mineralölprodukten und 30 TWh Erdgas;
der Stromverbrauch der Chemieindustrie in Deutschland bei rund 51 TWh/a;
die Produktion von Wasserstoff beläuft sich auf rund 4.380 Mio. m³ (ca. 394.000 t).
7 1 Terrawattstunden (TWh) sind 1012 Wh oder 3,6 PJ (1015 J)
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Abbildungen 2: Endenergieverbrauch in der Chemieindustrie und Anteil der Sektoren am Stromverbrauch und organische Rohstoffbasis der Chemieindustrie in Deutschland
Ergänzend dazu verfügen die Standorte der Chemieindustrie über umfangreiche
Energieinfrastrukturen, insbesondere Strom- und Gasnetze, und über eine hohe
energietechnische und -wirtschaftliche Expertise, um die Potenziale innovativer,
skalierbarer technologischer Optionen im Rahmen von FuE-Vorhaben und
Potenzialanalysen zu validieren, zu erforschen und zu entwickeln.
Allerdings muss ausdrücklich betont werden, dass die Potenziale zur Flexibilisierung
und zur Sektorenkopplung aufgrund der großen Unterschiede in den
Produktionsanlagen und Produktionsstandorten sehr unterschiedlich sind. Darüber
hinaus sind die chemischen Einzelprozesse in Standortverbünden integriert, so dass
Flexibilisierungen in der Regel zu Sekundäreffekten in den Verbünden führen dürften:
durch Kraft-Wärme-Verbünde ist beispielsweise die dezentrale Stromerzeugung an
den Standorten an die Prozesswärmeerzeugung angekoppelt;
des Weiteren muss bei der Abschätzung industrieller Flexibilitätspotenziale
einschränkend berücksichtigt werden, dass in der Verbundproduktion
Nebenprodukte eines Produktionsprozesses ressourcenschonend als
Ausgangsstoffe der nachgelagerten Folgeproduktionen verwendet werden, was die
Flexibilitätspotenziale in Verbundstrukturen auf den jeweils betrieblich möglichen
Rahmen begrenzt.
„Industrielle“ Forschung und Entwicklung und zum Verständnis von
„Sektorenkopplung“
Um die Sektorenkopplung und die damit verbundenen Ziele einer nachhaltigen
Energieversorgung erreichen zu können, ist „industrielle“ Forschung und
Entwicklung (FuE) eine wichtige Voraussetzung. Dabei muss die günstigste Option
der CO2-Vermeidung oder -Minderung implementiert werden. Ziele, die den
Implementierungsgrad bestimmter Technologien (wie Photovoltaik, Windenergie,…)
vorschreiben, gehen nicht zwangsläufig mit Emissionsminderungen einher oder
beschreiben nicht den volkswirtschaftlich und ökologisch sinnvollsten Pfad. Ein
Schwerpunkt der öffentlich geförderten FuE-Aktivitäten mit Bezug zur
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Sektorenkopplung lag bisher auf Ansätzen wie der Wasserelektrolyse.
Förderaktivitäten zu anderen Flexibilitätsoptionen wie zum Beispiel innovative flexible
elektrochemische und elektrothermische Chemie-Prozesse,8 die hilfreiche Grundlagen
zur Sektorkopplung legen können, sind beispielsweise mit dem Kopernikus-Projekten
„Power2X“, „SynErgie“ und dem Projekt „Carbon2Chem“ aufgegriffen. Allerdings
bleiben gerade in der Chemieindustrie Forschungslücken, die wesentliche Impulse zur
Flexibilisierung und gegebenenfalls zur Elektrifizierung von Industrieprozessen und der
Sektorenkopplung leisten können und die weiter geschlossen werden sollten (s. die
Empfehlungen hierzu in Kapitel 5).
Das vorliegende Papier will aus Sicht der Chemieindustrie ein grundlegendes
Verständnis für die besonderen Anforderungen industrieller FuE in der Chemie,
fokussiert auf die Herausforderung der Sektorenkopplung und die notwendigen
forschungspolitischen Rahmenbedingungen, legen und spezifisch
Lösungsmöglichkeiten herausarbeiten.
Zum Verständnis von „Sektorenkopplung“
Unter „Sektorenkopplung“ wird die Umwandlung elektrischer Energie in andere
Energieformen wie Wärme oder chemischer (Bindungs-)Energie, gespeichert in
Form von zum Beispiel Wasserstoff oder flüssiger Energieträger sowie von
Plattformchemikalien verstanden, die jeweils andere Märkte oder „Sektoren“ bedienen
– bei der Sektorenkopplung verlässt elektrische Energie den Stromsektor dauerhaft.
So führt beispielsweise die Überführung von Strom in Wärme zur Kopplung der
Sektoren „Strom-“ und „Wärmemarkt“. Damit werden auch die anderen
Energiemärkte, bei denen die heute verwendeten Energieträger zukünftig ganz oder
zeitweise durch Strom subsituiert werden, ebenfalls beeinflusst.
3. Alternative Ansätze der Chemie für die Sektorenkopplung
3.1. Forschungspolitische Fragestellungen und Stand der FuE-Aktivitäten zur
Sektorenkopplung
Um eine Wirtschaftlichkeit für Prozesse in Richtung auf eine Sektorenkopplung zu
erreichen, hat die strombasierte Wasserstofftechnik eine Schlüsselfunktion inne.
Allein die schrittweise Substitution der Erzeugung von Wasserstoff aus Erdgas und
Erdölderivaten besitzt für die Chemieindustrie und Raffinerietechnik in Deutschland ein
Reduktionspotenzial von 10 - 15 Mt CO2/a. Die weiteren Potenziale der strombasierten
Wasserstofftechnik für die CO2-Emissionsminderung durch Vergasung (hier
Umsetzung mit Wasserstoff) kohlenstoffhaltiger Abfälle statt Abfallverbrennung, durch
Verfahrensentwicklungen zur Herstellung von Olefinen, Aromaten und letztendlich
8 s. Diskussionspapier „Elektrifizierung chemischer Prozesse“, DECHEMA, April 2015
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Polymeren mit Schließung des Kohlenstoffkreislaufes durch das System der
„Kohlenstoffkette“ lassen sich zum heutigen Zeitpunkt überhaupt noch nicht
einschätzen.
Da für eine Sektorenkopplung große zusätzliche Mengen an Regenerativstrom
erforderlich sind, um den Anlagenbetrieb wirtschaftlich darstellen zu können (Abb. 3
und 4), kann heute schon abgeschätzt werden, dass zur Kopplung der
Energiesektoren ein weiterer Ausbau der erneuerbaren Energiekapazitäten erforderlich
ist.
Abbildung 3: Beispiel für die Sektorenkopplung mit herkömmlichen Technologien
Der Primärenergiebedarf bei der Nutzung alternativer Energien im Gegensatz zu fossil
basierten Prozessen steigt aufgrund zusätzlicher Umwandlungsschritte. Die
Sinnhaftigkeit dieser Syntheserouten zur Erzeugung von Plattformchemikalien in
großen Maßstab muss kritisch hinterfragt und unter systemischen Aspekten erforscht
werden. Aktuelle Potenzialanalysen gehen von einer maximal erzeugbaren Menge
erneuerbarer Energie von 800 - 900 TWh aus, gegenüber einem Primärenergiebedarf
in Deutschland von derzeit ca. 3.700 TWh.9 So würde eine nahezu vollständige
Reduzierung der CO2-Emissionen beispielsweise der Chemieindustrie in Europa bis
zum Jahr 2050 nur gelingen über die Nutzung von CO2 als Rohstoff für zentrale
Plattformchemikalien respektive darüber hinausgehend durch die Erzeugung
synthetischer Kraftstoffe. Für die zu installierenden Kapazitäten regenerativer Energien
bedeutete dies aber eine erhebliche Überschreitung der Kapazitätsprognose der IEA
bis 2050 in Bezug auf Europa:10
der EE-Bedarf für die Chemieproduktion in Europa wird dabei abhängig vom
Szenario in der Range von 960 TWh (entsprechend etwa 30% der verfügbaren EE-
9 Agora Energiewende; Energiewende 2030; The Big Picture; Megatrends, Ziele, Strategien und eine 10-
Punkte-Agenda für die 2. Phase der Energiewende, Juni 2017
10 s.a. Technologiestudie „Low carbon energy and feedstock for the European chemical industry“,
DECHEMA, August 2017
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Kapazitäten) bis 1.900 TWh (55% der EE-Kapazitäten) respektive bis zu 4.900 TWh
(140% EE-Kap.) verortet;
bei Einbeziehung der Produktion synthetischer Treibstoffe erhöhte sich der Bedarf
in Europa auf 2.000 TWh (60%) bis 4.600 (135%) bzw. 11.700 TWh (350%); der
Bedarf an CO2-Ressourcen lässt sich in der Range von 50 bis zu 300 Mt für
Plattformchemikalien und 110 bis zu 670 Mt für Chemikalien und Treibstoff
beziffern;
dabei stehen nach Abschätzungen der IEA 380 Mt in Europa CO2-Ressourcen aus
großen Punktquellen zur Verfügung, so dass Engpässe in der CO2-Versorgung bei
ambitionierterer Nutzung nicht-fossiler erneuerbarer Energiequellen für die
Erzeugung von Plattformchemikalien und der Treibstoffproduktion absehbar sind.
Die Umsetzung des oben zitierten CO2-Minderungspotenzials über eine prinzipiell
mögliche Substitution des fossil aus Erdgas und Erdölderivaten erzeugten H2 durch
strombasierte Technologien erforderte 80 TWh/a erneuerbaren Strom mit einer
Netzverfügbarkeit von 3.000 - 4.000 h/a. Vor dem Hintergrund des Kapazitätsaufbaus,
dem Stand des Netzausbaus und der verfügbaren Speicherkapazitäten für
erneuerbare Energien müsste hierfür ein längerer Zeithorizont veranschlagt werden,
damit diese Energiemengen überhaupt verfügbar sind. Eine schrittweise Substitution
hätte den Vorteil, dass beispielsweise Elektrolysen und Speichertechnologien die
„klassischen“ Technologien ergänzen und auf einer längeren Zeitachse ggf. ersetzen.
Solange CO2 in diesen Größenordnungen zur H2-Erzeugung durch Steamreforming
aus Methan emittiert wird, erscheint es volkswirtschaftlich kurz- bis mittelfristig wenig
sinnvoll, Methan, Methanol oder andere Basischemikalien großtechnisch mit
strombasiertem H2 herzustellen. Diese Technologiepfade zu neuen Plattform-
chemikalien scheinen derzeit wirtschaftlich erst auf einer längeren Zeitskala
realisierbar. Zur CO2-Nutzung dürfte es noch längere Zeit ein hinreichendes Angebot
von CO2-Punktquellen als konzentrierte Edukten geben, so dass auch die
großtechnische CO2-Gewinnung aus der Rauchgasreinigung ein Thema bleiben sollte.
Um den erforderlichen Ausbau der erneuerbaren Energien aus Gründen der
Wirtschaftlichkeit und Sozialverträglichkeit auf ein Mindestmaß zu begrenzen, müssen
an die Energieeffizienz der Wandlungsprozesse hohe Anforderungen gestellt werden
(„efficiency first“): Dazu müssen innovative Technologien aus den im Weiteren
aufgeführten Anwendungsfeldern (s. Kap. 3.3.) entwickelt und genutzt werden, die eine
Sektorenkopplung unter Wechsel auf H2-reichere Rohstoffe, wie in Abb. 4 für Erdgas
gezeigt, bei deutlich geringerem Strombedarf resp. der Herstellung zusätzlicher
Produkte ermöglichen:
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Abbildung 4: Beispiel für die Sektorenkopplung mit innovativen Technologien der Chemieindustrie
Die Vorteile der innovativen Technologien aus der Chemieindustrie sind:
Ein geringerer Strombedarf, wodurch ein höherer Anteil an sogenanntem
„Graustrom“ bei gleichen CO2-Emissionen genutzt werden kann;
die Realisierbarkeit größerer Skaleneffekte und
die Möglichkeit zum Aufbau zweier paralleler Wertschöpfungen – statt einer wie
zum Beispiel im Fall der Wasserelektrolyse.
Weiterführende Überlegungen für den Ausbau erneuerbarer Energien in Deutschland
sind von strategischen Investitions- und FuE-Entscheidungen in Richtung auf
technologische Optionen zur Nutzung erneuerbarer Energien, die im Sinne einer
Sektorenkopplung unter Verwendung von CO2 als Rohstoff genutzt werden können,
nicht zu trennen. Politische Ziele zur Reduzierung der CO2-Emissionen bis zum Jahr
2050 erfordern grundsätzlich eine Betrachtung von Langfristszenarien. Jüngste
Veröffentlichung konstatieren hier erheblichen Umsetzungsdruck, um „neue
Produktionsverfahren und CO2-arme Produkte zu entwickeln und auf den Markt
bringen [zu müssen]“, was „besonders für Branchen im internationalen Wettbewerb
eine zentrale Herausforderung dar[stellt]“.11
Hier soll ausdrücklich festgestellt werden, dass die Chemieindustrie in einem starken
internationalen Wettbewerb steht. Die für die Technologieentwicklung erforderlichen
FuE-Investitionen müssen frühzeitig, beginnend mit dem Ende dieses Jahrzehnts, auf
die Schiene gesetzt werden. „Die verbleibenden 30 Jahre bedeuten – gemessen an
den langen Zeiträumen für Technologieentwicklung und der hohen Lebensdauer
industrieller Anlagen – eine kurze Zeitdauer.“11
11 Langfristszenarien für die Transformation des Energiesystems in Deutschland; Modul 0: Zentrale
Ergebnisse und Schlussfolgerungen; Studie im Auftrag des BMWi, Fraunhofer ISI, September 2017
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3.2. Kriterien zur Bewertung der technologischen und ökonomischen Sinnhaftigkeit
von Maßnahmen zur Sektorenkopplung auf Basis des technologischen Status
quo
Der Weg zur wirtschaftlichen Umsetzung von technologischen Optionen zur
Sektorenkopplung respektive von Power-to-X-Technologien kann nur über die
Demonstration großtechnischer industrieller Lösungen zur Wasserelektrolyse und zu
Speichertechnologien gestaltet werden. Dies ist nicht nur von technologischen
Entwicklungen, sondern vorrangig von dem sich ändernden Strommarkt und den
Rahmensetzungen abhängig. Die erforderlichen Maßnahmen in der
Forschungsförderung und zur Markteinführung sollten schon heute initiiert werden.
Um die technologische und ökonomische Sinnhaftigkeit von Maßnahmen zur
Sektorenkopplung auf Basis des technologischen Status quo im
Energieversorgungs-system bewerten zu können, werden Kriterien benötigt (s. Kap.
4.1.).
3.3. Technologische Entwicklungsschwerpunkte2, 3
Power-to-Heat in Kombination mit konstant laufenden
Prozesswärmeerzeugern (KWK-Anlagen) und Industrial Smart Grids
Power-to-Heat-Technologien sind wegen der vergleichsweise sehr geringen
Investitionskosten derzeit eine der vielversprechendsten Möglichkeiten zur Nutzung
von bedarfsüberschreitend produziertem Strom. Eine direkte Nutzung von Strom
zur Wärmeerzeugung und damit die Substitution fossilen Erdgases kann an
einzelnen Standorten ggf. eine höhere technologische Effektivität und ökonomische
Effizienz zeigen als die alternative H2-Erzeugung mit regenerativem Strom –
Kostengünstigkeit des Bezugsstroms vorausgesetzt – mit anschließender
Methanisierung und Wärmeerzeugung durch Verbrennung dieses Gases.
Bei stromgeführter Wärmeerzeugung ist die Entwicklung und Realisierung
industrieller Dampf- und Wärmespeichersysteme von hoher Bedeutung; alle
eingesetzten Komponenten entsprechen dem Stand der Technik. Die
Abwärmenutzung, zum Beispiel durch hocheffiziente elektrische Wärmepumpen, ist
in der Forschungsförderung bislang deutlich unterrepräsentiert, insbesondere die
Nutzung von Nieder- und Mitteltemperatur-Abwärme. Für diese
Temperaturbereiche sollten für einzelne Industriestandorte die Nutzungspotenziale
detailliert erfasst werden.
KWK-Anlagen und Industriekraftwerke an großen Chemiestandorten können
einen erheblichen Beitrag zur Flexibilisierung leisten; die kombinierte
Energieerzeugung industrieller KWK- und Anlagen zur regenerativen
Wärmeerzeugung (zum Beispiel Elektrodenkessel) eröffnet über Lastmodulation
Möglichkeiten zur Verlängerung der Jahresvollaststunden von EE-Anlagen und
damit eine wirtschaftlichere Energieerzeugung aus erneuerbaren Energien. KWK-
Anlagen können bei entsprechender Ausgestaltung und Weiterentwicklung in
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Kombination mit der Eigenversorgung zur Deckung von Residuallasten beitragen
bzw. Regelenergie anbieten und Kapazitäten vorhalten (Abb. 5).
Abbildung 5: Beispielhafte Darstellung von Power-to-Heat-Technologien in Kombination mit industriellen Prozesswärmeerzeugern9
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Chemiestandorte und Chemieparks haben in Kooperationen mit der
Energiewirtschaft neben ihren einzelnen Prozessen das energiewirtschaftliche und -
technische Know-how, den Herausforderungen einer flexibleren Energieversorgung
zu begegnen, da hier zahlreiche SynergiePotenziale beispielsweise durch
Kombination mit bestehenden Anlagen zur Erzeugung von Prozesswärme, H2 oder
Synthesegas bestehen („Industrial Smart Grids“). Nach dem „virtuellen Power-
to-Gas“-Konzept wird temporär die Energiezufuhr einer ansonsten konstant
laufenden erdgasbasierten Wärmeerzeugung ersetzt und so der Gasverbrauch
durch eine regenerativ elektrische Wärmeerzeugung reduziert. Alternativ kann
virtuelles Power-to-Gas eine ansonsten konstant laufende Verstromung
energiereicher Abgase temporär ersetzen, ebenso Prozesse zur Umwandlung nicht
verstromter Abgase beispielsweise in der Stahlindustrie.
Elektrochemische Grundstoffherstellung inklusive Chlor-Alkali-
Elektrolyse und andere Prozesse mit Koppelerzeugung von Wasserstoff
In der Chemieindustrie gibt es verschiedene elektrochemische oder
elektrothermische Produktionsprozesse mit gekoppelter H2-Erzeugung. Werden
diese Prozesse flexibel – unter bevorzugtem Einsatz erneuerbarer Energien –
betrieben, so resultiert eine ähnliche Systemwirkung wie beim Einsatz von
Wasserelektrolysen. Das in Koppelproduktion erzeugte H2 kann dementsprechend
als vergleichbar emissionsarm erzeugter Energieträger und Rohstoff betrachtet
werden. Obwohl Technologien vorhanden und erprobt sind, besteht sowohl für
Großelektrolyseure als auch für kleinere Einheiten erheblicher Forschungsbedarf –
zur Flexibilisierung zum Beispiel bei den Katalysatoren sowie der Peripherie
hinsichtlich der notwendig werdenden H2- und Produkt(zwischen)speicher.
Elektrochemische Verfahren ermöglichen eine sichere Erzeugung reaktiver Spezies
unter milden Temperatur- und Druckbedingungen und die Synthese von ansonsten
schwer bzw. nicht zugänglichen chemischen Verbindungen bzw. den Einsatz
reaktionsträger Ausgangsstoffe wie beispielsweise CO2. Modulare
elektrochemische Verfahren können Kapazitätserweiterungen erheblich
vereinfachen, haben aber heute in vielen Fällen hohe Investitionskosten im
Vergleich zu anderen Verfahren. Um diese zu senken, bedarf es spezifischer
Forschungsanstrengungen; dabei bleibt allerdings das Problem der hohen Kosten
größer dimensioniert anzulegender Peripherieprozesse. Die FuE-Bedarfe, die
Entwicklungspotenziale bzw. Entwicklungsziele sind sehr spezifisch und sollten
daher gemeinsam zwischen Industrie, Wissenschaft und Bundesressorts vertiefter
diskutiert werden
Darüber hinaus sind in der Chemieindustrie weitere technologische Optionen
bekannt, wie zum Beispiel die Lichtbogentechnologie zur Erzeugung von Acetylen
oder Synthesegas. Ihre industrielle Bedeutung ist derzeit noch vergleichsweise
gering, sie hat aber im Kontext der Sektorenkopplung und einer verstärkten
Elektrifizierung ein hohes Potenzial ggf. auch durch die Möglichkeiten, an den
Standorten Kapazitäten zur „Cogeneration“ zu installieren.
16 20. Oktober 2017
Elektrolytische Metallraffination: Die elektrolytische Metallraffination von Kupfer,
Silber und auch Gold gehört zu den klassischen elektrochemischen
Industrieprozessen. Auch wenn diese Prozesse grundsätzlich erprobt sind, besteht
doch Entwicklungsbedarf zur Kopplung mit Strom aus erneuerbaren Energien,
besonders bezüglich der Flexibilisierung des Prozesses bei gleichbleibender
Produktqualität und Ausbeute.
Umsetzung von emissionsarm erzeugtem H2 oder Synthesegasen in
Folgeprodukte
Wie geschildert, spielen strombasiert emissionsarm erzeugte Energieträger und
Rohstoffe wie H2 und Synthesegas eine große Rolle zur Sektorenkopplung,
während gleichzeitig ein hoher Bedarf an kohlenstoffhaltigen Zwischenprodukten
und Kraftstoffen besteht. Im Zuge einer flexiblen Erzeugung von H2 und
Synthesegas sind daher auch die Folgeprozesse wie zur Methanisierung und zur
Methanolherstellung und die Bereitstellung von Kohlenstoffquellen zum Beispiel
CO2 zu flexibilisieren. Dabei sind Kooperationen mit anderen Sektoren,
insbesondere der Stahl- und der Metallerzeugung als mögliche CO2-Quellen, zu
berücksichtigen. Die Potenziale dieser technologischen Optionen gilt es,
konsequent zu erforschen und zu demonstrieren. Derzeit ist deren Wirtschaftlichkeit
nicht gegeben, die Prozessketten müssen für die infrage kommenden Verfahren
optimiert werden.
Eine weitere Option zur H2-Nutzung besteht in der Herstellung möglichst
emissionsarmer „erneuerbarer Kraftstoffe“ und der H2-Nutzung in
Raffinerieprozessen. Dafür werden entsprechende Infrastrukturen an den
Industriestandorten benötigt. Sofern ein Brennstoffwechsel im Rahmen von
Flexibilisierung, zum Beispiel bei einem Überangebot von EE-Strom, nur zeitweise
möglich ist, spricht man auch von Hybridisierung (s. Abb. 4.).
Lastverschiebungen in Batch- und elektrochemischen Prozessen sowie
Batterien zur Nutzung von bedarfsüberschreitendem Strom
Die Nutzung von Batch-Prozessen und elektrochemischen Reaktionen sowie
Batterien haben in der Summe ein erhebliches theoretisches Potenzial. Beispiele
sind Batch-Prozesse in der Graphitindustrie – mit hohem Energiebedarf zur
kurzfristigen Netzstabilisierung sowie zur Langzeitspeicherung von Strom im
Produkt – oder elektrochemische Batch-Prozesse.
Druckluft-Speicherung
Die Speicherung von Druckluft (oder anderer Gase) ist ein Beispiel für eine weitere
einfache aber effektive Möglichkeit der Chemieindustrie, sich energieflexibel zu
verhalten.
17 20. Oktober 2017
4. Forschungspolitische Herausforderungen für die Entwicklung und die
Einführung von Technologien für die Sektorenkopplung
Bei der Entwicklung von Optionen zur Flexibilisierung und Sektorenkopplung wird im
Allgemeinen noch sehr in Technologien statt in Funktionen gedacht: So hat ein
beiderseits um einen Durchschnittswert flexibel betriebener Industrieprozess
weitgehend die gleiche Systemwirkung wie die Kombination eines unflexibel laufenden
Verbrauchers mit einem sehr effizienten Speicher wie zum Beispiel einem
Batteriespeicher. Diese Sichtweise spiegelt sich aber weder in den Regularien,
wie zum Beispiel die Ungleichstellung bei Befreiung von Netznutzungsentgelten,
noch in der Allokation von FuE-Fördermitteln und -maßnahmen angemessen
wider. Hier muss das bereits formulierte Prinzip der „Technologieoffenheit“ gelten.
Für die Entwicklung und die Einführung von Technologien für die Sektorenkopplung ist
ein Denken in Funktionen erforderlich. Die Kopplung mit Industrieprozessen erfordert
im Allgemeinen deutlich höhere Fach- beziehungsweise Systemkompetenz, die
Ansätze sind in der Regel deutlich erklärungsbedürftiger. Daher besteht ein hohes
Risiko, dass technologische Optionen zur Sektorenkopplung in der regulatorischen
Anerkennung beziehungsweise Gleichstellung sowie auch der gesellschaftlichen
Akzeptanz benachteiligt werden. Die Bewertung von Technologien zur Vermeidung der
THG-Emissionen über die Sektorenkopplung muss diskriminierungsfrei und zumindest
europaweit nach einheitlichen Gesichtspunkten und Kriterien erfolgen. Um die oben
skizzierten Potenziale in der Chemieindustrie aktivieren zu können, müssen
zunächst Entwicklungsbarrieren überwunden werden, die innerhalb der
Chemieindustrie und der Netzwerke der Chemieindustrie mit der Wissenschaft und mit
den Bundesressorts diskutiert werden sollten.
4.1. Besondere technologische Randbedingungen in der Industrie (Verbund-effekte,
Weiterentwicklung im Pilotmaßstab)
Wesentliche Fragen- und Problemstellungen zur Flexibilisierung von
Prozessen der Chemieindustrie können, anders als im Fall vieler anderer
Entwicklungen zu Energietechnologien wie Batteriespeichern und Elektrolysen, erst
im Produktionsmaßstab adäquat identifiziert, untersucht und deren Lösung
bearbeitet werden; in kleineren Skalierungsbereichen ist dies in der Regel nicht
effektiv möglich. Dies führt dazu, dass für derartige Untersuchungen deutlich
höhere spezifische Aufwendungen insbesondere beim Kapitalaufwand zu tätigen
sind. Auf der Seite der Forschungsförderung wirkt sich nachteilig aus, dass
Entwicklungen auf der Skala des Produktionsmaßstabs üblicherweise mit deutlich
geringeren Sätzen gefördert werden, obwohl gerade bei diesen energietechnischer
Flexibilisierungsoptionen die technischen und wirtschaftlichen Entwicklungsrisiken
noch sehr hoch sein können. Ein pragmatischer Ansatz zur praxisnahen Förderung
sektorübergreifender Technologien lautet:
Etablierung von Fördermaßnahmen
18 20. Oktober 2017
für größere Demonstrationsanlagen für zeitlich kurzfristiger realisierbare
technologische Entwicklungen und
für Projeke im Technikumsmaßstab für eine breitere Palette längerfristig
umsetzbarer technologischer Optionen.
Die Chemie spricht sich für eine ressortübergreifende und branchenübergreifende
Diskussion zur Nutzung von nicht bedarfsgerecht produziertem erneuerbaren Strom
aus. In den technologiepolitischen Diskussionen wird dieser erneuerbarer Strom
„bereits mehrmals verkauft“; es muss der Blick dafür geschärft werden, welche
Erzeugungskapazitäten für erneuerbare Energien für die vielfältigen
technologischen Optionen zukünftig im Sinne der energie- und klimapolitischen
Zielsetzungen der Bundesregierung zur Verfügung gestellt werden müssen. Für die
Auswahl von Sektorkopplungsoptionen müssen Kriterien auf Basis des
technologischen Status quo entwickelt werden.
Dies sollten sein
die CO2-Einsparung – dabei müssen potentielle CO2-Minderungen durch
Sektorkopplungstechnologien den Emissionen aktueller Technologien
gegenübergestellt werden;
technologische Lücken im System, d.h. Einbringung von erneuerbaren Energien in
Anwendungsbereiche, die ansonsten nicht erneuerbar versorgt werden könnten,
die betriebswirtschaftlichen Kosten sowie
die Möglichkeiten zur Erbringung von Systemdienstleistungen im Energiesystem.
4.2. Strukturelle Probleme und erforderliche Paradigmenwechsel in der Industrie
Die Untersuchung von Möglichkeiten zur Flexibilisierung der Energienutzung über
Produktionsprozesse bedeutete in vielen Fällen einen grundlegenden
Paradigmenwechsel für die Chemieindustrie, für die eine hohe Anlagenauslastung
oberste Priorität hat. Daher besteht in den Unternehmen für derartige Projekte ein
höherer Rechtfertigungszwang insbesondere vor dem Hintergrund des
internationalen Standortwettbewerbs. Eine Flexibilisierung der Prozesse bedeutet
notwendigerweise eine Installation von Überkapazitäten, woraus eine geringere
Auslastung der Anlagen folgt;
zusätzliche Speicher;
Effizienzverluste durch schwankende Betriebszustände und
ein höherer Verschleiß durch schwankende Betriebszustände und damit eine
höhere Materialbelastung in den Anlagen.
Diese Punkte führen zwangsläufig zu höheren Produktionskosten und
bedürfen der Gegenfinanzierung im Strommarkt.
19 20. Oktober 2017
Ein weiterer Paradigmenwechsel ist in vielen Fällen bei der Bewertung einer
gezielten (Teil)-Elektrifizierung von Produktionsprozessen notwendig, denn die
energieintensive Industrie hat – von Ausnahmen abgesehen – über Jahrzehnte die
Nutzung von Strom als teuren Energieträger vermieden und andere Energieträger
priorisiert. Auch aus exergetischen Gründen wurde und wird die Nutzung von Strom
für Anwendungen wie beispielsweise der Wärmeerzeugung in Frage gestellt, bei
wachsenden EE-Kapazitäten und damit einhergehenden „Stromüberschüssen“ und
einer somit sinnfällig werdenden Nutzung im Wärmesektor spielen diese Gründe
aus Sicht der Chemie jedoch eine zunehmend geringer werdende Rolle.
4.3. Unklare regulatorische und Marktbedingungen bei hoher Kapitalintensität und
langfristigen Technologiezyklen
Zur Etablierung der technologischen Optionen zur flexiblen Nutzung elektrischer
Energie und von Energiespeichern in der Chemieindustrie ist eine Optimierung des
regulatorischen Rahmens und der Marktbedingungen notwendig:
Bei der Erzeugung chemischer Energieträger wie zum Beispiel H2 für andere
Sektoren, wie dem Verkehr, sind neue Geschäfts- und Investitionsmodelle
erforderlich, so dass ein Teil der Innovation in der Entwicklung von Investitions- und
Geschäftsmodellen besteht, bevor die potentiellen Partner in der
Wertschöpfungskette Ressourcen für die Entwicklung der Technologien allokieren
können. Die aktuellen Strommärkte und Regularien senden nun keine
hinreichenden Signale zum Anreiz der strategischen Entwicklung neuer
Geschäfts- und Investitionsmodelle zur Hebung von Flexibilitätspotenzialen
und Installation von Speichern, sondern belasten sie durch Abgaben.12 Zusammen
mit den in der Industrie üblicherweise vergleichsweise hohen Barrieren bei
Technologiewechseln besteht somit die Gefahr, dass effektive
Technologieentwicklungen erst verspätet begonnen und zur Verfügung stehen
werden.
5. Lösungsvorschläge und Empfehlungen
Zur Überwindung dieser in Kapitel 4 beschriebenen Entwicklungsbarrieren schlägt der
VCI folgende Maßnahmen vor:
5.1. Maßnahmen zur Förderung von Forschung und Entwicklung (FuE)
Die deutsche Energiewende fokussiert bislang auf den Energieträger Strom. Die
Kopplung der Energiesektoren sowie mit chemischen Grundstoffen ist in der
12 Grundlagen zur Markteinführung von Stromspeichern aus Sicht der chemischen Industrie, VCI, Juli
2017
20 20. Oktober 2017
Technologiediskussion und -förderung bislang unterrepräsentiert und sollte
verstärkt in den Fokus der Forschungsförderung rücken.
Eine Reihe von Technikumsanlagen der strombasierten Wasserstofftechnik haben
die Leistungsfähigkeit und Flexibilität der Wasserelektrolyse nachgewiesen. Jetzt
gilt es, das Erreichen der Wirtschaftlichkeit der Wasserelektrolyse durch
Übertragung in den industriellen Maßstab zu demonstrieren und mit Einsatz von
Großkavernen die bei fluktuierendem Stromanfall unvermeidbare Speicherung des
Wasserstoffs großtechnisch darzustellen:
Daher sollten attraktive Fördermaßnahmen einschließlich der Förderung
von Demonstrationsanlagen etabliert werden. Zur Untersuchung der
technischen Machbarkeit und zur Identifizierung wichtiger Fragestellungen sind
in der Regel kostenintensive Demonstrations- und Pilotanlagen am Anfang (!)
der Entwicklungen mit adäquaten Förderbedingungen erforderlich.
Hierzu gehört insbesondere die zeitweilige Befreiung des Versuchsbetriebs von
Entgelten, Abgaben und Umlagen („Experimentierklausel“).
In Verbundprojekten sollten die Industriepartner auch von der Erfordernis
entbunden sein, dass nicht-industrielle FuE-Einrichtungen maßgeblich
eingebunden oder konsortialführend sein müssen.
Etablierung neuer Fördermodelle für industrienahe FuE-Projekte mit großem
unternehmerischem Risiko zur Umsetzung technologischer Optionen zur
Sektorenkopplung (zum Beispiel Finanzierung höherer Fördersätze über
Fondsmodelle etc.).
Förderung quantitativer Untersuchungen zur Analyse und Beleg des
Systemnutzens flexibler Industrieprozesse; insbesondere Vergleich mit anderen
„klassischen“ Energietechnologien wie Batteriespeicher und anderen Optionen für
die Energiespeicherung.
Der VCI empfiehlt für die weitere Technologieentwicklung, insbesondere die
Möglichkeiten zu diskutieren, die eine regionalspezifische Ausgestaltung der
Sektorenkopplung – beispielsweise in Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein,
Sachsen-Anhalt und Bayern – angepasst an die regionalen Infrastrukturen jeweils
bieten. Vorschläge für große Kooperationsprojekte und wissenschaftliche
Begleitprojekte sind:
Ausweitung der Förderung von KWK-Anlagen in Kombination mit regenerativer
Wärme- und Stromversorgung von Industriestandorten;
Entwicklung industrieller Dampf- und Wärmespeichersysteme und Technologien
zur Abwärmenutzung durch hocheffiziente elektrische Wärmepumpen;
Entwicklung von flexibleren industriellen Großelektrolyseursystemen und
zugeordneter Großspeicher (Kavernen) sowie kleinerer Einheiten der
Wasserelektrolyse: Katalysatoren, Peripheriesysteme (H2- und
Produkt(zwischen)speicher);
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Weiterentwicklung der Lichtbogentechnologie zur Erzeugung von Acetylen oder
Synthesegas inkl. der Erforschung der Möglichkeiten zur „Cogeneration“;
Erforschung und Demonstration der Potenziale zur flexiblen Erzeugung von H2
und Synthesegas sowie der Folgeprozesse zur Methanisierung und zur
Methanolherstellung, der Bereitstellung von Kohlenstoffquellen über zum
Beispiel CO2 in der Chemieindustrie und insbesondere der Stahl- und der
Metallerzeugung, zur wirtschaftlichen Optimierung der Prozessketten;
Erforschung und Demonstration der Potenziale zur flexiblen elektrolytischen
Metallraffination.
Herstellung möglichst emissionsarmer „erneuerbarer Kraftstoffe“ und H2-
Nutzung in Raffinerieprozessen;
Optimierung von modularen elektrochemischen Batch-Prozessen und
elektrochemischen Reaktionen sowie Batterien zur Stromspeicherung an
Industriestandorten, Senkung der Investitionskosten, Systemoptimierung
inklusive der Peripherieprozesse. Bei der Druckluft- oder Gasspeicherung
besteht Entwicklungsbedarf für kostengünstigere Speichermöglichkeiten
(Behälter) sowie für Nachverdichter mit höherem Wirkungsgrad.
Intensivierung der notwendigen Diskussionen in Stakeholder-Netzwerken:
Sensibilisierung für die Chancen in den Branchen durch branchenweite und -
übergreifende Thematisierung und Schaffung von Plattformen über Netzwerke,
Organisationen und Verbände;
Unterstützung in der Außendarstellung durch die Politik.
5.2. Maßnahmen zur Anpassung regulatorischer Rahmenbedingungen
Die aus Sicht des VCI erforderlichen Maßnahmen zur Anpassung der regulatorischen
Rahmenbedingungen sind an anderer Stelle für Stromspeicher ausführlich
beschrieben.12 Eine entsprechende Analyse für technologische Optionen zur
Sektorenkopplung ist in Arbeit.13 Stellvertretend für alle technologischen Optionen
werden im folgenden die erforderlichen Maßnahmen für Stromspeicher dargestellt,
wobei eine technologieneutrale Anpassung der regulativen Rahmenbedingungen im
Mittelpunkt der Überlegungen steht:
Die Entwicklung von Systemen und Zertifikaten zum Nachweis des
systemdienlichen Nutzens durch Industrieprozesse und zum Einsatz von
regenerativem Strom.
13 Regulierungsgrundlagen für die Sektorkopplung aus Sicht der chemischen Industrie, VCI, September
2017
22 20. Oktober 2017
Eine Schaffung geeigneter zeitlich begrenzter Anreizprogramme oder begrenzter
Märkte zur Einführung neuer Technologien mit klaren Rand- und
Abbruchbedingungen.
Die Etablierung nachhaltiger und verlässlicher Rahmenbedingungen für
Investitionen.
Das Energiepaket der Europäischen Kommission vom November 2016 „Saubere
Energie für alle Europäer“,14 hier insbesondere die Vorschläge zum
Strommarktdesign und die Revision der Erneuerbare Energien Richtlinie, enthält
vielversprechende Ansätze für eine bessere regulatorische Einbindung von
Energiespeichern. Eine allgemeine, technologieoffene Definition von
Energiespeichern sowie die Abschaffung von Barrieren zur effizienten Kopplung
verschiedener Sektoren sind Schritte in die richtige Richtung.12, 15
Derzeit bestehen noch einige Hemmnisse für die Verwendung von Stromspeichern
im Markt und für Systemdienstleistungen beispielsweise in Form der
Umlagebelastung von Strom für die Einspeicherung und in der bestehenden
Netzentgeltsystematik. Mit dem EEG 2017 wurde eine Doppelbelastung von
Speicherstrom mit der EEG-Umlage, d.h. Umlageerhebung auf die Einspeicherung
und auf den Letztverbrauch zwischengespeicherten Stroms, weitgehend
aufgehoben. Darüber hinaus sollten systemdienliche Mehrentnahmen von
Umlagen jedweder Art entlastet werden. Eine flexiblere Ausgestaltung der
Netzentgeltsystematik – auch der Regelungen zu individuellen Netzentgelten –
sowie eine vollständige Umlageentlastung von Speicherstrom, würde die
Marktdurchdringung von Stromspeichern und anderen Flexibilitätsoptionen
grundsätzlich befördern. Präqualifikationsbedingungen für die Erbringung von
Systemdienstleistungen sollten die Integration von Stromspeichern ermöglichen.
Grundsätzlich sollte Flexibilität und die Installation von Speicherkapazität nicht
verordnet, sondern möglichst marktbasiert und energiewirtschaftlich angereizt
werden. Entsprechend sollten Stromspeicher – Pilotprojekte ausgenommen – keine
gesonderte Förderung erfahren.
Für die Markteinführung von Stromspeichern ist die freie Strompreisbildung
essenziell: Preisspreizungen sind das ökonomische Rückgrat des Speicherbetriebs.
Deshalb sollten Preisspitzen im Großhandel zugelassen werden und Eingriffe in die
Preisbildung unterbleiben. In diesem Zusammenhang sind Instrumente zum
Preishedging wesentlich: es bedarf hierzu liquider Terminmärkte. Ein ganzheitlich
funktionierender Strommarkt begünstigt somit die Einführung von Stromspeichern.
14 https://ec.europa.eu/energy/en/news/commission-proposes-new-rules-consumer-centred-clean-
energy-transition
15
https://ec.europa.eu/energy/sites/ener/files/documents/swd2017_61_document_travail_service_part1_v6
23 20. Oktober 2017
Um die Installation effizienter Speichertechnologien anzureizen, sollte
ausschließlich die für die Ausspeicherung zur Verfügung stehenden
Strommengen als Speicherstrom anerkannt werden. Speicherverluste würden
somit von einer Umlageentlastung nicht erfasst. Eine entsprechende Regulierung
beförderte effizientere Technologien ohne Investoren zu überproportionalen
Mehrinvestitionen für eine Erreichung höchstmöglicher Speichereffizienz zu
nötigen.
Eine Diskussion über die Möglichkeiten zur Anrechnung der CO2-Nutzung für
technologische Optionen zur Sektorenkopplung im europäischen Emissionshandel
(ETS) ist anzuraten.
Ansprechpartner: Dr. Martin Reuter, Telefon: +49 (69) 2556-1584 E-Mail: [email protected]
Internet: www.vci.de Twitter: http://twitter.com/chemieverband Facebook: http://facebook.com/chemieverbandVCI
Verband der Chemischen Industrie e.V. Mainzer Landstraße 55, 60329 Frankfurt
Registernummer des EU-Transparenzregisters: 15423437054-40
Der VCI ist in der „öffentlichen Liste über die Registrierung von Verbänden und deren
Vertretern“ des Deutschen Bundestags registriert.
Der VCI vertritt die wirtschaftspolitischen Interessen von rund 1.700 deutschen
Chemieunternehmen und deutschen Tochterunternehmen ausländischer Konzerne gegenüber
Politik, Behörden, anderen Bereichen der Wirtschaft, der Wissenschaft und den Medien. Er
steht für mehr als 90 Prozent der deutschen Chemie. Die Branche setzte 2016 rund 5Milliarden
Euro um und beschäftigte 447.000 Mitarbeiter.