Schreibaufgaben mit Profil in allen Fächern - bsmg.ch · In meinem Zimmer ist ein riesiges Chaos....
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Schreibaufgaben mit Profil –
in allen Fächern
Weiterbildungstage MGZ / BBZ«Berufsbildungsreformen»Zürich, 6. / 7. Juli 2010Prof. Dr. Thomas Bachmann (PHZH)
Übersicht
Bilder vom Schreiben in der Schule
Auch das ist Schreiben: «Aufgaben mit Profil»
Was hat das mit dem Schreiben im Fachunterricht zu tun?
Was leistet Schreiben im Fachunterricht?
Beispiele aus dem Fachunterricht
«Bilder» vom Schreiben im Deutschunterricht
«Noch einmal Glück gehabt!»
«Unsere Schulreise war ein Hit!»
«Den Rechtsvortritt nicht beachtet!»
«Warum ich gegen Hausaufgaben bin»
«Es ist Herbst – die Blätter fallen»
Schreiben als „Aufsatzschreiben“
Orientierung an Textsorten / Aufsatzformen
Textsorte ist quasi „Aufgabenstellung“
kaum situative Einbettung in umfassenderen Handlungskontext
Herstellungskriterien, Ansprüche, Erwartungen oft vage
«Bilder» vom Schreiben im Fachunterricht
Die Reduktion des Schreibens auf das “Aufschreiben” oder “Zusammenfassen” ist ein durchgängiges und stabiles Konzept im Fachunterricht. Die Qualität von Texten wird meist explizit von der Qualität der Inhalte getrennt. Gleichzeitig wird über die mangelhaften Schreibfähigkeiten der Schüler/innen geklagt. (vgl. Lehnen 2009)
Beispiel 1 (WiMa_CHEM_33m)
«aber ich denke (-) das es [= der sprachliche Ausdruck; der Verf.] letztenendes unwichtig (-) ist (-) (wir) sind (ja) schliesslich kein literarischer zirkel»
Beispiel 2 (Stud_PSY_27w)
«ähm (2) also schreibkompetenz also ich hab da kein (.) so=n KÜNSTLERi-schen zugang zu sondern das I=so WERKzeug und es wird halt berichtet»
Beispiel 3 (WiMa_INF_26m)
«ja ich würde sagen inhalt ist das wichtigste (…) und als letztes würde ich eher sagen der sprachliche ausdruck öh aber wenn da total viele Rechtschreibfehler drin sind …»
«Aufgaben mit Profil»
Auch das ist Schreiben: «Aufgaben mit Profil»
Zwei Beispiele aus der Praxis
Die Fingerpuppe (2. Kl.) Zimmerbeschreibung (6./9. Kl.)
Eine Bastelanleitung zur «Fingerpuppe» schreiben
Funktion und Ziel bekannt
Echte Adressaten
Konkretes, praktisches und attraktives Handlungsziel
Erwartungen leichtverständlich und
eindeutig formuliert
Wissen aufgebaut
Verbindliche sozialeInteraktion
Monikas Anleitung
Spielzäugpupe
1 Male mit einem Bleistift einen Manzgoel
For 2 Schneide in aus 3 Schneide
in 1 Bein ein loch und in das andere Bein
etwa glei gross wie die Finger 4 Mit dem
Zeige finger und Mitel finger in die
Löcher und ein gümeli herum. Und
Male sie an. Und fertig ist die spilzäg-
Pupe
Enzos AnleitungDer Clown
Zuerst nimt man eine Schablone
und ein Blat Pappier. Und dan legt
man die Schablone auf das Pappi-
er. Dan fart man die Schablone
nach. Dan schneidet man den Lienien
nach aus. Und dan faltet man bei
den füsen in der Mite eine kleine
Falte. Bei der Falte schneide man
ein kleiner Schnit. Aus dem Schnit
schneidet man ein Kreis. Der Kreis
mus gröser als der Zeigefinger und
den Miterfinger sein. Dan malt man
den Clown aus. Dan müst ihr der Ze
igefinger und der Mitelfinger dur
ein Loch. Dan nemt ihr ein Gumiband
und hept eure Hand und hept
sie hinter den Clown und macht
sie fest. Und dan könt ihr mit
den Finger laufen.
Eine «Zimmerbeschreibung» für den Onkel aus den USA
verfassen
Dein Onkel lebt in Kanada. Ihr schreibt euch regelmässig E-Mails. Heute hast du ein besonderes Anliegen: Du möchtest dein Zimmer besser einrichten. So wie es eingerichtet ist, hast du einfach zu wenig Platz. Alles steht irgendwie im Weg.
Dein Onkel ist Innenarchitekt und du bist sicher, dass er dir beim „Umstellen“ helfen kann. Er findet immer überraschende Lösungen. Das Problem ist nämlich, dass du nichts weggeben willst und eigentlich alles brauchst.
Schau dir die drei Fotos und den Zimmerplan genau an. Du musst ja wissen, wie dein’ Zimmer aussieht. Die Fotos zeigen ‚dein’ Zimmer aus verschiedenen Blickwinkeln.
Beschreibe dein Zimmer so, dass dein Onkel sich auch ohne (!) Fotos und
Zimmerplan eine genaue Vorstellung von deinem Zimmer machen kann.
Aus technischen Gründen kannst du Fotos und Zimmerplan deinem Onkel
nicht mailen. Er soll möglichst genau wissen,
wie dein Zimmer aussieht,
was wo steht.
Schreib einen Entwurf von deinem E-mail an den Onkel.
Aufgabenstellung «Zimmerbeschreibung»: Material
Zimmerplan und Abbildung
Zimmerbeschreibung Schüler/in A
Lieber Onkel
In meinem Zimmer ist ein riesiges Chaos. Und ich möchte dich bitten,
mir beim Umstellen zu helfen. Leider kann ich dir keine Fotos und auch
keinen Plan mailen. Ich versuche dir trotzdem zu erklären, wie mein
Zimmer aussieht. Wenn man zur Türe reinkommt sind rechts von der
Türe meine Musikinstrumente, dann kommt gerade anschliessend ein
Pult an der rechten Wand und in der Mitte ist ein Teppich. An der linken
Wand zirka auf der Höhe des Pultes hat es ein Regal, und gleich
anschliessend kommt ein eingebauter Wandschrank. Wenn man zur
Türe reinkommt, sieht man am anderen Ende ein Fenster, rechts von
dem Fenster kommt eine kleine Kommode. In der rechten Ecke des
Zimmers ist, gleich anschliessend, ist an der rechten Wand mein Bett,
das in Längsrichtung zur anderen Seite ist; der Durchgang zum Fenster
ist nur sehr schmal, weil das Bett gerade kommt. Ich möchte nochmals
sagen, dass der Wandschrank eingebaut ist und das Regal nicht.
Liebe Grüsse von mir
«Aufgaben mit Profil» – was macht sie aus?
(1) Schreiben für den Ernstfall:
echter Adressat(2) Wissen aufbauen
z.B: Anleitung
/Beschreibung
(3) Text schreiben(4) Probe aufs
Exempel: Adressat handelt
aufgrund Text
(5) Austausch zwischen Leser/in und
Verfasser/in des Textes
(6) Gesteuerte Reflexion im Plenum zu
Textqualitäten
Schreiben als Problemlösen
Fokus: Langzeitgedächtnis (stored plans)
Aus dem Langzeitgedächtnis abgerufen werden kann nur das, was dort
einmal abgelegt werden konnte. Dies gilt es nicht nur, aber besonders
in Kontexten der Mehrsprachigkeit zu berücksichtigen.
Langzeitgedächtnis
Wissen zum Thema
Sprachliches Wissen / Repertoires:
• Wortschatz / Wendungen
• grammatische Strukturen
• kohärenzstiftende Mittel
• sprachliche Prozeduren
• Satzbaupläne
• Schreibkonventionen / Textmuster
• ….
Fokus Langzeitgedächtnis: Beispiele
Wortschatz„Die Flüssigkeit ist dreckig. Unten im Glas hat es so Zeug.“
„Die Flüssigkeit ist trübe. Unten im Glas hat sich Schlamm abgelagert.“
kohärenzstiftende Mittel„zuerst, dann, im Anschluss daran, schliesslich …“ (Chronologie)
„neben, auf, oberhalb, vor dir, auf gleicher Höhe …“ (räumliche Ordnung)
„Wenn du dich umdrehst, siehst du XY vor dir.“ (räumliche Orientierung)
Sprachliche Prozeduren„Nehmen wir einmal an, dass …“ (Hypothesen bilden / formulieren)
„Unter der Voraussetzung, dass …“ (Bedingungen formulieren)
„Immer wenn du X drückst, dann passiert Y.“ (Regelhaftigkeit formulieren)
„Auch wenn viele sagen, dass …“ (Antizipation von Gegenstandpunkten)
„Wir alle wissen eigentlich, dass …“ (Generalisierung eigener Standpunkte)
«Aufgaben mit Profil» -
Was hat das mit dem Fachunterricht zu tun?
Bedingungen, welche gute Schreibaufgaben erfüllen müssen
Aufgrund der empirischen Befundlage müssen Schreibaufgaben folgende Bedingungen erfüllen:
Der zu schreibenden Text muss für die Schüler/innen eine identifizierbare Funktion erfüllen – nur so können sie Entscheidungen über Inhalt, Aufbau und sprachliche Mittel treffen.
Die Schüler/innen müssen Gelegenheit haben, sich das je spezifische Wissen für einen Text und seine Themen anzueignen.
Die Schüler/innen müssen Gelegenheit haben, ihren Text in einem sozialen Kontext zu verfassen.
Die Schüler/innen müssen Gelegenheit haben, die Wirkung ihres Textes auf Leser zu überprüfen.
Schreiben als «Handeln» im Fachunterricht
Schreiben ist Sprachhandeln in sozialer Interaktion.
Schreiben will Absichten umsetzen und Ziele erreichen.
Schreiben ist – gerade im Fachunterricht – Problemlösen mit Hilfe der Sprache. Es hat in solchen Kontexten ganz konkrete Funktionen:
>> Zusammenhänge darstellen, Wirkungen beschreiben
>> Abläufe und Handlungen beschreiben, zum Handeln anleiten
>> Phänomene und Sachverhalte darstellen und erörtern
>> Fragestellungen und Hypothesen formulieren
>> Standpunkte vertreten, argumentieren
>> …
Schreiben als «Instrument und Medium» im Fachunterricht
«Instrument»: fokussiert wird das zielgerichtete sprachliche Handeln und Problemlösen in starker fachlicher Kontextabhängigkeit. Dafür haben sich im Laufe der Zeit konventionalisierte Formen des Problemlösens herausgebildet (z. B.: Beobachtungsprotokolle, Versuchsanleitungen u. Ä. im naturwissenschaftlichen Unterricht).«Writing in the Disciplines» (vgl. z. B. Berkenkotter/Huckin 1995)
«Medium»: fokussiert wird Schreiben als Lernmedium. Schreiben dient – im Sinne von writing to learn – der intensiven fachlichen Auseinandersetzung und Durchdringung von Lerngegenständen Es ist gleichsam ein Raum, in dem gedacht, überlegt, gesucht, gefragt, entwickelt, überprüft, verworfen … wird. «Writing across the Curriculum» (vgl. z. B. Bazerman/Bethel 2005)
Was leistet Schreiben im Fachunterricht?
Schreiben entschleunigt
Schreiben gibt Ideen Raum
Schreiben materialisiert Wissen, Erkenntnisse etc.
Schreiben ermöglicht das Distanznehmen
Schreiben ermöglicht Befragen und Prüfen
Schreiben ermöglicht vertiefte Auseinandersetzung
Schreiben erfordert Explizitheit und Präzision
Schreiben schafft Bewusstheit und Reflexivität
Schreiben legt Spuren zum eigenständigen Lernen
Schreiben im Fachunterricht -
Beispiele aus der Praxis
Beispiele aus dem Fachunterricht I (vgl. Dossier)
„Farben herstellen und Farben mischen“
> Spracharbeit (Wortschatz, Textmuster „Notizen“ und „Instruieren“)
> Einbettung in sinnstiftenden Handlungszusammenhang
> Textwirkungen / Textqualitäten überprüfen
[ Option: Arbeit am Textmuster „Instruieren“] (vgl. „Die Sprachstarken“)
„Ein etwas anderer Materialtest“
> Schreiben entschleunigt
> Schreiben materialisiert Wissen, Erkenntnisse etc.
> Schreiben ermöglicht vertiefte Auseinandersetzung
> Schreiben erfordert Explizitheit und Präzision
Beispiele aus dem Fachunterricht II (vgl. Dossier)
„Vom Text zur Tabelle“> vom Lesen zum Schreiben> vom Fliesstext zum nichtlinearen Text> Informationen gewichten, bündeln und ordnen[Transfer: Chemieunterricht: „Eigenschaften von Stoffen“]
„Anderen Physik erklären“> Schreiben für Leser/innen> Wissen „transformieren“ (knowledge telling > knowledge transforming
> Über fachliche und sprachliche Textqualitäten nachdenken
„Vanilleeis und Pfeffersteak“> Ein Thema – viele Schreibanlässe> Textmuster in attraktiven thematischen Handlungskontexten> Schreiben: Pragmatik und (!) Kreativität (Spiel / Ästhetik)
Danke für die (kritische) Aufmerksamkeit!
Literatur
Bachmann, Th. et alii (2007) Aufgaben mit Profil. Zur frühen Förderung funktional-pragmatischer Schreibfähigkeiten (in Vorbereitung)
Bachmann, Th./Becker-Mrotzek, M. (2009, eingereicht) Schreibaufgaben situieren und profilieren. In: Pohl, Th./Steinhoff, Th. (Hrsg.) Text als Lernformen. Köln. KoeBes
Bazerman, Ch./Bethel, L. (2005) References Guide to Writing across the Corriculum. Parlor Press LLC
Becker-Mrotzek, M. (1997) Schreibentwicklung und Textproduktion. Opladen
Bereiter, C./Scardamalia, M. (1987) The Psychology of Written Composition. Hillsdale
Berkenkotter, C./Huckin, Th. (1995) Genre Knowledge in Disciplinary Communication: Cognition, Culture, Power. Hillsdale:Erlbaum
Ehlich, K/Rehbein, J.(1986) Muster und Institution. Untersuchungen zur schulischen Kommunikation. Tübingen
Feilke, H.(1988) Ordnung und Unordnung in
argumentativen Texten. Zur Entwicklung der
Fähigkeit, Texte zu strukturieren. In: Der
Deutschunterricht 3/1988, S. 65-81
Hayes, J-/Flower, L. (1980) Identifying the
Organization of Writing Processes. In: Gregg,
L.W./Steinberg, E.R. (Hgg.) Cognitive
Processes in Writing. Hillsdale, S. 3-30
Helbig, G. (1990) Entwicklung der
Sprachwissenschaft seit 1970. Opladen
Lehnen, K. (2009) Disziplinenspezifische
Schreibprozesse und ihre Didaktik. In: Lévy-
Tödter, M./Meer,D. (Hrsg.)
Hochschulkommunikation in der Diskussion.
Frankfurt/Main u.s: Peter Lang
Rehbein, Jochen (1977) Komplexes Handeln.
Elemente zur Handlungstheorie der Sprache.
Stuttgart: Metzler
Weinert, F.E. (1992) Wie groß ist der Einfluss
der Schule auf die geistige Entwicklung der
Schüler - wie groß könnte er sein? Sonderreihe
Öffentliche Vorträge 7, S. 5-22