Programm 2/2020 - DLA Marbach · 2020. 8. 24. · Agboluaje, Penda Diouf, Jennifer Nansubuga...
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Programm 2/2020
Was ist
Literatur
?
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Was ist Literatur? Zum
Beispiel: ein Wortspiel,
das himmlische Mächte
provoziert.
Peter Rühmkorf, aus
dessen Nachlass diese
Lakritzdose stammt, hat
mit der Mehrdeutigkeit
eines von ihm erfundenen
Kürzels gespielt – TABU:
wie das Tagebuch, das
er schrieb, aber eben
auch wie das Adjektiv und
Substantiv, mit dem wir
etwas bezeichnen, das
aus gesellschaftlichen
Gründen verboten ist.
Das Wort kommt aus dem
polynesischen Sprachraum.
Unaussprechliche,
heilige, unberührbare
Dinge – so die ursprüng-
lich religiöse Vor-
stellung – müssen streng
gemieden werden, da
sie gefährliche Kräfte
besitzen. In ihnen wohnen
Götter. Rühmkorf per-
sonifizierte seine Auswahl
aus den über 15.000 in
Marbach archivierten
Seiten TABU-Text, indem
er ihr ein Zitat von Walt
Whitman voranstellte:
„Camerado, dies ist kein
Buch. Wer dies berührt,
berührt einen Mann.“
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Editorial
Fallen Körper und Seele des
Menschen auseinander, entstehen
monströse Charaktere, meinte
Schiller. Als angehender Arzt
befasste er sich vor allem mit
psychosomatischen Krankheiten,
u.a. mit Melancholie. Seine Be-
obachtungen vereinte er in seiner
Dissertation Versuch über den Zusammenhang der tierischen Natur des Menschen mit seiner geistigen (1780).
Gegenwärtig bereitet uns unsere
Natur Schwierigkeiten. Aufgrund
der Covid-19-Pandemie müssen
wir unser kulturelles Miteinander
einschränken und uns in einer Weise
verhalten, wie sie für Menschen
untypisch, um nicht zu sagen: un-
natürlich ist. Doch aus der Einsicht
in das Notwendige halten wir uns
daran und versuchen zugleich, das
Miteinander auf Abstand zu pflegen.
Die vergleichsweise abstrakte
und reduzierte Form der Literatur
erweist sich dabei als Vorteil.
Als Sprachkunst lässt sich Literatur
allein oder in einer kleinen Gruppe
lesen – laut oder leise, mit oder
ohne spielerische Elemente, je nach
Bedarf. Solches Lesen, Erzählen
oder Spielen in Seuchenzeiten hat
Tradition, man denke an Boccaccios Decamerone. Im 14. Jahrhundert flüchteten sieben Frauen und drei
Männer vor der Pest in die Berge um
Florenz. Sie berichten erschreckend
realistisch von der Pest. Mit ihren
Geschichten eröffnen sie mögliche
Welten, die sich weit über das
Erlebte hinaus spannen und auf
eine hoffentlich glücklichere und
gesundere Zukunft verweisen.
Um solche Möglichkeitshorizonte
eröffnen und überhaupt weiterhin
arbeiten zu können, hat das Deutsche
Literaturarchiv in den vergangenen
Monaten einen großen Schritt ins
Digitale gewagt. Wir arbeiten online
miteinander, treiben die Digitali-
sierung unserer Bestände und
die digitale Arbeit damit voran.
Lesungen, Führungen, Gespräche
und Diskussionen finden, solange
die Kontaktbeschränkungen gelten,
hauptsächlich digital in unseren
Social-Media-Kanälen und in
unserem neuen Blog statt. Unter
#closedbutopen präsentiert das
Museumsteam virtuelle Rundgänge
durch die Ausstellungen und
vieles mehr. Seit Ende Mai sind
die Museen wieder zugänglich, und
Nutzer*innen können nach Voran-
meldung wieder im Archiv arbeiten.
Wir hoffen, dass wir der sinnlichen
und unmittelbaren Seite der Literatur
bald wieder mehr Geltung verschaffen
und auch Sie von Angesicht zu
Angesicht treffen können, ohne die
Vorzüge des Digitalen aufzugeben.
Denn auch die Literatur hat einen –
oder vielmehr: viele Körper, ohne
die sie ihrerseits eine seelenlose
Kunst wäre.
Sandra Richter
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Inhalt
Narrating Africa step by step
Lesen! Deep, skim, distant, close, micro, macro, wide, scalable, slow, fast?
#LiteraturBewegt Lesen lernen / Hannelore Schlaffer
ratzepatz. Rühmkorfs Nachlasspoesie
Schiller lesen
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8 16
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Ausstellungen
Themen und Dialoge
Hölderlin, Celan und die Sprachen der Poesie
Laß leuchten! Peter Rühmkorf – selbstredend und selbstreimend
Schiller, Hölderlin, Kerner, Mörike
Die Seele
Celans späte Sterne
Wie erzählen wir heute von Afrika? Welche Geschichten und Mythen betreffen uns heute?
Von Winnetou zu Mohn und Gedächtnis / Farhad Showghi
SateLIT 1: Planet Motzstraße. Else Lasker-Schülers Lebenszeichen aus Berlin
Hölderlin lesen. Laut und draußen / Nico Bleutge
Rühmkorfs letzter Brief
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Ausstellungen
Hölderlins zehn häufigste Substantive
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Wechselausstellung im Literaturmuseum der Moderne bis 1. August 2021
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Was verändert sich, wenn wir es
im Raum lesen? Welche Hölderlin-
Erfahrungen sind in Archiv und
Bibliothek überliefert und welcher Text
und was daran ‚wirkte‘ jeweils wie?
Auf dem Hölderlin-Leser Paul Celan,
dessen umfangreicher Nachlass
sich im Deutschen Literaturarchiv
befindet, liegt dabei ein besonderer
Schwerpunkt: Er wäre im Jahr 2020
100 Jahre alt geworden, zugleich
jährt sich sein Todestag zum 50. Mal.
„Hölderlin ist eine dem Deutschen
verwandte Sprache“, schrieb Oskar
Pastior 1995. Mit über 150 Objekten
und Stationen zieht sich die Aus-
stellung Hölderlin, Celan und die Sprachen der Poesie durch beinahe alle Räume des Literaturmuseums
der Moderne, um die unterschied-
lichen Dimensionen dieser Sprache
auszuloten. Im Mittelpunkt stehen
Hölderlins Gedichte und ihre
Wirkungen aus unterschiedlichen
Perspektiven: Was geschieht
beim Lesen eines Hölderlin-Gedichts
mit uns? Wie wirkt ein Hölderlin-
Gedicht, wenn wir es in der Hand-
schrift lesen?
Gefördert von der Baden-Württemberg Stiftung. Die Stationen zur Lese-forschung werten wir zusammen mit dem Leibniz-Institut für Wissensmedien und dem Institut für Psychologie der Universität Tübingen aus.
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Hölderlin, Celan und die Sprachen der Poesie. Impressionen von der Eröffnung am 23. Mai mit Staats-sekretärin Petra Olschowski.
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Schiller,
Hölderlin, Kerner, Mörike
Eine Interimsausstellung im Literaturmuseum der Moderne bis Winter 2022
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Für das Schiller-Nationalmuseum
erarbeiten wir zur Zeit ein neues
Ausstellungskonzept. Daher sind
vier Schriftsteller – Schwaben von
Geburt und Autoren von Weltrang –
vorläufig ins Literaturmuseum der
Moderne umgezogen. Wir haben
Dinge eingepackt, die ihre poetisch
besonderen Seiten zeigen: Friedrich
Schillers unterschiedliche Spiele,
Justinus Kerners Tintenklecksbilder
und die eigenwilligen Aufschreibe-
systeme von Friedrich Hölderlin und
Eduard Mörike. Alle vier Schrift-
steller stammen aus der Umgebung
des Museums: Schiller wurde 1759 in
Marbach geboren, Hölderlin 1770
in Lauffen, Kerner 1786 und Mörike
1804 in Ludwigsburg.
Ein zweiter Raum mit Scheren-
schnitten von Luise Duttenhofer und
wechselnden Leselaborstationen
ergänzt diese Interimsausstellung.Blick auf Schiller, der vorüber-gehend ins Literatur-museum der Moderne umgezogen ist.
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Exponat-tableaus sowie Bild- und Ton-platten zu Schiller, Hölderlin, Mörike und Kerner im Literatur-museum der Moderne.
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Die Seele
Die Dauerausstellung zum
20. Jahrhundert im
Literaturmuseum der Moderne
Die über 280 Exponate, die wir aus
den mehr als 1.400 Schriftsteller- und
Gelehrtennachlässen mit rund
50 Millionen Einzelblättern, Büchern
und Gegenständen des Deutschen
Literaturarchivs ausgewählt
haben, zeigen eine besondere
Literaturgeschichte des Schreibens
und Lesens. Von 1899 bis 2001,
von Hermann Hesse zu W.G. Sebald,
unter anderem mit Exponaten von
Rilke, Kafka, Benn, Döblin, Walter
Benjamin, Joseph Roth, Stefan
Zweig, Else Lasker-Schüler, Mascha
Kaléko, Hannah Arendt, Hilde
Domin, Siegfried Lenz, Sarah Kirsch,
Martin Walser, Thomas Bernhard
und Hans Magnus Enzensberger.
Für Hölderlin, Celan und die Sprachen der Poesie haben wir mit Objekt-karten und Originalen in der Dauer- ausstellung im Literatur-museum der Moderne ein ganzes Ausstel-lungskapitel verortet: „Zitieren. Hölderlin mit anderen lesen“.
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Narrating Africa step by step
Eine Open-Space-Ausstellung im Literaturmuseum der Moderne
bis 1. August 2021
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Screens-hots aus den #closedbut-open-Videos zu Narrating Africa.
Wie erzählen wir von Afrika: von
einem Kontinent und seiner Vielfalt?
Welche Bilder und Stereotype,
welche kolonialen und nationalen
Ideologien bestimmen die Literatur
über Afrika und werden von ihr
geprägt, verbreitet oder zerlegt?
In einer Open-Space-Ausstellung
diskutieren wir das mit Texten,
Archivfunden, Lecture Performances
und Gesprächen u.a. mit Partnern
aus Namibia und zahlreichen Schrift-
stellerinnen und Schriftstellern
aus Afrika. Da wir das für den Juni
zusammen mit Annette Bühler-
Dietrich (Universität Stuttgart) und
der University of Namibia geplante
Autorenfestival in den Mai 2021
verschieben mussten, werden wir die
Ausstellung vorerst auf digitalen
Wegen ergänzen, umschreiben und
neu fügen.
Gefördert vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst des Landes Baden-Württemberg.
Videoeinblicke und -beiträge zur Ausstellung, u.a. von Oladipo Agboluaje, Penda Diouf, Jennifer Nansubuga Makumbi, Ildevert Méda, Rémy Ngamije, Sami Tschak und Sylvia Schlettwein finden Sie auf dem YouTube-Kanal der Literaturmuseen Marbach.
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SateLIT 1: Planet Motzstraße. Else Lasker-Schülers Lebenszeichen aus Berlin
Eine Ausstellungsreihe der Stiftung
Brandenburger Tor und des Deutschen
Literaturarchivs Marbach, von Mitte Oktober
an im Literaturmuseum der Moderne
SateLIT konfrontiert das Publikum
anhand eines überraschenden
literarischen Kerns mit anderen
Sichtweisen und letztlich mit sich
selbst. Denn Literatur verändert unser
Leben: Sie schult den Umgang mit
Mehrdeutigkeit, Mehrsprachigkeit, mit
historischem Zufall und dem Wechsel
von Rollen. Literatur vervielfältigt
die Perspektiven. Ausgehend von
Marbacher Fundstücken erkunden wir,
wie sich diese Wirkmächtigkeit der
Literatur vermitteln lässt und welche
Rolle Literaturarchive dabei spielen.
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Gegenstand des ersten SateLIT sind
die 64 erhaltenen, bislang unver-
öffentlichten Briefe und Postkarten,
die Else Lasker-Schüler von 1905
bis 1931 an den Literaturkritiker,
Übersetzer und Mäzen Nicolaas
Johannes Beversen meist aus
dem „Hôtel“ Koschel in der Berliner
Motzstraße, dem heutigen Hotel
Sachsenhof, geschrieben hat.
In der anderthalb Kilometer langen
Motzstraße haben Vladimir Nabokov
gelebt, Rudolf Steiner, Billy Wilder
und Erich Kästner. Alfred Döblin traf
hier Ernst Bloch, Bertolt Brecht und
Johannes R. Becher. Oskar Kokoschka
war der Hotelmitbewohner von Else
Lasker-Schüler. Die Korrespondenz
mit Beversen konnte in diesem
Januar mit Hilfe der Kulturstiftung
der Länder erworben werden.
In der Stiftung BrandenburgerTor
wird die erste, mit Shermin Langhoff
und Judith Kuckart entwickelte und
vom Hauptstadtkulturfonds geförderte
Ausgabe von SateLIT vom 25. August
bis zum 7. Oktober gezeigt werden,
im Anschluss geht sie ins Literatur-
museum der Moderne (18. Oktober
2020 bis 10. Januar 2021). Mehr:
www.stiftungbrandenburgertor.de
Auf der Online-Platform Poetic Textures – Else Lasker-Schüler Archives, einer Initiative des Deutschen Literaturarchivs mit
der National Library of Israel
(NLI) in Jerusalem, werden virtuell
und exemplarisch Objekte aus
beiden Institutionen miteinander
verbunden, die im Zuge des Exils
Lasker-Schülers zerstreut überliefert
wurden: Besucher*innen können so
in einzigartigen Materialien recher-
chieren und die Sammlungen zweier
Länder und Sammelorte gemeinsam
und in ihren Verbindungen kennen-
lernen. Gedichtmanuskripte, Briefe,
Zeichnungen und Collagen sowie
Kommentare von ausgewiesenen Else
Lasker-Schüler-Expert*innen sowie
ein Gespräch von Sandra Richter,
Stefan Litt und Anna Kinder in
Kooperation mit dem Projekt Bridge to Europe an der NLI finden Sie hier: www.laskerschuelerarchives.org.
Postkarte von Else Lasker- Schüler an Nicolaas Johannes Beversen mit„Profil-marke“. Den Umschlag auf der vorhergehen-den Seite mit einem Bild statt einer Absender-angabe schickte sie 1913 an Franz Marc.
„Ich b
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Laß leuchten! Peter Rühmkorf – selbstredend und selbstreimend
Eine Wechselausstellung der
Arno Schmidt Stiftung
im Schiller-Nationalmuseum,
voraussichtlich vom
25. Oktober 2020 bis
1. August 2021
Vorher- gehende Seite: Peter Rühmkorf.
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Der vielfach preisgekrönte Lyriker
Peter Rühmkorf (1929 – 2008) war
lange Jahre in Hamburg an der Elbe
zu Hause, doch seine Manuskripte
‚wohnen‘ bereits seit 1981 als
sogenannter Vorlass im Deutschen
Literaturarchiv Marbach, wo nun
die Arno Schmidt Stiftung
Rühmkorfs Leben und Werk mit
einer umfangreichen Ausstellung
präsentiert.
Rühmkorf publizierte seine Gedichte
nicht nur in Büchern, sondern
entdeckte neue Orte für die Lyrik.
Gemeinsam mit befreundeten
Musikern trug er sie auch als ‚Jazz
und Lyrik‘ in Kellerclubs, Kirchen
und auf öffentlichen Plätzen vor.
Er sammelte Kinder- und Spottverse,
studierte und rezensierte Kollegen,
bewunderte Dichter vergangener
Jahrhunderte, schrieb Theaterstücke
und erreichte mit seinem Erinnerungs-
buch Die Jahre die Ihr kennt ein großes Publikum. Rühmkorf arbeitete als
Redakteur der Zeitschrift konkret, als Lektor des Rowohlt Verlags und
engagierte sich in der Studenten-
und Friedensbewegung.
Die Ausstellung zeigt Rühmkorfs
Werk und sein Leben als Künstler
und streitbarer Intellektueller in
allen Facetten. Zentrales Element
der Ausstellung ist der ‚Raum der
Gedichte‘, in dem zehn Gedichte
Rühmkorfs in Großprojektionen
inszeniert werden. Eine Auswahl
weitgehend unbekannter Film-
aufnahmen seiner Jazz-und-Lyrik-
Programme aus mehreren
Jahrzehnten ergänzt die Gedicht-
projektionen. Themenstationen
widmen sich wichtigen Aspekten
in Schaffen und Leben des Dichters,
stellen einzelne Werkphasen vor
und erläutern sein poetisches
Konzept. Eine fünfzig Quadratmeter
große Wandinstallation verdeut-
licht am Beispiel des Gedichts
Selbst lll/88 Rühmkorfs aufwändigen Arbeitsprozess.
Zusammen mit Hölderlin, Celan und die Sprachen der Poesie verwandelt die Ausstellung die Marbacher Literatur-
museen in einen Ort, an dem die
kleine literarische Form des Gedichts
die Hauptrolle spielt und Besucher
auf Poesie in unterschiedlichsten
Erscheinungsweisen treffen – gereimt
und gezählt, bewegt und still,
laut und zart, dunkel und leuchtend.
Geplant ist, dass der Literatur-
wissenschaftler, Essayist und Mäzen
Jan Philipp Reemtsma und der Lyriker
Nico Bleutge zur Eröffnung sprechen.
Da wir zum Zeitpunkt der Drucklegung
dieses Programmhefts noch keine
sicheren Angaben zur Durchführung
von Veranstaltungen in diesem
Herbst machen können, achten Sie
bitte auf die Informationen auf unserer
Homepage und in der Presse.
Eines von Rühmkorfs Selbst-porträts im Manuskript von Selbst III/88.
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Themen und Dialoge
Celans zehn häufigste Substantive im Band Lichtzwang
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Hölderlin lesen. Laut und draußen
„Wer bloß an meiner Pflanze riecht,
der kennt sie nicht, und wer sie
pflückt, bloß, um daran zu lernen,
kennt sie auch nicht“, schreibt
Hölderlin im Vorwort seines Romans
Hyperion. Wir wollten daher im Rahmen des Literatursommers 2020
im Mai und Juni Hölderlin gemeinsam
laut lesen, blind hören oder taub
sehen und mit seinen Texten Räume
abstecken und erfahren. Stattdessen
haben wir alle eingeladenen Künstler
um Video-Beiträge gebeten. Nico
Bleutge haben wir darüber hinaus
eine Reihe von Fragen geschickt. Haben Sie ein Lieblingsgedicht von
Hölderlin?
An die Parzen mag ich sehr, Hölderlin-Evergreen, ein Gedicht ohne
Pflanzen, dafür mit Odenform, Göttern
und der Vorstellung vom Gedicht
als dem „Heil’gen“. Aber auch späte,
längere, verzweigtere Gedichte
wie In lieblicher Bläue lese ich immer wieder gerne (nicht nur wegen der
Rosen darin), schöne Variationen:
„Im Winde aber oben stille krähet die
Fahne“.
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Das lyrische Ich, so haben Sie es
einmal gesagt, sei in Ihren Gedichten
kein Ich, das sichtbar nach draußen
tritt, sondern eine Wahrnehmungs-
instanz, „die nur als ein Häutchen
auf die Sprache aufgesetzt ist“.
Auch in den Gedichten, die Hölderlin
im Tübinger Turm schrieb, taucht
das Wort ‚Ich‘ nicht mehr auf. Wie
verändert dieses ichlose lyrische
Sprechen die Poesie?
Bei mir hat sich das aus dem
Schreibvollzug heraus entwickelt:
In den intensiven Schreibmomenten
(die leider die seltensten sind)
lässt sich gar kein zentrierendes Ich
mehr ausmachen. Eher ist es
eine Art von Selbstvergessenheit,
als würde man in der Sprache
und in den Vorstellungen aufgehen.
Und doch kann man reflektierend
immer wieder auf das Geschriebene
zugreifen.
Gleichzeitig ist mir damals aufge-
fallen, dass die Ich-Perspektive –
das scheinbar Subjektivste – durch
den Akt und Gestus des Setzens
das Ich plötzlich sehr groß werden
lassen kann. Es hat dann den
Anschein des Maßgeblichen und
einen viel stärkeren Autoritäts-,
Geltungs- und Herrschaftsanspruch
als jede ‚objektiv‘ auftretende,
‚versachlichte‘ Redeweise. So hat
sich ein Schreiben ohne Ich ergeben,
im Sinne einer Offenheit, eines
Freiseins für die Phänomene: etwas
sehen, hören, betrachten können.
Erst Leserstimmen zu meinen
Gedichten haben mich auf das zurück-
gefahrene Ich in meinen Texten
aufmerksam werden lassen, das bei
mir anfangs nie ‚Methode‘ war.
Je länger ich schreibe, desto mehr
wird mir die Dialektik auch dieser
Bewegung klar. So wie ich die
Erfahrung gemacht habe, dass der
Versuch, etwas ganz genau und
detailreich zu fassen, in sein Gegen-
teil umschlagen kann – also der Baum
vor lauter Verästelungen nicht mehr
in den Blick kommt –, so hat mir auch
der Versuch, das Ich zurückzunehmen,
gezeigt, wie man plötzlich auf das
Ich und vor allem: auf die Sprache
und ihr Eigenleben zurückgeworfen
werden kann. Von daher arbeite ich
inzwischen immer öfter ganz bewusst
mit dem ,Ich‘, es ist eine Möglichkeit
der Perspektive, also vereinfacht:
Wer schaut im Gedicht (Sprecher
wie Leser) von wo nach wo?
Ich verstehe es als Sprechhülse,
durch die ich ganz verschiedene
Stimmen ins Gedicht schleusen
kann, ohne dass sie dann noch klar
unterscheidbar wären – bewusst
gesetzte Mehr- und Vielstimmigkeiten
bzw. Überlagerungen im Gedicht.
„Wer ist das Ich im Gedicht? Jedes
Ich, das es spricht“, lautet eine These
von Heinz Schlaffer, „Ich kann jeder
sagen“ ein Adorno-Satz. In Hölderlins
späten Gedichten fehlt das Wort ‚ich‘.
Ist dieses Schreiben ohne Ich ein
Kniff, dem Leser das Gedicht zu ent-
ziehen, es ganz zur Sprache, zum
Zeichen- und Klangkörper zu machen?
In Hölderlins spätesten Gedichten
(den Jahreszeitengedichten) ist
„der Mensch“, „die Menschheit“ oder
ein „Wir“ an die Stelle des „Ich“
getreten. Es entsteht ein entpersön-
lichtes, manchmal weisheits-
buchartiges Sprechen. Zugleich
scheint mir gerade so eine bestimmte
Charakteristik – gleichsam die
Signatur einer geistigen Verfasstheit
– umso deutlicher spürbar zu werden.
Deutlicher vielleicht als durch ein
Ich-Sagen.
Wie und wo und auch wann lesen
Sie selbst Hölderlin?
Ganz ehrlich? Zu Gelegenheiten
wie dieser. Wenn ich also eingeladen
werde, mich mit Hölderlin zu
beschäftigen. Es gab bis jetzt fast
immer einen Impuls von außen,
sei es im Studium, sei es im eigenen
Schreiben. Wenn dieser Impuls
aber einmal da ist, ist es eine umso
intensivere Beschäftigung, manchmal
fast rauschhaft, wie ein Sich-Hinein-
stürzen und zugleich Angesaugt-
werden, bei – paradoxerweise –
aufmerksamer kritischer Distanz.
Bei Trakl zum Beispiel oder Lasker-
Schüler geht es mir ähnlich.
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Screenshots aus Nico Bleutges Video-Clip, in dem er über Hölderlins Natur-vorstellung spricht.
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Was machen Hölderlins Gedichte mit
Ihnen – und was Sie mit diesen?
Sie versetzen mich in eine, wörtlich,
Hoch-Stimmung. Die sehr intensiv ist,
mich die Welt tatsächlich für den
Moment anders erleben lässt, in
der ich mich aber auch nur für eine
begrenzte Zeit bewegen möchte.
Sie bringen mich dazu, mir einzelne
Formulierungen und gedanklich-
rhythmische Bögen immer wieder
sehr genau anzusehen. Sie fordern
dauernde Aufmerksamkeit für die
Umstellungen im Satzbau (als würde
man laufen und dabei immer auf
den Rhythmus seiner Schritte hinge-
wiesen – und zugleich über diese
Struktur nachdenken).
Dabei gelingt es mir nicht immer,
die Wirkungs- und Rezeptionsge-
schichte dieses Tones auszuschalten,
das ganze „weltanschauliche
Gegrabsche“, wie es Karl-Heinz Ott
jüngst genannt hat. Dafür haben
Hölderlins Gedichte in den verschie-
denen Zeiträumen einfach zu
viele Beulen abbekommen. Und,
etwas persönlicher: In einem
Hölderlin-Gedicht heißt es über die
Götter „Groß ist ihr Maß, doch
es mißt gern mit der Spanne der
Mensch.“ Hölderlin versucht es immer
Noch einmal zum Lesen: Hölderlin ist
ein Wanderer, später ein Spazier-
gänger - haben Sie seine Texte schon
einmal draußen gelesen?
Nein, aber wenn ich ihn am Schreib-
tisch lese, setzt die umgekehrte Be-
wegung ein: Ich fange an zu wandern,
ganz körperlich, die wechselnden
Rhythmen versetzen mich in
Spannung, der Körper reagiert ganz
eigen auf die Gedichte, und ich
gehe in dieser Sprache durch eine
Landschaft, folge unterschiedlichen
Tonhöhen, Bildern, einem Denken
und ganzkörperlichen Wahrnehmen in
einem.
Schiebt sich Hölderlins Stimme ab
und zu zwischen die Natur und Ihre
Wahrnehmung von ihr? „Hinunter
sinket der Wald“ ...
Das Dazwischenschieben findet
eher auf einer anderen Ebene statt.
In den Phasen, in denen ich Hölderlin
lese, nehme ich seine Bilder und
seinen Rhythmus mit in andere Texte.
D. h., wenn ich sie lese, vergleiche
ich unwillkürlich den Satzbau mit
Hölderlins Satzbau, seine Art, Bilder
anzulegen oder größere Denkbögen
in die Gedichte einzuziehen, mit den
Bewegungen in diesen Gedichten.
Auch so entsteht dann beim Lesen
eine andere Art von Aufmerksamkeit.
selbst mit dem großen Maß. Das
ist sein Anspruch, den ich ganz und
gar verstehen kann. Aber das Große,
glaube ich, kann auf Dauer nicht
wirken, wenn es immerzu absolut
gesetzt wird, wenn es ohne Kontrast
und in diesem Sinne ungebrochen
bleibt. Ab und an würde ich mir in
den Gedichten auch etwas mit der
Spanne Gemessenes wünschen oder
jedenfalls den „Kindersinn“, von
dem Hölderlin in einem anderen
Gedicht spricht.
Sie haben in Tübingen studiert
und schon vorher, mit 15, Gedichte
geschrieben. War Tübingen als
Studienort auch eine poetische Wahl,
eine Annäherung an Hölderlin,
oder Zufall?
Tübingen hatte ich mir wegen Walter
Jens und der Rhetorik ausgesucht,
ohne zu wissen, daß Jens 1993 schon
gar nicht mehr unterrichtete. Aber es
gab vorher, während des Zivildienstes,
einige Wochen, in denen ich den Hyperion gelesen (und kaum etwas verstanden) habe. Vielleicht war das
der Impuls, gleich in meinem ersten
Semester im Tübinger Brechtbau
ein Hölderlin-Seminar zu besuchen.
Das war sehr kompakt, wie ein
Hölderlin-Brühwürfel. Damals haben
mich vor allem seine theoretischen
Schriften begeistert, meine erste
Seminararbeit war über Urteil und Sein und den Wechsel der Töne.
Geistert Hölderlins Stimme durch Ihre
eigenen Texte – so wie man in seinen
die von Schiller aufstöbern kann?
Nein, jedenfalls nicht als etwas im
Schreiben bewusst Gesetztes oder
als etwas, das mir bei entsprechend
fokussierter Selbstlektüre auffallen
würde. Aber vielleicht kommt das
noch.
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Blumen lässt Hölderlin 78-mal blühen
– in Blumengängen, auf einem
Blumenhügel und einem Blumenfeld.
Blüten leuchten 47-mal, viermal
erscheinen Knospen. Präziser wird
Hölderlin bei diesen blühenden
Blumen und Kräutern: Krokus und
Thymian, Mohn, Hyazinthe, Tulpe,
Sauerklee, Kleeblatt und Ampfer
(je 1), Disteln und Maienblumen bzw.
Maienblümchen (je 5), Lilien (7) und
Rosen (37). Nektar wird aus diesen
Blumen fünfmal gewonnen, Honig
dreimal. Sechsmal duftet etwas,
16-mal ist es duftend, einmal sogar
düftereichst. Zehnmal ist vom Duft,
von Düften und Gedüft die Rede,
einmal von den Paradiesdüften.
Nelken und Veilchen wachsen an zwei
Gedicht-Stellen: „Zwar gehn die
Treppen unter den Reben hoch /
Herunter, wo der Obstbaum blühend
darüber steht / Und Duft an wilden
Hecken weilet, / Wo die verborgenen
Veilchen sprossen“ und „Im Veilchen-
tal, vom dämmernden Hain umbraust, /
Entschlummert er“. Als Viole taucht
das Veilchen noch einmal zusammen
mit Hyazinthe, Tulpe und Nelke auf:
„Die klaren Gänge, niedres Gesträuch
und Sand, / Auf dem wir traten,
machten erfreulicher, / Und lieblicher
die Hyazinthe / Oder die Tulpe, Viole,
Nelke.“ Ein weiteres Mal kombiniert
Hölderlin die Nelke ungewöhnlich:
„Da füttert ich mein Hühnchen, da
pflanzt ich Kohl / Und Nelken“. – Wie
würden Sie die Wahrnehmungsinstanz
beschreiben, die hinter dieser Natur
steht?
Von Wahrnehmung allein würde ich
bei Hölderlin tatsächlich nicht reden.
Nicht nur, weil Anschaulichkeit,
des Schönen geht, und dem Sprecher
„blühn“ die Wangen, wenn er der
Natur begegnet.)
37-mal blühen, glühen, stechen,
kränzen, umwehen bei Hölderlin
Rosen: wild und still, herrlich und
jung, süß und dornig, als Frühlings-
rosen, Moosrosen, Rosenstrauch,
Rosenhecke und Rosenpfad. Zweimal
färben sie als Wangenrose das
Gesicht, zweimal tauchen sie die Welt
in mildes bzw. holdes Rosenlicht.
Zehnmal gibt es Dornen, sie bilden
Dornengänge, Dornenpfade, eine
Dornenbahn und ein Dornenbett.
– Die Rose ist sicher die in Gedichten
am häufigsten genannte, abge-
nutzteste Blume. Gertrude Stein
spielt 1913 mit der Doppeldeutigkeit
von Frauen- und Blumennamen:
„Rose is a rose ...“ Wie haben Sie, wie
würden Sie mit Ihrem „Handschuh
aus Sprache“ (so Hans Jürgen
Balmes in seiner Laudatio, als Sie
2017 mit dem Kranichsteiner
Literaturpreis ausgezeichnet worden
sind) eine Rose anfassen?
An die Rose habe ich mich bis jetzt
noch nicht gewagt. Es ist, Sie sagen
es, ein poetisch sehr oft verwendetes
Wort, darin der ,Seele‘ verwandt
oder dem ,Herz‘. Wie ein Versuch
aussehen könnte? Da würde ich nun
meinerseits mit einer kleinen Liste
antworten, Formen, an die ich
vielleicht anschließen würde: „eine
rose ist natürlich: rosen“ (Thomas
Kling), „ein blütenfleisch aus rosen-
silicon“ (auch Kling), „Frau Anna
Rothe aus Altenburg / das sächsische
Blumenmedium / holt Rosen,
Scharlachtulpen“ (Marcel Beyer),
behaupte ich, nicht unbedingt zu
seinen Stärken zählt. Es ist bei ihm
eigentlich immer ein Sprechen, also
etwas reflektierend und ,geistig‘
Umfasstes, immer schon mit einem
(zwar nicht ausgestellten, aber
doch spürbaren) Wissen um die
,Sprachigkeit‘ des ganzen Vorgangs.
,Instanz‘ klingt mir auch zu zentrie-
rend, zu sehr nach Autoritäts-
und Machtanspruch. Für mich ist
es bei Hölderlin eher ein Anbieten
oder sehenlassendes Zusammen-
bringen der Momente.
Ich würde einfach vom ,Sprecher‘ oder
vom ,Sprechen‘ des Gedichts reden.
Und Hölderlins Sprecher, scheint mir,
ist einer, der nicht nur gerne spricht
bzw. singt, sondern sich auch gerne
selbst beobachtet, sich ins Verhältnis
zu sich setzt. Er besingt sich selbst,
als „Jüngling“ oder „(blinder)
Sänger“. Er lässt sich von seiner
eigenen Rede „antreiben“, „noch
andres zu suchen“. Und er entdeckt
immer wieder eigentümliche
Korrespondenzen zwischen innen und
außen, zwischen der Euphorie des
Inneren und dem Strahlen der Natur:
„es leuchteten / Die Blumen, wie die
eigenen Augen, mir“.
Etwas gedreht: Das „Blühen“, das
so oft erwähnt wird, kommt mir wie
das Pendant der Natur zur Euphorie
und zur Emphase des Sprechers
vor. Oder, noch einmal anders:
Die „blühende“ Natur ist die ihrer-
seits euphorisierte Natur, die der
euphorischen Gestimmtheit des
Sprechers wie von selbst entgegen-
kommt, entgegenstrebt. („Blühen“,
fällt mir auf, ist auch das bevorzugte
Verb, wenn es um das Erscheinen
„Mülltonnenstellplatz oder Kompakt-
hecke oder Miniterrassen-Anlage,
Geißblattlaube, Rosenhag“ (Barbara
Köhler), „Die letzte Novemberrose
baumelt überm Ascheneimer“
(Jürgen Becker), „übern jordan der
rotkohl / der rosen!“ (nochmal Kling),
„Scourge them with roses only“
(Elizabeth Bishop), „im Zenit Rosen
Mimosen“ (Ilma Rakusa), „und die
bodenlosen rosen / haben sich in
mooren versteckt“ (Inger Christensen
in alphabet – Rosen dürften dort eigentlich nicht vorkommen, denn das
Buch endet beim Buchstaben „n“).
Nachtrag. Selbstkorrektur: Es gibt
doch Rosen bei mir, in meinem ersten
Band klare konturen: „... langsam / kriechen die finger den stein entlang
schleifen / und kränze rosen aus
grobem vergilbtem / stoff ...“
Wenn Sie Hölderlin fragen könnten
– was würden Sie ihn fragen?
Holder, mein Lieber, wie hältst Du es
mit der Ironie?
48_49
-
Am 21. März 1970 las Paul Celan
zur Feier von Friedrich Hölderlins
200. Geburtstag im Silchersaal
der Stuttgarter Liederhalle aus
seinem noch unveröffentlichten
Gedichtband Lichtzwang. Vier Wochen später nahm er sich in Paris das
Leben. Der Auftritt in Stuttgart war
seine letzte große Lesung. Die
Gedichte aus dem kurz nach Celans
Tod veröffentlichten Band Lichtzwang gelten seitdem als schwer zugänglich.
Können wir Celans späte Verse
heute – ein halbes Jahrhundert
nach seiner Stuttgarter Lesung –
besser verstehen? Wir haben sechs
Leserinnen und Leser eingeladen,
die sieben Verse des Gedichts
„Was es an Sternen bedarf“ in jeweils
sieben Sätzen zu kommentieren:
Carolin Callies, Ann Cotten,
Daniela Danz, Aris Fioretos, Norbert
Hummelt und Rainer René Mueller.
Das Video, das daraus entstanden
ist, ist Teil der Reihe #closedbutopen
auf dem YouTube-Kanal der Literatur-
museen Marbach.
WAS ES AN STERNEN BEDARF,
schüttet sich aus,
deiner Hände laubgrüner Schatt
en
sammelt es ein,
freudig zerbeiß ich
das münzenkernige
Schicksal.
Celans späte Sterne
Paul Celan bei seiner letzten Lesung in Stuttgart. Fotos: Agnes Handwerk, mit der wir für unsere #closed-butopen Reihe auch ein Inter-view geführt haben.
50_51
-
Von Winnetou zu Mohn und Gedächtnis.
Der Schriftsteller und Arzt
Farhad Showghi lebt in Hamburg.
Aufgewachsen ist er in Bayern und
in Teheran. Seit 1987 veröffentlicht
er Gedichte und übersetzt aus dem
Persischen. Für sein Werk wurde er
vielfach ausgezeichnet, u.a. 2003 mit
dem 3sat-Preis beim Klagenfurter
Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb
und 2018 mit dem Peter-Huchel-Preis.
Fragensteller: Jan Bürger.
Ein Gespräch mit Farhad Showghi, der seit 40 Jahren immer wieder Paul Celan liest
52_53
-
geführt von einer älteren, sehr
freundlichen Dame. Ihr stiller Laden
bestand aus einem einzigen Raum
im Souterrain, einige Regale voller
Bücher, andere mit großen Lücken.
Dort kaufte mir mein Vater auf
ihre Empfehlung hin die ersten zwei
Winnetou-Bücher.
Von Karl May zu Paul Celan?
Ich erzähle das aus einem ganz
bestimmten Grund. Mit neun Jahren
war mein Deutsch noch etwas porös
und brüchig, es musste sich erst neu
konsolidieren, und dies geschah mit
Hilfe von Winnetou I – indem ich mich durch die ersten Seiten des dicken,
grünen Buchs kämpfte. Ich hatte
damals eine große Sehnsucht nach
der deutschen Sprache: Sehnsucht
nach der Muttersprache, also nach
der Mutter und ihrer Sprache, denn
meine Eltern hatten sich getrennt.
Diese Sehnsucht schürten und
linderten die Karl-May-Bücher,
insbesondere solche wie Wurzelsepp
Erinnern Sie sich, wann und wie
Sie das erste Mal ein Gedicht von
Paul Celan gelesen haben?
Da war ich noch Schüler im ober-
bayrischen Bad Aibling, es muss in
der 11. oder 12. Klasse gewesen sein,
in jener Zeit, als ich selbst anfing,
Gedichte zu schreiben. Ich glaube,
das erste Celan-Gedicht, das ich
las, war die Todesfuge. Vermutlich im Rahmen des Schulunterrichts.
Und mein erstes Buch von ihm war
Mohn und Gedächtnis. Mein alter Band ist leider bei meinen vielen
Umzügen verloren gegangen.
Hatten Sie damals schon, bei der
ersten Lektüre, das Gefühl, etwas
Besonderes zu lesen? Oder war Paul
Celan für Sie erst einmal nur ein
Dichter unter vielen – so wie Ingeborg
Bachmann oder Günter Eich?
Nein, da las ich in der Tat etwas
Anderes. In den folgenden Jahren
hat mich Celan dann immer mehr
beschäftigt. Um das zu erklären,
muss ich etwas weiter ausholen.
Das wird Sie vielleicht wundern, aber
ich glaube, es hat viel mit meiner
eigenen Geschichte und meiner Zeit
in Teheran zu tun: Geboren wurde ich
in Prag, aber die ersten Jahre
verbrachte ich in Deutschland.
Zwischen meinem vierten und dem
16. Lebensjahr habe ich im Iran gelebt.
Bis zur 10. Klasse ging ich in Teheran
auf eine deutsche Schule. Eines
Tages, ich war neun Jahre alt, sagte
mein Vater: „Komm, wir besuchen
jetzt einen besonderen Ort, und ich
werde dir dort Bücher kaufen.“
Er fuhr mit mir zu einer deutschen
Buchhandlung im Herzen von Teheran,
oder Aus dunklem Tann. Ja, diese ganz anderen Karl-May-Bücher waren
für mich noch viel interessanter, weil
sie beispielsweise im Erzgebirge,
dieser typisch deutschen Landschaft
spielen. Sie setzten auf wohltuende,
besänftigende Art die Fiktion der
Getrenntheit. – Als ich nach Deutsch-
land zurückkam, gehörten zu
meinen ersten Lyrik-Lektüren Brecht
und Heine. Dann Rilke, Rimbaud,
und schließlich Celan, und bei seinen
Gedichten hatte ich plötzlich das
Gefühl, mich an etwas nicht ganz zur
Sprache Durchdringendes erinnern zu
können: Ich berührte, spürte in und
zwischen den Wörtern das, wonach
ich mich als lesendes Kind in Persien
über den Karl-May-Büchern, im
lange nachwirkenden Papiergeruch in
der trockenen Luft, gesehnt hatte.
So etwas ist nicht leicht beschreibbar.
Versuchen Sie es bitte trotzdem.
Plötzlich schien in dieser Sprache
der Sehnsuchtsort auf, der mich
letztlich zum Schreiben brachte
und auf eigentümliche Weise
inspirierte und beruhigte, auch
die Angst vorm Sprechen und
Formulieren nahm. Denn ich habe
mich damals im Deutschen nicht
wie selbstverständlich bewegt –
und ich würde fast sagen, bis heute
gibt es Momente, in welchen das
Verbindungsgefühl zum deutschen
Sprachraum abzureißen scheint.
Plötzlich ist etwas ganz und gar nicht
selbstverständlich in dieser Sprache
verankert. Trotz hoher Intensität
und Verkopplung mit Gedächtnis,
Intuition und Affekten, auch jetzt,
wenn ich mit Ihnen spreche.
Folgeseite: Umschlag-motiv Karl May, Der Schatz im Silbersee, Band 36, Karl-May-Verlag, Bamberg 1952.
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_26
-
Glauben Sie, dass das Celan ähnlich
ergangen ist? Er wuchs ja auch mit
mehreren Sprachen auf.
Ja – bei ihm spüre ich immer diese
Beunruhigung und dieses Sprechen
ins Offene hinein, gerade das hat
mir damals irgendwie Mut gemacht,
selbst zu dichten und zu schreiben
– aber nicht im epigonalen Sinn, nicht
dass ich versucht hätte, Celans
Ton nachzuahmen. Er hat mir eher
Zutrauen gegeben: das Gefühl,
etwas wagen zu können.
War das für Sie auch ein Aufbruch
ins Mehrdeutige, in das, was nicht
eindimensional zu verstehen ist?
Ist es das, was Sie mit Sprechen ins
Offene meinen?
Einerseits ins Mehrdeutige. Andrer-
seits dreht es sich darum, ein Ich erst
im Prozess des Schreibens entstehen,
Form annehmen oder erahnbar werden
zu lassen – so ähnlich hat es Celan
einmal beschrieben. Das ist für mich
bis heute ein wichtiges Moment.
Oder anders gesagt: Ich hatte das
Gefühl, dass es mir mit Hilfe von
Celan weitaus leichter fiel, in der
deutschen Sprache zu sein, als mit
anderen Autoren, die mich eher
verschreckt haben.
Diese Zittrigkeit, diese subtile, latente
Anwesenheit des Erlebten, des
Gebrochenen, ich würde sagen, das
war etwas, das für mich persönlich ein
Berührungsmoment geschaffen hat
mit Celans Sprache.
Die meisten, die Celans erstes Buch
Mohn und Gedächtnis lesen, das auch die berühmte Todesfuge enthält, achten auf das Politische, dann auf
den besonderen Klang, den Sound
dieser Verse, dann auch auf die
Liebesgedichte, die legendäre Affäre
mit Ingeborg Bachmann im Hinter-
kopf – doch viel präsenter ist in dem
Buch, wenn man genauer schaut,
der Verlust der Mutter. Dieser Verlust
ist sozusagen grundlegend. Wahr-
scheinlich haben Sie dies viel stärker
gespürt als die meisten Leser.
Vermutlich war das wirklich so.
Wenn man das psychoanalytisch
ausdrücken wollte: auch der Verlust
der Umgebungs-Mutter, die Erfah-
rung, im deutschen Sprachraum
nicht endgültig ankommen zu können.
Ich denke dabei an den Psycho-
analytiker Donald Winnicott: dass die
Einheit nicht das Individuum ist,
also der Schwerpunkt des Seins nicht
im Individuum liegt. Celan wurde
angefeindet, aber er hatte auch
etwas Paranoides, sein Leben lang.
Vielleicht als abgewehrte Angst
vor dem Zusammenbruch.
Was hat Sie verschreckt?
Ihre Sprache schien mir fern,
manchmal zu monolithisch aufragend,
am Ende unerreichbar. Es fehlte mir
ein sicheres Gefühl von Zugehörigkeit
oder möglicher Identifikation, wenn
ich sie las. Das fiel mir bei Celan
wesentlich leichter. Bei ihm verwob
sich Ferne mit zunehmender Nähe.
Hat für Sie dabei auch das Politische
eine Rolle gespielt? Also der Bezug
auf Auschwitz, der für Celans
Dichtung essenziell ist. Oder war dies
für Sie anfangs gar nicht so wichtig?
Die Shoah im engeren Sinn stand für
mich damals nicht im Vordergrund.
Es war eher das Moment des Verlustes
– und des Erinnerns an die Mutter.
Das hat wiederum viel mit meiner
eigenen Mutter zu tun. Meine Mutter
war in gewisser Hinsicht ein Opfer
des Stalinismus: Als junge Frau war
sie einige Jahre im Prager Militär-
gefängnis inhaftiert, und letztlich ist
sie als schwer gezeichneter Mensch
aus dieser Haft entlassen worden.
Sie konnte sich zunächst nicht einmal
an ihren eigenen Namen erinnern.
Diese brüchige Lebenskraft kam trotz
hoher sinnlicher Wärme in ihrer
Sprache zum Ausdruck. So habe ich
von ihr als erstes dieses sich immer
wieder leicht entrückte, eher weiche
Deutsch gelernt. – Und dann kam
die Entfernung zu ihr. Ich bin ja mit
meinem Vater nach Persien gezogen
– gleichzeitig blieb ich meiner Mutter
verbunden, auch dem besonderen,
selbstvergessenen Klang ihres
Sprechens, mit einem leichten
tschechischen Akzent und einem
gewissen Zittern in der Stimme.
Wenn ich seine Gedichte lese, dann
spüre ich dieses drohende Hinter-
grundrauschen sehr stark. Und ich
spüre auf der anderen Seite auch
eine existenzielle Notwendigkeit, ein
immenses Vertrauen in Sprache per
se, das diese Gedichte trägt. Den Sog
einer Berufung.
Glauben Sie, dass Sie Celans
Gedichte heute grundsätzlich anders
lesen als vor 30 oder 40 Jahren?
Interessieren Sie heute andere Dinge
an ihnen?
Nicht unbedingt. Wie die meisten
habe ich manchmal gedacht, Celans
frühe Gedichte, gerade jene aus
Mohn und Gedächtnis, gehörten zu seinen verständlicheren. Doch das
ist auch nur eine vermeintliche
Verständlichkeit, und auf Verständlich-
keit kommt es mir nicht unbedingt an,
wenn ich Celan lese. Mich interessiert
eher das Wurzelwerk, der Subtext,
der in sie hineingewoben ist. Auf
diese Weise war Celan für mich nie
hermetisch, auch nicht in seinen
späten Gedichten. Ich empfinde ihn
nicht als hermetisch. Es gibt bei ihm
dieses Herantasten an den Saum
des Verstehens, dieses Ausloten von
Rändern, wieder und wieder, diese
Bewegungen an jener dünnen Linie,
an der das Verstehen gerade beginnen
könnte. Und das ist etwas, was ich
schon bei meiner ersten Lektüre
gespürt habe. Ich lese diese Gedichte
immer wieder, und oft ist es wie eine
Art Heimkehr, ein Heimkehr-Moment.
Für mich habe ich das einmal als
Ausschauhalten nach mir selbst be-
schrieben: Ich halte Ausschau nach
mir, und sehe, bis wohin ich mich
58_59
-
sozusagen vorausschicken kann.
Und irgendwo dort, ganz am Rand,
erlebe ich etwas wie Heimkehr.
Am Saum. Und das berührt völlig
unsentimental auch die Kindheit und
Karl May, diese Winnetou- und
Wurzelsepp-Geschichten, die ich in
Teheran gelesen habe, in dieser
dauerdröhnenden Millionenmetropole.
Die dünnen Seiten der Karl-May-
Bücher in der staubigen Luft, das
Knisterrascheln des rasch vergilbten
Papiers in der betäubenden Nach-
mittagshitze – das sind diese Linien,
die sich fortsetzen bis zu den offenen
Enden im Freien, weit draußen.
Das ist eine der scheinbar leisen
Maßlosigkeiten, die mich beim
Schreiben immer wieder antreiben.
Und wenn ich Celan lese, erlebe ich
tatsächlich etwas Ähnliches.
Und Peter Huchel? 2018 wurden Sie
für Ihren Band Wolkenflug spielt Zerreißprobe mit dem Peter-Huchel-Preis ausgezeichnet, der vom SWR
und dem Land Baden-Württemberg
verliehen wird.
Nun, zwischen Huchel und Celan
liegen für mich Welten. Von Huchel
gibt es einige Gedichte, die ich
sehr mag und die ich für mich
wiederentdeckt habe, als ich mich
durch den Preis neu mit ihm
beschäftigte. Aber bei Huchel – ich
muss jetzt aufpassen, dass das
nicht missverständlich klingt, denn
ich meine das in keinster Weise
abwertend oder stigmatisierend –,
bei Huchel begegne ich doch
immer wieder einer sehr deutschen
Dichtung. Vielleicht berührt sie
Punkte, zu denen ich mich nicht auf
Distanz halten sollte.
Gibt es eine Frage, die Sie Paul Celan
gern gestellt hätten, wenn Sie ihn
hätten treffen können?
Ein gemeinsames, mit vielen Fragen
verknüpftes Thema hätte vielleicht der
Prozess des Denkens und Dichtens
im Zwischen sein können, dort,
wo ein Ich stets aufs Neue sich zu
konstituieren und zu erscheinen
versucht, intra- und interkulturell,
mit mehrschichtigem Ineinander-
greifen von Eigenwelt- und Fremd-
heitserfahrung, auch Anerkennung
und Ablehnung.
Gibt es andere Dichter, mit denen es
Ihnen genauso geht, die Sie so
ähnlich erwischt oder abgeholt haben?
Hölderlin auf jeden Fall, wobei ich
zugeben muss, dass ich nicht genau
weiß, warum. Ich könnte versuchen,
es zu verstehen, werde aber wohl
wissend nie an wesentliche Punkte
kommen. So wie auch bei Celan.
Glücklicherweise nähert und entzieht
es sich wie asymptotisch. Man kann
nichts festklopfen und raunen: Das ist
es jetzt. Es ist eher eine Form des
existenziellen, retardierten Erwischt-
Werdens, auf verschiedenen Ebenen,
das reicht von der fiktionalen Selbst-
deutung bis ins Implizite. Es gibt für
mich nur wenige Dichter, die so etwas
bewirken können. Trakl würde ich
noch nennen wollen. Etwas Ähnliches
habe ich beispielsweise auch bei
Paul Éluard erlebt, bei Basho oder bei
Andrea Zanzotto.
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Wie erzählen wir heute von Afrika?Welche Geschichten und Mythen betreffen uns heute?
Antworten von Oladipo Agboluaje,
Julia Augart, Jennifer Nansubuga Makumbi,
Nelson Mlambo, Rémy Ngamije,
Sylvia Schlettwein, Annette Bühler-Dietrich,
Ildevert Méda, Sami Tchak, Nuruddin Farah
Folgeseiten:Der Sozio-loge Norbert Elias Anfang der 1960er- Jahre in Ghana.
62_63
-
Klischees reduziert. Aus meiner Sicht
bietet jedes afrikanische Land seine
eigene, einzigartige multikulturelle
und mehrsprachige Landschaft,
die ich unter anderem durch seine
vielfältige Literatur erforsche.
Jennifer Nansubuga Makumbi: Ich
bin eine Schriftstellerin aus Uganda.
Mein erstes Buch, Kintu, ist ein historischer Roman. Das zweite ist
eine Sammlung von Kurzgeschichten
aus der Zeit der Diaspora, Manchester Happened. Mein drittes, The First Woman, ist ein feministischer Roman und erscheint dieses Jahr. Afrika ist
Zuhause. Es ist ein Ort der Liebe, der
Schönheit, des Essens, der Musik, des
Tanzes, der Fantasie und der großen
Familien. Aber es ist auch ein Ort
des Schmerzes, der Absurditäten, der
Verschwendung und der schieren
Frustration. Afrika wurde von Nicht-
Afrikanern falsch beschrieben, falsch
dargestellt und falsch verstanden.
Nelson Mlambo: Ich bin Dozent im
Fachbereich ‚Sprache und Literatur-
wissenschaft‘ in der Abteilung
‚Englisch‘ an der University
of Namibia, wo ich mit Freude Vor-
lesungen zu afrikanischer, süd-
afrikanischer und namibischer
Literatur halte. Afrika steht für mich
für die Vitalität der Bevölkerung, die
kulturelle Vielfalt und Kontraste, für
den Regenbogenkontinent, auf dem
verschiedene Völker zusammen leben,
für Ubuntu-Philosophie und vor
allem für die Widerstandsfähigkeit
der Bevölkerung. Mich faszinieren
auch Darstellungen und Kritik
an Afro-Euphorie und Afro-cli-fi
Oladipo Agboluaje: Wer bin ich? Was
ist für mich ‚Afrika‘? Diese Fragen
verlangen, dass ich ein Narrativ aus
Fragmenten erstelle, die sich zeitlich
und räumlich immer wieder neu
zusammensetzen. Ich weiß, dass ich
Oladipo Agboluaje bin, ein Dramatiker
und Universitätstutor. Ich habe in
Nigeria und im Vereinigten Königreich
gelebt. Ich bezeichne mich selbst als
„British-Nigerian“. Ich wurde einmal
von Kollegen aus Sierra Leone
gefragt, warum ich einen Bindestrich
verwende, um meine Identität zu
beschreiben. Als Antwort zitierte ich
Tennyson: „Ich bin ein Teil von allen,
denen ich begegnet bin.“ Ich verstehe
mich selbst als Afrikaner, aber ich
bin nigerianischer Staatsangehöriger
und gehöre dem Volk der Yoruba an.
Meine Heimatstadt ist Oyo im
Westen Nigerias. Ich glaube an den
Panafrikanismus und daran, dass
Afrikanerinnen und Afrikaner sich
vereinen müssen, um ein Afrika frei
von seiner kolonialen Vergangenheit
und der Geschichte der Sklaverei zu
erschaffen. Dieses Afrika, das ich mir
wünsche, ist keine Utopie, sondern
eine Notwendigkeit. Daher verstehe
ich Afrika als Entstehungsprozess.
Julia Augart: Ich bin Lektorin an
der University of Namibia und lehre
dort deutsche Sprache und Literatur.
Afrika ist einer der vielfältigsten
und aufregendsten Kontinente für
mich, der leider häufig auf Afrika
reduziert wird. Seine Vielfältigkeit und
Komplexität werden meistens
ignoriert und in den Medien auf Bilder
von Armut und Kriminalität und in
Romanen und Filmen auf romantische
(Literatur, die sich mit dem Klima-
wandel auseinandersetzt) in der
afrikanischen Literatur.
Rémy Ngamije: Ich bin ein in Ruanda
geborener namibischer Schriftsteller
und Fotograf. Mein Debütroman
The Eternal Audience Of One erscheint demnächst bei Scout Press. Ich
schreibe Texte für brainwavez.org,
eine Schriftstellervereinigung in
Südafrika, und ich bin der Chef-
redakteur von Doek!, Namibias erster Literaturzeitschrift. Meine Kurz-
geschichten sind in verschiedenen
Journalen veröffentlicht worden, unter
anderem in Litro Magazine, AFREADA, The Johannesburg Review of Books, The Amistad, The Kalahari Review, American Chordata, Doek!, Azure, Sultan’s Seal, Columbia Journal und New Contrast. 2020 war ich Longlist-Kandidat für den Afritondo Short
Story Prize; 2019 wurde ich für den
Best Original Fiction Preis von Stack
Magazines nominiert. Weitere
Informationen zu meinem Werk finden
Sie auf meiner Webseite: remythequill.
com. Was Afrika für mich bedeutet?
Es gibt keine einfache Antwort
auf diese Frage, weil sich diese
Bedeutung von Tag zu Tag, manchmal
von Stunde zu Stunde verändert.
Für mich persönlich, und ganz einfach
gedacht, bedeutet es zunächst nur:
Zuhause. Aber selbst das ist eine
umstrittene Bezeichnung. Trotzdem
ist es das für mich: Zuhause – ein Ort,
an dem ich geschützt und sicher bin.
Der Ort, an dem ich geboren wurde,
von dem ich stamme und an
den ich zurückkehre. Dies alles sind
offensichtlich nebulöse und sich
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Folgeseiten:Noch nicht Covid-19 geschuldet, sondern Alexander Kluges Reisevor-sicht: unsere allererste Video- konferenz-veranstal-tung Anfang Februar 2020.
2010 zum ersten Mal für einen Lehr-
aufenthalt hinreiste, wollte ich für
mich eine Beziehung zwischen
der postkolonialen Theorie und dem
Leben vor Ort herstellen, einem
Leben, dem ich ohne vorgefasste
Bilder zu begegnen versuchte.
In Ouagadougou traf ich auf eine
pulsierende Theaterszene und auf
Studierende der Germanistik, die
den Wissensaustausch suchten.
,Afrika‘ ist für mich ein fortdauernder
Lernprozess, in dem ich Traditionen,
Rituale, Sprachen und Codes zu
verstehen suche und Wissensformen
und Werte mit Freunden, Künstlern,
Kollegen und Studierenden verhandle.
Burkina Faso ist für mich auch ein
Zuhause.
Ildevert Méda: Ich bin Künstler,
Dramatiker, Bühnenregisseur und
Schauspieler. Ich bin der Direktor
einer kleinen Theatergruppe namens
théatr’Evasion, die ich 1996 gegründet habe. Heutzutage biete ich vor allem
Workshops an, in denen ich Dramatik,
Schauspiel und Bühneninszenierung
lehre. Die Regierung von Burkina Faso
bittet mich oft darum, an Projekten
zur Lehre von Kunst und Kultur an
Schulen mitzuwirken. Afrika steht für
mich für die Zukunft der Menschheit.
Deswegen habe ich mich dafür
entschieden, hier in Afrika zu leben
und meine Arbeit weiter zu ent-
wickeln. Wenn ich beobachte, was in
der Welt vor sich geht, fällt mir auf,
dass die ständige Suche nach der
Anhäufung von materiellen Werten
und nach Selbstermächtigung
dazu führt, dass menschliche Werte
verloren gehen oder vergessen
verändernde Konzepte, aber wenn sie
sich einer eindeutigen Erklärung
und Kategorisierung entziehen, dann
nur, weil sie dem Konzept gleichen,
das sie zu erklären versuchen – Afrika
ist mehr als eine Landmasse, mehr
als seine Bevölkerung. Es befindet
sich ständig in Bewegung und im
Fortschritt. Eben das ist es, was für
mich ‚Zuhause‘ bedeutet, und auch,
was Afrika für mich bedeutet.
Sylvia Schlettwein: Ich bin eine
namibische Schriftstellerin
und Übersetzerin, die derzeit ihren
Unterhalt als Deutsch- und
Französischlehrerin verdient. Meine
Muttersprache ist Deutsch, und
ich schreibe auf Englisch, Deutsch
und Afrikaans. Namibia, das sich
auf dem afrikanischen Kontinent be-
findet, ist das Land, in dem ich
geboren wurde und aufgewachsen
bin, in dem ich den größten Teil
meines Lebens verbracht habe und
in dem ich schreibe. Namibia/Afrika
ist Zuhause, Familie, Inspiration und
Bezugspunkt. Ich schreibe vielleicht
nicht immer über Afrika, aber ich
schreibe immer in und aus Afrika.
Annette Bühler-Dietrich: Ich bin
außerplanmäßige Professorin für
Neuere deutsche Literatur an der
Universität Stuttgart und unter-
richte unter anderem Seminare zu
Kolonialliteratur, Migration und
dekolonialer Theorie. Seit 2010 lehre
ich auch an der Université Ouaga I
Joseph Ki-Zerbo, Burkina Faso, und
übersetze Theaterstücke aus dem
Französischen. Von 2012 bis 2018 habe
ich in Burkina Faso gelebt. Als ich
werden. Leider beobachte ich, dass
Afrika sich seines eigenen Wertes
nicht immer bewusst ist; es scheint
ständig den Positionen der anderen
Kontinente hinterherzulaufen, ohne
darüber nachzudenken, welchen Preis
es dafür zahlt: den Verlust seiner
Menschlichkeit. Deshalb glaube ich,
dass ich und andere Künstler und
Künstlerinnen durch unsere Kunst
dazu beitragen können, dass Afrika
sich mancher seiner eigenen Werte
bewusst wird.
Sami Tchak: Sami Tchak ist ein
Pseudonym für Sadamba Tcha-Koura.
Ich wurde 1960 in Togo geboren,
erwarb dort meine Licence in Philo-
sophie und verteidigte 1993 meine
Dissertation in Soziologie an
der Universität Sorbonne-Paris V.
Seit einigen Jahren widme ich
mich dem Schreiben. Zu meinen
Veröffentlichungen gehören Place des Fêtes (2001; dt. Scheiß Leben, 2004) Hermina (2003), La fête des masques (2004), Le paradis des Chiots (2006), Filles de Mexico (2008). Al Capone le Malien (2011), La couleur de l’écrivain (2014), Ainsi parlait mon père (2018), Les fables du moineau (2020). Seit 1986 lebe ich in Frankreich. Afrika, dieser
Kontinent, auf dem sich mein Land,
Togo, befindet, ist für mich eine
Selbstverständlichkeit, aber auch der
Ort meiner vielfachen Unkenntnis.
Eine Selbstverständlichkeit, weil ich
Afrikaner bin, weil ich von diesem
Kontinent herstamme. Ort meiner
vielfachen Unkenntnis, weil es ein
riesiger Kontinent mit 56 Staaten und
Hunderten von Völkern ist, deren
Kulturen sich nicht in allen Punkten
ähneln. Afrika ist mein Kontinent,
aber erst in den Büchern, viele davon
von Europäern verfasst, habe ich
gelernt, es ein bisschen kennen-
zulernen. Meine zahlreichen Reisen in
mindestens 20 afrikanische Länder
haben mir weitere Eindrücke
geschenkt. Afrika ist der Kontinent,
von dem ich komme, aber bis zum
Ende meines Lebens wird es für mich
eine Realität sein, die ich nur in
Bruchstücken kennen werde. Folglich
werde ich nicht sagen „bei uns in
Afrika“. Selbst mein kleines Dorf ist
von einer großen Komplexität, und ich
bräuchte ein ganzes Leben, um zu
versuchen, sie zu verstehen.
Nuruddin Farah: Ich wurde in Baidoa,
Somalia, geboren und bin in Äthiopien
und danach in Somalia zur Schule
gegangen, habe in Indien und England
studiert. Ich bin der Verfasser
mehrerer Theaterstücke und Romane,
lebe in Kapstadt und lehre im Herbst-
semester am Bard College in Upstate
New York. Mein ganzes Leben
lang habe ich in Afrika gelebt, weil
ich die Geräusche, die Gerüche, die
Menschen, alles an Afrika tröstlich
finde und ich mich inspiriert fühle
und besser schreibe als auf jedem
anderen Kontinent.
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Lesen! Deep,skim, dis- tant, close, micro, macro,wide, scala-ble, slow, fast?
Im Juni hätte in Marbach auch
die Jahreskonferenz der American
Friends of Marbach (AFM) statt-
finden sollen. Das Thema: Lesen
und Leseforschung. Wir haben
stattdessen allen Teilnehmerinnen
und Teilnehmern unseren Lektüre-
Fragebogen zugeschickt, mit
dem wir in Kooperation mit dem
Leibniz-Institut für Wissensmedien
Tübingen im Rahmen des Netz-
werks ,Literarische Erfahrung‘
das Leseverhalten in der digitalen
Welt besser verstehen möchten.
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Gail Finney (University of California,
Davis): Ich lese (aus Vergnügen)
hauptsächlich auf dem feststehenden
Fahrrad im Fitness-Club und vor
dem Schlafengehen.
Kathrin Seidl (Brandeis University):
Zweckorientiert. Wenn es mir keinen
Genuss bereitet und auch keine für
mich relevanten Informationen
enthält, betrachte ich das Lesen als
einen Raub meiner mir kostbaren Zeit.
Sebastian Wogenstein (University
of Connecticut): Ich lese sowohl aus
professionellen Gründen als auch
sehr gern zum Vergnügen.
Sarah McGaughey (Dickinson
College): Bei der Arbeit lese ich
hauptsächlich deutsche und englische
Romane aus dem frühen 20.
Jahrhundert und seit den 1990ern.
Gail Finney: Wenn es spannend wird.
Kathrin Seidl: Wenn ich es nicht
lesen muss! D.h. wenn ich keine
Informationen extrahieren muss,
sondern einfach das Lesen seiner
selbst wegen GENIESSEN darf.
Welcher Lesertyp sind Sie? Wie würden Sie Ihre Art zu lesen be-schreiben?
Wann ver-sinken Sie in einem Buch?
Zur Unterhaltung lese ich meistens
Romane, die meine Mutter auf ihren
Kindle lädt. Gedichte lese ich ab und
zu und dann meistens im Internet.
Hal H. Rennert (University of Florida):
Allgemein würde ich meine Art
zu lesen als verbindlich (wissen-
schaftlich) im Gegensatz zu unver-
bindlich (zum Vergnügen) bezeichnen.
Ich redigiere, exzerpiere, kopiere,
übersetze, mache also meist etwas
aus dem Text, den ich lese.
Meike Werner (Vanderbilt University):
Gewohnheitsleser schon aus
professionellen Gründen, Genuss-
leser und gelegentlich Stressleser,
um abzuschalten, auf andere
Gedanken zu kommen.
Rainer Rumold (Northwestern
University): Professioneller
Leser von zeitkritischen Texten.
John McCarthy (Vanderbilt
University): Ich bin ein eklektischer
Leser. Hauptsächlich Erzählliteratur
und Essayistisches. Ich lese genau
und langsam, auf Inhalt, Stil und
Bedeutungsnuancen achtend.
Z.B. literarisch bedeutsame Werke
wie Madame Bovary, Anna Karenina, Die Blechtrommel, A Room of One’s Own, Agathon und Don Sylvio. Diese Art von Lektüreverhalten
wurde an Wieland früh geschult.
Patrizia C. McBride (Director,
Institute for German Cultural
Studies, Cornell University, Ithaca):
Im Allgemeinen neige ich zum
langsamen Lesen, vor allem bei
gedruckten Texten. Meine Lesege-
wohnheiten sind auch durch die
Materialität des Mediums bedingt.
Eine E-Mail etwa will ich nicht lange
lesen und werde schnell ungeduldig.
Lesen ist Teil der Sozialisation, und
mein Leseverhalten wurde von meinen
Erfahrungen und Erwartungen mit
Büchern tief geprägt. Es ist nicht so,
als wäre das Bildschirmlesen
umständlicher an sich, sondern für
mich hat es nicht den Charakter des
richtigen, genussvollen Lesens.
Rachel Halverson (College of Letters,
Arts and Social Sciences, Moscow):
Ich sehe mich als eine ,Meditations-
leserin‘, die sich in Texte aller Art
vertieft und sich auf das Lesen
so konzentriert, dass die Welt um
sie herum verschwindet.
Stephen Dowden (Brandeis
University): Ich lese von morgens
früh bis mittags, wenn es möglich ist.
Selten abends.
Judith Ryan (Harvard University):
Seit frühester Kindheit bin ich
eine unersättliche Leserin. Ich habe
mir mit drei Jahren das Lesen
beigebracht. Ich lese viel und schnell
und mag viele Gattungen und Themen.
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gerne Krimis. Aber da werden die
Gewalttätigen meistens zur
Rechenschaft gezogen. Reiche
Figuren mit viel Selbstmitleid kann
ich nicht leiden. So à la Bret Easton
Elli’s Rules of Attraction. Und alles, was sprachlich und inhaltlich
schlecht geschrieben ist.
Rainer Rumold: Nach einem Zuviel
an Eigenanalyse.
Hal H. Rennert: Ich habe eine
Sammlung von etwa 300 kleinen
Reclam-Heften, die ich für wenig Geld
beim Ausverkauf eines Buchladens
vor etwa 30 Jahren gekauft habe.
Da ist deutsche Literatur dabei, die
nie auf meinen Literaturleselisten
der Uni stand: Hans Sachs z.B. und
noch ältere Texte aus dem Mittelalter.
Wenn ich so ein Büchlein entdecke,
lege ich es gern beiseite.
Meike Werner: Wenn mir die Zeit zum
Weiterlesen fehlt.
John A. McCarthy: Wenn es zu oft zu
Wiederholungen kommt und ich das
Gefühl habe, das Argument wird
nicht vorangetrieben und die gleichen
Empfindungen werden immer wieder
durchgewühlt, wenn neue Horizonte
nur langsam geöffnet werden.
Stephen Dowden: Mit Vorliebe lese
ich viele Bücher kurz – etwa je eine
halbe Stunde, alle nacheinander.
Judith Ryan: Fast nie: Meistens mache
ich einen ernsthaften Versuch, das
Buch zu Ende zu lesen, auch wenn es
mir nicht gefällt.
Sebastian Wogenstein:
Wenn es gut geschrieben ist.
Sarah McGaughey: Wenn
es unterhaltsam ist. Krimis,
Jugendbücher wie Tschick, Harry Potter, Hunger Games zählen meiner Meinung nach zu solchen
Romanen, die zum Versinken sind.
Rainer Rumold: Wenn es sprachlich
packend ist.
Hal H. Rennert: Ich habe drei Stellen
im Haus, wo ich buchstäblich in einem
Korbsessel versinke. Ich lese nie
im Bett, weil ich mir verboten habe,
beim Lesen einzuschlafen. Ein Buch
ist doch kein Schlafmittel! Und beim
Notizenmachen setze ich mich immer
an einen Tisch. Bin ich überhaupt
schon mal beim Lesen versunken?
Vielleicht als Elfjähriger bei Karl Mays
Winnetou.Meike Werner: Packendes Problem
oder packende Story, gut geschrieben,
zum Nachdenken, Weiterdenken
anregend.
John McCarthy: Selten. Wenn die
Handlung spannend und verwickelt
ist, dann schon. Goethes Werther, Schillers Die Räuber und Wielands Don Sylvio von Rosalva haben mich jeweils auf andere Art und Weise
gefesselt.
Patricia McBride: So richtig in einem
Buch versinken, das passiert leider
nicht oft genug. Selbst bei meinem
Beruf – oder vielleicht deswegen. Bei
mir heißt, in ein Buch zu versinken das
Gleiche, wie nicht auf die Zeit achten
zu müssen. Spätabends passiert
es mir manchmal. Eine wichtige
Bedingung ist dabei, dass das Lesen
um des Lesens willen geschieht.
Rachel Halverson: Am Abend, bevor
ich einschlafe.
Stephen Dowden: Das geschieht
fast nie mehr. Das Versinken ist eher
eine Kindheitserinnerung.
Judith Ryan: Das hat viel mit dem
Stil zu tun. Ein unbeholfener Stil
macht es mir unmöglich, in das Buch
zu versinken.
Gail Finney: Wenn es trocken wird.
Sebastian Wogenstein: Wenn ich es
nicht interessant oder ergiebig finde.
Sarah McGaughey: Fast nie. Aber
meistens, wenn eine Hauptfigur
nicht nur unsympathisch, sondern
willkürlich und gewalttätig ist. Was ja
nicht ganz stimmt, denn ich lese so
Wann legen Sie ein Buch aus anderen Gründen als Mü-digkeit und Zeit-mangel beiseite?Auf den
Folgeseiten: Scheren-schnitte von Luise Duttenhofer mit Lese-typen und Leseszenen um 1800.
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Gail Finney: Ich lese so weit wie
möglich nur gedruckte Bücher.
Bei E-Books fällt es mir schwer,
mich zu konzentrieren.
Kathrin Seidl: Gedruckt ist schöner:
ein taktiles Erlebnis, Lesen mit
allen Sinnen.
Sebastian Wogenstein: Ich kann
mich in gedruckten Büchern besser
orientieren, sehe aber v.a. in der
globalen und sofortigen Verfügbarkeit
von E-Büchern große Vorteile.
Sarah McGaughey: Ich bevorzuge
gedruckt, aber E-Books sind praktisch,
wenn 1) man eine Mutter hat, die
viele Kindle-Bücher kauft und 2)
wenn ich unterwegs bin.
Meike Werner: E-Books lese ich nur
zu Forschungszwecken, sprich,
wenn Texte nicht oder nur schwer
gedruckt verfügbar sind.
John A. McCarthy: Im gedruckten
Buch kann man jederzeit nach-
schlagen und hin und her blättern,
Stellen mit den Fingern zum
Vergleichen festhalten. Das Tast-
gefühl fehlt im digitalen Raum.
Gail Finney: Ja, weil man nicht mehr
zum Fitness-Club gehen kann.
Kathrin Seidl: Ich verbringe insgesamt
mehr Zeit vor dem Computer, daher
lese ich auch mehr online.
Sebastian Wogenstein: Ja, sehr,
aus Zeitgründen. Ich habe ein Kind
im Kindergartenalter und eine
Zweitklässlerin rund um die Uhr zu
Hause und komme kaum noch
zum Arbeiten – geschweige denn
zum Lesen.
Sarah McGaughey: Ich lese viel mehr!
Ich habe wenig Platz, wo ich wohne,
ein Kind und viel am Computer zu tun.
Aber wenn ich abends Zeit habe, lese
ich: Seit dem Beginn des Lockdowns
Patrizia McBride: Bücher sind
für mich gedruckt. E-Books fehlt
die materielle Eingrenzung, die
„boundedness“, aber auch das
materielle Gewicht und der
immaterielle Wert. Mir scheinen
sie weniger Substanz zu haben.
Aber ich schätze an ihnen, dass
sie ‚portable‘ sind und man mit
dem Inhalt anders umgehen kann,
z.B. durch gezieltes Suchen.
Stephen Dowden: E-Books besitzt
man nicht, man leiht sie gegen Geld.
Judith Ryan: Wenn es sein muss
(z.B. wenn ich das gedruckte Buch
nicht bekommen kann oder wenn es
eher um Information und nicht so
sehr um literarische Qualität geht),
lese ich auch E-Books.
habe ich doppelt so viele Romane
gelesen, wie ich es normalerweise
im Semester tue.
Hal H. Rennert: Das letzte Treffen
der Deutschstundeteilnehmer bei mir
zu Hause war Anfang März. Seitdem
machen wir leidlich online weiter. Mir
fehlt regelrecht der Lektüre-Rahmen.
Meike Werner: Erstaunlicherweise
nicht wirklich.
John A. McCarthy: Klar. Ich habe mehr
Zeit zum Lesen und Nachdenken.
Patrizia McBride: Nein, leider, weil ich
von zu Hause arbeite. Ich habe sogar
weniger Freizeit zum Lesen als sonst.
Rachel Halverson: Ich vermeide
Bücher, die bestimmte Themen
(Arbeitslosigkeit, Tod, Weltende)
behandeln. Durch das Lesen möchte
ich eine Pause vom ,Pandemiestress‘.
Judith Ryan: Um überhaupt noch
forschen zu können, musste ich mehr
auf E-Books zurückgreifen und auch
mehr gebrauchte Bücher kaufen.
Hat sich durch die Maßnah-men zur Eindäm-mung von Covid-19 Ihr Lese-verhalten verändert?
Gedruckt oder E-Book – welchen Unter-schied sehen Sie?
Möchten auch Sie
auf
unsere Fragen an
tworten?
Wir freuen uns d
arüber
und sammeln sie
unter
dieser Adresse:
presse@dla-marba
ch.de
Nachfolgende Seiten: Momentaufnahme bei den 1:1 Konzerten im Juni 2020 auf dem Balkon des Schiller- National-museums mit Susanne Wich-mann (Horn), Kathrin Wipfler (Violine) und Christian Teiber (Klari- nette).
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Nachfolgende Seiten: Besuchermitspielkärtchenaus unserer Ausstellung „Hegel und seine Freunde“, die im September 2020 ins Goethe-Institut Ljubljana weiterwandert und dort von Hegels slowenischen Freunden ergänzt wird. In Marbach haben 133 Besucher*innen den Satz „Denken ist für mich …“ ergänzt, neun davon mit „Freiheit“, fünf mit „anstrengend“, vier mit „unabstellbar“. Weitere Definitionen waren u.a.: „Probehandeln“, „leider viel zu selten“, „eine sprudelnde Ketten-reaktion kleiner Männ- lein in meinem Kopf“, „Denken ist nicht links und rechts, schwarz oder weiß / Denken ist mutig sein“, „Luxus“, „nicht für Dich“.
Ergänzend zur Schillerrede 2020
am 8. November (auch hier geben
wir den Redner sowie Uhrzeit
und Ort rechtzeitig über unsere
Homepage und die Presse bekannt)
möchten wir Sie alle einladen,
zu Friedrich Schillers Geburtstag
am 10. November Ihre Gedanken
zu einem der berühmtesten
Schiller-Zitate mit dem Hashtag
#SchillerFreiSpiel online zu stellen:
„Um es endlich auf einmal heraus-
zusagen, der Mensch spielt nur,
wo er in voller Bedeutung des Worts
Mensch ist, und er ist nur da ganz
Mensch, wo er spielt.“ Schiller
schreibt das in seinen fünf Jahre
nach Ausbruch der Französischen
Revolution 1794 veröffentlichten
Briefen Über die ästhetische Erziehung des Menschen. Aus seiner Sicht macht uns die Kunst frei,
weil sie uns bewegt und verändert,
ohne dass wir die Balance verlieren.
Sie lehrt uns Geist, Seele und
Körper in Einklang zu bringen. Viele
der Objekte in Schillers Nachlass
thematisieren solche Bewegungs-
und Gleichgewichtsübungen.
Aber: Wie sehen wir heute die
Zusammenhänge zwischen Spielen
und Freiheit, Individuum und
Demokratie?
Schillerlesen
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#Literatur Bewegt Lesen lernen
Auch die für Dezember 2020
geplante Fortsetzung unseres
Ausstellungsprojekts
#LiteraturBewegt (gefördert
von der Kulturstiftung des
Bundes und dem Ministerium
für Wissenschaft, Forschung
und Kunst Baden-Württemberg),
in dem die Medienwechsel
der Literatur im Mittelpunkt
stehen , haben wir in den
Herbst 2021 verschoben. Daher
noch einmal zurück zum Lesen:
Was geschieht mit unserem
Körper, wenn wir Lesen lernen?
Das haben wir die Essayistin
und Literaturwissenschaftlerin
Hannelore Schlaffer gefragt:
Es muss etwas passieren! Etwas Unglaubliches! Übertreibung bis zur Unwahrscheinlichkeit ist ein erprobtes
Mittel, das Furchtbare zu bannen,
damit es das Schöne werde. Das
Schreckliche ins Schöne zu über-
setzen, dazu reicht schon ein
bequemer Sessel. In Gemütlichkeit
versunken, wird alles Ungeheuerliche,
von dem man gerade erfährt, harmlos.
Noch besser als der Sessel ist, falls
man ein Kind ist, die Hand des Vaters
oder der Mutter. So war denn auch
das erste Buch, das mir vorgelesen
wurde und dessen ich mich erinnere,
ein schönes. Und doch erschien es
mir, als ich es vierzig Jahre später aus
kritischer Distanz noch einmal selbst
las, als das erdenklich Bösartigste,
was man einem Kind vorsetzen kann:
Der Struwwelpeter. Sadismus in jedem Wort – doch die Hand des Vaters
auf der Schulter war warm, und die
spöttische Stimme, mit der er las,
verkehrte den Barbarismus der
Geschichtchen in spaßige Wunder, in
Zauber, in Phantasie. So ließ sich
über all das, was Erziehungswut sich
an Grausamkeiten ausgedacht
hatte, lachen, schadenfroh, über die
brennenden Katzen wie über den
fliegenden Robert, der hieß wie mein
Bruder.
Die ästhetische Erziehung ist keine
moralische, wie Schiller meint. Sie
beginnt beim Kind, gar beim Kleinkind,
und von da an ist die Bedingung allen
ästhetischen Genusses Körperwärme.
Der Körper, der liest, muss sich seiner
sicher sein. Er muss wissen, dass er
das Auge nicht braucht, das wachsam
Folgeseiten:Psyche und Pegasus. Testaufbau für Luise Duttenhofers Leseszenen im Litera-turmuseum der Moderne.
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das nicht – ein Asyl, das nicht riecht,
nicht blendet, nicht dröhnt, nicht juckt,
nicht schmerzt. Wer an diese Welt
glaubt und in sie entflieht, nimmt an
Wundern so viel wie möglich in die
sinnliche Wirklichkeit mit, in die er
zurück-kehren muss. Beides, Flucht
und Rückkehr, wurden mir von diesen
Brüdern leicht gemacht. Der Tag war
still und gut zum Lesen geeignet,
denn sie gingen zur Arbeit. An den
Abenden und am Sonntag zelebrierte
dann einer, der schöne Lieblings-
bruder, zusammen mit meinem Vater
und mit mir die Rückkehr aus der
Bücherwelt in unser Wohnzimmer.
Ich las alle Bände von Karl May, derer
ich habhaft werden konnte, der Bruder
und mein Vater lasen mit, und so
war das Wohnzimmer ein Lager in
den Great Plains, wir waren Old
Shatterhand, Winnetou, Nscho-tschi.
Ich sprang vom Pferd, legte das Ohr
auf die Erde, um das Nahen feindlicher
Stämme auszukundschaften, und
verbeugte mich mit dem roten Bruder
vor unserem weißen Freund Old
Shatterhand, dem Vater. Lesen nennt
man Bildung und fördert es bei
Jugendlichen, aber keine Spur war mir
bewusst von dieser Pflicht, und von
den wirklichen Verhältnissen in jenem
Amerika, mit dem ich mich gerade
beschäftigte, hatte ich keine Ahnung,
wusste nichts von der Verdrängung
der Indianer aus ihren Revieren, auf
die Karl May anspielt. Bildung ist ein
emotionales und intellektuelles
Training, keine Wissensvermittlung.
Begleitet vom Achselzucken der
anderen drei Brüder, lief dieses
Spiel so vor sich hin und einige Zeit
lang weiter, so lange, bis ich eine
die Umwelt kontrolliert, weil er nicht
in Gefahr ist. Die Augen sind die
einzig Gequälten beim Lesen. Je
monotoner die Welt, die vor ihnen liegt
– und was ist schon eine Buchseite
anderes als ein Gefängnis für das
Auge –, desto freudiger arbeitet der
Geist, sich seine eigenen Welten,
auserlesene, zu erfinden. Schwer
Büchersüchtige, die lebenslänglich
hinter diesen Buchstabengittern
sitzen, kokettieren gern mit ihrer
Begeisterung für die Schönheit des
Buches, mit der Sensibilität, die die
Haptik des Einbandes erregt, mit
der Schönheit des Papiers – ich vor
allem erinnere mich am liebsten an
das sogenannte Bibeldruckpapier,
das damals, eine kirchliche Tradition,
das Buch kostbar machte. Das
Material ist jedoch nur eine Auf-
forderung, mit dem Phantasieren zu
beginnen.
Die ersten Bücher, die ein Kind
kennenlernt, sind nichts als
Schachteln, in denen etwas versteckt
ist, was die Stimme eines anderen
zum Klingen bringt. Beim Vorlesen
schon beginnt die Entlassung des
Körpers, die Lesen erst eigentlich
zum Glück macht. Lesen ist ein Glück,
weil man, sobald man sich in ein Buch
vertieft, ein Mensch ist ohne Leib.
Man unterliegt weder der Schwerkraft
noch den Gebrechen des Körpers.
Lesen ist eine Kraftentäußerung.
Nur wenn es zu lange währt, hat
einen die Erde wieder: Der Rücken
schmerzt, die Schultern knarzen,
die Augen brennen.
Diese Schwerelosigkeit, die süchtig
macht, beginnt mit dem gehörten Text,
mit der Erzählung des Vaters etwa,
zu dem das Kind am Morgen ins Bett
kriecht und auf fränkisch radebrecht:
„Rodkäbbchen sach!“ Hier genießt es
in der Morgenstunde die Sicherheit,
die zum Lesen gehört. Nicht um etwas
zu lernen, sondern damit die Welt
nicht ganz verloren gehe dabei – was
ein wirklicher Schreck wäre – müssen
Kinderbücher Bilder haben und der
Text eine Stimme, die des Erzählers
oder Vorlesers. Zum Gefühl der
Sicherheit, die Lesen erst ermöglicht,
gehört das Vertrauen, dass Welt
und Körper trotz der entfliegenden
Phantasie miteinander freundlich
verbunden sind. Dies Gefühl
verschafft im Erwachsenenalter die
Tasse Kaffee, die die Lektüre irdisch
bleiben lässt, oder die Zigarette.
Nicht aus Geistes- und Gedanken-
schwäche hebt man immer einmal
wieder den Blick vom Buch, steht auf
und tut einige Schritte durch den
Raum, sondern aus dem Bedürfnis
heraus nach Rückkehr in die Welt,
die über der Unglaublichkeit der
Erzählung doch nie oder nur von Irren
ganz vergessen wird.
Nun also aus dem Bett des Vaters in
den Sessel im Wohnzimmer, an
dem von Zeit zu Zeit die vier Brüder
vorbeikommen und sagen: „Ah! Die
höhere Tochter liest schon wieder!“
Vier Brüder fördern das Lesen
einer kleinen Schwester sehr. Man
entkommt ihnen gottlob ins Buch
und dort in eine Welt, in die sie nicht
mitlaufen können – oder doch?
Bücher sind – wer, der liest, wüsste
andere Verbindung von Fiktion und
Wirklichkeit fand, wie sie notwendig
ist, damit Lesen Glaubenssache
bleibe und Glück bereitet. Die
Wirklichkeit, in die das Gelesene nun
einging, war das Theater, ein realer
Ort, an dem ich mein einsames
Lesen in die Gesellschaft integrieren
konnte. Ich las Schiller, lernte Rollen
auswendig, war Karl Moor, Max
Piccolomini, Lady Milford – Frau oder
Mann spielt in der Poesie keine
Rolle –, ging ins Theater und sah,
dass es das, was ich einstudiert hatte,
wirklich gab. Mit dem Besuch im
Theater war das Lesen zur sozialen
Erfahrung geworden, die mir die
Teilhabe an der Gesellschaft
garantierte. Über das Theater kann
man reden, die Lektüre hingegen
macht stumm, während man liest,
und meist auch danach. Zugleich
wird in Schillers Theaterstücken der
Leser zum Spieler, der frei ist vom
Alltag. Seine Bühne ist ein anderer,
‚höherer‘ Ort.
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schreibbmaschinengewehrchen
PfauenaugenblickantroposophenlilaJubidubiNonstopcharakterVersagersagenSonnenspelzenPhantomliebeSeniorenkrippeBirkinnentomeihodapusteblumengrauUnendlichkeitskino
verschwindibusSilberseiberfadengedankenkrankKarfreitagslakenFreiheitsgluckenKontaktanzeigentypen
VielerleiliebFrühstücksbackeAbendschriebKaltebauernfrühstücke
NachmittagstigallErdenklumpatschsternengesalzenRosengrannen TrickesoterikerWehmutsgequatschesorgengetrüffeltBlechhorizontWimpernwäldchenMonomanentreckQuendelbarrikadenÜbersommerDi-Da-Durchschnittskopp
Wunderhose Bleistiftgesicht Stratosphärensperma
BlütenrouladenEinsiedlerfleischSangsemalBewußtseinsboom
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Rüben-Nymphe
1.-Klasse-Einsamkeit
Nervenplankton
Schmierseifenhansel
Déjawuppdich
Schieschie
Höllenhefe
Gleichmachemaschine
Aufklappsterne
Maiengalle
Gelegenheitsschwein
Wohltäterätäter
Paradiesvogelschiß
Fundefeuer
EtruskerspitzmausMondensud
ratzepatz
Rühmkorfs Nachlasspoesie
Peter Rühmkorf in seiner Hamburger Studenten-bude, um 1955. Foto: Dieter Heggemann
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Gibt es Dinge, die Sie heute noch
ratlos machen oder staunen lassen
oder ... ?
Ratlos bin ich angesichts des immens
umfangreichen (und gesperrten)
Tagebuchnachlasses – 30.000 hand-
schriftliche Seiten! Nicht nur die
manische Mitschrift des eigenen
Lebens erstaunt mich, auch die Idee
einer jahrzehntelangen Sperrung, die
aus den Notizen eine Art Flaschen-
post in die Zukunft werden lässt.
Für wen? Oder hat sich Rühmkorf
diese Frage gar nicht gestellt, sondern
nur gedacht: Für euch nicht, ihr
sensationsgierigen Zeitgenossen?
– Was mich immer noch rührt, sind
die Dokumente aus dem Nachlass
der Mutter. Peter Rühmkorf wurde
unehelich geboren, seine Mutter
war Dorfschullehrerin, sein Vater ein
r