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Impressum: Herausgeber und Medieninhaber: Kammer für Arbeiter und Angestellte für Wien, 1040 Wien, Prinz Eugen Strasse 20-22 • Redaktion: Elisabeth Beer, Éva Dessewffy, Lukas Oberndorfer, Oliver Prausmüller, Miriam Rehm, Norbert Templ, Alice Wagner, Valentin Wedl • Kontakt: Lukas Oberndorfer, Norbert Templ, Alice Wagner • Layout und Satz: Julia Stern • Verlags- und Herstellungsort: Wien • Erscheinungsweise: 5 mal jährlich • Kostenlose Bestellung unter: http://wien.arbeiterkammer.at/euinfobrief Editorial Liebe Leserin! Lieber Leser! Im Frühling 2013 waren 26 Mio. Menschen in der EU ohne bezahlte Arbeit – der höchste Wert seit Beginn der Aufzeichnungen. Obwohl das Scheitern der neoliberalen Kri- senpolitik immer offenkundiger wird, zeichnet sich bisher keine Kehrt- wende ab: Der Jahreswachstumsbe- richt fordert die Deregulierung der Arbeitsmärkte (Soukup), Verträge über Wettbewerbsfähigkeit sollen „Troika für alle!“ (Oberndorfer) bin- dend machen und während für die Arbeitslosen keine Rettung in Sicht ist, soll der ESM nun auch direkt den Banken helfen (Vorbach). Dass die Konzepte für eine andere EU schon auf dem Tisch liegen, zeigen Vor- schläge wie der „DGB-Marshallplan“ (Wixforth/Payandeh) und zu einem sozialen Stabilisierungsmechanismus (Feigl). Ihre Umsetzung scheitert an den momentanen Kräfteverhältnis- sen – deren Schieflage immer mehr Menschen kritisieren (Wagner). Die- se Zeitschrift will einen Beitrag dazu liefern, dass sich diese Verhältnisse zugunsten einer demokratischen und sozialen EU verschieben. Die schnell wachsenden LeserInnenzahlen (mitt- lerweile sind wir mehr als 3.000) scheint uns Recht zu geben. Danke und viel Vergnügen beim Lesen! Ihr Redaktionsteam Angesichts der zu rigiden und prozyklischen Budgetregeln sind zwischenstaatlich ausgleichende stabilisierende Ele- mente in der Eurozone notwendig, die über den ESM hinaus- gehen. Wie bereits vor der Einführung des Euros diskutiert wurde, könnte diese Rolle ein automatischer zyklischer Stabilisierungsme- chanismus (AZS) übernehmen, der bei einem Anstieg der Arbeits- losigkeit greift, ähnlich der Funktion, die auf nationaler Ebene die Arbeitslosenversicherung übernimmt. Georg Feigl Finanzielle Hilfen bei hoher Arbeitslosigkeit Ein neuer Stabilisierungs- mechanismus für die Eurozone Die anhaltende Wirtschaftskrise in der Eurozone bei starken Desintegra- tionstendenzen deckt einen wesent- lichen Mangel in ihrer wirtschaftspo- litischen Architektur auf. Abseits des vergleichsweise geringen, und zudem mittel- bis langfristig ausgerichteten EU-Budgets gibt es keinen Ausgleich national unterschiedlicher wirtschaft- licher Entwicklungen. Im Gegenteil, die immer schärfer werdenden bud- getpolitischen Vorgaben bzw. ihre unnötig restriktive Anwendung wir- ken zunehmend prozyklisch und ver- stärken so systemimmanent auftre- tende Divergenzen. Selbst die – an diesem Setting mitverantwortlichen – EU-Kommission warnt inzwischen vor einer zunehmenden Nord-Süd- Spaltung sowie einer wirtschaftlichen Abwärtsspirale in der Peripherie. 1 Wie dramatisch diese Spaltung ist spiegelt sich auch in den Wirtschafts- und Beschäftigungszahlen wider: Während die Wirtschaft in der Euro- zone insgesamt nach der relativ syn- chronen Rezession 2009 wieder um 3 % gewachsen ist (und damit im- mer noch unter dem Vorkrisenniveau liegt), schrumpfte sie bis Ende 2012 in Portugal, Spanien, Zypern, Itali- en, Slowenien und allen voran Grie- chenland weiter. Noch deutlicher ist die Auseinanderentwicklung im Be- reich der Beschäftigung, wo die Ar- beitslosenquote in der Eurozone mit 11,7 % Ende 2012 einen neuen eu& international infobrief Ausgabe 1 | März 2013 Aus dem Inhalt » Stabilisierungsmechanismus für die Eurozone 1 Investitionsschutzabkommen 7 Umfrage zu Lobbying und Transparenz in der EU 10 Ein Marshallplan für Europa 13 Jahreswachstumsbericht 2013 16 Troika für alle 19 Stabilisierung des Finanzsektors 27 Buchbesprechung 34

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Imp ressum: Herausgeber und Medieninhaber: Kammer für Arbeiter und Angestellte für Wien, 1040 Wien, Prinz Eugen Strasse 20-22 • Redaktion: Elisabeth Beer, Éva Dessewffy, Lukas Oberndorfer, Oliver Prausmüller, Miriam Rehm, Norbert Templ, Alice Wagner, Valentin Wedl • Kontakt: Lukas Oberndorfer, Norbert Templ, Alice Wagner • Layout und Satz: Julia Stern • Verlags- und Herstellungsort: Wien • Erscheinungsweise: 5 mal jährlich • Kostenlose Bestellung unter: http://wien.arbeiterkammer.at/euinfobrief

Editorial

Liebe Leserin! Lieber Leser!

Im Frühling 2013 waren 26 Mio. Menschen in der EU ohne bezahlte

Arbeit – der höchste Wert seit Beginn der Aufzeichnungen. Obwohl das Scheitern der neoliberalen Kri-

senpolitik immer offenkundiger wird, zeichnet sich bisher keine Kehrt-

wende ab: Der Jahreswachstumsbe-richt fordert die Deregulierung der Arbeitsmärkte (Soukup), Verträge über Wettbewerbsfähig keit sollen

„Troika für alle!“ (Obern dorfer) bin-dend machen und während für die Arbeitslosen keine Rettung in Sicht

ist, soll der ESM nun auch direkt den Banken helfen (Vorbach). Dass die Konzepte für eine andere EU schon

auf dem Tisch liegen, zeigen Vor-schläge wie der „DGB-Marshallplan“ (Wixforth/Payandeh) und zu einem

sozialen Stabilisierungsmechanismus (Feigl). Ihre Umsetzung scheitert an den momentanen Kräfteverhältnis-

sen – deren Schieflage immer mehr Menschen kritisieren (Wagner). Die-se Zeitschrift will einen Beitrag dazu liefern, dass sich diese Verhältnisse

zugunsten einer demokratischen und sozialen EU verschieben. Die schnell

wachsenden LeserInnenzahlen (mitt-lerweile sind wir mehr als 3.000)

scheint uns Recht zu geben. Danke und viel Vergnügen beim Lesen!

Ihr Redaktionsteam

Angesichts der zu rigiden und prozyklischen Budgetregeln sind zwischenstaatlich ausgleichende stabilisierende Ele­mente in der Eurozone notwendig, die über den ESM hinaus-gehen. Wie bereits vor der Einführung des Euros diskutiert wurde, könnte diese Rolle ein automatischer zyklischer Stabilisierungsme-chanismus (AZS) übernehmen, der bei einem Anstieg der Arbeits-losigkeit greift, ähnlich der Funktion, die auf nationaler Ebene die Arbeitslosenversicherung übernimmt. Georg Feigl

Finanzielle Hilfen bei hoher Arbeitslosigkeit

Ein neuer Stabilisierungs-mechanismus für die Eurozone

Die anhaltende Wirtschaftskrise in der Eurozone bei starken Desintegra-tionstendenzen deckt einen wesent-lichen Mangel in ihrer wirtschaftspo-litischen Architektur auf. Abseits des vergleichsweise geringen, und zudem mittel- bis langfristig ausgerichteten EU-Budgets gibt es keinen Ausgleich national unterschiedlicher wirtschaft-licher Entwicklungen. Im Gegenteil, die immer schärfer werdenden bud-getpolitischen Vorgaben bzw. ihre unnötig restriktive Anwendung wir-ken zunehmend prozyklisch und ver-stärken so systemimmanent auftre-tende Divergenzen. Selbst die – an diesem Setting mitverantwortlichen – EU-Kommission warnt inzwischen vor einer zunehmenden Nord-Süd-

Spaltung sowie einer wirtschaftlichen Abwärtsspirale in der Peripherie.1

Wie dramatisch diese Spaltung ist spiegelt sich auch in den Wirtschafts- und Beschäftigungszahlen wider: Während die Wirtschaft in der Euro-zone insgesamt nach der relativ syn-chronen Rezession 2009 wieder um 3 % gewachsen ist (und damit im-mer noch unter dem Vorkrisenniveau liegt), schrumpfte sie bis Ende 2012 in Portugal, Spanien, Zypern, Itali-en, Slowenien und allen voran Grie-chenland weiter. Noch deutlicher ist die Auseinanderentwicklung im Be-reich der Beschäftigung, wo die Ar-beitslosenquote in der Eurozone mit 11,7 % Ende 2012 einen neuen

eu& internationalinfobrief

Ausgabe 1 | März 2013

Aus dem Inhalt

»

Stabilisierungsmechanismusfür die Eurozone 1Investitionsschutzabkommen 7Umfrage zu Lobbying und Transparenz in der EU 10Ein Marshallplan für Europa 13Jahreswachstumsbericht 2013 16Troika für alle 19Stabilisierung des Finanzsektors 27Buchbesprechung 34

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Rekordstand erreichte. Dieser Wert verteilt sich extrem ungleich inner-halb der Eurozone: In Spanien und Griechenland beträgt die Arbeitslo-sigkeit bereits deutlich mehr als das Doppelte, während sie in Österreich, Deutschland, Luxemburg und den Niederlanden nicht einmal die Hälf-te des Durchschnitts beträgt. An-gesichts der nach wie vor zu hohen Konsolidierungsvorgaben für die Eu-rozonenperipherie ist in den nächsten Monaten und Jahren sogar mit noch größeren Disparitäten zu rechnen.

Es verwundert daher nicht, wenn seit Sommer wieder eine Idee aus der Zeit vor der Gründung der Wirt-schafts- und Währungsunion Anfang der 1990er auflebt: Ein Ausgleichs-mechanismus ähnlich des bundes-weiten Elements der Arbeitslosen-versicherung in den USA, der genau solche ungleichartigen Entwicklun-gen verhindern oder zumindest mil-dern soll.

Vorschlag bereits zu Beginn der WWU n 1993 schlug eine von der EU-Kommission beauftragte Exper-tengruppe2 zwei ausgleichende Me-chanismen vor. Zum einen sollte die gesamteuropäische konjunkturelle Wirkung der nationalen Budgetpoliti-ken koordiniert werden. Zum ande-ren wurde vorgeschlagen, dass der Zentralhaushalt jenen Mitgliedstaa-ten, die mit einem besonders schwe-rem Abschwung konfrontiert sind, helfend zur Seite stehen sollte. Damit könnten längerfristige Schwächun-gen vermieden werden, die später zu dauerhaft höheren Strukturfonds-mittel führen würden. Konkret soll-

ten Mitgliedern der WWU, in denen die Arbeitslosigkeit – und damit das Budgetdefizit – überdurchschnitt-lich stark ansteigt, kurzfristig Aus-gleichszahlungen zur Konjunktursta-bilisierung aus Gemeinschaftsmitteln erhalten. Um eine schnelle Wirksam-keit zu erreichen, sollte dies auf Basis monatlicher Daten festgestellt wer-den. Die Höhe der Hilfe sollte 1–2 % des BIP pro Prozentpunkt überdurch-schnittlichem Anstieg der Arbeitslo-senrate (optional mit Obergrenzen) betragen. Das Volumen dieser Trans-fers wurde auf durchschnittlich 0,2 % des BIP der Eurozone geschätzt, die durch eine Erhöhung der EU-Beiträge finanziert werden sollten.

Dieser Stabilisierungsvorschlag als Teilkompensation für die wegfallen-de Währungs- und Geldpolitik konn-te sich jedoch nicht durchsetzen. Dahinter stand wohl die neoliberale Überzeugung, dass die Marktmecha-nismen in einem flexiblen bzw. libe-ralisierten Binnenmarkt ohnehin für ausreichende Konvergenz und Stabi-lität sorgen würden. Diese Meinung setzte sich schließlich durch, wes-halb es bis heute keinerlei Ersatz für die Einschränkung des nationalen wirtschaftspolitischen Steuerungs-instrumentariums gibt. Heute ist angesichts der fortschreitenden Di-vergenz klar, dass die Strategien der Entfesselung der Marktkräfte und des Laissez-Faire, historische Fehler waren.

Für den Ausgleich asymmetrischer Entwicklungen innerhalb der Wäh-rungsunion in ihrer derzeitigen Ar-chitektur verbleiben auf nationaler Ebene somit lediglich die öffentlichen Haushalte sowie indirekt die Einkom-menspolitik der Sozialpartner. Aller-dings ist zu berücksichtigen, dass de-ren Wirkung ebenfalls eingeschränkt wurde. Die nationalen öffentlichen Haushalte stecken in einem immer enger zugeschnürten Korsett der haushaltspolitischen Überwachung, das ein nationalstaatliches Gegen-

Finanzielle Hilfen: Stabilisierungsmechanismus für die Eurozone

Selbst die EU­Kommission warnt inzwischen vor einer zunehmenden Nord­Süd­Spaltung sowie einer wirtschaftli­chen Abwärtsspirale in der Peripherie.

Die nationalen öffentlichen Haushalte

stecken in einem immer enger

zugeschnürten Korsett der haushaltspolitischen

Überwachung.

steuern bei einem besonders ausge-prägten Abschwung praktisch verun-möglicht. Bei der Einkommenspolitik kam es zu einer mehr oder weniger passiven Einschränkung durch die schwindende Bereitschaft zu einer produktivitäts- und konsensorientier-ten Einkommenspolitik. Hinzu kam in vielen Ländern, ein sinkender Orga-nisationsgrad auf beiden Seiten des Verhandlungstisches sowie in einigen eine abnehmende Kollektivvertrags-dichte. Die europäische Politik war bei der Aushöhlung der Wirksamkeit der Einkommenspolitik keineswegs un-schuldig, wurde doch jahrelang dis-kursiv einseitig eingegriffen, indem mantrahaft die Flexibilisierung der Arbeitsmarktstandards und Lohnzu-rückhaltung gefordert wurde. Zudem setzte sich eine neomerkantilistische Wettbewerbsorientierung durch, die steigende Gewinneinkommen und damit die Umverteilung von Arbeit zu Kapital gefördert hat.3

Fallbeispiel Deutschland: Markt-mechanismen haben versagt n Nicht erst die Krise hat gezeigt, dass die Marktmechanismen für eine stabi-le Währungsunion unzureichend sind. Die Anpassung erfolgt zu spät und verursacht zu hohe ökonomische und soziale Kosten. Als Beispiel kann die deutsche Volkswirtschaft herangezo-gen werden, die nach einem Wachs-tumseinbruch 2001 auch die folgen-den beiden Jahre stagnierte, während der Rest der Eurozone bereits wieder kumuliert um 2,5 % wuchs. Finanz-anlegerInnen verstärkten die Diver-genz, da sie sich nach dem Wegfall des Wechselkursrisikos bevorzugt den boomenden Ökonomien wie Spanien oder Irland zuwandten anstatt in den unsicherer scheinenden Aufschwung in Deutschland zu investieren. Das spiegelte sich auch in den prozy- »

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der Eurozone in den Folgejahren ge-bremst worden, der wesentlich von dieser asymmetrischen Entwicklung verursacht wurde. Ohne die schlech-te Lohnentwicklung und die durch die schlechten Wachstumsaussichten gedämpften Investitionen wäre es nicht zu einem so extrem niedrigen Importwachstums in Deutschland gekommen, das wesentlich für die Leistungsbilanzüberschüsse verant-wortlich ist.4

Stabilisierungsmechanismus statt verschärfte Fortsetzung der Fehler n Anstatt aus dieser Entwick-lung zu lernen, erfolgte in der aktu-ellen Finanz- und Wirtschaftskrise nach dem ersten Schock eine Neu-auflage der auf Sparen & Lohndruck fokussierten „Ausgleichsmechanis-men“. Dass diese immer noch nicht funktionieren, wird zunehmend of-fensichtlich. So zeigt bspw. der Wirt-schaftswissenschafter Paolo Manasse in einem Vergleich der Krisenpolitik in den USA und der Eurozone, dass in den USA nicht nur die Wirtschafts- und Beschäftigungsentwicklung bes-ser war, sondern es außerdem keine Auseinanderentwicklung der Staaten innerhalb der Wirtschaftszone gab.5 Lediglich bei der Budget- und Schul-denentwicklung schnitt die Eurozone insgesamt besser ab – aber auch hier bei wachsenden Disparitäten. Manas-se schlussfolgert daraus: „The Euro-zone policy response to the crisis […] is not only imparting a recessionary impact on the Eurozone, but it is also aggravating the ‘original sin’ of the euro: asymmetry.“ Zudem kritisiert er, dass die bisherige politische Ant-wort – das Verfahren zur Korrektur von Makroungleichgewichten – wahr-scheinlich sogar kontraproduktiv ist: „Instead of transferring resources to countries suffering shocks, it puni-shes them.“

Gefragt ist daher ein automatischer zyklischer Stabilisierungsmechanis-mus für die Eurozone (AZS), der bei einem konjunkturellen Abschwung

ein rasches und effektives Gegen-steuern fördert. Auf nationalstaat-licher Ebene wird diese Rolle vor allem von den sogenannten automa-tischen Stabilisatoren übernommen.

Das sind strukturelle Elemente der öffentlichen Haushalte, die im Ab-schwung stabilisierend auf die effek-tive Nachfrage wirken, wie insbeson-dere die Arbeitslosenversicherung: Sie bietet bei steigender Arbeitslo-sigkeit nicht nur einen individuellen Einkommensschutz, sondern führt gesamtwirtschaftlich zu einer Siche-rung der Nachfrage. Außerdem wer-den die Ausgaben nicht sofort den automatisch niedrigeren Steuerein-nahmen angepasst, sondern werden in einer Zeit aufrechterhalten, in der der private Sektor die Ausgaben ein-schränkt. Die Folge sind damit zur richtigen Zeit rasch steigende öffent-liche Defizite (bzw. im Aufschwung automatisch sinkende Defizite). So wird die Gesamtnachfrage – und da-mit Beschäftigung und Einkommen – stabilisiert.

Würde es für die öffentlichen Haus-halte in der Eurozone keine finan-ziellen, rechtlichen und politischen Beschränkungen geben, so wären zusätzliche zyklische europäische Hil-fen zwar wünschenswert, aber nur bedingt notwendig. Es ist allerdings offensichtlich, dass nach der Krise finanzielle, rechtliche und politische Beschränkungen nicht nur vorhan-den, sondern sogar stärker sind, als es noch vor Errichtung der Wäh-rungsunion vorstellbar war.

Finanzielle Hilfen: Stabilisierungsmechanismus für die Eurozone

klischen Risikoaufschlägen wider, die damals fallweise in Deutschland so-gar höher waren als in Spanien.

Während dieser Phase stieg die Ar-beitslosigkeit in Deutschland beson-ders stark: Mehr als die Hälfte des Gesamtanstiegs von 11,8 auf 13,9 Mio Arbeitslose in der Eurozone war hier zu verzeichnen. Die verblei-benden wirtschaftspolitischen In-strumente versagten, weil sie der Spar- und Wettbewerbslogik folgten: Trotz Lohnzurückhaltung und Arbeits-marktflexibilisierung stieg die Arbeits-losigkeit weiter. Statt eine Erholung durch eine expansive Budgetpolitik zu fördern, zwang der Stabilitäts- und Wachstumspakt Deutschland zu einer Verschärfung der Situation, da eine rasche Konsolidierung eingefor-dert wurde um das Defizit wieder auf unter 3 % des BIP zu senken. Erst 2004 setzte sich die fiskalpolitische Vernunft, die damals mit „den deut-schen Interessen“ noch im Einklang stand, durch. Deutschland wurde nicht sanktioniert, sondern der Zeit-raum für den Abbau des Defizits mit Verweis auf die schlechte konjunktu-relle Entwicklung gestreckt.

Erst nach diesem „Sündenfall“ ge-mäß neoliberaler Leseart kehrte auch das vielzitierte Vertrauen der Finanz-marktakteurInnen wieder zurück, das bis heute anhält. Hätte es damals bereits einen zyklischen Ausgleichs-mechanismus gegeben, hätte man auf die ohnehin nicht funktionieren-de Austeritätspolitik verzichten kön-nen, die vielen ArbeitnehmerInnen in Deutschland direkte oder indirekte Wohlstandverluste brachte.

Zudem wäre der fatale Aufbau der Leistungsbilanzungleichgewichte in

Gefragt ist ein automatischer zykli­

scher Stabilisierungs­mechanismus für die

Eurozone, der bei einem konjunkturellen Ab­

schwung ein effektives Gegensteuern fördert.

„ Instead of transferring resources to countries suffering shocks, it punishes them.“

Paolo Manasse» »

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Folglich ist es für eine Stabilisierung der Eurozone dringend notwendig, ei-nerseits diese Beschränkungen bspw. mittels Eurobonds und einer Reform der Fiskalregeln zu lockern6, und an-dererseits ein Pendant zu den natio-nalen automatischen Stabilisatoren für die Eurozone insgesamt zu finden.

Ausgestaltung eines automati-schen zyklischen Stabilisierungs-mechanismus n Prinzipiell gibt es mehrere Möglichkeiten, wie ein zyk-lischer Stabilitäts- bzw. Ausgleichs-mechanismus innerhalb der Wäh-rungsunion konstruiert werden kann – insbesondere hinsichtlich der tech-nischen Details.

Bereits vor der Krise legten nach der eingangs erwähnten Expertengruppe weitere Wirtschaftswissenschaftler Vorschläge für einen AZS vor. Sebasti-an Dullien entwickelte etwa ein Modell einer europäischen Arbeitslosenbasis-versicherung7: 50 % des Letztbezu-ges sollten demnach für maximal ein Jahr (mit einer Obergrenze von 50 % des nationalen Durchschnittsgehalts) mit einer europäischen Sozialabgabe aufkommensneutral finanziert wer-den. Zusätzlich sollte in einer kon-junkturellen Ausnahmesituation die Auszahlungsdauer etwas verlängert oder die Ersatzrate erhöht werden können, um den Stabilisierungseffekt zu verstärken.

Mit Fortdauer der aktuellen europäi-schen Wirtschaftskrise häufen sich die Vorschläge für einen AZS. Im Som-mer 2012 veröffentlichte eine Gruppe europäischer WirtschaftsexpertInnen den Bericht „Den Euro vollenden“, in welchem sie einen „zyklischen An-passungs- und Absicherungsfonds“ empfahlen.8 Wächst das BIP oder die

Beschäftigung überdurchschnittlich stark, führt das zu Einzahlung in den Fonds. Umgekehrt würden in schlech-ten Zeiten Auszahlungen erfolgen. In eine ähnliche Richtung geht der Optionsbericht von Wissenschaftlern des kommissionsnahen Think-Tanks Bruegel für eine sogenannte Fiskalka-pazität. Dieser enthält u.a. eine eu-ropäische Arbeitslosenversicherung finanziert aus Unternehmenssteuern und ein an den Wirtschaftszyklus ge-koppeltes automatisches Transfersys-tem.9

Im Endbericht „Auf dem Weg zu einer echten Wirtschafts- und Währungs-union“10 von Ratspräsidenten Herman Van Rompuy wird ebenfalls eine „Fiskalkapazität“ genannt, die eine „Schockabfederungsfunktion“ enthal-ten soll. Weiters heißt es dazu, dass diese entweder auf „Schwankungen der konjunkturbedingten Einnah-men und Ausgaben oder anhand von Messungen der Wirtschaftstätigkeit“, oder einer „konjunkturabhängigen öffentlichen Funktion – wie etwa der Arbeitslosenversicherung“ beruhen soll. Einschränkend – und im Kon-text der allgemeinen wirtschaftspoli-tischen Debatte höchstproblematisch – wird festgehalten, dass dies weder zu höheren staatlichen Gesamtausga-ben und –einnahmen in der Eurozo-ne insgesamt führen darf, noch ohne Strukturanpassungsprogrammen zu haben sein soll. Das steht zwangs-läufig mit einem Automatismus im Widerspruch. Auch in der EU-Kom-mission dürfte über Formen einer eu-ropäischen Arbeitslosenversicherung intensiv nachgedacht werden.

Grundprinzipien eines AZS:n Automatismus: Die Verhandlun-

gen über die mittelfristige finanziel-le Vorausschau des EU-Budgets ha-ben einmal mehr gezeigt, dass die Entscheidungsstrukturen auf euro-päischer Ebene für ein rasches und effektives Reagieren auf wirtschaft-liche Herausforderungen nicht ge-eignet sind. Es wird daher notwen-

dig sein, sich vorausschauend auf genau definierte allgemeine Krite-rien für die Hilfszahlungen zu eini-gen. Die Auszahlung von konkreten Hilfen selbst soll dann nicht mehr von einer fallbezogenen politischen Einigung abhängen. Praxisbeispiel ist hier die nationale Arbeitslosen-versicherung, wo lediglich die Aus-zahlungskriterien des AMS im Vor-hinein festgelegt werden, während die tatsächlichen Auszahlungen selbst keiner weiteren legislativen Beschlussfassung bedürfen. Nega-tivbeispiel sind demgegenüber die Europäischen Rettungsschirme, wo selbst jede einzelne Teilzahlung einer bereits getroffenen Rahmen-vereinbarung nochmals beschlos-sen werden muss.

n Klare Kriterien: Ein AZS sollte durch einfach beobachtbare Krite-rien in Gang gesetzt werden, die erstens mit klaren Be- oder Ent-lastungen der nationalstaatlichen Steuerungsfähigkeit korrespondie-ren, zweitens einen klaren Konnex zur Konjunktur aufweisen und drit-tens deren Datengrundlage mög-lichst zeitnahe verfügbar ist. Als Ba-sis für einen solchen Mechanismus kommen prinzipiell Wirtschafts-wachstum, Beschäftigung oder Ar-beitslosigkeit in Frage. Nahe liegend wäre die Arbeitslosigkeit, u.a. da diese zur offensichtlichen Belastung für Betroffene und die Gesellschaft insgesamt führt, relativ schnell und automatisch reagiert, europaweit harmonisierte Monatsdaten rasch verfügbar sind, die Notwendigkeit ihrer Bekämpfung politisch weitge-hend außer Streit steht und sie als nationaler automatischer Stabilisa-tor etabliert ist. »

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Bereits vor der Krise legten Wirtschafts­wissenschaftler Vorschläge für einen AZS vor.

Im Endbericht von Ratspräsidenten

Herman Van Rompuy wird ebenfalls eine

„Fiskalkapazität“ genannt, die eine

„Schockabfederungs­funktion“ enthalten

soll.

Finanzielle Hilfen: Stabilisierungsmechanismus für die Eurozone

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Gleichzeitig ist an dieser Stelle zu be-tonen, dass eine Europäische Arbeits-losenversicherung als vollständiger Ersatz für die nationalen Versiche-rungssysteme auch mittelfristig nicht realisierbar scheint. Zu unterschied-lich sind die institutionellen Voraus-setzungen in den einzelnen Ländern, um auch die Details des Anspruchs-rechtes zu vereinheitlichen. Zudem ist gerade in der aktuellen Situation der zunehmenden politischen Angrif-fe auf die Sozialsysteme davon aus-zugehen, dass die Harmonisierung zu einem deutlich niedrigeren Leis-tungsniveau für die europäischen Ar-beitnehmerInnen insgesamt führen würde.

AZS: Optionen und offene Fragen n Viele Fragen sind noch zu klären, ehe ein Modell für einen AZS be-schlossen werden kann. Setzt man aus obigen Gründen bei der Arbeits-losigkeit an und möchte man langwie-rige Eingriffe in die nationalen Siche-rungssysteme vermeiden, so sollten Ausgleichzahlungen in die nationalen Haushalte fließen, um die dort von

der Arbeitslosigkeit aufgerissenen Lö-cher einzudämmen. Die Zahlungen sollten an die Entwicklung der harmo-nisierten Arbeitslosenquote (gemäß EUROSTAT) gekoppelt werden.

Darüber hinaus ist zu klären, wie lan-ge Zahlungen, in welcher Höhe und in welchen Situationen erfolgen. Bei der Dauer steht man vor einem Dilemma: Bleibt die Arbeitslosigkeit über Jah-re hoch, ist ein frühes Zurückfahren

der Hilfen kontraproduktiv. Werden aber andererseits wiederum Transfers als dauerhaft wahrgenommen, so schwindet vermutlich die Zustimmung für ein solches Projekt angesichts der noch schwach ausgeprägten europä-ischen Solidarität. Ähnliches gilt für die Höhe der Zahlung. Punkto dem auslösenden Moment sind prinzipiell zwei Optionen vorhanden, die auch kombiniert werden können: Ein über-durchschnittlich hoher Anstieg der Arbeitslosigkeit gegenüber dem na-tionalen historischen Trend einerseits oder dem europäischen Durchschnitt andererseits. Im ersten Fall würden in einem europaweitem Abschwung alle Mitgliedstaaten (wenn auch differen-ziert) gestärkt werden – und damit die zyklische Stabilisierung der Euro-zone insgesamt, im zweiten Fall „nur“ einzelne Staaten mit besonders aku-ten Problemen.

Das Volumen eines AZS wird in den bisherigen Studien langfristig mit etwa 0,2 % des BIP der Eurozone angegeben, stark abhängig von der Wirtschaftsentwicklung sowie

1) Europäische Kommission, Employment and

Social Developments in Europe 2012 (2013)

17, http://ec.europa.eu/social/main.jsp?catI

d=738&langId=en&pubId=7315&type=2&fur

therPubs=no.

2) Europäische Kommission, Stable money –

sound finances, Community public finance

in the perspective of EMU. Report of an

independent group of economists, European

Economy 53 (1993).

3) Vgl. Georg Feigl/ Sepp Zuckerstätter,

Wettbewerbs(des)orientierung (2012),

http://wien.arbeiterkammer.at/bilder/d181/

MWUG_117.pdf.

4) Ebd.

5) Paolo Manasse, Eurozone crisis: It ain’t over

yet (2013), http://www.voxeu.org/article/

eurozone-crisis-it-ain-t-over-yet.

6) Umfassendere Vorschläge lassen sich etwa

im 2. Abschnitt der Stellungnahme der Bun-

desarbeitskammer zur Reform der Eurozone

(http://akeuropa.eu/_includes/mods/akeu/

docs/main_report_de_273.pdf), dem IMK

Report 75 „Quo vadis Krise?“ (http://www.

boeckler.de/pdf/p_imk_report_75_2012.pdf)

oder dem 1. Policy Brief des WWWforEurope-

Forschungsprojektes (http://ec.europa.eu/

research/social-sciences/pdf/policy-briefs-

www-for-europe-122012_en.pdf) entneh-

men.

7) Sebastian Dullien, Improving Economic

Stability in Europe (2007) 35ff., http://www.

swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/

arbeitspapiere/Paper_US_KS_neu_formatiert.

pdf.

8) Tommaso Padoa-Schioppa Group, Den Euro

vollenden, Der Weg zu einer Fiskalunion

in Europa (2012), http://www.eng.notre-

europe.eu/media/eurovollenden-berichtpado-

aschioppagruppe-ne-jdi-nov12.pdf.

9) Jean Pisani-Ferry/ Erkki Vihriälä/ Gunt-

ram Wolff, Options for a Euro-Area Fiscal

Capacity (2013), http://www.bruegel.org/

download/parent/765-options-for-a-euro-

area-fiscal-capacity/file/1636-options-for-a-

euro-area-fiscal-capacity.

10) Herman Van Rompuy, Auf dem Weg zu

einer echten Wirtschafts- und Währungsuni-

on (2012), http://www.consilium.europa.

eu/uedocs/cms_data/docs/pressdata/de/

ec/134206.pdf.

11) Eine alternative Lösungsmöglichkeit wäre

die Beschäftigungs- anstelle der Arbeitslo-

senquote als Berechnungsbasis zu verwen-

den.

12) Andreas Fischer-Lescano/Lukas Oberndor-

fer, Fiskalvertrag und Unionsrecht – Uni-

onsrechtliche Grenzen völkervertraglicher

Fiskalregulierung und Organleihe, NJW 1

(2013) 9.»

»

»

In der aktuellen Situation der

zunehmenden politi­schen Angriffe auf die

Sozialsysteme, ist davon auszugehen, dass die Harmonisierung zu

einem niedrigeren Leistungsniveau für die europäischen Arbeit­nehmerInnen führen

würde.

Finanzielle Hilfen: Stabilisierungsmechanismus für die Eurozone

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der Ausgestaltung des Modells. Sinn-vollerweise sollten die Mittel durch progressive Steuern auf Ebene der Eurozone generiert werden. Zumin-dest ein Teil der Finanzierung sollte über einen europäischen Anteil an einem harmonisierten Mindest-Kör-perschaftsteuersatz finanziert wer-den, da die Unternehmensgewinne und damit das Aufkommen der KöSt selbst stark zyklisch reagiert. Einem allfälligen Rest sollte der Finanzsek-tor (europaweite Bankenabgabe und/oder Finanztransaktionssteuer) bei-tragen, der Ausgangspunkt für die Finanz- und Wirtschaftskrise und der folgenden Rekordarbeitslosigkeit war. Zusätzlich ist die Möglichkeit der Kre-ditaufnahme oder der Anleiheausga-be notwendig, aus der die Zahlungen finanziert werden, da sonst der Au-tomatismus rasch an seine Grenzen stoßen würde.

Es ist zu betonen, dass dieses Mo-dell so gestaltet werden kann, dass es langfristig keine „Nettozahler“ und „-empfänger“ gibt (wie bei den Strukturhilfen aus dem derzeitigen EU-Budget). So wie aktuell Spanien und Griechenland die Hauptprofiteure wären, hätte historisch Deutschland durch seine Schwächephase 2002–2004 im letzten Jahrzehnt am meis-ten von einem AZS profitiert. Von den nun ökonomisch als besonders sta-bil geltenden Ländern hätte zudem

Finnland in der Vergangenheit über-durchschnittlich hohe Hilfen erhalten (Österreich wäre leicht positiv ausge-stiegen).

Hinsichtlich der in der europäischen ökonomischen Debatte überbetonten Sorge in Bezug auf „moral hazard“, d.h. fehlende oder falsche Hand-lungsanreize, ist ein AZS unproble-matisch, da die finanziellen, sozialen und politischen Kosten der Arbeitslo-sigkeit jedenfalls höher sind als der Vorteil aus vorübergehenden Aus-gleichszahlungen. Nur weil die finan-ziellen Kosten gesenkt werden, wird keine europäische Regierung absicht-lich versuchen, die Arbeitslosigkeit zu erhöhen oder nichts gegen einen Anstieg zu unternehmen. Vorsichts-halber könnten ergänzende Min-destkriterien für die nationale aktive Arbeitsmarktpolitik herangezogen werden. Allerdings ist zu befürchten, dass dies einerseits den Automatis-mus schwächt, und andererseits po-litisch zu einer verbindlichen Umset-zung der fehlgeleiteten europäischen Arbeitsmarktpolitik führen könnte. Darüber hinaus ist die Manipulation von Arbeitslosenzahlen schwer bis gar nicht möglich, da es sich um eta-blierte harmonisierte Eurostat-Daten handelt. Fehlanreize drohen lediglich bei der Gruppe der Schulungsteilneh-merInnen im Rahmen der nationalen aktiven Arbeitsmarktmaßnahmen, die nur teilweise als arbeitslos in der Statistik geführt werden: In diesem Fall könnte durch Kürzung bei den Schulungen die Arbeitslosenquote rein statistisch erhöht werden, um höhere Ausgleichzahlungen zu be-kommen. Die dem AZS zu Grunde lie-gende Arbeitslosenquote wäre daher entsprechend zu korrigieren.11

Politisch gibt es derzeit Hindernisse für eine AZS, da entsprechende for-melle Strukturen für die Eurozone fehlen. Idealerweise sollten diese in einer großen Reform der EU-Verträ-ge umgesetzt werden. Im Übergang kann ein AZS analog zum ESM auf-

gesetzt werden, also als multilaterale Institution, an dem alle Eurozone-Mitgliedstaaten beteiligt sind. Im Ge-gensatz zum Fiskalpakt und parallel zum ESM würde der AZS auch nicht in bestehende Regelungen der Ver-träge eingreifen und wäre daher eu-roparechtlich unproblematisch.12 Da die Zahlungen nach klaren Kriterien automatisiert erfolgen, ist die Frage der laufenden demokratischen Legiti-mation nicht bedeutend – sehr wohl aber die anfängliche Konstituierung und Festlegung der Kriterien.

Schlussfolgerungen n Gerade an-gesichts der aktuell zu rigiden und prozyklischen wirtschaftspolitischen Steuerung der Eurozone sind stabili-sierende Elemente notwendig, wie sie insbesondere ein automatischer zy-klischer Stabilisierungsmechanismus bewirken könnte. Insbesondere wenn die restriktive nationale Budgetpolitik beibehalten wird, muss es für die Kri-senländer ausgleichende europäische Hilfen geben, um eine regionale Sta-bilisierung zu bewirken. Da die Mas-senarbeitslosigkeit mittelfristig das wichtigste Problem darstellt, sollte ein solcher Mechanismus direkt an der Arbeitslosigkeit ansetzen. Dass diese Frage mittlerweile auch in der Kommission und im Rat zumindest am Rande diskutiert werden, ist ein positives Zeichen.

Georg Feigl n AK-Wien

[email protected]

Politisch gibt es derzeit Hindernisse

für eine AZS, da ent­sprechende formelle

Strukturen für die Eurozone fehlen.

Idealerweise sollten diese in einer großen

Reform der EU­Verträge umgesetzt werden.

Hinsichtlich der in der europäischen ökono­mischen Debatte überbetonten Sorge in Bezug auf fehlende Handlungsanreize, ist ein AZS unproblematisch, da die finanziellen und sozialen Kosten der Arbeitslosigkeit höher sind, als der Vorteil aus vorübergehenden Ausgleichszahlungen.

Finanzielle Hilfen: Stabilisierungsmechanismus für die Eurozone

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7 infobrief eu & international Ausgabe 1 | März 2013 wien.arbeiterkammer.at

Bestandssicherung bilateraler Investitionsschutzabkommen n Die Mitgliedstaaten der EU haben mehr als 1.200 bilaterale Investitions-schutzabkommen (BITs) abgeschlos-sen. Davon sind schätzungsweise 190 allein zwischen Mitgliedstaaten der EU geschlossen worden. Mit der Kompetenzverschiebung zur Europä-ischen Kommission (EK) stellte sich die grundsätzliche Frage der Gültig-keit dieser BITs. Die EK hat einen pragmatischen Vorschlag zur Be-standssicherung vorgelegt, da von Anfang an klar war, dass der Rat einer anderen Vorgangsweise nicht zustimmen würde. Die BITs sollen, so sie europarechtskonform sind und die EU keine eigenen Abkommen ab-geschlossen hat, weiterhin bestehen bleiben. Darüber hinaus ermächtigt die Kommission die Mitgliedstaaten auch in Zukunft neue BITs abzu-schließen, so keine gemeinschaftli-chen Abkommen geplant sind. Diese sog. „grandfathering“-Verordnung2

ist am 9. 1. 2013 in Kraft getreten.

Wie auch die Arbeiterkammer und die Zivilgesellschaft haben die fort-schrittlichen Kräfte im Europäischen Parlament eine Sunset-Klausel, nämlich dass nach einer Übergangs-frist von 5 Jahren die bestehenden BITs auslaufen sollen, gefordert. Dies hätte die Möglichkeit, eine neue Generation von Investitions-schutzabkommen zu diskutieren, geschaffen. Damit hätten auch die intra-EU-BITs bald der Vergangen-heit angehört. Diese Chance ist nun vertan! Und auch die Rechtssicher-

heit, die von den Mitgliedsstaaten so vehement eingefordert worden war.

Inländerdiskriminierung im Bin-nenmarkt n Nicht nur ausländische Investoren aus Drittstaaten haben je nach BIT unterschiedliche Klagsrech-te im EU-Binnenmarkt, sondern auch europäische gegenüber inländischen Investoren. Dieser Umstand leistet zum Einen dem „window shopping“3 in Vorbereitung von Investor-Staats-

Klagen Vorschub und zum Ande-ren – was viel schwerwiegender ist – schreibt er die Inländerdiskrimi-nierung im Binnenmarkt fest. Aus-ländische bzw. europäische Inves-toren können, so sie sich durch eine öffentliche Maßnahme, Bewilligung etc. benachteiligt fühlen, das Inves-tor-Staat-Streitverfahren anrufen und direkt den Staat wegen indirek-ter Enteignung um Entschädigung (auch für entgangene zukünftige Gewinne!) vor einem internationa-len Tribunal verklagen. Inländische Investoren haben den nationalen Rechtsweg zu beschreiten. Die natio-nalen Gerichte urteilen nach den be-stehenden nationalen Gesetzen; die Tribunale hingegen legen ausschließ-lich die BITs-Bestimmungen aus.4 Im

internationalen Investitionsschutz-recht gibt es keine Präzedenz und keine Gerichte, die mit nationalen Gerichten vergleichbar wären. Die uneinheitliche Rechtsprechung be-dingt mangelnde Voraussehbarkeit und die Schiedssprüche sind auf-grund von „Insider-Geschäften“5, fehlender Transparenz und vielem mehr sehr problematisch.

Im Falle des deutschen Atomaus-stiegs6 (bis 2022) wird die Ungleich-behandlung von Investoren deutlich: Vattenfall7, der schwedische Ener-giekonzern, hat Ende 2012 wegen der Stilllegung der AKWs Krümmel und Brunsbüttel Deutschland beim ICSID-Schiedsgericht verklagt, und will rund 1 Mrd. € Entschädigung. Die deutschen AKW-Betreiber E.ON und RWE hingegen haben nur die Möglichkeit, eine Verfassungsbe-schwerde einzulegen. Grundsätzlich gehen die Eigentumsrechte in In-vestitionsschutzabkommen deutlich weiter als diejenigen des deutschen Grundgesetzes.8

Die besseren Klagsbedingungen nut-zen europäische Konzerne gerne in den neuen Mitgliedsstaaten, wo von 77 bekannt gewordenen Klagen 50 auf Basis von intra-EU-BITs erfolgten. Spitzenreiter ist die Tschechische Re-publik (CZ) mit 14 von 18 bekann-ten Klagen, wobei sich 5 Fälle auf das BIT zwischen der BRD und Tschechi-en und 6 Fälle auf das BIT zwischen den Niederlanden und Tschechien be-ziehen. Die Kosten dieser exklusiven Klagsrechte für die BürgerInnen

Europäische Investitionspolitik

Bestandssicherung bilateraler Investitionsschutzabkommen

Europäische Investitionspolitik – Vergebene ChancenDie Europäische Kommission ist infolge des Lissabon­Vertrags im Rahmen ihrer Handels-agenden auch für die Investitionspolitik zuständig. Wie gestaltet sich die Kompetenz übernahme? Kommt es zu einer neuen Politik? Oder bleibt alles beim Alten?1 Elisabeth Beer

Mitgliedstaaten haben sich bei

Bestands sicherung ihrer bilateralen Investi­tionsschutzabkommen

selbst durchsetzen können.

»

Page 8: Transparenz in der EU 10 infobrief - Arbeiterkammer · 3 infobrief eu & international Ausgabe 1 | März 2013 wien.arbeiterkammer.at der Eurozone in den Folgejahren ge - bremst worden,

8 infobrief eu & international Ausgabe 1 | März 2013 wien.arbeiterkammer.at

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sind enorm! Schätzungen für CZ ge-hen von US$ 840 Mio aus.9

Auch wenn die Kommission ihre Mei-nung, dass die intra-EU-BITs auslau-fen sollten, wiederholt Kund getan hat, fehlen bis heute entsprechende Maßnahmen.

Wer zahlt die Schiedsverfahren und die Schadensersatzansprü-che? n Mit der Kompetenzverschie-bung stellt sich die grundsätzliche Frage, wer im Falle von Investorkla-gen gegen Mitgliedstaaten zahlt und wer als Verteidiger auftritt: die Euro-päische Union oder der Mitgliedstaat? Hierzu hat die Kommission einen Verordnungsvorschlag vorgelegt, der derzeit heftig im Rat und auch bald im Europäischen Parlament dis-kutiert wird. Folgender Zugang steht zur Debatte: Mitgliedstaaten sind dann haftbar, wenn die Maßnahme, die zur Klage geführt hat, auf Grund-lage nationalen Rechts ergangen

ist. Bei Umsetzung von EU-Recht ist hingegen die Union haftbar (z.B. EU-Verordnungen). Bei der nationalen Umsetzung von EU-Richtlinien ent-steht ein Ermessensspielraum, der genauer geregelt werden müsste. Der EK ist es aufgrund ihrer Zustän-

digkeit auch wichtig, von zukünfti-gen Schiedsverfahren informiert zu werden und insbesondere auch ein-gebunden zu sein. Doch dies wollen ihr die Mitgliedstaaten nicht ohne Zugeständnisse gewähren. Die Frage wer zu zahlen hat, ist nicht unbedeutend, ruft man sich die tschechischen Verfahrenskosten für Schiedsgerichte in Erinnerung. Diese Diskussion führt uns wieder einmal

Europäische Investitionspolitik

SteuerzahlerInnen zahlen für Gesundheits­ und Umweltmaßnahmen

ihrer Regierungen.

vor Augen, wie anachronistisch das Investitionsschutzregime grundsätz-lich ist! BürgerInnen haben mit Steu-ergeldern ausländische Investoren zu entschädigen, wenn Sozialgeset-ze, Gesundheits- und Umweltmaß-nahmen im öffentlichen Interesse die Investition abwerten oder auch die zu erwartenden Gewinne schmälern! Aus welchem öffentlichen Budget im Endeffekt gezahlt wird, ist in Hinblick auf die grundsätzliche Absurdität ne-bensächlich. Ursprünglich sollten die BITs Investoren vor korrupten und unfairen Regimen schützen. Doch haben wir in der Zwischenzeit in weiten Teilen des Wirtschaftslebens Rechtsstaatlichkeit. Daher hat das Investor-Staat-Streitverfahren keine Berechtigung mehr.

Das Europäische Parlament hat mit der Diskussion über die finanzielle Haftbarkeit die Chance, seine re-formorientierten Forderungen hin-sichtlich der Schiedsgerichtsbarkeit

»

»

1) http://www.spiegel.de/wirtschaft/wolfgang-

muenchau-die-euro-zone-steht-vor-dem-

zusammenbruch-a-837214.html

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Impressum: Herausgeber und Medieninhaber: Kammer fü

r Arbeiter und Angestellte für Wien, 1040 Wien, Prinz Eugen Strasse 20-22 •

Redaktion: Elisabeth Beer, Éva Dessewffy, Lukas Oberndorfer, Ir

is Strutzm

ann Norbert Templ, Valentin Wedl • K

ontakt:

Lukas Oberndorfer ([email protected]) L

ayout und Satz: Julia Stern • V

erlags- und Herstellungsort: Wien •

Erscheinungsweise: zweimonatlich

• Kostenlose Bestellung unter: h

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Editorial

Liebe Leserin! Lieber Le

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Vor Ihnen liegt doppelt Neues.

Durch professionelles La

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erscheinen wir in

neuem Gewand.

Auch inhaltlich haben wir uns

bemüht, die internationalen Brenn-

punkte durch neue Formate besser

zu fokussieren: La

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Raum für grundlegende Analysen.

Damit starten Markus Marterbauer

und Lukas Oberndorfer. Ersterer

zeigt auf, dass simultanes Kon-

solidieren die EU in den nächsten

Abschwung führen könnte. Zweiterer

setzt sich mit dem Monti-B

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dem Versuch eines neuen Konsenses

für eine angebotseitige Binnen-

marktpolitik – auseinander. Produk-

tion von Konsens und Dissens darin

spielen Bücher eine wichtige Rolle.

Daher eröffnen wir mit zw

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prägnant aufbereitet. Das ze

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Elisabeth Beer, Norbert Templ, Ir

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Die weitere Konjunkturentwicklung

hängt davon ab, ob die von Asien

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ging zunächst in den

Jahren 2007 und 2008 von den

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riet mehrmals an den Rand des

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n Dadurch wurde von Mitte 2008

bis Mitte 2009 ein tiefer Einbruch

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Bruttoinlandsprodukt ging 2009

real um 4,2% zurück, die saison-

bereinigte Zahl der Arbeitslosen

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2008 bis Mai 2010 von 16 Mio auf

23 Mio.

n Als Folge des durch den finanz-

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chen Staatsausgaben entwickelte

sich ab dem Frühjahr 2010 eine

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in allen drei Stadien spät erkannt,

sie hat – bedingt durch langwierige

Entscheidungsprozesse, vor allem

aber geprägt durch ein neoliberales

Weltbild, das den Märkten Effizienz

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für

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reagiert. Dennoch ist

es schließlich

in jedem Stadium der Krise gelun-

gen, durch Notfallmaßnahmen eine

Stabilisierung zu erreichen:

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1

Die faktische Macht

multinationaler Unternehmen 6

Wachstumshemmnisse

9

Analyse des Monti-Berich

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EU-Kanada Abkommen

15

China – Illegale im eigenen Land 17

HIV/Aids

18

Kritik des Kapitalism

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20

Die europäische Chance

21

eu& international

infobriefAusgabe 3 | Ju

ni 2010

Aus dem Inhalt

Impressum: Herausgeber und Medieninhaber: Kammer für Arbeiter und Angestellte für Wien, 1040 Wien, Prinz Eugen Strasse 20-22 •

Redaktion: Elisabeth Beer, Éva Dessewffy, Lukas Oberndorfer, Iris Strutzmann Norbert Templ, Valentin Wedl • Kontakt:

Lukas Oberndorfer ([email protected]) Layout und Satz: Julia Stern • Verlags- und Herstellungsort: Wien •

Erscheinungsweise: zweimonatlich • Kostenlose Bestellung unter: http://wien.arbeiterkammer.at/euinfobrief

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Seit Beginn der Finanz- und Wirtschaftskrise ist es

der EU gelungen, durch pragmatische Notfallmaßnahmen das

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An einer entscheidenden

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n Die Krise ging zunächst in den

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n Dadurch wurde von Mitte 2008

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Bruttoinlandsprodukt ging 2009

real um 4,2% zurück, die saison-

bereinigte Zahl der Arbeitslosen

stieg vom Tiefstand im Frühjahr

2008 bis Mai 2010 von 16 Mio auf

23 Mio.

n Als Folge des durch den finanz-

und realwirtschaftlichen Einbruch

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ereinnahmen und der zusätzli-

chen Staatsausgaben entwickelte

sich ab dem Frühjahr 2010 eine

Staatsschuldenkrise.

Die EU-Politik hat die Krisenzeichen

in allen drei Stadien spät erkannt,

sie hat – bedingt durch langwierige

Entscheidungsprozesse, vor allem

aber geprägt durch ein neoliberales

Weltbild, das den Märkten Effizienz

zuspricht und staatliche Eingriffe für

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in jedem Stadium der Krise gelun-

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Stabilisierung zu erreichen:

Europas Wirtschaft 1

Die faktische Macht

multinationaler Unternehmen 6

Wachstumshemmnisse 9

Analyse des Monti-Berichts 10

EU-Kanada Abkommen 15

China – Illegale im eigenen Land 17

HIV/Aids

18

Kritik des Kapitalismus 20

Die europäische Chance 21

eu& international

infobrief

Ausgabe 3 | Juni 2010

Aus dem Inhalt

Impressum: Herausgeber und Medieninhaber: Kammer für Arbeiter und Angestellte für Wien, 1040 Wien, Prinz Eugen Strasse 20-22 • Redaktion: Elisabeth Beer, Éva Dessewffy, Lukas Oberndorfer, Iris Strutzmann Norbert Templ, Valentin Wedl • Kontakt: Lukas Oberndorfer ([email protected]) Layout und Satz: Julia Stern • Verlags- und Herstellungsort: Wien • Erscheinungsweise: zweimonatlich • Kostenlose Bestellung unter: http://wien.arbeiterkammer.at/euinfobrief

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Seit Beginn der Finanz- und Wirtschaftskrise ist es der EU gelungen, durch pragmatische Notfallmaßnahmen das Banken system, die Konjunktur und den Markt für Staatsschuld-verschreibungen zu stabilisieren, jedoch sind die grundlegenden Probleme nicht bewältigt.

Europas Wirtschaft

An einer entscheidenden Weggabelung

Die weitere Konjunkturentwicklung hängt davon ab, ob die von Asien ausgehenden Auftriebskräfte oder die Dämpfung durch die simultane Budgetkonsolidierung in der EU stär-ker wirken. Die Bewältigung der ho-hen Staatsschulden bleibt ein zent-rales Thema, für dessen Bewältigung unkonventionelle Ansätze notwendig sind.

EU-Wirtschaftspolitik schafft Stabilisierung n Die wirtschaftliche Krise hat in der Europäischen Uni-on in den letzten Wochen ihr drittes Stadium erreicht: n Die Krise ging zunächst in den

Jahren 2007 und 2008 von den Finanzmärkten und Banken aus, das weltweite Finanzsystem ge-riet mehrmals an den Rand des Zusammenbruchs.

n Dadurch wurde von Mitte 2008 bis Mitte 2009 ein tiefer Einbruch der Realwirtschaft ausgelöst. Das

Bruttoinlandsprodukt ging 2009 real um 4,2% zurück, die saison-bereinigte Zahl der Arbeitslosen stieg vom Tiefstand im Frühjahr 2008 bis Mai 2010 von 16 Mio auf 23 Mio.

n Als Folge des durch den finanz- und realwirtschaftlichen Einbruch entstandenen Ausfalls an Steu-ereinnahmen und der zusätzli-chen Staatsausgaben entwickelte sich ab dem Frühjahr 2010 eine Staatsschuldenkrise.

Die EU-Politik hat die Krisenzeichen in allen drei Stadien spät erkannt, sie hat – bedingt durch langwierige Entscheidungsprozesse, vor allem aber geprägt durch ein neoliberales Weltbild, das den Märkten Effizienz zuspricht und staatliche Eingriffe für falsch hält – mit Zögern und Zaudern reagiert. Dennoch ist es schließlich in jedem Stadium der Krise gelun-gen, durch Notfallmaßnahmen eine Stabilisierung zu erreichen:

Europas Wirtschaft 1Die faktische Macht multinationaler Unternehmen 6 Wachstumshemmnisse 9Analyse des Monti-Berichts 10EU-Kanada Abkommen 15China – Illegale im eigenen Land 17HIV/Aids 18Kritik des Kapitalismus 20Die europäische Chance 21

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Ausgabe 3 | Juni 2010

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dem Versuch eines neuen Konsenses für eine angebotseitige Binnen-

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tion von Konsens und Dissens darin

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Daher eröffnen wir mit zwei Rezensi-

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Elisabeth Beer, Norbert Templ, Iris

Strutzmann, Walter Sauer & Susan Leather mit ihren Beiträgen zu Investitionsschutzabkommen,

Wachstumshindernissen, Handels-

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China-Schwerpunkt fort. Diesmal: WanderarbeiterInnen. Ihr AK Redaktionsteam

Seit Beginn der Finanz- und Wirtschaftskrise ist es

der EU gelungen, durch pragmatische Notfallmaßnahmen das

Banken system, die Konjunktur und den Markt für Staatsschuld-

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EU-Wirtschaftspolitik schafft

Stabilisierung n Die wirtschaftliche

Krise hat in der Europäischen Uni-

on in den letzten Wochen ihr drittes

Stadium erreicht: n Die Krise ging zunächst in den

Jahren 2007 und 2008 von den

Finanzmärkten und Banken aus,

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Zusammenbruchs.n Dadurch wurde von Mitte 2008

bis Mitte 2009 ein tiefer Einbruch

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Bruttoinlandsprodukt ging 2009

real um 4,2% zurück, die saison-

bereinigte Zahl der Arbeitslosen

stieg vom Tiefstand im Frühjahr

2008 bis Mai 2010 von 16 Mio auf

23 Mio.

n Als Folge des durch den finanz-

und realwirtschaftlichen Einbruch

entstandenen Ausfalls an Steu-

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sich ab dem Frühjahr 2010 eine

Staatsschuldenkrise.Die EU-Politik hat die Krisenzeichen

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Entscheidungsprozesse, vor allem

aber geprägt durch ein neoliberales

Weltbild, das den Märkten Effizienz

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in jedem Stadium der Krise gelun-

gen, durch Notfallmaßnahmen eine

Stabilisierung zu erreichen:

Europas Wirtschaft 1

Die faktische Macht multinationaler Unternehmen 6

Wachstumshemmnisse 9

Analyse des Monti-Berichts 10

EU-Kanada Abkommen 15

China – Illegale im eigenen Land 17

HIV/Aids

18

Kritik des Kapitalismus 20

Die europäische Chance 21

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Ausgabe 3 | Juni 2010

Aus dem Inhalt

Imp ressum: Herausgeber und Medieninhaber: Kammer für Arbeiter und Angestellte für Wien, 1040 Wien, Prinz Eugen Strasse 20-22 •

Redaktion: Elisabeth Beer, Éva Dessewffy, Lukas Oberndorfer, Oliver Prausmüller, Norbert Templ, Alice Wagner, Valentin Wedl • Kontakt:

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nungsweise: 5 mal jährlich • Kostenlose Bestellung unter: http://wien.arbeiterkammer.at/euinfobrief

EditorialLiebe Leserin! Lieber Leser!

Noch einmal vor der Sommer pause

widmen wir uns den aktuellen

Brennpunkten der europäischen

Politik: P. Eberhardt skizziert die

Einflussnahme der Wirtschafts-

lobbys auf die Verhandlung des

EU-Indien Freihandelsabkommens.

L. Oberndorfer, N. Templ und C.

Schlager greifen in ihren Analysen

noch einmal neue Aspekte des viel

diskutierten Economic Government-

Pakets auf, ergänzt um einen

kritischen Blick auf die Austeri-

tätsprogramme quer durch Europa

(G. Feigl), auf die sprunghaften

Preisanstiege an den Rohstoffbör-

sen (M. Maltschnig) sowie Aktuel-

lem zur Finanztransaktionssteuer

(V. Wedl). Das Ende der ungari-

schen EU Präsidentschaft nimmt

K. Lachmayer zum Anlass einen

genaueren Blick über die Grenze zu

werfen und analysiert die aktuellen

Verfassungsreformen in unserem

Nachbarland. Weitere Themen der

Ausgabe sind die Reformvorhaben

im EU-Vergaberecht (S. Wixforth),

die Strategie zur legalen Zuwande-

rung in die Union (C. Cesnovar) so-

wie die revidierten OECD-Leitsätze

für multinationale Unternehmen (E.

Beer). Abgerundet mit Buch- und

Veranstaltungstipps wünschen wir

eine anregende Lektüre im Juni.Ihr AK Redaktionsteam

Seit 2007 verhandeln Indien und die EU ein weit reichendes

Freihandelsabkommen. Es umfasst alle relevanten Wirtschafts-

bereiche – von Industrie, Landwirtschaft und Dienstleistungssekto-

ren bis hin zu Patenten, der öffentlichen Auftragsvergabe und der

Ausbeutung von Rohstoffen. Demnächst sollen die Gespräche abge-

schlossen werden. Dabei weiß in Europa und Indien kaum jemand

etwas darüber. Nur Konzerne und ihre Lobbyverbände sind bestens

in die Verhandlungen eingebunden.

Pia Eberhardt

In den Freihandelsverhandlungen mit Indien

arbeiten EU-Kommission, Mitgliedstaaten und

Konzernlobbies eng zusammen

Feindliche ÜbernahmeDie bruchstückhaften Informationen

über die Verhandlungen, die bisher

an die Öffentlichkeit gesickert sind,

haben soziale Bewegungen, Ge-

werkschaften, Entwicklungs-, Frau-

en- und Gesundheitsorganisationen

alarmiert. Sie befürchten, dass das

EU-Indien Freihandelsabkommen

Armut, soziale Ungleichheit und den

ökologischen Raubbau in Indien ver-

schärfen wird. Auch Arbeitsrechte

und der Zugang zu Medikamenten

seien durch das Abkommen bedroht,

und zwar nicht nur in Indien, son-

dern weltweit. Wiederholt haben da-

her hunderte zivilgesellschaftliche

Organisationen aus Europa und In-

dien zu einem sofortigen Stopp der

Verhandlungen aufgerufen.1

Ganz anders die europäischen Kon-

zerne und ihre Verbände: Für Busi-

nessEurope, den europäischen

Arbeitgeberverband, ist das EU-Indi-

en-Freihandelsabkommen das wich-

tigste, das die EU derzeit verhandelt.

Ihm gehen die Gespräche zwar nicht

schnell genug, aber der Verband

ist hochzufrieden mit der Verhand-

lungsführung der EU-Kommission.

Und mit ihrer Informationspolitik.

Kein Wunder.Symbiose zwischen Kommission

und Wirtschaft n Schon Monate

vor Beginn der offiziellen Gespräche

mit Indien begann die EU-Kommis-

sion, die europäische Wirtschaft zu

konsultieren. In einem detaillierten

Fragebogen wurde sie zu Proble-

men beim Export von Gütern und

Dienstleistungen, bei Filialeröffnun-

gen, beim Zugang zu Rohstoffen in

Indien etc. befragt. Drei Tage vor

Verhandlungsbeginn versicherte die

damalige EU-Agrarkommissarin,

Freihandel mit Indien

1

Economic Governance rechtswidrig? 7

EU-Wirtschaftsregierung

13

Verfassungsreform in Ungarn 15

Financial Transaction Tax

19

Finanzmärkte und Rohstoffbörsen 20

Sparpakete in Europa

22

Revidierte OECD-Leitsätze 24

Legale Zuwanderung

28

Grünbuch EU-Vergabepolitik 30

Buchtipps

33

eu& international

infobrief

Ausgabe 3 | Juni 2011

Aus dem Inhalt

»

Der EU­Infobrief erscheint 5x jährlich im digitalen Format und liefert eine kritische Analyse der Entwicklungen auf europäischer und internationaler Ebene. Die Zeitschrift der Abteilung EU & Internationales der AK-Wien fokussiert dabei Themen an der Schnitt stelle von Politik, Recht und Ökonomie. Anspruch ist nicht nur die Prozesse in den europäischen Institu-tionen zu beschreiben, sondern auch Ansätze zur Überwindung des Neoliberalismus zu entwickeln. Kurze Artikel informieren in prägnanter Form über aktuelle Themen. Langbeiträge geben den Raum für grundlegende Analysen, Buchbesprechungen bieten eine kritische Übersicht einschlägiger Publikationen.

EU-Infobrief: Europa und Internationales in kritischer und sozialer Perspektive – kostenlos beziehen

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9 infobrief eu & international Ausgabe 1 | März 2013 wien.arbeiterkammer.at

(Transparenz- und Vertretungsre-geln, etc.) sowie einer umfassenden Regulierungsklausel in Investitions-schutzbestimmungen von Freihan-delsabkommen einzubringen. Seine Position ist insofern eine starke, als EU-Gelder für die rechtliche Vertre-tung und etwaige Entschädigungs-zahlungen bereitgestellt werden müssen. Ein Budgetposten hierfür ist aber noch nicht vorgesehen.

Europäische Freihandelsabkom-men mit Investitionsschutzbe-stimmungen n Die EK verhandelt derzeit Investitionsschutzbestim-mungen als integralen Bestandteil von Freihandelsabkommen (FHA) mit den Ländern Kanada, Singapur und Indien. Singapur hat einen vergleich-baren wirtschaftsliberalen Zugang zu BITs einschließlich Investor-Staat-Streitverfahren wie die Mehrheit der europäischen Mitgliedstaaten, sodass die ersten ausverhandelten FHA-In-vestitionsbestimmungen keinerlei Re-formen beinhalten werden.

Im Rahmen der südmediterranen Freihandelszone verhandelt die Kommission Investitionsschutzbe-stimmungen mit den vier Ländern Ägypten, Marokko, Jordanien und Tunesien. Solche stehen auch mit Ja-pan, China, Russland, Malaysien, In-donesien und Vietnam auf der Agen-da für 2013.

Die europäischen BITs sind schluss-endlich in den nationalen Parlamen-ten zu beschließen, da es sich um „gemischte Zuständigkeiten“10 han-delt. Doch es ist auch in diesen kaum mit Widerständen zu rechnen, da sie über Jahrzehnte die nationalen BITs verabschiedet haben. Darüber hinaus haben die großen Wirtschaftsmäch-

te Deutschland, Großbritannien aber auch die skandinavischen Länder die moderaten Reformbemühungen der EK erfolgreich blockiert. Ihnen stehen offensichtlich die LobbyistInnen der Finanz- und Exportwirtschaft sowie der Rechtsanwaltskanzleien näher als das Gemeinwohl, sodass eine kriti-sche Diskussion gar nicht aufkommen kann. Auch wenn das Zwischenresü-mee lautet: „Alles wie bisher - keine neue Politik!“, bleiben wir dabei kri-tisch zu analysieren, zu hinterfragen und zu informieren!

Elisabeth Beer n AK Wien

[email protected]

Eine gute Adresse für laufende Aktivitäten und Informationen: http://www.s2bnetwork.org/

Europäische Investitionspolitik

»

»

1) Siehe hierzu auch: Europäische Inves-

titionspolitik - Wie entwickelt sich die

Diskussion? In: infobrief eu & international

2/2011; S.4 ff.

2) Verordnung (EU) Nr. 1219/2012 des

Europäischen Parlaments und des Rates

vom 12. Dezember 2012 zur Einführung

einer Übergangsregelung für bilaterale

Investitionsschutzabkommen zwischen den

Mitgliedstaaten und Drittländern.

3) Die Meistbegünstigungsklausel, die besagt

dass sich der Vertragsbegünstigte auch auf

mit anderen Vertragspartnern ausver-

handelte günstigere BITs-Bestimmungen

berufen kann, ist Bestandteil eines jeden

BIT; daher können Investoren Bestimmun-

gen aus anderen BITs, für sich in Anspruch

nehmen.

4) Siehe hierzu: Reformbedarf bei österrei-

chischen Investitionsschutzabkommen;

In: infobrief eu & international, 1/ 2012,

S. 17 ff.

5) Siehe hierzu auch: Pia Eberhardt, How law

firms, arbitrators and financiers are fuelling

an investment arbitration boom, http://

corporateeurope.org/sites/default/files/pub-

lications/profiting-from-injustice.pdf.

6) 13. AtGÄndG: Beschluss des Deutschen

Bundestags vom Sommer 2011 bis zum

Jahr 2022 aus der Nutzung der Atomener-

gie auszusteigen.

7) Vattenfall beruft sich auf die Schutzklau-

sel aus dem Energiecharta-Vertag. Diese

Bestimmung entspricht 1:1 den Schutz-

klauseln der BITs.

8) Siehe hierzu: Nathalie Bernasconi-Os-

terwalder / Rhea Tamara Hoffmann, Der

deutsche Atomausstieg auf dem Prüfstand

eines internationalen Investitionsschieds-

gerichts? Hintergründe zum neuen Streit-

fall Vattenfall gegen Deutschland (II) von,

März 2012, S. 4 ff; http://www.iisd.org/

pdf/2012/powershift_forum_briefing_vat-

tenfall.pdf.

9) Siehe hierzu: Cecilia Olivet, EU investment

policy and intra-EU BITs: the case of Czech

Rebublic, Transnational Insitute (TNI),

Dezember 2012, S. 2; http://just-trade.

org/sites/just-trade.org/files/publications/

BRIEFING%20on%20intra-EU%20BITs%20

and%20Czech%20Republic-JUST-TRADE.

pdf (1.2.2013)

10) U.A. werden auch Portfolioinvestitionen in

den BITs geregelt und diese fallen in die

Zuständigkeit der Mitgliedstaaten.

Deutschland, Groß­britannien und die

skandinavischen Länder haben die moderaten

Reformbemühungen der EK erfolgreich blockiert. Ihnen stehen offensicht­

lich die LobbyistInnen der Finanz­ und

Exportwirtschaft näher als das Gemeinwohl.

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10 infobrief eu & international Ausgabe 1 | März 2013 wien.arbeiterkammer.at

Lobbying und Transparenz n Die Umfrageergebnisse im Detail: 73 % (Ö: 81 %) sind besorgt, dass Wirt-schaftslobbyistInnen zu großen Ein-fluss auf die EU-Politik haben. 77 % (Ö: 84 %) glauben, dass Lobbying durch VertreterInnen der Wirtschaft zu Entscheidungen in der EU-Politik führen kann, die nicht im öffentli-chen Interesse sind. 80 % (Ö: 85 %) finden, dass es verbindliche Regeln für Lobbying geben sollte, um eine ausgeglichene Partizipation unter-schiedlicher Interessen beim Ent-scheidungsprozess zu sichern.

Im Vergleich zum EU-Schnitt weni-ger kritisch wird die Rolle der Wirt-schaftslobbys von den Befragten in Großbritannien und den Niederlan-den gesehen; dort erkennen „nur“ 62 % (NL) bzw. 61 % (UK) einen

großen Einfluss auf die EU-Politik (vgl. Graphik 1). Aber immerhin fordert auch in diesen Ländern eine deutliche Mehrheit der BürgerInnen (NL: 70 % bzw. UK: 69 %) verbind-liche Regeln für Lobbying in der EU. Europaweit sprechen sich überhaupt nur 10 % gegen verbindliche Regeln für Lobbying in der EU aus, und nur 14 % sehen den großen Einfluss der WirtschaftslobbyistInnen nicht mit Besorgnis (vgl. Graphik 2).

Auch eine aktuelle Studie3, welche sich mit den unterschiedlichen In-teressengruppen in der Brüsseler Lobbylandschaft beschäftigt hat, unterstreicht die Bedenken der Bür-gerInnen zum großen Einfluss der Wirtschaftsinteressen: Zwei Drittel aller in Brüssel aktiven Interessen-gruppen gehören dem Wirtschafts-

lager an. Alle anderen Einrichtun-gen, Organisationen und Gruppen (u.a. internationale Organisationen, Regionen, Städte, Gemeinden, Ge-werkschaften, Umweltorganisatio-nen, NGOs, soziale Bewegungen, Universitäten, Forschungseinrich-tungen etc.) machen zusammen nur ein Drittel aus. Gewerkschaften und ArbeitnehmervertreterInnen kommen gerade auf 1–2 % der ver-tretenen Organisationen. Besonders deutlich ist das Ungleichgewicht

Umfrage zu Lobbying und Transparenz in der EU

73 %: Wirtschaftslobbys haben zu großen Einfluss

Umfrage zu Lobbying und Transparenz in der EU

Eine Meinungsumfrage1 , die in sechs EU Mitgliedstaaten2 – unter anderen auch in Österreich – unter 6.000 Befragten durchgeführt wurde , spricht eine klare Sprache: Die befragten Bür-gerInnen halten fest, dass Wirtschaftsinteressen einen zu großen Einfluss in der EU-Politik haben und sprechen sich für klare Regelungen bezüglich Lobbytransparenz, Zugang zu Dokumenten und Ethik im Europäischen Parlament aus. Die Zustimmung der Befragten in Österreich liegt dabei noch über dem – ohnehin sehr hohen – europäischen Durchschnitt. Alice Wagner

»

Die Umfrage

Die detaillierten Daten der Umfrage stehen online zur Verfügung: www.foeeurope.org/eucitizenspoll

Gesamt Österreich Tschechien Frankreich Großbritannien Niederlande Spanien

stimme zu 73 % 81 % 75 % 78 % 61 % 62 % 83 %

stimme nicht zu 14 % 13 % 15 % 9 % 15 % 22 % 11 %

Grafik 1:Ich bin besorgt, dass WirtschaftslobbyistInnen zu großen Einfluss auf die Entscheidungsfindung der EU haben.

Gesamt Österreich Tschechien Frankreich Großbritannien Niederlande Spanien

stimme zu 80 % 85 % 87 % 82 % 69 % 70 % 88 %

stimme nicht zu 10 % 10 % 7 % 7 % 11 % 15 % 6 %

Grafik 2:Es sollte verbindliche Regeln für Lobbying geben, um eine ausgeglichene Partizipation unterschiedlicher Interessen beim Entscheidungsprozess zu sichern.

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11 infobrief eu & international Ausgabe 1 | März 2013 wien.arbeiterkammer.at

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Umfrage zu Lobbying und Transparenz in der EU

bei der Besetzung der sogenann-ten ExpertInnengruppen der EU-Kommission, wo eine dramatische Bevorzugung von Wirtschafts-, Fi-nanz- und Industrielobbys und man-gelhafte Transparenz festzustellen ist. Trotz eines Eingeständnis selbst von Binnenmarkt-Kommissar Bar-nier, wonach FinanzlobbyistInnen einfacheren Zugang in die entspre-chenden ExpertInnengruppen der Generaldirektion Binnenmarkt hat-ten, sind nur kleinere Schritte zur Verbesserung gesetzt worden – nach wie vor sind die Gruppen keinesfalls ausgewogen besetzt.4

Zugang zu EU-Dokumenten und Ethik im Parlament n Zurück zur aktuellen Umfrage: Zustimmungs-werte an die 90 % gibt es bei der Fra-ge des Zugangs zu EU Dokumenten und Informationen: 85 % (Ö: 87 %) finden den Zugang zu vollständiger Information über die Aktivitäten der Mitgliedstaaten in Verhandlungen über zukünftiges Europarecht wich-tig. 84 % (Ö: 89 %) äußern selbi-ges betreffend den Zugang zu um-fassenden Informationen rund um die Maßnahmen der EZB gegen die Finanzkrise. 86 % (Ö: 89 %) finden es wichtig, Zugang zu detaillierten Finanzberichten und Evaluierungen zu haben, wie EU-Gelder von den Mitgliedstaaten verwendet werden. Immerhin noch 74 % (Ö: 76 %) er-achteten es als wichtig, dass jene Rechtsgutachten, die für die euro-päischen EntscheidungsträgerInnen verfasst werden, auch allgemein zu-gänglich sind.

Ein dritter Pfeiler der Umfrage be-fasst sich mit dem Thema Ethik im Europäischen Parlament: 80 % (Ö: 83 %) der Befragten sind unsi-cher, ob Abgeordnete, die gleich-zeitig in einer Lobbying-Gruppe oder einem privaten Unternehmen tätig sind, die Interessen der Bür-gerInnen repräsentieren. 69 % (Ö: 71 %) sind der Meinung, dass die Tätigkeit als Abgeordnete/r ein Fulltime-Job ist, welcher keine Zeit

für anderweitige berufliche Tätigkeit zulässt. Demnach treten auch 67 % (Ö: 71 %) dafür ein, dass es Abge-ordneten des EU-Parlaments nicht

erlaubt sein soll, gleichzeitig auch in einer Lobbying-Gruppe oder einem privaten Unternehmen tätig zu sein.

Meinungsumfrage zeigt klaren Handlungsbedarf n Die deutlichen Umfrageergebnisse weisen auf einen klaren Handlungsbedarf der euro-päischen EntscheidungsträgerInnen hin. Bislang erfolgt die Eintragung im Transparenz-Register5 von Kom-mission und Parlament nur auf frei-williger Basis, und der Rat ist bis-lang vom Register überhaupt nicht erfasst. Schon längst überfällig

Eine aktuelle Studie unterstreicht die

Bedenken der BürgerInnen zum

großen Einfluss der Wirtschaftsinteressen:

Zwei Drittel aller in Brüssel aktiven

Interessengruppen gehören dem Wirt­

schaftslager an.

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12 infobrief eu & international Ausgabe 1 | März 2013 wien.arbeiterkammer.at

ist daher die Einführung eines ver-pflichtenden Lobby-Transparenzre-gisters, mit wirksamen Sanktionen bei Falschangaben.

Darüber hinaus sollte die Eintra-gung ins Register noch mit weiteren „Anreizen“ verbunden werden. So sollten nur ins Register eingetrage-ne Organisation auch die Möglich-keit haben, Personen in die Exper-tInnengruppen der Kommission zu entsenden; ebenso Förderungen zu erhalten, die in einem Zusammen-hang mit europäischer Politik oder Lobbying stehen, oder Verträge (z.B. Studien, Rechtsgutachten) mit der Kommission abzuschließen. Zur Zeit ist dieses Anreizsystem relativ schwach ausgestattet: Nur wer auch ins Transparenzregister eingetragen ist, kann einen Zugangspass für das Europäische Parlament erhalten und ist berechtigt an Konsultationen der Kommission teilzunehmen. Vor die-sem Hintergrund hat die Kommission immer wieder argumentiert, die Ein-tragung in das Register sei de fac-to verpflichtend. Jedoch gibt es für LobbyistInnen auch zahlreiche ande-re Orte, an denen sie mit Entschei-dungsträgerInnen in Kontakt treten können und die Teilnahme an einem Konsultationsverfahren ist bei wei-tem nicht die einzige oder effizien-teste Form sich in europäische Ent-scheidungsprozesse einzubringen.

Mittlerweile verfügt das europäische Parlament – so wie auch die Europäi-sche Kommission – über einen, wenn auch nicht allzu starken, Verhaltens-kodex für seine Abgeordneten.6 Die Umfrageergebnisse stellen zumin-dest eine klare Aufforderung dar, eine intensive Umsetzung des Kodex im EU Parlament voranzutreiben und Maßnahmen umzusetzen, die dabei helfen, Interessenskonflikte aufzu-zeigen und zu bekämpfen, sowie den Kodex beim Thema Nebenjobs und Jobwechsel zu verschärfen. Jedoch gilt diese Forderung wohl nicht nur in Richtung Europäisches Parlament – welches diesmal mehr im Fokus der Meinungsumfrage stand – son-dern wohl genauso im Hinblick auf die EntscheidungsträgerInnen und BeamtInnen in der Europäischen Kommission und im Rat. In die ent-sprechenden Verhaltenskodices könnte etwa eine Bestimmung auf-genommen werden, dass Kommissa-rInnen und BeamtInnen Treffen und Termine nur mit ins Register einge-tragenen LobbyistInnen vereinbaren dürfen oder nur auf Veranstaltungen vortragen dürfen, wenn der/die Or-ganisatorIn auch im Register ein-getragen ist. Gleiches sollte für die Einladungspolitik zu Sitzungen der Intergroups im Europäischen Parla-ment gelten.

Alice Wagner n AK Wien

[email protected]

1) Die Umfrage wurde im Rahmen des „EU ci-

tizens project“, eines gemeinsamen Projek-

tes von AccessInfo Europe, Aitec, Environ-

mental Law Service, Friends of the Earth

Europe, Health Action und International,

Spinwatch durchgeführt. Die Meinungsum-

frage wurde von der Arbeiterkammer un-

terstützt. Mehr Informationen zum Projekt:

http://www.eu-citizens.org/. Die Umfrage

wurde von TNS opinion (die u.a. auch den

Eurobarometer erstellen) in sechs EU Mit-

gliedstaaten durchgeführt. Je Land wurden

im Zeitraum 17. bis 23.1.2013 etwa 1.000

Befragungen durchgeführt.

2) Neben Österreich wurde die Umfrage auch

in Tschechien, Frankreich, Spanien, den

Niederlanden und Großbritannien durch-

geführt.

3) Dieter Plehwe, Europäisches Kräftemessen

– Europäische Kräfte messen, Materialen

zu Wirtschaft und Gesellschaft Nr. 113, AK

Wien (2012).

4) Vgl. dazu ausführlicher: Yiorgos Vassalos,

European Commission’s expert groups:

Damocles’ sword over democracy, juridi-

kum 1/2013 (im Erscheinen); Timo Lange,

Lobbyismus in Brüssel, Neue Studie: EU-

Expertengruppen einseitig besetzt, infob-

rief eu&international, Ausgabe 4, Oktober

2012, S. 4-7.

5) Vgl. dazu ausführlicher: Alice Wagner,

Freiwilliges EU-Transparenzregister,

Schafft das Transparenzregister wirk-

lich mehr Information über die Brüsseler

Lobbyszene?, infobrief eu&international,

Ausgabe 4, Oktober 2012, S. 8-9.

6) Vgl dazu ausführlicher: Timo Lange, Nach

dem Strasser-Skandal im EU-Parlament,

Transparenzregister & neue Verhaltensre-

geln für EU-Abgeordnete, in: Lobbyismus in

Europa, infobrief eu&international, Sonder-

ausgabe 3a, September 2011, S. 21-24.

Zum Weiterlesen

»

Umfrage zu Lobbying und Transparenz in der EU

eu& internationalinfobrief

Sonderausgabe 3a | September 2011

Parc du Cinquantenaire

FEFAC

BP

Shell

Aquafed

Lisbon Council

Foratom

FIPRA

IETA

City of London

US Chamber of Commerce

European Financial Services

Roundtable

Lobbyismus in Europa

BASF

Materialien zuWirtschaft und Gesellschaft

113

Europäisches Kräftemessen- europäische Kräfte messen

Dieter Plehwe

Lobbyismus in Europa – Sonderausgabe infobrief eu & international, September 2011.Die Sondernummer des infobrief eu & inter-national befasst sich ausführlicher mit dem Thema Übermacht der Wirtschafts- und Finan-zinteressen in Brüssel, u.a. mit der „Revolving Door“ zwischen Politik und Wirtschaft, den Ex-pertInnengruppen in der Kommissi-on, den Brüsseler Think Tanks, der Lage im EU Parlament nach dem Strasser-Skandal oder dem Einfluss der Wirtschafts- und Finanzlobbies auf die Finanzmarktregulierung, Euro Pakt und EU Investitionspolitik u.v.m. http://www.arbeiterkammer.at/bilder/d161/EU_Infobrief_Sonder-nummer_September_2011.pdf

Europäisches Kräftemessen – Europäische Kräfte messen Eine Auswertung von verfügbaren statistischen Daten zur Entwicklung und zum ungleichen Stand der Interessen-vertretung in Brüssel (Organisation, Personal, Finanzen)Studie von Dieter Plehwe, Materialen zu Wirtschaft und Gesellschaft Nr. 113, AK Wien (2012). http://wien.arbeiterkammer.at/bilder/d168/MWUG_113.pdf

Page 13: Transparenz in der EU 10 infobrief - Arbeiterkammer · 3 infobrief eu & international Ausgabe 1 | März 2013 wien.arbeiterkammer.at der Eurozone in den Folgejahren ge - bremst worden,

13 infobrief eu & international Ausgabe 1 | März 2013 wien.arbeiterkammer.at

Der Vorschlag erscheint zunächst utopisch: das Eigenkapital des Eu-ropäischen Zukunftsfonds soll aus einer EU-weiten Vermögenssteuer gesammelt werden. Der Fonds gibt sogenannte „New Deal-Anleihen“ aus, deren Zinsen aus den Einnah-men durch die Finanztransaktions-steuer (Financial Transaction Tax, FTT) aufgebracht werden. Aber: er-schien nicht auch das Projekt Euro-pa nach dem 2. Weltkrieg utopisch? Ohne eine Verabschiedung von na-tionalstaatlichen Denkmustern wird eine Stabilisierung der EU und des Euro nicht machbar sein.

Das Konjunktur-, Investitions- und Aufbauprogramm für Europa – der Vorschlag des Deutschen Gewerkschaftsbundes n Die Zu-kunftsfähigkeit Europas setzt heute mehr denn je Investitionen voraus. Europa hat hierfür alle Ressourcen: Menschen, Wissen, Innovations-kraft, Kapital, moderne Infrastruktu-ren, intakte öffentliche und private Einrichtungen, hoch entwickelte In-dustrie- und Dienstleistungszentren, soziale Sicherungssysteme, einen gemeinsamen Markt und eine ge-meinsame Währung. All dies verbin-det Europa. Das Zukunftsprogramm muss:

n für ausreichend gute, zukunftsfä-hige und hochwertige Arbeitsplät-ze und für Wohlstand sorgen.

n nachhaltig und so angelegt sein, dass die Substanz des europäi-schen Gesellschaftsmodells erhal-ten und an ökologische, soziale und demografische Herausforde-rungen angepasst wird.

n demokratisch kontrolliert werden durch die gewählten europäi-schen Institutionen, allen voran das Europäische Parlament, die wiederum von bestehenden eu-ropäischen Institutionen (z.B. die Europäische Investitionsbank) bei der Ausübung der Kontrolle un-terstützt werden müssten.

n als ein gesamteuropäisches sup-ranationales Projekt und nicht als Summe der Einzelinteressen der europäischen Länder verstanden werden.

n vorausschauend und konjunktur-unabhängig sein, also kurzfristig notwendige Maßnahmen in den Kontext der langfristigen Heraus-forderungen stellen und sie auch im Aufschwung fortsetzen.

n dem Markt Regeln setzen, poli-tische Orientierung geben und dabei auch private Investitionen in innovative Zukunftsprojekte lenken.

n gerecht finanziert sein und ge-recht verteilt werden. Finanzstar-

ke soziale Schichten und ökono-misch stärkere Regionen müssen stärker zur Finanzierung der Zu-kunftsinvestitionen beitragen als die Schwächeren. Das gilt auch für die Teilhabe an einem solchen Programm.

n solide finanziert sein und gleich-zeitig die Staaten Europas in die Lage versetzen, Steuereinnah-men für die Bereitstellung öffent-licher Dienstleistungen und zum Abbau der öffentlichen Verschul-dung zu generieren.

Kernelemente des Marshallplans

n Der „Marshallplan für Europa“ ist aus dem Verständnis entstanden, dass die kurzfristige Konjunktur-entwicklung und das längerfristige Wachstumspotenzial eng zusam-menhängen. Gefragt ist eine politi-sche Strategie, die beides berück-sichtigt. Der DGB-Marshallplan für Europa versteht sich als ein auf 10 Jahre (von 2013 bis 2022) angeleg-tes Investitions- und Aufbaupro-

Konjunktur-, Investitions- und Aufbauprogramm

Ein Marshallplan für Europa

Ein Marschallplan für Europa

Europa steht einer Vielzahl großer Herausforderungen gegenüber: knapper werdende Wasser­ und Energieressourcen, eine alternde Bevölkerung, hohe Jugendarbeitslosigkeit. Jedoch scheinen derzeit alle politischen Kräfte auf die Finanz-, Wirtschafts- und Eurokrise konzentriert zu sein. Statt auf die Zukunft gerichtete strategische Konzepte zu entwerfen werden den europäischen Mitgliedstaaten Austeritätsprogramme aufgebürdet, das heißt die Rücknahme der Staatsausgaben ins-besondere im Bereich der Sozialsysteme und der Bildung. Da die Lage in Europa immer fataler an die Wirtschafts krise der 1930er Jahre des vorigen Jahrhunderts erinnert, hat der DGB für den Jahresbeginn 2013 einen Marshallplan für Europa1 vorgelegt. Mehrdad Payandeh und Susanne Wixforth

Der DGB­Marshallplan für Europa versteht

sich als ein auf 10 Jahre (von 2013

bis 2022) angelegtes Investitions­ und

Aufbauprogramm für alle 27 EU­Länder.

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14 infobrief eu & international Ausgabe 1 | März 2013 wien.arbeiterkammer.at

Ein Marschallplan für Europa

gramm für alle 27 EU-Länder. Unter Berücksichtigung der unterschiedli-chen Rahmen- und Ausgangsbedin-gungen in den EU-Mitgliedstaaten soll ein Mix aus institutionellen Maß-nahmen, direkten öffentlichen In-vestitionen, Investitionszulagen für Unternehmen und die Konjunktur stabilisierenden Konsumanreizen im-plementiert werden. Letztere dienen der kurzfristigen Krisenbekämpfung und sind zum überwiegenden Teil befristet. Die öffentlichen Investiti-onen und Investitionszulagen hin-gegen entfachen ihre Wirkung erst mit einer zeitlichen Verzögerung. Sie wären so auszurichten, dass sie die gesellschaftlich notwendigen bil-dungs-, sozial- und klimapolitischen Weichenstellungen und qualitative Wachstumsziele unterstützen.

Im Zentrum der Vorschläge stehen der Umbau und die Modernisierung der europäischen Volkswirtschaften mit dem Ziel, energiearm und res-sourcenschonend zu wirtschaften und Europa damit langfristig von Brennstoffimporten unabhängig zu machen und zugleich den CO2-Aus-stoß massiv zu reduzieren. So strebt die EU an, bis 2050 den CO2-Ausstoß um 80 % bis 95 % unter den Stand von 1990 zu senken. Hierfür hat die EU-Kommission einen „Energiefahr-plan 2050“2 vorgelegt, der allerdings ohne massive Investitionen in einen sozial-ökologischen Wandel nicht umsetzbar ist. Daher soll dieser Ener-giefahrplan für die nächsten 10 Jahre im Rahmen des Marshallplans unter dem Titel „Europäische Energiewen-de“ massiv unterstützt werden, ohne Wirtschaft und Gesellschaft und vor allem ArbeitnehmerInnenhaushalte im Übermaß zu belasten. In Anleh-nung an den „Energiefahrplan 2050“ werden dafür jährliche Investitionen von 150 Mrd. Euro veranschlagt.

Ausgehend vom modernen Sozial-staat als Produktivkraft sollen Inno-vationen, Forschung und Entwicklung als die schöpferischen Treiber eines

neuen Wirtschaftens gestärkt wer-den. Der Marshallplan setzt dafür an verschiedenen Stellen an: er stärkt Europas industrielle Wertschöpfung und öffentliche Dienstleistungen, hilft die Verkehrsinfrastruktur zu modernisieren und den Ausbau von Breitbandnetzen zu beschleunigen, sorgt für mehr Investitionen in Bil-dung und Ausbildung und eine nach-haltige Bewirtschaftung der knappen Wasserressourcen. Vor allem aber

wird er die Kooperation zwischen den europäischen Ländern verbessern, die die gewaltigen Herausforderun-gen von Zukunftsgestaltung und Kri-senmanagement nur gemeinsam be-wältigen können. Insgesamt ergibt sich ein jährlicher Finanzierungsbe-darf von durchschnittlich 260 Mrd. Euro. Das entspricht rund 2 % des europäischen BIPs.

Ein so langfristig angelegtes, ambiti-oniertes Investitionsprogramm kann nicht von einem einzigen Land allein gestemmt werden. Vor allem finanzi-ell angeschlagene Krisenländer kön-nen gegenwärtig aus eigener Kraft eine solche Modernisierungsoffensive nicht umsetzen. Deswegen braucht es gemeinsame Anstrengungen und neue europäische Einrichtungen, wie der im Folgenden vorgeschlagene Europäische Zukunftsfonds, mit sta-bilen und soliden Finanzierungsquel-len.

Finanzierung des Marshallplans

n Vor dem Hintergrund des massiven Modernisierungsbedarfs Europas hat der DGB bereits in einem „4-Punkte-Programm“3 von 2011 den Vorschlag unterbreitet, einen „Europäischen

Zukunftsfonds“ zu gründen, dessen Mittel durch eine europäische Fi-nanzierung aufgebracht werden. In Westeuropa stehen 27.000 Mrd. Euro an Geldvermögen einer schrumpfen-den Zahl von sicheren und rentab-len Anlagemöglichkeiten gegenüber: Diese Situation birgt die große Chan-ce, das vorhandene Kapital Europas für die Investitionen in seine Zukunft umzulenken. Zu diesem Zweck soll der „Europäische Zukunftsfonds“ ähnlich wie Unternehmen oder Staa-ten verzinsliche Anleihen emittieren, sogenannte „New Deal Anleihen“. AnlegerInnen werden damit gute und sichere Anlagemöglichkeiten geboten, und die EU sichert die Fi-nanzierung dieser Modernisierungs-offensive, indem der ESM oder die Euroländer mit Garantien in Vorlage treten, bis aus Geldvermögen aus-reichend Eigenkapital eingesammelt wurde. So kann der „Europäische Zukunftsfonds“ den jährlichen In-vestitionsbedarf durch die Emission von 10jährigen „New Deal Anleihen“ finanzieren, für die jährliche Zinsen anfallen würden. Diese Zinsver-pflichtungen, für die der Zukunfts-fonds selbst aufkommen muss, kön-nen aus den Einnahmen einer FTT finanziert werden. Auch wenn die FTT nicht in allen 27 Staaten einge-führt wird, so kann durch den Mar-shallplan skeptischen Regierungen einiger EU-Länder gezeigt werden, dass mit der Einführung der FTT in Verbindung mit dem Zukunftsfonds ökonomische und ökologische Vor-teile einhergehen.

Für die Berechnungen der jährlichen Einnahmen aus der FTT wurde eine vorsichtige Schätzung von 75 bzw. 100 Mrd. Euro zugrunde gelegt, wenn die FTT in allen EU-Staaten eingeführt würde. Damit kann der „Europäische Zukunftsfonds“ zum ei-nen die anfallenden Zinsenverpflich-tungen finanzieren und zum anderen den jährlichen Finanzierungsbedarf und damit das Volumen der zu emit-tierenden „New Deal Anleihen“

Insgesamt ergibt sich ein jährlicher

Finanzierungsbedarf von durchschnittlich

260 Mrd. Euro. Das ent­spricht rund 2 % des europäischen BIPs.

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15 infobrief eu & international Ausgabe 1 | März 2013 wien.arbeiterkammer.at

reduzieren. Um den Zinssatz auf die „New Deal Anleihen“ möglichst nied-rig zu halten, muss der „Europäische Zukunftsfonds“ an den Finanzmärk-ten als solventer Schuldner mit hoher Bonität notieren. Um diese Ziele zu erreichen, muss der Zukunftsfonds bereits bei seiner Gründung mit aus-reichend Eigenkapital ausgestattet werden. Da bis heute ausschließlich SteuerzahlerInnen bzw. Arbeitneh-merInnen die Hauptlast der Krisen-bekämpfung tragen, ist es an der Zeit, dass die Gruppe der Vermögen-den und Reichen an der einmaligen Finanzierung der Kapitalausstattung des Zukunftsfonds beteiligt werden. Der DGB schlägt für Deutschland eine einmalige Vermögensabgabe von 3 % auf alle privaten Vermögen vor. Das damit zu erzielende Volu-men dürfte allein in Deutschland zwi-schen 50 und 70 Mrd. Euro liegen. Die anderen EU-Länder sollten ihre Vermögenden und Reichen ebenfalls mit vergleichbaren Maßnahmen zur Finanzierung des Marshallplans he-ranziehen. Insgesamt könnten so europaweit zwischen 200 und 250 Mrd. Euro mobilisiert werden. Damit wäre der Europäische Zukunftsfonds mit genügend Eigenmitteln ausge-stattet, um am Markt als erstklassi-ger Schuldner zu gelten und müsste dafür nur niedrige Zinsen für seine „New Deal Anleihen“ entrichten. Als europäische Einrichtung soll der „Eu-ropäische Zukunftsfonds“ einer strik-ten Kontrolle durch das Europäische Parlament unterliegen.

Makroökonomische Effekte des Marshallplans n Diese Skizze ei-nes Marshallplans zeigt, dass Nach-

haltigkeit, Wachstum, Beschäftigung und Wohlstand keine Gegensätze sind. Und sie sind auch finanzier-bar. Zwar werden einmalig die Ver-mögenden und Reichen mit einer Abgabe belastet, dafür werden den AnlegerInnen aber sichere, verzins-liche „New Deal Anleihen“ geboten. Gleichzeitig werden mit der Besteu-erung von vor allem hochspekulati-ven Finanztransaktionen diejenigen Finanzmarktakteure belastet, die die größte Finanz- und Wirtschaftskri-se seit achtzig Jahren hauptsächlich verursacht haben.

Der DGB-Marshallplan beinhaltet au-ßerdem wichtige Impulse für quali-tatives Wachstum sowie neue und zukunftsfähige Arbeitsplätze. Die vorgeschlagenen Investitionen und Investitionsförderungen in Höhe von jährlich 260 Mrd. Euro bestehen aus 160 Mrd. Euro Direktinvestitionen und Investitionszulagen sowie aus 100 Mrd. Euro in Form von günstigen Krediten mit zehnjähriger Laufzeit für private Investoren. Diese Kom-bination aus langfristigen günstigen Krediten und Investitionszulagen soll zusätzliche private Investitionen an-regen und dadurch flächendeckend private Modernisierungen fördern. Diese wiederum würden weitere pri-vate Investitionen nach sich ziehen und einen jährlichen zusätzlichen Wachstumsimpuls von insgesamt 400 Mrd. Euro erzielen. Das entsprä-che einem zusätzlichen Wachstums-impuls von über 3 % des Bruttoin-landsprodukts der EU im Jahr 2011. Die hohe Wachstumsdynamik geht auch mit positiven Effekten für die Beschäftigung einher.

Von diesem Programm profitieren die EU-Staaten doppelt: Die Investi-tionen belasten ihre Haushalte nicht. Stattdessen erhalten sie zusätzliche Wachstums- und Beschäftigungsim-pulse und können daraus wesentlich höhere direkte und indirekte Steu-ereinnahmen aus Lohn-, Mehrwert-, Unternehmens- und Körperschafts-

steuern sowie Sozialversicherungs-beiträge generieren und die Kosten der Arbeitslosigkeit reduzieren. Das würde bedeuten, dass durch die 400 Mrd. Euro an zusätzlichem EU-weitem BIP 104 Mrd. Euro zusätz-liche Steuern eingenommen wer-den. Ein entsprechend gesteigertes Wachstum würde für 56 Mrd. Euro an zusätzlichen Sozialversicherungs-beiträgen sorgen. Zudem würden Einsparungen von 20 Mrd. Euro auf-grund geringerer Arbeitslosigkeit an-fallen. Insgesamt würden 180 Mrd. Euro an Mehreinnahmen und Einspa-rungen generiert werden, die einzig und allein den EU-Ländern zufließen würden.4

Redaktion:

Mehrdad Payandeh n Leiter der Abteilung

Wirtschafts-, Finanz- und Steuerpolitik, DGB

[email protected]

Susanne Wixforth n AK Wien

[email protected]

1) Langfassung: http://www.dgb.de/

themen/++co++64b9f550-4081-11e2-

9bfd-00188b4dc422

2) Vgl. Energiefahrplan 2050, Mitteilung der

EU-Kommission, 12.12.2011

3) http://www.dgb.de/

themen/++co++59c24b12-262d-11e1-

5678-00188b4dc422

4) Multiplikatoreffekte wurden nach den

methodischen Vorgaben der Europäischen

Kommission berechnet; Information note

for the Economic and Policy Committee,

Brussels, 30 September 2005

In Westeuropa stehen 27.000 Mrd. Euro an Geldvermögen einer schrumpfenden Zahl von sicheren und rentablen Anlage möglichkeiten gegenüber.

So kann der „Europäische

Zukunftsfonds“ den jährlichen

Investitionsbedarf durch die Emission

von 10jährigen „New Deal Anleihen“

finanzieren.

Ein Marschallplan für Europa

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Die wirtschaftliche und soziale Lage in der EU könnte kaum einen deutlicheren Appell für einen ent-schiedenen Kurswechsel darstellen. Nachdem die Wirtschaftsleistung in der EU und der Eurozone im ver-gangenen Jahr schrumpfte, sehen die Wachstumsaussichten für 2013 kaum besser aus. Auch die soziale Krise könnte sich 2013 angesichts des fortgesetzten Sparkurses weiter zuspitzen. Rund 26 Millionen Men-schen sind derzeit in der EU arbeits-los. Die Arbeitslosenquote könnte 2013 in der Eurozone auf einen Re-kordwert von 12% klettern. Beson-ders dramatisch ist die Situation für junge Menschen in der EU, unter de-nen bereits jeder fünfte auf dem Ar-beitsmarkt keine Beschäftigung hat. Zudem hat die Jugendarbeitslosen-quote in Griechenland und Spanien bereits die 55%-Marke überschrit-ten. Selbst die Kommission stellt fest, dass die EU die einzige Großre-gion weltweit ist, in der die Arbeits-losigkeit weiter ansteigt.1

Kein Kurswechsel in Sicht n Ob-wohl die Kommission den katastro-phalen Status quo in ihrem Jahres-wachstumsbericht 2013 ungeschönt anerkennt, ist ein Kurswechsel nicht in Sicht. Vielmehr propagiert die Kommission eine Verschärfung des gescheiterten neoliberalen Sparkur-ses in der EU, der als „notwendige[r] Reformprozess“2 verstanden wird. Das Dokument ist jedenfalls nicht unerheblich für die wirtschaftspo-

litische Ausrichtung der Union: Im Rahmen des 2011 eingeführten Eu-ropäischen Semesters zur Koordinie-rung der Wirtschaftspolitik werden die Staats- und Regierungsvertre-terInnen beim Frühjahrsgipfel im März auf der Basis des Berichts po-litische Orientierungen beschließen, die dann in die nationalen Reform-programme und Stabilitäts- bzw. Konvergenzprogramme der Mit-gliedstaaten einfließen sollen. Da-rauf aufbauend wird die Kommissi-on länderspezifische Empfehlungen vorschlagen, die in der Folge vom Rat genehmigt werden müssen. Die Prioritäten, auf die der Jahreswachs-tumsbericht setzt, sind die gleichen wie im Vorjahresbericht: eine „dif-ferenzierte, wachstumsfreundliche“ Haushaltskonsolidierung soll ver-folgt, eine normale Kreditvergabe an die Wirtschaft hergestellt, Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit gefördert, Arbeitslosigkeit und die sozialen Fol-gen der Krise bekämpft und die Ver-waltung modernisiert werden.

Ein Blick hinter diese Überschriften zeigt aber schnell, dass es sich hier um eine Mogelpackung handelt, da die vorgeschlagenen Maßnahmen zum Teil sogar diesen Zielen zuwi-

der laufen. Von einer Strategie zur wirksamen Bekämpfung der Krisen-ursachen (insbesondere die unglei-che Entwicklung der Einkommen und Vermögen, die unzureichend regulierten Finanzmärkte und die Ungleichgewichte in den Leistungs-bilanzen) sowie zur Realisierung nachhaltigen Wachstums und einem Anstieg hochwertiger Beschäftigung ist die Kommission meilenweit ent-fernt. Trotz zahlreicher Stimmen, die angesichts der durch die Troika verordneten harten Sparprogramme vor einem „Kaputtsparen“ warnen, weicht die Kommission nicht von ih-rem Kurs ab. Selbst der Chefökonom des Troika-Mitglieds IWF (Internati-onaler Währungsfonds) legte jüngst Forschungsergebnisse vor, wonach der sogenannte Fiskalmultiplikator-effekt, also die geschätzte Reduktion der Wirtschaftsleistung als Reaktion auf Sparmaßnahmen oder Steuer-erhöhungen, deutlich unterschätzt wurde.3 Was harmlos klingt, hat massive Auswirkungen: Wären die-se Erkenntnisse bereits in der Kon-solidierungsstrategie 2010 folgend berücksichtigt worden, wäre von An-fang an klar gewesen, dass der rigi-de Kurs die Rezession vertiefen und die Schuldenlast vergrößern würde. Auch die negative Auswirkung der Haushaltskonsolidierung auf die Ar-beitslosigkeit wurde demnach stark unterbewertet. Der Teufelskreis, der durch die brutale Austeritätspolitik angestoßen wird, ist bereits jetzt in einigen Mitgliedstaaten offen-

Jahreswachstumsbericht 2013

Jahreswachstumsbericht 2013

Kein Ende des verheerenden neoliberalen Sparkurses Ein neuerlicher Rückgang der Wirtschaftsleistung, Arbeitslosigkeit in Rekordhöhe und keine Verbesserung in Sicht: Vor dem Hintergrund dieser katastrophalen Situation in der EU veröffentli-chte die Kommission im November 2012 den Jahreswachstumsbericht 2013, der die Prioritäten für das nächste Europäische Semester festlegen soll. Die Kommission schreibt darin ihre gescheiterte Krisen-bekämpfungsstrategie fort, die das Ausmaß der Krise verschärft: Neben einer Fortsetzung der verheer-enden Kürzungspolitik wird im Bericht eine weitere Deregulierung auf den Arbeitsmärkten gefordert. Nikolai Soukup

Der harte Sparkurs hat verheerende Folgen

– die Kommission verschreibt dennoch

mehr von der „falschen Medizin“.

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Jahreswachstumsbericht 2013

Die Kommission fordert weitere Deregulierung

der Arbeitsmärkte. Das verschlimmert die

Probleme.

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sichtlich: durch das Abwürgen der Konjunktur sinken die Steuereinnah-men, und Ausgaben (wie etwa Ar-beitslosengelder) steigen, wodurch die Konsolidierung der Staatshaus-halte erst recht misslingt.

Festhalten an der „Kaputtspar“-Politik n Die Kommission hält hin-gegen weiterhin daran fest, dass die Haushaltskonsolidierung lediglich „kurzfristig“ negative Auswirkun-gen auf das Wachstum haben kann, betrachtet diese negativen Auswir-kungen – in Form von massivem Jo-babbau und Lohnkürzungen – aber offenbar als unvermeidlich. Zumin-dest wird im Jahreswachstumsbericht festgehalten, dass die Auswirkungen auf das Wachstum auch von der Art der Konsolidierung abhängen. Aller-dings werden Forschungsergebnisse verdreht, wenn behauptet wird, dass die „Erfahrung“ gezeigt habe, dass in Ländern mit relativ hohen Ausgaben und Steuersätzen eine Konsolidierung durch Ausgabensenkung besser für das Wachstum sei als eine Anhebung der Steuereinnahmen. Tatsächlich zeigen ökonomische Studien, dass Ausgabenkürzungen insbesondere die ersten Jahre für gewöhnlich deut-lich höhere Multiplikatoreffekte auf-weisen und somit stärker schaden als Steuererhöhungen.4 Aus Gründen der Verteilungsgerechtigkeit und um die Nachfrage nicht wesentlich zu schwä-chen, sollten Steuererhöhungen je-denfalls auf den wohlhabenden Teil der Bevölkerung konzentriert sein.

Die Kommission bleibt ihrer verord-neten rigiden „Spar- und Kürzungs-Medizin“ aber trotzdem treu, wenn es im Bericht bezüglich der „Pro-grammländer“ heißt: „Diejenigen Mitgliedstaaten, die ihre Schulden am Markt nicht mehr refinanzieren können, benötigen eine rasche Haus-haltsanpassung, um das Vertrau-en der Anleger so bald wie möglich zurückzugewinnen“.5 Gleichzeitig ist man allerdings nicht einmal bereit, die Exportchancen der betroffenen

Länder zu erhöhen – wie das der Fall wäre, wenn Mitgliedstaaten mit mehr budgetärem Spielraum expan-sive Programme starten würden.

Anstatt dieser neoliberalen Sparpo-litik ist eine differenzierte, wachs-tumsfreundliche und mittelfristig ausgelegte Konsolidierung notwen-dig. Wie der von drei Wirtschaftsfor-schungsinstituten herausgegebene „unabhängige Jahreswachstumsbe-richt“ zeigt, könnte im gesamten Eu-roraum allein für 2013 ein budgetä-rer Handlungsspielraum von etwa 85 Mrd. Euro geschaffen werden, wenn die derzeit geplanten überzogenen Konsolidierungsmaßnahmen in Höhe von rund 130 Mrd. Euro (1,3% des BIP) auf die Minimalanforderung der europäischen fiskalpolitischen Vorgaben6 von 0,5% des BIP redu-ziert würden. Durch ein dauerhaf-tes Beschränken der Konsolidierung auf das gemäß der europäischen Verpflichtungen notwendige Aus-maß könnte demzufolge das Durch-schnittswachstum in der Eurozone zwischen 2013 und 2017 um 0,7% pro Jahr gesteigert werden.7

Zwar nennt die Kommission Investiti-onen, die Vorrang haben sollten (Aus-gaben für Bildung, Forschung, Inno-vationen und Energie), doch werden diese lediglich aus dem Blickwinkel der Haushaltskonsolidierung ange-sprochen. Eine engagierte Beschäf-tigungs- und Investitionsoffensive in die soziale und ökologische Infra-struktur wäre stattdessen dringend notwendig, um neue Wachstumsquel-len zu nutzen. Die wiederholte Emp-fehlung der Kommission, das Pen-sionsalter an die Lebenserwartung zu knüpfen, muss darüber hinaus entschieden zurückgewiesen wer-den. Denn bei ihren Vorschlägen zur „Nachhaltigkeit“ der Sozialschutzsys-teme ignoriert die Kommission, dass eine möglichst gute Erwerbsintegrati-

on der Menschen im Erwerbsalter in allen Altersgruppen die beste Stra-tegie ist, um die langfristige Finan-zierung hochwertiger Systeme der sozialen Sicherheit zu gewährleisten. Eine Anhebung des gesetzlichen Pen-sionsalters würde zudem die hohe Ar-beitslosigkeit weiter steigern.

Die steuerpolitischen Empfehlun-gen des Jahreswachstumsberichts sind indes durchwachsen: Zwar wird sinnvollerweise eine deutliche Re-duktion der Besteuerung des Faktors Arbeit in Ländern, wo diese hoch ist, empfohlen. Im Gegenzug sollen aber die Verbrauchsteuern angehoben werden, die im Allgemeinen jedoch Haushalte mit geringen Einkommen am stärksten belastet. Damit werden aber nicht nur die Konsummöglich-keiten ungleicher verteilt, sondern auch der Wirtschaft weiter Nachfrage entzogen. Grundsätzlich verabsäumt es der Bericht, eine Neuausrichtung der Steuerpolitik vorzuschlagen, die auf ein Eindämmen des Unterneh-menssteuerwettbewerbs und eine koordinierte Anhebung von vermö-gensbezogenen Steuern und Spit-zensteuersätzen abzielen muss.

Wenig zielführend sind zudem die im Bericht vorgeschlagenen Maßnah-men zur Verbesserung der Kreditver-gabe an Unternehmen. Ausgeblendet bleibt, dass am schwachen Kredit-wachstum nicht nur angebotsseitige Engpässe schuld sind, sondern vor allem auch fehlende Investitionen wegen geringer Absatzerwartun-gen. Ein Grund mehr, um einen wirt-schaftspolitischen Kurswechsel ein-zuleiten, der auf eine Erhöhung der Nachfrage abzielt.

Die im Jahreswachstumsbericht ent-haltenen Vorschläge, wie „Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit für heute und morgen“ gesichert werden kön-nen, beschränken sich im Wesentli-chen auf die Wiederholung altbekann-ter Konzepte der Kommission. Ihre verfehlte Ausrichtung beweist die

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Jahreswachstumsbericht 2013

Kommission zudem, indem sie auf weiteren Liberalisierungen bei netz-gebundenen Industrien, wie etwa im Schienenpersonenverkehr, beharrt.

Weitere Deregulierung der Ar-beitsmärkte wird Beschäftigungs-misere vertiefen n Ein Ausweg aus der Krise kann ohne eine entschie-dene und wirksame Bekämpfung der Arbeitslosigkeit in der EU nicht funk-tionieren. Bei ihren Vorschlägen zur Bekämpfung der Beschäftigungsmi-sere entsprechen zentrale Politikemp-fehlungen der Kommission jedoch der gänzlich fehlgeleiteten These, wonach in erster Linie mangelnde Flexibilität auf den Arbeitsmärkten für die schlechte Beschäftigungslage verantwortlich wäre. Damit ignoriert die Kommission die Tatsache, dass die hohe Arbeitslosigkeit eine Folge der Wirtschaftskrise sowie der ver-fehlten Krisenpolitik darstellt. Beson-ders besorgniserregend ist, dass die Kommission derzeit durchgeführte Maßnahmen in einigen Mitgliedstaa-ten, die eine Absenkung arbeits-rechtlicher Standards bewirken, als „ambitionierte Reformen“ bezeichnet. In diesem Zusammenhang zählt der Bericht auf, dass „[i]n Ländern unter finanziellem Druck […] Maßnahmen zur Erleichterung flexibler Arbeitsre-gelungen in Unternehmen, zur Redu-zierung der Abfindungen bei Beendi-gung normaler Arbeitsverträge und zur Vereinfachung von Einzel- und Massenentlassungen ergriffen [wur-den]. Darüber hinaus wurden Schritte unternommen, um die Lohnfindung zu flexibilisieren, zum Beispiel durch Vereinfachung der Voraussetzungen, unter denen Unternehmen aus hö-heren Tarifabschlüssen ausscheren können, und durch die Überprüfung von Branchentarifabschlüssen“.8 In die völlig falsche Richtung gehen da-her auch mehrere Empfehlungen der Kommission, die auf eine weitere De-regulierung des Arbeitsmarktes ab-zielen. Dazu zählen die Empfehlung der Kommission zu einer „Vereinfa-chung des Arbeitsrechts“ sowie der

Hinweis, dass die Arbeitslosenun-terstützungen daraufhin untersucht werden sollen, ob die Anspruchsvo-raussetzungen und die Höhe einer raschen Wiederaufnahme einer Be-schäftigung nicht im Wege stehen. Darüber hinaus ist die Aufforderung zum Abbau der Unterschiede beim Beschäftigungsschutz für verschiede-ne Arten von Arbeitsverträgen ange-sichts der Stoßrichtung der Kommis-sion nichts anderes als ein Kürzel für die Verringerung „zu hohen“ Beschäf-tigungsschutzes. Die Empfehlung der Kommission, die Lohnbildungssyste-me daraufhin zu überprüfen, ob sie Produktivitätsentwicklungen entspre-chen, und gegebenenfalls „unter Ein-haltung der nationalen Konsultations-gepflogenheiten“ zu ändern, zielt klar darauf ab, die Löhne zu senken und die Gewerkschaften zu schwächen.

Dass sich die Kommission auch für den Erhalt und Ausbau einer effi-zienten und leistungsfähigen Ar-beitsvermittlung und einer aktiven Arbeitsmarktpolitik, u.a. durch Qua-lifizierungsmaßnahmen und indivi-duelle Betreuung von Arbeitsplatzsu-chenden, ausspricht, ist positiv, kann aber angesichts der Gesamtausrich-tung des Wachstumsberichts keinen „großen Wurf“ darstellen. Die Einfüh-rung von Jugendgarantiesystemen in der EU nach österreichischem Vorbild ist zu unterstützen, allerdings ist de-ren ausreichende Finanzierung nicht gewährleistet und zudem eine durch-gängige Umsetzung fraglich, wenn es sich weiterhin lediglich um eine Emp-fehlung des Rates handeln soll. Im gesamten Jahreswachstumsbericht finden sich zudem keine Vorschläge, um die Qualität der Beschäftigung zu verbessern.

Die Kommission fordert zudem von den Mitgliedstaaten Maßnahmen zur Armutsbekämpfung und sozialen In-klusion ein. Dass die Kommission in diesem Zusammenhang u.a. eine „ef-fiziente und angemessene Einkom-menssicherung“ und einen „breite[n]

Zugang zu erschwinglichen, leis-tungsfähigen Dienstleistungen im So-zial- und Gesundheitsbereich“9 ein-mahnt, erscheint wohl angesichts der forcierten Kürzungspolitik als zynisch. Zudem sollen die Maßnahmen zur Förderung von sozialer Eingliederung und Armutsbekämpfung dem Bericht zufolge nach dem Ende der Krise zu-rückgefahren werden.

Mit einem Beharren auf dem har-ten Sparkurs und einer Verstärkung der Deregulierung der Arbeitsmärk-te vertieft die Kommission die öko-nomische und soziale Schieflage in Europa. Ein Kurswechsel in Richtung eines neuen europäischen Wachs-tums- und Verteilungsmodells ist da-mit notwendiger denn je.

Nikolai Soukup n AK Wien

[email protected]

1) Europäische Kommission (2012a), Entwurf

des Gemeinsamen Beschäftigungsberichts,

COM(2012) 750 final, S. 3.

2) Europäische Kommission (2012b), Jahres-

wachstumsbericht 2013, COM(2012) 750

final, S. 1.

3) Olivier Blanchard / Daniel Leigh, Growth

Forecast Errors and Fiscal Multipliers, IMF

Working Paper WP/13/1(2012).

4) Ein Überblick findet sich etwa bei Sebasti-

an Gechert / Will Henner: Fiscal Multipli-

ers: A Meta Regression Analysis (2012),

www.boeckler.de/pdf/p_imk_wp_97_2012.

pdf (11.2.2013).

5) Europäische Kommission (2012b), S. 5.

6) Gemäß Stabilitäts- und Wachstumspakt

und Fiskalpakt.

7) OFCE/ECLM/IMK, Independent Annual

Growth Survey. First Report, iAGS 2013

(2012).

8) Europäische Kommission (2012b), S. 12.

9) Europäische Kommission (2012b), S. 14.

Ein neues europäisches Wachstums­ und

Verteilungsmodell ist notwendig. Die Empfeh­lungen der Kommission

zielen darauf ab, die Löhne zu senken und

die Gewerkschaften zu schwächen.

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I. Soziale Krise und Entdemo-kratisierung – Die Folgen der bisherigen Krisenpolitik

Seit Beginn der Aufzeichnungen war die Arbeitslosenquote in der Euro-zone noch nie so hoch wie 2012: Fast 12 % der erwerbstätigen Be-völkerung war ohne bezahlte Ar-beit. Knapp 26 Millionen Menschen in der EU sind auf Arbeitssuche. In Griechenland und Spanien beträgt die Arbeitslosigkeit mittlerweile rund 27 %. Mehr als 55 % der Ju-gendlichen sind arbeitslos. Werte, die selbst in der Weimarer Republik und in der Zwischenkriegszeit in Ös-terreich nur kurzfristig übertroffen wurden.2

Diese Zahlen zeigen, dass die soziale Krise zwar ganz Europa im Griff hält, sich aber besonders dramatisch in jenen Ländern entfaltet hat, die im Anschluss an die Finanz- und Wirt-schaftskrise direkt oder indirekt die Politik der Troika3 umsetzen muss-ten, um Geld zu erhalten bzw. Anlei-henankäufe der EZB sicherzustellen. Die so geschaffene Liquidität wird bisher jedoch nicht zur „Rettung der Arbeitslosen“, sondern zu kei-

nem geringen Anteil zur Rettung von Banken eingesetzt, die nicht selten aus den Geberländern stammen.4

Neben drastischer Sparmaßnahmen (oder genauer: Austeritätspolitik5) verordnet die bisherige Krisenpo-litik „Strukturreformen“, zu denen sich die betroffenen Länder durch vertragliche Vereinbarungen (so-genannte Memoranda of Under-standing) oder gar durch vorausei-lenden Gehorsam verpflichten. Die Erfahrungen zeigen aber, dass damit nicht jene Strukturen einer Reform unterzogen werden, die für die Fi-nanz- und Weltwirtschaftskrise ver-antwortlich sind. So kam es in kei-nem der betroffenen Länder zu einer merklich verstärkten Besteuerung von Vermögen, hohen Einkommen und Unternehmensgewinnen – im

Gegenteil, die Ungleichheit in der Verteilung und damit die zentrale Ursache der Krise spitzte sich weiter zu.6

„Austerität und Strukturrefor-men“ – Eingriffe in die soziale Rechte arbeitender Menschen n Unter dem auf den Alltagsverstand zielenden Slogan der „Strukturrefor-men für mehr Wettbewerbsfähigkeit“ erfolgten vielmehr teils drastische Eingriffen in die Rechte der arbeiten-den Menschen. Mit der Begründung, dass die Krise harte Einschnitte er-forderlich mache und die „europäi-schen Vorgaben“ keine andere Wahl ließen, konnten die Staatschefs der „Krisenländer“ Reformen im Bereich der Lohnpolitik, der Pensionen und des Arbeitsrechts durchsetzten, die bisher am Widerstand der Gewerk-schaften und sozialer Bewegungen gescheitert waren.

Im Bereich der Lohnpolitik kam es etwa zur Reduktion bzw. zur Ein-frierung von Mindestlöhnen, zur Abschaffung, Aussetzung oder zeit-lichen Limitierung von Kollektivver-trägen und zur Verlagerung der Kol-lektivvertragsverhandlungen auf

Die Antwort auf die soziale Krise: Troika für alle!1

Pakt(e) für Wettbewerbsfähigkeit als nächste Etappe in der Entdemokratisierung der Wirtschaftspolitik?

Troika für alle

Während sich die Krise des Euros vorerst etwas entspannt hat, kam es 2012 zu einer dras­tischen Zuspitzung der sozialen Krise in Südeuropa. Dieser gesellschaftliche und wirtschaftliche Zusammenbruch macht sich mittlerweile auch als Rezession der gesamten Eurozone bemerkbar. Dennoch planen die Führungsfiguren des europäischen Institutionengefüges nicht eine Revision sondern die Ausweitung der dafür verantwortlichen Politik: Die Einschnitte in das Kollektivvertrags-system, in die Pensionen und das Arbeitsrecht, die im südeuropäischen Laboratorium erprobt wurden, sollen durch vertragliche Vereinbarungen in ganz Europa verallgemeinert werden. Die Analyse der bisherigen Vorschläge zeigt, dass diese weitere Neoliberalisierung erneut ohne ausreichende Rechts-grundlage und auf Kosten der Demokratie erfolgen soll. Lukas Oberndorfer

Die Arbeitslosigkeit hat in Südeuropa

Werte erreicht, die selbst in der Zwischen­kriegszeit in Deutsch­

land und Österreich nur kurzfristig übertroffen

wurden.

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Troika für alle

Das der Wirtschafts­einbruch im Süden letzt­lich auch die Länder des Zentrums treffen werde, war bei einer Nachfrage,

die zu 87% auf dem Binnenmarkt beruht,

von Anfang an klar.

Unter dem Slogan „Strukturreformen für mehr Wettbewerbsfä­higkeit“ erfolgen dras­tische Eingriffen in die Rechte der arbeitenden Menschen.

die Betriebsebene. Im Bereich der Pensionen wurde das Antrittsalter an die Lebenserwartung gekoppelt, die Beitragszeiten massiv verlängert und die Höhe der Zahlungen gekürzt. Und im Arbeitsrecht setzte das neo-liberale „Reform-Bündnis“ aus EU-Kommission und den jeweiligen Staatschefs eine Erleichterung von Kündigungen, eine Verlängerung der Wochenarbeitszeit und einen Ausbau von befristeter Beschäftigung und Zeitarbeit durch.7

Im Zusammenspiel mit der dras-tischen Austeritätspolitik8, welche eine massive Einschränkung der öf-fentlichen Investitionen nach sich zog, führten diese „Strukturrefor-men“ durch den Verlust von Einkom-mensbestandteilen zu einem massi-ven Einbruch der Nachfrage. Gerade dieser Druck auf kleine und mittlere Einkommen führte zu einem weite-ren Abkühlung der Wirtschaft.

Die so stetig steigende Arbeitslo-sigkeit und die damit verbundene weitere Reduktion der Nachfrage zog eine seit 2008 nahezu ungebro-chene Kette von jährlich sinkender Wirtschaftsleistung und stark stei-genden Schuldenständen in Ländern wie Griechenland, Spanien, Italien und Portugal nach sich.9 Dass dieser massive Einbruch im Süden des eu-ropäischen Binnenmarktes letztlich auch die Länder des Zentrums treffen werde, war kritischen ÖkonomInnen von Anfang an klar: denn 87 % der Nachfrage nach europäischen Gütern und Dienstleistungen gehen auf die Nachfrage im Binnenmarkt zurück.10 Dieser Zusammenhang wurde 2012 offenkundig, als die Wirtschaft der gesamten Eurozone um 0,4 % zu-rückging.

Warum wird die Krisenpolitik trotz ihres Scheiterns fortge-setzt? n Aus der Perspektive der ar-beitenden Menschen ist die bisherige Krisenpolitik der Austerität und der Strukturreformen daher ganz offen-sichtlich gescheitert. Warum wird sie dann aber dennoch ohne Abstriche fortgesetzt? Dafür lassen sich grob vereinfachend wohl zwei Erklärun-gen finden. Zum einen ist die ideelle Dominanz neoliberaler Wirtschafts-

theorie ungebrochen. Jahrelang ha-ben die heute zur Entscheidung be-rufenen AkteurInnen neoliberales Denken und Handeln an den Univer-sitäten, in Institutionen und Think Tanks eingeübt. Gleichzeitig wurden kritische WissenschafterInnen – ins-besondere auch im Bereich der poli-tischen Ökonomie – marginalisiert.11 Auch wenn spätestens seit der Wirt-schaftskrise immer weniger Men-schen davon überzeugt sind, dass neoliberale Wirtschaftspolitik die dringenden gesellschaftlichen Prob-leme lösen kann, fällt es Alternativen daher vorerst schwer sich durchzu-setzen, da die Wettbewerbsorientie-rung institutionell massiv verankert wurde. Michael Hardt hat diesen Zu-sammenhang pointiert kommentiert: Der Neoliberalismus sei ein Zombie, intellektuell bereits tot, materiell aber untot und daher immer noch in der Lage entsetzliche Verwüstungen anzurichten.12

Zum anderen profitieren einige We-nige massiv von der neoliberalen

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www.gegenblende.de www.gegenblende.de

GEGENBLENDE wird vom Deutschen Gewerkschaftsbund herausgegeben und ist das Nachfolgeorgan der Gewerkschaftlichen Monatshefte.

GEGENBLENDE ist ein politisches Hintergrundmagazin, das alle zwei Monate mit neuen Themenschwerpunkten erscheint.

GEGENBLENDE ist seit drei Jahren online und hat sich kritisch in Diskussionen um Finanzkrise und Wachstum, Bildung und Soziale Ungleichheit, die Zukunft der Arbeit

und weitere aktuelle Themen eingemischt.

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Wirtschaftspolitik. Kritische Ökono-men erklären diesen Zusammenhang unter Rückgriff auf den Europafor-scher Bastiaan van Apeldoorn fol-gendermaßen: Bei der Wettbewerbs-orientierung steht „der strategische Aspekt [der] Konstruktion eines euro-päischen Modells des Kapitalismus im Vordergrund, mit dem der Imperativ der Reduktion der Arbeitskosten zur Sicherung der Unternehmensprofite verankert werden soll.“13

Die Europäisierung der Krisen-politik … n So lässt sich zumindest ansatzweise fassen, warum eine für die breite Masse der Bevölkerung völlig verfehlte Wirtschaftspolitik trotz der historischen Evidenz ihres Scheiterns14 fortgesetzt und in ganz Europa verallgemeinert wird. Denn die Kommission und die Staats- und Regierungschefs haben ab 2010 energische Anstrengungen unter-nommen, Teile der Austeritätspoli-tik und der „Strukturreformen“, die in Südeuropa durch die Troika in Stellung gebracht wurden, auf ganz Europa auszuweiten. Im Zentrum dieser Bemühungen stehen die so-genannte Economic Governance (ein Gesetzespakt aus fünf Verordnungen und einer Richtlinie, das daher auch als 6-Pack bekannt wurde)15 und der Fiskalpakt, die Ende 2011 bzw. An-fang 2013 in Kraft getreten sind.

Das damit angesprochene euro-päische Sekundärrecht (Economic Governance) und Völkerrecht (Fis-kalpakt) zielt im Kern auf eine Ver-tiefung und „Verewigung“ des Sta-bilitäts- und Wachstumspaktes und damit auf eine Verschärfung der

Austeritätspolitik.16 Mit dem im Rah-men der Economic Governance neu beschlossenen Verfahren zur Ver-meidung und Korrektur makroöko-nomischer Ungleichgewichte hat die Kommission auch die Möglichkeit durch die (Genehmigung von Kor-rekturmaßnahmeplänen) in jenen Ländern, in denen „übermäßige Un-gleichgewichte“ bestehen, Struktur-reformen – notfalls auch mit Sankti-onen – durchzusetzen. Damit wurde erstmals ein Instrument errichtet, mit dem auch einige Länder außer-halb des Troika-Regimes auf den Im-perativ der „Wettbewerbsfähigkeit durch innere Abwertung“ verpflich-tet werden können.17

…mittels der Umgehung recht-licher und demokratischer Ver-fahren n Da die Fortsetzung und Radikalisierung der neoliberalen „In-tegration“ Europas aber immer we-niger auf den Konsens der Menschen in Europa trifft, lässt sie sich zuneh-mend nur mehr mittels der Umge-hung demokratischer Verfahren und der Durchbrechung rechtsstaatlicher Anforderungen bewerkstelligen. Dies artikuliert sich nicht zuletzt darin, dass die zentralen Bausteine der neo-liberalen Krisenpolitik, wie die soge-nannte Economic Governance 18 oder der Fiskalpakt, keine Rechtsgrundla-ge in der europäischen „Verfassung“ finden und nur durch Umgehung des ordentlichen Vertragsänderungsver-fahren (Art. 48 EUV) errichtet wer-den konnten.19

Gekennzeichnet sind diese bisherigen Maßnahmen, die von gewerkschaftli-cher Seite als Etappen „eines Weges in den Autoritarismus“20bezeichnet wurden, darüber hinaus dadurch, dass sie eine massive Aufwertung der Exekutive nach sich ziehen und diese mit umfassenden Beschluss- und Sanktionskompetenzen ausge-stattet haben. Beispielsweise kann die Kommission im Rahmen der Eco-nomic Governance durch ein neu eingeführtes Abstimmungsverfahren (Reverse Majority Rule) alle zentra-

len Entscheidungen – von den Vor-gaben für die Wirtschaftspolitik bis zur Verhängung von Sanktionen – de facto alleine treffen. Das Europäi-sche Parlament muss dabei nur an-gehört werden.21

Genauer betrachtet kommt es aller-dings nicht generell zu Stärkung der Exekutive. Vielmehr werden mit der Generaldirektion Wirtschaft und Fi-nanzen der Kommission und den im ECOFIN-Rat22 vertretenen nationalen Finanzministerien gerade jene Staats-apparate aufgewertet, die besonders neoliberal und maskulinistisch23 zu-sammengesetzt sind. Umgekehrt werden dadurch die Generaldirektion Beschäftigung, Soziales und Integ-ration der Kommission und die nati-onalen Sozialministerien zumindest relativ entmachtet.24 Gleichzeitig kommt es zu einer entschiedenen Schwächung der parlamentarischen Arena – sowohl auf nationaler als auf europäischer Ebene.

„Troika für alle!“ statt Revision der Ursachen der sozialen Krise n Trotz der sozialen Krise, welche weit-gehend durch die geschilderte Wirt-schaftspolitik verursacht und vertieft wurde und entgegen der auf breiter Basis geäußerten Kritik an der damit verbundenen Entdemokratisierung25 plant das europäischen Institutionen-gefüge nicht an der Revision sondern an der weiteren Vertiefung dieser Politik. Diese Stoßrichtung geht je-denfalls aus den Vorschlägen hervor, welche die Führungsfiguren des eu-ropäischen Institutionengefüges bis-her im Rahmen der im Juni 2012 ge-starteten Debatte über den „Weg zu einer echten Wirtschafts- und Wäh-rungsunion“26 vorgebracht haben: Nachdem die Regeln für eine strik-te Austeritätspolitik durch eine

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Troika für alle

Der Neoliberalismus ist ein Zombie, intellek­tuell bereits tot, materi­ell aber untot und daher immer noch in der Lage entsetzliche Verwüstun­gen anzurichten.

Die zentralen Bausteine der

neoliberalen Krisenpolitik verfügen

über keine Rechtsgrundlage in

der europäischen Verfassung.

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autoritäre Konstitutionalisierung 27 europaweit auf Dauer gestellt und damit einer demokratischen Infrage-stellung entzogen wurden, geht es nun um eine weitere Europäisierung der im südeuropäischen Laboratori-um erprobten „Strukturreformen“.28

In Verträgen für Wettbewerbsfähig-keit, so die deutsche Bundeskanz-lerin Angela Merkel, sollen sich die Mitgliedstaaten gegenüber der Eu-ropäischen Kommission zur Dere-gulierung ihrer Arbeitsmärkte, zur Reform ihrer Pensionssysteme und zur Senkung ihrer Löhne verpflich-ten. Die Führungsfiguren des euro-päischen Institutionengefüges wol-len dabei ein weiteres Mal auf jene europarechtswidrige und demokra-tiepolitisch bedenkliche Vorgehens-weise zurückgreifen, die bereits im Rahmen der Economic Governance und des Fiskalpaktes entwickelt wur-de. Die Büchse der Pandora scheint geöffnet.

Der Fahrplan n Ende November 2012 stellte die Kommission in ih-rem Konzept zur Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion

(WWU)29 bereits relativ detaillierte Pläne für diese bindenden Verträge über Strukturreformen vor und er-klärte dazu ganz offen, dass damit politische Widerstände überwunden werden sollen. Und im Dezember beschloss der Europäische Rat, zur Herstellung von „Wettbewerbsfä-higkeit im globalen Kontext“ seinen Präsidenten Herman Van Rompuy bis zum Rat im Juni 2013 mit der Vorla-ge von entsprechenden Maßnahmen zu beauftragen. Diese „individuellen Vereinbarungen vertraglicher Na-tur mit den EU-Organen […] sollen alle dem Euro-Währungsgebiet an-

gehörenden Mitgliedstaaten binden […].“30 Welche Ziele damit genau verfolgt werden sollen, verdeutlichte die Führungsfigur des europäischen Institutionengefüges Angela Merkel dann im Jänner 2013 in ihrer pro-grammatischen Rede vor transnati-onalen ManagerInnen am Weltwirt-schaftsforum in Davos.

Um diese weitere Neoliberalisierung und Entdemokratisierung der eu-ropäischen Wirtschaftspolitik dar-zustellen und zu problematisieren, werde ich im Folgenden die bisheri-gen Pläne und Aussagen zur ökono-mischen Stoßrichtung und der recht-lichen Ausgestaltung der Pakt(e) für Wettbewerbsfähigkeit darstellen. Daran schließt eine rechtliche und demokratiepolitische Kritik an.

II. Gegenstand und ökonomi sche Stoßrichtung der Pakt(e) über Wettbewerbsfähigkeit

Strategisches Planen für eine unternehmenszentrierte Ent-wicklung n Es ist kein Zufall, dass Angela Merkel das Weltwirtschafts-forum in Davos auswählte, um die nächste Etappe zur Verschärfung der Wettbewerbsorientierung zu thema-tisieren: Seiner Selbstbeschreibung zur Folge brachte das Forum erst-mals 1971 unter der Patronanz der Europäischen Kommission und der europäischen Unternehmerverbände zentrale Persönlichkeiten aus Wirt-schaft, Politik und Zivilgesellschaft zusammen, um über die Zukunft der Europäischen Wirtschaft nachzu-denken.31 Seitdem ist der Schweizer Bergort zu einer gut ausgestatteten Plattform neoliberaler Intellektueller geworden, die sich das Ziel gesetzt hat der Europäisierung und Globa-lisierung eine „unternehmenszent-rierte Entwicklungsrichtung zu ge-ben“.32

Arbeitslosigkeit als Vorausset-zung für Reformen n Die Union, so die deutsche Kanzlerin in ihrer

Rede33, sei in den letzten Jahren auf einem Stabilitätspfad gut vorange-kommen, dessen Leitplanken strik-te Fiskaldisziplin auf der einen Sei-te und Strukturreformen für mehr Wettbewerbsfähigkeit auf der ande-ren Seite seien. Die Einrichtung der dazu beschlossen Instrumente, wäre vor einigen Jahren noch „unvorstell-bar gewesen.“ Was jetzt aber noch fehle, so Merkel, sei ein Instrument für Wettbewerbsfähigkeit im ganzen Euroraum, welches eine globale Kon-kurrenzfähigkeit herstellen müsse.

Dabei sei der Faktor Zeit zentral, denn zum einen müsse sichergestellt werden, dass die Strukturreformen wirksam werden, bevor die politische Situation weiter eskaliere und zum anderen zeige die Erfahrung, dass es für solche Reformen Druck brauche. Die massiv angestiegene Arbeits-losigkeit in Europa sei daher eine Chance, denn auch in Deutschland hätte erst die Zahl von fünf Millionen Arbeitslosen eine wettbewerbliche Ausrichtung ermöglicht.

Nach der Implementierung strikter Fiskaldisziplin sei nun die Frage der Wettbewerbsfähigkeit das nächs-te große europäische Thema: „Ich stelle mir das so vor – und darüber sprechen wir jetzt in der Europäi-schen Union –, dass wir analog zum Fiskalpakt einen Pakt für Wettbe-werbsfähigkeit beschließen, in dem die Nationalstaaten Abkommen und Verträge mit der EU-Kommission schließen, in denen sie sich jeweils verpflichten, Elemente der Wettbe-werbsfähigkeit zu verbessern, die in diesen Ländern noch nicht dem not-wendigen Stand der Wettbewerbsfä-higkeit entsprechen.“ Dabei müssten Bereiche, wie etwa die „Lohnstück-kosten [und] Lohnzusatzkos-

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Das europäischen Institutionengefüge plant nicht an der Revision sondern an der weiteren Vertiefung der Krisenpolitik.

Es geht nun um eine Europäisierung der im

südeuropäischen Laboratorium erprobten

„Strukturreformen“.

Troika für alle

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ten“, im Zentrum stehen, die noch in der nationalen Hoheit der Mitglied-staaten liegen. Dass unter dem To-pos Wettbewerbsfähigkeit auch alle Bereiche des Wohlfahrtsstaates (z. B. Pensionen) angesprochen sind, hatte kurz zuvor der britische Premi-er Cameron in seiner Rede in Davos deutlich gemacht: Die EU befände sich in einem globalen Wettrennen. Die Antwort wie dieses Rennen zu gewinnen ist, sei einfach: „Man muss die Schulden in den Griff bekommen, die Unternehmenssteuern senken und den aufgeblasenen Wohlfahrts-staat angreifen“34. Dies griff Angela Merkel in ihrer Rede auf, in dem sie versicherte, dass sie sich in Sachen Wettbewerbsfähigkeit mit Cameron absolut einig sei.

Verträge zur Überwindung poli-tischer Widerstände n Was genau mit den Verträgen über Wettbewerbs-fähigkeit gemeint sein könnte, wird unter anderem in der Mitteilung35 zur Vertiefung der WWU deutlich, welche von einer kritischen Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt schon im No-vember 2012 präsentiert wurde.

Obwohl das europäische Institu-tionengefüge seine Kompetenzen zur wettbewerblichen Restrukturie-rung der Wirtschaft bereits durch das Verfahren zur Vermeidung und Korrektur makroökonomischer Un-gleichgewichte wesentlich ausbau-en konnte36, würden die Pakte über Wettbewerbsfähigkeit den Einfluss der europäischen Exekutive und der nationalen Regierungen gegenüber den Parlamenten erneut stärken. Die Verträge sollen nämlich dem Kon-

zept zufolge direkt zwischen den Mitgliedstaaten und der Kommission geschlossen werden. Um die „zügige Verabschiedung und Umsetzung von Reformen durch Überwindung […] politischer und ökonomischer Hin-dernisse für die Reform zu fördern“37, soll eine finanzielle Unterstützung ausbezahlt werden, wenn der in den Verträgen festgelegte Zeitplan zur Umsetzung der Strukturmaßnahmen eingehalten wird. So könnten etwa die „kurzfristigen Folgen von Refor-men zur Flexibilisierung des Arbeits-marktes aufgefangen werden […].“38 Die entsprechende Finanzierung soll über einen Sonderfond abgewickelt werden, in den die Länder der Euro-zone einzuzahlen hätten.39

Schon ein kurzer Blick auf diese Pläne macht deutlich, was damit erreicht werden soll: Die im südeuropäischen Laboratorium des Neoliberalismus entwickelte Praxis der Verabschie-dung von „Memoranda of Understan-ding“, die finanzielle Unterstützung im Gegenzug zu detaillierten „Struk-turreformen“ gewähren, soll europä-isiert werden.

Zuckerbrot und Peitsche n Abseits des finanziellen Anreizes sollen die Verträge über Wettbewerbsfähigkeit durch zwei weitere Instrumente ef-fektuiert werden. Zum einen könn-ten die „Vereinbarungen […] dadurch durchsetzbar sein, dass die Kommis-sion eine Verwarnung (gemäß Art. 121 Abs. 4 AEUV) an einen Mitglied-staat richten kann, der sich nicht an die vertragliche Vereinbarung hält.“40 Zum anderen sollen jene Staaten in denen der Mangel an Wettbewerbs-fähigkeit das Maß übermäßiger Un-gleichgewichte erreicht mit Sankti-onen (bis zu 0,1 % des BIP) belegt werden, wenn sie gegen die Verträge über Wettbewerbsfähigkeit versto-ßen.41 Zugespitzt geht um das Auf-spannen einer Spielanordnung, die an eine erpresserische Fragestellung erinnert: „Reformen und finanzielle Unterstützung oder Stillstand und Sanktionen?“

Während die Verträge über Wettbe-werbsfähigkeit im europäischen In-stitutionengefüge weitgehend außer Streit zu stehen scheinen42, wie es die Schlussfolgerungen des Europä-ischen Rates und das Konzept der Kommission zeigen, wird über deren rechtliche Ausgestaltung noch ge-rungen: Während die deutsche Bun-deskanzlerin einen völkerrechtlichen Vertrag für Wettbewerbsfähigkeit analog zum Fiskalpakt beschließen möchte, präferiert die Kommission –wie bei der Economic Governance – eine Lösung durch europäisches Se-kundärrecht.

III. Verträge ohne Rechtsgrundlage

Art 136 AEUV als Generalklausel für unbegrenztes Sonderrecht? n In ihrem Konzept für eine Vertiefung der WWU führt die Kommission aus, dass der Art. 136 AEUV, auf den sie bereits das Verfahren über makroöko-nomische Ungleichgewichte gestützt hatte, eine geeignete Grundlage für die Verträge über Wettbewerbsfä-higkeit bildet.43 Diese Argumentati-on ist mehr als zweifelhaft. Der Art. 136 AEUV ermächtigt den Rat für die Euro-Zone, Maßnahmen zu erlassen, um a) „die Koordinierung und Über-wachung ihrer Haushaltsdisziplin zu verstärken“ und b) für die Euro-Staaten „Grundzüge der Wirtschafts-politik auszuarbeiten, wobei darauf zu achten ist, dass diese mit den für die gesamte Union angenommenen Grundzügen der Wirtschaftspolitik vereinbar sind.“44 Dies darf darüber hinaus nur im Rahmen der einschlä-gigen Bestimmungen (Art. 121 und 126 AEUV) und nach den dort vorge-sehenen Verfahren geschehen. Das bedeutet, dass sich die spezifischen Regeln für die Eurozone im Rahmen der durch die Verträge vorgegebenen Grenzen bewegen müssen, „was

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„ Die massiv angestiegene Arbeitslosigkeit in Europa ist eine Chance für Strukturreformen. Dabei müssen Bereiche wie die Lohnstückkosten im Zentrum stehen.“

Angela Merkel

Der Kommission geht es um die „zügige Ver­abschiedung und Um­

setzung von Reformen durch Überwindung […]

politischer und ökono­mischer Hindernisse.“

Troika für alle

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die Bedeutung der Vorschrift auf ein Minimum reduzier[t].“45 Daraus folgt, dass der Art. 136 AUEV nicht mehr und auch nichts anderes erlaubt als das sonstige Primärrecht.46 Der Tat-bestand enthält demnach „keine Er-mächtigung zu weitergehenden Ein-griffen in die wirtschaftspolitischen Kompetenzen der Mitgliedstaaten“.47

Auf dieser Grundlage können daher höchstens intensivierte Koordina-tions- und Informationspflichten für die Euro-Zone etabliert werden.48

Es braucht daher kein juristisch ge-schultes Auge, um zu erkennen, dass der Art. 136 AEUV weder für die wesentlichen Komponenten des be-reits beschlossenen Verfahrens über makroökonomische Ungleichgewich-te49 noch für die angedachten Verträ-ge über Wettbewerbsfähigkeit eine Kompetenzgrundlage bildet. Der einschlägige Art. 121, auf den der Art. 136 in Sachen Wirtschaftspolitik zurückweist, sieht weder die im Ver-fahren über makroökonomische Un-

gleichgewichte vorgesehenen Sank-tionen in Form von Geldbußen, noch ein Abstimmungsverfahren nach der Reverse Majority Rule vor. Gen-auswenig lässt sich in den Art. 121 und 126 AEUV eine Ermächtigung der Kommission zum Abschluss von „Verträgen über die Wettbewerbs-fähigkeit“, noch die Kompetenz zur Überwachung der Umsetzung der darin vereinbarten Strukturreformen finden. Auch eine finanzielle Unter-stützung für die Umsetzung von Ver-einbarungen lässt sich den Verträgen nicht entnehmen. Die Europarechts-widrigkeit von Verträgen über die Wettbewerbsfähigkeit ist daher schon nach der Prüfung der ersten Tatbestandvoraussetzung offenkun-

dig. Ebenso wenig erfüllt das ange-strebte Instrument die zweite durch den Art. 136 AEUV geforderte Vor-aussetzung, da es weder eine Maß-nahme der Haushaltsdisziplin noch eine Verabschiedung von Grundzü-gen der Wirtschaftspolitik, darstellt.

Aus der mit dem Fiskalpakt ge-öffneten Büchse der Pandora: Pakt für Wettbewerbsfähigkeit

n Vielleicht ist es diese offenkundi-ge Unionsrechtswidrigkeit, welche die Kommission bewogen hat sich in ihrem Konzept auch eine Hintertür offen zu halten: „Zwischenstaatliche Lösungen sollten […] nur als Aus-nahme- und Übergangsmaßnahmen in Erwägung gezogen werden, wenn eine Lösung auf EU-Ebene eine Än-derung der Verträge erfordern würde […].“50 Damit spielt die Kommission auf die Flucht aus dem Europarecht nach dem „Modell Fiskalpakt“ an. Eine Präferenz für diesen erneu-ten Einsatz eines völkerrechtlichen Vertrages zur Umgehung jener

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Gezielt wird auf eine Spielanordnung mit

erpresserische Frage­stellung: „Reformen

und finanzielle Unter­stützung oder Stillstand

und Sanktionen.“

Troika für alle

Arbeit & Wirtschaft – auf den Blog gebracht!Der Blog „Arbeit & Wirtschaft“ versteht sich als digitales Informations- und Diskussionsangebot ergänzend zur gleichnamigen Zeitschrift. Wir richten uns an Menschen, die an Perspektiven für eine Gestaltung der Gesell-schaft im Sinne der arbeitenden Menschen interessiert sind. Wir setzen Diskus-sionsimpulse und liefern kurze aktuelle Analysen an der Schnittstelle zwischen Politik, Wissenschaft, Vertretung der arbeitenden Menschen und interessierter Öffentlichkeit.

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25 infobrief eu & international Ausgabe 1 | März 2013 wien.arbeiterkammer.at

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1) Der Titel ist der überzeugenden begriff-

lichen Zuspitzung von Steffen Stierle

und Kenneth Haar „Troika for everyone,

forever“ entlehnt: http://corporateeu-

rope.org/blog/troika-everyone-forever

(10.2.2013)

2) Eurostat, http://epp.eurostat.ec.europa.

eu (10.2.2013).

3) Diese besteht aus der EU-Kommission,

der Europäischer Zentralbank und dem

Internationalen Währungsfonds.

4) Siehe dazu den Beitrag von Judith Vor-

bach in diesem infobrief eu & intenational

S. 27.

5) Mit Austeritätspolitik (von lat. austeritas:

Herbheit und Strenge) ist eine Budget-

politik angesprochen, die weitgehend

unabhängig vom Konjunkturverlauf

drastische Ausgabenkürzungen verlangt

bzw. durchführt. Das angebliche Ziel

des Sparens wird dabei gerade in einem

Konjunkturabschwung nicht erreicht, da

die dadurch sinkende staatliche Nachfra-

ge den Einbruch der Wirtschaft und damit

den Anstieg der Ausgaben verschärft.

6) Markus Marterbauer/Georg Feigl, Die EU-

Fiskalpolitik braucht gesamtwirtschaft-

lichen Fokus und höhere Einnahmen,

WISO 8/2012.

7) Siehe dazu ausführlich und nach Ländern

differenziert die Studie von FORBA, Die

Finanzkrise und ihre Auswirkungen auf

Sozialstaaten und Arbeitsbeziehungen –

Ein europäischer Rundblick (2012), http://

wien.arbeiterkammer.at/bilder/d184/

Forba-Studie_Finanzkrise_2012.pdf, bzw.

den zusammenfassenden Beitrag von

Christoph Hermann, Die Finanzkrise und

ihre Auswirkungen auf Sozialstaaten, info-

brief eu & international 5/2012, 1.

8) Siehe für eine Erklärung Fn. 5.

9) Siehe dazu die nach Ländern differenzier-

te reale BIP-Wachstumsrate unter http://

epp.eurostat.ec.europa.eu (10.2.2013).

10) Georg Feigl/Sepp Zuckerstätter, Wett-

bewerbsorientierung ein europäischer

Irrweg, infobrief eu & international

4/2012, 1.

11) Alex Demirović, Materialistisches Wissen -

kritische Theorie, spw 2006, 33.

12) Spiegel Interview mit Michael Hardt, Der

Spiegel v. 24.3.2010.

13) Siehe dazu Fn. 10.

14) Siehe für einen Vergleich der derzeitigen

Krise und jener der Zwischenkriegszeit

Lukas Oberndorfer, Die Renaissance des

autoritären Liberalismus? – Carl Schmitt

und der deutsche Neoliberalismus, prokla

2012, 413.

15) Für eine eingehende Darstellung und

makroökonomische Problematisierung

siehe Elisabeth Klatzer/Christa Schlager,

Europäische Wirtschaftsregierung – eine

stille neoliberale Revolution, Kurswechsel

2011, 61.

16) Für eine pointierte Kritik siehe Stephan

Schulmeister, Ein Graben zieht sich durch

Europa, Handelsblatt, 8.4.2012.

17) Siehe für eine ausführliche Darstellung

des Verfahrens Lukas Oberndorfer, Vom

neuen, über den autoritären zum pro-

gressiven Konstitutionalismus? Pakt(e)

für Wettbewerbsfähigkeit und die europä-

ische Demokratie, juridikum 1/2013 (im

Erscheinen).

18) Ebd.

19) Andreas Fischer-Lescano/Lukas Obern-

dorfer, Fiskalvertrag und Unionsrecht –

Unionsrechtliche Grenzen völkervertrag-

licher Fiskalregulierung und Organleihe,

NJW 2013, 9.

Konsens-Erfordernisse, die eine Än-derung der europäischen Verträge benötigt, lässt sich jedenfalls auch der Davoser Rede der deutschen Bundeskanzlerin entnehmen. Aber gerade weil dieses Vorgehen de-ckungsgleich mit jenem zum Fiskal-pakt wäre, lassen sich die dagegen vorgebrachten rechtlichen Argumen-te51 großteils auch auf einen Pakt für Wettbewerbsfähigkeit übertragen. Dies gilt insbesondere für die zen-trale Rolle der Kommission, deren Heranziehung (Organleihe) außer-halb des Europarechts ohne völker-vertragliche Einwilligung bzw. der unter Umständen notwendigen pri-märrechtlichen Genehmigung „aus unionsrechtlicher Sicht unzulässig ist.“52 Das in den Europarechtswis-senschaften herrschende Verdikt53, dass der Fiskalpakt unionsrechts-widrig ist, würde daher auch einen Pakt für Wettbewerbsfähigkeit tref-fen.

IV. Soziale Demokratie statt wettbewerblicher Imperativ

In seinem Abschlussbericht zur Ver-tiefung der WWU hat der Präsident des Europäischen Rates Herman Van Rompuy auf den Punkt gebracht, welches Ziel mit der bisherigen Kri-senpolitik verfolgt wird, die nun mit

den Verträgen über Wettbewerbsfä-higkeit um ein weiteres Instrument ergänzt werden soll: „Finally, the cri-sis has shown the need to strengthen [the Economic and Monetary Union’s] ability to take rapid executive decis-ions to improve crisis management

in bad times and economic policy-making in good times.“54 Zugespitzt heißt dies nichts anderes, als dass die Wirtschaftspolitik in Zukunft ver-mehrt in den Händen der europäi-schen Exekutive liegen soll. Oder, um es in den Worten von Angela Merkel zu sagen: [Es geht darum] „die par-lamentarische Mitbestimmung so [zu gestalten], dass sie trotzdem auch marktkonform ist.“55

Die autokratische Konstitutionalisie-rung der Wirtschaftspolitik, die mit den Verträgen über Wettbewerbsfä-higkeit in ihre nächste Etappe gehen soll, zielt darauf ab die demokrati-sche Infragestellung der neoliberalen Integration Europas zu verhindern. Trotz der Erschütterungen, welche die soziale Krise in Südeuropa aus-löst und obwohl die bisherige Politik die Eurozone erneut in die Rezession gedrückt hat und ein starkes Anstei-gen der Schuldenstände nach

Die Rechtsgrundlage enthält keine Ermächti­

gung zu weitergehenden Eingriffen in die

wirtschaftspolitischen Kompetenzen der Mitgliedsstaaten.

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Troika für alle

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26 infobrief eu & international Ausgabe 1 | März 2013 wien.arbeiterkammer.at

20) Hans Jürgen Urban, Stabilitätsgewinn

durch Demokratieverzicht? Europas Weg

in den Autoritarismus, Blätter für deut-

sche und internationale Politik 2011, 77.

21) Siehe dazu Fn. 17.

22) So der Name der Ratsformation in der

sich die FinanzministerInnen treffen,

und der neben der Kommission für die

Entscheidungen im Rahmen der Economic

Governance zuständig ist.

23) Rede von Kanzlerin Merkel am Welt-

wirtschaftsforum in Davos, 24.1.2013.

Abrufbar unter www.bundesregierung.

de/Content/DE/Rede/2013/01/2013-

01-24-merkel-davos.html (10.2.2013).

24) Elisabeth Klatzer/Christa Schlager, Gen-

derdimensionen der neuen EU Economic

Governance : maskuline Steuerungsme-

chanismen und feminisierte Kosten- und

Risikoabwälzung, Kurswechsel 2012, 23

25) So bezeichnete auch Jürgen Habermas

die Krisenpolitik als postdemokratischen

Exekutivföderalismus; siehe dazu ders.,

Zur Verfassung Europas – Ein Essay

(2011) 8.

26) Den Startschuss gab der „Bericht der vier

Präsidenten“: www.consilium.europa.eu/

uedocs/cms_data/docs/pressdata/de/

ec/131294.pdf (10.2.2013).

27) Siehe dazu Fn. 17.

28) Für einen Überblick zu diesen Struktur-

reformen in Südeuropa siehe Christoph

Hermann, Die Finanzkrise und ihre Aus-

wirkungen auf Sozialstaaten, infobrief eu

& international 5/2012, 2.

29) Ein Konzept für eine vertiefte und echte

WWU, 28.11.2012, COM(2012) 777.

30) Schlussfolgerungen des Europäischen

Rates vom 13./14. Dezember 2012, EUCO

205/12 (Hervorhebung L.O.).

31) http://www.weforum.org/history

(1.2.2013).

32) Stephen Gill, Progressives politisches

Handeln und die globale organische Krise,

in Benjamin Opratko/Oliver Prausmüller

(Hg.), Gramsci global (2011) 265 (273).

33) Abrufbar unter www.bundesregierung.

de/Content/DE/Rede/2013/01/2013-

01-24-merkel-davos.html (10.2.2013).

34) Übersetzung L. O., Abrufbar unter

http://www.number10.gov.uk/news/

prime-minister-david-camerons-speech-

to-the-world-economic-forum-in-davos/

(10.2.2013).

35) Ein Konzept für eine vertiefte und echte

WWU, 28.11.2012, COM(2012) 777.

36) Siehe dazu die kurze Schilderung und die

Angabe weiterführender Literatur unter I.

37) COM(2012) 777, 25.

38) Ebd. 26.

39) Ebd. 51.

40) Ebd. 51.

41) Ebd. 50.

42) In den Schlussfolgerungen des Europä-

ischen Rates vom Dezember 2012 wird

sein Präsident mit der Erstellung eines

Berichtes über entsprechende Maßnah-

men bis Juni 2013 beauftragt.

43) COM(2012) 777, 26.

44) Art. 136 Abs. 1 AUEV.

45) Bernhard Kempen in Streinz, EUV/AEUV-

Kommentar2 (2012), Art. 126 AEUV, Rn. 2.

46) Jean-Victor Louis, The Economic and

Monetary Union, CMLRev 2004, 575;

Ulrich Häde, Art. 136 AEUV - eine neue

Generalklausel für die Wirtschafts- und

Währungsunion?, JZ 2011, 333

47) Ulrich Häde in Calliess/Ruffert, Art. 136,

Rn. 4.

48) Lukas Kempen in Streinz, Art. 126 AEUV,

Rn. 2.

49) Siehe dazu ausführlich bereits Lukas

Oberndorfer, Eine Krisenerzählung ohne

Kompetenz – Economic Governance

rechtswidrig? infobrief eu & international

3/2011, 7.

50) COM(2012) 777, 16.

51) Andreas Fischer-Lescano/Lukas Obern-

dorfer, Fiskalvertrag und Unionsrecht –

Unionsrechtliche Grenzen völkervertrag-

licher Fiskalregulierung und Organleihe,

NJW 2013, 9.

52) Calliess/Schoenfleisch, Auf dem Weg in

die europäische ‚Fiskalunion'?, JZ 2012,

477 (484).

53) Siehe für entsprechende Verweise Fn. 51.

54) www.consilium.europa.eu/uedocs/cms_

data/docs/pressdata/de/ec/134206.pdf

(10.2.2013), Hervorhebungen L. O.

55) Siehe dazu den Mitschnitt einer Rede vom

Herbst 2011 auf www.nachdenkseiten.

de/?p=10611 (10.2.2013).

56) Markus Marterbauer/Lukas Oberndor-

fer, Federating Competition States vs.

Building Europe from Below - EU Treaty

Revisions as an Opportunity for the

Democratization of Economy and Politics,

Queries 2012, 76.; Für eine weniger

ökonomisch ausgerichtete, deutsche

Fassung siehe Oberndorfer, Ein neues

Vertragsänderungsverfahren – Föderation

der Wettbewerbsstaaten oder demokrati-

sches und soziales Europa?, infobrief eu &

international 4/2012, 10.

sich zog, sollen „Strukturreformen“ europaweit durchgesetzt werden. Obwohl diese tief in den Alltag und die sozialen Rechte der arbeitenden Menschen eingreifen, soll der demo-kratische Entscheidungsspielraum und die Chance zur Abwahl der bis-herigen Krisenpolitik auf ein Mini-mum reduziert werden.

In der Auseinandersetzung um eine Vertiefung der WWU wird es daher die Aufgabe der Gewerkschaften und

der sozialen Bewegungen sein, das europäische Institutionengefüge dar-an zu erinnern, dass die Wirtschafts-politik nicht exekutiv verordnet son-dern demokratisch gestaltet werden muss. Die in diesem Zusammenhang erhobene Forderung nach einer Ver-sammlung zur Neugründung Europas könnte eines jener zur Diskussion stehenden Einstiegsprojekte in einen progressiven Konstitutionalismus sein56, der den Menschen in Europa die Möglichkeit gibt, über Alternati-

ven zu streiten und ihre gemeinsame Zukunft zu gestalten.

Lukas Oberndorfer n AK Wien

[email protected]

»Die autokratische

Konstitutionalisierung der Wirtschaftspolitik,

zielt darauf ab die demokratische Infrage­stellung der neolibera­

len Integration Europas zu verhindern.

Troika für alle

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Stabilisierung des Finanzsektors

Nutzen und Lasten der Stabilisierung des Finanzsektors

Die Bedeutung des Europäischen Stabilitätsmechanismus für den Finanzsektor und die Bevölkerung

Im September 2008 kam es zu ei-ner weiteren Eskalation der damals bereits schwelenden Finanzmarkt-krise, von der auch die EU voll er-fasst wurde. In vielen Staaten wur-den „Bankenpakete“ geschnürt, die in ihrer Dimension vor dem Herbst 2008 kaum vorstellbar gewesen wa-ren. Europäische Banken haben von Oktober 2008 bis Ende 2011 insge-samt 1,6 Billionen Euro (13 % der Wirtschaftsleistung der EU) an staat-lichen Hilfen beansprucht; mehr als die Hälfte davon in Großbritannien, Irland und Deutschland.1 Diese „Ret-tungsaktionen“ wurden bis Mai 2010 begleitet von Ankündigungen einer strengeren Finanzmarktregulierung. Im Frühling 2010 verlagerte sich aber dann der Schwerpunkt der öf-fentlichen Debatte, ausgelöst durch eine Herabstufung der Bonitätsnote für griechische Anleihen. Nachdem bis dahin griechische Schuldpapiere von Ratingagenturen bestens be-wertet worden waren, sollte sich das ab nun abrupt ändern. Auch andere Staaten gerieten im Sog steigender Refinanzierungskosten in Schwierig-keiten. Kein Wunder, denn im gesam-ten Euroraum war die Schuldenquote im Zuge der Finanz- und Wirtschafts-krise in nur ein paar Jahren von im Schnitt 60 % auf 90 % der Wirt-schaftsleistung gestiegen.2 Der Fo-kus verschob sich weg von strenger Finanzmarktregulierung (unter Ver-weis auf die „Kasinomentalität“ der

Finanzmarktakteure) hin zu strengen Haushaltsregeln für Staaten (unter Verweis auf die „Disziplinlosigkeit“ der Politik). Aufgrund der in diesem Klima durchgesetzten Austeritäts-politik bricht die wirtschaftliche Ent-wicklung in immer mehr Staaten ein, Arbeitslosigkeit und Armut stiegen. Vielerorts ist man heute mit sozialem Rückschritt konfrontiert.

Währenddessen geht am Finanz-sektor der Regulierungsprozess nur schleppend voran, die Maßnahmen zur „Rettung“ von Finanzhäusern hin-gegen fallen äußerst voluminös aus. Dazu zählen nicht nur die oben an-gesprochenen „Bankenpakete“, son-dern etwa auch ungewöhnlich um-fangreiche Refinanzierungsgeschäfte der Europäischen Zentralbank (EZB) um den Jahreswechsel 2012 herum, bei denen sich Banken Geld für drei Jahre zum Leitzins leihen konnten.3 Gemeinsam mit den weiter unten diskutierten Stabilisierungsprogram-

men und vor allem auch durch die Ankündigung von EZB-Präsident Ma-rio Draghi im September 2012, dass die EZB „als wirksames Schutzschild für die Eurozone gegen die Stürme an den Märkten“ unbegrenzt An-leihen von Staaten kaufen würde, konnte eine massive Zuspitzung der Krise vermieden und eine teilweise Entspannung bewirkt werden. Den-noch kann von einer langfristig ver-lässlichen Stabilisierung noch immer nicht ausgegangen werden.

Das drückt sich nicht zuletzt darin aus, dass der ursprünglich für Staa-ten gedachte Europäische Stabili-tätsmechanismus (ESM) nun auch für die indirekte und direkte Stabi-lisierung von Finanzhäusern einge-setzt wird bzw. werden soll. Diese Rolle des ESM wird im Folgenden diskutiert. Nachdem auch die Un-terstützung von Staaten (also die ursprüngliche Funktion des ESM) in Zusammenhang mit dem Finanzsek-tor steht, wird zunächst auf diese eingegangen.

Stabilisierung von Staaten – Wa-rum nützt das auch dem Finanz-sektor? n 2010 wurde auch für Staaten ein erster „Rettungsschirm“ aufgespannt, an dem sich der Inter-nationale Währungsfonds, die EU-Ebene (mit Hilfe von Mitteln, die am Finanzmarkt aufgenommen und über den EU-Haushalt besichert wur-

Die grundlegenden Ursachen der Finanzkrise 2008 sind bis heute nicht bewältigt. Nach wie vor gelten Banken als „zu groß zum Scheitern“, ihre Systemrelevanz hat teilweise sogar zugenommen. Für einzelne Staaten ist die Stabilisierung ihres Finanzsektors nicht mehr ohne Unterstützung zu schaf-fen. Es ergibt sich eine fatale Verknüpfung der Bonität von Staaten und Banken. Ein Indiz dafür ist die nun geplante Ausweitung des Europäischen Stabilitätsmechanismus auf die direkte Rettung von Banken. Judith Vorbach

Der Regulierungs­prozess geht nur

schleppend voran, die Maßnahmen zur

„Rettung“ von Finanz­häusern hingegen

fallen äußerst voluminös aus.

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Stabilisierung des Finanzsektors

den) und die Eurostaaten beteiligten. Dabei werden jenen Ländern Kredi-te und Garantien zur Verfügung ge-stellt, deren Refinanzierung über den Markt nicht mehr leistbar ist. Ohne „Rettungsschirm“ hätte den Staa-ten Zahlungsunfähigkeit gedroht. Die Gründe für diese Entwicklung sind vielfältig und stehen in engem Zusammenhang mit der Krise, aber auch innerstaatliche Versäumnisse, europäische Rahmenbedingungen (angefangen von der Konstruktion der Wirtschafts- und Währungsunion bis hin zu einem negativen Steuer-wettlauf) und systemische Ursachen sind relevant. Im Besonderen zu nennen ist die Rolle der Ratingagen-turen, und die Möglichkeit, mittels Spekulation (mit sogenannten Cre-dit Default Swaps, bzw. CDS) aus verminderter Kreditwürdigkeit unter anderem der Staaten Gewinne zu lu-krieren.

Die Frage, wer die Stützungsmaß-nahmen bezahlt und wem sie nut-zen, berührt mehrere Ebenen:

n Um (vermeintlich) die Rückzahlung der Kredite zu gewährleisten oder die Einlösung von Garantien zu verhindern, wird die Unterstützung an Konditionalitäten geknüpft, die für die Empfängerländer gravie-rende Einschnitte in die Sozial-, Bildungs-, Gesundheits- und/oder

Lohnfindungssysteme sowie ver-mehrten Druck zur Privatisierung von Schlüsselbetrieben (Wasser, Energie, Telekom) bedeuten. Die Folgen sind eine sich selbstverstär-kende negative Spirale aus schwa-cher Wirtschaftsentwicklung, einer dadurch erneut steigenden Schul-denquote und weiteren schweren strukturellen Einschnitten.

n Für unterstützende Staaten ergab sich eine positive Zinsdifferenz zwi-schen eigener Verschuldung und weitergereichten Darlehen. Bei einem Schuldenschnitt auf Kosten öffentlicher Gläubiger hängt es von deren Wirtschaftspolitik ab, welche Bevölkerungsgruppe die Lasten trägt: Werden dort die mit einem Schuldenschnitt einhergehenden Einbußen zum Beispiel über Kür-zungen im Sozialbereich oder über Besteuerung sehr Vermögender aufgefangen?

n Am Finanzsektor profitieren jene InvestorInnen (also Banken, Versi-cherungen, Pensionskassen, etc.) aus der „Rettung“ der Staaten, die so vor einem Schuldenschnitt verschont bleiben, und möglicher-weise bereits hohe Zinszahlungen erhalten haben. Hingegen geht das Kalkül jener nicht auf, die auf ein „Kreditereignis“ spekuliert ha-ben, welches CDS schlagend wer-den lassen würde. Die Entschei-dung darüber, ob es sich etwa bei einem so genannten freiwilligen Schuldenschnitt um ein derartiges Kreditereignis handelt oder nicht, kann über hohe Gewinne oder Ver-luste bestimmen.

Einige Eckpunkte aus dieser kontro-versiellen Diskussion um die Lasten-verteilung der Rettungsmaßnahmen: Im Oktober 2012 wurde vor allem von deutscher Seite her angeregt, die fällige Tranche für Griechenland direkt auf ein Sperrkonto zu leiten, auf welches die griechische Regie-rung selbst nur eingeschränkt Zu-

griff hätte, um so sicherzustellen, dass das damit verbundene Geld (31 Mrd. Euro) nur für die Tilgung von Krediten internationaler Geldgeber verwendet werden kann.4 Demge-genüber stellte der ehemalige grie-chische Finanzminister Evangelos Venizelos im April 2012 eine Rech-nung auf, nach welcher Deutschland in den zwei Jahren zuvor 400 Mrd. Euro an der Griechenland-Hilfe ver-dient habe, weil sich Deutschland selbst fast kostenlos Geld ausleihen konnte, welches mit einem Zinsauf-schlag an Griechenland weitergege-ben wurde.5 „Der Spiegel“ sprach im Dezember 2012 vom dreifachen Di-lemma der „Euro-Retter“ und mein-te, dass von den „Rettungsaktionen“ vor allem Hedgefonds, Großbanken und russische Oligarchen profitie-ren würden.6 Ein Befürworter einer weiteren Griechenland-Hilfe ist nicht zuletzt der Chefvolkswirt der Deut-schen Bank David Folkerts-Landau, der im November 2012 darauf ver-wies, dass Griechenland zwar mehr Zeit brauche, welche man aber nur gegen strikte Auflagen gewähren solle. Bei einem eventuellen Schul-denschnitt müssten sich seiner Mei-nung nach die öffentlichen Gläubiger beteiligen, „auch wenn das unmit-telbar Verluste für die Steuerzahler bedeute“.7

Insgesamt fließen sämtliche Gelder aus dem „Staaten-Rettungsschirm“ keineswegs in die Realwirtschaft der betroffenen Länder, sondern wer-den für die Bedienung bestehender finanzieller Verbindlichkeiten ver-wendet. Hätte man den Finanzmarkt sich selbst überlassen, müssten also auch viele Finanzinstitutionen deutli-che Verluste hinnehmen, die erneut deren Solvenz bedrohen könn-

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Hätte man den Finanz­markt sich selbst über­

lassen, müssten also auch viele Finanz­institutionen deutliche

Verluste hinnehmen, die erneut deren Solvenz

bedrohen könnten.

Die formalen Bezeichnungen der Komponenten des „Rettungsschirms“ sind vielsagend, nämlich „Europäischer Finanz­stabilisierungsmecha­nismus“ (EFSM) für das Instrument auf EU­Ebene und „Europä­ische Finanzstabilisie­rungsfazilität“ (EFSF) für das Instrument der Eurostaaten.

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Stabilisierung des Finanzsektors

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ten. In diesem Sinn sind die forma-len Bezeichnungen der Komponenten des „Rettungsschirms“ vielsagend, nämlich „Europäischer Finanzstabi-lisierungsmechanismus“ (EFSM) für das Instrument auf EU-Ebene und „Europäische Finanzstabilisierungs-fazilität“ (EFSF) für das Instrument der Eurostaaten. Die bestehenden Programme mit Portugal, Irland und Griechenland werden weiter über die EFSF finanziert. Nach dem 30. Juni 2013 wird die EFSF für keine neuen Programme mehr eingesetzt, bleibt aber solange in Funktion, bis alle au-ßenstehenden Kredite zurückbezahlt wurden.

Europäischer Stabilitätsmecha-nismus (ESM) n Die EFSF und der nunmehr in Kraft getretene Europäi-schen Stabilitätsmechanismus (ESM) laufen parallel als getrennte Einhei-ten, werden jedoch vom selben Team betreut. Der ESM wurde im Oktober

2012 als internationale Finanzinsti-tution mit Sitz in Luxemburg von den 17 Euro-Ländern eingerichtet, und gilt seither als das Hauptinstrument zur Finanzierung neuer Program-

me. Um eine Ausleihekapazität von 500 Mrd. Euro zu gewährleisten, ist er mit einem Stammkapital in Höhe von 700 Mrd. Euro ausgestattet. 80 Mrd. Euro davon werden in fünf Tran-chen einbezahlt, während die übrige Summe bei Bedarf abrufbar sein soll. Im Gegensatz zum EFSF gibt es beim ESM keine Haftungen, sondern „nur“ eingezahltes und abrufbares Stamm-kapital. Der Anteil Österreichs dar-

an beträgt 2,78 % bzw. 19,48 Mrd. Euro, wovon etwa 2,2 Mrd. Euro im Laufe von fünf Jahren (oder freiwil-lig schneller) einzuzahlen sind. Das proklamierte Ziel des ESM ist, ei-nen glaubwürdigen Mechanismus zu schaffen, um die Liquiditätssituation von Staaten zu sichern und Zah-lungsausfälle zu vermeiden.

Anträge auf Unterstützung werden von der EZB geprüft. Auf Basis des-sen entscheidet der Gouverneursrat, bestehend aus den Finanzminis-terInnen der Euroländer, über den Antrag. Unterstützung wird nur ge-währt, wenn die Finanzstabilität des Landes oder der Eurozone insgesamt gefährdet ist. Sie ist auch beim ESM an strenge Konditionalitäten gebun-den. Der Gouverneursrat überträgt die Aufgabe, diese Konditionalitäten auszuhandeln, nun nicht mehr der Troika insgesamt, sondern der EU-Kommission. Zwar soll die Kom-

Die erste Aktion des frisch gebackenen ESM war die indirekte

Unterstützung spanischer Banken im

Dezember 2012.

Neue Zeitschrift: Trendreport Arbeit, Bildung und Soziales – Österreich im EuropavergleichDer neue Trendreport wertet europäische Berichte und Datenquellen über Arbeit, Bildung und Soziales aus und bereitet Informationen in übersichtlicher Form auf. Dabei widmet sich der Trendreport aktuellen gesellschaftspolitischen Themen und stellt die Lage Österreichs im Europavergleich dar.

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30 infobrief eu & international Ausgabe 1 | März 2013 wien.arbeiterkammer.at

mission dies „im Benehmen mit der EZB und nach Möglichkeit zusammen mit dem IWF“8 tun, aber die ent-scheidende Rolle kommt ihr zu. Für die Staaten-Hilfen gibt es mehrere Instrumente: die direkte Vergabe von Darlehen, den Kauf von Anlei-hen am Primär- und Sekundärmarkt, vorsorgliche Kreditlinien und die in-direkte Unterstützung von Banken.

ESM stützt Banken indirekt n Da-mit ist angesprochen, dass bereits jetzt ESM-Mittel für Bankenrekapi-talisierungen verwendet werden, al-lerdings ohne, dass der ESM selbst dafür Beteiligungsrechte an den Banken erhält. Die Mittel werden als Darlehen an die betroffenen Staaten geleitet, die diese Gelder dann für Bankenstabilisierung einsetzen kön-nen. Dabei muss vom begünstigten Staat nachgewiesen werden, dass es dazu keine Alternativen gibt, d.h.

weder Lösungen unter Zuziehung des Privatsektors noch aus eigener Kraft, ohne erneut die eigene Stabi-lität zu gefährden. Zusätzlich muss der Zusammenbruch der indirekt un-terstützten Finanzinstitutionen eine ernste Bedrohung für die Finanz-stabilität des Euroraums oder seiner Mitgliedstaaten darstellen. Schließ-lich hat der betroffene Mitgliedstaat darzulegen, dass er im Stande ist, das Darlehen selbst dann zurückzu-zahlen, wenn es ihm nicht möglich ist, das den unterstützten Banken zugeführte Kapital innerhalb der

Frist wiederzubekommen, die für das an ihn gewährte Darlehen selbst gilt. Das Land übernimmt also bei dieser Form noch immer die Ausfallshaf-tung. Wiederum gibt es Konditiona-litäten, die sich jedoch (in formaler Hinsicht) nur auf den Finanzsektor beziehen.9

Erste Aktion des ESM: Unterstüt-zung spanischer Banken n Die erste Aktion des frisch gebackenen ESM war die indirekte Unterstüt-zung spanischer Banken im Dezem-ber 2012. Die Grundlage bildete das „Financial Assistance Facility Agree-ment” zwischen dem ESM, Spani-en, der Bank von Spanien und dem Fondo de Reestructuración Ordenda Bancaria (FROB), dem spanischen Bankenrettungsfonds. Der ESM gab zu diesem Zweck Schuldtitel in Höhe von 39,5 Mrd. Euro im Zuge eines „round-trip“-Verfahrens10 aus. Diese so offiziell emittierten ESM-Wertpa-piere wurden an den FROB überge-ben. Der FROB verwendete ein Vo-lumen von etwa 37 Mrd. Euro für die Rekapitalisierung von Banken (etwa die Hälfte für die BFA-Bankia), indem er die ESM-Wertpapiere gegen Ei-genkapitaltitel an die Banken weiter-reichte. Die Banken verwenden diese Papiere wiederum als Sicherheiten für Bankgeschäfte. Die verbleiben-den 2,5 Mrd. Euro wurden an SAREB, der spanischen „Bad Bank“, überwie-sen. Der offizielle Geschäftspartner des ESM ist nicht der FROB, sondern der Staat Spanien.11 Im Rahmen der Konditionalitäten soll es zu ei-ner Verschärfung der Bankenaufsicht kommen. Nachdrücklich wird aber auch die Fortführung der Budgetsa-nierungsprogramme eingemahnt. Nach Auffassung von Eurostat vom Juni 2012 erhöht das Darlehen an Spanien unmittelbar den öffentlichen Schuldenstand und hat auch Einfluss auf das Defizit aufgrund der damit verbundenen Zinsleistungen.12

Im Zuge der Sanierung der verstaat-lichten Bankia werden um die 6000

ArbeitnehmerInnen entlassen. Die BesitzerInnen bestimmter Anleihen müssen auf Forderungen von fast fünf Mrd. Euro verzichten, Aktionä-rInnen auf knapp elf Mrd. Euro. Dass es zu keinem gröberen Ausfall kam, nützt unter anderem auch deutschen Banken. Laut deutschem Bundesfi-nanzministerium schulden die sanie-rungsbedürftigen spanischen Institu-te den deutschen Kreditgebern 11,9 Mrd. Euro und Deutschlands Banken haben gegenüber dem spanischen Finanzsektor insgesamt Forderungen von mehr als 50 Mrd. Euro.13 Unter anderem regte sich im Deutschen Bundestag Kritik. SPD und Grüne hatten (laut dem finanzpolitischen Sprecher der Grünen Gerhard Schick) im Haushaltsausschuss darauf ge-drängt, die wesentlich ambitionier-teren Pläne des IWF zur Gläubiger-beteiligung umzusetzen. Ein Vorwurf richtet sich auch an die spanischen Behörden, die die Insolvenz einiger Institute monatelang verschleppt hätten.14 Der größte spanische Ge-werkschaftsbund CCOO sieht im spa-nischen Finanzsystem schwere Prob-leme, die sich aus einer Kombination aus Missmanagement, mangelhafter Kontrolle und Aufsicht ergeben ha-ben. Er fordert Transparenz und Er-klärungen von den Verantwortlichen. Die Gewerkschaft prangert an, dass zwar enorme Ressourcen für das Bail-Out des spanischen Finanzsys-tems eingesetzt werden, während weder seitens der EU noch der spa-nischen Regierung Anzeichen ver-nehmbar sind, ebenso Ressourcen in die Sicherung des Wohlfahrtsstaates oder in die Unterstützung jener, die am meisten unter der Krise leiden, zu investieren.15

ESM zur direkten Bankenstüt-zung? n Auf der Tagung des Europä-ischen Rates im Dezember 2012 ei-nigte man sich auf den „Fahrplan für die Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion“. Einen Schwerpunkt davon bildet der „integrierte Finanz-rahmen“, bzw. die Bankenunion.

Stabilisierung des Finanzsektors

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Die Kapazitäten des ESM zur Stabilisierung von Staaten würden im Falle einer direkten Rettung von „maroden“ Banken drastisch einge­schränkt, denn aufgrund des erhöhten Risikos wäre ein erhöhter „Sicherheitspuffer“ notwendig.

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31 infobrief eu & international Ausgabe 1 | März 2013 wien.arbeiterkammer.at

Wesentliches Element dabei ist der einheitliche Aufsichtsmechanismus (EAM) in Zuständigkeit der EZB. Die wirksame Einrichtung eines solchen einheitlichen Aufsichtsmechanismus ist Bedingung, dass der ESM Banken direkt mit Kapital ausstatten kann. Für eine solche direkte Rekapitali-sierung soll im ersten Halbjahr 2013 „schnellstmöglich“ ein operativer Rahmen vereinbart werden. Im Fal-le einer alleinigen Rekapitalisierung von Banken direkt über den ESM würden Bankenhilfen nicht auf die Staatsschuld angerechnet.

In Ergänzung zum einheitlichen Auf-sichtsmechanismus soll ein einheitli-cher Abwicklungsmechanismusa für die am EAM teilnehmenden Staaten eingerichtet werden, „der mit den notwendigen Befugnissen ausgestat-tet ist, um sicherzustellen, dass jede Bank in den teilnehmenden Mitglied-staaten mit geeigneten Instrumen-ten abgewickelt werden kann.“ Der Abwicklungsmechanismus soll auf

Beiträgen des Finanzsektors selbst basieren und eine „Letztsicherung“ einschließen, welche haushalts-neutral sein sollte, indem sicherge-stellt wird, dass die öffentliche Un-terstützung über nachträglich bei der Finanzwirtschaft erhobene Ein-nahmen wieder ausgeglichen wird. Im Laufe des Jahres 2013 wird ein Vorschlag dazu vorlegt.16 Ob so die SteuerzahlerInnen tatsächlich vor der Finanzierung von „Bankenret-tungen“ verschont werden, lässt sich aus heutiger Sicht kaum beur-teilen – Skepsis ist sicherlich ange-bracht. Im Gegensatz zum EAM wird ein solcher Abwicklungsmechanis-mus auch nicht als Bedingung für eine direkte Rekapitalisierung ange-führt. Im Zwischenbericht des EU-Ratspräsidenten zur Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion17 heißt es im Oktober 2012 dazu, dass schon nach der Installation des EAM in einer Übergangszeit, in der dieser Abwicklungsmechanismus nicht ein-gerichtet ist, der ESM die Möglichkeit

hätte, „Banken direkt zu rekapitali-sieren, verbunden mit angemesse-nen Auflagen.“

Als Ziel der direkten Rekapitalisie-rung über den ESM wird angegeben, dass der „Teufelskreis“ der gegensei-tigen Abhängigkeit zwischen Kredit-instituten und Staaten durchbrochen werden muss. Damit ist angespro-chen, dass einerseits Staaten auf-grund der Kosten der Bankenrettung in die Krise geraten, andererseits halten Banken oft ein hohes Volumen der Anleihen „ihres“ Staates und sind daher von den Turbulenzen auf dem Anleihenmarkt massiv betroffen, was erneut die Staaten in Schwierig-keiten bringt.18 Ob die Durchbre-

Stabilisierung des Finanzsektors

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» So sind viele Banken von den Folgen der

Austeritätspolitik negativ betroffen. Das Volumen „notleidender

Kredite“ hat sich seit 2008 auf gut eine Billion

Euro verdoppelt.

1) http://www.spiegel.de/wirtschaft/wolfgang-

muenchau-die-euro-zone-steht-vor-dem-

zusammenbruch-a-837214.html

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Impressum: Herausgeber und Medieninhaber: Kammer fü

r Arbeiter und Angestellte für Wien, 1040 Wien, Prinz Eugen Strasse 20-22 •

Redaktion: Elisabeth Beer, Éva Dessewffy, Lukas Oberndorfer, Ir

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ann Norbert Templ, Valentin Wedl • K

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Lukas Oberndorfer ([email protected]) L

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erlags- und Herstellungsort: Wien •

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Editorial

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bemüht, die internationalen Brenn-

punkte durch neue Formate besser

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Damit starten Markus Marterbauer

und Lukas Oberndorfer. Ersterer

zeigt auf, dass simultanes Kon-

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für eine angebotseitige Binnen-

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riet mehrmals an den Rand des

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n Dadurch wurde von Mitte 2008

bis Mitte 2009 ein tiefer Einbruch

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Entscheidungsprozesse, vor allem

aber geprägt durch ein neoliberales

Weltbild, das den Märkten Effizienz

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reagiert. Dennoch ist

es schließlich

in jedem Stadium der Krise gelun-

gen, durch Notfallmaßnahmen eine

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1

Die faktische Macht

multinationaler Unternehmen 6

Wachstumshemmnisse

9

Analyse des Monti-Berich

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EU-Kanada Abkommen

15

China – Illegale im eigenen Land 17

HIV/Aids

18

Kritik des Kapitalism

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20

Die europäische Chance

21

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infobriefAusgabe 3 | Ju

ni 2010

Aus dem Inhalt

Impressum: Herausgeber und Medieninhaber: Kammer für Arbeiter und Angestellte für Wien, 1040 Wien, Prinz Eugen Strasse 20-22 •

Redaktion: Elisabeth Beer, Éva Dessewffy, Lukas Oberndorfer, Iris Strutzmann Norbert Templ, Valentin Wedl • Kontakt:

Lukas Oberndorfer ([email protected]) Layout und Satz: Julia Stern • Verlags- und Herstellungsort: Wien •

Erscheinungsweise: zweimonatlich • Kostenlose Bestellung unter: http://wien.arbeiterkammer.at/euinfobrief

Editorial

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Daher eröffnen wir mit zwei Rezensi-

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unserer Zeitschrift bleiben erhal-

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prägnant aufbereitet. Das zeigen

Elisabeth Beer, Norbert Templ, Iris

Strutzmann, Walter Sauer & Susan

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Investitionsschutzabkommen,

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Seit Beginn der Finanz- und Wirtschaftskrise ist es

der EU gelungen, durch pragmatische Notfallmaßnahmen das

Banken system, die Konjunktur und den Markt für Staatsschuld-

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Probleme nicht bewältigt.

Europas Wirtschaft

An einer entscheidenden

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Die weitere Konjunkturentwicklung

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n Die Krise ging zunächst in den

Jahren 2007 und 2008 von den

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n Dadurch wurde von Mitte 2008

bis Mitte 2009 ein tiefer Einbruch

der Realwirtschaft ausgelöst. Das

Bruttoinlandsprodukt ging 2009

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bereinigte Zahl der Arbeitslosen

stieg vom Tiefstand im Frühjahr

2008 bis Mai 2010 von 16 Mio auf

23 Mio.

n Als Folge des durch den finanz-

und realwirtschaftlichen Einbruch

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Staatsschuldenkrise.

Die EU-Politik hat die Krisenzeichen

in allen drei Stadien spät erkannt,

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Die faktische Macht

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EU-Kanada Abkommen 15

China – Illegale im eigenen Land 17

HIV/Aids

18

Kritik des Kapitalismus 20

Die europäische Chance 21

eu& international

infobrief

Ausgabe 3 | Juni 2010

Aus dem Inhalt

Impressum: Herausgeber und Medieninhaber: Kammer für Arbeiter und Angestellte für Wien, 1040 Wien, Prinz Eugen Strasse 20-22 • Redaktion: Elisabeth Beer, Éva Dessewffy, Lukas Oberndorfer, Iris Strutzmann Norbert Templ, Valentin Wedl • Kontakt: Lukas Oberndorfer ([email protected]) Layout und Satz: Julia Stern • Verlags- und Herstellungsort: Wien • Erscheinungsweise: zweimonatlich • Kostenlose Bestellung unter: http://wien.arbeiterkammer.at/euinfobrief

Editorial

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setzt sich mit dem Monti-Bericht – dem Versuch eines neuen Konsenses

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Europas Wirtschaft

An einer entscheidenden Weggabelung

Die weitere Konjunkturentwicklung hängt davon ab, ob die von Asien ausgehenden Auftriebskräfte oder die Dämpfung durch die simultane Budgetkonsolidierung in der EU stär-ker wirken. Die Bewältigung der ho-hen Staatsschulden bleibt ein zent-rales Thema, für dessen Bewältigung unkonventionelle Ansätze notwendig sind.

EU-Wirtschaftspolitik schafft Stabilisierung n Die wirtschaftliche Krise hat in der Europäischen Uni-on in den letzten Wochen ihr drittes Stadium erreicht: n Die Krise ging zunächst in den

Jahren 2007 und 2008 von den Finanzmärkten und Banken aus, das weltweite Finanzsystem ge-riet mehrmals an den Rand des Zusammenbruchs.

n Dadurch wurde von Mitte 2008 bis Mitte 2009 ein tiefer Einbruch der Realwirtschaft ausgelöst. Das

Bruttoinlandsprodukt ging 2009 real um 4,2% zurück, die saison-bereinigte Zahl der Arbeitslosen stieg vom Tiefstand im Frühjahr 2008 bis Mai 2010 von 16 Mio auf 23 Mio.

n Als Folge des durch den finanz- und realwirtschaftlichen Einbruch entstandenen Ausfalls an Steu-ereinnahmen und der zusätzli-chen Staatsausgaben entwickelte sich ab dem Frühjahr 2010 eine Staatsschuldenkrise.

Die EU-Politik hat die Krisenzeichen in allen drei Stadien spät erkannt, sie hat – bedingt durch langwierige Entscheidungsprozesse, vor allem aber geprägt durch ein neoliberales Weltbild, das den Märkten Effizienz zuspricht und staatliche Eingriffe für falsch hält – mit Zögern und Zaudern reagiert. Dennoch ist es schließlich in jedem Stadium der Krise gelun-gen, durch Notfallmaßnahmen eine Stabilisierung zu erreichen:

Europas Wirtschaft 1Die faktische Macht multinationaler Unternehmen 6 Wachstumshemmnisse 9Analyse des Monti-Berichts 10EU-Kanada Abkommen 15China – Illegale im eigenen Land 17HIV/Aids 18Kritik des Kapitalismus 20Die europäische Chance 21

eu& internationalinfobrief

Ausgabe 3 | Juni 2010

Aus dem Inhalt

Impressum: Herausgeber und Medieninhaber: Kammer für Arbeiter und Angestellte für Wien, 1040 Wien, Prinz Eugen Strasse 20-22 •

Redaktion: Elisabeth Beer, Éva Dessewffy, Lukas Oberndorfer, Iris Strutzmann Norbert Templ, Valentin Wedl • Kontakt:

Lukas Oberndorfer ([email protected]) Layout und Satz: Julia Stern • Verlags- und Herstellungsort: Wien •

Erscheinungsweise: zweimonatlich • Kostenlose Bestellung unter: http://wien.arbeiterkammer.at/euinfobrief

EditorialLiebe Leserin! Lieber Leser!Vor Ihnen liegt doppelt Neues.

Durch professionelles Layout

erscheinen wir in neuem Gewand. Auch inhaltlich haben wir uns

bemüht, die internationalen Brenn-

punkte durch neue Formate besser zu fokussieren: Langbeiträge als

Raum für grundlegende Analysen.

Damit starten Markus Marterbauer und Lukas Oberndorfer. Ersterer zeigt auf, dass simultanes Kon-

solidieren die EU in den nächsten

Abschwung führen könnte. Zweiterer

setzt sich mit dem Monti-Bericht –

dem Versuch eines neuen Konsenses für eine angebotseitige Binnen-

marktpolitik – auseinander. Produk-

tion von Konsens und Dissens darin

spielen Bücher eine wichtige Rolle.

Daher eröffnen wir mit zwei Rezensi-

onen eine neue Rubrik: Die Buchbe-

sprechung. Die bekannten Stärken unserer Zeitschrift bleiben erhal-

ten: aktuelle Themen informativ & prägnant aufbereitet. Das zeigen

Elisabeth Beer, Norbert Templ, Iris

Strutzmann, Walter Sauer & Susan Leather mit ihren Beiträgen zu Investitionsschutzabkommen,

Wachstumshindernissen, Handels-

politik (EU – Kanada) und HIV/Aids.

Ebenso setzt Claudia Schürz unseren

China-Schwerpunkt fort. Diesmal: WanderarbeiterInnen. Ihr AK Redaktionsteam

Seit Beginn der Finanz- und Wirtschaftskrise ist es

der EU gelungen, durch pragmatische Notfallmaßnahmen das

Banken system, die Konjunktur und den Markt für Staatsschuld-

verschreibungen zu stabilisieren, jedoch sind die grundlegenden

Probleme nicht bewältigt.

Europas Wirtschaft

An einer entscheidenden Weggabelung

Die weitere Konjunkturentwicklung

hängt davon ab, ob die von Asien

ausgehenden Auftriebskräfte oder

die Dämpfung durch die simultane

Budgetkonsolidierung in der EU stär-

ker wirken. Die Bewältigung der ho-

hen Staatsschulden bleibt ein zent-

rales Thema, für dessen Bewältigung

unkonventionelle Ansätze notwendig

sind.

EU-Wirtschaftspolitik schafft

Stabilisierung n Die wirtschaftliche

Krise hat in der Europäischen Uni-

on in den letzten Wochen ihr drittes

Stadium erreicht: n Die Krise ging zunächst in den

Jahren 2007 und 2008 von den

Finanzmärkten und Banken aus,

das weltweite Finanzsystem ge-

riet mehrmals an den Rand des

Zusammenbruchs.n Dadurch wurde von Mitte 2008

bis Mitte 2009 ein tiefer Einbruch

der Realwirtschaft ausgelöst. Das

Bruttoinlandsprodukt ging 2009

real um 4,2% zurück, die saison-

bereinigte Zahl der Arbeitslosen

stieg vom Tiefstand im Frühjahr

2008 bis Mai 2010 von 16 Mio auf

23 Mio.

n Als Folge des durch den finanz-

und realwirtschaftlichen Einbruch

entstandenen Ausfalls an Steu-

ereinnahmen und der zusätzli-

chen Staatsausgaben entwickelte

sich ab dem Frühjahr 2010 eine

Staatsschuldenkrise.Die EU-Politik hat die Krisenzeichen

in allen drei Stadien spät erkannt,

sie hat – bedingt durch langwierige

Entscheidungsprozesse, vor allem

aber geprägt durch ein neoliberales

Weltbild, das den Märkten Effizienz

zuspricht und staatliche Eingriffe für

falsch hält – mit Zögern und Zaudern

reagiert. Dennoch ist es schließlich

in jedem Stadium der Krise gelun-

gen, durch Notfallmaßnahmen eine

Stabilisierung zu erreichen:

Europas Wirtschaft 1

Die faktische Macht multinationaler Unternehmen 6

Wachstumshemmnisse 9

Analyse des Monti-Berichts 10

EU-Kanada Abkommen 15

China – Illegale im eigenen Land 17

HIV/Aids

18

Kritik des Kapitalismus 20

Die europäische Chance 21

eu& international

infobrief

Ausgabe 3 | Juni 2010

Aus dem Inhalt

Imp ressum: Herausgeber und Medieninhaber: Kammer für Arbeiter und Angestellte für Wien, 1040 Wien, Prinz Eugen Strasse 20-22 •

Redaktion: Elisabeth Beer, Éva Dessewffy, Lukas Oberndorfer, Oliver Prausmüller, Norbert Templ, Alice Wagner, Valentin Wedl • Kontakt:

Lukas Oberndorfer, Norbert Templ, Alice Wagner • Layout und Satz: Julia Stern • Verlags- und Herstellungsort: Wien • Erschei-

nungsweise: 5 mal jährlich • Kostenlose Bestellung unter: http://wien.arbeiterkammer.at/euinfobrief

EditorialLiebe Leserin! Lieber Leser!

Noch einmal vor der Sommer pause

widmen wir uns den aktuellen

Brennpunkten der europäischen

Politik: P. Eberhardt skizziert die

Einflussnahme der Wirtschafts-

lobbys auf die Verhandlung des

EU-Indien Freihandelsabkommens.

L. Oberndorfer, N. Templ und C.

Schlager greifen in ihren Analysen

noch einmal neue Aspekte des viel

diskutierten Economic Government-

Pakets auf, ergänzt um einen

kritischen Blick auf die Austeri-

tätsprogramme quer durch Europa

(G. Feigl), auf die sprunghaften

Preisanstiege an den Rohstoffbör-

sen (M. Maltschnig) sowie Aktuel-

lem zur Finanztransaktionssteuer

(V. Wedl). Das Ende der ungari-

schen EU Präsidentschaft nimmt

K. Lachmayer zum Anlass einen

genaueren Blick über die Grenze zu

werfen und analysiert die aktuellen

Verfassungsreformen in unserem

Nachbarland. Weitere Themen der

Ausgabe sind die Reformvorhaben

im EU-Vergaberecht (S. Wixforth),

die Strategie zur legalen Zuwande-

rung in die Union (C. Cesnovar) so-

wie die revidierten OECD-Leitsätze

für multinationale Unternehmen (E.

Beer). Abgerundet mit Buch- und

Veranstaltungstipps wünschen wir

eine anregende Lektüre im Juni.Ihr AK Redaktionsteam

Seit 2007 verhandeln Indien und die EU ein weit reichendes

Freihandelsabkommen. Es umfasst alle relevanten Wirtschafts-

bereiche – von Industrie, Landwirtschaft und Dienstleistungssekto-

ren bis hin zu Patenten, der öffentlichen Auftragsvergabe und der

Ausbeutung von Rohstoffen. Demnächst sollen die Gespräche abge-

schlossen werden. Dabei weiß in Europa und Indien kaum jemand

etwas darüber. Nur Konzerne und ihre Lobbyverbände sind bestens

in die Verhandlungen eingebunden.

Pia Eberhardt

In den Freihandelsverhandlungen mit Indien

arbeiten EU-Kommission, Mitgliedstaaten und

Konzernlobbies eng zusammen

Feindliche ÜbernahmeDie bruchstückhaften Informationen

über die Verhandlungen, die bisher

an die Öffentlichkeit gesickert sind,

haben soziale Bewegungen, Ge-

werkschaften, Entwicklungs-, Frau-

en- und Gesundheitsorganisationen

alarmiert. Sie befürchten, dass das

EU-Indien Freihandelsabkommen

Armut, soziale Ungleichheit und den

ökologischen Raubbau in Indien ver-

schärfen wird. Auch Arbeitsrechte

und der Zugang zu Medikamenten

seien durch das Abkommen bedroht,

und zwar nicht nur in Indien, son-

dern weltweit. Wiederholt haben da-

her hunderte zivilgesellschaftliche

Organisationen aus Europa und In-

dien zu einem sofortigen Stopp der

Verhandlungen aufgerufen.1

Ganz anders die europäischen Kon-

zerne und ihre Verbände: Für Busi-

nessEurope, den europäischen

Arbeitgeberverband, ist das EU-Indi-

en-Freihandelsabkommen das wich-

tigste, das die EU derzeit verhandelt.

Ihm gehen die Gespräche zwar nicht

schnell genug, aber der Verband

ist hochzufrieden mit der Verhand-

lungsführung der EU-Kommission.

Und mit ihrer Informationspolitik.

Kein Wunder.Symbiose zwischen Kommission

und Wirtschaft n Schon Monate

vor Beginn der offiziellen Gespräche

mit Indien begann die EU-Kommis-

sion, die europäische Wirtschaft zu

konsultieren. In einem detaillierten

Fragebogen wurde sie zu Proble-

men beim Export von Gütern und

Dienstleistungen, bei Filialeröffnun-

gen, beim Zugang zu Rohstoffen in

Indien etc. befragt. Drei Tage vor

Verhandlungsbeginn versicherte die

damalige EU-Agrarkommissarin,

Freihandel mit Indien

1

Economic Governance rechtswidrig? 7

EU-Wirtschaftsregierung

13

Verfassungsreform in Ungarn 15

Financial Transaction Tax

19

Finanzmärkte und Rohstoffbörsen 20

Sparpakete in Europa

22

Revidierte OECD-Leitsätze 24

Legale Zuwanderung

28

Grünbuch EU-Vergabepolitik 30

Buchtipps

33

eu& international

infobrief

Ausgabe 3 | Juni 2011

Aus dem Inhalt

»

Der EU­Infobrief erscheint 5x jährlich im digitalen Format und liefert eine kritische Analyse der Entwicklungen auf europäischer und internationaler Ebene. Die Zeitschrift der Abteilung EU & Internationales der AK-Wien fokussiert dabei Themen an der Schnitt stelle von Politik, Recht und Ökonomie. Anspruch ist nicht nur die Prozesse in den europäischen Institu-tionen zu beschreiben, sondern auch Ansätze zur Überwindung des Neoliberalismus zu entwickeln. Kurze Artikel informieren in prägnanter Form über aktuelle Themen. Langbeiträge geben den Raum für grundlegende Analysen, Buchbesprechungen bieten eine kritische Übersicht einschlägiger Publikationen.

EU-Infobrief: Europa und Internationales in kritischer und sozialer Perspektive – kostenlos beziehen

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32 infobrief eu & international Ausgabe 1 | März 2013 wien.arbeiterkammer.at

chung des Teufelskreises so gelingt, ist fraglich:

n Bereits bei der Ausarbeitung des operativen Rahmens ergeben sich gravierende Schwierigkeiten. Die Kapazitäten des ESM zur Stabi-lisierung von Staaten würden im Falle einer direkten Rettung von „maroden“ Banken drastisch ein-geschränkt, denn aufgrund des erhöhten Risikos wäre ein erhöh-ter „Sicherheitspuffer“ notwendig. Möchte der ESM seine Bonitätsno-te behalten, müssten laut Rating-agenturen für jeden Euro direkter Bankenhilfe die Ausleihekapazität des ESM um drei Euro gesenkt werden, heißt es in einem Zwi-schenbericht einer von den Euro-FinanzministerInnen eingesetzten Task-Force. Ein derartiges Ab-schmelzen der Ausleihekapazität könne aber wiederum die „Finanz-märkte beunruhigen“.19

n Das Problem der Regulierungs- und Aufsichtsarbitrage könnte sich verschärfen, denn die Trennung von Verantwortung (bei den Staa-ten) und Haftung (gemeinschaft-lich über den ESM) ist alles ande-re als ein Anreiz zu konsequenter Kontrolle. Regulierungs-Schlupf-löcher unterminieren jedoch wie-derum eine europaweit lückenlose Regulierung und Aufsicht. Finanz-häuser sämtlicher Staaten haben bereits jetzt eine Vielzahl von Nie-derlassungen in diversen „Schat-tenbankparadiesen“20. Es bliebe zu hoffen, dass dieses Problem mit Hilfe einer einheitlichen Aufsicht (also der EAM) entschärft wird. Um entsprechende Anreize zu setzen, wird auch darüber diskutiert, dass Staaten, die Unterstützung für Banken beantragen, Eigenbeiträge leisten müssen, etwa in Höhe von fünfzehn %.

n Zwar soll die Direkthilfe nicht auf alte Verbindlichkeiten („Altlasten“) angewendet werden, sondern

nur auf Verbindlichkeiten, die un-ter der neuen Aufsicht (also dem EAM) entstehen. Diese Forderung ist jedoch umstritten. Schließlich werden derartige „Altlasten“ die Finanzwelt auch in Zukunft prä-gen. So sind viele Banken von den Folgen der Austeritätspolitik nega-tiv betroffen. Das Volumen „notlei-dender Kredite“ hat sich seit 2008 auf gut eine Billion Euro verdop-pelt.21 Wenig beruhigend sind auch die Verflechtungen der „normalen“ Banken zum kaum regulierten, aber dennoch bedeutenden Schat-tenbanksektor. Zwar käme es Län-dern mit angeschlagenem Ban-kensektor entgegen, wenn eine Rekapitalisierung stärker transna-tional stattfinden würde und sie bei der Stabilisierung nicht mehr auf sich alleine gestellt wären, an der grundsätzlichen Problematik ändert dies jedoch nichts. Nach wie vor werden die Lasten für die Banken von Staaten getragen, nur auf einer höheren Ebene. Bedenk-lich ist in diesem Zusammenhang auch die zeitliche Abfolge, nämlich dass ein Abwicklungsmechanismus erst nachgereicht wird, während die Stützung bis dahin weiterhin auf Basis öffentlicher Gelder er-folgt.

Welche Krise? Welcher Ausweg? n Es wäre eine Illusion zu meinen, dass die über einzelne Staaten hin-ausreichende Systemrelevanz gro-ßer Finanzhäuser mit dem ESM steht oder fällt. Wenn zum Beispiel große Finanzinstitute in Irland zusammen-brechen, sind aufgrund der engen gegenseitigen Verflechtung auch an-dere in Europa erheblich betroffen,

völlig unabhängig davon ob mittels ESM indirekte oder direkte Banken-hilfen durchgeführt werden oder nicht. In diesem Sinn liegt das Öster-reichische Finanzministerium sicher-lich richtig: „Es ist sinnvoll Banken aufzufangen, um Dominoeffekte im Finanzsystem zu verhindern, wel-che auch österreichische Banken und Spareinlagen treffen könnten.“22 Aber genau hier liegen die Probleme: Nämlich, dass Finanzhäuser nach wie vor als „zu groß zum Scheitern“ gelten, und dass das „too big to fail“-Problem in einer allgemein labilen Finanzwelt sogar weit über einzelne Staaten hinausreicht. Instrumen-te, die von Präventivmaßnahmen über Frühinterventionen bis hin zur geordneten Abwicklung einer Bank reichen, sind zwar geplant, aber (fünf Jahre nach Ausbruch der Kri-se!) noch nicht umgesetzt. Auch eine Reduktion der Bilanzsummen und die Trennung vom Investment- und Geschäftsbereich würde die Situa-tion deutlich entschärfen. Banken-hilfen sollten grundsätzlich an eine entsprechende Trennung gekoppelt werden. Für Stabilisierungsmaßnah-men insgesamt gilt, dass die immen-se Verteilungsschieflage von Ein-kommen und Vermögen wesentlich besser berücksichtigt werden muss, zum Beispiel indem Programmlän-der ihre Funktion als „Steuer- und Regulierungsoase“ aufgegeben müs-sen, oder indem Gläubiger wie Ei-gentümer von Finanzinstituten deut-lich stärker herangezogen werden. Weder bei „Rettungen“ von Banken noch von Staaten dürfen Arbeitneh-merInnen, Älteren oder Jugendlichen die Kosten aufgebürdet werden, und dies in keinem der involvierten Län-der. Schließlich ist fragwürdig, ob eine Abwehr akuter Gefahren für die Finanzstabilität angesichts ei-nes hochspekulativen und überdi-mensionalen Finanzmarkts mittels ESM überhaupt leistbar ist. Vielmehr müsste in solchen Fällen auf eine ak-tive stabilisierende Politik der EZB gesetzt werden.

Stabilisierung des Finanzsektors

» Weder bei „Rettungen“ von Banken noch von

Staaten dürfen ArbeitnehmerInnen,

Älteren oder Jugendlichen die Kosten

aufgebürdet werden, und dies in keinem der

involvierten Länder.

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33 infobrief eu & international Ausgabe 1 | März 2013 wien.arbeiterkammer.at

Auch heute ist ein grundlegender

Paradigmenwechsel weg vom Glauben

an die Effizienz des Finanzmarktes oder

gar an dessen „disziplinierende

Funktion“ dringend gefragt.

Stabilisierung des Finanzsektors

»

Kurzfristige Stabilisierung über rigo-rose „Rettungsmaßnahmen“ reicht aber sicher nicht aus. Vielmehr geht es darum, den Rahmen herzustel-len und Eingriffe vorzunehmen, die sicherstellen, dass der Finanzsek-tor eine kontinuierliche, positive Entwicklung der Gesamtwirtschaft bestmöglich unterstützt. Schließlich kommen dem Finanzwesen funda-mentale Funktionen im Wirtschafts-gefüge zu, wie die Finanzierung von Investitionen und die Übernahme von Risiko. Damit dies gelingt, wür-de es lohnen, die Politik des „New Deal“ in den USA der 1930er und ihren Beitrag zur Bewältigung der

damaligen Wirtschaftskrise zu stu-dieren. Ein wichtiges Element war die energische Neugestaltung des Finanzswesens, wozu unter ande-rem die Verabschiedung des Glass-Steagall Acts im Juni 1933 zählte. Diese Neugestaltung des Banken-sektors hatte keinen geringen Anteil daran, dass die Wirtschaft fünfzig Jahre lang von schweren Finanzkri-sen verschont blieb.23 Auch heute ist ein grundlegender Paradigmenwech-sel weg vom Glauben an die Effizi-enz des Finanzmarktes oder gar an dessen „disziplinierende Funktion“ dringend gefragt. Schließlich ist das der ideologische Ursprung der Stabi-

litätskrise. Vielmehr braucht es ein solidarisches Zukunftsprogramm für Europa, bei dem die Interessen der ArbeitnehmerInnen auch im Hinblick auf die Gestaltung des Finanzsektors wesentlich stärker berücksichtigt werden.

Judith Vorbach n AK Oberösterreich

[email protected]

1) Der Standard v. 21.12.2012:

1.600.000.000.000 Euro Hilfe für Europas

Banken. Online Ausgabe.

2) Europäische Kommission, Jahreswachs-

tumsbericht 2013, 4.

3) Peter Bofinger, Das infernalische Dreieck.

Wie Staatsschulden, Bankenkrise und Re-

zession den Euroraum gefährden, in Blätter

für deutsche und internationale Politik,

10/2012, 55.

4) ARD Tagesschau v. 18.10.2012: Schäuble

will Sperrkonto für Athen, Online Ausga-

be. http://www.tagesschau.de/wirtschaft/

schaeuble-eu106.html

5) manager magazin online v. 6. April

2012: Evangelos Venizelos „Deutsch-

land ist Rettungs-Profiteur“, http://

www.manager-magazin.de/politik/

artikel/0,2828,druck-826176,00.html

6) Spiegel-Online v. 3. Dezember 2012:

Christian Teevs, Profiteure der Krise.

Vom dreifachen Dilemma der Euro-Retter

http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/

griechenland-spanien-zypern-krisentreffen-

der-euro-retter-a-870665-druck.html

7) Handelsblatt v. 2.11.2012: Euro-Krise.

Deutsche-Bank-Chefvolkswirt für weitere

Griechen-Hilfe. Online Ausgabe.

8) Vertrag zur Einrichtung des Europäischen

Stabilitätsmechanismus, Artikel 13(3)

http://www.european-council.europa.eu/

media/582866/02-tesm2.de12.pdf

9) Offizielle ESM-Homepage, Frequently

Asked Questions on the European Stability

Mechanism (ESM), 5.2.2013, 13. http://

www.esm.europa.eu/pdf/FAQ %20ESM %20

05022013.pdf

10) Das heißt, dass die Papiere nicht am

Kapitalmarkt ausgegeben wurden, sondern

an eine (nicht genannte Bank), damit eine

ordnungsgemäße Emission vorliegt. Die

Wertpapiere wurden sofort wieder zurück-

gekauft, so dass die Bank weder Gewinn

noch Verlust verbucht.

11) Frankfurter Allgemeine Zeitung vom

5.12.2012: Gerald Braunberger, Rekapi-

talisierung spanischer Banken. ESM begibt

Papiere für fast 40 Milliarden Euro, Online

Ausgabe.

12) Offizielle ESM-Homepage, FAQ - Finan-

cial Assistance for Spain, 7. 12.2012,

http://www.esm.europa.eu/pdf/FAQ %20

spain %2007120212.pdf

13) boerse.ARD.de v. 28.11.2012: EU-Fonds

darf jetzt einspringen. Spanien-Rettung

hilft auch deutschen Banken, Online

Ausgabe.

14) Gerhard Schick, Pressemitteilung v.

29.11.2012, Gläubiger geschont zu Lasten

der Steuerzahler.

15) Info Boletin electrónico der CCOO,

No 36 – Madrid, 13. March 2012: CCOO’s

position on the bailout of Spain’s financial

sector.

16) Europäischer Rat, Tagung vom 13./14.

Dezember 2012, Schlussfolgerungen.

17) Europäischer Rat v. 12.10.2012: Auf dem

Weg zu einer echten Wirtschafts- und

Währungsunion, Zwischenbericht.

18) Handelsblatt v. 22.1.2012: Nicole Bastian,

Gefangen im Teufelskreis.

19) Handelsblatt v. 17.1.2012: Ruth Ber-

schens, Jan Hildebrand, Bankenhilfe

gefährdet Kapazität des ESM.

20) Schattenbanken sind Finanzunternehmen,

die bankähnliche Geschäfte verrichten,

aber nicht derselben Regulierung wie Ban-

ken unterliegen. Dazu gehören bestimmte

Hedgefonds, Investmentfonds, so genann-

te Zweckgesellschaften, etc.

21) Frankfurter Allgemeine Zeitung v.

15.8.2012: Schuldenkrise Europas Banken

sitzen auf Problemkrediten in Billionenhö-

he. Online Ausgabe.

22) Q&A Europäischer Stabilitätsmechanismus

(ESM), Homepage des Österreichischen

Bundesministeriums für Finanzen; http://

www.bmf.gv.at/Allgemeines/Flashmel-

dung/QAEuropischerStabil_13225/_start.

htm

23) John Weeks vom 18.1.2013, A Year to

Remember: 1933 Brings the New Deal, in

Social Europe Journal. http://www.social-

europe.eu/2013/01/a-year-to-remember-

1933-brings-the-new-deal/

a) Gefordert wird in diesem Zusammenhang

auch eine Beschleunigung der Arbeit an

den beiden Richtlinienvorschlägen über

Sanierung und Abwicklung von Kreditins-

tituten und Wertpapierfirmen sowie über

Einlagensicherungssysteme.

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Buchbesprechung

Zukunft öffentlicher Dienstleistungen

Auf dem Prüfstand

Geht es um die Zukunft öffentli-cher Dienstleistungen, sind in Eu-ropa derzeit zwei widerstreitende Entwicklungen anzutreffen: Befür-worterInnen eines neuerlichen Pri-vatisierungsschubs erhalten ins-besondere durch den verschärften Sparkurs Aufwind. Infolge der Krise 2008ff. werden Privatisierungserlöse als ein Hebel zur Konsolidierung öf-fentlicher Haushalte stilisiert. Unter scharfer Kritik standen hier zuletzt die Privatisierungs- auflagen der Troika an Griechenland und Portu-gal. Mittlerweile ist bereits vom „EU-Vorreiter Griechenland“ bei der Was-serprivatisierung die Rede.1 Dazu treten die fortgesetzten Bestrebun-gen der Europäischen Kommission, die Marktintegration der öffentli-chen Daseinsvorsorge zu vertiefen. Hier ordnet sich auch die gerade heftig debattierte Konzessionsricht-linie ein, die sich gegen eine „Ab-schottung der Märkte“ in Bereichen wie z.B. Wasserversorgung, Abfall-beseitigung oder im Gesundheits-wesen richtet. In Gegensatz dazu stehen hingegen die Schlüsse, die insbesondere Städte und Gemein-den aus negativen Privatisierungs-erfahrungen ziehen. So zeigt sich der Trend zur Rekommunalisierung etwa in Deutschland am stärks-

ten im Energiesektor, während sich im französischen Fall die Aufmerk-samkeit vor allem auf die Wasser-versorgung richtet. Auf öffentliche Versorgungssicherheit und -qualität setzen zudem Gegenbewegungen wie die europäische BürgerInnenin-itiative „Wasser und sanitäre Grund-versorgung sind ein Menschenrecht! Wasser ist ein öffentliches Gut und keine Handelsware“ (http://www.right2water.eu/). Sie hat mittlerwei-le die Schwelle von einer Million Un-terschriften übersprungen.

Inmitten dieser Auseinandersetzun-gen lohnt sich umso mehr die Lek-türe der Ergebnisse des Forschungs-projekts „Privatization of Public Services and the Impacts for Em-ployment, Working Conditions, and Service Quality in Europe“ (PIQUE), die nun in englischsprachiger Buch-form vorliegen. Denn darin stehen gerade auch die oft anzutreffende „win-win“-Rhetorik (wie z.B.: „Pri-vatisierung = weniger Kosten samt höherer Qualität“) und der „hap-py citizen-consumer by regulated market solutions“-Ansatz der Eu-ropäischen Kommission auf dem Prüfstand. Für das Buch bildet eine vergleichende Studie von sechs Län-dern (Deutschland, Großbritannien, Schweden, Belgien, Österreich und Polen) und vier Bereichen (Elektri-zität, öffentlicher Nahverkehr, Kran-kenhäuser und Postdienstleistun-gen) die Grundlage, die im Rahmen eines dreijährigen EU-Forschungs-projekts (2006-2009) durchgeführt wurde. Angesichts dieses reichhal-tigen Analysematerials reicht der

Bogen des Sammelbandes von ter-minologischen Klärungen über de-taillierte Vergleiche der Strategien, die Dienstleistungsanbieter im Zuge des neu geschaffenen Marktumfelds eingeschlagen haben bis zu den Re-orientierungen gewerkschaftlichen Protests. Die Herausgeber Christoph Hermann und Jörg Flecker streichen auch unmittelbar die aktuelle Re-levanz hervor: So hoffen sie nicht zuletzt darauf, dass dieses Buch Ge-werkschaften Argumente und Fak-ten in ihrem Auftreten gegen die Kürzungen bietet, die gegenwärtig im Namen von Austeritätsprogram-men an öffentlichen Dienstleistun-gen vorgenommen werden.

Als durchgängiges Argument ist der enge Zusammenhang anzutreffen, der zwischen der Qualität der Ar-beitsbeziehungen und Dienst-

„Privatization of Public Services. Impacts for Employment, Working Conditions, and Service Quality in Europe” zeigt auf, wozu europäische Privatisierungspolitiken bislang geführt haben. Oliver Prausmüller

Als umso nachteiliger hat sich eine Restruk­turierungsstrategie erwiesen, die auf einer Senkung der Lohnkosten und Beschäftigungs­abbau basiert.

Privatisation of Public Services. Impacts for Employ-ment, Working Conditions, and Service Quality in Europe. herausgegeben von Christoph Hermann und Jörg Flecker, Routledge (2012)

Zu den Herausgebern: Christoph Hermann ist Senior Researcher bei der Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt (FORBA) sowie Lehrbeauftragter am Institut für Staatswissenschaft an Universität Wien. Jörg Flecker ist wissenschaftlicher Leiter von FORBA und Universitäts-dozent für Wirtschaftssoziologie an der Universität Wien.

»

Buch-Tipp

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35 infobrief eu & international Ausgabe 1 | März 2013 wien.arbeiterkammer.at

Buchbesprechung

Unter dem steigenden Wett­bewerbsdruck haben nicht zuletzt die ver­bleibenden öffentlichen Betreiber begonnen, ihre Arbeitsbedingungen nach unten zu schrauben.

leistungsqualität besteht. Als umso nachteiliger hat sich die via Libe-ralisierungen und Privatisierungen lancierte Restrukturierungsstrate-gie erwiesen, die zum Großteil auf einer Senkung der Lohnkosten und Beschäftigungsabbau beruht. Unter dem steigenden Wettbewerbsdruck haben nicht zuletzt die verbleiben-

den öffentlichen Betreiber begonnen, ihre Arbeitsbedingungen nach unten zu schrauben – wie etwa durch eine Zweiteilung der Beschäftigten puncto Entlohnung und einer zunehmenden Aufspaltung in Kern- und Randbeleg-schaften. Die AutorInnen kritisieren auch, dass auf europäischer Ebene Regulierungen ausständig geblieben sind, die Unternehmen in liberali-sierten Dienstleistungsmärkten dazu verpflichten, in höhere Effizienz und Qualität zu investieren, anstatt die Löhne zu senken und auf atypische Beschäftigungsverhältnisse zu set-zen. Zugleich weist die aufgezeig-te Verwobenheit von Arbeits- und Dienstleistungsqualität die Richtung dafür, dass es noch mehr gemein-same Antworten von Beschäftigten- und NutzerInneninteressen auf die

Irrungen der europäischen Privatisie-rungspolitik braucht. Denn Arbeits-plätze und öffentliche Dienstleis-tungen von hoher Qualität – so die zentrale Botschaft des Buches – sind zwei Seiten einer Medaille.

Oliver Prausmüller n AK Wien

[email protected]

1) http://www.wienerzeitung.at/nachrichten/

europa/europastaaten/524717_Griechen-

land-wird-EU-Vorreiter-bei-Wasser-Privati-

sierung.html [14.2.2013]

»Nachlesen

Links zu den Ergebnissen der PIQUE-Studie: http://wien.arbeiterkammer.at/online/page.php?P=68&IP=47920 www.pique.at

wirtschaftspolitik– standpunkte

Meinung, Position, Überzeugung. Der digitale Newsletter der Ab-teilung Wirtschaftspolitik in der Wiener Arbeiterkammer behandelt Aspekte der Standortpolitik, des Wirtschaftsrechts, der Regulierung diverser Branchen und allgemeine wirtschaftspolitische Fragestellun-gen aus der Perspektive von ArbeitnehmerInnen. Wirtschaftspolitik-Standpunkte erscheint 4-mal Jährlich und wird per Email versandt.

Kostenlose Bestellung und alle Ausgaben nachlesen unter: http://wien.arbeiterkammer.at/wp-standpunkte

Wirtschaftspolitik – Standpunkte. 01 | 2011. seite 1 von 14

wirtschaftspolitik

– standpunkte 01|2011

impreSSum

Herausgeberin und MedieninHaberin:

Kammer für Arbeiter und Angestellte für Wien,

1040 Wien, Prinz Eugen Straße 20-22

redaktion: Maria Maltschnig und Susanne Wixforth

Layout und satz: Julia Kolda

VerLags- und HersteLLungsort: Wien

erscHeinungsweise: 4 mal jährlich

kostenLose besteLLung unter: http://wien.arbeiterkammer.at/newsletter

staatsscHuLdenkrise seite 02

roHstoffHandeL

seite 03

Der neue Selbstbedienungsmarkt

für SpekulantInnen?

nicHt scHon wieder 2008 seite 03

Rohstoffspekulationen feiern ein

unerwünschtes Comeback

finanzMarktreguLierung seite 04

Kann alles beim Alten bleiben?

europeans for financiaL reforM seite 06

Eine Zwischenbilanz

ak für priVatisierungsstopp seite 06

neue pauscHaLierungsVerordnung seite 07

Größere Agrarbetriebe werden

reich beschenkt!

ak studie

seite 08

Die Beschäftigungswirkung von Innovationen

VorLäufiges ende der seite 09

diskussion uM die steuerLicHe

förderung Von forscHung und

entwickLung

offenLegungspfLicHt Von seite 10

JaHresabscHLüssen

Theorie und gelebte Unternehmenspraxis

die neue reguLierungsbeHörde seite 11

für den stroM- und gasbereicH

LiberaLisierung der seite 12

postdienste Mit 1.1.2011

tanksteLLen

seite 13

Nur eine Preiserhöhung pro Tag erlaubt

inhaltWirtschaftspolitik – Standpunkte. Meinung, Position, Überzeugung. Was es

damit auf sich hat? Wir – das ist die Abteilung Wirtschaftspolitik in der Wie-

ner Arbeiterkammer – arbeiten an Aspekten der Standortpolitik, des Wirt-

schaftsrechts, der Regulierung diverser Branchen und an allgemeinen wirt-

schaftspolitischen Fragestellungen. Dabei verfolgen wir das Ziel, die Situation

der Beschäftigten zu verbessern und KonsumentInnenrechte durchzusetzen.

Das ist auch der Standpunkt, von dem aus wir uns dem wirtschaftspoliti-

schen Geschehen annähern und in dem Newsletter, dessen erste Ausga-

be Sie geradevor sich haben, davon berichten wollen. Wirtschaftspolitik –

Standpunkte wird in Zukunft am Ende jedes Quartals erscheinen und per

E-Mail versandt. Wer will, kann sich jederzeit auf der Homepage der Arbei-

terkammer Wien in den Verteiler aufnehmen lassen.

Eröffnet wird diese erste Ausgabe von Helene Schuberth, die in einem

Gastartikel den politischen Folgen der krisenbedingten Staatsverschuldung

nachgeht. Außerdem beschäftigen wir uns mit der wieder aufgeflammten

Debatte um Spekulationen auf Nahrungsmittel und Öl und der europäi-

schen Finanzmarktregulierung. Aufhorchen ließ die Wiener Börse, indem

sie eine neue große Privatisierungswelle forderte und gleich die passende

Studie dazu mitlieferte. Erwähnenswert fanden wir zudem die Umstruktu-

rierung der E-Control, die Bilanzoffenlegungsmoral der Unternehmen, die

vollständige Liberalisierung des Postmarktes, die jüngsten Entwicklungen

in der steuerlichen Forschungsförderung und einiges mehr.

In diesem Sinne freuen wir uns über unser Erstlingswerk und auf die vielen

Ausgaben, die noch folgen werden. Die Redaktion

editorial

Wirtschaftspolitik – Standpunkte. 02 | 2011. seite 1 von 14

wirtschaftspolitik

– standpunkte 02|2011

impreSSum

Herausgeberin und MedieninHaberin:

Kammer für Arbeiter und Angestellte für Wien,

1040 Wien, Prinz Eugen Straße 20-22

redaktion: Maria Maltschnig und Susanne Wixforth

Layout und satz: Julia Kolda

VerLags- und HersteLLungsort: Wien

erscHeinungsweise: 4 mal jährlich

kostenLose besteLLung unter: http://wien.arbeiterkammer.at/newsletter

MeHr wettbewerb iM seite 02

gLobaLen Finanzsektor?

Hat der eurorauM eine zukunFt? seite 04

europa

seite 06

– FalSch VerStanden

der auFscHwung koMMt seite 07

(zunäcHst) nur oben an

priVatisierungen seite 08

ein VerluStgeSchäFt

ideoLogieFrei? seite 09

ak studie:

seite 10

agrareinKOMMen in ÖSterreich und

in der eurOPäiSchen uniOn

der nacHHaLtigkeitsscHMäH seite 12

Mit den grünen arbeitspLätzen

ÖkostroMgesetz neu seite 14

nur Mit den KOnSuMentinnen

und nicht gegen Sie

niederLassungsFreiHeit seite 15

der unterneHMen:

eu-KOMMiSSiOn Will einheit VOn SatzungS-

und VerWaltungSSitz KiPPen

bucHbesprecHung: seite 17

POStWachStuMSgeSellSchaFt

– KOnzePte Für die zuKunFt

inhaltDie Managergehälter befinden sich wieder auf dem Vorkrisenniveau, während

die Beschäftigten der österreichischen Leitbetriebe nichts vom Aufschwung

spüren. Wie es um die Zukunft des Euro steht, wird heftig diskutiert. Die

Wirtschaftskrise mutierte zur Krise der öffentlichen Haushalte – ein willkom-

mener Anlass für manche, eine neue Privatisierungswelle zu fordern.

Nach der Krise ist vor der Krise – Der Eindruck verfestigt sich, wenn man

die aktuelle wirtschaftspolitische Debatte verfolgt. Dieser Umstand muss sich

ändern, wenn es nach den AutorInnen dieser Ausgabe geht, die auch gleich

konkrete Lösungen mitliefern. „Too big to fail“ muss Geschichte sein. Das

meint etwa EBRD-Direktor Kurt Bayer in seinem Gastartikel. Er fordert eine

merkliche Verkleinerung des Finanzsektors und einen Mechanismus, mit des-

sen Hilfe marode Banken abgewickelt werden können, ohne die Realwirt-

schaft zu gefährden. Nachdrücklich eingefordert wird von den AutorInnen

auch die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen. Sie sollen Ge-

winne investieren, Arbeitsplätze sichern und ausbauen. Dass die Interessen

der GesellschafterInnen von Unternehmen ultimativen Vorrang haben, ist ein

gescheitertes Paradigma. Ebenso die Privatisierung von öffentlichem Eigentum,

die zur Budgetsanierung völlig ungeeignet ist und die Versorgungssicherheit

der Bevölkerung gefährdet.

Brisant ist auch die momentane Auseinandersetzung um die Energie- und Um-

weltpolitik. Bei den Verhandlungen um das neue Ökostromgesetz wurden die

Interessensgegensätze der Beteiligten besonders offensichtlich. Und was hat

es eigentlich mit den „Green Jobs“ auf sich?

Eine spannende Lektüre wünscht Die Redaktion

editorial

Wirtschaftspolitik – Standpunkte. 03 | 2011. seite 1 von 24

wirtschaftspolitik– standpunkte 03|2011

impreSSum

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poLarisierung der seite 02

einkoMMensVerteiLung

StruKturelle urSache der KriSe

ezb iM dienste der banken, seite 03

nicHt der staaten

neue europäiscHe seite 06

FinanzarcHitektur – eine GleichunG Mit

noch (zu) vielen unbeKannten?

eins und eins ist zwei seite 08

die wäHrungsunion ist seite 09

reForMiert – iSt Sie daS?

reguLierung der FinanzMärkte seite 11

in den usa und der eu – alleS paletti?

oecd LänderprüFbericHt seite 13

ÖsterreicH – eine KritiSche WürdiGunG

nacHHaLtig wirtscHaFten, seite 14

aber wie?

ÖkostroMgesetz 2012 seite 16

die neue energieeFFizienzricHtLinie seite 17

ein vorSchlaG der eu KoMMiSSion

die scHeinaLternatiVe seite 19

„biokraFtstoFFe“

bescHäFtigt in der seite 21

ForscHung(sabteiLung) eines

unterneHMens – ein beneidenSWerter Job?

eu-grünbucH zu corporate seite 22

goVernance – aK fordert verbindlichen

MaSSnahMenKataloG

das neue seite 23

teLekoMMunikationsgesetz

inhalt

Die Finanz-, Wirtschafts-, Schulden-, Umwelt-, Arbeitsmarkt- bzw die globale

Krise beschäftigt uns nach wie vor. Und es scheint der Politik nicht zu gelin-

gen, Europa in einem absehbaren Zeitraum aus dieser multiplen Krise heraus

zu führen. Folgt man den AutorInnen dieser Ausgabe von Wirtschaftspolitik-

Standpunkte, liegt das an verfehlten Konzepten und – vor allem bei der Neu-

ordnung der Finanzmärkte und der Stabilisierung des Euro – an mangelnder

Ambition. Der Ökonom Engelbert Stockhammer belegt, dass die gestiegene

Ungleichverteilung von Einkommen und Vermögen ursächlich für die Krise

verantwortlich war und eine ausgewogene Verteilung nicht Luxus sondern

Voraussetzung für ein stabiles Wachstumsregime ist. Andere AutorInnen wid-

men sich den aktuellen Maßnahmen zur Stabilisierung des Euro, dem OECD

Länderbericht und der Debatte um nachhaltiges Wirtschaften.

Auch in spezifischeren Politikbereichen hat sich einiges getan. Nach langem

hin und her wurde die Novelle des Ökostromgesetzes auf Schiene gebracht

und ein neues Telekommunikationsgesetz im Ministerrat verabschiedet. Die

Europäische Kommission legte ein Grünbuch zur Corporate Governance vor,

das sich vor allem um die Interessen der AktionärInnen dreht. Was die AK

Wien von all dem hält und was uns die Beschäftigten im Forschungsbereich

über ihre Arbeitszufriedenheit mitgeteilt haben, erfahren Sie hier.

Eine aufschlussreiche Lektüre wünschtDie Redaktion

editorial

Wirtschaftspolitik – Standpunkte. 04 | 2011. seite 1 von 15

wirtschaftspolitik– standpunkte 04|2011

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scHuLdenbreMse in der Verfassung seite 02

BudgetpolitiSche SpielräuMe Schaffen

Statt auSBreMSen!

„wage Moderation“ seite 04

die lohnpolitiSche oBSeSSion der eu

die wirkungsweise steuerLicHer seite 06

forscHungsförderung

Mifid und Mad seite 08

SynonyMe für den auSWeg auS der

finanzKriSe?

eu-urHeberrecHt seite 09

SchutzfriSten für MuSiKaufnahMen nun

doch verlängert

diVersität Muss pfLicHt sein! seite 11

scHutz Vor ÜbernaHMen fÜr seite 12

unterneHMen der sicHerHeits- und

daseinsVorsorge

waruM gut Verdienende seite 13

Landwirte/innen keine

einkoMMensteuer zaHLen

die scHweLLenwerteVerordnung seite 14

vergaBerecht alS vehiKel zur

KonJunKturanKurBelung

inhalt

Die Eskalation der Krise der Eurozone ist mittlerweile in Österreich an-

gelangt. Weil Moody’s Österreich und Standard & Poor’s der gesamten Eu-

rozone mit einem Downrating drohte, beschloss der Nationalrat mit den

Stimmen der Regierungsparteien eine Schuldenbremse einzuführen, die ein

strukturelles Defizit vorsieht. Warum wir finden, dass dieses Instrument

nicht geeignet ist, den Euro zu retten und wirtschaftspolitisch ein schwerer

Fehler ist, beschreibt Georg Feigl in seinem Artikel. Johannes Schweighofer

argumentiert, dass die Überschussländer in der EU schleunigst angemesse-

ne Lohnabschlüsse brauchen, die sich an der Benya-Formel orientieren. Er

skizziert, welche Fehler dahingehend in der Europäischen Debatte began-

gen werden. Um die Krisenanfälligkeit des Wirtschaftssystems in Zukunft

einzudämmen ist eine merkbare Kontrolle der Finanzmärkte unerlässlich.

Aktuelle Richtlinienvorschläge der Europäischen Kommission geben wenig

Hoffnung, dass dies passieren wird, argumentieren Susanne Wixforth und

Judith Vorbach.

Auch strukturpolitisch hat sich in den letzten Monaten wieder einiges getan:

Ein Rechtsgutachten für die Arbeiterkammer Wien bestätigt die Verfassungs-

widrigkeit der umfassenden Vollpauschalierung von Agrarbetrieben, Über-

nahmen von Versorgungsunternehmen wurden erschwert und die Debatte

um Frauenquoten in Aufsichtsräten kam ein – wenn auch kleines – Stück

voran. Besonders ans Herz legen möchten wir Ihnen den Artikel von Andre-

as Schibany, der eindrucksvoll argumentiert, warum die jetzige Ausgestaltung

der steuerlichen Forschungsförderung alles andere als zielführend ist.

Eine spannende Lektüre und erholsame Feiertage wünscht

Die Redaktion

editorial

Wirtschaftspolitik – Standpunkte. 01 | 2012. seite 1 von 16

wirtschaftspolitik– standpunkte 01|2012

impreSSum | Offenlegung gem § 25 medieng

Herausgeberin und MedieninHaberin:

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bLattLinie: Die Meinungen der AutorInnen.

inhalt

Alles dreht sich ums Sparen, zumindest wenn man den wirtschaftspolitischen

Diskurs der vergangenen Monate verfolgt. Somit kommen auch wir nicht umhin,

in dieser Ausgabe wieder einen besonderen Fokus auf die Folgen der Schul-

denhysterie zu legen. Christa Schlager nimmt das Österreichische Konsolidie-

rungspaket unter die Lupe und liefert gleich Prognosen über die gesamtwirt-

schaftlichen Auswirkungen desselben mit. Markus Marterbauer warnt vor der

EU-weiten Schrumpfkur im öffentlichen Sektor, die ein „verlorenes Jahrzehnt“

mit sich bringen könnte und hält ein Plädoyer für den sozialen Fortschritt. Dass

Österreich bei seiner Schuldenbremse ausgerechnet das deutsche Modell als

Vorbild nimmt, sorgt für Kopfschütteln bei dem Düsseldorfer Ökonom Achim

Truger, der in einem Gastartikel die ausgeprägten Schwächen dieses Korsetts

eindrucksvoll darlegt.

Auf EU Ebene tat sich auch abseits des Spar-Wahns einiges. Die Macht der

Ratingagenturen soll zurückgedrängt werden, es gibt neue Vergaberichtlinien

und die Art und Weise wie das Spanungsfeld zwischen Daseinsvorsorge und

Beihilfenrecht gesehen wird, hat sich verändert. Außerdem ist das Match um das

umstrittene „Anti-Piraterie-Abkommen“ ACTA noch lange nicht entschieden.

Wer sich in letzter Zeit in Wien um Mietwohnungen umgeschaut hat, dem ist

die Lust auf einen Umzug ob der massiv gestiegenen Preise gründlich vergangen.

Die ImmobilienbesitzerInnen schieben die Schuld auf hohe Gebühren, die AK

kommt zu einem anderen Schluss: Es sind schlicht und einfach die Nettomieten,

die die Wohnungskosten in die Höhe treiben, wie eine kürzlich erschienene

Studie belegt. Nach wie vor trist schaut es in den Führungsetagen der großen

Unternehmen für Frauen aus. Die Versprechungen seitens der Industrie sich

um einen höheren Frauenanteil im Management zu bemühen, sind offensichtlich

reine Lippenbekenntnisse. Wir fordern deshalb:

Her mit der Quote!Die Redaktion

editOrial

Wirtschaftspolitik

wie ÖsterreicH spart seite 02

soziaLer FortscHritt statt seite 04

deMontage des soziaLstaates

KoMMentar von MarKuS Marterbauer

die deutscHe scHuLdenbreMse seite 05

ein leuchtendeS vorbild für ÖSterreich und

europa?

brandpunkt ratingagenturen seite 07

iM europäiSchen parlaMent beginnt die

heiSSe phaSe

strukturpolitik

ak Frauen. seite 08

ManageMent.report 2012

frauen Sind SoWohl in den vorStänden alS

auch in den aufSichtSräten Weiterhin die

auSnahMe

neue straFbestiMMungen seite 09

zeigen wirkung

90% der groSSen KapitalgeSellSchaften

haben 2011 friStgerecht den JahreSabSchluSS

offengelegt

acta seite 10

uMStritteneS antipiraterie-abKoMMen Mit

folgen?

priVatMieten steigen doppeLt so seite 12

stark wie einkoMMen und inFLation

wie VieL beiHiLFenrecHt seite 13

Verträgt die daseinsVorsorge?

reVision der eu-VergaberegeLn seite 15

Page 36: Transparenz in der EU 10 infobrief - Arbeiterkammer · 3 infobrief eu & international Ausgabe 1 | März 2013 wien.arbeiterkammer.at der Eurozone in den Folgejahren ge - bremst worden,

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Impressum: Herausgeber und Medieninhaber: Kammer fü

r Arbeiter und Angestellte für Wien, 1040 Wien, Prinz Eugen Strasse 20-22 •

Redaktion: Elisabeth Beer, Éva Dessewffy, Lukas Oberndorfer, Ir

is Strutzm

ann Norbert Templ, Valentin Wedl • K

ontakt:

Lukas Oberndorfer ([email protected]) L

ayout und Satz: Julia Stern • V

erlags- und Herstellungsort: Wien •

Erscheinungsweise: zweimonatlich

• Kostenlose Bestellung unter: h

ttp://wien.arbeiterkammer.at/euinfobrief

Editorial

Liebe Leserin! Lieber Le

ser!

Vor Ihnen liegt doppelt Neues.

Durch professionelles La

yout

erscheinen wir in

neuem Gewand.

Auch inhaltlich haben wir uns

bemüht, die internationalen Brenn-

punkte durch neue Formate besser

zu fokussieren: La

ngbeiträge als

Raum für grundlegende Analysen.

Damit starten Markus Marterbauer

und Lukas Oberndorfer. Ersterer

zeigt auf, dass simultanes Kon-

solidieren die EU in den nächsten

Abschwung führen könnte. Zweiterer

setzt sich mit dem Monti-B

ericht –

dem Versuch eines neuen Konsenses

für eine angebotseitige Binnen-

marktpolitik – auseinander. Produk-

tion von Konsens und Dissens darin

spielen Bücher eine wichtige Rolle.

Daher eröffnen wir mit zw

ei Rezensi-

onen eine neue Rubrik: Die Buchbe-

sprechung. Die bekannten Stärken

unserer Zeitschrift b

leiben erhal-

ten: aktuelle Themen informativ &

prägnant aufbereitet. Das ze

igen

Elisabeth Beer, Norbert Templ, Ir

is

Strutzmann, Walter Sauer & Susan

Leather mit ihren Beiträgen zu

Investitionssch

utzabkommen,

Wachstumshindernissen, Handels-

politik (EU – Kanada) und HIV/Aids.

Ebenso setzt Claudia Schürz u

nseren

China-Schwerpunkt fort. Diesmal:

WanderarbeiterInnen.

Ihr AK Redaktionsteam

Seit Beginn der Finanz- und Wirts

chaftskrise ist es

der EU gelungen, durch pragmatische Notfallmaßnahmen das

Banken system, die Konjunktur und den Markt für Staatsschuld-

verschreibungen zu sta

bilisieren, jedoch sin

d die grundlegenden

Probleme nicht bewältigt.

Europas Wirtsc

haft

An einer entscheidenden

Weggabelung

Die weitere Konjunkturentwicklung

hängt davon ab, ob die von Asien

ausgehenden Auftriebskräfte oder

die Dämpfung durch die simultane

Budgetkonsolidierung in der EU stär-

ker wirken. Die Bewältigung der ho-

hen Staatsschulden bleibt ein zent-

rales Thema, für dessen Bewältigung

unkonventionelle Ansätze notwendig

sind.

EU-Wirtschaftspolitik

schafft

Stabilisierung n Die wirtschaftlic

he

Krise hat in der Europäisch

en Uni-

on in den letzten Wochen ihr dritte

s

Stadium erreicht:

n Die Krise

ging zunächst in den

Jahren 2007 und 2008 von den

Finanzmärkten und Banken aus,

das weltweite Finanzsystem ge-

riet mehrmals an den Rand des

Zusammenbruchs.

n Dadurch wurde von Mitte 2008

bis Mitte 2009 ein tiefer Einbruch

der Realwirtschaft a

usgelöst. Das

Bruttoinlandsprodukt ging 2009

real um 4,2% zurück, die saison-

bereinigte Zahl der Arbeitslosen

stieg vom Tiefsta

nd im Frühjahr

2008 bis Mai 2010 von 16 Mio auf

23 Mio.

n Als Folge des durch den finanz-

und realwirtschaftlic

hen Einbruch

entstandenen Ausfalls

an Steu-

ereinnahmen und der zusätzli-

chen Staatsausgaben entwickelte

sich ab dem Frühjahr 2010 eine

Staatsschuldenkrise

.

Die EU-Politik hat die Krise

nzeichen

in allen drei Stadien spät erkannt,

sie hat – bedingt durch langwierige

Entscheidungsprozesse, vor allem

aber geprägt durch ein neoliberales

Weltbild, das den Märkten Effizienz

zuspricht und sta

atliche Eingriffe

für

falsch hält – mit Zögern und Zaudern

reagiert. Dennoch ist

es schließlich

in jedem Stadium der Krise gelun-

gen, durch Notfallmaßnahmen eine

Stabilisierung zu erreichen:

Europas Wirtsc

haft

1

Die faktische Macht

multinationaler Unternehmen 6

Wachstumshemmnisse

9

Analyse des Monti-Berich

ts 10

EU-Kanada Abkommen

15

China – Illegale im eigenen Land 17

HIV/Aids

18

Kritik des Kapitalism

us

20

Die europäische Chance

21

eu& international

infobriefAusgabe 3 | Ju

ni 2010

Aus dem Inhalt

Impressum: Herausgeber und Medieninhaber: Kammer für Arbeiter und Angestellte für Wien, 1040 Wien, Prinz Eugen Strasse 20-22 •

Redaktion: Elisabeth Beer, Éva Dessewffy, Lukas Oberndorfer, Iris Strutzmann Norbert Templ, Valentin Wedl • Kontakt:

Lukas Oberndorfer ([email protected]) Layout und Satz: Julia Stern • Verlags- und Herstellungsort: Wien •

Erscheinungsweise: zweimonatlich • Kostenlose Bestellung unter: http://wien.arbeiterkammer.at/euinfobrief

Editorial

Liebe Leserin! Lieber Leser!

Vor Ihnen liegt doppelt Neues.

Durch professionelles Layout

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Auch inhaltlich haben wir uns

bemüht, die internationalen Brenn-

punkte durch neue Formate besser

zu fokussieren: Langbeiträge als

Raum für grundlegende Analysen.

Damit starten Markus Marterbauer

und Lukas Oberndorfer. Ersterer

zeigt auf, dass simultanes Kon-

solidieren die EU in den nächsten

Abschwung führen könnte. Zweiterer

setzt sich mit dem Monti-Bericht –

dem Versuch eines neuen Konsenses

für eine angebotseitige Binnen-

marktpolitik – auseinander. Produk-

tion von Konsens und Dissens darin

spielen Bücher eine wichtige Rolle.

Daher eröffnen wir mit zwei Rezensi-

onen eine neue Rubrik: Die Buchbe-

sprechung. Die bekannten Stärken

unserer Zeitschrift bleiben erhal-

ten: aktuelle Themen informativ &

prägnant aufbereitet. Das zeigen

Elisabeth Beer, Norbert Templ, Iris

Strutzmann, Walter Sauer & Susan

Leather mit ihren Beiträgen zu

Investitionsschutzabkommen,

Wachstumshindernissen, Handels-

politik (EU – Kanada) und HIV/Aids.

Ebenso setzt Claudia Schürz unseren

China-Schwerpunkt fort. Diesmal:

WanderarbeiterInnen.

Ihr AK Redaktionsteam

Seit Beginn der Finanz- und Wirtschaftskrise ist es

der EU gelungen, durch pragmatische Notfallmaßnahmen das

Banken system, die Konjunktur und den Markt für Staatsschuld-

verschreibungen zu stabilisieren, jedoch sind die grundlegenden

Probleme nicht bewältigt.

Europas Wirtschaft

An einer entscheidenden

Weggabelung

Die weitere Konjunkturentwicklung

hängt davon ab, ob die von Asien

ausgehenden Auftriebskräfte oder

die Dämpfung durch die simultane

Budgetkonsolidierung in der EU stär-

ker wirken. Die Bewältigung der ho-

hen Staatsschulden bleibt ein zent-

rales Thema, für dessen Bewältigung

unkonventionelle Ansätze notwendig

sind.

EU-Wirtschaftspolitik schafft

Stabilisierung n Die wirtschaftliche

Krise hat in der Europäischen Uni-

on in den letzten Wochen ihr drittes

Stadium erreicht:

n Die Krise ging zunächst in den

Jahren 2007 und 2008 von den

Finanzmärkten und Banken aus,

das weltweite Finanzsystem ge-

riet mehrmals an den Rand des

Zusammenbruchs.

n Dadurch wurde von Mitte 2008

bis Mitte 2009 ein tiefer Einbruch

der Realwirtschaft ausgelöst. Das

Bruttoinlandsprodukt ging 2009

real um 4,2% zurück, die saison-

bereinigte Zahl der Arbeitslosen

stieg vom Tiefstand im Frühjahr

2008 bis Mai 2010 von 16 Mio auf

23 Mio.

n Als Folge des durch den finanz-

und realwirtschaftlichen Einbruch

entstandenen Ausfalls an Steu-

ereinnahmen und der zusätzli-

chen Staatsausgaben entwickelte

sich ab dem Frühjahr 2010 eine

Staatsschuldenkrise.

Die EU-Politik hat die Krisenzeichen

in allen drei Stadien spät erkannt,

sie hat – bedingt durch langwierige

Entscheidungsprozesse, vor allem

aber geprägt durch ein neoliberales

Weltbild, das den Märkten Effizienz

zuspricht und staatliche Eingriffe für

falsch hält – mit Zögern und Zaudern

reagiert. Dennoch ist es schließlich

in jedem Stadium der Krise gelun-

gen, durch Notfallmaßnahmen eine

Stabilisierung zu erreichen:

Europas Wirtschaft 1

Die faktische Macht

multinationaler Unternehmen 6

Wachstumshemmnisse 9

Analyse des Monti-Berichts 10

EU-Kanada Abkommen 15

China – Illegale im eigenen Land 17

HIV/Aids

18

Kritik des Kapitalismus 20

Die europäische Chance 21

eu& international

infobrief

Ausgabe 3 | Juni 2010

Aus dem Inhalt

Impressum: Herausgeber und Medieninhaber: Kammer für Arbeiter und Angestellte für Wien, 1040 Wien, Prinz Eugen Strasse 20-22 • Redaktion: Elisabeth Beer, Éva Dessewffy, Lukas Oberndorfer, Iris Strutzmann Norbert Templ, Valentin Wedl • Kontakt: Lukas Oberndorfer ([email protected]) Layout und Satz: Julia Stern • Verlags- und Herstellungsort: Wien • Erscheinungsweise: zweimonatlich • Kostenlose Bestellung unter: http://wien.arbeiterkammer.at/euinfobrief

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und Lukas Oberndorfer. Ersterer zeigt auf, dass simultanes Kon-

solidieren die EU in den nächsten Abschwung führen könnte. Zweiterer

setzt sich mit dem Monti-Bericht – dem Versuch eines neuen Konsenses

für eine angebotseitige Binnen-marktpolitik – auseinander. Produk-tion von Konsens und Dissens darin spielen Bücher eine wichtige Rolle.

Daher eröffnen wir mit zwei Rezensi-onen eine neue Rubrik: Die Buchbe-

sprechung. Die bekannten Stärken unserer Zeitschrift bleiben erhal-

ten: aktuelle Themen informativ & prägnant aufbereitet. Das zeigen

Elisabeth Beer, Norbert Templ, Iris Strutzmann, Walter Sauer & Susan

Leather mit ihren Beiträgen zu Investitionsschutzabkommen,

Wachstumshindernissen, Handels-politik (EU – Kanada) und HIV/Aids.

Ebenso setzt Claudia Schürz unseren China-Schwerpunkt fort. Diesmal:

WanderarbeiterInnen.

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Seit Beginn der Finanz- und Wirtschaftskrise ist es der EU gelungen, durch pragmatische Notfallmaßnahmen das Banken system, die Konjunktur und den Markt für Staatsschuld-verschreibungen zu stabilisieren, jedoch sind die grundlegenden Probleme nicht bewältigt.

Europas Wirtschaft

An einer entscheidenden Weggabelung

Die weitere Konjunkturentwicklung hängt davon ab, ob die von Asien ausgehenden Auftriebskräfte oder die Dämpfung durch die simultane Budgetkonsolidierung in der EU stär-ker wirken. Die Bewältigung der ho-hen Staatsschulden bleibt ein zent-rales Thema, für dessen Bewältigung unkonventionelle Ansätze notwendig sind.

EU-Wirtschaftspolitik schafft Stabilisierung n Die wirtschaftliche Krise hat in der Europäischen Uni-on in den letzten Wochen ihr drittes Stadium erreicht: n Die Krise ging zunächst in den

Jahren 2007 und 2008 von den Finanzmärkten und Banken aus, das weltweite Finanzsystem ge-riet mehrmals an den Rand des Zusammenbruchs.

n Dadurch wurde von Mitte 2008 bis Mitte 2009 ein tiefer Einbruch der Realwirtschaft ausgelöst. Das

Bruttoinlandsprodukt ging 2009 real um 4,2% zurück, die saison-bereinigte Zahl der Arbeitslosen stieg vom Tiefstand im Frühjahr 2008 bis Mai 2010 von 16 Mio auf 23 Mio.

n Als Folge des durch den finanz- und realwirtschaftlichen Einbruch entstandenen Ausfalls an Steu-ereinnahmen und der zusätzli-chen Staatsausgaben entwickelte sich ab dem Frühjahr 2010 eine Staatsschuldenkrise.

Die EU-Politik hat die Krisenzeichen in allen drei Stadien spät erkannt, sie hat – bedingt durch langwierige Entscheidungsprozesse, vor allem aber geprägt durch ein neoliberales Weltbild, das den Märkten Effizienz zuspricht und staatliche Eingriffe für falsch hält – mit Zögern und Zaudern reagiert. Dennoch ist es schließlich in jedem Stadium der Krise gelun-gen, durch Notfallmaßnahmen eine Stabilisierung zu erreichen:

Europas Wirtschaft 1Die faktische Macht multinationaler Unternehmen 6 Wachstumshemmnisse 9Analyse des Monti-Berichts 10EU-Kanada Abkommen 15China – Illegale im eigenen Land 17HIV/Aids 18Kritik des Kapitalismus 20Die europäische Chance 21

eu& internationalinfobrief

Ausgabe 3 | Juni 2010

Aus dem Inhalt

Impressum: Herausgeber und Medieninhaber: Kammer für Arbeiter und Angestellte für Wien, 1040 Wien, Prinz Eugen Strasse 20-22 •

Redaktion: Elisabeth Beer, Éva Dessewffy, Lukas Oberndorfer, Iris Strutzmann Norbert Templ, Valentin Wedl • Kontakt:

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EditorialLiebe Leserin! Lieber Leser!Vor Ihnen liegt doppelt Neues.

Durch professionelles Layout

erscheinen wir in neuem Gewand. Auch inhaltlich haben wir uns

bemüht, die internationalen Brenn-

punkte durch neue Formate besser zu fokussieren: Langbeiträge als

Raum für grundlegende Analysen.

Damit starten Markus Marterbauer und Lukas Oberndorfer. Ersterer zeigt auf, dass simultanes Kon-

solidieren die EU in den nächsten

Abschwung führen könnte. Zweiterer

setzt sich mit dem Monti-Bericht –

dem Versuch eines neuen Konsenses für eine angebotseitige Binnen-

marktpolitik – auseinander. Produk-

tion von Konsens und Dissens darin

spielen Bücher eine wichtige Rolle.

Daher eröffnen wir mit zwei Rezensi-

onen eine neue Rubrik: Die Buchbe-

sprechung. Die bekannten Stärken unserer Zeitschrift bleiben erhal-

ten: aktuelle Themen informativ & prägnant aufbereitet. Das zeigen

Elisabeth Beer, Norbert Templ, Iris

Strutzmann, Walter Sauer & Susan Leather mit ihren Beiträgen zu Investitionsschutzabkommen,

Wachstumshindernissen, Handels-

politik (EU – Kanada) und HIV/Aids.

Ebenso setzt Claudia Schürz unseren

China-Schwerpunkt fort. Diesmal: WanderarbeiterInnen. Ihr AK Redaktionsteam

Seit Beginn der Finanz- und Wirtschaftskrise ist es

der EU gelungen, durch pragmatische Notfallmaßnahmen das

Banken system, die Konjunktur und den Markt für Staatsschuld-

verschreibungen zu stabilisieren, jedoch sind die grundlegenden

Probleme nicht bewältigt.

Europas Wirtschaft

An einer entscheidenden Weggabelung

Die weitere Konjunkturentwicklung

hängt davon ab, ob die von Asien

ausgehenden Auftriebskräfte oder

die Dämpfung durch die simultane

Budgetkonsolidierung in der EU stär-

ker wirken. Die Bewältigung der ho-

hen Staatsschulden bleibt ein zent-

rales Thema, für dessen Bewältigung

unkonventionelle Ansätze notwendig

sind.

EU-Wirtschaftspolitik schafft

Stabilisierung n Die wirtschaftliche

Krise hat in der Europäischen Uni-

on in den letzten Wochen ihr drittes

Stadium erreicht: n Die Krise ging zunächst in den

Jahren 2007 und 2008 von den

Finanzmärkten und Banken aus,

das weltweite Finanzsystem ge-

riet mehrmals an den Rand des

Zusammenbruchs.n Dadurch wurde von Mitte 2008

bis Mitte 2009 ein tiefer Einbruch

der Realwirtschaft ausgelöst. Das

Bruttoinlandsprodukt ging 2009

real um 4,2% zurück, die saison-

bereinigte Zahl der Arbeitslosen

stieg vom Tiefstand im Frühjahr

2008 bis Mai 2010 von 16 Mio auf

23 Mio.

n Als Folge des durch den finanz-

und realwirtschaftlichen Einbruch

entstandenen Ausfalls an Steu-

ereinnahmen und der zusätzli-

chen Staatsausgaben entwickelte

sich ab dem Frühjahr 2010 eine

Staatsschuldenkrise.Die EU-Politik hat die Krisenzeichen

in allen drei Stadien spät erkannt,

sie hat – bedingt durch langwierige

Entscheidungsprozesse, vor allem

aber geprägt durch ein neoliberales

Weltbild, das den Märkten Effizienz

zuspricht und staatliche Eingriffe für

falsch hält – mit Zögern und Zaudern

reagiert. Dennoch ist es schließlich

in jedem Stadium der Krise gelun-

gen, durch Notfallmaßnahmen eine

Stabilisierung zu erreichen:

Europas Wirtschaft 1

Die faktische Macht multinationaler Unternehmen 6

Wachstumshemmnisse 9

Analyse des Monti-Berichts 10

EU-Kanada Abkommen 15

China – Illegale im eigenen Land 17

HIV/Aids

18

Kritik des Kapitalismus 20

Die europäische Chance 21

eu& international

infobrief

Ausgabe 3 | Juni 2010

Aus dem Inhalt

Imp ressum: Herausgeber und Medieninhaber: Kammer für Arbeiter und Angestellte für Wien, 1040 Wien, Prinz Eugen Strasse 20-22 •

Redaktion: Elisabeth Beer, Éva Dessewffy, Lukas Oberndorfer, Oliver Prausmüller, Norbert Templ, Alice Wagner, Valentin Wedl • Kontakt:

Lukas Oberndorfer, Norbert Templ, Alice Wagner • Layout und Satz: Julia Stern • Verlags- und Herstellungsort: Wien • Erschei-

nungsweise: 5 mal jährlich • Kostenlose Bestellung unter: http://wien.arbeiterkammer.at/euinfobrief

EditorialLiebe Leserin! Lieber Leser!

Noch einmal vor der Sommer pause

widmen wir uns den aktuellen

Brennpunkten der europäischen

Politik: P. Eberhardt skizziert die

Einflussnahme der Wirtschafts-

lobbys auf die Verhandlung des

EU-Indien Freihandelsabkommens.

L. Oberndorfer, N. Templ und C.

Schlager greifen in ihren Analysen

noch einmal neue Aspekte des viel

diskutierten Economic Government-

Pakets auf, ergänzt um einen

kritischen Blick auf die Austeri-

tätsprogramme quer durch Europa

(G. Feigl), auf die sprunghaften

Preisanstiege an den Rohstoffbör-

sen (M. Maltschnig) sowie Aktuel-

lem zur Finanztransaktionssteuer

(V. Wedl). Das Ende der ungari-

schen EU Präsidentschaft nimmt

K. Lachmayer zum Anlass einen

genaueren Blick über die Grenze zu

werfen und analysiert die aktuellen

Verfassungsreformen in unserem

Nachbarland. Weitere Themen der

Ausgabe sind die Reformvorhaben

im EU-Vergaberecht (S. Wixforth),

die Strategie zur legalen Zuwande-

rung in die Union (C. Cesnovar) so-

wie die revidierten OECD-Leitsätze

für multinationale Unternehmen (E.

Beer). Abgerundet mit Buch- und

Veranstaltungstipps wünschen wir

eine anregende Lektüre im Juni.Ihr AK Redaktionsteam

Seit 2007 verhandeln Indien und die EU ein weit reichendes

Freihandelsabkommen. Es umfasst alle relevanten Wirtschafts-

bereiche – von Industrie, Landwirtschaft und Dienstleistungssekto-

ren bis hin zu Patenten, der öffentlichen Auftragsvergabe und der

Ausbeutung von Rohstoffen. Demnächst sollen die Gespräche abge-

schlossen werden. Dabei weiß in Europa und Indien kaum jemand

etwas darüber. Nur Konzerne und ihre Lobbyverbände sind bestens

in die Verhandlungen eingebunden.

Pia Eberhardt

In den Freihandelsverhandlungen mit Indien

arbeiten EU-Kommission, Mitgliedstaaten und

Konzernlobbies eng zusammen

Feindliche ÜbernahmeDie bruchstückhaften Informationen

über die Verhandlungen, die bisher

an die Öffentlichkeit gesickert sind,

haben soziale Bewegungen, Ge-

werkschaften, Entwicklungs-, Frau-

en- und Gesundheitsorganisationen

alarmiert. Sie befürchten, dass das

EU-Indien Freihandelsabkommen

Armut, soziale Ungleichheit und den

ökologischen Raubbau in Indien ver-

schärfen wird. Auch Arbeitsrechte

und der Zugang zu Medikamenten

seien durch das Abkommen bedroht,

und zwar nicht nur in Indien, son-

dern weltweit. Wiederholt haben da-

her hunderte zivilgesellschaftliche

Organisationen aus Europa und In-

dien zu einem sofortigen Stopp der

Verhandlungen aufgerufen.1

Ganz anders die europäischen Kon-

zerne und ihre Verbände: Für Busi-

nessEurope, den europäischen

Arbeitgeberverband, ist das EU-Indi-

en-Freihandelsabkommen das wich-

tigste, das die EU derzeit verhandelt.

Ihm gehen die Gespräche zwar nicht

schnell genug, aber der Verband

ist hochzufrieden mit der Verhand-

lungsführung der EU-Kommission.

Und mit ihrer Informationspolitik.

Kein Wunder.Symbiose zwischen Kommission

und Wirtschaft n Schon Monate

vor Beginn der offiziellen Gespräche

mit Indien begann die EU-Kommis-

sion, die europäische Wirtschaft zu

konsultieren. In einem detaillierten

Fragebogen wurde sie zu Proble-

men beim Export von Gütern und

Dienstleistungen, bei Filialeröffnun-

gen, beim Zugang zu Rohstoffen in

Indien etc. befragt. Drei Tage vor

Verhandlungsbeginn versicherte die

damalige EU-Agrarkommissarin,

Freihandel mit Indien

1

Economic Governance rechtswidrig? 7

EU-Wirtschaftsregierung

13

Verfassungsreform in Ungarn 15

Financial Transaction Tax

19

Finanzmärkte und Rohstoffbörsen 20

Sparpakete in Europa

22

Revidierte OECD-Leitsätze 24

Legale Zuwanderung

28

Grünbuch EU-Vergabepolitik 30

Buchtipps

33

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infobrief

Ausgabe 3 | Juni 2011

Aus dem Inhalt

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EU-Infobrief: Europa und Internationales in kritischer und sozialer Perspektive – kostenlos beziehen

Der EU­Infobrief erscheint 5x jährlich im digitalen Format und liefert eine kritische Analyse der Entwicklungen auf europäischer und internationaler Ebene. Die Zeitschrift der Abteilung EU & Internationales der AK-Wien fokussiert dabei Themen an der Schnitt stelle von Politik, Recht und Ökonomie. Anspruch ist nicht nur die Prozesse in den europäischen Institutionen zu beschreiben, sondern auch Ansätze zur Überwindung des Neoliberalismus zu entwickeln. Kurze Artikel informieren in prägnanter Form über aktuelle Themen. Langbeiträge geben den Raum für grundlegende Analysen, Buchbesprechungen bieten eine kritische Übersicht einschlägiger Publikationen.