Pressekonferenz Innovationsreport 2014: Statement von Prof. Dr. Gert Glaeske
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Gerd Glaeske, Bremen
Innovationsreport 2014 – Statement zur Pressekonferenz am 02.04.2014
Von neuen und alten Arzneimitteln - Der AMNOG-Prozess kommt voran
Mit Unterstützung der Techniker Krankenkasse (TK) hat das Zentrum für Sozialpolitik zum zweiten
Mal einen Innovationsreport erstellt (Autoren R. Windt, D. Boeschen, G. Glaeske), in dem für die
im Jahre 2011 neu auf dem Arzneimittelmarkt angebotenen Arzneimittel eine Bewertung nach
Nutzen- und Kostengesichtspunkten erarbeitet und auf der Basis von TK-Daten eine Analyse der
Verordnungscharakteristika im ersten Jahr nach der Zulassung vorgelegt wird.
Zielsetzung
Die Ziele des vorliegenden Innovationsreports sind zum einen, neue Arzneimittel anhand der
aktuellen Studienlage nach den Kriterien der Evidenz-basierten Medizin zu bewerten, und zum
anderen auf der Basis von Daten der Techniker Krankenkasse (TK) Verordnungscharakteristika dieser
Arzneimittel nach der Markteinführung darzustellen. Es sollen also die Evidenz zu und die Versorgung
mit Arzneimittelneuheiten abgebildet werden, um Erkenntnisse darüber zu gewinnen, wie die neuen
Mittel verordnet werden und wie sie sich im Arzneimittelmarkt behaupten. Nachdem im ersten
Innovationsreport aus dem Jahr 2013 schwerpunktmäßig die neuen Wirkstoffe des Jahres 2010, also
dem Jahr vor Einführung der AMNOG-Nutzenbewertung, analysiert wurden, stehen nun die neuen
Wirkstoffe des Jahres 2011 im Mittelpunkt. Zur Bewertung werden auch Studien berücksichtigt,
deren Ergebnisse erst nach Markteinführung publiziert worden sind. Ebenso finden neue
Erkenntnisse zu Sicherheitsrisiken Beachtung, die zum Zeitpunkt der Zulassung sowie der AMNOG-
Nutzenbewertung noch nicht bekannt gewesen sind. Unsere Bewertungen werden durch
Auswertungen von Routinedaten der TK der Jahre 2011 und 2012 ergänzt, um Einsichten in das
Versorgungsgeschehen zu gewinnen. Im Rückblick auf die im Innovationsreport 2013 behandelten
Arzneimittel (neue Wirkstoffe des Jahres 2010) wird auch gezeigt, wie diese sich im Markt weiter-
entwickelt haben und ob neue Risiken aufgetreten sind, die die Therapiesicherheit gefährden
können. Da es aus unserer Sicht auch wichtig ist, den Bestandsmarkt mit in eine solche Studie zur
Bewertung von Arzneimitteln auf dem GKV-Markt einzubeziehen, werden drei marktrelevante und
ausgabenstarke Produkte beispielhaft beurteilt (Lyrica®, Inegy® und Targin®), um deutlich zu
machen, dass die Bestandsmarktprüfung ein wichtiges Qualitätssignal für die angebotenen
Arzneimittel geben könnte.
Abschließend widmen wir uns in einem Sonderkapitel dem Thema „personalisierte Medizin“. Dort
wird näher erläutert, warum es sinnvoller und präziser wäre, von stratifizierender oder Biomarker-
basierter Medizin zu sprechen. Zunehmend werden Arzneimittel zugelassen, deren Einsatz an den
Nachweis eines molekularbiologischen Markers gebunden ist. Der heutige Stellenwert einer solchen
stratifizierenden Medizin wird im diesjährigen Innovationsreport dargestellt. In diesem
Zusammenhang muss kritisch auf Gentests hingewiesen werden, die freiverkäuflich in Apotheken
oder im Internet erhältlich sind und mit denen die Therapiewirksamkeit und -sicherheit erhöht
werden soll. Auch hier wird der Frage nachgegangen, ob sie wirklich von Nutzen sind und für den
routinemäßigen Einsatz empfohlen werden können. Grundsätzlich gilt nämlich für die meisten dieser
angebotenen Biomarker, dass keine prospektiven Studien vorliegen, die einen patientenorientierten
Vorteil für eine Biomarker-basierte Versorgung zeigen. Zudem ist auch unklar, ob Patientinnen und
Patienten, bei denen ein entsprechender Test negativ ausfällt, nicht doch einen Nutzen von der
jeweiligen Therapie haben könnten. Es bleiben derzeit also noch viele Fragen unbeantwortet.
Fazit
Insgesamt zeigt der Innovationsreport 2014, dass die GKV nach wie vor der wichtigste Finanzier von
neuen Arzneimitteln ist und damit einen vielversprechenden finanziellen Rahmen für den
therapeutischen Fortschritt anbietet. Voraussetzung dafür sollte aber sein, dass für die Patientinnen
und Patienten ein Zusatznutzen mit den neuen Mitteln gegenüber den schon angebotenen
Arzneimitteln nachweisbar ist. Nur dann ist die Kategorisierung als „therapeutischer Fortschritt“ auch
wirklich gerechtfertigt, wie sie im § 2 des SGB V für alle Leistungen und damit auch für Arzneimittel
gefordert wird. Und daran orientiert ist das Ergebnis der hier vorgelegten Auswertungen für das
Jahr 2011 eher „bescheiden“ – nur bei 3 der 20 untersuchten neuen Arzneimittel zeigt die
Bewertungsampel auf „grün“ (Gesamt-Score) und damit auf den Nachweis eines therapeutischen
Fortschritts (hierunter fielen der Gerinnungshemmer Ticagrelor, der Amyloidose-Wirkstoff
Tafamidis und der Prostatakrebs-Wirkstoff Abirateron). Die gute Botschaft ist allerdings, dass die
rote Ampel (Gesamt-Score) weniger häufig als im vergangenen Report vergeben wurde, nämlich
gegenüber 67 % nun „nur noch“ bei 35 % der neuen Arzneimittel. (Apixaban, Belatacept,
Cabazitaxel, Dexamfetamin, Linagliptin, Nabiximols, Pitavastatin). Auffallend war, dass unter dem
Eindruck der frühen Nutzenbewertung nach dem AMNOG vermehrt Arzneimittel vom Markt
zurückgezogen wurden (Collagenase, Pitavastatin, Retigabin). Im Falle des oralen Antidiabetikums
Linagliptin (Trajenta®) fand die Markteinführung aufgrund einer negativen Nutzenbewertung (und
eines damit zu erwartenden niedrigen Preises als Verhandlungsergebnis) gar nicht erst statt.
Als Problem muss gewertet werden, dass mehr und mehr unerwünschte Ereignisse erst nach der
Frühbewertung und dem Vermarktungsbeginn für neue Arzneimittel auftreten. Dies verdeutlicht,
dass Innovationen in der Realität auch neue Risiken mit sich bringen und es nicht immer von Vorteil
zu sein scheint, bisher bewährte Therapien durch die Anwendung neuer Arzneimittel zu verändern.
Für sieben der betrachteten neuen Wirkstoffe wurden nach der Markteinführung Rote-Hand-Briefe
veröffentlicht, mit denen die pharmazeutischen Unternehmen heilberufliche Fachkreise über neu
erkannte Arzneimittelrisiken informierten, die zum Zeitpunkt der Zulassung noch nicht (oder nicht in
dem Maße) bekannt waren. Bei weiteren zwei Wirkstoffen wurden Informationsbriefe zu möglichen
Zubereitungs- und Dosierungsfehlern versendet. Für das MS-Arzneimittel Fingolimod (Gilenya®)
wurden insgesamt sogar vier Rote-Hand-Briefe verschickt, wobei zwei davon Überarbeitungen bzw.
Ergänzungen zur Empfehlung einer strengen kardiovaskulären Überwachung darstellen. Diese
Empfehlungen waren notwendig, weil die Fingolimod-Behandlung Auswirkungen auf die
Herzfrequenz und die atrioventrikuläre Überleitung am Herzen haben kann. Im vierten Rote-Hand-
Brief vom 18.11.2013 informierte der Hersteller über die Meldung von zwei Fällen eines
hämophagozytischen Syndroms (HPS) mit Todesfolge bei mit Fingolimod behandelten Multiple-
Sklerose-Patienten. Diese Zusammenhänge sprechen dafür, bei vielen neueingeführten Mittel nach
einiger Zeit (z.B. drei Jahre) eine „Spätbewertung“ durchzuführen , um Nutzen und Schaden besser
bewerten zu können.
Kontakt:
Prof. Dr. Gerd Glaeske, Zentrum für Sozialpolitik (ZeS), Universität Bremen