NOVEMBER 2016 25 ARCHITECTURE FREIE FORMEN

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FREIE FORMEN

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EDITORIAL Um einzigartige Bauten zu schaffen, experimentieren Architekten bisweilen mit freien Formen. Gebäude­ elemente oder der gesamte Baukörper entsprechen nicht dem gewohnten Formenvokabular. Einige sind mehrfach abgekantet, mit schräg geneigten Flächen und unregelmässigen Umrissen. Andere sind gerundet, ge­ wellt, konkav oder konvex verformt. So entstehen noch nie dagewesene Gebäudeformen und Fassadenober­ flächen, die von der Konvention abweichen, sich vom Umfeld abheben und von der Menge des Gebauten unterscheiden. Ein aktuelles Beispiel experimenteller Raumdefinition ist das Projekt «Incidental Space» von Christian Kerez an der Biennale in Venedig.
Architekten entwickeln für ihr Bauprojekt eine Vorstel­ lung davon, wie es aussehen soll. Wie die Volumen und wie die Oberflächen wirken sollen. Sie suchen zu­ sammen mit Ingenieuren und Materialherstellern nach Möglichkeiten, ihre Formvorstellungen umzusetzen. Mal werden bestehende Lösungen verändert, mal wer­ den Anwendungen variiert, und mal entstehen neue Produkte. Kreativität und Fantasie führen zu Innovatio­ nen auf dem Baumarkt und in der Architektur.
Die Eternit (Schweiz) AG, die seit mehr als hundert Jahren Zement und Fasern mithilfe ein paar weiterer Zutaten zu robusten, langlebigen Produkten verar­ beitet, stellt sich den Herausforderungen der aktuellen Architektur. Nebst ebenen und regelmässig gewellten Platten pflegt das Unternehmen die Tradition, freie For– men zu entwickeln. In der sogenannten For merei werden Pflanzenkübel, Sessel und manch andere Acces­ soires produziert. Dabei machen sich die Mitarbeiter die Formbarkeit des frisch gemischten Materials zunutze. Mit Erfahrung und Passion schneiden, biegen und klopfen sie den Faserzement in immer neue Formen.
In dieser Ausgabe von Swisspearl Architecture treffen freie Architekturformen und die Formbarkeit von Faserzement aufeinander. Wir präsentieren speziell ge­ formte Gebäude, in unterschiedlichen Massstäben und für verschiedene Zwecke gebaut. Und wir zeigen speziell geformte Fassadenverkleidungen, entworfen von Architekten und Gestalterinnen, die die Mitarbeiter von Eternit (Schweiz) AG weiterentwickelt haben.
Ich wünsche eine inspirierende Lektüre! Michael Hanak, Chefredakteur
Links: «Incidental Space», ein Projekt von Christian Kerez im Schweizer Pavillon an der 15. Internationalen Architekturausstellung La Biennale di Venezia.
FREIE FORMEN Essay von Michael Hanak
2 WIE FREI KANN ARCHITEKTUR SEIN?
Interview mit Professor Fabio Gramazio, ETH Zürich 8 DIGITALE FORMENWELT
Swisspearl Summerschool 2015 12 ROBOTIC WIRE CUTTING
Österreich: Coop Himmelb(l)au 16 WOLKE UND WELLE
Nordirland: Samuel Stevenson & Sons 20 BRITISCHES HERRENHAUS IM GRÜNEN
Polen: Insomia Architekten 26 SCHIFF IM STRASSENMEER
Österreich: Mang Architekten 30 NASSER STOFF AUF KÖRPER
Schweiz: Burckhardt + Partner 38 VORHANG AUF FÜRS MULTIPLEXKINO
Schweiz: Unger & Treina 40 WOGENDES STICKEREIGEWEBE
Schweiz: Stutz & Kohli 44 HÜGEL MIT POLYEDER
Italien: Studio di Architettura Franco Segre 50 ANGELEHNTER MONOLITH
Österreich: Mathis Barz 54 DIAMANTEN AUF FLIEGENDEM TEPPICH
HERAUSGEGRIFFEN 58 AUFGEBLASENER PLATZHALTER
KLASSIKER 62 DIE SITZSCHLEIFE
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Die digitalen Hilfsmittel in der Architektur erlauben es, freie Formen zu entwerfen. Schon in vordigitaler Zeit gab es wieder­ holt Bestrebungen, sich vom rechten Winkel und von regel­ mässigen Geometrien zu lösen. Heute scheinen der Fantasie kaum mehr Grenzen gesetzt. Es müssen nur die Wege gefunden werden, diese Formvorstellungen in die gebaute Wirklichkeit umzusetzen.
Viele zeitgenössische Bauten haben freie Formen. Ihre Körper sind mehrfach geknickt oder unregelmässig gerundet. Sie haben die Form unregelmässiger Polyeder oder sind fliessende, biomorphe Gebilde. Seit den 1990er­Jahren fasst man frei geformte Gebäude unter dem Begriff «Blob­Architektur» zusammen. Manchmal sind auch lediglich einzelne Fassaden­ oder Dachbereiche ge­ wellt, gezackt oder anders «verformt». Wollen sich die Bauherren und Architektinnen damit gegen die rigi­ den Geometrien der Moderne auflehnen? Oder lässt sich das Phänomen auf die technische Machbarkeit zurückführen? Dass Architekten heute am Compu­ ter mit der entsprechenden Software entwerfen, scheint ein wichtiger Grund dafür zu sein, dass die Formen über den rechten Winkel und die gerade Linie hinauswachsen.
Auch in vordigitaler Zeit gab es freie Formen in der Architektur. Einzelne Architekten lösten sich beim Entwurf vom rechten Winkel und von regelmäs­ sigen Geometrien zugunsten einer plastischen Formen­ vielfalt. Seit Anfang des 20. Jahrhunderts streben Bau­ künstler danach, die Form aus den Bedingungen von Funk­ tion, Zweck und Material abzuleiten, mit ganz unterschiedlichen Ergebnissen. Die Tendenz hin zu gewachsen erscheinenden Formen bezeichnete man als organische Architektur. Diese implizierte mit­ unter auch eine psychologische und soziale Zweckmässigkeit der Ar­ chitektur. Ein bekanntes Beispiel organischer Architektur ist der nach Plänen von Erich Mendelsohn errichtete Einsteinturm bei Berlin (1919–1922), mit dem die Gültigkeit von Albert Einsteins Relativitäts­ theorie experimentell bestätigt werden sollte.
Eine weitere Blüte fanden fantasievoll geformte Architekturen in den 1960er­Jahren, in einer Zeit des sozialen und kulturellen Wan­ dels. Neuartige architektonische Vorstellungen fanden auch Eingang in andere Bereiche des Lebens. Die japanischen Metabolisten entwi­ ckelten futuristische Ideen für Grossstrukturen und Städte. Die briti­ sche Architektengruppe Archigram suchte nach ganz neuen Ansät­ zens des Bauens und Zusammenlebens und überraschte mit visionä­ ren Projekten, die inspiriert von neuen Technologien, der Raumfahrt und Science­Fiction noch nie gesehene Formen annahmen. Zu ihren berühmtesten Vorschlägen gehörte die «Walking City», ein bewegli­ ches Wohngebilde, das aussah wie ein Rieseninsekt auf Metallbeinen. Ein spätes Kind der Formenwelt von Archigram brachten die beiden ehemaligen Mitglieder Peter Cook und Colin Fournier mit dem 2003 eröffneten Kunsthaus in Graz zur Welt, eine transluzente, biomorphe «Bubble», die ihre Entwerfer «Friendly Alien» nannten.
Als Ablösung von der Postmoderne etablierte sich in den 1980er­ Jahren der Dekonstruktivismus: Die Vertreter dieser architektoni­
WIE FREI KANN ARCHITEKTUR SEIN? Essay von Michael Hanak
Links: Guggenheim Museum in Bilbao, 1993–1997, von Frank Gehry
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schen Stilrichtung zergliederten und zersplitterten architektonische Körper und setzten ihre Bestandteile neu zusammen. Die dekons­ truktivistische Architektur zeichnet sich durch einen freien, spieleri­ schen Umgang mit architektonischen Elementen aus. Gewohnte Ka­ tegorien wie Orthogonalität, Reihung und Symmetrie kommen nicht oder kaum vor, Stabilität und Gleichgewicht weichen dem Eindruck von Labilität. Eines der jüngsten Bauten der österreichischen Archi­ tektengemeinschaft Coop Himmelb(l)au, die zu den bekanntesten Vertretern des Dekonstruktivismus zählt, ist das Museum of Contem­ porary Art & Planning Exhibition in Shenzhen, China, das noch in die­ sem Jahr eröffnet werden soll. «Ich glaube», sagt Mitbegründer Wolf D. Prix, «es wird das erste Gebäude sein, das von Robo­ tern erbaut wurde, nur von Robotern.»
Freie architektonische Formen wurzeln auch in der Geschichte der Konstruktion. Ursprünglich brauchte es ebene, horizontale Mauern oder regelmässige Ge­ wölbe, um Steine oder Backsteine aufeinanderzu­ schichten. Seit der Einführung von Stahlbeton sind die Möglichkeiten der Formbarkeit nahezu unbe­ grenzt, sofern sich die Schalungsform herstellen lässt. Computer und CAD­Programme schliesslich erweitern die Methoden der geometrischen Model­ lierung auch in der Architektur.
Der Computer hielt vor rund zwanzig Jahren Ein­ zug in die Architekturbüros und wurde zur omniprä­ senten Infrastruktur in der zeitgenössischen Architek­ turproduktion. Als erste nutzten dekonstruktivistisch arbeitende Architekten wie Frank Gehry und Zaha Hadid die Technologie, indem sie aus der Autoindustrie stammende Software für ihre Entwürfe einsetzten. Heutzutage erreicht die Nutzung des Computers und seine Instrumentalisierung zur archi­ tektonischen Formfindung eine neue Phase. Der Computer ist nicht mehr nur Werkzeug zur effizienten Planzeichnung, er ist darüber hinaus mit der digitalen Fabrikation von Baumaterialien und Bau­ teilen verknüpft. Roboter unterstützen den Bauprozess und die Bau­ produktion.
Im digitalen Zeitalter der Gegenwart verändern sich sowohl die Vorstellung als auch die Art und Weise, wie Form erzeugt wird. Es gibt Formen, die sich nur mit dem Computer beherrschen lassen. Jedes Bauteil, das von computergesteuerten Maschinen hergestellt wird, kann anders aussehen. Digital erzeugte Raumgebilde fordern unser Vorstellungsvermögen heraus und eröffnen neue Möglichkei­ ten der Formgebung. Assoziierte man früher die freie Form mit Natur, Intuition und Individualität – im Gegensatz zur geometrischen Form, die Logik, Rationalität und Universalität verkörperte –, so vereint die digitale Freiform heute diese beiden gegensätzlichen Vorstellungen.
Im digitalen Zeitalter verändern sich sowohl die Vorstellung als auch die Erzeugung von Form.
Links: Organische Architektur im 20. und 21. Jahrhundert. Einsteinturm in Potsdam, 1919–1922, von Erich Mendelsohn; Kunsthaus in Graz, 2001–2003, von Peter Cook und Colin Four­ nier; Talstation der Nordkettenbahn in Innsbruck, 2004–2007, von Zaha Hadid; Museu de Arte Contemporânea in São Paulo, 1991–1996, von Oscar Niemeyer.
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«Noch hat digitale Fabrikation einen Sonderstatus. Mittelfristig wird sie aber in alle Bereiche der Architektur einfliessen.» Fabio Gramazio, ETH Zürich (Rendering von robotergebauten Hochhäusern in Singapur, 2012/13)
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«Es geht um die rationale Herstellung von komplexen Formen» Interview mit Professor Fabio Gramazio, ETH Zürich
Fabio Gramazio leitet gemeinsam mit Mat­ thias Kohler die Professur für Architektur und Digitale Fabrikation am Departement Architektur der ETH Zürich. Ihre Forschung reicht von Bauprojekten wie einer Ziegel­ steinfassade, die Roboter für das Weingut Gantenbein aufstapelten (2006), über Aus­ stellungsinstallationen wie «Flight Assem­ bled Architecture» (2011) bis zu Entwurfs­ studios, in denen die Studierenden Hochhäu­ ser in Singapur planten, die von Robotern gebaut werden sollen (2011/12 und 2013/14).
Im Jahr 2000 hatten Fabio Gramazio und Matthias Kohler ihr gemeinsames Architek­ turbüro gegründet. Seitdem realisierten sie eine Reihe von preisgekrönten Bauwerken. Zu ihren aktuellen Arbeiten gehört das For­ schungs­ und Technologiegebäude Nest der Empa bei Zürich.
DIGITALE FABRIKATION
Michael Hanak: Gibt es in der Architektur freie Formen? Was verstehen Sie unter dem verbreiteten Schlagwort? Fabio Gramazio: Eine Handvoll bekannter Architekten hat in den letzten zwanzig Jah­ ren freie Formen zelebriert. Dieser Trend fiel mit der Phase der Stararchitektur zusammen und hat vermutlich einen direkten Zusam­ menhang damit. Das Ideal, das der Mensch anstrebt, ist die Natur und das damit verbun­ dene Gebot zu Effizienz und Nachhaltigkeit. In der Natur gibt es keine Unterschiede zwi­
schen einfachen und komplexen Formen, sondern nur sinnvolle Formen. In der Welt des Artifiziellen, vom Menschen Geschaffe­ nen wird formale Komplexität schnell teuer. Hohe Effizienz und Nachhaltigkeit sind, heute noch, meist nur mit viel Aufwand zu er­ reichen. Wir wissen, was optimal wäre, doch es ist zu aufwendig, es zu erreichen.
Frank Gehry kommt der Verdienst zu, ge­ zeigt zu haben, was an Komplexität möglich ist. Das Guggenheim Museum in Bilbao war der Durchbruch in seiner Karriere. Zugleich hat er in formaler und technologischer Hin­ sicht eine Entwicklung angestossen, die nicht mehr wegzudenken ist. Hiermit wurde eine erste Hürde überschritten. Gehry ist einer der Architekten, die ich am meisten bewun­ dere für die Leistung, die sie erbracht haben. Seine Bedeutung für das Digitale in der Ar­ chitektur wird heute allgemein anerkannt.
Bei der digitalen Fabrikation scheint es oft um die kontrollierte Herstellung freier Formen zu gehen. Es geht um die rationale Herstellung von komplexen Formen. Das beinhaltet Effizienz und auch Kontrolle. Architektur wird zuneh­ mend komplexer. Die Form ist ein Teil und eine Konsequenz dieser Komplexität. Das Potenzial für die Zukunft ist, mit der Komple­ xität umgehen zu können.
Können Computer und Roboter so komplexe Formen schaffen, die ein Mensch nicht mehr selbst entwerfen kann? Der Computer erlaubt es, sehr aufwendig zu definierende Formen zu entwerfen. Und un­ ter entwerfen verstehe ich, mit etwas umzu­ gehen. Im Entwurfsprozess muss das Resul­ tat iterativ gesucht werden, bis es funktio­ niert. Funktionieren kann dabei statische, wirtschaftliche, funktionale Bedeutungen haben. Ohne Computer kann ich komplexe, auf vielen Parametern basierende Formen nicht zum Funktionieren bringen. Und den Roboter benötige ich, um die Komplexität in die Materie zu übertragen.
Wie frei ist die Formgebung mittels digitaler Hilfsmittel? Da liegt ein grosses Missverständnis vor. Al­ les und nichts ist frei. Bei der digitalen Fabri­ kation geht es meist um doppelt gekrümmte Formen. Solche komplexen Oberflächen las­ sen sich gegenwärtig fast nur fräsen; fräsen ist State of the Art in der digitalen Fabrika­ tion, jedoch teuer und wenig nachhaltig, da viel Material vernichtet wird. 3­D­Drucker arbeiten schneller und benötigen weniger Material. Zwischen den sogenannt subtrak­
«Ohne Computer kann ich komplexe, auf vielen Parametern basierende Formen nicht zum Funktionie­ ren bringen. Und den Roboter benötige ich, um die Kom­ plexität in die Materie zu über tragen.»
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tiven und additiven Verfahren gibt es etliche Zwischenstufen und Mischformen. Nun geht es darum, das ganze formale Repertoire der noch jungen Technik zu ergründen, kennen­ zulernen und einzusetzen. Wir Architekten wollen innerhalb der technischen Möglich­ keiten den Bereich finden, in dem eine Form Sinn macht und schön ist.
Welche Vorzüge bietet die digitale Fabrikation? Digitale Fabrikation kann vieles sein. Sie kann auch unsichtbar sein. Für Architekten lagen komplexe Formen lange Zeit nicht im Bereich des Möglichen und des Machbaren, obschon eine Bewegung der Moderne sehr expressiv und organisch war und geniale Köpfe wie Frei Otto, Pier Luigi Nervi und Antoni Gaudí früh und auf empirischem Weg komplexe Formen geschaffen haben. Heute kann jeder mit den Zeichenprogrammen am Computer beliebige Formen zeichnen. Aber deren Umsetzung ist eine andere Frage. Mit
digitaler Fabrikation lassen sich effizient komplexe Formen umsetzen. Beim Wort Form denkt man in erster Linie an formale Fragestellungen. Bei digitaler Fabrikation geht es allerdings um mehr. Der im industri­ ellen Zeitalter herrschende Zwang zu mög­ lichst hoher Repetition gleicher Formstücke – wobei die Repetition auch eine Heraus­ forderung darstellte und zu einer eigenen Äs­ thetik führte – besteht nicht mehr. Das Stan­ dardisieren ist nicht mehr nötig. Die Formdif­ ferenzen zwischen Bauteilen spielen keine Rolle mehr. Die digitale Fabrikation erlaubt es, jedes Element eines Gebäudes anders und für sich zu gestalten. Dass die gezeichneten Daten mit den produzierenden Maschinen verknüpft werden können, bedingt, dass der Architekt sie entsprechend der Herstellungs­ technik zeichnet. Digitale Fabrikation ist ge­ wissermassen industrialisiertes Handwerk: die Möglichkeiten des Einzelstücks kombi­ niert mit der Präzision und Fertigungsgüte eines industriellen Verfahrens.
«Für Architekten lagen komplexe Formen lange Zeit nicht im Bereich des Möglichen und Machbaren, ob ­ schon eine Bewegung der Moderne sehr expressiv und orga­ nisch war.»
Fabio Gramazio (Mitte) mit Studierenden im Workshop der Swisspearl Summerschool.
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Welche Bedeutung wird die digitale Fabrikation in Zukunft haben? Im Kern bedeutet digitale Fabrikation, die di­ gitalen Zeicheninstrumente bei der Planung mit den digital gesteuerten Maschinen in der Herstellung zu verknüpfen. Dieser Vorgang hat einen grossen Einfluss auf das Formen­ verständnis und die Formimagination der Architekten.
Noch hat digitale Fabrikation einen Son­ derstatus. Mittelfristig wird sie aber in alle Bereiche der Architektur einfliessen, wie dies mit CAD schon geschehen ist. Die einen werden spektakuläre Dinge damit anstellen, andere werden sie für ganz gewöhnliche Ar­ chitektur nutzen. Digitale Fabrikation ist kein Allerheilsmittel. Wir Architekten haben die Verantwortung, der digitalen Fabrikation eine Bedeutung zu geben, die über das Funk­ tionale hinausgeht, und ihr eine gestalteri­ sche Relevanz zu verleihen.
SWISSPEARL SUMMERSCHOOL
Während der letztjährigen Swisspearl Summerschool hat die Professur Gramazio Kohler Research, die Sie zusammen mit Matthias Kohler an der ETH leiten, einen Workshop durchgeführt. Mit einer Gruppe Studierender haben Sie die freie Formgebung mit dem Werkstoff Faserzement untersucht. Wie kam es dazu, und wie lief das ab? Swisspearl fragte uns an, ob wir Interesse hätten, einen Workshop durchzuführen. Wir sahen dies als Chance, die Möglichkeiten der Arbeit mit Faserzement zu untersuchen. Als Ausgangspunkt nahmen wir eine Foschungs­ arbeit, die sich bereits in der Abschlussphase befand: ein mit Robotern betriebenes Draht­ schneideverfahren, mit dem doppelt ge­ krümmte Schnittflächen hergestellt werden können.
DIE PROGRAMMIERTE WAND, 2006 Welches gestalterische Potenzial hat eines der ältesten und am weitesten verbreiteten architek­ tonischen Elemente, der Ziegelstein, wenn sich die grundlegenden Herstellungsbedingungen in der Architektur verändern und die digitale Fabrikation die manuelle Arbeit ersetzt? Ausgehend von dieser Frage gestalteten Studierende Ziegelsteinwände mit einem Industrieroboter. Im Gegensatz zum Maurer vermag er jeden Stein unterschiedlich und doch exakt nach einer Vorgabe zu positionieren. Entsprechend definierten die Studierenden nicht die Geometrie der Wand, sondern die konstruktive Logik und den Algorithmus, nach denen der Roboter das Material zeitlich und räumlich organisiert.
DEPTH MODULATIONS II, 2014 Auf vier Paneelen platzierte der Roboter je 500 indi­ viduell und robotisch abgelängte Kunststoffrohre. Deren Durchmesser von je 70 Millimetern legten die Studierenden fest, indem sie die akustische Wirk­ samkeit der diffusen Streuung von Schallwellen im menschlichen Sprachbereich berücksichtigten. Um eine hohe Dichtigkeit der Paneele zu erreichen, wurden die einzelnen Rohre von innen mit individuell positionierten Deckeln aus Acryl zusätzlich versie­ gelt. Der Einfluss der prototypischen Paneele auf die Raumakustik konnte anschliessend im Labor erfolg­ reich überprüft werden.
«Es ist erstaunlich, wie unterschiedlich die Resultate im formalen Ausdruck sind. Ich kann mir eigentlich jeden Vorschlag als Ansatz für eine Fassadengestaltung vorstellen.»
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EXTRUDED STRUCTURES, 2015 Studierende untersuchten den Entwurf und die Fa brikation von robotergedruckten räumlichen Tragstrukturen. Als Ausgangspunkt dienten zunächst herkömmliche triangulierte Systeme. In der Folge wurden differenzierte geometrische Tragwerke aus ABS­Kunststoff als kontinuierlich extrudierte Strukturen realisiert. Weiter kamen ein Universal­Robot­UR5­Roboterarm und ein spe­ ziell angefertigter Materialextruder zum Einsatz. Zudem untersuchten die Studierenden, wie sich dreidimensionale Raumfachwerke, komplexe Über­ hänge und Überbauungen sowie frei geformte Bodenanschlüsse schaffen lassen.
Was war Ihr Ansatz für die Gestaltung der Swisspearl-Platten? Wir gaben vor, Platten mit doppelgekrümm­ ten Flächen zu gestalten. Damit wollten wir die Funktionen des Faserzements, die er be­ reits erfüllt, erweitern. Die Realitäten des Materials einerseits und das gewählte Her­ stellungsverfahren andererseits schränkten uns natürlich ein und definierten einen Ent­ wurfsraum. Trotz der vorgegebenen Rah­ menbedingungen blieben immer noch viele Methoden, die zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen führten.
Unter den präsentierten Resultaten entdecke ich vor allem Wellen- und Muldenformen. Warum das? Ein hängender Draht macht das von Robo­ tern gesteuerte Schneideverfahren einzig­ artig. In der Untersuchung wollten wir aus­ loten, welche Formen mit diesem Verfahren möglich sind. Die so zugeschnittenen Styro­ porflächen mit Faserzement zu belegen, ist gar nicht so einfach. Das rohe, noch weiche Material lässt sich nur beschränkt einmas­
gross der Möglichkeitsraum ist. Es kann in diesem Rahmen natürlich nicht darum ge­ hen, ein Produkt zu entwickeln.
Wie steht es um eine Umsetzung in die Baupraxis? Ein marktfähiges Produkt zu entwickeln, wäre der logische nächste Schritt. Das ist ein unternehmerischer Entscheid. In der Bauin­ dustrie wollen Investitionen gut überlegt sein: Es braucht Studien, Marktanalysen, Pilotprojekte und so weiter. Doch die Mög­ lichkeiten zu bewegt geformten Faserze­ mentplatten sind erkannt, und ich denke, dass dies längerfristig durchaus Früchte tra­ gen wird.
Literaturhinweise Fabio Gramazio, Matthias Kohler (Hg.), Made by
Robots. Challenging Architecture at the Large Scale, London: Wiley, 2014.
Fabio Gramazio, Matthias Kohler, Jan Willmann (Hg.), The Robotic Touch. How Robots Change Architecture, Zürich: Park Books, 2014.
Fabio Gramazio, Matthias Kohler, Silke Langenberg (Hg.), Fabricate: Negotiating Design & Making, Zürich: gta Verlag, 2014.
sieren. Der richtige Umgang mit dem Faser­ zement bedingt ein handwerkliches Know­ how. Es ging darum, die Möglichkeiten des Verfahrens mit der Formbarkeit des Materi­ als zu kombinieren. Die Entwürfe entstanden aus der Technik und aus den Materialeigen­ schaften heraus.
An welche Grenzen sind Sie bei der Formung des Faserzements gestossen? Der Radius der Krümmungen kann nicht beliebig klein werden, irgendwann reisst der Faserzement. An diese Grenzen haben wir uns empirisch herangetastet. Die Studie­ renden lernten die Materialeigenschaften schnell verstehen. Wir waren erstaunt, was sich alles machen lässt, wenn man weiss, wie. Das war Teil des Erfahrungsprozesses.
Wie beurteilen Sie die Ergebnisse? Es ist erstaunlich, wie unterschiedlich die Resultate im formalen Ausdruck sind. Ich kann mir eigentlich jeden Vorschlag als An­ satz für eine Fassadengestaltung vorstellen. Es war Ziel des Workshops aufzuzeigen, wie
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SWISSPEARL SUMMERSCHOOL 2015
ROBOTIC WIRE CUTTING
Im September 2015 lud die Eternit (Schweiz) AG die Professoren Fabio Gramazio und Mat­ thias Kohler ein, mit Studierenden die Swiss­ pearl Summerschool zu bestreiten. Die Profes­ sur Gramazio Kohler Research an der ETH Zü­ rich beschäftigt sich seit 2005 mit digitaler Fabrikation in der Architektur und gründete das weltweit erste Roboterlabor für nicht­standar­ disierte Fabrikationsprozesse im Architektur­ kontext. Damit eröffnete sich ein vollkommen neues Forschungsgebiet. Die Eternit (Schweiz) AG engagiert sich seit Langem für die Ausbil­ dung und die Förderung junger Architektinnen und Architekten. So führt sie seit 2011 etwa alle zwei Jahre eine zweiwöchige Summerschool durch, in deren Fokus eine aktuelle, für die Ar­ chitektur relevante Fragestellung steht. Ziel der Summerschool 2015 war es, das architektoni­ sche Potenzial eines robotergestützten räumli­ chen Drahtschneideverfahrens zu untersuchen.
Für den Workshop «Robotic Wire Cutting» entwickelten die Studierenden Entwürfe und schnitten mithilfe von programmierten Robo­ tern dreidimensionale Formen aus Polystyrol­ blöcken aus. Dabei dient ein heisser Draht als Schneideinstrument, der an den Enden jeweils durch einen Roboterarm geführt und durch den Widerstand des Polystyrols verformt wird. Diese Schleppkurve aus Draht dient als Schnei­ dewerkzeug, das sich während des Schneide­ prozesses kontinuierlich verändert. Die so her­ gestellten Formen bildeten die Grundlage, um Faserzementpaneele in einer gewünschten Form herzustellen: Das zugeschnittene Poly­ styrol wurde mit einer Faserzementschicht la­ miniert. In der Formerei der Fabrik in Payerne machten die Fachleute die Studierenden mit
den Bedingungen und Kniffen vertraut, um Fa­ serzement zu formen. Schliesslich bauten die Workshop­Teilnehmenden mit den selbstfabri­ zierten Platten prototypische Fassadenwände auf. Je nach der von den Studierenden entwi­ ckelten Methode erscheint das Material mal massiv und hart, mal filigran und weich.
Die Resultate widerspiegeln den Formenka­ talog des jeweiligen Verfahrens und zeigen den Grad der Komplexität, den die digitale Fabri­ kation ermöglicht. So eigneten sich die Studie­ renden an der Swisspearl Summerschool 2015 sowohl wertvolle Erkenntnisse über die digitale Fabrikation als auch den spezifischen Umgang mit einem Baumaterial an. Die Projektverant­ wortlichen sind mit dem Erreichten sehr zufrie­ den. David Jenny, der die Studierenden vor Ort betreute, empfand den Wechsel von einem Ma­ terialsystem zum anderen als äusserst spannend: «Indem wir den digitalen, robotergestützten Zuschnitt von Polystyrol mit der Handformung von Faserzement verbinden, können wir neuar­ tige Fassadenpaneele herstellen. Die Swisspearl Summerschool hat uns für beide Verfahren ganz neue Möglichkeiten aufgezeigt.» Die Ergebnisse wurden filmisch festgehalten und im Architek­ turforum Zürich öffentlich ausgestellt.
Credits Gramazio Kohler Research, ETH Zürich: Fabio Grama-
zio, Matthias Kohler, David Jenny (Projektleitung), Romana Rust (Forschungsleitung)
Studenten: Sarah Barras, Li Bo, Marco Caprani, James Chenault, Ahmed Elshafei, Victoria Fard, Alix Gasser, Aurèle Gheyselinck, Ana Grgurac, Marco Palma, Julien Prudhomme, Ludwig Schilling, Stavroula Tsafou, Stéphane de Weck
Experte: Marco Ganz Gastkritiker: Matthias Rippmann, Asbjørn Søndergaard
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WOLKE UND WELLE Martin-Luther-Kirche, Hainburg an der Donau
BAUHERRSCHAFT: Vereinigung Freunde der Evangelischen Kirche in Hainburg/Donau
ARCHITEKTEN: Coop Himmelb(l)au, Wolf D. Prix/W. Dreibholz & Partner GmbH, Wien (PROJEKTARCHITEKT: Martin Mostböck, DESIGNARCHITEKTIN: Sophie-Charlotte Grell) BAUZEIT: 2008–2011
STAHLKONSTRUKTION FASSADE: Metallbau Eybel, Wolfsthal FASSADENBAU: SFK GmbH, Kirchham
Eine Wolke, die sich sanft auf den Bau­ körper senkt, ist neben dem expressiven Glockenturm das auffälligste Merkmal der evangelischen Martin­Luther­ Kirche. Gefaltete Glaselemente, die an einen Kristall erinnern, gliedern den Baukörper. In die Swisspearl­Fassaden­ platten sind wellenförmige Muster eingefräst.
Rahel Hartmann Schweizer «Ich wollte, der Wind hätte einen Körper.» Von diesem Satz aus Moby Dick schwärmt der Architekt Wolf D. Prix geradezu, – zuletzt, als er das Projekt der temporären Spielstätte der Münchner Opernfestspiele präsentierte, die im Juni 2010 eröffnet wurde. Der Bau erinnert denn auch an ein Cluster von windzerfetzten Se­ geln. Gar mit einem Wirbelsturm assoziiert man BMW Welt, diese Ausstellungs­, Aus­ lieferungs­, Erlebnis­ und Museumsmeile, die Prix und sein Büro 2007 fertigstellten. Schwerelosigkeit fasziniert den Architekten, seit er 1968 zusammen mit Helmut Swi­ czinsky und Michael Holzer die Baucoopera­ tive Himmelb(l)au gründete. Die drei traten an, die tradierte Architektur auf den Kopf zu stellen und die Schwerkraft auszuhebeln: «Coop Himmelb(l)au ist keine Farbe, son­ dern die Idee, Architektur mit Phantasie leicht und veränderbar wie Wolken zu ma­ chen.» Dabei schlugen die Architekten weder den Kontext noch die überlieferte Architek­ tur in den Wind: nicht jene vor 1900 und nicht die inzwischen kanonische des 20. Jahr­ hunderts. An der Kirche in Hainburg an der Donau – Prix’ Geburtsort –, die exakt an der Stelle steht, wo sich bis ins 17. Jahrhundert schon einmal ein Gotteshaus befand, führen sie das exemplarisch vor.
Das Dach nimmt ebenso auf das benach­ barte romanische Beinhaus Bezug, aus des­ sen konkavem Zeltdach Coop Himmelb(l)au die Geometrie der Haube entwickelte, wie auf Le Corbusiers Kapelle Notre­Dame­du­ Haut in Ronchamp und sein Kloster Sainte­ Marie de La Tourette in Éveux. Assoziert man die Kapelle in Ronchamp mit Gebilden wie einem Schiff, einem Bunker oder einer Wolke, so verbindet sich in Hainburg die luf­ tige Optik einer Wolke mit der technischen Fertigung eines Schiffes: Das Dach wurde nämlich in einer Werft produziert.
Die Kegel, die sich in der Kapelle von La Tourette als Lichtkamine in den Himmel re­ cken, bilden die Referenz für die drei Ober­ lichter in Hainburg. Die Kegelgeometrie ge­ hört, in vielfachen Variationen, inzwischen zum Formenkanon von Coop Himmelb(l)au. In Hainburg scheint sie sich aus einer einzi­ gen Bewegung heraus zu entwickeln. Was aber aussieht wie aus einem Guss gefertigt, besteht aus 264 miteinander verschweissten Blechtafeln. Zusammen mit den Primär­ und den Sekundärspanten dienen sie als Druck­ gurten, derweil die an die Spanten angefüg­ ten Profilträger den Part der Zuggurte über­ nehmen. Die gesamte Stahlblechhülle ist Teil der tragenden Konstruktion.
Kristallines Element Zur Wolke gesellt sich der Kristall. Kris­
tall und Wolke waren schon beim Musée des Confluences in Lyon die beiden prägenden Symbole. In Hainburg fungiert nun die gefal­ tete, vor­ und zurückspringende Glasfassade als kristallines Element. Sie öffnet den Got­ tesdienstraum zur Strasse hin. Das dritte Ele­ ment sind die mit Faserzementplatten ver­ kleideten, geschlossenen Fassadenflächen.
Über die erdfarbene Verkleidung mäandern Muster, wie Wellen sie in den Sand zeichnen. Dieses wandelbare Bild kontrastiert mit der soliden Fassadenplatte. Die Platte ist eine Neuentwicklung, deren Prototyp in Hainburg zur Anwendung kam. Um das dreidimensio­ nale Relief der Oberfläche zu erzielen, fräs­ ten Swisspearl­Mitarbeiter die ondulieren­ den Linien nach dem Aushärtungsprozess in die Faserzementplatten ein.
Einmal auf Moby Dicks Fährte gesetzt, ist die Versuchung gross, noch etwas in seiner Geschichte zu blättern: «Welle über Welle schiesst empor …»
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Vertical section Scale: 1:20
1 Swisspearl® LARGO Platte 12 mm, reliefgefräst 2 Hinterlüftung, vertikale Unterkonstruktion 3 Feuchtigkeitssperre 4 Wärmedämmung, Mineralwolle 5 Beton 6 Stahlkonstruktion 7 Gipskartonplatte 8 Stahlblech 9 Stahlspanten 10 Hinterlüfteter Dachraum 11 Spanplatte 12 Dampfbremse 13 Abgehängte Stahlkonstruktion 14 Verputz
1 Swisspearl® LARGO panel 12 mm, ? 2 ventilation cavity, vertical sub framing 3 moisture barrier 4 thermal insulation, mineral wool 5 concrete 6 structural steel 7 gypsum plaster board 8 steel sheet ? 9 ? 10 ? 11 chip board 12 vapor retarder 13 suspended structural steel ? 14 plaster
11 4 12
Erdgeschoss 1:500
Scale: 1:? Code_Kirche_Hainburg1 cm
«Ich wollte, der Wind hätte einen Körper.» Aus: Herman Melville, Moby Dick, 1851
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Wellenspuren im Sand: Für das Relief wurden nach dem Aushärtungsprozess ondulierende Linien in die Faserzement­ platten eingefräst.
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ARCHITEKTEN: Samuel Stevenson & Sons, Belfast (PROJEKTARCHITEKTEN: Gerard Scullion, Peter Niblock)
BAUZEIT: 2013–2015 GENERALUNTERNEHMUNG: O’Hare & McGovern Ltd, Newry
FASSADENBAU: Edgeline Metal Roofing Ltd, Magherafelt
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Der Ersatzbau für ein in die Jahre ge­ kommenes Sportzentrum markiert den Eingang zu einem ausschweifenden Park in Derry/Londonderry. Die Archi­ tekten haben seine drei massgebenden Funktionen entlang einer zentralen Achse angeordnet und im architektoni­ schen Ausdruck differenziert: Die Fassadenhaut kombiniert Zink, Holz und lichtdurchlässige Paneele mit Swisspearl­Platten in drei verschiede­ nen Grautönen.
plex weitgehend vorgegeben, der gestalteri­ schen Freiheit, sie zu artikulieren, sind enge Grenzen gesetzt. Die Herausforderung für den Architekten bestand darin, die Raum­ komponenten – in der Foyle Arena sind das eine Kletteranlage, eine Doppelschwimm­ halle und eine Mehrzweckhalle – zu einer kohärenten Einheit zu verbinden und zu ge­ währen, dass sich Besucher in der Grossan­ lage zurechtfinden.
Die Architekten der Foyle Arena haben den Grundriss in drei parallele, in nordsüdli­ cher Richtung verlaufende Raumschichten unterteilt. Entlang der Zentralachse befinden sich die fünfzehn Meter hohe und drei Meter in den Boden versenkte Kletterhalle sowie – in den rückwärtigen Gebäudebereichen und im Obergeschoss – verschiedene Kraft­ und Fitnessräume. Im westlichen Teil der An ­ lage sind die beiden Schwimmbäder unter­
Patrick Zamariàn In der nordirischen Stadt Derry/Londonderry, nahe der Grenze zu Ir­ land, nahmen die blutigen Auseinanderset­ zungen zwischen protestantischen Loyalis­ ten und katholischen Republikanern in den späten 1960er­Jahren ihren Anfang. Der Konflikt, der sich bis heute in der Uneinigkeit über den Ortsnamen spiegelt, lähmte die Ent­ wicklung der Stadt während Jahrzehnten. Seit der Auszeichnung als erste britische Kul­ turhauptstadt im Jahr 2010, in deren Folge der Stadtrat Prestigeprojekte wie die Frie­ densbrücke über den Fluss Foyle vorantrieb, herrscht allerdings eine gewisse Aufbruch­ stimmung. Davon zeugt auch die Foyle Arena, die das Architekturbüro Samuel Steven­ son and Sons im beliebten St Columb’s Park im Zentrum der Stadt errichtete.
Die Dimensionen des Raumprogramms sind bei einem multifunktionalen Sportkom­
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Scale: 1:1000 IRL_SportsArena_DerryCity1 cm
Scale: 1:1000 IRL_SportsArena_DerryCity1 cm
Vertical section Scale: 1:20
IRL-07_SportsArena_DerryCity1 cm
1 Swisspearl® LARGO Platte 8 mm 2 Hinterlüftung, vertikale Lattung 3 Backsteinmauerwerk 4 Hinterlüftung 5 Wärmedämmung 6 Wasserrinne 7 Metallblech 8 Sperrholzplatte 9 Lattung 10 ? 11 Gipsplatte 12 ?
1 Swisspearl® LARGO panel 8 mm 2 ventilation cavity, vertical batten 3 brickwork 4 ventilation cavity 5 thermal insulation 6 water gutter 7 metal sheet 8 plywood board 9 batten 10 facing brick ? 11 gypsum board 12 wall tiles ?
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Vertikalschnitt 1:20
1 Swisspearl® LARGO, 8 mm CARAT Crystal 7010, Anthrazit 7021, Agate 7219
2 Hinterlüftung, vertikale Lattung 3 Backsteinmauerwerk 4 Hinterlüftung 5 Wärmedämmung 6 Wasserrinne 7 Metallblech 8 Sperrholzplatte 9 Lattung 10 Backsteinsockel 11 Gipsplatte 12 Wandverkleidung
Erdgeschoss 1:1000
gebracht; der östliche Teil beherbergt eine Judo halle und eine Mehrzwecksporthalle, die dank der stützenfreien Bauweise zu einer Veranstaltungshalle für zweitausend Besu­ cher zusammengeschlossen werden können. Der Hauptzugang führt zwischen der Kletter­ halle und dem Ostflügel in ein zentrales Ein­ gangsfoyer, von wo aus die Besucher alle drei Gebäudeteile überblicken.
Eine Urform für den zentralen Bau Die axiale Struktur lässt sich von aussen
an der dreiteiligen Gestaltung des Baukör­ pers ablesen. Der Blickfang der Anlage ist die Kletterhalle, die als vollständig verglaster, weit hervortretender Mittelrisalit den Haupt­ eingang markiert und eine symmetrieartige Hierarchie zwischen dem westlichen und dem östlichen Gebäudeteil herstellt. Formal bedient sich der zentrale Bau einer Urform, sodass er aus der Ferne an ein britisches Her­ renhaus erinnert, das in einen ausladenden Landschaftsgarten eingebettet ist. Dieses Bild unterstreicht ein privater Zufahrtsweg, an dessen Abzweigung an der Hauptstrasse ein bestehendes gusseisernes Tor die Besu­ cher empfängt. Der Weg trennt die Haupt­ front von den Parkplätzen. Auch die Nordfas­ sade, die sich den angrenzenden Aussenspiel­ feldern und dem zum Fluss hin abfallenden Park zuwendet, ist trotz unterschiedlicher Raumkonfiguration analog formuliert.
Collagenartige Fassadengestaltung Die Fassaden der Foyle Arena sind in
einem collagenartigen Nebeneinander farb­ lich wie materiell kontrastierender Elemente gehalten, wie es in der britischen Gegen­ wartsarchitektur allgegenwärtig ist. Das auf­ fallendste Gestaltungsmerkmal ist die dop­ pelschichtige Zinkfassade, die das zentrale Bauvolumen umrahmt, sich als Dach über die Schwimmhalle weiterzieht und mit seiner gestaffelten, geschwungenen Form das Bild von Wellen hervorruft. Als Ausfachung die­ nen grossflächiges, teilweise mit grüner Folie beschichtetes Glas sowie Swisspearl­Platten in drei verschiedenen Grautönen.
Einen ganz andersartigen Gestaltungsan­ satz verfolgten die Architekten bei der ortho­ gonalen Mehrzweckhalle, wo sie beim Dach auf eine ostentative Geste verzichteten. Im oberen Bereich der Seitenfassade kombinier­ ten sie erneut Swisspearl­Platten in verschie­ denen Grautönen, für die Längsfassaden wählten sie hingegen ein System aus translu­ zenten Paneelen, die natürliches Licht in den Innenraum leiten. Im Erdgeschoss läuft ein durchgehendes horizontales Fensterband über einem mit Holz verkleideten Sockel, da­ hinter befinden sich wie auch im Westflügel Büros, Garderoben und andere Nebenräume.
Eine besonders gelungene Anwendung der auf allen Fassaden verwendeten Swiss­ pearl­Platten findet sich im Eingangsbereich,
wo die nach aussen gefaltete Zinkfassade der Kletterhalle eine überdachte Zugangspas­ sage bildet. Die verhaltene Farbgebung und das präzise Fugenbild des Plattenmusters bilden einen stilvollen Hintergrund für die holzbeschichteten Stahlstützen, die in ihrer formalen Gestaltung an die Arts­und­Crafts­ Tradition erinnern und so die «Britishness» des neuen Sportzentrums unterstreichen.
Scale: 1:? IRL_SportsArena_DerryCity1 cm
«Es ist eine bewusste Gestaltungs ab­ sicht, herannahende Besucher mit der Funktion des Gebäudes vertraut zu machen und dies, wo immer möglich, mit der Ver wendung transparenter Flächen zu unterstützen.» Samuel Stevenson & Sons Architekten
24 SWISSPEARL ARCHITECTURE #25
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Das spektakuläre Bürogebäude in Poz­ nan steht auf einer Restparzelle, die von Tramschienen und zwei Hauptver­ kehrsachsen begrenzt wird. Das keil­ förmige Volumen des Baukörpers ergibt sich aus der dreieckigen Fläche des Grundstücks. Die Fassadenhaut besteht aus schwarzen Swisspearl­Platten und wird von vertikalen, schattenspen­ denden Lamellen strukturiert.
POLEN
STANDORT: ul. Pitkowska 163, Jeyce BAUHERRSCHAFT: PPHU Masterm, Tarnowo Podgórne, Pozna
ARCHITEKTEN: Insomia, Pozna (PROJEKTARCHITEKTEN: Szymon Januszewski, Agnieszka Liguz, Juliusz Dudniczek, Marta Gasiorek, Marcin Caka) BAUZEIT: 2011/12
GENERALUNTERNEHMUNG: PPHU Masterm, Tarnowo Podgórne, Pozna
FASSADENBAU: Grekiewicz PHU, Bydgoszcz
Patrick Zamariàn Poznan liegt auf halbem Weg zwischen Warschau und Berlin, in ei­ nem der bevölkerungsreichsten Ballungs­ räume Polens. Die Stadt blickt auf eine lange Geschichte als Handelszentrum zurück und hat dank ausgezeichneter Verkehrsanbin­ dung wie kaum eine andere von der europäi­ schen Integration des Landes profitiert. In den vergangenen Jahren haben sich zahlrei­ che nationale und internationale Unterneh­ mungen in Poznan angesiedelt; die Nachfrage nach Büroräumlichkeiten und der Druck auf Bauträger, ein architektonisches Ausrufezei­ chen zu setzen und sich so von den Mitbe­ werbern abzuheben, ist deshalb gross.
Dreieckige Restparzelle Ein besonders aufsehenerregendes Bei­
spiel hierfür ist das Bürogebäude Jet Office, das das ortsansässige Architekturbüro Inso­ mia auf einer Restparzelle an der Schnitt­ stelle zweier Hauptverkehrsachsen im Nor­ den der Stadt errichtet hat. Der Zugang zum Gebäude erfolgt von einer westseitigen Ne­ benstrasse, die das dreieckige Grundstück von den Tramschienen und einem dahinter­ liegenden Grünraum trennt. Das Raumpro­ gramm umfasst eine unterirdische Parkga­ rage, ein nach Osten zur vielbefahrenen Pitkowska­Strasse orientiertes Ladenge­ schoss sowie eine Bürofläche von 1900 Qua­ dratmetern, die sich auf drei Vollgeschosse und ein vollverglastes, zurückversetztes Dachgeschoss verteilt.
Die eigentümliche Form der Parzelle er­ forderte einen speziellen Entwurfsansatz, denn die Geschossflächen sollten optimal genutzt werden. Bürobauten bestehen übli­ cherweise aus einem zentralen Erschlies­ sungskern und einem regelmässigen, von den
Aussenwänden abgesetzten Stützenraster, um so maximale Flexibilität in der Raum­ und Fassadeneinteilung zu gewährleisten. Abgesehen von einer einzelnen internen Stützenreihe ist die Stahlbetonstruktur des Jet Office jedoch peripher angeordnet. Das­ selbe gilt für den in Sichtbeton ausgeführten Aussteifungskern, der neben Lift und Trep­ penhaus die gemeinschaftlichen Toiletten­ anlagen enthält und durch separate Zugänge unterschiedliche Zonierungen der Büro­ flächen ermöglicht.
Die Not zur Tugend gemacht Während der Grundriss die Raumeintei­
lung erschwerte, machten die Architekten bei der äusseren Form die Not zur Tugend: Sie setzten die dreieckige Parzelle – im wahrsten Sinne des Wortes – überspitzt in Szene. Mit Ausnahme des rückseitigen Erschliessungs­ kerns und der angrenzenden Wandfläche ist das gesamte Bauvolumen mit einer Fassaden­ haut aus schwarzen Faserzementplatten um­ hüllt und von vertikalen Lamellen rhythmi­ siert. Die Einbuchtung der Hauptfassade nimmt die Flucht des südlich angrenzenden Gebäudes auf; gegen Norden hin kulminiert der Baukörper in einer überhängenden, an den Bug eines Schiffes erinnernden Ecksitu­ ation. Die nautischen Konnotationen sind von den Architekten durchaus beabsichtigt – da wie dort argumentieren sie für die dyna­ mische Form nicht mit formalen, sondern primär mit funktionellen Erwägungen.
Scale: 1:? ARE-95_Jet_Oce_Poznan1 cm
FREIE FORMEN 27
Vertical section Scale: 1:20
ARE-95_Jet_Oce_Poznan1 cm
1 Swisspearl® LARGO panel 8 mm 2 ventilation cavity 3 bracket 4 moisture barrier 5 plywood board 6 thermal insulation, mineral wool 7 concrete 8 light-emitting diode around each letter ? 9 acrylic glass, colored ?
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1 Swisspearl® LARGO, 8 mm REFLEX Black Velvet 9221
2 Hinterlüftung 3 Wandhalter 4 Feuchtigkeitssperre 5 Sperrholzplatte 6 Wärmedämmung, Mineralwolle 7 Beton 8 Hinterleuchtung Schrift 9 farbiges Acrylglas
«Der Hauptgrund für die ausserge­ wöhnliche Form des Gebäudes war die eng begrenzte, drei­ eckige Parzelle.» Insomia Architekten
Erdgeschoss 1:1000
STANDORT: Mayerlinger Strasse 4 BAUHERRSCHAFT: Spar Österreichische Warenhandels AG, Salzburg
ARCHITEKTEN: Mang Architekten, Furth-Palt DESIGN FASERZEMENTPLATTEN: Eva Manhart und Philipp Ehfrank BAUZEIT: 2015 GENERALUNTERNEHMUNG: Swietelsky Baugesellschaft GmbH, Feldkirch
FASSADENBAU: SH Systembau GmbH, Scheifling
32 SWISSPEARL ARCHITECTURE #25
Der Traum eines jeden Designstudenten verwirklichte sich für zwei Studie ­ rende der TU Wien: Der Bauherr des Spar­ Super markts in Alland entdeckte ihren Prototyp einer 3­D­Fassaden­ platte, die sich wellt wie nasser Stoff. Die massgeschneiderte Hülle verleiht dem Neubau ein präg nantes Aussehen.
Anna Roos Wo liegen die Grenzen der Form­ barkeit von Faserzement? Mit dieser Frage setzten sich die Studenten der Technischen Universität Wien im Sommersemester 2013 auseinander. Sie sollten ein System entwi­ ckeln, das einen Raum oder ein Objekt mit einzelnen Elementen umhüllen oder bede­ cken kann.
Zum Abschluss des Semesters reisten die Studierenden nach Vöcklabruck nahe Salz­ burg ins Swisspearl/Eternit­Werk und ent­ wickelten in Zusammenarbeit mit den Fach­ leuten Prototypen ihrer Entwürfe. Die bei­ den Studierenden Eva Manhart und Philipp Ehfrank wollten mit ihrer Arbeit den Werk­ stoff Faserzement betonen, so Ehfrank, «ihn aber auch leichter und textiler erscheinen lassen». «Und eine gewisse Eleganz reinbrin­ gen», ergänzt Manhart. Als Vorlage für ihren Entwurf diente ein grosses Stück Stoff, dass die beiden Designer intuitiv drapierten. Um die Stofffalten mit Faserzement nachzubil­ den, formten und modellierten sie das Mate­ rial in feuchtem Zustand. Für ihr Fassaden­
system entwickelten sie acht verschiedene Prototypen, die man horizontal oder vertikal montieren kann.
Bei der Schlusspräsentation erhielten die beiden angehenden Designer ein gutes Feed­ back. Dass ein Unternehmen ihren Entwurf aber gleich zur Umsetzung auswählen würde, damit hatten weder sie noch Swisspearl/ Eternit gerechnet.
Individuell gefertigte Fassade betont expressive Dachform Die Supermarktkette Spar plante im klei­
nen Dorf Alland etwa vierzig Kilometer süd­ lich von Wien an prominenter Lage eine neue Filiale: in Sichtweite der Kirche, auf einem Grundstück, das gut an die lokale Infrastruk­ tur angebunden ist und an einem Verkehrs­ knotenpunkt liegt. Ein neuer Supermarkt würde den bisher ungenutzten Platz aufwer­ ten und ein bestehendes Gebäude ersetzen. Der architektonische Ausdruck des Neubaus war wichtig, denn an der exponierten Lage sollte ein Zeichen gesetzt werden. Das Kon­
Scale: 1:? AT_SparMarkt_Alland1 cm
FREIE FORMEN 33
zept des Architekten Christian Mang sah vor, dem Gebäude mit einer innovativen, drei­ dimensionalen Fassade einen starken Aus­ druck zu verleihen. Als er Manhart und Eh­ franks Prototyp zum ersten Mal sah, so Mang, «war ich sofort überzeugt, dass es das rich­ tige Bekleidungsmaterial für unser Spar­Pro­ jekt ist. Es passte zu unserem Entwurf.» Die grossen strukturierten Oberflächen, die die Platten erzeugen, beeindruckten ihn. Zudem würde die 3­D­Fassade die dynamische Wir­ kung des weit auskragenden Dachs betonen.
Die Anfrage von Spar sorgte einen Mo­ ment lang für heisse Köpfe in Vöcklabruck. Ein Material dreidimensional zu verformen, sei für einen Prototyp relativ einfach, erläu­ tert Produktionsmanager Christoph Pohn. Eine grosse Herausforderung sei es hingegen, die Platten für einen effektiven Bau standar­ disiert und exakt zu fertigen. Es dauerte rund ein Jahr, bis Manhart und Ehfranks Prototy­ pen serienreif waren und die Platten für die Fassade des Supermarkts produziert werden konnten. Dabei wurden die Faserzementplat­
ten feucht auf die beschichteten Holzmodelle gelegt und anschliessend von Hand in die Fal­ ten und Ausbuchtungen gestrichen.
Die Faserzementplatten drapieren sich wie nasser Stoff um die Fassade des Super­ markts. Als wollten sie an den feuchten, formbaren Zustand bei der Entstehung der Platten erinnern, weckt die Oberflächen­ struktur in mattem Grau den Eindruck eines weichen, plastischen Materials. Die horizon­ talen und vertikalen Fugen zwischen den Platten setzen ein optisches Gegengewicht zu den Wellen.
Neben der expressiven Fassade ist eine weite Dachauskragung das zweite Merkmal des Gebäudes. Für die Unterseite der Aus­ kragung wurden glatte Swisspearl­Platten im selben Grauton wie die Fassadenelemente verwendet.
Gewagt und dynamisch in ihrer Wirkung verleiht die Fassade dem Gebäude einen aus­ geprägten Charakter. Die angehende Desig­ nerin Eva Manhart fand es «ziemlich cool», zu sehen, dass das Stück Stoff, das sie und
Philipp Ehfrank zu Beginn ihres Entwurfs drapiert hatten, nun fast eins zu eins aus Faserzement an einer Fassade hängt.
34 SWISSPEARL ARCHITECTURE #25
Die beiden Studierenden der TU Wien, Eva Manhart und Philipp Ehfrank, experimentieren mit Faserzement in feuchtem Zustand.
Die Swisspearl­Mitarbei­ ter drücken und streichen die Faserzementplatte von Hand in die Falten und die Erhebungen des Modells.
Aus acht verschiedenen Plattenformen entsteht eine durchgehend wellige Oberfläche.
FREIE FORMEN 35
1 Swisspearl® 3D-Fassadenplatte 8 mm, individuelle Einzelfertigung 2 Hinterlüftung, Aluminium-Unterkonstruktion 3 Wandhalter 4 Wärmedämmung, Sandwichpanel 5 Stahlträger 6 Insektengitter 7 Unterkonstruktion 8 Brettschichtholz-Träger 9 Betonstütze 10 Abdichtung 11 Holzdachelement
1 Swisspearl® ? 8 mm, ? 2 ventilation cavity, aluminum sub framing 3 bracket 4 thermal insulation, ? 5 steel beam 6 insect screen 7 sub framing 8 glulam beam 9 concrete column 10 waterproong 11 ?
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2 Hinterlüftung, Aluminium-Unterkonstruktion 3 Wandhalter 4 Wärmedämmung, Sandwichpanel 5 Stahlträger 6 Insektengitter 7 Unterkonstruktion 8 Brettschichtholz-Träger 9 Betonstütze 10 Abdichtung 11 Holzdachelement
«Wir wollten den Werkstoff Faserzement leichter und textiler erscheinen lassen. Und eine gewisse Eleganz reinbringen.» Eva Manhart und Philipp Ehfrank, Designer
Erdgeschoss 1:500
38 SWISSPEARL ARCHITECTURE #25
Wenn das Freizeitgebäude der Mall of Switzerland im Herbst 2017 seine Tore öffnet, soll sich die Fassade wie ein Theatervorhang um den Körper wellen und bauschen. Für diese Optik müssen Architekten und Swisspearl­ Fachleute verschie dene technische und hand­ werkliche Herausforderung meistern.
Rahel Hartmann Schweizer Welches Ge­ sicht kann man einem Bau verleihen, der eben gerade keine Ein­ und Ausblicke haben soll? Für ein Freizeitgebäude mit Kino nah­ men sich die Architekten von Burckhardt und Partner und tgs Architekten ein Motiv vor, das wie kaum ein anderes jenen Spannungs­ moment einfängt, wenn sich im altehrwürdi­ gen Kinotheater der Vorhang öffnet. Wie ein vor­ und zurückspringendes Textil sollte sich die Fassade um den Baukörper schwingen.
Die Kantonsstrasse entlang der A14, die Zug mit Luzern verbindet, zeigt sich stre­ ckenweise als «Las Vegas Strip» im Klein­ format. Die Mall of Switzerland soll die länd­ liche Zersiedelung mit zwei Baukörpern von urbaner Qualität auffangen, und zwar auf ei­
SCHWEIZ
VORHANG AUF FÜRS MULTIPLEXKINO
nem 73 000 Quadratmeter grossen Gelände – einer nicht mehr benötigten Landreserve der Aufzugsfirma Schindler. Neben einem Einkaufszen trum mit 46 000 Quadratmetern Fläche für rund 150 Shops und 5000 Quadrat­ metern Gastronomiefläche planen die Archi­ tekten im Auftrag der Projektentwickler ein Freizeitgebäude mit Multiplexkino.
Komplexe Sinnlichkeit Die Antwort auf den Wunsch nach einer
Vorhang optik heisst Faserzement­Well­ platte. Doch die Architekten suchten eine Aus gestaltung, die das Vorbild präziser «nachahmt». So sollten die Schwünge ebenso un regelmässig verlaufen wie die schweren Samtstoffbahnen im Theater. Ausserdem wünschten sie sich eine markantere Ausprä­ gung der Wellenberge und ­täler, also Höhen­ unterschiede von gegen 30 Zentimeter, was die 5,2 Zentimeter Unterschied bei der Well­ platte weit überstieg.
Diese Vorstellungen stellten das Swiss­ pearl­Werk in Payerne buchstäblich vor eine Zerreissprobe. Die Radien der Wellen durf­ ten nicht zu eng sein, die Unterschiede zwi­
schen Höhen und Tiefen nicht zu gross. Ers­ teres hätte zu Rissen im Faser zement geführt, Letzteres hätte bei einer Stoffbreite von 125  Zentimetern lediglich eine Welle pro Bahn erlaubt. Der maximale Höhenunter­ schied liess sich schliesslich auf 15 Zentime­ ter festlegen. Das anthrazitfarbene Muster zeigt eine von vier möglichen Varianten. Denn es wurden zwei verschiedene Formen gestaltet, die jeweils um 180 Grad gedreht werden können. Das verleiht dem Rhythmus der Wellen zusätzliche Dynamik.
Zu den technischen und handwerklichen Herausforderungen gesellten sich terminli­ che. Um die fristgerechte Lieferung sicher­ zustellen, mussten – eingedenk der Trock­ nungszeit von je zwei Tagen – mehrere Posi­ tivformen gegossen werden. Auch brauchte es eine neue Befestigung, da die Fachleute mit einer stärkeren Dilatation als bei «klassi­ schen» Faserzementplatten rechneten.
FREIE FORMEN 39
Das Muster zeigt die ein­ drückliche «Topo grafie» des Elements. Die Wellentäler müssen so tief sein, dass sie mit der Unterkonstruktion in Berührung kommen und an dieser befestigt werden können. Einzelne kleinere «schwebende» Wellen sind möglich.
links: Der elf Meter hohe «Vorhang» soll über dem Sockel schwingen. Eröffnung ist auf Herbst 2017 geplant.
Beim Entwerfen hatten Burckhardt + Partner und tgs Architekten Vorhänge in Kinosälen vor Augen.
40 SWISSPEARL ARCHITECTURE #25
Das Haus Central in Einsiedeln irritiert zunächst. Man meint, vor einem auf geschnittenen Baukörper zu stehen, aus dessen Innern sich ein grünlicher Vorhang im Wind bauscht. Tatsächlich aber hat das Gebäude zwei Gesichter: Zum Strassenraum hin zeigt es eine Betonfassade, auf der Rückseite eine fliessende, ondulierende Bekleidung.
SCHWEIZ
STANDORT: Hauptstrasse 22/24 BAUHERRSCHAFT: privat ARCHITEKTEN: Unger & Treina AG, Zürich
BAUZEIT: 2013/14 GENERALUNTERNEHMUNG: Josef Diethelm, Freienbach
FASSADENBAU: Beda Holzbau AG, Egg
ist mit Swisspearl­Fassadenschiefer beklei­ det. Und da offenbart sich auch der Sinn der zwei Gesichter. Das eine – veredelt durch die Malereien der Erkerverglasungen und die schmucken Balkongeländer – repräsentiert den mondänen und sakralen Charakter des Orts. Das andere besinnt sich der ländlichen Dörflichkeit von einst.
Verschiedene Lesarten Ursprünglich versuchten die Architekten
diesen Spagat zwischen Dorf und Stadt mit­ tels Holzschindeln zu meistern, die mit der städtisch­repräsentativ gestalteten Front kontrastiert hätten. Doch damit wäre die Re­ ferenz an die bäuerliche Tradition etwas arg didaktisch ausgefallen und dem heutigen Ort kaum angemessen gewesen. Die Idee, die Schindeln in einem modernen Material aus­ bilden zu lassen, regt zu vielfachen Lesarten an: von der Ausstülpung des Innenraums über die Grünfassade und die Gartenterras­ sierung bis zum weich fliessenden Kleid. Die Naturanalogie entsteht durch die Wahl der Farben – ein helles Graublau, ein zartes Mint­ grün und ein stark abgetöntes Graugrün. Die Assoziation eines wogenden Stickereigewe­ bes ruft der wie zufällig erscheinende, aber doch nach bestimmten Mustern sich wieder­ holende Rhythmus hervor, in dem die ver­ schiedenen Farbtöne verteilt sind.
Rahel Hartmann Schweizer Der Neubau des Hauses Central steht prominent am Dorf­ platz im Herzen von Einsiedeln, in unmittel­ barer Nachbarschaft des Kultur­ und Kon­ gresszentrums «Zwei Raben». Das ehemalige Waisen­, Armen­ und Krankenhaus von 1859 wurde 1977 zum Veranstaltungszentrum um­ gebaut. Das «Central» fügt sich zudem in die neue Konzeption des Dorfplatzes ein, die die Gemeinde 2015 angestossen hat: Einsiedeln will damit – dem Leitbild des Bezirks ent­ sprechend – den Dorfkern aufwerten und at­ traktiver werden. Das Architekturbüro Unger und Treina verstand seine Aufgabe für das «Central» denn auch darin, qualitätsvolle Wohnräume und attraktive Verkaufsflächen zu schaffen und gleichzeitig der städtebau­ lichen Exponiertheit Rechnung zu tragen. So definierten sie den Bau als Drehpunkt des Dorfplatzes: Die repräsentative Fassade um­ klammert eine Rückseite von ondulierendem Zuschnitt. Die Architekten betonten die Fi­ gur mit Erkern, womit sie die Ecke zwischen Dorfplatz und Hauptstrasse akzentuieren. Als Pendant dazu fungieren auf der Rückseite Terrassen, die in die geschwungene Geomet­ rie eingeschnitten sind.
Mondäner versus dörflicher Charakter Mit je einer unterschiedlichen Gliede­
rung betonen die Architekten überdies die zwei Gesichter des Hauses. An den Fassaden zum Platz liegen über einem Sockel mit als Schaukästen ausgebildeten Fenstern drei Obergeschosse mit regelmässig angeordne­ ten Fenstern. Darauf aufgesetzt ist eine zu­ rückversetzte, vollverglaste Attika. Um den wie zufällig erscheinenden Verlauf der kon­ kaven und konvexen Schwünge der Rückseite zu unterstreichen, verwischten die Architek­ ten die Geschossgliederung, indem sie die Fenster versetzt platzierten. Analog verfuh­ ren sie mit der Materialisierung. Die Schau­ seiten sind in Beton ausgeführt, die Rückseite
Scale: 1:? CH_MFH_Einsiedeln1 cm
CH_MFH_Einsiedeln1 cm
1 Swisspearl® FASSADENSCHIEFER 4 mm 2 Swisspearl® LARGO Platte 8 mm 3 Hinterlüftung, vertikale Lattung 4 Wärmedämmung 5 Hinterlüftung, vertikal Lattung mit EPDM-Band 6 Backsteinmauerwerk 7 Verputz 8 Plattenbelag 9 Splitt 10 Abdichtung 11 Dampfbremse 12 Beton 13 Holzplatte
1 Swisspearl® SMALL FORMAT 4 mm 2 Swisspearl® LARGO panel 8 mm 3 ventilation cavity, vertical batten 4 thermal insulation 5 ventilation cavity, vertical batten ? 6 brickwork 7 plaster 8 tile ooring 9 ? 10 waterproong 11 vapor retarder 12 concrete 13 timber board
9 10 4
Vertikalschnitt 1:20
1 Swisspearl® FASSADENSCHIEFER, 4 mm PLANEA Grün P 518, Grün P 519, Blau P 414
2 Swisspearl® LARGO, 8 mm 3 Hinterlüftung, vertikale Lattung 4 Wärmedämmung 5 Hinterlüftung, vertikale Lattung mit EPDM-Band 6 Backsteinmauerwerk 7 Verputz 8 Plattenbelag 9 Splitt 10 Abdichtung 11 Dampfbremse 12 Beton 13 Holzplatte
«Der Neubau versteht sich als Drehpunkt des Dorfplatzes.» Unger & Treina Architekten
Erdgeschoss 1:500
1. Obergeschoss
4. Obergeschoss
FREIE FORMEN 43
Die scheinbar zufällig angeordneten Grün­ und Blautöne der Fassadenschindeln bil­ den ein dekoratives Muster. Der Bau zeigt zwei Gesichter: ein mondänes, der Stadt zugewandtes und ein ländlich­dörfliches auf der Rückseite.
44 SWISSPEARL ARCHITECTURE #25
Verschiedene Kräfte wirkten auf die Gestaltung dieses Einfamilienhauses ein. Die Bauherrschaft brachte ihre Vorstellungen vom Leben und Wohnen vor. Die Baubehörde machte Vorgaben zum Ortsbildschutz. So formten die Architekten einen mehrfach abgekan­ teten Baukörper mit eigenem Cha­ rakter, der sowohl der Umgebung als auch dem Innenleben gerecht wird.
SCHWEIZ
STANDORT: Dorfstrasse 13 BAUHERRSCHAFT: Peter Dünki, Hirzel
ARCHITEKTEN: Christa Stutz & Benno Kohli, Wohlen BAUZEIT: 2009/10
FASSADENBAU: Roland Salm Fassadenbau AG, Schinznach-Dorf
Michael Hanak Die Hügellandschaft zwi­ schen Zürichsee und Zugersee ist von beson­ derer Schönheit. Drumlins nennt man die länglichen, gerundeten Hügel, die einst ein Gletscher unter sich formte. Auf jedem Hügel steht ein Baum. Da, am Rand eines Bauerndorfs, erfüllte sich ein Ehepaar den Wunsch nach einem Einfamilienhaus. Es sollte kein konventionelles Haus werden, sondern ein ganz eigenes, in zeitgenössischer Architektursprache. Die Architekten Christa Stutz und Benno Kohli nahmen die in vielen Gesprächen vorgebrachten Ideen und Vor­ stellungen der Bauherrschaft auf und ent­ wickelten daraus die Gestalt des Hauses mit seiner eigenwilligen Aussenform.
«Ein Vorteil des freistehenden Einfamili­ enhauses ist», so Benno Kohli, «dass alle vier Himmelsrichtungen erlebbar gemacht wer­ den können.» Aufbauend auf dieser Erkennt­ nis betrachteten die Architekten das Gebäude als Einheit: Alle Seiten des Hauses sollten gleich gestaltet und materialisiert werden. Das Dach, das von der Zufahrt aus gut sicht­ bar ist, verstanden sie als fünfte Fassade.
Dach als Entwurfsthema Um Fassaden und Dach gleichwertig zu
behandeln, kamen nicht viele Materialien in Frage. Der Entscheid fiel bald auf gross­ formatige, silbergraue Faserzementplatten mit formal reduzierten Blechabschlüssen. Die unterschiedlich dimensionierten Fas­ sadenplatten liessen die Architekten in horizon talen Lagen verlegen. Die ebenfalls unterschiedlich grossen Fenster sind – mal aussenbündig und mal innen angeschlagen – scheinbar frei verteilt, ohne Rücksicht auf das Fugenbild zu nehmen, sondern den inne­ ren Gesetzmässigkeiten folgend.
Bauvorschriften schränkten die Form des Hauses ein. Starke Abweichungen vom Orts­ üblichen lehnte die Baubehörde ab. Die ein­ geschossige Wohnzone erlaubt nur eine ge­
ringe Gebäudehöhe und verbietet ein Flach­ dach. Ausserdem sollte das Dach geschuppt sein, die Fassade nicht. So erhoben die Archi­ tekten die Dachform zum tragenden Ent­ wurfsthema. Verschiedene Neigungen und unregelmässige Geometrien sowie der Auf­ bau für ein zentrales Oberlicht bestimmen das Aussehen des Dachs, das nahtlos in die Fassade übergeht. Die Seitenfassaden sind mehrfach geknickt, und ein Einschnitt in die Nordwestecke bildet einen Hof aus. So ent­ stand ein unregelmässig geformter Baukör­ per, der einheitlich umhüllt ist.
Das Projekt macht zum einen die Aussicht auf die reizvolle Landschaft mit den fernen Bergspitzen zum Thema, zum anderen ge­ währleistet es die Ausrichtung zur Abend­ sonne. Der grosse Wohnraum öffnet sich an der Südostseite mit einer raumhohen, breiten Verglasung zum eindrucksvollen Panorama. Der an den Wohnraum anschliessende Ess­ bereich erhält dank einem bis zum Boden und um die Ecke geführten Bandfenster ei­ nen starken Bezug zum nordwestlich vorge­ lagerten Hof: Von einer Stützmauer einge­ fasst und mit einem Birkenhain bepflanzt liegt dieser introvertiert und still da. Der Ess­ platz steht im Mittelpunkt der Raumbezie­ hungen: Umgeben vom Hof und direkt unter dem Oberlicht gelegen führt er nahtlos in den Wohnraum über und stellt den Sichtkontakt zur Galerie im Obergeschoss her.
Scale: 1:?
CH_EFH_Hirzel1 cm
46 SWISSPEARL ARCHITECTURE #25
«Die Zonen­ und Dachvorschriften schränkten den Entwurf so stark ein, dass das Thema Dach zu einer tragenden Idee wurde.» Christa Stutz, Architektin
FREIE FORMEN 47
1 Swisspearl® LARGO Platte 8 mm 2 Swisspearl® INTEGRAL PLAN Platte 8 mm 3 Hinterlüftung, vertikale Lattung 4 Feuchtigkeitssperre 5 Wärmedämmung 6 Holzlattung 7 Hinterlüftung, Konterlattung 8 Holzfaserdämmplatte 9 Dampfbremse 10 Gipskartonplatte, Weissputz 11 Grobspanplatte 12 Gipsplatte, Weissputz
1 Swisspearl® LARGO panel 8 mm 2 Swisspearl® INTEGRAL PLAN panel 8 mm 3 ventilation cavity, vertical batten 4 moisture barrier 5 thermal insulation 6 timber batten 7 ventilation cavity, counter batten 8 ? 9 vapor retarder 10 gypsum plaster board, ? 11 oriented strand board 12 gypsum board, ?
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2 Swisspearl® INTEGRAL PLAN, 8 mm CARAT Titan 7060 R
3 Hinterlüftung, vertikale Lattung 4 Feuchtigkeitssperre 5 Wärmedämmung 6 Holzlattung 7 Hinterlüftung, Konterlattung 8 Holzfaserdämmplatte 9 Dampfbremse 10 Gipskartonplatte, Weissputz 11 Grobspanplatte 12 Gipsplatte, Weissputz
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FREIE FORMEN 49
Auch im Innern ist die Materialisierung schlicht und unpräten­ tiös: Fussböden aus eingefärbtem, gegosse­ nem Anhydrit, die Wände weiss verputzt und alle Schreiner­ arbeiten aus Kirsch­ baumholz.
50 SWISSPEARL ARCHITECTURE #25
ANGELEHNTER MONOLITH
Villa D’Orsi, Casciago, Varese STANDORT: Via A. Manzoni 4 BAUHERRSCHAFT: Raffaele D’Orsi, Casciago
ARCHITEKTEN: Studio di Architettura Franco Segre, Varese (PROJEKTARCHITEKTIN: Elisa Campiglio)
BAUZEIT: 2014/15 FASSADENBAU: Lave snc di Alfio Luzzana e Fiori Veruska, Villa di Serio
Beim Umbau einer Villa in Norditalien nahmen die Architekten zwei separate bauliche Eingriffe vor: Zum einen restaurierten sie das Gebäude aus den 1930er­Jahren sorgfältig, zum ande ren stockten sie einen bestehenden Anbau auf und umgaben ihn mit einer ein­ heitlichen Fassadenhaut aus dunklen Swisspearl­Platten. Die frei verteilten Öffnungen des Anbaus kontrastieren bewusst mit der strengen Gliederung der Villa.
Patrick Zamariàn Die in den 1930er­Jahren erbaute Villa D’Orsi steht in der norditalieni­ schen Gemeinde Casciago, nahe der Schwei­ zer Grenze. Der Heimatstil des faschistischen Italiens unterscheidet sich nur unwesentlich von zeitgleichen Baustilen im europäischen Umland – sieht man davon ab, dass viele ita­ lienische Architekten jener Zeit die Fassaden symmetrisch komponierten und mit roma­ nisch­historisierenden Typologien wie rusti­ zierten Ecklisenen und Bogenfenstern mit Zwischensäulen versahen. Mit grosser Sorg­ falt restaurierte das ortsansässige Architek­ turbüro Franco Segre diese und andere deko­ rative Elemente wie die Holzverkleidungen und das Zierband auf der Höhe der Fenster­ bank. Die Aussenwände mit einem Gipsver­ putz in zurückhaltenden Erdtönen harmo­ nieren mit den hellen Grautönen der Fassa­ dendetails, dunkel lackierte Metallelemente akzentuieren die Fassaden. Die bestehende Dachverkleidung ersetzten die Architekten durch dunkelgraue Zementziegel und rüste­ ten das Dach mit Photovoltaikpaneelen auf.
Annex aufstocken und aufwerten Da die Villa einen symmetrischen Grund­
riss hat, reihen sich uniforme und relativ geringflächige Einzelräume aneinander. Die Massivbauweise macht es so gut wie unmög­ lich, diese Aufteilung zu durchbrechen. Um zeitgemässe offenere Wohnformen in der Villa einzurichten, hatte man bereits in den 1980er­Jahren zur Westseite hin einen einge­ schossigen Annex angefügt, den die Archi­ tekten nun aufstockten und aufwerteten. Im Erdgeschoss brachten sie eine grosszügige Wohnküche unter, die die bestehenden, rundgangartig angeordneten Wohn­ und Aufenthaltsräume ergänzt und einen direk­
ten Zugang zum Garten bietet. Die privaten Räumlichkeiten befinden sich alle im Ober­ geschoss. Das Büro des Hauseigentümers sowie ein Gäste­ oder Kinderzimmer sind in der Villa untergebracht, während das neue Hauptschlafzimmer den gesamten Annex und somit ein Drittel der Geschossfläche ein­ nimmt.
Neu und Alt differenzieren Obschon Villa und Anbau funktionell eine
Einheit bilden, haben sich die Architekten dafür entschieden, die beiden Gebäudeteile durch ein zwanzig Zentimeter breites Band aus poliertem Edelstahl voneinander zu tren­ nen und gestalterisch zu differenzieren. Im Gegensatz zum klassisch formulierten Hauptgebäude ist der Annex ein frei ge­ formter Baukörper, dessen unregelmässige Öffnungen und facettierte Haut aus anthra­ zitfarbenen Faserzementplatten bewusst von der strengen Orthogonalität der angrenzen­ den Fassadenflächen abweichen. Die Archi­ tekten liessen sich in ihrem Entwurf von der Idee eines mehrfach abgekanteten, sich an die bestehende Villa anlehnenden Mono­ lithen leiten. Der Höhenunterschied und der leichte Fassadenrücksprung betonen dieses implizite Hierarchieverhältnis ebenso wie die monochromatische, dunkle Farbe, die den Annex gewissermassen in den Schatten des Hauptgebäudes zurückweichen lässt.
Scale: 1:? IT_Villad'Orsi_Casciago1 cm
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Scale: 1:200 IT_Villad'Orsi_Casciago1 cm
Scale: 1:200 IT_Villad'Orsi_Casciago1 cm
Vertical section Scale: 1:20
IT_Villad'Orsi_Casciago1 cm
1 Swisspearl® LARGO Platte 12 mm 2 Swisspearl® LARGO Platte 12 mm, Oberäche für Dach 3 Hinterlüftung, vertikale Unterkonstruktion 4 Wandhalter 5 Wärmedämmung, Mineralwolle 6 Beton 7 Dampfbremse 8 Verputz 9 Backsteinmauerwerk 10 bestehendes Backsteinmauerwerk 11 Trapezblech 12 Halterung 13 Hinterlüftung 14 Abdichtung
1 Swisspearl® LARGO panel 12 mm 2 Swisspearl® LARGO panel 12 mm, R-coating (roong) 3 ventilation cavity, vertical sub framing 4 bracket 5 thermal insulation, mineral wool 6 concrete 7 vapor retarder 8 plaster 9 brickwork 10 existing brickwork 11 corrugated metal decking 12 xing bolt ? 13 ventilation cavity 14 waterproong
11 12 13
2 Swisspearl® LARGO, 12 mm CARAT Anthrazit 7020 R
3 Hinterlüftung, vertikale Unterkonstruktion 4 Wandhalter 5 Wärmedämmung, Mineralwolle 6 Beton 7 Dampfbremse 8 Verputz 9 Backsteinmauerwerk 10 bestehendes Backsteinmauerwerk 11 Trapezblech 12 Halterung 13 Hinterlüftung 14 Abdichtung
«Aus kompositorischer Sicht bestand unsere Idee darin, den neuen Teil mit einer anderen Sprache zu behan­ deln und dadurch die Proportionen und Symmetrien des Hauptgebäudes aufzuwerten.» Studio di Architettura Franco Segre
Erdgeschoss 1:200
Faserzementplatten und kostbarer Schmuck scheinen beim ersten Gedan­ ken unvereinbar. Die Schmuckwerkstatt Skrein macht nun aber vor, dass sich der Werkstoff mit wertvollen Metallen und Edelsteinen auf ungewöhnliche Weise kombinieren lässt.
ÖSTERREICH
ARCHITEKT: Mathis Barz, Wien BAUZEIT: 2012
Anna Roos Um ihre hochwertigen Luxusar­ tikel zu verkaufen, locken viele Juweliere ihre Kunden mit ausgewähltem Design und exklusiven Materialien in ihre Schmuck­ läden. Auslageflächen und Schaufenster sol­ len das Auge des Kunden verführen. Die Schmuckwerkstatt von Alexander Skrein liegt in einer der besten Gegenden Wiens. Anfang 2012 vertraute Skrein dem Architek­ ten Mathis Barz, mit dem er bereits früher zusammengearbeitet hatte, sein Konzept an, den Shop mit Betonelementen und in zurück­ haltenden Braun­ und Grautönen – anstelle der bisherigen Palette von Rot bis Orange – umzubauen. Barz war anfänglich skeptisch, wie sich das harte Material mit dem fili­ granen Schmuck kombinieren lasse. Dann dachte er an Faserzement – ein Material, das so dauerhaft und geschmeidig wie Beton ist, und doch auch leicht und fein gliedrig wie Verbundwerkstoff – und erkannte das Poten­ zial, Skreins Kreationen auf Faserzement­ flächen zu präsentieren. Zu Beginn liess er das Unternehmen Swisspearl die Grenzen der Formbarkeit testen. Sobald die Platten aus der Maschine kommen, werden sie noch feucht in die benötigten Grössen geschnitten. Über Nacht werden sie zum Härten auf eine dreidimensionale Form gelegt. Nach zwei Wochen ist das Material hart genug, damit es nachbehandelt und versiegelt werden kann. Die ersten Prototypen gelangen so gut, dass Skrein sich entschloss, das Material für alle Auslageflächen im Laden zu verwenden.
Eine starke Kombination Der geformte Faserzement wirkt wie ein
Stoff. Für den «weichen Look», wie Barz es nennt, wird jedes Stück einzeln von Hand nach bearbeitet. Jedes Element ist also ein
Unikat mit eigenem Charakter, wie der von Hand gefertigte Schmuck, den es präsentiert. Die verschiedenen Möglichkeiten, wie man die Kanten zuschneidet oder nachbearbeitet, wurden vollends ausgeschöpft: die dünne Schicht im rechten Winkel exakt schneiden oder ausreissen lassen, um dem Element einen rauen Touch zu verleihen. Wie ein Tischtuch fällt das Material über die horizon­ talen Flächen, seine Textur gleicht dickem Wollfilz. Die Auslageflächen wallen sich sanft und formen kleine Landschaften, in denen der Betrachter kostbare Halsketten, Ringe und Armbänder entdeckt. Barz beschreibt sein Design mit dem Bild eines fliegenden Teppichs und sagt, dass die Präsentations­ fläche «die archaische Kraft von Faserzement mit der Poesie eines fliegenden Teppichs kombiniere». Er gestaltete jede Schaufens­ terfläche als kleine Bühne, auf der die Haupt­ darsteller – glänzende und strahlende Schmuckstücke – ins Scheinwerferlicht ge­ rückt werden.
Barz stellt ungleiche Materialien mit ganz verschiedenen Oberflächen neben einander: zum einen Faserzementplatten in mattem Grau, die üblicherweise in Aussenfassaden Verwendung finden; zum anderen kostbarer, glänzender Schmuck aus Edelmetall. Damit hebt er die präzise gearbeiteten Schmuck­ stücke hervor und unterstreicht deren Schön­ heit. Zu Recht nennt Barz seine Präsentation «eine starke Kombination» und ist stolz da­ rauf, das Material auf so innovative Weise einzusetzen und, wie er sagt, «salonfähig» zu machen.
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«Der ‹weiche Look› kom­ biniert die archaische Kraft von Faserzement mit der Poesie eines fliegen­ den Teppichs.» Mathis Barz, Architekt
KNOW-HOW Es begann in den 1950er­Jahren mit Willy Guhl: Der Designer war fasziniert von der Beschaffenheit des Faserzements. Sein Loop­Sessel gilt heute als Klassiker. Darauf folgten Kooperationen mit mehr als zwanzig Produktegestaltern. Ihre Kreationen bringen immer wieder frischen Wind ins Unternehmen.
In der Produktionshalle ist weit und breit keine Ma­ schine zu sehen: Alles wird von Hand angefertigt. Designer und Handformer suchen dort gemeinsam nach der endgültigen Perfektion. Wer neue Produkte ent­ wickeln will, muss das Material und seine Eigenschaften verstehen. Auf Handzeichnungen folgen Gespräche über Machbarkeit und Marktchancen. Mithilfe erster Grundformen entsteht ein Prototyp, der anschliessend kri tisch beurteilt wird. Unsere Handformer geben meist entscheidende Impulse für Verbesserungen. Bis die passende Form steht, dauert es oft mehrere Wochen. Dabei müssen sich zwei Welten finden: die des Desig­ ners und die des Produzenten.
Sind Entscheidungen über Marktpreis, Produktions­ volumen und Vermarktungsaktivitäten gefällt, beginnt die eigentliche Serienfertigung. Das Abformen erfolgt ausnahmslos in Handarbeit, Stück für Stück. Unsere Mitarbeiter schneiden mittels einer Schablone die Form aus und betten sie in eine Positiv­ oder Negativform ein. Zwischendurch klopfen sie das Mate­ rial immer wieder an. Zwei Tage später sieht man, ob die Arbeit gelungen ist. Zum Schluss wird jedes Er­ zeugnis geprüft und vom Designer nummeriert und signiert – schliesslich sind es handgefertigte Unikate!
Zahlen und Fakten Rund 35 000 handgeformte Gefässe und Design­ objekte werden jährlich gefertigt.
12 Handformer arbeiten in der Formerei in Payerne. 1 einziges Produkt kann pro Form und Tag her ge ­ stellt werden.
Marcello Trabucco, Leiter Garten & Design, Eternit (Schweiz) AG
FREIE FORMEN 57
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HERAUSGEGRIFFEN
AUFGEBLASENER PLATZHALTER Auf der grünen Wiese plustert sich ein weisses Häuschen auf, seine Seitenwände bauchen sich leicht nach aussen. Die Luft, die ihm Volumen und Standhaftigkeit verleiht, führt ein Ventilator via Schlauch stetig zu. Mit diesem leichten Bau von sechs mal sechs mal sechs Metern haben die Architekten Simon Durand und Gabriel Soulard einen dreidimensio nalen «Platz halter» geschaffen. Er soll es Bauherren künftig erleichtern, sich ein Grundstück in bebautem Zustand vorzustellen.  Architekten seien fasziniert von der Leichtigkeit aufblasbarer Objekte, sagt Urs Meier, Inhaber von Luft & Laune, «und davon, dass bei ihnen gewisse bauliche Gesetzmässigkeiten wie die Statik weg­ fallen». Mit seiner Firma für aufblasbare Objekte ist er oft für die Kreativwirtschaft tätig, neben Architekten zählen viele Künstler und Theaterleute zu seinen Kunden. Das leichte Material lässt sich schnell zu einem Volumen aufbauen oder besser: aufblasen. Die Wirkung, die es entfaltet, ist aber meist gross.
Jedes Objekt erfassen Meier und sein Team zuerst als 3­D­Form und legen im CAD die Nähte so fest, dass ein optimales Schnittmuster entsteht. Der Plotter schneidet anhand dieser Daten die einzelnen Folienteile zu, die Meier und seine Mit arbeiter zu einem Objekt zusammennähen oder ­schweissen. Da der Luftdruck im Innern gleichmässig verteilt sei, erklärt Meier, «eignen sich amorphe Objekte am besten». Konkave Formen seien nur bedingt mög­ lich, da es für jeden Einschnitt einen Zugpunkt oder eine Fläche brauche. «Gerade Flächen machen wir nicht so gern, weil sie selten gut rauskommen», so Meier. Die schönsten Objekte sind für ihn jene, die mit wenig Aufwand viel Wirkung erzielen. Etwa das «Blasenfahrrad» von raumlabor Berlin. Mit ein paar Spannseilen, viel Luft und einer Hülle aus Bauplas­ tik, deren Teile Luft & Laune mit Klebband zusam­ menfügte, entstand ein Versammlungsraum für eine Konferenz. Nach dem Anlass findet die Hülle prob­ lemlos Platz in der Fahrradkiste. (me)
«Blasenfahrrad» von raumlabor Berlin.
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Von freier Hand zeichnen, aber stren­ gen geometrischen Regeln folgen: Das ist kein Widerspruch für den Architekten, Designer und Künstler Stefan Sieboth. Aus einer Formidee heraus entwarf er einen Tisch und wählte für den Unterbau Faserzement, um die gewellte Form herzustellen. Das Resultat gleicht einem konstruk­ tiven Kunstwerk.
Michael Hanak Spannungsvoll und op­ tisch leicht sollte der Tisch wirken, erzählt Stefan Sieboth. Am Anfang stand eine Form­ idee: ein Quadrat, das sich drehend durch den Raum bewegt. Zu dieser Vorstellung schuf Stefan Sieboth einige Skulpturen, un­ ter anderem eine aus Chromstahl gefertigte Säule von sieben Metern Höhe, die er in seinem Garten aufstellte. Später verband er
PRODUKTDESIGN
DIE QUADRATUR DES TISCHS
die Formidee mit einem Tischentwurf und entwickelte sie weiter: Ausgehend von einem Tisch mit vier schrägen Beinen erdachte Sieboth ein skulpturales Tisch­ gestell: Seine quadratische Grundfläche erhielt an den Ecken, ähnlich einem Wind­ rad, vier runde Ausbuchtungen, und seine Grundfläche vollzieht vom Fussboden bis zur Tischplattenhöhe eine Drehung um 45 Grad. Um den Tischentwurf umzu­ setzen, dachte der Designer zuerst an Chromstahl, das er zur besseren Formbar­ keit vielfach einschlitzte. Aufwand und Kosten waren jedoch zu hoch. Dann erin­ nerte er sich an die legendären Garten­ möbel von Willy Guhl aus Faserzement. Stefan Sieboth hat in seinem Garten zwei alte Loop­Sessel stehen. Wie Guhl machte sich Sieboth die Formbarkeit des Faser­ zements zunutze und fand so zur endgül­
Silberwellentisch
Masse ca. 70 × 70 × 71 cm
Material Tischplatte Floatglas, 12 mm, rund mit Durchmesser 140 cm oder oval 100 × 160 cm
Material Tischgestell Faserzement, 8 mm
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tigen Lösung des Silberwellentischs. In ei­ ner Negativform nimmt das Material die gewünschte Form an. Auf den skulptural gewellten Sockel wird schliesslich eine runde oder ovale Glasplatte gelegt.
Dank Faltung und Verdrehung ist der Tischsockel stabil und wirkt trotzdem leicht. In seiner Gestaltung erlangt der Tisch eine objekthafte Qualität. Er lässt sich gut im Freien aufstellen – und passt zu den frühen Entwürfen von Willy Guhl.
Der Architekt, Produktdesigner und Künstler Stefan Sieboth wird dieses Jahr achtzig. Zu seinem Œuvre zählen klar strukturierte Bauten, eigenwillige Möbel und auf geo metrischen Gesetzmässigkeiten basierende Kunstwerke. Seit der Gründung des Büros für Architektur und Industrial Design im Jahr 1959 strebt er danach, funk­ tionale Ansprüche in eine Architektur
mit hohem Gebrauchs­ und Erlebniswert umzusetzen. Parallel zur architektonischen Arbeit schuf er immer wieder Möbel und interessierte sich für die Weiterentwicklung konkreter Kunst in der Dreidimensionalität.
Prägende Vorbilder fand Sieboth am Ende seiner Architekturausbildung. An der Internationalen Bauausstellung 1957 in Berlin beeindruckte ihn Alvar Aalto und dessen entspannter Umgang mit aufgelös­ ten Geometrien. Später faszinierte ihn Oscar Niemeyer, der sein Studio über der Copacabana in Rio de Janeiro als fanta­ sievolle, wellenförmige Form entwarf. Auf die Unterschiede von Architektur, Skulp ­ tur und Objektdesign angesprochen weist Stefan Sieboth darauf hin, dass der Mass­ stab entscheidend sei: Die Form des Tisches in seinem Garten lasse sich eben nicht auf ein Hochhaus in einer Stadt übertragen.
Gartenskulptur: elegante Windung für einen Tisch.
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KLASSIKER
DIE SITZSCHLEIFE Designer für die Gestaltung von Faser­ zementprodukten beizuziehen, geht auf die frühen 1950er­Jahre zurück. Florian Adler, der Leiter der Werbeabteilung der Eternit AG, fragte bei der Kunstgewerbeschule Zürich an. Willy Guhl, der dort als Lehrer für Innenausbau wirkte, experimentierte mit seiner Klasse: Das Resultat waren verschie­ dene Formen wie die Spindel und das Elefantenohr. Am bekanntesten wurde der 1954 von Willy Guhl entworfene Garten­ sessel: Eine zur Schleife geschlossene Faser­ zementplatte bildet eine ergonomische Sitzmulde und eine schaukelnde Standflä­ che. Der Guhl­Stuhl wurde für seine «gute Form» ausgezeichnet und gilt seither als Designklassiker. Für das Redesign des Sessels nach rund vier­ zig Jahren fragte die Herstellerfirma den bereits achtzigjährigen, aber nach wie vor scharf denkenden Willy Guhl an. Seither wird das geschlossene, freitragende Faser­ zementband etwas dicker und mit grösse­ ren Radien ausgeführt. Ein­ und Ausbuch­ tungen verleihen dem Sessel einen besseren Stand und zusätzliche Stabilität. (mh)
In den 1950er­Jahren posierte die Frau eines Mitarbeiters für die ersten Werbe bilder am Ufer des Walensees.
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Design: Willy Guhl Entwurf: 1954 Redesign: 1995 Masse: 79 × 54 × 61 cm
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Herausgeber
Eternit (Schweiz) AG CH­8867 Niederurnen Telefon +41 (0)55 617 11 11 [email protected] www.swisspearl.ch
Swisspearl Architecture ist die inter national vertriebene Zeit­ schrift der Eternit (Schweiz) AG und stellt deren Faserzement­ produkte in den Kontext der aktuellen Architektur.
Redaktionsbeirat Michèle Rüegg Hormes, Bereichsleiterin Kommunikation, Dept. Architektur, ETH Zürich Martin Tschanz, Dozent ZHAW
Redaktionskommission Michael Hanak Hans­Jörg Kasper Martina Kast Marco Pappi Jürg Schönenberger Yasmin Willi Robert Wirichs
Redaktion Michael Hanak, Zürich
Übersetzung aus dem Englischen Marion Elmer/Nina Toepfer, Zürich
Gestaltung Bernet & Schönenberger, Zürich
Druck Galledia AG, Flawil
Schriften Brown Pro, Mercury Text
Deutsche Ausgabe ISSN 2297–1629
Autoren Michael Hanak ist Kunst­ und Architekturhistoriker in Zürich. Er widmet sich gerne der jüngs ten Architekturgeschichte. Zudem publiziert er über zeitge nössische Architektur.
Rahel Hartmann Schweizer ist Kunst­ und Architekturhistorikerin in Bern und Zürich. Nach Tätigkeit als Fachredaktorin und einer Dis­ sertation über den Architekten Otto Kolb schreibt sie über die Inter­ disziplinaritä