Über den Kremasterreflex und die Superposition von Reexen

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lJber den Kremasterreflex und die Superposition yon Re- eXSIlJ)

Von

Prof. Dr. Steiner-Cbln.

Im Anschhss an gelegenfliche Erfahrungen, die ich mit dem Kre- masterreflex gemach~ hatte, unternahm ieh im ]etzten Win~er eine aus- gedehntere Untersuchung fiber diesen Reflex, welche sieh zun~iehst mi~ der Frage naeh seiner Hi~ufigkeit besch~ftigen so]l~e, denn die bisherigen Angaben dariiber mi~ 66 Proz. sehienen mir nich~ zu- treffend. ~)

Die Untersuchung wurde ausgeffihrt an 90 Personen des Soldaten- standes, die im Alter yon 18--24 Jahren standen, und an 10 Zivil- personen, deren Alter his 51 reiehte; im ganzen also an 100 Mann. Von diesen 100 Leuten war eine grosse Anzahl vbllig gesund, ein Tell ha~e k]eine ehirurgische Erkrankungen, besonders der oberen Extremit~ten, oder Erkrankungen der Augen oder Ohren, denen allen man einen Einfluss auf den Kremasterreflex nich~ wohl zumuten konnte. Die Untersuehung geschah in der Weise, dass der Mann mi~ herab- ge]assenen Beinkleidern und his fiber den Nabel erhobenem tiered vor reich hintrat, w~hrend ieh auf einem Stuhle sass. Die Reizung geschah durch Pieken mi~ einer Nadel, namentlich an der Innenfliiche des Oberschenkels in seinem mittleren Teile.

Das Resulta~ war folgendes: Der Kremasterreflex fehlte bei i~r. 18, 36, 44, 60 und 80, d. h. in 5 F~llen; war unsicher bei Nr. 22, 91 und 96, also in 3 F~llen. Ziihlen wir diese zu den obigen 5, so fehlt er in 8 Fi~llen; oder er wi~re vorhanden bei 92 Proz. Nun aber bemerkte ieh bei Nr. 44 und ebenso bei 60, dass der Kremasterreflex wohl fehlte, ferner, dass er bei 91 und 96 unsieher, resp. sehr sehwaeh war, dass abet in der Inguinalfllrehe jedesmal auf die Reizung der Sehen- kelhau~ eine leichte, abet deutliehe Muskelzuckung auftrat, welche

1) 57ach einem Vortrag, gehalten im Allgem. ~rztlichen Verein in Cbln am 21. Juli 1902.

2) Vergl. K. Geigel, Deutsch. med. Wochenschrift 1892, S. 166 u. Sahli, Lehrbuch der klinischen Untersuchungsmethoden. 2. Aufl. 1899. S. 743.

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Geigel zweekm~ssig als Inguinalrefiex bezeichnet butte and gemein- sam mit dem Hodenreflex auftreten sah. ttier aber war au_f die land-

l~ufige Erregung am 0berschenkel an Stelle des Hoden- der Inguinal- reflex aufgetretea. Wenn wir den Saehverhalt vor l~uf ig in dieser Weise auffassen, so war der Kremasterrefiex zum wenigsten in 96 Proz. "~orhanden. Ich sage zum wenigsten, weil ich erst bei Nr. 44 auf dieses Verhiiltnis aufh~erksam wurde, so dass ieh nieht sicher bin, ob der Inguinalreflex nieh~ aueh sehon bei h~r. 18 nnd 36 vorhanden war, abet eben nicht bemerk~ worden ist. Bei Nr. 80 haben tatsgchlieh beide Reflexe gefehlt.

Es geht ads dieser Erfahrung zun~ehst hervor, dass man yon einem Feh len des K remas t e r r e f l exe s zu reden erst dann be- r e e h t i g t ist, wenn aneh tier Ingu ina l re f l ex fehlt .

Hach dieser Atffstellnng ist der Kremasterreflex wenigstens also in 97 Proz. vorhanden und tiber~rifft damit die Angabe yon Geigel um 30 Proz., wghrend die Zahl fast genau die gleiche ist, die SehSnborn jiingst aus der Erbsehen Klinik angegeben hat J), zu einer Zeit, als meine Untersuchung sehon vollk0mmen abgesehlossen, aber noch nicht ~erSffentlieht war, so dass diese Zahl um so zuverlgssiger erseheint, als sie yon zwei Beobachtern unabh~ngig yon einander aufgefunden worden ist.

Gelegentlieh konnte aueh bemerkt werden, dass die Kremaster- reflexe der beiden Seiten nngleieh stark waren, ohne dass sieh hierfiir else bestimmte Regel aufstellen l~isst: bald war der rechte, ein ander Mal der linke der stgrkere; w~hrend weiterhin aueh festgestellt werden konnte, dass der einseitige Reiz einen doppelseitigen Reflex auslSste. Fiir Hr. 41 nnd 99 ist dies Ereignis ausdriieklieh notiert worden, aber es mug noch 5fter u sein, ohne besonders gewiir- digt zu werden.

ttierher gehSrt eine Beobaeh~ung, die den I(remasterreflex aueh als p s y e h i s c h e n Reflex auftreten l~sst. Die Tatsaehe ist folgende: Wghrend ieh mit der Hadel den Obersehenkel picke, sieht der Mann natiirlieh zu; es interessier~ ihn ja zu erfahren, was da eigentlich passiert. Hun konnte ieh in einem F~lle sehen, wie der Hode ]ebhaft gehoben wurde, noch bevor ieh mit der ~udel den Obersehenkel er- reieht hatte. Urn mich yon der Riehtigkeit dieser auffallenden und wohl wenig oder bisher garnieht bekannten Tatsaehe zu iiberzeugen, babe ieh den Versneh mehrere Male wiederholt: stets mit dem gleiehen

1) SchSnborn, Bemerkungen zur klinischen Beobaehtung der Haut- und Sehnenreflexe der unteren KSrperhSlfte. Deutsche Zeitschr. f. ~ervenheilkunde. Bd. XXI. S. 273. 1902.

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Resulta~e. Ieh liess dem Manne die Augen verbinden und nunmehr trot der Reflex erst be~ Reizung der Haut aus Da man nieht wohI annehmen kann, dass in diesem Fal]e an die Stelle des Hau~nerven einfach der Sehnerv tritt., sondern dass es die Angst vet dem Nadel- stiche ist, die zur AuslSsung des Reflexes ffihrt, so erschein~ der Kremasterreflex bier, wie oben bemerkt, als physiseher Reflex, der seiner ganzen Zusammense~zung naeh jedenfalls viel verwickel~er sein muss, als der einfache Reflexvorgang, wie er sich bei Reizung der Sehenkelhaut abspielt -- worauf indes hier nieht n~her eingegangen werden sell. (W~hrend ich dies sehreibe, bedauere ieh sehr, nicht ~ersuch~ zu haben, ob derselbe Mann seinen Hoden nieht aueh wil l- ki i r l ich erheben kann.)

Nebenbei sei noch bemerk~, dass ich eine Ermfidung des Kre- masterrefiexes infolge yon wiederholter Reizung nieht in dem Mal~e gesehen h~be, wie sie Geigel besehreibt, obgleich ich ihren Ein~ritt nich~ bestrei~en will.

Ausf[ihrlieher babe ich reich mi~ der Frage beseh~ftigt, wie gross die Fl~che am Oberschenkel is~, deren Reizung den Reflex auslSst. In der Mehrzahl der F~ille is~ es die ganze innere und vordere Fl~ehe des Oberschenkels, seitlich begrenz~ yon der inneren und gusseren Xante, sowie unten bis zum Knie resp. der Patella reiehend, deren Reizung den Reflex giebt; in einem Fs]le wurde hoch oben die gussere Kante sogar tiberschritten und der Reflex yon der hinteren F]~che auslSsbar.

Nur in wenigen Fgllen reichte die wirksame Reizfl/iehe nieh~ bis znm Knie, sondern ende{ etwa handbrei~ darfiber, wghrend in mehreren Fgllen das Knie iiberschritten wurde und aueh die inhere Fliiehe des Untersehenkels bis zum Sprunggelenke bin reizbar war. Letzteres hat ~ibrigens vor Jahren aueh sehon S~rtimpell gesehen. 1) Am emlofind- tiehsten ist aber, wie aueh bisher sehon angegeben wnrde, der mit~lere, inhere Tell dieses Feldes. Die Nerven, urn die es sieh handel,, sind die inn. eutan, femor, ex~ern., medius nnd internns, sowie der ~. ileo- inguinalis und der R. ileohypogastrieus mi~ seinem Ramus iliaeus. Ob in den Ausnahmefgllen, we die reizbare Fliiehe bis zum Sprunggelenk reich', der N saphenus maior beteiligt ist oder ob es sieh um Varia- bilitgten des Cutaneus femor, intern, handelt, is~ nicht zu en~seheiden. Jedenfalls aber gehSren alle diese Nerven dem Plex. hmbalis und nnr diesem an.

In Zahlen gegeben, stell~ sieh das Verhiiltnis folgendermal~en:

1) v. Strtimpell, Uber das Verhalten der Haut- u. Sehnenreflexe bei ~Nerven- kranken. :Neurol. Zentralbl. etc. 1899. S. 617.

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Von den 100 Personen fallen 3 aus, bei denen jeder Kremasterreflex fehl~; yon den verbleibenden 97 kommen 14 auf Personen, bei denen die empfindliche Flgche fiber das Knie hinaus reiehend mehr oder weniger auch den Unterschenkel erreieht; in 3 F~llen ende~ die Fl~che oberhalb des Kales; der Rest yon 80, d. h. 77,6 Proz. haben eine empfindliche Fl~che, die den ganzen Obersehenkel his zum Knie ein- nimm&

Str t impel l 1) hat ftir diese empfindliche Fl~che den Namen ,,reflexogene" Zone eingefiihr& Ich selbst babe dafiir bei einer ancleren Gelegenhei~ die Bezeichnung ,,Fuss" des Reflexes gebraueht 2), die mir treh fender, besonders pl~s~ischer erseheint als der S ~rtimp ellsche Ausdruck.

Weiterhin haste sieh die Untersuehung mi~ der Frage zu besch~f- tigen, ob der Kremasterreflex in seiner St~rke in irgend einem Ver- h~ltnis zu dem Pa~ellarreflex st~nde, wobei man als Ma~ fiir die St~rke die T~tigkeit der in Frage kommenden Muskeln, ihre Hubh5he, wird gelten lassen m~ssen, also bier die mehr oder we/liger ausgiebige Streekung des Knies, dort abet die ttShe, his zu weleher der ttoden gehoben wird. Es wurde deshalb iiberall auch tier Patellarreflex auf beiden Seiten in bekannter Weise gepriif~ und in die entsprechende Rubrik eingetragen, wort~ber nunmehr berichte~ werden soll.

So einfaeh diese Aufgabe erschien, so stSsst man bei dieser Fest- s~ellung auf eine sonderbare Schwierigkeit, wenn man niche, nur meGhaniseh vergleich~, sondern aueh dem Sinne dieses Vergleiehes ge- recht werden will. Sieht man n~mlich nacheinander eine Anzahl m~nnlieher Genitalien, so bemerkt man sehr bald, dass man zwei versehiedene Typen yon I-Ioden unterseheiden kann, die, kurz gesagt, sich so unterscheiden, dass die eine Gruppe sehr welt herunterh~ngt und demgem~ss frei schwebt, die andere dagegen h~ngt nur sehr kurz, sehweb~ nicht frei, sondern ist den Schambeinen wie direk~ angekleb~. ~) Es komm~ hierbei zu ganz erheblichen Un~erschieden in der Kontrak~ion die in Wahrhei~ darauf beruhen, dass im ersten Falle das Aufh~ngeband des Hodens, der Samenstrang, lang, im anderen Falle kurz ist. Da der Kre- mastermuskel dieselbe LEnge haben muss, wie das Aufb~ngeband des Ho- dens, indem seine Btindel sieh tiber den ttoden verbreiten, so hat der lang aufgeh~ngte Hoden die M5gliehkeit einer grossen ttubhShe, wEhrend

1) S~rfimpell, 1. c. 2) Steiner, Die spinalen Reflexe in der ttysterie. Mfinch. reed. Wochen-

schrift 1902. S. 1259. 3) Vom ~sthetischen Standpunk~ aus dfirfte die l~nge Aufh~ingung die

sehSnere Form darstellen, dean die antiken Statuen, ich erinaere nut an den I~arziss, im 3luseum yon Neapel ein SchSnheitsideal, zeigen diese Art der Auf- h~ngung.

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sie bei der kurzen Aufh~ingung eine nur geringe sein kann, selbst wenn der nervSse Autrieb in beiden Fallen der gleiehe is~, d. h. es sind einfache meehanische Verh~ltnisse die Ursache dafter, dass bei der einen Gruppe der Kremas~erreflex lebhaf~ and selbs~ sehr lebhaft erseheint, wiihrend er in der anderen Gruppe ganz nnerheblich oder sehwaeh ausf~illt.. Ich erinnere reich hierbei eines FalLs, wo der ttoden deshalb nicht einfaeh senkrechg in die ttShe gehoben, sondern naeh vorn gedrgng~ wurde. Es seheint mir sogar, dass maneher Xremaster- reflex, tier infolge dessen sehr sehwach erscheint~, fibersehen worden ist; wie denn aueh bei den Fallen 91 und 96, wo der KremasLerreflex sehwaeh snd unsicher war, ausdrfieklieh notier~ wurde, dass die ttoden eine kurze Aufhiingung haben. Praktiseh ergieb~ sieh hieraus die Regel, dass man diese beiden Formen yon Kremasterreflexen, sowei~ ihre St~rke oder Lebhaftigkeit in Frage kommt~ gar nich~ miteinander in Vergleieh stellen kann.

Dieselbe Regel ist anzuwenden bei dem oben angegebenen Unter- nehmen, Beziehungen in der S~grke zwisehen dem Patellarreflex nnd dem Kremasterreflex aufzusuchen, was denn aueh gesehehen is~. Zu- n~iehst fallen yon vornherein die Personen aus, bei denen der Kremaster- reflex vSllig gefehlt hatte oder unsieher war; das sind die Fiille 18, 22, 36, 91, g6, yon denen bei den vier ers~en der Paeellarreflex sehr gering war; nur bei dem legzten Falle war er mittelstark. Bei den F~illen 44 und 66, wo tier Patellarre:flex fehlte, an seiner Stelle aber der Inguinalreflex ersehienen war, werden mittelsmrke Pa~ellarreflexe beobaehte~. Andererseits waren bei den hrummern 93, 95, 84, 89 u. s. der Xremas~erreflex deutlieh, wghrend der Patellarreflex nur in Spuren ~uftrat.

Aus alledem glaube ieh vorl~ufig folgern zu sollen, dass eine ge- setzm~ssige Beziehung zwischen den beiden Reflexen nicht bes~eht.

Wir kommen nunmehr zur Betraehtung des Verhaltnisses, in welchem der Kremas~erreflex und der Leistenreflex zu einander stehen. Da ich ers~ im Verluufe meiner Untersuehung auf diesen Punkt auf- merkssm geworden bin, so haste ieh in der T~be]le daffir eine Rubrik angelegt, als ich bei den Nnmmern 60 angelang~ war; speziell beginn~ die Notierung fiber den Leis~enreflex bei Nr. 66. Danaeh ist er neben dem Krem~s~erreflex h i s zum Sehluss (Nr. 100) stets vorhanden mit der einen sehon oben angegebenen Ausnahme bei ~r. 80, wo beide Reflexe gemeinsam fehlen. Andererse~s gibt es zweifellos F~lle, wo unter gleiehen Bedingungen des Reizes der Kremasterreflex fehl~, w~ihrend der Leistenreflex deu~lieh erschein~. Dagegen trit~ der Kre- masterreflex niemals allein auf. Ktirzer gefass~ wfirde der Sachverha]~ in fo]gender Form wiederzugeben sein: ~,Wenn die Reiznng der inneren

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Oberschenkelfl~ehe positiv ausfgllg, so ers&einen entweder zugleieh Krernaster- and Leistenreflex oder es erseheint der Leistenreflex allein, aber niemds der Krernasterreflex allein." Um diese Dinge zu ver- stehen, wollen wir zungchst die Bildung des Kremastermuskels be- traehten, wie ihn die Anatornie lehrt. DarSber heisst es bei G e g e n - b a u er: , ,Die unteren, vom Leistenbande entsloringenden Muskelbiindel (des M. obliqn, abdorn, intern.) weichen auseinander and treten beim Manne, zurn Tell auf den Samens~rang fibergehend, rnit diesem zurn Hoden herab, auf dessen ~iusserer 8eheidenhaut sie sehleifenfiSrmige Ziige bilden. Dieser Teil des Obliquus internus bildet so einen be- sonderen Muskel: den M. crernaster (Anfhgngemuskel des Hodens)." Dernnach ist der Kremaster ein Bestandteil des M. obliquus, dessert untersten Fasern er seinen Ursprung verdankt; er wird aber als ge- sonderter Muskel geftihrt, w e i l er zu einem besonderen and anderen Organe hingelangt, als die anderen Obliquusfasern.

Es handelt sieh dernnaeh um eine ana~omisehe Einheit, der gegen- fiber die Frage aufzuwerfen ist, ob dami~ zugleich ihre fimk~iondle Einheit gegebeu ist, worunter man ein Verh~ltnis zu verstehen hiitte, dass die beiden Reflexe nut ein Zentrnrn hgtten, d. h., dass es sieh also such nut urn e inen Reflex handeln wiirde, welcher dureh ein and denselben Reiz - - Streichen der Sehenkelhaut I ansgelSst wird. Das kann so sein, abet das Verhgltnis kann auch auders und zwar so sein, dass es zwei aufeinander folgende Reflexe sind, won denen tier eine den anderen auslSst. Wi t haben dies besonders zu untersuchen and kSnnen es studieren an der Hand weiterer Beobachtungen, we das Verhgltnis ,iel deutlieher herauszulesen ist, zu deren Mi~teilung ich sogleieh fibergehen werde. Nut muss vorher noch darauf auf- rnerksam gemaeht werden, dass der sogenann~e Inguinalreflex ein Teil des Bauehreflexes ist, der bekanntlich seinerseits in melirere Unterab- teilungen zerleg~ werdeu kann.

Es hande]~ sieh urn folgende Beobaeh~ungen: Wenn man in be- kannter Weise den Kremasterreflex darzustellen wfinseht und mit der Reizung gleieh oberhalb des Knies beginnt, so sieh~ man in einer An- zahl you Fglleu sehon bier, zugleieh mi~ dem Krernaster- .aueh den Ingui- nialreflex erseheinen. Steigt man nun rnit dern Reiz an der Innen- flgche des Obersehenkels welter iu die HShe, so sehliesst sieh dern begleitenden Inguinal- bald tier rnesogastrisehe Reflex and gleiehsarn &agenfSrmig aueh der epigastrisehe Reflex an, wenn man rnit der Reizung am Oberschenkel his e~wa fiber die H5he des unteren Hoden- randes gekornrnen ist. Wie hgufig diese Kombination vorkornmen rnag, kann ieh in Zah]en nieht ausdriieken, da ieh erst SlOgt auf dies Vorkornmnis aufrnerksam geworden war, aber es rnehren sich diese

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F/ille, seitdem ich auf sie ach~e. Jedenfalls handel~e es sieh um ganz gesunde M~nner, die weder an einer funktionellen, noch an einer or- ganischen Erkrankung des Nervensystems ]it~en.

Diese Erscheinung besag~ meiner Ansicht nach nichts anderes, als dass auf einen ferLigen Reflex, den Kremasterreitex, ein zweiter, be- nachbarter, abet ebenfalls in sich fer~iger Reflex, der Bauehreflex mit seinen einzelnen Komponenten sich aufpflanzt, oder, um einen ans der allgemeinen :Nervenphysiologie bekannten Ausdruek ( H e l m h o l t z ) z u wiederholen, sieh s u p e r p o n i e r L Wir haben es also bier zu tun mi~ einer S u p e r p o s i t i o n yon R e f l e x e n , die nieht nut eine zweifaehe, sondern auch eine mehrfaehe sein kannJ). Die VerknSpfhng der beiden Reflexe, welehe auf e i n e n peripheren Reiz entstehen, ]ieg~ wohl im Zentrum.

Man kSnnte, wie oben sehon angedeutet, diese Verknfipfung aber auch in die Feripherie verlegen, unter der Voraussef.zung, dass yon dem Reizor~e s~ets zwei sensible Bahnen naeh dem Zentrum verlaufen, ~on dem die eine zum Kremasterzentrum~ die andere zum ]3auchmuskel- zen~rum aufsteig& Das k5nnte so sein, aber es widersprich~ unseren Erfahrungen ~nsofern, als die Mitre des 0bersehenkels~ yon wo aus der Doppelreflex ausgelSst wird, sensibel nur aus dem 4. Lendensegmen~ versorg~ wird und aus keinem anderen. (Vergl. Sah l i , Un~ersuchungs- me~hoden, 2. Auflage, Fig. 251. S. 862.) Die endgiiltige Entscheidung hieriiber herbeizuffihren, w~re mSglich in zeitmessenden u welehe lehren kSnnten, ob die beiden Versuehe zeitlieh auf einander folgen oder ob alas nieh~ der Fall ~s&

W/~hrend ieh mit den u ffir einen solchen Versuch beseh~f'tigt war, der fiir nns hier immer mit Sehwierigkeiten verbun- den is~, braehte mir die Praxis der Unfallkrankbeiten einen Fall, der die Frage wohl zur En~scheidung bringen kann. E s h~ndelt sich um einen heute 41 Jahre alten Mann, der im Juli 1896 als Bergmann einen Uni'all in tier Weise erlit~en hatte, class ibm ein grSsserer Koh- lenbloek auf die Lendenwirbels~ule gefallen war, die eine L~hmung beider Beine ohne Sensibilit/~tsst5rung und obne Blasenl~hmung vet-

1) Ich babe solche superponierte Reilexe im Tierexperiment schon vor vielen Jahren dargeste]lt~ zu jener Zeit diese Reflexe als sekund/ire bezeichnet, was ebenso r.ichtig w/ire. Es handelte sieh um folgende Thats~chen: Wenn man durch Reizung des :No laryngeus superior eine Sehluekbewegung erzeugt, so tritt mit derselben zugleich auch eine Atembewegung auf, die nur dutch l~'bergang der Erregung yon dem Schluckzentrum aufdas Atemzentrum erkl/irt werden kann. Die Anregung f{ir das Atemzentrum is~ so m'achtig, dass derselbe Versuch auch ,in der Apno~ gelingt, obgleich das Atemzentrum in dem Zustande ffir die be- kannten Reize (N. vagus n. a.)unerregbar ist (vgl. S te iner , Schluckzentrum u. Atmungszentrum in Du Bois-Reymonds Arch. f. Physiologie. 1883. S. 57--79).

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ursaehg hatte. Die Saehe lief sehr gltieklieh ab, denn die Funk~ion der Beine hatte sieh fiber Jahr und Tag wieder hergestellt, nur war naeh Angabe des Mannes eine gewisse Sehwgehe in den Beinen und Schmerzen im Rt~eken zur~ekgeblieben, die stets auf~raten, wenn er lgngere Zei~ in derselben Stellung verharren sollte; namentlieh wenn er lgngere Zeig si~zen oder gehen sollte. Er hatte die bergm~nnisehe Tgtigkeit aufgegeben und be~rieb eine Plieksehusterei. Der entstan- dene Arbeit.sverlus~ wurde dureh eine kleine Rente gedeek&

Als ihm im Frfihling dieses Jahres die Rente en~zogen wurde, da keine Unfallfolgen mehr vorhanden w~ren, wand~e ~er sieh an alas Sehiedsgerieht, alas ihn zur neuen Begutaehtung an reich verwies.

Der Mann, der die oben erwghnten Klagen vorbraehte, war im ganzen gag beweglieh und anseheinend ohne Fehler. Aber tier linke Kniereflex war erheblieh starker als der reehte, wghrend die linke Wade um 11/2 em diinner ersehien als die reehte (keine Ea-Reak~ion). Dieser Befund stand aueh sehon in dem letzten Gutaehten. Dazu kam nunmehr eine neue Erseheinung, welehe uns hier interessiert: Wghrend reehts tier Kremasterreflex mig deutlieh superponiertem Bauehreflex dargestellt werden konnte, feh l te l inks die Supe rpo - s i t ion des Baaeh re f l exes , obg le ieh sowohl der K r e m a s t e r - wie aueh der B a u e h r e f l e x j e d e r e inzeln ffir sieh deu t l i eh au f den e n t s p r e e h e n d e n Reiz au f t r a t en , d. h. die Verbindung zwisehen Kremasger- und Bauehreflex ist unterbroehen und zwar kann das nirgends anders sein, als innerhalb des Rtiekenmarkes.

Da die einzelnen Abteilungen des Bauehreflexes, en~spreehend dem l~eizor~e, successive auf einander folgen, so kann man, worauf ieh nut hinweisen will, nieht nur yon sekundaren, sondern aueh yon tertigren, so- wie" fiberhaup~ yon vielfaehen Reflexen reden, Nr welehe der Kollek- tivausdruek des ,,superponierten Reflexes" sehr zweekmgssig erseheint. Das soll indes nieht welter ausgebaut werden, da es mir vorli~ufig ge- niig~, das Prinzip dieser Erseheinung hier festgelegg zu haben.

Seitdem alas Vorstehende niedergesehrieben worden ist, und seitdem sieh die Aufmerksamkei~ auf diese Erseheinungen gelenk~ hat, kommen, wie immer, die hierhergehSrigen Tatsaehen hiiufiger zur Beobaehtung und finden sehr dankbare praktische Verwertung. Aueh neue Dinge kommen wieder zur Beobaehtung, fiber die ich spiiter beriehten werde.

Ffir die Nachuntersuchung mSchte ieh nur daran erinnern, dass fiberall da, wo die Bauehreflexe fiberhaupt mangelhafL auftreten, wie z. B. bei den fet~en und gespann~en Bauehdeeken, sowie anderen, diese ganze Erscheinung der Superposition undeu~lieh nnd mangelhaft fur- trier. Das gndert natfirlieh niehts an dem Prinzip der Sachs, das man eben mit der nStigen Umsieht zu benutzen ha&