New Abiturprüfung Rheinland-Pfalz - Deutsch · 2019. 9. 11. · Vorwort Liebe Schülerinnen und...

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Inhaltsverzeichnis Vorwort

Hinweise und Tipps zur schriftlichen Abiturprüfung

1 Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I 2 Prüfungsstoff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV 3 Aufgabenarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI 4 Anforderungsbereiche und Operatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX 5 Tipps zur Arbeit mit Texten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI 6 Bewertungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XV

Hinweise und Tipps zur mündlichen Abiturprüfung

1 Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XVII 2 Tipps für die Vorbereitungszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XVIII 3 Tipps für die Prüfungssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIX

Übungsaufgaben zur zentralen Abituraufgabe zum Thema Sprache

Übungsaufgabe 1: Erörterung eines pragmatischen Textes: Jens Jessen: Die verkaufte Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1

Übungsaufgabe 2: Erörterung eines pragmatischen Textes: Christoph Schroeder, Heike Wiese, Philip Bracker: Keine Angst vor Mehrsprachigkeit! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12

Übungsaufgaben zu weiteren abiturrelevanten Aufgabenarten

Übungsaufgabe 3: Interpretation eines literarischen Textes: Lyrik Joseph von Eichendorff: Das zerbrochene Ringlein / Else Lasker-Schüler: Ein Lied . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23

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Übungsaufgabe 4: Interpretation eines literarischen Textes: Lyrik Hugo von Hofmannsthal: Reiselied / Durs Grünbein: Kosmopolit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32

Übungsaufgabe 5: Interpretation eines literarischen Textes: Dramatik Gerhart Hauptmann: Vor Sonnenaufgang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39

Übungsaufgabe 6: Interpretation eines literarischen Textes mit gestalterischem Anteil: Georg Büchner: Dantons Tod . . . . . . . . 51

Übungsaufgabe 7: Interpretation eines literarischen Textes: Epik Sibylle Berg: Hauptsache weit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60

Übungsaufgabe 8: Interpretation eines literarischen Textes: Epik Franz Kafka: Das Urteil / Patrick Süskind: Das Parfum . . . . . . 71

Übungsaufgabe 9: Erörterung eines literarischen Textes: Andreas Neef, Willi Schröll, Björn Theis: Generation Internet / Daniel Kehlmann: Ruhm . . . . . . . . . . . . . . . . 84

Übungsaufgabe 10: Analyse eines pragmatischen Textes: Sascha Lobo: Der digitale Spießer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95

Übungsaufgabe 11: Materialgestütztes Verfassen eines informierenden Textes: Programmheft-Beitrag zu Georg Büchners Dantons Tod .... 106

Übungsaufgabe 12: Materialgestütztes Verfassen eines argumentierenden Textes: Kommentar: Kiezdeutsch – Problem oder Chance? ............ 116

Abiturprüfungsaufgaben 2018

zentrale G9-Abituraufgabe Erörterung eines pragmatischen Textes:

Claudius Seidl: Das totale Wissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2018-1

zentrale G8-Abituraufgabe

Erörterung eines pragmatischen Textes: Bernhard Pörksen: Pöbeleien im Netz ersticken Debatten . . . . 2018-12

Abiturprüfungsaufgabe 2019

zentrale G9-Abituraufgabe Erörterung eines pragmatischen Textes:

Cosima Schmitt: Wo sind die Zwischentöne hin? . . . . . . . . . . . . . 2019-1

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Vorwort Liebe Schülerinnen und Schüler, Sie werden demnächst das Abitur im Fach Deutsch ablegen. Ab 2017 wird eine der schriftlichen Abituraufgaben in Deutsch einheitlich für alle Schülerinnen und Schüler in Rheinland-Pfalz zentral vom Ministerium für Bildung gestellt. Die restlichen Auf-gaben werden weiterhin dezentral geprüft.

Der vorliegende Band soll Ihnen dabei helfen, sich optimal auf die Prüfung in Deutsch vorzubereiten. Das einführende Kapitel „Hinweise und Tipps“ informiert Sie über die offiziellen Rahmenvorgaben, macht Sie mit den Arbeitsanweisungen (Operatoren) vertraut und erläutert die verschiedenen Schwierigkeitsstufen (Anforderungsbereiche) innerhalb jeder einzelnen Aufgabe. Es schließen sich konkrete Tipps an, was Sie bei der Bearbeitung der verschiedenen Aufgabenarten beachten müssen. Hinweise zur mündlichen Prüfung im Fach Deutsch runden diesen Teil ab.

Die zahlreichen Übungsaufgaben basieren auf abiturrelevanten Themen bzw. Auf-gabenformaten und ermöglichen Ihnen die Wiederholung wichtiger Unterrichtsaspekte und eine optimale Vorbereitung auf die Abiturprüfung. Im Anschluss daran haben Sie anhand einer Auswahl von offiziellen, zentral gestellten Abiturprüfungsaufgaben der Jahre 2018 und 2019 reichlich Gelegenheit zum Üben des „Ernstfalles“.

Zu jedem Klausurbeispiel finden Sie einen ausführlichen Lösungsvorschlag, mit dem Sie Ihren eigenen Aufsatz vergleichen können. Den Lösungsvorschlägen vorangestellt sind Bearbeitungshinweise, die Ihnen bei der Erschließung der einzelnen Arbeits-anweisungen helfen. Wesentliche Fachbegriffe in den Lösungsvorschlägen sind durch Fettdruck hervorgehoben; Strukturierungshinweise am Rand sollen helfen, den Ge-danken nachzuvollziehen.

Sollten nach Erscheinen dieses Bandes noch wichtige Änderungen in der Abiturprü-fung vom Ministerium für Bildung bekannt gegeben werden, finden Sie aktuelle Infor-mationen dazu im Internet unter: www.stark-verlag.de/pruefung-aktuell

Die Autoren und der Verlag wünschen Ihnen eine gute Vorbereitungsphase und viel Erfolg in der Abiturprüfung!

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3 Aufgabenarten

Die folgende Übersicht zeigt Grundmuster an Aufgabenarten, die für das Abitur gefordert bzw. zugelassen sind. Auch eine Kombination der Aufgabenarten ist denk-bar und findet oft Anwendung in der Praxis. Beispielsweise kann die Interpretation eines literarischen Textes durch eine Erörterungsaufgabe weitergeführt werden. Aller-dings muss der Schwerpunkt, die dominierende Aufgabenart, stets erkennbar bleiben. Sie erhalten mit den jeweiligen Teilaufgaben prozentuale Angaben zu deren Gewichtung im Rahmen der gesamten Aufgabe (z. B. Teilaufgabe 1: 20 %, Teilaufgabe 2: 60 %, Teilaufgabe 3: 20 %). Das „materialgestützte Schreiben“ stellt eine recht neue Schreibform für das Abitur dar und wurde bisher wenig gefordert. Das wird sich im Laufe der nächsten Jahre ändern.

Textbezogenes Schreiben Materialgestütztes Schreiben

Au

fgab

enar

t Interpretation literarischer Texte

Analyse pragmatischer Texte

Erörterung literarischer Texte

Erörterung pragmatischer Texte

Material-gestütztes Verfassen informieren-der Texte

Material-gestütztes Verfassen argumentie-render Texte

Quelle: Bildungsstandards im Fach Deutsch für die Allgemeine Hochschulreife (Beschluss der KMK vom 18. 10. 2012), S. 24

Weiterhin gibt es das Format der „gestaltenden Aufgabe“, das in der Praxis nicht selten anzutreffen ist. Dieses Format kann ergänzend, als Zusatzaufgabe, Verwendung finden. Sie dürfen also nicht mit einer rein produktionsorientierten Aufgabe rechnen, beispielsweise dem Verfassen eines Parallelgedichts zu einer Vorlage.

3.1 Interpretation literarischer Texte

Die Interpretation eines literarischen Textes ist die am häufigsten gestellte Aufgabe im Oberstufenunterricht wie auch in der Abiturprüfung. Dabei wird ein Text oder Text-auszug aus einem dramatischen, epischen oder lyrischen Werk zugrunde gelegt, an den verschiedene Teilaufgaben geknüpft werden können. Meist ist die Einbettung in einen Kontext (z. B. Position und Stellenwert einer Szene im Drama) oder eine inhaltliche Zusammenfassung verlangt. In der Folge muss der Text dann weiterführend erschlos-sen und manchmal mit einem weiteren Text verglichen werden. Je nach Textsorte gibt es dazu unterschiedliche Operationen (z. B. die Entschlüsselung von Bildern im Ge-dicht). Wichtig ist, dass jeweils spezifisch herausgearbeitet wird, welches tiefere Ver-ständnis der Text auslöst, wenn zum ersten inhaltlichen Sichten noch die Analyse der Sprache, der Form und der Erzähltechnik hinzukommt und dadurch weiterführende Aussagen möglich werden. Empfehlenswert ist die mehrfache Lektüre des Textes, ver-bunden mit einem offenen Blick für alle Besonderheiten. Entscheidend ist es, die Fik-tionalität der Texte nicht mit einem rein pragmatischen Denken erfassen zu wollen.

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Vielmehr ergibt sich gerade im Deutungsprozess literarischer Texte immer eine Per-spektive auf ein Bild von Wirklichkeit, das „irgendwie neu“ oder „anders“ ist.

3.2 Analyse pragmatischer Texte

Hier geht es um eine genaue Untersuchung von Sach- und Gebrauchstexten, wobei nicht immer eine ganz eindeutige Abgrenzung zu den literarischen Texten gegeben ist. Beispielsweise enthalten gelungene Reden durchaus Passagen mit poetischer Ausrich-tung, ebenso Zeitungskommentare oder Essays, die mitunter sehr persönlich geschrieben sind. Allerdings sind sie nicht fiktional, sondern referieren auf einen kritikwürdigen Sachverhalt oder beziehen sich auf kulturelle Darbietungen, die in einem pragmati-schen Text näher beleuchtet werden. Statt eines erdachten Erzählers oder eines lyri-schen Ich meldet sich ein realer Schreiber oder Sprecher zu Wort, um seine Haltung zum Ausdruck zu bringen. Diese Intention herauszuarbeiten ist eine wesentliche Ziel-setzung der Aufgabenart. In aller Regel muss ein vorgegebener Text erschlossen werden, indem der Inhalt und der Aufbau geklärt werden. Besonderes Augenmerk liegt auf der Argumentationsweise des Verfassers, die herausgearbeitet und kritisch be-leuchtet werden soll. Also ist auch hier eine intensive Betrachtung der verwendeten Sprache notwendig. Nicht selten wird in einer anschließenden Erörterung eine persön-liche Auseinandersetzung mit den Thesen des Verfassers erwartet.

3.3 Erörterung literarischer und pragmatischer Texte

Das erörternde Schreiben hebt sich von den vorgenannten Aufgabenstellungen insbe-sondere dadurch ab, dass die Erschließung der Textgrundlage – unabhängig davon, ob es sich um einen literarischen Text oder einen Sachtext handelt – hinter einer diskur-siven Beschäftigung mit den inhaltlichen Aussagen zurücktritt. Anders gesagt: Die Analyse der sprachlichen Gestaltung fällt deutlich kürzer aus. Vielmehr sollen Sie eine Kernthese oder mehrere Thesen klar herausarbeiten und argumentativ verwerten. Da-bei ist es wichtig, die dargestellte Perspektive mit weiteren möglichen Sichtweisen, die nicht genannt sind, abzugleichen und zu bewerten. Auch die eigene Haltung soll mit einbezogen werden. Es geht also um die Gewichtung von Sachverhalten und Argu-menten, am Ende auch um ein folgerichtig entwickeltes, begründetes Fazit. Dazu ist eine insgesamt differenzierte Darstellung nötig.

3.4 Materialgestütztes Schreiben

Diese Art des Schreibens unterscheidet sich insofern von den bisherigen Aufgaben-arten, als es nicht darum geht, vorgegebene Texte analytisch oder diskursiv auszuwer-ten, sondern darum, aus unterschiedlichem Ausgangsmaterial einen eigenen Text zu erstellen. Dabei sind zwei Ausrichtungen vorgesehen: Das Verfassen informierender Texte verfolgt das Ziel, einen möglichen Leser über eine Sache bzw. ein Thema so in Kenntnis zu setzen, dass er eine basale Vorstellung dazu entwickeln kann, mitunter auch über einige Teilaspekte des Themas informiert wird, je nach Aufgabenstellung

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Rheinland-Pfalz Deutsch

Übungsaufgabe 10 ANALYSE EINES PRAGMATISCHEN TEXTES

Aufgabenstellung

1 Analysieren Sie die Kolumne Der digitale Spießer von Sascha Lobo. Stellen Sie dabei die Position des Verfassers dar, beschreiben Sie die Argumentationsstruktur und untersuchen Sie die sprachliche Gestaltung. (ca. 80 %)

2 Beurteilen Sie knapp die von Lobo vertretene Position. (ca. 20 %)

Material Sascha Lobo1: Der digitale Spießer

Besser als Ödön von Horváth2 kann man schon mal gar nicht heißen, und als wäre das nicht genug, hat dieser Mann 1930 auch noch ein glänzendes Buch geschrieben: „Der ewige Spießer“.

In der Vorrede beschreibt Horváth den Typus des Spießers. Dieser sei ein „hypochon-drischer Egoist“, der danach trachte, „sich überall feige anzupassen und jede neue For-5

mulierung der Idee zu verfälschen, indem er sie sich aneignet“. Er schreibt, dass es zwar einen alten Typus des Spießers gebe – aber ein neuer gerade im Werden sei. Das gilt auch heute noch, denn soeben kristallisiert sich ein völlig neuer, ärgerlich alter Typus Mensch heraus:

der digitale Spießer. 10

Das Internet, das sind die anderen. Und seit die anderen Menschen die digitalen Ser-versteppen zu Milliarden durchmessen, lässt es sich nicht vermeiden, im ehemals dünn besiedelten Netz auf Dritte, Vierte und Fünfte zu treffen. Dort beginnt das Problem: Andere Leute sind in allererster Linie nicht man selbst. Deshalb kommt es, wo Kom-munikation passiert, also überall, zu Konfrontation und Missverständnis. Es ist zu 15

simpel und sogar gefährlich, alle als Trolle3 hinzustellen, die dort ein schroffes Wider-wort geben, wo es schmerzt. Aber der digitale Spießer ist kein Troll, auch wenn sich das nicht ausschließt. Denn der Troll betreibt soziale Störkommunikation.

Der digitale Spießer betreibt asoziale Selbstbestätigung. Keine Diskussion, in der er vergisst, sich auf anderer Leute Kosten als klüger, weiser, informierter hinzustellen. 20

Der digitale Spießer hält sich für das beste aller Netzwesen und lässt alle an dieser Erkenntnis teilhaben. Denn es ist die einzige Erkenntnis, über die er verfügt. Der digi-tale Spießer ist gefühlsgetrieben, aber diese Tatsache verschleiert er, vor allem vor sich selbst. Doch hinter allen seinen Aktivitäten, hinter jedem Beitrag, jedem Kommentar läuft der gleiche Prozess ab. In seiner dumpfen Ablehnung all dessen, was ihm als 25

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Bedrohung erscheint (und schon Nachdenken erscheint manchem als bedrohlich), zimmert er sich aus seinem Gefühl eine Meinung.

Aus Faktenschnipseln und Datenbrocken eine pompöse Großmeinung Natürlich reicht ihm eine kleine, gewöhnliche Normalmeinung nicht aus. Deshalb sucht er sich ein paar Faktenschnipsel und Datenbrocken und vermengt sie zu einer 30

pompösen Großmeinung. Die wichtigste Zutat zu dieser Großmeinung – die so monolithisch dastehen soll, dass an ihr alle anderen Meinungen bröselig zerschellen wie ein Bimssteinchen an Ayers Rock4 – die wichtigste Zutat ist natürlich das Gefühl des digitalen Spießers, er würde verstehen. Und zwar alles. Besser. Auf Anhieb. Eine Wissenschaftlerin hat 30 Jahre geforscht? Und doch hat sie ganz gewiss das Aller-35

wichtigste übersehen, was der digitale Spießer auf den ersten Blick erkennt. Den ganz großen Zusammenhang vielleicht oder das alles entscheidende klitzekleine Detail. In jedem Fall lässt sich damit alles bis hierhin Gesagte, ja sogar alles bis hierhin Dage-wesene nebenbei wegwischen oder besser noch: aggressiv wegignorieren, um Platz zu schaffen für den eigenen Meinungsmonolithen […]. 40

Der digitale Spießer schießt schnell und ohne hinzusehen, er fühlt nur kurz hin, zwei flüchtig gelesene Halbsätze genügen, um jede Situation in ihrem Kern zu erfassen. Das so gefällte Blitzurteil ist ihm wichtiger als alles, was irgendjemand jemals sagen oder schreiben könnte. Fehler in seinen Blitzurteilen wird er höchstens taktisch zugeben, denn eigentlich macht er natürlich keine Fehler, jedenfalls keine, an denen er selbst 45

schuld ist. Für ihn besteht das Konzept Schuld aus seinem Zeigefinger.

„Hier geht es nur um mich“ Wissen interessiert den digitalen Spießer nur in Form von Besserwissen, das ihm die Gelegenheit zum Kommentar gibt. Ihm geht es um die Herabwürdigung seines Gegen-übers, weil er damit die eigene Heraufwürdigung erreichen will. Er glaubt, dass seine 50

Verächtlichkeit ihn positiv auszeichnet, weil er sie mit der Wahrheit verwechselt, die doch dringend gesagt werden müsse, sei sie auch noch so unbequem. Wer die Welt hasst, weil er sich hasst, für den kann die Wahrheit eben nur aus Boshaftigkeit und Verachtung bestehen und muss unbequem sein, sonst wäre es ja nicht die Wahrheit. Sein verächtliches Raunen hat noch eine Funktion, nämlich andere digitale Spießer 55

anzuziehen auf der Suche nach Verbündeten. Es gibt allerdings wenig, was trauriger wäre als ein Trupp Selbstbestätiger, die sich im einen Moment zusammenrotten und schon im nächsten Moment wieder auseinanderpreschen. Auseinanderpreschen müs-sen, denn eine Gruppe wird zur Gemeinschaft, wenn sie ein beliebiges gemeinsames Credo verbindet – außer es lautet: „Hier geht es nur um mich!“ 60

Was er für Humor hält, ist ihm eine genehme Waffe, denn der digitale Spießer hat Humor in LOLsten Mengen und lässt daran nicht kleinsten ROFLcopter eines Zweifels […].5 Aber er verwechselt Humor mit Häme, so wie er Haltung mit Hetze verwechselt. Und er hetzt schnell, denn in seinem Kopf gibt es ein kleines Hetzprogramm, das stän-dig läuft, es besteht nur aus zwei Zeilen: Wer meiner Meinung nicht huldigt, ist dumm. 65

So erklärt sich, dass für ihn ein guter Text der ist, der seine eigene Meinung spiegelt, und ein schlechter Text, der eine andere Meinung vertritt. Die Übereinstimmung mit sich selbst ist ihm das Wichtigste, das einzige Kriterium. Ich bin gut, also ist schlecht,

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was ich nicht bin. Er leidet enorm unter Andersartigkeit, sie macht ihm seine egois-tische Konformität bewusst: eine wütende Verbindung von Missgunst, Kleingeistig-70

keit und Größenwahn.

Der digitale Spießer ist ein Verlierer Aber sein verquerer Wunsch nach Einzigartigkeit bleibt auf ewig ein Wunsch, denn nichts verursacht mehr Konformität, als feige nur dort Schlachten zu schlagen, wo man sie nicht verlieren kann. Der digitale Spießer ist ein Verlierer, deshalb hasst er es zu 75

verlieren. So kämpft er nicht mit Argumenten in ergebnisoffenen Diskussionen, sondern mit Meinungen in selbstgebauten Arenen, es geht bei ihm um nichts als um sich selbst.

Das Erschreckendste an dieser erbärmlichen, ärgerlichen, anmaßenden Figur ist aber: Wir alle sind digitale Spießer. Manchmal. Er steckt in uns, in jedem, und wir müssen 80

ihn bekämpfen, wann immer wir im Netz sind. Wer seinen eigenen digitalen Spießer leugnet – ich mache solche Fehler nicht! –, ist auf dem schlechtesten Weg, für immer einer zu bleiben. Denn, so lehrt uns der unendlich weise, unendlich schönnamige Ödön von Horváth, die schlimmsten unter den Spießern weisen jeden diesbezüglichen Verdacht brüsk von sich und halten sich – für das exakte Gegenteil: „… er hatte nie 85

was übrig für das Bürgerliche. Er war der geborene Bohemien. Bereits 1905 ging er ohne Hut.“ […]

Anmerkung: Ohne Koketterie möchte ich zugeben, dass ich selbst meinem digitalen Spießer zu oft Lauf gelassen habe. Ich bitte um Verzeihung und hoffe, dass nichts irreversibel kaputtgegangen ist. In Zukunft versuche ich, ihn besser zu unterdrücken. 90

Aus: Spiegel Online vom 22. 05. 2012; online unter: http://www.spiegel.de/netzwelt/web/sascha-lobos-kolumne-ueber-den-digitalen-spiesser-a-834306.html

Anmerkungen 1 Sascha Lobo (geb. 1975) ist Autor, Blogger und Strategieberater. Seit 2011 schreibt er die

wöchentliche Kolumne Die Mensch-Maschine für Spiegel Online. 2 Der österreichisch-ungarische Schriftsteller Ödön von Horváth (1901–1938) ist vor allem für sein

Theaterstück Geschichten aus dem Wiener Wald (1931) und den Roman Jugend ohne Gott (1937) bekannt geworden.

3 Troll: eine Person, die gezielt Gespräche innerhalb einer Online-Community stört, indem sie andere Benutzer bewusst provoziert

4 Ayers Rock: ein Sandsteinfelsen, der sich wie eine Insel von seiner Umgebung abhebt und das Wahrzeichen Australiens darstellt

5 LOL, ROFL: engl. Abkürzungen, die vor allem in der Online-Kommunikation verwendet werden und Belustigung ausdrücken („laughing out loud“ bzw. „rolling on the floor laughing“); der Aus-druck „ROFLcopter“ stellt eine zusätzliche Bedeutungssteigerung dar.

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Bearbeitungshinweise

Was gibt es bei dieser Aufgabe zu beachten?

Wenn Sie einen Sachtext analysieren sollen, in dem der Verfasser vorrangig seine Meinung darstellt, müssen Sie sich bewusst sein, dass er v. a. Behauptun-gen aufstellt. Auf Tatsachen verweist er nur, um diese zu belegen. Ob diese Tat-sachen stimmen, können Sie nicht wissen. Das macht eine Beurteilung des Textes schwierig – insbesondere dann, wenn der Verfasser keine Quellen angibt. In diesem Fall können Sie sich nur an der Schlüssigkeit seiner Argumentation orientieren, um den Text im Anschluss an die Analyse zu beurteilen. Sie müssen alle Gedanken des Verfassers in Form von indirekter Rede (Konjunktiv) wieder-geben. Dabei ist es wichtig, eigene Formulierungen zu finden, die vom Sinn her den Originalaussagen entsprechen. Um nicht immer den Konjunktiv zu verwen-den, können Sie auch auf andere Weise deutlich machen, dass Sie die Worte des Verfassers wiedergeben. Entweder kündigen Sie an, dass Sie im Folgenden die Aussagen des Autors darstellen (z. B.: „Sascha Lobo beschreibt den digitalen Spießer so: …“). Oder Sie fügen bei einzelnen Sätzen einen Hinweis auf den Au-tor ein (z. B.: „Der digitale Spießer – so Sascha Lobo – leidet an Größenwahn.“).

Wie gehe ich bei der Bearbeitung der Aufgabe sinnvollerweise vor?

TEILAUFGABE 1: – In der Einleitung nennen Sie diese Informationen: die Textsorte, die Über-

schrift des Textes, den Namen des Verfassers und das Thema des Textes. Geben Sie auch an, wann und wo der Text veröffentlicht wurde. Danach äu-ßern Sie sich knapp zu der Ansicht, die der Verfasser zu dem Thema vertritt.

– Zu Beginn des Hauptteils fassen Sie den Inhalt des Textes zusammen. – Anschließend gehen Sie auf Einzelheiten ein. Äußern Sie sich zur Struktur

des Textes, also auch zur Anzahl der Sinnabschnitte, in die sich der Text untergliedern lässt, und nennen Sie knapp die jeweiligen Inhalte. (Vergessen Sie nicht, an geeigneter Stelle in Klammern die Zeilennummern zu notieren!)

– Nun greifen Sie nacheinander die wesentlichen Aussagen des Verfassers auf. „Übersetzen“ Sie seine Worte in Ihre eigene Sprache. Sie können immer dann, wenn es sich anbietet, auf sprachliche Mittel hinweisen und deren Wir-kung aufzeigen. Achten Sie aber darauf, dass Sie nicht den roten Faden ver-lieren.

– Die Analyse der sprachlichen Gestaltung folgt im letzten Teil des Hauptteils. Vergessen Sie nicht, dass sprachliche Mittel in der Regel über den ganzen Text verteilt sind. Es wird erwartet, dass Sie die wesentlichen Gestal-tungsmittel, die den Text auszeichnen, erkennen und prägnant hervorheben.

TEILAUFGABE 2: – Zum Schluss beurteilen Sie die von Sascha Lobo vertretene Position.

Fragen Sie sich, wie überzeugend seine Argumentation ist, und begründen Sie Ihre Einschätzung. Beachten Sie dabei die Gewichtung der Teilaufgaben von 80 : 20.

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Lösungsvorschlag

TEILAUFGABE 1

In seiner Kolumne Der digitale Spießer, die am 22. 05. 2012 auf Spiegel Online erschienen ist, setzt sich Sascha Lobo mit einem neuen Phänomen auseinander: den Menschen, die im Internet recht-haberisch ihre Meinung kundtun. Er macht von Anfang an deutlich, dass er solche Personen sehr negativ sieht und sie verurteilt.

Bereits mit der Überschrift bezeichnet der Verfasser den Gegen-stand seiner Kolumne: „Spießer“. Er bezieht sich dabei auf das Buch Der ewige Spießer von Ödön von Horváth, der Anfang des 20. Jahrhunderts gelebt hat, wobei er mit dem ausgetauschten Attri-but „digital“ gleichzeitig auf das Internetzeitalter verweist. Durch diese Verbindung von Tradition und Moderne zeigt er an, dass es Spie-ßer schon immer gegeben hat – und sie ihr Verhalten an die heutige Zeit mit den neuen technischen Möglichkeiten angepasst haben.

Für Sascha Lobo zeichnen sich digitale Spießer durch erschreckende Eigenschaften aus: Sie denken nur an sich, halten sich für besser als ihre Mitmenschen und wollen sie erniedrigen, um sich dadurch selbst zu erhöhen. Dabei seien sie in Wirklichkeit nur dumm und ungebil-det. Trotzdem dränge es sie, sich zu allem sofort eine Meinung zu bilden und diese besserwisserisch im Internet zu verkünden. Der Verfasser hält digitale Spießer allerdings nicht für Einzelfälle, son-dern glaubt, dass ein solcher in uns allen steckt. Sich selbst nimmt er dabei nicht aus.

Der Text lässt sich in vier Sinnabschnitte von ganz unterschiedli-cher Länge untergliedern. Im ersten Sinnabschnitt (Z. 1–10) be-zieht sich der Verfasser auf das Buch Der ewige Spießer von Ödön von Horváth. Vor fast hundert Jahren hat sich der Schriftsteller darin Gedanken zum Typus des Spießers gemacht. Für Lobo ist das Buch der Ausgangspunkt für seine Überlegungen zum „digitalen Spießer“. Dessen Eigenschaften und Verhaltensweisen beschreibt er im längs-ten Sinnabschnitt (Z. 11–78). Danach folgt im vorletzten Teil eine Verlagerung der Perspektive: Lobo richtet seinen Blick nun nicht mehr auf einen bestimmten Typ Mensch, sondern auf alle Menschen (vgl. Z. 79 – 87): Seiner Meinung nach ist jeder von uns ein digitaler Spießer. Dazu passt die abschließende Anmerkung: Hier gibt der Verfasser explizit zu, hin und wieder selbst schon ein digitaler Spie-ßer gewesen zu sein (vgl. Z. 88 – 90).

Einleitung

Textsorte, Über-schrift, Erschei-nungsdatum, Quelle, Verfasser und Thema

Erklärung der Überschrift

Hauptteil

Zusammenfas-sung des Inhalts

Eigenschaften des „digitalen Spießers“

Struktur des Textes

Gliederung in Sinnabschnitte