Schulleitung und schulentwicklung in frankreich tulowitzki
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Pierre Tulowitzki
Schulleitung und Schulentwicklung in Frankreich Fallstudien an colffiges im Großraum Paris
Springer VS
Schulleitung und Schulentwicklung in Frankreich
Pierre Tulowitzki
Schulleitung und Schulentwicklung in Frankreich
Fallstudien an collèges im Großraum Paris
Pierre Tulowitzki Zug, Schweiz
Dissertation Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, 2013
ISBN 978-3-658-04602-6 ISBN 978-3-658-04603-3 (eBook) DOI 10.1007/978-3-658-04603-3
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Danksagung
Meinem Promotionsbetreuer, Prof. Dr. Uwe Hameyer, danke ich ganz herzlich für die fortwährende, hilfreiche Betreuung, die stete Unterstützung und Förde-rung sowie die Freiheiten, die er mir gewährt und all die Möglichkeiten, die er mir wie selbstverständlich eröffnet hat.
Prof. Dr. Birgit Brouör danke ich vielmals für die Übernahme des Zweitgutachtens sowie für ihre motivierende Beratung und ihr wertvolles Feed-back zu diversen Fragen rund um die Arbeit.
Dem Institut für Pädagogik der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) danke ich für die vielseitige Unterstützung, insbesondere in Form von Förderungen von Tagungsbesuchen und Fortbildungen sowie einer Anstellung, die genug Raum für eigenständige wissenschaftliche Arbeit ließ.
Dem Deutsch-Französischen Jugendwerk (DFJW) danke ich vielmals für die finanzielle Unterstützung eines Forschungsaufenthaltes in Frankreich. Der Schönhauser-Stiftung, dem Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) sowie dem Graduiertenzentrum der CAU danke ich vielmals für die fi-nanzielle Förderung mehrerer Konferenzbesuche, welche diese Arbeit wesent-lich bereichert haben. Den Kruses danke ich ganz herzlich für mehrfache, tolle Unterbringungen.
Je tiens ä remercier Antoine gräce ä qui j'ai pu r8aliser mes premieres recherches en France et qui m'a h8berg8 plusieurs fois. Merci 8galement ä J8r8- me qui m'a expliqu8 bien des choses sur le fonctionnement du systeme 8ducatif fran9ais et qui m'a beaucoup aid8 ä trouver d'autres coll8ges pour mes recher-ches. Finalement, je remercie vivement tous les chefs d'8tablissement qui m'ont accord8 tant de temps pr8cieux. Sans leur bon vouloir et leur coop8ration, mes recherches pour ce travail n'auraient pas ete possibles.
Mein Dank gilt meiner Familie und meiner Frau für ihre grenzenlose moralische und praktische Unterstützung, ohne die diese Arbeit nicht möglich gewesen wäre.
Verfasst mit Hilfe von Libreefice (www.libreoffice.org) und Zotero (www.zotero.org).
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung 11 1.1 Schulleitungshandeln — ein Überblick 15 1.2 Eigene Forschung — Ansatz und Design 24
2 Theoretische Grundlagen 26 2.1 Schulentwicklung 26 2.2 Schulentwicklung vs. Innovation 30
2.2.1 Innovation in der Wirtschaftsforschung 30 2.2.2 Innovation in der Pädagogik 36
2.3 Schule als lernende Organisation 42 2.4 Leadership und Führung 44
2.4.1 Trait-Theorie 53 2.4.2 Kontingenzmodell, transaktionale und transformationale Führungsmodelle 55 2.4.3 Shared und distributed leadership 56
2.5 Die Strukturationstheorie als integrative Perspektive 58 2.5.1 Handelnde (soziale Akteure) 60 2.5.2 Diskursives und praktisches Bewusstsein 61 2.5.3 Struktur 61 2.5.4 Veränderungen 62
2.6 Zusammenfassung 63 3 Der französische Kontext 65
3.1 Das französische Schulsystem — eine Skizze 65 3.2 Das coll8ge 68 3.3 Kompetenzverteilung im französischen Bildungswesen 72 3.4 Schulleitung in Frankreich 75
3.4.1 Historische Entwicklung und gegenwärtige Lage 77 3.4.2 Auswahlverfahren und Ausbildung von Schulleitungskräften in Frankreich 85
3.5 Schulentwicklung und Leadership in Frankreich 87 3.6 Pilotage vs. Leadership 90 3.7 Zusammenfassung 92
4 Empirischer Teil 94 4.1 Design und Methoden 94 4.2 Beobachtungen 102
8 Inhaltsverzeichnis
4.3 Kategorien der Beobachtungen 108 4.4 Interviews 110 4.5 Dokumentenanalyse 114 4.6 Datengewinnung und Datenquellen 114
4.6.1 Schulleiterin 1 116 4.6.2 Schulleiterin 2 116 4.6.3 Schulleiter 3 117 4.6.4 Schulleiter 4 118 4-.6.5 Schulleiterin 5 118
4.7 Reflexion der Datenerhebung 119 4.8 Zusammenfassung 121
5 Auswertung der Beobachtungen 123 5.1 Räumlichkeiten 125 5.2 Individuelle Arbeitstage 129
5.2.1 Schulleiterin 1 129 5.2.2 Schulleiterin 2 132 5.2.3 Schulleiter 3 134 5.2.4 Schulleiter 4 136 5.2.5 Schulleiterin 5 138
5.3 Zusammenfassung 140 6 Auswertrag der Interviews 142
6.1 Befimde 144 6.1.1 Auslöser fiir Schulentwicklungsprojekte 144 6.1.2 Beteiligte 145 6.1.3 Funktionen im Schulentwicklungsprozess 145 6.1.4 Funktionen der stellvertretenden Schulleiter/-irmen und pädagogischen Berater/-innen aus Sicht der Schulleited-innen 146 6.1.5 Zusammenarbeit mit der Lehrerschaft 147 6.1.6 Akzeptanz von Schulentwicklungsprojekten 148 6.1.7 Schulentwicklung und Finanzen 149 6.1.8 Schulische hmovationen und Zeit 149 6.1.9 Politischer Kontext von Schulentwicklung, Rahmenvorgaben und Autonomie 151 6.1.10 Vemetzwig mit anderen Schulen im Kontext von Schulentwicklung 152 6.1.11 Entwicklung von Zielen und Perspektiven als Teil des professionellen schulischen Handelns 153
6.2 Beispiel für verschiedene Implementierungen einer huiovation 153 6.3 Zusammenfassung 155
7 Reflexion des Forschungsdesigns 157 8 Diskussion der Befimde 162
Inhaltsverzeichnis 9
8.1 Interpretationen 162 8.2 Weiterführende Schlussfolgerungen 172 8.3 Zusammenfassung 178
9 Schluss 180 10 Glossar ausgewählter Begriffe zum college 184 11 Literaturverzeichnis 188 12 Abbildungsverzeichnis 203 13 Tabellenverzeichnis 205 14 Anhang 206
14.1 Forschungsplan 207 14.2 Aufbau des französischen Schulsystems 208 14.3 Beobachtungsprotokoll 209 14.4 Beobachtungen Schule 1 Basisdaten 210 14.5 Beobachtungen Schule 2 Basisdaten 216 14.6 Beobachtungen Schule 3 Basisdaten 222 14.7 Beobachtungen Schule 4 Basisdaten 228 14.8 Beobachtungen Schule 5 Basisdaten 234 14.9 Beispiele für beobachtete Tätigkeiten 240 14.10 Interviewleitfaden 241
P. Tulowitzki, Schulleitung und Schulentwicklung in Frankreich,
DOI 10.1007/978-3-658-04603-3_1, © Springer Fachmedien Wiesbaden 2014
12 1 Einleitung
Stellung ein Schlüsselfaktor für das Gelingen oder Scheitern von Innovationen (vgl. Dalin, 1998; Huber & Pashiardis, 2008). Wie Tätigkeiten und Interaktionen von Schulleitungen schulische Innovationsprozesse, die auch als Schulentwick-lungsprozesse bezeichnet werden können, beeinflussen, ist in Deutschland seit geraumer Zeit Gegenstand von Untersuchungen (vgl. beispielsweise Huber, 2008a; Languth, 2007; Lohmann & Minderop, 2008; Rausch, 2009). Zwar wur-den auf diesem Gebiet in den letzten Jahrzehnten Fortschritte erzielt. Martin Bonsen identifizierte beispielsweise 2002 zielbezogene Führung, Innovationsbe-reitschaft und Organisationskompetenz als zentrale Handlungsdimensionen von Schulleiterinnen und Schulleitern an „guten" Schulen (vgl. Bonsen et al., 2002). Es bleiben jedoch noch erhebliche Lücken, zum Beispiel bei der empirischen Untersuchung von Schulleitungshandeln im Alltag; insgesamt ist dieser For-schungsbereich in Deutschland noch ausbaufähig (vgl. Huber, 2005, S. 3), für den französischen Kontext gilt dies in noch viel stärkerem Maße.
Impulse und Ideen für Verbesserungen im Bereich Schulentwicklung und Schulführung (educational leadership)3 in Deutschland gehen häufig auf Erkenntnisse aus dem amerikanischen Raum zurück. Damit lässt sich eventuell erklären, warum über das Schulsystem der USA und seine Akteure umfassende Daten vorliegen und es regelmäßig zu komparativen Studien kommt (vgl. bei-spielsweise Dichanz, 1991; Lenz, 1991; Lind, 2004; Martin, 1974; Purkey & Smith, 1991; Roeder, 2012). Andere, geographisch und auch kulturell näherlie-gende Staaten, wurden hingegen bisher aus deutscher Perspektive kaum oder gar nicht näher erforscht. Frankreich als Nachbarland mit dem ein reger wirtschaftli-cher sowie kultureller Austausch und — vorwiegend in den Grenzregionen —auch ein Kontakt der Schulsysteme stattfmdet, ist aus deutscher sowie aus inter-nationaler Perspektive bisher kaum erforscht; über das französische Schulsys-tem, insbesondere über die französische Schulleitung ist kaum etwas bekannt.
Ziel dieser Arbeit ist es, einen wissenschaftlich fundierten Einblick in den beruflichen Alltag der Schulleiterinnen und Schulleiter in Frankreich zu ge-ben und ihr Handeln und ihre Einflussmöglichkeiten im Kontext von Schulent-wicklung zu präsentieren und zu reflektieren. Dazu wurden laufende Schulent-wicklungsprojekte an französischen Schulen explorativ rekonstruiert. Dabei wurde ein besonderes Augenmerk auf die Interaktionen der Schulleitung mit ih-rem engsten beruflichen Umfeld im Kontext der Initiierung und Umsetzung von Schulentwicklungsprozessen gelegt. Frankreich, das Deutschland nicht nur geo-graphisch sowie kulturell sehr nahesteht, sondern sich auch ganz ähnlichen so-ziokulturellen Herausforderungen gegenübersieht wie Deutschland (vgl. Fisch, 2007) — z. B. die Integration einer signifikanten Anzahl an Jugendlichen mit Mi-grationshintergrund — wurde als Untersuchungsort ausgewählt. Dem Defizit,
Sofern im Text nicht anders spezifiziert erfolgt der Gebrauch von Führung als Synonym bzw. Übersetzung von Leadership (vgl. hierzu auch Kapitel 2.4).
1 Einleitung 13
dass es bis heute kaum deutschsprachige Literatur über das französische Schul-system im Allgemeinen gibt und bisher keinerlei deutschsprachige Studien über Schulleitung in Frankreich existieren, soll durch diese Arbeit entgegengewirkt werden. Durch die Studie soll sichtbar gemacht werden, wie Schulleiter/-innen verschiedene Innovation- bzw. Schulentwicklungsprozesse beeinflusst und ge-formt haben. Ferner soll gezeigt werden, wie Schulen, genauer Schulleitungen, auf Veränderungsdruck reagiert haben.
Die Schulentwicklungsbiografien sind mikroperspektivischer Natur (nämlich in diesem Fall die einzelne Schule und ihre jeweilige Auseinanderset-zung mit den schulischen Veränderungen betrachtend), ein eingeschränkter Blick auf die Makroebene (Schule im System Schule, vgl. Bonsen, 2010) erfolgt jedoch ebenfalls. Die auf colliges4 in Frankreich angewandten For-schungsfragen lauteten:
• Wie verbringen Schulleiter/-innen ihre Arbeitszeit? • Wie und wann widmen sie sich Schulentwicklung?
Angesichts der Tatsache, dass im deutschsprachigen Raum so gut wie keine wis-senschaftlich gesicherten Erkenntnisse über Schulleitungshandeln in Frankreich vorliegen, bilden diese Fragen ein angemessenes Forschungsfundament. Bei der Beantwortung der Forschungsfragen wurde versucht, auf Handlungsfelder, die Schulleitungen gemeinhin zugesprochen werden, sowie auf Handlungsfelder und Funktionen einzugehen, die sie sich selbst zuschreiben, und schließlich Funktionen zu berücksichtigen, die im Rahmen der vorliegenden Arbeit in der Praxis beobachtet wurden. Das Wissen über die Arbeit der Schulleiter/-innen im Alltag wurde als Grundstein für das Erforschen des Wirkens von Schulleitern/Schulleiterinnen im Bereich der Schulentwicklung angesehen. So-mit ergaben sich zwei nachgelagerte Forschungs- oder Leitfragen:
• Welchen Einfluss haben Schulleiter/-innen in Frankreich auf den Schulentwicklungsprozess?
• Welches sind im Kontext der Arbeit an Schulentwicklungsprojekten re-levante Handlungsmuster der Schulleitung?
Zur Bearbeitung dieser Fragen wurde eine empirische Studie in Frankreich durchgeführt.' Für die Untersuchung wurden fünf Schulen aus einem Pariser Schulbezirk ausgewählt (aus dem Dipartement du Val-d'Oise, die Schulen un-terstehen der Schulbehörde AcadMie de Versailles). Sie alle hatten im Schuljahr
Definitionen und Erläuterungen zu französischen Begriffe und französischen Abkürzungen be-finden sich im Glossar am Ende dieser Arbeit.
5 Ein ausführlicher Plan der Untersuchung befindet sich im Anhang (Abbildung 31).
14 1 Einleitung
2010/2011 auf der einen Seite identische, national vorgegebene und von der zu-ständigen Schulbehörde (der acadbnie) an die Schulen weitergeleitete Verände-rungsprozesse zu bewältigen. Auf der anderen Seite hat jede Schule jedoch einen individuellen Umgang mit den geforderten Veränderungsprozessen gefun-den. Jede Schule ist einzigartig und in einen spezifischen Kontext eingebettet. Somit sind auch die Veränderungen an den verschiedenen Schulen einerseits dif-ferenziert zu betrachten, andererseits sollen auch Gemeinsamkeiten herausge-stellt und analysiert werden. Darüber hinaus existierten an jeder Schule indivi-duelle Schulentwicklungsprojekte, die im Kontext der (wachsenden) Autonomie der Schulen entstanden waren und ebenfalls erfasst und analysiert wurden. Be-sondere Aufmerksamkeit wurde dem Schulleiter bzw. der Schulleiterin als Schlüsselperson gewidmet. Der Fokus der in dieser Arbeit vorgestellten Unter-suchung liegt auf der Einzelschule als Motor der Schulentwicklung (vgl. Ber-kenmeyer & Rolff, 2005, S. 21).
Einen wichtigen Bestandteil der Untersuchung stellen Fallstudien an je-nen fünf Schulen als Mittel der Exploration (explorative Funktion) dar. Explora-tive Fallstudien bieten den Vorteil, dass bei einer limitierten Anzahl an Fällen viele und „tiefe" Informationen eingeholt werden können (vgl. Lamnek, 2010, S. 282). In dieser Arbeit wird deshalb auf ein exploratives, replikatives Fallstu-dien-Design zurückgegriffen. Der Fallstudien-Ansatz wird methodisch ausge-füllt durch überwiegend strukturierte Beobachtungen, halb-strukturierte Inter-views und die Analyse ausgewählter Dokumente. Es wird versucht, den grundle-genden Charakteristika des französischen Schulsystems Rechnung zu tragen, da einzelne Faktoren nach Möglichkeit in ihrem organisationalen und kulturellen Kontext zu betrachten sind. Darüber hinaus wird davon ausgegangen, dass auch vergangene Strukturen und Entwicklungen von Bedeutung sind, um aktuelle Zu-stände nachvollziehen und in ihrem Kontext erfassen zu können.
Aufgrund des bis heute hohen Zentralisierungsgrades des französischen Schulsystems wird für viele im Rahmen dieser Untersuchung beobachtete Struk-turen davon ausgegangen, dass sie an den meisten staatlichen colliges Frank-reichs vorzufinden sind. Auf den schulischen Kontext sowie die strukturellen und rechtlichen Rahmenbedingungen und ihre Entwicklung wird deshalb in die-ser Arbeit kurz eingegangen. Um gegenwärtig bedeutsame Themen des französi-schen Schulentwicklungsdiskurses nachvollziehbar zu machen, wird außerdem ein (begrenzter) historischer Überblick gegeben.
Nachfolgend wird zunächst der derzeitige Forschungsstand im Bereich der Schulleitungsforschung, speziell die Aufgaben und Tätigkeiten von Schullei-terinnen und Schulleitern betreffend, dargestellt. Dem Mangel an genuin franzö-sischer Forschung und der starken Dominanz US-amerikanischer Forschungsar-beiten auf diesem Gebiet wird dabei Rechnung getragen. Anschließend werden die für diese Arbeit relevanten theoretischen Grundlagen erarbeitet. Zentrale Be-
1 Einleitung 15
griffe wie Schulentwicklung und Leadership6 werden unter Berücksichtigung des gegenwärtigen wissenschaftlichen Diskurses aufgearbeitet, außerdem erfolgt eine eigene Positionierung innerhalb der wissenschaftlichen Debatte. Im dritten Kapitel wird der französische Kontext, in den diese Arbeit eingebettet ist, vorge-stellt, um Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen dem deutschen und dem französischen Schulsystem deutlich zu machen. Dabei wird die Perspektive innerhalb des französischen Schulsystems auf das collige beschränkt, da andere französische Schulformen in dieser Arbeit nicht berücksichtigt werden. Im an-schließenden empirischen Teil wird zunächst das Forschungsdesign erläutert; die verschiedenen verwendeten Methoden sowie die Datenquellen werden erör-tert. Es folgt eine Präsentation der erhobenen Daten, gefolgt von einer kritischen Reflexion des verwendeten Forschungsdesigns sowie einer Interpretation und Diskussion der Ergebnisse. Den Schluss dieser Arbeit bilden aus den erhobenen Daten abgeleitete Schlussfolgerungen zum aktuellen Stand und zu möglichen Veränderwigen der Schulleitung und Schulentwicklung in Frankreich sowie ein ausführliches Fazit (das Vorgehen dieser Arbeit ist damit als induktiv zu charak-terisieren, vgl. Lamnek, 2010, S. 222f).
1.1 Schulleitungshandeln — ein Überblick
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit Schulleitung in Frankreich, genauer gesagt, mit den Handlungen der Schulleitung im Allgemeinen sowie im Kontext von Schulentwicklung im Speziellen. Es erscheint daher naheliegend, neben dem internationalen Forschungsdiskurs zu Schulleitungshandeln auch genuin französische Forschung zu berücksichtigen. Jedoch sind empirisch gesicherte Ergebnisse zu Schulleitungshandeln in Frankreich rar und bestenfalls an-satzweise vorhanden. Signifikante Beiträge zur Erforschung von Schulleitungs-handeln stammen mehrheitlich aus der anglophonen, dabei hauptsächlich aus der anglo-amerilcanischen Forschung, doch sind diese für die deutsche bzw. französische Schulleitungsforschung von begrenztem Erkenntniswert, da sie ei-nem anderen schulischen Kontext entstammen. Einige der erwähnten Studien sind darüber hinaus schon über 20 Jahre alt; eine Zeitspanne, in der das Berufs-bild der Schulleitung sich in vielen Ländern stark weiterentwickelt hat (beson-ders, was die Autonomie und Rechenschaftspflicht angeht). Kulturelle Differen-
6 Auch wenn Leadership ursprünglich aus dem Englischen stammt, ist es inzwischen im Deut-schen so verbreitet, dass es in diversen Nachschlagewerken aufgenommen wurde (vgl. z. B. Du-denredaktion, 2012). In dieser Arbeit wird Leadership daher wie ein deutsches Substantiv ohne besondere Kennzeichnung (z. B. Kursivierung) verwendet; es wird als Neutrum behandelt. Zur besseren Lesbarkeit wird auf Pluralbildung oder den Gebrauch des Genitivs bei Leadership ver-zichtet. Erweiterte Leadership-Arten, die in dieser Arbeit Erwähnung fmden wie z. B. distributed leadership werden hingegen als fremdsprachlich angesehen und lclein und kursiv geschrieben.
16 1 Einleitung
zen und — was mindestens genauso wichtig erscheint — strukturelle Differenzen der Schulsysteme müssen bei der Interpretation ausländischer Studien im hiesi-gen Kontext berücksichtigt werden. Aufschlussreicher erscheint daher eine Er-forschung der Verhältnisse in Frankreich vor Ort. Trotzdem ist festzuhalten, dass insbesondere die US-amerikanische Forschung international lange Zeit eine do-minante Position eingenommen hat und Studien aus dem US-amerikanischen Raum sowie andere internationale Studien die deutschsprachige Schulleitungs-forschung beeinflusst haben. Nachfolgend wird daher versucht, ein Bild des ak-tuellen Forschungsstandes bezüglich Schulleitungshandeln zu zeichnen; zu-nächst basierend auf anglophoner (nicht ausschließlich US-amerikanischer), an-schließend basierend auf deutschsprachiger Literatur.' Vollständigkeit kann da-bei nicht das Ziel des nachfolgenden Abschnittes sein; stattdessen soll anhand ausgewählter Arbeiten die Entwicklung des Feldes skizziert werden.
Eine der ersten großen Studien aus dem 20. Jahrhundert zum Schullei-tungshandeln stammt aus den USA. 1973 veröffentlichte der US-amerikanische Anthropologe Harry F. Wolcott (1973) eine ethnographische Studie eines Schul-leiters, welche seinerzeit viel Beachtung fand. Ein Jahr lang begleitete Wolcott den Grundschulleiter Ed Bell (Pseudonym) bei seiner Arbeit, zeichnete Tätigkei-ten und Gespräche auf und sammelte Dokumente. Wolcott zeichnete das Bild ei-nes unter Druck stehenden „Feuerwehrmannes" (Wolcott, 1973, S. 315), der im Alltag viele große und kleine unerwartete Probleme zu bewältigen hat und in den seltenen Momenten, in denen kein Notfall herrscht, meist nicht zur Ruhe kommt, sondern versucht, mögliche weitere Notfälle zu antizipieren. Aus Wol-cotts Sicht hatte Ed Bell als Folge der permanenten Ausnahmezustände Verhal-tensmuster entwickelt, die es ihm schwer machten, sich langfristig auf eine Sa-che zu konzentrieren; Ed Bell hatte keine reflexive Distanz zu seinem Tun (vgl. Wolcott, 1973, S. 3150. Wolcotts Arbeit fand seinerzeit große Beachtung, da bis dato keine so detaillierten wissenschaftlichen Portraits von Schulleitern existier-ten. Der amerikanische Schulforscher David Hoppey, der seine Dissertation über Wolcotts Studie verfasste, bezeichnete sie rückblickend als "mrich ethnographic description" (Hoppey, 2006, S. 1). Kritisch gesehen wurde hingegen Wolcotts Einschätzung, es handele sich um eine typische Schulleiterbiographie. Ebenso zeigten sich manche enttäuscht, dass der Erkenntnisgewinn, insbesondere im Vergleich zum enormen Aufwand, eher gering ausfiel (vgl. beispielsweise But-ton, 1974, S. 1110 und mögliche fundierte Ansätze zur potenziellen Verbesse-rung der Situation von Ed Bell kaum Erwähnung fanden.
Der genuin französische Forschungsdiskurs hierzu wird an späterer Stelle, in den Kapiteln 3.5 und 3.6, vorgestellt. Bei Zitaten in einer Fremdsprache oder Begriffen aus einer Fremdsprache in Anführungszeichen werden in dieser Arbeit die Anführungszeichen den Gepflogenheiten der Fremdsprache ange-passt.
1.1 Schulleitungshandeln — ein Überblick 17
Beachtung fand in den 1980er Jahren eine Studie des Briten Lester Da-vies (1987), der die Rolle von Grundschulleitern in England untersuchte. Die Basis seiner Studie bildeten drei Grundschulleiter und eine Grundschulleiterin, die an vier verschiedenen Schulen arbeiteten, welche sich voneinander klar un-terschieden. Davies beobachtete sie jeweils eine Woche lang auf strukturierte Weise und ließ sie täglich Tagebuch zu ihren Aktivitäten führen. Er konstatierte einerseits, dass die Tätigkeiten der Schulleitungspersonen sich voneinander un-terschieden, jede schien sich an die Umstände in ihrer Schule angepasst zu ha-ben (beispielsweise agierte der Schulleiter an einer winzigen Dorfschule mit we-nig Personal häufig als Hilfslehrer und Mädchen für alles). Es gab jedoch auch Gemeinsamkeiten: Alle Schulleitungspersonen fungierten als Informationszen-tren ihrer Schule, diese Funktion wurde durch das Verhalten der Lehrerinnen und Lehrer unterstützt, welche den Schulleitungspersonen — oft ungefragt — über aktuelle Entwicklungen und Probleme berichteten. Alle Schulleitungspersonen übernahmen darüber hinaus Management-Rollen, betrachteten sich dabei jedoch stets als führende Lehrpersonen (primus inter pares) und nicht dezidierte Leiter/-innen oder als Manager/-innen; sie verbrachten viel Zeit damit, zu un-terrichten oder den Unterricht anderer Lehrer zu besuchen. Kritisch anzumerken ist, dass die Methodologie der Studie schwer nachzuvollziehen ist. So wird zwar erwähnt, dass Daten aus Tagebüchern und Beobachtungen jeden Abend ausge-wertet und durch den Autor der Studie kategorisiert wurden (vgl. Davies, 1987, S. 43), auf die Auswertungsschritte oder das Kategoriensystem selbst wird je-doch nicht näher eingegangen, ebenso bleibt der zeitliche Ablauf der Studie un-bekannt (z. B. bleibt unklar, ob die Schulleitungspersonen in ähnlichen Zeiträu-men, also beispielsweise alle am Anfang eines Schuljahres, oder zu ver-schiedenen Zeiträumen beobachtet wurden).
Ein entscheidender Moment in der Erforschung der Schulleitungspraxis war die Veröffentlichung einer Metastudie 1996, in der vor allen Dingen ein Mangel festgestellt wurde. In dieser international vielbeachteten Metastudie ver-glichen Philip Hallinger und Ronald Heck (vgl. Hallinger & Heck, 1996a) 40 Studien zum Schulleitungshandeln,' die zwischen 1980 und 1995 veröffentlicht wurden. Dabei identifizierten sie diverse unerforschte oder gering erforschte Be-reiche sowie „blinde Flecke" (Bereiche, die aufgrund bestimmter theoretischer Perspektiven oder bestimmter Methodenkombinationen „ausgeblendet" wurden). Sie plädierten als Konsequenz unter anderem für eine detailliertere Untersuchung sowie Beschreibung der Tätigkeiten von Schulleiterinnen und Schulleitern und empfahlen, einen Forschungsschwerpunkt darauf zu legen, wie Schulleiterinnen und Schulleiter Bedingungen schaffen und erhalten, die eine er-folgreiche Schule ausmachen (vgl. Hallinger & Heck, 1999). Um die uner-
Dies geschah mit Blick auf eine mögliche Verbindung zwischen Schulleitungshandeln und Schuleffektivität.
18 Einleitung
forschten Bereiche und blinden Flecke zu erforschen wurde eine systemische Betrachtungs- und Herangehensweise als vital angesehen: "The greatest progress in this field will yield from research that places the principal in the context of the school and its environment" (Hallinger & Heck, 1996a, S. 34).
Grundsätzlich wird im anglophonen wie germanophonen Forschungs-diskurs seit ca. 30 Jahren anerkamt, dass die Schulleitung den Schlüssel für eine erfolgreiche schulische hmovationsarbeit darstellt (vgl. beispielsweise Brooko-ver et al., 1979; Teddlie & Stringfield, 1993). Ebenso wird als gesichert angese-hen, dass Schulleitung von lokalen sozio-kulturellen Gegebenheiten geprägt ist (vgl. z. B. Wulf, 1995), doch mehren sich seit geraumer Zeit Stimmen, die mah-nen, dass dies bisher in der Schulleitungsforschung kaum beriicksichtigt wurde (vgl. z. B. Dimmock & Walker, 2000, S. 137f). So wurden und werden bei-spielsweise Studien zum Schulleitungshandeln außerhalb Englands und der Ver-einigten Staaten von Amerilca durchgeführt, ohne dass dabei der örtliche Kon-text zunächst gründlich aufgearbeitet wird und ohne dass die verwendeten In-strumente und zugrunde liegenden Modelle (die meist aus dem amerikanischen oder englischen Raum stammen) kontextuell angepasst werden. Ein anderes Beispiel für die fehlende Berücksichtigung des Kontextes (allerdings auf der Makroebene) ist das sogenannte policy borrowing. Dabei werden Ansätze oder Verfahren aus dem Bildungssystem eines Landes (beispielsweise die Einführung einer Rechenschaftspflicht von Schulen in Bezug auf Schülerleistungen) in das Bildungssystem eines anderen Landes „kopiert". Hierbei kann es jedoch gesche-hen, dass den Kontexten des Ursprungs- sowie des Ziellandes nicht ausreichend Rechnung getragen wird. Der Bildungsforscher Andrew Hargreaves erachtet kontext-unspezifisches policy borrowing daher als von vornherein zum Schei-tern verurteilt (vgl. Hargreaves, 2010, S. 107f). Andere sehen eine starke Be-rücksichtigung des Kontextes wiederum als übertrieben an: Kenneth Leithwood, Alma Harris und David Hopkins argumentieren beispielsweise, dass erfolgrei-ches Schulleitungshandeln zwar stets den Kontext berücksichtige, aber auf be-stimmte kontextübergreifende Basis-Leadership-Tätigkeiten zurückzunihren sei (vgl. Leithwood, Harris & Hopkins, 2008).
Die Frage nach der Wirksamkeit von Schulleitung, insbesondere die Frage möglicher Auswirkungen von Schulleitung auf Schülerleistungen, wurde spätestens seit den 1980er Jahren kontrovers diskutiert. Im Laufe der Zeit kris-tallisierte sich die empirisch gestützte Ansicht heraus, dass die Schulleitung einen geringen Einfluss auf Schülerleistungen hat. Viele sehen diesen Einfluss als üidirekt an (vgl. beispielsweise Day et al., 2009).
Das methodische Vorgehen ist ein geläufiger Kritikpunkt in allen Be-reichen der Schulleitungsforschung. Hallinger und Heck kritisierten basierend auf ihren Metastudien beispielsweise, dass komplexe Sachverhalte nicht voll-ständig abgebildet würden und dass wichtige Aspekte aufgrund eines zu engen
1.1 Schulleitungshandeln — ein Überblick 19
Forschungsdesigns nicht berücksichtigt würden (vgl. Hallinger & Heck, 1996a, 1996b). Ebenso wird eine trotz aller Forschungsbemühungen weiterhin beste-hende große Wissenslücke beklagt, insbesondere den Tätigkeitsbereich im All-tag betreffend. So sind die heutigen Tätigkeiten und beruflichen Inhalte von Schulleitern in der Praxis in vielen Ländern weiterhin nicht wissenschaftlich er-forscht und höchstens aus journalistischen Publikationen bekannt. Darüber hin-aus scheint zwar gesichert, dass der Schulleiter die Schlüsselfigur für Schulent-wicklung ist, doch entzieht sich das Verhältnis zwischen Schulleiter und Schul-entwicklung bis heute einer genaueren Kenntnis (vgl. Huber, 2008b; Rayfield & Diamantes, 2004).
Während Deutschland sich vergleichsweise früh die Forschungskultur und -sprache der amerikanischen Schulentwicklungs-Forschung zu eigen ge-macht hat, scheint Frankreich auf eine endogene, in sich weitgehend geschlosse-ne Forschungstradition im Bereich Schule und Schulentwicklung zu-rückzublicken. Auch ist die Perspektive eine andere: Für Schulentwicklung war in Frankreich bis in die 1980er Jahre hinein der Staat, vertreten durch das Bil-dungsministerium, zuständig. Viele Veränderungen werden bis heute auf natio-naler Ebene durch die Education Nationale konzipiert und in nächster Instanz durch die acadbnie bzw. die Inspektoren der jeweiligen acadmie verbreitet. Viele Impulse werden also durch den Staat bzw. das Bildungsministerium ge-setzt und erreichen — zumindest theoretisch — alle Schulen Frankreichs. Die in den 1980er Jahren begonnenen, immer stärker werdenden Ermutigungen an die Schulen, eigenständig zu innovieren, stoßen — allgemein gesprochen — erst in der jüngsten Vergangenheit auf nennenswerte Resonanz und haben auch in der Forschung bis vor kurzem eher wenig Beachtung gefunden. Dies steht im Kon-trast zu Deutschland, wo einerseits die Bundesländer die Kulturhoheit inne ha-ben und andererseits eine starke pädagogische Tradition an Universitäten und Hochschulen vorherrscht. Änderungsimpulse mögen oft aus der Politik kom-men, doch werden Universitäten häufig zurate gezogen, wenn es um die Umset-zung oder Ausarbeitung besagter Impulse geht. Auch der umgekehrte Fall ist be-kannt: Vorschläge aus Universitäten werden mit Duldung oder gar Hilfe der Politik an Schulen umgesetzt, zumindest testweise. Darüber hinaus gibt es in Deutschland vermehrt direkte Kooperationen zwischen Schulen und Universitä-ten. Schließlich spielen auch Kooperationen zwischen Schulen und Stiftungen, oft mit wissenschaftlicher Begleitung seitens einer Hochschule oder eines For-schungsinstituts, eine immer größere Rolle, wenn es um Impulse zur Verände-rung der Schullandschaft geht. Vergleichbare Entwicklungen sind in Frankreich, wo die Erziehungswissenschaften an Hochschulen ein eher untergeordnetes Da-sein fristen, 10 bisher nicht oder kaum zu beobachten. Dies mag ein Erklärungs-
Dieser Zustand ist keineswegs neu; die vergleichsweise schwache Position der Erziehungswis- senschaften an den französischen Universitäten wurde bereits Ende der 1970er Jahre von Wolf-
20 1 Einleitung
ansatz dafür sein, warum anglo-amerikanische Reformparadigmen wie "school improvement" und "school effectiveness", welche in Deutschland, Österreich und der Schweiz z. T. unter Verwendung der englischen Begriffe, z. T. unter Verwendung des deutschen Dachbegriffs Schulentwicklung rezipiert und adap-tiert wurden und werden, in Frankreich bisher kaum Resonanzen erzeugt haben. Konsultiert man einschlägige französische wissenschaftliche Fachliteratur zur Organisation von Schule, so stellt man fest, dass in Frankreich eine eigene Kul-tur der Entwicklung der Schule entstanden ist. Sie scheint genuin endogen zu sein und besitzt eigene Termini."
Mag die Erforschung von Schulleitungshandeln in Deutschland jünger sein, so wurden auch hier diverse Untersuchungen zum Thema durchgeführt, auch wenn die Schulleitungsforschung lange Zeit als Forschungsdesiderat galt. So beschrieb Martin Bonsen 2002 den damaligen Forschungsstand im germano-phonen Raum wie folgt:
„Die empirische Erforschung der Wirksamkeit von Schulleitungshandeln steht im deutschsprachigen Raum derzeit am Anfang" (Bonsen et al., 2002, S. 194). 12
Dies heißt jedoch mitnichten, dass es in Deutschland keine Forschungen zu die-sem Bereich gegeben hat. Nachfolgend werden daher ausgewählte Studien der letzten 15 Jahre aus dem deutschsprachigen Raum, die für die vorliegende Ar-beit von Relevanz erscheinen, kurz vorgestellt.'
Handlungsdimensionen von Schulleiterinnen und Schulleitern wurden 1999 von Martin Bonsen et al. näher erforscht (Bonsen, Iglhaut & Pfeiffer, 1999). Hierzu führten sie halb-strukturierte Interviews mit insgesamt 20 Schul-leiterinnen und Schulleitern aus Niedersachsen. Die Interviews drehten sich um Tätigkeitsbereiche der Schulleitung. Ziel war es, Handlungsdimensionen, Hand-lungsrahmen und Handlungsrepertoires von Schulleiterinnen und Schulleitern zu erforschen. Bonsen et al. kamen auf Grundlage der Interviews zu dem Schluss, dass Schulleitungshandeln meist stark durch die Umstände geprägt, also situativ ist. Einen wichtigen Tätigkeitsbereich stellte die Kommunikation dar, ungeplante, meist klärende Gespräche mit Lehrern und anderen Akteuren wurden als signifikanter Teil der Arbeit von Schulleitungen erachtet. Passend hierzu wurde auch eine starke Präsenz der Schulleiter/-innen „auf dem Terrain" als wichtig erachtet. Delegation wurde hingegen aufgrund der rechtlichen Rah-
gang Hörner konstatiert (vgl. beispielsweise Hörner, 1979, 1983). 11 Mehr hierzu in den Kapiteln 3.5 und 3.6 in dieser Arbeit. 2 Martin Bonsen war nicht der einzige Vertreter dieser These. So konstatierten beispielsweise
Heinz S. Rosenbusch et al. 2006, dass die Diskussion über die Wirksamkeit von schulischem Führungspersonal in Bezug auf schulischen Erfolg in den Anfängen stecke (vgl. Rosenbusch, Braun-Bau & Warwas, 2006, S. 2).
" Eine ausfiihrlichere Übersicht fmdet sich beispielsweise bei Rosenbusch, Braun-Bau, & War-was, 2006, S. 5-27.
1.1 Schulleitungshandeln — ein Überblick 21
menbedingungen als problematisch angesehen, da die Schulleitung auch für de-legierte Tätigkeiten rechtlich verantwortlich war. Als zeitlich sehr vereinnah-mend und darüber hinaus sehr unbeliebt wurden administrative Arbeiten emp-funden. In diesem Zusammenhang wurden insbesondere widersprüchliche Re-gelungen als hinderlich und belastend bezeichnet. Darüber hinaus wurde die
steigende Komplexität (mehr Anforderungen durch erweiterte Verantwor-tungsbereiche) des Schulleitungsberufes als belastend angesehen.
Die im letzten Absatz erwähnte Studie wurde zwischen 1998 und 2000
erweitert (Bonsen et al., 2002). Darauf aufbauend empfahl Pfeiffer, dass Schul-leiterinnen und Schulleiter sich umfangreichere „Zeitgefäße" schaffen. In die-sem Zusammenhang sah er eine Delegation vieler administrativer Tätigkeiten
als ratsam (vgl. Pfeiffer, Holtappels & Höhmann, 2005, S. 96). Als zentrale Her-ausforderung erachtete er eine wirksame Einflussnahme der Schulleitung auf
das Kollegium „in Richtung kooperativer Arbeitsweisen und innovativer, ge-meinsamer Entwicklungsbemühungen mit der Zielrichtung einer Verbesserung
der Qualität von Schule und Unterricht" (Pfeiffer et al., 2005, S. 97). Laut Pfeif-fer bestand ein offensichtlicher Zusammenhang zwischen Schulleitungshandeln und Schulentwicklung (vgl. Pfeiffer et al., 2005, S. 98).
In einer weiteren Analyse desselben Datenmaterials untersuchte Martin
Bonsen die subjektiven Aufmerksamkeitsschwerpunkte im Leitungshandeln von
Schulleiterinnen und Schulleitern. Den theoretischen Hintergrund bildete dabei
das Rahmenmodell von Bolman und Deal, welches Bonsen übersetzte und an
den schulischen Kontext anpasste. 14 Vereinfacht beschrieben können Rahmen
dabei als Fokussierungslinsen auf die Welt aufgefasst werden. Sie sind als Filter
für Erfahrungen und als Orientierungshilfe zu verstehen. Bolman und Deal un-terscheiden dabei vier Rahmen (Bolman & Deal, 2011, S. 18ff):
• den strukturellen Rahmen, welcher Regeln, Normen, Strategien sowie
Technologie und Umwelt umfasst, • den personellen Rahmen (von Bonsen als personaler Rahmen übersetzt,
im Original von Bolman und Deal als "human resource" bezeichnet),
welcher Bedürfnisse, Fertigkeiten und Beziehungen umfasst,
• den politischen Rahmen, welcher Macht, Konflikt und Wettbewerbsa-spekte umfasst,
• sowie den symbolischen Rahmen, welcher Kultur, Rituale, Zeremonien
und Metaphern umfasst.
Bonsen kam zu dem Ergebnis, dass die beforschten Schulleiter/-innen sich über- wiegend auf den strukturellen sowie personellen Rahmen bezogen. Er identifi-
1a Bolman und Deal veröffentlichten 2002 eine eigene Übertragung ihres Rahmenmodells auf den
schulischen Kontext (Bolman & Deal, 2002).
22 1 Einleitung
zierte eine „hohe Betonung sowohl personaler als auch struktureller Aspekte der Organisation" durch die Schulleiter/-innen (Bonsen, 2003, S. 290, Hervor-hebung im Original). Dies charakterisierte er als eine klassisch-konventionelle
Führungsweise (Bonsen, 2003, S. 290). Bonsen konstatierte außerdem, dass
Schulleiter/-innen, die in der Lage waren, sich je nach Situation auf andere Rah-men zu beziehen, erfolgreicher waren. Auch die Aufmerksamkeit für den sym-bolischen Rahmen war bedeutsam für den Erfolg von Schulleitungen und in
Verbindung mit Aufmerksamkeit für den strukturellen sowie personellen Rah-men ein Schlüssel für erfolgreiche Schulentwicklungsbemühungen (vgl. Bon-sen, 2003, S. 294).
Heinz Rosenbusch, Susanne Braun-Bau und Julia Warwas präsentierten 2006 eine Studie zur Schulleitungstätigkeit an bayerischen Grund-, Haupt- und
Realschulen. Sie hospitierten hierfür an mehreren Grund-, Haupt- und Realschu-len in Bayern und befragten 256 schulische Führungskräfte aus überwiegend kleinen oder mittelgroßen Städten in Bayern schriftlich. Zwar variierten einige
Antworten je nach Schulart, doch wurde schulformübergreifend deutlich, dass
die meisten befragten Schulleiterinnen und Schulleiter deutlich mehr als 42
Stunden pro Woche arbeiteten (vgl. Rosenbusch, Braun-Bau & Warwas, 2006,
S. 68f). Bezüglich der ausgeübten Tätigkeiten nahmen administrative Aufgaben
(von Rosenbusch auch als „bürokratielastige Aufgaben" bezeichnet, siehe z.B.
Rosenbusch et al., 2006, S. 71) ein Drittel und damit den größten Einzelanteil der Arbeitszeit ein, gefolgt von Personalführungsaufgaben (26% der Arbeitszeit)
sowie Unterrichtsorganisation (20%) und dem Aufbau und der Pflege von Ko-operationen (19%, vgl. Rosenbusch et al., 2006, S. 71f). Als subjektiv größte
Problemfelder ihrer Arbeit nannten alle Befragten einen grundsätzlichen Mangel
an Zeit sowie die Umsetzung nicht ausgereifter behördlicher Neuerungen und
Erlasse (Rosenbusch et al., 2006, S. 86). Als wichtigste Wünsche der befragten
Schulleiterinnen und Schulleiter stellten sich mehr Zeit für Führung, größere
Autonomie, Abbau von Bürokratie sowie die Möglichkeit der Personalauswahl heraus. In ihrem Resümee kamen Rosenbusch et al. zu dem Schluss, „dass sich die vielfach geforderte Akzentverschiebung -'vom Verwalten zum Gestalten' - noch nichtflächendeckend durchsetzen konnte" (Rosenbusch et al., 2006, S. 93,
Hervorhebungen im Original). Trotz der vorgestellten Studien blieb die Einschätzung bestehen, dass
im Bereich der Schulleitungsforschung weiterhin Forschungslücken klafften. So
konstatierte Martin Bonsen 2010:
„Vergleicht man die normativen Steuerungsvorstellungen zur Schulleitung mit dem der-zeitigen Stand der empirischen Schulleitungsforschung, so stellt sich ein komplexes und
nahezu unüberschaubares Feld dar. Weder lässt sich eine umfassende Theorie der Schul-leitung ausmachen, noch liegen Forschungsergebnisse vor, die über die Ausleuchtung
1.1 Schulleitungshandeln — ein Überblick 23
von Fragmenten der sozialen Realität von Schulleitungen hinauszugehen vermögen"
(Bonsen, 2010, S. 293).
Dies erscheint plausibel, da Schulleitungshandlungen meist nicht linear erfolgen
und stark durch Kontext, Kontingenz und Kultur geprägt sind. So erscheint es unrealistisch, den perfekten Führungsstil oder die optimalen Eigenschaften iden-tifizieren zu können, da diese lediglich in spezifischen Kontexten existieren und
somit nicht beliebig übertragbar sind. Situative Führungsansätze können einen
Weg darstellen, sich diesem Forschungsdilemma zu stellen, doch erscheint die wissenschaftliche Berücksichtigung aller relevanten Kontextfaktoren aufgrund
der mit einem solchen Vorhaben verbundenen Komplexität zur Zeit schwer rea-lisierbar.
Zwischen 2010 und 2012 erforschte ein Team unter der Leitung von
Stephan Gerhard Huber die Arbeitssituation von Schulleiter/-innen in Deutsch-land, Österreich, Liechtenstein und der Schweiz (Huber, Wolfgramm & Kilic,
2013; Huber, 2011b). Ziel war die Identifikation beliebter sowie belastender Tä-tigkeiten sowie die Untersuchung möglicher Beziehungen zwischen dem Belas-tungsempfinden und diversen individuellen sowie institutionellen Faktoren.
Zum Einsatz kamen dabei verschiedene methodische Zugänge, darunter standar-disierte Befragungen, Beobachtungen und von Schulleiterinnen und Schulleitern
geführte Arbeitstagebücher; insgesamt nahmen 5394 Schulleiterinnen und
Schulleiter an der Studie teil. 2011 wurden erste, ausgewählte Ergebnisse vorge-stellt, Datengrundlage bildeten Erhebungen in Baden-Württemberg. Insgesamt
wurden hierfür ca. 1600 Schulleitungspersonen in Baden-Württemberg befragt,
die Rücklaufquote dort betrug 49% (vgl. Huber, 2011b, S. 13). Ferner wurden
ungefähr 300 Schulleitungspersonen aufgefordert, im Laufe eines Schuljahres
dreimal eine Woche lang ein elektronisches Arbeitstagebuch zu führen, mit dem
Ziel, „ein möglichst vollständiges Bild der Tätigkeiten und der Tätigkeitsvertei-lung sowie des Tätigkeitsspektrums zu erhalten" (Huber, 2011b, S. 12). Basie-rend auf diesen Arbeitstagebüchern und einem von Huber entwickelten Modell
der Aufgaben von Schulmanagement wurden Handlungsbereiche der Schullei-tung identifiziert. Als zeit-intensivster Handlungsbereich der Schulleitung wurde
dabei Organisation & Verwaltung (ca. 34% der Arbeitszeit) identifiziert, gefolgt
vom eigenen, selbst abgehaltenen Unterricht (23 % der Arbeitszeit). Tätigkeiten,
die als Teilaspekte von Schulentwicklung angesehen werden können, wurden
deutlich seltener ausgeübt (beispielsweise verbrachten Schulleiter/-innen ledig-lich ca. 6% ihrer Arbeitszeit mit Qualitätsmanagement, vgl. Huber, 2011b, S.
14). Darüber hinaus wurde anhand der ausgewerteten Arbeitstagebücher deut-lich, dass die Schulleiter/-innen viele ungeplante Tätigkeiten durchführten, vor
allen Dingen in den Bereichen der Personalführung und — nochmals deutlich
ausgeprägter — in Organisations- und Verwaltungsangelegenheiten (vgl. Huber,
2011b, S. 24f). In der Gesamtstudie erwiesen sich organisatorische und verwal-
24 1 Einleitung
tende Tätigkeiten als besonders belastend für die Schulleiter/-innen (Huber et
al., 2013, S. 278). Generell lassen sich immer größere Leistungserwartungen an die
Schulsysteme und — nicht zuletzt durch die zunehmende Autonomie — immer
komplexer werdende Berufsbilder der Schulleitung feststellen. So reicht es nicht
mehr, die Schule „bloß" zu verwalten und einen zufriedenstellenden Zustand zu
wahren. Es wird eine kontinuierliche Verbesserung und Anpassung erwartet. In
diesem Zusammenhang spielt Leadership in der Schulentwicklungsforschung
eine immer größere Rolle, wird es doch in der einschlägigen Literatur häufig im
Zusammenhang mit effektiven und sich entwickelnden Schulen genannt. Die
mit Leadership verbundenen Bedeutungen sind dabei vielfältig. Auf sie wird an
späterer Stelle detailliert eingegangen (vgl. Kapitel 2.4), zunächst wird das eige-ne Forschungsanliegen, welches die Untersuchung von Leadership im Schulall-tag beinhaltet, sowie der mit Leadership verbundene Schlüsselbegriff Schulent-wicklung vorgestellt.
1.2 Eigene Forschung — Ansatz und Design
Den Hintergrund der vorliegenden Forschungsarbeit bildet das im Zuge der Stärkung der Schulautonomie geschärfte Profil des Schulleiters als Schlüsselfi-gur der Einzelschule. Die Fragen, wie er seine Arbeitszeit verbringt, wann und
wie er im Arbeitsalltag schulentwicklerisch tätig wird, können als Forschungs-fragen betrachtet werden (vgl. Gläser & Laudel, 2009, S. 61 ff). Die Forschungs-fragen gehen vom existierenden Wissen aus, sie entstammen einem theoretisch
fundierten Hintergrund. Mit ihrer Hilfe wird ergründet, was durch spezifische
theoretische Zugänge (die konzentrierte Ergebnisse anderer Forschungen/Unter-suchungen beinhalten) bisher nicht beantwortet wird. Sie enthalten damit auch
den Geltungsbereich der Antwort. Bezüglich Schule, Schulleitung und Schulent-wicklung in Frankreich existiert eine Wissenslücke. Diese Wissenslücke ist so
groß, dass sie nicht (vollständig) in dieser Arbeit geschlossen werden kann. Da-her soll der Fokus auf den Schulleiter als Schlüsselfigur im Schulentwick-lungsprozess verengt werden. Es liegt der Schluss nahe, dass Leadership stark
kulturell geprägt ist (vgl. beispielsweise Bass, 1997; Dalin, 1998, S. 91). Damit
erhält Leadership eine individuelle, kulturabhängige Note und ist somit unter
Berücksichtigung des Kulturraums zu betrachten. Eine Untersuchung in Frank-reich erscheint daher auch Ertrag versprechend, um kulturspezifische Aspekte
von Leadership zu erfassen. Darüber hinaus herrschen zwischen Schulleitung in
Frankreich und in Deutschland bedeutende strukturelle Unterschiede, weshalb
davon auszugehen ist, dass Innovationsprozesse in Frankreich anderen Rah-menbedingungen unterliegen. Es ist bekannt, dass die Leitung einer Organisati-
1.2 Eigene Forschung — — Ansatz und Design 25
on den Innovationsprozess maßgeblich beeinflusst, doch wie dies auf der Ebene
französischer Schulleiter zutrifft, ist unergründet. Die Beantwortung der For-schungs- und Leitfragen stellt einerseits einen ersten Schritt zur Erkundung des
gegenwärtigen französischen Schulsystems aus deutscher bzw. internationaler
Sicht dar. Sie ist andererseits von Wert für die Leadership-Forschung und er-möglicht, Hypothesen über Schulleiter/-innen und ihre Relevanz und Funktio-nen in Bezug auf Schulentwicklungsprozesse zu entwickeln.
Ausgedrückt in den Forschungsfragen ist die Suche nach einem Zu-sammenhang, nämlich dem zwischen dem Schulleiter als Akteur und den Inno-vationsprozessen/Schulentwicklungsprozessen an der von ihm geleiteten Schule.
Dieser Zusammenhang wird anhand fünf konkreter Fälle untersucht, die Frage-stellung geht jedoch darüber hinaus, bezieht sich also nicht nur auf den Verlauf
eines einzelnen konkreten Prozesses, sondern auf eine Klasse bzw. einen Typ
von Prozessen (vgl. Gläser & Laudel, 2009, S. 63f). Die Forschungsfrage be-zieht sich zwar zunächst auf den Einfluss des Schulleiters auf den In-novationsprozess in einem konkreten Fall bzw. in fünf konkreten Fällen, sucht
anhand dieser Fälle aber nach möglichen Zusammenhängen, die über die Fälle
hinaus von Gültigkeit sein könnten. Forschungsfragen erfordern u. a. dann rekonstruierende Untersuchun-
gen, wenn sie die Frage nach den Ursachen für bestimmte Phänomene mit der
Frage nach dem „Wie" verbinden. Wenn nicht nur nach den Ursachen gefragt wird, sondern auch nach dem sozialen Mechanismus, der den Effekt womöglich
produziert, dann ist es angebracht, den sozialen Prozess zu rekonstruieren, in
dem der Mechanismus operiert (Gläser & Laudel, 2009, S. 69). In vorliegender
Forschung geht es um (potenzielle) Handlungen des Schulleiters im Kontext sei-ner Arbeitszeit sowie im Schulentwicklungsprozess. Diese Funktionen werden
vermittelt über die Handlungen und Interaktionen des Schulleiters mit seinem
sozialen Umfeld, weshalb es angemessen erscheint, diese zu rekonstruieren. Die
aufzuklärenden Mechanismen werden durch Handlungen und Interaktionen kon-stituiert, das heißt, es geht nicht ausschließlich um die Wahrnehmung und Verar-beitung der sozialen Realität durch den Einzelnen, sondern um seine Beteiligung
an Handlungen und Interaktionen.
Zahlreiche Studien legen nahe, dass der Schulleiter sich (höchstens) in-direkt auf die Schülerleistungen auswirkt (eine Übersicht bieten Scheerens,
Hendriks & Steen, 2012). Daher wurde in dieser Untersuchung bewusst nicht
versucht, eine Verknüpfung zwischen Schulleitungshandeln und Schü-lerleistungen aufzudecken. Es findet vielmehr eine Fokussierung auf den Schul-leiter als (potenziellen) Innovator, als Schulentwickler statt, ohne nähere Analy-se, ob und wie sich etwaige Schulentwicklungsprojekte auf Schülerleistungen
auswirken. Dies könnte jedoch ein vielversprechender Anknüpfungspunkt für
weitere Forschungen sein.
P. Tulowitzki, Schulleitung und Schulentwicklung in Frankreich,
DOI 10.1007/978-3-658-04603-3_2, © Springer Fachmedien Wiesbaden 2014
2.1 Schulentwicklung 27
3. Die Entwicklung von Einzelschulen setzt eine Steuerung des Gesamt-zusammenhangs voraus, welche Rahmenbedingungen festlegt, die ein-zelnen Schulen bei ihrer Entwicklung nachdrücklich ermuntert und un-terstützt, die Selbstkoordinierung anregt, ein Evaluationssystem auf-baut und (möglicherweise im Nachhinein) auf Distanz steuert. Dies könnte man als Schulentwicklung dritter Ordnung oder als komplexe Schulentwicklung begreifen bzw. als Schulentwicklung auf Systemebe-ne (Buhren & Rolff, 2008, S. 4).
2006 konstatierte Rolff, dass Schulentwicklung im Zentrum von Bildungs-politik, Fortbildungseinrichtungen und Schulleitungshandeln steht (vgl. Rolff, 2006, S. 297). Er unterschied bei der Realisation von Reformen im Schulent-wicklungskontext zwischen zwei Phasen, Planung und Implementation, und führte — mit Bezugnahme auf RAND 15 (1974) — verschiedene Faktoren an, die Reform- oder Veränderungsvorhaben beeinflussen können. Diese Faktoren wei-sen eine bemerkenswerte Deckung mit Erkenntnissen aus der Diffusionsfor-schung in der Soziologie auf (vgl. Rolff, 2006, S. 29811). 1 ' Für den Innovations-bzw. Schulentwicklungsprozess schrieb Rolff der Einzelschule, besonders der Leitung und den Einzelpersonen, eine Schlüsselrolle zu (vgl. Rolff, 2006, S. 301).
Der Begriff Schulentwicklung hat seit den 1980er Jahren verschiedene Bedeutungsveränderungen durchgemacht. Wie so oft bei Begriffen, denen in Wissenschaft und Politik eine rege Nutzung zuteil wird, ist eine trennscharfe Definition problematisch. Implizierte Schulentwicklung in den 1980er Jahren häufig systemweite Reformmaßnahmen (der Schulentwicklungsbegriff kann in Deutschland durchaus als ein Nachfolger des Schulreform-Begriffes angesehen werden), erfolgte spätestens in den 1990er Jahren eine Bedeutungswende; nun stand die Einzelschule eher im Zentrum. Die Orientierung an der Einzel schule kann daher als ein Merkmal von Schulentwicklung angesehen werden.' Ein weiteres Merkmal, das den meisten Definitionen zugrunde liegt, ist das zielge-richtete, systemische Element. Alle Schulen müssen sich immer wieder neu an geänderte Verhältnisse anpassen, das heißt zunächst lediglich, dass sie auf Ver-änderungen reagieren müssen. Reaktion auf Veränderung allein ist jedoch kei-
15 Die RAND Corporation (Akronym für "Research ANd Developement") ist eine US-amerikani-sche Denkfabrik. 1973 wurde sie von der damaligen US-amerikanischen Regierung beauftragt, nationale Studien des hiesigen Bildungssystems durchzuführen. Ziel war es, schulische Innova-tionen zu finden und ihre Entwicklung zu unterstützen (vgl. McLaughlin, 1990). RAND ist bis heute forschend im US-amerikanischen Bildungssektor tätig.
16 Auf Übereinstimmungen und Differenzen zwischen Schulentwicklungsforschung und Innovati-onsforschung wird in Kapitel 2.2 dieser Arbeit näher eingegangen.
17 Es sei darauf hingewiesen, dass eine Orientierung hin zur Einzelschule nicht immer ein Merkmal sein muss. So können z. B. Bildungslandschaften in erheblichem Maße im Bereich Schulent-wicklung tätig sein.
28 2 Theoretische Grundlagen
neswegs mit Schulentwicklung gleichzusetzen. Schulentwicklung beinhaltet vielmehr zielgerichtete (man könnte metaphorisch auch sagen: „bewusste") Ent-wicklung (vgl. Rolff, Buhren & Lindau-Bank, 1998, S. 13f). Schulentwicklung ist also nicht als reaktiver, sondern als zukunftsgerichteter Prozess zu verstehen. Das Vorhandensein einer Zielsetzung bzw. Perspektive ist ein weiteres zentrales Merkmal (vgl. Rolff et al., 1998, S. 108).
Die Zukunftsorientierung ist auch Teil einer Definition von Schratz. Zusätzlich macht er deutlich, dass Schulentwicklung keineswegs nur innerhalb der Schule stattfinden kann Er definiert Schulentwicklung wie folgt:
„[...] das gemeinsame Bemühen der Menschen in und außerhalb der Schule, ihre un-terschiedlichen Wertvorstellungen und Fähigkeiten so zu nutzen, dass die Schülerinnen in die Lage versetzt werden, sich den gegenwärtigen und künftigen Herausforderungen produktiv zu stellen" (Schratz, 2003, S. 17).
Laut Schratz ist in der Regel (vor Beginn der Schulentwicklung) zunächst ein Zustand der Zufriedenheit vorherrschend, der unter Umständen auch dominie-rend und auf Innovation hinderlich wirken kann (vgl. Schratz, 2003, S. 14f). Störungen oder auftretende Mängel werden zunächst ausgeblendet, bestehende Strukturen werden erhalten, obwohl sie eigentlich nicht mehr zufriedenstellend „funktionieren", obwohl es immer mehr Reibungen gibt und die Zufriedenheit in Unzufriedenheit umschlägt. Sofern die Unzufriedenheit weiter wächst, ent-steht Raum für Innovationen. Veränderungen der bestehenden Zustände bringen meist Unsicherheit und Unruhe mit sich, selbst dann, wenn die bestehenden Zu-stände wie skizziert von vielen als unbefriedigend empfunden werden. Sofern es gelingt, die Unsicherheit ohne Rückgriff auf alte Lösungsmuster zu überwinden, kann von Innovation gesprochen werden.
Michael Fullan betrachtet Schulentwicklung grundsätzlich als Reform-potenzial 18 der Schule (vgl. Fullan, 2000a, S. 9). Reformen bedeuten Verände-rungen und stellen auch Lernprozesse dar. Fullan betont, dass der kritische Fak-tor von Schulentwicklung die kollektive Kapazität einer Schule ist, Änderungen zu erwirken (Fullan, 2000b, S. 1). Für Uwe Hameyer ist das systematische Ele-ment von kritischer Bedeutung; er schreibt: „Vereinfacht ausgedrückt ist Schul-entwicklung der systematische Versuch, Verbesserungen zu planen und umzuset-zen" (Hameyer, 2001, S. 8, Hervorhebung des Verfassers).
Vor allen Dingen im anglophonen Raum lässt sich die Entwicklung von Schulentwicklung — grob betrachtet — in zwei Stränge einteilen: auf der einen Seite Schulentwicklung als Arbeit an Schulqualität (school effectiveness). Hier wird der Evaluationscharakter von Schulentwicklung betont. Es wird versucht,
18 Hierbei muss angemerkt werden, dass Fullan — zumindest im referierten Aufsatz — Schulentwick-lung bewusst breit auffasst mit der Intention, ein interkulturelles, speziell transatlantisches Ver-ständnis von Schulentwicklung zu offerieren.
2.1 Schulentwicklung 29
die Wirksamkeit von Schule zu erfassen und wiederzugeben (vgl. Fullan, 2008; Huber, 1999a, 2008b). Eine vereinfachte Leitfrage in diesem Kontext lautet: „Was ist eine gute Schule?" Auf der anderen Seite steht Schulentwicklung als Bemühen um Schulverbesserung (school improvement). Hier liegt der Fokus stärker auf mögliche Verbesserungen von Schule, eine vereinfacht formulierte Leitfrage könnte „Wie kann Schule verbessert werden?" lauten. Es wird ver-sucht, Modelle und Konzepte zur Veränderung der Schule bzw. zur Veränderung der Schulwirksamkeit zu finden (vgl. Huber, 1999b). In den 1970er Jahren do-minierten hier die top-down-Strategien, in den 1980er Jahren bottom -up-Strate-gien, seit den 1990er Jahren scheinen Mischformen favorisiert zu werden!'
Diverse Forscher/-innen unterteilen Schulentwicklungsprozesse in ver-schiedene Phasen. Eine mögliche Unterteilung von Schulentwicklung in Phasen ist sicherlich einer profunden Debatte würdig, eine solche Debatte wäre der Zielsetzung dieser Arbeit jedoch nicht angemessen. In dieser Arbeit wird daher auf ein etabliertes Modell zur Darstellung von Phasen von Schulentwicklung von Hameyer zurückgegriffen. Dieses Modell wird an späterer Stelle ausführlich vorgestellt.» Auffällig am verwendeten Modell sind die hohe Übereinstimmung mit Phasenmodellen aus der Innovationsforschung und die zum Teil synonyme Verwendung des Begriffs „Innovation" anstelle von „Schulentwicklung" oder „Schulentwicklungsprojekt". Das Modell bezieht sich zwar auf bestimmte bzw. auf einzelne Schulentwicklungsprozesse, es ist jedoch in diesem Kontext darauf hinzuweisen, dass dies oftmals eine Vereinfachung darstellt, da Schulentwick-lungsprozesse in der Regel viele Dependenzen aufweisen und zahlreichen Ein-flussfaktoren und Relationen unterstehen. Sie getrennt zu betrachten oder mono-kausal zu untersuchen stellt also eine Reduktion dar. Auch eine Darstellung ver-schiedener Schulentwicklungsphasen mit Hilfe eines Modells ist selbstver-ständlich eine Reduktion, welche jedoch notwendig erscheint, um die Aussage-kraft zu wahren und eine beherrschbare, also begreifbare Datenmenge zu ge-währleisten.
Diese Arbeit beschränkt sich in ihrer Betrachtung auf die Einzelschule als Ort der Schulentwicklung (nach Rolff: Schulentwicklung erster Ordnung); Rolffs Definition erscheint daher als Ausgangspunkt für einen Definitionsver-such geeignet. Insbesondere die dritte Ordnung der Schulentwicklung nach Rolff zieht jedoch eine zu weite Perspektive nach sich, um den Zielen dieser Ar-beit (welche fünf Einzelschulen untersucht) gerecht zu werden. Konziser und gleichzeitig zu Rolffs Definition weitgehend kompatibel erscheint eine Definiti-on von Hameyer . Ihm zufolge ist Schulentwicklung als systematische, zukunfts-
19 An dieser Stelle soll erwähnt werden, dass es bereits in den 1980er Jahren Projekte gab, die auf eine starke Partizipation „von unten" setzten. Als ein illustres und doch in der Geschichtsschrei-bung anscheinend kaum beachtetes Beispiel sei das Marburger Grundschulprojekt unter der Lei-tung von Wolfgang Klafki genannt (vgl. Klafki, 1982).
20 Siehe Kapitel 2.2.2 in dieser Arbeit.
30 2 Theoretische Grundlagen
gerichtete Bemühungen zu definieren, deren Ziel es ist, die Lernumgebung so-wie das professionelle Umfeld zu verbessern (Hameyer, 2007, S. 46f, Überset-zung des Verfassers). Die Bemühungen sind auf Ebene der Einzelschule ange-siedelt. Diese Defmition soll als Basis fiir weitere Überlegungen dienen. Bevor dies weiter erörtert wird, soll versucht werden, die bereits erwähnte auffällige inhaltliche Nähe zwischen Schulentwicklung und Innovation zu beleuchten. Da Schulentwicklung — wie bisher angedeutet — große inhaltliche Konvergenzen mit dem Innovationsbegriff aufweist, soll nachfolgend kurz darauf eingegangen werden, auch, um Erklärungsansätze fiir den oft zu beobachtenden synonymen Gebrauch zu bieten.
2.2 Schulentwicklung vs. Innovation
Beim Lesen einschlägiger Literatur mag leicht der Eindruck entstehen, Schul-entwicklung und schulische Irmovation seien Synonyme (vgl. beispielsweise den Gebrauch beider Begriffe in Altrichter & Posch, 1996; Schratz & Stei-ner-Löffler, 1999). Da auch in vorliegender Arbeit beide Begriffe gebraucht werden, soll dem Begriff der Innovation in Abgrenzung (bzw. Ermangelung der-selben) zu dem der Schulentwicklung nachfolgend nachgegangen werden. Um wissenschaftlich mit dem Begriff „hmovation" arbeiten zu können, muss dieser zuerst definitorisch eingegrenzt werden. Ziel soll hier nicht sein, eine allumfas-sende, aber wenig praktikable Defmition zu erstellen. Vielmehr geht es darum, den Begriff so einzurahmen, dass er fassbar und im Kontext dieser Arbeit nutz-bar wird, ohne ihn dabei mit Bedeutungen zu überlasten. Kurz gesagt geht es darum, den Irmovationsbegriff handhabbar zu machen. Auch soll die Bedeutung und Entwicklung des huiovationsbegriffs in der Wirtschaft kurz vorgestellt wer-den, da er in jenem Bereich häufig verwendet wird und seine Entwicklung in der Pädagogik und Soziologie im wirtschaftlichen Kontext ihren Ursprung hatte.
Ursprünglich dem lateinischen novus („neu") und später innovatio („et-was neu Geschaffenes") entstammend, wird der Begriff heute in der Alltagsspra-che meist benutzt, um eine neue Erfindung oder einen neuen Prozess zu benen-nen (vgl. Kluge & Seebold, 2002, S. 4-42). Die Akzentuierung liegt dabei auf dem Neuen besagter Erfmdung bzw. besagten Prozesses. Die Konnotation des Wortes ist positiv.
2.2.1 Innovation in der Wirtschaftsforschung
Auf der wissenschaftlichen Ebene wird der Begriff huiovation in vielen Diszi- plinen benutzt, eine zentrale Stellung nimmt er in den Wirtschaftswissenschaf-
2.2 Schulentwicklung vs. Innovation 31
ten ein. Es überrascht daher nicht, dass viele Beiträge zum Thema hmovation tmd zahlreiche Defmitionsversuche aus diesem Bereich stammen.' Geprägt wurde der Begriff dort durch Joseph Schumpeter und seine Theorie der huiova-tionen (vgl. Schumpeter, 2008). Schumpeter äußert sich in mehreren Werken di-rekt zum huiovationsbegriff, unter anderem im Aufsatz The Instability of Capi-talism (1928):
"What we, unscientifically, call economic progress means essentially putting productive resources to uses hitherto untried in practice, and withdrawing them from the uses they have served so far. This is what we call `innovation'" (Schumpeter, 1928, S. 378).
In einem späteren Aufsatz schreibt er über die Funktion des Entrepreneurs: "the defining characteristics: simply the doing of new things or the doing of things that are already being done in a new way (hmovation)" (Schumpeter, 1947, S. 151).
Die Neukombination vorhandener Elemente bzw. Ressourcen mit dem Ziel, bestehende Prozesse zu verändern, stellt für Schumpeter demnach einen Großteil der Bedeutung des hmovationsbegriffs dar. Eine Innovation ist für ihn mehr als die Summe kleiner Änderungsprozesse. Schumpeter geht davon aus, dass sich hmovation nicht auf beliebig kleine Änderungsprozesse reduzieren tmd analysieren lässt, sondem nur auf der Makroebene erkannt bzw. erklärt wer-den kann. Seine Begründung für die Existenz von hmovationen ist anthropolo-gisch:
"Obviously the face of the earth would look very different if people, besides having their economic life changed by natural events and changing it themselves by extraeconomic action, had done nothing else except multiply and save. If it looks as it does, this is just as obviously due to the unremitting efforts of people to improve according to their lights upon their productive and commercial methods, i.e., to the changes in technique of pro-duction, the conquest of new markets, the insertion of new commodities, and so on. This historic and irreversible change in the way of doing things we call 'innovation' and we defme: innovations are changes in production functions which cannot be decomposed into infmitesimal steps. Add as many mail-coaches as you please, you will never get a railroad by so doing" (Schumpeter, 1935, S. 4).
Aufbauend auf den bereits erwähnten Grundgedanken führt Schumpeter fünf Fälle von hmovationen an (vgl. Schumpeter, 2006, S. 1000:
• Herstellung eines neuen Produkts oder einer neuen Produktqualität • Einfiihrung einer neuen, in einem Industriezweig noch unbekannten
Produktionsmethode, die jedoch nicht auf einer neuen Erfmdung beru-hen muss
" Eine Übersicht hierzu bietet Braun-Thürmann, 2005. Für das moderne Innovationsverständnis im wirtschaftlichen Kontext siehe Hauschildt & Salomo, 2004.
32 2 Theoretische Grundlagen
• Erschließung eines neuen Absatzmarktes, auf dem ein Industriezweig noch nicht eingeführt war, egal, ob dieser Markt schon vorher existierte oder nicht
• Erschließung einer neuen Bezugsquelle von Rohstoffen oder Halbfabri-katen
• Durchführung einer Neuorganisation, z. B. Schaffung oder Durchbre-chen einer Monopolstellung.
Abzugrenzen ist die Innovation von der Invention, also der Erfindung. Schum-peter (1928, 1935) geht bereits auf diese Abgrenzung ein. Seine Position hat bis heute Gültigkeit; in den Wirtschaftswissenschaften herrscht hier ein vergleichs-weise breiter Konsens:
"An important distinction is normally made between invention and innovation. Invention is the first occurrence of an idea for a new product or process, while innovation is the first attempt to carry it out into practice. Sometimes, invention and innovation are closely linked, to the extent that it is hard to distinguish one from another (biotechnology for instance). In many cases, however, there is a considerable time lag between the two. In fact, a lag of several decades or more is not uncommon (Rogers 1995). Such lags re-flect the different requirements for working out ideas and implementing them" (Fager-berg, Mowery & Nelson, 2006, S. 4, Hervorhebung des Verfassers).
Während die Invention also das Entwickeln und das Auftreten einer neuen Idee, eines neuen Produkts oder Prozesses beschreibt, zielt die Innovation auf die Ver-breitung oder Umsetzung einer Invention ab. Eine Innovation baut also auf be-reits vorhandenem Wissen auf. Dieser Gedanke lässt sich auch in Schumpeters Innovationsdefmition („Neukombination vorhandener Elemente bzw. Ressour-cen") wiederfinden. In den Harvard Business Essentials wird Innovation entlang der gleichen Argumentationslinie von Invention abgegrenzt:
"It [Innovation] is generally understood as the introduction of a new thing or method. MIT professor Ed Roberts once defined innovation as invention plus exploitation. Here's a more elaborate defmition: Innovation is the embodiment, combination, or synthesis of knowledge in original, relevant, valued new products, processes, or services" (Luecke & Harvard Business Essentials Staff, 2003, S. 2, Hervorhebung des Verfassers).
Erneut ist die Wissenskombination oder -synthese von zentraler Bedeutung. Ein charakteristisches Merkmal der Innovation ist also ein noch näher zu bestim-mender Wissenstransfer (vgl. hierzu auch Graf, 2007, S. 3f).
Um die Verbreitung von Innovationen zu beschreiben sind seit den 1950er und 1960er Jahren Diffusionsmodelle vorherrschend. Die Diffusions-theorie kann als Oberbegriff für verschiedene theoretische Konstrukte der Diffu-sion und Adoption angesehen werden. Verwendung finden diese Konstrukte vor allem in der Betriebswirtschaft, aber auch in der Soziologie oder der Kommuni-
2.2 Schulentwicklung vs. Innovation 33
kationswissenschaft. Seit den 1980er Jahren ist das Diffusionsmodell von Ever-ett Rogers (2003) ein oft rezipiertes Instrument zur Analyse von Innovationen. Eine Innovation ist laut Rogers "an idea, practice, or object that is perceived as new by an individual or other unit of adoption" (Rogers, 2003, S. 12). Für Ro-gers ist eine aufwändige Definition des Innovationsbegriffs selbst somit von eher geringer Relevanz; wichtig ist stattdessen die Perspektive: Dass die Ziel-gruppe die Innovation als neuartig empfindet, macht für ihn die Innovation aus. Gegenstand der Diffusionstheorie sind die Prozesse, die die Einführung und Dif-fusion einer bzw. mehrerer Innovationen in einem sozialen System nach sich ziehen. Erforscht werden vor allem Aspekte wie Akzeptanz oder Widerstand. Es wird untersucht, welche Faktoren die Aufnahme einer Innovation beschleunigen und welche sie hemmen können. Bis heute ist das Diffusionsbild in der wirt-schaftlichen hmovationsforschung vorherrschend. Jan Kuhlmann (2008) ver-weist auf die große Popularität des Modells und resümiert den Diffusionsprozess wie folgt:
„Die Forschung bezüglich der Diffusion von Innovationen ist eine der am meisten be-achteten Disziplinen der Sozialwissenschaften mit über 4000 Publikationen seit 1940. Der Absatz neuer innovativer Produkte, Innovationen, folgt einem Diffusionsprozess. Die Diffusion ist ein Prozess, in dem Information bezüglich einer Innovation zwischen Mit-gliedern eines sozialen Systems durch bestimmte Kanäle über die Zeit kommuniziert wird. Nach der Markteinführung beginnen Individuen, eine Innovation zu adoptieren, bis zu einem Punkt, an dem idealerweise das gesamte Marktpotenzial dadurch ausgeschöpft ist, dass alle potenziell interessierten Individuen die Innovation adoptiert haben. Dieser aggregiert betrachtete Übernahmeprozess wird als vergleichbar zu der Verbreitung eines Virus in einer Population angesehen und folgt üblicherweise einem S-förmigen Verlauf. Die Diffusionsforschung versucht, diesen Prozess durch Modelle nachzubilden, um Vor-hersagen z. B. bezüglich des Markterfolgs, der Diffusionsgeschwindigkeit oder der Pene-tration einer Innovation treffen zu können" (Kuhlmann, 2008, S. 1).
Das bereits erwähnte Diffusionsmodell von Rogers eignet sich nicht nur zur Analyse technischer Innovationen. Auch soziale hmovationen sind mit dem Mo-dell erfassbar.
Abbildung 1: Innovationseigenschaflen am Beispiel eines Taschenmessers (Quelle: eigene Darstellung)
34 2 Theoretische Grundlagen
Nach Rogers werden Innovationen diverse Eigenschaften zugesprochen (vgl. Rogers, 2003, S. 15f). Die Ausprägung dieser Eigenschaften beeinflusst die Wahrscheinlichkeit der Umsetzung und Verankerung einer Innovation. Dies soll durch kommentierte Illustrationen in diesem Abschnitt verdeutlicht werden. Ausgangspunkt ist dabei ein minimalistisches Taschenmesser mit einer Funktion (Nagelfeile, Abbildung 1), welches als Referenz stets links platziert ist.
1. Relativer Vorteil Der relative Vorteil ist der subjektiv empfundene Vorteil gegenüber dem Beste-henden. Je höher der Vorteil ist, desto schneller setzt sich eine Innovation durch.
2. Kompatibilität mit dem Bestehenden Die Kompatibilität mit dem Bestehenden drückt aus, wie stark die Innovation mit bestehenden Ideen, Werten und Konzepten konform geht. Je höher die Kom-patibilität, desto schneller kann die Innovation implementiert werden. Bei hoher Inkompatibilität ist es evtl. vonnöten, das bestehende System (z. B. das Werte-system einer Kultur) zu ändern, bevor die Innovation implementiert wird. Ein Beispiel hierfür wäre die flächendeckende Einführung von Sexualkunde-Unter-richt in stark wertkonservativ geprägten Ländern.
2.2 Schulentwicklung vs. Innovation 35
3. Komplexität Komplexität beschreibt den wahrgenommenen Komplexitätsgrad, also wie kom-pliziert die Umsetzung einer Innovation zu sein scheint. Je höher die Komplexi-tät, desto langsamer wird die Innovation adoptiert.
4. Versuchbarkeit Die Versuchbarkeit beschreibt, wie gut oder schlecht eine Innovation sich in ei-nem beschränkten Rahmen ausprobieren lässt. Innovationen, die sich testen las-sen, werden in der Regel schneller adoptiert als nicht testbare Innovationen.
5. Sichtbarkeit Mit Sichtbarkeit wird beschrieben, wie stark die Effekte einer hmovation für an-dere erkennbar werden. Je einfacher und je deutlicher sie wahrzunehmen sind, desto schneller wird die Innovation adoptiert werden.
Die in der Diffusionsforschung geläufigen Phasen einer Innovation lauten Wis-sen, Meinungsbildung, Entscheidung und Implementation (Rogers, 2003, S. 171ff). Während der Wissensphase tritt eine Person (oder auch mehrere) zum ersten Mal in Kontakt mit der Innovation, z. B. weil ihr davon berichtet wird oder weil die Person die Innovation selbst erfmdet. Dabei ist es in der Diffusi-onsforschung bis heute ungeklärt, ob es bezüglich der Wissensphase spezifische Abläufe gibt, ob also z. B. stets ein Bedarf und die Suche nach einer Lösung für etwas einer Innovation vorangehen oder ob eine Innovation auch eine spontane Entwicklung, ein spontaner Einfall sein kann und man anschließend bemerkt, dass jener Einfall ein spezifisches Problem lösen könnte. Darauf folgt die Über-zeugungsphase oder auch Phase der Meinungsbildung, in welcher sich eine Per-
36 2 Theoretische Grundlagen
son entweder eine positive oder eine negative Meinung zur Innovation bildet.
Oftmals beinhaltet diese Phase das Einholen von Informationen über die In-novation (Vorteile? Nachteile? Machbarkeit? Dauer? Andere Erfahrungen?).
Dies ist gefolgt vom aktiven Entschluss, eine Innovation auszuprobieren, also zu
implementieren (Entscheidung). Während der Entscheidungsphase werden häu-fig Testläufe oder Planspiele durchgeführt. In dieser Phase kann es zu einer so-genannten „Re-Invention", also „Neu-Erfindung" kommen; die Innovation wird
verändert, mit dem Ziel ihre Umsetzungs- bzw. Verbreitungswahrscheinlichkeit
zu erhöhen. Es ist auch möglich, dass die Innovation an dieser Stelle für un-tauglich befunden und abgelehnt wird. Falls dies nicht eintritt, folgt schließlich
die Phase der Implementation; die Innovation, die bisher im Geiste, auf dem Pa-pier oder als Testlauf existierte, wird umgesetzt. Auch hier kann es zu einer
Neu-Erfindung kommen.
2.2.2 Innovation in der Pädagogi
Hameyer beschäftigte sich in mehreren Werken mit pädagogischen Innovationen
und ihren Charakteristika (vgl. beispielsweise Hameyer, 1978, 2005a). Um sich dem Begriff zu nähern, geht Hameyer (1978) auf Definitionsversuche aus der
(Agrar-)Soziologie ein, kritisiert jedoch die in diesen Disziplinen damals vor-herrschende Verwendung von Diffusions- bzw. Adoptionskonzepten, welche aus
seiner Sicht eher für technologische Innovationen als für schulische angemessen
erscheinen. Bei den kritisierten Konzepten werden Innovationen als „relativ
konstante Größen" betrachtet (Hameyer, 1978, S. 30). Innovationen im Bil-dungsbereich sind jedoch laut Hameyer alles andere als konstant; ihre Übernah-me stellt einen stetigen Vorgang des Verstehens, der Verständigung und der Be-wertung dar (vgl. Hameyer, 1978, S. 3 1). Hameyer weist darüber hinaus darauf
hin, dass Bildungsinnovationen meist zehn bis 15 Jahre brauchen, um imple-mentiert zu werden und folgert, dass „mit der Verbreitung von Informationen
über Neuerungen der Innovationsprozeß längst nicht abgeschlossen ist, sondern
eine im wesentlichen soziale Phase durchlaufen muss" (Hameyer, 1978, S. 31).
Als Konsequenz entscheidet sich Hameyer gegen eine strikte Definition des In-novationsbegriffs und favorisiert stattdessen eine Unterteilung von „Innovation
als Leitkategorie in drei Dimensionen", um deren Vielschichtigkeit besser abzu-bilden (Hameyer, 1978, S. 32):
„(a) die Strukturdimension von Innovationen thematisiert die Art einer Innovation (im
Vergleich zu bisherigen Verhältnissen, die durch die Innovation verändert werden sollen).
(b) Die normative Dimension von Innovationen betrifft den Aspekt der Verbesserung ei-nes Systems oder von Teilen dieses Systems. Fragen der Relevanz, der Zielbestimmung
und inhaltlichen Gestalt von Innovationen spielen dabei eine zentrale Rolle.
2.2 Schulentwicklung vs. Innovation 37
(c) Drittens ist es die Prozeßdimension , der gemäß Innovationen als Interaktionsablauf, als Verständigungsvorgang oder Abfolge von Entscheidungen vorstellbar sind" (Hamey-er, 1978, S. 32, Hervorhebungen des Verfassers).
Hameyer weist darauf hin, dass die Strukturen von Innovation nur schwer syste-matisierbar sind. Mit Strukturen sind Maßnahmen gemeint, die unterstützend
auf die Innovation wirken. Da Innovationen sich in ihrer Form stark unterschei-den können, schlägt Hameyer vor, „ohne Systematisierungsanspruch Dimensio-nen bereitzustellen, die auf verschiedenartige Innovationsversuche angewendet
werden können", und die Ausprägungen dieser Dimensionen zu erforschen (Ha-meyer, 1978, S. 33). In Bezug auf die normativ-inhaltliche Dimension be-schreibt Hameyer, dass eine Innovation aus der Unzufriedenheit mit dem Beste-henden resultiert. Innovationen erhalten damit eine moralische Komponente. In-novationsversuche unterscheiden sich demnach von anderen Veränderungsinitia-tiven, wenn sie z. B. einen nachvollziehbaren relativen Vorteil bringen, sich auf
ein vorhandenes Problem bzw. eine Problemsituation beziehen und eine Verbin-dung zwischen der Konzeption der intendierten Innovation und den dazu not-wendigen Realisierungsschritten besteht (Hameyer, 1978, S. 34). Innovation ist
ihm zufolge ein Resultat der Implementation. Im Zuge der Implementation ver-ändert sich die Innovation zwangsläufig. Den Innovationsprozess beschreibt Ha-meyer als einen Prozess der Anpassung der Realität an die Innovation oder um-gekehrt (von Hameyer auch als Assimilations- bzw. Akkomodationsprozess be-zeichnet, vgl. Hameyer, 1978, S. 36). Diese Dimension lässt sich auch bei Ro-gers (2003) als „Re-Invention" wiederfinden; mit dieser Kategorie wird bei Ro-gers beschrieben, wie sehr eine Innovation durch die Involvierten während des
Adoptions- oder Implementationsprozesses verändert wird (vgl. Rogers, 2003,
S. 17). Auf den Bereich des Curriculums bzw. der Curriculum-Reformen be-
schränkt formuliert Hameyer eine engere Definition des Innovationsbegriffs:
„Curriculuminnovationen sind begründete Ansätze zur Verbesserung von Rahmenbe-dingungen und inhaltlich-methodischen Grundlagen organisierten Lernens. Sie können
die Form von konkretisierten Ideen, Programmen, Konzepten oder Handlungssystemen
annehmen [ ... ], die die Praxis des Lernens nachhaltig beeinflussen. [ ... ]
Innovationen sind nicht an sich positiv oder negativ interpretierbar, auch wenn sie auf
ausgewiesenen, allgemein anerkannten Ideen und Werten beruhen. Ihr Stellenwert und
Einfluß resultiert aus der Relevanz, Integrierbarkeit und faktischen Reorganisations-leistung einer Innovation in Hinsicht auf die im angestrebten Innovationsfeld vorhan-denen Strukturen und Kräfteverhältnisse [ ... ]. Die Qualität einer Innovation ist also eine
Resultante der Beziehungen zwischen Innovationsprogrammen und dem Wirkungsfeld.
Damit gewinnen die Innovationsprozesse selber, die dieses Verhältnis registrieren, einen gestaltenden Einfluß auf die Qualität von Innovationen" (Hameyer, 1978, S. 39f).
38 2 Theoretische Grundlagen
Sicherlich lässt sich Hameyers Definition nur schwer außerhalb der Curriculum-forschung anwenden, zumal seine Definitionen und Erklärungen zu Innovations-prozessen in jüngeren Werken von seinen ursprünglichen Forschungen abwei-chen.22 Es wird jedoch deutlich, dass für Hameyer normativ-inhaltliche Kompo-nenten einer Innovation inhärent sind („begründete Ansätze", Hameyer, 1978, S. 39). Darüber hinaus betont Hameyer den prozesshaften Charakter von Innova-tionen und ihre zwangsläufige Wandlung im Laufe ihrer Implementierung und
Institutionalisierung im pädagogischen Kontext, womit Innovation viele Merk-male zugeschrieben werden, die auch im Begriff Schulentwicklung verankert sind.
Ein weiterer Definitionsversuch im pädagogischen Kontext stammt von
Herbert Altrichter und Peter Posch. Demnach ist Innovation eine soziale Aktivi-tät, die Veränderungen auf den folgenden Dimensionen anstrebt:
1) die vorherrschenden Praktiken 2) das Wissen und die Einstellungen, die diesen Praktiken unterliegen
3) deren materielle Aspekte sowie
4) die sozialen und organisationalen Strukturen, in die diese Praktiken
eingebettet sind und die ihrerseits wieder mit einem System von Res-sourcen, Macht und Sanktionen/Gratifikationen assoziiert sind (vgl. Al-trichter & Posch, 1996, S. 179).
Darauf aufbauend lassen sich Innovationen im schulischen Kontext als bewusste
Versuche definieren, die bestehenden Lehr-, Lern- und Schulkulturen zu verbes-sern. Wie bei Schulentwicklung wird auch hier eine Abgrenzung zu nicht be-wusst stattfindenden Anpassungsprozessen geschaffen. Im pädagogischen Kon-text wurden darüber hinaus Faktoren identifiziert, die das Gelingen oder Schei-tern einer Innovation beeinflussen können und die denen der Soziologie durch-aus ähneln (vgl. Hameyer & Rolff, 2005, S. 5). Hervorzuheben sind allerdings
auch Unterschiede bzw. Eigenheiten des schulischen Innovationsprozesses. So
benötigen schulische Innovationen laut Hameyer ein Minimum von mehreren
Jahren, um gelingen zu können (vgl. Hameyer, 2005a, S. 16f).
Zusammenfassend lässt sich festhalten: Eine Innovation ist ein neuarti-ges System, Konzept, eine neuartige Idee, Methode oder Erfindung. Sie ist Trä-ger, Übermittler und/oder Auslöser sozialer Veränderungen, resultiert oft aus ei-ner Unzufriedenheit mit der derzeitigen Situation, beinhaltet eine wertende
Komponente und verändert sich im Laufe ihrer Implementierung.
22 So werden die verschiedenen Dimensionen in neueren Werken beispielsweise nicht mehr er-wähnt. Hameyer wendet sich in jüngeren Werken stärker dem Ablauf von Innovationsprozessen
zu.
Abbildung 2: Überlappende Innovationsphasen in Schulsystemen
(aus Hameyer, 2013, S. 475, Reproduktion mitfreundlicher Genehmigung)
2.2 Schulentwicklung vs. Innovation 39
Innovationsprozesse werden in der Pädagogik zumeist in ineinander
übergreifende Phasen unterteilt; geläufige Bezeichnungen sind hier beispiels-weise — ähnlich wie in der Soziologie — Initiierung (auch Anbahnung), Imple-mentierung (oder auch Umsetzung) und Institutionalisierung (oder auch Veran-kerung). Insbesondere über Implementierung und Institutionalisierung begünsti-gende und hemmende Faktoren wird bis heute geforscht und debattiert. In der
Pädagogik arbeitete Matthew Miles als einer der ersten Forscher mit dieser Ein-teilung, im Englischen oft initiation , implementation und institutionalization ge-nannt (vgl. z. B. Fullan, Miles & Taylor, 1980). Fullan bezeichnet die drei Pha-sen nahezu identisch: initiation , implementation und institutionalization bzw. continuation oder incorporation (vgl. Fullan, 2007, S. viif, 50f).
Im deutschsprachigen Raum verwendet Uwe Hameyer ein ähnliches Modell;
dort lauten die Phasen Anbahnung , Umsetzung und Verankerung . Zusätzlich be-rücksichtigt Hameyers Modell Kommunikation und Transformation als Begleit-prozesse. Kommunikation ist ein stetiger, den Innovationsprozess begleitender
Prozess; Transformation bezeichnet die nicht-lineare Veränderung des Aus-gangszustands hin zum innovierten Zustand (vgl. Hameyer, 2005a, S. 14f und
Abbildung 2). Nachfolgend werden die drei zentralen Phasen kurz vorgestellt. In der
Phase der Initiierung (Hameyer: Anbahnung) wird ein Ziel entwickelt. Ursache
ist häufig Unzufriedenheit mit dem Bestehenden. Dies bedeutet also auch eine
Erfassung der Ausgangssituation und eine Verständigung auf das Ziel. Für Al-
40 2 Theoretische Grundlagen
trichter und Posch beginnt der Prozess der Schulentwicklung mit dem Entstehen
eines Ziels, basierend auf einer Evaluation der gegenwärtigen Situation (Altrich-ter & Posch, 1996, S. 287).
In der Phase der Implementierung (Hameyer: Umsetzung) wird die In-novation zum ersten Mal eingesetzt. Ziel ist es, die Innovation zum neuen Stan-dard zu machen (vgl. Altrichter & Wiesinger, 2005, S. 32). Sie ist in dieser Pha-se jedoch eindeutig noch als Novum identifizierbar und somit nicht Teil der
Routine. Wichtig ist hierbei eine stetige Verständigung (siehe auch Hameyers
Ausführungen zu den Innovationsphasen, Hameyer, 2005a, S. 14f, in Abbildung
2 wird dies durch einen fortlaufenden Kommunikationsprozess kenntlich ge-macht) und Evaluation der Innovation und des Gelingens der Implementierung.
Dies führt häufig zu einer Modifikation der Innovation in der Absicht, sie besser
an die Gegebenheiten anzupassen und somit die Wahrscheinlichkeit ihrer Insti-tutionalisierung zu erhöhen (dieser Aspekt birgt große Ähnlichkeit mit dem
Konzept der Neu-Erfindung [Re-Invention] von Rogers, vgl. Rogers, 2003, S.
17). Die gelingende Implementierungsphase ist folglich geprägt durch konti-nuierliche Anpassungen an das Neue, Anpassung des Neuen und Kommunikati-on über das Neue (vgl. Hameyer, 2005a, S. 15). Die anfängliche Motivation Ein-zelner kann während der Implementierungsphase Sorgen und Skepsis weichen. Die Auseinandersetzung mit dem Fremden setzt das Eingeständnis des „Nicht-Könnens", das Loslassen des alten Handlungswissens voraus. Raum für Dis-kussionen und Konflikte sollte daher gegeben sein; konstruktive Auseinander-setzungen können sich durchaus hilfreich auswirken, solange der Innovations-prozess selbst nicht ins Stocken gerät. Zum Ende der Implementierungsphase
sollte jedoch eine gemeinsame Verständnis- und Handlungsbasis (wieder) herge-stellt sein. Der erfolgreiche Umgang mit Problemen und Konflikten in der Im-plementierungsphase ist abhängig von der vorherrschenden Streitkultur.
In der Phase der Institutionalisierung (Hameyer: Verankerung) wird die Innovation im Alltagsgeschehen verankert. Ziel ist es, die Innovation so rei-bungslos in die Routinen zu integrieren, dass sie Teil der Routine wird und so-mit nicht mehr als Innovation wahrgenommen, sondern als Teil der Gesamtpra-xis wertgeschätzt wird (vgl. Hameyer, 2005a, S. 16). Eine Innovation, die dieses
Stadium erreicht, wird zur neuen Norm und verliert somit ihren Status als In-novation. Dazu gehört auch, dass eventuell vorhandene besondere Zuwendun-gen (z. B. eine Anschubfinanzierung oder auch ein besonderes Zeitkontingent)
auf ein „normales Maß" reduziert bzw. eingestellt werden. Eine institutionali-sierte Innovation wird Teil der Organisationskultur und somit unabhängig von
den Personen, die sie ursprünglich initiiert haben. Wie die Implementierungs-phase zuvor wurde auch die Institutionalisierungsphase relativ spät wissen-schaftlich entdeckt und erforscht. Eine erfolgreiche Institutionalisierung ist kei-
2.2 Schulentwicklung vs. Innovation 41
ne Selbstverständlichkeit, selbst dann, wenn sich die Innovation zuvor in der
Implementierungsphase bewährt hat. Grundsätzlich lässt sich festhalten, dass der Innovationsbegriff — ob
klar wissenschaftlich definiert oder nicht — längst Einzug in die Pädagogik ge-halten hat. Indikatoren hierfür sind einerseits die steigende Anzahl an Artikeln
und Monographien, die sich dem Begriff widmen, 23 andererseits die Benennung von Institutionen und bedeutenden Projekten im pädagogischen Kontext, die
den Innovationsbegriff tragen, z. B. der Innovationsausschuss der Bund-Länder-Konferenz oder die Vernetzung innovativer Arbeit an Hamburger Schulen (vgl.
beispielsweise Kasang, 2005). Oft subsumiert der Innovationsbegriff im pädago-gischen Diskurs zwei oder mehr Bedeutungsmomente: einerseits die Antwort
auf die Frage nach dem Neuen („Was ist das Neue?"), andererseits die Antwort auf die Frage nach dem Prozess („Wie wird das Neue implementiert?"). Für die
hier vorliegende Arbeit sei folgende Definition maßgeblich, welche versucht,
den Überlegungen sowohl der Diffusionstheorie nach Rogers (2003) als auch
des Innovationsmodells und der Schulentwicklungsdefinition nach Hameyer
(1978, 2007) Rechnung zu tragen:
Eine schulische Innovation ist ein bewusst begonnener Veränderungsprozess eines Zu-stands, Systems oder einer bestehenden Methode innerhalb eines schulischen Kontextes
mit der Absicht der Verbesserung. Diese Veränderung wird von den Involvierten als Neuerung erachtet. 24 Innovationen verlaufen nicht-linear und werden im Laufe ihrer Im-plementierung zwangsläufig verändert. 25 Innovationen sind ein zentrales Element von Schulentwicklung.
In der vorliegenden Arbeit wird der großen Ähnlichkeit zwischen Schulentwick-lung und Innovation insofern Rechnung getragen, als Innovation als ein Element
von Schulentwicklung betrachtet wird. Innovation wird als ein Schulentwick-lungsprozess angesehen. Schulentwicklung, also die systematische, zukunftsge-richtete Entwicklung einer Schule, beinhaltet in der Regel jedoch mehrere
Schulentwicklungsprozesse; sie wird in dieser Arbeit als umfassender angesehen
als Innovation. Anhand des genannten Definitionsversuches sowie der zuvor
23 Vgl. z B. Kehrbaum, 2009. Eine einfache Suche nach „Innovation" in der FIS Bildung Literatur-datenbank bringt Hunderte deutschsprachiger Treffer zutage. Im englischsprachigen Raum
scheint der Begriff ebenfalls sehr populär zu sein; so gibt es diverse OECD-Publikationen aus
dem Bereich Bildung und Schule, welche sich ebenfalls auf Innovation beziehen (z.B. OECD,
1999, 2008b). 24 Objektiv betrachtet muss die Änderung nicht neu sein, sie muss lediglich für die durch den Inno-
vationsprozess betroffenen Personen als neu erscheinen. Oder frei nach einem bekannten Sprich-wort: Innovation liegt im Auge des Betrachters.
25 Eine mögliche Metapher für die Veränderung einer Innovation im Zuge ihrer Implementierung
ist die Mutation. Sie entsteht — wie die Veränderung der Innovation — nicht zielgerichtet, ohne
klaren Grund, aufgrund einer Vielzahl einwirkender Einflüsse und bewirkt im Idealfall eine bes-sere Anpassung an die Umwelt.
42 2 Theoretische Grundlagen
dargelegten Aufarbeitung der Begrifflichkeiten wird die enge Nähe des schuli-schen Innovationsbegriffes mit dem der Schulentwicklung deutlich.
2.3 Schule als lernende Organisation
Schulische Innovationen bzw. Schulentwicklung sind (inzwischen) eng ver-knüpft mit dem Begriff der lernenden Organisation . Während eine Schule durchaus nur zeitlich begrenzt oder lediglich aufgrund externer Impulse punktu-ell Schulentwicklung betreiben kann, beschreibt die Schule als lernende Organi-sation die Verinnerlichung und systematische, kontinuierliche und konsequente
Umsetzung der Kerngedanken von Schulentwicklung, metaphorisch ausge-drückt, eine intrinsische Schulentwicklung. Damit die Organisation Schule nicht
nur machtlos auf Veränderungen reagieren kann, sondern in der Lage ist, mögli-che Anlässe für Veränderungen zu identifizieren, zu akzeptieren und ultimativ
auch zielgerichtet zu innovieren, muss die Schule — wo noch nicht geschehen — zu einer lernenden Organisation werden (vgl. Fullan, 1993, S. 6f). Peter Senge
definiert lernende Organisationen als solche,
„in denen die Menschen kontinuierlich die Fähigkeit entfalten, ihre wahren Ziele zu ver- wirklichen, in denen neue Denkformen gefördert und gemeinsame Hoffnungen frei ge- setzt werden und in denen Menschen lernen, miteinander zu lernen" (Senge, 1996, S. 11).
Als ein Merkmal lernender Organisationen erachtet er das Lernen ihrer Mitglie-der:
„ [...] Organisationen lernen nur, wenn die einzelnen Menschen etwas lernen. Das indi-viduelle Lernen ist keine Garantie dafür, dass Organisationen etwas lernen, aber ohne in-dividuelles Lernen gibt es keine lernende Organisation" (Senge, 1996, S. 171).
Die Schule als lernende Organisation ist also eine Schule im konstanten Zustand
des Wandels und der Anpassung. In einer Schule als lernender Organisation
müssen sich die Lehrkräfte laut Fullan als change agents begreifen, als Aneigner und Vermittler von sich ständig veränderndem Wissen und diese Ansicht auch den Schülern vermitteln. Konstanter Wandel bedeutet lebenslanges Lernen. Ful-lan sieht die Rolle des Lehrers als change agent in der lernenden Organisation (vgl. Senge, 1996) durch den schulischen Bildungsauftrag legitimiert. Ziel der
Schule ist seiner Ansicht nach, die Schüler zu aufgeklärten Bürgern zu erziehen
und sie in die Lage zu versetzen, in einer immer komplexeren Gesellschaft zu
leben und zu arbeiten (vgl. Fullan, 1993, S. 4). Dieses Ziel kann nur durch inten-sive Kooperation mit den Mitgliedern innerhalb einer Schule und mit ihren Um-welten ermöglicht werden. Der Austausch ist Bedingung für Lernprozesse der
2.3 Schule als lernende Organisation 43
lernenden Organisation (vgl. Fullan, 1999, S. 41). Diese Kondition ist in vielen
Modellen zur Schulentwicklung seit geraumer Zeit verankert. Damit eine Schule
zu einer lernenden Schule wird, reicht es nicht aus, dass die einzelnen Individu-en sich weiterentwickeln. Die Entwicklungen müssen vernetzt erfolgen und re-flektiert werden. Personalentwicklung und Qualitätsentwicklung (bzw. Quali-tätsmanagement) sind deshalb wichtige Bestandteile einer lernenden Schule. In
diesem Kontext werden professionelle Lerngemeinschaften, im Englischen
communities of practice genannt, als wichtige Facetten eines gelingenden Schul-entwicklungsprozesses angesehen. Horster definiert im Rückgriff auf Louis &
Leithwood fünf Merkmale professioneller Lerngemeinschaften:
• Gemeinsam vereinbarte Ziele
• Fokus auf Schülerlernen • Entprivatisierung der Lehrerrolle (Lehrer sehen ihre Klasse und ihren
Unterricht nicht als ihr Eigentum an, sondern als Angelegenheit des
ganzen Jahrgangs oder der ganzen Fachgruppe)
• Zusammenarbeit/Kooperation
• Reflektierender Dialog, zielorientiert und datengestützt (Louis/Leit-hwood 1998, S. 39f, zitiert nach Horster, 2006, S. 231).
Strittmatter erachtet unter anderem eine Suchbewegung hin zum state of the art
und, damit verbunden, die Entwicklung einer Fachsprache zwecks schnellerer
und eindeutigerer Kommunikation als nötige Kriterien professioneller Lernge-meinschaften. Auch die Würdigung der eigenen Erfahrung wie auch des exter-nen Wissens von Experten ist für ihn unerlässlich (vgl. Strittmatter, 2006, S.
13ff). Schulentwicklung kann somit im Verständnis einer lernenden Organisati-on Schule nicht nur punktuell und ohne Bestreben nach Vernetzung betrieben
werden; stattdessen ist eine Verankerung in der regulären Arbeitsroutine nötig.
Basierend auf den obigen Definitions- und Umschreibungsversuchen von Schul-entwicklung und von Schule als lernende Organisation wird deutlich, dass diese
nicht lediglich verwaltet werden kann. Um den Zielsetzungen von Schul-entwicklung gerecht zu werden, um sich also zu einer sich systematisch entwi-ckelnden Schule zu bewegen, ist Administration oder Verwaltung unzureichend;
die Führung einer solchen Schule erfordert mehr. Dies wird durch Leadership
beschrieben, weshalb der Begriff Leadership und sein Wandel nachfolgend vor-gestellt werden.
44 2 Theoretische Grundlagen
2.4 Leadership und Führung
Eine lernende Organisation Schule kann nicht einfach verwaltet werden. Ver-waltung, verstanden als die Wahrung bestehender Verhältnisse, widerspricht
dem Bestreben der lernenden Organisation nach konstanter (Wieder-)Anpassung
und Verarbeitung innerer und äußerer Impulse. So haben laut Giddens (1985)
Akteure — in diesem Fall Schulleiter/-innen und Lehrer/-innen einer Schule —
grundsätzlich die Möglichkeit, durch Änderung ihres Verhaltens auf bestehende
Strukturen Einfluss zu nehmen. Besonders stark ist dieser Einfluss bei Men-schen in Schlüsselpositionen.
In vorliegender Arbeit wird die Rolle von Schulleitung im Kontext von
Schulentwicklung näher betrachtet. Neben einer erfolgten definitorischen Annä-herung an den Begriff der Schulentwicklung bzw. schulischen Innovation ist auch der eng mit der modernen Auffassung von Schulleitung verbundene Be-griff Leadership für das wissenschaftliche Verständnis unerlässlich. Daher soll
nachfolgend dem Leadership-Begriff nachgegangen und auch kurz auf sein
deutsches Pendant, den Führungsbegriff, eingegangen werden.
In der anglophonen Literatur wird zur Beschreibung und Analyse häu-fig auf den Begriff Leadership zurückgegriffen. Spätestens seit RAND (1975)
und Rutter (1979) steht die besondere Bedeutung der Schulleitung für eine
Schule fest. So identifizierte Michael Rutter (1979) Leadership als eines der
Schlüsselkriterien für eine erfolgreiche Schule. Die 1975 von der RAND Corpo-ration veröffentlichte und vom US-amerikanischen Bildungsministerium geför-derte Studie beschäftigte sich wiederum mit den wichtigsten Faktoren, welche
Einfluss auf Veränderungen an Schulen hatten. Eine groß angelegte quantitative
Analyse an über 300 Schulen machte die Bedeutung der Schulleitung für das
Gelingen schulischer Innovationen deutlich. Schulleiterinnen und Schulleiter
bzw. ihre Unterstützung einer schulischen Innovation wurden als Schlüsselfak-tor des Gelingens angesehen. In den beiden bisher genannten Studien war je-doch hauptsächlich von Schulleitung die Rede, Leadership spielte im Rahmen
der Studien keine bedeutsame Rolle. Etwas spezifischer ging Ronald Edmonds
in seiner Studie zu Schulen in sozial benachteiligten Stadtteilen auf Leadership
im schulischen Kontext ein; er charakterisierte Leadership als das Zusammen-bringen und Zusammenhalten disparater Elemente von Beschulung (Edmonds,
1979, S. 22). Eine allgemeinere, auch heute noch geläufige Definition stammt
von Martin Chemers:
"Leadership is a process of social influence through which one person is able to enlist the
aid of others in reaching a goal" (Chemers, 1997, S. 5).
Einflussnahme ist dabei ein zentrales Element vieler Definitionsversuche. So
definieren Swaffield und Macbeath Leadership als Tätigkeit, welche — ähnlich
2.4 Leadership und Führung 45
wie bei Chemers — die Beeinflussung anderer sowie die Hilfe für andere mit sich
bringt ("influencing and serving others", Swaffield & MacBeath, 2008, S. 1).
Grundsätzlich zielt Leadership in der Regel weniger auf den Menschen (das
wäre leader ), sondern mehr auf Führungsfähigkeit ab. Leadership ist jedoch ein Sammelbegriff, unter dem viele Aspekte zusammengefasst sind; im Wirtschafts-und Managementkontext ebenso wie im schulischen Kontext, wo den Führungs-kräften eine Vielzahl an Aufgaben zugerechnet wird. Wird Leadership heutzuta-ge definiert, geschieht dies oft in Abgrenzung; ähnlich wie bei der Unter-scheidung zwischen transactional und transformational leadership , auf die an späterer Stelle näher eingegangen wird, unterscheidet man häufig zwischen ei-nem Verwalter (engl. "administrator") und einem Führungsmenschen (engl.
"leader"). Während der Verwalter oder Administrator versucht, Erreichtes zu si-chern, und in der Regel auf bewährte Methoden zurückgreift, setzt der leader 26 neue Ziele (und/oder entwickelt Visionen) und setzt neue Methoden ein oder ist
zumindest offen für neue Methoden (vgl. Novotney & Tye, 1973). Statt Ver-walter bzw. Administrator wird seit den 1990er Jahren auch — inhaltlich weitge-hend deckungsgleich — der Manager-Begriff verwendet; das Gegensatzpaar lau-tet dann Manager/ leader (vgl. beispielsweise Kotter, 1990, S. 4ff). 27 So definiert Ray Bolam educational management beispielsweise als "an executive function
for carrying out agreed policy" (Bolam, 1999, S. 194), also als eine Exekutiv-funktion, um festgelegte Richtlinien auszuführen. Im Kontrast hierzu sieht Bo-lam in Leadership "at its core the responsibility for policy formulation and,
where appropriate, organisational transformation" (Bolam, 1999, S. 194). Er
sieht in Leadership also die Verantwortung für das Ausarbeiten von Richtlinien
sowie für die Transformation einer Organisation (wo zutreffend). Der britische
Schulforscher Tony Bush gebraucht eine ähnliche Definition: Er definiert Mana-gement als Ausführen von Direktiven und Leadership als Entwickeln und Aus-führen/Umsetzen von Visionen. Darüber hinaus sieht er autonomes Entscheiden
als ein Zeichen von Leadership (vgl. Bush, 2008a, S. 1ff). Weitere Kern-komponenten von Leadership sind für ihn die Entwicklung einer Vision sowie 26 Eine wortgetreue deutsche Übersetzung von "leader" wäre „Führer". Dieser Begriff erscheint je-
doch nicht zuletzt aus historischen Gründen unangebracht. In dieser Arbeit wird daher auch im
Deutschen auf das englische leader zurückgegriffen oder von Führungskraft bzw. Führungs-/Leitungsperson gesprochen. Leader wird in dieser Arbeit als Maskulinum verwendet.
27 Wie auch im Englischen besteht im Deutschen eine Ungenauigkeit in der wissenschaftlichen
Verwendung des Management-Begriffs, offensichtlich sogar noch stärker als im Englischen. Ver-mutlich aufgrund der Tendenz im Deutschen, für neuere Konzepte auf englische „Schlagwörter"
anstatt auf deutsche Begriffe zurückzugreifen, hat sich hier im Deutschen eine leicht misszuver-stehende Bedeutungsänderung eingeschlichen: Der Management-Begriff bezeichnet in der
deutschsprachigen Fachliteratur häufig, wenn auch nicht durchgängig das, was im Englischen in der Regel mit leadership bezeichnet wird, er beschreibt somit keine transaktionale, sondern eher
eine transformationale Auffassung von Führung. Ein Beispiel für diese unglückliche, weil miss-verständliche Verwendung ist der Titel „Schule managen — statt nur verwalten" von Herbert Bu-chen (2009).
46 2 Theoretische Grundlagen
Einflussnahme, basierend auf persönlichen sowie professionellen Werten; die
Einflussnahme muss — — im Gegensatz zu Bushs Konzeption von Management — nicht auf eine formale Machtposition zurückzuführen sein (vgl. Bush, 2008b).
David Hopkins (2007) definiert Leadership als ein katalysierendes Ver-halten von Führungskräften, welches für ein Gelingen massiver Schulreformver-suche ( large-scale reforms ) unabdingbar ist, da durch Leadership eine Beteili-gung und Anteilnahme über die bloße Führungsebene hinaus erreicht werden kann. Er plädiert für eine systemische Perspektive auf Leadership und auf Ver-änderungsprozesse und definiert vier treibende Kräfte für gelingende Reform-prozesse, die systemisches Leadership ausmachen:
• Personalisiertes Lernen: Hopkins fordert, Schule und Bildung den indi-viduellen Bedürfnissen der Schüler/-innen anzupassen 28 und ihnen Raum zur Mitwirkung zu schaffen. Schlüsselkomponenten des perso-nalisierten Lernens sind nach Hopkins die Entwicklung von Meta-kognition (das Lernen zu lernen) und das Schaffen von Transparenz im
Lernen und Lehren. • Professionalisierung der Lehre: Eine Professionalisierung beinhaltet ein
größeres methodisches Repertoire der Lehrkräfte und ein Engagement
für lebenslanges Lernen seitens der Lehrer/-innen.
• Vernetzung & Kollaboration: Hopkins plädiert für Vernetzungen von
Schulen untereinander sowie Vernetzungen zwischen Schulen und
schul-externen Organisationen wie z. B. wirtschaftlichen sowie for-schungsorientierten Betrieben.
• Intelligentere Rechenschaftspflicht ( intelligent accountability ): Hop-kins kritisiert viele Modelle der Rechenschaftspflicht und weist auf un-erwünschte Arten der Anpassung an diese Modelle wie z. B. "teaching
to the test" 29 oder eine Inflation der Noten hin. Er schlägt deshalb eine
„intelligente Rechenschaftspflicht" vor. Diese sollte sowohl interne als
auch externe Evaluationen umfassen und differenzierter gestaltet sein.
So sollte laut Hopkins sorgfältiger unterschieden werden, ob eine Eva-luation zum Ziele des Lernens ( assessment for learning ) oder zum Zie-le des Zertifizierens durchgeführt wird ( assessment of learning ).
28 Im deutschsprachigen Kontext könnte dies als eine Form der Binnendifferenzierung aufgefasst
werden. 29 "Teaching to the test" beschreibt eine Unterrichtspraxis bei welcher Lehrer/-innen einen starken
Fokus auf die Vermittlung prüfungsrelevanter Inhalte legen. Ziel ist es, dass Schüler/-innen in
Prüfungen möglichst gut abschneiden. Dabei vernachlässigen die Lehrkräfte bewusst Inhalte, die
nicht Teil der Prüfungen sind. Bisherige (amerikanische) Untersuchungen zu "teaching to the
test" zeigen bezüglich der Schülerleistungen im Vergleich zu herkömmlichen Unterricht ein un-einheitliches Bild (vgl. Firestone, Schorr & Monfils, 2004; Kane & Cantrell, 2010; Volante,
2004), es gibt darüber hinaus ethische Bedenken (vgl. Mehrens, 1989).
2.4 Leadership und Führung 47
Wie erwähnt lässt sich (systemisches) Leadership nach Hopkins auf die vier
oben genannten Kräfte zurückführen. Ihm zufolge ist es daher für schulische
Führungskräfte nötig, diese Bereiche mit Nachdruck und Ausdauer zu verfolgen.
Die vier Komponenten, also personalisiertes Lernen, Professionalisierung der
Lehre, Vernetzung und Kollaboration sowie eine intelligentere Rechen-schaftspflicht, verleihen Hopkins' Definition von Leadership einen normativen
Charakter. Swaffield und MacBeath konstatieren in ihren Überlegungen zu Lea-
dership zunächst, dass dieses weniger als Status oder Rolle, sondern zunehmend
als Aktivität oder Tätigkeit gesehen wird. Dies wiederum stärkt die Bedeutung
des Kontextes bei der Untersuchung von Leadership. Leadership manifestiert
sich ihnen zufolge in ausgehandelten Interaktionen zwischen Führungspersonen
und Mitarbeitern. Sie sehen Leadership sowohl als eine Rolle in der formalen
Hierarchie als auch als etwas Dynamisches, welches in vielen kleinen Einzelmo-menten die inneren Abläufe einer Schule definiert (Swaffield & MacBeath,
2009, S. 2f). Plädiert wird vor diesem Hintergrund für ein partielles Abwenden
der Konzentration von formal designierten Führungspersonen und stattdessen
für eine stärkere Einbeziehung der „übrigen" Akteure der Schule (Lehrer, Schü-ler, Eltern, aber auch externer Experten), verbunden mit der stärkeren Akzentu-ierung einer Kultur der Selbstevaluation (vgl. MacBeath & Brotto, 2004). Dar-über hinaus betonen MacBeath et al. den Nutzen transkultureller Dialoge und
des internationalen Austauschs sowohl für Schulentwicklung als auch für Lea-dership. 30 Dieser Austausch ist MacBeath et al. zufolge nicht zuletzt aufgrund
der kulturell und individuell anders gelagerten Auffassung von Leadership von
enormer Wichtigkeit. Hierbei stützen sie sich auf die Ergebnisse der „Carpe Vit-am"-Studie, die von 2002 bis 2005 in acht Staaten durchgeführt wurde und zum
Ziel hatte, die Bedeutung von Leadership im lokalen schulischen Kontext zu er-fassen und die Beziehung zwischen Leadership und Schule bzw. Entwicklung
im lokalen schulischen Kontext zu eruieren (MacBeath et al., 2008). Die Ergeb-nisse unterstreichen einerseits die enorme Bedeutung des kulturellen, sprachli-chen und politischen Kontextes, zeigen andererseits aber auch klare Gemein-samkeiten im Leadership-Verständnis und dessen Relevanz für die Entwicklun-gen von Schulen auf.
„Erfolgreiches Leadership" versuchten Kenneth Leithwood und Chri-stopher Day näher zu untersuchen. Im Rahmen einer zunächst dreijährigen Stu-die mit dem Titel "The International Successful School Principalship Project"
(ISSPP), die in einer ersten Phase acht Länder umfasste, wurde versucht, Cha-rakteristika, Prozesse und Effekte erfolgreicher Führung (Leadership) in acht
s0 John Macbeath vertritt eine vergleichsweise breite Auffassung von Leadership ( leadership for
learning), die die Führungsperson als Schulentwicklungsperson betrachtet (vgl. MacBeath,
2003).
48 2 Theoretische Grundlagen
Ländern mit Rücksicht auf den jeweiligen lokalen Kontext zu erforschen. Dabei
wurden zum einen erhebliche Unterschiede bei den Strukturen und Fi-nanzierungsmodellen nationaler Bildungssysteme sowie bei ihren Orientierun-gen (Output- vs. Inputsteuerung) festgestellt, zum anderen Unterschiede bei der
Art von Leadership, sowohl auf nationaler wie auch auf individueller Ebene.
Darüber hinaus schien es ab dem Zeitpunkt der Umsetzung der zuvor einheitlich
vereinbarten Selektionskriterien sowie methodischen Vorgaben der Untersu-chung länderspezifische Unterschiede zu geben, weshalb die Macher der Studie
unter anderem einen Bedarf nach einer größeren transkulturellen pädagogischen
Forschung sehen und die Entwicklung eines kulturübergreifenden Forschungs-rahmens bzw. Bezugssystems fordern (vgl. L. Johnson et al., 2008). Unter Vor-behalt wird ein über die Kulturen hinaus existierendes Verständnis von leader
formuliert (Leithwood & Reil, 2005, nach L. Johnson et al., 2008, S. 408):
• Der leader verbessert die Lernbedingungen vor Ort oder arbeitet auf
dieses Ziel hin. • Die meisten leader sind ehemalige Lehrer oder stammen aus dem Be-
reich der Verwaltung. • Zur Verbesserung der Organisation Schule sollten so viele (betroffene)
Menschen wie möglich einbezogen werden. Die Einbeziehung dieser Menschen ist Aufgabe des leaders .
• Der leader sollte nachhaltige Reformen initiieren, welche die Qualität
der Lehre und/oder die soziale Gerechtigkeit stärken.
Während viele Charakteristika eines erfolgreichen leaders kulturunabhängig zu sein scheinen, wie z. B. Ehrlichkeit, ein starkes Engagement, Empathie, das Mo-tivieren des Personals, Vertrauen und Respekt, gibt es jedoch auch diverse kultu-rell sehr spezifische Aspekte. So wurde in Dänemark z. B. (verglichen mit den
anderen Ländern, die an ISSPP teilnahmen) stärker Wert darauf gelegt, dass ein
Schulleiter ein Teamgefühl an seiner Schule entwickelt und besonders aufmerk-sam zuhört, damit er von seinem Umfeld (Lehrer/-innen, Schüler/-innen, Eltern)
als erfolgreich wahrgenommen wird. In Australien wurden wiederum Offenheit
und Zugänglichkeit als wichtigste Kriterien genannt während in China Disziplin und die Übernahme von Verantwortung als wichtigste Kriterien genannt wurden.
Dagegen wurden shared leadership oder ähnliche Modelle der teamorientierten
Führungsteilung dort als unwichtig für erfolgreiches Leadership erachtet (vgl.
Day & Leithwood, 2007, S. 140ff, 195). Darüber hinaus werden Tätigkeiten, die
einen leader erfolgreich machen, wie folgt benannt (nach Day & Leithwood,
2007, S. 191f, freie Übersetzung des Verfassers):
0 Richtung/Kurs vorgeben ( Setting Direction )
2.4 Leadership und Führung 49
• Personalentwicklung (Developing People ) • Überarbeitung der Organisation (Redesigning the Organization ) • Arbeit am Curriculum (Managing the Instructional Program ) • Kooperationsaufbau (Building Coalitions ).
Als Synthese lässt sich festhalten, dass die Kriterien für Leadership immer vom
Zwischenspiel aus kulturellen und lokalen Kontextfaktoren der Schulsysteme
vor Ort abhängig sind. Diverse Studien haben sich mit Schulentwicklungspro-zessen und den Rollen der Schulleiter dabei beschäftigt (beispielsweise Ekholm,
1992; Fullan & Eastabrook, 1973; Fullan et al., 1998; Snyder, Acker-Hocevar & Snyder, 1994), in jüngerer Vergangenheit auch zunehmend mit den Qualitäten, die den Veränderungsprozess unterstützen können. Wie bei den bereits erwähn-ten Untersuchungen von RAND und Rutter war eine der wichtigsten Erkennt-nisse, dass die Schulleitung von zentraler Bedeutung ist, wenn es um Ent-wicklungs- bzw. Innovationsprozesse in der Schule geht.
Bei einem Wechsel der Perspektive nach Deutschland ist zunächst fest-zustellen, dass Schulleitung die längste Zeit als ein „unscharfer" Beruf ohne kla-re Charakteristika galt; Schulleiter/-innen waren in den 1970er Jahren in der Re-gel ehemalige Lehrer/-innen, die nur selten besondere Zusatzqualifikationen
oder Fortbildungen im Management-Bereich hatten oder erhielten. Auf die Füh-rung einer Schule waren diese Personen also eher geringfügig vorbereitet. Erst
seit den 1980er Jahren werden Führungs- und Management-Aspekts zunehmend
stärker berücksichtigt und künftige Schulleiter/-innen verstärkt aus- und fortge-bildet. Doch gerade der Aspekt der Führung stellt sich für manche als problema-tisch dar. So betonen Lohmann und Minderop beispielsweise, dass das Füh-rungsverständnis in Deutschland historisch belastet und als Folge dessen heutzu-tage nicht stark entwickelt ist (vgl. Lohmann & Minderop, 2008, S. 22). In der deutschen Schul- und Managementforschung hat der ursprünglich englischspra-chige Leadership-Begriff darüber hinaus eine hohe Verbreitung gefunden, doch
gibt es auch Forscher/-innen, die auf den deutschen Begriff Führung setzen und
diesen z. T. von Leadership abgrenzen. Bevor näher auf den Leadership-Begriff
und verschiedene zugrunde liegende Modelle eingegangen wird, soll daher zu-nächst dem genuin deutschen Führungsbegriff kurz Rechnung getragen werden.
Dies geschieht anhand der Ausführungen des Schweizer Wirtschaftspädagogen
Rolf Dubs, welcher Führung wie folgt definiert:
„Führung wird verstanden als ziel- und ergebnisorientierte, aktivierende und wechsel-seitige soziale Beeinflussung zur Erfüllung gemeinsamer Aufgaben in und mit einer
strukturierten Arbeitssituation" (Dubs, 2009, S. 103).
Vergleicht man diese Definition mit der zuvor von Cheemers zitierten Definition
von Leadership, wird eine große Ähnlichkeit deutlich: In beiden Fällen wird die
50 2 Theoretische Grundlagen
Tätigkeit als soziale Einflussnahme charakterisiert. Auch die Erfüllung eines
Zieles wird in beiden Definitionen als Zweck genannt. Es zeigt sich hier also,
dass Dubs mit seiner Definition von Führung quasi ein deutsches Synonym für
Leadership präsentiert. Wie Dubs jedoch selbst anmerkt, gibt es im Deutschen
eine Fülle verschiedener Definitionen für Führung (Dubs, 2009, S. 116), auch
hier bestehen also starke Parallelen zum Begriff Leadership, der reich an Defini-tionsversuchen ist.
Dubs unterteilt Führung in indirekte Führung (strukturell-systematisch)
und direkte Führung (personal-interaktiv). Die indirekte Führung ist gekenn-zeichnet durch Einflussnahme über die bewusste Gestaltung der Ordnungsmerk-male eines sozialen Systems: Kultur, Strategie und Struktur. Die direkte ist, wie
die Bezeichnung schon andeutet, durch direkte, situative und oft auch individua-lisierte Kommunikation gekennzeichnet und hat zum Ziel, das Geschehen in ei-nem sozialen System und das Verhalten der Mitarbeiter zu beeinflussen (vgl.
Dubs, 2009, S. 103f). Für Dubs sind sowohl indirekte als auch direkte Führung
wichtige Aspekte und nur im Verbund wirksam. Aus diesem Verständnis heraus
definiert Dubs Leadership: ^ 1
„Leadership der Schulleiterin oder des Schulleiters umfasst die Aufgaben des Manage-ments und der Schulentwicklung mit dem Ziel, die Schule so zu führen, dass sie ihre von
den Behörden vorgegebenen und selbst entwickelten Ziele sowohl aus pädagogischer als
auch aus wirtschaftlicher Sicht effizient und effektiv erreicht" (Dubs, 2009, S. 125).
Dubs Ansatz beinhaltet sowohl die indirekte als auch die direkte Führung und
kann somit als ganzheitlich bezeichnet werden. Darüber hinaus unterscheidet
Dubs zwischen transaktionalem Leadership, was auch als (Schul-)Management
bezeichnet werden könnte, und transformationalem Leadership, welches Verän-derung betont und damit den Aspekt der Schulentwicklung hervorhebt (vgl. hierzu auch Kapitel 2.4.2). Beide Leadership-Arten sind für Dubs für eine ge-lingende Schulleitung unerlässlich (vgl. Dubs, 2009, S. 126f). Schulmanage-ment sieht Dubs als das Sicherstellen der Funktionstüchtigkeit einer Schule an,
eine Auslegung dessen als Administration erscheint daher denkbar. Schulent-wicklung bedeutet für ihn die Sicherstellung der Innovation und Qualitätsver-besserung der Schule, also den Aspekt, der in der neueren Literatur häufig ei-nem leader zugerechnet wird (vgl. Dubs, 2009, S. 114).
Das Leitungsverständnis für eine Schule hängt laut Dubs wesentlich
von der (gewünschten) Funktion der Schulleitung (Moderator/-in auf Augenhö-he mit den Lehrer/-innen oder Leiter/-in mit Verantwortung und Befugnissen)
s1 Wie anhand Dubs' Definition von Führung deutlich wird, gebraucht er Leadership und Führung
synonym. Ein dezidierter Abgrenzungsversuch zwischen Führung und Leadership findet nicht statt, wohl aber eine Abgrenzung zwischen Leadership/Führung und Management (vgl. Dubs,
2005, S. 165).
basisdemokra- tisch
geführte Schule (privat)
teilautonome basisdemokratisch geführte Schule
(staatlich)
teilautonome teamgeleitete
Schule (staatlich)
verwaltete Schule
(staatlich)
teilautonome geleitete Schule
(staatlich)
geleitete Schule (privat)
2.4 Leadership und Führung 51
sowie dem Zentralisierungs-/Dezentralisierungsgrad eines Schulsystems ab.
Dubs identifiziert dabei mehrere prototypische Formen einer Schule, z. B. die
staatlich verwaltete Schule, welche nach genauen Vorgaben der staatlichen Bil-dungsbehörden arbeitet und in welcher der Schulleiter folglich lediglich Ausfüh-render jener Vorgaben ist (vgl. Abbildung 3).
Funktion der Schulleitung
Moderationsfunktion
Leitungsfunktion
rad der Zentralisierung des Schulsystems
zentralisiertes System dezentralisiertes System
Abbildung 3: Gestaltung der institutionellen Struktur einer Schule
(nach Dubs, 2009, S. 107)
Als aus pädagogischer wie auch ökonomischer Sicht am Sinnvollsten erachtet
Dubs die staatliche teilautonome geleitete Schule, da diese ihm am handlungsfä-higsten erscheint (vgl. Dubs, 2009, S. 109f). Ihm zufolge führt eine von Lehr-kräften oft eingeforderte basisdemokratische Führung mit ausschließlich ge-meinsamen Entscheidungen nicht zu besseren Entscheidungen und nicht zu nachhaltig positiven Veränderungen in der Schule (vgl. Dubs, 2009, S. 109). Auch wenn Dubs Teamarbeit Platz und Bedeutung im Schulalltag zugesteht und einräumt, dass eine Schule (respektive die Schulleitung) heutzutage allein schon
aufgrund der vielfältigen Anforderungen und Aufgaben nicht mehr ohne Team-arbeit auskommt, ist es seiner Meinung nach in letzter Instanz jedoch immer der
Schulleiter, der in der Entscheidungspflicht steht und rechtlich Verantwortung
trägt. Dubs plädiert daher als effektive staatliche Schulform für eine teilautono-me geleitete Schule. Eine gelingende teilautonome Schule setzt Dubs zufolge
voraus, dass sie gut geleitet ist; erst dann ist funktionierende Autonomie mög-lich. Dubs stellt verschiedene Ansätze vor, die es ermöglichen sollen, sowohl
Schulmanagement als auch Schulentwicklung zu betreiben und erachtet das so-genannte „kooperativ-delegative Konzept" als am erfolgversprechendsten bei ei-ner teilautonomen geleiteten Schule, während das ebenfalls häufig (unbewusst)
52 2 Theoretische Grundlagen
angewandte autoritär-zentralistische Konzept und das kooperative Teamkonzept
ihm zufolge geringere Erfolgschancen haben (vgl. Dubs, 2009, S. 115). Anlie-gen des kooperativ-delegativen Konzepts ist es, die Verantwortung klar beim
Management, also der Schulleitung, zu sehen und Mitarbeiter (also Lehrer) als
Mitentwickler und Umsetzer innovativer Leistungen zu begreifen. Der Schullei-ter ist leader, die Mitarbeiter sind Teilnehmende, denen tragende Rollen übertra-gen werden können. Dem leader obliegt es insbesondere, Leistungen zu fordern
und zu fördern und Feedback zu geben (vgl. Dubs, 2009, S. 115). Dieser Ansatz
12 offenbart große Ähnlichkeiten zum shared leadership . Dubs empfiehlt zur Steigerung der Effektivität eine weitgehende Dezentralisierung des Schulsys-tems, verbunden mit beschränkter Entscheidungsgewalt für die einzelnen Schu-len (vgl. Dubs, 2009, S. 108). Darüber hinaus fordert er Leadership seitens der
Schulleitung ein. Zum Schulleiter als leader gehört Dubs zufolge auch Macht (vgl. Dubs,
2009, S. 103f), wobei Dubs deutlich auf Gefahren durch Machtmissbrauch hin-weist und seine Forderung nach Macht insofern einschränkt, dass es ihm aus-schließlich um Macht im Dienst der Schule geht. Dabei unterscheidet er zwi-schen verschiedenen Arten, Macht zu schaffen: über die Sachkompetenz (Exper-tentum), über eine Vorbildfunktion (Identifikation), über formal verliehene Be-fugnisse (Amtsautorität), über die formale Sanktionsgewalt, sofern sie vorhan-den ist (Möglichkeit zu sanktionieren, aber auch zu belohnen) oder über die
Kontrolle des Informationsflusses. So ermöglicht einzig und allein Macht dem
Schulleiter, schulische Innovationsprozesse voranzubringen und die Schule bzw.
ihre Mitarbeiter zu steuern:
„Steuern heißt in einem sozialwissenschaftlichen Kontext Handlungen zu setzen und Ent-scheidungen zu treffen, die weitere Handlungen und Entscheidungen relevanter Akteu-rInnen in bestimmter Richtung beeinflussen. Über Steuerung zu sprechen impliziert nicht die Annahme, dass Steuerungsintentionen zu 100% in entsprechende Folgehandlungen
umgesetzt würden; nicht dass Steuerungshandlungen ohne Nebenwirkungen abliefen;
nicht dass sie gleichsam automatisch' ohne individuelle und soziale Vermittlungsschritte
abliefen. Es heißt aber doch, dass — begründet durch eine gewisse (Steuerungs-)Logik
oder ein (Steuerungs-)Konzept — versucht wird, die Zufälligkeit oder Beliebigkeit von
Folgehandlungen einzuschränken" (Altrichter, 2006, S. 60).
Die Steuerungsarbeit umfasst Aspekte wie das Werben für neue Denk- oder
Handlungsformen; der Schulleiter versucht seine Mitarbeiter für neue Formen
zu motivieren und ermutigt das Ausprobieren. Aber auch die Klärung von Kon-flikten, die Etablierung von gewünschten, möglichst offenen Kommunikationss-trukturen, das Aufzeigen von Handlungs- und Denkalternativen, das Hinterfra-gen von Scheingewissheiten, das Fördern und Fordern gehören dazu (vgl. hierzu auch Seitz & Capaul, 2007).
H2 Vgl. hierzu auch Kapitel 2.4.3 in dieser Arbeit.
2.4 Leadership und Führung 53
Auch wenn der Führungs-/Leadership-Begriff im deutschsprachigen
pädagogischen Kontext u. a. durch Dubs geprägt und ausgefüllt ist, ist dieser
Rahmen jedoch für ein internationales Verständnis nicht ausreichend. Will man
die Entwicklung und die wissenschaftliche Betrachtung von Schulleitung in ei-ner Weise nachvollziehen, die über den deutschen Kontext hinausgeht, so ist es
angeraten, sich auf den Begriff Leadership und seine Entwicklung zu konzen-trieren, da dieser in der anglophonen Manager- und Schulleitungs-Forschung im
Zentrum steht. Dabei wird deutlich, dass Vorstellungen von Leadership sich im-mer wieder in Konzeptionen von Führungsberufen, so auch dem der Schullei-tung, abbilde(te)n. Heutzutage ist der Leadership-Begriff mit all seinen zahlrei-chen Präfixen (vgl. MacBeath, 2003) nicht mehr aus dem internationalen wis-senschaftlichen Schulforschungsdiskurs wegzudenken. Nachfolgend sollen des-halb ergänzend zu den dargestellten Definitionsversuchen kurz die Entwicklung
des Begriffs und einige mit diesem verbundene Vorstellungen und Modelle ab
dem 19. Jahrhundert skizziert werden. Dabei wird primär den US-amerikani-schen Forschungsbemühungen Rechnung getragen, aus denen wiederholt starke
Impulse zur Deutung des Begriffs kamen.
2.4.1 Trait-Theorie 33
Der Philosoph Thomas Carlyle gilt als einer der ersten großen Vordenker der Ei-genschaftstheorie oder Trait-Theorie im 19. Jahrhundert. Die als "Great Man
Theory" bekannt gewordene These Carlyles besagt, dass herausragende Persön-lichkeiten angeborene Führungseigenschaften, also besondere Charakterzüge,
besitzen. Sie eignen sich ihre heldenhaften Führungsfähigkeiten nicht an; diese
werden ihnen quasi in die Wiege gelegt. Sobald die Umstände es erfordern, ent-falten die Führungspersonen ihr Heldentum. Carlyle untersuchte verschiedene
berühmte Helden, um das Heldenhafte genauer zu identifizieren (vgl. Carlyle,
1866). Die Trait-Theorie fand ursprünglich eine starke Verbreitung und wurde
von verschiedenen Forschern rezipiert und modifiziert (weshalb es rückblickend
angemessener erscheint, statt von der Trait-Theorie von mehreren Trait-Theori-en zu sprechen). Traits wurden gemeinhin als Charakterzüge angesehen, die
man besaß oder nicht; ein Erlernen wurde je nach Forscher als schwer oder gar
unmöglich erachtet. Rasch meldeten sich jedoch auch Kritiker zu Wort, allen
voran der Soziologe Herbert Spencer. Dieser schrieb 1873:
33 Insbesondere die Trait-Theorie und die Kontingenztheorie waren zur Zeit ihrer ersten Verbrei-tung nicht speziell auf die Schule ausgerichtet, sondern allgemein gehalten oder mit Blick auf die
Wirtschaft, also auf Manager und Firmenchefs formuliert. Alle hier vorgestellten Modelle wur-den jedoch im Nachhinein auch auf den schulischen Kontext bezogen.
Mita
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tero
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tier
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Ger
ing H
oc
h
54 2 Theoretische Grundlagen
"[ . ] you must admit that the genesis of a great man depends an the long series of com-plex influences which has produced the race in which he appears, and the social state into
which that race has slowly grown. [ ... ] efore he can remake his society, his society must
make him" (Spencer, 1873, S. 34f).
Der von Carlyle postulierte Ansatz ist heute in der Wissenschaft in seiner ur-sprünglichen Form zwar weniger bedeutend, bildete jedoch die Grundlage für
weitere Forschungen. In der Psychologie ist der Trait- egriff bis heute erhalten
geblieben und bezieht sich auf weitgehend stabile Persönlichkeitsmerkmale.
Ihre Untersuchung nimmt bis heute einen wichtigen Platz in der Psychologie ein
(vgl. u. a. Eysenck, 1990). 34
(1,9) Entgegenkommender Stil Samthandschuhmethode
(1,1) Indifferenter Stil Überlebensmanagement
(9,9) Team-Stil Teammanagement
(5,5) Status Quo Stil Organ sationsmanagement
(9,1) „Produzieren oder untergehen"-Stil
efehl-Gehorsam-Management
Gering Hoch Aufgabenorientierung
Abbildung 4: Managerial Grid von Bla e & Mouton
(Bla e & Mouton, 1985, freie Übersetzung des Verfassers; nach Bla e et al., 1964, S. 136)
In Folge der Kritik an auf Eigenschaften basierenden Ansätzen gewannen situa- tionsbezogene oder verhaltensbasierte Theorien an edeutung. Statt auf die Ei- genschaften eines leaders wurde das Augenmerk auf seine Verhaltensweisen ge-
HF Es gibt verschiedene Strömungen in der Psychologie der Persönlichkeitseigenschaften, die sich
u. a. darin unterscheiden, welche Merkmalsbereiche sie definieren und analysieren. In den meis-ten Fällen gibt es jedoch Grund- oder Elementareigenschaften, die fther häufig als zentrale e-standteile des Charakters oder Temperaments betrachtet wurden. Hierzu gehören beispielsweise
die Emotionalität, der Grad der Interaktion mit der Außenwelt (Intro- bzw. Extraversion) oder die
Erregbarkeit (vgl. Eysenck, 1990).
2.4 Leadership und Führung 55
legt. Ziel war eine Verhaltenstaxonomie und die Identifikation verschiedener
Leadership-Stile. Ein Instrument zur Klassifikation verschiedener Stile wurde
von den amerikanischen Forschern Robert Blake und Jane Mouton entwickelt.
Dabei klassifizierten sie den individuellen Stil eines leaders anhand der Relation zwischen seiner Fürsorge für seine Mitarbeiter und seinem Produktivitätswillen
(vgl. Abbildung 4). Markante Stile waren dabei beispielsweise der entgegen-kommende Stil, bei dem ein Manager eine überaus hohe Mitarbeiterorientierung
gepaart mit einer ausgeprägt schwachen Aufgabenorientierung aufweist. Gegen-sätzlich war der befehlshabende Stil; hier setzt der Manager die zu erledigenden
Aufgaben über alles, die Mitarbeiterorientierung ist sehr schwach ausgeprägt.
Beide erwähnten Stile wurden als nicht besonders produktiv identifiziert. Ein
hoher Produktivitätswille hingegen gepaart mit einer ausgeprägten Fürsorge
wurde von ihnen als Merkmal eines erfolgreichen leaders identifiziert (vgl. Bla-ke et al., 1964).
2.4.2 Kontingenzmodell, transaktionale und transformationale Führungsmo-delle
Eine weiteres bis heute relevantes Modell hatte seinen Ursprung im frühen 20.
Jahrhundert. Das Kontingenzmodell (engl. contigency theory , auch situational
leadership genannt) besagt, dass Leadership immer von der Situation abhängig
ist, in welcher der leader sich befindet (vgl. Pervin, Cervone & John, 2005, S.
313). Mit anderen Worten: Der Leadership-Stil wird durch die Umstände be-dingt. Diese Grundannahme wurde im Laufe der Zeit debattiert und revidiert;
eine zeitgemäße Annahme des contingency leadership -Modells lässt sich wie folgt formulieren: Der leader passt sich und damit auch seinen Leadership-Stil
den verschiedenen, für ihn und sein Unternehmen relevanten Persönlichkeiten
und Situationen an. Auch rollenbasierte Theorien haben Verbreitung gefunden.
Leadership wird demnach als eine bestimmte Rolle verstanden, die mit passen-den Verhaltensmustern auszufüllen ist. Auf der Kontingenztheorie fußende Lea-dership-Modelle sind bis heute populär (vgl. Dubs, 2009, S. 125f).
Ungefähr seit den 1970er Jahren wird — ursprünglich besonders im amerikanischen Raum, einige Jahre später auch zunehmend in Deutschland — die Unterscheidung zwischen transactional und transformational leadership (zu deutsch etwa: transaktionale und transformationale Führung) vorgenommen
(vgl. Abbildung 5): Bei transaktionaler Führung wird der Fokus darauf gelegt,
dass die Schule die ihr zugetragenen Aufgaben und Erwartungen erfüllt. Der Schulleiter ist Manager oder Verwalter seiner Schule. Er ist zuständig für die
vielen und vielfältigen „Transaktionen", die zur Erhaltung des Status Quo nötig
sind, also zum Beispiel Verwaltung des Personals, der finanziellen Ressourcen,
56 2 Theoretische Grundlagen
Klärung alltäglicher Probleme. Er schafft durch sein Handeln die Grundlage da-für, dass die Schule reibungslos „funktioniert".
Ein wichtiges Element von Schulentwicklung ist jedoch Veränderung.
Transformationale Führung berücksichtigt dies; hier liegt der Fokus nicht auf
der Verwaltung, sondern auf tiefgreifender, kontinuierlicher Verbesserung.
Transformationale Schulleiter/-innen bemühen sich verstärkt, vorhandene Struk-turen zu verändern, neue Kooperationen zu etablieren und eine Schulkultur der
reflexiven Veränderungsbereitschaft anzuregen.
Schulleitung
Transaktionales Leadership (Schulmanagement)
Sicherstellen der Funktionstüch-tigkeit einer Schule.
Kompetentes und rationales Aus-führen der Führungsfunktion.
Transformationales Leadership
(Schulentwicklung)
Sicherstellen der Innovation und Qualitätsverbesserung einer Schu-le.
Förderung der Identifikation des Leistungspotenzials der Angehö-rigen eines sozialen Systems.
Abbildung 5: Transaktionales und transformationales Leadership
(nach Dubs, 2009, S. 126)
Huber unterscheidet in diesem Zusammenhang zwischen transaktionalen Schul-leitern, die „Veränderungen erster Ordnung", also verwaltungstechnische Ver-besserungen anstreben und transformationalen Schulleitern, die „Veränderungen
zweiter Ordnung", also „das Entwickeln von gemeinsamen Zielvorstellungen,
das Verbessern von schulinterner Kommunikation, das Entwickeln von effizi-enten, kooperativen Entscheidungsfindungs- und Problemlösestrategien sowie
einem von allen mitgetragenen Schulethos" anstreben (Huber, 2008a, S. 109).
2.4.3 Shared und distributed leadership
Ungefähr seit der Jahrtausendwende ist in verschiedenen Variationen verstärkt
der Ansatz des shared leadership (vgl. z. B. Lambert, 2002; Pearce & Conger, 2003) diskutiert worden. Der Ausgangspunkt dieser Debatte — bezogen auf den
schulischen Kontext — lautet vereinfacht: Schulleitung ist heutzutage eine solch
komplexe Aufgabe mit so vielen verschiedenen auszufüllenden Aufgaben und
Rollen geworden, dass eine Person all dem nur noch schwer bis unmöglich ge-recht werden kann. Darüber hinaus wird auch darauf hingewiesen, dass ein ein-
2.4 Leadership und Führung '7
zelner „heroischer" oder charismatischer leader (vgl. MacBeath, 2003, S. 1), der alleine eine Schule verändert, eher als Mythos anzusehen ist und dass in einer
Schule selbst charismatische leader nicht alleine alles verändern können, da ih-nen hierzu Zeit und Kompetenzen fehlen. Weiterhin wird gegenüber charismati-schem Leadership oft kritisiert, dass nach dem Ausscheiden des charismatischen
leaders eine nicht zu füllende Lücke in der Organisation entsteht. Folglich wer-den Schulleitungs-Teams als nachhaltigerer Weg einer erfolgreichen Leitung an-gesehen.
Mag wiederholt ein synonymer Gebrauch von shared leadership und distributed leadership zu beobachten sein, so werden Autoren wie James Spilla-ne nicht müde, auf Unterschiede zwischen beiden Konzeptionen hinzuweisen.
Shared leadership beschreibt ihm zufolge in der Regel ein Leadership-Team
(z. B. Schulleiter und Stellvertreter oder Schulleiter, Stellvertreter und Lehrer),
welches gemeinsam und gleichberechtigt oder annähernd gleichberechtigt als
Führungsspitze agiert (vgl. beispielsweise Lambert, 2002, es sei jedoch ange-merkt, dass es je nach Autor verschiedene Auslegungen von shared leadership
gibt). Oftmals sind die Mitglieder eines Leadership-Teams formal legitimiert.
Shared leadership legt den Fokus in der Regel nicht auf die einzelne Führungs-kraft, wohl aber auf das Führungsteam.
Im distributed leadership -Paradigma wird die Aufgabe formaler Füh-rungskräfte vornehmlich darin gesehen, die verschiedenen „Puzzleteile" einer
Organisation zu einem produktiven Ganzen zusammenzufügen bzw. sie zusam-menzuhalten. Es geht also darum, eine Kultur oder einen Rahmen zu schaffen,
in welchem die Mitarbeiter/-innen sich maximal einbringen können (vgl. Harris, 2004, S. 13ff); Leadership-Handlungen werden nicht nur durch die formal desi-gnierte Führungspersonen, sondern von vielen Personen ausgeführt. Darüber
hinaus ist für James Spillane distributed leadership auch als Perspektivenwech-sel aufzufassen: distributed leadership konzentriert sich auf Prozesse, nicht auf Personen. Alma Harris resümiert distributed leadership wie folgt:
"At the core of the concept of distributed leadership is the idea that leadership is not the
preserve of an individual but is a fluid or emergent property rather than a fixed phenome-non" (Harris, 2008, S. 173, Hervorhebungen des Verfassers).
So kommt Leadership durch bzw. als Führung in den Interaktionen zwischen
Führungskräften, Mitarbeitern und in jeweils spezifischen Situationen zustande
(vgl. Harris, 2008). Situation wird dabei als rekursiver Rahmen bezeichnet, wel-cher Leadership in der Praxis definiert, aber auch durch ihn definiert wird. ^ '
Eine wichtige Komponente von Spillanes Interpretation von distributed leader-ship ist der leader plus aspect , welcher besagt, dass es neben formal designier-
^' Dieser Ansatz birgt große Parallelen zur Strukturationstheorie von Anthony Giddens (vgl. Gid-dens, 1988).
58 2 Theoretische Grundlagen
ten Führungskräften stets Menschen gibt, die auf formal legitimierte oder infor-melle Art Führungsaufgaben wahrnehmen (Spillane, 2006, S. 16ff).
Eine Form von shared leadership beziehungsweise distributed leader-ship kann die Arbeit in einer Steuergruppe darstellen. Ihre Aufgabe liegt primär
im Bereich der Schulentwicklung. Rolff äußert sich hierzu wie folgt:
„Die Hauptaufgabe einer Steuergruppe besteht in der Prozesssteuerung, genauer: in der
Steuerung eines Schulentwicklungsprozesses durch die Mitglieder der Schule selbst. Vor
allem die Aufgaben der Bestandsaufnahme und der internen Evaluation sind von großem
Belang und zumeist neu für deutsche Schulen" (Rolff, 2009, S. 21).
2.5 Die Strukturationstheorie als integrative Perspektive
Die vorliegende Untersuchung hat einzelne Akteure (Individuen) im Fokus. Es
geht um die Rekonstruktion und Exploration sowohl von Handlungen als auch von Beweggründen und Einstellungen. Die zu untersuchenden Akteure handeln
in einem organisationalen Kontext, von dem sie beeinflusst werden. Dieser Be-einflussung sind sie sich nur zum Teil bewusst. Damit all diese Aspekte in der
Untersuchung berücksichtigt werden können, ist eine theoretisch fundierte Per-spektive auf Individuen oder zumindest ein Modell Voraussetzung, in dem Indi-viduen als autonom und (teil-)rational agierend erachtet werden, in dem aber
auch die Organisation und ihr Einfluss auf Individuen abgebildet werden. Ver-folgt man diese Maßstäbe auf konsequente Art und Weise, kommen viele eta-blierte theoretische Zugänge als Fundament nicht in Betracht. So erscheint bei-spielsweise die Systemtheorie nicht kompatibel, da Handlungen nicht im Zen-trum des Interesses stehen, sondern der systemische Kontext als konstitutiver
Faktor angesehen wird (vgl. Willke, 1978). Anders gesagt: In der Systemtheorie
spielt der Akteursbegriff keine Rolle, stattdessen wird versucht, mit Hilfe der
Kernbegriffe Kommunikation und (soziales) System Gesellschaft bzw.
(hoch-)komplexe gesellschaftliche Phänomene zu beschreiben und zu erklären.
Auch ein Großteil strukturalistisch geprägter Organisationsmodelle und
-theorien erscheint unpassend, da sie im Konflikt mit der oben postulierten Auf-fassung des Individuums als autonomes Wesen stehen. So betrachten struktura-listisch geprägte Organisationsmodelle das Individuum als weitestgehend durch
die vorhandenen Strukturen geprägten und somit weitgehend unselbstständigen
Rollenträger. Handlungszentrierte Theorien wie beispielsweise der symbolische
Interaktionismus blenden wiederum die Organisation und ihr Wirken größten-teils aus.
In der vorliegenden Arbeit bilden Giddens' Ausführungen zur Struktu-rationstheorie die Basis bei den Überlegungen und Annahmen zu den agieren-den Akteuren und existierenden Strukturen. Auch bei der durchgeführten empi-
2.5 Die Strukturationstheorie als integrative Perspektive 59
rischen Untersuchung wurde darauf geachtet, den zentralen Analyse-Ebenen der Strukturationstheorie Rechnung zu tragen; es handelt sich dabei keineswegs um eine getreue Operationalisierung von Giddens' Theorie der Strukturierung. Dies scheint derzeit ohnehin nur schwer möglich zu sein, ist die oftmals gar als un-möglich angesehene Operationalisierung doch ein geläufiger Kritikpunkt an Giddens' Strukturationstheorie (vgl. beispielsweise Gregson, 2008). Vielmehr bietet diese eine Perspektive, die adäquat erscheint, Schule und Schulleitungen in ihrer Breite zu erforschen. Diese Verwendung deckt sich mit Giddens' Ein-schätzungen zur Verwendung seiner Theorie:
" Structuration theory is supposed to be something that can be put to use in concrete sci - entific work — although by this I do not mean simply `applied` in empirical research pro-grammes. [ ... ] while structuration theory touches at many points on the conduct of social
research, it is not a research programme. As I have often remarked before, its concepts
should be regarded as sensitizing devices, to be used in a selective way in thinking about research questions or interpreting findings [...]" (Giddens, 2009, S. 205, 213, Hervorhe-bungen des Verfassers).
Diese Auffassung teilen auch Bamberger und Cappallo in ihrem Überblick über die Verwendung der Strukturationstheorie in der Managementforschung; ihnen zufolge „nutzen Autoren die Strukturationstheorie als übergeordneten Rahmen, der durch empirisches Arbeiten [ ... ] ausgefüllt wird" (Bamberger & Cappallo, 2006, S. 20). Giddens' Strukturationstheorie bildet den Hintergrund für Fends Überlegungen zum Handeln der individuellen Akteure im System Schule (vgl. Fend, 2009, S. 150ff). Auch als integrative Perspektive bei der Exploration der Schulleiter/-innen und ihrer Tätigkeiten erscheint sie adäquat.
Giddens hat in seiner Strukturationstheorie versucht, die Gegensätze vieler Sozialtheorien wie Handlung vs. Struktur, Subjekt vs. Objekt, Mikro- vs. Makroebene zu überwinden. Er versucht, in seiner Theorie zu Gesellschaft und Individuum beide Pole, Gesellschaft und Individuum, zu vernetzen. Er führt sei-ne Theorie auf Marx zurück: „Die Menschen machen ihre eigene Geschichte, aber sie machen sie nicht aus freien Stücken, nicht unter selbstgewählten, son-dern unter unmittelbar vorgefundenen, gegebenen und überlieferten Umständen" (Marx, 1869, S. 1). Giddens sieht Handlung und Struktur nicht als Gegensätze, sondern als sich gegenseitig bedingende Voraussetzungen mit Wechselwirkung (vgl. Sewell Jr, 1992, S. ^f). Schlüsselbegriff seiner Theorie ist die Dualität der Struktur , welche die Wechselwirkung zwischen Handeln und Struktur zum Ausdruck bringt:
• Die sozialen Akteure produzieren und reproduzieren durch ihre Hand-lungen die Bedingungen (Struktur), die ihr Handeln ermöglichen und
• Strukturen sind sowohl das Medium als auch Ergebnis sozialen Han-delns (Giddens, 1988, S. 52f).
60 2 Theoretische Grundlagen
Durch den von ihm geprägten Begriff ..Strukturation" drückt Giddens aus, dass
Strukturen seiner Meinung nach als Prozesse, nicht als beständige Einheiten an-gesehen werden können.
2.5.1 Handelnde (soziale Akteure)
...Handeln' soll sich in erster Linie beziehen nicht auf die Intentionen der beteiligten
Subjekte, sondern eher auf deren praktisches Vermögen, Veränderungen in der objektiven
Welt zu bewirken und auf die vom Handeln produzierte Objektivität selbst. Es geht um
die von den Akteuren hervorgebrachten Geschehnisse; um solche Dinge, die sich ohne
die praktische Intervention eines menschlichen Subjekts nicht ereignet hätten. Handeln
ist, mit anderen Worten, nichts weiter als das ständige Eingreifen der Menschen in die na- türliche und soziale Ereigniswelt" (Kießling, 1988, S. 289).
Die handelnden Individuen bezeichnet Giddens als Akteure. Er sieht sie als ra-tional und autonom an. Ihre soziale und physische Umgebung begreifen sie wei-testgehend und beeinflussen sie auf rationale Weise. Sie verfügen jedoch auch
über unbewusste Handlungsmotive (vgl. Walgenbach, 2006, S. 406ff). Das be-wusste Handeln, die Fähigkeit der Menschen zur Reflexion, stellt für Giddens
die Voraussetzung dar, um bestehende Verhältnisse verändern zu können. Eine strukturationstheoretisch fundierte Sichtweise auf bestimmte Strukturen und
Handlungen kann daher nur sinnvoll erfolgen, wenn die handelnden Akteure als
kompetent, also zur Reflexion fähig erachtet werden. Giddens trennt zwischen
intentionalem Handeln (der Handelnde weiß um die Wirkung seines Handelns
oder meint zumindest, die Wirkung abschätzen zu können) und nicht-intentiona-lem Handeln (der Handelnde ist sich zwar seiner Handlung bewusst, weiß aber
nicht um die Folgen bzw. Spätfolgen, er kann diese jedoch als rationales Wesen
beeinflussen). Altrichter nimmt eine ähnliche Unterteilung vor; er bezeichnet
letztere Art des Handelns als transintentionales Handeln in Abgrenzung zum in - tentionalen Handeln. Die Folgen von transintentionalem/nicht-intentionalem
Handeln können durch Feedback (Rückkoppelung) Auslöser für weitere nicht
bewusste Handlungen sein (vgl. u.a. Altrichter & Maag Merki, 2010, S. 19ff; Al-trichter, 2010, S. 150ff). Als ein Beispiel für nicht-intendierte Konsequenzen
führt Giddens das korrekte Sprechen an; er spreche und schreibe regelmäßig
korrektes Englisch bzw. versuche dies. Dadurch trage er zur Reproduktion der
englischen Sprache bei. Das korrekte Sprechen sei beabsichtigt, die Reprodukti-on der Sprache sieht er jedoch als nicht-intendierte Folge an (Giddens, 1985, S.
8). Akteure handeln im Kontext von sozialen Strukturen. Soziale Struktu-
ren sind rekursiv; sie bilden das Korsett für die Akteure. Diese können sich nicht
2.5 Die Strukturationstheorie als integrative Perspektive 61
völlig von vorhandenen Strukturen lösen oder komplett neue Strukturen erschaf- fen, doch sind die Strukturen wiederum ebenfalls nicht permanent oder unverän- derlich. Sie werden durch Rückkoppelung der Akteure erhalten oder modifiziert.
2.5.2 Diskursives und praktisches Bewusstsein
Giddens unterscheidet zwischen diskursivem und praktischem Bewusstsein. Diese von ihm vorgenommene Trennung sieht er aber als nicht absolut an, sie
kann z. B. durch Lernerfahrungen des Akteurs aufgehoben werden (Giddens,
1988, S. 57f). Das diskursive Bewusstsein entspricht dem, was „die Akteure
über soziale Zusammenhänge, einschließlich der Bedingungen ihres eigenen
Handelns sagen oder verbal ausdrücken können" (Giddens, 1988, S. 429). Dis-kursiv bedeutet jedoch nicht zwangsläufig, dass die Akteure ihr Handeln bzw.
soziale Zusammenhänge in Form von klaren Feststellungen oder Propositionen
ausdrücken. Abfällige Bemerkungen, bissige Kommentare, Ironie können laut
Giddens ebenso Ausdruck diskursiver Fähigkeiten sein. Das praktische Be-wusstsein wiederum entspricht dem, was die Akteure über soziale Zusammen-hänge wissen (oder zu wissen glauben), „einschließlich der Bedingungen ihres
eigenen Handelns, was sie aber nicht in diskursiver Weise ausdrücken können"
(Giddens, 1988, S. 431). Anhand dieser knappen Definitionen werden bereits
Ähnlichkeiten mit dem Konzept von implizitem und explizitem Wissen deutlich
(vgl. Heitmann, 2011, S. 203-207).
2.5.3 Struktur
„Regeln und Ressourcen, die in rekursiver Weise in die Reproduktion sozialer Systeme
einbezogen sind. Struktur existiert nur in der Form von Erinnerungsspuren, der organi-schen Basis der menschlichen Bewusstheit, und als im Handeln exemplifiziert." (Gid-dens, 1988, S. 432).
Giddens zufolge sind Organisationsmitglieder sowohl durch die Struktur der Or-ganisation geprägt als auch selbst Prägende der Strukturen, da sie innerhalb der
ihnen gesetzten Grenzen (und gelegentlich auch darüber hinaus) autonome Ent-scheidungen treffen, welche vorhandene Strukturen beeinflussen.
Nimmt man eine strukturationstheoretische Perspektive ein, so lässt
sich eine Organisation auf Basis der alltäglichen Interaktionen untersuchen.
Ebenso rücken die Akteure und ihr Bezug auf die Strukturen sowie ihr Umgang
untereinander in den Fokus. Tabelle 1 verdeutlicht die verschiedenen (mögli-chen) Ebenen einer Analyse.
62 2 Theoretische Grundlagen
Dimensionen
Ebenen
Struktur Signifikation Legitimation Herrschaft
Modalitäten Regeln (Deutungsmuster, inter- pretative Schemata)
Regeln (Normen) Fazilität (autoritative und allokati-ve Ressourcen)
Interaktion Kommunikation Sanktion autoritatives Handeln
Tabelle 1: Dimensionen der Dualität von Struktur
(in Anlehnung an Ammann, 2010, S. 563, Giddens, 1985, S. 29)
So werden die Struktur, die Modalitäten sowie die Interaktionen als verschiede-ne Ebenen betrachtet. Die Ebene der Modalitäten übernimmt eine Mitt-lerfunktion zwischen Struktur und Interaktion. Die Dimensionen können als An-knüpfungspunkte bei einer möglichen Untersuchung sozialer Areale dienen. Da-bei beschreiben die Dimensionen der Signifikation, der Legitimation sowie der
Herrschaft Wege, wie sich ein Entwicklungsprozess manifestieren kann, näm-lich auf Sinn konstituierende (Signifikation), normative (Legitimation) sowie
autoritativ-administrative (Herrschaft) Weise. Auf der Ebene der Interaktion fin-det diese Unterteilung eine Entsprechung bzw. einen Gegenpol. Sanktionen sind
beispielsweise durch den Bezug auf Regeln bzw. Normen rechtfertigbar. Ein
Normenverstoß kann von Akteuren mit entsprechenden Befugnissen auf der
Ebene der Interaktion eine Sanktion auslösen. Die autoritativ-administrative Di-mension bezieht sich auf die Verteilung von Ressourcen. Akteure üben Macht
durch Verteilung eben jener Ressourcen aus.
2.5.4 Veränderungen
Die Veränderung bestehender Strukturen kann durch das veränderte Handeln ei-ner kritischen Masse, aber auch durch das veränderte Handeln weniger Personen
in Machtpositionen zustande kommen:
"[ ... ] if enough people or even a few people who are powerful enough act in innovative
ways, their action may have the consequence of transforming the very structures that
gave them the capacity to act" (Sewell Jr, 1992, S. 4).
Aus einer strukturationstheorischen Perspektive heraus sind demnach beispiels-weise Lehrer/-innen durchaus in der Lage, bestehende Strukturen zu modifizie-ren. Aufgrund der Ressourcenallokationen sind Schulleiter/-innen jedoch klar
privilegiert: Sie haben, verglichen mit Lehrern, (mehr) Macht über Finanzen.
Darüber hinaus haben sie einen privilegierten Zugriff auf viele Informationen
und können ihre Verteilung steuern. Bezüglich der Ebene der Legitimation (nach
Giddens) wird deutlich, dass Schulleiter/-innen gegenüber Lehrern eine beson-dere Position einnehmen, da ihnen bestimmte Befugnisse exklusiv zugeteilt
2.5 Die Strukturationstheorie als integrative Perspektive 63
sind. Auch aus der Perspektive der Strukturationstheorie erscheint es daher sinn-voll, den Schulleiter als potenziellen change agent ins Auge zu fassen. Somit lässt sich auch aus strukturationstheoretischer Perspektive Leadership eine
wichtige Rolle in Veränderungsprozessen zuordnen.
2.6 Zusammenfassung
In diesem Kapitel wurden die zentralen Begriffe dieser Arbeit, Schulentwick-lung und Leadership, definiert sowie in ein Verhältnis zueinander gebracht. In
Anlehnung an Rolff wurde Schulentwicklung zunächst als bewusste und syste-matische Weiterentwicklung von Einzelschulen betrachtet. Eines ihrer Ziele ist
die Errichtung bzw. die Erhaltung von Schulen als lernenden Organisationen.
Die Zukunftsgewandtheit von Schulentwicklung wurde als ein zentrales Defini-tionselement herausgearbeitet. Die zumindest in internationalen Diskussionen
oft vorgenommene Trennung zwischen Schuleffektivität (Merkmale guter Schu-len) und Schulverbesserung (Merkmale wirksamer Strategien zur Verbesserung von Schulen) wurde ebenfalls aufgegriffen.
Bei der Untersuchung der häufig anzutreffenden Unterteilung von
Schulentwicklung in verschiedene Phasen (meist Initiierung, Implementierung,
Institutionalisierung) wurde eine hohe inhaltliche Nähe zur Innovationsfor-schung festgestellt. Es wurde daher eine Gegenüberstellung des Schulentwick-lungsbegriffes mit dem Innovationsbegriff vorgenommen, zunächst mit Rück-griff auf die Wirtschaftswissenschaften, wo der Innovationsbegriff stark verbrei-tet ist und anschließend mit Fokussierung auf die Pädagogik. Die Gegenüber-stellung unterstrich die ausgeprägte inhaltliche Konvergenz beider Begriffe in
vielen Bereichen, Schulentwicklung wurde jedoch als umfassender angesehen.
Als Synthese wurde eine Definition von Schulentwicklung und Innovation erar-beitet, welche Innovationsprozesse als zentrale Elemente von Schulentwicklung
erachtet. Schließlich wurden Schulen als lernende Organisationen als Schulen
mit kontinuierlichen, fest verankerten Bemühungen um Schulentwicklung iden-tifiziert.
Nachfolgend wurde Leadership als weiterer Schlüsselbegriff aufgear-beitet. Leadership wurde als vital angesehen, um Schulentwicklung zu ermögli-chen. Im Zuge der Auseinandersetzung mit Leadership wurde die Geschichte
des Begriffs kurz beleuchtet, wobei sein Bedeutungswandel sichtbar wurde. So
hat sich das Verständnis von Leadership gemeinhin weg von der Bedeutung ei-nes festen, angeborenen Merkmals hin zu einer Tätigkeit oder einem situations - abhängigen Verhalten entwickelt, welches sich in Interaktionen zwischen Perso-nen manifestiert. Auch die große Bandbreite an gegenwärtigen Leader-ship-Arten wie z. B. shared ^eadership wurde deutlich.
64 2 Theoretische Grundlagen
Schließlich wurde die Strukturationstheorie als eine akteurszentrierte
Handlungstheorie eingeflihrt und in den Kontext der vorliegenden Arbeit ge-bracht. Wesentlich ist dabei die Dualität der Struktur, die Annahme, dass Akteu-re durch ihre Handlungen Struktur produzieren und reproduzieren und dass
Strukturen sowohl Medium als auch Ergebnis sozialen Handelns darstellen. Die
besondere Relevanz von Schulleitern im Kontext von Veränderungsprozessen
wurde auch durch das Einnehmen einer strukturationstheoretisch geprägten Per-spektive verdeutlicht; sie nehmen bei der Ressourcenallokation sowie in puncto
Legitimation und Herrschaflt eine besondere Stellung ein.
3 Der französische Kontext
Eine Studie über die Aufgaben und Tätigkeiten französischer Schulleiter/-innen
gebietet es, den französischen schulischen Kontext zumindest kurz darzustellen.
Begibt man sich hierzu auf die Suche nach deutschsprachigen Referenzen,
macht sich rasch Ernüchterung breit. Es scheint kaum ein Werk zu existieren,
das sich ausschließlich mit dem französischen Schulsystem befasst. Umso ver-wunderlicher ist es, unter diesem Blickwinkel die Bestandsaufnahme eines For-schers zur deutschsprachigen Literatur zum französischen Schulsystem aus dem
Jahre 1963 zu lesen:
„Nicht erst in unseren Tagen geht der Blick des Pädagogen über die Grenzen des eigenen
Landes hinaus, sei es einfach aus Interesse an Theorie und Praxis der Erziehung und Bil-dung in anderen Ländern, sei es, daß im Studium ausländischer Verhältnisse und deren
Vergleich mit dem Eigenen Anregungen für die eigene Arbeit, für die Lösung eigener
Probleme gesucht werden. Frankreich, einer unserer unmittelbaren Nachbarn, bietet sich
natürlich als naheliegendes Ziel für ein solches Unternehmen an. So hat es auch nie im
deutschsprachigen Raum an Fachleuten gefehlt, die sich für das dortige Erziehungswe-sen interessierten und in Publikationen verschiedenen Umfangs ihre Betrachtungen nie-derlegten " (Schneider, 1963, S. 5, Hervorhebungen des Verfassers).
Die zugehörige Literaturangabe offenbart jedoch lediglich sieben Monografien,
die — wie Schneider konzediert — größtenteils aus den 1930er Jahren stammen,
darunter zwei ohne Verfasserangabe. Angemessener wäre es daher gewesen, hät-te man bereits 1963 von einem gravierenden Mangel gesprochen, wenn nicht an Fachleuten, dann zumindest an Publikationen. Auch wenn besagter Mangel in-zwischen sicherlich weniger eklatant ist, so ist er nach wie vor vorherrschend.
Die deutschsprachige Frankreich-zentrierte Literatur ist bestenfalls als dürftig zu
bezeichnen.
3.1 Das französische Schulsystem — eine Skizze
Das auffälligste Charakteristikum des französischen Schulsystems aus deutscher
Perspektive ist ohne Zweifel seine historisch gewachsene und gefestigte zentra-listische Struktur. Der Grundstein jener Struktur wurde bereits im 19. Jahrhun-dert gelegt. Zu diesem Zeitpunkt wurden unter Napoleon I. eine nationale Ver-waltung und ein nationales Bildungsmonopol geschaffen. Es gab ein Schuljahr,
66 3 Der französische Kontext
dessen Zeitraum vom Bildungsministerium definiert wurde, somit waren Schul-und Ferienzeiten national zentral geregelt. 36 Die allgemeine Hochschulreife, das Baccalaureat , wurde als landesweite, zentrale Abschlussprüfung durchgeführt, wodurch Vergleichbarkeit, aber vor allen Dingen Chancengleichheit (ein tragen-des Element des französischen Bildungsideals) gewährleistet werden sollte. Auch wenn das französische Schulsystem sich seit jener Zeit beträchtlich wei-terentwickelt hat, sind die oben genannten Merkmale immer noch zutreffend.
Mit ihren Befugnissen und knapp einer Million Beamten und Ange-stellten stellt die Education Nationale bzw. das Ministere de l'^ducation Natio-nale heutzutage eine der größten Bildungsorganisationen der Welt dar. In Frank-reich ist das Ministerium einer der größten staatlichen Arbeitgeber (vgl. Ministe-re de l`Education Nationale, 2011b). 2009 gab der französische Staat 132,1 Mil-liarden Euro für die Bildung aus, dies entsprach 6,0% des Bruttoinlandsprodukts (Quere, 2010). 37 Wesentliche strukturelle Bestandteile des französischen Schul-wesens sind:
• eine ganztägige Betreuung der Kinder. • eine frühzeitige Einschulung der Kinder ab dem 3. Lebensjahr ( ecole
maternelle ). Ermöglicht wird dies durch eine im Vergleich 38 zu Deutschland derzeit stärker ausgebaute Kindergarten- bzw. Vor-schul-Infrastruktur. Zwar ist die ecole maternelle sehr spielerisch aus-gerichtet und entspricht in weiten Teilen dem deutschen Kindergarten, doch ist die Designation als Schule charakteristisch. So gibt es für die ecole maternelle beispielsweise nationale, einheitliche Lehrpläne und die dort tätigen Personen werden nicht als Erzieher/-innen, sondern als
36 Dieser Zustand hat insofern noch Bestand, als dass die Sommerferien in Frankreich zentral fest-gelegt sind und national gelten. Seitens der Politik wird regelmäßig die Möglichkeit diskutiert,
die einheitlichen Sommerferien zugunsten regional zeitlich leicht verschobener Schulferien fal-lenzulassen (vgl. BL & AFP, 2012). Selbst wenn diese Vorhaben eines Tages in die Tat umgesetzt
werden sollten, würden regional verschiedene Ferienzeiten aller Wahrscheinlichkeit nach vom
Bildungsministerium verantwortet werden, also von zentralstaatlicher, nicht von föderaler Ebene.
37 Der französische Bildungsapparat wird im Volksmund aufgrund seiner Größe oft als das „Mam-mut" bezeichnet. Für viel Aufsehen sorgte 1997 der französische Politiker Claude Allegre mit
dem Satz „Il faut degraisser le mammouth!" („Das Mammut muss abspecken!", Gurrey, 1997, S.
9). An diesem Satz entzündeten sich jahrelang hitzige Debatten. Während manche den Satz als
Aufruf zur Modernisierung des Schulwesens verstanden, fassten andere ihn als Ankündigung
auf, Investitionen in das Bildungswesen Frankreichs drastisch zu senken. 38 Die insbesondere in diesem Kapitel wiederholt erfolgenden Vergleiche zwischen Elementen des
deutschen und französischen Schulwesens oder zwischen verschiedenen Vorstellungen zu Schul-entwicklung und Leadership dienen vor allen Dingen der besseren Nachvollziehbarkeit für Le-ser/-innen, die mit dem französischen Schulsystem womöglich nicht so stark vertraut sind. Die
Vergleichbarkeit ist dabei als eine Konstruktion zu betrachten, tatsächlich bestehen Unterschiede,
manchmal fundamentale, mal eher im Detail. Wenn von „vergleichbar" die Rede ist, handelt es
sich also eher um den Versuch, eine interkulturelle gedankliche Brücke zu bauen als um das Auf-zeigen beinahe identischer Elemente.
12
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stuf
e 3.1 Das französische Schulsystern C eine Skizze GM
Lehrer/-innen bezeichnet und sind in der gleichen esoldungsstufe wie Lehrer/-innen der ^cole ^1^mentaire (Grundschule) angesiedelt.
^ der fünf Jahre andauernde esuch der ^cole ^1^mentaire (Grundschule). ^ der vier Jahre andauernde esuch des coWge (erste Sekundarschule). ^ der drei Jahre andauernde esuch eines lyc^e . Da die Schulpflicht in
Frankreich mit AG Jahren endet, besuchen manche Jugendliche kein ly-c^e (oder nur ein Jahr).
ac (general oder technique)
CAP O EP Allgemeinbildendes Lycee
erufsbildendes Lycee Allgemeinbildendes Lycee
erufsbildendes Lycee Allgemeinbildendes Lycee
Brevet national (Abschlussprüfung)
Uoisieme (Orientierungszyklus)
Quatrieme (Zentraler Zyklus)
Cinquieme (Zentraler Zyklus)
Sixieme (Adaptionszyklus)
tcole Primaire (Grundschule)
Abbildung 6.- Französisches Schulsystem — collige (vereinfacht)
(angepasst nach Office national d'information sur les enseignements et les professions, 2010)
Abbildung G illustriert die Elemente des französischen Schulsystems, die mit dem coWge zusammenhängen. Aus der Abbildung geht hervor, dass das coWge die letzte Schule in Frankreich ist, die alle Schülerinnen und Schüler gemeinsam
durchlaufen. Die auf das coWge folgende Schulform, das lyc^e , existiert in mehreren Ausprägungen wie z. . dem lyc^e d'enseignement g^n^ral et techno-logique (Schwerpunkt auf allgemeiner ildung), dem lyc^e professionnel
(Schwerpunkt auf beruflicher Vorbereitung, im deutschen Kontext am ehesten
vergleichbar mit einer Fachoberschule, vgl. Veil, 2002, S. 3 1 f) oder auch dem
lyc^e agricole (weiterführen& Sekundarschule mit Schwerpunkt auf landwirt-
68 3 Der französische Kontext
schaftlichen Belangen). Eine ausführliche Übersicht des französischen Schul-systems befindet sich im Anhang.
3.2 Das college
Kinder sind in Frankreich von 6 bis 16 Jahren schulpflichtig. 39 Sämtliche Schu-len, von der ecole maternelle (eine freiwillige Vorschule für Kinder zwischen 3
und 5 Jahren) bis zum lycee (vergleichbar mit der Sekundarstufe II des Gymna-siums), sind Ganztagsschulen. Die ecole elementaire (Grundschule) dauert fünf Jahre, anschließend besuchen die Kinder in Frankreich das college . Zu diesem Zeitpunkt sind sie in der Regel 10 oder 11 Jahre alt. Das college ist eine Ge-samtschule, die vier Jahre umfasst und auf deren Ende meist der Wechsel in ein
lycee folgt. Der Begriff college stand im Laufe seiner Geschichte in Frankreich
bereits für viele Schulformen. Seine jetzige Bedeutung, also college als Gesamt-schule zwischen der ecole elementaire und dem lycee , hat er Mitte des vergan-genen Jahrhunderts erhalten. Nachfolgend wird die Entstehung des coll^ges kurz skizziert.
Schule in Frankreich ist vor Mitte des 20. Jahrhunderts klassen- statt
leistungsorientiert und dient als ein Mittel der sozialen Regulation (vgl. Dela-haye, 2006, S. 94). Für das „einfache Volk" gibt es eine Grundbildung in Form einer einfachen Grundschule, für die Mittelschicht gibt es eine gehobene Grund-schule (ecole pratique du commerce ) und für die sogenannten Privilegierten eine noch gehobenere Grundschule ( ecole primaire superieure ), gefolgt von einer kostenpflichtigen weiterführenden Schule. Dieser Zustand ändert sich erst nach
Ende des Zweiten Weltkriegs. Ungefähr zu jener Zeit wird damit begonnen, die
verschiedenen Grundschulformen, die aufgrund von Interessen- und Klassenun-terschieden entstanden sind, zusammenzuführen. Die Entstehung des college ist eng mit diesen Zusammenführungen und dem dahinter stehenden Wunsch nach
gleicher Bildung für alle verknüpft.
Getrieben vom Wunsch nach Bildungsfreiheit und -gleichheit (der nach
Ende des Zweiten Weltkriegs quer durch alle Bevölkerungsschichten vorhanden war, vgl. Delahaye, 2006, S. 95), wird das mehrgliedrige Schulsystem schritt-weise zusammengefasst. Probleme gibt es beim Übergang von der Grundschule
in die verschiedenen Zweige des lycee (allgemeinbildend und berufsbildend). Kinder aus Arbeiterfamilien besuchen größtenteils den berufsbildenden Zweig des lycee , Kinder wohlhabender Familien den allgemeinbildenden. Die ver-schiedenen Zweige des lycee werden dabei nicht als Problem angesehen, die
39 Grundlegende Angaben zum französischen Schulsystem wie z. B. die Dauer der ecole primaire
(Grundschule) sind dem code de l^education entnommen, dem französischen Bildungsgesetz
(vgl. Französischer Gesetzestext, 2009). Der vollständige Gesetzestext kann unter
www.legifrance.gouv.fr/affichCode.do?cidTexte=LEGITEXT000006071191 eingesehen werden.
3.2 Das college 69
frühe Einteilung der Kinder hingegen schon (vgl. Delahaye, 2006, S. 95). Be-reits 1947 wird der Gedanke aufgebracht, zwischen der Grundschule und dem
lycee eine Orientierungsphase für alle einzuführen. 40 Diese Orientierungsphase soll sowohl allgemeinbildenden als auch berufsbildenden Unterricht beinhalten.
Doch der Vorschlag erscheint vielen als zu radikal und wird vorerst abgelehnt.
Wenige Jahre später werden diese Überlegungen in abgewandelter
Form jedoch wieder aufgegriffen. Die Eckdaten eines college d'enseignement
general (CEG , übersetzt college allgemeinen Unterrichts ) werden 1959 im Rah-men der «r^forme de l'enseignement public» (Reform des öffentlichen Unter-richts) festgelegt (vgl. Prost, 2007, S. 145ff). Diese Schule verspricht gleiche
Bildung für alle. Zusätzlich wird jedoch im Jahr 1963 durch die Reforme Fou-chet-Capelle das college d'enseignement secondaire (CES, college sekundären
Unterrichts ) geschaffen, welches dem CEG sehr ähnlich ist, jedoch drei Ziel-richtungen besitzt: klassisch, modern und berufsvorbereitend (vgl. Delahaye,
2006, S. 95). Obgleich diese drei Zielrichtungen unter einem Dach, also in einer
Schule vereint sind, besteht die Sorge, dass durch sie eine Klassendiskri-minierung stattfinden könnte. Darüber hinaus gibt es nun zwei verschiedene Ar-ten von colleges nebeneinander; auch hierdurch sehen manche die Gefahr einer Diskriminierung. Mit der Reforme Haby werden 1975 zunächst die Zielrichtun-gen im CES abgeschafft und schließlich das CEG und das CES zu einer neuen Schulform fusioniert, welche college unique (alleiniges college) oder schlicht college genannt wird. Es dauert jedoch nicht lange, bis Rufe nach Verbes-serungen laut werden. Größter Kritikpunkt: Das college sei zu zentralisiert und rigide organisiert (vgl. Derouet, 2000, von dem das französische Schulsystem zu
jener Zeit gar als das zentralisierteste der Welt erachtet wird); statt gleich(wer-tig)er Bildung für alle gäbe es gleich(gültig)en Unterricht für alle. Basierend auf
vom Bildungsministerium in Auftrag gegebenen Studien beginnt in den Jahren
1982 und 1983 die Renovation des colleges (Erneuerung der colleges ). Im Zuge dieser Maßnahme erhalten die colleges eingeschränkte Autonomie und geringe
individuelle Anpassungsmöglichkeiten an die Bedingungen vor Ort. 41 Darüber hinaus wird eine pädagogische Ausrichtung hin zu einem differenzierten Unter-richt angestrebt.
Im Jahre 1995 wird die Einstiegsklasse des college , die sixieme (sechs-tes Schuljahr) auf Drängen des damaligen Bildungsministers Frangois Bayrou
reformiert. 42 Die Stundenpläne der sixieme werden gelockert, um mehr Flexibili-
40 Dieses Vorhaben wurde als Plan Langevin-Wallon bekannt (vgl. Dubet, 2003, S. 74ff; Schneider,
1963, S. 74ff). 41 So werden colleges und lycees beispielsweise im Zuge der Dezentralisierung zu öffentlichen Ein-
richtungen, die von den einzelnen departements getragen werden müssen (vgl. Decret n°85-924
du 30 aoüt 1985 relatif aux etablissements publics locaux d'enseignement , 1985). 42 Die Schuljahre werden in Frankreich, anders als in Deutschland, rückwärts gezählt. sixieme be-
zeichnet somit das sechst-letzte Schuljahr. Diese Angabe ist jedoch nicht mehr akkurat, da es am
70 3 Der französische Kontext
tät bei der Gestaltung des Schultages zu erlauben und einen sanfteren Übergang
zwischen Grundschule und college zu ermöglichen. Nach und nach werden alle
Klassenstufen des college neu organisiert.
Abbildung 7: Schematische Darstellung der drei Zyklen des college
bestehend aus Anpassungszyklus (ein Jahr, Übergang von der Grundschule zum college), zentralem
Zyklus (zwei Jahre, intensivierte lissensvermittlung) und Orientierungszyklus (ein Jahr, Vorberei-tung auf das lycee und/oder Berufsleben). Quelle: Eigene Darstellung.
Es entstehen zunächst zwei, später drei sogenannte cycles , schulische Zyklen. Die einzelnen Klassenstufen erhalten durch die Zyklen unterschiedliche inhaltli-che und formale Schwerpunkte. Die bis heute gültigen drei Zyklen lauten (vgl.
Abbildung 7):
• sixieme: cycle d'adaptation (sechste Klasse: Anpassungszyklus): Die
sechste Klasse markiert den Übergang von der Grundschule zum colle-ge. Ziel ist es, die von den Kindern bisher erworbenen Kenntnisse zu
bestätigen und zu vertiefen und sie mit den Fächern und Lehr-Lern-Methoden der Sekundarstufe vertraut zu machen. Ein besonderes Au-genmerk wird dabei auf einen sanften Übergang gelegt.
• cinquieme et quatrieme : cycle central (siebte und achte Klasse: zentra-ler Zyklus): Der zentrale Zyklus ist gemeinhin von der verstärkten Wis-sensvermittlung geprägt. So wird spätestens ab der achten Klasse eine
zweite Fremdsprache unterrichtet, darüber hinaus stehen in der Regel
diverse optionale Fächer und Bildungsangebote zur Verfügung.
• troisieme : cycle d'orientation (neunte Klasse: Orientierungszyklus):
Die neunte Klasse steht im Zeichen der weiteren Orientierung. Die
Schüler/-innen können zusätzliche Lehrangebote wählen, die entweder
einer verstärkten Vorbereitung auf das lycee oder einer Hilfe bei der Berufswahl und Vorbereitung auf das Berufsleben dienen. Darüber hin-
lycee noch ein Abschlussjahr (die terminale ) gibt. Obwohl die Benennung bzw. die Zählweise
der Schuljahre also nicht mehr zutreffend ist, wird sie — wahrscheinlich aus historischen Gründen
— bis heute benutzt.
3.2 Das college 71
aus ist das letzte Jahr geprägt von der Vorbereitung auf die Abschluss- prüfungen zur Erlangung des diplöme national du brevet (DNB).
Im Jahr 1999 entbrennt in der Politik wie auch unter Bildungsexperten ein Streit
darüber, ob das college seiner Aufgabe gerecht wird, eine Schule für alle Schü-lerinnen und Schüler zu sein. Obwohl die Zahlen für ein Gelingen des college sprechen (89% der Kinder aus sozial benachteiligten Familien durchlaufen im
Jahre 1999 erfolgreich das college , im Vergleich zu 58% im Jahre 1980), sehen
insbesondere Lehrerinnen und Lehrer die Idee des college als gescheitert. Sie bemängeln, dass es am college gleiche Bildung für alle in Form des kleinsten gemeinsamen (Bildungs-)Nenners gäbe. Ein Maßnahmenkatalog wird beschlos-sen, um besser auf die Vielfalt der Schülerinnen und Schüler am college einge-hen zu können.
2003 löst erneut der Umgang mit Heterogenität am college Sorge aus. Das Kabinett um Bildungsminister Luc Ferry schlägt vor, einigen Schülern die
Möglichkeit einer dualen Ausbildung (college und Ausbildung am Arbeitsplatz)
zu geben. Nach zwei Jahren wird dieser Vorschlag umgesetzt, auch wenn das
Angebot nicht an allen Schulen existiert. Darüber hinaus werden mit den optio-nalen Kursen decouverte professionelle (Berufskunde) und module de decouver-te professionelle (umfasst doppelt so viele Schulstunden wie die reguläre Be-rufskunde) freiwillige, auf den schnellen Berufseinstieg zugeschnittene Unter-richtsangebote eingeführt.
Ein bis heute bestehendes Problem der französischen Schulen liegt dar-in, dass trotz andauernder Dezentralisierungsbemühungen das französische
Schulsystem zentralistischer Natur ist (vgl. Hörner, 2006, S. 4). Die Direktoren der colleges und lycees haben eine gelegentlich widersprüchliche Doppelrolle zu
erfüllen: Sie sind einerseits Repräsentanten und Gesandte des Ministeriums für
nationale Bildung, gleichzeitig auch Leiter ihrer Schule vor Ort. Sie vertreten
damit sowohl die Interessen des nationalen Schulministeriums als auch die loka-len Interessen der individuellen Schule (vgl. Lefebvre, Mallet & Vandevoorde,
2009). Besonders im conseil administratif (ca), einem Gremium, das sich aus
Lehrern, Eltern und Schülern zusammensetzt und in dem diverse administrative
Angelegenheiten wie z. B. das Schulbudget, aber auch das Schulprofil oder die
Umsetzung nationaler Beschlüsse geregelt werden, kann es daher leicht zu Inter-essenkonflikten kommen (vgl. Hörner, 2006, S. 5). Es hat den Anschein, als
würde den colleges und anderen Schulformen in Frankreich zunehmend mehr Freiheit gewährt. Colleges dürfen beispielsweise seit 2005 eigene, individuelle
Schulprofile entwickeln. Von Kritikern wird jedoch bemängelt, dass die gewähr-ten Freiheiten weit von jeglicher Autonomie entfernt und deshalb eher hinder-lich als nützlich seien. So müssen sich die zuvor erwähnten Schulprofile strikt
innerhalb des durch das staatliche Curriculum vorgegebenen Rahmens bewegen.
72 3 Der französische Kontext
Nicht im staatlichen Curriculum verankerte Profil-Ideen dürfen ausschließlich in
optionaler Form umgesetzt werden. Darüber hinaus werden gewährte Freiräume z. T. als Zwang empfun-
den und nur halbherzig umgesetzt. Ein Beispiel hierfür sind die projets d'^ta-blissement , Projekte, die sich über mehrere Schuljahre hinziehen können und
von den Schulen frei konzipiert werden dürfen. Die Projekte sollen laut Bil-dungsministerium die Verbesserung der Schule zum Ziel haben und gemeinsam
von Schulleitung und Lehrerschaft konzipiert und getragen werden; weitere Vor-gaben werden nicht gemacht, allerdings ist jedes coll^ge gesetzlich verpflichtet, an einem projet d'^tablissement zu arbeiten. Untersuchungen des französischen Schulministeriums zeigen, dass die projets d'^tablissement oft nur von einer Handvoll Lehrkräften pro Schule durchgeführt werden, dass sie bewusst vom
59richtigen Unterricht' getrennt statt mit ihm verknüpft werden und nur selten
einen nachhaltigen Effekt haben (vgl. Auduc, 2005, S. 175ff; Dubet & Duru-Bellat, 2000, S. 120f). Auch deuten viele Untersuchungen darauf hin, dass die projets d'^tablissement verstärkt von Schulleitungen getragen werden, der (bis-her ohnehin nie hoch gewesene) Grad der Beteiligung der Lehrerschaft also
sinkt (vgl. Pe'lage, 2003). Ein zentrales Problem des coll^ge ist bis heute, seine Grundsätze unter
einem gemeinsamen Dach zu vereinen: gleiche Bildung für alle und individuelle
Förderung für jeden Einzelnen (Hörner, 2006, S. 16). Oberflächlich betrachtet
ist das coll^ge sehr erfolgreich darin, allen eine Grundbildung zu vermitteln,
doch ist dieses Bildungsfundament bei genauerem Hinsehen nicht für alle
gleich, wie Kritiker des coll^ge bemängeln. So durchlaufen inzwischen zwar
fast 97% der Schüler erfolgreich das coll^ge , allerdings nicht mehr so, wie ur-sprünglich gedacht. 15% von ihnen sind nicht in die regulären Klassen inte-griert, sondern lernen in separaten Förderklassen, den sogenannten SEGPA (sec-tions d'enseignement g^n^ral et professionel adapt^ , vgl. Delahaye, 2006, S. 101).
3.3 Kompetenzverteilung im französischen Bildungswesen
Im Laufe der Zeit ist aus der ehemals eindeutig zentralistischen Kompetenzver-teilung des französischen Bildungssystems ein komplexes Kompetenznetz ge-worden. Sicherlich überwiegen immer noch die (zentral regulierten) Kompeten-zen des Staates, jedoch bei weitem nicht mehr so klar wie es noch vor dreißig
Jahren der Fall war. Die Kompetenzverteilung umfassend zu erklären würde den
Rahmen dieser Arbeit sprengen und somit das Ziel eines kurzen Überblicks ver-fehlen. ^3 Daher sind nachfolgend nur die prägnantesten Rahmenbedingungen
F3 Eine detaillierte Präsentation des französischen Bildungssystems findet sich bei Auduc (2005).
3.3 Kompetenzverteilung im französischen Bildungswesen 73
aufgeführt (basierend auf Auduc, 2005, S. 37ffb; Geoffroy, 2006; Ministere de
l^Education Nationale, 2009; Ministere de l^Education Nationale, 2008a; Toule-monde, 2006; Vasconcellos, 2004, S. 17f):
Der Staat ist verantwortlich für:
• die Bestimmung der möglichen Bildungswege, die Festlegung der na-tionalen Lehrpläne, die Organisation und den Inhalt der Lehre (des Bil-dungswesens);
• die Entwicklung und die Vergabe der nationalen Abschlusszeugnisse
und die Vergabe von universitären Titeln und Rängen;
• die Einstellung und die Verwaltung des ihm direkt unterstellten Perso-nals;
• die Aufteilung der für das Bildungswesen aufgewandten Mittel mit der
besonderen Pflicht, gleichen Zugang für alle zum öffentlichen Dienst
zu wahren; • die Kontrolle und die Evaluation der Bildungspolitik mit dem Ziel, die
Kohärenz des Bildungssystems zu wahren.
Die Region44 ist verantwortlich für:
• den Bau von und die Bauarbeiten in den lycees d'enseignement general
et technologique und den lycees d'enseignement technologique profes-sionnel ;
• die Subvention der Material- und Betriebskosten besagter lycees ; • die Einstellung und die Verwaltung des technischen und handwerkli-
chen Personals und des Servicepersonals der lycees ; • die Organisation der bildenden, sportlichen und kulturellen Aktivitäten
in den schulischen Gebäuden oben genannter Schultypen; • die Teilfinanzierung der universitären Einrichtungen;
• die regionale Politik, welche die Lehre und Ausbildung junger Men-schen und arbeitssuchender Menschen betrifft.
Das departement ist verantwortlich für:
• den Bau von und die Bauarbeiten in den colleges ; • die Subvention der Material- und Betriebskosten besagter colleges ;
44 Frankreich ist in 26 Regionen unterteilt, welche wiederum in 101 departements unterteilt sind. Ein departement ist ein Gemeindeverband in Frankreich. Eine Region wäre also am ehesten mit
einem Bundesland in Deutschland vergleichbar; ein departement unter Umständen mit einem
Landkreis.
74 3 Der französische Kontext
• die Einstellung und die Verwaltung des technischen und handwerkli-chen Personals und des Servicepersonals der colleges ;
• die Organisation der bildenden, sportlichen und kulturellen Aktivitäten
in den schulischen Gebäuden des oben genannten Schultyps;
• die Organisation und den Betrieb der schulischen Transporte.
Der conseil general (Generalrat eines departement ) bestimmt die Einzugszonen der verschiedenen öffentlichen colleges , das heißt, er legt fest, in welchem öf-fentlichen coll^ge die Schüler/-innen unterrichtet werden sollen, die in einer be-stimmten Schulzone eines departements leben.
Die Gemeinden sind verantwortlich für:
• die Planung, den Bau, die Ausstattung, den Betrieb und die Instandhal-tung der ecoles maternelles (Kindergärten/Vorschulen) und ecoles ele-mentaires (Grundschulen);
• die Verwaltung der finanziellen Mittel für die Ausstattung und den Be-trieb besagter Schulen;
• die Organisation der bildenden, sportlichen und kulturellen Aktivitäten
in den schulischen Gebäuden oben genannter Schultypen.
Sie können darüber hinaus die Zeiten des Unterrichtsbeginns und -schlusses mo-difizieren, ebenso den Schulrhythmus, also beispielsweise die schulische Woche
auf vier statt fünf Unterrichtstage verteilen. Dies können Schulen jedoch auch
selbst, allerdings in Abstimmung mit den Gemeinden. Die Gemeinden verwalten
außerdem das nicht-lehrende Personal.
Rechtlich vorgesehen ist darüber hinaus in jeder Gemeinde eine caisse des ecoles (Schulkasse), welche vom Gemeinderat ( conseil municipal ) etabliert wird. Mit Hilfe dieser Kasse können Anliegen aus allen Bereichen der Lebens-lage eines Schülers oder einer Schülerin finanziell unterstützt werden. Das Kon-zept der Schulkasse wurde entwickelt, um Kinder von Familien in finanzieller
Not zu unterstützen und damit den regelmäßigen Schulbesuch zu fördern.
Eine Übersicht in Kurzform der Kompetenzverteilung im französischen
Bildungswesen bietet Tabelle 2.
3.3 Kompetenzverteilung im französischen Bildungswesen 75
f-cole primaire.
Collöge Lyc6e Universität Deutschland
Bau, Instandhaltung und Betrieb Gemeinde DBpart. Region Staat & Partner Gemeinde
Pädagogischer Betrieb Gemeinde Staat Staat Staat & Partner Kultusministerium (Land)
Lehrpersonal (Einstellung, Ausbildung, Bezahlung) Staat Staat Staat Staat Kultusministerium (Land)
Administratives, techn. und Service-Personal Staat Staat Region Staat Gemeinde
Service- und Handwerkspersonal Gemeinde DBpart. Region Staat Gemeinde
Lehrplan Staat Staat Staat Staat Kultusministerium (Land)
Validierung der Abschlüsse - Staat Staat Staat Land & Staat45
Schulwahl Kommune DBpart. frei frei Kommune/frei (Eltern) 4'
Tabelle 2: Kurzübersicht der Kompetenzaufteilung im französischen Bildungssystem "
3.4 Schulleitung in Frankreich
Während die Untersuchung der Rolle des Schulleiters sich in Deutschland als
Teil des Forschungsbereiches Schulentwicklung auf wissenschaftlicher Ebene
grob seit den 1970er Jahren u. a. im Austausch mit skandinavischen und beson-ders amerikanischen Forschungsinteressen für school improvement und school effectiveness entwickelt hat, scheint die wissenschaftliche Auseinandersetzung
mit dem Gebiet in Frankreich eher eine Folge der Debatten und Untersuchungen
zur Dezentralisierung des Schulsystems zu sein, welche in den 1980er Jahre be-gann und 1989 mit den Gesetzen zur (Teil-)Autonomie der Schulen einen vor-läufigen Höhepunkt erreichte. Im Zuge der Dezentralisierungs- und Autonomie-debatten wurde auch versucht, die Rolle der Schulleitung theoretisch zu fun-dieren. Da die Erziehungswissenschaften in Frankreich erst ungefähr seit den
1970er Jahren zum etablierten Teil der universitären Forschungslandschaft ge-hören, kann dort von einer vergleichsweise jungen Wissenschaft gesprochen
werden, die eine (im Vergleich zu den Verhältnissen in Deutschland) bisher eher
untergeordnete Stellung einnimmt. Nichtsdestotrotz hat auch in Frankreich die
45 Schulabschlüsse in Deutschland fallen einerseits unter die Kulturhoheit der Länder, sind also in
jedem Bundesland verschieden. Es gibt jedoch für alle Bundesländer verbindliche, von der Kul-tusministerkonferenz verabschiedete Rahmen, für das Abitur z. B. die „Einheitlichen Prüfungs-anforderungen in der Abiturprüfung" (EPA). Somit existiert auch eine bundesweite Regelung
(vgl. Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland,
1979, 2003, 2004). 4' Die Wahl der Schule ist in Deutschland nicht bundesweit einheitlich geregelt. Zusammenfassend
lässt sich sagen, dass in vielen Fällen im Sekundarbereich Hauptschulen und Berufsschulen fest-gelegte Schulbezirke haben; Gymnasien und Realschulen jedoch nicht. Eltern können darüber
hinaus einen Schulwechsel verlangen (vgl. Amt für amtliche Veröffentlichungen der Europäi-schen Gemeinschaften (EUR-OP), 2005, S. 70f).
47 Die Angaben zu Deutschland basieren auf Cortina et al. (2008).
76 3 Der französische Kontext
Schulentwicklungsforschung längst begonnen; Kernbegriffe sind hier pilotage (ungefähr zu übersetzen mit „Leitung", in Teilen vergleichbar mit Leadership),
r^forme und ^volution (Weiterentwicklung) sowie encadrement (zentrale Rah-men für dezentrale Entwicklungsvorhaben/Projekte). Nachfolgend wird daher
der Kontext der Schulleitung in Frankreich erarbeitet, zunächst in Form eines
kurzen historischen Aufrisses des Berufes, anschließend durch eine Darstellung der gegenwärtigen Lage sowie eine Gegenüberstellung von Leadership und dem
französischen pilo tage . Im Jahre 2009 gab es in Frankreich ca. 5200 coll^ges und ca. 2700 ly-
c^es (vgl. Ministe're de l`education nationale, de l`enseignement supe'rieur et de
la recherche & Chudeau, 2010, S. 10, weitere statistische Angaben in den fol-genden zwei Absätzen entstammen — sofern keine andere Quelle angegeben
wird — ebenfalls dieser Quelle). Diese wurden von ca. 13000 Personen geleitet,
die allesamt der Schulleitung zugehörig waren. Davon waren ungefähr 1700
Personen Schulleiter/-innen in Ausbildung, die jedoch bereits die formelle Zusa-ge für einen Schulleitungsposten erhalten hatten (in der Regel handelt es sich
dabei um Posten als stellvertretende Schulleiter/-innen). Darüber hinaus gibt es in Frankreich noch ca. 45000 Grundschul-
direktoren (vgl. Ministe're de l`Education Nationale, 2010, S. 28 1). Darunter zu-sammengefasst werden die ^cole maternelle (vergleichbar mit Kindergarten und Vorschule) und die ^cole ^l^mentaire (vergleichbar mit der Grundschule). Grundschulen unterstehen in Frankreich direkt den Gemeinden und unter-scheiden sich stark von den Sekundarschulen, was den rechtlichen Rahmen und
somit auch das Berufsbild der Schulleitung betrifft. Beispielsweise arbeiten
Grundschul-Schulleiter/-innen in Frankreich als primus inter pares , d. h., dass sie neben ihren Leitungs-Tätigkeiten zusätzlich unterrichten (vgl. OECD, 2008a,
S. 76). Auf Grundschuldirektoren soll aufgrund der großen Divergenzen sowie
der mangelnden Relevanz für die vorliegende Arbeit nicht weiter eingegangen
werden. Schulleiter/-innen an Sekundarschulen arbeiten allerdings als „Unglei-
che" oder, anders formuliert, als exklusive Leiter/-innen; sie unterrichten nicht,
ihre Rolle ist klar von denen der Lehrer/-innen getrennt. In der Regel werden sie
von mindestens einem Stellvertreter, einem gestionnaire (Buchhalter/Verwalter) und einem cpe (pädagogischen Berater) unterstützt (vgl. OECD, 2008, S. 78 und
Tabelle 3). Grundsätzlich nehmen Schulleiter/-innen in Frankreich sowohl eine
Management- als auch eine Leadership-Rolle wahr. Als wichtigste Instanz einer
Schule neben der Schulleitung existiert in Frankreich der Verwaltungsrat ( con-seil administratif, ca ), der sich überwiegend aus Vertretern der Schulleitung,
Lehrerschaft, Schülerschaft und Elternschaft zusammensetzt und viele Entschei-dungen berät und/oder formal verabschiedet.
3.4 Schulleitung in Frankreich 77
Rolle der Schulleitung Leadership Teams Beratungs- bzw. Kontrollgremien, Schulgremien
Zusammenstellung Management und/oder Leader-ship-Rolle
Zusammenstellung Grad der Beteiligung
Bezüglich Schulleitern an Bezüglich Sekundarschulen: Leadership und Bezüglich Sekundar- Der Rat verabschiedet Sekundarschulen: Keine Es existiert um die Leitung Management schulen: Verwaltungsrat das Schulbudget sowie Angabe. herum ein Team, bestehend (ca): Der Rat setzt sich das Schulprojekt und
aus mindestens einem stell- zusammen aus einem hat Mitspracherecht bei vertretenden Schulleiter, mindestens einem pädagogi-
Drittel Lehrer, einem Drittel Mitglieder der
Angelegenheiten, die die Organisation der
schen Berater und einem Fi- Schulleitung, Vertreter Schule und die Um- nanzbeauftragten /Verwalter der Gemeinde, Vertreter
der Region sowie ggf. gewählte externe Perso- nen, einem Drittel Eltern und Schüler.
setzung der Lehrpläne betreffen (z. B. Stun- dentakt, Wahl der Schulbücher, ex-tra-curriculares Angeb-ot).
Tabelle 3: Verteilung der Führungskompetenzen in Frankreich
(Quelle: OECD, 2008a, S. 98, freie Übersetzung des Verfassers)
3.4.1 Historische Entwicklung und gegenwärtige Lage
Um die Schulleiterposition in Frankreich nachvollziehen zu können, erscheint eine Einbettung in den historischen Kontext sinnvoll (die historischen Angaben
in diesem Absatz basieren auf Grellier, 1998, S. 14ff). Einen guten Einstieg bie-tet der Anfang des 19. Jahrhunderts; zu jener Zeit wurden unter Napoleon I. die
zentralen Pflichten und Rechte von Schulleitern an Sekundarschulen festgelegt.
Trotz aller Erweiterungen und Veränderungen sind sie in ihren Grundzügen
(weitgehend) unverändert geblieben. So wurde bereits 1809 die Kompetenzver-teilung für Sekundarschulen (damals ausschließlich lycees ) festgelegt, die bis heute noch das französische Schulbild prägt: Es gibt einen Schulleiter, zuständig
für die Administration der Schule, einen Studieninspektor (dessen Bezeichnung in den 1980er Jahren in CPE , leitender pädagogischer Berater, geändert wurde) und einen finanziellen Verwalter. Die expliziten Pflichten des Schulleiters um-fassten seinerzeit — wenig überraschend — beinahe ausschließlich administrative
Bereiche: Überwachung eines geregelten Schulablaufs, Wahrung der Sitten und
Ordnung, Kontrolle der Klassenbücher, regelmäßige (Kontroll-)Besuche der
Schulkrankenschwester und dreimal im Jahr das Erstellen von Schreiben an die
Eltern, um sie über das Benehmen, den schulischen Leistungsstand, die Haltung
und die Gesundheit ihrer Kinder zu informieren. Ca. zehn Jahre später wurden
seine Kompetenzen erweitert und umfassten nun die Wahrung der Disziplin im
doppelten Sinne: einerseits die Disziplinierung der Schüler bei besonders
schweren Verstößen, 48 andererseits die Wahrung der personellen, intellektuellen
48 Nota bene : Ein geläufiges Mittel war zu jener Zeit das Einsperren der zu disziplinierenden Schü-ler in schuleigene Kerker.
78 3 Der französische Kontext
Disziplin der Lehrerschaft durch Unterrichtsbesuche. Allerdings besaß der
Schulleiter keinerlei pädagogische Autorität, konnte also einzig und allein bei
administrativ relevanten Verstößen eingreifen, wenn ein Lehrer z. B. permanent
zu spät zum Unterricht erschien. 49 Lehrer hatten eine enorme berufliche Freiheit;
sie waren — was pädagogische Belange betraf — einzig dem inspecteur general
Rechenschaft schuldig, dem Schulinspektor, der in unregelmäßigen Abständen, meist alle ein bis drei Jahre, den Unterricht kontrollierte. Es bestand also seit
Beginn der Sekundarschulen eine Dichotomie zwischen dem Administrativen und dem Pädagogischen, zwischen der Logik der Organisation und der der Leh-re. Die ursprüngliche französische Bezeichnung für den Schulleiter trägt dieser
Dichotomie Rechnung: proviseur vom lateinischen providere — sich um etwas kümmern. 50
In ihren Grundzügen haben, wie erwähnt, die soeben dargelegte Kom-petenzverteilung und das Berufsprofil des Schulleiters bis heute Bestand. Nen-nenswerte Veränderungen gab es vor allen Dingen in den 1980er Jahren im Zuge
des Beginns der Bewegungen zur Autonomie der Schule und im Jahr 2005 im
Zuge weiterer Reformen des Schulsystems. Nachfolgend soll kurz näher auf die-se Veränderungen eingegangen werden.
Bis in die 1980er Jahre war das französische Schulsystem stark zentra-listisch aufgebaut; auch heutzutage gilt es zumindest im europäischen Vergleich
als eher zentralisiert; die OECD schätzt, dass ca. ein Drittel aller Entscheidun-gen, welche die Sekundarstufe betreffen, auf gesamtstaatlicher Ebene erfolgt
(vgl. hierzu Tabelle 4). 51
Staat Land/Kanton Provinz/ Region
Gemeinde Ortschaft Schule Insgesamt
Deutschland 36 13 8 21 23 100
England 19 81 100
Frankreich 32 16 20 32 100
USA 25 53 22 100
Tabelle 4: Gegenüberstellung der Zentralisierungsgrade im Schulwesen (Sekundarstufe)
anhand der pro Ebene getroffenen Entscheidungen - Angaben in Prozent, 2011 (basierend auf
OECD, 2012, S. 512, freie Übersetzung des Verfassers)
49 Diese Besonderheit hat trotz mehrerer Reformen des Schulleitertums heutzutage größtenteils
weiterhin Bestand. 50 Diese Dichotomie entstand freilich nicht willkürlich, sondern aus strategischen Gründen. Napo-
leon I. wollte damit den Einfluss des Staates auf das Bildungswesen der Elite sichern. Die Lehrer
waren universitär ausgebildete Personen, der Versuch einer Einflussnahme auf Universitäten er-schien wenig erfolgversprechend. Schuldirektoren hingegen wurden von der Regierung ernannt;
der Staat konnte somit über diesen Weg versuchen, seine Machtposition in den einzelnen Schu-len zu etablieren bzw. auszudehnen.
51 Andere europäische Länder, deren Schulsystemen ein hoher Zentralisierungsgrad zugesprochen
wird, sind beispielsweise Griechenland und Malta (vgl. Fenech, 1994).
3.4 Schulleitung in Frankreich 79
Bis in die 1980er Jahre waren Schulleiter/-innen rechtlich betrachtet Lehrer/-in-nen mit erweiterten Tätigkeitsprofilen. Dies mag erklären, warum zu jener Zeit
der Schulleitung als eigene Profession so gut wie keine Aufmerksamkeit von
wissenschaftlicher Seite geschenkt wurde. Seit den 1980er Jahren wurden je-doch erhebliche Dezentralisierungsbemühungen in Frankreich unternommen,
welche einen vergrößerten Autonomiebereich für Schulen, insbesondere für
Schulleiter/-innen mit sich brachten. So wurde 1988 Schulleitung zu einer ei-genständigen Berufsgruppe (vgl. Decret n°88-343 du 11 avril 1988 , 1988). 2001 wurde der Beruf der Schulleitung reformiert, wobei ihm weitere Kompetenz-und Verantwortungsbereiche zugeteilt wurden (vgl. Ministere de l`Education
Nationale, 2002). Ungefähr in derselben Zeitspanne begann das wissenschaftli-che Interesse für Schulleitung zu erstarken.
Ähnlich wie in Deutschland galt der Beruf des Schulleiters bis in die
1970er Jahre als hauptsächlich administrativer Beruf; gesetzlich waren zu jener
Zeit vor allen Dingen Pflichten und Verantwortungsbereiche des Schulleiters in
Bezug auf einen geregelten Schulablauf verankert. 1982 wurden die Tätigkeits-bereiche des Schulleiters in Frankreich durch einen kurzen Erlass erweitert, in
dem u. a. gefordert wurde, dass Schulleiter/-innen die „Umsetzung von Innova-tionen und Initiativen erleichtern" (vgl. «Circulaire no 82-478 du 27 octobre
1982 (Missions du chef d`etablissement)» [Archivkopie], 1982, freie Überset-zung des Verfassers). 52 Definiert sind die Schulleitungs-Aufgaben seit der Jahr-tausendwende durch ein Protokoll, welches im Dialog zwischen Schulleiterver-bänden und Vertretern des Bildungsministeriums am 16.11.2000 verfasst und am 03.01.2002 rechtlich bindend verabschiedet wurde (Ministere de l`Education
Nationale, 2002). Das Vorwort legt eine Auffassung der Schulleitung als change agent und Schulentwicklungskraft nahe:
„Die Schulen sind Träger der Ambitionen und des Fortschritts des Bildungssystems. Sie sind
Orte, an denen Innovation und Veränderung entstehen und sich entwickeln müssen. Vor die-sem Hintergrund müssen die Mitglieder der Schulleitung Motoren dieser Dynamik sein" (Mi-nistere de l`Education Nationale, 2002, Übersetzung des Verfassers).
Dieser Eindruck wird bei Lektüre des eigentlichen Protokolls jedoch nicht be-stätigt. In diesem wird nachfolgend das Berufsprofil der Schulleitung anhand
von „Missionen" verdeutlicht. Erste Mission bzw. Aufgabe des Schulleiters ist
demzufolge die Repräsentation des Staates, gefolgt von der Aufgabe der Füh-rung der Schule. Darüber hinaus werden Handlungsfelder der Schulleitung auf-geführt. Auch hier wird zunächst die Repräsentation des Staates genannt, die an-schließend genannten Punkte umfassen hauptsächlich administrative Bereiche
52 Kurioserweise wurde diese Tätigkeitsbeschreibung 2009 im Zuge der Bemühungen um eine Ent-bürokratisierung des Schulwesens zusammen mit über 1500 weiteren Erlassen und Vorschriften
vom Bildungsministerium wieder aufgehoben (vgl. Ministere de l`Education Nationale, 2009b).
80 3 Der französische Kontext
(z. B. die Wahrung der Sicherheit, Budgetplanung, Sicherstellung der Anwesen-heit der Schüler/-innen), jedoch auch einige Punkte, die gemeinhin Schulent-wicklung zugeordnet werden wie z. B. Personalentwicklung, den Aufbau von
Kooperationen und Netzwerken innerhalb und außerhalb der Schule, sowie die
Arbeit an und Förderung von Innovationen. Basierend auf dem Protokoll, wel-ches als das wichtigste formale definierende Element der Schulleitung betrachtet
werden kann, lässt sich somit festhalten, dass eine Ausrichtung auf Schulent-wicklung durchaus angestrebt wird, diese sich jedoch nur in geringem Ausmaße
in der Beschreibung des Berufsprofils der Schulleitung niederschlägt.
In der jüngeren Vergangenheit hat es Bemühungen gegeben, den Dia-log und die Kooperation zwischen Schulen strukturell zu unterstützen. In Frank-reich wurden 2006 sogenannte „Schulbecken" (bassins scolaires ) eingerichtet. Ziel ist es, dass Schulen aus einem Becken sich untereinander austauschen und
kooperieren. Einmal pro Monat wird ein Treffen von Schulleitern/Schulleiterin-nen bzw. Stellvertretern/Stellvertreterinnen aller Schulen eines Beckens an-gestrebt. Die erwünschte Kooperation soll Bereichen wie Schülerorientierung,
effizientem Personalmanagement und der Kohärenz zwischen den Schulen zu-gutekommen (vgl. OECD, 2008a, S. 57).
Nach der Reform der Schulleitung 2001 wurden zwischen 2002 und
2003 verstärkt Beschwerden von Schulleitungen vernommen, dass eine Überfor-derung drohe und insbesondere die neuerdings geforderten Aspekte der (loka-len) Schulentwicklung zu kurz kämen. In einer Studie, die vom französischen
Bildungsministerium in Auftrag gegeben wurde, untersuchte die Soziologin Ghislaine Matringe verschiedene Schulen, welche mit einem damals experimen-tellen conseilp^dagogique arbeiteten, um mögliche Entlastungs- und Verbesse-rungspotenziale aufzudecken (Matringe, 2005). Bei den conseils p^dagogiques
handelte es sich um schulinterne Beratungsgremien, welche die Aufgabe hatten,
die Schulleitung bei der Konzeption und Durchführung von Projekten zur Ver-besserung der Schule zu unterstützen . 53 Basierend auf den in der Studie vorge-tragenen Empfehlungen wurden Beratungsgremien an allen Schulen Frankreichs
verpflichtend eingeführt. Die proklamierte Absicht des Bildungsministeriums
war es, die Schulleitungen zu entlasten und gleichzeitig die Lehrerschaft stärker
im Bereich der Schulentwicklung zu involvieren. Obwohl die Implementierung
als ein Schritt in die richtige Richtung charakterisiert wurde, wurde in den jähr-lich durchgeführten Evaluationen des Bildungssystems seitens des Bildungsmi-nisteriums wiederholt darauf hingewiesen, dass die Umsetzung an vielen Schu-len bisher nur halbherzig oder gar nur auf dem Papier erfolgt sei (Ministe're de l`education nationale, de l`enseignement supe'rieur et de la recherche, 2008,
2010).
53 Die Beschreibung dieser Gremien weist eine große Ähnlichkeit mit der Beschreibung der Arbeit
von Steuergruppen auf.
3.4 Schulleitung in Frankreich 81
Colleges sowie lycees sind seit 1985 als sogenannte etablissements pu-blics locaux d'enseignement (EPLE) klassifiziert. Dies hat unter anderem zur Folge, dass sie innerhalb gewisser Rahmen in puncto Administration und Finan-zen autonom sind. Diese Autonomie erstreckt sich auch mehr und mehr in den
Bereich der pädagogischen Ausrichtung, wenngleich die academie und das Bil-dungsministerium hier immer noch das letzte Wort haben. Trotz allem verfügen colleges in Frankreich über Freiheiten (wie auch Beschränkungen). Dazu gehö-ren unter anderem:
• der Status der Rechtspersönlichkeit • das Recht (und die ausdrückliche Aufforderung), zusätzliche finanzielle
Mittel von Dritten einzuwerben • die Autonomie über das Schulbudget. Dieses wird vom Schulleiter auf-
gestellt, jedoch vom Verwaltungsrat ( ca) genehmigt, bei größeren Aus-gaben zusätzlich vom conseil general .
• weitere Autonomie zusammen mit dem Verwaltungsrat ( ca), dessen Vorsitzender der Schulleiter ist.
Zu den bedeutendsten Einschränkungen gehören die fehlende Zuständigkeit für
alle Dinge, die direkt den Unterricht betreffen, wie zum Beispiel die Lehrpläne,
die vie scolaire (Schulaufsicht, insbesondere außerhalb des Unterrichts) sowie
die Personalführungskompetenzen (Einstellen und Entlassen, Besoldung und
Verwaltung von Lehrkräften und übrigem Personal). In Frankreich sind Schul-leiter/-innen in der Regel kaum bis gar nicht involviert, wenn es um das Anstel-len und Entlassen von Personal geht (vgl. OECD, 2008a, S. 55). Eine Ausnahme
bilden hier einzig und allein zeitlich befristete Aushilfen (vergleichbar mit Ver-tretungsstellen in Deutschland); sie dürfen von der Schulleitung selbstständig
gesucht und eingestellt werden. In ZEP-Schulen, also Schulen, die aufgrund ih-rer Schülerschaft als besonders förderungswürdig charakterisiert wurden, dürfen
Schulleiter/-innen sich seit 2008 außerdem einen Teil der Lehrerschaft aussu-chen. Die Schulleitung ist zudem gemeinsam mit dem Verwaltungsbeamten für
Haushalt und Finanzangelegenheiten zuständig für die Koordination mit den
Gebietskörperschaften. Diese wurden im Zuge der Dezentralisierungsbemühun-gen geschaffen und sind für den Bau und Unterhalt und die Ausstattung der
Schulgebäude zuständig (bei colleges sind es die departements , siehe auch Ka-pitel 3.3 in dieser Arbeit).
Bis 1988 war die Schulleitungsposition in Sekundarschulen ausschließ-lich Personen mit schulischer Lehrerfahrung vorbehalten. Seitdem gilt wie zu-vor erwähnt Schulleitungspersonal nicht mehr als Lehrpersonal, sondern als se-parater Beruf mit separatem Aufgabenfeld. Während die Lehrerschaft vor-nehmlich für das Pädagogische ( pouvoir pedagogique ) zuständig und in dieser
82 3 Der französische Kontext
Hinsicht vor allen Dingen der inspection gegenüber verantwortlich sind, ist die Schulleitung für die Administration zuständig ( pouvoir administrati^ ) und findet im rectorat ihre nächsthöhere Instanz (Schulverwaltung). Basierend auf den rechtlichen Vorgaben lassen sich vier grobe Kompetenzbereiche skizzieren, in denen der Schulleiter (weitgehende) Autonomie besitzt:
• die Kompetenzbereiche des Verwaltungsrates, dem er vorsitzt. Diese umfassen z. B. die pädagogische Ausrichtung in Form des Schulpro-gramms und Schulprojekts (projet d'etablissement ), welche jedoch vom Verwaltungsrat mitgetragen werden müssen.
• einen Teilbereich der Erziehung, nämlich den Umgang mit und die Dis-ziplinarmaßnahmen in besonderen Fällen
• damit zusammenhängend die formale Aufsicht über die Schulaufsicht (vie scolaire ), allerdings nicht die pädagogische Aufsicht
• die Repräsentation der Schule nach außen.
Aus diesen Kompetenzbereichen bzw. aus dem, was diese Kompetenzen nicht umfassen, wird ersichtlich, dass der Schulleiter in vielerlei Hinsicht eine formal nicht immer klar legitimierte Position inne hat. So hat er auf das Unterrichtsge-schehen bzw. die Unterrichtsinhalte keinerlei formalen Einfluss. Darüber hinaus hat er zwar die Aufgabe, Lehrkräfte zu evaluieren, allerdings nur die administra-tiven Bereiche. 54 Diese Evaluation hat einen (wenn auch geringen) Einfluss auf die Bezahlung der Lehrkräfte, in der Praxis reicht jedoch ein einfacher Ein-spruch gegen das Ergebnis der Evaluation aus, um bei einer negativen Bewer-tung etwaige Gehaltseinbußen zu vermeiden.
Die Rekrutierung des Lehrpersonals ist nicht Teil seiner Kompetenzen, bei der Fortbildung spielt der Schulleiter nur eine untergeordnete Rolle. Einzig und allein über befristete Verträge (zum Beispiel für Vertretungslehrer, aber auch für Verwaltungspersonal) darf er in der Regel eigenmächtig entscheiden. Es muss an dieser Stelle erwähnt werden, dass es keinen öffentlich geäußerten Konsens unter den Schulleitern in der Frage der Einstellungskompetenz gibt. So hat sich die bedeutendste Schulleitergewerkschaft Frankreichs bisher nicht auf eine Position zur Einstellungskompetenzfrage festgelegt. Befürworter verlangen öffentlich diese Kompetenz, meist verbunden mit dem Argument, Schulleiter^- innen würden ihre Schulen so effektiver führen und weiterentwickeln können, da sie einen besseren Überblick über die Personalsituation hätten als die inspec-
54 Zwar muss der Schulleiter die Lehrer jährlich kontrollieren und beurteilen, jedoch nur, was ad-ministrative Belange wie zum Beispiel Pünktlichkeit und Anwesenheit angeht. Der Bewertungs-rahmen ist darüber hinaus detailliert durch das rectorat geregelt. Die sich im Gehalt der Lehrer
deutlich stärker auswirkende pädagogische Beurteilung erfolgt in unregelmäßigen Abständen
oder auf Antrag des zu bewertenden Lehrers durch die inspection ; der Schulleiter hat bei dieser Bewertung keinerlei Mitspracherecht.
3.4 Schulleitung in Frankreich 83
tion academique . Kritiker lehnen es ab, diesen Bereich in die Verantwortung der Schulleitungen zu legen, mit der Begründung, dies würde einen signifikanten
zusätzlichen Arbeitsaufwand und stärkere Konflikte mit den in Frankreich
mächtigen Lehrer-Gewerkschaften bedeuten. Die Lehrer-Gewerkschaften
schließlich beharren auf dem Status Quo und verweisen in ihrer Begründung vor
allen Dingen auf die Fach-Expertise der inspections academiques . In der inspec-tion seien für jedes Unterrichtsfach zuständige Spezialisten tätig, der Schulleiter
hingegen habe höchstens Fachkenntnisse aus einem Fach und verfüge somit
nicht über die erforderlichen Qualifikationen, um neue Lehrkräfte aus allen Fä-chern auf ihre Tauglichkeit zu prüfen, zumal er als Schulleiter keine bzw. veral-tete Unterrichtserfahrung habe.
Ein weiteres Problem ist, dass die überschaubaren Autonomiebereiche
von vielen Schulleitern bisher nicht genutzt werden. In den letzten beiden publi-zierten jährlichen Berichten zur Lage des Schulsystems bemängelt die Inspekti-on des Ministeriums für nationale Bildung ( IGEN) in diesem Kontext u. a. das Festhalten an bestehenden Strukturen seitens der Schulleitung und die Arbeit
des Verwaltungsrates (vgl. Ministere de l`education nationale, de l`enseignement
superieur et de la recherche, 2008, 2010). Meist kümmere dieser sich lediglich
um finanzielle und administrative Belange, obwohl er zusätzlich (begrenzte)
Kompetenzen bezüglich des Schulprogramms, der Fächerwahl und für manche
pädagogischen und methodischen Ausrichtungen hat. Bemängelt wird außer-dem, dass Schulleiter noch mehrheitlich in ihrer Rolle als Administratoren ver-harren und wenig Interesse an neuen Kompetenzfeldern zeigen. Der gesamte
Verwaltungsrat (ca) fülle seine Rolle nicht zeitgemäß aus; die vom Rat wahrge-nommenen Aufgabenfelder entsprächen nicht dem heute notwendigen Spek-trum.
Als problematisch wird darüber hinaus das Profil bzw. die Identität des
Schulleitungsberufes angesehen. Der Schulleiter ist sowohl Vorsitzender des Verwaltungsrates und damit Repräsentant seiner Schule und der Lehrerschaft als
auch Entsandter des Ministeriums für nationale Bildung und somit Repräsentant
des Staates. Diese Doppelrolle führt zwangsläufig zu Konflikten. Es scheint der-zeit seitens der Schulleiter jedoch keine nennenswerten Bestrebungen zu geben,
diese Konfliktsituation zu beheben, zum Beispiel durch die Bemühung um
rechtliche Grundlagen, um anderen Personen als dem Schulleiter den Vorsitz des
Verwaltungsrates zu ermöglichen. ` Die Beweggründe könnten in der Furcht vor einem möglichen Machtverlust liegen. Schließlich sind als Problemfeld die den
Schulleiter umgebenden professionellen Strukturen zu nennen. So sind Schulun-gen, die den Schulleitern ihre Autonomie und die damit verbundenen Möglich-keiten erläutern, bisher selten. Auch existierte bis 2010 kein offizielles Netz-
" Dies ist aufgrund von Sonderregelungen an einigen Landwirtschaftsgymnasien möglich.
84 3 Der französische Kontext
werk, 56 in dem Schulleiter/-innen berufliche Erfahrungen austauschen konnten.
So erscheint der Status der Schulleitung derzeit unklar: einerseits eine vom Bil-dungsministerium genehmigte, ja, genauer gesagt, sogar diktierte Autonomie,
andererseits ein ausgeprägter Mangel an Information und ein hohes Maß an
Fremdsteuerung. Schulleiter/-innen sind in Frankreich seit 2001 unverbindlich dazu an-
gehalten, mindestens alle sieben Jahre die Schule zu wechseln und verpflichtet,
dies alle neun Jahre zu tun (vgl. P^lage, 2003, S. 26). Laut den Statistiken des
französischen Bildungsministeriums waren 2009 ca. 75% der Schulleiter/-innen
weniger als neun Jahre an ihrer Schule, ca. 40% weniger als fünf Jahre (Ministe'- re de l`education nationale, de l`enseignement supe'rieur et de la recherche &
Chudeau, 2010, S. 29f). Wie diverse europäische Länder (vgl. OECD, 2008a, S. 158f) hat auch
Frankreich mit sinkenden Bewerberzahlen für Schulleitungsposten zu kämpfen, allerdings hauptsächlich im Grundschulbereich. Die bereits erwähnte Öffnung
für Quereinsteiger stellte eine Maßnahme des Bildungsministeriums dar, um
diesem Schwund entgegenzuwirken. Die Situation bleibt im Grundschulbereich dennoch angespannt, was dazu führt, dass dort einige Schulleiter/-innen zwei
Schulen leiten, eine davon meist kommissarisch. Auf der Ebene der Sekundar-schulen kann der Bedarf hingegen derzeit gedeckt werden. Die gestiegenen Be-lastungen haben wie bereits erwähnt zu einer wachsenden Unzufriedenheit des
vorhandenen Schulleitungspersonals geführt. Kritikpunkte sind außerdem man-gelnde „echte" Autonomie und die von vielen als unfair empfundene Besol-dungsstaffelung (gestaffelt wird nach Schulgröße und Hochschulabschluss, im
ungünstigsten Fall kann ein Schulleiter ungefähr genauso viel verdienen wie ein
an seiner Schule tätiger Lehrer, bei in der Regel höherer Arbeitsbelastung und
formal anderer Position in der Hierarchie). Der letzte Punkt wurde jedoch im Jahre 2001 durch Veränderungen in der Besoldungsordnung leicht entschärft. Das Durchschnittsalter des Schulleitungspersonals betrug 2009 gerundet 52 Jah-re (Ministe're de l`education nationale, de l`enseignement supe'rieur et de la re-cherche & Chudeau, 2010, S. 21) und nimmt konstant zu. Jedes Jahr beantragt
darüber hinaus ca. ein Drittel des Schulleitungspersonals eine Versetzung an
eine andere Schule. Obgleich es hierfür eine Vielzahl an Gründen geben mag (z. B. Versetzungswunsch an eine größere und/oder vermeintlich prestigeträchti-gere Schule, die Pflicht, alle neun Jahre die Schule zu wechseln), wird dies in
56 Seit 2010 existiert die Internet-Plattform «Pairform@nce», welche als E-Learning-Plattform
konzipiert wurde und von der DGESCO ( direction g^n^rale de l'enseignement scolaire ) betrie-ben wird. Ein von der ESEN (e cole sup^rieure de l'^ducation nationale , dt. Zentrale staatliche Hochschule für die Aus- und Fortbildung von Führungskräften im Erziehungswesen, ähnlich den
deutschen Landesinstituten) verwalteter Teil dieser Plattform dient dem Austausch und dem Bil-den sowie Pflegen von professionellen Netzwerken von Schulleitern (vgl. tcole superieure de
l`education nationale, de l`enseignement superieur et de la recherche, 2011).
3.4 Schulleitung in Frankreich 85
den Medien als ein Zeichen der Unzufriedenheit vieler Schulleitungspersonen
gedeutet. Einige Experten sehen in den kommenden Jahren das Risiko eines
Schulleitermangels (vgl. Albanel, 2009), zumindest auf Ebene der Sekundar-schulen gibt es derzeit jedoch keine Anzeichen hierfür.
Bezüglich der beruflichen Hintergründe der Schulleiter/-innen hat es in
den letzten Jahrzehnten Veränderungen gegeben. So ist die Anzahl der Berufs-einsteiger mit einer agregation (höherwertiger Hochschulabschluss) über die Jahre zwar relativ konstant geblieben, die Anzahl der Berufseinsteiger mit einem
CAPES (regulärer Hochschulabschluss für angehende Lehrkräfte, vergleichbar mit einem Master ofEducation oder Staatsexamen) jedoch um fast 100% gestie-gen. Auch haben viele Grundschullehrer/-innen den Einstieg in die Schulleitung
eines coll^ge oder lycee als berufliche Aufstiegsmöglichkeit entdeckt und
schlagen diesen Weg verstärkt ein. Unverändert ist der Anteil an neuen Schul-leitungspersonen, die zuvor im Bereich der vie scolaire tätig waren. Schullei-tung ist also keineswegs ein so unattraktives Berufsfeld wie zunächst angedeu-tet. Insbesondere für Personen mit „niedrigem" Hochschulabschluss und Perso-nen aus dem Grundschulbereich, welche weniger verdienen als Lehrer an Se-kundarschulen, wird die Schulleitung als Aufstiegsmöglichkeit wahrgenommen.
Mit dem zunehmenden Anteil an Personen ohne agregation erfolgt auch eine Diversifizierung der Schulleitungskultur. Früher war das Berufsbild des idealen
Schulleiters das eines erfahrenen, hochqualifizierten Spezialisten (weshalb die
agregation als höchstmöglicher Abschluss auf diesem Gebiet quasi Pflicht war),
heutzutage ist es diffuser oder — positiver formuliert — diversifizierter. Da das
Lehrpersonal jedoch keine Diversifizierung durchgemacht hat und die Erwar-tungen seitens der Lehrerschaft an die Schulleitung relativ unverändert geblie-ben sind, wird verstärkt eine Änderung der Ausbildung der Schulleitung in
Frankreich eingefordert, um größeren Wert auf die Identitätsstiftung und die
Stärkung der pädagogischen Führungs- bzw. Leadership-Tätigkeit zu legen (vgl.
Mudry, 2010).
3.4.2 Auswahlverfahren und Ausbildung von Schulleitungskräften in Frank-reich
In Frankreich wird der überwiegende Großteil der künftigen Schulleiter/-innen
durch eine Zulassungsprüfung im Wettbewerbsverfahren ( concours ) bestimmt (vgl. Ministere de l`Education Nationale, 2012a). Die Anzahl der zugelassenen
Personen richtet sich nach der Anzahl voraussichtlich benötigter Schulleitungs-kräfte. Jede Person, die die Zulassungsprüfung besteht, hat somit einen Platz als
Schulleitungs-Anwärter/-in sicher. Dieser Wettbewerb ist national und steht al-len qualifizierten Lehrkräften offen (vgl. Lefebvre et al., 2009, S. 97ff). Er be-
86 3 Der französische Kontext
steht aus einer vierstündigen schriftlichen Prüfung, in welcher sich die Kandida-ten mit einem ihnen zuvor unbekannten Szenario oder Fall aus dem schulischen
Kontext auseinandersetzen müssen. Die Kandidaten, die am besten abschließen,
werden anschließend zu einem mündlichen Assessment eingeladen, welches in
der Regel eine Stunde dauert. Dort stellen die Kandidaten zunächst ein Expose
ihrer fachlichen Qualifikationen vor (15 Minuten), anschließend folgt ein Inter-view. Die Jury besteht aus Vertretern des Bildungsministeriums. 2011 bewarben
sich insgesamt 4404 Personen, 728 erhielten einen Platz als Anwärter/-in, dar-unter 405 Frauen; das Durchschnittsalter der erfolgreichen Bewerber/-innen be-trug 42 Jahre (vgl. Ministere de l`education nationale, de l`enseignement
superieur et de la recherche & Chudeau, 2012, S. 53ff).
2011 insgesamt vergebene Plätze 843
durch Zulassungsprüfung vergebene Plätze 728
durch Kriterienliste vergebene Plätze 53
durch Abordnung vergebene Plätze 62
Tabelle 5: Kennzahlen der Rekrutierung von Schulleitungspersonal in Frankreich 2011
(nach Ministere de l^ ducation nationale, de l^enseignement superieur et de la recherche & Chu-deau, 2012, S. 53)
Darüber hinaus werden jährlich wenige Plätze (ungefähr ein Fünfzehntel der zur
Verfügung stehenden Plätze) anhand einer Eignungsliste ( liste d'aptitude ) an Be-werber/-innen vergeben, die bereits lange als Lehrkräfte im Dienst sind (in der
Regel mindestens fünf Jahre, häufig auch zehn). Bewerber/-innen für einen
„Listenplatz" brauchen nicht an der regulären Zulassungsprüfung teilzunehmen,
sondern werden ausschließlich anhand ihres Lebenslaufes bewertet und ggf. se-lektiert. Schließlich steht hauptsächlich höheren Beamten aus anderen Berei-chen, insbesondere solchen, die eine Verwaltungstätigkeit auf gehobener Ebene
ausüben, die Möglichkeit offen, sich zum Schulleiter bzw. zur Schulleiterin ab-ordnen zu lassen. Diese wird allerdings eher selten in Anspruch genommen, so
dass sie bei der Gesamtbetrachtung des Rekrutierungswesens vernachlässigt
werden kann. Tabelle 5 bietet eine Übersicht über die Verteilung der Plätze im
Jahre 2011. Nach erfolgreicher Zulassungsprüfung werden die Schulleiter-Anwär-
ter/-innen formal vom Bildungsministerium berufen und arbeiten von Anfang an
voll an den Schulen, in der Regel als stellvertretende Schulleitungskräfte. Im
Laufe des ersten Jahres absolvieren sie mehrere Fortbildungen, die von staatli-chen Institutionen durchgeführt werden, jeweils einen halben bis ganzen Tag
dauern und zusammengerechnet 36 Tage umfassen. Anschließend werden die
Anwärter/-innen vorläufig zu Schulleitungskräften ernannt. Innerhalb von zwei
Jahren nach Abschluss des ersten Jahres müssen die Schulleiter/-innen außer-
3.4 Schulleitung in Frankreich 87
dem an einem zweiwöchigen Intensivkurs teilnehmen und weitere Fortbildun-gen besuchen (vgl. Ministe're de l`Education Nationale, 2011a), anschließend
werden sie dauerhaft zu Schulleitungskräften ernannt.
Zu Beginn ihrer Tätigkeit erhalten Schulleiter vom Bildungsministeri-um, vertreten durch den recteur , einen „Missionsbrief' ( lettre de mission ). In diesem Missionsbrief werden — in der Regel in Absprache mit dem Schulleiter —
Ziele für die kommenden Jahre dargelegt, z. B. die Verbesserung der Qualität
der Lehre gemäß bestimmter Indikatoren. Mittel und Wege zur Umsetzung wer-den bewusst nicht genannt, um dem Schulleiter Freiraum zu lassen (vgl. Mi-niste're de l`Education Nationale, 2011 c). Bei Entscheidungen bezüglich Beför-derungen und Schulversetzungen von Schulleitern spielt die Evaluation des
Missionsbriefes inzwischen eine signifikante Rolle (vgl. Lefebvre et al., 2009,
S. 101f). Sobald der Schulleiter die Schule wechselt, seine Ziele erfüllt hat oder
die Frist zur Umsetzung der Ziele abgelaufen ist, erhält er einen neuen Missi-onsbrief.
3.5 Schulentwicklung und Leadership in Frankreich
Der französische Schulentwicklungsdiskurs ist als endogen zu charakterisieren,
also als überwiegend aus dem innerfranzösischen Forschungsdiskurs heraus ge-wachsen. Austausch und länderübergreifende Forschungen sind primär in Form
von Kooperationen mit Belgien, Kanada und der Schweiz zu beobachten, außer-dem besteht eine signifikante Kooperation mit der internationalen Forschungs-gemeinde im Rahmen von OECD-Aktivitäten. Der ursprünglich amerikanische
und inzwischen als international anzusehende Schulentwicklungsdiskurs mit sei-nen school effectiveness - und school improvement -Paradigmen hat in Frankreich
bisher keine nennenswerte Verbreitung gefunden. Ebenso haben sowohl der Be-griff Leadership als auch damit verbundene Modelle und Konzepte kaum Ein-zug in den französischen wissenschaftlichen Diskurs gehalten. Dabei ist es kei-neswegs so, dass Leadership-Konzepte unbekannt sind, sie haben bisher ledig-lich keinen besonderen Stellenwert im wissenschaftlichen Diskurs erhalten (eine
ausführliche und kritische Diskussion des Begriffs, gefolgt vom Urteil, dass die - ser für den französischen Diskurs nicht tauglich sei, findet sich z. B. bei Lecler-cq, 2005).
Verglichen mit den USA, England und Deutschland ist das Forschungs-interesse an Schulleitung in Frankreich eher gering. Hierfür erscheinen mehrere
Erklärungen plausibel: Einerseits ist der gesamte universitäre Schulforschungs-bereich bisher in Frankreich nicht so stark ausgeprägt. Darüber hinaus scheint es
— gerade, wenn es um die Publikationen von Forschern älteren Jahrgangs geht —
eine Sprachbarriere zu geben. Die meisten Publikationen erscheinen ausschließ-
88 3 Der französische Kontext
lich auf Französisch, auch wenn dies bei Jungforschern weniger der Fall zu sein
scheint. In jedem Falle lässt sich jedoch feststellen, dass bisher keine bedeuten-den Studien zur Schulleitung bzw. zu Leadership-Aspekten von Schulleitung aus
dem französischen Raum in geläufigen englischsprachigen Fachzeitschriften er-schienen sind. Artikel von französischen Forscherinnen und Forschern sind in
den einschlägigen amerikanischen sogenannten "high impact journals " zu edu-cational leadership wie dem Educational Administration Quarterly oder dem Journal of Educational Administration nicht vorhanden. Speziell auf Schullei-tung und Schulentwicklung bezogen sind sehr wenige genuin französische Stu-dien verfügbar (und auch nur in französischer Sprache erschienen). Wichtige
Forschungsarbeiten der jüngeren Vergangenheit sollen nachfolgend kurz vorge-stellt werden, um ein Bild von der Entwicklung und vom Stand des Forschungs-diskurses zu vermitteln: 57
1998 versuchte Yves Grellier ein möglichst umfassendes wissenschaft-liches Portrait der Schulleitung in Frankreich zu erstellen (Grellier, 1998). Hier-zu wertete er offizielle Berichte und Evaluationen des Bildungsministeriums so-wie statistische Daten zur Schulleitung aus. Darüber hinaus führte er halb-struk-turierte Interviews mit Schulleitern, Schulinspektoren und Lehrern. Einer der
wichtigsten Schlüsse, die Grellier aus seinen Analysen zog, war, dass die Aus-bzw. Fortbildungspraktiken für Schulleiter/-innen in Frankreich nicht den verän-derten Anforderungen an die Schulleitung Rechnung trugen. Er kritisierte dar-über hinaus, dass viele Schulleiter/-innen nicht den Professionalisierungsgrad
hätten, der nötig sei, um die bereits beschlossenen und die sich 1998 anbahnen-den Reformen der Schulleitung zu verwirklichen. Auf Basis seiner Untersuchun-gen erschien ihm der Begriff der „Autonomie der Schule" als unzutreffend, da
Grellier konstatierte, dass die Schulleitungen in ihrer Autonomie stark durch
Rahmenvorgaben und Kontrollen eingeschränkt waren. Schließlich forderte er
eine Klarstellung und Fokussierung des Schulleitungsberufes, da aus seiner
Sicht die Aufgabenprofile von Schulleiter und stellvertretendem Schulleiter im
Laufe der Zeit durch Reformen „überladen" und somit verwässert wurden. 2011
veröffentlichte Grellier eine Neuauflage seiner Studie, in der er in vielen Berei-chen zu ähnlichen Befunden gelangte (Grellier, 2011).
2003 veröffentlichte die Soziologin Agnes Pelage eine Analyse der
Evolution der Schulleitung in Frankreich zwischen 1980 und 2002 (Pelage,
2003). Sie kam zu dem Schluss, dass sich das Bild der Schulleitung mehr und
mehr in Richtung Management, Evaluation und Mobilisierung wandele. Von
Schulleitungen werde seitens der Behörden und des Ministeriums erwartet, dass
sie in der Lage sind, eine Evaluationskultur an ihrer Schule aufzubauen und zu
57 Die geringe Ausprägung der pädagogischen bzw. erziehungswissenschaftlichen Forschung wird
u. a. dadurch verdeutlicht, dass viele der hier vorgestellten französischen Studien aus der Sozio-logie stammen.
3.5 Schulentwicklung und Leadership in Frankreich 89
pflegen und dass sie die Mitarbeiter der Schule mobilisieren können, neugewon-nene Spielräume (im Zuge der gestiegenen Autonomie der Schule) auszunutzen.
Pelage mahnte an, dass die proklamierte neue Schulführungskultur bisher kaum
Einzug in die Schulen gehalten hätte; viele Schulleiter/-innen hätten ihre Ar-beitsweisen in den letzten Jahrzehnten kaum oder überhaupt nicht geändert. Sie
argumentierte, dass Relikte aus der Vergangenheit (gemeint waren Arbeitswei-sen und Berufsbilder) weiterhin in den Köpfen vieler Lehrer und Schulleiter do-minierten und zum Teil auch noch im rechtlichen Rahmen existierten (so wür-den beispielsweise die Kompetenzen und Aufgaben der Lehrer und des päd-agogischen Beratungspersonals im Zuge der Reform der Schulleitung nicht re-formiert).
2005 untersuchte Yves Dutercq den Stand der Schulleitung in Frank-reich. Er kam zu dem Schluss, dass es sich um eine „mutierende" Berufsgruppe
handelte, welche zwischen einem Modell der traditionellen Bürokratie und einer
Form der modernen Organisation navigiere (Dutercq, 2005, S. 132). In einer weiteren Studie, einer Metaanalyse von Studien zum Schulwesen in Frankreich
zwischen 1980 und 2004, stellte Dutercq fest, dass den Schulleitungen im Laufe
der Zeit kontinuierlich neue „Felder der Autorität" zugesprochen wurden. Er
charakterisierte die Schulleitung als sich im Übergang von Verwaltung zu neuen
Formen der Führung (« pilotage ») befindend (Dutercq, 2006).
Die Soziologin Anne Barrere kam 2006 zu einem ähnlichen Befund.
Für ihre Studie befragte sie 43 Schulleiter zu ihren Pflichten und ihrer Arbeit.
Darüber hinaus beobachtete sie in Intervallen einen Schulleiter und seinen Stell-vertreter ein Jahr lang an einem coWge . Sie identifizierte administrative Arbeit,
Beziehungsarbeit und „Entscheidungsarbeit" (das Treffen von Entscheidungen
über die Ausrichtung der Schule auf kurz- und langfristiger Ebene) als die drei
wichtigsten Handlungsfelder der Schulleitung in Frankreich. Auch sie konsta-tierte, dass die Schulleitung sich in einer Phase der Evolution befinde, welche
von Schulleitern verlange, flexibler, weniger bürokratisch und mit einer stärke-ren Präsenz zu agieren (Barrere, 2006, S. 162fi). Allerdings stellte Barrere auch
fest, dass die Schulleiter in ihrer Arbeit widersprüchlichen Temporalitäten oder
„Zeitlichkeiten" (« temporalites ») ausgesetzt seien. Mit diesem Begriff um-schrieb sie mehrere, in ihrer Intensität sowie Priorität konkurrierende „Zeitlich-keiten", welche oftmals im Widerspruch zueinander standen. So existierten ihr
zufolge einerseits eine schulformspezifische Zeitlichkeit, die feste Rhythmen
und Abläufe mit sich brachte (z. B. Zeugniskonferenz vor den Ferien), anderer-seits eine Zeitlichkeit der Dringlichkeit, welche extern (z. B. ein überraschender
Besuch der inspection academique ) oder intern beeinflusst sein konnte sowie
eine Zeitlichkeit des Projekts, welche laut Barrere auf die wachsenden Anforde-rungen im Rahmen der Autonomie der Schule zurück zu führen sei (vgl. Barre-re, 2006, S. 41 ff).
90 3 Der französische Kontext
Der Historiker Antoine Prost untersuchte 2006 die Kapazität des fran-zösischen Schulsystems und seiner Akteure, insbesondere der Schulleitung, zur
Veränderung aus der Perspektive eines Historikers (Prost, 2006). Sein Fazit lau-tete, dass Schulleiter/-innen in Frankreich einer Kultur ausgesetzt seien, welche
als innovationshemmend zu charakterisieren sei. Schulleiter müssten ihm zufol-ge zwei wichtige Hürden überwinden, um ihre Schulen zu entwickeln: Wider-stand von Individuen auf der Ebene der Schule (in der Regel aus der Lehrer-schaft) und Widerstand des Systems, welches trotz aller Dezentralisierungsbe-mühungen immer noch stark auf großflächige top -down -Reformen ausgerichtet sei.
Wie eingangs erwähnt, spielen zentrale Begriffe der internationalen
Schulentwicklungsforschung wie school improvement , school effectiveness und Leadership im französischen Diskurs bisher keine nennenswerte Rolle, auch wenn es zaghafte Anzeichen gibt, die auf eine Öffnung der französischen For-schung zu diesen Begriffen und den damit verbundenen Konzepten hindeuten (vgl. beispielsweise Endrizzi & Thibert, 2012; Lillistone, 2010; Lüthi, 2010;
Normand, 2010). 58 Trotzdem ist festzuhalten, dass es gegenwärtig unklar ist, ob
die englischen Begriffe und Konzepte ultimativ Einzug in die französische
Schulforschung halten werden oder ob weiterhin eigene Begrifflichkeiten domi-nieren werden.
3.6 Pilotage vs. Leadership
Mag der Leadership-Begriff im französischen Bildungskontext wie dargestellt
keine bedeutende Rolle spielen, so gibt es einen Begriff, der genuin französisch
ist und dabei einige Ähnlichkeiten mit Leadership aufweist. Er beschreibt eine
Führung, die über die bloße Verwaltung des Status Quo hinausgeht. Es handelt
sich dabei um den französischen Begriff pilotage und das damit zu-sammenhängende Verb piloter ; beide Begriffe sind von dem Begriff pilote abge-leitet, also dem Piloten. Ursprünglich wurde der französische Begriff pilote dem italienischen pilota (Kapitän, Lotse, Lokomotivführer, später auch Pilot) ent-lehnt, welches wiederum vom griechischen iM8ov (pedon , „Ruder" bzw. „Steu-erruder") abstammt (Centre National de Ressources Textuelles et Lexicales,
2012). Pilotage umschreibt im Führungs- und Management-Kontext die Kunst,
ein Unternehmen oder ein Team zu steuern oder zu lenken und wird häufig als
Gegensatz oder als Neuerung gegenüber der bloßen Verwaltung gebraucht. Stark
vorherrschend ist das Bild der Führungskraft als Steuerperson. Die im Deut-schen geläufigeren Begriffe „führen" und „leiten" sowie die im Englischen ge-
58 Ein weiteres Indiz hierfür stellt die bisher letzte große Bildungskonferenz in Lyon dar. Sie fand
im Juni 2012 unter dem Titel «La question du leadership» („Die Frage nach Leadership") statt.
3.6 Pilotage vs. Leadership 91
läufigen "to manage" (urspünglich „handhaben", "to manage" lässt sich bis zu
mano [Hand] zurückführen, vgl. Harper, 2012a) und "to lead" (lässt sich auf Alt-englisch und Urgermanisch zurückführen, Bedeutung lässt sich am ehesten mit
„losfahren" und „zur Bewegung veranlassen" wiedergeben, vgl. Harper, 2012b)
umschreiben eine ähnliche Tätigkeit, jedoch mit anderen Bedeutungsnuancen.
So wird bei "to manage" eher das Machen an sich betont, bei "to lead" das Be-wegen bzw. das Animieren zur Bewegung.
Eine breite Analyse und Diskussion des Begriffes pilotage und der da-mit verbundenen Vorstellungen und Modelle würde den Rahmen dieser Arbeit
sprengen und wäre auch dem Ziel der Arbeit nicht dienlich. Stellvertretend für
die in Frankreich sehr lebendige Untersuchung und Diskussion des Begriffs und
seiner Facetten (vgl. beispielsweise Audigier, Crahay & Dolz, 2006; Fort & Re-verchon-Billot, 2006; Reiss, 2010; Tilman & Ouali, 2001) seien folgende zwei
Beschreibungen exemplarisch kurz vorgestellt:
„,Pilotage` umfasst das Verwalten und das Setzen von Zielen, das Treffen von Ent-scheidungen, damit Umsetzungen zu Ergebnissen führen, die den Zielsetzungen entsprechen. Allerdings werden Entscheidungen nicht unwiderruflich getroffen und ,pilotage` beinhaltet
somit auch eine selbstregulierende Komponente [...]" (Pair, 2007, S. 102, Übersetzung des
Verfassers).
„ [in Abgrenzung zur Administration] lässt ,Piloter` dem Schulleiter einen Ermessens- und
Handlungsfreiraum. [ ... ] Entscheiden nach Vorschrift konstituiert eher administratives Han-deln. Evaluieren ist hingegen Teil der Handlungen von ,pilotage` (Chapon, 2008, S. 28, Über-setzung des Verfassers).
Gerade der Erklärungsversuch von Pair weist eine deutliche inhaltliche Nähe zu
Merkmalen, die auch mit Leadership assoziiert werden, auf. Das eigenständige
Setzen von Zielen sowie die Möglichkeit, Ziele und Wege eigenmächtig zu
überdenken und zu ändern stehen im Gegensatz zum geläufigen Verständnis
schulischer Administration und charakterisieren sowohl Leadership als auch pi-lotage . Dennoch sollten beide Begriffe nicht gleichgesetzt werden bzw. vor ei-ner etwaigen Gleichstellung unbedingt eingehender geprüft werden. Gerade weil
beide Begriffe auf Anhieb Ähnlichkeiten aufweisen besteht das Risiko „kulturel-ler Isomorphen" ("cultural isomorph", vgl. Moos, 2002). Beschrieben wird da-mit das Phänomen, dass zwei oder mehrere Kulturen scheinbar gleiche Vorstel-lungen über ein mit einem bestimmten Kernbegriff verbundenes Modell oder
Konzept, zum Beispiel Schulentwicklung, besitzen, sich bei näherer Betrach-tung jedoch herausstellt, dass aufgrund kultureller Eigenheiten und kulturspe-zifischer Entwicklungen je nach Land ein Konzept oder Begriff anders nuanciert
verstanden wird und es somit leicht zu interkulturellen Missverständnissen
92 3 Der französische Kontext
kommt. '9 In dieser Arbeit wird daher darauf verzichtet, pilotage und school im-provement bzw. Schulentwicklung gleichzusetzen.
3.7 Zusammenfassung
In diesem Kapitel wurde der für die Arbeit relevante französische Kontext erar-beitet. Dabei wurde zunächst ein kurzer Überblick über das französische Schul-system gegeben. Das coll^ge , welches in dieser Arbeit als einzige französische
Schulform untersucht wird, wurde anschließend näher beleuchtet. Die Aufarbei-tung der Entwicklung des coll^ge verdeutlichte das Streben nach gleicher Bil-dung für alle als fundamentales Prinzip des französischen Schulwesens. Es folg-te einer Erörterung des Schulleitertums in Frankreich. Strukturelle Grundmerk-male französischer Schulleiter/-innen an Sekundarschulen waren beispielsweise
ihre exklusive Tätigkeit als Leiter/-innen sowie die Unterstützung durch einen
Buchhalter und einen pädagogischen Berater. Weitere Merkmale waren die seit
den 1980er Jahren existierenden Dezentralisierungsbemühungen des französi-schen Schulwesens, welche eine Zunahme der Autonomie an den einzelnen
Schulen und somit eine Änderung des Berufsprofils der Schulleitung zur Folge
hatten. Während im aktuellen offiziellen Berufsbild der Schulleitung in Frank-reich von Schulleitern gefordert wird, Motoren der Dynamik der schulischen In - novation zu sein, wird schulischer Innovation und Schulentwicklung in den tat-sächlichen Beschreibungen jenes Berufsbildes kein bedeutsamer Platz einge-räumt.
Eine Analyse des jüngeren wissenschaftlichen Diskurses der französi-schen Schulleitungsforschung offenbarte zunächst, dass dieser Forschungsbe-reich in Frankreich bisher geringer ausgeprägt ist als beispielsweise in Deutsch-land oder den USA. Auffällig ist darüber hinaus der hohe Anteil an Arbeiten, die
der Soziologie zugeordnet werden. Schulleitung wird in Frankreich derzeit als in
einer Übergangsphase gesehen, die Ähnlichkeiten zu Entwicklungen aufweist, welche im Deutschen meist mit dem Schlagwort „vom Verwalten zum Gestal - ten" umschrieben werden (siehe beispielsweise Schratz, 1998). Diese Über-gangsphase mag ein Grund dafür sein, weshalb sich aus Forschungssicht ein eher diffuses Bild der Schulleitung darstellt. Sie mag weiterhin als Erklärung da-für taugen, warum immer wieder Stimmen laut werden, die eine Klarstellung
des Berufes und seiner Handlungsfelder fordern. Im Zuge der Dezentralisierung, damit einhergehenden Autonomie und Veränderung des Schulleitungsberufes rückt auch der Begriff pilotage immer stärker ins Licht. Dieser Begriff ist seit
einiger Zeit verstärkt im französischen Diskurs um Schulleitung und die Verän-
'9 Ein weiteres Beispiel wäre der deutsche Bildungsbegriff, der auf Anhieb dem Englischen 'educa- tion`zu entsprechen scheint, bei tiefgreifender Analyse jedoch nur zum Teil deckungsgleich ist.
3.7 Zusammenfassung 93
derung von Schule präsent. Der letzte Teil dieses Kapitels widmete sich daher
einer Gegenüberstellung von pilotage und Leadership. Hierbei wurden einige
Parallelen zwischen beiden Begriffen erkennbar, insbesondere die Abgrenzung
beider Begriffe zu Administration.
4 Empirischer Teil
In diesem Kapitel soll das verwendete Forschungsdesign vorgestellt, begründet
und reflektiert werden. Dies umfasst die Darstellung und kritische Würdigung
der verwendeten Methodenkombination sowie eine ausführliche Präsentation
der Datenquellen.
4.1 Design und Methoden
Bei der Untersuchung von Schulleitungen im europäischen Raum wird derzeit
eine methodische Armut beklagt: Datenerhebungen erfolgen häufig per Frage-bogen mit überwiegend geschlossenen Fragen und Fragen mit Ratingskalen
(vgl. Huber, 2011a; Skedsmo et al., 2011). Offene(re) Fragen wie „Wie unter-scheidet sich Schulleitung in x von Schulleitung in y?" oder „Wie wird Schul-entwicklung in x verstanden und betrieben?" sind auf diese Weise nur schwer zu
eruieren. Dies mag daran liegen, dass sie quantitativ nicht einfach zu erfassen
bzw. zu beantworten sind. Vergleichende Fallstudien ( multiple-case studies ) er-scheinen geeigneter, sich solchen Fragen empirisch zu nähern.
Die Fallstudie ist grundsätzlich den qualitativ orientierten Studien zu-zuordnen, wobei sie von manchen Forschern auch mittig zwischen den quantita-tiven und qualitativen Methoden eingeordnet wird (vgl. beispielsweise Bor-chardt & Göthlich, 2006, S. 39). Andere wiederum sehen die Fallstudie als einen
zunächst neutralen Ansatz, der sowohl in qualitativ als auch in quantitativ orien-tierten Forschungsbemühungen Verwendung findet (dort aber eher mit einer ge-ringeren Akzeptanz, vgl. Lamnek, 2010, S. 276ff). Für diese Arbeit ist folgende
Definition maßgeblich:
"A case study is an empirical inquiry that investigates a contemporary phenomenon within its
real-life context, especially when the boundaries between phenomenon and context are not
clearly evident. [ ... ] The case study inquiry copes with the technically distinctive situati on in
which there will be many more variables of interest than data points, and as one result relies in
multiple sources of evidence, with data needing to converge in a triangulating fashion, and as
another result benefits from the prior development of theoretical propositions to guide data
collection and analysis" (Yin, 2002, S. 13f).
4.1 Design und Methoden 95
Die Fallstudie wird somit als empirische Studie begriffen, die ein gegenwärtiges
Phänomen innerhalb seines Kontextes zu erforschen sucht. Als besonders geeig-net wird die Fallstudie dann angesehen, wenn die Grenzen zwischen Phänomen
und Kontext diffus verlaufen. Ziel ist die Exploration der Arbeit französischer
Schulleiter/-innen. Die soziale Wirklichkeit soll so gut wie möglich abgebildet,
die Phänomene, die von Forschungsinteresse sind, so umfassend wie möglich in
ihrem Kontext erfasst werden (vgl. Albers, 2007, S. 36f; Yin, 2002, S. 109ff).
Da nicht nur eine Schule, sondern fünf Schulen untersucht werden, handelt es
sich bei dieser Studie um eine vergleichende Fallstudie ( multiple-case design ). Der Vorteil gegenüber einer Einzelfallstudie liegt in der Möglichkeit, gewonne-ne Erkenntnisse untereinander zu vergleichen und somit Ähnlichkeiten und Un-terschiede auszuarbeiten. Dies kann zu zuverlässigeren, umfassenderen Ergeb-nissen führen (vgl. Borchardt & Göthlich, 2006, S. 40), nachteilig ist ein dispro-portional hoher Mehraufwand.
Die vergleichende Fallstudie in dieser Arbeit folgt einer Replikationslo-gik. Im Kontext dieser Arbeit ist damit gemeint, dass mit einer Methodenkom-bination fünf Fälle untersucht werden; die Methodenkombination wird also
fünfmal repliziert. Dabei sollten Fälle so ausgewählt werden, dass sie ähnliche
Charakteristika besitzen und somit der Wahrscheinlichkeit nach zu ähnlichen
Resultaten führen ( literal replication ) oder so, dass sie zu divergierenden Ergeb-nissen führen, die jedoch im Voraus theoretisch fundiert absehbar sind ( theoreti-cal replication , vgl. Miles & Huberman, 1999, p. 29; Yin, 2002, p. 47f). Da die
vorliegende Arbeit einen explorativen Charakter hat, wurde eine literal replica-tion , also eine getreue Replikation angestrebt. Dazu wurden Schulen aus einer
beschränkten Region ausgewählt, die ähnliche Strukturmerkmale aufweisen. 60
Dies scheint auf Anhieb im Widerspruch zu vorherrschenden Auffassungen von
Fallstudien zu stehen; dort wird eine explorative Fallstudie zur Erkundung un-bekannter Umstände in der Regel als Einzelfallstudie angesehen. Vergleichende
Fallstudien mit Replikationslogik werden hingegen eher für bereits (teil-)er-forschte Umstände als angemessen erachtet, da der Forscher hierfür im Vorfeld
eine fundierte Hypothese bezüglich der zu replizierenden Ergebnisse besitzen
sollte. Dieser Widerspruch lässt sich jedoch durch Änderung der Perspektive
auflösen. So kann die Exploration von fünf Schulleitern, die an strukturell ähnli-chen Schulen in einer Region arbeiten, als eine Einzelfallstudie angesehen wer-den (der Fall wäre dann eine Gruppe, bestehend aus fünf Schulleitern aus einer
Region) oder als vergleichende Fallstudie mit fünf Fällen (ein Fall wäre dann ei-ner der fünf Schulleiter); in beiden Fällen wäre das Ziel die Exploration. In die-ser Arbeit wird der Forschungsansatz als eine explorative, vergleichende Fallstu-die mit fünf Fällen und Replikationslogik betrachtet (vgl. hierzu auch Baxter & Jack, 2008, S. 549). Für die vorliegende Studie wurden ähnliche Schulen aus ei-
60 Weitere Ausführungen zur Auswahl des Samples finden sich in Kapitel 4.6 dieser Arbeit.
96 4 Empirischer Teil
ner Region ausgewählt. Die Anzahl von fünf zu untersuchenden Fällen orientiert
sich an den Empfehlungen von Kathleen Eisenhardt zur Durchführung von Fall-studien (vgl. Eisenhardt, 1989, S. 545).
Schülerleistungen wurden in dieser Untersuchung nicht berücksichtigt.
Dieser Entschluss rührt primär aus dem gegenwärtigen Stand der Forschung:
Während kaum jemand den signifikanten Einfluss des Schulleiters auf das ge-samte Schulgeschehen an sich bezweifelt, erweist sich ein direkter kausaler Zu-sammenhang zwischen Schulleitung und Schülerleistung, z. B. in Form von
Schulnoten oder Testergebnissen, bisher als schwierig nachweisbar, in jedem
Fall jedoch nicht erschöpfend erwiesen. Empirisch stärker gestützt ist die Auf-fassung, dass Schulleiter/-innen einen indirekten Einfluss auf die Leistungen der
Schülerinnen und Schüler haben (vgl. beispielsweise die ausführlichen Metastu-dien von Hallinger & Heck, 1996b, 1998). Ertragreicher für die vorliegende Ar-beit erscheint deshalb die Untersuchung des Einflusses der Schulleiter/-innen
auf die Schule als Ganzes, insbesondere auf Schulentwicklungsprozesse. Dar-über hinaus ist der Entschluss auch mit begrenzten Ressourcen zu begründen.
Forscher/-innen sind oft gezwungen, aufgrund begrenzter Ressourcen gewisse Einschränkungen in ihrer Forschung hinzunehmen. Je nach Forschungsdesign
ist z. B. eine Reduzierung der Sample-Größe oder der Studiendauer möglich.
Ebenso bietet sich in manchen Fällen eine Reduzierung der zu erfassenden Va-riablen an. Im Kontext der Schulleitungsforschung wird häufig versucht, Zu-sammenhänge zwischen Schulleitung und Schülerleistungen aufzuzeigen. Da
diese Beziehung allerdings bis heute wie bereits beschrieben noch nicht ein-deutig erforscht ist und ihre Ergründung eine zusätzliche hohe Belastung der
vorhandenen Ressourcen dargestellt hätte, wurde für die Anfertigung der vorlie-genden Arbeit der nachdrücklichen Empfehlung von Hallinger & Heck gefolgt:
"Thus we suggest that when limited resources are available for researchers working in
this domain, they should forego the focus on school achievement as the outcome. Instead,
they should focus on linkages within other parts of the larger model of exogenous vari-ables, principal leadership and intervening school-level variables" (Hallinger & Heck,
1996a, S. 35).
Vereinfacht formuliert lassen sich Untersuchungen zu Schulleitern bzw. zu ihren
Tätigkeiten in zwei methodische Lager einteilen: Studien, die auf Beobachtung
basieren und auf Selbsteinschätzung basierende Studien. Beide Herangehens-weisen sind mit gewissen Vor- und Nachteilen verbunden. Beobachtungsstudien
können detailliertere, tiefergehende Ergebnisse produzieren, ihre Skalierbarkeit
ist jedoch stark limitiert. Bei größeren Samples steigt die Komplexität bei der
Durchführung enorm an. Beobachtungsstudien arbeiten deshalb typischerweise
mit einer geringen Sample-Größe; ihre Aussagekraft über den Studienkontext
4.1 Design und Methoden 97
hinaus ist deshalb in der Regel beschränkt und stützt sich auf Verallgemeinerung
bzw. auf Hypothesen, welche auf Basis der Studie erzeugt wurden.
Auf Selbsteinschätzung basierende Studien werden meist mit Hilfe von
Fragebögen durchgeführt. Diese werden von den Probanden oft am Ende ihrer
Arbeitszeit gelesen, ausgefüllt und anschließend an die Forscher übergeben. So-fern beim Design der Fragebögen einige Regeln beachtet werden (z. B. keine
oder wenige offene Fragen), skalieren Fragebögen in der Regel sehr gut; große
Samples sind problemlos möglich, es können auch repräsentative Studien durch-geführt werden. Doch sind Fragebogen-gestützte Erhebungen in ihrer Tiefe und
Flexibilität beschränkt; je nach Design müssen sämtliche Anliegen vor Beginn
der Untersuchung operationalisiert werden (wodurch vor Beginn der Untersu-chung bereits festgelegt wird, welche Daten wichtig sind, also erhoben werden
und welche Daten ignoriert werden), eine spontane Anpassung des Designs in-folge neuer Erkenntnisse vor Ort ist in der Regel nicht möglich. Darüber hinaus
besteht die Gefahr, dass die Probanden im Sinne sozialer Erwünschtheit antwor-ten; auch falsche bzw. unzuverlässige Erinnerungen ( recall bias , reporting bias ) können die Ergebnisse verzerren (vgl. z. B. Schnell, Hill & Esser, 2008, S. 353ff). Dies ist gerade dann ein Problem, wenn im Fragebogen Details abgefragt
werden (beispielsweise „Was haben Sie heute morgen zwischen 7 und 8 Uhr ge-macht?" als Frage in einem Fragebogen, der um 17 Uhr vom Probanden ausge-füllt wird). Ebenfalls lässt sich allgemein festhalten, dass es umso schwieriger
wird, Platz für individuelle, womöglich wichtige Details einzuräumen, je größer
das Sample ist. Eine weitere Methode ist die sogenannte Experience Sampling Method
(ESM). Hier wird von den Probanden kein Fragebogen am Ende des Tages aus-gefüllt; stattdessen erhalten die Probanden ein elektronisches Gerät (z. B. einen
Tablet PC oder ein Smartphone), das in einem festen Intervall (z. B. alle 15 Mi-nuten) ein Signal von sich gibt. Nach jedem Signal müssen die Probanden eine
oder mehrere Fragen beantworten (z. B. „Was haben Sie in den letzten 15 Minu-ten gemacht? Wo? Mit wem?"). Zwar eliminiert diese Methode größtenteils die
Risiken, die bei der Datenerhebung im Zusammenhang mit der Erinnerung an weit zurückliegende Ereignisse auftreten können, doch fehlt auch ihr die (mögli-che) Präzision und Detailtreue von Beobachtungsstudien. Darüber hinaus bringt
sie neue Probleme mit sich; so wurden in diversen Studien, in denen ESM einge-setzt wurde, Ermüdungserscheinungen seitens der Probanden beobachtet. Wäh-rend sie anfangs sehr zuverlässig Daten rückmeldeten, wurden die Rückmeldun-gen im Laufe der Studien sporadischer. Auch ist es vorgekommen, dass Proban-den nicht auf das Signal zur Dateneingabe reagiert haben, da sie in dem Moment
gerade abgelenkt oder mit etwas (aus ihrer Sicht) Dringendem beschäftigt waren
(vgl. auch Hormuth, 1986; Mann et al., 2008).
98 4 Empirischer Teil
Der vorliegenden Studie liegt ein mixed-methods- Design zugrunde. Ziel war es, die Tätigkeiten der Schulleiter/-innen während ihrer Arbeitszeit zu
erfassen und das Wissen, das sie als Experten ihrer Schule (und der dort stattfin-denden Schulentwicklungsprozesse) haben, explizit zu machen. Ferner sollte
eruiert werden, wie die Schulleiter/-innen die Schulentwicklungsprozesse an ih-ren Schulen leiten und welche Rolle Schulentwicklung in ihrem Alltag spielt.
All dies sollte mit Hilfe einer explorativen Herangehensweise erfolgen, ebenso
musste die Größe des Samples beherrschbar bleiben. Während eher quantitative
Methoden geeignet schienen, um die Tagesabläufe der Schulleiter zu erfassen,
schienen sie nicht adäquat, um das Wissen der Schulleiter zu ihren Schulen und
Schulentwicklung aufzudecken. Deshalb wurden mit der Kombination aus Be-obachtung, Interview und Dokumentenanalyse quantitative wie auch qualitative
Elemente der Untersuchung zugrunde gelegt. Das zugrunde liegende For-schungsverständnis ist dabei dem qualitativen Bereich zuzuordnen. Die zur
Durchführung der Fallstudien ausgewählten Methoden in dieser Arbeit lassen
sich als mixed-methods charakterisieren. Als Definition sei diesbezüglich die aus
einer Metastudie geläufiger mixed-methods -Definitionen von Burke Johnson, Lisa Turner und Anthony Onwuegbuzie hervorgegangene Fassung maßgeblich:
"Mixed methods research is the type of research in which a researcher or team of researchers
combines elements of qualitative and quantitative research approaches (e.g., use of qualitative
and quantitative viewpoints, data collection, analysis, inference techniques) for the broad pur-poses of breadth and depth of understanding and corroboration" (R. B. Johnson, Onwuegbuzie
& Turner, 2007, S. 123).
Fünf Schulen wurden in Frankreich besucht, überwiegend strukturierte Beob-achtungen (in dieser Arbeit auch als shadowing 61 bezeichnet) der Schulleiter/-in-nen an diesen fünf Schulen durchgeführt, ebenso halb-strukturierte Interviews
mit besagten Schulleiterinnen und Schulleitern. Mit Hilfe der Interviews wurde
versucht, laufende und kürzlich abgeschlossene Schulentwicklungsprozesse
nachzuzeichnen und das Engagement der Schulleiter, ihre expliziten Meinungen
zu diesen Schulentwicklungsprozessen und zu Schulentwicklung allgemein zu
eruieren. Abbildung 8 illustriert das verwendete Forschungsdesign.
Die Rekonstruktion der Schulentwicklungsbemühungen der Schulen
bzw. der Schulleiter/-innen und die Analyse der Funktionen der Schulleiter und
Schulleiterinnen waren explorativ ausgerichtet. Um ein Verständnis der Funktio-nen der Schulleiter/-innen und ihrer Tätigkeiten zu gewinnen, wurden durch ex-tensives shadowing Logbücher der Tagesabläufe und Aktivitäten sämtlicher
Schulleiter erstellt. Das shadowing bzw. die überwiegend strukturierten Beob-achtungen wurden als eine quantitative wie auch qualitative Vorgehensweise er-
^ 1 In dieser Arbeit wird shadowing als fremdsprachlicher Begriff behandelt und daher klein und
kursiv geschrieben; er wird als Neutrum behandelt.
Falls
tudi
ende
sign
Strukturierte eobachtungen (Shadowing)
Fallstudiendesign
Fallstudiendesign
Experteninterviews (leitfadengestützt, halbstrukturiert)
Dokumenten- analyse
4.1 Design und Methoden NN
achtet, so dass insgesamt von einem mixed-methods -Design gesprochen werden kann.
Abbildung 8: Verwendetes Design
Eine Dokumentenanalyse (Analyse ausgewählter Rechtsvorschriften für Schul-leiter/-innen sowie der bilans pedagogiques der fünf untersuchten colleges) er-gänzte die verwendeten Methoden (vgl. Tabelle 6). Die Vorgehensweise — insbe-sondere beim shadowing — birgt dabei eine Nähe zur ethnologischen Feldfor-schung, da das shadowing nicht vollständig strukturiert war. Jede Schule wurde
über fünf Tage hinweg besucht; dabei wurden passiv-teilnehmende, offene, 62
(überwiegend) strukturierte eobachtungen vorgenommen (vgl. ohnsack, Ma-rotzki & Meuser, 2006, S. 151ff). Die Offenheit gebot sich nicht zuletzt aus
Gründen der Ethik und bewahrt außerdem die Chance auf künftiges kooperati-ves Verhalten seitens der eobachteten bei einer etwaigen späteren Untersu-chung.
Methode Shadowing Interviews Dokumentenanalyse
Quelle(n) 5 Schulleiter/-innen 5 Schulleiter/-innen Jahresberichte der 5 un-tersuchten colleges
Intention Erfassung der Aktivitäten sowie der gegenwärtig laufenden Schul-
entwicklungsprozesse
Erfassung des etriebs- und Kontextwissens der Schulleiter/-innen, Re- flexion der beobachteten Aktivitäten und Schulent- wicklungsprozesse
Erfassung der Grund- merkmale der einzelnen Schulen sowie laufender und abgeschlossener Schulentwicklungsproz-esse (ggf. auch Erfassung des historischen Kontextes der Schule)
Tabelle 6. Verwendete Methoden
GE Mit „offen" ist hier gemeint, dass der Forscher seine eobachtertätigkeit und sein Untersu-chungsfeld offen zu erkennen gibt (vgl. ohnsack, Marotzki & Meuser, 2006, S. 16).
100 4 Empirischer Teil
Eltern wurden nicht in den Erhebungsprozess involviert, da ihre Beiträge wie
dargestellt für die Forschungsfrage als von eher geringer Relevanz erachtet wur-den und der Bearbeitungsaufwand (Kontaktaufnahme, Einholen der Erlaubnis,
Auswertung und Interpretation der Daten) somit in keinem Verhältnis zum zu
erwartenden Erkenntnisgewinn stehen würde. Aufgrund der begrenzten finanzi-ellen sowie zeitlichen Ressourcen wurde darüber hinaus darauf verzichtet, Leh-rer/-innen gesondert zu befragen. Zwar wurden diverse Gespräche mit Lehrer/- innen an den untersuchten Schulen geführt und die Gesprächsinhalte mit Hilfe
von Gedächtnisprotokollen festgehalten, dies geschah jedoch nicht systematisch.
Die zusätzliche systematische Einbeziehung von Perspektiven aus der Lehrer-schaft, insbesondere zur Wahrnehmung von Handlungen der Schulleitung im
Kontext von Schulentwicklung, wurde grundsätzlich als bereichernd für diese
Studie erachtet. Leider wäre eine systematische Befragung der Lehrerschaft mit
einem hohen Aufwand verbunden gewesen, da hierzu gesonderte Genehmigun-gen pro Schule vonnöten gewesen wäre. Die Erlaubnis der Schulleitungen zur
Durchführung einer Studie an ihren Schulen hätte nicht genügt, stattdessen wä-ren entsprechende Beschlüsse/Genehmigungen durch den Verwaltungsrat ( ca) bzw. den Lehrerinnen und Lehrern selbst nötig gewesen. Ob es gelingen würde,
diese (in ausreichender Zahl für eine systematische Datenerhebung) einzuholen
war nicht abschätzbar; die Machbarkeit der Einbeziehung der Lehrerschaft war
somit sehr schwer abzuschätzen. Schlussendlich erschien daher eine Fokussie-rung auf die Schulleitung der Durchführung des Forschungsvorhabens als am
angemessensten. Das dieser Arbeit zugrunde liegende Forschungsverständnis ist wie er-
wähnt eher qualitativer Natur. In diesem Kontext erscheint es ratsam, Annah-men, welche das eigene Forschungshandeln beeinflussen, so transparent wie
möglich zu machen. Eine kurze Übersicht über weitere der Arbeit zugrunde lie-gende Annahmen soll daher die bisherigen Ausführungen zu zentralen Begriffen
sowie zum Design dieser Arbeit ergänzen (Tabelle 7). Aufgrund der Nähe eini-ger Grundannahmen zur konstruktivistischen Grounded-Theory -Methodologie werden Merkmale der Grounded-Theory -Methodologie den Grundannahmen gegenübergestellt, primäres Anliegen ist die Erhöhung der Transparenz durch Offenlegung eigener Forschungsannahmen.
4.1 Design und Methoden 101
Eigenes Design Konstruktivistische Grounded-Theory-Methodologie nach Charmaz
Grundannahmen
Forscher entwickelt Kategorien im Zuge der Be-
obachtung des Subjekts/der Subjekte unter Be-
rücksichtigung des Stands der Forschung (Martinko &
Gardner, 1985, S. 691; Mintzberg, 1970, S. 90).
Konstruktion der Daten in Interaktion (Forscher-Sub-jekt[e]).
Konstruktion der Kategorien durch den Forschenden.
Datensammlung so umfangreich wie möglich, das Er- lebte in seiner Gesamtheit abzubilden, ist das anzustre- bende (unerreichbare) Ideal.
Repräsentation der erhobenen Daten wird als relativ, si-tuativ und (verlustbehaftet) reduziert angesehen.
Eigene Vorstellungen beeinflussen die Forschung. Eigene Werte und Positionen werden als möglicher Einflussfaktor der Untersuchung angesehen.
Umgang mit Daten
Verallgemeinerungen werden als unvollständig und kontextabhängig angesehen.
Verallgemeinerungen werden als unvollständig und als
situiert in Zeit, Raum, Positionen, Handlungen und In-teraktionen angesehen.
Auswertung der Daten ist primär ein Interpreta-
tionsprozess. Es wird ein interpretatives Verständnis historisch kon-textualisierter Daten angestrebt.
Auffassungen bezüglich der Datenanalyse
Der Forscher selbst sowie persönliche Motivation prä- gen die Forschung.
Die trotz aller Bemühungen stets vorhandene Subjekti-vität der Forschung wird anerkannt.
Fortwährendes Evaluieren der erhobenen Daten. Reflexivität wird als beständiger Teil des gesamten
Prozesses angesehen.
Forscher versucht, die erhobenen Daten für sich selbst
sprechen zu lassen. Die „Stimmen" der Teilnehmer/ innen werden als inte-graler Teil der Analyse aufgefasst und repräsentiert.
Tabelle 7. Gegenüberstellung der Merkmale des eigenen Designs mit Merkmalen der konstruktivis-tischen Grounded Theory
(basierend aufMintzberg, 2010, S. 309ff^ und — mit geringfügigen Anpassungen — Charmaz, 2011, S.
196).
Es sei an dieser Stelle angemerkt, dass es sich bei der hier vorliegenden Arbeit — trotz einiger ähnlicher Merkmale — nicht um eine Arbeit handelt, die dem Spek-trum der Grounded Theory zuzuordnen ist. So wird Grounded Theory bzw. eine daran ausgerichtete Arbeit in der Regel als nicht theorie-basiert und zugleich
theorie-generierend geführt. Ebenso stehen Exploration, Deskription und Analy-se anhand eines vorgegebenen, relativ stabilen Designs nicht im Fokus, stattdes - sen wird ein iteratives Vorgehen bevorzugt (vgl. Mey & Mruck, 2011).
Die vorliegende Arbeit hat Schulleitungstätigkeiten und -einflüsse im
Kontext von Schulentwicklungsprozessen zum Thema. Die Forschungsziele
sind folglich struktureller, organisationaler, aber auch individueller Art. In der
Untersuchung werden zwei Ebenen näher beleuchtet: die Schulleitung und ihr
berufliches Umfeld. Datenerhebungen zu organisationalen Charakteristika, ge-sellschaftlichen Fragestellungen sowie ggf. individuellen Handlungsmustern las-sen sich nur schwer adäquat mittels quantitativer Methoden durchführen. Gera-
102 4 Empirischer Teil
de die Tatsache, dass Teile der Untersuchung auch teilweise unbewusste Prozes-se zum Ziel haben, lässt quantitative Methoden hier kontraindiziert erscheinen,
denn für die Erfassung (teilweise) unbewusster Prozesse und Praktiken erscheint
die ausschließliche Verwendung standardisierter quantitativer Instrumente unge-nügend. Vielversprechender erscheint es, sich diesen Phänomenen wissen-schaftlich auch durch die Verwendung qualitativer Methoden zu nähern. Die
vorliegende Arbeit stützt sich daher auf eine Kombination qualitativer und quan-titativer Methoden: das leitfadengestützte Experteninterview und die offene,
überwiegend strukturierte, passiv-teilnehmende Beobachtung. Die verwendeten
Methoden werden in den folgenden Unterkapiteln beschrieben und reflektiert.
4.2 Beobachtungen
Da in dieser Arbeit auch Strukturen und Abläufe identifiziert werden sollten und
eine empirische Annäherung an implizite Wissensbestände der Schulleiter/-in-nen erfolgen sollte, wurden vor der Durchführung der Experteninterviews über-wiegend strukturierte, teilnehmende passive Beobachtungen (in dieser Arbeit
auch als shadowing bezeichnet) der Arbeitsabläufe der Schulleiter/-innen vorge-nommen. Die Beobachtungen dienten einerseits dazu, die nötigen schulspe-zifischen Vorkenntnisse zur Durchführung von Experteninterviews zu erlangen
(z. B. zum Aufbau der Schule oder über dort laufende und kürzlich beendete In-novationsprozesse). Darüber hinaus waren sie wichtig für das Verständnis der
Perspektive der Schulleiter/-innen sowie des gegenwärtigen Status der Schule,
insbesondere aber zur Erfassung der Aktivitäten der Schulleiter/-innen. Als strukturierte Beobachtung wird ein Verfahren zur Datenerhebung
bezeichnet, welches gemeinhin auf Henry Mintzberg zurückgeführt wird. Dieser
entwickelte die strukturierte Beobachtung, um Defizite der Tagebuchmethode zu
überwinden, welche in den 1950er und 1960er Jahren ein geläufiges Instrument
zur Datenerhebung war, wenn es um die Untersuchung von Handlungen von
Personen ging (vgl. Mintzberg, 1970). Die Tagebuchmethode bestand im Kern
daraus, dass die zu untersuchende Person ein Tagebuch ihrer Handlungen führte
oder in regelmäßigen Abständen vorgefertigte Tätigkeitsbögen ausfüllte. Ein
Kritikpunkt an letzterer Vorgehensweise war, dass die auszufüllenden Bögen in
der Regel durch die Forscher/-innen vordefinierte Kategorien enthielten, die
Manager ihre Aktivitäten also in ein vorgefertigtes Raster eintragen mussten,
wodurch die Datenerhebung in ihrer Breite stark beschränkt wurde (vgl. Arman,
Vie & Asvoll, 2012, S. 302f). Mintzberg beobachtete stattdessen die Personen
und zeichnete Details wie die Uhrzeit, die Dauer, die Art der Handlung sowie in-volvierte Personen auf, ließ dabei jedoch zusätzlich Raum für weitere Angaben.
In diesem Zusammenhang empfahl er, nicht alle Kategorien einer Beobachtung
4.2 Beobachtungen 103
vor Durchführung eben jener bereits festzulegen, um „reiche" Daten zu erheben
und potenziell wichtige, vor Beginn der strukturierten Beobachtung unbekannte
Elemente erfassen zu können (Mintzberg, 1973, S. 227f). Diese Haltung wird
auch in der qualitativen Forschung vertreten (vgl. „Prinzip der Offenheit", z. B.
bei Mayring, 2002, S. 27f). Eine stark unstrukturierte Beobachtung wie sie z. B. in der Ethnographie angewandt wurde und wird, lehnte Mintzberg mit der Be-gründung ab, dass die daraus resultierenden Befunde schwer validiert oder repli-ziert werden könnten. Die Bezeichnung „strukturierte Beobachtung" ist womög-lich unglücklich gewählt, suggeriert sie doch, Mintzbergs Methode wäre voll-ständig strukturiert und böte keine Spielräume. Tatsächlich beschrieb Mintzberg
seine Methode und ihre Vorteile wie folgt:
"I use the label `structured observation` to refer to a methodology which couples the flexibi lity
of open-ended observation with the discipline of seeking certain types of structured data"
(Mintzberg, 1970, S. 90f).
Angemessener könnte es daher sein, von semi-strukturierter Beobachtung oder
überwiegend strukturierter Beobachtung zu sprechen.
Die strukturierte Beobachtung fand in den 1970er Jahren eine starke
Verbreitung, zunächst nur bei Untersuchungen von Managern (welchen sich
auch Mintzberg verschrieben hatte), anschließend auch in anderen Bereichen.
Im Laufe der Zeit ging die Verwendung dieses Instrumentes wieder zurück und
die strukturierte Beobachtung schien in Vergessenheit zu geraten. In den letzten
zwei Jahrzehnten hat jedoch shadowing als Methode zur Untersuchung von Per-sonen bzw. von Personenhandlungen eine beachtliche Verbreitung gefunden.
Shadowing und strukturierte Beobachtung ähneln sich so stark, dass beide Be-griffe sehr häufig als Synonyme gebraucht werden (vgl. Arman et al., 2012, S.
301f). Darüber hinaus ist die strukturierte Beobachtung (unter ihrem ursprüngli-chen Namen) in der medizinischen Forschung immer noch weit verbreitet, be-sonders in der Psychologie; dort wird sie in der Regel allerdings meist tatsäch-lich stark standardisiert bzw. strukturiert eingesetzt (vgl. Bryman & Bell, 2007,
S. 297f). In Bezug auf die Schulforschung, insbesondere die Schulleitungsfor-
schung, lässt sich konstatieren, dass die strukturierte Beobachtung dort nie so
verbreitet war wie in der Psychologie oder der Managementforschung. Nichts-destotrotz wurden in den 1980er Jahren diverse Studien im Bereich der Schullei-tungsforschung mit Hilfe strukturierter Beobachtungen durchgeführt, insbeson-dere in Australien. Eine der bedeutendsten Studien aus diesem Bereich stammt
von A. Ross Thomas und John Ayres. Sie untersuchten Unterbrechungen im Ar-beitsfluss von Schulleitern und kamen zu dem Schluss, dass diese zwar häufig in
ihrem Tun unterbrochen wurden, dies von den Schulleitern jedoch in der Regel
104 4 Empirischer Teil
nicht als Ärgernis oder Erschwernis ihrer Arbeit gesehen wurde, sondern als
eine Art Investition in ihre Schulen (vgl. A. R. Thomas & Ayres, 1998, S. 248).
Eine weitere bedeutende Studie wurde 1996 von Paul J. Thorton, A.
Ross Thomas und J. W. Vine durchgeführt. Sie kombinierten strukturierte Beob-achtungen mit einem Fragebogen sowie einem Gerät zur Überwachung des
Blutdrucks und untersuchten den körperlichen sowie psychischen Stress von
Schulleitern in Australien. Ihre Ergebnisse widerlegten die damals vorherrschen-de Meinung, dass bestimmte Vorfälle (wie beispielsweise ein Anruf wütender
Eltern beim Schulleiter) generell Stress verursachten. Ihre Ergebnisse wiesen
stattdessen darauf hin, dass der Stress der Schulleiter von vielen Faktoren ab-hing (der Kontext war für die Intensität einer Stresssituation von großer Bedeu-tung, vgl. Thornton, Thomas & Vine, 1996, S. 51).
Eine bedeutsame Studie jüngeren Datums stammt von James P. Spilla-ne und Bijou Hunt. Sie setzten Fragebögen, ESM-Logbücher, Interviews und strukturierte Beobachtungen (die sie als "shadowing" bezeichneten) ein, um die
Arbeitsfelder von Schulleitern in den USA zu untersuchen. Zwei ihrer Befunde
waren, dass Schulleiter mindestens 20% ihrer Zeit damit verbrachten, am Curri-culum und dem Unterricht bzw. der Unterrichtsqualität zu arbeiten und dass die
Art die Schule zu führen je nach Schulleiter erheblich variierte (vgl. Spillane &
Hunt, 2010, S. 24f). Strukturierte Beobachtungen scheinen heutzutage im Bereich der
Schulleitungsforschung seltener eingesetzt zu werden, gleichwohl erscheinen
weiterhin Arbeiten, die sich ihrer bedienen (oftmals auch unter der Bezeichnung
"shadowing ", vgl. beispielsweise Parkes & Thomas, 2007; Horng, Klasik &
Loeb, 2010). Es sollte ferner nicht unerwähnt bleiben, dass die strukturierte Be-obachtung als Methode in den 1980er Jahren kontrovers diskutiert wurde. 1982
veröffentlichte Peter Gronn einen Aufsatz, in welchem er die strukturierte Beob-achtung als inadäquat zur Erhebung bedeutsamer Daten erachtete und darüber
hinaus befand, dass die strukturierte Beobachtung mit „plumpem tayloristischen
Denken" infiziert sei (Gronn, 1982, S. 17, Übersetzung des Verfassers). Dies
löste eine intensive Debatte aus; eine umfassende Replik wurde von A. Ross
Thomas 1986 verfasst (A. R. Thomas, 1986). Darin versuchte er, Gronns Kritik-punkte zu widerlegen. Thomas argumentierte unter anderem, dass strukturierte
Beobachtung mehr umfasse als die tayloristisch anmutende Messung von Zeit
und Bewegungen einer Person. Er wies außerdem darauf hin, dass im Bereich
der Schulleitungsforschung Mintzbergs ursprüngliche Konzeption der struktu-rierten Beobachtung nicht blind übernommen wurde, sondern stets reflektiert
weiterentwickelt und angepasst wurde. Mintzberg selbst hat in mehreren Pu-blikationen darauf hingewiesen, dass strukturierte Beobachtung nicht als hoch-strukturiertes Instrument aufzufassen sei (vgl. hierzu auch das Zitat Mintzbergs
in diesem Unterkapitel) und sich seit Erscheinen seiner Arbeiten zur strukturier-
4.2 Beobachtungen 105
ten Beobachtung für eine Ausweitung und Flexibilisierung eben jener eingesetzt
(im Sinne einer kontinuierlichen Methodenkontrolle und Methodenanpassung;
auch diese Auffassung Mintzbergs lässt sich im qualitativen Denken wiederfin-den, vgl. z. B. Mayring, 2002, S. 29).
Ob es sich bei der strukturierten Beobachtung um eine qualitative oder
quantitative Methode handelt, ist nicht unumstritten. Während einige Forscher
sie klar als qualitative Methode ansehen (vgl. beispielsweise A. R. Thomas,
1998), plädieren andere dafür, strukturierte Beobachtung als quantitative Metho-de zu betrachten, da sie die Entwicklung von Kategoriensystemen ermöglicht, mit deren Hilfe Verhalten klassifiziert und gezählt werden kann bzw. da die aus
den Beobachtungen abgeleitete Daten quantitativ manipuliert werden können
(Martinko & Gardner, 1985, S. 689). Meine Position ist, dass die strukturierte
Beobachtung ein Instrument ist, das sowohl für qualitativ als auch für quantita-tiv orientierte Forschung eingesetzt werden kann. Sie ermöglicht die Erhebung
von Basisdaten wie Dauer und Frequenz einer bestimmten Handlung, welche als
quantitativ angesehen werden können. Die Interpretation dieser Daten sowie das
Erheben zusätzlicher Daten, insbesondere Kontext-Daten, sind meiner Ansicht
nach wiederum eher dem qualitativen Spektrum zuzurechnen.
Sämtliche Daten in dieser Arbeit wurden in den Zeiträumen Ende No-vember/Anfang Dezember 2010 und Januar 2011 erhoben. In dieser Zeit wurden
fünf Schulen besucht, sämtliche Schulleiter/-innen für jeweils eine Woche (mon-tags bis einschließlich freitags) während ihrer Arbeitszeit begleitet. Vor Beginn
der ersten Beschattung wurde ein kurzes Briefing durchgeführt. Dabei wurde
dem Schulleiter bzw. der Schulleiterin kurz die shadowing -Methode erläutert.
Die Person wurde angewiesen, ihren Tätigkeiten wie üblich nachzugehen und
den Forscher nach besten Kräften zu ignorieren. Hierzu gehörte insbesondere,
dass er/sie nicht oder so wenig wie möglich mit der beobachtenden Person kom-munizierte. Nach dem Briefing wurde jede Aktivität der Schulleiter/-in ohne
Verzögerung in einem vorgefertigten Protokoll schriftlich festgehalten (welches
im Anhang zu finden ist). Das minimale Beobachtungsintervall betrug eine Mi-nute. Das Protokoll war chronologisch sowie systematisch angelegt. Wichtige
Posten waren Uhrzeit, Ort und involvierte Personen. Bei persönlichen Interak-tionen waren dies die tatsächlich anwesenden Personen, bei Telefongesprächen
die Gesprächsteilnehmer/-innen. Darüber hinaus gab es ein Feld zur Kodierung
der beobachteten Aktivitäten, das heißt; beobachte Aktivitäten wurden bestimm-ten Kategorien zugeordnet. Das größte Feld im Protokoll war für eine Deskripti-on des Beobachteten an sich reserviert, also eine Beschreibung der Aktivitäten
inklusive ihres Kontextes (Umstände, Auffälligkeiten wie z. B. erstmaliges Auf-treten einer Handlung oder eine als außergewöhnlich wahrgenommene Verhal-tensweise). Ähnliche Systeme zur Eintragung von „Feldbeobachtungen" werden
in der Ethnographie verwendet, die soeben vorgestellte Vorgehensweise ist stark
106 4 Empirischer Teil
an Mintzberg und seine strukturierte Observation (Mintzberg, 1973) angelehnt,
stellt jedoch in einigen Bereichen eine Abwandlung bzw. Anpassung dar. So sah
das ursprüngliche Design Mintzbergs (1970, S. 89ff) vor, dass Beobachtungska-tegorien ausschließlich anhand der getätigten Beobachtungen zu erstellen seien.
In vorliegender Arbeit wurden die Kategorien jedoch auch durch vorherige Re-cherche zum Stand der Schulleitungsforschung maßgeblich beeinflusst. Darüber
hinaus sind die hier verwendeten Kategorien inklusiver als die von Mintzberg ursprünglich verwendeten, die eher eng und klinisch gefasst waren (beispiels-weise „Brief schreiben" und „telefonieren", vgl. Mintzberg, 1970, S. 92).
Bei allen Schulleiterinnen und Schulleitern gab es einige Momente, in
denen sie nicht beschattet wurden bzw. nicht beschattet werden durften, zum
Beispiel, wenn Eltern vor einem kritischen Gespräch mit der Schulleitung die
Anwesenheit von Dritten untersagten oder wenn ein Schulleiter ein privates Te-lefongespräch führte. Diese Momente waren jedoch sehr selten und meist auch
sehr kurz, so dass sie keinen nennenswerten Einfluss auf die Untersuchung hat-ten. In sämtlichen Fällen berichteten die Schulleiter/-innen unmittelbar nach der
geheimen Angelegenheit in groben Zügen von den Inhalten (z. B. „Die Eltern
haben mich gebeten, ihr Kind nicht von der Schule zu verweisen. Ich habe die Gründe für den Schulverweis noch einmal dargelegt und ihnen erklärt, dass wir
den Verweis nicht zurücknehmen werden."); in diesen Fällen erfolgte eine Auf-zeichnung der nicht persönlich beobachteten Aktivitäten basierend auf den Aus-sagen der Schulleiter/-innen.
In seltenen Fällen kam es zu sich überlappenden Aktivitäten (z. B.
„Schulleiter telefoniert während er Kaufbescheide unterzeichnet"). In diesem
Fall wurde die Aktivität aufgezeichnet, die von mir als dominant empfunden
wurde, die als sekundär empfundene Aktivität wurde als zusätzliche Anmerkung
notiert. Diese Entscheidungen wurden spontan und direkt vor Ort getroffen,
während die überlappenden Handlungen sich ereigneten. Fehlentscheidungen
sind daher nicht auszuschließen. Die Auswirkungen etwaiger Fehlentscheidun-gen werden jedoch als minimal angesehen, da bei insgesamt über tausend aufge-zeichneten einzelnen Aktivitäten lediglich neun, also ein sehr geringer Teil der
aufgezeichneten Aktivitäten, überhaupt als Überlappungen markiert wurden.
Am Ende eines jeden Tages wurde ein kurzes Debriefing durchgeführt. Etwaige
unklare Punkte wurden dabei besprochen.
Zusätzlich wurden während der Untersuchungsphase unregelmäßig
schriftliche Memos erstellt, in denen Besonderheiten außerhalb der unmittelba-ren Beobachtung der Schulleitung festgehalten wurden. Dazu gehörten zum Bei-spiel die Raumkonfigurationen der Räume der Schulleitung in den verschiede-nen Schulen oder spontane, informelle Gespräche mit Lehrern. Auch erste Ge-danken zur Interpretationen sowie zu möglichen eigenen Vorurteilen wurden
während der Erhebungsphase auf Memos notiert. Die Erstellung von Memos
4.2 Beobachtungen 107
oder Feldnotizen ist in der qualitativen Forschung, insbesondere als Teil von Be-obachtungen, geläufig, ebenso ihre (je nach Methodenkombination anders ge-wichtete) Verwendung zur Auswertung (vgl. Lamnek, 2010, S. 560ff). In vorlie-gender Arbeit wurden die Memos nachrangig bei der Auswertung berücksich-tigt.
Die aufgezeichneten Beobachtungsdaten wurden anhand der Uhrzeiten
und Kategorien zu Tagesdiagrammen konvertiert. Als Basis für die visuelle Re-präsentation diente dabei das sogenannte Gantt-Diagramm. Das nach dem Un-ternehmensberater Henry Laurence Gantt benannte Diagramm wird insbesonde-re im Projektmanagement und im Produktionswesen (z. B. in Form von Maschi-nenbelegungsplänen) verwendet (eine konzise Beschreibung von Gantt-Dia-grammen findet sich bei C. V. Jones, 1988, S. 893ff). Ein Gantt-Diagramm ba-siert in der Regel auf zwei Achsen; vertikal werden relevante Kategorien, meist
verschiedene Aktivitäten dargestellt, horizontal die Zeit bzw. die Dauer. Die
Breite eines Eintrags in einer Kategorie ist normalerweise proportional zur Dau-er, je breiter ein Eintrag, desto länger die Dauer der entsprechenden Aktivität.
Eine spezifische Aktivität kann mit Hilfe eines Gantt-Diagramms inklusive ihrer
Länge und ihrer Relation zu anderen Aktivitäten visualisiert werden. Auch
Überschneidungen können so visualisiert werden.
Dies resultierte in fünf Tagesdiagrammen pro Schulleiter/-in. Um die Datendichte sinnvoll zu reduzieren und die Aussagekraft zu erhöhen, wurde an-hand der erhobenen Daten für jede Schulleitungskraft ein hypothetischer Durch-schnittstag63 ermittelt und anschließend aus den fünf pro Schulleiter/-in zur Ver-fügung stehenden Tagesdiagrammen jeweils jenes zur Präsentation und weiter-gehenden Analyse ausgewählt, welches für den jeweiligen Schulleiter bzw. die
jeweilige Schulleiterin dem ermittelten hypothetischen Durchschnittstag am
ehesten entsprach. Diese ausgewählten Tage wurden als typische Tage erachtet
und werden in dieser Arbeit auch als solche bezeichnet. Sämtliche Tagesdia-gramme sind im Anhang dieser Arbeit zu finden (insgesamt 25 Stück).
Die Arbeitszeiten der Schulleiter/-innen wiesen am Nachmittag signifi-kante Unregelmäßigkeiten auf. So ist mittwochs z. B. am Nachmittag in Frank-reich an Sekundarschulen unterrichts- und damit für viele Schulleiter/-innen
auch arbeitsfrei (Schulleiter/-innen in Frankreich haben keine offiziell festgeleg-ten Arbeitszeiten). Darüber hinaus wurden während der Untersuchungen seitens
der Schulleiter/-innen wiederholt Fortbildungen, außerhalb des Schulgebäudes
stattfindende Treffen, aber auch als wichtig empfundene private Angelegenhei-ten bevorzugt auf die Nachmittage gelegt, so dass sich bezüglich der Nachmit-
63 Zur Ermittlung eines jeweiligen Durchschnittstages wurde pro Aktivitäten-Kategorie der Durch-schnitt der Anzahl der Aktivitäten für einen Schulleiter/eine Schulleiterin gebildet, darüber hin-aus wurde der Durchschnitt der Dauer der Aktivitäten pro Kategorie gebildet. Diese Werte wur-den jeweils mit den fünf vorhandenen Tagesdiagrammen verglichen; das Diagramm mit der
höchsten Übereinstimmung mit diesen Werten wurde als „typisch" klassifiziert.
108 4 Empirischer Teil
tage im Laufe der Untersuchung ein eher inkohärentes Bild ergab. Eine Visuali-sierung der Nachmittage mit Hilfe von Gantt-Diagrammen erschien vor diesem
Hintergrund nicht gewinnversprechend, weshalb entschieden wurde, sämtliche
in dieser Arbeit präsentierten Diagramme auf den Zeitraum von 6 bis 12:30 Uhr, also auf die Vormittage, zu beschränken.
4.3 Kategorien der Beobachtungen
Bei der Vorbereitung der Untersuchungen vor Ort wurde der Stand der For-schung in Form von vergleichbaren Studien mit ähnlichen inhaltlichen Zielstel-lungen und methodischen Konzeptionen analysiert. 64 Ziel war es dabei, gemein-same Elemente zu identifizieren und so einen Eindruck zu gewinnen, welche
Kategorien in der jüngeren Vergangenheit und Gegenwart als essentiell bei der
Untersuchung der Aufgaben und Tätigkeiten von Schulleiterinnen und Schullei-tern angesehen wurden. Die Analyse offenbarte einige gemeinsame Nenner. So
wurde beispielsweise „Administration" bzw. „Verwaltung" häufig als zentrale
Kategorie aufgeführt, ebenso „Beziehungen", „Beziehungsarbeit", „Beziehun-gen verbessern" oder „Soziale Bindungen". Dies soll nachfolgend kurz anhand einiger Beispiele verdeutlicht werden.
Joyce Castle und Coral Mitchell (2002) untersuchten mit Hilfe von In-terviews und Beobachtungen die Rollen von Grundschullehrern im kanadischen
Ontario. Zwei der fünf von ihnen als Schlüsselrollen bezeichneten Kategorien
waren das Tagesmanagement, dessen Beschreibung große Ähnlichkeiten mit
Administration aufweist, und das Aufbauen und Pflegen von Beziehungen.
Administration und Beziehungen waren in der Beobachtungsstudie von
Eileen Lai Horng, Daniel Klasik, und Susanna Loeb (2010) zwei von sechs zen-tralen Beobachtungskategorien. Horng, Klasik und Loeb verknüpften ihre Beob-achtungen von Schulleiterinnen und Schulleitern mit Daten aus Fragebögen, um die Tätigkeiten von Schulleitern in den USA sowie mögliche Rollenunterschiede
zwischen einzelnen Schulleitern zu ergründen.
Eine ähnliche Studie mit größerem Sample stammt von James Spillane
und Bijou Hunt (2010); sie beobachteten und interviewten 14 Schulleiterinnen
und Schulleiter im Südosten der USA und statteten darüber hinaus insgesamt 38
Schulleiterinnen und Schulleiter mit ESM-Geräten aus. Ziel war es, Tätigkeits-und Interaktionsfelder von Schulleiterinnen und Schulleitern zu erforschen. Ad-ministration und das Fördern von Beziehungen waren zwei von vier zentralen
Untersuchungskategorien.
64 Bei der Aufarbeitung wurde besonderes Augenmerk auf Arbeiten mit Bezug zu Handlungen oder
Tätigkeiten gelegt. Forschungsarbeiten zur Rolle von Schulleitung ohne Beschreibung der Hand-lungsfelder wurden dagegen nicht berücksichtigt.
4.3 Kategorien der Beobachtungen 109
Im Rahmen der anfangs dieser Arbeit erwähnten Schulleitungsstudie
von Huber et al. (Huber, 2009a, 2009b, vgl. Seite 23 in dieser Arbeit) wurden
neun Handlungsbereiche der Schulleitung als Untersuchungskategorien konstru-iert und näher erforscht, darunter Organisation und Verwaltung und Kooperati-on; letzterer Bereich umfasst das Pflegen von Kontakten im inner- sowie außer-schulischen Umfeld.
Bezugnehmend auf das Forschungsanliegen dieser Arbeit wurde neben
„Administration" und „Beziehungen" „Schulentwicklung" als Untersu-chungs-Kategorie für die Beobachtungen determiniert. Basierend auf einer Ana-lyse französischer Forschungsarbeiten des vergangenen Jahrzehnts zur Schullei-tung in Frankreich65 wurden die bisher erarbeiteten Kategorien als für die Beob-achtung französischer Schulleiterinnen und Schulleiter tauglich erachtet. Dieser
Eindruck wurde durch einen Pretest bestärkt, der im Mai 2010 an einem Pariser
coWge durchgeführt wurde. Während dieses Vortests wurde die Schulleiterin
drei Tage lang beschattet. Dabei wurden ca. 70 verschiedene Aktivitäten gemes-sen. Diese wurden anschließend den drei erarbeiteten Kategorien, Administrati-on, Beziehungen und Schulentwicklung, zugeordnet. Die erarbeiteten Kategori-en decken sich mit den Management-Funktionen für Schulleiter/-innen nach Da-lin (1998, S. 81ff). 66 Ihm zufolge sind in einer Schule drei Management-Funk-tionen notwendig: die administrative Funktion, welche die Organisation und das
Treffen von Entscheidungen, aber auch Delegation und Repräsentation umfasst,
die Schulentwicklungsfunktion, in welcher es hauptsächlich um das Weiterent-wickeln, Führen (im Sinne von Leadership) und Evaluieren geht und die soziale
Funktion, welche hauptsächlich Kommunikation, Mediation und das Sorgetra-gen für individuelle Probleme zum Inhalt hat. Eine beinahe identische Untertei-lung unternimmt Rosenbusch in seiner Aufstellung der Schulleitungstätigkeiten;
er spricht vom Schulleiter als Administrator, Kommunikator und als Fachmann für organisationspädagogisches Management; letzteres beinhaltet viele Kompo-nenten, die auch unter dem Begriff Schulentwicklung gefasst werden könnten
(vgl. Rosenbusch, 2002). Zusätzlich wurde nach dem Pretest eine vierte Katego-rie aufgenommen, um der (sehr geringen) Zeit Rechnung zu tragen, die die
Schulleiterin mit Aktivitäten verbrachte, welchen keinen Bezug zu ihrer Arbeit
hatten. Für die finale Untersuchung wurden somit folgende Kategorien verwen-det:
65 Vgl. hierzu das Kapitel 3.5 in dieser Arbeit.
66 Wie anhand Dalins Erläuterungen der Management-Funktionen ersichtlich wird, fasst er in die-sem Kontext Management breiter auf als viele andere Autoren. Ihm zufolge umfasst Manage-ment mehr als Administration, so dass der Dualismus Management-Leadership in seinen Fällen
unzutreffend erscheint. Der von ihm in diesem Kontext verwendete Management-Begriff ist
weiter gedacht und umfasst auch Kommunikations- und Entwicklungsaspekte, also Leadership-Aspekte (vgl. Dalin, 1998).
110 4 Empirischer Teil
1. Schulische Administration & Organisationsmanagement: Beinhaltet die alltägliche Arbeit und die (Routine-)Arbeit, die nötig ist, um den Status
Quo der Schule aufrecht zu erhalten, z. B. das Lesen der Post, das Un-terschreiben von Zeugnissen, Kaufbescheiden etc. oder die Verwaltung
des Schulbudgets. 2. Zwischenmenschliche Beziehungen (in dieser Arbeit auch „Zwischen-
menschliches" genannt): schul-interne und -externe soziale Interaktion,
die nicht dem Gebiet der Administration zuzuordnen ist wie z. B. das
Schlichten interpersoneller Konflikte (z. B. Lehrer-Schüler, Leh-rer-Lehrer), das Motivieren von Personal oder das Vertiefen pro-fessioneller und zwischenmenschlicher Beziehungen.
3. Schulentwicklungsaktivitäten und schulentwicklungsnahe Aktivitäten:
systematische, zukunftsgerichtete Bemühungen, deren Ziel es ist, die
Lernumgebung sowie das professionelle Umfeld zu verbessern (vgl.
Hameyer, 2007, S. 46f). 67 Für diese Studie wurde konzediert, dass Schulentwicklung sich im Praxisalltag vorwiegend in Form von Projek-ten manifestiert. Projekte wurden daher als schulentwicklungsnahe Ak-tivitäten gewertet, sofern sie sich mit der in dieser Arbeit verwendeten
Definition von Schulentwicklung als kompatibel erwiesen. Da diese
Studie auf individuelle Schulen abzielt, ist Schulentwicklung entspre-chend restriktiv zu verstehen; Schulentwicklung auf Makroebene steht
demnach nicht im Fokus dieser Untersuchung, stattdessen beschränkt
sich diese Studie auf Schulentwicklung auf der Meso-Ebene (bezüglich
der verschiedenen Ebenen von Schulentwicklung gibt es differierende
Bezeichnungen, die hier genannte Ebenen-Unterteilung bezieht sich auf
Heinrich, 2007, S. 45ff). 4. Privates: Aktivitäten, die außerhalb des beruflichen Kontextes liegen.
Beispiel: Der Schulleiter ruft zu Hause an, um zu fragen, ob er nach der
Arbeit im Supermarkt noch etwas einkaufen soll bevor er nach Hause kommt.
4.4 Interviews
Die leitfadengestützten Interviews mit verschiedenen Mitgliedern der Schullei-tung wurden als Experteninterviews konzipiert (vgl. Albers, 2007, S. 38ff). Das
Experteninterview ist eine Variante des leitfadengestützten Interviews und stellt
eine qualitative Vorgehensweise dar; die Befragten werden „als Spezialisten für
bestimmte Konstellationen" interviewt (Hopf, 1993, S. 15). Im Gegensatz zu
67 Eine ausführlichere Definition des Schulentwicklungsbegriffs findet sich im Kapitel 2.2 in dieser
Arbeit.
4.4 Interviews 111
biographischen Interviews, insbesondere narrativen Interviews, steht bei Exper-teninterviews die befragte Person als zentrales Mitglied einer bestimmten Orga-nisation oder Institution im Fokus. Die befragte Person wird als Repräsentant ei-ner bestimmten Gruppe betrachtet (vgl. Flick, 1999, S. 108f). Der Leitfaden er-füllt einerseits eine Strukturierungsfunktion für das Interview und dient an-dererseits als eine Art Filter, um implizites, spezifisches Wissen zu explizieren.
Während das Experteninterview als qualitatives Erhebungsverfahren seit über
30 Jahren bekannt ist (vgl. Hopf, 1978), hat es erst seit den späten 1990er Jahren
Anerkennung in den Sozialwissenschaften gefunden. Im anglophonen Raum
nimmt das Experteninterview, das dort der ethnographischen Forschungstra-dition zugeordnet wird, eine Randstellung ein (vgl. Denzin & Lincoln, 2005, S.
623f), scheint jedoch seit einiger Zeit an Bedeutung zu gewinnen. Ähnliche In-terviewformen werden im Englischen meist als key informant interview oder eher generisch als ethnographic interview bezeichnet (vgl. Barker, Bosco &
Oandasan, 2005; DiCicco-Bloom & Crabtree, 2006; Marshall, 1996a, 1996b).
Das Experteninterview eignet sich besonders dann als Erhebungsme-thode, wenn die Interviewpartner über bestimmte berufs- oder positionsspezifi-sche Wissensstände verfügen oder dies zumindest vom Forschenden erwartet
wird. Das Expertenwissen kann als ein dem Experten zugängliches und bewuss-tes Sonderwissen charakterisiert werden. Dieses kann explizit, also verbalisier-bar, oder implizit vorliegen, in welchem Falle eine Verbalisierung nicht ohne
weiteres möglich ist (dies entspricht weitgehend der Trennung zwischen diskur-sivem und praktischem Bewusstsein, vgl. Kapitel 2.5.2 in dieser Arbeit). Um ta-cit knowledge , also implizites Wissen oder praktisches Bewusstsein, zu erfassen,
müssen implizite Wissensbestände rekonstruiert werden (die Möglichkeit der
Rekonstruktion sieht Giddens allerdings eher skeptisch, vgl. Giddens, 1988, S.
57). Meuser und Nagel weisen ebenfalls darauf hin, dass Experten neben direkt
explizierbarem Wissen auch über Wissensbestände verfügen, die nicht ohne wei-teres kommuniziert werden können, sondern einer Rekonstruktion bedürfen, be-tonen im Gegensatz zu Giddens jedoch, dass diese sehr wohl möglich sei (Bar-ber & Nagel, 2009, S. 470; vgl. Meuser & Nagel, 2008, S. 369f). Sie teilen so-mit die scharfe Trennung zwischen diskursivem und praktischem Bewusstsein
und Giddens' Skepsis gegenüber Rekonstruktionsmöglichkeiten nicht. Implizites
Wissen kann auch durch Beobachtung, vor allen Dingen in Kombination mit
Nachahmung, vermittelt werden. Dies ist einer der Gründe, warum in vorlie-gender Arbeit Interviews und Beobachtungen kombiniert wurden.
Expertenwissen kann um bestimmte Situationen und Probleme oder um bestimmte Organisationsabläufe kreisen. Meuser & Nagel charakterisieren das
Wissen der Experten abhängig von ihrer Funktion im Forschungsdesign als Be-triebs- oder Kontextwissen (vgl. Meuser & Nagel, 2005a, S. 76, 82ff). In Anleh-nung an Zapf charakterisieren sie Betriebswissen als Wissen „über Ergebnisse
112 4 Empirischer Teil
und Erträge steuerungspolitischer Maßnahmen" (Larson, 1977, S. 222; zitiert
nach Meuser & Nagel, 2005b, S. 264). Die Experten sind meist Personen, die
für die Umsetzung von Veränderungen zuständig sind und die Macht haben, die-se voranzubringen, zu bremsen oder zu blockieren. Durch Experteninterviews
mit diesen Personen „lassen sich strukturelle Bedingungen der Programmim-plementation rekonstruieren und damit Informationen gewinnen, auf deren Basis
praktikable Maßnahmen entwickelt werden können" (Meuser & Nagel, 2005b,
S.264). Kontextwissen hingegen betrifft die „Bewertungen der Struktur und
Performanz wichtiger Lebensbereiche" (Larson, 1977, S. 222; zitiert nach Meu-ser & Nagel, 2005b, S. 265). Die Handlungsmöglichkeiten und tatsächlichen Handlungen der Experten sind hier nicht von Bedeutung, es geht vielmehr um
Personen und Abläufe, die in den Handlungskontext des Experten fallen und
über welche er einen privilegierten, spezialisierten Wissens- und Erfahrungs-schatz hat. Das Kontextwissen der Experten ist zum Beispiel zur Strukturierung
eines Problems von Wert. Allerdings räumen Meuser & Nagel selbst ein, dass
eine solche Trennung in der Forschungspraxis selten sauber zu vollziehen ist. So
„ist es oft sinnvoll, die ExpertInnen [ ... ] unter beiden Aspekten zu interviewen"
(Meuser & Nagel, 2005b, S. 265). Dieser Empfehlung soll in dieser Arbeit Fol-ge geleistet werden: Primär geht es um das Betriebswissen der zu befragenden
Personen; das Kontextwissen, im Falle der Schulleiter also das Wissen um Ab-läufe und Personen, die für die Umsetzung von Schulentwicklungsprozessen
von Relevanz sind, soll jedoch, wo möglich, ebenfalls in Erfahrung gebracht
werden. Da das Wissen der zu befragenden Personen, wie bereits erläutert, spe-zifisch ist, ist eine Übertragbarkeit auf andere Organisationen nicht ohne weite-res gewährleistet. Durch Abstraktion und durch die Identifikation von kongruen-ten, üblichen Arbeitsabläufen, Handlungsspielräumen und Aufgabenstellungen
lassen sich jedoch Teilaspekte hypothetisch „übersetzen".
Als Legitimation ihres Expertentums wurde für diese Arbeit die lang-jährige berufliche Tätigkeit der Befragten erachtet. Auf aufwändigere, in ihrer
Validität trotzdem nicht unzweifelhaftere Legitimierungen der Interviewpartner
als Experten wurde verzichtet. Stattdessen sollen all jene Personen als Experten
gelten, „deren Wissen über die zu untersuchenden sozialen Situationen und Pro-zesse im Interview erschlossen werden soll" (Gläser & Laudel, 2009, S. 9). Ob
die Interviewpartner tatsächlich Experten sind, wäre ohnehin immer eine relatio-nale Frage und somit nicht auf erschöpfende Weise zu beantworten. Darüber
hinaus mussten die Befragten über einen privilegierten Zugang zu Informatio-nen über Schulentwicklungsprozesse verfügen und am Konzeptions-, vor allen
Dingen aber am Umsetzungsprozess schulischer Innovationen in signifikanter
Weise beteiligt sein. Dies wird bei den Schulleitungen, welche jegliche Form
4.4 Interviews 113
der Schulentwicklung, die in ihrem Wirken über das Klassenzimmer hinausgeht,
genehmigen müssen, als gesetzt angesehen.
Für diese Arbeit wurden mit den fünf zuvor beobachteten Schulleiterin-nen und Schulleiter am Ende der jeweiligen Besuchswoche halb-strukturierte In-terviews geführt. Die Interviews wurden in der Regel unmittelbar im Anschluss
an den regulären Arbeitstag, also während des späten Nachmittags geführt. In ei-nem Fall (Schulleiter 3) konnte ein Interview mit einem Schulleiter aufgrund
nicht verschiebbarer privater Pläne seitens des Schulleiters erst am Folgetag
durchgeführt werden. Die Interviews kreisten um den Status und die Entwick-lung kürzlich abgeschlossener und laufender Schulentwicklungsprozesse, die
Bemühungen der Schulleiter, an ihren Schulen wirksam Schulentwicklung zu
betreiben, die Einstellungen und das Verhalten des Schulpersonals in diesem
Kontext (aus Sicht des Schulleiters) und Schulentwicklung im Allgemeinen. Da-bei wurde stets Bezug auf die beobachtete Woche und die aufgezeichneten Ta-gesabläufe genommen. Die während der Beobachtungen gesammelten Daten
wurden als impulsstiftende Elemente für Narrationen genutzt. Die halb-struktu-rierten Interviews waren als Experteninterviews konzipiert. Die im Rahmen die-ser Studie durchgeführten Interviews wurden digital aufgezeichnet. Die Länge
der Interviews mit den Schulleiterinnen und Schulleitern betrug ungefähr zwei
Stunden pro Person. Die Auswertung erfolgte in Form einer vereinfachten struk-turierenden Inhaltsanalyse (vgl. Kapitel 6 dieser Arbeit), die in einem weiten
Sinne auch als eine Variation einer gestrafften qualitativen Inhaltsanalyse ange-sehen werden kann (bestehend aus den Kernkomponenten Paraphrasierung, Ka-tegorienbildung, Interpretation). Die erhobenen Daten wurden zunächst in
sprachlich geglätteter Form transkribiert (vgl. Tabelle 8) und anschließend über-setzt. Bei der Übersetzung wurde versucht, die Mittelposition zwischen einer
möglichst eng am Ursprungstext orientierten Übersetzung und einer in der Ziel-sprache möglichst natürlich klingenden Übersetzung zu finden. Die Überset-zungen wurden vom Verfasser angefertigt. Da bei den Interviews die inhalt-lich-thematische Ebene im Vordergrund stand, wurden die Transkripte um der besseren Lesbarkeit willen sprachlich geglättet (vgl. Mayring, 2002, S. 91), au-ßerdem wurden Auslassungen ergänzt und unverständliche Aussagen durch „***" gekennzeichnet. Sofern non-verbale Äußerungen wie zum Beispiel ein
Lachen oder Räuspern auf den Aufnahmen klar identifiziert werden konnten und
für die Interpretation als relevant erachtet wurden, wurden diese durch [hand-lung] transkribiert, z. B. [lacht], um gegebenenfalls das Verständnis der entspre-chenden Passagen zu verbessern (also zum Beispiel, um dem Leser deutlich zu
machen, dass es sich um eine humorvoll gemeinte Äußerung handelte).
114 4 Empirischer Teil
Sprachlich weitgehend ungeglättete transkribierte
Äußerung Sprachlich geglättete transkribierte Äußerung
„Ähm, tja, ich mach' das hier schon ziemlich, ja
ziemlich lange, nä. Hm." „Ich mache das hier schon ziemlich lange."
Tabelle 8: Beispiel für eine sprachliche Glättung
4.5 Dokumentenanalyse
Grundmerkmale wie Größe und Ausstattung der unterschiedlichen Schulen wur-den auf Basis der Schuljahresberichte (bilans pedagogiques ) erfasst. In den von den Schulleiterinnen und Schulleitern zu verantwortenden Berichten an die aca-demie werden einerseits personelle, strukturelle Grundmerkmale der einzelnen
Schulen aufgeführt; auch werden das aktuelle Profil einer Schule sowie aktuelle
Ziele genannt. Außerdem werden die Schülerleistungen anhand einer Verset-zungsquote sowie durchschnittlicher Notenwerte vermerkt. Darüber hinaus wer-den besondere Vorkommnisse, Disziplinarverstöße, Fehlstunden, größere Schul-entwicklungsprojekte sowie viele weitere Details zum schulischen Verlauf und
Ablauf aufgeführt. Die Schuljahresberichte wurden im Vorfeld der jeweiligen Schulbesu-
che angefordert und in allen Fällen am ersten Besuchstag als Kopie zur Verfü-gung gestellt. Sie wurden als Orientierungshilfe verstanden, um einen raschen
Überblick über die Charakteristika einer Schule sowie aktueller Projekte zu er-halten. Sie dienten somit als Quelle zur Erfassung struktureller schulischer
Merkmale sowie zur Erfassung größerer Schulprojekte. Da die Berichte jedoch
ausschließlich für die hierarchisch übergeordnete Schulbehörde verfasst wurden,
wurde beschlossen, sich bei der Erforschung von Schulentwicklungsprojekten nicht ausschließlich auf die Berichte zu stützen. Es wurde daher bei der Erfor-schung laufender Schulentwicklungsprojekte stärkerer Wert auf die Daten aus
den Beobachtungen und den Interviews gelegt.
4.6 Datengewinnung und Datenquellen
Die Stichprobe besteht aus fünf Schulleiterinnen und Schulleitern. Die Auswahl
der Schulen und Interviewpartner/-innen wurde wie folgt getroffen: Es wurden
ausschließlich Schulen eines Schultyps, dem coll^ge, mit ähnlichen Strukturen (ausschließlich staatliche coll^ges , also keine privaten Schulen, keine Reform-schulen o. ä.) aus einem Schulbezirk in einem Pariser Vorort ( departement Val-d'Oise , in einem double-bassin [Doppel-Schulbecken]) ausgewählt. Ursache
4.6 Datengewinnung und Datenquellen 115
dieser Auswahlkriterien war der Wunsch, mögliche Verzerrungen aufgrund politischer oder kultureller Differenzen oder aufgrund strukturell unterschiedli-cher Ausgangslagen zu minimieren. 68 Die wissenschaftliche Berücksichtigung
unterschiedlicher Schultypen hätte die Untersuchung und Auswertung deutlich
komplexer werden lassen, ohne dass dies einen deutlich erhöhten Erkenntnisge-winn versprochen hätte, weshalb die Auswahl auf Schulen des Typs college be-schränkt wurde. Durch diese Beschränkungen wurde sichergestellt, dass sich die
Rahmenbedingungen für die zu untersuchenden Schulen in ähnlichen Bahnen
bewegten. Darüber hinaus wurde so die Transparenz der Untersuchung erhöht.
Außerdem wurden nur Schulen ausgewählt, deren Schulleiter/-innen seit min-destens zwei Jahren dort tätig waren. Dahinter stand die Annahme, dass ein Schulleiter eine gewisse Eingewöhnungszeit benötigt, bevor er seinen Posten in
Gänze ausüben kann. Die Wahl des Schulbezirks beruhte auf einer Empfehlung
der im Rahmen des Pretests besuchten Schulleiterin aus Paris; ihr zufolge wies
dieser Schulbezirk eine hohe Dichte an colleges auf, welche geographisch nicht weit entfernt voneinander lägen und somit für eine Person gut zu erreichen sei-en. Darüber hinaus kannte sie zwei der dort an colleges tätigen Schulleiterinnen
persönlich und schätzte sie als aufgeschlossen gegenüber der Durchführung ei-ner wissenschaftlichen Studie ein (es handelte sich dabei um Schulleiterin 2 und
5 aus dieser Arbeit). Nach Anwendung aller aufgeführten Kriterien im ausgesuchten Schul-
bezirk blieben acht colleges übrig, welche allesamt kontaktiert wurden. Die Kontaktaufnahme erfolgte an jeder Schule in Form eines postalischen Schrei-bens, in dem das Forschungsvorhaben kurz skizziert wurde, einer Zusicherung
der Anonymität und eines Antrags zur Bewilligung des Forschungsvorhabens.
Meist erfolgte keine unmittelbare Reaktion, weshalb nach einer Frist von drei
bis fünf Wochen telefonischer Kontakt mit den zuvor angeschriebenen Schulen
aufgenommen wurde. In vielen Fällen wurde daraufhin das Einverständnis zur
Forschung vor Ort zunächst mündlich und später schriftlich erteilt. In zwei Fäl-len wurde das Besuchsgesuch verweigert. Ein college wurde aufgrund zeitlicher und finanzieller Beschränkungen nicht besucht, obgleich es alle obigen Kriteri-en erfüllte und eine Zusage zur Beforschung erteilt hatte.
Ohne die Zusicherung von Anonymität wäre eine Kooperation in vielen
Fällen verweigert worden; sämtliche Daten, die zur Identifikation einer einzel-
68 Dies wäre bei Schulen aus verschiedenen academies (Schulregionen) der Fall gewesen. Zwar ist
das französische Schulsystem trotz zunehmender Autonomie der Regionen und Einzelschulen bis
heute zentral organisiert, doch interagiert jede Schule bei der Implementation von Reformen oder
bei der Erlaubnis zur Umsetzung eigener, bedeutender Projekte mit Repräsentanten der jeweils
zuständigen academie . Die verschiedenen academies legen die zentral gemachten Vorgaben je-doch gelegentlich unterschiedlich aus, so dass eine academie -übergreifende Studie ohne beson-dere Berücksichtigung und Analyse der einzelnen academies die Gefahr von Verzerrungen mit sich gebracht hätte.
116 4 Empirischer Teil
nen Schule genutzt werden könnten, wurden daher unkenntlich gemacht. Hierzu
gehören beispielsweise der genaue Standort der Schule sowie die Namen sämtli-cher observierter und interviewter Personen. Dabei wurde jedoch auch darauf
geachtet, dass für Daten, die für die Untersuchung von Relevanz sein könnten,
eine Ausnahme gemacht wurde. So wird beispielsweise das soziale Umfeld der
Schule beschrieben, ohne jedoch den genauen Standort zu nennen. Unverändert,
also nicht anonymisiert, wurden sämtliche Grundmerkmale der beforschten Per-sonen und Schulen übernommen. Hierzu gehören Geschlecht und Alter der Schulleiter/-innen, Anzahl der Lehrer/-innen und Schüler/-innen in den einzel-nen Schulen, Anzahl der Servicekräfte sowie Anzahl der zur Verfügung stehen-den Lehrstunden (Lehrdeputat) pro Schule.
4.6.1 Schulleiterin 1
Schulleiterin 1 ist 54 Jahre alt. Sie arbeitet seit Beginn des Schuljahres
2007/2008 als Schulleiterin am untersuchten coll^ge , ihre Stellvertreterin seit 2006/2007. Das coll^ge liegt in einem sozial benachteiligten Stadtviertel eines
Vorortes von Paris. In dieser Vorort-Gemeinde leben insgesamt ca. 100.000 Ein-wohner. Aufgrund seiner Lage ist das coll^ge als coll^ge im sozialen Brenn-punkt klassifiziert (RRSIZEP ); die Schulleitung erhält somit besondere Unter-stützung in Form zusätzlicher Lehrdeputate.
Pseudonym Schulleiterin 1 (SL1)
Anzahl der Schüler/-innen 448
Anzahl der formalen Mitglieder der Schulleitung 3
Anzahl der formalen Mitglieder des päd. Beratungsteams ( vie scolaire ) 10
Lehrdeputat (DHG ) 539 Stunden
Der Schule zugewiesene Lehrkräfte (halbe, Dreiviertel- und volle Stellen) 41
Servicekräfte (ATOSS ) 2
Tabelle 9: Merkmale der Schule von Schulleiterin 1
4.6.2 Schulleiterin 2
4.6 Datengewinnung und Datenquellen 117
Schulleiterin 2 ist 58 Jahre alt. Sie ist seit Beginn des Schuljahres 1998/1999 als
Schulleiterin am college tätig,69 ihre Stellvertreterin seit 2004/2005. Das college liegt zwischen dem Kern eines Pariser Vorortes und einem Neubaugebiet, ca. 5
km vom college von Schulleiterin 1 entfernt. Der Einzugsbereich des college umfasst zu großen Teilen Stadtteile, in denen überwiegend mittelständische Fa-milien leben.
Pseudonym Schulleiterin 2 (SL2)
Anzahl der Schüler/-innen 640
Anzahl der formalen Mitglieder der Schulleitung 3
Anzahl der formalen Mitglieder des päd. Beratungsteams ( vie scolaire ) 10
Lehrdeputat (DHG ) 674 Stunden
Der Schule zugewiesene Lehrkräfte (halbe, Dreiviertel- und volle Stellen) 47
Servicekräfte (ATOSS ) 2
Tabelle 10: Merkmale der Schule von Schulleiterin 2
4.6.3 Schulleiter 3
Schulleiter 3 ist 61 Jahre alt. Er ist seit Beginn des Schuljahres 2007/2008 als
Schulleiter am college tätig, genau wie sein Stellvertreter. Das college liegt im selben Ort wie das college von Schulleiterin 2, allerdings inmitten eines sozialen
Brennpunktes. Aufgrund dieser Lage ist das college als college im sozialen Brennpunkt klassifiziert (RRS , Reseaux Reussite Scolaire ); die Schulleitung er-hält besondere Unterstützung in Form zusätzlicher Lehrdeputate. Das college hat sich 2009 erfolgreich mit einem selbst entwickelten Konzept im Rahmen ei-nes vom Bildungsministerium ausgeschriebenen Wettbewerbs namens „digitale
Schule" um Fördermittel zum Ausbau der schulischen IT- Struktur beworben.
69 Schulleiterin 2 wäre eigentlich verpflichtet, nach spätestens neun Jahren an eine andere Schule
zu wechseln, hat aber eine Ausnahmegenehmigung erhalten, bis zu ihrer Pensionierung am von
ihr geleiteten college zu verbleiben.
118 4 Empirischer Teil
Pseudonym Schulleiter 3 (SL3)
Anzahl der Schüler/-innen 400
Anzahl der formalen Mitglieder der Schulleitung 3
Anzahl der formalen Mitglieder des päd. Beratungsteams ( vie scolaire ) 6
Lehrdeputat (DHG ) 528 Stunden
Der Schule zugewiesene Lehrkräfte (halbe, Dreiviertel- und volle Stellen) 32
Servicekräfte (ATOSS ) 1
Tabelle 11: Merkmale der Schule von Schulleiter 3
4.6.4 Schulleiter 4
Schulleiter 4 ist 49 Jahre alt. Er ist seit Beginn des Schuljahres 2006/2007 als
Schuleiter am college tätig; seine Stellvertreterin seit Beginn des Schuljahres
2004/2005. Das college liegt in einem Nachbarort 6 km vom Ort des college von Schulleiterin 1 entfernt. Aufgrund seiner Lage ist das college als college im sozialen Brennpunkt klassifiziert ( RRS); die Schulleitung erhält deshalb Un-terstützung in Form zusätzlicher Lehrkräfte.
Pseudonym Schulleiter 4 (SL4)
Anzahl der Schüler/-innen 649
Anzahl der formalen Mitglieder der Schulleitung 3
Anzahl der formalen Mitglieder des päd. Beratungsteams ( vie scolaire ) 10
Lehrdeputat (DHG ) 722 Stunden
Der Schule zugewiesene Lehrkräfte (halbe, Dreiviertel- und volle Stellen) 58
Servicekräfte (ATOSS ) 3
Tabelle 12: Merkmale der Schule von Schulleiter 4
4.6.5 Schulleiterin 5
Schulleiterin 5 ist 51 Jahre alt. Sie ist seit Beginn des Schuljahres 2007/2008 am college als Schulleiterin tätig, ihre Stellvertreterin seit Beginn des Schuljahres
2008/2009. Das college liegt in einem kleinen Pariser Vorort ca. 2 km vom Ort
des college von Schulleiterin 1 entfernt. Der Einzugsbereich des college von Schulleiterin 5 umfasst größtenteils Stadtteile, in denen überwiegend mittel-ständische Familien leben. Die Eckdaten des college von Schulleiterin 5 lauten wie folgt:
4.6 Datengewinnung und Datenquellen 119
Pseudonym Schulleiterin 5 (SL5)
Anzahl der Schüler/-innen 491
Anzahl der formalen Mitglieder der Schulleitung 3
Anzahl der formalen Mitglieder des päd. Beratungsteams ( vie scolaire ) 8
Lehrdeputat (DHG ) 561 Stunden
Der Schule zugewiesene Lehrkräfte (halbe, Dreiviertel- und volle Stellen) 36
Servicekräfte (ATOSS ) 2
Tabelle 13: Merkmale der Schule von Schulleiterin 5
Das coll^ge verfügt über zwei bilinguale Klassen, für die vom Bildungs-ministerium zusätzliche Mittel in Form von Lehrkapazitäten zur Verfügung ge-stellt werden.
4.7 Reflexion der Datenerhebung
Die folgenden Ausführungen beinhalten in erster Linie Erläuterungen und eine
kritische Selbstreflexion zu den Kategorien. Neben ihrer kritischen Hinterfra-gung ist es auch Ziel dieses Abschnittes, ihre Entstehung und ihre Begründung transparent zu machen. Jede Art der Kategorisierung ist künstlich und somit
nicht in der Lage, Wahrgenommenes vollständig und akkurat abzubilden. Die
hier verwendeten Kategorien sind keine Ausnahme. Während die Identifikation der für die vorliegende Untersuchung eher
unwichtigen^0 privaten Aktivitäten vergleichsweise klar und trennscharf war, er-wies sich die Trennschärfe zwischen den anderen drei Kategorien als diffuser.
So warf folgendes Szenario beispielsweise ein Problem beim Kategorisieren
auf. Ein Lehrer klopft beim Schulleiter an die Tür und klagt 30 Minuten lang
über eine undisziplinierte Klasse, deren Klassenlehrer er ist. Der Schulleiter be-ruhigt ihn, spricht ihm Mut zu. Der Lehrer bedankt sich für das Gespräch und
sagt, jetzt ginge es ihm besser und er wolle sich anstrengen, die Klasse doch
noch zum Erfolg zu bringen.
^0 Die Tatsache, dass diese Kategorien für diese Untersuchung — und vermutlich auch für viele ähn-liche Untersuchungen — als unwichtig erachtet wurden, rechtfertigt m.E. nicht das kommentarlo-se Weglassen derselben. So existieren viele publizierte Beobachtungsstudien, in denen keinerlei
private oder sonstige Aktivitäten vorkommen. Es stellt sich die Frage, ob die verantwortlichen
Forscher/-innen diese Kategorie — zumindest bei der Publikation ihrer Ergebnisse — außer Acht
gelassen haben oder ob es sich bei den beobachteten Personen um übermenschen handelt, die
stundenlang tätig sind, ohne die geringste Aktivität außerhalb des Arbeits-Kontextes zu unterneh-men.
120 4 Empirischer Teil
In dieser Studie wurde diese Aktivität je nach Schwerpunkt des Ge-sprächsinhalts den zwischenmenschlichen Beziehungen oder der Administration
zugeordnet; das obige Beispiel wurde der Kategorie „zwischenmenschliche Be-ziehungen" zugeordnet. Die Problematik wurde nach der empirischen Erhebung
mit einem der beobachteten Schulleiter, Schulleiter 4, diskutiert. Seine Meinung,
die auch von Schulleiterin 1 in ähnlicher Weise geäußert wurde, war, dass es für ihn einen Unterschied mache, ob jemand lediglich kurze Ratschläge im Umgang
mit einer Klasse suche oder ernsthaft unter einer undisziplinierten Klasse leide
und ihm von diesem Leid berichte. Insbesondere das Motivieren des Personals
sei alles andere als Routinearbeit und er müsse sich stets ganz darauf konzen-trieren, um etwas bewirken zu können. Kleinere Ratschläge könne er hingegen
meistens zügig und ohne große Anstrengung geben. Fragen nach Ratschlägen
oder kurze Vergewisserungen bei der Schulleitung bezüglich einer angedachten
Vorgehensweise kämen darüber hinaus sehr häufig vor und würden somit meist
routiniert erledigt. Aufgrund von Unterrichtsproblemen ernsthaft niederge-schlagene Lehrer seien hingegen glücklicherweise eher selten. Auch wenn diese
Situation bei einigen Lehrern wiederholt vorkäme, könne man nicht von Routine
sprechen. Zuhören, aufmerksam und aufrichtig sein, dies waren seiner Meinung
nach Schlüsselfaktoren, um Mitarbeiter zu erreichen und sie wieder zu motivie-ren. Es wird versucht, diesen Einschätzungen des Schulleiters insofern Rech-nung zu tragen, als in der hier vorgestellten Untersuchung zwischenmenschliche
Interaktionen, die nicht eindeutig dem administrativen Bereich zugeschrieben
werden können, grundsätzlich dem zwischenmenschlichen Bereich zugeschrie-ben werden.
Begrüßungen wurden in dieser Untersuchung ebenfalls der zwischen-menschlichen Kategorie zugerechnet. Dahinter stand die Beobachtung, dass die Begrüßungen von den Schulleitern und Schulleiterinnen meist für einen kurzen,
persönlich zugeschnittenen Austausch genutzt wurden („Frau Müller, wie geht
es ihrer Tochter? Und in der Klasse 4c, läuft es da wieder rund?"). Selbst wenn
dieses Verhalten seitens der Schulleiter/-innen sicherlich mit den Jahren einer
gewissen Routine unterliegt (und somit der administrativen Kategorie zugerech-net werden könnte), überwiegt meines Erachtens der zwischenmenschliche
Aspekt. Das Tadeln von Schülern wurde als Arbeit an einem Konflikt zwischen
Schüler und Lehrer angesehen und infolgedessen der zwischenmenschlichen
Kategorie zugeordnet, obgleich diese Tätigkeit von manchen Schulleitern und
Schulleiterinnen als Routine bezeichnet wurde. Zur Kategorie der schulentwicklungsnahen Aktivitäten ist anzumerken,
dass sie die wahrscheinlich am stärksten konstruierte der vier Kategorien dar-stellt. Zur Identifikation von schulentwicklungsnahen Tätigkeiten genügt es
nicht, eine Aktivität isoliert zu betrachten („Schulleiter telefoniert"), der Kontext
muss erfasst und einbezogen werden („Schulleiter telefoniert mit Ministerium
4.7 Reflexion der Datenerhebung 121
über das an seiner Schule initiierte Projekt zur Bekämpfung von Absentismus").
Eine strukturierte Beobachtung, welche ausschließlich auf das Erlangen von Ba-sisdaten abzielt und alles Andere ausblendet, wäre nicht in der Lage, schulent-wicklungsnahe Tätigkeiten zu erfassen (eine derart angewandte strukturierte Be-obachtung hätte es schwer sich gegen den Vorwurf, eine tayloristische Methode
zu sein, zu wehren, vgl. Gronn, 1982). Nicht zuletzt deshalb wurde bei vorlie-gender Untersuchung stets auch versucht, den Kontext zu erfassen, darüber hin-aus wurden Unklarheiten im täglichen Debriefing zur Sprache gebracht und ge-klärt. Es ist meine Ansicht, dass Tätigkeiten im Bereich Schulentwicklung daher erfasst werden konnten, auch wenn sicherlich zu konzedieren ist, dass die Kate-gorie „schulentwicklungsnahe Tätigkeiten" nicht frei von Überlappungen ist. So
wird in der einschlägigen Literatur ein effektives Personalmanagement durchaus
im Tätigkeitsbereich von Schulentwicklung verortet, ebenso das Aufbauen von
Vertrauen. Aspekte von Personalmanagement wie z. B. die Motivation von Mit-arbeitern wurden wie skizziert in vorliegender Untersuchung der Kategorie
„zwischenmenschliche Beziehungen" zugeordnet, hätten sich jedoch auch be-gründet in der Kategorie Schulentwicklung einfügen lassen. Dies hätte eben jene
Kategorie allerdings noch stärker mit Bedeutung aufgeladen als sie es ohnehin
bereits ist. In vorliegender Untersuchung war es der Wunsch, die Balance zwi-schen vielen hochspezifischen Kategorien auf der einen und breiten „Su-per-Kategorien" auf der anderen Seite zu finden. Eine Übersicht mit Beispielen
für Tätigkeiten aus den einzelnen Kategorien befindet sich im Anhang. Ich bin der Ansicht, dass die vorliegenden Kategorien einen gangbaren Kompromiss
darstellen, der von Aussagekraft ist und Erkenntnisgewinn ermöglicht. Jegliche
Aufteilung ist der Versuch, miteinander verwobene Sachverhalte künstlich zu
trennen, eine Kategorisierung stellt somit eine verlustbehaftete Vereinfachung
komplexer Zusammenhänge dar. Somit ist auch klar, dass die hier vorgestellten
Kategorien nicht strikt voneinander getrennt zu betrachten sind. Wenn man sich
einmal dazu entschließt Kategorien zu verwenden, begibt man sich in virtuelle
Konstruktwelten. Das Bestreben sollte es dann sein, distinktive Unterschiede
mit Hilfe von Kategorien abzubilden, die gewählten Kategorien so transparent
wie möglich zu machen und den Mittelweg zwischen Bedeutungslosigkeit auf-grund zu vieler und Bedeutungslosigkeit aufgrund zu weniger Kategorien zu
finden. Dies wurde in vorliegender Arbeit versucht.
4.8 Zusammenfassung
Im vierten Kapitel wurde das Forschungsdesign erörtert. Dabei wurde einerseits
die Wahl der Fallstudie als übergeordnetes Design vorgestellt und begründet. In einem nächsten Schritt wurden die im Rahmen des Fallstudiendesigns verwen-
122 4 Empirischer Teil
deten Methoden, Interviews, überwiegend strukturierte Beobachtungen und Do-kumentenanalyse, näher erläutert. Die Dokumentenanalyse diente dabei primär
der Erfassung grundlegender Strukturmerkmale der beforschten Schulen. Die überwiegend strukturierten Beobachtungen dienten einerseits der Aufzeichnung
der Tätigkeiten der Schulleiter/-innen, andererseits auch der Aufzeichnung ihres
Wirkens im Kontext von Schulentwicklungsprozessen. Die Interviews knüpften
an die Beobachtungen an und dienten einerseits dazu, das Betriebs- und Kon-textwissen der Schulleiter/-innen zu erfassen. Ferner war es durch ihren Einsatz
möglich, während der Beobachtungen gesammelte Daten durch die Schulleiter/- innen reflektieren zu lassen. Vor allem dienten sie jedoch der Rekonstruktion
von Schulentwicklungsprojekten und der über die Beobachtungen hinaus-gehenden Exploration der Schulleiter/-innen als zentrale Akteure im Schulent-wicklungsprozess.
In diesem Kapitel wurde außerdem dargelegt, wie die in dieser Arbeit
verwendeten zentralen Kategorien der Beobachtung erarbeitet wurden. Zugrun-de lag eine ausführliche Literaturrecherche inhaltlich und methodisch ähnlich
gelagerter Studien. „Administration" sowie „Beziehungen" kristallisierten sich
dabei als zwei zentrale Kategorien heraus. Aufgrund des Forschungsanliegens
dieser Arbeit wurde „Schulentwicklung" als weitere Kategorie aufgenommen.
Nach Durchführung eines Pretests wurde außerdem „Privates" als vierte Kate-gorie hinzugezogen.
Um den Prozess der Datenerhebung so transparent wie möglich zu ma-chen, wurden zudem der Zeitraum der Datenerhebung, die begleitenden Um-stände sowie die Datenquellen ausführlich beschrieben. Schließlich erfolgte eine
kritische Reflexion der Datenerhebung mit besonderem Fokus auf die der Arbeit
zugrunde liegenden Kategorien. Ein wichtiger Punkt dabei war die Kennzeich-nung ihrer Künstlichkeit und die damit verbundenen Schwierigkeiten bei der
Trennung, beispielsweise wurden Begrüßungen der zwischenmenschlichen Ka-tegorie zugeordnet, hätten sich aber unter Umständen auch begründet in die ad-ministrative Kategorie einordnen lassen. Die Reflexion der Kategorie Schulent-wicklung machte deutlich, wie wichtig der Kontext der erfassten Aktivitäten für
die korrekte Kategorisierung war.
5 Auswertung der Beobachtungen
Während es in jeder besuchten Schule Unterschiede bezüglich der Organisation
und der Art der Führung gab, ließen sich auch einige Gemeinsamkeiten ausma-chen. Folgende Ergebnisse erscheinen diesbezüglich zentral:
• Die beobachteten Schulleiter/-innen führten im Laufe ihres Arbeitsta-ges eine Vielzahl an Aktivitäten durch.
• Die beobachteten Schulleiter/-innen führten im Laufe der jeweiligen
Woche ein breites Spektrum an Aktivitäten durch.
• Mindestens die Hälfte dieser Aktivitäten bestand aus administrativen
Tätigkeiten. • Viele der Aktivitäten (mindestens ein Drittel) waren unvorhergesehen
bzw. ungeplant. ^1
• Die meisten Aktivitäten waren nicht von langer Dauer (weniger als 10 Minuten).
• Die Schulleiter/-innen wurden häufig in ihrer Arbeit unterbrochen, was
fragmentierte Arbeitsabläufe zur Folge hatte.
• Die Schulleiter/-innen hatten in der Regel einen großen Bedarf an In-formationen über die Lage an ihrer Schule, doch fiel es vielen Schullei-tern/Schulleiterinnen schwer, sich diese Informationen ohne großen zeitlichen Aufwand verfügbar zu machen.
• Die Schulleiter/-innen verbrachten den Großteil der beobachteten Ar-beitstage nicht allein im Büro, sondern interagierten häufig mit ande-ren, am häufigsten mit ihren Stellvertretern/Stellvertreterinnen. Das
Bild des Schulleiters als einsamer Einzelkämpfer konnte in vorliegen-der Untersuchung somit nicht bestätigt werden.
M1 Ob etwas ungeplant war oder nicht, lässt sich nicht ausschließlich anhand von erhobenen Basis-daten wie z. B. „Schulleiter spricht mit Lehrer" erkennen. Bei Erfassung des Kontextes ist dies
jedoch sehr wohl möglich, z. B. wenn man als Beobachter gesehen und aufgezeichnet hat, dass
der Lehrer zuvor an die Tür geklopft hat und den Schulleiter gefragt hat, ob er kurz mit ihm spre-chen könne. Seltene etwaige Unklarheiten diesbezüglich wurden durch kurzes Rückfragen im
Debriefing beseitigt.
124 5 Auswertung der Beobachtungen
Schulleiter SL1 SL2 SL3 SL4 SL5
Privates 4,20% 6,55% 1,49% 4,24% 9,16%
Schulentw. 8,41% 4,00% 29,85% 19,31% 7,57%
Beziehungen 19,82% 20,00% 19,03% 28,57% 23,11 %
Administration 67,57% 69,45% 49,63% 47,88% 60,16%
Tabelle 14: Prozentuale Verteilung der Tätigkeiten der untersuchten Schulleiter/- innen
(an den jeweiligen typischen Tagen)
Privates
Schulentw.
eziehungen
Administr.
SL1 SL2 SL3 SL4 SL5
Abbildung 9: Grafische Darstellung der Verteilung der Tätigkeiten der untersuchten Schulleiter/-in-nen
Wie u. a. durch Abbildung 9 verdeutlicht wird, gab es bezüglich der Verteilung
der Aktivitäten bei Schulleiterin 1, 2 und 5 diverse Gemeinsamkeiten, im Ver-gleich zu Schulleiter 3 und 4 jedoch auch deutliche Unterschiede (vgl. hierzu
auch Tabelle 14). In einem späteren Abschnitt wird dezidiert auf die Beobach-tungsdaten der einzelnen Schulleitungspersonen eingegangen (siehe Kapitel 5.2
dieser Arbeit). Beobachten ließ sich des Weiteren ein Umgang der Schulleiter/-innen
mit einer Flut an Informationen (zum Beispiel in Form von bulletins officiels
[wöchentliches offizielles Rundschreiben des Bildungsministeriums mit Erlas-sen] 72, behördlichen E-Mails, E-Mails von Lehrern, Eltern etc.). Vor diesem
Hintergrund überraschte es nicht, dass Schulleiter/-innen wenig Zeit und Auf-merksamkeit pro einzelner Kommunikations- bzw. Informationsinstanz auf-brachten. Mehrfach konnte beobachtet werden, dass Kontaktaufnahmen oder
Kooperationsanfragen von Akteuren außerhalb des schulischen Kontextes wie
z. B. Vereinen, unbeantwortet blieben.
72 Die in den bulletins officiels veröffentlichten Bekanntmachungen und Erlasse werden halbjähr-lich in einer Sonderausgabe bulletin officiel special zusammengefasst. Auch in anderen Publika-tionen werden diese gesammelt. Für Schulleiter/-innen ist es jedoch meist wichtig (und auch
Pflicht), stets über aktuelle Bestimmungen und Veränderungen der rechtlichen Grundlagen des
Schulablaufs informiert zu sein.
20 Meter ADJ
5.1 Räumlichkeiten 125
5.1 Räumlichkeiten
Durch die Beobachtungen wurde deutlich, dass bisher meist vernachlässigte
Aspekte der Schulleitungsarbeit und ihrer Rahmenbedingungen potenziell rele-vant sind. So scheint die Kommunikation zwischen Schulleiter/-in und stellver-tretendem Schulleiter bzw. stellvertretender Schulleiterin auch durch triviale
Faktoren wie die Raumsituation einer Schule ganz erheblich beeinflusst zu wer-den. Dies soll durch nachfolgende Schemata kurz illustriert werden.
SL
ADJ
Sekr
Abbildung 10: Schematische Darstel-lung der Büros von Schulleiterin 1, ih-rer Stellvertreterin und ihrer Sekretärin
Das Büro von Schulleiterin 1 befand sich seitlich am Ende eines Gan-ges (vgl. Abbildung 10). Gegenüber, doch räumlich durch den Gang getrennt,
befand sich das Büro der Sekretärin, daneben das Büro der stellvertretenden
Schulleiterin (in den nachfolgenden Schemata abgekürzt durch die französische
Bezeichnung für stellvertretende Schulleiterin, AD.). Sofern die Türen der Bü-ros von Schulleiterin 1 und ihrer Sekretärin beide geöffnet waren, konnte Schul-leiterin 1 durch Rufen auf sich aufmerksam machen. Dies wurde täglich mehr-fach beobachtet. Für eine weitergehende Kommunikation begab sich die Sekretärin anschließend
ins Büro, da die Entfernung eine direkte Unterhaltung zwischen den Büros un-möglich machte. Gelegentlich war eine der beiden Bürotüren geschlossen.
Schulleiterin 1 griff in solchen Momenten zum Telefon, um ihre Sekretärin zu
kontaktieren, oder verschob das Anliegen auf einen späteren Zeitpunkt. Die
Stellvertreterin von Schulleiterin 1 konnte nicht durch Rufen auf sich auf-merksam machen. Sie begab sich bei Angelegenheiten stets zu Fuß ins Büro der Sekretärin oder ins Büro von Schulleiterin 1 oder benutzte das Telefon.
SL
Sekr
Abbildung 11: Schematische Darstellung der Büros von Schulleiterin 2,
ihrer Sekretärin und ihrer Stellvertreterin
Sekr ADJ SL
126 5 Auswertung der Beobachtungen
Das Büro von Schulleiterin 2 grenzte direkt an das Büro ihrer Sekretärin an.
Eine Tür verband beide Büros (vgl. Abbildung 11). Während der Beobachtungs-phase war diese Tür in der Regel offen, es sei denn, Schulleiterin 2 führte El-terngespräche. Schulleiterin 2 kommunizierte regelmäßig von ihrem Büro aus
mit ihrer Sekretärin. Der Austausch zwischen den beiden wurde in den Feldnoti-zen als wesentlich intensiver und häufiger als der Austausch zwischen Schul-leiterin 1 und ihrer Sekretärin charakterisiert. Das Büro der Stellvertreterin von
Schulleiterin 2 befand sich ca. 20 m entfernt im selben Gang. Schulleiterin 1
und ihre Sekretärin kommunizierten wesentlich häufiger miteinander als Schul-leiterin 2 mit ihrer Stellvertreterin.
Abbildung 12: Schematische
Darstellung der Büros von
Schulleiter 3, seiner Sekretärin
und seines Stellvertreters
Das Büro von Schulleiter 3 grenzte direkt an das Büro der Sekretärin und war
durch eine Tür mit diesem verbunden (vgl. Abbildung 12). Diese Tür war wäh-rend der Beobachtungsphase in der Regel offen, es sei denn, Schulleiter 3 führte
sensible Gespräche (z. B. Elterngespräche). Das Büro der Sekretärin grenzte
wiederum an das Büro des stellvertretenden Schulleiters und war durch eine in
der Regel ebenfalls offene Tür mit diesem verbunden.
Beobachtet werden konnte eine rege Kommunikation sowohl zwischen
Schulleiter 3 und seiner Sekretärin als auch zwischen der Sekretärin und dem
Stellvertreter von Schulleiter 3. Schulleiter 3 und sein Stellvertreter trafen sich
darüber hinaus mehrfach täglich spontan im Büro der Sekretärin und mindestens einmal täglich morgens geplant im Büro von Schulleiter 3 (das geplante Treffen
am Morgen diente laut Schulleiter 3 einem gegenseitigen Briefing).
ADJ
SL
Sekr
SL ADJ
Sekr
5.1 Räumlichkeiten 127
Abbildung 13: Schematische Darstellung
der Büros von Schulleiter 4, seiner Sekre-tärin und seiner Stellvertreterin
Das Büro von Schulleiter 4 grenzte direkt an das Büro seiner Stellvertreterin
und war durch eine Tür mit diesem verbunden (vgl. Abbildung 13). Diese Tür war in der Regel offen, es sei denn, Schulleiter 4 oder seine Stellvertreterin hatte
ein wichtiges Gespräch zu führen (meist Elterngespräche oder Schülergespräche
im Anschluss an schwere disziplinarische Verstöße). Schulleiter 4 und seine
Stellvertreterin besprachen viele Angelegenheiten von ihren jeweiligen Büros
aus, auch wurden mehrfach spontan geäußerte Ideen ausgetauscht. Gelegentlich
führte dies dazu, dass die Stellvertreterin von Schulleiter 4 sich in das Büro von
Schulleiter 4 begab, um Angelegenheiten zu vertiefen. Kommunikation zwi-schen Schulleiter 4 und seiner Sekretärin fand deutlich seltener statt und war
stets mit einem konkreten Anliegen verbunden, oftmals griff Schulleiter 4 auch
zum Telefonhörer, um die Sekretärin zu bitten, bei Gelegenheit ins Büro von
Schulleiter 4 zu kommen. Sobald dies erfolgte, erklärte Schulleiter 4 dann sein
Anliegen.
Abbildung 14: Schematische Dar-stellung der Büros von Schulleite-rin 5, ihrer Sekretärin und ihrer
Stellvertreterin
Die Bürokonfiguration an der Schule von Schulleiterin 5 ähnelte dejenigen der Schule von Schulleiter 3: Die drei Büros lagen direkt nebeneinander, das mittle- re Büro war durch zwei Türen mit den äußeren Büros verbunden (vgl. Abbil-
128 5 Auswertung der Beobachtungen
dung 14). Schulleiterin 5 arbeitete im mittleren Büro, ihre Stellvertreterin war in
einem der Nebenbüros, im dritten arbeitete die Sekretärin. Die Kommunikation
zwischen Schulleiterin 5 und ihrer Stellvertreterin war sehr rege und fand oft-mals vom Bürosessel aus statt. Wie bei Schulleiter 4 gab es auch hier gelegent-lich spontane Gespräche und Austausch kleinerer Gedanken und Ideen. Schul-leiterin 5 kommunizierte seltener mit ihrer Sekretärin als mit ihrer Stellvertrete-rin.
An den fünf beobachteten Schulen gingen die Schulleiterinnen und
Schulleiter bei vielen Kommunikationsanlässen den Weg der geringsten Mühe:
Zuerst wurde in fast allen Fällen der direkte räumliche Nachbar angesprochen,
sofern vorhanden. Dabei handelte es sich entweder um den/die Stellvertreter/in
oder die Sekretärin. Bei verschlossenen Türen oder einem nicht besetzten Ne-benraum erfolgte der Gang zum Nachbarzimmer, bei Nichterfolg gefolgt vom
Griff zum Telefonhörer. E-Mails und Intra- bzw. Internetkonsultationen folgten
zuletzt, gelegentlich wurde das Anliegen auch auf einen späteren Zeitpunkt ver-schoben.
Es mag sich hierbei um Einzelfälle handeln, doch scheinen sie aus mei-ner Sicht auffällig genug, um mögliche Zusammenhänge zwischen Bürokonfi-guration und Arbeitshandeln zu erforschen. So existieren in anderen Disziplinen
wie z. B. der Wirtschaftsforschung ähnliche Bestrebungen (vgl. z.B. Cain, Cop-lien & Harrison, 1996; Mehrle et al., 2012). Im Bereich der Gesundheitsfor-schung am Arbeitsplatz und der Arbeitsmedizin werden regelmäßig Studien zur Verbesserung der räumlichen Gestaltung von Arbeitsplätzen durchgeführt; Ziel
ist hier meist ein höheres Wohlbefinden der Arbeitnehmer/-innen (vgl. bspw.
Kelter & Kern, 2006). Auch in der Pädagogik gibt es hin und wieder verstärktes
Interesse an Räumlichkeiten und ihrem möglichen Einfluss auf Lehr/-Lernpro-zesse (siehe z.B. Rätzel & Dehn, 2009). Mögliche Ziele könnten hierbei das
Ausloten von Potenzialen zur Steigerung der Effizienz, der Zufriedenheit oder
der Kohäsion sein. Zur Ergründung der Rolle der räumlichen Anordnungen und
Raumkonfigurationen im Kontext von Schulleitungsarbeit könnten beispielswei-se qualitative und quantitative soziale Netzwerkanalysen durchgeführt werden.
Parallel dazu könnten Daten zu den Raumanordnungen in den beforschten Schu-len erhoben werden.
Akt
ivit
ät
4
2
3
A
5.2 Individuelle Arbeitstage 129
5.2 Individuelle Arbeitstage
06:30 07:30 08:30 09:30 10:30 11:30 12:30
Zeit
Abbildung 2*8 Typischer Arbeitsvormittag von Schulleiterin 2 (Montag)
Eine Analyse der Arbeitsvormittage der individuellen Schulleiter/-innen hilft,
Unterschiede und Eigenheiten zu verdeutlichen. Nachfolgend werden daher die
typischen Arbeitsvormittage der beschatteten Schulleiter/-innen vorgestellt. Da-bei werden zunächst alle Schulleiter/-innen individuell betrachtet; prägnante
Charakteristika werden jedoch auch kontrastierend beschrieben.
5.2.1 Schulleiterin 2
Abbildung AD zeigt einen typischen Arbeitsvormittag von Schulleiterin 1. Die vier vertikalen Ebenen repräsentieren dabei die vier für die eobachtungen ent- wickelten Kategorien, die horizontale Achse ist ein Zeitstrahl. Jeder kleine graue
lock repräsentiert eine Aktivität; je länger andauernd die Aktivität, desto brei-ter der lock. Ein Schattierungswechsel kennzeichnet einen Aktivitätswechsel;
dies kann auch eine andere Aktivität innerhalb ein- und derselben Kategorie sein
(z. . Schulleiter unterschreibt Kaufbescheide für neues Kopierpapier gefolgt
vom Lesen der Tagespost). Über den Aktivitätswechsel hinaus haben die Schat-tierungen keine besondere edeutung; sich wiederholende, in ihrem Grauton
identische Schattierungen sind also nicht gleichbedeutend mit sich wiederholen-den Aktivitäten.
130 5 Auswertung der Beobachtungen
Der typische Arbeitsvormittag von Schulleiterin 1 besteht aus vielen
Aktivitäten, die regelmäßig unterbrochen werden. Über 60 Handlungen wurden
im Laufe eines Vormittages bei ihr aufgezeichnet, mehr als bei allen anderen un-tersuchten Schulleitern/Schulleiterinnen. Schulleiterin 1 verbrachte mehr als
zwei Drittel ihrer Arbeitszeit mit administrativen Tätigkeiten. Am häufigsten
kommunizierte Schulleiterin 1 mit ihrer Sekretärin und der stellvertretenden
Schulleiterin. Der Tag von Schulleiterin 1 begann gewöhnlich mit dem Lesen neuer
E-Mails und einem Rundgang durch das Schulgebäude, verbunden mit der Be-grüßung eintreffender Lehrer/-innen und Schüler/-innen. Im Laufe des Morgens
erhielt sie von einem surveillant die Liste der fehlenden Schüler/-innen. Darüber hinaus wurden mehrfach Schüler/-innen zu ihr gebracht, die durch grobe Diszi-plinverstöße aufgefallen waren. Dinge, die sie sich selbst vorgenommen hatte
(am hier illustrierten Tag zum Beispiel die Weiterarbeit an einem Konzept für
eine Reform der Schulzeiten an ihrer Schule), wurden von ihr häufig aufge-schoben, insbesondere dann, wenn aus ihrer Sicht Probleme im geregelten Ta-gesablauf auftraten, was an allen fünf beobachteten Tagen der Fall war. Manch-mal arbeitete sie daher abends zu Hause an ihren Ideen für Schulveränderungen,
meist blieb die Arbeit jedoch unerledigt. Auf die am Ende des hier illustrierten
Arbeitstages gestellte Frage, was die aus ihrer Sicht wichtigsten Dinge gewesen
seien, die sie an jenem Tag erledigt hätte, antwortete sie, sie könne sich nicht
mehr daran erinnern, was sie alles getan hätte.
Schulleiterin 1 verbrachte am hier illustrierten für sie typischen Tag zu-sammengerechnet über 45 Minuten damit, Noten, welche Lehrer in eine Daten-bank eingetragen hatten, zu überprüfen. Außerdem schrieb sie ein Memo, in
welchem sie die Lehrer daran erinnerte, wie und wann die Noten in die Daten-bank einzutragen seien. Das Memo schrieb sie in mehreren Etappen, da sie im-mer wieder unterbrochen wurde bzw. sich selbst unterbrach, um unverrückbare
Termine wahrzunehmen bzw. unverrückbaren Routinen nachzugehen, beispiels-weise einen Rundgang während der großen Pause durchzuführen. Schulleiterin
1 verbrachte darüber hinaus viel Zeit damit, unerwartete Probleme zu handha-ben. Hierzu gehörte die Schlichtung z. T. gewalttätiger Auseinandersetzungen von Schülern und die Klärung der Frage, warum eine Lehrkraft nicht zum Un-terricht erschienen war.
Ein Vergleich der beobachteten Tage (Abbildung 17) zeigt, dass diese
wenig variieren. Schulleiterin 1 verbrachte im Rahmen ihrer administrativen Tä-tigkeiten außerdem viel Zeit (zusammengerechnet deutlich über eine Stunde)
damit, offizielle Post und E-Mails zu lesen und teilweise zu beantworten. Zwi-schenmenschliche Beziehungsarbeit nahm dagegen eher wenig Zeit ein. Schul-entwicklungstätigkeiten spielten für Schulleiterin 1 so gut wie keine Rolle: Mit
00:14 4%
03:45 68%
00:28 8%
01:06 20%
100%
80%
60%
40%
20%
0%
1 2 3 4 5
T age
5.2 Individuelle Arbeitstage 131
ihnen beschäftigte sie sich nur sehr kurz. Weniger Zeit verbrachte sie nur mit
privaten Angelegenheiten.
Administration
Zwischenmensch-liches
Schulentwicklung
Privates/Sonstiges
Abbildung 16.- Aktivitäten von Schulleiterin 1 am typischen Vormittag
Privates/Sonstiges
Schulentwicklung
Zwischenmensch-liches
Administration
Abbildung 17.- Vergleichende Darstellung der beobachteten Tage von Schulleiterin 1
Schulleiterin 1 kommunizierte während der Beobachtungsphase vereinzelt mit
Schulleitern anderer coll^ges , dabei ging es ausschließlich um die Klärung ad-ministrativer Angelegenheiten (z. B. Einreichungsfrist für bestimmte Doku-mente, formal korrekte Vorgehensweise bei Bezahlung von externen Künstlern).
Sie kommunizierte nach eigener Aussage nur mit Schulleitern, mit denen sie auch eine private, freundschaftliche Beziehung hatte.
Akt
ivit
ät
4
3
2
A
132 5 Auswertung der eobachtungen
5.2.2 Schulleiterin 1
07:30 08:30 09:30 10:30 11:30 12:30
Zeit
Abbildung 2I8 Typischer Arbeitsvormittag von Schulleiter 1 (Mittwoch)
Auf den ersten lick birgt der Tagesablauf von Schulleiterin 2 (Abbildung 18)
markante Übereinstimmungen mit dem von Schulleiterin 1. 71 Ähnlich wie sie verbrachte Schulleiterin 2 den Großteil ihrer Zeit mit administrativen Tätigkei-ten. Allerdings zeigt sich nach näherer etrachtung, dass die Dauer pro Aktivität von Schulleiterin 2 bis ca. 10:30 Uhr geringfügig länger war. Dies deutet darauf
hin (und wurde auch so wahrgenommen), dass sie bis 10:30 Uhr weniger in ih-ren Tätigkeiten unterbrochen wurde. Der Grund dafür lag laut Schulleiterin 2 in
dem Umstand, dass sie bis 10:30 Uhr nur bei Notfällen gestört werden wolle
und erst anschließend zur Verfügung stehe. Sie erinnerte insbesondere Lehrerin-nen und Lehrer regelmäßig daran, sie morgens nicht zu stören. Die Sekretärin
von Schulleiterin 2 kam darüber hinaus täglich ab 9 Uhr in die Schule, vorher war Schulleiterin 2 also allein, von ihrer Stellvertreterin abgesehen. Während
der eobachtungsphase wurde die von Schulleiterin 2 erlassene Regel allerdings
nur zum Teil eingehalten, was sich ebenfalls im Diagramm erkennen lässt. Zwi-schen dem eginn ihrer Arbeitstätigkeiten und dem Zeitpunkt, an dem sie in die
Mittagspause ging, wurden HM Aktivitäten aufgezeichnet; Schulleiterin 2 ist also
in der Lage, durchschnittlich mehr Zeit pro Aktivität aufzuwenden als Schullei-terin 1.
73 Vergleiche in diesem Unterkapitel beziehen sich auf die prozentuale Verteilung der typischen Ar-beitstage der Schulleiter/-innen, nicht auf die erhobenen Zeiten. Da die Arbeitszeiten der Schul-leiter/-innen variierten, wäre ein Vergleich anhand der erhobenen Zeiten kontraindiziert.
03:06 74%
00:46 18%
00:05 2%00:16 6%
Administration
Zwischenmenschliches
Schulentwicklung
Privates/Sonstiges
T age
100%
80%
60%
40%
20%
0%
1 2 3 4 5
5.2 Individuelle Arbeitstage 133
Ein typischer Tag von Schulleiterin 2 begann mit der Begrüßung der
Empfangsdame. Anschließend schaute sie dabei zu, wie die Schüler/-innen in
das Schulgebäude hineingelassen wurden. Zurück in ihrem Büro studierte sie
kurz ihren Kalender und widmete sich dann den dringendsten Angelegenheiten
des Tages. Bis ca. 9 Uhr arbeitete sie meistens alleine und ununterbrochen.
Schüler/-innen, die durch starke Disziplinverstöße auffällig geworden waren,
wurden selten zur Schulleiterin gebracht. Allerdings schlichtete sie regelmäßig
Konflikte innerhalb ihres Personals, am hier vorgestellten typischen Tag zwi-schen zwei Servicekräften und zwischen einer Lehrerin und einer Aufseherin.
Abbildung 19: Aktivitäten von Schulleiterin 2 am typischen Vormittag
Abbildung 19 Illustriert die Verteilung der Tätigkeiten von Schulleiterin 2; der
hohe Anteil administrativer Tätigkeiten wird besonders deutlich.
Privates/Sonstiges
Schulentwicklung
Zwischenmensch-liches
Administration
Abbildung 20: Vergleichende Darstellung der beobachteten Tage von Schulleiterin 2
Ein Vergleich der beobachteten typischen Tage (Abbildung 20) offenbart mehr
Aktivitäten im zwischenmenschlichen Bereich am Montag und Dienstag, sowie
Akt
ivit
ät
F
E
H
A
134 D Auswertung der eobachtungen
geringfügig unterschiedlich starke Ausprägungen der administrativen Tätigkei-ten. Diese stellten jedoch — C vom Montag abgesehen — C an allen Tagen den Haupt-anteil dar; ebenso wurde an allen beobachteten Tagen kaum Zeit mit Tätigkeiten
aus dem ereich „Schulentwicklung" verbracht. Schulleiterin E verbrachte mehr
Zeit als Schulleiterin A mit administrativen Tätigkeiten. Während sie weniger
Zeit mit schulentwicklungsnahen Aktivitäten verbrachte, entsprach die Zeit, die
sie für zwischenmenschliche eziehungen aufwendete, ungefähr der von Schul-leiterin 1.
5.2.3 Schulleiter 3
Schulleiter H verbrachte seine Arbeitstage mit deutlich weniger Einzel-Aktivitä-ten als Schulleiterin A und E (vgl. Abbildung 21). Nur rund 24 Einzel-Handlun-gen wurden im Laufe des als typisch erachteten Vormittages aufgezeichnet. Dies
bedeutet, dass Schulleiter H deutlich mehr Zeit mit einer Aktivität verbrachte als
Schulleiterin A und E und dass er seltener unterbrochen wurde.
07:30:00 08:30:00 09:30:00 10:30:00 11:30:00 12:30:00
Zeit
Abbildung 128 Typischer Arbeitsvormittagfür Schulleiter 3 (Donnerstag)
Auffällig am Arbeitsalltag von Schulleiter H war der relativ hohe Grad an Selbst-bestimmung. Im Vergleich zu den anderen beobachteten Schulleitern verbrachte
Schulleiter H mehr Zeit mit geplanten, von ihm bewusst initiierten Aktivitäten.
Am Anfang eines typischen Tages redete Schulleiter H mit seiner Se-kretärin und seinem Stellvertreter über den vergangenen und den anstehenden
Tag und alles, was für die Arbeit von edeutung erschien. Diese kurzen infor-
00:51 19%
02:13 50%
00:04 1% 01:20 30%
100%
80%
60%
40%
20%
0%
1 2 3 4 5
T age
5.2 Individuelle Arbeitstage 135
mellen Lagebesprechungen dauerten ca. 10-15 Minuten. Anschließend verließ sich Schulleiter 3 laut eigener Aussage darauf, dass seine Sekretärin und sein Stellvertreter ihm während des Vormittages den Rücken freihielten. Abbildung
22 illustriert die Verteilung der Aktivitäten von Schulleiter 3.
Administration
Zwischenmenschliches
Schulentwicklung
Privates/Sonstiges
Abbildung 22: Aktivitäten von Schulleiter 3 am typischen Vormittag
Privates/Sonstiges
Schulentwicklung
Zwischenmensch-liches
Administration
Abbildung 23: Vergleichende Darstellung der beobachteten Tage von Schulleiter 3
Die Verteilung der Aktivitäten an den einzelnen Tagen (Abbildung 23) zeigt,
dass Schulentwicklung an allen Tagen einen bedeutsamen Teil der Arbeitszeit ausmachte. Deutlich wird ebenfalls der hohe Anteil an administrativen Tätigkei-ten sowie die — verglichen mit den anderen beforschten Schulleiter/-innen — ge-ringe Zeit mit Aktivitäten aus dem Bereich „Zwischenmenschliche Beziehun-gen". Anhand von Abbildung 22 und 23 wird ersichtlich, dass Schulleiter 3, ver-glichen mit den anderen untersuchten Schulleitern/Schulleiterinnen, an seinem
typischen Tag sehr wenig Zeit mit der Erledigung administrativer Tätigkeiten
Akt
ivit
ät
4
2
3
A
AHG 5 Auswertung der eobachtungen
verbrachte. Er verbrachte ungefähr genau so viel Zeit wie Schulleiterin A mit
zwischenmenschlicher eziehungsarbeit. Im Gegensatz zu den anderen Schul-leitern/Schulleiterinnen stützte sich Schulleiter 3 bei seinen Tätigkeiten, insbe-sondere bei den administrativen Tätigkeiten, auf ein IT basiertes System des
Wissensmanagements. Sämtliche (aus Sicht der Schulleitung) relevanten Infor-mationen waren über eine Datenbank abrufbar, die von allen Mitarbeitern der
Schule gepflegt wurde. Dort wurde zum eispiel unmittelbar nach ekanntwer-den eingetragen, welche Schüler, aber auch welche Lehrer krank waren (die An-wesenheitskontrolle fand computergestützt statt), ebenso Vorfälle mit Schülern
oder Vorkommnisse, die für Lehrer oder die Schulleitung potenziell wichtig er-schienen (z. . „ Jean hatte letzten Freitag einen Sportunfall. Er muss sechs Wo-chen lang auf Krücken laufen und ist für acht Wochen vom Sportunterricht be-freit."). Die Lehrer hatten Zugriff auf Daten zu ihren Schülern und auf Nach-richten rund um die Schule, die Schulleitung hatte vollen Zugriff auf alle Daten.
In der Aula, im Pausenhof und im Lehrerzimmer standen Monitore, auf denen
regelmäßig aktuelle Meldungen erschienen (z. . „Sportunterricht bei Herrn
Schmitt fällt heute wegen Krankheit aus."). Diese ermöglichten es der Schullei-tung, Informationen rasch zu verbreiten.
5.2.4 Schulleiter 4
07:30 08:30 09:30 10:30 11:30 12:30
Zeit
Abbildung 1C8 Typischer Arbeitsvormittag für Schulleiter 4 (Mittwoch)
00:11 4% 00:50 19%
Administration
Zwischenmenschliches
Schulentwicklung
Privates/Sonstiges
02:04 48%
01:14 29%
100%
80%
60%
40%
20%
0%
1 2 3 4 5
T age
5.2 Individuelle Arbeitstage 137
Abbildung 25.- Aktivitäten von Schulleiter 4 am typischen Vormittag
Privates/Sonstiges
Schulentwicklung
Zwischenmensch-liches
Administration
Abbildung 26.- Vergleichende Darstellung der beobachteten Tage von Schulleiter 4
Der typische Tag von Schulleiter 4 ähnelte bezüglich der Rhythmisierung dem
von Schulleiterin 1: Er war durch viele Unterbrechungen und damit einherge-hend einer kurzen Einzelaktivitätsdauer gekennzeichnet (vgl. Abbildung 24). Im
Unterschied zu Schulleiterin 1 verbrachte Schulleiter 4 jedoch weniger Zeit mit
administrativen Tätigkeiten (Abbildung 25 verdeutlicht dies grafisch), genauer
gesagt am wenigsten von allen beobachteten Schulleiter/-innen (dicht gefolgt
von Schulleiter 3); viele Tätigkeiten aus dem administrativen Bereich hatte
Schulleiter 4 an seine Stellvertreterin delegiert. Ähnlich wie Schulleiter 3 inves-tierte er mehr Zeit in schulentwicklungsnahe Aktivitäten. An diesen arbeitete er
meist alleine, gelegentlich bezog er seine Stellvertreterin oder Lehrer/-innen ein.
Im Gegensatz zu Schulleiterin 1 und 2 interagierte Schulleiter 4 außerdem deut-lich häufiger mit seiner Stellvertreterin. Oft kam es zu spontanen Diskussionen
bei offener Tür, beispielsweise über den Erfolg von pädagogischen Maßnahmen
bei verhaltensauffälligen Schülern oder Ideen zur Gestaltung einer Schulkonfe-
Akt
ivit
ät
4
3
2
A
138 5 Auswertung der eobachtungen
renz. Im Gegensatz zu Schulleiter 3 und seinem Stellvertreter konnten bei
Schulleiter 4 und seiner Stellvertreterin keine regelmäßigen, festen Zeiten des
Austausches identifiziert werden; er geschah spontan.
Die Verteilung der Aktivitäten pro Tag variiert in der beobachteten Wo-che wenig (eine Übersicht hierzu bietet Abbildung 26). Auffällig ist der beson-ders hohe Anteil an schulentwicklerischen Aktivitäten am Dienstag, der jedoch
auch an den anderen beobachteten Tagen bedeutsam war. ezüglich der Anteile
administrativen sowie schulentwicklungsnahen Tätigkeiten sind die Tagesabläu-fe von Schulleiter 4 am ehesten mit denen von Schulleiter 3 vergleichbar.
5.2.5 Schulleiterin 5
07:30 08:30 09:30 10:30 11:30 12:30
Zeit
Abbildung 1D8 Typischer Arbeitsvormittag für Schulleiterin 5 (Montag)
Der typische Tag von Schulleiterin 5 ähnelte dem von Schulleiterin 1. Auffällig waren der hohe Anteil an administrativen Tätigkeiten sowie die kurze Dauer der
einzelnen Aktivitäten, verbunden mit dem häufigen Aktivitätenwechsel (vgl.
Abbildung 27). Schulleiterin 5 wurde in ihrer Arbeit häufig unterbrochen und
wendete nur sehr wenig Zeit für Schulentwicklung auf Abbildung 28 zeigt die
proportionale Verteilung der Aktivitäten von Schulleiterin 5 an einem typischen
Tag; der geringe Anteil an schulentwicklungsnahen Tätigkeiten wird dabei sicht-bar.
Ein typischer Tag für Schulleiterin 5 begann mit einem kurzen Rund-gang über das Schulgelände. Vor eginn der ersten Unterrichtsstunde stand
Schulleiterin 5 am Schultor und beobachtete die hereinkommenden Schülerin-
5.2 Individuelle Arbeitstage 139
nen und Schüler. Dabei grüßte sie gelegentlich auch einzelne Schülerinnen und
Schüler oder (seltener) Lehrkräfte. Das Einhalten sämtlicher formaler Vorgaben,
z. B. bei der Ergreifung von Disziplinarmaßnahmen gegen einzelne Schüle-rinnen und Schüler, war Schulleiterin 5 wichtig; sie nahm sich hierfür viel Zeit
(Kategorie: Administration). Der Tagesablauf war ferner durch kurze Besuche
von Lehrkräften geprägt, die oftmals Probleme mit Schülerinnen oder Schülern
oder mit Eltern mit ihr besprachen. Für Schulentwicklung brachte Schulleiterin
5 im Alltag wenig Zeit auf, sogar etwas weniger als für Privates.
Eine Besonderheit stellte der Umgang von Schulleiterin 5 mit Diszipli-narverstößen dar: Obwohl Lehrer/-innen an französischen coll^ges befugt sind, kleinere Disziplinarverstöße eigenständig zu sanktionieren, ließen sich viele
Lehrer/-innen ihre Sanktionen von Schulleiterin 5 schriftlich „absegnen". Schul-leiterin 5 mutmaßte, dass sie dies taten, damit sie im Falle von Elternbeschwer-den auf die Schulleitung verweisen konnten. Das schriftliche „Absegnen" nahm viel Zeit in Anspruch, da Schulleiterin 5 zu jedem Fall einige Sätze schrieb, um
die Sanktion zu begründen bzw. sich der Position einer Lehrkraft anzuschließen.
Darüber hinaus legte die leitende pädagogische Beraterin, welche bei kleineren
Disziplinarmaßnahmen in der Regel erste Ansprechperson der Lehrer/-innen ist,
ebenfalls den Großteil der von ihr getroffenen Disziplinierungsmaßnahmen zur
Unterzeichnung bei Schulleiterin 5 vor (das Unterzeichnen und Begründen der
besagten Maßnahmen wurde der Kategorie „Administration" zugerechnet). An
keiner der untersuchten Schulen war dieses Vorgehen annähernd so ausgeprägt
wie an der von Schulleiterin 5 geleiteten Schule.
00:23 9% 02:31 60%
02:31 60% 00:58 23%
Administration
Zwischenmenschliches
Schulentwicklung
Privates/Sonstiges
00:19 8%
Abbildung 28: Aktivitäten von Schulleiterin 5 am typischen Vormittag
140 5 Auswertung der Beobachtungen
100%
80%
60%
40%
20%
0%
Privates/Sonstiges
Schulentwicklung
Zwischenmensch-liches
Administration
1 2 3 4 5
T age
Abbildung 29: Vergleichende Darstellung der beobachteten Tage von Schulleiterin 5
Die vergleichende Übersicht (Abbildung 29) weist wenig Unterschiede pro Tag
auf. Auffällig sind der konstant hohe Anteil an administrativen Tätigkeiten, der
meist bedeutsame Anteil an Tätigkeiten aus dem Bereich „Beziehungen" sowie
die geringe Ausprägung von schulentwicklungsnahen Aktivitäten. Vergleicht
man die Wochen-Übersichten von Schulleiterin 2 (Abbildung 20) und Schullei-terin 5 (Abbildung 29) wird deutlich, dass Schulleiterin 5 mehr Zeit für schul-entwicklungsnahe Tätigkeiten aufgewendet hat als Schulleiterin 2 (ähnlich viel
wie Schulleiterin 1, vgl. Abbildung 17).
5.3 Zusammenfassung
Anhand der bisher vorgestellten Daten lässt sich bereits erkennen, dass die un-tersuchten Schulleiter/-innen in Frankreich ihre Arbeitszeit mit vielen Tätigkei-ten aus einem breiten Spektrum verbrachten. Die beobachteten Schulleiter/-in-nen versuchten in mehreren Bereichen eine delikate Balance zu halten: Einer-seits bemühten sie sich zugänglich zu sein, andererseits geschützte Zeit zu fin-den, um ununterbrochen arbeiten zu können. Einerseits versuchten sie, nach vor-ne zu schauen und Schule zu entwickeln, andererseits konzentrierten sie sich
auch auf das Tagesgeschehen, das Hier und Jetzt. Schulleiterin 1, 2 und 5 richte-ten ihre Tätigkeiten primär nach dem schulischen Tagesgeschäft aus. Ihre Ar-beitstage waren disparat, diverse Aktivitäten wurden mehrfach unterbrochen und
neu angegangen; insbesondere Schulleiterin 1 und 5 wirkten bei ihrer Arbeit
gestresst. Schulentwicklung nahm für Schulleiterin 1, 2 und 5 nur eine unterge-ordnete Bedeutung ein. Einen disparaten Alltag hatte auch Schulleiter 4, aller-dings mit stärkeren Ausprägungen im Bereich „Schulentwicklung". Insgesamt lässt sich somit festhalten, dass bei Schulleiterin 1, 2 und 5 sowie mit Einschrän-kungen bei Schulleiter 4 eine Schule als lernende Organisation nicht beobachtet
5.3 Zusammenfassung 141
werden konnte; Schulentwicklung war nicht in der regulären Arbeitsroutine ver-ankert. Die Herangehensweise von Schulleiter 3, der am stärksten selbstbe-stimmt arbeitete und am meisten Zeit für Tätigkeiten im Bereich „Schul-entwicklung" aufwendete, ähnelte in puncto Wissensgenerierung und Wissens-verbreitung stärker dem Modell der Schule als lernende Organisation. Auch wa-ren die kooperative Führung in Form von intensiver Zusammenarbeit mit sei-nem Stellvertreter, die Vernetzung mit der Lehrerschaft sowie das Wissensmana-gement (beides IT-gestützt) dort stärker ausgeprägt. Es lässt sich festhalten, dass
Schulleiter 3 gemeinsam mit seinem Stellvertreter eine treibende, wirksame
Kraft der Schulentwicklung war. Betrachtet man die Einzelschule als „Motor der
Schulentwicklung" (Rolff et al., 1998, S. 14), so lassen sich Schulleiter 3 und
sein Stellvertreter als „Motor des Motors" charakterisieren.
6 Auswertung der Interviews
Die geführten Interviews dienten einerseits dazu, das Betriebs- und Kontextwis-sen der Schulleiter/-innen zu erfassen. Außerdem ermöglichten sie, während der
Beobachtungen gesammelte Daten durch die Schulleiter/-innen reflektieren zu
lassen. Vor allem dienten sie jedoch der Rekonstruktion von Schulentwicklungs-projekten und der über die Beobachtungen hinausgehenden Exploration der
Schulleiter/-innen als zentrale Akteure im Schulentwicklungsprozess.
Bezüglich möglicher Auswertungsstrategien von Experteninterviews
gibt es mehrere Varianten, die sich — vereinfacht dargestellt — vor allen Dingen
in ihrem Grad der Strukturierung bzw. der Vor-Festlegung unterscheiden. Eine extreme Ausprägung wäre beispielsweise, Texte anhand eines vordefinierten,
nicht mehr änderbaren Kategoriensystems zu untersuchen (ähnlich der quantita-tiven Inhaltsanalyse, vgl. Gläser & Laudel, 2009, S. 197f), eine entgegengesetzt
extreme Variante wäre die Untersuchung ohne vorgefertigtes Kategoriensystem
und ohne theoretischen Hintergrund. Ebenfalls zu unterscheiden ist zwischen
Einzelfallanalysen bei denen typischerweise jedes Interview (bzw. das inter-viewte Individuum) für sich alleine betrachtet wird und vergleichenden Analy-sen, bei denen verschiedene Interviews auf Gemeinsamkeiten und Abweichun-gen hin untersucht werden. Anliegen der Auswertung der Interviews in dieser
Arbeit war klar das Herausarbeiten von Gemeinsamkeiten und Unterschieden.
Dieses steht im Einklang mit den geläufigen Zielen von Auswertungen von Ex-perteninterviews, welche Meuser und Nagel wie folgt charakterisieren: „das
Überindividuell-Gemeinsame herauszuarbeiten, Aussagen über Repräsentatives,
über gemeinsam geteilte Wissensbestände, Relevanzstrukturen, Wirklichkeits-konstruktionen, Interpretationen und Deutungsmuster zu treffen" (Meuser &
Nagel, 1991, S. 452). Zur Auswertung der Interviews wurde in dieser Arbeit ein
interpretativer, halb-strukturierter Ansatz gewählt. Da die individuellen Schullei-ter/-innen und ihre persönlichen Biographien nicht im Zentrum der Un-tersuchung standen, wurde auf detaillierte Einzelfallanalysen verzichtet; statt-dessen wurden die Interviews auf thematische Übereinstimmungen und Abwei-chungen hin untersucht.
Die in der Auswertung gewonnenen Kategorien entstammen größten-teils den Interviews selbst und entstanden durch das Bilden von Überschriften.
Dieses Vorgehen entspricht einerseits den Empfehlungen Gläser und Laudels
(und anderen), das Kategoriensystem zur Auswertung auf den theoretischen Vor-
6 Auswertung der Interviews 143
überlegungen aufzubauen, aber zugleich offen für Erkenntnisse aus den Unter-suchungen zu halten (Gläser & Laudel, 2009, S. 199f); andererseits den ähnlich
lautenden Empfehlungen Mintzbergs zur Entwicklung von Kategorien (vgl.
Mintzberg, 1970, S. 89ff). 74 Auf ein vor der Auswertung bereits bestehendes, ge-schlossenes Kategoriensystem wurde bewusst verzichtet; dies würde das Risiko
bergen, dass lediglich Informationen gefunden werden könnten, die kompatibel zum bestehenden Kategoriensystem sind. Etwaige mit den ursprünglichen Kate-gorien nicht kompatible Funde hätten so nicht berücksichtigt werden können
(vgl. Gläser & Laudel, 2009, S. 197ff).
1 . Transkription der Interviews
2. Paraphrase, Bildung von Überschriften
(Codes)
3. Thematischer Vergleich
4. Konzeptualisierung
Abbildung 30: Schritte der Interviewauswertung
Abbildung 30 gibt eine Übersicht über das Vorgehen zur Auswertung: Die Aus-wertung der Interviews bestand aus einer Transkription, gefolgt von einer Bil-dung von Codes durch Paraphrasierungen, d. h. dass für aus Forschungssicht re-levante Themen Überschriften oder Schlagwörter gebildet wurden. Dies diente
der Reduktion der Inhalte. Darauf folgte ein thematischer Vergleich anhand der
Überschriften bzw. Codes. Im letzten Schritt erfolgte eine Einbettung der Ergeb-nisse in den wissenschaftlichen Diskurs (siehe Kapitel 8). Diese Schritte orien-tieren sich größtenteils an dem Modell von Meuser & Nagel (Liebold & Trinc-zek, 2009; Meuser & Nagel, 2005a, 2010), greifen jedoch auch auf Verfahrens-schritte zurück, die auch in der qualitativen Inhaltsanalyse Anwendung finden,
beispielsweise die bereits erwähnte Entwicklung des Kategoriensystems ex ante
(vgl. Gläser & Laudel, 2009, S. 46f). Die Wahl für das Auswertungsmodell von
Meuser und Nagel (mit Anpassungen) fiel einerseits wegen der wahrgenomme-nen Kompatibilität zu Empfehlungen Mintzbergs, andererseits wegen des zu-grunde liegenden Selbstverständnisses als nicht-standardisierte bzw. halb-stan-dardisierte Auswertung (vgl. Meuser & Nagel, 1991, S. 453f), welche sich mit
den Forschungsannahmen des Verfassers deckt (vgl. hierzu auch Tabelle 7). Im
Detail wurde zunächst nur das Interview von Schulleiterin 1 transkribiert und
thematisch kodiert (durch Bildung von Überschriften). Anschließend wurde das
74 MintzbergbezogsichimhierangegebenenAufsatzzunächstnuraufdieEntwicklungvonKate-gorien zur Beobachtung. In späteren Arbeiten sprach er sich jedoch für eine Methodenkombinati-on aus und führte auch selbst Studien bestehend aus Beobachtung und Interviews durch (z.B.
Mintzberg, 1973, 2010).
144 6 Auswertung der Interviews
Interview von Schulleiterin 2 transkribiert und kodiert, woraufhin ein Vergleich
der Codes stattfand, gefolgt von einer Überarbeitung der thematischen Codes.
Diese ersten Schritte könnten als Einzelfallanalysen angesehen werden, bildeten
in der hier verwendeten Auswertungsstrategie jedoch nur den Anfang. Mit dieser
Grundlage wurden anschließend die übrigen Interviews transkribiert und ko-diert. Auf diese Weise wurde die Sequenzialität der Interviews zugunsten einer
themenorientierten Organisation aufgehoben. Diese diente als Grundlage zum
Aufzeigen der Ansichten der befragten Personen, welche nachfolgend vorge-stellt werden.
6.1 Befunde
Im Folgenden werden zunächst die Kernaussagen der Interviews in paraphra-sierter Form zusammengefasst und z. T. mit exemplarischen Zitaten 75 angerei-chert. Bei signifikanten Unterschieden zwischen den einzelnen Schulleitern/-in-nen wird versucht, verschiedene Positionen durch individuelle wörtliche Zitate
deutlich zu machen. Die Häufigkeit einer geäußerten Position mit Übereinstim-mung, beispielsweise die Position der Schulleiter/-innen und Stellvertreter/-in-nen zum aktuellen Autonomiegrad der Schule, wird durch eine Zahl in Klam-mern gekennzeichnet (maximal 5). 76
6.1.1 Auslöser für Schulentwicklungsprojekte
Sofern es sich nicht um ein von außen herangetragenes, verpflichtendes „Pro-jekt" handelt (wie z. B. eine ministeriell verordnete Reform), wird als Auslöser
für den Beginn eines Schulentwicklungsprojektes seitens der Schulleiter/-innen
meist die Hoffnung auf einen pädagogischen Mehrwert der Neuerung genannt
(4). Allgemein gesprochen erwarten die Schulleiter/-innen, dass durch die Inno-vation Schülerinnen und Schüler besser gefördert werden können als bisher.
Dies ist häufig auch verbunden mit einer starken Unzufriedenheit über den bis
dato vorherrschenden Stand der Dinge (3). Der vorherrschende Zustand wird als
nicht mehr haltbar angesehen und soll durch die Neuerung ersetzt werden, fi-nanzstrategische Überlegungen können jedoch auch eine Rolle spielen (3). So
beschreibt Schulleiterin 2 den Ursprung ihrer Projekte:
75 Die vollständigen Transkriptionen aller Interviews können bei Interesse gerne beim Autor ange-fordert werden.
76 Die gemeinsamen oder differenzierenden Positionen wurden im Zuge der Auswertung während
der Paraphrasierung und Kategorisierung bestimmt.
6.1 Befunde 145
„Ich sage Ihnen ganz ehrlich, für mich waren diese schuleigenen Projekte auch Mittel
zum Zweck. Vor allen Dingen die Mitnahme-Effekte waren interessant. Solche Projekte
erlaubten mir, Gelder für bezahlte Überstunden für die Lehrer zu erhalten" (1748-1751).
Der Ursprung von internen Schulentwicklungsprojekten erweist sich als schwer
zu rekonstruieren. So entstehen die Ideen zu Projekten „kollektiv" (2), wobei die
befragten Personen die Kollektivität nicht näher spezifizieren konnten. Schullei-ter 4 erklärte, er gebe selbst den Impuls zu einem Projekt und setze den Rah-men. Schulleiter 3 und Schulleiterin 5 konnten zum Ursprung interner Projekte
keine näheren Angaben machen.
6.1.2 Beteiligte
Die an den Projekten Beteiligten differieren je nach Projekt, meist handelt es
sich jedoch um Lehrer. In vielen Fällen ist auch der oder die CPE beteiligt.
6.1.3 Funktionen im Schulentwicklungsprozess
Auf ihre eigene Funktion im Schulentwicklungsprozess angesprochen, sehen sich viele als Impulsgeber (4). „Impulse geben", „anregen", „voranbringen" und
„antreiben" werden hier als Tätigkeiten von den Schulleitungskräften genannt.
Außerdem wird zwischen den Funktionen im Kontext von internen und externen
Innovationen unterschieden. Die Schulleiter/-innen bemühen sich insbesondere
bei der Einführung von Innovationen um die Zustimmung der Lehrerschaft. Sie
sehen sich auch als Vermittler und Brückenbauer. Darüber hinaus sehen sie es
als ihre Aufgabe an, den Rahmen von Neuerungen abzustecken. In Bezug auf extern angeordnete Neuerungen sind sich die Schuleiter/-innen ihrer Verantwor-tung gegenüber dem Ministerium als Dienstherren bewusst. So erklärt Schullei-ter 3 in Bezug auf seine Aufgaben im Bereich von Schulentwicklung:
„Grundsätzlich ist der Schulleiter der Repräsentant des Ministeriums in seiner Schule.
Das heißt, dass er die Ideen des Ministeriums vor Ort umsetzt. Das ist eine seiner Funk-tionen: die Reformen umzusetzen" (5333-5336).
Und Schulleiterin 2 benennt den üblichen Ablauf bei der Einführung externer
Innovationen wie folgt:
„Ich erkläre [der Lehrerschaft] die Vorgaben des Staates, also des Bildungsministeriums,
ich erkläre die Eckpunkte und Ziele auf positive Art und Weise. Anschließend schaffe ich
Räume für die Lehrer zum Nachdenken und Diskutieren und gebe Anweisungen zur Ge-staltung. (2348-2351)"
146 6 Auswertung der Interviews
6.1.4 Funktionen der stellvertretenden Schulleiter/-innen und pädagogischen
Berater/-innen aus Sicht der Schulleiter/-innen
Den stellvertretenden Schulleitern/Schulleiterinnen wird seitens der Schulleiter/- innen beim Schulentwicklungsprozess grundsätzlich eine wichtige Rolle zuge-sprochen (4). So beraten sich Schulleiter/-innen meist mit ihren Stellvertreter/- innen bei der Entwicklung neuer Projekte (3). Doch wäre es falsch, deshalb von co-leadership zu sprechen. So wird von vielen Schulleiter/Schulleiterinnen ein
klarer Unterschied in der Hierarchie bzw. ein Unterschied im Zu-ständigkeitsbereich ausgemacht. Während Schulleiter/-innen sich um mittel- und langfristige Entwicklungen kümmern, über das „große Ganze" entscheiden und
auch verantwortlich sind, werden die Stellvertreter/-innen oft eher in der Orga-nisation des Alltags verortet (4). Die Beziehung entspricht einer Beziehung un-gleicher Partner. Schulleiterin 2 sieht ihre Stellvertreterin beispielsweise als
„Hilfskraft" an. Schulleiter 4 beschreibt das komplexe Zusammenspiel wie
folgt:
„Die Stellvertreterin ist in meinen Augen dafür zuständig, den Alltag am Laufen zu hal-ten. Das ist wichtig, die Dinge müssen im Alltag rund laufen und dazu benötigt es ein ho-hes Maß an Organisation. Sie managt also den Alltag. Aber es stimmt auch, dass wir in
einer Art Zweigliedrigkeit des Denkens sind, da unsere Büros nebeneinander liegen. Es
kommt nur sehr selten vor, dass ich alleine in meiner Ecke über ein Problem nachdenke.
Wir sind nebeneinander, also denken wir auch zusammen über Strategien nach und reden
auch zusammen darüber. Wir vereinbaren eine gemeinsame Strategie und halten uns dar-an. Wir denken wirklich über vieles gemeinsam nach. Aber es kommt auch vor, dass ich alleine über Dinge nachdenke, wie z. B. das projet d'etablissement [auf mehrere Jahre an-gelegtes Projekt zur Schulverbesserung]. Ich muss mir manchmal erst einmal meine eige-nen Gedanken machen, bevor ich mit anderen darüber rede" (6268-6277).
Die Funktionen der leitenden pädagogischen Berater beim Schulentwicklungs-prozess werden von den Schulleitern/-innen diffus beschrieben. Die genaue Stel-lung des leitenden pädagogischen Beraters im französischen Schulsystem und
die damit verbundenen Kompetenzen und Aufgaben sind bis heute immer wie-der Anlass für Kontroversen. Diverse wissenschaftliche Abhandlungen und
Streitschriften wurden hierzu verfasst. 77 Im Kern geht es meist um die genaue Position der leitenden pädagogischen Berater, also ob sie Teil der Schulleitung
sind, Teil der Lehrerschaft oder eine Sonderstellung einnehmen und wie diese
ggf. zu definieren ist. In der Praxis dreht sich vieles um die Frage des Mitbe-stimmungsrechts von leitenden pädagogischen Beratern in Bezug auf schulische
Angelegenheiten. Es besteht die Möglichkeit, dass die Schulleiter/-innen sich
77 Einen Einstieg in die Thematik bietet Robert Ballion, 1996; eine detaillierte Auseinandersetzung
mit dem Beruf des pädagogischen Beraters bietet Maufras, 2007.
6.1 Befunde 147
deshalb in den in dieser Untersuchung ausgewerteten Interviews auch nach wie-derholtem (diplomatisch vorgetragenen) Nachfragen eher vage zu den Funktio-nen der leitenden pädagogischen Berater beim Schulentwicklungsprozess äußer-ten, um ein möglicherweise kontroverses Themengebiet zu meiden. Weitere For-schungen zu dieser Problematik sowie zu dem in Europa quasi einzigartigen Be-ruf des pädagogischen Beraters wären wünschenswert.
6.1.5 Zusammenarbeit mit der Lehrerschaft
Das Zusammenspiel mit der Lehrerschaft bei der Entwicklung und Umsetzung
einer Innovation wird von allen befragten Schulleitern als verbesserungswürdig
angesehen. Sie beklagen eine wahrgenommene Abwehrhaltung vieler Lehrerin-nen und Lehrer, die sich vor allen Dingen gegenüber extern herangetragenen Neuerungen manifestiert, weniger bei intern entwickelten Neuerungen (4). Dies
ist aus Sicht der Schulleiter/-innen aus zweierlei Gründen besonders belastend:
einerseits, weil sie ohne die Unterstützung der Lehrerschaft etwaige Schulent-wicklungsmaßnahmen nicht für erfolgversprechend halten und andererseits,
weil die Schulleiter/-innen ein Scheitern von Schulentwicklungsprojekten oft als
persönliches Scheitern empfinden und z. T. dafür auch verantwortlich gemacht
werden. Letzteres empfinden Schulleiter gerade bei Projekten, die von Seiten
der Gemeinde finanziell unterstützt oder vom Bildungsministerium bzw. der
acad^mie verfolgt werden, als besonders heikel. Bei der Beurteilung der Offen-heit gegenüber Neuerungen und der Motivation zur Mitarbeit an Neuerungen
seitens der Lehrerschaft stellen die Schulleiter/-innen darüber hinaus einen deut-lichen nach Alter gewichteten Unterschied fest. 78 Schulleiterin 2 drückt es wie folgt aus:
„Gerade die jüngeren Lehrer haben keine Lust auf Alltag, da langweilen sie sich schnell.
Viele wollen etwas bewegen und da sind Projekte halt ein sehr guter Weg. Ich bin mit dieser Haltung absolut einverstanden und werde immer versuchen, ihnen dabei zu helfen"
(2140-2143).
Schulleiter 3 empfindet dies ähnlich:
„Reformen lassen sich schneller umsetzen, wenn die Lehrer jung sind, dann sind sie meist flexibel. Es geht langsamer, wenn die Lehrer älter sind und schon viele Reformen
erlebt haben und merken, dass sich manches wiederholt und dann die Lust am Innovieren verlieren" (5380-5383).
78 Ein besonderes Verteilungssystem für Lehrkräfte sorgt dafür, dass die Altersstrukturen der Leh-rerschaften an französischen Schulen oft anders sind als die an deutschen; vgl. hierzu auch Kapi-tel 8 in dieser Arbeit.
148 6 Auswertung der Interviews
Ältere Lehrer werden oft als Hemmnis für Schulentwicklung wahrgenommen.
Schulleiterin 5 sagt über ihre derzeitige Situation:
„Ich denke, dass diese Schule sich rascher entwickeln wird, sobald einige Lehrer in Rente
gegangen sind" (Schulleiterin 5, 6867-6868).
6.1.6 Akzeptanz von Schulentwicklungsprojekten
Um neue Projekte und Verfahren zu unterstützen und ihre Akzeptanz zu erhö-hen, bedienen sich die Schulleiter/-innen vieler Mittel. Für die Erfolgschancen
ist ihnen zufolge eine gute Informationspolitik besonders wichtig (3). Anlass
und Nutzen einer Neuerung sowie die Schritte zur Umsetzung müssen mehrfach
ausführlich dargelegt werden. Ein Gefühl der Mitbestimmung sowie, wo mög-lich, ein Gestaltungsspielraum werden ebenfalls als hilfreich eingeschätzt:
„Wenn ich etwas Neues allein umsetze, dann wird das nichts werden. Die Lehrer müssen
sich die Innovationen zu eigen machen und damit sie geneigt sind, das zu tun, müssen sie
ein bisschen den Eindruck haben, dass die Innovationen von ihnen stammen. Und das ist
das Schwierige: Man kann ihnen keine Veränderungen von oben aufzwingen. Manchmal
muss man etwas aufzwingen, weil uns das selbst aufgezwungen wurde [ ... ]. Aber oft ist
das dann so nicht erfolgreich. Man muss eher auf die Arbeit von Gruppen setzen, zwangsläufig einen Dialog führen, sich mitteilen, sich auf eine gemeinsame Linie ver-ständigen" (Schulleiter 4, 6300-6309).
Für Schulleiter 4 ist es darüber hinaus wichtig, ein Auge für Details zu haben.
Oft sorgen Kleinigkeiten, die leicht verändert werden könnten, für Frust auf Sei-ten der Lehrerschaft. Diese frustrierenden Kleinigkeiten in Erfahrung zu bringen
und zu beseitigen, ist für ihn ein Schlüssel zum Erfolg. Für Schulleiter 3 ist die
Suche nach finanziellen und legalen Spielräumen essentiell, wenn es darum
geht, die Umsetzungschancen von Neuerungen zu erhöhen. Dabei gehe es nicht
darum, dass etwas umzusetzen sei, sondern darum, wie es umgesetzt werden
könne. Partnerschaften, z. B. mit Vereinen, der Kommune oder Institutionen vor
Ort (z. B. einem Theater) werden ebenfalls als mögliche Wege gesehen, erfolg-reich zu innovieren (2). Aus Sicht von Schulleiter 3 ist antizipierendes Handeln
enorm wichtig für eine sich erfolgreich selbst erneuernde Schule:
„Wenn man seine Schule entwickeln will, sollte man als Schulleiter zwei Dinge können:
Man muss vorausschauen und vorausschauend lenken. Schulleitung, das bedeutet voraus-schauendes Lenken für mich. Es ist wichtig, bei Reformen oder eigenen Veränderungen
immer einen Schritt voraus zu sein. Wenn man abwartet, dann riskiert man, dass andere festlegen, wie etwas implementiert wird. Dann managen Sie [als Schulleiter] nicht, dann
werden Sie gemanagt. Also sollte man versuchen, immer ein bisschen Vorsprung zu wah-ren, also zum Beispiel alle Erlasse und Vorschläge des Ministeriums lesen und immer ein
Ohr für Ideen aus dem Kollegium haben. Dabei verbringe ich manchmal auch ein Wo-
6.1 Befunde 149
chenende damit, uninteressante oder irrelevante Dinge zu lesen, aber das gehört auch
dazu" (4441-4449).
Beim Reflektieren über Veränderungen, die bei einer effektiveren Entwicklung
und Umsetzung schulischer Innovationen unterstützend wirken könnten, äußern
sich die Schulleiter/-innen entlang zwei großer Linien: ihrer eigenen Autonomie
und der Beziehung zur Lehrerschaft. So wird einerseits gewünscht, dass vorhan-dene finanzielle Mittel für Projekte oder den temporären Einsatz von Beratern
oder anderen externen Kräften (z. B. eines Künstlers, der einen Workshop in ei-ner künstlerisch ausgerichteten Schulklasse macht) leichter umgewidmet werden
können (4). Dies ist derzeit in vielen Fällen nicht möglich und wenn doch, dann
mit aus Sicht der Schulleiter/-innen hohem bürokratischen Aufwand verbunden.
Oft kann deshalb derzeit bei einem Projekt ein Engagement externer Personen,
aber auch ein Engagement von Lehrern außerhalb ihrer eigentlichen Arbeitszeit
nicht finanziell honoriert werden. Ein weiterer grundlegender Wunsch ist der
nach Klarheit in puncto Aufgabe und Position von Schulleitern in Bezug auf
Schulentwicklung. Der Schulleiter ist offiziell zwar für die Umsetzung einer mi-nisteriell beschlossenen Innovation an einer Schule verantwortlich, ebenso ist er
beauftragt, seine Schule selbstständig zu innovieren, gleichzeitig ist er aber ge-genüber der Lehrerschaft in vielen Belangen nicht weisungsbefugt. Viele Schul-leiter/-innen wünschen sich eine Auflösung dieses Widerspruchs (3).
6.1.7 Schulentwicklung und Finanzen
Finanzielle Beschränkungen werden von den Schulleitern/-innen als Hürden bei
der Umsetzung von Innovationen wahrgenommen, die sie jedoch überwiegend
als überwindbar empfinden (3). Gewichtiger erscheint ihnen die bereits ange-sprochene Akzeptanz der Lehrerschaft, Veränderungen mitzutragen. Schulleite-rin 1 drückt dies knapp aus:
„Das größte Problem ist, dass die Leute es nicht gewohnt sind, ihre Routinen zu ver-ändern" (1015). „Die Herausforderung ist die Bereitschaft zur Veränderung" (1023).
6.1.8 Schulische Innovationen und Zeit
Ein kritischer Punkt bei der erfolgreichen Einführung und Umsetzung schuli-scher Innovationen ist der Faktor Zeit. Der Umgang mit und die Verfügbarkeit
von Zeit wird von den Schulleitern/Schulleiterinnen auf mehreren Ebenen als
wichtig und schwierig erachtet. So ist für Schulleiter 3 und Schulleiterin 5 der
anspruchsvolle, hektische Schulalltag ein Hemmfaktor für Innovationsarbeit:
150 6 Auswertung der Interviews
„Im Schulalltag ist es schwer, den nötigen Abstand zu gewinnen. Wenn ich über Ver-besserungen nachdenke, dann eher, wenn ich zu Hause bin oder am Wochenende. Dann
überlege ich z. B: Wie kann man dieses oder jenes implementieren? Was kann man ange-sichts der Struktur unserer Schule [den Lehrerinnen und Lehrern] für Verbesserungen
vorschlagen? So etwas kommt nur in ruhigen Momenten" (Schulleiter 3, 4402-4404).
Da er den Schulalltag als nicht kompatibel mit der Entwicklung neuer Ideen zur
Verbesserung der Schule empfindet, hat Schulleiter 3 von konventionellen Ar-beitszeiten Abstand genommen:
„Ich benötige Zeit, um Verbesserungen zu reflektieren und um sie zu Papier zu bringen
und für den Austausch mit meinem Stellvertreter. Ich arbeite dann mal hier, mal da an
den Ideen. Dank der USB-Sticks kann man seine Arbeit ja jederzeit griffbereit dabei ha-ben. Man fängt hier an, speichert ab und arbeitet zu Hause weiter. Ich arbeite eigentlich
zu allen möglichen Zeiten an Verbesserungsideen, es gibt da keine festen Zeitkorridore"
(4387-4390).
Ein anderer Aspekt im Zusammenhang mit Zeit und Schulentwicklung ist die Zeit, die zur Abstimmung und Einbeziehung der Lehrerschaft vorhanden ist.
Dieser Punkt wird mehrheitlich als derzeit problematisch angesehen (3). Schul-leiterin 1 stellt diesbezüglich fest, dass sie viele Änderungen aus Zeitnot eher
verkündet als gemeinsam entwickelt. Von den Lehrern wird zwar erwartet, dass
sie sich fortbilden, über Veränderungen informieren und diese implementieren,
hierfür sind jedoch — von formalen Fortbildungstagen abgesehen — keine Ar-beitsstunden vorgesehen. Bei größeren Innovationen lassen Schulleiter/-innen
daher manchmal eigenmächtig den Unterricht für einige Stunden ausfallen, um
den Lehrern/Lehrerinnen Zeit zu geben, sich zu koordinieren. Eine regelmäßige
Zeit für Lehrer, sich zu Neuerungen abzustimmen und zu informieren (z. B. eine
wöchentliche „Schulentwicklungsstunde") gibt es nicht. Schulleiterin 1 verweist
in diesem Zusammenhang auf ihre begrenzten Möglichkeiten:
„[ ... ] ich kann auch nicht regelmäßig Unterricht ausfallen lassen, damit wir uns ver-sammeln und in Bezug auf Veränderungen abstimmen können, das ist nicht machbar. Da
bekomme ich von der Schulaufsicht auf die Finger" (373-375).
Schulleiter 3 sah darin ebenfalls ein Hemmnis von Schulentwicklung und ver-suchte, Abhilfe zu schaffen:
„Wenn man an Projekten [ ... ] arbeiten möchte, dann müssen die Leute sich treffen und
austauschen können. Sie müssen in Gruppen arbeiten können. [ ... ] Jeden Donnerstag
zwischen 13:30 und 14:30 Uhr [ ... ] treffen sich alle unsere Lehrer eine Stunde lang und
tauschen sich aus. Sie werden dafür bezahlt, das ist mir sehr wichtig. Sie arbeiten dann
alle zusammen oder in Gruppen, ganz wie sie wollen. [ ... ] Nur manchmal, wenn eine
große Reform angepackt werden muss, kommen mein Stellvertreter und ich hinzu, um
das mit den Lehrern zu besprechen" (Schulleiter 3, 3541-3553).
6.1 Befunde 151
Der Wunsch nach einer verpflichtenden, bezahlten Zeit für Innovationsarbeit der
Lehrer wird von allen Schulleiterinnen und Schulleitern geäußert, doch sind
hierfür keinerlei finanzielle Mittel vorgesehen. Von den beobachteten Personen
hatte nur Schulleiter 3 diesen Wunsch realisiert; die anderen Schulleiter/-innen
gaben fehlende Bereitschaft der Lehrer/-innen, unentgeltlich Innovationsarbeit
zu betreiben, bzw. fehlende finanzielle Ressourcen, um Lehrer/-innen für Inno-vationsarbeit zu vergüten, als Hindernis an. Zur Finanzierung erklärte Schullei-ter 3:
„Man muss ein Mittel finden, diese [wöchentliche Innovations-]Stunde zu bezahlen. Wir
sind vom Prinzip ausgegangen, dass die Lehrer zu Beginn des Schuljahres verpflichtet
sind, vor Unterrichtsbeginn zwei Tage lang jeweils 7 Stunden in der Schule zu sein, um
das Schuljahr vorzubereiten. Wir haben das auf einen Tag reduziert, also „schulden" die
Lehrer uns 7 Stunden. Dann gibt es Pfingsten, das ist der Solidaritätstag. An diesem Tag
müssen sie nicht zur Arbeit kommen, die Arbeitszeit jedoch im Laufe des Jahres nachho-len. [79] Das sind weitere 7 Stunden, also insgesamt 14, aber weil das eigentlich krumme
Stundenzahlen sind, haben wir das auf 15 aufgerundet. Unser diesjähriges Schuljahr besteht aus 36 Wochen. Wenn man die Feiertage
in diesem Jahr abzieht und die beweglichen Ferientage, kommt man auf 30 Wochen. 15
Stunden sind bereits bezahlt, es bleiben also noch 15. Im letzten Jahr hatten wir Lehr-deputate für die Förderung von Schülerinnen und Schülern mit besonderen Förderbe-dürfnissen übrig [es gab mehr Lehrdeputate als tatsächlichen Förderbedarf]. Statt diese
Stunden ungenutzt verfallen zu lassen, haben wir den Lehrern gesagt: Wir bezahlen
Euch diese Stunden aus [ohne, dass die Lehrer/-innen tatsächlich den entsprechenden
Förderunterricht halten], aber das gleicht ihr im kommenden Jahr wieder aus, indem ihr
an der„blauen Stunde" [Innovationsstunde] teilnehmt.' Das entsprach ungefähr den Stun-den, die noch fehlten. Also werden die Lehrer bezahlt. [ ... ] Die Anwesenheitspflicht wird
von den Lehrern gut akzeptiert, da sie schließlich bezahlt wird" (Schulleiter 3, 3559- 3575).
6.1.9 Politischer Kontext von Schulentwicklung, Rahmenvorgaben und Auto-nomie
Alle befragten Schulleiterinnen und Schulleiter sehen derzeit einen hohen Re-form- und Evaluationsdruck. Dabei hat sich auch die Art geändert, wie Refor-men von außen an die Schule herangetragen werden. Im Zuge der Dezentralisie-rungsbemühungen gibt es statt sehr präziser Vorgaben zunehmend Rahmenvor-
79 Pfingsten war bis 2004 ein regulärer Feiertag in Frankreich. 2004 wurde er vom damaligen Pre - mierminister, Jean-Pierre Raffarin, jedoch zu einem Solidaritätstag deklariert, einem Feiertag,
der jedoch nicht arbeitsfrei war. Die an diesem Tag erzielten Einnahmen sollten dem Gesund-heitssystem zugute kommen. 2008 wurde diese Regelung durch eine Reform weitestgehend auf-gehoben, für Staatsdiener/-innen gilt sie jedoch weiterhin. Zwar müssen sie an Pfingsten nicht ar-beiten, die an Pfingsten nicht gearbeiteten Stunden jedoch im Laufe des Jahres nachholen (vgl.
Le Figaro, 2011; Minist8re de l`Education Nationale, 2005, in welchem die Regelungen für Leh-rer/-innen aufgeführt sind).
152 6 Auswertung der Interviews
gaben, die jede Schule individuell und autonom auszugestalten hat. Diese Frei-heit wird von einigen Schulleiterinnen und Schulleitern begrüßt (2), von anderen
wiederum kritisch gesehen (3). Schulleiterin 1 erachtet Rahmenvorgaben als
nicht ökonomisch und bezweifelt ihren Autonomie-Charakter:
„Für mich sind Rahmenvorgaben nicht einmal eine Halb-Autonomie, denn ich denke,
dass die zentralen Elemente festgelegt sind, sehr festgelegt sogar. Also haben wir in der
Hinsicht nichts zu melden. Wie man das jetzt vor Ort tatsächlich macht und wann genau,
das ist uns überlassen. Doch das sind unterm Strich keine echten Freiheiten. Wir arbeiten
schließlich innerhalb von Grenzen, die vom Ministerium gesetzt sind" (1355-1359).
Auf Rahmenvorgaben mit Raum für Autonomie und Individualität angespro-chen, äußert sich Schulleiterin 2 besorgt:
„Ich muss gestehen, dass dies der französischen Mentalität sehr zuwider läuft" (1692- 1693).
„Das ist ein Problem und viele Lehrer glauben, dass dies zu erheblichen Unterschieden
zwischen den Schulen in Frankreich führen wird" (1730-1732).
Schulleiter 3 zweifelt ähnlich wie Schulleiterin 1 an der Autonomie:
„Es ist keine echte Autonomie. Wir wissen ja, wohin wir uns orientieren sollen und wenn
wir es nicht tun, wird es zwangsläufig Probleme geben" (3172-3173).
„Dass wir uns innerhalb gewisser Rahmen zu bewegen haben, fände ich akzeptabel, so-fern wir zumindest einen größeren finanziellen Spielraum hätten. Wenn wir gegenwärtig
etwas anders machen wollen, ist das oft aufwändig und sehr bürokratisch" (3182-3185).
Schulleiter 4 ist hingegen von der Autonomie der Schule überzeugt und sieht in
der Heterogenisierung bzw. Individualisierung die Bestätigung hierfür:
„Sie ist real, wir haben eine echte Autonomie. [ ... ] Man kann gut erkennen, dass all die
Schulen hier [in der Region] nicht gleich geführt werden. Es gibt verschiedene Ansichten;
es gibt echte Unterschiede zwischen den Schulen. Auch die Dynamik ist nicht immer
gleich. Also haben wir eine echte Autonomie. Sie ist zugegebenermaßen relativ, es gibt
Einschränkungen" (6395-6400).
6.1.10 Vernetzung mit anderen Schulen im Kontext von Schulentwicklung
Eine Möglichkeit, die Chancen der erfolgreichen Umsetzung von Schulentwick-lungsprojekten zu erhöhen, stellt der Austausch mit Schulleitern/Schulleiterin-nen anderer Schulen dar. Bei extern induzierten Veränderungsprozessen, aber auch in Bezug auf interne Entwicklungen gibt es oft viele Ähnlichkeiten. Ein
6.1 Befunde 153
schulübergreifender Wissensaustausch auf Lehrer- sowie Schulleiter-Ebene birgt
somit viel Potenzial. Auf den Wissensaustausch mit anderen Schulleitern in Be-zug auf Schulentwicklung angesprochen, äußern sich die befragten Schulleiter/- innen zurückhaltend. Ein seit kurzer Zeit existierendes offizielles Online-Schul-leiter-Netzwerk wird von keinem der befragten Schulleiter in Anspruch genom-men. Auffällig ist die Präferenz, sich mit bereits gut bekannten
Schulleitern/Schulleiterinnen auszutauschen, z. B. Personen, die einem schon
seit Studienzeiten bekannt sind (3).
6.1.11 Entwicklung von Zielen und Perspektiven als Teil des professionellen
schulischen Handelns
Während alle befragten Schulleiter/-innen angaben, Entwicklungsziele für ihre
Schule zu besitzen, fiel es Schulleiterin 1 und 2 schwer, diese zu verbalisieren.
Schulleiterin 5 nannte als Ziel, diverse Verfahren im Zusammenspiel zwischen
Schulleitung, Lehrerschaft und conseil pedagogique zu optimieren. Schulleiter 4
führte diverse kurz- sowie langfristige Ziele auf, darunter die Gründung einer
Klasse mit musikalischer Ausrichtung in Zusammenarbeit mit einem lokalen Or-chester. Schulleiter 3 hatte gemeinsam mit seinem Stellvertreter kurz-, mittel-sowie langfristige Ziele der Schule auf einer Tafel verschriftlicht festgehalten.
Die Interviews lassen Übereinstimmungen sowie Unterschiede bezüg-lich der Positionen der Schulleiter/-innen in verschiedenen Kernbereichen von
Schulentwicklung erkennen. Wie diese sich im Handeln manifestieren können, soll im folgenden Unterkapitel skizziert werden. Anhand einer Neuerung, wel-che an allen fünf beobachteten Schulen umzusetzen war, wird beschrieben, wel-che z. T. divergierende Vorgehensweisen die Schulleitungen und andere Akteure
bei ihrer Implementation demonstrierten.
6.2 Beispiel für verschiedene Implementierungen einer Innovation
Das Fach Kunstgeschichte ( histoire des arts ) wurde in Frankreich an Grund-schulen zum Schuljahresbeginn 2008/2009, am coll^ge und lycee zum Schul-jahresbeginn 2009/2010 eingeführt (Ministere de l`Education Nationale, 2008b).
Eine Besonderheit von Kunstgeschichte ist, dass es zwar als neues Fach defi-niert wurde, jedoch nicht eigenständig unterrichtet wird, sondern in bereits be-stehende Fächer wie z. B. Französisch oder Geschichte integriert wurde. Ziel
dieses in den Lehrplänen mehrerer Fächer integrierten Faches ist es, jedem
Schüler und jeder Schülerin eine künstlerische und kulturelle Basis zu vermit-teln, welche auf verschiedenartigen historischen Referenzen fußt. Es ist vorge-
154 6 Auswertung der Interviews
schrieben, Kunstgeschichte auf fächerübergreifende Weise zu unterrichten. Der
besondere Stellenwert von Kunstgeschichte wird dadurch unterstrichen, dass es
dazu im Rahmen der Abschlussprüfung des coll^ges (DNB) in Form einer mündlichen Prüfung evaluiert wird und somit in die Gesamtnote des Ab-schlusszeugnisses eingeht. Den Schulen wurden bei der Implementierung von
Kunstgeschichte Spielräume gelassen, seitens des Bildungsministeriums wurden
Rahmenvorgaben definiert (Ministere de l`Education Nationale, 2009a).
Schulleiterin 1 Schulleiterin 2 Schulleiter 3 Schulleiter 4 Schulleiterin 5
Anfang SL1 hat Leh- rerschaft offizielle Informationen zu- kommen lassen.
SL2 hat Lehrer- schaft einberufen und sie über die Neuerungen in- formiert.
SL3 hat den conseil p6dagogique beauf- tragt und einen Vor- schlag zur Imple- mentierung ge- macht (der nicht übernommen wur- de).
SL4 hat die Ge- schichtslehrer mit der Imple- mentierung be- auftragt.
SL5 hat Lehrer-schaft mehrfach einberufen, um für Kunstgeschichte zu werben und Ge-winn für Schü-lerschaft deutlich zu machen.
Begleitung durch die Schulleitung
Gering. Orga- nisieren von Konfe- renzen, keine enge Begleitung der Leh- rerschaft.
Hoch. Organisieren von Konferenzen, enge Begleitung, regelmäßiges Ab- fragen des aktuellen Stands.
Gering. Regelmäßi- ges Abfragen des aktuellen Stands.
Gering. Gelegentli- che Anforderung von Rückmeldung- en zum Stand der Dinge.
Anfangs hoch, spä-ter gering. Starkes Werben für Kunst-geschichte durch die Schulleitung.
Einsatz der Leh- rerschaft
Einige Lehrer mo- tiviert, viele unmo- tiviert, Klagen über unbezahlte Mehr- arbeit. Projekt wur- de durch Lehrer „verschleppt".
Viele Lehrer un- motiviert, mehrere haben sich bei der Schulleitung be- schwert.
Betroffene Lehrer größtenteils moti- viert.
Geschichtslehrer zunächst motiviert, rasch frustriert, dass sie das Projekt alleine schultern mussten. Auf einer Lehrerkonferenz wurde beschlossen, zur Prü- fungsdurchführung das gesamte Kolle-gium einzube-ziehen.
Anfangs aufgrund von empfundener Mehrarbeit stark unmotiviert, dann zunehmend enthu-siastisch. Kunstge-schichte wurde als bildend für die Schülerschaft emp-funden.
Durch die Schule entwickelte Prü- fungsmodalitäten
Gruppenprüfungen an wenigen Tagen, an welchen der re- guläre Unterricht ausfällt.
Prüfungen über vie- le Tage hinweg ohne signifikanten Unterrichtsausfall.
Einzelprüfungen über wenige Tage hinweg, an welchen ein Teil des Unter- richts ausfällt.
Einzelprüfungen über wenige Tage hinweg, an welchen ein Teil des Unter- richts ausfällt.
In jeder Parallel-klasse individuelle Prüfungen. Kein si-gnifikanter Un-terrichtsausfall.
Zusammensetzung der Lehrer-Jury
Lehrer-Jury setzt sich aus der ge- samten Lehrer- schaft zusammen.
Lehrer-Jury setzt sich aus Lehrern aus den Fächern Kunst, Geschichte und Französisch zusammen.
Lehrer-Jury setzt sich aus Lehrern aus den Fächern Kunst, Geschichte und Französisch zu-sammen.
Lehrer-Jury setzt sich aus der ge- samten Lehrer- schaft zusammen.
Deutsch-, Franzö-sisch-, Erdkunde-, Geschichts- und Kunstlehrer.
Zentrales inhaltli- ches Element der mündlichen Kunst- geschichte-Prüfung
Propagandaposter aus dem Zweiten Weltkrieg (welches identifiziert und diskutiert werden soll).
Gedicht aus dem Zweiten Weltkrieg (welches interpre- tiert werden soll).
Von den Lehrern er- stellte Audio- montage (welche diskutiert werden soll).
Historischer Text, welcher eingeord- net und analysiert werden soll.
Je nach Klasse an-dere Prüfungsinh-alte.
Einschätzung von Kunstgeschichte durch die Schul- leitung
Sehr gut,. inter- essant, nützlich für die Schülerschaft.
Kein gewinnbrin- gendes Projekt, sondern Zwang.
Sehr gut für Schü- lerschaft und gut für Lehrerschaft aufgrund des inter- disziplinären Cha- rakters.
Grundsätzlich sinn- voll, jedoch vom Bildungsmin- isterium sehr schwammig defi- niert.
Sehr gut, Schüler- schaft profitiert von Interdisziplinarität, Lehrerschaft arbeit-et verstärkt im Team.
Beurteilung der Im- plementierung durch die Schul- leitung
Viel Verbesse- rungsbedarf, engere Kontrollen und/oder bessere Unterstützungsme- chanismen nötig.
Ausreichend. Ganz anders als von SL erwartet, aber angesichts der knappen Vorberei- tungszeit sehr gut.
Nur vorübergehend befriedigendg Leh- rerschaft zu zaghaft und zu wenig in-novativ.
Sehr zufriedenstell- end.
Tabelle 15: Fünf Wege der Implementierung von Kunstgeschichte
6.2 Beispiel für verschiedene Implementierungen einer Innovation 155
Die Betonung von Rahmenvorgaben mit Handlungsspielräumen markiert einen
Paradigmenwechsel im französischen Schulsystem, der für französische Schul-leitungen wie Lehrerschaften eine Herausforderung darstellt. Um die Gemein-samkeiten wie auch die individuellen Probleme und Lösungsansätze bei der Im-plementierung dieser Innovation zu illustrieren wurden individuelle Merkmale
der Einführung von Kunstgeschichte an den fünf jeweiligen Schule (basierend
auf den Jahresberichten) und zentrale Aussagen der Schulleiter/-innen zur Im-plementierung tabellarisch zusammengefasst (Tabelle 15). Die Zusammenstel-lung zeigt, wie die einheitliche Rahmenvorgabe an den verschiedenen Schulen individuell umgesetzt wurde. Deutlich werden dabei nicht nur eine unterschied-liche inhaltliche Ausfüllung der Rahmenvorgaben, also unterschiedliche Inter-pretationen der Inhalte von Kunstgeschichte, sondern auch Variationen in der
Struktur, im Prozess sowie den beteiligten Akteuren. Auffällig ist, dass lediglich
Schulleiter 3 den Implementierungsprozess an eine Steuergruppe in Form des
conseilp^dagogique delegiert hat. Ebenfalls auffällig ist die heterogene Reakti-on der Lehrerschaft, die an jeder Schule anders ausfiel und auch einen anderen Verlauf nahm. Erkennbar wird weiterhin, dass das autonome Ausgestalten von
Rahmenvorgaben nur bei einem Teil der Schulleitung auf Verständnis (im Sinne
von Verstehen und im Sinne von Akzeptieren) stößt.
6.3 Zusammenfassung
Im sechsten Kapitel fand eine Auswertung der Interviews statt. Der Schwer-punkt der Interviews lag dabei auf dem Wirken der Schulleiter/-innen im Kon-text von Schulentwicklung. Dabei wurde unter anderem deutlich, dass das Ver-hältnis zwischen Schulleitung und Lehrerschaft bezüglich schulischer Innovati-onsarbeit oft gespannt ist. Das Berufsbild der befragten Schulleiter war einer-seits das eines staatlichen Repräsentanten des Bildungsministeriums, an-dererseits das eines autonomen, dynamisierenden Schulleiters. Die im Rahmen
der Dezentralisierung den Schulen und damit Schulleitern zuteil gewordene Au-tonomie wurde knapp überwiegend als nicht real existent bzw. beschränkt emp-funden. Größere Entscheidungs- und Handlungsspielräume, z. B. beim Perso-nalmanagement und beim Management des Budgets, wurden als wichtige Vor-aussetzungen für eine effektivere Schulentwicklungsarbeit erachtet. Ebenso
wurde die Einrichtung geschützter Zeit für Lehrer für Schulentwicklungsarbeit
als eine hilfreiche Maßnahme auf dem Weg zur lernenden Schule gesehen.
Die Wege der Implementierung einer Reform wurden durch die Rekon-struktion der Einführung von Kunstgeschichte an den besuchten coll^ges nach-gezeichnet. Bedeutsam waren die unterschiedlichen Herangehensweisen zur Im-plementierung der Reform, so waren der Verlauf und Grad der Beteiligung der
156 6 Auswertung der Interviews
Schulleitung an allen Schulen unterschiedlich. Auch differierten die Merkmale
der entwickelten Prüfungen je nach Schule. Nur an einer Schule (von Schulleiter
3) übernahm eine Steuergruppe die Ausgestaltung und Umsetzung der Reform.
7 Reflexion des Forschungsdesigns
Grundsätzlich hat sich die Kombination aus Experteninterviews und Beschat-tungen bewährt 80 und aussagekräftige Resultate ermöglicht. Auch die Vergleich-barkeit zwischen den einzelnen Schulen war besser als zuvor angenommen, ob-wohl dies im verwendeten Forschungsdesign kein unerlässliches Kriterium war.
Als großer Vorteil hat sich erwiesen, dass die Untersuchungen alle zeitnah er-folgten und sich jeweils über eine gesamte Woche erstreckten. Mag ein ite-ratives, aufeinander aufbauendes Vorgehen, wie es geläufig in der Grounded
Theory vorgeschlagen wird, also eine Untersuchung und Auswertung, gefolgt
von einer durch die erste Untersuchung und Auswertung bereicherten zweiten
Untersuchung und Auswertung etc., sicherlich Vorteile wie eine erhöhte Flexibi-lität während des Forschungsprozesses bieten, liegt der Vorteil des verwendeten
Vorgehens in seiner Geschwindigkeit und Kohärenz der Datenerhebung: In vor-liegender Untersuchung ermöglichte die zeitliche Nähe der Untersuchungen,
verbunden mit dem im Vergleich zur Grounded Theory eher stringenten Fallstu-diendesign (vom Pretest abgesehen erfolgte die Auswertung erst nach Durchfüh-rung aller Beobachtungen und Interviews), an allen Schulen zu ähnlichen Pha-sen den Umgang mit ähnlichen Themen zu beobachten (beispielsweise die Ein-führung von Kunstgeschichte). Allerdings ist die Dauer der Untersuchungen si-cherlich — genügend Ressourcen vorausgesetzt — geradezu prädestiniert für eine
Ausweitung. Eine Untersuchung mit ähnlichem Design, aber mit Längsschnitt-charakter würde noch eindringlichere Beobachtungen über die Konzeption, Im-plementation, Institutionalisierung und ggf. Re-Konzeption schulischer Innova-tionen erlauben und daher eine Aussagekraft besitzen, die über das Maß dieser
explorativen Studie hinausgeht. Dies wäre aber mit einem Ressourcenaufwand verbunden, der im Rahmen vorliegender Arbeit nicht zu realisieren gewesen
wäre. Als bedeutsame Vorteile des verwendeten Designs lassen sich festhalten:
1. Shadowing ermöglichte eine lückenlose Aufzeichnung von Handlun-gen. Was hat der Schulleiter wann, wo, wie gemacht, mit wem hat er
wann kommuniziert, worüber hat er wann mit wem gesprochen? All
dies konnte minutengenau fixiert werden.
80 Nota bene : Die Kombination aus (strukturiertem bzw. halb-strukturiertem) Interview und shado-wing ist in der Marktforschung seit den 1990er Jahren verbreitet (vgl. beispielsweise Hörz, 1996;
Naderer, 2007, S. 577).
158 7 Reflexion des Forschungsdesigns
2. Die aus den Beschattungen erhobenen Daten ließen sich sehr gut visua-lisieren. Dies wiederum ermöglichte es, die Daten auf verständliche
und nachvollziehbare Weise aufzubereiten.
3. Auch konnte — gerade durch Beschattungen an mehreren Schulen — be-obachtet werden, worin die Unterschiede zwischen den Handlungsmus-tern der einzelnen Schulleiter bestanden. Was tat Schulleiter 3 im Ver-gleich zu Schulleiterin 5 intensiver, was tat er überhaupt nicht, was tat
er, was Schulleiterin 5 überhaupt nicht tat?
4. Nach einer anfänglichen Eingewöhnungsphase vergaßen die Schulleiter
mehr und mehr, dass sie beobachtet wurden. Der Versuchsleiter(erwar-tungs-)-Effekt (im Englischen auch observer expectancy effect oder Rosenthal effect genannt, vgl. McDonald, 2005, p. 8f; Rosenthal & Ja-cobson, 1968), also die Annahme, dass sich Erwartungen des Beobach-tenden auf den Beobachteten übertragen bzw. der Bobachtende diese
unbewusst kommuniziert und es so im Extremfall zu einer sich selbst
erfüllenden Prophezeiung kommt, konnte nicht ausgemacht werden. Es
gab zwar eine kurze Eingewöhnungszeit (einige Stunden) am ersten
Beobachtungstag, in der das Verhalten der Schulleiter ggf. als zurück-haltender als üblich charakterisiert werden könnte, diese war aber, ver-glichen mit der gesamten Beobachtungszeit, nur von kurzer Dauer. Das
Risiko scheint bei vorliegender Arbeit auch deshalb eher gering, da
sich Beobachter und Beobachtete vor Beginn der Untersuchung nicht
kannten und vor Beginn der Beobachtungsphase nie zuvor gesehen hat-ten. Diese Einschätzung deckt sich mit den Erfahrungen aus vergleich-baren Studien (vgl. Mintzberg, 1973). Eine beobachtete Schullei-tungsperson fühlte sich augenscheinlich sogar so natürlich' und unbe-fangen, dass sie regelmäßig mit starken Kraftausdrücken über Teile des
Personals schimpfte. 5. Auch das Risiko der Manifestierung von Phänomenen sozialer Er-
wünschtheit wurde bei gewählter Methodenkombination als eher ge-ring angesehen. Bei Beobachtungsstudien ist ein nicht zu vernachlässi-gendes Risiko der sogenannte Hawthorne-Effekt (für eine Präsentation
und Kritik des Hawthorne-Effekts, siehe S. R. G. Jones, 1992). Mit die-sem Begriff wird das Phänomen umschrieben, dass manche Personen
mehr und/oder besser arbeiten, wenn sie wissen, dass ihre Leistungen
überwacht werden. Bei vorliegender Untersuchung wurde als Un-tersuchungsanliegen der Wunsch formuliert, zu erfahren, womit Schul-leiterinnen und Schulleiter ihre Arbeitszeit zubringen. Selbst wenn die-se ein bewusstes oder unbewusstes Verlangen danach gehabt hätten, an-gesichts des Beobachtungszustandes „besser" zu arbeiten ( Hawthorne-Effekt ), wäre eine Umsetzung dieses Verlangens aufgrund der Vielzahl
7 Reflexion des Forschungsdesigns 159
der Schulleitungsaufgaben schwer bis unmöglich gewesen. Wichtiger
erscheint in diesem Zusammenhang die oftmals geäußerte und auch
von mir vertretene Auffassung, dass jede empirische Untersuchung,
quantitativ wie qualitativ, durch das Verständnis und die Ansichten des
Forschers beeinflusst wird. Deshalb ist es essenziell, sämtliche Ele-mente einer Untersuchung so transparent wie möglich zu machen. Erst
dies erlaubt es anderen Wissenschaftlern, bestehende Forschung nach-zuvollziehen, ggf. zu reproduzieren und zu kritisieren. Verzerrungen
mögen unausweichlich sein, diesbezüglich betroffene Bereiche eines
Forschungsvorhabens können aber durch transparentes Vorgehen für
andere sichtbar gemacht werden. Dies wurde in vorliegender Arbeit
versucht. 6. Das kurze Debriefing am Ende des Tages half einerseits, uneindeutige
oder unverstandene Handlungen zu erklären. Andererseits war es auch
für die Schulleiter/-innen nützlich, da sie so zur Reflexion über das Ta-gesgeschehen angeregt wurden.
Im Zuge der Untersuchung sind jedoch auch einige kritikwürdige Punkte dieser
Methodenkombination zutage getreten:
1. Shadowing erfordert viel Disziplin seitens des Forschenden und des
Beforschten. Gerade zu Beginn, wenn die Situation für beide neu und
fremd ist, ist die Versuchung groß, die Situation durch kleine Gesprä-che zu entspannen (Smalltalk, phatische Funktion der Kommunikation,
vgl. Pelz, 1996, S. 29f). Diese Art von Interaktion kann jedoch leicht
verfälschend wirken, da sie dem regulären Arbeitsalltag des Beobachte-ten entgegenwirken kann. Es muss daher penibel darauf geachtet wer-den, während der Beschattung so wenig wie möglich zu kommunizie-ren.
2. Der zeitliche Aufwand ist enorm. Da der Arbeitstag eines Schulleiters
in Frankreich von ca. 7:30 bis 17 Uhr geht, ist diese Zeit durch das
shadowing komplett vereinnahmt. Interviews und ggf. nötige Rückfra-gen und Nachforschungen müssen also zeitlich ausgelagert werden. So-mit eignet sich das shadowing nur für sehr kleine Stichproben. Für Fallstudien erscheint es sehr gut geeignet.
3. Die sehr inkohärenten Nachmittage waren mit der ausgewählten Me-thodenkombination nicht zufriedenstellend erfass- bzw. auswertbar.
4. Die überwiegend qualitative Orientierung dieser Forschungsarbeit
bringt einige nur schwer überwindbare Defizite mit sich. So ist bei-spielsweise die intersubjektive Überprüfbarkeit der erhobenen Daten
nur eingeschränkt gegeben, und aufgrund der Fallbezogenheit sind Ge-
160 7 Reflexion des Forschungsdesigns
neralisierungen schwer möglich und letzten Endes als spekulativ zu be-trachten (vgl. hierzu auch Mayring, 2002, S. 140ff).
5. Trotz der Untersuchung mehrerer Schulen über jeweils mehrere Tage
hinweg lässt sich nicht ausschließen, dass keine typischen Aktivitäten
der besuchten Schulleiter/-innen untersucht wurden. Typische Aktivitä-ten erwiesen sich als schwer zu definieren und noch schwerer zu beob-achten. Leicht kann der Eindruck entstehen, Schulleiter/-innen befän-den sich fast das gesamte Schuljahr über in Ausnahmesituationen („Jetzt ist es gerade besonders hektisch, weil..." war ein unabhängig
von der Jahreszeit oft gehörter Satz von Schulleiter/-innen). Im Zuge
der Vorbereitungen wurden Gespräche mit Schulleiterinnen und Schul-leitern im Januar, Februar, Mai, Juni, September und Oktober 2010 ge-führt; jedes Mal berichteten diese, dass sie sich gerade in einer sehr ar-beitsintensiven Zeitspanne befänden. Ein shadowing über ein ganzes Jahr hinweg würde es erlauben, diesen Aspekt genauer zu beleuchten,
wäre jedoch nicht nur enorm zeitaufwändig, sondern aufgrund der re-sultierenden gigantischen Datenmenge mit dem hier angewandten For-schungsdesign nicht zu handhaben, es sei denn, es würden nur Basisda-ten (also beispielsweise Zeit, Dauer und Art der Aktivitäten) berück-sichtigt. Es musste daher eine Selektion bezüglich der Beobachtungs-dauer getroffen werden. In der vorliegenden Untersuchung wurde ver-sucht, einerseits durch einen engen zeitlichen Rahmen (alle fünf Be-schattungen wurden innerhalb eines Gesamtzeitraums von neun Wo-chen durchgeführt), andererseits durch eine jeweilige Beobachtung
über mehrere Tage hinweg Validität und Reliabilität im Hinblick auf ty-pische Aktivitäten zu gewährleisten.
6. Problematisch erscheint ferner, dass trotz größter Anstrengungen nicht
alle Dimensionen des Schulleitungshandelns abgebildet werden konn-ten. So wurden Schulleiter beispielsweise nicht zu Hause beobachtet,
obwohl mehrere auch dort laut Aussagen in den Interviews nach Feier-abend weiter arbeiteten (Schulleiterin 1, Schulleiter 3, Schulleiter 4);
diese Problematik gilt analog für die Wochenenden. Ebenso wurde die
Art und Weise mit der sie ihre Arbeit verrichteten und insbesondere die
Art der zwischenmenschlichen Interaktion nur verlustbehaftet aufge-zeichnet. Schließlich ist zu diesem Zeitpunkt nicht eindeutig zu klären,
ob eine Woche ausreicht, um eine valide Einschätzung der alltäglichen
Arbeit eines Schulleiters zu erhalten. Mehrwöchige oder gar mehrmo-natige Observationen über den Zeitraum eines Schuljahres hinweg wä-ren — entsprechende Ressourcen vorausgesetzt — den hier angesetzten
Zeiträumen vorzuziehen.
7 Reflexion des Forschungsdesigns 161
7. Eine Erweiterung der Studie durch Einbeziehung der Sichtweise der
Lehrerschaft auf Schulleitung und Schulleitungshandeln — — z.B. in Form standardisierter, Fragebogen-gestützter Erhebungen — erscheint als eine
Form der externen Validierung der eigenen Forschungsperspektive an-gemessen. In vorliegender Studie wurde u. a. aufgrund der begrenzten
Ressourcen und der im Vorfeld schwer abschätzbaren Kooperationsbe-reitschaft der Lehrerschaft darauf verzichtet (vgl. hierzu auch die Aus-führungen auf Seite 100f).
8 Diskussion der Befunde
Nachfolgend werden die erhobenen Daten reflektiert und unter Einbeziehung
des französischen Kontextes sowie der zuvor erarbeiteten Grundlagen interpre-tiert. Darüber hinaus werden Schlussfolgerungen bezüglich möglicher Verände-rungen zur Verbesserung der Situation der Schulleitung in Frankreich (wie sie
beobachtet wurde) gezogen.
8.1 Interpretationen
Während es unbestritten ist, dass der Schulleiter eine Schlüsselfunktion bei der
Entwicklung der Schule einnimmt, verdeutlicht die vorliegende Exploration,
dass die beforschten Schulleiter/-innen oft nicht in der Lage waren, das in die-sem Zusammenhang bestehende Potenzial voll auszuschöpfen. Die tatsächlich
hohe oder zumindest als hoch empfundene Arbeitsbelastung mag einen ersten
Ansatz zur Erklärung darstellen. Eine Grundvoraussetzung für Schul-entwicklung ist die Möglichkeit, sich Zeit für schulentwicklungsnahe Tätigkei-ten zu nehmen. Diese Möglichkeit ist von verschiedenen Faktoren abhängig, die
zum Teil in Wechselwirkung zueinander stehen. Einer dieser Faktoren ist zwei-felsohne ein solides Wissensmanagement, dessen Bedeutung für Schule in di-versen Beiträgen herausgearbeitet wurde (Hameyer, 2005b; Heitmann, 2011;
OECD, 2000). Alle Schulleiter/-innen, insbesondere aber Schulleiterin 1 und 2
verbrachten einen signifikanten Teil ihrer Arbeitszeit mit der Beschaffung, dem
Austausch und der Diffusion von Informationen zum tagesaktuellen Status ihrer
Schule; diese Tätigkeiten waren oft mit Redundanzen behaftet. Ein Überdenken
ihrer Kommunikations- und Informationsstrategien, die Förderung einer Kultur
des Informations- und Wissensaustausches erscheinen daher als ein Mittel, um
effizienter mit der begrenzten Ressource Zeit umzugehen und so mehr Raum für
Schulentwicklung zu schaffen. Dieser Bereich böte darüber hinaus einen guten
Anknüpfungspunkt für angepasste Fortbildungen oder Beratungen bzw. Coach-ing. Die beobachteten Schulleiter/-innen reagierten darüber hinaus meist auf
das, was ihnen aufgrund von Termindruck, Konsequenzen im Falle des Nichtbe-achtens, z. T. auch aufgrund von persönlichen Interessen relevant erschien. Es
ist unklar, ob ein Schulleiter sich vor 20 Jahren womöglich die Zeit genommen
hätte, eine für ihn auf den ersten Blick uninteressant erscheinende Kooperations-
8.1 Interpretationen 163
anfrage für ein Projekt mit einem örtlichen Jugendverein zu lesen und eventuell
sogar ein wenig dazu zu recherchieren. In vorliegender Untersuchung konnte
dies nicht beobachtet werden, wohl aber das Gegenteil, nämlich, dass Kontakt-aufnahmen und Kooperationsanfragen zeitlich sehr wenig Aufmerksamkeit ge-schenkt wurde. 81 Dies wurde mit dem allgemein zu hohen Aufkommen an Infor-mationen begründet. Zugespitzt ließe sich somit formulieren: Die Flut an Infor-mationen hemmt die Innovationskapazität. Auch in diesem Fall wären mögliche
Lösungsansätze im Bereich Wissensmanagement zu suchen.
Basierend auf den Beobachtungen und Interviews, lässt sich distribu-ted leadership als gegenwärtig weitgehend inkompatibel mit der französischen
Schulleitungspraxis und der damit verbundenen Arbeitskultur charakterisieren.
Die beobachteten Schulleiterinnen und Schulleiter hatten große Mühe, Lehrerin-nen und Lehrer zur Mitarbeit an Schulentwicklungsprojekten zu bewegen. Das
Übernehmen von Führungsfunktionen durch Personen aus der Lehrerschaft wur-de nicht als Option angesehen. Weder ist es in der gegenwärtigen Organisa-tionsstruktur der Schule vorgesehen, noch findet sich im derzeitigen rechtlichen
Rahmen des Schulwesens Raum hierfür. Distributed leadership als Perspektive auf Führungsprozesse mit Berücksichtigung des leadership plus -Aspekts, also des Verständnisses, dass es außerhalb der formalen Führungsriege Menschen
gibt, die Führungsaufgaben übernehmen, scheint für die gegenwärtige französi-sche Lehrer- und Schulleitungskultur daher deplatziert. In den USA, wo diese
Perspektive entwickelt wurde, werden Lehrer/-innen gemeinhin angehalten, sich
um Führungsaufgaben zu bemühen. 82 Ihre Verträge sind meist befristet; das Übernehmen zusätzlicher Aufgaben, insbesondere Aufgaben im Füh-rungsbereich, wird von vielen amerikanischen Lehrerinnen und Lehrern auch als
ein Weg wahrgenommen, ihre Anstellung zu sichern und sich Aufstiegschancen zu erarbeiten. Allgemein gesprochen herrschen dort auf Seiten der Lehrerschaft
ein deutlich größerer Druck und andere Erwartungshaltungen als in Frankreich
oder Deutschland. So werden beispielsweise Schülerleistungen aus einer Klasse
routinemäßig mit Schülerleistungen aus von anderen Lehrern geführten Klassen
oder dem entsprechenden Leistungsdurchschnitt des jeweiligen Bundesstaates
verglichen. Auch wenn ähnliche Praktiken in Frankreich durchaus auch durch-
81 Als ein weiteres Beispiel kann das Einholen der Erlaubnis im Rahmen der Vorbereitung der vor-liegenden Untersuchung angesehen werden: Vor 20 Jahren hätte ein Schulleiter eventuell auf die
Forschungsanfrage und das Expose eines Forschers reagiert. Im Falle dieser Untersuchung war
es nötig, nach dem Versenden der Anfragen telefonisch „nachzuhaken". Alle Schulleiter/-innen
versicherten mir, dass das Expose adäquat war, sie jedoch mangels Zeit erst einen Blick drauf ge-worfen hatten, nachdem ich sie telefonisch kontaktiert hatte.
82 Auch kulturell ist das ständige Streben nach Aufstieg und die ständige Expansion der Aufgaben-bereiche dort stark verankert, wie der "American Dream" verdeutlicht, der Glaube daran, dass je-der, der nur willens ist, hart und lange genug zu arbeiten, Verantwortung zu übernehmen und sich
stark zu engagieren, in den USA einen nahezu unbegrenzten sozialen und insbesondere wirt-schaftlichen Aufstieg erreichen kann.
164 8 Diskussion der Befunde
geführt werden, haben sie dort — im Gegensatz zu den USA — keinerlei Auswir-kungen auf das Gehalt oder die Sicherheit des Arbeitsplatzes.
Hingegen lässt sich basierend auf den Interviews und Beobachtungen
feststellen, dass shared leadership , insbesondere in Form von co-leadership Po-tenzial hat, eine existenzfähige alternative Form der Schulleitung zur klas-sisch-hierarchischen Form bestehend aus Schulleiter/-in und Stellvertreter/-in
darzustellen. Ein stabiles, professionelles Verhältnis zwischen Schulleiter/-in
und Stellvertreter/-in ist offensichtlich ein Faktor, der von Vorteil für das Ent-wicklungspotenzial einer Schule ist. Dies zeigt, wie begrüßenswert und nötig
weitere Forschungen im Bereich shared leadership bzw. praktiziertes co-leader-ship im schulischen Kontext sind. In diesem Bereich ist die Bereitschaft des
Schulleiters zu einer profunden Delegation von Bedeutung. Mit profunder Dele-gation ist ein Grad der Delegation gemeint, der einen gewissen Kontrollverlust
zwingend mit sich bringt, im Gegenzug jedoch zeitliche Freiräume schafft. Die
Bedeutung von Delegation ist — gerade im Kontext von shared leadership und verwandten Modellen — in der Wissenschaft hinlänglich bekannt. Daraus folgt
jedoch nicht, dass Schulleiter in Frankreich (oder anderen Ländern) entspre-chende Kenntnisse besitzen bzw. bereit sind, diese in ihrer Praxis zu berücksich-tigen. Schulleiterin 1 und 2 zogen es vor, so viele Kompetenzbereiche wie nur
möglich inne zu haben, was stark zu einem fragmentierten Arbeitstag und dem
Gefühl der Überforderung beitrug, aber ihnen auch das Gefühl vermittelte, die
Dinge selbst zu kontrollieren. Schulleiter 3 hingegen verließ sich stark auf sei-nen Stellvertreter, was ihm die Möglichkeit gab, freier zu arbeiten während der
Stellvertreter ihm den Rücken freihielt. Einher ging damit jedoch auch ein tem-porärer Informations- und damit ein möglicher Macht- bzw. Kontrollverlust, zu-mindest so lange, bis Schulleiter 3 von seinem Stellvertreter über den Stand der
Dinge und ggf. Verpasstes informiert wurde. Das Vertrauen von Schulleiter 3 in
seinen Stellvertreter auf professioneller Ebene kann beinahe als absolut bezeich-net werden, was sich wiederum positiv auf die Effektivität der Interaktionen
zwischen beiden auswirkte. Schulleiter 3 arbeitete nach eigenen Angaben mit
seinem Stellvertreter auf Augenhöhe; er bezeichnete sich selbst und ihn als
Team und ebenbürtig; diese Aussagen decken sich mit den Beobachtungen. Die
Beobachtungen und die Dokumentenanalyse machen deutlich, dass Schulleiter 3
erheblich mehr Zeit für Schulentwicklungsaktivitäten aufwenden konnte als sei-ne beobachteten Kolleginnen und Kollegen. Darüber hinaus wurde er deutlich
seltener in seinen Aktivitäten unterbrochen, konnte also selbstbestimmter arbei-ten. Es drängt sich jedoch die Frage nach einer erfolgversprechenden, realistisch
umsetzbaren Implementierung von co-leadership auf. Schulleiter 3 und sein Stellvertreter harmonierten menschlich miteinander und waren bezüglich be-ruflich relevanter Fähigkeiten darüber hinaus in vielen Bereichen komplementär
(beispielsweise hatte Schulleiter 3 Visionen für den IT- Bereich, basierend auf
8.1 Interpretationen 165
seiner Erfahrung, sein Stellvertreter hatte stark ausgeprägte IT- Kenntnisse, die
nötig waren, um die Visionen umzusetzen). Dass diese beiden Personen an die-ser Schule zur selben Zeit zu Schulleiter und Stellvertreter ernannt wurden, ist
als Zufall anzusehen. Es ist grundsätzlich nicht davon auszugehen und es konnte
an den anderen vier Schulen auch nicht beobachtet werden, dass ein Schulleiter
und sein Stellvertreter so harmonieren. Eine Implementation eines co-leader-ship -Paradigmas in Verbindung mit der bisherigen Praxis der weitgehend zufäl-ligen, in jedem Falle nicht auf co-leadership ausgelegten Vergabe von Schullei-ter- und Stellvertreterposten wird höchstwahrscheinlich nur an wenigen Schulen
zu gelingendem co-leadership führen. Stellenzuweisungen für Schulleiter/-innen
und Stellvertreter/-innen werden gegenwärtig autonom von der zuständigen
academie vergeben. Das Verfahren orientiert sich dabei an Aspekten wie Senio-rität („Wie lange ist diese Person bereits im Beruf?") und an Indikatoren wie
beispielsweise dem an der durchschnittlichen Abschlussquote festgemachten
schulischen Erfolg („Wie hat sich die letzte Schule entwickelt, an der diese Per-son tätig war?"). Eine Einbeziehung von Persönlichkeitsmerkmalen, ein Assess-ment oder ähnliches kommen in der Regel nicht zum Einsatz. Ebenso spielen
Überlegungen zu möglichen Teambildungen keine Rolle. Eine mögliche Imple-mentation von co-leadership müsste Veränderungen in diesem Verfahren nach
sich ziehen, um Chancen auf Erfolg zu haben. Dies erscheint in Anbetracht der
gegenwärtigen Situation, insbesondere in Anbetracht der aktuellen Reformmü-digkeit der Akteure des französischen Bildungssystems, als kaum umsetzbar, zu-mindest nicht in näherer Zukunft.
Die im Forschungsdiskurs bereits bekannte Schlüsselposition des Schulleiters bei der Umsetzung von Innovationen wurde auch in vorliegender
Arbeit im französischen Kontext erkennbar. Diese variierte jedoch je nach Art der Innovation. Bei extern induzierten Innovationen, also von übergeordneten
Instanzen verordneten Reformen, agierten die untersuchten Schulleiter/-innen
mehrheitlich als Exekutive des Bildungsministeriums. Lehrkräften Informatio-nen zur Umsetzung von Reformen sowie Zeit zum Kommunizieren, Koordinie-ren und Adaptieren zur Verfügung zu stellen, scheinen gangbare Wege zu sein,
extern induzierte Innovationen effektiver zu implementieren; Schulleiter/-innen
in Frankreich verfügen diesbezüglich jedoch nur über eingeschränkte Hand-lungsspielräume. Sie können die Lehrkräfte für solche Zwecke zwar zu Konfe-renzen oder Arbeitstreffen einberufen oder zur Mitarbeit an einem Projekt auf-fordern, diese Akte sind — wenn es um schuleigene Schulentwicklungsprojekte
geht — jedoch unverbindlich. 83 Alternativ können sie Unterricht ausfallen lassen
und die so eingesparte Zeit für verbindliche Arbeitstreffen mit Lehrern aufwen-
83 Regelmäßige Treffen wie das Treffen des Verwaltungsrates ( ca) sind verpflichtend, sie sind je-doch für formale Beschlüsse und Besprechungen vorgesehen. Wenn ein Schulleiter also z. B. die
Einführung einer neuen Unterrichtsart inklusive einer Zusatzprüfung erläutern möchte, quasi
eine Mini-Fortbildung, so kann er das — zumindest offiziell — nicht während eines ca tun.
166 8 Diskussion der Befunde
den; dies ist jedoch nur möglich solange in den vom Unterrichtsausfall betroffe - nen Fächern das vorgegebene Minimal-Pensum an Lehre nicht bedroht ist. So
müssen in der sixi^me beispielsweise mindestens sieben Schulstunden Franzö-sisch pro Woche unterrichtet werden, etwaige Unterrichtsausfälle müssen kom-pensiert, d. h. nachgeholt werden. Ein Schulleiter könnte in solch einer Situation
also keinen Unterricht kürzen, um ein verbindliches Treffen anzuberaumen. Set-zen Lehrer vom Ministerium vorgegebene Reformprojekte nicht um, hat der
Schulleiter kein Sanktionsrecht, dieses obliegt der inspection . Beobachtet wur-de, dass Schulleiter Lehrer, die sich weigerten, an vom Ministerium verordneten
Schulentwicklungsprojekten mitzuarbeiten, verdeckt oder offen kritisierten, an-sonsten jedoch keine weiteren Schritte (wie z. B. das Hinzuziehen der inspecti-on) unternahmen.
Handelt es sich bei den Schulentwicklungsprozessen um interne Ent-wicklungen, so wird zunächst die Vetomacht des Schulleiters deutlich. Er kann
durch offen kommunizierte Ablehnung oder verborgen durchgeführte Aktivitä-ten Schulentwicklungsvorhaben blockieren. Die Gatekeeper -Funktion des Schulleiters wird in solchen Fällen besonders sichtbar. Im Falle der Unterstüt-zung eines internen Projekts durch den Schulleiter werden oft starre Grenzen of-fenbar, die dem Einfluss des Schulleiters gesetzt sind. So kann er, um ein Pro-jekt zu unterstützen, in der Regel nur in minimalem Maße einen finanziellen
oder anders gearteten Ausgleich für an Projekten arbeitende Lehrkräfte geben.
Entlastungsstunden oder gar eine finanzielle Entlohnung sind in der Regel nur durch kreative Interpretationen der Vorschriften, z. T. am Rande der Legalität,
zu erreichen. Hier zeigt sich eine Diskrepanz zwischen den in Vorschriften und
Erlassen geäußerten Absichten des französischen Bildungsministeriums, der
Einzelschule mehr Autonomie zu verschaffen und die autonome Entwicklung
einzelner Schulen zu fördern und den vorherrschenden rechtlichen Gege-benheiten. Dies mag ein Faktor dafür sein, warum die Schulleiter/-innen ihre
Spielräume und somit ihre Einflussmöglichkeiten als eher gering wahrnahmen. Die in den Interviews geäußerten Selbsteinschätzungen der
Schulleiter/-innen zu ihrer Arbeitszeit und ihren Tätigkeiten decken sich über-wiegend mit den erhobenen Daten aus den Beobachtungen. Zwar war keiner der
Schulleiter/-innen in der Lage, in den Interviews einen Tag detailliert zu rekon-struieren, doch berichteten z. B. Schulleiterin 1 und 2, dass sie in der Regel Tag
für Tag viele Notfälle zu bewältigen hätten. Dies impliziert einen permanenten
Krisen- bzw. Krisenbewältigungszustand. Diese „Feuerwehr-Mentalität" ist in
der internationalen Forschung seit längerem bekannt. Es besteht in diesem Kon-text das Risiko, dass Führungskräfte sich ausschließlich auf kurzfristige Planun-gen und Problemlösungen konzentrieren, zulasten von langfristigen Strategien
(vgl. z. B. Peterson, 1977; Weick, 1996). Das Bild des Schulleiters als Feuer-wehrmann, der von einem Brandherd zum nächsten hastet und einen fragmen-
8.1 Interpretationen 167
tierten Arbeitsalltag erlebt, wird einerseits durch die Beobachtungs-Diagramme
von Schulleiterin 1, 2 und 5 und in Teilen auch Schulleiter 4 deutlich sichtbar
und andererseits durch die Selbsteinschätzungen von Schulleiterin 1 und 2 ge-stützt. 84
Mit Rückgriff auf geläufige Auffassungen von Leadership (vgl. Kapitel
2.4) lässt sich basierend auf den erhobenen Daten festhalten, dass die beforsch-ten Schulleiter/-innen nur im Ansatz Führungsverhalten demonstrierten, welches
als Leadership charakterisiert werden kann. Das Setzen von Zielen, das Entwi-ckeln von Visionen, ein Einfluss auf die Organisation, der als transformativ be-zeichnet werden kann, all das konnte kaum beobachtet werden. Schulleiter 3
lässt sich am ehesten als leader charakterisieren, mit Einschränkungen auch Schulleiter 4. Schulleiterin 1 und 2 sahen hingegen den Alltag als zentral; sie
versuchten mit bewährten Mitteln, die Funktionsfähigkeit ihrer Schulen im All-tag zu sichern. Ihr Führungsverhalten lässt sich damit als verwaltend oder trans-aktional charakterisieren. Hierbei traten auch nicht-intendierte Konsequenzen
(im Sinne von Giddens) auf: Schulleiterin 1 und 2 standen bei größeren Projek-ten unter starkem Druck, da diese die längste Zeit über nicht in Angriff genom-men werden. Auch zeigten sich beide in den Interviews enttäuscht darüber, dass
die Lehrkräfte sich in Bezug auf Projektarbeit nicht genug engagierten. Die Ur-sachen hierfür sind sicherlich vielschichtig, eine nähere Untersuchung der Per-spektive der Lehrerschaft hätte diesbezüglich womöglich nähere Erkenntnisse
gebracht. Auf Ebene der Schulleitung war erkennbar, dass Schulleiterin 1 und 2 mit ihrem auf die Gegenwart ausgerichteten Führungsverhalten Rahmen (bzw.
eine soziale Struktur) schafften und reproduzierten, in denen längerfristigen Pro-jekten keine besondere Wertschätzung beigemessen wird. Die Lehrerschaft an
diesen Schulen sah womöglich ihrerseits keinen Anreiz, sich in Projektarbeit zu
engagieren und kein Risiko im Beibehalten des Status Quo, weshalb auch sie die
bestehenden Strukturen reproduzierte. Eine weitere von der Schulleitung unbe-absichtigte Folge könnte das zunehmend antagonistische Verhältnis zwischen
Lehrerschaft und Schulleitung sein. Veränderungen erfordern Spielräume, die
auch wahrgenommen werden und Macht. Auch hier werden — mit Giddens'
Strukturationstheorie im Hintergrund — Bereiche sichtbar, in denen der ge-wünschte Prozess, nämlich die Verwandlung einer Schule hin zu einer lernen-den Organisation , unter gegenwärtigen Bedingungen kaum erreichbar scheint.
So verfügten die Schulleiter/-innen weder im Bereich der Allokation (Verteilung
von materiellen Ressourcen) noch im Bereich der Autorisierung (Verteilung von
menschlichen Ressourcen) über hohe Machtbefugnisse und schienen sich dessen
größtenteils bewusst zu sein.
84 Dies scheint nicht unbedingt ein Spezifikum der beobachteten Gruppe oder ein französisches
Spezifikum zu sein; es besteht eine Anschlussfähigkeit mit Befunden aus Studien in den USA
und Deutschland (vgl. Freie und Hansestadt Hamburg, Behörde für Schule und Berufsbildung
Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung, 2008, S. 11; OECD, 2008a, S. 30ff).
168 8 Diskussion der Befunde
Eine Autonomie der Schule(n) bzw. der Schulleiter/-innen existiert in
Frankreich schon seit geraumer Zeit im Gesetz, doch schienen nur Schulleiter 3
und 4 darum bemüht, diese Autonomie in Gänze in Anspruch zu nehmen. Be-sagte Autonomie der Schule ist gepaart mit einer Erwartungshaltung, eine Schu-le solle sich auf möglichst überprüfbare Weise (im Sinne einer Re-chenschaftspflicht) selbstständig entwickeln. Mit Blick auf die Schulleiter/-in-nen bedeutet dies — zumindest formal — zunächst gesteigerte Freiheiten und Ent-scheidungsspielräume. Das Ausreizen dieser Entscheidungsspielräume oder eine
gesteigerte „Produktivität" in Bezug auf Schulentwicklung aufgrund von Auto-nomie konnte jedoch nur bei Schulleiter 3 und in Teilen bei Schulleiter 4 beob-achtet werden. Der gesteigerte Spielraum verbunden mit den gestiegenen Erwar-tungen scheint eher das Risiko einer unproduktiven Irritation basierend auf wi-dersprüchlichen Erwartungen (zwischen Ministerium und Schulleiter sowie
Schulleiter und Lehrer) und Unsicherheiten zu schüren. Mehr Autonomie bringt
auch mehr Komplexität mit sich. Schulleiterin 1, 2 und 5 nutzten ihre Entschei-dungsspielräume kaum, stattdessen verharrten sie in „altbewährten" Tä-tigkeitsmustern und übten vor allen Dingen administrative Tätigkeiten aus. Dies
äußerte sich auch in den von ihnen genannten selbst gesetzten Zielen. Die inter-viewten Schulleiter/-innen beschrieben sich zwar als Impulsgeber/-innen, basie-rend auf den Beobachtungen könnten Schulleiterin 1, 2 und 5 jedoch eher als
Verwalter und (Tages-)Manager denn als Entwickler, Visionär oder Zukunftspla-ner, mit anderen Worten Leader, beschrieben werden.
Die beforschten Schulleitungspersonen verbrachten vergleichsweise wenig Zeit mit Schulentwicklung. Aus der Lehrerschaft war in informellen Ge-sprächen wiederholt zu hören, dass ihre Schule sich nicht entwickeln würde.
Gleichzeitig deutete sich an, dass Letztere Schulentwicklung nicht als Teil ihrer
Arbeit sahen. Schulentwicklung wurde seitens der Lehrer der Schulleitung zuge-schrieben, manchmal auch der inspection oder academie . Diese Haltung der Lehrerschaft wurde empirisch nicht gesondert überprüft, in den Interviews mit
den Schulleiterinnen und Schulleitern wurde eine entsprechende Charakterisie-rung der Lehrerschaft jedoch ebenfalls deutlich. Dieser informell sowie durch Interviews gewonnene Eindruck erscheint auch angesichts des französischen
historischen Kontextes plausibel: Lehrer/-innen waren in Frankreich traditionell
exklusiv für den Unterricht zuständig; Erziehung und Innovation gehörten aus-drücklich nicht zu ihren Pflichten. Formal wurden diese beiden Bereiche zwar
inzwischen auch dem Lehrerberuf zugerechnet, doch ist selbst die derzeitige Ge-setzeslage von der früheren Auffassung durchdrungen: Zwar haben sich Lehrer/- innen zumindest formal im Bereich Schulentwicklung zu engagieren, doch wird
ihnen hierfür weder besondere Arbeitszeit zugeteilt, noch werden den Schul-leitern und Schulleiterinnen Weisungsbefugnisse gegenüber Lehrerinnen und
Lehrern eingeräumt (auch nicht in Bezug auf Schulentwicklung oder Projektar-
8.1 Interpretationen 169
beit). 85 Die beobachteten Schulleiterinnen und Schulleiter sahen bei Schulent-wicklung mehrheitlich die Lehrer in der Pflicht, konzipierte Projekte zumindest
aktiv mitzutragen. Der aus Sicht der Schulleitung häufig fehlende Rückhalt der
Lehrerschaft drückte sich bei einigen Schulleiterinnen und Schulleitern in Äuße-rungen der Machtlosigkeit und Resignation aus. Aus meiner Sicht lässt sich die-se Resignation zum Teil auf die derzeitige Gesetzeslage zurückführen, in wel-cher das in Frankreich die längste Zeit über vorherrschende Bild eines Lehrers
und seiner Aufgaben immer noch zu erkennen ist. Auffällig war in diesem Zu-sammenhang ferner die mehrheitlich geäußerte Präferenz der Schulleiter/-innen,
mit einem jungen Lehrerkollegium zusammenzuarbeiten. Junge Lehrer wurden
als innovationsfreudiger und flexibler angesehen. Dies mag auch mit einem Spe-zifikum des französischen Schulsystems zusammenhängen: In Frankreich exis-tiert für Lehrer/-innen ein Punktesystem, welches Kriterien für einen Schultrans-fer festlegt. Stark vereinfacht gesprochen, erhält ein Lehrer für jedes Jahr im
Dienst an einer Schule Punkte, die er nach eigenem Ermessen für einen Wechsel
an eine andere Schule eintauschen kann (vgl. Ministere de l`Education Nationa-le, 2012c). Für den Wechsel muss er eine bestimmte Zahl Punkte aufbringen, die
je nach Lage und Beliebtheit der gewünschten Schule variiert (viele Schulen
„kosten" um die 300 Punkte). Meist starten Lehrer mit einem geringen Punk-testand in den Beruf (zwischen 20 und 30 Punkten), der es ihnen nicht ermög-licht, sich ihre Schule frei auszuwählen. 86 Sie werden dann vom Bildungsminis-
85 Das Berufsbild von Lehrerinnen und Lehrern an Sekundarschulen wird in Frankreich gemeinhin
anhand zweier Erlasse festgemacht: Ein Erlass von 1997 regelt die Aufgaben (Ministere de
l`Education Nationale, 1997), ein Erlass von 2007 führt die Kompetenzen von Lehrkräften auf
(Ministere de l`Education Nationale, 2007). In beiden Texten wird Schulentwicklung nur ein ge-ringer Platz eingeräumt. So heißt es im Erlass von 1997 lediglich, der Lehrer solle in der Lage
sein, sich an der Konzeption und Umsetzung von Innovationen, neuer Instrumente sowie neuer
Schulprogramme zu beteiligen; der überragende Teil der im Erlass aufgeführten Aufgaben dreht
sich um Fragen des Klassenmanagements, der Didaktik, der fachlichen Fähigkeiten sowie der
Verantwortung des Lehrers als Staatsdiener. Im Erlass von 2007 wird proklamiert, dass der Leh-rer sich eigenständig und regelmäßig über fachliche, didaktische sowie pädagogische Neuerun-gen informiert und diese in seine Praxis einarbeitet. In diesem Zusammenhang wird auch das le-benslange Lernen und Fortbilden erwähnt. Ausführungen über die Arbeit des Lehrers bei der
Entwicklung seiner Schule, eine Beteiligung daran oder weitere Formulierungen, die dem Be-reich Schulentwicklung zugeordnet werden könnten, sind nicht vorhanden.
86 Tatsächlich ist das Punktesystem deutlich komplexer als hier vorgestellt. So werden u. a. Fakto-ren wie Familienstand oder ein etwaiger Behinderungsgrad in der Berechnung der Punkte be-rücksichtigt; beispielsweise erhält ein verheirateter Lehrer, der aufgrund der Lage der ihm aktuell
zugewiesenen Schule getrennt von seiner Frau leben muss, jährlich 150,2 zusätzliche Punkte und
jährlich 100 weitere Punkte pro gemeinsamem Kind (Ministere de l`Education Nationale,
2012b). Ein anderes Beispiel sind Schulen mit besonderem Förderbedarf ( ZEP/RRS); Lehrer, die dort fünf Jahre lang unterrichten, erhalten anschließend 300 Bonus-Punkte (Ministere de l`Edu-cation Nationale, 2012c, S. 16). Bei der Berechnung wird außerdem zwischen einem Schul-wechsel innerhalb einer academie und einem Wechsel jenseits einer academie differenziert. Dar-über hinaus fluktuieren die für einen Wechsel benötigen Punktewerte je nach Nachfrage und je
nach Fach (vgl. Ministere de l`Education Nationale, 2012c, S. 25f).
170 8 Diskussion der Befunde
terium an die Schulen vermittelt, deren Bedarf an Lehrkräften nicht gedeckt ist.
Dies führt in vielen Fällen dazu, dass an bei Lehrkräften eher unbeliebten Schu-len (z. B. einer Schule in einem sozial stark benachteiligten Vorort einer mittel-großen Stadt in einem entlegenen Gebiet Frankreichs) disproportional viele jun-ge Lehrkräfte tätig sind, da diese nicht über genügend Punkte verfügen, um an
eine andere Schule zu wechseln. Kritisiert an diesem Verfahren wird häufig,
dass es kein geeignetes Mittel sei, die besten Lehrkräfte an die herausfordernds-ten Schulen zu holen und dass junge Lehrkräfte an schwierigen (und unbelieb-ten) Schulen „verheizt" werden. Positiv hervorgehoben wird allerdings oft, dass
gerade an den unbeliebten, schwierigen Schulen mit jungen Lehrerkollegien viel
Dynamik und Innovationsbereitschaft vorhanden ist.
Die leitenden pädagogischen Berater an den fünf beobachteten Schulen
betrieben meist Schulentwicklung „im Kleinen", isoliert von anderen Bereichen
und Personen. Ihre Schulentwicklungsaktivitäten wurden von der Schulleitung
(der sie formalrechtlich eigentlich angehören) geduldet, eine größere Wirksam-keit ihres Handelns war während der Beobachtungsphasen nicht festzustellen.
Die gegenwärtigen Tätigkeitsprofile der beobachteten Schulleiter/-in-nen und die von mehreren beforschten Schulleiterinnen und Schulleitern gezeig-te Zurückhaltung gegenüber Veränderungen ihres Berufes erscheinen auch vor dem kulturellen und kulturhistorischen Kontext plausibel: Schulleiter wurden in
Frankreich ursprünglich seitens des Staates als Aufpasser und Kontrolleure über
die Lehrer eingesetzt, welche von der Universität kamen und deren Ausbildung
und Berufsausübung der Staat schwer kontrollieren konnte. Auch wenn im Lau-fe der Zeit dazu übergegangen wurde, Lehrer zu Schulleitern zu ernennen, blieb
der Kontrollauftrag doch immer ein zentrales Anliegen. Das Verwalten der
Schule, genauer gesagt, das Verwalten des ordnungsgemäßen Ablaufs der Schu-le war lange Zeit der Hauptauftrag der Schulleiter (und ist bis heute eine ihrer
Missionen). In diesem Kontext ist der Wandel des Schulleiters vom Verwalter
hin zum leader, als ein gewaltiger Schritt zu betrachten. Das Vollführen dieses
Schrittes, der mit der Dezentralisierung 1982 in Frankreich begonnen wurde,
wird sicherlich noch geraume Zeit in Anspruch nehmen. Die besuchten Schulleiter/-innen hatten allesamt mit dem Spezifikum
ihrer Position zu kämpfen. Als formale Vertreter/-innen des Staates bzw. des na-tionalen Bildungsministeriums sind sie der Stabilität und der getreuen Ausfüh-rung der Erlasse und Reformen des Staates gegenüber verpflichtet, tendierten
diesbezüglich also dazu, sich auf Day -to -Day-Management-Tätigkeiten zu be-schränken und die Stabilität als Priorität zu behandeln. Gleichzeitig sind sie je-doch formale Leiter/-innen ihrer Schulen und sind unter diesem Gesichtspunkt
um Entwicklung, meist sogar individuell angepasste Entwicklung bemüht. Dies
bedeutet jedoch Instabilität sowie potenzielle Konflikte mit höheren und/oder
niederen Hierarchie-Ebenen. Diese Paradoxie aufzulösen erscheint hochkom-
8.1 Interpretationen 171
plex, da sie schon seit mehr als 70 Jahren Bestandteil des französischen Schul-systems ist. In der Praxis war zu beobachten, dass die Schulleiter/-innen sich
eher der einen oder der anderen Seite zuschlugen und sich damit arrangierten,
dass die vernachlässigte Seite zu kurz kam. Als Vertreter des Staates zu agieren,
sich aber gleichzeitig als Vertreter der Schule zu präsentieren scheint eine Stra-tegie zu sein, sich mit diesem Spannungsfeld zu arrangieren. Ein mögliches Mo-tiv könnte hier eine vermutete Wahrung des Gesichts nach außen sein, verbun-den mit der Sicherung der eigenen beruflichen Laufbahn durch Konformität mit
den Vorgaben des Ministeriums Die beforschten Schulen legen den Schluss nahe, dass die gestiegene
berufliche Komplexität und die damit gestiegene zeitliche Beanspruchung, ver-bunden mit der gestiegenen Veränderungsrate im Schulwesen, sowohl die Um-setzung bestehender top -down -Innovationen als auch die Entwicklung und Um-setzung endogener Innovationen (also in der Schule selbst entwickelter) hem-men. Beobachtet werden konnte weiterhin, dass die Schulleiter/-innen bei der
Informationsbeschaffung bevorzugt in ihrer Schule verharrten. Wendeten sie
sich nach außen, dann fast immer an „befreundete Kollegen". Dies erinnert an
Schule als auf sich selbst gerichtetes oder als bürokratisches System. Die priva-te, freundschaftliche Ebene wirkt sich auf die berufliche Ebene aus. Professio-nelle Zusammenarbeit ohne (privaten) freundschaftlichen Hintergrund ist im
französischen Schulsystem zwar inzwischen vorgesehen. So gibt es regelmäßige
Konferenzen der Schulleitungen eines Schulbeckens. Diese obligatorischen Ter-mine des Dialogs wurden von den beforschten Schulleitern jedoch nicht als eine Hilfe bei der Führung und Entwicklung ihrer Schulen angesehen.
Leitbilder als Modalität von Signifikation im strukturationstheoreti-schen Sinne konnten an den fünf Schulen kaum gefunden werden. Am ehesten
ist in diesem Kontext die Schule 3 zu nennen, welche sich als IT- gestützte Schu-le mit gewichteten Zielsetzungen präsentierte. Das kommunikative Handeln als
Handlungsebene der Signifikation ist in diesem Zusammenhang als defizitär zu
kennzeichnen. Nur Schulleiter 3, 4 und mit Einschränkungen Schulleiterin 5 äu-ßerten explizite Konzeptionen bezüglich der Zielsetzungen ihrer Schule. Am
auffälligsten war in diesem Zusammenhang Schulleiter 3. Er und sein Stellver-treter hatten im Büro des Stellvertreters eine Tafel aufgestellt, auf welcher die
kurzfristigen, mittelfristigen und langfristigen Ziele vermerkt waren. Die Ziele
hatten Schulleiter 3 und der Stellvertreter gemeinsam entwickelt und notiert. Die
Tafel wurde regelmäßig gepflegt und aktualisiert.
Bezüglich der Ebene der Legitimation wird deutlich, dass die Normen weniger von der Schulleitung und mehr von der Lehrerschaft beeinflusst wur-den. Sanktionierendes Handeln gegenüber der Lehrerschaft als Handlungsdi-mension der Legitimation ging von der Schulleitung nicht aus. Beispiele wären
hier das Einberufen von Konferenzen durch die Schulleitung verbunden mit der
172 8 Diskussion der Befunde
Erwartung, dass die Lehrer diesen beiwohnen (als organisationale Regel), das
anschließende Fernbleiben der Lehrer blieb aber ohne Konsequenzen. Sowohl
rechtlich als auch unter Bezug auf organisationale Regeln ist für die Schulleiter
in diesem Fall kein sanktionierendes Handeln möglich. Dies deutet darauf hin,
dass die Machtverhältnisse im Bereich der Legitimation in Frankreich bei der
Lehrerschaft liegen. Auch die inspection academique ist in diesem Kontext zu nennen, da diese gegenüber Lehrern sanktionierendes Handeln vornehmen kann.
Bezüglich der Herrschaftsdimension ist zunächst zwischen den autori-tativ-administrativen und den allokativen Ressourcen zu unterscheiden. Bezüg-lich der autoritativ-administrativen Ressourcen wird bei einem Blick auf die
Modalitäten deutlich, dass die Schulleiter sich hier in einer Machtposition befin-den. Die Organisation der Arbeitsabläufe (z. B. durch Erstellung der Stunden-pläne), die Verwaltung, der Einsatz bestimmter Instrumente (z. B. von Compu-terprogrammen zur Erfassung der Anwesenheit oder zur Übermittlung der No-ten) wurden durch die Schulleiter zentral geregelt. Auch im Bereich der allokati-ven Ressourcen, also z. B. der Verfügung über Budgets, ist die Machtposition
der Schulleiter deutlich zu erkennen. Somit wird erkennbar, dass die Schullei-ter/-innen in Frankreich über Macht auf Ebene der Herrschaft, also durch privi-legierten Zugang zu autoritativ-administrativen sowie allokativen Ressourcen
verfügen, auf Ebene der Legitimation wiederum die Lehrerschaft dominiert und
auf Ebene der Signifikation Defizite zu erkennen sind.
Basierend auf den fünf beobachteten Schulen wird die Verortung sowie
Konfiguration der Räumlichkeiten der Schulleitung als ein bisher unbeachtetes
Feld mit potenzieller Relevanz erachtet. Unter dem Eindruck der Beobachtun-gen erscheint es für eine möglichst mühelose Kommunikation in der Schullei-tung hilfreich wenn darauf geachtet wird, dass die Personenkreise, die dauerhaft
am stärksten in Schulentwicklungsprojekte und/oder die Alltagsarbeit involviert
sind — in den meisten Fällen also der Schulleiter bzw. die Schulleiterin und der
Stellvertreter bzw. die Stellvertreterin — auf räumlich effektive Art und Weise
nebeneinander positioniert werden, z. B. direkt nebeneinander mit einer Verbin-dungstür. Eine starke räumliche Trennung erscheint — wenig überraschend und
doch nicht immer berücksichtigt — eher hemmend.
8.2 Weiterführende Schlussfolgerungen
Eine Organisation kann nicht auf planbare, lineare Weise verändert werden. Auch spielt der Kontext bei Veränderungsprozessen eine immense Rolle. Des-halb sollen an dieser Stelle keine „Patentrezepte" für eine Verbesserung zentra-ler Aspekte im französischen Schulwesen präsentiert werden. Auch geht es an
dieser Stelle nicht darum, den einen richtigen Weg zu beschreiben, damit Schul-
8.2 Weiterführende Schlussfolgerungen 173
leiter/-innen effektiver arbeiten. Für den französischen Kontext, vielleicht auch
darüber hinaus, erscheint es angebracht, den Innovationsdruck nicht als selbst-verständlich positiv hinzunehmen, sondern zu hinterfragen, insbesondere, ob dieser empirisch oder anderweitig legitimiert werden kann. Untersuchungen be-züglich möglicher Kosten oder Nachteile einer verstärkten Ausrichtung des
Schulwesens auf Autonomie, Rechenschaft und Innovation könnten hierfür ein
Mittel sein. Jedoch ist ebenfalls festzuhalten, dass derzeit Schulentwicklung in
Frankreich (sowie vielen anderen Ländern) auf vielen Ebenen erwünscht ist, sei-tens der Politik, der Gesellschaft und auch der Wissenschaft. Vor diesem Hinter-grund erscheint es legitim zu erkunden, wie Schulentwicklung in Frankreich im
Alltag erfolgt und basierend auf der Exploration möglicherweise verbesserungs-würdige Elemente zu reflektieren. Anhand des bisher Erarbeiteten sollen daher
begründete Überlegungen angestellt werden, wie manche beobachteten Miss-stände oder Umstände, die in den Interviews als verbesserungswürdig charakte-risiert wurden, angegangen werden könnten. Diese Überlegungen müssen
selbstverständlich in ihrem Kontext betrachtet werden, auch darf der explorative
Charakter der Studie nicht vergessen werden. Keinesfalls sind die Überlegungen
unreflektiert auf andere Schulsysteme zu übertragen.
Der in den Untersuchungen deutlich gewordene hohe Grad der Kom-plexität des Schulleitungsberufes bzw. der damit verbundenen Aufgaben ließe
sich durch Delegation, entweder in informellen Formen, also durch das Zuwei-sen von Aufgaben oder in formal anerkannten Formen wie z. B. einer Steuer-gruppe, reduzieren. Die Ergebnisse der Beobachtung von Schulleiter 3 deuten
darauf hin, dass Delegation auch im französischen Schulleitungskontext ein ad-äquater Ansatz gegen unproduktive Irritation sein kann. Dies scheint für Schul-leiter/-innen der Gegenwart eine Schlüsselkompetenz zu sein; es kommt weni-ger darauf an, dass ein Schulleiter in allen Bereichen wissend und fähig ist und
mehr darauf, dass er steigende Komplexität kompensieren kann (z. B. durch
team-orientierte Lösungsansätze). Wissensmanagement kann hierbei eine
Schlüsselrolle spielen. Mögliche Bemühungen um Wissensmanagement in Form
von Datenbanken und hohen Vernetzungsgraden im IT- Bereich erscheinen ange-sichts der beobachteten Handlungsmuster trotz des Erfolges an der Schule von
Schulleiter 3 zumindest als nicht universell wirksam. Ratsamer wäre es, vor der
Investition in IT- Netzstrukturen zunächst sicherzustellen, dass bereits vorhande-ne IT- Strukturen hinreichend genutzt, also ihr Potenzial ausgeschöpft wird. An-gepasste Fortbildungen sowie ggf. Anpassungen der IT- Strukturen an Bedürfnis-se oder Gewohnheiten der Lehrerschaft könnten helfen, die Wahrscheinlichkeit
einer Institutionalisierung zu erhöhen.
Wollte man das Schulentwicklungspotenzial erhöhen, erscheint es
zweckdienlich, der Schulleitung mehr Zeit hierfür zu verschaffen. Dies wäre je-doch nur ein kleiner Teil möglicher Maßnahmen, um in einen sehr komplexen
174 8 Diskussion der Befunde
Prozess einzugreifen; so erschien die Bereitschaft, Zeit und Ressourcen in
Schulentwicklung zu investieren bei drei der beobachteten Schulleiterinnen und
Schulleiter eher gering. Dies wurde in den Interviews oft mit dem zu erwarten-den oder bereits vorhandenen Widerstand aus der Lehrerschaft begründet.
Schulleiterin 2 zeigte sich beispielsweise resigniert und führte deshalb nur
Schulentwicklungsmaßnahmen durch, zu denen sie verpflichtet war (also ver-ordnete Reformmaßnahmen) oder solche, von denen sie annehmen konnte, dass
diese von der Lehrerschaft positiv aufgenommen werden würden. In so einem
Falle droht Schulentwicklung zu einer selektiven, an den Interessen der Lehrer-schaft (oder denen eines Teils der Lehrerschaft) ausgerichteten Tätigkeit verwäs-sert zu werden. Einer möglichen Klientelpolitik würde somit Vorschub geleistet.
Denkbar ist darüber hinaus eine Entlastung der Schulleitung in anderen Berei-chen, um mehr Zeitreserven für Schulentwicklung zu schaffen. Doch scheint die
Schulleitung gerade in Frankreich bereits über relevante Mengen an Personal
zur Entlastung zu verfügen (Sekretariat, pädagogischer Berater, Verwaltungs-fachangestellter). Eine etwaige Entlastung wäre also eher in Form struktureller
Veränderungen, insbesondere im Bereich der Administration, denkbar. Mögliche
Beispiele wären hier die Reduktion oder der Wegfall bestimmter Elemente (bei - spielsweise könnten Schulberichte seltener oder nur noch bei bestimmten Vor-fällen angefordert werden) oder eine Vereinfachung bestehender bürokratischer
Verfahren. In den hier vorgestellten Fällen konnte nicht festgestellt werden, dass
die Organisation Schule Innovation/Schulentwicklung einen festen Platz ein-räumte. Zwar sind sowohl Schulleitung als auch Lehrerschaft aufgerufen zu in-novieren, doch stellt dies für beide Berufsgruppen nur eine Aufgabe unter vielen
dar. Auch in Form eines entsprechenden Akteurs wird Innovation kein Platz ein-geräumt, es gibt keine ausschließlich oder zumindest primär für Innovation zu-ständige Person im französischen Schulkontext. Beobachtet wurde, dass Schul-entwicklung von denjenigen betrieben wurde, die entsprechend motiviert waren.
Wenn eine stärkere Fokussierung auf Schulentwicklung erwünscht wäre, könnte
daher ein Schritt darin bestehen, Schulentwicklung klarer in das Berufs- und
Aufgabenprofil der Lehrer/-innen und Schulleiter/-innen aufzunehmen. Eine
weitere Möglichkeit bestünde in der Änderung der formalen Rahmenbedingun-gen für Schulentwicklung. Hier wäre es denkbar, dass der Schulleiter rechtlich
deutlicher als designierter leitender Schulentwickler positioniert wird. Diese
Hervorhebung würde sowohl Rechte als auch Pflichten umfassen. Eine solche
Hervorhebung könnte zur Veränderung der Berufsauffassung des Schulleiterbe-rufes auf Seiten der Lehrer wie auch auf Seiten der Schulleiter selbst beitragen.
Ebenso wäre es denkbar, der Schulleitung erweiterte Personalkompetenzen zu
übertragen, beispielsweise die Möglichkeit zu stärken, Arbeit der Lehrerschaft
im Bereich Schulentwicklung zu honorieren (und Verweigerungen im Extrem-
8.2 Weiterführende Schlussfolgerungen 175
fall zu sanktionieren). In diesem Kontext könnte auch ein Teil der Besoldung
von Schulleiterinnen und Schulleitern an Schulentwicklungsbemühungen ge-knüpft werden. Derartige Maßnahmen würden dazu beitragen, beide Berufsstän-de von statischen Berufsauffassungen (Lehrer=Unterrichtsgeber/Wissensver-mittler, Schulleiter=Verwalter) weiter loszulösen und zu dynamisieren. Gleich-zeitig würden derartige Maßnahmen auch viele Fragen aufwerfen: Wie misst
man Schulentwicklung? Wer überprüft, ob Schulentwicklung erfolgreich stattge-funden hat? Wie lassen sich Beschönigungen vermeiden (beispielsweise die
Um-Etikettierung einer regulären Klassenfahrt zu einem interdisziplinären
Schulentwicklungsakt)? Mehrfach wurde deutlich, dass Schulentwicklung als Angelegenheit
des Staates bzw. Bildungsministeriums empfunden wurde. Diese Attitüde ließ
sich sowohl bei der Schulleitung als auch bei vielen Lehrern entdecken. Für
manche der beobachteten Schulleiter/-innen erschien Schulentwicklung als nicht
so wichtig, da sie sich in ihren Möglichkeiten (gefühlt oder real) eingeschränkt
sahen. Gegenwärtig ist die formale Legitimation des Schulleiters/der Schullei-terin als Schulentwickler/-in bestenfalls als diffus zu bezeichnen. Womöglich ist
dies ein Grund dafür, warum der Schulentwicklungsdiskurs in Frankreich anders ausgeprägt ist als in Deutschland. Das französische System ist, bedingt durch seine historische Entwicklung, zentralistischer geprägt als diejenigen in
Deutschland oder den USA. Der Fokus auf die Einzelschule, wie er beispiels-weise in Deutschland durch die Metapher der Einzelschule als „Motor der
Schulentwicklung" verdeutlicht wird, ist in Frankreich deutlich jünger, anders
nuanciert und weniger verbreitet. 87 Schulen immer mehr Autonomie zuzugestehen scheint nicht nur in
Frankreich en vogue zu sein, für diese Strategie gibt es empirisch fundierte Gründe (vgl. z. B. Schleicher, 2009, S. 312). Besagte Autonomie ist jedoch nutz-los, sofern die Schulleiter/-innen sie nicht einsetzen (können). Dazu müssen sie
einerseits um ihre Autonomie wissen, es muss ihnen andererseits möglich sein,
diese Autonomie einzusetzen, ohne dass dadurch Nachteile entstehen. In diesem
Kontext ist festzuhalten, dass hier nur von einer begrenzten oder Teilautonomie
gesprochen werden kann, da durch das französische Bildungsministerium klare,
eingrenzende bildungspolitische Rahmen gesteckt werden. In Frankreich, wo
der Wandel vom Administrator hin zum (teil-)autonomen leader einen Bruch
87 So wurde 2002 im Protokoll, welches das Berufsbild der Schulleitung in Frankreich definiert,
Folgendes festgehalten: «L'etablissement scolaire est le centre de gravite du systeme educatif»
(„die Schule ist das Gravitätszentrum des Bildungssystems", Ministere de l`Education Nationale,
2002, S. 1, Übersetzung des Verfassers). Dieser Metapher fehlt im Vergleich zum deutschen Pen-dant das dynamische Element („Motor" vs. „Gravitätszentrum"). Im Gegensatz zur Metapher des Motors der Schulentwicklung, welche in Deutschland stark rezipiert wurde, blieb die französi-sche Metapher im Bildungs- und Forschungsdiskurs jedoch weitgehend unbeachtet (die wenigen
Reaktionen waren dabei überwiegend kritisch, vgl. beispielsweise Dhume, 2002).
176 8 Diskussion der Befunde
mit der Historie der Schulleitung darstellt, wäre es daher ggf.hilfreich während
der Anfangsphase deutliche Anreize für autonomes Verhalten zu schaffen. Es
wurde darüber hinaus erkennbar, dass eine Autonomie der Schule ohne Visionen
bzw. Zielvorgaben nur wenig effektiv ist; Schulen profitieren von einer Orientie-rung. Diese kann beispielsweise durch ein selbst entwickeltes Schulprofil gege-ben sein. Im französischen Kontext wäre aber auch der Fall denkbar, dass Schu-len ihre Autonomie entfalten, um klar definierte Ziele, die von einer übergeord-neten Instanz wie beispielsweise der academie vorgegeben wurden, auf indivi-duelle Weise zu erreichen. Die Ziele wären in diesem Fall weitgehend homogen,
die Entwicklungsprozesse könnten jedoch heterogen verlaufen.
Der Einsatz von conseils pedagogiques , Steuergruppen, erscheint als
ein Mittel, welches der Entwicklung einer Schulentwicklungskultur förderlich
ist. Steuergruppen erscheinen grundsätzlich als ein brauchbares Instrument, um
die Innovationsfähigkeit zu stärken. Die Einrichtung von Steuergruppen an fran-zösischen Schulen erweist sich bisher als kaum effektiv. Alle fünf Schulen hat-ten einen conseil pedagogique , jedoch wurde er lediglich an der Schule von
Schulleiter 3 als wirksam wahrgenommen (dort war er beispielsweise entschei-dend an der Implementierung des Faches Kunstgeschichte beteiligt). Eine solche
Änderung erscheint nicht per Erlass im top -down -Verfahren nachhaltig umsetz-bar. Hier sind umfangreiche, differenzierte Maßnahmen vonnöten; dazu gehören
ein solides Fortbildungs- sowie Beratungsangebot, weitere Modellprojekte, ggf.
auch eine Stärkung der Stellung der Steuergruppen und eine Form der Honorie-rung für Lehrer/-innen, die sich daran beteiligen. Ebenso Überlegungen zur ef-fektiveren Kommunikation von Vorteilen von Steuergruppen für die Schulen so-wie Überlegungen zu Anreizen und möglichen Testläufen für individuelle Schu-len (vgl. hierzu auch den Abschnitt über die Diffusion von Innovationen im Ka-pitel 2.2.1 in dieser Arbeit).
Die Entwicklung hin zu einer schulentwicklungsaffinen Schulkultur
kann durch eine systemische Herangehensweise beträchtlich gefördert werden.
Dies bedeutet, dass einzelne Maßnahmen und Ebenen aufeinander abgestimmt
und miteinander verzahnt werden müssen. Dies würde die Besoldungsstruktu-ren, die personellen Kompetenzen der Schulleitung, die rechtlichen Rahmen-bedingungen sowie die Aus- und Fortbildung von Schulleitungs- sowie Lehr-kräften umfassen. Auch erscheint es bei all dem, was über Innovations- bzw.
Transformationsprozesse an Schulen bekannt ist (Hameyer, 2005a, 2014), rat-sam, Veränderungsprozesse langfristig anzulegen. Zahlreiche kurzfristige, z. T.
nicht nachhaltig konzipierte Änderungen im top -down -Verfahren führen schlimmstenfalls zu stummer Verweigerung durch die Lehrerschaft; Reformen
werden nur noch mit minimalem Aufwand umgesetzt, Spielräume zur Nicht-Mitarbeit maximal ausgenutzt. Das trotz aller Dezentralisierungsbemühungen
immer noch mächtige Bildungsministerium kann ein Schlüssel bei etwaigen Be-
8.2 Weiterführende Schlussfolgerungen 177
mühungen um eine größere Systematisierung sein. Im Vergleich zu Deutschland,
wo aufgrund der Länderhoheit tiefgründige bundesweite, miteinander verknüpf-te Veränderungsprozesse auf mehreren Ebenen (Ausbildung, Fortbildung, recht-licher Rahmen) nahezu unmöglich erscheinen, ist das Bildungsministerium in
Frankreich mit seinen Unter-Organisationen zumindest theoretisch in der Lage, in alle relevanten Bereiche hinein zu wirken.
Anhand der vorliegenden Studie lassen sich bezüglich des Berufsbil-des, der Herausforderungen und der Belastungen von Schulleitern/Schulleiterin-nen länderübergreifende Übereinstimmungen ausmachen; es scheint somit
Aspekte des Schulleitungsberufes zu geben, die transkulturell sind. Bildungssys-teme verschiedener Länder befinden sich gegenwärtig in Annähe-rungsprozessen, es lässt sich eine Konvergenz der Bildungspolitik beobachten.
Einher geht damit ein neues Führungsverständnis, welches von Rücksicht auf
lokale wie auch auf nationale und zunehmend auch globale Gegebenheiten ge-prägt ist (vgl. Easley & Tulowitzki, 2013). Es erscheint daher sinnvoll, dass sich
diese Tendenzen auch in einer geänderten Aus- bzw. Fortbildung für schulische
Führungskräfte widerspiegeln, welche kulturübergreifende Perspektiven auf
Führungspraxis zu entwickeln sucht. Trotz mancher Gemeinsamkeiten, die zwischen Schulleitungen ver-
schiedener Länder deutlich geworden sind, sollte der französische Kontext nicht
außer Acht gelassen werden (vgl. hierzu Tulowitzki, 2013). So würde sich bei-spielsweise eine Gegenüberstellung der hier erhobenen Daten mit der eingangs
erwähnten Studie zu Schulleitungshandeln von Spillane und Hunt (2010) als
schwierig herausstellen, da französische Schulleiter im Gegensatz zu ihren US-amerikanischen Kollegen nicht im selben Maße für Unterrichts- und Curriculu-mentwicklung zuständig sind. Der Schulleiter als instructional leader , also als führender Gestalter von Unterrichts- und Erziehungsprozessen, spielt im US-amerikanischen Kontext sowohl in der Praxis als auch in der Wissenschaft eine
gewichtige Rolle, für den französischen Kontext scheint diese Führungskonzep-tion jedoch unpassend. Der Schulleiter war in Frankreich traditionell die längste
Zeit über Aufpasser und Verwalter, ein Agent des Staates, eingesetzt zur Wah-rung staatlicher Interessen. Lehrer/-innen wurden traditionell als Wissensver-mittler, Unterricht(s)geber angesehen (im Vergleich zu ihren deutschen Kollegen
mit einem geringeren Fokus auf Erziehung), Schulentwicklung war Sache des
Staates; sie erfolgte in Gestalt großer, nationaler Reformen. Die bisweilen aus-geprägte Opposition zwischen Schulleitung und Lehrerschaft lässt sich daher
womöglich auch auf diesen einzigartigen kulturellen und historischen französi-schen Kontext zurückführen. Es erscheint vor diesem Hintergrund plausibel,
dass der Übergang französischer Schulleiter/-innen hin zu Managern und Füh-rungskräften (im Sinne von Leadership), welcher in den 1980er Jahren begann,
in einer anderen Geschwindigkeit und mit anderen Ausprägungen erfolgt als in
178 8 Diskussion der Befunde
Deutschland, England oder den USA. Befunde aus französischen Studien sind
wiederum nur teilweise mit der vorliegenden Exploration in Einklang zu brin-gen. Die vorliegenden Erkenntnisse sind einerseits zwar weitgehend kompatibel
mit den von Anne Barre're identifizierten „widersprüchlichen Temporalitäten":
Die beforschten Schulleiter/-innen standen in einem Spannungsverhältnis zwi-schen kurzfristigen und langfristigen Erwartungen. Schulleiterin 1, 2 und 5 kon-zentrierten sich dabei auf die kurzfristigen Erwartungen, Schulleiter 3 und 4
eher auf langfristige. Die Befunde bzw. Thesen bezüglich des sich vollziehenden
Wandels der Schulleitung in Frankreich erscheinen jedoch basierend auf den
vorliegenden Daten schwer nachvollziehbar: Ohne eine veränderte Aus- und
Fortbildung sowie ggf. weitere Gesetzesänderungen bleibt unklar, wie die hier
untersuchten Schulleiter/-innen sich vom Status Quo loslösen können und den
Weg hin zu Führungskräften (im Sinne von Leadership) lernender Schulen wei-ter verfolgen können.
8.3 Zusammenfassung
In diesem Kapitel wurden basierend auf der durchgeführten Studie Interpretatio-nen zu den Befunden sowie begründete Überlegungen zum Stand des französi-schen Schulleiters und möglichen Veränderungen erarbeitet. Basierend auf der
vorliegenden Exploration wurde distributed leadership als gegenwärtig inkom-patibel mit der aktuellen schulischen Arbeitskultur sowie dem Berufsprofil des
Lehrers in Frankreich erachtet. Auch ließ sich kein Platz dafür im rechtlichen
Rahmen oder der schulischen Organisationsstruktur finden. Basierend auf den
erarbeiteten Definitionen von Leadership lässt lediglich Schulleiter 3 und — — mit Einschränkungen — Schulleiter 4 als leader charakterisieren; bei Schulleiterin 1
und 2 dominierten verwaltende Handlungsmuster. Die proklamierte Autonomie der Schule wurde als nicht frei von Wi-
dersprüchen angesehen. Nur ein Teil der Beforschten nahm diese als solche
wahr, im derzeitigen rechtlichen Rahmen lässt sich sie nur eingeschränkt wie-derfinden. Dies wurde als ein Konfliktbereich oder Spannungsfeld angesehen.
Aufgrund der im internationalen Vergleich beachtlichen personellen
Unterstützung der Schulleitung werden Potenziale zur möglichen Vergrößerung
zeitlicher Ressourcen hauptsächlich im Bereich der Delegation, in veränderten
Arbeitsabläufen und Arbeitsschwerpunkten gesehen; eine (zahlenmäßig) stärke-re personelle Unterstützung wird hingegen nicht als notwendig erachtet. Denk-bar wären der Wegfall bestimmter administrativer Anforderungen sowie eine
Vereinfachung bürokratischer Verfahren und eine stärkere Ausrichtung auf sha-red leadership . Als weitere potenzielle Hebel wurden eine Klarstellung von
Schulentwicklung in den Berufsbildern der Lehrer und Schulleiter sowie eine
8.3 Zusammenfassung 179
veränderte Bildungspolitik im Kontext schulischer Autonomie identifiziert. Be-züglich der Verortung von Schulentwicklung deutet einiges darauf hin, dass vie-le Lehrer/-innen derzeit Schulentwicklung nicht als Teil ihres Berufsbildes anse-hen. Schließlich wurde der im Vergleich zu Deutschland national und auf vielen
Ebenen wirkmächtige französische Bildungsapparat als ein Vorteil bei einer
möglichen Systematisierung von Verbesserungsmaßnahmen angesehen.
Eine stärker strukturationstheoretisch fundierte Sichtweise offenbart
unter anderem Defizite auf der Ebene der Legitimation. So blieb normenwidri-ges Verhalten der Lehrerschaft (z. B. Fernbleiben von Konferenzen) ohne Sank-tion. Dies wird als Zeichen gedeutet, dass die Legitimationsmacht in der schuli-schen Alltagspraxis nicht auf Seiten der Schulleitung, sondern eher auf Seiten
der Lehrerschaft verankert ist.
9 Schluss
Zentrales Anliegen dieser Arbeit war eine Exploration der Schulleitung in
Frankreich. Zwei Forschungsfragen bildeten hierbei den roten Faden: die Frage,
wie Schulleiter/-innen in Frankreich ihre Arbeitszeit verbringen sowie die Frage,
wann und wie sie im Bereich Schulentwicklung tätig werden. Bezüglich der ers-ten Forschungsfrage, also bezüglich der Tätigkeiten von Schulleiterinnen und
Schulleitern in Frankreich, lässt sich festhalten, dass die beforschten Schullei-ter/-innen einer Vielzahl von Aktivitäten nachgingen und einen hohen Grad an
Verantwortung besaßen. Die in den letzten Jahrzehnten gestiegene Komplexität
ihres Berufes sowie das breite Spektrum an Tätigkeiten spiegelten sich in in ih-rem Tun wider. Oft arbeiteten sie in kurzen, bisweilen hektischen Intervallen,
häufig wurden sie unterbrochen. Insbesondere die Arbeitstage von Schulleiterin
1, 2, 5 und mit Abstrichen von Schulleiter 4 wiesen viele Unterbrechungen auf,
sie waren stark fragmentiert.
Die beforschten Schulleiter/-innen verbrachten ihre Arbeitszeit haupt-sächlich mit administrativen Tätigkeiten sowie Tätigkeiten aus dem zwischen-menschlichen Bereich. Drei der beforschten Schulleiter/-innen (Schulleiterin 1,
2 und 5) empfanden den unmittelbar zu bewältigenden Arbeitstag als prioritär.
Sie kümmerten sich verstärkt um die Bewältigung kurzfristig auftretender Pro-bleme. Mit Ausnahme von Schulleiter 3 zeigten alle beforschten Schulleiter/-in-nen deutliche Tendenzen zum Mikromanagement. Diese Tendenz verbunden mit
dem generellen Wunsch, erreichbar zu sein, mag eine mögliche (Teil-)Erklärung
für den hohen Grad an Fragmentierung im Arbeitsalltag der besuchten Schul-leiter/-innen darstellen. Eine stärkere Delegation verbunden mit einer grundsätz-lichen Orientierung hin zu shared leadership könnte dem entgegenwirken und
den Aufbau einer Kultur der lernenden Organisation unterstützen. Hameyer
weist auf die Notwendigkeit von co-leadership bzw. shared leadership für die Entwicklung und Pflege einer lernenden Organisation hin:
"[ ... ] becoming a learning organization is not only a matter of words or willingness but, above all, a shared leadership task . This task focuses on creating learning climates and shared set-tings to work, the development of systemic thinking, and comparing alternative ways to solve
a problem" (Hameyer, 2007, S. 5, Hervorhebungen des Verfassers).
Zu bedenken ist dabei, dass shared leadership im französischen schulischen Praxisalltag bisher keine nennenswerte Verbreitung gefunden hat (und auch in-
9 Schluss 181
ternational an wenigen Schulen in der Praxis verankert ist, vgl. MacBeath, 2009,
S. 126ff). Schulleiter 3 ist also als Ausnahme anzusehen. Vor diesem Hin-tergrund erscheinen Forschungen im Bereich der Implementierung von shared leadership sinnvoll, idealerweise derartig, dass sie kulturellen Kontexten Rech-nung tragen.
Bezüglich der zweiten Forschungsfrage, also wann und wie die Schul-leiter/-innen schulentwicklerisch tätig wurden, wurde deutlich, dass für Schul-leiterin 1, 2 und 5 Schulentwicklung nur eine untergeordnete Rolle in ihrem Ar-beitsalltag spielte. Viel Zeit wurde mit Tätigkeiten im administrativen Bereich
verbracht, gefolgt von Tätigkeiten aus dem Bereich „zwischenmenschliche Be-ziehungen". In den meisten Fällen wurde nur wenig Zeit mit Schulentwicklung
verbracht. Die Beobachtungen und Interviews legen den Schluss nahe, dass die
Schulleiter/-innen durch eine (reale oder subjektiv empfundene) hohe Arbeits-last gehemmt und/oder überfordert waren. Mehrere Schulleiter/-innen zeigten
sich in Bezug auf mangelnde Personalkompetenzen frustriert; zwei von ihnen
klagten über fehlende Befugnisse bei der Durchsetzung schulischer Innovatio-nen. Eine Einbeziehung der gegenwärtigen rechtlichen Situation verstärkt diesen
Eindruck: Obwohl Schulentwicklung Teil des Berufsprofils französischer Lehr-kräfte ist, ist hierfür keine bezahlte Zeit vorgesehen. Schulleiter/-innen besitzen
darüber hinaus lediglich in administrativen Angelegenheiten volle Weisungsbe-fugnis gegenüber der Lehrerschaft; bezüglich pädagogischer Angelegenheiten,
unter die — je nach Lesart der relevanten Vorschriften — auch viele Schulent-wicklungsbemühungen fallen, haben sie nur eine eingeschränkte oder keine
Weisungsbefugnis. Die den Lehrern in diesen Belangen übergeordnete, zustän-dige Behörde ist die Schulaufsicht, die inspection. Eine Änderung der Befugnis-se der Schulleitung könnte unter Umständen mehr Klarheit und Sicherheit auf
Seiten der Schulleitung wie auch auf Seiten der Lehrerschaft schaffen. Eine
grundsätzliche Problematik aber, nämlich die berufliche Identifikation mit Inno-vation und die klare Zuschreibung der Zuständigkeit von Schulentwicklung,
wäre damit nicht behoben. Ein Schlüssel hierzu scheint eine geänderte Be-rufsauffassung zu sein, die bislang mehrheitlich die Lehrerschaft als Exekutoren
der staatlichen Bildungsvorgaben sieht und weniger als change agents . Verän-derte Ausbildungsinhalte, angepasste Fortbildungsangebote sowie nicht zuletzt
Veränderungen der gesetzlichen Rahmen und finanziellen Anreizmöglichkeiten erscheinen in diesem Zusammenhang als Wege, den Kulturwandel zu beschleu-nigen, sofern dies gewünscht ist.
Im Zuge der Untersuchung wurden verschiedene Paradoxien oder
Spannungsfelder der Schulleitung sichtbar. Eines besteht zwischen dem Schul-leiter als Wahrer der Ordnung und des geregelten Ablaufs (also als Verwalter
oder Manager) und dem Schulleiter als Gestalter und Entwickler seiner Schule.
In Frankreich ist eine verstärkte Erwartungshaltung seitens des Bildungsminis-
182 9 Schluss
teriums an die Schulen, sich zu entwickeln, festzustellen. In den Interviews äu-ßerten sich alle Schulleiter/-innen hierzu; sie beschrieben sich als Impulsgeber/
-innen, als dynamisierende Elemente, mit anderen Worten als Entwickler/-innen.
Beobachtet werden konnten bei Schulleiterin 1, 2 und 5 jedoch vor allen Dingen
Handlungsmuster, die von Verwaltung geprägt waren. Schulleiterin 1, 2 und 5
beklagten an ihrer Schule die fehlende Entwicklung, die sie größtenteils auf die
mangelnde Innovationsbereitschaft der Lehrerschaft zurückführten. Durch ihr
Handeln bestärkten sie jedoch den Status Quo, sie trugen somit dazu bei, beste-hende Verhältnisse bzw. Strukturen zu reproduzieren. 88 Insgesamt ergab sich so-mit der Eindruck eines nur langsam vonstatten gehenden Kulturwandels auf al-len Ebenen der Analyse. So existiert das Wunschbild des Schulleiters als change manager, als dynamisierendes Element der Schulentwicklung. Die tradierten Praktiken der Schulleitung in Frankreich stehen jedoch im Widerspruch hierzu;
die Erneuerung des Berufsprofils der Schulleitung setzt sich nur langsam durch.
Gegenwärtig lässt sich eine Kultur vorfinden, die man als managing before lea-ding bezeichnen könnte. Ebenfalls deutlich wurde der zögerliche, nicht span-nungsfreie Paradigmenwechsel der Schulleiter/-innen im Umgang mit Rahmen-vorgaben. Mit ihren Mischungen aus klaren Maßgaben und Rechenschafts-pflicht (Administration) auf der einen Seite und Freiräumen für Autonomie
(Leadership) auf der anderen Seite wurden sie überwiegend als Belastung ange-sehen. Bei näherer Betrachtung solcher Vorgaben kann die Frage gestellt wer-den, ob damit assoziierte Tätigkeiten eher administrativer Natur, also dem Aus-führen von Direktiven zuzuordnen, sind oder ob es sich dabei eher um Leader-ship-Aktivitäten handelt, was die innerhalb der Rahmenvorgaben gewährten Freiräume stärker betonen würde (vgl. hierzu auch Bush, 2008a). In Anbetracht
des französischen Schulentwicklungskontextes, der lange Zeit durch top -down-Reformen geprägt war, erscheint es nicht überraschend, dass der Großteil der
untersuchten Schulleiterinnen und Schulleiter sich bei der Auseinandersetzung
mit Rahmenvorgaben stärker am ersten Teil des Kompositums („-vorgaben") als am zweiten („Rahmen-") orientierte.
Je nach Untersuchungsebene ergaben sich verschiedene belastete' Be-reiche. Neben der bereits erwähnten „Feuerwehr-Mentalität" sowie dem Hang
zum Administrativen wurde in mehreren Fällen auf der Ebene der einzelnen
Schulleitungspersonen eine starke Belastung deutlich. Auf der Ebene der Einzel-schule konnte ein Arbeitsverhältnis zwischen Schulleitung und Lehrerschaft be-obachtet werden, welches von divergierenden Interessen und nur begrenztem
Kooperationswillen geprägt war. Auf der staatlichen Ebene schließlich wurden
Desiderate bezüglich der Zuständigkeit für Schulentwicklung ausgemacht, eben-so liegt der Schluss nahe, dass Befugnisse, vor allen Dingen aber Berufsbilder
88 Eine Analyse der Situation von Schulleiterinnen und Schulleitern in Deutschland mit ähnlichem
Schluss findet sich bei Pfeiffer, Holtappels & Höhmann, 2005, S. 91.
9 Schluss 183
der Schulleitung und der Lehrerschaft von einer Klarstellung in Bezug auf
Schulentwicklung profitieren könnten. Die Vorbereitung von Schulleitungsper-sonen sowie Fortbildung für Schulleiter/-innen stellen weitere mögliche Hebel
zur Verbesserung ihrer Situation (so wie sie sich während dieser Studie darstell-te) dar.
Die vorliegende Studie stellt einen ersten Schritt dar, den aus deutscher
bzw. internationaler Sicht bisher weitgehend unerforschten Bereich des Schul-leitungshandelns in Frankreich zu ergründen. Das verwendete Forschungsdesign
wird in der Schulleitungsforschung bisher eher selten eingesetzt. Teile der vor-gestellten Ergebnisse decken sich mit Ergebnissen ähnlicher Studien aus ande-ren Ländern; dies deutet auf einige interkulturelle Gemeinsamkeiten in puncto
Leadership hin. Die Ergebnisse erweitern somit bestehende Wissensbestände.
Die vorliegende Arbeit entstand aus dem Wunsch heraus, die Hand-lungsfelder französischer Schulleiter/-innen zu erforschen. Ihr Handeln, ihr be-rufliches Wissen sowie ihre beruflichen Einstellungen möglichst unverfälscht
darzustellen waren dabei wichtige Anliegen. Vor diesem Hintergrund und auf-grund des Bezugs zu Befunden dieser Arbeit erscheint es angemessen, das
Schlusswort einem Schulleiter zu überlassen. Marc Sackur, ehemaliger, mit ei-nem der höchsten Orden für Verdienste um das französische Bildungswesen
ausgezeichneter Schulleiter, kam bezüglich der Lage der Schulleitung und die
Entwicklung der Schule in Frankreich zu folgender Einschätzung:
„[ ... ] ich wäre versucht zu sagen, dass die Lage der Schulen sowie die gegenwärtigen De-zentralisierungsgesetze unklar sind und somit auch die Lage der Schulleiter/-innen, die
damit beauftragt sind, die Dezentralisierung umzusetzen. [Es existiert] eine proklamierte
Autonomie der Schule, die aber tatsächlich nur beschränkt real ist und die in jedem Falle
immer noch einer Kontrolle a priori unterliegt. Zur Steigerung der Leistungsfähigkeit un-seres [Bildungs-]systems sollte man Befugnisse klarer identifizieren und akzeptieren,
dass deren Koordination auf der Ebene der Einzelschule anzusetzen hat" (Sackur, 2006,
S. 17, Übersetzung des Verfassers).
P. Tulowitzki, Schulleitung und Schulentwicklung in Frankreich,
DOI 10.1007/978-3-658-04603-3, © Springer Fachmedien Wiesbaden 2014
10 Glossar ausgewählter Begriffe zum colläge 185
Rates sind am ehesten mit denen einer Steuergruppe vergleichbar; sie umfassen insbesondere die Beratung schulischer Angelegenheiten sowie die Ausarbeitung und Begleitung von Schulentwicklungsprojekten.
CPE: Der leitende pädagogische Berater ist ein Posten, der beinahe ausschließ-lich in Frankreich existiert. Zusammengefasst lässt sich sagen, dass der leitende pädagogische Berater und sein Team für sämtliche pädagogischen Belange au-ßerhalb des Unterrichts zuständig sind; sie bilden gemeinsam die vie scolaire (siehe auch vie scolaire). Der pädagogische Berater und sein Team sind darüber hinaus in einem sehr beschränkten Rahmen fiir die Sanktionierung von Schülern zuständig (so wachen sie an vielen Schulen z. B. darüber, dass die Schüler pünktlich in die Schule kommen und sprechen gegebenenfalls Strafarbeiten oder andere kleine Sanktionen aus). Der leitende pädagogische Berater (und damit auch indirekt sein Team) ist dem Schulleiter unterstellt. Über die Frage, ob der CPE formal Teil der Schulleitung ist oder nicht, herrscht seit Jahren in Frank-reich Uneinigkeit (vgl. hierzu beispielsweise Delahaye et al., 2009).
Departement: Ein dipartement ist ein administrativer Bezirk. Frankreich ist in 101 dgpartements unterteilt, davon befinden sich fünf in Überseegebieten.
DGESCO: direction g&drale de l'enseignement scolaire. Höhere Abteilung des Bildungsministeriums. Die DGESCO legt wichtige Merkmale des französischen Bildungswesens fest. Beispielsweise entscheidet sie über die Schulprogramme (Lehrpläne) sowie die Rahmen für die Aus- und Weiterbildung von Lehrkräften. Ebenso definiert sie die nationale Politik in Bezug auf den Einsatz von IT im Schulwesen.
DHG: Dotation Horaire Globale. Die DHG sind die einem collige jährlich neu zugewiesenen Lehrkapazitäten, welche in Stunden gerechnet werden. Die DHG wird den colliges von der jeweils zuständigen acadMie basierend auf der An-zahl der Schüler/-innen an einem collige zugeteilt. Die DHG fällt in der Regel geringfügig höher aus als die gesetzlich vorgeschriebene Anzahl an zu haltenden Unterrichtsstunden, so dass Schulen einen kleinen Spielraum haben, um bei-spielsweise einzelne Unterrichtsfächer verstärkt anzubieten.
DNB: Diplöme national du brevet. Diplom, welches nach erfolgreicher Beendi-gung des collige (inklusive Bestehen der Abschlussprüfungen) verliehen wird.
EPLE: itablissement public local d'enseignement, beschreibt den Rechtsstatus einer Sekundarschule in Frankreich. Diese Arten von Schule besitzen eine admi- nistrative Autonomie. Entscheidungsträger sind Schulleitung und Verwaltungs-
186 io Glossar ausgewählter Begriffe zum coll6ge
rat (ca), verantwortlich für diese Art von Schule ist der Schulleiter bzw. die Schulleiterin.
ESEN: cole suprieure de l'gducation nationale (Übersetzung: Zentrale staatli-che Hochschule fiir die Aus- und Fortbildung von Führungskräften im Erzie-hungswesen). Die ESEN ist zuständig ffu- die Konzeption sowie die Durchfiih-rung der Ausbildung und der Fortbildung des administrativen sowie pädagogi-schen Führungspersonals im Schulwesen in Frankreich. Hierzu gehören Schul-leiter, Schulinspektoren und andere leitende Beamte im Schul- oder Univer-sitätsdienst. Die ESEN ist dem Bildungsministerium tmtergeordnet.
Gestionnaire: wörtlich Manager/Verwalter. Der gestionnaire ist der Finanzbe-auftragte eines college. Zu seinen Hauptaufgaben gehören die Buchhaltung so-wie die Vorbereitung und Kontrolle des jährlichen Budgetplans einer Schule. Darüber hinaus ist er zuständig fiir die Einhaltung von Sicherheitsstandards an der Schule und ist dem technischen Personal (Küchenpersonal, Reinigungskräf-te) vorgestellt. Um Schülerinnen und Schüler, die finanzielle Unterstützung be-ziehen, kümmert er sich in der Regel.
Inspection: vollständige Bezeichnung Inspection gngrale de ltducation natio-nale (IGE1V). Die Inspektion fungiert im französischen Schulsystem sowohl als Beratungs- als auch als Kontrollinstanz. Die Inspektion evaluiert regelmäßig die Arbeit des Lehr- sowie Schulleitungspersonals. Bei Reformen, insbesondere sol-chen, die das Curriculum oder die Unterrichtspraxis betreffen, ist sie fiir die Ver-breitung und Umsetzung zuständig. Sie ist angehalten, dem Bildungsministeri-um Empfehltmgen zur Verbessenmg jeglichen Handelns im Kontext von Schule zu machen.
Pilotage: Führung oder Steuerung. Als Konzept am ehesten vergleichbar mit Leadership.
Principal: Schulleiter
Principal Adjoint: stellvertretender Schuleiter
Projet d'itablissement: Schulentwicldungsprojekt. Das Schulentwicklungspro-jekt wird meist vom Schulleiter in Absprache mit der Lehrerschaft festgelegt und vom Verwaltungsrat ratifiziert; in der Regel werden mehrere Jahre für seine Umsetzung angesetzt.
Rectorat: siehe Acad8mie
10 Glossar ausgewählter Begriffe zum colläge 187
RRS: siehe ZEP.
Surveillant: wörtlich „Beaufsichtigender". Die genaue Berufsbezeichnung lau-tet conseiller d'&1ucation (Schulberater) oder assistant d'gducation (Schulassis-tent). Die „Aufpasser" sind Teil der vie scolaire.
Vie Scolaire: Bei der vie scolaire handelt es sich um eine innerschulische Abtei-lung, die für Schülerangelegenheiten außerhalb des Unterrichts zuständig ist. Klassische Einsatzgebiete sind beispielsweise die Pausenaufsicht, die Aufsicht und Betreuung von Schülerinnen und Schülern bei Unterrichtsausfall, die Auf-sicht und Betreuung von Schülerinnen und Schülern, die aufgrund diszipli-narischer Verstöße aus dem regulären Unterricht ausgeschlossen wurden. Oft werden auch Projekte von Mitarbeitern aus der vie scolaire durchgeführt oder beaufsichtigt (z. B. Verschönerung der Schule). Mitarbeiter der vie scolaire sind in der Regel keine ausgebildeten Lehrer.
ZEP: Zone Education Prioritaire (Prioritäre Bildungszone). Im französischen Bildungssystem erhalten Schulen, die sich in prioritären Bildungszonen befm-den, zusätzliche finanzielle Mittel, erhöhte Autonomie sowie zusätzliche Lehr-kapazitäten. Seit 2006 werden als Folge mehrerer Reformen im Bildungswesen ZEPs sukzessive durch RRS (rgsaux de Hussite scolaire: Schulerfolgsnetzwer-ke) ersetzt; die Unterschiede zwischen ZEPs und RRS sind jedoch gering.
P. Tulowitzki, Schulleitung und Schulentwicklung in Frankreich,
DOI 10.1007/978-3-658-04603-3, © Springer Fachmedien Wiesbaden 2014
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Walgenbach, P. (2006). Die Strukturationstheorie. In A. Kieser & M. Ebers (Hrsg.), Organisations-theorien (6. Aufl.). Stuttgart: Kohlhammer.
Weick, K. E. (1996). Fighting Fires in Educational Administration. Educational Administration Quarterly, 32(4), 565-578. doi:10.1177/0013161X9603200406
Willke, H. (1978). Systemtheorie und Handlungstheorie-Bemerkungen zum Verhältnis von Aggrega-tion und Emergenz. Zeitschriftfiir Soziologie, 7(4), 380-389.
Wolcott, H. F. (1973). The man in the principal's office: an ethnography. New York: Holt, Rinehart and Winston Inc.
Wulf, C. (Hrsg.). (1995). Education in Europe: An Intercultural Task. Münster: Waxmann.
202
11 Literaturverzeichnis
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P. Tulowitzki, Schulleitung und Schulentwicklung in Frankreich,
DOI 10.1007/978-3-658-04603-3, © Springer Fachmedien Wiesbaden 2014
204 12 Abbildungsverzeichnis
Abbildung 26: Vergleichende Darstellung der beobachteten Tage von Schulleiter 4 137 Abbildung 27: Typischer Arbeitsvormittag für Schulleiterin 5 (Montag) 138 Abbildung 28: Aktivitäten von Schulleiterin 5 am typischen Vormittag 139 Abbildung 29: Vergleichende Darstellung der beobachteten Tage von Schulleiterin 5 140 Abbildung 30: Schritte der Interviewauswertung 143 Abbildung 31: Forschungsplan 207
P. Tulowitzki, Schulleitung und Schulentwicklung in Frankreich,
DOI 10. 1007/978-3-658-04603-3, © Springer Fachmedien Wiesbaden 2014
14 Anhang
14.1 Forschungsplan
Abbildung 31: Forschungsplan
Fors
chun
gsde
sign
: Fal
lstu
dien
Dok
umen
tana
lyse
Lite
ratu
rrec
herc
he
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terv
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s Pr
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Aus
wer
tung
14.1 Forschungsplan 207
P. Tulowitzki, Schulleitung und Schulentwicklung in Frankreich,
DOI 10.1007/978-3-658-04603-3, © Springer Fachmedien Wiesbaden 2014
14.2 Aufbau des französischen Schulsystems
!km bam. ISDIA
TerrnInale techneloglque
Premiere Seceoffline
Secande speenilse
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Sesonde generale et lteehredugigue
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INN
EN
IEN
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I
Cuttri pnisrareduire (CPII •
208 14 Anhartg
Quelle: Office national d'information sur les enseignements et les professions, 2010 (Reproduktion mit freundlicher Genehmigung)
Uhrzeit Personen Aktivität und Anmerkungen
Name der beobachteten Schulleitungsperson:
Datum:
14.3 Beobachtungsprotokoll
209
14.3 Beobachtungsprotokoll
Anmerkung: Das Protokoll wurde im Laufe der Untersuchung, insbesondere nach dem Pretest, überarbeitet. Der nachfolgende Bogen stellt die finale, verwendete Fassung dar
210
14 Anhang
14.4 Beobachtungen Schule 1 Basisdaten
Tätigkeitsverteilung von Schulleiterin 1
Durchschnittswerte aller fünf beobachteten Tage
Aktivität Administrati- ve Tätigkeiten
Zwischen- menschliche Be- ziehungen
Schulentwicklungs- nahe Aktivitäten
Private Tätigkei- ten /Sonstiges
Dauer 03:29h 00:52h 00:22h 00:11h
Anzahl der Aktiv. 37,2 9 4,2 2,6
Verteilung (anhand der Dauer)
70,95% 17,67% 7,65% 3,72%
Zeit insgesamt zwi- schen Ar- beitsbeginn und Mittagspause
04:54h
14.4 Beobachtungen Schule 1 Basisdaten 211
Schulleiterin 1
Montag
Aktivität Admin. Beziehungen Schulentwick- lung
Privates/Sonsti-ges
Dauer 03:45h 01:06h 00:28h 00:14h
Anzahl der Aktivitäten 44 12 6 3
Verteilung (anhand der Dauer) 67,57% 19,82% 8,41% 4,20%
Zeit insgesamt zwischen Ar- beitsbeginn und Mittagspause
05:33h
Schulleiterin 1 - Montag
I I I I I 1 11 1 I I
■ 1 11111 I 1
1
1
1
4
3
2
1
06:30 07:30 08:30 09:30
10:30 11 30 12 30
Zeit
212
14 Anhang
Schulleiterin 1
Dienstag
Aktivität Admin. Beziehungen Schulentwick- lung
Privates/Sonsti-ges
Dauer 04:03h 00:37h 00:38h 00:11h
Anzahl der Aktivitäten 46 6 8 2
Verteilung (anhand der Dauer) 73,86% 11,25% 11,55% 3,34%
Zeit insgesamt zwischen Ar- beitsbeginn und Mittagspause
05:29h
Schulleiterin 1 - Dienstag
4
1 .11 I ■ 1
. 1 111 I I ■ I I •
06:30 07:30 08:30 09:30 10:30 11:30 12 30
Zeit
1 ei
1 I
4
14.4 Beobachtungen Schule 1 Basisdaten 213
Schulleiterin 1
Mittwoch
Aktivität Admin. Beziehungen Schulentwick- lung
Privates/Sonsti-ges
Dauer 02:49h 00:45h 00:13h 00:10h
Anzahl der Aktiven 24 8 3 3
Verteilung (anhand der Dauer) 71,31% 18,99% 5,49% 4,22%
Zeit insgesamt zwischen Ar- beitsbeginn und Mittagspause
03:57h
Schulleiterin 1 - Mittwoch
06:30 07:30
08:30
09:30
10 30
11 30
12 30
Zeit
214
14 Anhang
Schulleiterin 1
Donnerstag
Aktivität Admin. Beziehungen Schulentwick- lung
Privates/Sonsti-ges
Dauer 02:48h 01:30h 00:06h 00:11h
Anzahl der Aktivitäten 40 13 1 3
Verteilung (anhand der Dauer) 61,09% 32,73% 2,18% 4,00%
Zeit insgesamt zwischen Ar- beitsbeginn und Mittagspause
04:35h
Schulleiterin 1 - Donnerstag
4
06:30 07:30 08:30 09:30 10:30 11 30 12 30
Zeit
i
1
1
I I I •
4
14.4 Beobachtungen Schule 1 Basisdaten 215
Schulleiterin 1
Freitag
Aktivität Admin. Beziehungen Schulentwick- lung
Privates/Sonsti-ges
Dauer 04:03h 00:23h 00:28h 00:09h
Anzahl der Aktivitäten 32 6 3 2
Verteilung (anhand der Dauer) 80,20% 7,59% 9,24% 2,97%
Zeit insgesamt zwischen Ar- beitsbeginn und Mittagspause
05:03h
Schulleiterin 1 - Freitag
06:30 07:30
08:30
09:30
10 30
11 30
12 30
Zeit
216
14 Anhang
14.5 Beobachtungen Schule 2 Basisdaten
Tätigkeitsverteilung von Schulleiterin 2
Durchschnittswerte aller fünf beobachteten Tage
Aktivität Administrati- ve Tätigkeiten
Zwischen- menschliche Be- ziehungen
Schulentwicklungs- nahe Aktivitäten
Private Tätigkei- ten /Sonstiges
Dauer 03:04h 01:28h 00:10h 00:08h
Anzahl der Aktiv. 25,6 8,4 1,4 2
Verteilung (anhand der Dauer)
63,26% 30,36% 3,43% 2,95%
Zeit insgesamt zwi- schen Ar- beitsbeginn und Mittagspause
04:52h
14.5 Beobachtungen Schule 2 Basisdaten
217
Schulleiterin 2
Montag
Aktivität Admin. Beziehungen Schulentwick- lung
Privates/Sonsti-ges
Dauer 02:49h 01:46h 00:17h 00:03:00
Anzahl der Aktivitäten 27 10 2 2
Verteilung (anhand der Dauer) 57,29% 35,93% 5,76% 1,02%
Zeit insgesamt zwischen Ar- beitsbeginn und Mittagspause
04:55h
Schulleiterin 2 - Montag
4
3
2
1
07:30 08:30 09:30 10 30 11.30 12 30 Zeit
4
218
14 Anhang
Schulleiterin 2
Dienstag
Aktivität Admin. Beziehungen Schulentwick- lung
Privates/Sonsti-ges
Dauer 02:21h 01:49h 00:06h 00:02h
Anzahl der Aktivitäten 29 10 2 1
Verteilung (anhand der Dauer) 54,65% 42,25% 2,33% 0,78%
Zeit insgesamt zwischen Ar- beitsbeginn und Mittagspause
04:18h
Schulleiterin 2 - Dienstag
i
I I 1
inl I
II I I II 07 30 08 30 09 30 10 30 11 30 12 30
Zeit
14.5 Beobachtungen Schule 2 Basisdaten 219
Schulleiterin 2
Mittwoch
Aktivität Admin. Beziehungen Schulentwick- lung
Privates/Sonsti-ges
Dauer 03:06h 00:46h 00:16h 00:05h
Anzahl der Aktivitäten 28 6 1 2
Verteilung (anhand der Dauer) 73,52% 18,18% 6,32% 1,98%
Zeit insgesamt zwischen Ar- beitsbeginn und Mittagspause
04:13h
Schulleiterin 2 - Mittwoch
4
■
I BM I BZ I 07 30 08:30 09:30 10:30 11 30 12 30
Zeit
220
14 Anhang
Schulleiterin 2
Donnerstag
Aktivität Admin. Beziehungen Schulentwick- lung
Privates/Sonsti-ges
Dauer 03:11h 00:55h 00:11h 00:18h
Anzahl der Aktivitäten 14 10 2 2
Verteilung (anhand der Dauer) 69,45% 20,00% 4,00% 6,55%
Zeit insgesamt zwischen Ar- beitsbeginn und Mittagspause
04:35h
Anmerkung: An diesem Tag war von 10:15 bis 11:45 Uhr eine Leitungskonferenz angesetzt. Diese wurde als eine durchgehende Aktivität kodiert. Da die gesetzten Themen beinahe ausschließlich aus dem administrativen Bereich stammten (z. B. Diskussion über eine mögliche Erhöhung des Essensgelds, Diskussion mangelhafter Schulaufsicht aufgrund von Personalmangel, Diskussion über zu harte Disziplinarmaßnahmen für Schulschwänzer), wurde die Sitzung der administrativen Kategorie zugeordnet
Schulleiterin 2 - Donnerstag
I I II I 1111 II
07:30 08:30 09:30 10 30 11 30 12 30
Zeit
4
3
2
1
14.5 Beobachtungen Schule 2 Basisdaten 221
Schulleiterin 2
Freitag
Aktivität Admin. Beziehungen Schulentwick- lung
Privates/Sonsti-ges
Dauer 03:56h 00:47h 00:00h 00:15h
Anzahl der Aktivitäten 30 5 0 3
Verteilung (anhand der Dauer) 79,19% 15,77% 0% 5,03%
Zeit insgesamt zwischen Ar- beitsbeginn und Mittagspause
04:58h
Anmerkung: Schulleiterin 2 erhielt um 8:25 Uhr einen Anruf der Schulaufsicht und bat mich daraufhin, das Büro für die Dauer des Telefonats zu verlassen. Aufgrund eines Missverständnisses wurde der Zugang zu Schulleiterin 2 erst wieder um 10 Uhr ermöglicht. Schulleiterin 2 erledigte nach eigenen Angaben in dieser Zeit diversen "Papier-kram", weshalb die verpasste Zeit der administrativen Kategorie zugeschlagen wurde.
Schulleiterin 2 - Freitag
4
07:30
08 30
09 30 10 30
11 30
12:30
Zeit
222
14 Anhang
14.6 Beobachtungen Schule 3 Basisdaten
Tätigkeitsverteilung von Schulleiter 3
Durchschnittswerte aller fünf beobachteten Tage
Aktivität Administrati- ve Tätigkeiten
Zwischen- menschliche Be- ziehungen
Schulentwicklungs- nahe Aktivitäten
Private Tätigkei- ten/ Sonstiges
Dauer 02:33h 00:44h 01:07h 00:04h
Anzahl der Aktiv. 14,4 4,8 4,2 0,8
Verteilung (anhand der Dauer)
56,82% 16,54% 24,93% 1,71%
Zeit insgesamt zwi- schen Ar- beitsbeginn und Mittagspause
4:29h
I I i l
1
4
3
14.6 Beobachtungen Schule 3 Basisdaten 223
Schulleiter 3
Montag
Aktivität Admin. Beziehungen Schulentwick- lung
Privates/Sonsti-ges
Dauer 02:18h 00:41h 01:27h 00:05h
Anzahl der Aktivitäten 13 6 4 1
Verteilung (anhand der Dauer) 50,92% 15,13% 32,10% 1,85%
Zeit insgesamt zwischen Ar- beitsbeginn und Mittagspause
04:31h
Schulleiter 3 - Montag
07:30
08:30
09 30 10 30
11 30
12 30
Zeit
4
224
14 Anhang
Schulleiter 3
Dienstag
Aktivität Admin. Beziehungen Schulentwick- lung
Privates/Sonsti-ges
Dauer 02:56h 00:26h 00:59h 00:08h
Anzahl der Aktivitäten 16 4 5 1
Verteilung (anhand der Dauer) 65,43% 9,67% 21,93% 2,97%
Zeit insgesamt zwischen Ar- beitsbeginn und Mittagspause
04:29h
Schulleiter 3 - Dienstag
1 II
I I I 07:30 08:30 09:30 10 30 11 30 12 30
Zeit
zi 1
1
4
3
2
1
14.6 Beobachtungen Schule 3 Basisdaten 225
Schulleiter 3
Mittwoch
Aktivität Admin. Beziehungen Schulentwick- lung
Privates/Sonsti-ges
Dauer 02:31h 00:53h 01:07h 00:08h
Anzahl der Aktivitäten 13 4 5 2
Verteilung (anhand der Dauer) 54,12% 19,00% 24,01% 2,87%
Zeit insgesamt zwischen Ar- beitsbeginn und Mittagspause
04:39h
Schulleiter 3 - Mittwoch
07 30 08:30
09 30 10 30
11 30
12 30
Zeit
226
14 Anhang
Schulleiter 3
Donnerstag
Aktivität Admin. Beziehungen Schulentwick- lung
Privates/Sonsti-ges
Dauer 02:13h 00:51h 01:20h 00:04h
Anzahl der Aktivitäten 14 5 4 1
Verteilung (anhand der Dauer) 49,63% 19,03% 29,85% 1,49%
Zeit insgesamt zwischen Ar- beitsbeginn und Mittagspause
04:28h
Schulleiter 3 - Donnerstag
1
I•
•
• 1
07 30 08 30 09 30 10 30 11.30 12 30
Zeit
14.6 Beobachtungen Schule 3 Basisdaten 227
Schulleiter 3
Freitag
Aktivität Admin. Beziehungen Schulentwick- lung
Privates/Sonsti-ges
Dauer 02:48h 00:52h 00:43h 00:06h
Anzahl der Aktivitäten 14 5 3 1
Verteilung (anhand der Dauer) 62,45% 19,33% 15,99% 2,33%
Zeit insgesamt zwischen Ar- beitsbeginn und Mittagspause
04:29h
Schulleiter 3 - Freitag
4
3
2
1 gl•
07:30 08:30 09.30 10 30 11.30 12 30
Zeit
228
14 Anhang
14.7 Beobachtungen Schule 4 Basisdaten
Tätigkeitsverteilung von Schulleiter 4
Durchschnittswerte aller fünf beobachteten Tage
Aktivität Administrati- ve Tätigkeiten
Zwischen- menschliche Be- ziehungen
Schulentwicklungs- nahe Aktivitäten
Private Tätigkei- ten/Sonstiges
Dauer 02:19h 00:57h 00:54h 00:11h
Anzahl der Aktiv. 20,4 7,2 6 2,2
Verteilung (anhand der Dauer)
53,33% 21,84% 20,61% 4,21%
Zeit insgesamt zwi- schen Ar- beitsbeginn und Mittagspause
04:21h
I I
I I
I MI I ZI ZI
14.7 Beobachtungen Schule 4 Basisdaten 229
Schulleiter 4
Montag
Aktivität Admin. Beziehungen Schulentwick- lung
Privates/Sonsti-ges
Dauer 02:09h 01:14h 00:53h 00:09h
Anzahl der Aktivitäten 30 9 9 2
Verteilung (anhand der Dauer) 48,68% 27,92% 20,00% 3,40%
Zeit insgesamt zwischen Ar- beitsbeginn und Mittagspause
04:25h
Schulleiter 4 - Montag
4
3
2
1
07:30 08:30 09 30 10 30 11.30 12 30
Zeit
230 14 Anhang
Schulleiter 4
Dienstag
Aktivität Admin. Beziehungen Schulentwick- lung
Privates/Sonsti-ges
Dauer 02:05h 00:21h 01:55h 00:08h
Anzahl der Aktivitäten 12 3 9 2
Verteilung (anhand der Dauer) 46,47% 7,81% 42,75% 2,97%
Zeit insgesamt zwischen Ar- beitsbeginn und Mittagspause
04:29h
Schulleiter 4 - Dienstag
07 30 08:30 09:30 10 30 11.30 12 30
Zeit
A
2
14.7 Beobachtungen Schule 4 Basisdaten 231
Schulleiter 4
Mittwoch
Aktivität Admin. Beziehungen Schulentwick- lung
Privates/Sonsti-ges
Dauer 02:04h 01:14h 00:50h OO:llh
Anzahl der Aktivitäten 21 8 4 2
Verteilung (anhand der Dauer) 47,88% 28,57% 19,31% 4,24%
Zeit insgesamt zwischen Ar- beitsbeginn und Mittagspause
04:19h
Schulleiter 4 - Mittwoch
I I
111111
1 I
■
■ I ■ I
II I 1 07 30
08:30
09 30 10 30
11 30
12 30
Zeit
4
3
2
1
232
14 Anhang
Schulleiter 4
Donnerstag
Aktivität Admin. Beziehungen Schulentwick- lung
Privates/Sonsti-ges
Dauer 02:37h 00:56h 00:26h 00:18h
Anzahl der Aktivitäten 18 9 6 3
Verteilung (anhand der Dauer) 61,09% 21,79% 10,12% 7,00%
Zeit insgesamt zwischen Ar- beitsbeginn und Mittagspause
04:17h
Schulleiter 4 - Donnerstag
I
4
3
2
1
07 30 08 30 09:30 10:30 11 30 12 30
Zeit
14.7 Beobachtungen Schule 4 Basisdaten 233
Schulleiter 4
Freitag
Aktivität Admin. Beziehungen Schulentwick- lung
Privates/Sonsti-ges
Dauer 02:41h 01:00h 00:25h 0:09h
Anzahl der Aktivitäten 21 7 2 2
Verteilung (anhand der Dauer) 63,14% 23,53% 9,80% 3,53%
Zeit insgesamt zwischen Ar- beitsbeginn und Mittagspause
04:15h
Schulleiter 4 - Freitag
:03
,u." 2
07 30 08:30 09:30 10:30 11:30 12:30
Zeit
234
14 Anhang
14.8 Beobachtungen Schule 5 Basisdaten
Tätigkeitsverteilung von Schulleiterin 5
Durchschnittswerte aller fünf beobachteten Tage
Aktivität Administrati- ve Tätigkeiten
Zwischen- menschliche Be- ziehungen
Schulentwicklungs- nahe Aktivitäten
Private Tätigkei- ten/ Sonstiges
Dauer 02:25h 01:06h 00:18h 00:13h
Anzahl der Aktiv. 24,4 9,4 2,6 4
Verteilung (anhand der Dauer)
59,64% 27,24% 7,55% 5,58%
Zeit insgesamt zwi- schen Ar- beitsbeginn und Mittagspause
04:02h
14.8 Beobachtungen Schule 5 Basisdaten 235
Schulleiterin 5
Montag
Aktivität Admin. Beziehungen Schulentwick- lung
Privates/Sonsti-ges
Dauer 02:31h 00:58h 00:19h 00:23h
Anzahl der Aktivitäten 30 12 4 5
Verteilung (anhand der Dauer) 60,16% 23,11% 7,57% 9,16%
Zeit insgesamt zwischen Ar- beitsbeginn und Mittagspause
04:11h
Schulleiterin 5 - Montag
I
I I
1
1
I 1.
1
I 1 111
I I I I
i l
I 1 1
1 07:30
08 30
09 30
10 30
11 30
12 30
Zeit
4
3
2
1
I I I
I II ■ I II I
I
II ■ I ■ I
I I
■ I ■
4
236
14 Anhang
Schulleiterin 5
Dienstag
Aktivität Admin. Beziehungen Schulentwick- lung
Privates/Sonsti-ges
Dauer 02:44h 01:30h 00:00h 00:18h
Anzahl der Aktivitäten 29 16 0 6
Verteilung (anhand der Dauer) 60,29% 33,09% 0% 6,62%
Zeit insgesamt zwischen Ar- beitsbeginn und Mittagspause
04:32h
Schulleiterin 5 - Dienstag
07:30 08 30 09 30 10:30 11 30 12 30
Zeit
14.8 Beobachtungen Schule 5 Basisdaten 237
Schulleiterin 5
Mittwoch
Aktivität Admin. Beziehungen Schulentwick- lung
Privates/Sonsti-ges
Dauer 02:12h 01:15h 00:23h 00:08h
Anzahl der Aktivitäten 21 9 3 3
Verteilung (anhand der Dauer) 55,46% 31,51% 9,66% 3,36%
Zeit insgesamt zwischen Ar- beitsbeginn und Mittagspause
03:58h
Schulleiter 5 - Mittwoch
I I 1 I I
• I I I • 1 I I 07:30
08 30
09 30
10 30
11 30
12 30
Zeit
4
3
2
1
238
14 Anhartg
Schulleiterin 5
Donnerstag
Aktivität Admin. Beziehungen Schulentwick- lung
Privates/Sonsti-ges
Dauer 02:12h 01:14h 00:07h 00:11h
Anzahl der Aktivitäten 22 4 3 3
Verteilung (anhand der Dauer) 58,93% 33,04% 3,12% 4,91%
Zeit insgesamt zwischen Ar- beitsbeginn und Mittagspause
03:44h
Schulleiterin 5 - Donnerstag
IZ
07:30 08 30 09 30 10 30 11 30 12 30
Zeit
4
3
2
1
14.8 Beobachtungen Schule 5 Basisdaten 239
Schulleiterin 5
Freitag
Aktivität Admin. Beziehungen Schulentwick- lung
Privates/Sonsti-ges
Dauer 02:28h 00:35h 00:43h 00:08h
Anzahl der Aktivitäten 20 6 3 3
Verteilung (anhand der Dauer) 63,25% 14,96% 18,38% 3,42%
Zeit insgesamt zwischen Ar- beitsbeginn und Mittagspause
03:54h
Schulleiterin 5 - Freitag
I I I • I I BI •
07:30 08 30 09 30 10 30 11 30 12 30
Zeit
4
3
2
1
240
14 Anhang
14.9 Beispiele für beobachtete Tätigkeiten
Beispiele für beobachtete Aktivitäten:
Administration Beziehungen Schulentwicklung Privates/Sonstiges
(Kontroll-)Rundgänge über das Schulgelände
Persönliches Gespräch mit Lehrerinnen und Lehrern
Einzelarbeit an Pro- jekten
Telefonat mit Ehe- partner über das Abendessen
Management von Leh- rer-Abwesenheiten (z. B. Organisieren von Vertretungslehrern)
Persönliches Gespräch mit Schülerinnen und Schülern
Gespräche und Tele- fonate zu Schulpro- jekten
SMS an Freund/Freun-din
Verwaltung der Schul- finatwen
Motivationsgespräche mit Personal (insbe- sondere Lehrerschaft)
E-mails sowie Post zu Schulprojekten
Gang zur Toilette
Vorbereitung von Be- richten für die inspec- tion und acadgmie zum Stand der Schule
Schlichtung von Streit zwischen Schülern und Schülern, Schülern und Lehrern und Lehrern und Lehrern
Einzelarbeit zu mittel- und langfristigen Zie- len/Visionen für die Schule
Lesen & Schreiben pri-vater E-Mails
Verfassen der admi- nistrativen Evaluation der Lehrerschaft
Elterngespräche Gespräche über mittel- und langfristige Ziele/Visionen für die Schule
Surfen im Internet ohne klaren Arbeits-bezug (z. B. auf Face-book, Youtube etc.)
Lesen & Schreiben von Post & E-Mails (nicht projekt-bezo- gen)
Gespräche mit Perso-nen aus der Region (beispielsweise Ver-tretern, Bürgermeister, Anwohner) über Anlie-gen, die nicht in den Bereich der Schulent-wicklung fallen
Von Lehrern vorberei- tete/angeforderte Sank- tionierungen von Schü- lerinnen und Schülern genehmigen
Gespräche mit Vertre-tern von Nachbar-schulen über Anliegen, die nicht in den Be-reich der Schulent-wicklung fallen
14.10 Interviewleitfaden 241
14.10 Interviewleitfaden
Anmerkung: Da sämtliche Interviews auf Französisch geführt wurden, wurde der Leitfaden auch in französischer Sprache konzipiert. Die nachfolgenden Ab-schnitte stellen Übersetzungen des Verfassers dar.
Durch Dokumentenanalyse und Beobachtung vor dem Interview erhobene Da-ten:
• Anzahl der Schüler/-innen • Anzahl der formalen Mitglieder der Schulleitung • Anzahl der formalen Mitglieder des päd. Beratungsteams («vie sco-
laire») • Lehrdeputat («DHG») • Der Schule zugewiesene Lehrkräfte (halbe, Dreiviertel- und volle Stel-
len) • Servicekräfte («ATOSS») • Status der Schule (beispielsweise ZEP/RRS) • Gegenwärtige und kurzfristig abgeschlossene Schulentwicklungspro-
jekte.
Items des Kurzfragebogens zur Erhebung von grundlegenden Daten der einzel-nen Interviewpartner/-innen, welcher vor den Interviews ausgehändigt wurde:
• Alter • Geschlecht • Wie lange sind Sie schon Schulleiter/-in? • Wie lange sind Sie schon an dieser Schule als Schulleiter/-in tätig? • Wie lange ist Ihr Stellvertreter/ihre Stellvertrerin bereits in der Schul-
leitung tätig? • Wie lange ist Ihr Stellvertreter/ihre Stellvertreterin schon an dieser
Schule?
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14 Anhang
Vor dem Interview erfolgten Erläuterungen zum Datenschutz.
Die Teilnahme am Interview ist freiwillig. Die Interviews dienen der Erfor-schung des französischen Schulwesens. Sie werden im Rahmen einer Dissertati-onsarbeit durchgeführt. Die Interviewdaten werden streng vertraulich behandelt.
Sämtliche Interview-Aufnahmen werden verschlossen aufbewahrt und nach Ab-schluss der Untersuchung und Auswertung gelöscht. Im Rahmen der Auswer-tungen werden die Aufnahmen transkribiert. Personenbezogene Daten wie Na-men und Ortsangaben der/des Befragten werden anonymisiert. In Veröffentli-chungen wird dafir Sorge getragen, dass eine Identifikation der/des befragten Personen nicht möglich ist.
Anschließend wurde eine kurze Einverständniserldärung ausgehändigt, die vom Interviewpartner zu unterzeichnen war.
„Hiermit erkläre ich mich mit der Durchfiihrung und Aufzeichnung des Inter-views mit Pierre Tulowitzki einverstanden. Das Interview dient der Erkundung des französischen Schulwissens für wissenschaftliche Zwecke. Ich bin außer-dem damit einverstanden, dass die Interviews — nach Entfernung personenbezo-gener Angaben — in seiner Dissertationsschrift sowie in möglichen weiteren Ar-beiten verwendet und veröffentlicht werden.
Ort und Datum:
Unterschrift:
Einleitung des Interviews und Erläuterungen zum Begriff Schulentwick-lung
„Wie Sie wissen, versuche ich in meiner Arbeit zu erforschen, was Schulleiter/-innen in Frankreich machen und welche Herausforderungen und Besonderheiten es dabei gibt. Dabei interessieren mich insbesondere Ihre Erfahrungen als Schulleiter. Sie können sich bei Antworten ruhig Zeit lassen und etwas ausführlicher werden; Ihre Erfahrungen im Beruf sind für mich sehr wertvoll."
Da der Begriff Schulentwicklung nicht ganz leicht ins Französische zu überset- zen ist, folgte nach der obigen Einleitung eine kurze Erläuterung des Begriffs in-
14.10 Interviewleitfaden 243
klusive einiger Beispiele." Das Aufnahmegerät wurde während dieser Erläute-rung eingeschaltet, der formale Anfang des Interviews wurde im Anschluss an die Erläuterungen zum Begriff Schulentwicklung angekündigt („Haben Sie zum Begriff Schulentwicklung noch Fragen?" „Nach diesen Erläuterungen würde ich nun gerne offiziell mit dem Interview beginnen.").
Interviewleitfaden
Hinweise: Dieser Interviewleitfaden ist thematisch sortiert sowie hierarchisiert. Eingerückte Fragen wurden gestellt, sofern die in den Fragen erwähnten Thematiken nicht bereits durch die Beantwor-tung übergeordneter Fragen behandelt wurden. Übergeordnete Fragen fungierten oft als Redeim-pulse.
Bestimmte schulische Innovationen
Ich habe während meines Aufenthalts einiges über [Name des Schulentwick-lungsprojekts] erfahren; können Sie mir ein wenig davon berichten?
Was war der Ursprung dieses Projekts? Wie gestaltete sich die Anfangsphase? Wie sind Sie zu dem Projekt gekommen? Wie haben Sie das Projekt damals eingeschätzt? Was war Ihre Rolle während der Anfangsphase? Wer war alles in das Projekt involviert? Wie wurden Personen informiert, auf die das Projekt Auswirkungen hatte (z. B. Lehrer)? Wie haben sie reagiert?
Wie wurde das Projekt umgesetzt? Gab es Probleme bei der Umsetzung?
89 Es stellt sich bei einer Arbeit mit interlcultureller Perspektive grundsätzlich die Frage, wie man mit Konzepten umgeht, die in anderen Ländern nicht oder nicht in der gleichen Form existieren (z. B. Schulentwicklung in Frankreich). Ein Weg besteht in der wörtlichen Übersetzung des Kon-zepts. Problematisch erscheint in diesem Zusammenhang ein möglicher Bedeutungsverlust und/oder eine mögliche Bedeutungsveränderung (vgl. Bronckart & Thurler, 2004, indem wieder-holt der Begriff „d8veloppement scolaire" verwendet wird, welcher eine wörtliche Übersetzung von „Schulentwicklung" darstellt, im Französischen jedoch unbekannt ist). Im Zielland droht ein so wörtlich übersetztes Konzept nicht verstanden oder fehlinterpretiert zu werden. Ein weiterer Weg ist es, im Gespräch auf ein dem Fremdland genuin entstammendes Konzept zurückzugrei-fen. Ein Beispiel fiir den französischen Kontext wäre pilotage für Leadership. Das Risiko liegt hier in der Erzeugung interkultureller Missverständnisse (cultural isomorphs), von Vorteil ist je-doch, dass die Gesprächspartner in der Regel mit dem Begriff vertraut sind. Eine dritte Möglich-keit besteht im Versuch der Umschreibung, also einer Erklärung in der Fremdsprache, was der fremdsprachliche Begriff ausdrückt. Dies ist oft mit einer sprachlichen Schwerfälligkeit verbun-den, da ein griffiger Begriff fehlt. Vorteilhaft erscheint die Annäherung an die Bedeutung des fremden Konzept. Dieser dritte Weg wurde daher in vorliegender Arbeit gewählt.
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Wie wurde mit etwaigen Problemen umgegangen? Was war Ihre Rolle/Ihre Aufgabe während der Umsetzung?
Wie würden Sie den heutigen Stand des Projektes beschreiben? Wie lange existiert das Projekt? Wie bewerten Sie das Projekt aus heutiger Sicht und warum? Würden Sie das Projekt anderen Schulen empfehlen? Würden Sie bei der Konzeption und Umsetzung des Projekts mit Ihrem heutigen Wissen etwas anders machen?
Hinweis: Der zuvor genannte Fragenkomplex wurde pro Schulentwicklungsprojekt behandelt.
Schulleitungstätigkeit
Was sehen Sie als Schulleiter/-in als Ihre Hauptaufgaben an? Welche Funktion hat ein Schulleiter aus Ihrer Sicht?
Wem gegenüber sind Sie zu Rechenschaft verpflichtet? Wie kommen Sie dieser Rechenschaftspflicht nach? Was ist Ihre Verantwortung gegenüber offiziellen Erlassen des Bil-dungsministeriums?
Sehen Sie sich selbst eher als Verwalter oder Leader? Welchen Stellenwert hat für Sie das Tagesgeschäft im Vergleich zu Schulent-wicklungsprojekten?
Dreht sich Ihre Arbeit eher um die Gegenwart oder die Zukunft? Mit welchen Problemen sehen Sie sich in Ihrer Arbeit in der Regel konfrontiert?
Wie gehen Sie mit diesen Problemen um? Mit wem tauschen Sie sich normalerweise über Ihre Arbeit aus? Was sind aus Ihrer Sicht wichtige Qualitäten, die ein guter Schulleiter besitzen sollte?
Schulleitung und Schulentwicklung
Wie würden Sie Ihre Funktionen im Schulentwicklungsprozess beschreiben? Wie würden Sie die Funktionen Ihres Stellvertreters/Ihrer Stellvertreterin im Schulentwicklungsprozess beschreiben? Spielen aus Ihrer Sicht eventuell weitere Personen eine wichtige Rolle im Schul-entwicklungsprozess? Wie entscheiden Sie bei Schulentwicklungsangelegenheiten, was die Prioritäten sind? Gibt es im Zusammenhang mit Schulentwicklung Informationsquellen, die Sie zurate ziehen? Wie werden Sie bei Ihren Tätigkeiten im Bereich Schulentwicklung unterstützt?
14.10 Interviewleitfaden 245
Was sind geläufige Hindernisse? Was müsste geschehen, damit Schulentwicklung an Ihrer Schule besser stattfin-den könnte? Wie steht es aus Ihrer Sicht um die Autonomie der Schule?
Charakter von Innovationsprozessen
Sind die Änderungen an Ihrer Schule Ihrer Meinung nach eher auf externe oder interne Entwicklungen zurückzuführen? Gibt es bei der Umsetzung von Innovationen wiederkehrende Muster? Macht es bei der Umsetzung eines Schulentwicklungsprojekts einen Unter-schied, ob es extern oder intern induziert ist? Wie gehen Sie mit Personen um, die in Bezug auf Schulentwicklung unmotiviert oder ablehnend sind? Gab es Projekte, deren Umsetzung unmöglich war? Evaluieren Sie Schulentwicklungsprojekte und wenn ja, wie? Erhalten Sie in Bezug auf Schulentwicklungsprojekte Feedback und wenn ja, von wem? Werden Schulentwicklungsprojekte dokumentiert und wenn ja, wie? Tauschen Sie sich mit anderen Schulen über Schulentwicklungsprojekte aus und wenn ja, wie? Gibt es Ihrer Meinung nach Faktoren, die Schulentwicklung beeinflussen, über die wir noch nicht gesprochen haben?
Endfrage: Gibt es etwas, über das wir noch nicht gesprochen haben und das Ihnen wichtig ist?