Sigrist Stephan 2 06 - Collegium Helveticum...pille Viagra haben es vorgemacht. 1999 wurde in der...
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Wissensmagazin für Wirtschaft, Gesellschaft, HandelSommer 2006
Mit Gerd Folkers, Karin Frick, Joël Henry, Lawrence Lessig, Ilona Kickbusch, Philip Kotler, Ray Kurzweil, Stephan Sigrist, Françoise Simon, neuen Ideen undeinigen wenigen Risiken und Nebenwirkungen.
GDI IMPULS
Alles wird Gesundheit.Wirklich alles.
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> Konsum
Stephan Sigrist
NEUER MARKT GESUNDHEIT
Der Gesundheitsmarkt wird die nächste Boom-Branche.
Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie nicht Ihren
Arzt oder Apotheker.
> Gesellschaft
Ilona Kickbusch
GESUNDHEIT FÜR ALLE
Die Gesundheitsgesellschaft entsteht vor unseren Augen.
Wenn alles Gesundheit wird, heisst das noch lange nicht,
dass alles auch gesund wird. Es wird nur anders.
> Marketing
Françoise Simon & Philip Kotler
GLOBAL BIO-BRANDING
Wie sich Pharmakonzerne rund um neue Anwendungen
und neues Marketing radikal umbauen.
Thema: Healthstyle
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> Die grosse Grafik
BAUSTELLE MENSCH
> Wirtschaft
Gerd Folkers
PLACEBOTION
Die Modelle der Pharma-Industrie sind zu eng für die
Erklärung der komplexen Vorgänge im Körperinnern.
Die Medizin der Zukunft muss weitere Mechanismen be-
rücksichtigen. Zum Beispiel Emotionen.
> Gesellschaft
Gespräch mit Ray Kurzweil
DER 250-PILLEN-MANN
Der Prophet der Über-Gesundheit erklärt, weshalb
der Mensch seinen mangelhaften Körper bald mittels
Bio- und Nanotechnologie überwinden wird.
> Gesellschaft
Gespräch mit Ulrich Körtner
«WANN WERDEN WIR GOTT?»
Je stärker das Gesundheitsbewustsein, desto kranker wer-
den wir. Aber wer bestimmt, was normale und was abnor-
male Unvollkommenheit ist?
> Foto-Essay
Edgar Zippel
GROSSE MOMENTE
Wir zeigen die dunklen Seiten des Healthstyle.
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AUTOREN
IMPRESSUM
SUMMARIES
GDI-STUDIEN
GDI-VERANSTALTUNGEN
GOTTLIEB DUTTWEILER INSTITUT
GDI-AGENDA 2006
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> Konsum
Gespräch mit Joël Henry
«WIR WERDEN ZUGLEICH SCHAUSPIELER UND ZUSCHAUER
UNSERER EIGENEN METHODE, ZU REISEN.»
Experimentelle Reisen sind eine innovative Form des
Tourismus für Menschen, die alles schon gesehen haben.
Die Welt wird zum Spielfeld.
> Gastkolumne
Eckart von Hirschhausen
SEXY SCHILDDRÜSEN
Unser Hirn wird dummerweise ohne Gebrauchs-
anweisung ausgeliefert. Intuitiv gehen die meisten
Menschen falsch damit um.
> Gesellschaft
Lawrence Lessig
«Wie viel schöpferisches Potenzial liegt brach,
weil es soviel kostet, die Rechte zu klären?»
Niemals zuvor lag die Kontrolle von Kreativität derart
konzentriert in der Hand von wenigen. Die Folgen für
unsere Kultur sind gewaltig.
> Management
Andreas Zeuch
«Geben Sie ‹Nichtwissen› bei Google ein:
4 520 000 Treffer in 0,4 Sekunden. Noch Fragen?»
Andreas Zeuch über einen Störenfried im Zeitalter des
Wissensmanagements.
> Konsum
Karin Frick
«Das Bedürfnis, zu reisen, bleibt. Doch die Erwar-
tungen an die Ferien nehmen ab.»
Im Tourismusmarkt von morgen bedeuten geografische
Destinationen immer weniger: Der Reisemarkt zeigt eine
Trendwende hin zur Bedürfnisökonomie.
> Zwischenruf
Annette C. Anton
«Wir müssen raus aus der Mädchenfalle.»
Es geht nicht um den «Irrtum der Emanzipation». Die
grundsätzlichere Frage lautet: Weshalb geben sich Frauen
heute so grosse Mühe, nicht wie Erwachsene behandelt zu
werden?
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Ideen Workshop
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Stephan Sigrist
Neuer Markt GesundheitAus Patienten werden Konsumenten. Gesundheit wird zum Produkt. Und die Medizin heilt
nicht mehr nur Kranke, sondern auch Gesunde.
Der Gesundheitssektor wird die nächste Wachstumsbranche. Aber nur, wenn Ärzte und
Industrie neue Geschäftsmodelle entwickeln.
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GDI IMPULS . Sommer 2006
In den westlichen Wohlstandsgesellschaften ist der Stellen-
wert der Gesundheit in den letzten Jahrzehnten markant
gestiegen. Während die Medizin viele Krankheiten heilbar
machte, entwickelten wir ein neues Gesundheitsbewusstsein.
So wachsen neue Bedürfnisse: Neben der Bekämpfung von
Krankheiten wird jetzt die aktive Erhaltung der Gesundheit
immer wichtiger. Fortschritte in der biome di zinischen For-
schung heizen unsere Erwartungen an den «Gesundheitsmarkt»
weiter an. So gelten Bio- und Gentechnologie gemeinhin als
Träger des nächs ten konjunkturellen Aufschwungs. Doch für
die Anbieter gleicht der Weg in die Zukunft eher einer Grat-
wanderung: Einerseits ver heisst der technologische Fortschritt
direkt neue Wachstums chancen, andererseits werden für
die zunehmend überforderten Patienten und Konsumenten
«weiche» Aspekte wie Vertrauen und Orientierung immer
wichtiger.
In Technologie, Wirtschaft und Gesellschaft steht unser
Gesundheitsbegriff vor einer grundlegenden Neu defi nition.
Welches sind die wichtigsten Triebkräfte der Veränderung
und welche Märkte werden durch sie geschaffen?
DIE FORSCHUNG ERÖFFNET NEUE PERSPEKTIVEN Die Entwick-
lung neuer Technologien und Methoden zur Behandlung von
Krankhei ten ist der wichtigste Treiber des Gesundheitsmarkts.
Gleichzeitig prägen diese neuen Möglichkeiten unsere Wahr-
nehmung von Gesund heit. Viele Krankheiten sind heilbar
geworden, andere – etwa Aids – haben an Schrecken verloren.
Bio- und Gentechnik, Stammzellenforschung und Nanotech-
no logie bieten ein enormes Potenzial für neue Heilungs- und
Präventionsformen. Mit Biochips können heute grosse Men-
gen von biologischen Proben in kurzer Zeit analysiert werden,
womit individualisierte Therapien näher rücken. Durch das
Der Gesundheitsmarkt von morgen dreht sich neben der Heilung von Krankheiten immer mehr um Gesunde – um Prävention, Wohlbefi nden und die Verbesserung der menschlichen Natur.
Die volkswirtschaftliche Bedeutung von Gesundheit und Präven-tion ist enorm. Allein die Krankenversorgung macht in den EU-Staaten rund zehn Prozent des Bruttoinlandprodukts aus.
Wirtschaft und Politik setzen auf den Gesundheitsmarkt als Wachstumsmotor. Er funktioniert vielfach als Marktöffner und Innovationstreiber.
Gesundheit wird zum Konsumgut. Die Mechanismen der Ge-sundheitsmärkte folgen der Logik der Konsummärkte, Konsum-gewohnheiten werden auf den Gesundheitsmarkt übertragen.
Ärzte, Spitäler und Pharmaunternehmen müssen sich den ver-änderten Marktgegebenheiten anpassen. Der Aufbau von stra-tegischen Netzwerken spielt dabei eine zentrale Rolle.
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Konsum . Neuer Markt Gesundheit . Stephan Sigrist
Verständnis der molekularen Mechanismen verändert sich
auch die Medikamentenentwicklung: Das verbreitete «Trial-
and-Error»-Verfahren wird zunehmend durch eine kausale
Wirkstoffentwicklung («rational design») abgelöst.
Die Symbiose der Biologie mit der Informationstechnolo-
gie birgt weiteres Potenzial. Durch Simulation in Grossrech-
nern lassen sich biochemische Prozesse in Zellen erforschen.
Bei Neuroprothesen verschmelzen Mikroelektronik und
Hirnforschung und machen die Grenze zwischen Mensch
und Maschine immer durchlässiger – zum Beispiel, um die im
Alter nachlassende Körper leistung zu kompensieren. Weitere
Anwendungen orientieren sich mehr an der Natur und bieten
Produkte wie künstliche Hüftgelenke oder implantierbare
Kunstherzen. Eine besondere Herausforderung sind künstli-
che Sinnesorgane. Neuro prothesen für schwere Gehörschäden
werden derzeit erprobt, eine künst liche Netzhaut aus Mikro -
chips ist in Entwicklung. Denkbar ist sogar die Steuerung von
Maschinen durch Nervenimpulse sowie der direkte Zugriff
unseres Gehirns auf externe Informationsspeicher.
DIE GESELLSCHAFT DEFINIERT GESUNDHEIT NEU Die Lebens-
erwartung in der Ersten Welt steigt. Doch wir leben nicht nur
länger, auch der Anteil der Jahre, die wir gesund verbringen,
nimmt zu. Mit der demografi schen Veränderung wird die
Nachfrage nach Gesundheitsleistungen weiter zunehmen:
Denn die nächste Generation von Senioren – die Babyboomer
(1946–1964) – tritt dem Alter mit dem Wunsch nach Lebens-
lust und Aktivität entgegen.
Entgegen dem Trend einer höheren Lebenserwartung
nimmt heute die Anzahl der kranken Menschen zu – insbe-
sondere bei Zivilisationskrankheiten und psychischen Lei-
den. Die Zunahme von Fettleibigkeit, Diabetes Typ II und
Herz-Kreislauf-Erkrankungen deutet darauf hin, dass sich
der Trend kehren könnte; die Bedeutung von Krankheit in
der Gesellschaft dürfte zunehmen und der Anspruch an
Gesundheit sich in der Folge neu defi nieren. Eine bessere
Diagnostik führt dazu, dass immer mehr Krankheiten lange
vor einem allfälligen Ausbruch festgestellt werden können
und somit mehr Menschen bewusst mit Krankheitsver an-
lagungen leben – also potenziell krank sind.
Auch unser Lebensstil prägt unsere Konstitution mehr, als
uns bewusst ist. Schlechter situierte Menschen erkranken
häufi ger als Wohlhabende und haben ebenso eine tiefere
Lebens erwartung. Diese Erkenntnis ist nicht nur unter
dem Aspekt der sozialen Gerechtigkeit relevant, sie hat auch
das wissenschaftliche Interesse auf neue Aspekte gelenkt –
wie die besondere Empfänglichkeit der Gesundheit gegen -
über verschiedenen Umfeld einfl üssen und so genannten
«sozialen Determinanten».
Gesundheit wird machbar und damit konsumierbar.
dukt» zugelassen werden. Experten erwarten
Spitzenerlöse im Markt der Lifestyle-Medizin
– das Antifaltenmittel Botox und die Potenz-
pille Viagra haben es vorgemacht.
1999 wurde in der Schweiz ein neu es Medika-
ment zugelassen, das Grosses versprach. An-
ders als Diäten, sollte Xenical die Geissel des
21. Jahrhunderts – Fettleibigkeit – effektiv und
nach haltig bekämpfen. Gleichzeitig wurde in
der Öffent lichkeit der Body Mass Index (BMI)
bekannt gemacht, der «Gesunde» und «Kranke»
trennte und damit die Zielgruppe für das neue
Medikament klar defi nierte. Doch das Arznei-
Spitzenerlöse für Lifestyle-Medizin
mittel hatte im Krankheitsmarkt wenig Erfolg.
Gründe für das Scheitern sind in Nebenwirkun-
g en wie Darmproblemen zu suchen, die von
den Patienten nicht akzeptiert wurden.
In andern Ländern dagegen wurde Xenical
nicht als Mittel gegen die Krankheit Adiposi-
tas, sondern als Produkt für eine bessere
Gesundheit neu positioniert. Der Absatz stieg.
Die Konsumenten sind offenbar bereit, Neben-
wirkungen in Kauf zu nehmen, wenn sie der
Erhal tung der Gesundheit oder der Schönheit
dienen. In Kürze dürfte das Medikament auch
in den USA rezeptfrei als «Gesundheitspro-
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GDI IMPULS . Sommer 2006
DIE FUSION VON KÖRPER UND SEELE Die Schul medizin steht
unter Druck. Bei Konsumenten und Patienten wächst die
Sehnsucht nach einer Medizin, die neben dem Körper auch
die Seele in die Diagnose mit einbezieht. Der Aufschwung von
komplementären und paramedizinischen Modellen, die eine
ganzheitliche Sichtweise vertreten, ist dafür ein Indiz. Selbst
die Naturwissenschaften öffnen sich ganzheitlichen Paradig-
men: Auf das biomedizinische Gesundheitsmodell folgt jetzt
das «biopsychosoziale», das neben körperlichen auch psy-
chische und soziale Faktoren für die Diagnose und Behandlung
berücksichtigt. Das Modell der Entwicklung von Krankheiten
(«Pathogenese») wird zunehmend ersetzt durch die Erklärung
dessen, was die Menschen gesund hält («Salutogenese»). Da-
durch entsteht ein neuer Blick darauf, wie wir mit Krankheit
umgehen, welche Heilungsmethoden wir bevorzugen, welche
Erwartungen wir an die Gesundheit haben und wie wir unsern
Gesundheitszustand zu verändern versuchen.
Durch die umfassende Defi nition von Gesundheit haben
unsere Möglichkeiten zugenommen, sie zu beeinfl ussen:
Gesundheit wird allgegenwärtig. Im privaten wie im beruf-
lichen Alltag gibt es heute kaum noch Bereiche, die nicht
direkt oder indirekt mit Gesundheit assoziiert werden. Die
Medien berichten über Errungenschaften der Medizin, Chan-
cen und Gefahren der plastischen Chirurgie oder das Poten-
zial von Functional Food. Zugleich werden wir auf Gesund-
heits gefahren sensibilisiert: Feinstaub, Ozonloch, fettes
Fleisch, Allergierisiken, BSE, Vogelgrippe – mit dem grossen
Spektrum an Einfl ussfaktoren wird so gut wie jede Alltags-
entscheidung gleichzeitig zu einer Entscheidung für oder
gegen unsere Gesundheit.
«HEALTH SELLS!» Das wachsende Potenzial der Medizin macht
Gesundheit immer weniger zu einem Zustand, dem wir einfach
ausgeliefert sind. Im Gegenteil: Gesundheit wird machbar und
damit auch konsumierbar. Aus Patienten werden selbstbewusste
Konsumenten, die nicht nur Krankheiten geheilt, sondern
Bedürfnisse befriedigt haben möchten. Sie streben danach,
einen vollständig gesunden Organismus herzustellen und zu
erhalten.
Diese Sehnsucht ist natürlich ein Kaufmotiv: «Health sells»
löst heute in der Werbung das «Sex sells» ab – egal, für welches
Produkt. So entsteht neben dem bisherigen heilungsorientier-
ten Gesundheitsmarkt – wir nennen ihn besser «Krankheits-
markt» – ein neuer, kaum reglementierter Markt für Produkte
und Dienstleistungen, die auf Prävention und die Erhaltung
von Gesundheit abzielen. Damit wächst die Zahl der Indus-
trien, die vom Gesundheitsboom profi tieren können. Immer
mehr Anbieter drängen auf den Markt: Zu Functional Food
stossen Wellness, Gesundheitstourismus und Lifestyle-Medi-
kamente; aber auch ein «Bust-up-Gum» aus Japan (für grös-
sere Brüste), Wellness-Katzenfutter und Steine gegen elektro-
magnetische Strahlen buhlen um die steigenden privaten
Aus gaben. Die Situation ist durchaus vergleichbar mit der
Internet-Branche kurz vor Beginn des Dotcom-Booms.
DEFIZITE UND SEHNSÜCHTE SCHAFFEN NEUE MÄRKTE
Markt für Lebensverlängerung«Anti-Aging»
Markt für VerbesserungLeistung, Schönheit, Potenz, Gedächtnis
Heilung von Krankheiten
Markt für Leistungserhaltung
0
Leistungsfähigkeit
20 40 60 80 100 Lebenszeit in Jahren
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Das Verhalten der Gesundheitskonsumenten wirkt zurück
auf ihre Ansprüche beim Bezug von Krankheitsleistungen.
Damit prägen die Mechanismen der Konsummärkte immer
stärker auch die klassischen Anbieter wie Ärzte, Spitäler,
Apotheken oder Pharmafi rmen. Künftig wird der «Patient-
Konsument» zur zentralen Figur im Markt, der spezifi sche
Leistungen nachfragt und Preise vergleicht.
AUS LIFESTYLE WIRD «HEALTHSTYLE» In diesem neuen Um-
feld wächst unser Wunsch, uns durch Gesundheit selbst zu
verwirklichen. Parallel zum Individualisierungstrend wird der
persönliche Lebensstil um die Komponente Gesundheit ange-
reichert – und aus Lifestyle wird Healthstyle. Der Trend führt
dazu, dass sich die Konsumenten-Patienten ihre Therapien
zunehmend individuell und situativ zusammenstellen. Dabei
stossen technologiebasierte Gesundheitsmodule auf traditio-
nelle, magische und esoterische. Schul- und Alternativmedizin
schliessen sich nicht mehr gegenseitig aus, sondern stehen für
verschiedene Bedürfnisse. Naturbelassenheit, plastische Chi-
rurgie, Nachhaltigkeit, Wellness und Interferontherapie sind
damit im gleichen Markt angesiedelt.
Der Gesundheitsmarkt insgesamt wird sich auf einer tech-
nischen und einer sozialen Ebene weiterentwickeln und von
verschiedenen Motiven geprägt, die zur Bildung von neuen
Teilmärk ten führen. Dazu gehören etwa Prävention, Gesund-
heit durch Natur, physische Transformation, Unabhängigkeit
oder Sichwohlfühlen. Diese neuen Märkte funktionieren auch
als Türöffner zum Krankheitsmarkt. So erzeugt die Bereit-
schaft, Gesundheitsprodukte privat zu fi nanzieren – etwa bei
den gesundheitsbewussten «worried wealthy» –, die Nachfra-
ge für innovative Angebote. Erfolgreiche Healthstyle-Pro-
dukte öffnen dann die Türe zum Patienten.
Für das übergeordnete Ziel, den Gesundheitszustand der
Bevölkerung zu verbessern, müssen langfristige Verhaltens-
änderungen berücksichtigt werden, die dem Zusammenspiel
aus kulturellen, sozialen und ökonomischen Einfl ussfaktoren
unterliegen. Die Ausbildung eines Healthstyle ist dazu ein
erster Schritt.
DISCOUNTGESUNDHEIT VERSUS LUXUSMEDIZIN Parallel zum
Verschwinden der Grenze zwischen Konsument und Patient
ändern die Mechanismen im Gesundheitssystem. Die Logik
der Konsumgütermärkte wird den Gesundheitssektor in
Zukunft prägen. Gesundheit differenziert sich dabei über den
Preis und die Zeit.
Steigende Ausgaben rücken zunächst die Kosten ins Blick-
feld, dabei erfolgt eine Ausdifferenzierung des Markts in die
Pole Discount und Luxus: Nebst einem kos tengünstigen An-
gebot von standardisierten und erprobten Leis tungen entsteht
ein Segment für individualisierte und hochinnovative Luxus-
angebote. Den zweiten Differenzierungsansatz bildet der
Faktor Zeit. Die Tendenz zu kürzeren Aufenthaltsdauern in
Kliniken trifft auf den «Ad-hoc-Anspruch» von Patienten.
Bereits betreibt der Einzelhändler Wal-Mart ambulante Stati-
onen, in denen man ohne Voranmeldung schnell behandelt
wird. Derselbe Trend zeigt sich auch bei Ärzten. Als Gegen-
trend werden Motive wie Erlebnis und Entschleunigung
wichtiger. Davon profi tieren der Wellnesstourismus und
paramedizinische Einrichtungen ebenso wie Luxuskliniken
für Regenerationsbehandlungen und Anti-Aging.
«COLLABORATE OR DIE» Die Geschäftsmodelle von morgen
erfordern bereichs übergreifende Ansätze, um Anforderungen
wie fragmentierten Bedürfnissen der Patienten-Konsumen-
ten, Kos ten druck, Globalisierung, neuen Technologien und
Konvergenzmärkten zu begegnen. Chan cen ergeben sich dabei
im konkreten Umgang mit den Konsumenten-Patienten. Der
Austausch zwischen Anbietern im Krankheitsmarkt und
Anbietern im Gesundheitsmarkt schafft Synergien: Spitäler
und Ärzte eröffnen Präventionszentren, um früh mit späteren
Patienten ein Vertrauensverhältnis aufzubauen; Pharma-
unternehmen und Lebensmittelhersteller koppeln Genuss und
Technologie; Apotheker arbeiten mit Herstellern von Spezial-
nahrung und Kosmetika zusammen und eröffnen neue Laden-
formate; Textilhersteller entwerfen mit Medizinern und Infor-
matikern intelligente Kleider, die den Gesundheitszustand im
Alltag überwachen. Auf solchen Konvergenzmärkten werden
strategische Netzwerke unabdingbar sein.
Auch innerhalb der Wertschöpfungskette wächst die
Bedeutung von Kooperationen. In der Forschung vernetzen
sich Pharmaunternehmen mit spezialisierten Institutionen
und kaufen gezielt Technologien von «Contract-Research-
Wellness und Interferon sind bald im selben Markt angesiedelt.
Konsum . Neuer Markt Gesundheit . Stephan Sigrist
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GDI IMPULS . Sommer 2006
MOTIVE FÜR DIE NEUEN GESUNDHEITSMÄRKTE
NEUE BRANCHEN ERWEITERN DEN BISHERIGEN «KRANKHEITSMARKT»
Heilung von KrankheitKrankheiten prägen auch in Zukunft das Bild der Gesellschaft: Ihre Behandlung bleibt ein dominantes Motiv im Gesundheitsmarkt.
PräventionUnser Wunsch wächst, dem Ausbruch einer Erkrankung vorzeitig entgegenzu-wirken. Das Angebot erstreckt sich vom Kur- und Freizeitbereich über Ernährung, Körpertraining, alternative Therapien, Kosmetik, Reisen und Kleidung bis zu Wohnungseinrichtungen und Genanalysen.
Unabhängigkeit und KompensationÄltere Menschen brauchen zunehmend Unterstützung für nachlassende Funk-tionen. Den neuen Markt für Unabhängigkeit formen Gesundheits- und Haus-dienste, smarte Seh-, Hör- und Gehhilfen, Gedächtnis-Schrittmacher, intelligente Textilien und Betreuungsroboter.
Wohlfühlen und GanzheitlichkeitDas neue Gesundheitsverständnis treibt die Sehnsucht nach Ganzheitlichkeit und Vereinigung von Körper und Seele. Es entwickelt sich ein breiter Markt, der sich unter dem Begriff «Wellness» zusammenfassen lässt.
Mentale TransformationProdukte und Dienstleistungen werden immer austauschbarer. Daher spielen Werte und Emotionen eine wichtige Rolle. Der Gesundheitsmarkt wird auf Basis seines diesbezüglichen Mehrwerts neu eingeteilt.
Orientierung und VertrauenDer Umgang mit Gesundheit wird komplexer. Die Informationsfülle zu neuen Krankheiten, Behandlungs- und Präventionsmethoden steigt. Der überforderte Konsument sucht daher vermehrt nach Orientierung, Vertrauen und Sicherheit.
Physische TransformationWir wollen den Alterungsprozess «stoppen» und die Grenzen der Natur überwin-den. Schönheitschirurgie, Kosmetik, Functional Food und Tourismus profitieren zuerst, später werden Organe ersetzt, und die Medizinal- und Biotechnologie kata pultiert uns über unsere natürliche Leistungsfähigkeit, Schönheit oder Gehirn-kapazität hinaus.
Natürlichkeit und PurismusAls Gegentrend zur wachsenden Technisierung wächst das Bedürfnis der Konsu-menten nach Einfachheit, Schlichtheit und wahrer Essenz.
Traditioneller Anbieter (Krankheitsmarkt)Neue Anbieter (Gesundheitsmarkt)
Lebensmittel-hersteller
Unterhaltungs-elektronik
ModeKosmetik
Wellness
Einzelhandel
Tourismus
ÄrztePharmaSpitäler
ApothekenDrogerien
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Organisationen», um die eigenen Kompetenzen in einem
Gebiet schnell zu erweitern. In der Biotechnologie sind bei
Innovationen jeweils verschiedene Sektoren beteiligt: Akade-
mische Institutionen fungieren als Co-Innovato ren, indem
sie fundamentale Erkenntnisse liefern, die wiederum der
Arzneimittelentwicklung neue Impulse geben; als ergänzende
Industrie spielt der Agribusiness-Sektor zum Beispiel bei bio-
logischen Treibstoffen die Rolle des In novationstreibers; die
IT-Branche ermöglicht Innovationen in der Bioinfor matik
und der Telemedizin; hyride Sektoren bringen neue Produkte
an der Schnittstelle von Medizin, Lebensmitteln und Kosme-
tik hervor. Beispiele solcher Wachstumsmärkte sind Functio-
nal-Food-Produkte und «Cosmetoceuticals» (Arzneimittel
für die Schönheit von innen). Die entstehenden Synergien
führen zu mehr Innovation, einer Steigerung der Effi zienz
sowie einem besseren Zugang zu den Menschen.
DIE PHARMAINDUSTRIE VON MORGEN Die Biotechnologie spielt
in der Entwicklung innovativer Medikamente eine zentrale
Rolle. Bereits sind 190 Biotech-Produkte in den USA zugelas-
sen und befi nden sich rund tausend in der klinischen Ent-
wicklung. Und die Forschungsinvestitionen steigen. Trotzdem
werden weniger neue Medikamente zugelassen. Einer der
Gründe für diesen Rückgang der «F&E-Produktivität» liegt
in der Komplexität der molekular-biologischen Zusammen-
hänge, deren Verständnis mehr Zeit braucht als ursprünglich
angenommen. Denn jeder Fortschritt bringt sofort wieder
neue, noch komplexere Herausforderungen mit sich.
Ob die Hoffnungen auf ein rationales Arzneimitteldesign
wirklich erfüllt werden und eine «Revolution» in der Heilung
von Krankheiten ansteht oder ob andere Forschungsansätze
unsere Zukunft prägen werden, ist noch offen. Denkbar ist,
dass der Fokus von Arzneimitteln künftig stärker auf Präven-
tion und die Erhaltung von Gesundheit ausgerichtet ist –
nicht nur weil dadurch Heilungskosten gespart werden,
sondern weil auch die Bereitschaft der Konsumenten wächst,
in die Erhaltung ihrer Gesundheit, Schönheit und Leistungs-
fähigkeit zu investieren.
Die Differenzierung im Produktmix von Pharma unter-
nehmen wird zunehmen. Prägten lange so genannte «Block-
buster» mit über einer Milliarde Umsatz das Geschäfts modell
der Industrie, so könnten im neuen Gesundheitsmarkt
«Multibus ter» erfolgreich werden – eine Serie von personali-
sierten Therapien, die ein ganzes Krankheitsgebiet abdecken.
Weitere neue Angebote ermöglichen es, den Patienten in den
verschiedenen Phasen des Heilungsprozesses individuell zu
unterstützen. Neben solchen «disease management»-Metho-
den ergänzen diagnostische Geräte für den Heim gebrauch
das Produktportfolio.
Medizin nach Mass 01
Herkömmliche Arzneimittel erzielen im Schnitt
bei dreissig Prozent der Patienten keine nach-
haltige Wirkung. Dafür haben sie häufi g eine
Vielzahl von Nebenwirkungen, die für die Pati-
enten ein nicht unwesentliches Risiko mit sich
bringen. So müssen immer wieder Medikame n-
te vom Markt genommen werden – mit enor men
gesundheitsökonomischen Kosten.
Die Entschlüsselung des menschlichen
Genoms führt jetzt zur Individualisierung der
Medizin. Das molekulare Verständnis einer
individuellen Krankheitsursache ermöglicht
eine wirksamere und zielgerichtete Behand-
lung mit weniger Nebenwirkungen. Diese
Arneimitteltherapie nach Mass («Pharmako-
genomik») wird nicht nur eine medizinische
Revolution auslösen, sondern auch die öko no-
mi schen Regeln der pharmazeutischen Indus-
trie verändern: Diese steht vor einer strate-
gischen Neuausrichtung.
Die Individualisierung der Medizin führt
automatisch auch zu kleineren Märkten – aber
sie rechtfertigt aus Sicht der Industrie höhere
Statt Blockbuster prägen Multi-buster das Geschäftsmodell.
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Preise. Erste Erfolge auf diesem Weg sind
bereits vorzuweisen, allerdings steckt die Er-
forschung der hochkomplexen Zusammen-
hänge noch in den Kinderschuhen.
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GDI IMPULS . Sommer 2006
Konvergenz-MärkteHerkömmliche Industrien Herkömmliche Industrien
Weit reichende Netzwerke bieten der Industrie die Option
einer radikalen Konzentration auf ihre Kernkompetenzen,
während Produktion, Entwicklung und selbst das Marketing
ausgelagert werden. In diesem Modell verwalten die Pharma-
unternehmen das Wissen über Krankheitsgebiete oder bio-
chemische Kreisläufe, stehen im Zentrum eines Verbunds aus
Ärzten, Spitälern, Lebensmittelherstellern und Versicherun-
gen und unterstützen die Prävention wie auch den Heilungs-
prozess von der Diagnose bis zur Regeneration.
DIE REVOLUTION KOMMT SPÄTER Mehrere Faktoren stehen den
Triebkräften der Veränderung entgegen:
> Höhere Anforderungen der Zulassungsbehörden erschwe-
ren den Markteintritt. Für die Hersteller von Arznei- und
Lebensmitteln führen die Ansprüche an Produktsicherheit
und Nachweisbarkeit der Wirkung zu hohen Kosten, die sich
nicht auf den Produktpreis schlagen lassen.
> Die Mechanismen bei der Entstehung von Krankheiten sind
komplexer als erwartet. Die Biotechnologie muss noch weiter
entwickelt werden, um risikolos und gewinnbringend in der
Produktentwicklung eingesetzt zu werden. Bis sich ihr Poten-
zial erfüllt, wird es noch eine Weile dauern.
> Die Zunahme von Zivilisationskrankheiten und die immer
präzisere Diagnostik führen dazu, dass die Zahl der real und
potenziell kranken Menschen steigt. Neben der Gefahr der
Moralisierung von Gesundheit dürften Gesundheits phobien
zunehmen.
> Trotz steigenden Wissens prägt Verunsicherung den Ge-
sundheitsmarkt. Viele Konsumenten zögern, sich auf neue
Produktkategorien wie Functional Food einzulassen. Bis wir
neue Ernährungs- und Bewegungsverhalten adaptiert und
gesundheitliche Lebensformen entwickelt haben, die den Um-
ständen der modernen Gesellschaft entsprechen, dürfte gut
eine Generation vergehen.
Anbieter medizinischer Leistungen, Industrie, Staat und
Konsumenten-Patienten können von weit reichenden neuen
Möglichkeiten im Gesundheits- und Krankheitsmarkt aus-
gehen. Allerdings wird es entgegen den gegenwärtig durch die
«Gesundheitsblase» angeheizten Erwartungen noch einige
Zeit dauern, um Technologie, Wirtschaft und Gesellschaft
aufeinander abzustimmen und die Grundlagen für ein nach-
haltiges Wachstum der Märkte zu ermöglichen. Die Revolu-
tion kommt etwas später. <
Lektüre zum ThemaStephan Sigrist . Health Horizons – Guide zu den neuen Gesundheitsmärkten . GDI Studie Nr. 20, Gottlieb Duttweiler Institut 2006 . www.gdi.ch/studien
NEUE MÄRKTE ENTSTEHEN, WO ALTE INDUSTRIEN SICH VERBINDEN
Bioinformatik
Functional Food
Cosmetoceutical
Neuromarketing
Biopharming
Telemedizin
Walk-in-Klinik
Biotechnologie
Biotechnologie
Kosmetik
Neurologie
Biotechnologie
Medizin
Handel
Informationstechnologie
Lebensmittelhersteller
Lebensmittelhersteller
Marketing
Landwirtschaft
Telekommunikation
Krankenhaus
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GDI IMPULSWissensmagazin für Wirtschaft, Gesellschaft, HandelSommer 2006
ABONNEMENT FÜR GESCHÄFTSGEHEIMNISSESichern Sie sich den Zugriff auf ein einzigartiges
Informationsnetz für innovative Ideen. In GDI IMPULS analysieren und diskutieren namhafte Visionäre, Opinion-leaders, Forscher und Praktiker die bedeutendsten Trends und Entwicklungen in Wirtschaft, Gesellschaft, Mana-gement und Handel. Sie erhalten damit frühzeitig und aus erster Hand Anleitungen zum kompetenten Umgang mit den wichtigsten Herausforderungen des Umfelds – ein Abonnement auf zukünftige Geschäftsgeheimnisse.
GDI IMPULS, die führende Vierteljahresschrift für Wirtschaft und Gesellschaft, überschreitet die Grenzen zwischen den Disziplinen, erkundet neue Wirklichkeiten und gibt Denkanstösse am Puls der Zeit. Zukunftsorien-tiert und relevant. Für die Qualität der Beiträge bürgt der renommierte Schweizer Think-Tank Gottlieb Duttweiler Institut (GDI). Errichtet vom herausragenden Visionär, Politiker und Migros-Gründer Gottlieb Duttweiler, ist das GDI seit über vierzig Jahren eine wichtige europäische Plattform für den Handel und Know-how-Tankstelle für zukunftsorientiertes Denken.
AUTORENLISTE (AUSZUG)Ian Angell: Der Ansturm der Barbaren _ Ulrich Beck:
Leben in der Risikogesellschaft _ Norbert Bolz: Der Name der Marke _ Steven Brown: Die Retromarketing-Revolution _ Georg Franck: Aufmerksamkeitsökono-mie _ Neil Gershenfeld: Dinge, die denken _ Malcolm Gladwell: Der Tipping-Point _ Daniel Goleman: Emotionale Kompetenz im Management _ Peter Gross: Abschied von der monogamen Arbeit _ Gary Hamel: Das revolutionäre Unternehmen _ Naomi Klein: No Logo? _ Christopher Meyer: Die adaptive Ökonomie _ Christian Mikunda: Ein-kaufsdramaturgie _ Henry Mintzberg: Jenseits des Egois-mus _ Kjell A. Nordström: Karaoke-Kapitalismus _ Joseph
Pine: Die Erlebnisökonomie _ Jeffrey Rayport: Virusmar-keting _ Florian Rötzer: Superwaffe Panik _ Doc Searls: Das Cluetrain Manifesto _ Robert J. Shiller: Die neue Fi-nanzordnung _ Don Tapscott: Net Kids _ Paco Underhill: Alterskonsum _ Peter Wippermann: Helden der Zukunft
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