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Reverse-Mentoring: Literatur und
Best-Practice
Deliverable 3
Projekt: Reverse-Mentoring als Möglichkeit zur Dekonstruktion von Gender-Stereotypen in der ITProjekt
Akronym: re-ment
Projektnummer: 5321923
Programm/Ausschreibung: Talente/FEMtech 4. Ausschreibung
Datum: 21. Dezember 2015
AP-Leitung: MOVES- Zentrum für Gender und Diversität
Verfasserin: Sabine Zauchner-Studnicka
Ergänzungen und Feedback: Michaela Gindl, Gerald Stachl, Kathrin Permoser
1
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung __________________________________________________________________ 3
1.1 Das Projekt re-ment _____________________________________________________ 3
1.2 Ziel des Deliverables _____________________________________________________ 4
1.3 Methodische Herangehensweise ___________________________________________ 4
2 Mentoring _________________________________________________________________ 6
2.1 Der Begriff, Abgrenzungen und Definition ____________________________________ 6
2.1.1 Abgrenzungen ________________________________________________________________ 7
2.1.2 Funktionen, Formen, Definitionen ________________________________________________ 8
2.2 E-Mentoring___________________________________________________________ 12
2.3 Best Practice im Mentoring? ______________________________________________ 15
2.4 Theoretischer Hintergrund _______________________________________________ 16
2.4.1 Entwicklungstheorien _________________________________________________________ 16
2.4.2 Lerntheoretische Ansätze ______________________________________________________ 17
2.4.3 Sozialisationstheorien _________________________________________________________ 20
2.5 Bedingungen erfolgreichen Mentorings _____________________________________ 22
2.5.1 Fünf Qualitätsmerkmale von Mentoring __________________________________________ 22
2.5.2 Organisatorische Faktoren und Aspekte der Implementierung ________________________ 24
2.6 Effekte von Mentoring auf Mentees und MentorInnen _________________________ 25
3 Mentoring in der Umsetzung _________________________________________________ 29
3.1 ADA-Lovelace Mentoring ________________________________________________ 30
3.2 mentorING ____________________________________________________________ 31
3.3 WiSER Mentoring ______________________________________________________ 33
3.4 The Blackwater Experience – Mentoring in der Schule__________________________ 34
4 Reverse-Mentoring _________________________________________________________ 38
4.1 Definition _____________________________________________________________ 38
4.2 Reverse-Mentoring in Unternehmen _______________________________________ 39
4.3 Reverse-Mentoring an Schulen ____________________________________________ 43
5 Schlussfolgerungen für re-ment _______________________________________________ 45
5.1 Emipirische Basis _______________________________________________________ 46
2
5.1.1 Theoretisches Konzept ________________________________________________________ 46
5.1.2 Evaluation __________________________________________________________________ 47
5.2 Zielerreichung/Projektorganisation ________________________________________ 47
5.2.1 Anpassung an Problemlage und Kontext __________________________________________ 48
5.2.2 Matching ___________________________________________________________________ 48
5.2.3 Workshops bzw. Coachings_____________________________________________________ 48
5.2.4 Dauer und Häufigkeit der Treffen ________________________________________________ 49
5.2.5 Bewerbung des Programms in den Schulen/Würdigung der Mentorinnen _______________ 49
5.2.6 Guidelines __________________________________________________________________ 49
6 Literatur __________________________________________________________________ 51
3
1 EINLEITUNG
1.1 DAS PROJEKT RE-MENT
Das Projekt re-ment setzt sich zum Ziel, Schülerinnen mittels Reverse-Mentoring für technische und
naturwissenschaftliche Berufe zu interessieren und Rollenbilder bzw. stereotype Vorstellungen
über berufliche Lebensentwürfe zu dekonstruieren.
Das Projekt adressiert die geschlechtsspezifische Segregation im Bereich der Informations- und
Kommunikationstechnologien (IKT) und bietet eine neue ressourcenorientierte Möglichkeit, die
Chancengleichheit von Mädchen in diesem Bereich zu fördern. Dazu wird im Rahmen von re-ment
erstmals in Österreich ein Reverse-Mentoring-Programm an vier Schulen der Sekundarstufe II
entwickelt und umgesetzt.
Reverse-Mentoring wurzelt im klassischen Mentoring, das in der Regel eine Förderbeziehung
zwischen einer erst in Ansätzen etablierten Person und einer bereits erfahrenen Person bezeichnet.
Es meint einen Ansatz, bei dem das übliche Konzept des Mentoring umgekehrt wird: i.d.R. junge
Menschen mit einer hohen Kompetenz in einer bestimmten Thematik werden zu MentorInnen.
Reverse-Mentoring ist international eine erprobte und vielfach angewandte Methode, bisher aber
vor allem aber in Unternehmen als Managementtool und Personalentwicklungsmaßnahme.
Beispiele für Reverse-Mentoring an Schulen gibt es nur vereinzelt und wenn überhaupt dann nur
international. Einigkeit besteht jedoch über das große Potential von Reverse-Mentoring für die
innovative Weiterentwicklung von Bildungssettings.
Gerade für die Informations- und Kommunikationstechnologien erscheint ein derartiger Ansatz
sehr vielversprechend, wenn das Computer-Nutzungsverhalten von Jugendlichen und auch die
deutlichen Alterseffekte im Hinblick auf IT-Kompetenzen berücksichtigt werden. So zeigt die
österreichische Auswertung der PIAAC-Studie (Programme for the International Assessment of
Adult Competencies), dass der Prozentsatz von älteren Menschen in den niedrigeren
Kompetenzstufen deutlich höher ist als der von jüngeren Personen.
Der Ansatz des Reverse-Mentorings bietet eine ganz neue Perspektive in der Chancengleichheit von
Mädchen in der Technik. Wir stellen mit dem Reverse-Mentoring-Ansatz nicht die (vermeintlichen)
Defizite von Mädchen und jungen Frauen in das Zentrum unserer Forschungsarbeit, sondern ihre
zweifellos vorhandenen Kompetenzen. Mädchen werden zu Mentorinnen für ihre LehrerInnen oder
Eltern. So trägt das Projekt nicht nur auf individuellen Ebenen zur Erhöhung von IKT-Kompetenzen
bei, sondern bietet auch Ansatzpunkte zur Dekonstruktion von Gender-Stereotypen in der Technik.
4
Im Rahmen von re-ment werden an vier Schulen der Sekundarstufe II Reverse-Mentoring-
Programme entwickelt und gemeinsam mit Mädchen bzw. jungen Frauen im Alter von 16 bis 17
Jahren durchgeführt werden. Dabei fungieren Schülerinnen als Mentorinnen für LehrerInnen bzw.
Eltern. Auf diese Rolle werden sie durch individuelle Coachings vorbereitet und während der
Durchführung auch kontinuierlich begleitet.
Die Ergebnisse der begleitenden qualitativen und quantitativen Evaluation des Programms bilden
die Basis für die Entwicklung eines kostenfreien Weiterbildungsangebotes für Institutionen der
LehrerInnenbildung, das eine erste Implementierung an der PH Niederösterreich erfahren wird.
Dieses Angebot beinhaltet ein Präsenzseminar, das auch als Online-Variante angeboten wird und
ein Modul für die modulare Oberstufe, die im Jahr 2017 im österreichischen Schulsystem eingeführt
wird.
1.2 ZIEL DES DELIVERABLES
Ziel von Deliverable 3 ist die systematische Aufarbeitung der vorhandenen Literatur zum Thema
Reverse-Mentoring sowie das Aufzeigen von Best-Practice-Beispielen zu Reverse-Mentoring im
schulischen Bereich. Deliverable 3 stellt die Basis für das Reverse-Mentoring-Konzept (Deliverable
4) dar, das ab September 2016 im Rahmen von re-ment eingesetzt werden soll, indem es die
vorhandene, relevante Literatur zum Thema Mentoring und Reverse-Mentoring aufarbeitet und für
das re-ment Konzept nutzbar macht.
Darüber hinaus soll Deliverable 3 Eckpunkte für die Evaluierung, die laufend zur konkreten
Durchführung des Projektes an den vier Partnerschulen durchgeführt werden wird, liefern.
1.3 METHODISCHE HERANGEHENSWEISE
Es wurde eine online Recherche mittels PubPsych (http://www.pubpsych.de/) durchgeführt. Über
diese Plattform können die für das Projekt re-ment relevanten Datenbanken abgefragt werden, i.e.
die psychologische Datenbank Psyndex, die pädagogische Datenbak ERIC sowie die medizinische
Datenbank Medline.
Als Suchbegriffe wurden „Mentoring“ und „Reverse Mentoring“ mit dem Zusatz „in Schulen“
eingesetzt. Für den Suchbegriff „Reverse Mentoring“ wurde in diesen wissenschaftlichen
Abstractdatenbanken keine Entsprechung gefunden. Daher wurde auch auf Scholar Google als
Recherchetool zurückgegriffen. Hier gibt es einige Entsprechungen zum Suchbegriff, die – sofern es
sich nicht um Veröffentlichungen in Fachzeitschriften mit Review Verfahren handelte – auf Basis
der Anzahl Ihrer Zitationen ausgewählt wurden.
Außerdem wurde der Österreichische Bibliothekenverbund (ÖBV) für die Recherche von
Fachbüchern bzw. die Regensburger Zeitschriftendatenbank für die Fachzeitschriftensuche genutzt.
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Sowohl das seit dem Jahr 2003 bestehende „International Journal of Evidence Based Coaching and
Mentoring“ als auch das seit 2012 bestehende „International Journal for Mentoring and Coaching
in Education“ wurden auf diesem Weg gefunden und jeweils vollständig auf für re-ment relevante
Inhalte durchsucht. Teilweise waren die Artikel als open access verfügbar, mehrere Publikationen
wurden über den Dokumentenlieferdienst Subito bestellt.
In Summe ist festzuhalten, dass der Suchbegriff Mentoring zu einer Vielzahl von Publikationen
führt, dass allerdings der Begriff Reverse-Mentoring speziell in den klassischen
geisteswissenschaftlichen Fachdatenbanken nur sehr eingeschränkt zu Resultaten führt.
Nachdem sich Reverse-Mentoring stark auf das klassische Mentoring bezieht, wird in der Folge der
Forschungsstand zu diesem Thema in einem ersten Schritt aufgearbeitet. Dabei wird Bezug
genommen auf Definitionen, Best Practice, den theoretischen Hintergrund, Erfolgsfaktoren und
Effekte von Mentoring auf Mentees und MentorInnen. Ein weiteres Kapitel beschäftigt sich mit für
re-ment relevanten, ausgewählten Projektbeispielen von Mentoring allgemein im schulischen- und
im MINT (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik)-Bereich. Schließlich erfolgt
eine Aufarbeitung der verfügbaren Reverse-Mentoring-Literatur. Abschließend werden
Schlussfolgerungen für die Entwicklung des Reverse-Mentoring-Programms von re-ment
aufgestellt.
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2 MENTORING
Reverse-Mentoring hat seine Wurzeln im „klassischen“ Mentoring und dessen
Weiterentwicklungen, die sich stark in Richtung reziproker Ansätze bewegen und es wird als eine
Sonderform von Mentoring angesehen. Daher soll in der Folge vorerst grundlegend auf das Konzept
des Mentoring, seine Hintergründe und Auswirkungen eingegangen werden und der Versuch
unternommen werden, eine Definition für das Konzept abzuleiten.
2.1 DER BEGRIFF, ABGRENZUNGEN UND DEFINITION
Der Begriff Mentoring geht auf die Antike zurück und hat seinen Ursprung in der Odyssee. Er bezieht
sich darauf, dass Odysseus, als er in den Krieg gegen Troja zog, seinen Sohn Telemach in die Obhut
seines Freundes Mentor gab und ihn bat, sich um Telemachs Erziehung zu kümmern. Mentor war
mehr als ein Erzieher – er war ein Beschützer, kluger Berater und väterlicher Freund. Eine
Besonderheit ergibt sich dadurch, dass Pallas Athene – die Göttin der Weisheit – immer wieder die
Rolle von Mentor annahm (Sander, Ebach, & Endepohls-Ulpe, 2010; Ziegler, 2009). Dieser Mythos
fand im 17. Jahrhundert über den französischen Schriftsteller Francois de Saglinac de La Mothe
Fénelon Eingang in die Literatur und der Begriff „Mentoring“ ging bald in den französischen und
englischen Sprachgebrauch über. Albert Ziegler (2009) beschreibt zur Erläuterung historische
Persönlichkeiten, die in einem derartigen Mentor/Mentee1 Verhältnis zueinander standen, wie
Aristoteles mit Alexander dem Großen oder auch aktuelle (Film)Kombinationen wie Obi Wan
Kenobi und Anakin Skywalker und später dessen Sohn Luke.
Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Mentoring-Konzepten begann in den achtziger
Jahren des letzten Jahrhunderts. Hier ist insbesondere die US-Amerikanische
Wirtschaftsprofessorin Kathy Kram (1983) zu erwähnen, deren Artikel „Phases of mentor
relationship“ aktuell immer noch zu den am häufigsten zitierten Publikationen zählt (Ziegler, 2009;
S. 12). So ergeben die in diesem Kontext relevanten Datenbanken ERIC, Psyndex und Medline in
den Jahren 1980 bis 1989 insgesamt 39 vorwiegend englische Einträge für den Suchbegriff
„Mentoring“. Die neunziger Jahre (1990-1999) bringen bereits 107 Artikel in Englisch und 17 in
Deutsch. Mit 275 Artikeln (drei Viertel davon in Englisch) verdoppelt sich die Publikationsleistung
unter diesem Suchbegriff im ersten Jahrzehnt dieses Jahrtausends (2000-2009). Seit 2010 bis zum
Zeitpunkt der Literaturrecherche für diesen Bericht im Oktober 2015 sind bereits 281 Artikel (66 in
1 Im englischen Sprachraum deckt sich die Begrifflichkeit für MentorInnen (mentors), allerdings wird für den im Deutschen verwendeten Begriff der/des Mentees durchgehend die Bezeichnung protégé verwendet.
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Deutsch) zu Mentoring veröffentlicht worden, was annähernd wieder einer Verdoppelung
gleichkommt und ein deutliches Zeichen dafür ist, dass das Thema weiterhin viel Zuspruch erhält.
So unterschiedlich wie die Anwendungskontexte und Durchführungskonzepte von Mentoring sind,
so wenig einheitlich ist die Vielzahl von Definitionen für diesen Begriff. Für das vorliegende Kapitel
wird vorerst eine allgemeine Beschreibung gewählt, die diese Aktivität im Wesentlichen
kennzeichnet:
„Mentoring bezeichnet einen individuellen Lernprozess, in dem eine erfahrene Person
(MentorIn) eine weniger erfahrene Person (Mentee) über einen längeren Zeitraum in ´Vier-
Augen-Gesprächen´ berät.“ (Schmid & Haasen, 2011; S. 14).
Dabei ist die Häufigkeit der Begegnungen variabel, thematisch liegen Lösungen für berufliche
und/oder persönliche Themen, die der Entwicklung des/der Mentee dienen, im Fokus.
2.1.1 Abgrenzungen
Bereits diese Definition ermöglicht eine Abgrenzung vom Begriff des Trainings bei dem – in seiner
klassischen Form – die Wissensvermittlung in der Gruppe im Vordergrund steht. Der/die TrainerIn
verfügt über eine spezifische Fachkenntnis, die im Rahmen des Trainings an die Teilnehmenden
weitergegeben werden soll. Wie beim Mentoring in seiner klassischen Form, existiert hier eine klare
hierarchische Rollenverteilung.
Bei der Supervision handelt es sich um eine Beratungsform, die berufliche Zusammenhänge
thematisiert (Schreyögg, 1992) und sich mit allen Themen rund um das Berufs- und Arbeitsleben
auseinandersetzt (Abdul-Hussain, 2012, S. 50). Eine hierarchische Rollenverteilung gibt es auch in
der Supervision, das Argument der Gruppe aber kann auch hierher übertragen werden. Die
Charakteristik der Supervision in Form einer spezifischen Fach- und Feldkompetenz, die im Rahmen
spezieller Ausbildungen erworben wird, und ihr primäres Vorkommen im Sozialbereich macht diese
außerdem vom Mentoring abgrenzbar.
Eine Ähnlichkeit bzw. ein fließender Übergang zum Coaching, speziell zum Business Coaching, ist
allerdings deutlich gegeben. Denn auch das Coaching – sofern es nicht in Richtung einer Lebens-
und Sozialberatung gedacht wird – richtet sich an Berufstätige, die berufliche Fragen bearbeiten
wollen, neue Handlungsmöglichkeiten entwickeln oder Werte und Einstellungen hinterfragen
möchten (Schmid & Haasen, 2011, S.17). Ein sehr wesentlicher Faktor der Abgrenzung des
klassischen Mentorings2 vom Coaching besteht jedoch darin, dass im systemisch-
konstruktivistischen Coaching nicht von einem hierarchischen Verhältnis zwischen Coach und
Coachee ausgegangen wird (vgl. auch Rotering-Steinberg, 2009). Der Coachingsprozess bezeichnet
hingegen ein Gespräch zwischen ExpertInnen, das dazu dient, Lösungen für berufliche Anliegen zu
entwickeln. Die Expertise für ihr Leben und ihre Lösungen wird den Coachees zugeschrieben,
der/die Coach unterstützt und begleitet dabei, Lösungen zu erarbeiten, indem sie/er die
2 In der Folge werden wir noch sehen, dass neuere Mentoring-Konzepte sich deutlich stärker an der Gegenseitigkeit/Reziprozität der Mentoring Beziehung zwischen Mentorin und Mentee orientieren.
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Prozesssteuerung übernimmt (z.B. Hargens, 2011; Hargens & Grau, 1990; Simon & Rech-Simon,
2012; Tomaschek, 2009) und eine breite Palette an unterschiedlichen Methoden und
Fragetechniken einsetzt (z.B. Rauen, 2004; Ryba, Pauw, Ginati, & Rietmann, 2014). In der Regel
werden Coachings mit ein bis fünf Treffen in einem kürzeren Zeitrahmen angesetzt. Mentoring-
Beziehungen umfassen deutlich längere Zeitspannen. Im Mentoring werden persönliche
Beziehungen aufgebaut, die in der Folge auch der Netzwerkbildung dienen können – das ist im
Coaching nicht der Fall: Coaches berücksichtigen die persönliche Hoheitsgrenze zum/zur Coachee
und überschreiten diese nur in prozessbedingten Ausnahmefällen, wie beispielsweise zum
Normalisieren („Andere erleben das auch so“) oder um Komplimente zu machen.
2.1.2 Funktionen, Formen, Definitionen
Abgrenzungen alleine verhelfen noch nicht zu einer definitorischen Bestimmung eines Begriffs,
dafür ist es erforderlich, den in den Forschungsarbeiten eingesetzten Begriffen nachzugehen.
Das haben Dana L. Haggard, Thomas W. Dougherty, Daniel P. Turban und James E. Wilbanks (2011)
gemacht, indem sie 124 Studien zu Mentoring von den neunzehnachtziger Jahren bis 2009 im
Hinblick auf die eingesetzten Definitionen analysiert haben. Sie stellten fest, dass sich die
Definitionen nicht chronologisch veränderten, sondern, dass es die einzelnen WissenschaftlerInnen
waren, die in ihren Projekten detailliertere oder weniger detaillierte Definitionen einsetzten und
dass sich diese Definitionen darüber hinaus auf teilweise ganz unterschiedliche Aspekte von
Mentoring konzentrierten. Diese Unterschiedlichkeit stellt sich zum Beispiel in der folgenden Weise
dar:
„Someone, other than your manager or immediate coworkers, who provides you with technical
career advice, coaching, or information on an informal basis.“ (Seibert, 1999; zit nach Haggard
et al., 2011; S. 285).
oder
“Mentoring is described as a one to one relationship between a more experienced and senior
person (Mentor) and a new entrant or less experienced person (his/her protégé) in the
organizational setup. The mentor need not to be the supervisor or department head and not
necessarily from the same department. A mentor can generally be defined as an influential
individual in your work environment who has advanced work experience and knowledge and
who is committed to providing upward mobility and support to your career.” (Scandura &
Williams, 2001; zit. nach Haggard et al., 2011; S. 285).
und
„Mentoring is a process for the informal transmission of knowledge, social capital and
psychosocial support perceived by the recipient as relevant to work, career or professional
development; mentoring entails informal communication, usually face-to-face and during a
sustained period of time, between a person who is perceived to have greater relevant
knowledge, wisdom or experience (the mentor) and a person who is perceived to have less (the
protégé).”(Bozeman & Feeney, 2007; S. 731)
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Relevant für Mentoring-Definitionen ist also auch, inwieweit die wesentlichen Funktionen von
Mentorings darin aufgenommen werden. Diese lassen sich nach Kathy Kram (1983; S. 614) bezogen
auf den Unternehmenskontext generell zwei Kategorien zuordnen, und zwar karriererelevanten
Funktionen und psychosozialen Funktionen. Erstere umfassen die Bereiche „Sponsoring“, Publicity
(„Exposure and Visibility“), Coaching, Beschützen und herausfordernde Vereinbarungen zu stellen.
Sponsoring bedeutet, konkrete Aktivitäten für die Mentees zu setzen und/oder ihnen eigene
Ressourcen zur Verfügung zu stellen, die förderlich für ihren Karriereverlauf sind (z.B. Treffen mit
der Geschäftsführung, Mitnahme auf Konferenzen, Kontakte mit EntscheidungsträgerInnen
herstellen)3. Unter den psychosozialen Faktoren ist die Funktion als Role-Model, und darüber
hinaus Bestätigung, Beratung und Freundschaft zu verstehen.
Aber es sind auch Bedingungen relevant, wie die hierarchische Position des/der MentorIn innerhalb
der Organisation, ob es sich um ein ChefIn/MitarbeiterIn-Verhältnis oder ob es sich um eine
informelle oder formelle Beziehung zwischen dem/der MentorIn und der/dem Mentee handelt
(Haggard et al., 2011). Diese Begriffe weisen bereits auf die jeweilige Form des Mentoring hin:
Informelles Mentoring wird entweder von der/dem Mentee initiiert oder aber auch von den
MentorInnen in die Wege geleitet, es beruht alleine auf Vereinbarungen zwischen den beiden.
Formelle Mentoringangebote werden von Organisationen, Netzwerken (vgl. Kapitel 2.4.3) oder
Unternehmen angeboten. Dabei kann es sich wiederum um internes oder externes Mentoring
handeln. Bei internen Mentoringangeboten kommen Mentee und MentorInnen aus derselben
Organisation, befinden sich jedoch nicht in einer direkten Arbeitsbeziehung. Häufig befindet sich
der/die MentorIn in höheren Hierarchiestufen und kennt die „Spielregeln“ der Organisation besser
als der/die Mentee. Beim externen Mentoring kommt der/die MentorIn aus einer anderen
Organisation. Vorteilhaft ist dabei, dass unmittelbare hierarchische Unterschiede hier wegfallen,
dadurch unter Umständen schneller Vertrauen aufgebaut werden kann und dass neue
Vorgehensweisen aus anderen Unternehmen kennengelernt werden können. Auch erhöht sich die
Auswahlmöglichkeit für MentorInnen, sodass auch kleinere Unternehmen ein derartiges Programm
anbieten können.
„Cross Mentoring“ ist hier als eine Sonderform des externen Mentorings zu verstehen, bei der
mehrere Unternehmen gemeinsam ein Mentoring-Programm entwickeln und Mentees des einen
Unternehmens mit MentorInnen aus den jeweils anderen Unternehmen zusammenarbeiten
können (Schmid und Haasen, 2011). Peer-Mentoring wiederum steht für eine reziproke Beziehung
zwischen Individuen mit ähnlichen Charakteristika, Attributen oder Umständen (häufig
Studierende), wobei der/die MentorIn in einem bestimmten Bereich mehr Erfahrung als der/die
Mentee aufweist. Das reziproke Verhältnis bedeutet, dass in einem Peer Mentoring-Prozess sowohl
3 In dieser Sichtweise der Funktionen von Mentoring wird Sponsoring als ein zentrales Element von Mentoring angesehen. Allerdings existieren aktuell auch Konzepte, die Sponsoring als ein distinktes Angebot ansehen – Mentoring wird hier als Begleitung zum nächsten Karriereschritt angesehen, während Sponsoring als das Instrument der eigentlichen Karriereförderung im Sinne der Vermittlung von Aufstiegsmöglichkeiten über die relevanten Netzwerke betrachtet wird (Cao & Yang, 2013). Aktuell wird Sponsoring speziell im Kontext von Frauenförderungsprogrammen aktiv diskutiert.
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für MentorIn als auch Mentee durch die Möglichkeit des Wachstums und der persönlichen
Weiterentwicklung gegeben ist (Gillman & Kleist, 2007).
Einen interessanten Aspekt bringt Lesley Scanlon (2009) ein, indem sie sich mit Typologien von
MentorInnen beschäftigt. Sie bezieht sich auf ein Gruppen-Mentoring Programm an einer Fakultät
für Bildung und Soziale Arbeit, dessen Ziel es war, den erstsemestrigen Studierenden den Umstieg
an die Fakultät leichter zu machen. Die Rolle der MentorInnen wurde von höhersemestrigen
StudentInnen eingenommen, die im Rahmen des Programms erste Lehrerfahrungen sammeln
konnten. Das Gruppenmentoring (ein/e MentorIn betreut mehrere Mentees) bestand aus
wöchentlichen Workshops, die von StudentInnen im dritten oder vierten Studienjahr über einen
Zeitraum von acht Wochen beginnend mit dem neuen Studienjahr durchgeführt wurden. Das Ziel
war, den Studierenden erste akademische Kompetenzen zu vermitteln (Präsentationstechniken,
wissenschaftliche Recherche, Nutzung von Datenbanken für die Recherche) und ihnen im
Gruppenrahmen Möglichkeiten zum Netzwerken anzubieten. Die Workshops waren von reflexiver
Praxis geleitet, das heißt, dass der Übergang der StudienanfängerInnen an die Universität von
Reflexionen ihrer früheren Lernerfahrungen wie auch der Lernerfahrungen anderer (Generationen)
oder der Darstellung von Lernen in den Medien bzw. der populären Kultur begleitet war. Die
MentorInnen wiederum führten Reflexionstagebücher über ihre Mentoringerfahrungen.
In dieser Reflexionsarbeit wurden die MentorInnen angehalten, Metaphern für ihr Tun
beziehungsweise ihre Rolle zu finden: Diese waren der/die NavigatorIn, der/die Weise, der/die
LehrerIn und der/die FreundIn. Die Metapher des/der NavigatorIn nimmt die historische
Entstehungsgeschichte auf, in der sich Telemach mit Mentor auf eine Reise begibt nicht nur seinen
Vater zu finden, sondern auch auf eine Reise in die Selbsterkenntnis. Auch die spanische
Übersetzung von Mentor „orientar“ weist auf die lenkende Funktion von MentorInnen hin. Auch
die Metapher der/des Weisen findet ihre Entsprechung in der Mythologie, nachdem Pallas Athene,
die Göttin der Weisheit, immer wieder die Rolle von Mentor angenommen hat. Die Metapher
entspricht auch gängigen Sichtweisen von Mentoring, das eine erfahrende Person mit einer weniger
erfahrenden Person zusammenbringt. MentorInnen als LehrerInnen anzusehen stellt eine weitere
Version dar und unterstützt Ansichten, die davon ausgehen, dass jede Form des Lehrens auch
Elemente von Mentoring beinhalten sollte (Yamamoto, Kaoru, 1988; zit. nach Scanlon 2009; S. 77).
Die Vorstellung von MentorInnen als FreudInnen unterstützt (neuere) Modelle, die von einem
reziproken, von gegenseitigem Respekt geprägten Verhältnis im Mentoring ausgehen.
All diese oben dargestellten einzelnen, unterschiedlichen Aspekte lassen es augenscheinlich sehr
schwierig erscheinen, eine einzige einheitliche Definition von Mentoring zu entwickeln. Es kann
nach Haggard et al. (2011, S. 292-294) aber zumindest der Versuch unternommen werden, sich in
der Wissenschaftscommunity auf die fundamentalen Charakteristika von Mentoring-Beziehungen
zu einigen. Dafür schlagen sie nach einer Sichtung und Analyse der in 124 Studien genutzten
Mentoringdefinitionen die folgenden Elemente vor:
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1) Gegenseitigkeit: Mentoring erfordert eine gegenseitige soziale Beziehung, die einseitige
Verhältnisse ausschließt. Diese Beziehung kann unterschiedliche Formen annehmen, wie
beispielsweise formell/informell, Peer-Mentoring oder interne/externe MentorInnen.
2) Einen entwicklungsmäßigen Gewinn für die Arbeit oder die Karriere des/der Mentee, in
neueren Mentoringkonzepten häufig aber auch einen Gewinn für den/die MentorIn über
die Reziprozität einer „Lernpartnerschaft“ (Zachary, 2012; zit nach Searby, 2014, S. 256).
Eine Lernpartnerschaft bedeutet, dass der/die MentorIn Wissen und Erfahrung und der/die
Mentee neue Ideen in die Mentoringbeziehung einbringt.
3) Eine reguläre/konsistente Beziehung über einen gewissen Zeitraum, der häufig über die
Dauer von Beziehungen in Coachings oder Beratungen hinausgeht.
Interessant ist, dass Albert Ziegler (2009) in seiner Beschreibung eines Mentorings im Unterschied
zu Punkt 1 von einer dyadischen, hierarchischen Beziehung zwischen MentorIn und Mentee
ausgeht. Das kann damit zu tun zu haben, dass er sich stärker auf frühere Mentoringprojekte oder
Projekte aus dem US-Amerikanischen Raum bezieht. Denn Europäischen Mentoring-Ansätzen wird
eher eine nicht-direktive Basis nachgesagt (Brondyk & Searby, 2013). Es kann aber auch damit zu
tun haben, dass er sich stärker auf entwicklungstheoretische Ansätze des Mentoring bezieht (vgl.
Theoretischer Hintergrund; Kap. 2.4).
Der Autor sieht jedoch auch keine Möglichkeit einer einheitlichen Definition, zumal sich neben dem
dyadischen Mentoring, Formen des Team- und Netzwerkmentoring (vgl. Kapitel 2.4.3) etabliert
haben. Auch kaskadisches Mentoring, bei dem beispielsweise eine Professorin Studierende betreut,
die wiederum als Peer-MentorInnen für StudienanfängerInnen fungieren, oder sequentielles
Mentoring, bei dem eine/e Mentee nacheinander unterschiedliche MentorInnen erhält. Schließlich
müssen auch Unterschiede im Formalisierungsgrad oder Mentoringbeziehungen berücksichtigt
werden, die E-Mentoring nutzen (vgl. Kapitel 2.2).
So behilft sich Albert Ziegler (2011) mit der Beschreibung eines Idealtypus von Mentoring, der – wie
er ausführt – keineswegs eine ideale Mentoringdefinition darstellen kann, sondern den Begriffskern
eines typischen Mentoring umfassen soll. Mit Ausnahme der Gegenseitigkeit/Reziprozität, die
schließlich auch für den Lerngewinn von MentorInnen im Rahmen von Mentoring-Konzepten steht,
stellt sich dieser ähnlich wie bei Haggard et al. (2009; vgl. oben) so dar:
„Mentoring ist eine zeitlich relativ stabile dyadische Beziehung zwischen einem/einer
erfahrenden MentorIn und seinem/r/ihrem/r weniger erfahrenen Mentee. Sie ist durch
gegenseitiges Vertrauen und Wohlwollen geprägt, ihr Ziel ist die Förderung des Lernens und
der Entwicklung sowie das Vorankommen des/der Mentees.“ (Ziegler, 2009, S. 11)
Diese Definition wird als Arbeitsdefinition, als erster Ausgangspunkt, für den weiteren Bericht
genutzt und im Zuge der weiteren Erstellung des Deliverables erweitert bzw. an die Bedürfnisse des
re-ment-Projektes angepasst werden.
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2.2 E-MENTORING
Re-ment fokussiert inhaltlich auf Informations- und Kommunikationstechnologien, so ist es
wahrscheinlich, dass die re-ment Mentorinnen mit ihren Mentees über E-Mail und soziale Medien
in Kontakt treten, oder gegebenenfalls auch hre Mentoring-Stunden über Skype oder andere
Dienste wie Adobe Connect abhalten. Es kann auch durchaus sein, dass die Kommunikation über
digitale Medien einen inhaltlichen Baustein im Mentoring ausmacht, der von den Mentorinnen
angeboten und von den Mentees nachgefragt ist. Es soll daher in der Folge gesondert auf
Strukturen, neue Möglichkeiten und gleichzeitig Herausforderungen durch derartige Angebote
eingegangen werden.
E-Mentoring hat fast noch eine längere Geschichte als Mentoring an sich, denn es wurde in einer
informellen Form bereits Ende der 70er Jahre des vorigen Jahrtausends über das ARPA-Net unter
WissenschaftlerInnen durchgeführt, ist somit in seiner (Vor)Urform wiederum dem US-
Amerikanischen Raum zuzuordnen. Die allgemeine Verfügbarkeit des Internet und
nutzungsfreundliche Browser haben in der Folge zu einer breiten Nutzung von E-Mentoring geführt.
In der Literatur wird das „Electronic Emissary Project“ als das erste große E-Mentoring-Projekt
gehandelt, das es SchülerInnen ermöglichte, gemeinsam mit nicht anwesenden ExpertInnen
fachliche Inhalte zu bearbeiten (Stöger, 2009). Nach Heidrun Stöger (2009; S. 229) wird E-Mentoring
„[…]als eine spezielle Form des Mentoring bezeichnet, bei der die Kommunikation zumindest
teilweise elektronisch erfolgt.“
Typologisierungen von E-Mentoring lassen sich über das Ausmaß der digitalen Interaktion von
völliger Technologieunterstützung bis hin zur Supplementierung von Face-To-Face Mentoring durch
elektronische Kommunikation entwickeln. Stöger (2009) beschreibt die in der Literatur am
häufigsten eingesetzte Kategorisierung: Dabei werden – in Abhängigkeit vom Online-
Kommunikationsanteil – Programme mit ausschließlich computervermittelter Kommunikation,
Programme mit vorrangig computervermittelter Kommunikation, Programme mit
computervermittelter Kommunikation als Ergänzung zur Face-to-Face-Kommunikation und
Programme mit ausschließlicher Face-to-Face-Kommunikation unterschieden. Die Form der
Kommunikation kann sowohl synchron als auch asynchron gestaltet sein und vergleichbar mit
traditionellem Mentoring besteht je nach Technologieeinsatz die Möglichkeit eines 1:1 Mentoring
oder auch die Möglichkeit von Team- oder Gruppenmentorings oder Entwicklungsnetzwerken bzw.
von weiteren Mentoringformen, die im Kapitel 2.1.2 beschrieben wurden.
Aaron Butler, Rodney S. Whiteman und Gary S. Crow (2013) setzen sich im Kontext von
Bildungssettings damit auseinander, wie Technologie ins Mentoring integriert werden kann und
welche Vor- und Nachteile sich ergeben können. Die Autoren beziehen sich in ihren Ausführungen
ausschließlich auf asynchrone Konzepte. Die Vorteile, die sie nennen, unterscheiden sich vorab
nicht von Vorteilen, die ohnehin aus anderen Kontexten wie beispielsweise der E-Learning-
Forschung bestens bekannt sind (z.B. Arnold, Kilian, Thillosen, & Zimmer, 2013), nämlich die
zeitliche oder örtliche Flexibilität; Lange Anfahrtszeiten entfallen, zeitliche Abstimmungen mit
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beruflich geforderten MentorInnen fallen leichter. Als weitere Vorteile von asynchronen E-
Mentoring-Konzepten geben die AutorInnen an, dass es Personen mit eingeschränkter zeitlicher
Verfügbarkeit entgegenkommt und dass es unter Umständen positiv ist, mehr Zeit für das
Ausformulieren der Antworten auf anspruchsvolle Fragen von Mentees zu haben als in der direkten
Kommunikation. Speziell auf Mentoring bezogen, gehen die Autoren davon aus, dass wenn sich der
örtliche Radius durch die Technologie erweitert, auch eine größere Anzahl/Vielfalt an Personen als
MentorIn Frage kommt und sich dadurch auch die Vielfalt in Entwicklungsnetzwerken der Mentees
(vgl. Higgins und Kram, 2001 und Kapitel 2.4.3) erhöhen kann. Es kann auch sein, dass es für
bestimmte außergewöhnliche Fachgebiete leichter ist, geeignete MentorInnen zu finden, nachdem
die Suche praktisch weltweit erfolgen kann. Die Autoren gehen von einer „transformational
perspective on mentoring“ (ebd., S. 238) aus, die auf konstruktivistischen Vorstellungen von Lernen
basiert (vgl. Kapitel 2.4.2) und sprechen davon, dass sich der Technologieeinsatz hier besonders
lohnen würde. Zusätzlicher Nutzen kann für Mentees in diesem Kontext durch den Austausch mit
Peers oder anderen MentorInnen entstehen. Darüber hinaus spricht auch die organisatorische
Möglichkeit, über die Technologie den gesamten Mentoring-Prozess im Detail nachvollziehen zu
können, für E-Mentoring. Schließlich nivellieren sich in asynchronen Settings soziale Unterschiede,
da durch das Fehlen visueller und auditiver Anhaltspunkte weniger Hinweise auf den Status
gegeben sind, was wiederum für höhere Reziprozität in der Mentoringbeziehung steht.
Gerade Letzteres hat jedoch auch eine andere Seite, denn es kann auch einen Nachteil für die
Beziehung bedeuten, wenn alles non-verbale Verhalten aus der Kommunikation ausgeklammert
bleibt. Dass non-verbale Hinweise allerdings größten Informationswert besitzen, steht außer Frage.
Technische Probleme können auch bei der besten Vorbereitung und Absicherung nie vollständig
ausgeschlossen werden, was im Vergleich zu Face-to-Face Konzepten nachteilig ist. Es ist auch zu
berücksichtigen, dass sich Beziehungen zwischen MentorInnen und Mentees in Programmen, die
vorwiegend oder ausschließlich mit E-Mentoring arbeiten, schlechter oder langsamer entwickeln
(Butler et al., 2013). Stöger (2009) ergänzt in ihrer Analyse der negativen Aspekte von E-Mentoring,
dass speziell textvermittelte Kommunikation eine hohes schriftliches Sprachvermögen erfordert,
dass das Thema Datenschutz eine hohe Aufmerksamkeit benötigt und durch die Anschaffung der
Technologie, Administration und Support die Kosten für das Programm stark steigen.
Festgehalten werden kann auch, dass E-Mentoring Angebote neue Herausforderungen für
MentorInnen und Mentees im Hinblick auf deren technische Kompetenzen bedeuten, was im
Rahmen eines Mentoring-Projekts Niederschlag in den Schulungen finden muss (vgl. auch Williams,
Sunderman & Kim, 2012).
Nach Ansicht der Autorin des vorliegenden Berichts schöpfen Butler et al. (2013) mit der alleinigen
Fokussierung auf asynchrone Medien nicht das gesamte Potential neuer Technologien bzw. neuer
Medien aus. Synchrone Medien würden sich beispielsweise gut eignen, rasch auf ein bestimmtes
Ereignis reagieren zu können, indem Fachexpertise in einem Netzwerk von MentorInnen oder Peers
nachgefragt wird und eine synchrone, (videounterstütze) Mentoringstunde macht das
Kennenlernen leichter im Vergleich zur E-Mail- oder Forendiskussion, denn eine synchrone
14
Kommunikation – insbesondere wenn sie videounterstützt ist – kommt einer Face-to-Face
Kommunikation sehr nahe.
Wesentlich ist bei der Gestaltung von E-Mentoring Angeboten, sich den eigenen theoretischen
Ausgangspunkt vor Augen zu halten. In der Theorie der sozialen Konstruktion von Technologie wird
davon ausgegangen, dass vereinfacht gesagt, jede Technologie immer die gesellschaftlichen
Verhältnisse abbildet, in denen sie entwickelt wird (Pinch, & Bijker, 1984). So sind auch die
spezifischen Funktionen von Technologien, die für Prozesse wie Mentoring eingesetzt werden,
dadurch geprägt, auf welchen theoretischen Annahmen sie beruhen – diese Vorannahmen werden
in die Technologie sozusagen „eingeschrieben“, was im Übrigen auch für Genderaspekte in der
Konstruktion von Technologie gilt (Zauchner-Studnicka, 2013a). Das heißt, wenn der
lerntheoretische Hintergrund für den Einsatz von Technologie im Mentoring auf behavioristischen
Vorannahmen beruht, wird ein Apprenticeship-Modell abgebildet werden. Dafür kann es schon
reichen, Aufgaben per E-Mail zu vergeben und anschließend deren Richtigkeit zu bewerten. Wenn
der Hintergrund konstruktivistische Formen des Lernens umfasst, ist vorstellbar, dass ein
Entwicklungsnetzwerk nach Higgins und Kram (2001) abgebildet wird. Dann wäre die
technologische Unterstützung beispielsweise durch ein soziales Netzwerk oder über eine
Community of Practice gegeben.
Ein Beispiel für ein E-Mentoring-Konzept im Bildungsbereich, bei dem der Prozess ausschließlich
online durchgeführt wird, beschreiben die Autorinnen Sandra Williams und Justin Kim (2011) im
Rahmen eines Online Master Kurses an einer US-amerikanischen Universität. Das Ziel des
Mentoring bestand darin, Studierende bei einem Projekt in der Endphase ihres Studiums durch
externe MentorInnen begleiten zu lassen. Die Aufgabe der Mentees war, in einem Unternehmen
ein Projekt durchzuführen, in dem sie ihre erworbenen Kenntnisse einsetzen können. An
technischen Möglichkeiten wurden in diesem Projekt sowohl synchrone als auch asynchrone Tools
eingesetzt: E-Mail, Eluminate (ein Web-Conferencing-Tool), Skype und Moodle, ein
Lernmanagementsystem. Ebenso wurden schlicht Telefonate geführt.
Williams und Kim beschreiben das E-Mentoring-Schema für dieses Projekt anhand der folgenden
Elemente:
Die Struktur des Programms beschreibt die Dauer sowie in diesem Fall den formalen und
hierarchischen Charakter.
Die Lernziele für die Studierenden, die durch das Mentoring-Programm erreicht werden
sollen, stellen eine weitere Kategorie dar.
Der administrative Support kümmert sich um die E-MentorInnen und sorgt dafür, dass sie
über alle Ressourcen der Universität, die für das Mentoring erforderlich sind, verfügen
können.
Eine wesentliche Funktion nimmt in diesem Schema schließlich der technische Support
sowohl für die MentorInnen als auch die Mentees ein.
15
2.3 BEST PRACTICE IM MENTORING?
Während eindrucksvolle Fallstudien die Effektivität von Mentoring belegen und die empirische
Forschung die Sicht von Mentoring als einen Ansatz bestätigt, der die Entwicklung von Individuen
und Organisationen ermöglicht (Brondyk & Searby, 2013), kommt Albert Ziegler (2009; S. 13) im
Hinblick auf Evaluationsergebnisse zu Mentoring zum Schluss, dass Mentoring zwar eine äußerst
effektivste Fördermethode sein kann, dass die praktische Anwendung jedoch häufig gravierende
Mängel aufweist. Das bezieht sich darauf, dass Mentoring-Programme häufig nicht
forschungsmethodische Mindestanforderungen erfüllen.
Dies wird durch eine qualitative Analyse von 200 Mentoring-Studien von Tamee D. Allen, Lillian Eby
und Elizabeth Lentz (2008) bestätigt. Sie stellen fest, dass die Mentoring-Forschung zum Zeitpunkt
der Publikation ihrer Studie vorwiegend quantitative Querschnittdesigns nutzt und Daten aus der
Perspektive nur einer der relevanten Gruppen (zumeist die der Mentees) erfasst. Auch kritisiert
Ziegler (2009), dass Mentoringprojekte häufig konzeptionell-inhaltliche Mindestanforderungen
unzureichend erfüllen. Er stellt auch fest, dass für Metaanalysen auch immer wieder Variablen
erhoben werden, die bei den einzelnen untersuchten Projekten in der Konzeption nicht im Fokus
standen. Das wiederum kann zur Unterschätzungen von anvisierten Trainingswirkungen führen.
Schließlich sieht er die Nicht-Berücksichtigung der bekannten Mentoring-Erfolgsfaktoren (vgl.
Kapitel 2.5) in den Projekten als ein Problem an.
Best-Practice für Mentoring aus einzelnen Projekten abzuleiten, stellt sich nicht nur wegen dieser
forschungsmethodischen Einschränkungen als Herausforderung dar, sondern auch weil sich
Mentoring mittlerweile in fast allen professionellen Kontexten durchgesetzt hat. Das mag auf den
ersten Blick widersprüchlich bzw. erstaunlich wirken, lässt sich aber dadurch erklären, dass diese
große Vielfalt unterschiedlicher Anwendungskontexte einheitliche Sichtweisen erschwert.
Mentoring-Angebote in der Wirtschaft oder in der Industrie werden häufig eingesetzt, um die
Bleiberaten zu verbessern oder hochqualifizierte MitarbeiterInnen auf ihrem Weg in
Führungspositionen zu unterstützen. Öffentliche Einrichtungen nutzen Mentoring in der Regel zur
Erhöhung der fachlichen und/oder persönlichen Qualifikation ihrer MitarbeiterInnen und im
medizinischen Bereich wird Mentoring beispielsweise genutzt, um die Sozialisation in den Beruf zu
unterstützen. Nicht zuletzt gibt es zahlreiche Mentoring-Programme, die sich die Erhöhung des
Frauenanteils in bestimmten Disziplinen oder Hierachiestufen zum Ziel setzen. Die
unterschiedlichen, erfolgreich eingesetzten Konzepte sprechen aber auch dafür, dass die jeweiligen
Kontexte dafür bestimmend sind, wie ein Mentoring-Angebot konzipiert wird und unterschiedliche
Fachdisziplinen ihre jeweiligen Charakteristika in der Konzeptualisierung aufweisen (Brondyk &
Searby, 2013). Die Umsetzung von Mentoring unterliegt somit im hohen Maße dem jeweiligen
Kontext bzw. der jeweiligen Kultur der Organisation, in der es durchgeführt wird.
Auch in der Bildung ist Mentoring längst angekommen und stellt sich – wenn es auch noch kaum
Konzepte zu Reverse-Mentoring gibt – in dieser spezifischen und für das re-ment-Projekt relevanten
Fachrichtung als durchaus komplex dar: Die Vielzahl an Definitionen, unterschiedlichen
Mentoringformen bzw. unterschiedlichen Ansätzen von Direktivität bzw. Non-Direktivität oder
16
unterschiedliche Konzepte der Kooperation wurden in Kapitel 2.1. dargestellt und tragen nicht dazu
bei, die Entwicklung klarer Handlungsvorgaben für Best-Practice zu unterstützen. Alleine auch aus
der Vielzahl von Begriffen, die im Bildungsbereich für MentorInnen (z.B. Supervisor, Advisor, Tutor,
Teacher, Coach) und Mentees (z.B. Protégé, Coachee, Apprentice) eingesetzt werden, lässt sich
schließen, wie unterschiedlich auch die Auswirkungen dieser Begrifflichkeiten auf den Mentoring-
Prozess bzw. für die Beziehungen von MentorIn und Mentee sind.
All diese Aspekte haben aber Auswirkung auf Best-Practice-Konzepte im Mentoring und machen es
nachvollziehbar, dass Best-Practice nicht allgemein, sondern nur auf spezifische Kontexte bezogen
entwickelbar ist. Beim jetzigen Stand der Forschung erscheint es somit nach Susan Brondyk und
Linda Searby (2013) erst möglich zu sein, Kriterien für Best-Practice auf einer allgemeine Ebene so
zu beschreiben, dass das Mentoring-Programm
1) in der Praxis realisierbar sein muss: das bedeutet, dass es zeitlich durchführbar, für
unterschiedliche Gruppen machbar und auch leistbar sein soll,
2) eine empirische Basis aufweisen soll: das heißt auf Literatur basiert und fortlaufend
evaluiert wird, und
3) insbesondere auch das vordefinierte Ziel erreicht.
Diese empirische Basis sollte aus Sicht der Autorin jedenfalls um einen theoretischen Hintergrund
erweitert werden, weil damit eine klarere Vorstellung möglich wird, wie Mentoringprozesse Effekte
erzielen können.
2.4 THEORETISCHER HINTERGRUND
Nora Dominguez und Mark Hager (2013) analysieren theoretische Rahmenbedingungen für
Mentoring und sehen drei wesentliche Standbeine, auf denen unterschiedliche Mentoring-
Konzepte beruhen:
1) Entwicklungstheorien
2) Lerntheorien
3) Sozialisationstheorien
2.4.1 Entwicklungstheorien
Die am häufigsten im Kontext vom Mentoring zitierte Entwicklungstheorie ist die „Career Stage of
Life Theory“ von Levinson (1978; zit. nach Dominguez und Hager, S. 173), die auf den
Entwicklungstheorien von Siegmund Freud, C.G. Jung und Erik Erikson basiert und von
alternierenden Phasen von Stabilität (hier werden wichtige Lebensentscheidungen getroffen) und
Instabilität (hier werden Änderung an Werten und Überzeugungen vorgenommen) auf dem Weg
zum Erwachsenwerden ausgeht. Mentoring wird in diesem Ansatz als eine praktische
Unterstützung bei diesen beruflichen Übergängen betrachtet.
17
Auch Kathy Kram (1983, 1985), eine der Ersten, die sich wissenschaftlich mit Mentoring
auseinandersetzte, bezog sich anfangs auf Levinsons Ansatz. Sie stellte insbesondere die
Bedeutsamkeit heraus, das Matching zwischen MentorIn und Mentee auf Basis des individuellen
Karrierestatus, aktueller Kompetenzen und des generellen Potentials der Mentees zu organisieren.
Dabei ist zu erwarten, dass für Mentees zu Beginn ihrer Karrieren andere Bereiche oder Themen
relevant sind (z.B. die Analyse der eigenen Kompetenzen, der Kultur des Unternehmens, der Aufbau
von Beziehungen, das Lösen von Problemen, die spezifisch zu Karrierebeginn auftreten) als für
Mentees, die bereits seit längerer Zeit im Unternehmen stehen (z.B. die Neubewertung des
Berufsweges oder die Adjustierung von Zielen/Visionen). Robert Kegan (1982; zit. nach Dominguez
& Hager, S. 173) führt dies weiter und beschreibt Phasen im Erwachsenenleben, die aus sich heraus
unterschiedliche Anforderungen an MentorInnen bedingen.
Entwicklungstheorien sehen den Mentoringprozess daher als eine Aufeinanderfolge von Stadien
beruflicher Entwicklungen, die jeweils unterschiedliche Rollen erfordern und die Beziehung von
MentorInnen und Mentees entlang eines komplementären, dyadischen Systems definieren. Das
wiederum bedingt ein hierarchisches System, das die traditionelle Mentoringforschung in großen
Zügen bestimmt hat.
Stark einschränkend muss für entwicklungstheoretische Ansätze festgehalten werden, dass sie
Genderaspekte oder Aspekte von Diversität nicht berücksichtigen, da sich ihre Aussagen
vorwiegend auf die Forschung an weißen, männlichen Samples beziehen (vgl. dazu Levinsons
Buchtitel: „The Seasons of Man´s Life“). Darüber hinaus sehr kritisch zu bewerten ist, dass mit
Entwicklungsmodellen eine Vorstellung von defizitären, inferioren Mentees eingeführt wird, die
nur wenig in ihr Fachgebiet bzw. in den Mentoringprozess einbringen können (Dominguez & Hager,
2013).
2.4.2 Lerntheoretische Ansätze
Die Sichtweise von Mentoring als eine Lernpartnerschaft stellt die zweite Theorierichtung dar, die
sich unter vielen WissenschaftlerInnen durchgesetzt hat. Dabei kann von einer Vielzahl
unterschiedlicher Lerntheorien ausgegangen werden, die sich in den einzelnen
Mentoringkonzepten durchaus auch überlappen können und auch wiederum unterschiedliche
Implikationen für die Sichtweise von MentorInnen und Mentees ergeben.
Erwachsenenlernen bzw. Andragogik: Dieser lerntheoretische Ansatz wurde vom US
amerikanischen Wissenschaftler Malcolm S. Knowles (z.B. 1975) entwickelt und stellt
Anforderungen von Erwachsenen an Lernprozesse in den Vordergrund. In diesem Modell wird
davon ausgegangen, dass Erwachsene bereits ein hohes Ausmaß an Erfahrung mitbringen, dass sie
die Bereitschaft zum Lernen mitbringen, dass sie typischerweise aufgaben- bzw. problemorientiert
sind und dass sie intern motiviert sind (vgl. auch Michael Joseph Peterson, 2012; S.61). Lernen wird
darüber hinaus als ein selbstgesteuerter, reflexiver Prozess betrachtet, der zur richtigen Zeit
stattfindet und sich für den/die Lernende/n als sinnhaft darstellt. Diese Aspekte der Andragogik
werden auch als förderlich für transformatives Lernen (siehe unten) angesehen. Dieser Ansatz wird
im Mentoringkontext als auslösend dafür angesehen, dass es zu einer Veränderung der Vorstellung
18
der Rolle von MentorInnen von autoritär zu fördernd bzw. unterstützend gekommen ist und zu
einem Verständnis von Mentoring, das die Selbststeuerung des eigenen Lernens bei Mentees
fördert (Dominguez & Hager, 2013).
Behavioristische Ansätze wiederum konzeptualisieren Lernen als Verhaltensveränderungen, die
durch unterschiedliche Formen der Verstärkung ausgelöst werden. Diese Ansätze sind vorwiegend
traditionellen Mentoringkonzepten zuzuordnen, in denen Mentees als Lernende und MentorInnen
als Lehrende angesehen werden. Die Hauptaufgabe von MentorInnen wäre in diesem Konzept,
Mentees dabei zu unterstützen, wünschenswertes Verhalten zu entwickeln und vordefinierte
Erfolge zu erreichen. Mentees hingegen werden als reaktiv, auf die Umwelt reagierend
wahrgenommen.
Kognitionstheorien legen einen Schwerpunkt auf intraindividuelle kognitive Prozesse, auf
Informationsverarbeitung und die dazugehörigen Denkprozesse. Dem entsprechend sind
Mentoringprozesse individuell bestimmt und MentorIn und Mentee arbeiten gemeinsam daran,
„to create and achieve the mentee´s primary goal of realizing their best possible selves“ (Dominguez
und Hager, 1993; S.176).
Konstruktivistische Lerntheorien stehen für psychologische, philosophische und
erkenntnistheoretische Ansätze, die davon ausgehen, dass individuelle Weltbilder aktiv durch
Interaktionen mit der Umwelt geformt und konstruiert werden. Der Entwicklungspsychologe Jean
Piaget hat hier bahnbrechende Arbeiten geleistet, indem er das Wechselspiel zwischen
„Akkomodation“ und „Adaption“ in der Interaktion mit der Umwelt beschrieben hat. Wenn ein Kind
mit der Umwelt interagiert, macht es Erfahrungen, die als Muster Wahrnehmung und Verhalten
miteinander koppeln, d.h. es kommt zu einem Lernprozess (vgl. Montada, 2002). Diese
Muster/Schemata werden in weiteren Interaktionen mit der Umwelt entweder bestätigt (die
äußere Realität wird assimiliert) und können auf die neue Situation angewandt werden, oder sie
müssen verändert werden, um zur Umwelt zu passen (das kognitive Schema wird verändert). Häufig
wird für konstruktivistisches Lernen die Metapher einer inneren Landkarte eingesetzt, die erprobte
Wege beinhaltet und wo auch neue Wege eingezeichnet werden können: Es handelt sich nach
Bernd Simon (2006) um einen Anpassungsprozess, bei dem die Umwelt den kognitiven
Handlungsschemata ebenso angepasst wird, wie die Schemata der Umwelt angepasst werden.“
Für Mentoring bedeutet das nach Nora Dominquez und Marc Hager (2013), dass durch diesen
Ansatz zu kritischer Reflexion im Hinblick auf Erfolge oder Misserfolge angeregt wird, indem
Mentees auf früheren Erfahrungen aufbauen und aktiv Verhaltensänderungen über die
Konstruktion neuer Bedeutungen (Strukturen/Muster) herbeiführen. Aaron Butler, Rodney
Whiteman und Gary Crow (2013) differenzieren weiter, indem sie davon sprechen, dass die
konstruktivistische Perspektive im Mentoring bedeutet, einen Fokus auf Fragen, Sinn und Reflexion
zu legen und legen die Co-Konstruktion von Wissen als ein zentrales Element ihres
konstruktivistischen Verständnisses einer Mentoring-Beziehung fest. Dabei beziehen sie sich auf
einen der oben genannten Autoren, Gary Crow (2012; S. 233), der sich mit Konstruktivismus in
Mentoring und Coaching auseinandersetzt:
19
„The learning that takes place with these strategies (mentoring and coaching) involves the
social construction of knowledge, in which knowledge is co-constructed through the social
negation process of relationships. Thus rather than identifying and transmitting a set of facts,
skills, and practices, mentoring and coaching involve a creative process in which mentors and
protégés together construct the knowledge[…].”
Lerntheorien für Erwachsene zuordenbar ist die im Europäischen Raum noch kaum rezipierte
Transformative Theorie. Sie wurde in den 1970er Jahren von Jack Mezirow begründet und stellt
einen Prozess dar, bei dem durch kritische Reflexion eigene Vorannahmen (Perspektiven,
Denkweisen, Denkgewohnheiten) transformiert werden, um diese sowohl zu verändern als auch zu
erweitern. Dies geschieht durch Diskurse mit anderen, in denen eine Auseinandersetzung mit deren
Erfahrungen und Annahmen stattfindet; auf diese Weise können die eigenen Denkgewohnheiten
und Deutungsmuster verändert oder erweitert werden. Mezirow definiert Lernen somit als die
Nutzung von Erfahrungen, um neue oder veränderte Interpretationen dieser Erfahrungen zu
entwickeln. MentorIn und Mentee befinden sich nach dieser Vorstellung also in einem Prozess
kritischer Reflexion, die erforderlich ist, um berufliche oder persönliche Perspektiven zu analysieren
bzw. zu verändern (Dominguez & Hager, 2013; vgl. auch Petersen, 2012; S71 - 73).
Im Aktionslernen („action learning“ nach Reginald Revans4) ergibt sich der Lernprozess in einer
beruflichen Situation, wobei das Fragen in Gemeinschaften einen zentralen Stellenwert einnimmt.
Gegenseitiger kritischer Austausch findet in möglichst heterogenen Gruppen statt. Es geht um das
gemeinsame Lösen von Problemen, in der Gruppe wird von- und miteinander gelernt, es gibt keine
allwissenden Autoritäten (Markowitsch, Messerer, & Prokopp, 2004). So stehen nach dieser
Theorie MentorIn und Mentee in einem ständigen Prozess der Auseinandersetzung bezogen auf
berufliche Inhalte. Insbesondere in Mentoring-Ansätzen, die Gruppen oder Teams umfassen und
auch in neueren technologieunterstützen Konzepten wird dieser Ansatz häufig eingesetzt.
Entwicklungstheoretischen Ansätzen (vgl. Kapitel 2.4.1) zuzuordnen sind Soziale Lerntheorien, die
sich auf die Role-Model-Funktionen von MentorInnen beziehen und Lernen als Imitation bzw.
Vorbildwirkung ansehen. Hier ist – wie bereits oben dargestellt – wieder von einer Lehrlings-
/MeisterInnenbeziehung zwischen Mentee und MentorIn auszugehen.
Andere Autoren wie Qing Wang und Ian Millward (2014, S. 92) ergänzen die für Mentoring
relevanten lerntheoretischen Ansätze mit der „Lifelong Learning Theory“ von Guy Claxton oder der
„Flow Theory“ von Mihaly Csikszentmihaly, die beide für den vorliegenden Bericht nur der
Vollständigkeit halber Erwähnung finden sollen, da sie nicht explizit in Mentoring-Kontexten
angewandt wurden.
In Summe bleibt es zentral festzuhalten, dass die vorgestellten lerntheoretischen Ansätze eine
etwas andere Vorstellung von Mentoring entwerfen, als die entwicklungstheoretischen
Überlegungen: MentorInnen werden als UnterstützerInnen „Facilitators“ angesehen und Mentees
4 Ähnlichkeiten lassen sich hier zu situiertem Lernen, problembasiertem Lernen, projektbasiertem Lernen oder work place learning festmachen.
20
nehmen keine rezeptive Rolle, sondern eine aktive co-konstruktive Rolle ein, indem sie aktiv und
kritisch ihre eigenen Erfahrungen reflektieren. Auch bei diesen Ansätzen ist nach Dominguez &
Hager (2013) festzuhalten, dass Diversität von Teilnehmenden nicht von Beginn an mitgedacht wird
und dass das Matching zwischen MentorIn und Mentee zu einer besonders zentralen Komponente
eines Mentoringkonzepts wird.
2.4.3 Sozialisationstheorien
In diesem Theorierahmen werden MentorInnen als Rollenmodelle betrachtet, deren Funktion darin
besteht, Information zu vermitteln, erfolgreiche Verhaltensweisen zu entwickeln und den Mentees
Zugang zu Netzwerken zu vermitteln, um Lernen und Anpassung an die berufliche Umwelt zu
ermöglichen. Sie umfassen Sozialisationstheorie, Kapitaltheorien, soziale Austauschtheorien und
Führungstheorien, die in diesem Rahmen nicht einzeln besprochen werden. Ebenfalls hier
zuzuordnen sind theoretische Zugänge der Gender Studies, in denen Mentoring vor allem vor dem
Hintergrund des Konzepts der „male homosociability“ (Witz & Savage, 1992) diskutiert wird
(deutsch meist als homosoziale Kooptationsstrategien übersetzt). Demnach erweisen sich in
männlich dominierten Strukturen Beziehungen und Ähnlichkeit als entscheidend, und nicht Eignung
oder Kompetenz. Daraus folgt, dass innerhalb einer Geschlechtsgruppe beispielsweise Förder- oder
Karriereentscheidungen vielfach zugunsten jener getroffen werden, die als „dem Eigenen ähnlich“
interpretiert werden, nämlich Angehörige desselben Geschlechts. Frauen sind innerhalb dieser
Strukturen benachteiligt, Wissensweitergabe erfolgt – oft implizit und informell – von etablierten
zu jüngeren Männern. Mentoring ist ein Ansatz, diesen benachteiligenden Strukturen
entgegenzuwirken (vgl. dazu auch Genetti, Schlögl, & Schlögl, 2003; Schiesselberger & Strasser,
1998).
Neben den gendertheoretischen Grundlagen erscheint die „Developmental Network Theory“, eine
Weiterentwicklung von Kathy Krams früherem Konzept (1983, 1985), für das Reverse-Mentoring
Konzept des re-ment Projekts bedeutsam, weil es den Nutzen multipler Beziehungen in einem
Mentoring-Netzwerk beschreibt (Higgins & Kram, 2001). Die AutorInnen gehen davon aus, dass
Veränderungen der Anforderungen in der Berufswelt, wie abnehmende Jobsicherheit, steigender
Druck, laufende Veränderungen durch neue Technologien, Internationalisierung oder steigende
Diversität in Unternehmen auch eine Veränderung des Konzepts von Mentoring bedingen muss.
Dabei argumentieren sie, dass die beiden wesentlichen Funktionen des Mentoring –
Karriereentwicklung und persönliche Entwicklung – immer noch von höchstem Interesse sind, sie
stellen es allerdings zur Diskussion, von wem und wie diese Mentorings angeboten werden und
erweitern traditionelle Ansätzen, die Mentoring als eine 1:1 Beziehung ansehen, um die
„developmental network perspective“.
Ein derartiges Entwicklungsnetzwerk umfasst vier zentrale Konzepte:
1) Das Entwicklungsnetzwerk an sich
Die AutorInnen (Higgins und Kram, 2001; S. 268) definieren ein Entwicklungsnetzwerk als
21
„the set of people a protégé names as taking active interest in and action to advance the
protégé`s career by providing developmental assistance”.
Die Spezifität des Netzwerks in Abgrenzung zu beispielsweise Freundschaftsnetzwerken oder
Beratungsnetzwerken ergibt sich aus der dem Netzwerk inhärenten Entwicklungsperspektive. Es
stellt eine Teilmenge des sozialen Netzwerkes einer/eines Mentee dar. Es sind diejenigen –
simultanen - Beziehungen, die ein/e Mentee zu einem Zeitpunkt als relevant für die eigene
Karriereentwicklung einschätzt.
2) Die Entwicklungsbeziehungen
Die Entwicklungsbeziehungen, aus denen das individuelle Netzwerk des/der Mentee besteht,
werden von Higgins und Kram (2001; S. 269) als „Developers“ bezeichnet und umfassen sowohl
MentorInnen als auch SponsorInnen. Dies im Verständnis getrennter Konzepte von Mentoring
(Karriereförderung und psychosziale Unterstützung) und Sponsoring (hoher Level an
Karriereförderung, geringe psychosoziale Unterstützung).
3) Die Diversität im Entwicklungsnetzwerk
Vor dem Hintergrund, dass Redundanz von Informationen im Sinne der besten Unterstützung
des/der Mentee in Entwicklungsnetzwerken möglichst geringgehalten werden sollte, gehen die
AutorInnen davon aus, dass die Bandbreite („Range“) der unterschiedlichen sozialen Systeme, aus
denen die EntwicklerInnen kommen, die Diversität im Netzwerk bestimmen. Nicht jedoch die
individuellen Diversitätsmerkmale der Personen wie beispielsweise das Geschlecht, Alter oder der
ethnischer Hintergrund (vgl. z.B Abdul- Hussain & Baig, 2009, S. 29-30).
“[…] we define developmental network diversity as range – the number of different social
systems the ties originate from such as one employer, school, community, professional
associations […]. This diversity concerns the nature of the relationships held, rather than
attribute of the developers.” Higgins & Kram (2001, S.269),
4) Die Stärke der Entwicklungsbeziehungen
Unter der Stärke der Entwicklungsbeziehungen verstehen die AutorInnen das Ausmaß emotionaler
Verbundenheit („emotional affect“), das Ausmaß der Gegenseitigkeit/Reziprozität der Beziehung
sowie die Häufigkeit der Kommunikation. Dabei beziehen sie sich auf Studien aus der klinischen
Forschung, der Erwachsenenbildung, der Identitätsentwicklung und der Lernforschung, in denen
festgestellt wurde, dass starke interpersonale Beziehungen durch Gegenseitigkeit, Gemeinsamkeit
und Interdependenz charakterisiert sind. Die hohe Bedeutsamkeit der Beziehung im Mentoring (vgl.
Erfolgsfaktoren Kap. 2.5.1) wird somit auch in diesem Konzept betont. Monica Higgins und Katy
Kram schränken jedoch ein, dass Beziehungen in Entwicklungsnetzwerken sich möglicherweise als
weniger stark herausstellen könnten als 1:1 Beziehungen
Communities of Practice stellen ein ähnliches Konzept dar, indem sie als Knotenpunkte für
Informationsaustausch, das Pflegen von Informationen und Praktiken der Community und auch für
22
die Kompetenzentwicklung ihrer Mitglieder stehen. Diese Funktionen sind für Mentoring- bzw.
Entwicklungsnetzwerke bestens geeignet und fordern klassische Rollenaufteilungen zwischen
MentorInnen und Mentees heraus. So kann sich ein/e Mentee in einer Community als Novize/in
definieren und in einer anderen Community als höchst erfahrene/r MentorIn. Oder aber auch, dass
junge – im Berufsleben noch nicht so erfahrende Menschen – aktuelles berufliches Wissen aus ihren
Ausbildungen in ihr neues berufliches Umfeld einbringen und so für erfahrenere Menschen im
Hinblick auf diese Kompetenzen als MentorInnen fungieren. Dieses Verständnis von
Mentoringrollen hat deutliche Auswirkungen auf die Beziehung zwischen MentorInnen und
Mentees und steht in Summe für eine Abkehr vom LehrerIn/SchülerIn-Konzept und eine
Orientierung zu einer zunehmend partnerschaftlichen Sichtweise von Mentoring, wie sie auch im
Ansatz des Entwicklungsnetzwerkes von Monica Higgins und Kathy Kram (2001) dargestellt wurde.
2.5 BEDINGUNGEN ERFOLGREICHEN MENTORINGS
2.5.1 Fünf Qualitätsmerkmale von Mentoring
Albert Ziegler, Diana Schimke und Heidrun Stöger (2009) besprechen in der Zusammenfassung ihres
Herausgeberwerkes zu Mentoring fünf Qualitätsmerkmale erfolgreicher Mentorings.
Als ein solches gilt, wenn die Mentoring-Programme spezifisch entwickelt und an die jeweilige
Problemlage bzw. an den Kontext angepasst werden. Denn so macht es beispielsweise im
universitären Bereich einen Unterschied in welchem Fachbereich ein Mentoring-Programm
angesiedelt ist, weil sich die spezifischen Anforderungen unterscheiden oder auch europaweite
bzw. internationale Unterschiede in universitären Strukturen zu verzeichnen sind. Wie schon in
Kapitel 2.1.2 beschrieben, ist Mentoring in hohem Ausmaß kulturabhängig, als umso bedeutsamer
stellt sich dieses Merkmal heraus. Für die Entwicklung eines maßgeschneiderten Konzepts ist es
nach Bernd Schmid und Nele Haasen (2001) in einem ersten Schritt erforderlich, die Problemlage
genau zu definieren und zu überprüfen, die Ziele daraus abzuleiten und die erwünschten Ergebnisse
im Detail zu definieren. Daraus wiederum kann sich die Zielgruppe für die Mentorings ergeben, es
ist zu klären, was die Beteiligten am Prozess für die Durchführung benötigen und es kann mit der
Organisation des Prozesses begonnen werden.
Als ein weiteres wesentliches Qualitätsmerkmal wird das Matching von MentorIn und Mentee, i.e.
das gezielte Zusammenstellen der Mentoringpaare angesehen. Die genaue Passung der
Anforderungen oder Bedürfnisse von MentorInnen mit den Angeboten und Kompetenzen von
MentorInnen steht hier im Zentrum, wobei die Unterschiedlichkeit der Mentoring-Projekte
wiederum unterschiedliche Methoden bedingt. Mehrstufige Auswahlverfahren (Wagner & Iwers-
Stelljes, 2009) werden hier ebenso angewandt wie webbasierte Auswahlprozesse im Rahmen von
E-Mentorings (Bellinger, 2009). Speziell entwickelte Instrumente werden eingesetzt, um kognitive
Stile zu erheben und das Tandem dahingehend zusammenzustellen (Beddoes-Jones und Miller,
2006) oder das Matching basiert einfach nur die geografische Nähe von MentorIn und Mentee
(Searby, 2014).
23
Bernd Schmid und Nele Haasen (2011) sprechen bei der Zusammenstellung der Mentoring
Tandems von externem oder selbstgesteuertem Matching. Beim externen Matching wird die
Zusammenstellung von MentorIn und Mentee über die Programmorganisation anhand allgemeiner
Kriterien (z.B. MentorIn sollte nicht Vorgesetze/r der/des Mentee sind, hierarchisch nicht zu weit
von den Mentees entfernt, Erfahrungen und Kompetenzen der MentorIn passt zu Zielen der/des
Mentee) durchgeführt. Selbstgesteuertes Matching wird mit dem Argument, dass Mentees in der
Regel Ähnlichkeit im Hinblick auf die Persönlichkeit oder Fachkompetenzen des/der MentorIn als
Auswahlkriterium definieren und so wenig Raum für Vielfalt bleibt. Außerdem sind Absagen auf
Anfragen für manche MentorInnen im direkten persönlichen Kontakt schwieriger und die
Verantwortung dafür, wenn das Tandem nicht so gut funktionieren sollte, kann nicht an das
Programmanagement abgegeben werden, sondern bleibt bei der/beim Mentee.
Das erste Treffen des Tandems sollte aber jedenfalls bereits vor der Kick-Off-Veranstaltung unter
vier-Augen stattfinden, um auch herauszufinden, ob „die Chemie passt“ und ein persönlicher,
vertraulicher Austausch miteinander denkbar ist. Wesentlich ist auch die Option des Auflösens
eines Tandems offenzulassen und das Programmanagement dabei als zentralen Ansprechpartner
zu definieren (Schmid und Haasen, 2001).
Eine gezielte Schulung der MentorInnen dürfte nicht die Regel sein, wird aber als ein
Qualitätsmerkmal gehandelt, auch wirkt sich die gegenseitige Vernetzung der MentorInnen bzw.
der gegenseitige Erfahrungsaustausch positiv aus. Es ist davon auszugehen, dass auch eine
begleitende Qualifizierung von MentorInnen positive Effekte auf das Programm hat. Seien es
Coachings, Gruppencoachings oder Workshops, ein derartiges Angebot signalisiert, dass
MentorInnen mit ihrer Aufgabe nicht alleine gelassen werden und ermöglicht persönliche
Weiterentwicklung durch Modelle oder Theorien, die für die aktuelle Mentoringsituation hilfreich
sein können, praktisches Üben der Mentoringrolle und Reflexion der eigenen Rolle und
Persönlichkeit.
Bedeutsam ist auch eine ausreichend lange, den Projektzielen entsprechende Laufzeit des
Mentoringprogramms, bei der auch die Kontaktdichte an die Projektziele angepasst ist. Das heißt,
es können hier keine allgemeinen Empfehlungen abgegeben werden, typischerweise werden
allerdings zirka fünf Treffen über einen Zeitraum von zumindest einem halben Jahr berichtet.
Schließlich nennen die AutorInnen die Tatsache, dass die Qualität der Umsetzung überprüft wird
als wesentliches Qualitätsmerkmal. Eine begleitende Evaluierung ist somit jedenfalls zu empfehlen.
Das entspricht der Auflistung von Albert Ziegler (2009, S. 13) enthält jedoch nicht den Faktor der
Beziehung zwischen MentorInnen und Mentees „Maßnahmen zur Förderung der
Beziehungsqualität“, der in diesem Artikel mit Bezug zum Beispiel auf Kathy Kram (1985) genannt
wird. Gerade dieser Faktor erscheint jedoch sehr plausibel, wenn Studien herangezogen werden,
die im Feld der psychotherapeutischen Wirkungsforschung allgemeine Faktoren analysieren. So
stellen Ted Asay und Michael Lambert (2001, zit. nach Hargens, 2011, S. 17-18) beispielsweise fest,
24
dass die Beziehungsebene 30% des Therapieerfolgs5 ausmacht und dass in dieser Kategorie die
Beurteilung der TherapeutInnen durch die KlientInnen als „annehmend“ und „Verständnis
aufbringend“ am höchsten mit einem Therapieerfolg korrelieren.
2.5.2 Organisatorische Faktoren und Aspekte der Implementierung
Einer der fünf im vorherigen Kapitel genannten Erfolgsfaktoren – die Passung an den jeweiligen
Kontext – stellt bereits einen besonders relevanten organisatorischen Faktor für die
Implementierung eines Mentoring-Programms in Organisationen.
Ergänzend dazu analysiert Jenni Jones (2012) in einer Fallstudie im Längsschnittdesign (Details zur
Studie vgl. 2.6) die folgenden organisatorische Faktoren für ein erfolgreiches formales
Mentoringprogramm in einem Unternehmen. Neben dem bereits dargestellten Matching, dem
kontinuierlichen Kontakt und dem Training der MentorInnen, gibt die Autorin folgendes an:
o Passung des Programms mit der Organisationsstrategie
o Unterstützung durch direkte Vorgesetzte
o Eine begleitende Dokumentation des Prozesses/ein Mentee-Tagebuch
o Zeitliche Flexibilität des/der MentorIn
o Zeitliche Einbettung in den Arbeitsablauf, Treffen außerhalb der Organisation
o Recruiting der MentorInnen
o Vermarktung des Programms innerhalb der Organisation (vgl. Table 2, S. 65-66)
Der Bedeutsamkeit der Organisationskultur als Motivationsfaktor für die Beteiligung von
Studierenden an einem Peer-Mentoring-Programm widmen sich Ouedrago Noufou, Davar Rezania
und Muhammad Hossain (2013) in einer quantitativen Studie an 153 Bachelorstudierenden (57%
Frauen), die mit einer Fokusgruppendiskussion mit sieben Studierenden der gleichen Universität
ergänzt wurde. Die Autoren stellten fest, dass (neben den persönlichen Faktor des Altruismus) die
Organisationskultur (z.B. Wie wird das Projekt dargestellt? Was bedeutet das Programm für die
Reputation von MentorInnen? Werden sie für ihr Engagement wertgeschätzt?) einen großen Effekt
darauf hat, ob ein/e Studierende/r sich als Peer-MentorIn zur Verfügung stellt. Sie argumentieren,
dass es daher von großer Bedeutung ist, Mentoringkonzepte innerhalb der Organisationen zu
bewerben und die freiwilligen MentorInnen explizit zu würdigen (beispielsweise mit Zertifikaten
oder kleinen Aufmerksamkeiten). Internes Marketing halten auch Bernd Schmid und Nele Haasen
(2001) zum Beispiel über Flyer, in denen eine Darstellung der Ziele, des Nutzens und der
organisatorischen Daten des Projekts erfolgt, für sinnvoll, um das Programm bei Personen bekannt
zu machen, die selbst als Mentees teilnehmen möchten oder als MentorInnen fungieren könnten.
Üblich ist die Veranstaltung eines Kick-off Meetings, bei dem sich die gesamte
TeilnehmerInnengruppe kennenlernt (nachdem sich die Tandems bereits im Vorfeld kennengelernt
haben). Dabei werden alle Informationen vermittelt und Vereinbarungen getroffen, damit das
5 Neben Faktoren, die individuell den KlientInnen zugeschrieben werden (40%), Erwartungs- und Placeboeffekten (15%) und methodischen Faktoren (15%).
25
Mentoring in der Folge von MentorInnen und Mentees eigenständig abgewickelt werden kann.
Neben dem persönlichen Kennenlernen, können sich die MentorInnen auch untereinander
vernetzen. Der Stellenwert des Projektes wird durch die Anwesenheit einer hochrangigen Person
der Organisation erhöht. Ein kleiner Empfang rundet die Veranstaltung ab und bringt weitere
Möglichkeiten des Netzwerkens.
2.6 EFFEKTE VON MENTORING AUF MENTEES UND MENTORINNEN
K.N. Rekha und M.P. Ganesh (2012) haben sich in einer qualitativen Studie damit
auseinandergesetzt, ob und was MentorInnen im Mentoring lernen. Sie haben Telefoninterviews
mit 15 MentorInnen durchgeführt, die ein Jahr lang benachteiligte Jugendliche betreut haben und
darüber hinaus 56 qualitative online Fragebögen ausgewertet. Dass MentorInnen ebenso ihre
Lernerfahrungen machen wie Mentees wird von den AutorInnen eindeutig mit ja beantwortet. Sie
führen aus, dass die MentorInnen in erster Linie die Fähigkeit genannt haben, Vertrauen
aufzubauen, die sich durch das Mentoring verbessert hat. Darüber hinaus haben sich bei den
MentorInnen intrapersonale Kompetenzen wie die Selbstwahrnehmung der eigenen Fähigkeiten
und Kommunikationskompetenzen erhöht sowie Empathie und die Fähigkeit zuzuhören entwickelt.
Fast alle MentorInnen gaben an, dass sich ihr Selbstbewusstsein im Zuge des Programms erhöht
hat.
Aber auch Führungsqualitäten der MentorInnen haben sich verändert, und zwar dadurch, dass
Lösungen auf programmspezifische Probleme (ein zentrales Element von Führung) gefunden
werden müssen, was in der Hauptverantwortung der MentorInnen steht. Für die Studie muss
einschränkend gesagt werden, dass sie mit Indien einen völlig anderen Kulturraum abdeckt und
dass es sich methodisch um eine Querschnittuntersuchung handelt. Die Untersuchung gibt aber
zweifellos Hinweise dafür, dass sich Mentoring auf MentorInnen positiv auswirkt. Darüber hinaus
sind die beschriebenen Kompetenzen auch für die eigene berufliche Zukunft der MentorInnen von
Vorteil.
Für die Begabungsforschung bestätigt Robert Grassinger (2013) die oben vorgestellten Ergebnisse.
Er bespricht in seinem Artikel die Bedeutung von Mentoring für die Entwicklung von Expertise und
Leistungsexzellenz bei begabten Jugendlichen. Unter Bezugnahme auf ein hierarchisches,
dyadisches Konzept von Mentoring kommt er zu dem Schluss, dass sowohl die Quantität von
Lernprozessen als auch deren Qualität durch Mentoring gesteigert werden können und Mentoring
als zentraler Baustein in der Entwicklung von Expertise und Leistungsexzellenz angesehen werden
können.
Eine Analyse der Lernergebnisse von formalem Mentoring in Unternehmen stellt Jenni Jones (2012)
sowohl für MentorInnen, Mentees als auch für die jeweiligen Organisationen auf, in denen das
Mentoring stattfindet. Mit ihrer qualitativen Studie kommen sie der Kritik von Tammy Allen, Lilly
Eby und Elisabeth Lentz (2008; vgl. 2.3) nach, indem sie im Rahmen einer Fallstudie sowohl die
Perspektive der MentorInnen als auch der Mentees erheben und auch eine
26
Längsschnittuntersuchung durchführen. Es wurden fünf Mentoringpaare (leider werden keine
Angaben über die Geschlechterverhältnisse gemacht) über einen Zeitraum von 17 Monaten
(Oktober 2009 – Februar 2011) an fünf Zeitpunkten im Rahmen einer Evaluation begleitet. Das Ziel
des Programms war, die Mentees über eine postgraduale Ausbildung auf eine
Managementfunktion in einer Organisation der Gesundheitsverwaltung vorzubereiten, wobei alle
MentorInnen unternehmensinterne ManagerInnen waren, selbst diese Ausbildung absolviert
hatten und zu Beginn des Programms an einer dreitägigen Schulung teilnahmen.
Für die Darstellung der Auswertung wurden die vier potentiellen Lernfelder bzw. Möglichkeiten für
Veränderung von Connie R. Wanberg, Elisabeth T. Welsh du Sarah A. Hezlett (2003; zit. nach Jones
2012, S. 59) genutzt, und zwar Lernen auf einer kognitiven Ebene, Erlernen von Fähigkeiten und
Fertigkeiten, Lernen auf einer affektiven, emotionalen Ebene und Lernen in sozialen Netzwerken.
Die Autorin stellt fest, dass kognitives Lernen sowohl bei den MentorInnen als auch bei den
Mentees erfolgte: Während die MentorInnen eine größere Klarheit über die eigene Organisation
nannten und ein besseres Verständnis für Mentoring an sich, beschrieben die Mentees ihre
kognitiven Lerneffekte als Verbesserungen ihrer Lernkompetenzen und einen besseren Einblick in
die Struktur der eigenen Organisation. Auch wurden in beiden Gruppen neue Fähigkeiten
entwickelt. Die Mentees beschrieben eine Verbesserung ihrer kommunikativen Kompetenzen,
MentorInnen gaben an, ihr Repertoire für das MentorIng erweitert zu haben, d.h. die Fähigkeit
zuzuhören, die richtigen Fragen zu stellen oder konstruktives Feedback zu geben. Im Hinblick auf
die emotionale Ebene gaben sowohl Mentees als auch MentorInnen an, dass sie im Laufe des
Projekts selbstbewusster geworden sind. Mentees gaben darüber hinaus an, dass sie durch den
Mentoringprozess fokussierter, positiver und balancierter an ihre Aufgaben herangingen und ihre
Selbstwahrnehmung erhöht hatten. MentorInnen wiederum sprachen von erhöhter Geduld,
positivem Denken, erhöhter Selbstreflexion und dem Wissen, wann Handlungen gesetzt werden
müssen und wann nicht. Neue soziale Kontakte werden den Mentees über die MentorInnen
vermittelt und diese profitieren wiederum durch einen besseren Einblick in die Abteilungen, aus
denen die Mentees kommen. Jones kommt somit zum Schluss, dass sowohl die Mentees als auch
die MentorInnen von einem Mentoringprogramm profitieren können (Jones, 2012, S. 67):
„In summary, personal development and change has occurred for both parties and the depth
of this has increased and changed over time.“
Karin Crawford, Diane Simoson und Ian Mathews (2013) ergänzen hier, dass die MentorInnen in
einem Projekt, in dem Studierende benachteiligte Jugendliche begleiteten, angaben, vom Projekt
insofern profitiert zu haben, als es sich positiv auf ihre persönliche Entwicklung im Sinne erhöhter
Selbstwahrnehmung ausgewirkt hat. Es bereitete ihnen darüber hinaus persönliche Zufriedenheit,
an einem derartigen Projekt mitzuarbeiten, da sie ihre Arbeit als nutzbringend und sinnvoll
ansahen. Viele beschrieben ihre Mentoringerfahrung als einen wertvollen Einblick in die Welt
weniger privilegierter Jugendlicher, der es ihnen ermöglichte ein größeres Verständnis für ihre
Mentees zu entwickeln.
27
Quedrago Noufou, Davar Rezania und Muhammad Hossain (2013) fassen 15 Studien zu
diesem Thema zusammen und stellen fest, dass Mentoring für Mentees …
o den Karriereverlauf für jede Art von ArbeitnehmerInnen positiv beeinflussen kann,
o speziell für High Potentials, neue MitarbeiterInnen und Frauen nützlich ist,
o Führungsqualitäten verbessern kann,
o die Arbeitszufriedenheit erhöht, eine positivere Sicht auf die weitere
Karriereentwicklung fördert,
o das eigene Wohlbefinden fördert
o und sich sogar positiv im Gehalt niederschlägt.
Auf Seite der Mentorinnen kann sich Mentoring zudem bedeutend in den folgenden
Bereichen auswirken:
o sie lernen Vertrauen aufzubauen und Beziehungen herzustellen,
o sie erwerben Soft Skills, i.e interpersonale Kompetenzen oder Führungsqualitäten
werden verbessert,
o die Arbeitszufriedenheit, der Karriereerfolg und die Bindung zum Unternehmen
steigt,
o sie bekommen Anerkennung von anderen und verbessern ihren sozialen Status im
Unternehmen,
o was sich positiv auf Gehalt und Karriereentwicklung auswirkt.
Metastudien zeigen darüber hinaus auf, dass Mentoring-Programme umso erfolgreicher sind, wenn
sie theoretisch fundiert konzipiert und durchgeführt werden. So haben David L. DuBois, Bruce E.
Holloway, Jeffrey C. Valentine, und Harris Cooper (2002) in einer Analyse von 55 Mentoring-
Programmen, die mit Jugendlichen in 1:1 Tandems durchgeführt wurden, festgestellt, dass sich
besonders Schulung und Ausbildung der MentorInnen, eine Strukturierung der Aktivitäten für
MentorInnen und Mentees, eine hohe Kontaktdichte und eine Überwachung der Umsetzung als
günstig erwiesen. Dabei handelt es sich um lauter Faktoren, die bereits vorne als Erfolgsfaktoren
vorgestellt wurden. Lilian T. Eby, Tammy D. Allen, Sarah C. Evans, Thomas Ng, und David L. DuBois
(2008; zit nach Stöger 2009) vergleichen drei Arten von Mentoringprogrammen miteinander: 40
Studien zu Mentoring mit Jugendlichen, 23 Studien aus dem akademischen und 53 Studien aus dem
wirtschaftlichen Bereich. Dabei analysieren sie speziell die Effekte auf Einstellungen, Verhalten,
Beziehungsvariablen und motivationale Variablen. In Summe zeigen sich unabhängig vom Feld, in
der die Mentorings durchgeführt wurden, positive Effekte, allerdings mit insgesamt geringen
Effektstärken. Höher sind die Effekte auf Einstellungsveränderungen im Vergleich zu den anderen
Variablen, auch treten im akademischen Bereich die größten Effekte auf. Unter Bezugnahme auf
die Metaanalyse von Du Bois et al. (2008) kann davon ausgegangen werden, dass hier auch
moderierende Variablen einen Effekt erzielen dürften. Immer wieder ist die ungenügende
28
methodische Umsetzung der Programmevaluierung hier ein Thema (z.B. Querschnitt, Nutzung
ausschließlich quantitativer Daten) 6.
Was Mentees zu einem erfolgreichen Mentoringprozess betragen können, hat Linda J. Searby,
(2014) in einer qualitativen Interviewstudie im Bildungskontext erforscht. Neue SchuldirektorInnen
wurden durch erfahrene DirektorInnen und gleichzeitig erfahrene MentorInnen auf ihre neue
Aufgabe vorbereitet. Die Autorin arbeitete mit theoretischem Sampling (d.h. es werden so viele
Interviews geführt, bis die Fragestellung beantwortet ist) und hat aus einem Pool von 33
MentorInnen (27 Frauen, 6 Männer) sieben Personen ausgewählt, mit denen sie 45- bis 60minütige
Interviews geführt hat. Merkmale von Mentees „The protégés mentoring mindset“ (S. 255), die sich
nach Ansicht ihrer MentorInnen als förderlich für Mentoringprozesse herausgestellt haben, sind
Initiative (z.B. in der Kontaktaufnahme mit den/der Mentorin, im Beginnen von Aktivitäten),
Lernorientierung (z.B. Neugier, nimmt Feedback an, stellt Fragen), Zielorientierung (z.B. hat eine
Vision, setzt sich organisatorische, zeitbezogene Ziele), Kommunikations-/Beziehungsfähigkeit (z.B:
Beziehungsaufbau zur/m MentorIn, kann zuhören, versteht soziale Hinweise) und
Reflexionsfähigkeit (z.B. kann sich selbst einschätzen, lernt von Fehlern). Dabei sollte aus Sicht der
Autorin des vorliegenden Berichts auch berücksichtigt werden, dass einige dieser Variablen
durchaus auch im Rahmen eines Mentoring-Prozesses aufgebaut werden können.
In diesem Kapitel wurden eine Reihe grundlegender Ansätze, Hintergründe, Effekte von Mentoring
dargestellt. Dabei muss festgehalten werden, dass es sich bei Mentoringprogrammen – so
einheitlich sie auf dem ersten Blick auch wirken mögen – um vielfältige und unterschiedliche
Aktivitäten handelt, die im höchsten Maße von dem jeweiligen Kontext abhängen, in dem sie
stattfinden, also stark von der jeweiligen Kultur und dem theoretischen Hintergrund geprägt sind.
So ist es auch nicht möglich, eine einheitliche Definition oder Best-Practice allgemein abzuleiten. Es
muss darüber hinaus berücksichtigt werden, dass sich Mentoringkonzepte von Beginn an besonders
in US-Amerikanischen Wirtschaftsunternehmen etabliert haben und die Forschung sich daher stark
auf den englischen Sprachraum bezogen und als logische Folge auf Erwachsene konzentriert hat.
Für die Entwicklung eines Reverse-Mentoring-Programms an Schulen sind diese Faktoren zu
berücksichtigen, wenngleich es auch grundlegende (Erfolgs)Faktoren von Mentoringprogrammen
gibt, wie beispielsweise das Matching, die Bedeutsamkeit der Beziehung im Tandem, die gezielte
Vorbereitung und Begleitung der Mentoring-Teams durch Schulungen bzw. Coachings, oder
Faktoren der Implementierung wie die die interne Vermarktung des Programms eine klare Passung
an die Ziele der Organisation und eine methodisch profunde Begleitevaluation, die über die
unterschiedlichen Ansätze hinweg ihre Gültigkeit und Bedeutsamkeit bewahren.
6 Hier kann wieder auf die Kritik von Ziegler im Hinblick auf Metaanalysen zu Mentoring verwiesen werden (vgl. 2.3)
29
3 MENTORING IN DER UMSETZUNG
In der Folge soll auf Umsetzungsbeispiele von Mentoring eingegangen werden, die für das Projekt
re-ment von Relevanz sind: Projekte an Schulen, die im MINT-Bereich (Mathematik, Informatik,
Naturwissenschaft und Technik) angesiedelt sind sowie Projekte, die den Übergang zwischen Schule
und Studium im Fokus haben oder sich mit der Förderung von Frauen in beruflichen Kontexten in
Wissenschaft, Forschung und Technik auseinandersetzen. Ziel ist, weitere Anregungen zu erhalten,
die für das re-ment Mentoring-Konzept nützlich sein können.
Im Hinblick auf Frauenförderung durch Mentoring soll gleich zu Beginn eine kritische bzw.
einschränkende Perspektive dargestellt werden, die die Bedeutsamkeit einer gendersensiblen
Herangehensweise und von Genderkompetenz in derartigen Projekten betont. Jennifer De Vries
(2011; S. 4) fasst die Argumentation vieler ForscherInnen zusammen:
„[… ] rather than seeing the women as having deficits or requiring assistance to succeed within
organisations as they currently exist, it is the organizations that require transformational
change.”
Das bedeutet, dass das alleinige Fokussieren auf individuelle Förderung nichts an den Strukturen
ändert, im Gegenteil, dass Mentoring gerade auch im akademischen Bereich den Status Quo nicht
nur erhält, sondern sogar noch verstärkt. Mentoring wird also aus einer feministischen Perspektive
als ein Vehikel angesehen, Frauen nach dem Motto „fix the women“ an eine hierarchische,
männlich dominierte Kultur anzupassen. So entsteht die absurde Situation, im Glauben, Frauen
fördern zu wollen, ein Programm anzubieten, das ganz im Gegenteil diejenigen Strukturen weiter
verfestigt, die es nötig machen, Frauenförderungsprogramme überhaupt erst zu entwickeln. Einen
Ausweg sieht de Vries (2010) indem sie einen bifokalen Ansatz vorschlägt, der sowohl individuelle
Förderung zulässt aber gleichzeitig auch die organisationale Perspektive im Blickpunkt hat.
Wir stehen auch vor der Tatsache, dass Mentoring Männer in deren Karriereentwicklung mehr
unterstützt als Frauen. Das wird darauf zurückgeführt, dass Männern häufiger eine spezifische Form
des Mentorings, das Sponsoring angeboten wird. Das heißt, dass MentorInnen sich besonders stark
in der beruflichen Karriereentwicklung engagieren, indem sie ihren Einfluss auf höheren Ebenen für
Mentees geltend machen. Das erklärt, dass Sponsoring aktuell einen immer stärkeren Stellenwert
beispielsweise in universitären Mentoringprojekten einnimmt.
Aber auch ältere Modelle des Mentoring, die auf hierarchischen, nicht reziproken Beziehungen
beruhen, werden verständlicher Weise aus einer feministischen Perspektive kritisiert, weil sie dafür
stehen, hierarchische Beziehungen weiter zu befördern. Hier wiederum werden neuere Konzepte
von Mentoring diskutiert, wie die vorne besprochenen, auf Kathy Kram zurückgehenden
Entwicklungsnetzwerke (vgl. Kapitel 2.4.3). Gruppenmentoring wird darüber hinaus genannt, denn
30
hier kann die Unterstützung durch erfahrene ExpertInnen mit der Unterstützung durch hierarchisch
gleichgestellte Peers verbunden werden. Aber auch Reverse-Mentoring, der Ansatz des re-ment
Projektes, stellt eine vielversprechende Alternative zu hierarchischen Modellen dar.
Wenn jedoch genderspezifische Anforderung an Mentoring Projekte beachtet werden, stellt sich
die Situation ganz anders dar. In der Folge wird exemplarisch auf derartige Projekte eingegangen,
bei denen sich zeigt, welch besonderer Nutzen sich durch eine reflektierte Genderpraxis für Frauen
in Naturwissenschaft und Technik ergeben kann.
3.1 ADA-LOVELACE MENTORING
Elisabeth Sander (2009; vgl. auch Sander et al., 2010) steht für einen speziellen Ansatz im
Mentoring, der sich ausgehend von der Fachhochschule Koblenz in den letzten zwanzig Jahren nicht
nur in Deutschland, sondern auch weit über dessen Grenzen hinaus einen Namen gemacht hat: Das
Ada-Lovelace-Projekt. Schon alleine der Name des Projektes, der sich von der Frau ableitet, die als
weltweit erste Programmiererin gilt – Augusta Ada Byron, die spätere Countess of Lovelace (1815-
1852) – weist auf das Ziel des Projektes hin, nämlich Mädchen für Mathematik, Technik und
Naturwissenschaften zu interessieren.
Das Projekt richtet sich an Schülerinnen, deren Mentorinnen sich aus Studentinnen von
mathematisch-naturwissenschaftlichen und ingenieurwissenschaftlichen Studiengängen und
Lehrlingen aus (informations)technischen Ausbildungsberufen rekrutieren. Die Mentorinnen, die
das „Kernstück“ (Sander, 2009; S. 58) des Programms ausmachen, werden von Trainerinnen
ausgebildet und im Zuge des Projekts supervidiert. Das ist auch erforderlich, denn die Aufgaben der
Mentorinnen sind vielfältig:
o Vermitteln von Fachwissen
o Entwickeln, Planen und Durchführen von Workshops
o Durchführen von Informationsveranstaltungen
o Durchführen von Tutorien für Erstsemesterstudentinnen
o 1:1-Betreuung
o Sensibilisierung für geschlechtsspezifische Themen
o Begeisterung für Naturwissenschaft und Technik wecken
o Öffentlichkeitsarbeit/Präsentation, Betreuung von Messeständen
Die Studierenden erhalten Hilfskraft-Verträge, die Lehrlinge werden von ihrem Betrieb für die
Mentoring-Aufgabe freigestellt. Organisatorisch sind KoordinatorInnen an den einzelnen
Standorten, an denen die Coachings stattfinden, für den Ablauf verantwortlich, die wiederum
zentral koordiniert werden und an die wissenschaftliche Projektleitung angebunden sind.
Die Studentinnen und Lehrlinge eignen sich besonders als Mentorinnen im Sinne von
Rollenmodellen oder Identifikationsfiguren, da sie den Schülerinnen in Geschlecht, Alter und
31
Erfahrungshintergrund ähnlich sind. Eine Tandem-Beziehung, wie in vielen Mentoring-Konzepten,
steht allerdings nicht im Zentrum der Aktivitäten. Diese setzen sich vielmehr aus
Informationsveranstaltungen, Workshops und Arbeitsgemeinschaften, Betriebsbesichtigungen und
Exkursionen zusammen. Ein besonderer Schwerpunkt wird auf die Netzwerkbildung gelegt:
Schülerinnen kommen mit Mentorinnen in Kontakt, die wiederum untereinander vernetzt sind und
ihrerseits im Rahmen der Veranstaltungen Kontakte mit Unternehmen oder MitarbeiterInnen von
Hochschulen aufnehmen können. Daher sehen die Projektziele auch vor, Unternehmenskontakte
aufzubauen, was im Laufe der Jahre gelungen ist. Die Autorin hebt in diesem Zusammenhang die
Kooperation mit dem Fraunhofer-Institut im Rahmen des Projektes „Roberta – Mädchen erobern
Roboter“ heraus, die Schülerinnen über Lego-Roboterkurse einen Einstieg in die Informatik bietet.
Besondere Erwähnung soll auch noch finden, dass die Angebote des Ada-Lovelace-Projekts
spezifisch an das Alter der Schülerinnen angepasst werden. So erhalten 13jährige Schülerinnen
beispielsweise das Angebot für einen niederschwelligen Workshop mit hohem Spaßfaktor (z.B.
Löten), 15jährige erarbeiten ihre Fähigkeitsprofile und es werden naturwissenschaftliche
Workshops angeboten, bei 16jährigen geht es um Berufsfindung oder bei 18jährigen werden
Fachfrauen je nach Interesse der Schülerinnen organisiert.
Evaluationen sind laufend durchgeführt worden und sind in einem formativen Ansatz immer dafür
eingesetzt worden, das Projekt zu optimieren. Das hat beispielsweise dazu geführt, das Projekt in
erster Linie auf Schülerinnen zu konzentrieren, die grundsätzlich Interesse an der Thematik haben
und die Angebote nicht zu breit zu streuen. Es soll hier exemplarisch eine besondere Entwicklung
dargestellt werden, die die Effektivität des Programms im Blickpunkt hat: Im deutschen Bundesland
Rheinland-Pfalz wurde ein Vergleich vom WS 1996/97 und WS 2003/2004 durchgeführt. An
mehreren Mentoring-Standorten in diesem Bundesland hatten sich Mentorinnen mit Chemie-
Workshops besonderes engagiert. Es kam zu einer Veränderung der Erstsemesterstudentinnen in
Chemie von 39,7 % auf 56, 5%, während sich im gesamten Bundesgebiet nichts verändert hat (WS
96/97: 49; WS 03/04: 49,4).
3.2 MENTORING
Ulla Weber (2009) berichtet über das mentorING-Programm des Frauenbüros der Technischen
Universität München, das nach Meinung der Autorin des vorliegenden Berichts ebenso wie das
oben beschriebene Ada-Lovelace-Programm klar als Best-Practice im Kontext Technik und
Naturwissenschaften eingeschätzt werden kann. MentorING nimmt den Faden vom eben
geschilderten Ada-Lovelace-Projekt auf und erweitert die Zielgruppe um Studierende und deren
Berufsein- und -aufstieg in technisch-naturwissenschaftlichen Berufen.
MentorING setzt auf eine enge Zusammenarbeit mit EntscheidungsträgerInnen in der Wirtschaft
und Wissenschaft und kombiniert Mentoring mit Netzwerken und Qualifikationsmaßnahmen. Es
werden drei Zielgruppen angesprochen: (1) Studentinnen gegen Ende des Studiums werden mit
externen MentorInnen aus Unternehmen verbunden, (2) Berufseinsteigerinnen werden von
32
MentorInnen aus der eigenen Organisation oder auch von externen MentorInnen betreut, die
zumindest zwei Stufen höher gestellt sind als die Mentees und (3) werden Studienanfängerinnen
von ihren Peers – Studentinnen kurz vor Studienabschluss – durch Mentoring begleitet.
Organisatorisch ist das Programm so gestaltet, dass sich die MentorInnen/Mentee-Tandems über
ein Jahr lang zumindest einmal monatlich treffen, wobei Erfahrungsaustausch, Weitergabe von
informellem Wissen und Kontakten, individuelle Beratung und Feedback sowie Karriereförderung
und Unterstützen beim Netzwerkausbau im Zentrum stehen. Dabei wird besonders auf Kontinuität
und Verbindlichkeit geachtet. Alle Mentees nehmen an gemeinsamen Einführungs-, Feedback- und
Abschlussveranstaltungen teil, in denen sie mit den grundlegenden Strukturen des Programms
vertraut gemacht werden. Eine Programmleitung unterstützt bei spezifischen Fragen, Anregungen,
Irritationen. Bei mehr als der Hälfte der Teilnehmenden besteht auch nach dem Ablauf des einen
Jahres das Tandem weiter.
Der inhaltliche Fokus liegt auf der Förderung und Unterstützung der Mentees, allerdings sind auch
Effekte auf die Gendersensibilisierung der MentorInnen zu beobachten, denn vielen ist im Zuge des
Mentoring erstmals klar geworden, dass es Frauen schwerer im Berufseinstieg haben, als Männer.
Das ist umso bemerkenswerter, als die Auswahl der Mentees nicht von der Programmleitung
sondern von den Personalabteilungen der jeweiligen Unternehmen durchgeführt wurde, um auch
das Ziel einer nachhaltigen Integration des Programms in die Unternehmen zu unterstützen.
Jedenfalls haben diese Erfahrungen auch dazu geführt, nicht nur Frauen, sondern auch Männer als
MentorInnen in das Programm miteinzubeziehen.
MentorING wird von umfangreichen Schulungsmaßnahmen begleitet, die speziell auf die
Zielgruppen abgestimmt sind. „Training für einen partnerschaftlichen Dialog“ bezeichnet ein
zweitägiges Gender-Training für die MentorInnen, denen auch ein Workshop zum Thema Beratung
angeboten wird, der von ihren jeweiligen Erfahrungen als MentorIn ausgeht. Studentinnen und
Berufsanfängerinnen wird ergänzend ein Workshop zum Thema Lebens- und Karriereplanung
angeboten und sie bekommen Einblick in die Berufswelt, indem Besuche in Unternehmen
organisiert werden. Berufsanfängerinnen werden darüber hinaus supervidiert, indem konkrete
Problemstellungen oder Fälle aus dem Berufsalltag bearbeitet werden. Außerdem erhalten sie ein
Training in „Auftreten und Kommunizieren im Beruf“. Der Gruppe der Studierenden wird außerdem
ein umfassendes Bewerbungstraining angeboten.
Dem entsprechend haben auch fast 90 % der Teilnehmerinnen ein berufsrelevantes Angebot von
den Unternehmen erhalten: Ein Viertel der Frauen mit abgeschlossenem Studium erhielt ein
Stellenangebot, ein Drittel der Studierenden bekam die Möglichkeit ihre Diplomarbeit in einem
Unternehmen zu verfassen, 35% konnten eine Tätigkeit als Werkstudentin oder ein Praktikum
absolvieren.
Als das wesentlichste Element von mentorING wird allerdings das Netzwerk angesehen, das im Zuge
des Programms entwickelt wurde. So ist es für die Mentees möglich, auch andere MentorInnen
anzusprechen, wenn eine spezifische Expertise gefragt ist. Dazu wurde ein ExpertInnen-Pool
33
eingerichtet, in dem sich die MentorInnen mit ihrer spezifischen Expertise darstellen und auf den
die Mentees zurückgreifen können. Die Kontakte zu den anderen Mentees wurden nicht nur in den
oben geschilderten Veranstaltungen ermöglicht, sondern auch durch Treffen einzelner Mentees
und einen zweimonatigen Stammtisch. Der Stammtisch stellt ein Angebot an aktuelle und frühere
MentorInnen und Mentees dar und hat sich mittlerweile zu einer erfolgreichen Kontaktbörse für
Stellensuchende und Stellenanbietende entwickelt.
Ulla Weber (2009; S. 88) schließt ihre Darstellung wie folgt:
„mentorING ist dort angekommen, wo es hingehört. Es wird von den Organisationen getragen,
die bezüglich des Frauenanteils in technischen Bereich handlungsfähige Akteure sind. Damit in
absehbarer Zeit mehr Frauen in wichtigen Positionen im naturwissenschaftlich-technischen
Bereich tätig sind, reicht es nicht aus, diese lediglich bis zur Entscheidung für die
entsprechenden Studiengänge zu motivieren. Vielmehr ist von den Hochschulen die Betreuung
und Begleitung von Studentinnen während des Studiums und in den Beruf hinein gefragt. Diese
sollte in enger Zusammenarbeit mit der Wirtschaft als zukünftigem Arbeitgeber des weiblichen
ingenieurwissenschaftlichen Nachwuchses geschehen.“
3.3 WISER MENTORING
WiSER (Women in Science and Engineering Research) ist ein Beispiel für ein Mentoring Programm,
das vor dem bekannten Hintergrund der Unterrepräsentation von Frauen in „SET - Science,
Engineering und Technology“ und dem massiven Verlust von Frauen im akademischen
Karriereverlauf durchgeführt wurde. Am Trinity College der Universität Dublin, lag der Prozentsatz
an Frauen bei wissenschaftlichen MitarbeiterInnen im Jahr 2009 in diesen Fachbereichen zwar bei
knapp vierzig Prozent, sie stellten aber nur mehr 14 % der ProfessorInnen. Ziel des Mentoring
Programms war unterschiedlich zu den beiden vorher vorgestellten Projekten, die Bleiberaten von
Wissenschaftlerinnen am College positiv zu beeinflussen (Geber & Roughneen, 2011).
Das WiSER Mentoring Programm war strategisch in den theoretischen Rahmen des WiSER Centers
eingebunden, der sich im Wesentlichen aus einer Abfolge aus rechtlichen Bedingungen von
Gleichstellung („Tinkering“), dem Anerkennen und Umgehen mit unterschiedlichen
Karriereverläufen von Männern und Frauen („Tailoring“) und Gender Mainstraming
(„Transforming“) zusammensetzt. Das Mentoring-Programm bezog sich auf die beiden letzteren
Aspekte.
In einem ersten Schritt wurden den LeiterInnen der Untereinheiten der Fakultät für
Ingenieurwissenschaften, Mathematik und Naturwissenschaften über das Programm informiert. Es
wurde als Karriereentwicklung für besonders talentierte Forscherinnen präsentiert, um – wie es die
Autorinnen formulieren – von Vornherein auszuschließen, dass der Gedanke, Förderung nötig zu
haben, negative Konsequenzen für die Frauen haben könnte. Die Zielgruppen – Lecturers mit
permanenten Verträgen und wissenschaftliche Mitarbeiterinnen mit Dreijahresverträgen –wurden
über den Dekan der Fakultät und den Forschungsdekan angesprochen, es wurde
34
Informationsmaterial verteilt, in Frage kommende Frauen direkt angesprochen: Lauter
Maßnahmen, um das Programm innerhalb der Organisation bekannt zu machen und MentorInnen
und Mentees zu akquirieren.
20 Tandems nahmen schließlich am Programm teil. Diese wurden nach spezifischen Kriterien
(MentorIn in höherer akademischer Position, Tandem kommt nicht aus derselben Unit, Geschlecht
der/des Mentor/in/s nach Wunsch der/des Mentee, Unterstützung oder Wissen, das von Mentees
nachgefragt wurde) zusammengestellt. Vor Beginn des Mentoring-Programms, das ein Jahr lang
dauerte, wurde sowohl für die MentorInnen als auch die Mentees eine Schulung durchgeführt.
Das Programm wurde formativ begleitet und Diskussionsrunden zur Halbzeit brachten Feedback,
das zu Änderungen führte, wie der Installation von Begleitprogrammen (z.B. Schreiben von
Forschungsanträgen, Schreibgruppen, Panel mit MentorInnen mit Betreuungspflichten) aber auch
die Häufigkeit der Treffen wurde insbesondere von den MentorInnen als zu gering angesehen (im
Durchschnitt 2 Treffen in 6 Monaten). In der Abschlussevaluation stellte es sich als besonders
hilfreich heraus, dass die Mentees im Rahmen des Programms angehalten waren, sich ganz
konkrete Ziele zu setzten, die sie innerhalb des Jahres erreichen wollen. Das hat es auch für die
MentorInnen erleichtert, ihre Unterstützung effizient zu gestalten. Die Autorinnen geben an, dass
die Bleiberaten gut seien, da alle Frauen auf Lecture Positionen diese zum Zeitpunkt der Publikation
immer noch innehaben und drei der wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen weiter am Trinity College
beschäftigt sind, sechs an anderen Universitäten oder Instituten in Europa. Nur eine
wissenschaftliche Mitarbeiterin habe den Bereich aus Finanzierungsgründen verlassen. Die
Aktivitäten außerhalb der MentorIn/Mentee-Beziehungen wurden als sehr bereichernd gesehen
und sprechen somit wieder für Mentoring-Konzepte, die verstärkt den Netzwerk-Gedanken
aufnehmen.
Die positiven Entwicklungen durch das WiSER-Mentoring Programm haben dazu geführt, dass das
Programm auf alle Fakultäten ausgeweitet wurde (Geber & Roughneen, 2011, S. 72)
„The Trinity College has acknowledged the transformative value of the programme and has
embarked on a mainstream approach to mentoring of early career academics“.
3.4 THE BLACKWATER EXPERIENCE – MENTORING IN DER SCHULE
Wenn über Mentoring an Schulen gesprochen wird, muss eine Perspektive mitgedacht werden, die
im öffentlichen Bereich von größter Bedeutung ist: die der Politik. Eine Studie von Göran Fransson
und Sarah K. MacMahan (2013) soll daher der Schilderung eines Mentoringkonzepts an einer Schule
einleitend vorangestellt werden. Die Autorinnen beschäftigten sich mit Mentoringstrategien und
deren politischer Verankerung in der der Bildung. Eine umfassende Literaturauswahl erbrachte 37
Artikel, die in ihre Untersuchung mit einbezogen werden konnten. Vor der Tatsache, dass die
AutorInnen massiven Forschungsbedarf in der Thematik feststellen, ergaben die Artikel wenig
überraschend erstens, dass gerade die strategisch-politische Verankerung einen wesentlichen
35
Einfluss auf die praktische Umsetzung von Mentoring in der Bildung hat und zweitens, dass die
Miteinbeziehung von Stakeholdern die Qualität der Programme erhöht. Drittens wurde in diesen
Studien festgestellt, dass Politik und Mentoringstrategie stark miteinander verwoben sind und
Bestrebungen, Mentoring in der Schule einzuführen nur erfolgreich sein können, wenn die
politische Agenda mitgedacht wird.
Beim Mentoring im schulischen Bereich lassen sich grundsätzlich zwei Ansätze identifizieren: der
eine Ansatz nimmt die Perspektive der Personalentwicklung von LehrerInnen auf, der andere nützt
Mentoring für die Weiterentwicklung/das Lernen von SchülerInnen.
Exemplarisch für klassische Mentoringbeziehungen zwischen LehrerInnen und SchülerInnen wird in
der Folge das Mentoring-Programm der Blackwater Community School in Irland vorgestellt (David
King, 2012). Den Ausgangspunkt nahm das Programm im strategischen Ziel für die
Schulentwicklung, den akademischen Fokus zu verstärken und die Leistungen der SchülerInnen zu
verbessern. Organisiert von zwei freigestellten KoordinatorInnen (eine/n, die/der sich um die
Mentorings für die älteren Schülerinnen kümmert und eine/n, die/der sich um die Mentorings der
jüngeren SchülerInnen kümmert) standen 23 freiwillige LehrerInnen als MentorInnen für 220
SchülerInnen zur Verfügung, die gerade dabei waren, ihre Staatsexamen abzulegen. Die
MentorInnen suchten sich zehn bis 14 SchülerInnen aus, die sie für ein Schuljahr in ihre
Mentoringgruppe aufnahmen. Somit wurde in dieser Schule ein Gruppenmentoring-Ansatz
gewählt. Im Laufe des Schuljahres wurden verpflichtend vier zweiwöchige „Mentoringrunden“
abgehalten, die von den beiden KoordinatorInnen überwacht bzw. begleitet wurden. Die
SchülerInnen dokumentierten die Weiterentwicklungen in „mentoring sheets“. Jeweils nach den
Mentoringrunden gab es ein Meeting von den MentorInnen und den KoordinatorInnen, um die
Mentoringrunden zu reflektieren und die nächsten Runden zu planen.
Das Programm an der Blackwater School wurde begleitend quantitativ und qualitativ evaluiert. Vor
dem Hintergrund, dass das Projekt sowohl von der Schulorganisation als auch den MentorInnen
und den Mentees grundsätzlich als gewinnbringend beurteilt wurde, bezog sich das
Veränderungspotential insbesondere auf zeitliche Aspekte: Einerseits erschien den Mentees der
Zeitrahmen der Meetings zu kurz, um effektive Mentorings durchzuführen. Auch erschienen den
Mentees die Zeitpunkte, an denen die Mentoringrunden im Schuljahr angesetzt wurden als nicht
günstig gewählt – eine Abstimmung mit der Prüfungszeit (vor den Examen) wäre ihnen sinnvoller
erschienen und sie kritisierten, dass sie keinen Einfluss auf die Zuteilung zu ihren MentorInnen
hatten.
Für die Durchführung weiterer Mentoringprojekte an Schulen gibt der Autor folgende
Empfehlungen:
o Inhaltlicher Fokus im Mentoring soll in einer entspannten, zwanglosen Atmosphäre auf
Zielorientierung, Zeitmanagement, und Lernkompetenzen gelegt werden ohne die
seelischen Bedürfnisse der Mentees außer Acht zu lassen.
36
o Ein hoher Grad an Organisation ist erforderlich. Dazu gehört ein/e KoordinatorIn, die/der
den Prozess kontinuierlich begleitet und für die Mentees als AnsprechartnerIn und ggf. als
MotivatorIn zur Verfügung steht. Die Mentorings sollten zu Zeiten angesetzt werden, die
für die Entwicklung der Mentees günstig und für die freiwilligen MentorInnen auch
machbar sind, damit der Prozess von beiden Gruppen gleichermaßen getragen wird.
o Beziehung ist zentral, daher sollte man sich ich immer vor Augen halten, was eine/n gute/n
MentorIn für SchülerInnen ausmacht: Empathie, Zuhören, Unterstützung, Verfügbarkeit
und der Wille zum Helfen.
Die Perspektive der Personalentwicklung von LehrerInnen beschreibt Linda Larson (2009) in einem
Projekt, in dem Mentoring an einer Fakultät für LehrerInnenausbildung genutzt wird, um die
Lehrenden an der Fakultät mit der Nutzung von neuen Technologien in der Lehre vertraut zu
machen, damit diese Kompetenz an ihre Studierenden weitergegeben werden konnte. Es wurde
ein 1:1 Mentoring-Ansatz gewählt, wobei die MentorInnen von der Fakultät für Lerntechnologien
kamen. Das Programm lief über einen Zeitraum von drei Jahren, wobei die Mentees zwischen einem
und 6 Semestern daran teilnahmen. Das Matching erfolgte auf Basis der individuellen
Anforderungen der Mentees, die wiederum angehalten wurden, ihre Lernerfahrungen in
Projektform zu dokumentieren. Es wurden monetäre Anreize gesetzt, indem der Abschluss der
Projekte mit 1000.- Dollar belohnt wurde. Es nahmen 81% der Fakultätsmitglieder (68 von 84
Personen) am Mentoring-Programm teil. Die Evaluierung erfolgte in Form einer Triangulation, also
sowohl durch qualitative als auch quantitative Methoden.
Die Hauptergebnisse dieser Studie stellen fünf Faktoren dar, die kritisch für den Erfolg des
Mentoring-Programms bzw. das Gelingen der Projekte der Mentees waren.
1) Realitätsüberprüfung
Mit Hilfe ihrer MentorInnen konnten die Mentees die Realisierbarkeit ihrer Projekte überprüfen
und sie konnten sich realistische Ziele setzen. Der/die MentorIn konnte die individuelle
Technikkompetenz ihrer/ihres Mentees einschätzen und die Ziele dementsprechend adaptieren.
2) Individualisiertes Lernen
Unabhängig vom Technologie-Kompetenzlevel der Mentees, haben diese rückgemeldet, dass sie
speziell von der 1:1 Variante profitiert haben. Das individuelle Eingehen auf die jeweiligen Fragen
hat die Mentees in einer Weise ihren Zielen nähergebracht, die in einem Trainingsprogramm nicht
in der Form möglich gewesen wäre. Diese Lernbeziehung erlaubt es den Mentees auch, sich im
eigenen Tempo die erforderlichen Kompetenzen anzueignen und die neuen Technologien auch so
lange auszuprobieren, wie es ihnen erforderlich erschien.
3) Inhaltliche Kontrolle durch die Mentees
Nicht nur das eigene Tempo, sondern auch die Tatsache, dass sich der Inhalt der Mentoring-Sitzung
auf die spezifischen Interessen und Bedürfnisse wurde als ein positiver Faktor beschrieben und zwar
37
insofern, als die Mentees ihre jeweiligen Projekte für die eigene Karriereentwicklung nützten (z.B.
für ihre Forschung, ihre Lehre, den nächsten Karriereschritt in der Fakultät).
4) Inhaltliche Expertise der MentorInnen
Die Mentees haben es als Vorteil empfunden, dass ihre MentorInnen nicht nur
TechnologieexpertInnen waren, sondern, dass sie ebenfalls über inhaltliche Expertise in der Bildung
verfügten. Das machte es leichter, das Projekt mit ihnen zu diskutieren und die optimale technische
Unterstützung bzw. Umsetzung zu entwickeln.
5) Persönliche Beziehung
Als eine wertvolle Komponente des Programms wurde die Beziehung zum/zur MentorIn
angesehen, die sich im Austausch mit den anderen TeilnehmerInnen zu einer Community of
Practice entwickelte, was wiederum neue Aspekte, Konzepte Problemlösungen oder Erfahrungen
in die 1:1 Beziehungen brachte.
So unterschiedlich die vier vorgestellten Projekte auch sein mögen, ein überall genannter Faktor ist
die äußert positive bewertete und als gewinnbringend erachtete Vernetzung der Beteiligten, die
über die Grenzen des jeweiligen Tandems hinausgeht und andere/neue wertvolle Ressourcen
zugänglich macht. Es soll auch noch einmal auf die Bedeutung der Beziehung als Erfolgsfaktor
hingewiesen werden, denn auch diese wurde in jeder der dargestellten Projektevaluierungen als
äußerst relevant erachtet.
38
4 REVERSE-MENTORING
Während die Masse an Publikationen zum Thema Mentoring die Herausforderung in sich birgt, die
wesentlichen früheren und aktuellen Erkenntnisse der wissenschaftlichen Forschung
herauszufiltern und alle relevanten Aspekte abzudecken, stellt sich die Herausforderung im
Reverse-Mentoring völlig anders dar: Es gibt kaum Literatur zum Thema. Wie im Kapitel 1.3
(methodische Herangehensweise) dargestellt, finden sich in den einschlägigen Fachdatenbanken
keine Artikel zu Reverse-Mentoring. Scholar Google war die Suchmaschine, die einige zitierfähige
Artikel erbrachte, die in der Folge dargestellt werden. Reverse-Mentoring weist in Relation zu
Mentoring einige Spezifika auf, nachdem es sich jedoch um eine Spezialform von Mentoring, wie
Cross-Mentoring, Peer-Mentoring oder kaskadisches Mentoring handelt, kann mit aller Vorsicht
davon ausgegangen werden, dass viele der im vorherigen Kapitel zitierten Forschungsergebnisse
auch auf Reverse-Mentoring zutreffen.
4.1 DEFINITION
Im Allgemeinen wird im Reverse-Mentoring die Mentoring-Beziehung „umgedreht“ und eine
weniger erfahrende Person fungiert als MentorIn für eine erfahrenere Person, die wiederum die
Rolle des/der Mentee einnimmt.
Häufig findet Reverse-Mentoring im Technologiekontext statt, wenn junge MitarbeiterInnen ihre
aktuellen Kompetenzen an KollegInnen weitergeben, die nicht in dem Maße kompetent im Umgang
mit den Informationstechnologien sind. Den Wissensvorsprung junger gut ausgebildeter
MitarbeiterInnen machen sich Organisationen so zunutze, um Reverse-Mentoring Programme zu
entwickeln, in denen dieses Wissen an ältere ManagerInnen/MitarbeiterInnen weitergegeben wird
(Haggard et al., 2011). Adwoka Buahene und Giselle Kovary (2009) sprechen in diesem Kontext
davon, dass „Gen Ys“ (=Millennials) vielmehr als ExpertInnen angesehen werden müssen, denn als
Proteégés, denn sie sind in einer online Welt aufgewachsen, in der es normal ist, Informationen
hochzuladen, Wissen zu verbreiten und Meinungen zu teilen. Häufig sind sie auch besser
ausgebildet als es die langjährigen MitarbeiterInnen von Unternehmen damals im gleichen Alter
waren. Jeanne C. Meister und Karie Willyerd (2010) sprechen davon, dass Millennials von Reverse-
Mentoring-Konzepten insofern auch besonders profitieren können, als sie über ihre Mentees –
KollegInnen in höheren Positionen im Unternehmen als sie – Einblicke in die Organisation erhalten
können, die sie sonst nicht hätten. Als Millennials werden Menschen bezeichnet, die zwischen 1977
39
und 1997 geboren sind, mit dem Internet aufgewachsen und es gewohnt sind, Tag und Nacht
vernetzt zu sein7 (Gibson & Sodeman, 2014).
Wenn Reverse-Mentoring nun als eine Sonderform des Mentoring angesehen wird, ist die in
Kapitel 3 gewählte Arbeitsdefinition von Albert Ziegler (2009, S. 11) wie folgt zu verändern:
„Reverse-Mentoring ist eine Sonderform des Mentoring und bezeichnet eine zeitlich relativ
stabile reziproke Beziehung zwischen einem/einer weniger erfahrenden MentorIn, der/die
über eine spezifische Kompetenz in einem bestimmten Fachgebiet verfügt, und einem/r
erfahrenen Mentee, der/die diese Kompetenz bzw. dieses Fachwissen erwerben möchte. Sie
ist durch gegenseitiges Vertrauen und Wohlwollen geprägt, ihr Ziel ist die Förderung des
Lernens und der Entwicklung sowie das Vorankommen beider Beteiligten.“
Es ist auch insofern eine Sonderform, als es sich auf den ersten Blick auf nur eine der beiden
zentralen Funktionen von Mentoring – nämlich die Wissensvermittlung – bezieht und die
psychosoziale Komponente weitgehend außer Acht lässt. Inwieweit diese Funktion möglicherweise
aber dennoch über das reziproke Verhältnis von MentorIn und Mentee, beziehungsweise über die
Funktion der/des Mentorin/Mentors gegeben ist, wird im nächsten Unterkapitel dargestellt und
sollte jedenfalls Teil der Begleitevaluation von re-ment sein.
Wie schon mehrmals erwähnt, ist die Literatur zu Reverse-Mentoring überschaubar. Ein erstes, aus
finanziellen Gründen nicht weitergeführtes Projekt wurde allerdings bereits im Jahr 1998 von n.
Cotunga und E.C Vickery publiziert (zit. nach Thomson, 2012). In diesem Projekt ging es darum, dass
technologieaffine StudentInnen ErnährungsexpertInnen auf einer 1:1 Basis die Nutzung von
Computer und Internet nahebrachten. Die AutorInnen schlossen, dass sich Reverse-Mentoring gut
für technologiebasierte Themen eignet. In der Tat ist es auch so, dass sich Reverse-Mentoring-
Projekte auf die Vermittlung von IKT-Kompetenzen konzentrieren.
4.2 REVERSE-MENTORING IN UNTERNEHMEN
Auch das erste formale Reverse-Mentoring-Projekt im Unternehmensbereich, das von General
Electric, einem US-Amerikanischen Großunternehmen, durchgeführt wurde, zielte darauf ab, dem
Top-Management des Unternehmens Internetkenntnisse zu vermitteln: 500 ManagerInnen
wurden angewiesen, sich eine/n MentorIn zu suchen, die/der in der Lage war ihnen
Internetkenntnisse zu vermitteln. Das Programm wurde implementiert, nachdem der CEO Jack
Welch selbst sehr positive Lernerfahrungen als Mentee eines jüngeren, technikaffinen Mitarbeiters
gemacht hatte. Andere Großunternehmen wie Procter & Gamble, Unilever, Dell, Time Warner oder
Deloitte & Touche folgten. Dabei wird aber durchaus auch gesehen, dass die gerade aktuell
7 Als „Veterans“ werden Menschen bezeichnet, die vor 1945 geboren sind, „Baby Boomer“ sind zwischen 1946 und 1964 und die „Generation X „ ist zwischen 1965 und 1978 geboren. Diesen Gruppen werden in Unternehmen auch bestimmte differente Charakteristika wie Anforderungen an den Arbeitsplatz, Einstellungen oder Kompetenzen zugeschrieben.
40
ausgebildeten MentorInnen auch andere Kompetenzen in Unternehmen einbringen können, wie
beispielsweise die neuesten Wirtschaftstheorien und Sprachkenntnisse oder besonders auch neue
Ideen, Perspektiven und Konzepte (Giddens & Phillips, 2009). Reverse-Mentoring basiert jedenfalls
auf einem reziproken Verhältnis zwischen MentorIn und Mentee, die/der im Gegenzug der
jüngeren/weniger erfahrenen Person mit langjähriger Unternehmenserfahrung auf
unterschiedlichen Ebenen zur Seite stehen kann. Daniel Giddens und Robyn Phillips (2009; S. 9)
schildern ihre Erfahrungen mit Reverse-Mentoring im Web 2.0 Kontext wie folgt:
„The most positive outcome for us was, that web 2.0 was a catalyst for the strengthening of
our professional relationship, underpinned by deeper levels of honesty, trust and respect for
each other.“
“Reverse mentoring is an innovative way to encourage learning and facilitate cross-
generational relationships.”,
schließt Wendy Marcinkus Murphy (2012; S. 549) in ihrem Artikel zu Reverse-Mentoring am
Arbeitsplatz hier direkt an. Sie wendet sich an Personalverantwortliche und sieht dieses Konzept
als eine Möglichkeit der intergenerationalen Wissensweitergabe. Für Organisationen hat die
Einführung von Reverse-Mentoring-Programmen eine Reihe von Vorteilen: Sie erschießen sich
aktuelle technologische Kompetenzen, sie bauen ihren Führungskräftenachwuchs auf, sie bringen
Diversität ins Unternehmen, sie bauen Innovation auf und sie verbessern die Beziehungen zwischen
den Generationen. Und das auch noch auf eine kostensparende Art und Weise. Die Personen, die
sich an Reverse-Mentoring beteiligen, wiederum haben Lernmöglichkeiten und die MentorInnen –
die Generation der Millennials (auch Generation Y) werden auf eine kreative Art an das
Unternehmen gebunden.
Murphy identifiziert spezifische Charakteristika von Reverse-Mentoring in Unternehmen:
1) Ungleicher Status der Mentoring-PartnerInnen
Reverse-Mentoring bricht hierarchische Rollen auf, was für die Mentees – in der Regel in hohen
Managementpositiionen im Unternehmen – eine Herausforderung darstellen kann. Es kommt zu
einem strukturellen Rollentausch, der von den Mentees fordert, die Prozesskontrolle zumindest
zeitweise an die MentorInnen abzugeben und dass sie sich darauf einlassen, von jüngeren zu
lernen.
2) Fokus auf den Wissensaustausch
Der Hauptfokus im Reverse-Mentoring liegt auf den Lernerfahrungen des/der Mentee. Reverse-
Mentoring wird genutzt werden, wenn die hierarchisch höhergestellten ManagerInnen
(vorwiegend der Gruppe der „Baby Boomers“ zuzuordnen) ihre MentorInnen als kompetent
ansehen, sie effektiv auf ihrem Lernweg zu begleiten. Inhaltlich können das technologische Trends
ebenso sein, wie aktuelle Weiterentwicklungen in einer bestimmten Thematik, soziale Medien,
generationsspezifische Sichtweisen bestimmter Themen oder neue, innovative Ideen. Aber auch
die MentorInnen profitieren von Reverse-Mentoring, indem sie die Strategien des Unternehmens
41
kennenlernen, Prozess- und Strukturwissen erwerben und ihre Kompetenzen in der Planung,
Problemlösung, Entscheidungsfindung und ganz besonders in der Vermittlung verbessern können.
Das sind Entwicklungen, die wir durchaus auch bereits aus der Mentoring-Literatur kennen, wie
auch den nächsten Punkt:
3) Aufbau von Führungskompetenzen der MentorInnen
Reverse-Mentoring zieht Nutzen aus der Tatsache, dass Führungskräfteentwicklung in hohem
Ausmaß persönliche Entwicklung bedeutet. Die Verbindung mit der Organisation über die
Lernbeziehung zum/r Mentee und ein besseres Verständnis der eigenen Rolle im Unternehmen
bzw. der Interdependenz des eigenen Jobs mit anderen im Unternehmen reduziert Ambiguität und
führt so zu größerer Arbeitsplatzzufriedenheit. Denn gerade die Bindung von Millennials an das
Unternehmen wird als wesentliches Ziel der Personalarbeit angesehen, da ihnen als Gruppe eine
höhere Fluktuation zugeschrieben wird (vgl. z.B. Chaudhuri & Gosh, 2012).
4) Gegenseitige Unterstützung
Beide Mentoring-PartnerInnen müssen sich zum gemeinsamen Ziel der gegenseitigen
Unterstützung und des Lernens bekennen. Das wird umso eher geschehen, wenn der
Beziehungsaufbau zwischen den PartnerInnen von Wohlwollen, gegenseitigem Respekt und
Offenheit über die Generationengrenzen hinweg gekennzeichnet ist. Somit entsteht durch Reverse-
Mentoring das Potential, stereotype Vorstellungen der jeweiligen Generationen aufzubrechen,
indem Einblicke in die Einstellungen und Werte der jeweils anderen Generation ermöglicht werden.
Gerade dies wird als ein Wettbewerbsvorteil angesehen. Sanghamitra Caudhuri und Rajashi Gosh
(2012; S. 70) führen ergänzend aus:
“In today´s highly competitive market, organizations that effectively manage their
demographically diverse workforce will enjoy a competitive edge.”
Ann Lee DeAngelis (2013) beschreibt einen Reverse-Mentoring-Prozess in einem
Versicherungsunternehmen (The Hartford). Das Ziel war die Kompetenz im gesamten
Unternehmen im Hinblick auf die Nutzung von sozialen Medien und mobilen Technologien
zu erhöhen, um mit den technologischen Entwicklungen Schritt halten zu können und so die
Kundenbindung zu verbessern. Das Programm ergab sich aus der Initiative einer Gruppe
junger MitarbeiterInnen, die besonderes Interesse an neuen Medien zeigten und wurde vom
Top Management voll unterstützt. Das Unternehmen implementierte das Reverse-
Mentoring Programm an Anlehnung an eine Change-Management-Modell (ADKAR:
Awareness, Desire, Knowledge, Ability, Reinforcement):
1) Das Bewusstsein für die Notwendigkeit einer Veränderung wird geschaffen.
2) Daraus ergibt sich der Wunsch nach Veränderung.
3) Der Wunsch nach Wissen um neue Trends und Technologien wird generiert.
4) Es wird für Möglichkeiten gesorgt, diese Änderungen vorzunehmen.
42
5) Die Nachhaltigkeit wird durch die Unterstützung durch das Top Management
abgesichert.
Das Programm war sehr klar strukturiert. Das Matching der Teams erfolgte über das Erstellen
von Profilen der Beteiligten, die nicht in direktem Arbeitskontakt miteinander standen. Es
wurde darauf geachtet, dass die zeitlichen Ressourcen auch für Recherche-, Vorbereitungs-
und Nachbereitungsarbeiten der Mentees verfügbar waren. Die Mentoring-Sessions wurden
in Zeitabständen von drei bis vier Wochen und mit einer Dauer von einer halben bis zu einer
Stunde durchgeführt. Jede Sitzung hatte eine eigene Agenda, die sich aus den Anforderungen
und Bedürfnissen der Mentees ergab. Zwischen den Sitzungen erarbeiteten die Mentees ihre
vereinbarten Ziele, und die MentorInnen wurden von einem Kernteam inhaltlich und
organisatorisch begleitet. Eine gemeinsame Projektplattform unterstützte die
Kommunikation zwischen den Coaching Sessions und gleichzeitig das Monitoring der
Mentoring-Aktivitäten durch das Kernteam. Schließlich wurden auch Richtlinien für die
MentorInnen erstellt, die zusammenfassten, welche Aktivitäten vor den Coaching-Session zu
erledigen sind (z.B. Informationen über Mentee einholen, erforderliche Materialien
besorgen), während der Sitzungen erforderlich sind (z.B. Joining herstellen, Informationen
über technologische Kompetenzlevels im Hinblick auf die Mentoringinhalte einholen,
Zielentwicklung, Vermittlung) und welche Aktivitäten nach den Coaching-Sitzungen zu
erledigen sind (z.B. Mail mit Protokoll der Sitzung, Links mit relevanten Informationen,
inhaltliche Vorschläge für die weiteren Sitzungen).
Auch dieses Projekt wurde als außerordentlich positiv für das Unternehmen und die
beteiligten Personen beschrieben. Auch wenn keine formale Evaluation durchgeführt wurde,
beweist die geplante erweiterte Nutzung von Reverse-Mentoring für andere Themen wie
Diversität, Umweltbewusstsein und Nachhaltigkeit dessen Erfolg.
Kim Lee DeAngelis (2013; S. 15-16) schließt ihre Ausführungen mit praktischen Empfehlungen
für andere Unternehmen, die Reverse-Mentoring in ihren Unternehmen implementieren
wollen:
o Erstellen Sie einen Projektzeitplan
o Stellen Sie dar, wie Reverse-Mentoring die Organisationsstrategie unterstützt
o Geben Sie dem Programm eine formale Struktur mit klaren Agendas und Zeitplänen
o Unterstützen Sie Top-Management Mentees dabei, sich auf den Lernprozess mit
hierarchisch weniger hoch gestellten MentorInnen einlassen zu können.
Unterstützen Sie MentorInnen dabei zu verstehen und zu respektieren, dass
Mentees sehr different in ihren Formen des Lernens sind.
o Nützen Sie die MentorInnen-Rolle, um talentierte, engagierte junge
MitarbeiterInnen im Unternehmen zu halten.
43
4.3 REVERSE-MENTORING AN SCHULEN
Es sind speziell zwei Projekte in den USA, die nach Hsueh-Hua Chuang und Ann Thompson (2005;
zit. nach Peterson, 2012) eine größere Verbreitung genommen haben und die auf den IT-
Kompetenzen von SchülerInnen und Studierenden aufbauen: Mouse (Making Opportunities for
Upgrading Schools and Education; http://mouse.org/)8 und das Projekt GenYES (Generation Yes;
http://www.genyes.org/), das aktuell immer noch läuft. Beide Programme wurden im letzten
Jahrzehnt des vorherigen Jahrhunderts gestartet, haben eine kommerzielle Basis und bauen darauf
auf, dass Studierende und auch SchülerInnen vorwiegend für Helpdesk-Funktionen ausgebildet
werden, um das Schulmanagement, Lehrende und auch Studierende bei technologischen Fragen
im Schulkotext zu beraten. Die Evaluationsergebnisse von GenYes sprechen dafür, dass die
LehrerInnen vom laufenden Support durch die Studierenden und SchülerInnen profitierten und
diese wiederum durch die Trainings, die sie vor ihrem Einsatz als MentorInnen erhielten (Peterson,
2012).
Alice Christie (2002) berichtet über eine Studie, die auf dem GenYes-Projekt aufbaut und über vier
Jahre lang die kollaborativen Lernerfahrungen und „Grenzüberschreitungen” analysierte, die
entstehen, wenn SchülerInnen und StudentInnen als MentorInnen für Studierende im
Aufbaustudium zum Master, die gleichzeitig bereits als LehrerInnen tätig waren, fungieren. Die
LehrerInnen nahmen an einem 12-Tage Intensivkurs zur Integration von Multimedia in ihren
Unterricht teil. Im Rahmen einer speziellen Kooperation mit der Universität wurde den
SchülerInnen in den beiden Schuljahren vor dem Start des Reverse-Mentoring-Programms ein
spezielles Ausbildungsprogramm in technologischen Kompetenzen (z.B. Gestaltung von Websites)
geboten. Auch in diesem Programm zeigte sich, dass die SchülerInnen als MentorInnen von ihren
Mentees, den LehrerInnen, akzeptiert wurden, da klar war, dass die MentorInnen über deutlich
höhere Kompetenzen verfügten als die Mentees. Die SchülerInnen (der Generation Y zuordenbar)
sahen die Nutzung von Technologie als integralen Teil in ihrem Leben an, was sie auch dazu brachte,
immer wieder kreative und neue Lösungen für die Anliegen ihrer Mentees zu finden. Das heißt sie
bildeten sich in ihrer Rolle als MentorInnen laufend selbst weiter, während die Mentees ihre
Erfahrungen schrittweise machten, indem sie erstmals überhaupt lernten, die richtigen Fragen zu
stellen. Positiv wirkte sich das Programm auch auf das Selbstbewusstsein der SchülerInnen aus.
Ähnliche Erfahrungen machten Jeanette Murphy und Anne Adamst (2005) im medizinischen
Bereich, sowohl mit administrativem als auch mit medizinischem Personal.
Michael J. Peterson (2012) berichtet darüber hinaus von zwei Projekten in Neuseeland: Tech Angels
und Kaiawhina („Helfende/r“). Im Unterschied zum Mouse- und dem GenYes-Projekt, boten diese
Projekte IKT-Unterstützung direkt in den Klassenräumen wenn Probleme auftraten und ihre
Unterstützung gebraucht wurde. Die MentorInnen wurden von den IT-LehrerInnen in ihrer Aufgabe
unterstützt. Leider liegen für keines dieser Projekte Daten zum Geschlecht der MentorInnen vor.
8 Zum Zeitpunkt des Aufrufes am 24.11.2015 befand sich die Website im Umbau
44
Im Rahmen seiner Dissertation hat Peterson (2012) Fallstudien an zwei Schulen in Neuseeland
durchgeführt. Eine der Schulen war eine Mädchenschule und umfasste die Schulstufen 7 bis 13 (d.h.
12 bis 18 Jahre) mit 250 Schülerinnen; die andere Schule hatte 350 SchülerInnen auf den
Schulstufen 7 und 8 (12 bis 13 Jahre). Es nahmen 44 LehrerInnen (vorwiegend weiblich, was sich
aus dem Gesamtverhältnis von 76% Lehrerinnen und 24% Lehrern in Neuseeland ergibt) an der
Studie teil, jede/r davon wollte seine/ihre Nutzung von IKT im Klassenraum erhöhen. Die
MentorInnen wurden von den IT-KoordinatorInnen an den Schulen, die auch die
Projektkoordination übernahmen, auf Basis ihrer IKT-Kompetenzen ausgewählt. Das
Programmdesign folgte dem Kaiawhina-Ansatz, d.h. die MentorInnen wurde bei laufendem
Schulbetrieb angefordert, sobald ein/e LehrerIn Unterstützung benötigte.
Die Programmevaluation bezog sich leider ausschließlich auf die Perspektive der LehrerInnen bzw.
Mentees: Dieses wurde durchgehend als positiv beurteilt, die LehrerInnen akzeptierten die
SchülerInnen als MentorInnen und gaben an, dass sich ihre IKT-Kompetenzen erhöht haben. Die
positive Beurteilung betraf insbesondere die Unmittelbarkeit der Unterstützung durch die
SchülerInnen, denn ihr Support war genau zu dem Zeitpunkt verfügbar, wenn die LehrerInnen ihn
gebraucht haben. Auch wurde das Programm besonders von LehrerInnen positiv aufgenommen,
was den Autor schließen lässt, dass Reverse-Mentoring eine Möglichkeit für das Schließen des
Gender-Gaps in der IKT darstellt (Peterson, 2012).
Auch in Reverse-Mentoring ist somit die gleiche Tendenz wie im Mentoring festzustellen, dass die
Umsetzungen deutlich stärker im wirtschaftlichen Bereich stattfinden. In welchem Ausmaß
Unternehmen und Wirtschaftsbetriebe dieses Konzept allerdings einsetzen, ist fraglich, da dazu
keine Untersuchungen bzw. Daten verfügbar sind. Alle beschriebenen Projektbeispiele stellen
positive Effekte von Reverse-Mentoring dar, die sich auch auf der Ebene der schulischen
Programme an der Reziprozität der Beziehungen zwischen MentorIn und Mentee festmachen
lassen.
45
5 SCHLUSSFOLGERUNGEN FÜR RE-MENT
Aus den Darstellungen der vorherigen Kapitel lassen sich eine Reihe von Empfehlungen und
Schlussfolgerungen für die Gestaltung des Reverse-Mentoring-Programms im Rahmen des re-ment
Projektes ableiten.
Grundsätzlich ist festzuhalten, dass sich Mentoring in Unternehmen, in der Aus- und Weiterbildung,
der Personalentwicklung und Frauenförderung als effektive und effiziente Methode der
Wissensvermittlung und Persönlichkeitsentwicklung etabliert hat. Auch Reverse-Mentoring, als
Sonderform des klassischen Mentoring, scheint in der Wirtschaft mehr und mehr
Anwendungskontexte zu finden, auch wenn sich die Mehrzahl der vorhandenen Studien auf den IT
Bereich beziehen. Die Möglichkeiten des intergenerationalen Austausches und der Umgang mit
Diversität im Unternehmen werden hierbei vielfach mitgedacht. Mit dem Einsatz von Reverse-
Mentoring wollen die Unternehmen ihren erfahrenen MitarbeiterInnen ermöglichen,
technologischen Trends und Neuerungen folgen zu können, um sich auf die Entwicklungen von
Anforderungen ihrer KundInnen einstellen zu können. Für ihre als „Millennials“ klassifizierten
MitarbeiterInnen sollen mit Reverse-Mentoring – gleich wie im klassischen Mentoring –
Möglichkeiten der Karriereentwicklung geschaffen werden und die Bindung an das Unternehmen
erhöht werden. Es gibt darüber hinaus deutliche Hinweise, dass sich das Konzept Reverse-
Mentoring als Möglichkeit für Dekonstruktionen von Einstellungen und Annahmen eignet, denn es
wurde in den vorgestellten Studien häufig berichtet, dass sich im Rahmen des Projektprozesses das
Verständnis der PartnerInnen für die jeweils andere Generation erhöhte. Reverse-Mentoring in der
Schule gibt es kaum, über die Gründe, warum es so wenig Eingang in diesen Bereich findet, kann
nur spekuliert werden. Eine Erklärung könnte sein, dass es eine zu hohe Herausforderung für
schulische Kulturen darstellt, die Umkehrung des LehrerInnen/SchülerInnenverhältnis zuzulassen
und als möglichen Gewinn für beide Seiten ansehen zu können. Das impliziert einerseits eine
theoretisch, strukturell und organisatorisch fundiert durchdachte Durchführung des Projektes an
den beteiligten Schulen zu gewährleisten. Anderseits aber auch große Vorsicht bei einer
Übertragung der Forschungsergebnisse zu Mentoring und Reverse-Mentoring, die außerhalb des
Schulbereiches gewonnen wurden.
Ausgehend vom kleinsten gemeinsamen Nenner in der Best Practice von Mentoring, den Susan
Brondyk und Linda Searby (2013) aufgestellt haben (Realisierbarkeit in der Praxis, empirische Basis
und Zielerreichung) werden in der Folge Empfehlungen aus der Literatur abgeleitet, die für das re-
ment Projekt relevant sind. Dies vor dem Hintergrund, dass die Realisierbarkeit dieses
Pilotprojektes durch die Förderung durch die 4. Ausschreibung Talente/FEMtech des bmv_it voll
gewährleistet ist.
46
5.1 EMIPIRISCHE BASIS
5.1.1 Theoretisches Konzept
Re-ment ordnet sich konstruktivistischen Lerntheorien zu und geht somit davon aus, dass Lernen
einen aktiven, selbstgesteuerten Prozess darstellt, der in Interaktionen stattfindet. Reflexion
ermöglicht den Aufbau von neuen Bedeutungen, die in ein Konzept früherer Erfahrungen (Muster)
eingeordnet werden und dort auch ihren Ausgangspunkt finden. Im Rahmen der re-verse
Mentoring-Beziehungen wird Lernen also als eine soziale Co-Konstruktion von Wissen durch
MentorIn und Mentee angesehen (z.B. Crow 2012). Das entspricht dem Ansatz der Andragogik, der
u.A. davon ausgeht, dass Erwachsene viel an Erfahrung mitbringen sowie, dass Reflexion und
Selbststeuerung zentrale Elemente des Lernprozesses darstellen (Knowles, 1975).
So orientiert sich re-ment auch nicht an den klassisch, hierarchisch, dyadischen
Modellvorstellungen von Mentoring, sondern bezieht sich in der Umsetzung auf neuere
Modellvorstellungen wie das von Higgins und Kram (2001) vorgestellte Konzept des
Entwicklungsnetzwerks, das in unterschiedlichen Formen Verbreitung gefunden hat und auch den
Vorteil hat, in einem hohen Maß die aktuelle Lebenswelt von Jugendlichen abzubilden. Dabei geht
es darum, die Mentoring-Beziehung nicht nur auf zwei Beteiligte zu reduzieren, sondern die
Möglichkeiten zu nützen, die sich durch ein Netzwerk für MentorInnen und Mentees ergeben
können. Das kann sein, dass einzelne MentorInnen davon entlastet werden, alleine für die
Beantwortung aller Fragen verantwortlich zu sein, dass Aspekte/Meinungen/Ideen anderer
Personen Eingang in den Mentoringprozess finden können, dass sich Austausch innerhalb der
Gruppen der MentorInnen und/oder der Mentees ergeben kann. Ob das als Austauschplattform
oder tatsächliche Treffen – auch als Begleitprogramm – organisiert wird, die Wechselseitigkeit der
Mentoring-Beziehungen wird damit in jedem Fall gestärkt und der Nutzen vieler Ansprechpersonen
für das eigene Thema erhöht die Möglichkeit, jedenfalls die richtige Antwort zu finden.
Für re-ment bedeutet das auf einer strukturellen Ebene, dass die Mentorinnen über ein
schulinternes Mentoring-Netzwerk (Entwicklungsnetzwerk) beispielsweise gemeinsam eine/n
Mentee betreuen, den/die Mentee einer anderen Mentorin in einem bestimmten Wissensgebiet
übernehmen oder sich im Hinblick auf bestimmte Anforderungen untereinander auszutauschen.
Sinnvoll erscheint hier die Möglichkeit das Netzwerk elektronisch zu erweitern, indem die
beteiligten Schulen über ein soziales Netzwerk miteinander verbunden werden und Möglichkeiten
des E-Mentoring im Sinne konstruktivistischer Lerntheorien genutzt werden.
Dass eine vertrauensvolle, positive Beziehung zwischen Mentorinnen und Mentees als ein
Qualitätsfaktor im Mentoring angesehen wird, wird in den Evaluationen durchwegs geschildert.
Wie allerdings ein derartiger Beziehungsaufbau gelingen kann, darüber kann nach Sichtung der in
diesem Bericht analysierten Literatur, nur spekuliert werden. Eine Ausnahme bildet die Häufigkeit
der Treffen, wobei eine regelmäßige, länger dauernde Zeitstruktur als förderlich angesehen wird.
Das kann durchaus zutreffen, allerdings muss auch berücksichtigt werden, dass gerade Mentoring-
Beziehungen, die sich durch diese Faktoren auszeichnen, als besonders positiv wahrgenommen
47
werden. Anleihen könnten hier in anderen Feldern wie dem systemisch-konstruktivistischen
Coaching genommen werden, für das die Haltung und das Menschenbild der Coaches von großer
Bedeutung sind. Dabei stellt speziell das Konzept der „Kundigkeit“ ein zentrales Element der
Überlegungen dar (Hargens, 1993). Es wird davon ausgegangen, dass die KundInnen die Kompetenz
und die Kundigkeit für ihre Probleme und deren Lösungen bereits mitbringen. Es gibt keine
Definitionsmacht der Wirklichkeit, weil in einem konstruktivistischen Ansatz jede/r seine/ihre
eigene Weltsicht einnimmt. Die im beratenden Kontext Beteiligten sind somit gleichberechtigt im
Hinblick auf deren Konstruktion der Realität. Das Interesse für das andere kann wiederum zu
hilfreichen Re-Konstruktionen anregen. Die Idee des Respekts, der Kooperation, der Reflexion und
der Transparenz stellt eine wesentliche Ergänzung dazu dar. Hier geht es um das Bemühen, immer
wieder eine Situation herzustellen, in der Anders-Sein, Unterschiedlichkeit und Eigenständigkeit
anerkannt werden (Details vgl. Zauchner-Studnicka, 2013b).
5.1.2 Evaluation
Re-ment ist ein Pilotprojekt. Insofern ist eine fundierte Projektevaluation von besonderer
Bedeutung. Es können dabei die im Bericht dargestellten und häufig geäußerten Kritikpunkte
aufgenommen werden. Diese beziehen sich vorwiegend auf methodische, aber auch auf inhaltliche
Aspekte.
Methodisch geht es primär darum, alle Beteiligten (MentorInnen, Mentees, KoordinatorInnen,
Coaches) in die Evaluation einzubeziehen, qualitative Methoden – altersgemäß – mit quantitativen
zu kombinieren und Längsschnittdesigns einzusetzen. Das entspricht ohnehin der im Projektantrag
geplanten Vorgehensweise. Es könnte noch überlegt werden, ob es erforderlich sein wird, die
Evaluierung formativ anzulegen, um noch direkt im Mentoringprozess reagieren zu können.
Die im Projektantrag genannten inhaltlichen Elemente (Implementierung, Dekonstruktion,
Lerneffekte) können auf Basis des vorliegenden Berichts um weitere Elemente erweitert bzw.
differenziert werden: Wie hat sich die Beziehung zwischen MentorInnen und Mentees dargestellt?
Wie wurde das Matchting wahrgenommen? Wie hat sich die zeitliche Gestaltung (Dauer, Häufigkeit
der Treffen) dargestellt? Welche Effekte bringt das Projekt für MentorInnen und Mentees im
Hinblick auf Selbstwahrnehmung der eigenen IKT Kompetenzen, Einstellung zur IKT, zu Berufen im
diesem Bereich? Hat sich das Selbstbewusstsein geändert? Was wurde konkret gelernt –
Wissenszuwachs? Wird auch die zweite Funktion von Mentoring angesprochen, i.e. psychosoziale
Entwicklungen und inwiefern? Gibt es kontextuale Faktoren zur Verbesserung des Programms für
Schulen? Wie stellten sich die Beziehungen dar? Reziprozität im Lernen – haben die MentorInnen
auch von den Mentees gelernt? Wie wird das Netzwerk (Mentoringgruppe) wahrgenommen?
5.2 ZIELERREICHUNG/PROJEKTORGANISATION
Im Hinblick auf die Zielerreichung von re-ment und deren Umsetzung in Form einer fundierten
Projektorganisation erscheint es sinnvoll, sich an den Qualitätsmerkmalen von Mentoring zu
orientieren.
48
5.2.1 Anpassung an Problemlage und Kontext
Das bedeutet in erster Linie, sich an die kontextualen Faktoren anzupassen, die im schulischen
Bereich gegeben sind. Das Projekt muss im schulischen Bereich durchführbar sein und sich in
Abstimmung mit den Partnerschulen an den täglichen Ablauf des Schulalltags anpassen. Es bedingt
eine Projektstruktur, die es erforderlich macht, die Durchführungskompetenz an die einzelnen
Schulen zu delegieren und als Projektteam begleitend zur Verfügung zu stehen. Insbesondere muss
es dabei vorab um die Vermittlung der Projektziele gehen, um ein gemeinsames Verständnis für
das Programm und dessen Potentiale im MINT-Bereich zu entwickeln. Es geht also darum, die
Unterstützung der Direktion und auch der IKT-Koordination der Schule für das Projekt einzuholen
und eine Vor-Ort-Koordination zu etablieren, die laufend der/die direkte AnsprechpartnerIn für die
Mentorinnen darstellt und den Mentoringprozess in der Schule kontinuierlich begleitet.
5.2.2 Matching
Das Matching wird in der Literatur als einer der zentralsten Faktoren für ein gutes Gelingen eines
Mentoring-Projektes angesehen. Die Auswahl der Mentorinnen in re-ment wird über die Schule
durchgeführt werden, wobei die wesentlichen Kriterien neben Interesse und Freiwilligkeit, deren
IT-Kompetenzen und soziale Kompetenzen sein werden. Das Matching mit den Mentees erfolgt auf
Basis der fachlichen Kompetenzen der MentorInnen bzw. ihrer Mentoring-Profile, die im Rahmen
der Coachings erarbeitet werden (s.u.). Das bedeutet beispielsweise, dass die Fähigkeiten, eine
Website oder Videos zu erstellen von einer Schülerin eingebracht werden und Mentees
entsprechend dazu in einem zweiten Schritt ausgewählt werden. Darüber hinaus sollte noch vor
dem Projektstart ein kurzes Treffen von MentorIn und Mentee stattfinden, um zu überprüfen, ob
sich ein Tandem auch gut vorstellen kann, miteinander zu arbeiten.
5.2.3 Workshops bzw. Coachings
Ein erster Schritt wird sein, die KoordinatorInnen an den einzelnen Schulen im Rahmen einer
Schulung mit dem Reverse-Mentoring Programm und mit ihrer Rolle vertraut zu machen. Dafür
wird ein gemeinsamer Workshop m Ausmaß von zwei bis drei Stunden erforderlich sein.
Es ist eine explizite Vorbereitung der MentorInnen auf das re-ment Projekt vorgesehen. Das erfolgt
über systemisch-konstruktivistische Business-Coachings, da dieses Verfahren vor dem Hintergrund
des unbedingten Respekts vor den Wirklichkeitskonstruktionen seiner KundInnen besonders für die
Arbeit an Ressourcen und Lösungen geeignet ist. Dabei wird es in Form eines ersten
Gruppencoachings, in erster Linie darum gehen, die Mentoringgruppe als solche zu konstituieren.
Je nach individuellen Bedürfnissen der MentorInnen wird weiter mit Gruppen- oder Einzelcoachings
gearbeitet um sie mit ihren Ressourcen und Kompetenzen für ihre Rolle vorzubereiten und zu
stärken. Ziel ist dabei, für jede Mentorin ein spezifisches Mentoring-Profil zu erarbeiten. Diese
Begleitung der Mentorinnen wird nicht nur vor dem Projektstart angeboten, sondern ebenso
während der Durchführung. Darüber hinaus stehen den Mentorinnen die KoordinatorInnen für
technische Fragen zur Verfügung bzw. ist das Projektteam in inhaltlichen Fragen sowohl von
Mentorinnen als auch den KoordinatorInnen ansprechbar. Das Entwicklungsnetzwerk, bestehend
49
aus den Mentorinnen und ggf. auch aus Mentees, stellt eine wesentliche weitere Ressource für die
Programmdurchführung dar.
5.2.4 Dauer und Häufigkeit der Treffen
Die Dauer des re-ments Projekts ist durch organisatorische und kontextuale Bedingungen
vorgegeben und liegt mit einem Schulsemester eher am unteren Ende der Laufzeiten der Projekte,
über die in der Literatur berichtet wird. Auch wenn die Dauer für den schulischen Bereich im
Hinblick auf die Zeitressourcen als realistisch durchführbar erscheint, wird diese jedoch konkret
evaluiert werden. Die Frequenz der Treffen wird in der Regel mit ca. einmal monatlich angegeben.
Dies müssen nicht unbedingt Face-to-Face- Treffen in der Schule sein, sondern es besteht je nach
technischen Voraussetzungen auch die Möglichkeit, die Treffen in Form von E-Mentorings online
synchron oder auch asynchron abzuhalten. Jedenfalls sollten konkrete zeitliche Vereinbarungen
getroffen werden, die sowohl die Mentorinnen als auch die Mentees unter Berücksichtigung des
schulischen Alltags als realistisch ansehen.
5.2.5 Bewerbung des Programms in den Schulen/Würdigung der Mentorinnen
Die explizite Bewerbung von re-ment an den einzelnen Partnerschulen erfolgt neben der Verteilung
von Informationsmaterialen (Flyer) und die Nutzung der Projekt- und Schulwebsite und durch
Abschlussveranstaltungen an den einzelnen Schulen, bei denen eine feierliche Würdigung – eine
Vergabe von Zertifikaten und kleinen Preisen an die Mentorinnen vorgesehen ist und bei denen
neben dem Projektteam, den DirektorInnen und LehrerInnen eine erweiterte Schulöffentlichkeit
eingeladen ist.
5.2.6 Guidelines
Einen wesentlichen Teil der Projektvorbereitung wird es ausmachen, Guidelines für den Ablauf des
Reverse Mentoring in den Schulen zu erstellen und diese in das re-ment Coaching Konzept
aufzunehmen, das als Deliverable 4 erarbeitet werden wird. Diese Guidelines legen die folgenden
Aspekte für re-ment im Detail fest:
o Ziele und Zeitrahmen von re-ment
o Organisationsstruktur
o Nutzung von Technologien für den Mentoringprozess bzw. für das Entwicklungsnetzwerk
o Aufgaben des wissenschaftlichen Teams (Konkretisierung der laufenden Begleitung und
Unterstützung, Teilnahme/Organisation von Netzwerktreffen)
o Aufgaben der Coaches (z.B. Empowerment, Organisation der Mentoringprofile,
Abstimmung der Coachings mit den Mentorinnen)
o Aufgaben der KoordinatorInnen (z.B. organisatorische Einbettung in die Schule,
Konzeptvermittlung an die Mentorinnen, fachliche Unterstützung der Mentorinnen,
Teilnahme an der Evaluierung)
o Aufgaben der Mentorinnen (z.B. Bereitstellen und Vermittlung von Fachinhalten für die
Mentees, Termintreue, erforderliche Materialien verfügbar halten, zeitliche
Vereinbarungen und Agendas mit den Mentees erstellen)
50
o Aufgaben der Mentees (z.B. Umsetzen der Vereinbarungen im Mentorin, Führen von
Lernprotokollen)
Für das re-ment Projekt ergibt sich nach diesen Ausführungen abschließend eine abgeänderte,
erweiterte Definition von Reverse-Mentoring:
„Reverse-Mentoring bezeichnet eine zeitlich relativ stabile Entwicklungspartnerschaft
zwischen ExpertInnen in einem spezifischen Fachgebiet, die über weniger Berufs- und
Lebenserfahrung verfügen (MentorInnen), und NovizInnen, die diese Kompetenz bzw. dieses
Fachwissen erwerben möchten und über mehr Berufs- und Lebenserfahrung verfügen
(Mentees). Sie ist durch gegenseitigen Respekt gekennzeichnet, ihr Ziel ist die Förderung des
Lernens und der Entwicklung sowie das Vorankommen beider Gruppen und kann in direkter
Kommunikation mit den Gruppenmitgliedern und/oder technologisch unterstützt erfolgen.“
51
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