STRUKTURFORMEN DER WEIBLICHEN PSYCHE

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    aus Toni Wolff Studien zu C.G. Jungs PsychologieSTRUKTURFORMEN DER WEIBLICHEN PSYCHE

    Eine Skizze (1)

    Zur Selbsterkenntnis und -verwirklichung der heutigen Frau kann es wertvoll sein,auer dem Einstellungstypus (introvertiert oder extravertiert) und der darinvorherrschenden psychologischen Grundfunktion (Denken, Fhlen, Empfindung oderIntuition) (2) auch zu verstehen, welche psychische Strukturform(3) ihrerPersnlichkeit am ehesten entspricht. Diese Strukturform braucht mit der uerenLebensform nicht berein zu stimmen, noch sagt sie etwas aus ber den Charakteroder das menschliche und kulturelle Niveau. Die uere Lebensform kann ausanderen als rein anlagegemen Grnden gewhlt sein (Zeit- und Milieueinflsse,

    soziale Umstnde, spezifische Begabung), und fter geht die psychischeStrukturform schwer in die uere Lebensform ein, woraus Unsicherheit undKonflikte entstehen.

    Beim Mann liegt die Problematik insofern anders, als er, von Natur aus mehrdualistisch veranlagt (Ordnungs- oder Gestaltungsvermgen und Triebhaftigkeit), inseinen Kulturleistungen, geistig bedingt ist. Seine bewute Einstellung und dieBewltigung der Realitt sind darum in der Regel auf der meistdifferenziertenFunktion basiert.

    Die Frau hingegen ist von Natur aus vom Psychischen bedingt und insofern

    einheitlicher, als Geist und Sexualitt bei ihr psychisch betont sind. Ihr Bewutsein istsomit umfassender, aber unbestimmter(4)

    (1) Das Nachfolgende ist erstmals 1934 im Psychologischen Club Zrich vorgetragen worden unddann 1948 in erweiterter Form am C.G.Jung-Institut Zrich. In diesem Aufsatz kann nur eineschematische Andeutung des Themas gegeben werden, wobei die Kenntnis der KomplexenPsychologie vorausgesetzt werden mu.

    2 Siehe jung: Psychologische Typen . Rascher Verlag, Zrich.

    3 Statt Strukturform knnte man ebenso gut auch Strukturtypen sagen, insofern es sich umeine Prgung oder Typisierung handelt, eine von individuellen Eigenarten abstrahierende formaleZusammenfassung gemeinsamer Zge. Da indessen der Typenbegriff in der komplexen Psychologie,wie eingangs angefhrt, bereits seine klassische Verwendung hat, beugt es Begriffsverwirrungen vor,hier den Ausdruck Strukturformen zu gebrauchen.

    4 Siehe Erich Neumann: ber den Mond und das matriarchale Bewutsein. In: Eranos jahrbuchXVIII. Rhein-Verlag, Zrich 1950.

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    Das Psychische sucht sich in Lebensformen zu uern, die der jeweiligen weiblichenStrukturform und der Kulturepoche entsprechen. Nicht jede Epoche bietet dafr die

    besten Mglichkeiten; jedoch kann hier nicht auf alle Ursachen historischer,soziologischer, konomischer und religiser Natur eingegangen werden, welcheheute die Verwirklichung der anlagegemen weiblichen Wesensformen erschweren.Es ist auch insofern nicht notwendig, als sie das psychologische Problem nur inseiner Bedingtheit erklren. Worauf es praktisch ankommt, ist die Konstatierungseines Vorhandenseins und der Versuch, durch grere Bewutheit die innereVerwirrung zu klren (1).

    Nur aufeine historische Tatsache sei hingewiesen als symbolischen Exponenten dermodernen weiblichen Problematik: die Unsicherheit so vieler heutiger Frauen bersich selbst und ber das Wesen des Weiblichen findet sich im Katholizismusweniger. Hier ist, im Symbol der Maria, nicht nur das weibliche Prinzip als solcheskultisch seit alters und nun auch dogmatisch der mnnlichen Gottheit in Wirklichkeitbeigesellt (GOETHE hat dies im Schlu des Faust vorausgeschaut), sondern essind auch in seinen verschiedenen Aspekten weibliche Wesensformen symbolischgestaltet: Magd des Herrn, Jungfrau, Braut des Heiligen Geistes, Gottesmutter,Streiterin gegen die Unglubigen, Vermittlerin, Himmelsknigin usw. (2). Historischgesehen, beruht die Unsicherheit der protestantischen (und der jdischen) Frau aufdem Fehlen ihres eigenen Prinzips in der ausschlielich mnnlichen Gottheit - diemetaphysische Parallele zu der patriarchalisch-mnnlichen Zivilisation. Die religiseSymbolik sollte aber den Menschen in seiner Ganzheit erfassen. Da indessen eine

    Rckkehr zur Vergangenheit unmglich ist, kann nur eine strkere Differenzierungund tiefere Erkenntnis der psychologischen Problematik diejenigen weiterfhren, diedavon betrogen sind.

    Das Verschwinden des weiblichen (chinesisch Yin - Prinzips im Protestantismus,wozu auer der Gestalt der Maria auch die Sinnflligkeit und Mystik in Kultus undMythos gehren, und die ausschlieliche Grndung auf das Wort hatte denAuftrieb der Wissenschaft und Technik zur Folge, aber auch die Entwicklung des Logos zum blo rationalen Instrument mit Ausschlu des psychischen Faktors.(Die Exponenten davon in der Psychologie sind FREUD und A. ADLER, in derSoziologie und Politik der Marxismus.)

    1 Zwei amerikanische Autoren, Ferdinand Lundberg und Dr. Marynia Farnham, sprechen in ihremBuch Modern Warmen. The Lost Sex , Harper, New York 1947, sogar von anxiety, deep innertension, emotional slum.

    2 Siehe auch Gertrud von Le Fort: Die ewige Frau. Josef Kegel und Friedr. Pustet, Mnchen 1935.

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    Die Entseelung des Bewutseins fhrt notwendigerweise zu Veruerlichung undKollektivierung, denn das Psychische ist das innere Leben und die Grundlage der

    Individualitt'.(1) In der mittelalterlichen Mystik ist die Seele der Ort derGotteserfahrung und Gottesgeburt; damit gewinnt der Mensch das Zentrum in sichselbst und zugleich im Urgrund. Das moderne,mystische Bedrfnis strebt nichtnach Seele, sondern nach Gnosis, nach hherer Erkenntnis, weshalbNachahmungen und Befolgungen stlicher Weisheit aller Art blhen.Die Seele , das heit das Psychische, ist das weibliche Prinzip, das Prinzip derBezogenheit whrend der Logos vom Einzelnen abstrahiert und verallgemeinert(2). Der Wertung des Seelischen entspricht die Bewertung der Frau, was sich auch inder anderen Blte des Mittelalters, im Minnedienst und den cours d'amourausdrckt. Hiezu gehren DANTE sowie die Artus und Gralslegenden, in welchenauch die zauberische Minne (Frau Venus, die Fee Morgane usw.) ihren Platz hat(3).

    Auch diese Kulturform ist verschwunden und die heutige Frau in den geschichtlichenProze eingespannt, wobei zwei Faktoren fr sie besonders wichtig sind: die Freiheitder Berufswahl und die Kenntnis antikonzeptioneller Mittel (diese ist allerdings schonbei Naturvlkern nachgewiesen). Im Mittelalter gab es zwei anerkannte weiblicheLebensformen: die Ehefrau und die Nonne. Letztere bot verschiedenen seelischenStrukturformen Ausdrucksmglichkeit: der Caritas, der Gottesminne, dem Visionren,dem geistlichen Kampf. Als psychischer Ausdruck und unabhngig von Lebensformund Konfession mu auch die Hexe erwhnt werden, die ketzerische Verbindung mitMagie und Teufel.

    1 Siehe Jung: Seelenprobleme der Gegenwart , Wirklichkeit der Seele , Die Beziehungenzwischen dem Ich und dem Unbewuten u.a. Rascher, Zrich

    2 Siehe Jung: Die Frau in Europa . Verlag der Neuen Schweizer Rundschau, Zrich 1919

    3 Siehe u.a. Antoinette Fierz-Monnier: Initiation und Wandlung. Zur Geschichte des altfranzsischenRomans im12.Jahrhundert. Studiorum Romanorum Vol. V. A. Francke, Bern 1951

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    Mit der Wiederbelebung der Antike in der Renaissance stieg auch der Olymp mit

    seinen Gottheiten wieder ins Bewutsein empor - fr den Mann ein vielgestaltigesSeelenbild und fr die Frau mannigfacher symbolischer Ausdruck der Weiblichkeit:Hera, die Gattin und Knigin, Demeter - Persephone, die Mutter, Aphrodite, dieLiebende, Pallas Athene, die Kulturbringerin und Beschtzerin der Helden, Artemis,die jungfruliche Jgerin, Hekate, die Herrscherin im unterweltlichen Reiche derMagie (1). Das innere Anliegen der Renaissance war indessen nicht die Rckkehr zurantiken Religion, sondern die Entdeckung der Natur und des Menschen (2); sie istder geistige Exponent der seitherigen unaufhaltsamen Abwendung vom jenseits undHinwendung zum Diesseits, dessen Miverstndnis im Materialismus mndet. Positivverstanden ist aber das Diesseits das schlechthin Gegebene, und so ist schlielichdie empirische Forschung wiederum auf gegebene, wenn auch nicht an derOberflche liegende Tatsachen gestoen: die Physik auf den energetischen Begriffder Materie und die Psychologie auf die Psyche als Ursprung des Bewutseins undschpferische Grundlage aller seiner Erkenntnisse und Lebensuerungen. Wiesehr, neben dem Unbewuten des Mannes, die Psyche der Frau zu diesen letzterenErkenntnissen beitrug, ist kurz geschildert von C. G. JUNG in Die Frau in Europa (3) und von Linda Fierz-David in Frauen als Weckerinnen seelischen Lebens. (4)

    Diese wenigen historischen Streiflichter waren notwendig als Unterlage zu einemschematisch skizzierten Aufri von Strukturformen der heutigen Frau. HANSBLHER hat in seinem Buche Die Rolle der Erotik in der mnnlichen Gesellschaft

    (Jena, 1910) zwei weibliche Strukturformen aufgestellt, dieGattin(Penelope) unddie freie Frau (Kalypso), EDOUARD SCHURe mit den Fernmes inspiratrices erpoetes annonciateurs (Perrin & Cie., Paris 1907) eine dritte. In Wirklichkeit drfte essich um vier Formen handeln. Notgedrungen mssen sie durch Namen charakter-isiert werden, wobei mir deren Fragwrdigkeit vollauf bewut ist.

    1 Siehe K. Kerenyi Tchter der Sonne . Rascher, Zrich 1944. Niobe . Rhein-Verlag, Zrich1949 u.a.

    2 Siehe Linda Fierz-David: Der Liebestraum des Poliphilo. Rhein-Verlag, Zrich 1947.

    3 Zrich 1929

    4 In: Die kulturelle Bedeutung der komplexen Psychologie, Springer, Berlin 1935.

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    Man knnte sie bezeichnen als die psychischen Formen der Mutter und Gattin, derHetaira (Gefhrtin, Freundin), der Amazone und der Medialen. Sie haben mit den

    psychologischen Funktionstypen gemeinsam, da ihre Achsen gegenstzlich sind(nmlich persnlich oder unpersnlich bezogen), da in der Regel eine Form dievorherrschende ist, eine zweite sich ihr anschlieen kann, die dritte und viertezunchst unbewut sind und erst im spteren Verlauf des Lebens und unterSchwierigkeiten bewut und integriert werden. Insofern alle vier Formen durch dieKulturgeschichte nachweisbar sind, drfte es sich um archetypische Strukturenhandeln

    Sie entsprechen auch Aspekten der mnnlichen Anima.Das Strukturschema wre also das folgende:

    Mutter

    persnlich bezogen

    Mediale Amazoneunpersnlich bezogen

    Hetaira

    Es sei nun versucht, kurz die wichtigsten psychischen Merkmale der einzelnenFormen zu skizzieren.

    1 Die populre Verwechslung biologischer Mglichkeit und psychischer Struktur, derzufolge alleFrauen primr Mtter seien, ist schon durch die ethnologische Forschung widerlegt; siehe u.a. HildeThumwald: Menschen der Sdsee Ferdinand Enke, Stuttgart 1937, und Spencer and Gillen: 'TheArunta. MacMillan & Co., London 1927.

    Ebenso unhaltbar ist die zum Matriarchat regredierende moderne Instinktlosigkeit, physischeMtterlichkeit ohne Gatten und Familienverband zu postulieren.

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    Die Mutter ist mtterlich hegend und pflegend, helfend, charitativ, lehrend. DerInstinkt spricht auf Werdendes Unentwickeltes, Schutzbedrftiges, Gefhrdetes im

    Menschen an, das gehtet, umsorgt und betreut wird. Er untersttzt und festigt ohneHerablassung das Unfertige oder Hilfsbedrftige, gibt ihm seelischen Raum zurEntfaltung und greren Sicherheit. Die Mutter findet ihre Erfllung in der Beziehungzum Schutz-, Hilfs- und Entwicklungsbedrftigen im Bestreben, es so zu strken, daes im normalen Fall aus ihrer Obhut entlassen werden kann, im anderen Fall dieGewhrung grtmglicher Sicherheit erhlt.

    Der negative Aspekt der Mutter ist: Bemutterung und ngstliche Umhegung undBevormundung des Objektes, wenn dieses es nicht mehr oder berhaupt nichtbentigt, mangelndes Zutrauen in dessen eigene Kraft und Selbstndigkeit undEinmischung in sein Werden. Das eigene Ich wird nur erlebt in der mtterlichenFunktion und ist ohne sie gegenstandslos. Die Gefahr besteht darin, da eigene,nicht anerkannte Seiten der Persnlichkeit die anvertrauten Menschen infiltrieren undsich durch sie zu verwirklichen streben - bewut als Lenkung, und, noch schlimmer,unbewut, indem die Objekte davon infiziert und so mit uneigentlichem Lebenangefllt werden.

    Ist die Frau sich ihrer primren mtterlichen Struktur bewut, so wird sie die uereLebensform danach gestalten, entweder in der Ehe oder in mtterlichen Berufen undTtigkeiten. Die Ehe wird geschlossen auf den bestmglichen Grundlagen einesHeims: Charakter des Mannes als Vater, hnliche familire und gesellschaftliche

    Vorbedingungen, soziale Position, Sicherheit und Vorwrtskommen. In mtterlichenBerufen entspricht dem Heim eine gemeinntzige Institution oder Organisation.Bedeutende Persnlichkeiten haben hierin Pionierleistungen vollbracht (ElisabethFry, Florence Nightingale, Mathilda Wrede u. a.). Abgesehen von Ehe und Beruf istmtterliche Bettigung auch in unzhligen unsichtbaren Formen menschlicherBeziehungsmglichkeiten vorhanden.

    Die Beziehung zum Mann steht unter dem Aspekt des Gatten und Vaters der Kinderoder Schutzbefohlenen, daher wird alles, was zu seiner Stellung in der Welt gehrt,also was fr seine Persona wichtig ist, gehtet und gefrdert. Was er abgesehendavon auch noch ist, erscheint leicht als fr das Heim bedrohlich und wird ignoriert

    oder unterdrckt, was dazu fhren kann, da der Mann sich zu Hause blo als Sohnoder notwendiges Inventar empfindet und seine Mnnlichkeit im Beruf oder inMnnergesellschaft kompensatorisch bertreibt.

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    Seine persnliche Psychologie bleibt dabei, sofern er in der Ehe der Enthaltende

    ist" unbewut und unentwickelt, da er dazu eines seelischen Lebensraumesbedrfte . (2)

    Die Hetaira oder Gefhrtin ist instinktiv aufdie persnliche Psychologie des Mannesbezogen, auch auf die ihrer Kinder, sofern sie verheiratet ist. Die individuellenInteressen, Neigungen und allenfalls Probleme des Mannes stehen im Blickfeld ihresBewutseins und werden von ihr angeregt und gefrdert. Sie gibt ihm das Gefhl,einen persnlichen Wert auch abgesehen von kollektiven Werten zu haben, dennihre eigene Entwicklung fordert, eine individuelle Beziehung in allen ihren Nuancenund Tiefen auszuschpfen und zu gestalten. Die femmes inspiratrices Schurinesgehren in der Hauptsache dieser Strukturform an, sind jedoch Ausnahmeflle, wieder schpferische Mann-,. BLHERs Kalypso-Typus als hufigere Erscheinungkommt ihr nher, beachtet aber die psychologische Problematik nicht gengend. DieFunktion der Hetaira wre die der Erweckerin des individuellen psychischen Lebensim Manne, das ihn ber seine mnnliche Verantwortlichkeit hinaus zur ganzenPersnlichkeit macht. Diese Entwicklung wird meist erst in der zweiten Lebenshlftezur Aufgabe, nachdem das soziale Dasein ausgebaut ist.

    Die Hetaira rhrt damit an die Schattenseite im Manne und an die subjektive Seiteseiner Anima - ein nicht ungefhrliches Problem. Sie sollte sich daher, und ist esauch in ihrer besten Form, der Gesetze der Beziehung bewut sein. Ihr instinktives

    Interesse richtet sich auf die individuellen Inhalte einer Beziehung bei sich selbstsowohl wie beim Manne. Die Beziehung in allen ihren Mglichkeiten und Nuancen istdem Mann in der Regel weniger bewut und wichtig, da sie ihn von seinen Aufgabenablenkt. Fr die Hetaira ist sie ausschlaggebend.

    1 Siehe Jung: Die Ehe als psychologische Beziehung. In: Seelenprobleme der Gegenwart .

    2 Siehe auch Alfred T. Plattner: Glcklichere Ehen.Huber, Bern 1950

    3 Das Schpferische und Knstlerische ist eine Kategorie fr sich, das auerhalb des Schemas von

    Einstellungs-, Funktions- und Strukturtypen liegt. Auch das Animusproblem wird hier nichteinbezogen, da es alle Frauen gleichermaen angeht. Siehe dazu Emma jung: Ein Beitrag zumProblem des Animus . In jung: Wirklichkeit der Seele .

    Alles brige - Soziale Sicherheit, Stellung usw. - ist nebenschlich. Hierin liegt die

    Bedeutung und die Gefahr der Hetaira. bersieht sie die Personaseite des Mannes(oder ihrer Kinder) oder pat sie sich blind an, so macht sie das Persnliche zum

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    Idol, stachelt es unverhltnismig an und kann den Mann in eine Lage bringen, woer ebenfalls die uere Wirklichkeit bersieht: er gibt zum Beispiel den Beruf auf, umein schpferischer Knstler zu werden, er lt sich scheiden, weil er sich von derHetaira besser verstanden fhlt als von der Gattin usw. Sie insistiert auf einer Illusionoder einem Unsinn und wird so zur Verfhrerin; statt Kalypso ist sie Circe.

    Eine groe Verwirrung besteht heutzutage durch die weitverbreitete Aufhebung desSexualtabus. Es ist an der Tagesordnung, Verhltnisse zu haben - von der Frauaus gesehen aus erotischem Miverstndnis oder aus beruflicher Ntigung. Fr denMann ist die -Sexualitt der selbstverstndliche Ausdruck der Beziehung. Fr dieFrau, und fr die Hetaira im besonderen, wre sie unter Umstnden erst derenResultat, je nach dem Gesetz der individuellen Beziehung, aber auch gerade dasNichtdazugehrende, und jedenfalls nur dann richtig, wenn die Beziehung an sichpsychisch so weit entwickelt ist. Anstatt also mit der Sexualitt zu beginnen, wie esmeist geschieht, wre sie eventuell das Endresultat, wenn die Beziehung ausgebautund seelisch gesichert ist, also gewissermaen auf seelischem Gebiet eine

    Entsprechung zur Sicherheit in der Ehe. Da aber die Sicherheit der Ehe oder derberuflichen Stellung fr die Frau Lebensnotwendigkeiten sind, schleichen sich dieseNotwendigkeiten oft unbewut in die Hetaira -Beziehung ein und verderben derenGesetzmigkeit. Paradoxerweise knnte deshalb gesagt werden, die ideale Hetairasei diejenige Frau, welche in der Ehe die Enthaltende ist, die also ber die Ehehinaus individuelle Beziehung braucht; dann kann sie ohne heimliche Motive dieseBeziehung und damit auch die Ehe bewuter gestalten. Eine verheiratete Frauhingegen, welche ihre Hetairanatur nicht erkennt oder verdrngt, wird unfehlbar ihreShne zu heimlichen Geliebten machen und ihre Tchter zu Freundinnen und fesseltsie damit ebenso, wie die ihrer selbst unbewute Mutter

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    Alles im Leben will gelernt sein, so auch die menschliche Beziehung, weshalb esnatrlich ist, da die Hetaira damit nicht auf der differenziertesten Stufe beginnen

    kann. Hat sie es aber gelernt, so wird sie die Gesetze der individuellen Beziehungsorgfltig beobachten, bemerken, was dazu gehrt und was nicht, und,gegebenenfalls auch, wann eine Beziehung sich erfllt und vollendet hat.

    Insofern fr den Mann das Beziehungsproblem zwar unter Umstnden lebenswichtigist, immerhin aber nicht das einzige, erlebt er, besonders heute, eine dritte weiblicheStrukturform als positiv, nmlich die Amazone - . Ebenso hat die Frau von jeher nichtnur in Beziehungen zu menschlichen Objekten gelebt, sondern auch zuobjektiven Kulturwerten. Die heutigen Bettigungsmglichkeiten kommen ihr darinweitgehend entgegen, denn die Amazone ist auf sich selbst gestellt, in gutem Sinne self-contained - Sie ist unabhngig vom Mann, da sie sich nicht an derpsychologischen-Beziehung zu ihm entwickelt. Die bewuten Werte, die er vertritt,'sind -auch ihre eigenen. Ihr Interesse ist auf objektive Leistung gerichtet, die sieselber erfllen will. Es sagt ihr nichts, die Frau eines angesehenen Mannes zu sein,sie strebt danach, selber die Lorbeeren zu gewinnen. Die groen Sportlerinnen undReisenden gehren dieser Strukturform an, aber auch weniger in der ffentlichkeitstehende Frauen: die wissenschaftlich, beamtlich und geschftlich Ttigen, dietchtigen Sekretrinnen, die sich dem Betrieb unentbehrlich machen, die Frauen,denen die Familie allein nicht gengt und die sich in ntzlicher Weise mit einemobjektiven Interesse beschftigen oder einer Aufgabe widmen, die ein Geschftfhren (worin vielleicht ihr Mann der Angestellte ist), oder einfach diejenigen, die

    daheim die Hosen anhaben und Haushalt und Familie unter militrische Disziplinstellen.

    In ihrem positiven Aspekt ist die Arnazone eine erfrischende Kameradin des Mannes,die ihn zu nichts Persnlichem verpflichtet, eine seinen Ehrgeiz anspornende, ernstzunehmende Konkurrentin oder Rivalin, die das Beste seiner mnnlichen Leistungherausfordert (1).In ihrem negativen Aspekt ist sie die Schwester, die es aus mnnlichem Protest dem Bruder gleichtun will, keine Autoritt oder berlegenheitanerkennt, aus den Eierschalen des Frauen inspirierend wirken, besonders fr denMann, indem die Mediale die archetypischen Grundlagen seines Geistes sprt, inihm aktiviert und unter Umstnden fr ihn darstellt.

    1 Als historisches Beispiel sei Catarina von Siena erwhnt, die, ebenso bescheiden wie bestimmt,Papst Gregor XI. aufrttelt und dazu bringt, aus Avignon nach Rom zurckzukehren. Siehe FerdinandStrobel: Katharina von Siena. Politische Briefe. Benziger & Co., Einsiedeln 1944.

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    Oft wird sie die unpersnliche Seite seiner Anima verkrpern und ihn damit

    nichtsahnend in einen chaotischen Strudel hineinziehen, von dem sie selbermitgerissen wird. Sie wittert und belebt psychische Inhalte, die bewut werdensollten, die aber nicht zum Ich des andern gehren, und die er ohne Vorbereitungnicht annehmen kann. Dann ist ihre Wirkung zerstrerisch und hexenhaft. Da dieobjektiven psychischen Inhalte bei sich selbst und bei anderen nicht verstanden oderpersnlich genommen werden, lebt die Mediale fremdes Schicksal, als ob es ihreigenes wre, und verliert sich an nicht zu ihr gehrende Ideen. Statt Vermittlerin zusein, ist sie bloes Mittel und wird selbst das erste Opfer ihrer Natur. Besitzt sie abereine Instanz der Unterscheidung, das Gefhl oder das Verstndnis fr diespezifischen Werte und Grenzen des Bewutseins und des Unbewuten, desPersnlichen und des Unpersnlichen, dessen was zum Ich gehrt und was zurUmgebung, so kann ihre Eigenschaft, sich vom objektiv Psychischen prgen zulassen, ebenso kulturfrdernd sein wie die Amazone ihrerseits. Sie stellt sich dann inden Dienst eines neuen, vielleicht erst keimhaften Zeitgeistes, wie die frhchristlichenMrtyrerinnen -, die mittelalterlichen Mystikerinnen (2) oder, in bescheideneremMae, setzt sie sich ein fr das Lebenswerk eines einzelnen Mannes, wie dieGottliebin Dittus, die aus einer Besessenen zur Mitarbeiterin des lterenBLUMHARDT wurde, dessen Sieg ber ihre Dmonen seine eigenen besten Krfteauslste (3). Die mittelalterlichen, Hexen stellten - sofern sie nicht bloe Opfer dermnnlichen Projektion und Habgier waren - das abgespaltene Bse und nichtanerkannte Ketzerische ihrer Zeit dar.

    Unsere Zeit mit ihren mannigfaltigen irrationalen Interessen gibt der Medialen zwarallerlei Ausdrucksmglichkeiten, wie Graphologie, Astrologie, Chirologie usw. Dassind aber Knste oder sogar Berufe und fr das persnliche Leben ungengend undfr alle, die kein besonderes Talent besitzen, keine Lsung.

    1 Siehe Marie-Louise von Franz: Die Passio Perpetuae.In Jung: Aion. Rascher 1955

    2 Siehe Mechthild von Magdeburg: Das flieende Licht der Gottheit, hrg. von Mela Escherich.Gebr.Paetel, Berlin 1909 und Das Leben der Schwestern zu Toe, beschrieben von Elsbet Stagel.Rotapfel-Verlag, Erlenbach-Zrich 1923.

    3 Siehe Friedr.Zndel: Joh.Christ.Blumhardt. Brunnen-Verlag, Gieen und Basel 1922.

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    Es wre fr die Mediale daher wohl noch zwingender als fr die brigenStrukturformen, sich ihrer charakteristischen Psychologie bewut zu werden und

    Unterscheidung zu lernen, damit sie statt eines bloen Mittels eine Vermittlerinwrde. Statt sich und die anderen, unbezogen auf die Wirklichkeit, mit denkollektiv-unbewuten Inhalten zu identifizieren, sollte sie da Mediale als einInstrument und Gef zur Aufnahme dieser Inhalte verstehen lernen. Dafr mteaber eine adquate Sprache gefunden werden. In frheren Kulturen hatten undhaben noch heute bei Primitiven - die Medialen eine soziale Funktion als Seherinnen,Sibyllen, Medizinfrauen, Schamaninnen. Heute verfgen wir wenigstens ber dieSprache der Psychologie, in der das Unbewute ein wichtiger, oft ein vitaler Faktorist, dessen Einbeziehung in das Leben nicht nur heilend sein, sondern auch zurErweiterung des Bewutseins und einer sinnvollen Verwurzelung in den psychischenGesetzen fhren kann. In diesem Zusammenhang seien die Bcher von StewartWHITE ber seine Frau Betty erwhnt. Betty drckt sich zwar noch einigermaen inder Sprache der Spiritisten aus, war aber als Mensch eine ungewhnlich vitale, demLeben zugewandte Persnlichkeit und ging auf die Botschaften des Unbewutennur zgernd und mit gesunder Kritik ein. Sie sind deshalb auch leicht in die Spracheder modernen Psychologie zu bersetzen,.

    Ein anderes Beispiel fr eine, allerdings schpferische, mediale Frau drfteRiCARDA HUCH sein, deren Medialitt mit Hilfe ihres reichen historischen Wissenssowie ihrer dichterischen Fhigkeit geschichtliche Situationen und Personenevoziert. Unter den groen Schauspielerinnen wre Eleonora Duse zu nennen. Merk-

    wrdigerweise fehlen die Malerinnen, die doch am ehesten im Stande sein sollten,die Bilder des kollektiven Unbewuten zu gestalten. Sie sind aber wohl zu sehr vomZeitgeist abhngig und ahmen darum den herrschenden Stil nach; damit bleiben siean der Oberflche und im Persnlichen. Das objektive oder kollektive Psychischekann indessen adquat nur in einer objektiven Sprache ausgedrckt werden, die,abgesehen von der Kunst, eine psychologische oder eine symbolische wre. Wie dieAmazone die unpersnlichen Kulturwerte ihrer Zeit aufnimmt und ihr Ich danachgestaltet, nimmt die Mediale die unbewuten, keimhaften Hintergrnde einesMenschen, einer Situation oder einer Epoche wahr und wird von ihnen gestaltet.

    1 Siehe Cornelia Brunner: Betty. A Way of Individuation. In: Inward

    Light. Nr.27, 1950. Washington.

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    Und wie die Amazone in ihren modernen Anfngen die mnnliche Aktivittkonkretistisch als Vermnnlichung miverstand, miverstand die Mediale den

    unbewuten Geist konkretistisch als Geister. Ihre Kulturaufgabe wre, vermittelsihres Eingetauchtseins in das kollektive Unbewute dessen Bedeutung und Sinn zufinden und auszudrcken, wodurch sie eine lebensfrdernde kompensatorischeFunktion erfllen knnte.

    hnlich wie bei den vier psychologischen Grundfunktion en hat die Frau alle vierStrukturformen anlagegem in sich. Sie wird, wenn mglich, diejenige verwirklichen,die ihrer Natur am gemesten ist. Mit der Zeit wird eine zweite Form sich von innenher aufdrngen. Auch dieser Proze geht der allmhlichen Differenzierung der vierGrundfunktionen insofern parallel, als die zweite weibliche Form nicht die im Schemadargestellte entgegengesetzte ist - von Ausnahmen, bei denen der Gegensatz sichaus dem Unbewuten aufdrngt, abgesehen. Die zweite Form wird also zum Beispielbei der Mutter die Amazone oder die Mediale sein; der persnlichen Bezogenheitwird damit eine unpersnliche hinzugefgt, und umgekehrt bei den anfnglich aufUnpersnliches Eingestellten eine persnliche Bezogenheit '.Wird die fortschreitendeIntegration einer nchsten Strukturform nicht aufgenommen, so wird die bisherigebertrieben und damit negativ. Im Laufe der Jahre wird eine dritte Form zur Aufgabe,welche in der Regel auf der Achse der zweiten liegen wird, aber mehr schattenhaftenCharakter hat und sich weniger leicht mit der ersten vereinigen lt. Die viertebereitet, wie bei den Orientierungsfunktionen des Bewutseins, die groeSchwierigkeit. Auch bei den weiblichen Strukturformen kann sie in der Regel nicht

    konkret gelebt werden, da sie zur ursprnglichen Natur und zur gegebenenWirklichkeit einen zu groen Gegensatz bildet. Sie mu daher, wie die vierte, inferiore , Grundfunktion auf der symbolischen Ebene ausgedrckt werden.

    1 Es handelt sich selbstverstndlich um kein Werturteil in bezug auf die Liebesfhigkeit der vierFormen, sondern um den unterschiedlichen Charakter ihrer Bezogenheit. berdies ist Liebe einkomplexes Gebilde, nicht blo Instinkt und Gefhl, sondern auch eine Einstellung.

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    Und wie die Auseinandersetzung mit der vierten Funktion der Weg zur Ganzheit ist,

    so bildet die symbolische Integration der vierten weiblichen Strukturform dieAnnherung an das Selbst.

    Auch dies ist eine Aufgabe, die ein ganzes Leben erfordert - ganz sowohl imzeitlichen Ablauf wie im inneren Sinn, ein Wandlungsproze, den zu beschreiben hiernicht mglich ist. Kann die Frau sich ihm verstndnisvoll unterziehen, so wrde siewohl ihren richtigen Platz in der heutigen Welt finden und ihre Kulturaufgabe erfllenund damit die innere Sicherheit gewinnen, die dann erreicht wird, wenn die eigenenpsychischen Inhalte -der Schatten, der Animus, die groe Mutter , Weise Frau ,ja auch das Selbst nicht mehr auf die Umgebung projiziert werden. Da die Frau aufdas Leben bezogen ist, ist es zwar ihre Aufgabe, den Mann in das Leben zuverwickeln und Ideen lebendig zu machen. Aber Verwicklung und Realisierung kannpositiv oder negativ, bewut oder unbewut, mit oder ohne Verantwortunggeschehen.

    Siehe Jung: Die Beziehungen zwischen dem Ich und dem Unbewuten , und ber dieArchetypen des kollektiven Unbewuten (In: Eranos Jahrbuch 11, 19 34. Rhein-Verlag, Zrich).

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