Science Bridge, eine Brücke zwischen Universität und Schule

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300 | Biol. Unserer Zeit | 35. Jahrgang 2005 | Nr. 5 TREFFPUNKT FORSCHUNG | und anwendungsbezogenen Hinter- gründe vermitteln (Abbildung 1). Das Angebot richtet sich an die Sekundar- stufen I (ab Klasse 9) und II. Science Bridge erwartet von den Schulen einen vorbereitenden Unterricht zu den Experimenten und unterstützt Lehrer bei Bedarf mit Lernmateria- lien. Besondere Voraussetzungen in Bezug auf die Fachräume sind nicht gefordert, ein Stromanschluss und ein Waschbecken reichen aus. Für eine normale Unterrichtsdoppelstunde sind die Experimente zwar zu zeitauf- wändig, sie können aber an einem halben Tag oder im Rahmen von Pro- jekttagen durchgeführt werden. Derzeit werden die Dienstleistun- gen von Science Bridge im Umkreis von mehr als 100 Kilometern rund um Kassel von Schulen in Nord- und Mittelhessen, NRW und Südnieder- sachsen genutzt. Science Bridge bietet neben be- kannten Experimenten wie der Präparation von DNA aus Zwiebeln, dem genetischen Fingerabdruck oder der Klonierung von DNA auch eine Plasmid-Minipräparation sowie ein Experiment zum horizontalen Gen- transfer an. Dabei wird neben der ex- perimentellen Erfahrung großer Wert darauf gelegt, wissenschaftliche Denkweisen zu erlernen. Der übliche Versuch zur DNA-Isolierung bleibt beispielsweise sehr unvollständig, wenn er sich darauf beschränkt, das fädige Material als DNA zu erklären. Erst nach einer enzymatischen Ver- dauung und einer Gelelektrophorese zeigt sich, welche Anteile an DNA und an RNA in der Präparation ent- halten waren. Ein Experiment zum horizontalen Gentransfer wird gleichzeitig genutzt, um die Bedeutung von Kontrollen im molekularbiologischen Versuch zu betonen: Nur mit ausführlichen Tests der Ausgangsmaterialien ist eine ver- lässliche Aussage möglich. Science Bridge arbeitet kontinu- ierlich an der Erweiterung des Expe- rimentalangebots. Derzeitig befinden sich Experimente aus den Bereichen Bioinformatik und Biochemie in Pla- nung und Vorbereitung. verbreitet. Im Gegenteil: Immer mehr Organisationen und Initiativen bemühen sich, Schülern Einblicke in die modernen Biowissenschaften zu geben. Das Projekt „Science Bridge“ schlägt hierbei eine Brücke zwischen wissenschaftlicher Forschung und Schule. Es ist jedoch kein Schüler- labor im Sinne außerschulischer Lern- orte, sondern integriert molekular- biologische Experimente direkt in den Unterricht. Vor dem Hintergrund der zuneh- menden gesellschaftlichen Relevanz biowissenschaftlicher Themen, bei- spielsweise der kontroversen Diskus- sionen über Vaterschaftstests mit dem genetischen Fingerabdruck oder transgene Lebensmittel, fordert der Lehrplan vom Kultusministerium des Landes Hessen für das Unterrichts- fach Biologie an Gymnasien, „dass die Erkenntnisse und Entwicklungen in den Biowissenschaften für eine breite Öffentlichkeit durchschaubarer und verständlicher gemacht werden müs- sen. Grundkenntnisse darüber müs- sen zum Alltagswissen gehören“. Viele Schulen können sich auf- grund knapper Ressourcen die kos- tenintensiven Materialien nicht leis- ten, die für molekularbiologische Versuche benötigt werden. Deshalb stellt Science Bridge moderne Geräte, Reagenzien und Versuchsprotokolle zur Verfügung. Weil in der Lehreraus- bildung häufig keine Möglichkeiten gegeben sind, um solche Experi- mente für die Schule zu erlernen, werden die Versuche von Experten betreut, die auch die theoretischen MOLEKULARBIOLOGIE IN DER SCHULE | Science Bridge, eine Brücke zwischen Universität und Schule Die Initiative „Science Bridge“ an der Universität Kassel schlägt eine Brücke zwischen universitärer Forschung und Schule. Sie bringt aktuelle molekularbiologische Arbeitsmethoden als spannenden Experimental- unterricht in den Klassenraum und liefert Geräte, Reagenzien und fach- liche Expertise gleich mit. Science Bridge bezieht Lehramtsstudenten in das Kursprogramm mit ein und ermöglicht ihnen damit, Erfahrungen mit anspruchsvollen Unterrichtsthemen zu sammeln. Vor etwa fünf Jahren schrieb uns ein Biologie- lehrer, dass wir wohl keine Ahnung von der schuli- schen Realität hätten, molekularbiolo- gische Experimente seien dort ein- fach nicht durchführbar und würden es auch nie werden. Glücklicher- weise hat sich diese Auffassung nicht ABB. 1 Schüler einer 9. Klasse der Theodor-Heuss-Schule (Baunatal) mit Betreuerin Sara Müller beim genetischen Fingerabdruck.

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und anwendungsbezogenen Hinter-gründe vermitteln (Abbildung 1). DasAngebot richtet sich an die Sekundar-stufen I (ab Klasse 9) und II. ScienceBridge erwartet von den Schulen einen vorbereitenden Unterricht zuden Experimenten und unterstütztLehrer bei Bedarf mit Lernmateria-lien. Besondere Voraussetzungen inBezug auf die Fachräume sind nichtgefordert, ein Stromanschluss und einWaschbecken reichen aus. Für einenormale Unterrichtsdoppelstundesind die Experimente zwar zu zeitauf-wändig, sie können aber an einemhalben Tag oder im Rahmen von Pro-jekttagen durchgeführt werden.

Derzeit werden die Dienstleistun-gen von Science Bridge im Umkreisvon mehr als 100 Kilometern rundum Kassel von Schulen in Nord- undMittelhessen, NRW und Südnieder-sachsen genutzt.

Science Bridge bietet neben be-kannten Experimenten wie derPräparation von DNA aus Zwiebeln,dem genetischen Fingerabdruck oderder Klonierung von DNA auch einePlasmid-Minipräparation sowie einExperiment zum horizontalen Gen-transfer an. Dabei wird neben der ex-perimentellen Erfahrung großer Wertdarauf gelegt, wissenschaftlicheDenkweisen zu erlernen. Der üblicheVersuch zur DNA-Isolierung bleibtbeispielsweise sehr unvollständig,wenn er sich darauf beschränkt, dasfädige Material als DNA zu erklären.Erst nach einer enzymatischen Ver-dauung und einer Gelelektrophoresezeigt sich, welche Anteile an DNAund an RNA in der Präparation ent-halten waren.

Ein Experiment zum horizontalenGentransfer wird gleichzeitig genutzt,um die Bedeutung von Kontrollen immolekularbiologischen Versuch zubetonen: Nur mit ausführlichen Testsder Ausgangsmaterialien ist eine ver-lässliche Aussage möglich.

Science Bridge arbeitet kontinu-ierlich an der Erweiterung des Expe-rimentalangebots. Derzeitig befindensich Experimente aus den BereichenBioinformatik und Biochemie in Pla-nung und Vorbereitung.

verbreitet. Im Gegenteil: Immer mehrOrganisationen und Initiativenbemühen sich, Schülern Einblicke indie modernen Biowissenschaften zugeben.

Das Projekt „Science Bridge“schlägt hierbei eine Brücke zwischenwissenschaftlicher Forschung undSchule. Es ist jedoch kein Schüler-labor im Sinne außerschulischer Lern-orte, sondern integriert molekular-biologische Experimente direkt inden Unterricht.

Vor dem Hintergrund der zuneh-menden gesellschaftlichen Relevanzbiowissenschaftlicher Themen, bei-spielsweise der kontroversen Diskus-sionen über Vaterschaftstests mitdem genetischen Fingerabdruck odertransgene Lebensmittel, fordert derLehrplan vom Kultusministerium desLandes Hessen für das Unterrichts-fach Biologie an Gymnasien, „dass dieErkenntnisse und Entwicklungen inden Biowissenschaften für eine breiteÖffentlichkeit durchschaubarer undverständlicher gemacht werden müs-sen. Grundkenntnisse darüber müs-sen zum Alltagswissen gehören“.

Viele Schulen können sich auf-grund knapper Ressourcen die kos-tenintensiven Materialien nicht leis-ten, die für molekularbiologische Versuche benötigt werden. Deshalbstellt Science Bridge moderne Geräte,Reagenzien und Versuchsprotokollezur Verfügung. Weil in der Lehreraus-bildung häufig keine Möglichkeitengegeben sind, um solche Experi-mente für die Schule zu erlernen,werden die Versuche von Expertenbetreut, die auch die theoretischen

M O L E K U L A R B I O LO G I E I N D E R S C H U L E |Science Bridge, eine Brücke zwischen Universität und Schule

Die Initiative „Science Bridge“ an der Universität Kassel schlägt eineBrücke zwischen universitärer Forschung und Schule. Sie bringt aktuellemolekularbiologische Arbeitsmethoden als spannenden Experimental-unterricht in den Klassenraum und liefert Geräte, Reagenzien und fach-liche Expertise gleich mit. Science Bridge bezieht Lehramtsstudenten in das Kursprogramm mit ein und ermöglicht ihnen damit, Erfahrungenmit anspruchsvollen Unterrichtsthemen zu sammeln.

Vor etwa fünfJahren schriebuns ein Biologie-lehrer, dass wir

wohl keine Ahnung von der schuli-schen Realität hätten, molekularbiolo-gische Experimente seien dort ein-fach nicht durchführbar und würdenes auch nie werden. Glücklicher-weise hat sich diese Auffassung nicht

A B B . 1 Schüler einer 9. Klasse der Theodor-Heuss-Schule(Baunatal) mit Betreuerin Sara Müller beim genetischen Fingerabdruck.

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Sie befassen sich intensiv mit der di-daktischen Aufarbeitung aktuellerForschungsmethoden, beteiligen sichan der Organisation, an der Beschaf-fung von Fördermitteln und präsen-tieren Science Bridge auf Tagungenund Konferenzen. Wie von selbst er-geben sich ständig neue Aufgabenund Projekte, bei denen die Mitar-beiter Schlüsselkompetenzen in derPraxis erwerben.

Die direkte Verbindung zurSchule ist nicht nur durch die Experi-mentiertage gegeben, Science Bridgearbeitet mit Partnerschulen zusam-men, die die Umsetzung der Versu-che vom Labor in den Unterricht eva-luieren und die schulpraktische Erfah-rung in die weiteren Entwicklungendes Projekts einbringen.

Science Bridge trägt sich finanzi-ell aus Gebühren, die die Schulen fürMaterial- und Personalkosten entrich-ten. Die Teilnahmegebühr über-schreitet nicht den Rahmen von bei-spielsweise Schulexkursionen undkonnte bisher immer geleistet wer-den. Zur Weiterentwicklung vonScience Bridge ist eine Förderungdurch NaT-Working bei der RobertBosch Stiftung beantragt.

Eine Initiative für Schulexperi-mente in der Molekularbiologie gibtes an der Universität Kassel seit 1996.

Science Bridge besteht in der jetzigenForm seit dem Jahr 2000 aus einemTeam von etwa zehn Studierendenunter der Leitung von Dr. J. Klug vonder Universität Gießen und Prof. Dr.W. Nellen von der Universität Kassel(Abbildung 2). Einige Schulen habenmittlerweile schon so lange Kontaktzu Science Bridge, dass sowohl Lehrer als auch Schüler nicht mehrauf die Experimentiertage verzichtenwollen.

Sara Müller, Wolfgang Nellen, Kassel;

Jörg Klug, Giessen

Mit Hilfe von Datenbanken und Pro-grammen lassen sich Analysen vonder einfachen Übersetzung einerDNA in die Proteinsequenz bis zurkomplexeren Strukturuntersuchungan Proteinen sowie der Konstruktionevolutionärer Stammbäume durch-führen. Obwohl Datenbanken undviele Bioinformatikprogramme freizugänglich sind, wird in Schulen we-nig Gebrauch davon gemacht. Dabeikann diese Arbeitsmethode im Biolo-gieunterricht spannende Eindrückevermitteln. Sie regt zu vertiefterselbständiger Arbeit an und erfülltden curriculären Aspekt „Befundezur Stammbaumforschung“.

Rekombinante Proteine spieleneine bedeutende Rolle in der Grund-lagenforschung wie auch der Medizin(beispielsweise Blutgerinnungsfakto-ren, Insulin). Die Herstellung solcherProteine wird beispielhaft mit einemExperiment mit transformierten E.coli Zellen demonstriert, das je nachZeit und Vorbildung der Schüler inunterschiedlicher methodischer Viel-falt und experimenteller Tiefe ange-boten werden kann. Dabei wird dieBedeutung der Gentechnik für dieBiomedizin verdeutlicht.

Am Ende eines Experiments inder Schule legt Science Bridge beson-deren Wert auf die Auswertung undBesprechung der Ergebnisse. UnterEinbeziehung anderer Fächer wie Religion und Politik können die Themen der Versuche auch unterethischen Gesichtspunkten mit denSchülern diskutiert werden.

Damit Grundlagen der modernenBiowissenschaften zum Alltagswissenwerden, reicht ein Angebot an Schul-versuchen allein nicht aus. ScienceBridge bezieht deshalb die Lehreraus-bildung und Lehrerfortbildung mitein: Die Science Bridge-Versuche sindeinerseits im Rahmen eines Pflicht-praktikums ein fester Bestandteil desLehramtscurriculums der UniversitätKassel, andererseits lebt ScienceBridge von interessierten Lehramts-und Diplomstudenten! Sie erhalten inspeziellen Kursen und durch viel Eigeninitiative das erforderliche Trai-ning für die Einsätze in den Schulen.

A B B . 2 Das Science Bridge Team 2005. Hinten: Sabine Quell, Sarah Dunagan, AylinUcar, Sara Müller, Sanja Vesely, vorne: Jörg Klug, Andreas Hartwig, Thomas Thiede,Florian Rietz, Benjamin Boesler, Wolfgang Nellen.

I N FO R M AT I O N E N |Eine ausführliche Übersicht über dasScience Bridge Angebot kann bei Prof. Dr. W. Nellen angefordert werden:

Prof. Dr. Wolfgang Nellen Abt. GenetikUniversität KasselHeinrich-Plett-Straße 4034132 KasselEmail: [email protected]

Mehr über Science Bridge und überSchülerlabore allgemein finden Sie auchim Internet: www.sciencebridge.net,www.lernort-labor.de