Muslime in der Diaspora. Ein Untergang der religiösen Rituale? · neuen Konzept gehörten alle,...

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.SIAK-Journal – Zeitschrift für Polizeiwissenschaft und polizeiliche Praxis Meyer-Hubbert, Katarzyna A. (2010): Muslime in der Diaspora. Ein Untergang der religiösen Rituale? SIAK-Journal − Zeitschrift für Polizeiwissenschaft und polizeiliche Praxis (2), 35-45. doi: 10.7396/2010_2_D Um auf diesen Artikel als Quelle zu verweisen, verwenden Sie bitte folgende Angaben: Meyer-Hubbert, Katarzyna A. (2010). Muslime in der Diaspora. Ein Untergang der religiösen Rituale?, SIAK-Journal − Zeitschrift für Polizeiwissenschaft und polizeiliche Praxis (2), 35-45, Online: http://dx.doi.org/10.7396/2010_2_D. © Bundesministerium für Inneres Sicherheitsakademie / Verlag NWV, 2010 Hinweis: Die gedruckte Ausgabe des Artikels ist in der Print-Version des SIAK-Journals im Verlag NWV (http://nwv.at) erschienen. Online publiziert: 3/2013

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SIAK-Journal ndash Zeitschrift fuumlr Polizeiwissenschaft und polizeiliche Praxis

Meyer-Hubbert Katarzyna A (2010)

Muslime in der Diaspora Ein Untergang der religioumlsen Rituale

SIAK-Journal minus Zeitschrift fuumlr Polizeiwissenschaft und polizeiliche Praxis (2) 35-45

doi 1073962010_2_D

Um auf diesen Artikel als Quelle zu verweisen verwenden Sie bitte folgende Angaben

Meyer-Hubbert Katarzyna A (2010) Muslime in der Diaspora Ein Untergang der religioumlsen Rituale SIAK-Journal minus Zeitschrift fuumlr Polizeiwissenschaft und polizeiliche Praxis (2) 35-45 Online httpdxdoiorg1073962010_2_D

copy Bundesministerium fuumlr Inneres ndash Sicherheitsakademie Verlag NWV 2010

Hinweis Die gedruckte Ausgabe des Artikels ist in der Print-Version des SIAK-Journals im Verlag NWV (httpnwvat) erschienen

Online publiziert 32013

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Ein Untergang der religioumlsen Rituale

Muslime in der Diaspora Die Praumlsenz des Islam in der westlichen Welt ist nicht neu Immer wieder

faszinierte die fremde Kultur und Religion die westlichen Reisenden Geshylehrten und auch Abenteurer Dennoch der Islam als ein Bestandteil des Allshytags einer westlichen Gesellschaft kann als ein Novum bezeichnet werden Zwar gehoumlren Moscheen und Minarette nicht ndash oder noch nicht ndash zu uumlblishychen Wahrzeichen der westlichen Landschaften doch verschleierte Frauen betende Studenten auf dem Campus oder Maumlnner mit einem Tasbih einer Gebetskette in den Haumlnden wundern niemanden mehr in groszligen und kleishynen Staumldten Europas Der Islam wird auch in der Diaspora aktiv gelebt und nach auszligen getragen Verbunden mit den wiederholten Terroranschlaumlgen und grausamen Bildern ermordeter ndash meist westlicher ndash Geiseln in islamishyschen Laumlndern wird der Islam mitunter als eine Bedrohung empfunden Eishynerseits wird zum Dialog und Offenheit aufgerufen Integration und Anpasshysungsfaumlhigkeit werden gefordert und gefoumlrdert Andererseits deuten die immer schaumlrferen Sicherheitskontrollen vor allem fuumlr Flugpassagiere sowie Reisewarnungen der Auswaumlrtigen Aumlmter auf eine Aumlnderung der allgemeishynen Sicherheitssituation hin Der Islam geriet dabei immer mehr in den Foshykus der Oumlffentlichkeit und wird von Teilen der Oumlffentlichkeit als Problem wahrgenommen Dennoch ndash der Islam und seine Anhaumlnger gehoumlren inzwishyschen zur westlichen Realitaumlt Durch die Ausfuumlhrung religioumlser Rituale grenzen sich die Muslime von der westlichen Gesellschaft ab und bewahren ihre eigene Kultur und Religion Gleichzeitig versuchen immer mehr ndash vor allem junge ndash Muslime sich den Bedingungen der westlichen Gesellschaft anzupassen was mit einer Einschraumlnkung des religioumlsen Lebens eng verbunshyden ist Ausgelassene Gebete und Fastentage sowie Besuche der Moscheen gehoumlren fuumlr diese Menschen zum Alltag in der Diaspora genauso wie die Aneignung der Sprachen Kleidungs- und Verhaltensmuster der westlichen Kultur

Ein neues (Un-)Sicherheitsgefuumlhl ist jeder zweite junge Oumlsterreicher sieht Probshyseit dem 11 September 2001 ein Charak- leme mit Zuwanderern unter jungen Migshyteristikum der multikulturellen westlichen ranten sind es sogar etwas mehr Ange-Gesellschaft geworden Der Islam ndash und fuumlhrt werden hier vor allem mangelnde seine Anhaumlnger ndash gerieten dabei in den Fo- Anpassung an die Lebens- und Verhaltensshykus des oumlffentlichen Interesses Es wird weisen und Wertvorstellungen der Oumlstershyuumlber den Islam gesprochen und geschrie- reicher mangelnde Deutschkenntnisse ben der Islam beaumlngstigt bedroht und Abkapselung und mangelnde Akzeptanz fasziniert gleichzeitig Laut einer unlaumlngst durch die Oumlsterreicherldquo2 Der Islam ist zu veroumlffentlichten Studie koumlnnen zB rund einem Problem geworden fuumlr das eine Loumlshy45 Prozent der in Oumlsterreich lebenden sung erwartet wird ndash von der Wissenshymuslimischen Migranten als religioumls-poli- schaft den Medien und schlieszliglich von tisch bezeichnet werden1 Dennoch bdquoZirka der (Innen-)Politik Ambivalent werden

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KATARZYNA A MEYER-HUBBERT fellow der Research School der Ruhr-Universitaumlt Bochum

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die muslimischen Migranten in der westlishychen Gesellschaft betrachtet abhaumlngig von der Intensitaumlt der Kontakte mit muslishymischen Kreisen reichen die Reaktionen von Akzeptanz uumlber Gleichguumlltigkeit bis hin zu Ablehnung oder gar Feindseligkeit Aumlhnlich ist die Einstellung der muslimishyschen Migranten ihrem Gastland gegenshyuumlber bdquoReligioumls-politische Muslime weishysen einen vergleichsweise hohen Anteil an Personen mit relativ kurzer Aufenthaltsshydauer in Oumlsterreich auf ihre Deutschshykenntnisse sind eher unterdurchschnittlich () Nur ein Fuumlnftel bezeichnet sich selbst als voumlllig integriert () Saumlkulare Muslishyme leben im Vergleich zur ersten Gruppe schon laumlnger in Oumlsterreich haben bessere Deutschkenntnisse (hellip) sie fuumlhlen sich eher mit Oumlsterreich verbunden und nur ein Drittel ist nicht mit der oumlsterreichischen Gesellschaft und ihren Wertvorstellungen einverstandenldquo3

Die europaumlische Interkultushyralitaumlt ist de facto ein kulturelshy

les Nebeneinander eine (un-)sichtbare Wand trennt hier Traditionen Werte Anshy

schauungen ja ganze Welten

Die Integration ist zum Albtraum und zum Fluch vieler geworden die sich mit den bdquoAnderenldquo beschaumlftigen Einerseits wird von den Gastgebern erwartet dass sie integrationsfaumlhig offen und tolerant sind Andererseits stehen die muslimishyschen Migranten oft am Pranger der Oumlffentlichkeit Waumlhrend sich die bdquoreligishyoumls-politischenldquo Gruppen in ihren Kultur-vereinen Moscheen und Haumlusern vor der Auszligenwelt verschlieszligen versuchen die bdquosaumlkularenldquo oder bdquoprogressivenldquo Muslishyme ihre Religion Gesetze und Verhalshytensweisen dieser Auszligenwelt zu vermitshyteln zu erklaumlren und uumlber sie kritisch zu diskutieren

Eine solche Situation der Integrationsshynotwendigkeit in einer etablierten Welt in der die damals neue religioumlse Idee des Isshylam nicht unbedingt willkommen war ist dieser Religion nicht neu Schon die Entshystehungszeit und -umstaumlnde des Islam washyren wahrscheinlich den heutigen Verhaumlltshynissen der Muslime in der Diaspora aumlhnlich Fuumlr den entstehenden Islam washyren jegliche aumlltere Glaubensformen als eishyne Bedrohung anzusehen und sollten als solche nicht weiter uumlberliefert werden und sich verbreiten Die vorislamische Epoche wird im Arabischen als jahiliya (Unwisshysenheit) bezeichnet was eine Zeit bdquoohne soziale(r) Fuumlrsorge (Almosen) () Sysshytem der privaten und kollektiven Sichershyheit (Blutrache Strafrecht) und () Famishylien- und Erbrechtldquo4 ndash eine Zeit ohne goumlttliche Offenbarung ndash bedeuten sollte

Aumlhnlich ist die Lebensgeschichte des Propheten Muhammad eigentlich nur aus islamischen Quellen bekannt und somit ist eine gruumlndliche historische Rekonstruktishyon kaum moumlglich Dennoch wird angeshynommen dass der Prophet Muhammad eishyne historische Gestalt gewesen ist die gegen 610 n Chr erste Offenbarungen ershyfahren haben soll und die schon kurze Zeit spaumlter die islamische Religion unter seinen Verwandten5 Bekannten und schlieszliglich in weiteren Kreisen der Bewohner von Mekka verbreitet haben soll Muhammad vertrat eine strikt monotheistische Idee die im Widerspruch mit altarabischen Glaubensvorstellungen stand Mit der Zeit fand er in Mekka immer mehr Anhaumlnger (dass es nur junge und arme Menschen waren wie es die islamische Tradition darshystellt kann historisch nicht bestaumltigt wershyden) und erlaubte sich immer schaumlrfere Atshytacken auf das bisherige Glaubenssystem und den Polytheismus Seine Ideen die unter anderem fuumlr eine Gleichstellung der Mitglieder der Glaubensgemeinschaft (umma) plaumldierten und schlieszliglich die

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wachsende Popularitaumlt Muhammads wurshyden fuumlr die regierende Elite in Mekka geshyfaumlhrlich Die Unzufriedenheit der Mekkashyner wuchs und schlieszliglich wurde Muhammad zur Flucht gezwungen Die sorgfaumlltig vorbereitete bdquoEmigrationldquo oder bdquoAuswanderungldquo (hijra) der Anhaumlnger Muhammads nach Yathrib spaumlter Medina die im Sommer 622 n Chr stattfand wurshyde wenig spaumlter als Anfang einer neuen Aumlra angesehen und dient als Beginn der islamischen Zeitrechnung

Erst in Medina entwickelten sich die Kompetenzen Muhammads nicht nur als religioumlser sondern auch als politischer Anfuumlhrer seiner Gemeinde Nach dem neuen Konzept gehoumlrten alle die an einen Gott (Allah) glaubten zu einer Gemeinde unabhaumlngig von ihrem finanziellen oder sozialen Status ihrer Herkunft und ihren politischen Ansichten Der Glaube ndash und die Sprache in der dieser Glaube verbreishytet wurde ndash verbanden alle Anhaumlnger des Islam was ein Novum in der bisherigen Stammesgesellschaft war Anstatt der Loyalitaumlt die eine Grundlage in einem ndash territorial eingeschraumlnkten ndash Stamm war wurde die Idee der Souveraumlnitaumlt verbreitet die charakteristisch fuumlr eine Gruppe wurshyde die sich theoretisch unbeschraumlnkt vershybreiten konnte Aus der damaligen Sicht war diese Form der Verbindung zwischen einzelnen Mitgliedern der Gesellschaft reshyvolutionaumlr So konnte naumlmlich die umma die gesamte Welt beherrschen und vereinishygen6 Ein bdquosichtbaresldquo Zeichen dieser Vershyeinigung waren die religioumlsen Rituale die den Lebensrhythmus der Glaumlubigen beshystimmten

Der Islam musste sich zu seiner Entshystehungszeit gegen die etablierten politishyschen und religioumlsen Systeme behaupten Gleichzeitig musste er seinen Anhaumlngern als eine attraktive Alternative erscheinen die jedoch nicht alles bisher Bekannte und Verehrte verwarf Neben dem neuen Konshy

zept der umma die auf der Basis des Glaubens ihrer Mitglieder beruhte wurshyden auch gesetzliche Regelungen geshytroffen die das gemeinsame Leben der Muslime untereinander ihre religioumlsen Pflichten sowie den Umgang mit Andersshyglaumlubigen festlegten Das islamische Recht (sharirsquoa) umfasst naumlmlich alle Reshygelungen die bdquosowohl zur Ehre Gottes als auch fuumlr die Pflichten des Lebensldquo7

von Bedeutung sind und ist ein typisches ius divinum Das bedeutet dass es sich um ein religioumlses Recht handelt dessen Ursprung in goumlttlicher Offenbarung zu finden sei Alle Aspekte des Lebens die Probleme des Alltags der zwischenshymenschlichen Umgangsformen und der Pflichten Gott gegenuumlber werden im islashymischen Recht behandelt Aber auch die Fragen der Ethik Moral und schlieszliglich des angebrachten Benehmens beschaumlftigshyten die islamischen Rechtsgelehrten Charakteristisch ist dass ndash als goumlttliches Recht ndash sharirsquoa nicht beliebig veraumlndert werden darf und die menschliche Ingeshyrenz hier aumluszligerst eingeschraumlnkt ist Das einmal festgelegte Gesetz darf eigentlich nur noch interpretiert oder erklaumlrt wershyden jegliche Novi sind untersagt Die besondere Form des islamischen Rechts und sein ndash mit anderen vor allem westshylichen Rechtssystemen ndash unvergleichshybarer Umfang gaben den Anhaumlngern des Islam ein Gefuumlhl einer Zugehoumlrigkeit zu einer besonderen Gemeinde und einer direkten Teilnahme an der Offenbarung Gottes Gleichzeitig war es fuumlr die regieshyrende Elite einfach alle Aspekte des Leshybens der Muslime durch das islamische Recht nicht nur zu regeln sondern auch zu kontrollieren Der Islam wurde nicht nur ein Glaubens- sondern auch ein Leshybenssystem dem sich immer mehr Menshyschen ndash freiwillig oder als Konsequenz der Eroberungszuumlge gezwungen ndash untershywarfen

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Die Kontinuitaumlt der schon im spaumltantishyken Nahen Osten bekannten Formen der religioumlsen Praxis und der rechtlichen Reshygelungen laumlsst sich im Islam zum Teil wieshydererkennen Dies ist allerdings kein Chashyrakteristikum dieses religioumlsen Systems und soll ihn nicht als eine bdquoIdeenvermishyschungldquo abstufen denn wie die meisten Glaubenssysteme der Welt musste auch der Islam um sich zu etablieren aus seishynem Umfeld schoumlpfen und sich um eine Fortsetzung des schon Bekannten bemuumlshyhen Die Vorbilder waren selbstverstaumlndshylich in der naumlchsten Nachbarschaft zu sushychen und wurden entweder komplett uumlbernommen veraumlndert oder aber kategoshyrisch abgelehnt Dies soll jedoch nicht beshydeuten dass es keine rein islamischen Braumluche oder Rituale gibt die in den umshyliegenden Glaubenssystemen unauffindshybar sind Aumlhnlich wie heute so waren es auch zur Entstehungszeit des Islam vor alshylem der Alltag und die nachbarschaftlishychen Kontakte der ersten Muslime mit Anshydersglaumlubigen die diese Prozesse der Uumlbernahme oder Abgrenzung beschleushynigten und die noch relativ formbare Geshystalt der religioumlsen Praxis festlegten

Es ist naumlmlich das Aumluszligere das auf Fremdes Unbekanntes

oder Neues aufmerksam macht

Die Kleidung Sprache und schlieszliglich die Rituale ndash ob religioumls oder saumlkular ndash sind die Elemente die am meisten auffalshylen und die auch am haumlufigsten nachgeshyahmt oder eben abgelehnt werden

Vor allem zwei islamische Rituale sind in der westlichen Welt heute besonders bdquosichtbarldquo und werden seitens der Muslishyme auch in der Diaspora mehr oder wenishyger in den Alltag integriert wenn auch haumlufig mit vielen Einschraumlnkungen ndash es sind dies das Fasten und das Gebet Die

Ausfuumlhrung dieser Rituale sorgt in der modernen westlichen Gesellschaft fuumlr Aufmerksamkeit Gespraumlche Interesse Verwunderung und schlieszliglich nicht selten fuumlr Verspottung vor allem in Kreisen die sich entweder dem Fremden nicht oumlffnen wollen oder es absichtlich mit Ablehnung oder gar Feindseligkeit betrachten

Der allgemein im Westen bekannte islashymische Monat Ramadan wird ganz richtig mit der Fastenzeit verbunden Leider wird er haumlufig nicht als Zeit der besonderen Konzentration auf den Glauben als Zeit des Gebets und der Meditation angesehen sondern als der Monat in dem die Muslishyme bdquodie Nacht zum Tag machenldquo Kaum wird das Problem der Umstellung thematishysiert die die Muslime vor allem in der Diaspora jedes Jahr ihrem Alltag anpassen muumlssen Denn das islamische Fasten ist besonders streng und mit analogen Rituashylen im Judentum oder Christentum nur beshyschraumlnkt vergleichbar Das Fasten ist prishymaumlr als ein Element des religioumlsen Kultus zu verstehen und als ein weit verbreitetes Ritual das in den meisten Glaubenssysteshymen der Welt sein Aumlquivalent hat auch wenn die Formen seiner Ausfuumlhrung vonshyeinander stark abweichen und Parallelen haumlufig nur muumlhsam zu finden sind Es ist sehr schwierig die Urspruumlnge des Fastens zu nennen da es weltweit verbreitet ist und trotz der Saumlkularisierung vieler Rituashyle mit einer erstaunlichen Konsequenz realisiert wird Auch in der heutigen moshydernen Gesellschaft wird das Fasten mit seinen bdquowiederentdecktenldquo heilenden wohltuenden und staumlrkenden Eigenschafshyten fast schon zu einer Modeerscheinung

Der Monat Ramadan als eine der wichshytigsten Perioden im islamischen Kalender hat neben der rituellen auch eine integrashytive Funktion fuumlr die umma Es wird gefasshytet nicht nur weil es ein Gebot Gottes ist und eine der fuumlnf Saumlulen des Islam also eine absolute Pflicht fuumlr alle erwachsenen

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Muslime sondern weil es zur Tradition gehoumlrt Die bindende Funktion des islamishyschen Fastens vor allem die Festivitaumlten zu Ende der Fastenperiode lassen sich mit den Feierlichkeiten des Versoumlhnungstages im Judentum und mit der Weihnachtszeit des Christentums vergleichen

Die besondere Strenge des islamischen Fastens liegt darin dass es sich hier um Vollfasten handelt Das bedeutet dass jegshyliche Speisen und Getraumlnke sowie Tabak-rauch Geschlechtsverkehr und sogar das Riechen einer Blume untersagt sind Gefasshytet wird von der Morgendaumlmmerung bis zum Einbruch der Dunkelheit gemaumlszlig dem Koran bdquoEsset und trinkt bis ihr in der Morgendaumlmmerung einen weiszligen von eishynem schwarzen Faden unterscheiden koumlnnt Hierauf haltet das Fasten an bis zur Nachtldquo8 Die Dauer der Fastenzeit haumlngt von der Dauer des Monats Ramadan ab ndash es koumlnnen 29 oder 30 Tage sein der Moshynat beginnt sobald die Mondsichel zu seshyhen ist9

Jedes erwachsene gesunde und nicht reisende Mitglied der umma ist verpflichtet im Monat Ramadan zu fasten

Die genaueren Bestimmungen dieser Eigenschaften werden detailliert in den Gesetzen eroumlrtert und weichen in den einshyzelnen islamischen Rechtsschulen voneishynander ab Das individuelle Fasten ermoumlgshylicht die Entscheidung fuumlr jeden selbst ob er in der Lage ist diese religioumlse Pflicht auszufuumlhren Generell gilt Das Fasten ist eine Pflicht fuumlr alle Mitglieder der Geshymeinde und nur bestimmte Gruppen der Glaumlubigen werden von dieser Pflicht beshyfreit Es sind Frauen unter bestimmten Umstaumlnden Kinder aumlltere Menschen und schlieszliglich Reisende die das Fasten nicht immer einhalten muumlssen Fuumlr Frauen ist es die Zeit der monatlichen Blutung der Geshy

burt und der Schwangerschaft in der sie nicht zu fasten brauchen wobei jede Schwangere selbst zu entscheiden hat ob die Strapazen des Fastens ihr und dem Unshygeborenen nicht schaden10 Anders ist es mit der Monatsblutung und der Geburt da diese physiologischen Prozesse mit Blut verbunden sind Blut auch menschliches gilt im Islam als unrein und verunreinishygend Daher wird eine Frau unter diesen Umstaumlnden aus der fastenden Gemeinde ausgeschlossen auch wenn die Verunreinishygung im Islam ndash anders als im Judentum ndash nicht uumlbertragbar ist

Umstritten bleibt ab welchem Alter die Kinder fasten sollen Die Gesetze der islashymischen Rechtsschulen weichen hier vonshyeinander ab Die Vorgehensweise die Kinshyder langsam an das Fasten zu gewoumlhnen ist unterschiedlich in unterschiedlichen Regionen der islamischen Welt Generell fasten die Kinder zunaumlchst nur am ersten und letzten Tag des Monats Ramadan und jedes Jahr etwas laumlnger bis sie mit den Ershywachsenen mithalten koumlnnen11 Das vollshystaumlndige Fasten der Kinder ab dem ca zehnten Lebensjahr wie es in der fruumlheren Zeit praktiziert wurde wird heute nicht mehr allgemein eingehalten Die Gesetze sind hier in ihrem historischen Kontext zu verstehen waumlhrend sich die Erziehungsshymethoden auch im Kontext der Ausfuumlhshyrung religioumlser Rituale etwas dem Zeitshygeist angepasst haben

Fastendispens genieszligen auch aumlltere Menshyschen die allgemein unter einem besonshyderen Schutz in der islamischen Kultur steshyhen Der Islam bedient sich hier aumllterer arabischer Traditionen und verehrt aumlltere Menschen indem etwa diejenigen die ihr vierzigstes Lebensjahr erreicht haben von der Fastenpflicht befreit sind Im praktishyschen Leben sofern eine Person uumlberhaupt fastet tut sie dies auch bis zum Lebensende

Auch waumlhrend einer Reise wird ein Glaumlubiger vom Fasten befreit bdquoUnd wenn

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einer von euch () sich auf einer Reise befindet (und deshalb nicht fasten kann ist ihm) eine (entsprechende) Anzahl anshyderer Tage (zur Nachholung des Fastens auferlegt)ldquo lesen wir in Sure 2184 Es bleibt jedem selbst uumlberlassen zu entshyscheiden ob die Strapazen der Reise und die des Fastens die Gesundheit oder gar das Leben gefaumlhrden

Wie gezeigt wird der obligatorische Charakter des islamischen Fastens durch eine Reihe von Dispensen eingeschraumlnkt Hierzu gehoumlrt auch eine Gruppe die einen solchen Dispens zwar nicht gesetzlich geshynieszligt dennoch immer haumlufiger praktiziert es sind die Muslime in der Diaspora Das vollstaumlndige Fasten ist fuumlr diejenigen die in modernen Industrielaumlndern leben kaum haltbar die Vereinbarung der notwendigen Lebensrhythmusumstellungen mit dem beruflichen Leben ist eigentlich nicht durchfuumlhrbar Unabhaumlngig vom Typ der Beschaumlftigung haben der Verzicht auf Nahrung und Trank sowie die naumlchtlichen Treffen der Familie und Bekannten und schlieszliglich die laumlngeren Aufenthalte in Moscheen oder anderen Gebetsorten klare Konsequenzen fuumlr die Konzentrationsshyund Arbeitsfaumlhigkeit eines Fastenden Dashyher wird auf das Fasten haumlufig verzichtet Eine Moumlglichkeit die versaumlumten Fasten-tage nachzuholen und die praktische Vershyanlagung des Islam generell (immer wieshyder beruhigt der Koran die Glaumlubigen bdquoGott will es euch leicht machen nicht schwerldquo12) haben zur Folge dass die Rishytuale dem Alltag und seiner Realitaumlt angeshypasst werden Und wenn ein Glaumlubiger keine Moumlglichkeit sieht in seinen Berufsshyalltag die Strapazen des Fastens zu integshyrieren verzichtet er auf die Ausfuumlhrung des Rituals und der Monat Ramadan bleibt fuumlr ihn keine besondere Zeit

Noch bdquoeinfacherldquo abzulassen ist das isshylamische Pflichtgebet das fuumlnfmal taumlglich abzuhalten ist und mit einer Reihe von

Vorbereitungen verbunden ist In den islashymischen Laumlndern ndash und so auch zur Entshystehungszeit des Islam ndash soll das taumlgliche Gebet den Rhythmus der umma bestimmen Morgens (zwischen Morgendaumlmmerung (fajr) und dem Morgen (subh)) mittags (zuhr) nachmittags (rsquoasr) beim Sonnenshyuntergang (maghrib) und schlieszliglich nachts (rsquoisa) soll sich ein glaumlubiger Muslim zum Gebet aufstellen wobei die genauen Uhrshyzeiten von der Jahreszeit und geografishyschen Lage abhaumlngig sind In den islamishyschen Laumlndern wird den Glaumlubigen mit einem Gebetsruf (adhan) der Anfang der jeweiligen Gebetszeit mitgeteilt Ein solshycher Zeitaufwand war schon fuumlr die ersten Anhaumlnger des Islam enorm und ungeshywoumlhnlich bdquoIm Leben der vorislamischen Araber kann das Gebet wenn uumlberhaupt so nur eine untergeordnete Rolle gespielt haben Wohl werden auch sie sich zuweishylen mit ihren Anliegen an ihre Goumltter geshywandt haben aber als eine wiederholt oder gar staumlndig zu uumlbende Pflicht des Kultus haben sie das Gebet sicherlich nicht geshykannt Als Muhammed das Gebet zu einer staumlndigen Institution des Islam machte begegnete er hierbei zunaumlchst groszligen Schwierigkeitenldquo13

Um ein guumlltiges Gebet abzushyhalten muss sich ein Muslim

vorbereiten

Zunaumlchst ist es wichtig dass ein Gebet nur im Zustand ritueller Reinheit moumlglich ist Ein Glaumlubiger formuliert ndash meist nur in Gedanken ndash die Absicht (niyya) ein guumllshytiges Gebet durchzufuumlhren Jetzt ist die Zeit fuumlr die rituelle Waschung deren Abshylauf im Koran14 und spaumlter detailliert in der sunna (Tradition des Propheten in der seishyne Aussagen und Handlungen uumlberliefert werden sollen) sowie in weiteren juristishyschen Werken festgelegt wurde Drei Moumlgshylichkeiten hat ein Muslim seinen Koumlrper

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vor dem Gebet rituell zu reinigen die Wahl ist von der Verunreinigung und den vorhandenen Wasservorraumlten abhaumlngig Eine kleine (oder bdquonormaleldquo) Verunreinishygung (hadath) findet statt wenn ein Glaumlushybiger bull eine Person anderen Geschlechts beshy

ruumlhrt (ausgenommen der eigenen Eheshygattin)

bull eigene Geschlechtsteile beruumlhrt bull vom Abort zuruumlckkehrt bull eingeschlafen ist oder ohnmaumlchtig wurde

Hadath wird mit einer kleinen Washyschung (wudhu) beseitigt indem bull das Gesicht gewaschen wird (vom

Haaransatz bis zum Kinn und vom rechten zum linken Ohr)

bull die Haumlnde bis zu den Ellenbogen gewashyschen (erst die rechte dann die linke Seite beides dreifach) und die Zaumlhne geputzt werden

bull Mund und Nase ausgespuumllt werden (wobei das Wasser aus der rechten Hand aufgenommen und in die linke ausgespuumllt wird)

bull der Kopf (von vorn bis hinten) und die Ohren (auszligen und innen) mit Wasser bestrichen werden

bull die Fuumlszlige bis zu den Knoumlcheln gewashyschen werden (analog zu den Haumlnden zuerst die rechte dann die linke Seite beides dreifach)

bull Sollte sich ein Glaumlubiger im Zustand groszliger Unreinheit (janaba) befinden so ist auch eine groszlige Waschung (ghusl) durchzufuumlhren Janaba entsteht durch

bull Geschlechtsverkehr bull Ausstoszlig von Samenfluumlssigkeit (unabshy

haumlngig vom Geschlechtsverkehr) bull Menstruation bull Geburt bull Tod15

Ghusl ist ein Vollbad wobei es wichtig ist dass alle Koumlrperteile mit Wasser beshygossen werden Eine bestimmte Reihenshyfolge der Waschung wird hier nicht vorgeshy

geben Es ist leicht vorstellbar dass solche Reinigungspraktiken vor allem in den Wuumlstengebieten Saudi-Arabiens einen enormen Wasserverbrauch nach sich zoshygen Das Wasser fuumlr die rituelle Reinigung muss zudem sauber und bestenfalls flieshyszligend sein Daher gibt es eine Alternative zur Wasserreinigung ndash eine rituelle Sandshywaschung (tayammum) die selbstvershystaumlndlich nur symbolisch abzuhalten ist und eine Reibung von Haumlnden und Fuumlszligen sowie des Gesichts genuumlgt um eine kleine Verunreinigung zu beseitigen und ein Geshybet durchfuumlhren zu duumlrfen Auch die Kleishydung und der Ort an dem ein Gebet abgeshyhalten wird muumlssen rituell rein sein Obwohl ein Spruch des Propheten Mushyhammad besagt dass die ganze Erde eine Moschee sei ist es einem Muslim nicht ershylaubt auf den Friedhoumlfen in Schlachtshyhoumlfen Baumldern an Aborten sowie an Muumlllshyhalden zu beten Sollte ein Glaumlubiger keine Moumlglichkeit haben in einer Moshyschee zu beten so ist es wichtig dass sein aktueller Gebetsort sauber ist16 Auch ist die Kleidung sauber zu halten die Schuhe werden zum Gebet ausgezogen17

Erst wenn der Zustand ritushyeller Reinheit erreicht wurde ist es moumlglich ein Gebet zu

sprechen

Dies kann individuell oder in einer Geshymeinde meist in einer Moschee gescheshyhen Das Gebet in einer Gemeinde wird von einem Imam gefuumlhrt der allerdings nicht als islamisches Aumlquivalent des christlichen Priesters anzusehen ist Zu Beginn des Islam uumlbernahmen die Anfuumlhshyrer der islamischen Gemeinde (als Erster selbstverstaumlndlich der Prophet selbst) die Funktion des Imam in der Zeit der Erobeshyrungszuumlge waren es haumlufig Kommandeure des Heeres in den Staumldten Statthalter und schlieszliglich islamische Theologen und

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Rechtsgelehrte oder Personen mit besonshyderem Charisma Es ist eine Neuerscheishynung dass eine Moschee ihren eigenen Imam hat der seiner Funktion als beruflishyche Taumltigkeit nachgeht

Mindestens einmal woumlchentlich sollen sich die Glaumlubigen in einer Moschee vershysammeln ndash freitags zum Mittagsgebet Eine Predigt (khutba) wird bei dieser Gelegenshyheit ndash und noch vor dem eigentlichen Geshybet ndash gehalten Der Prediger kann muss aber nicht zwingend auch die Funktion des Imam innehaben Die khutba war schon in der vorislamischen arabischen Welt bekannt und wurde bei vielen Geleshygenheiten ndash wie Regelungen allerart zwishyschen Staumlmmen (Frieden schlieszligen Durchfuumlhrung der Blutrache Kriegsaufruf etc) und innerhalb des eigenen Stammes (bei groszligen Ereignissen wie Berufung eishynes neuen Stammesaumlltesten Hochzeiten Geburten etc) ndash gehalten Diese Tradition setzte Muhammad fort er selbst hielt die ersten Predigten und nutzte sie um die Regelungen des Islam zu verkuumlnden die Glaumlubigen in schwierigen Zeiten zu untershystuumltzen ihnen Mut Ausdauer und Beharrshylichkeit zuzusprechen und schlieszliglich um sie zum Kampf gegen bdquoFeinde des Islamldquo zu ermutigen Heute unterscheidet sich der Inhalt der Freitagspredigt vielerorts voneinander und wird auch haumlufig mit der aktuellen politischen und kulturellen Sishytuation der einzelnen Gemeinden und der gesamten islamischen umma verknuumlpft Die integrierende und kommunikative Rolle der Freitagspredigt und ihre Binshydung an die religioumlsen Pflichten der Musshylime sind nicht zu unterschaumltzen

Aumlhnlich wie das Fasten so ist auch die Ausfuumlhrung des Pflichtgebets in der Diasshypora haumlufig mit einem enormen Aufwand verbunden Die Quantitaumlt des Gebets die fehlenden Moumlglichkeiten entsprechende Waschungen vorzunehmen und schlieszligshylich einen geeigneten Ort zum Gebet zu

finden fuumlhren dazu dass viele Muslime auszligerhalb der islamischen Welt ihre Geshybetspflicht vernachlaumlssigen Waumlhrend das Nachholen der versaumlumten Fastentage noch realistisch ist so ist das beim Gebet ausgeschlossen alleine wegen der hohen Zahl der taumlglichen Pflichten Zwar wird das Problem schon ausfuumlhrlich in den jurisshytischen Werken des Islam behandelt da es sich hier nicht ausschlieszliglich um ein moshydernes Phaumlnomen handelt dennoch ist zu beobachten dass viele Muslime in der Diaspora immer seltener ihren religioumlsen Pflichten nachkommen und somit der Proshyzess der Saumlkularisierung hier eindeutig einsetzt

Selbstverstaumlndlich gibt es auch in der Diaspora viele Muslime die den Geboten nachgehen dennoch sind es meistens dieshyjenigen die ihre Religion nicht mit dem beruflichen Alltag in der westlichen Welt vereinbaren muumlssen Auch die Pilgerfahrt nach Mekka die jeder Glaumlubige einmal in seinem Leben unternehmen soll wird haumlushyfig vor allem aus finanziellen Gruumlnden hinausgezoumlgert Fuumlr eine Familie die in der Diaspora nicht selten mit materiellen Schwierigkeiten zu kaumlmpfen hat haumltte eishyne solche Reise moumlglicherweise ernsthafte Konsequenzen Fuumlr viele ist die Pilgershyfahrt (hajj) einfach nicht realisierbar dashyher berufen sie sich auf die Koranaussage bdquoUnd die Menschen die Gott gegenuumlber verpflichtet die Wallfahrt nach dem Haus (Karsquoba Anm der Autorin) zu machen ndash soweit sie dazu eine Moumlglichkeit findenldquo18

und verzichten auf die Reise nach Saudi-Arabien Schlieszliglich gilt bdquoWer die grundshysaumltzliche Pflicht zum hajj leugnet sei es fuumlr sich oder andere wird unglaumlubigldquo19

und ein Hinauszoumlgern muss nicht zwinshygend mit der Leugnung verbunden sein Der Verzicht auf die Pilgerfahrt ist nicht unbedingt als ein Merkmal der Muslime in der modernen Diaspora anzusehen waumlhshyrend ein gekuumlrztes oder gar ausgebliebenes

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Fasten sowie der Alltag ohne Pflichtgeshybet sicherlich zu solchen Charakteristika zaumlhlen

Die Interkulturalitaumlt des Islam ist fuumlr diese Religion und ihre Anhaumlnger kein Novum Schon zur Entstehungszeit wurde die muslimische Gemeinde mit etablierten Glaubenssystemen wie dem Judentum dem Christentum und dem Zoroastrismus konfrontiert Die ablehnende Position des Christentums dem Islam gegenuumlber die juumldischen Bewohner von Medina die in der Person Muhammads keinen Propheten sehen wollten und schlieszliglich der Vorshywurf des Synkretismus der sich vor allem unter westlichen Gelehrten verbreitete ershyschwerten zusaumltzlich das Etablieren der neuen Religion im spaumltantiken Nahen Osten Gleichzeitig gab diese besondere Situation der entstehenden Religion eine Chance sich ihrem Umfeld von Beginn an anzupassen und bot sich den neuen ndash und potentiellen ndash Anhaumlngern vor allem als eishyne attraktive Alternative die im Grunde nicht viel veraumlnderte das Bekannte beshywahrte und mit der Zeit das Gefuumlhl der Zugehoumlrigkeit zu einer groszligen ndash immer wachsenden ndash Gemeinde vermittelte Die beschuumltzende und integrierende Rolle der Idee des Islam ist im historischen Kontext der Zeit ihrer Entstehung nicht zu untershyschaumltzen

Eine solche Interkulturalitaumlt ist auch in Europa nicht neu Dennoch flammen imshymer wieder Diskussionen auf die vor bdquoUumlberfluss des Fremdenldquo und bdquoAusstershyben des eigenen Kulturerbesldquo warnen und die Uumlbernahmen von Sprachgewohnheishyten Mode oder Verhaltensweisen brandshymarken Selbstverstaumlndlich wuumlrde eine kritiklose Aneignung fremder Muster zum Verlust eigener Identitaumlt und zu einer Orishyentierungslosigkeit auf der multikulturelshylen Arena der modernen europaumlischen Realitaumlt fuumlhren dennoch scheint eine geshywisse Uumlbervorsichtigkeit dem Fremden

gegenuumlber zu herrschen Dabei ist die Inshyterkulturalitaumlt nicht unbedingt nur als eine Gefahr fuumlr bdquodas Eigeneldquo anzusehen Soshywohl die Gastgeber als auch die Migranten haben eine Chance voneinander zu profishytieren die Bedingung ist ndash sie muumlssen sich kennen Dazu gehoumlren sowohl die Sprache des Gastlandes als auch die Gepflogenheishyten der Gaumlste Eine Konfrontation mit neushyen kulturellen und religioumlsen Ideen kann zur Reflexion uumlber eigene Werte und Weltshyanschauungen anspornen Und schlieszliglich bedeutet die Integration nicht einen Vershyzicht auf das Eigene sondern eher eine Bereitschaft sich zu oumlffnen und neue Wershyte zu den eigenen zusaumltzlich aufzunehmen

Die Muslime sind in Oumlstershyreich die drittgroumlszligte anerkannte

Religionsgemeinschaft20

Somit ist es auch der Islam der die meiste auf die Minderheiten gerichtete Aufmerksamkeit genieszligt was Vor- aber oft auch Nachteile hat Spaumltestens seit 2001 laumlsst sich verstaumlrkt eine negative Thematisierung und Oumlffentlichkeit beshyobachten Einerseits ist es bdquoin Mode gekomshymenldquo in islamische Laumlnder zu reisen oder gar Arabisch zu studieren andererseits sind es nicht selten die Ignoranz vielleicht auch die Angst und schlieszliglich die Macht der Medien die haumlufig ein verzerrtes Bild dieser Religion ndash und ihrer Anhaumlnger ndash darstellen Der Islam ist fremd und somit sicherlich spannend vielleicht etwas exoshytisch fuumlr viele jedoch eher bedrohlich Seine Anhaumlnger sind selbstverstaumlndlich nicht homogen zu sehen Die Mehrheit der Muslime will bdquonurldquo ihre Religion leben ndash eine vielleicht gewagte These wenn man die Medienberichte der letzten Monate ja Jahre beruumlcksichtigt Einerseits sehen wir Menschen die ihr Gebet verrichten einshymal jaumlhrlich fasten vielleicht engere Konshytakte mit der Familie in Jordanien im Lishy

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banon oder im Iran pflegen sich traditioshynell kleiden und nicht wirklich an der bdquogroszligenldquo Integration interessiert sind Sie leben einfach hier in Europa und versushychen ihre Traditionen nicht aufzugeben Andererseits beaumlngstigen uns Berichte uumlber Terroranschlaumlge terroristische Netzshywerke und Besuche in sogenannten bdquoTershyrorcampsldquo Drohungen an die gesamte westliche Welt die als Videobotschaften im Internet kursieren Razzien der Polizei in Frankfurt Amsterdam Wien London und schlieszliglich Entfuumlhrungen und Hinshyrichtungen westlicher Touristen Angeshystellter oder Studenten in islamischen Laumlndern Wo liegt die Grenze zwischen Toleranz und Angst ja Panik Wo die Grenze zwischen Akzeptanz und Ablehshynung Und schlieszliglich ndash wo liegt die Grenshyze zwischen Integration und Abwehr

Die islamische umma zaumlhlt alleine in der Europaumlischen Union knapp 14 Millionen Mitglieder21 Es ist kaum moumlglich diese in sich heterogene Gruppe zu uumlberschauen oder zu kontrollieren Um sich den Muslishymen zu naumlhern bzw sie als Teil unserer Gemeinschaft wahrzunehmen ist es denshynoch wichtig sich mit ihren Vorstellungen und Werten (sofern diese kulturell-religioumls beeinflusst sind und man von bdquokollektiven Wertenldquo sprechen kann) zwecks eines besshyseren Verstaumlndnisses auseinanderzusetzen Das bedeutet auch den Islam als Religion aber auch Teil einer anderen Kultur besser kennen zu lernen seine Idee Geschichte und Praxis Denn Vertrautes houmlrt auf fremd zu sein Einen Beitrag hierzu zu liefern war Anspruch des vorliegenden Artikels

1 Ulram 2009 2 Ebd 9 3 Ebd 21 4 Endreszlig 1997 37 5 Nach islamischer Tradition sollte der

Prophet die ersten religioumlsen Erfahrunshy

gen seiner Frau Khadija anvertraut hashy

ben die ihn dazu ermutigt haben soll die

Botschaft Gottes zu verbreiten Interesshy

santerweise wird Khadija im Koran nicht

erwaumlhnt 6 Vgl Danecki 1998 29 ff 7 Vgl Hughes 1995 231b 8 Sure 2187

9 Eine genaue Bestimmung des Fastenanshy

fangs kann wegen Witterungsproblemen

und unterschiedlichen Ortszeiten Schwieshy

rigkeiten bereiten im Zweifelsfall duumlrfen

sich die Glaumlubigen nach der Zeit in Saushy

di-Arabien orientieren wo das obligatorishy

sche Fasten institutionalisiert wurde und

fuumlr alle Muslime auf der Welt gilt unabshy

haumlngig von der Zeitzone ihres Aufentshy

haltsortes Ein detailliertes Studium zu

Berechnungsmoumlglichkeiten und -praktika

fuumlr die Bestimmung der genauen Fastenshy

zeit im Monat Ramadan siehe Lech 1979 10 Vgl Motzki 1986 409

11 Vgl Schimmel 2002 100 12 Zum Beispiel Sure 2185 13 Mittwoch 1913 9 14 Interessanterweise sind es nur zwei Koshy

ranstellen die Genaueres zu den Vorbeshy

reitungen auf das Pflichtgebet sagen Sushy

re 443 und 56 Weitere Bestimmungen

und Konkretisierungen sind erst in den

Uumlberlieferungen zu finden die in der Zeit

nach dem Tode des Propheten niedergeshy

schrieben wurden oder gar entstanden 15 Detaillierte Beschreibung siehe zB

Reidegeld 2008 149ndash231 16 Haumlufig benutzen Muslime eine Matte

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oder einen Gebetsteppich (sajjada) wenn sie aushy

szligerhalb einer Moschee beten Auch die Boumlden in

Moscheen werden meistens mit Teppichen vershy

legt 17 Maumlnner muumlssen fuumlrs Gebet ihre Geschlechtsteishy

le bedecken am besten jedoch ihren Koumlrper von

der Brust bis zu den Knien bei Frauen gilt Nur

Gesicht und Fuumlszlige duumlrfen unbedeckt bleiben Dieshy

se Vorschriften variieren in ihren Details in den

islamischen Rechtsschulen 18 Sure 397 19 Reidegeld 2008 589 20 Khorchide 2009 9 21 Laut einer Statistik des Zentral-Instituts Islamshy

Archiv-Deutschland (Soest) hat sich die muslimishy

sche Gemeinschaft in Europa von 522 Mio

(2003) um 800000 auf uumlber 53 Mio (2005) ershy

houmlht Die Zunahme resultierte aus exakteren Dashy

ten der Behoumlrden Nach den Angaben gibt es die

meisten Muslime auf dem europaumlischen Kontishy

nent in Russland (25 Mio) gefolgt von der Tuumlrshy

kei (59 Mio) In der EU allein leben knapp 14

Mio Muslime die meisten davon in Frankreich

(55 Mio) und Deutschland (32 Mio)

httpwwwshortnewsdestartcfmid=593380

Abgerufen am 25012010

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tus Rechtshistorische und hadit ndash kritische Unshy

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baden

Mittwoch E (1913) Zur Entstehungsgeschichte

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Motzki H (1986) Das Kind und seine Sozialishy

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ters in Martin JNitschke A (Hg) Zur Sozialshy

geschichte der Kindheit Muumlnchen

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Weiterfuumlhrende Literatur und Links

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httpwwwfocusdepolitikdeutschland

konvertiten_aid_131946html Abgerufen am

20012010

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Ein Untergang der religioumlsen Rituale

Muslime in der Diaspora Die Praumlsenz des Islam in der westlichen Welt ist nicht neu Immer wieder

faszinierte die fremde Kultur und Religion die westlichen Reisenden Geshylehrten und auch Abenteurer Dennoch der Islam als ein Bestandteil des Allshytags einer westlichen Gesellschaft kann als ein Novum bezeichnet werden Zwar gehoumlren Moscheen und Minarette nicht ndash oder noch nicht ndash zu uumlblishychen Wahrzeichen der westlichen Landschaften doch verschleierte Frauen betende Studenten auf dem Campus oder Maumlnner mit einem Tasbih einer Gebetskette in den Haumlnden wundern niemanden mehr in groszligen und kleishynen Staumldten Europas Der Islam wird auch in der Diaspora aktiv gelebt und nach auszligen getragen Verbunden mit den wiederholten Terroranschlaumlgen und grausamen Bildern ermordeter ndash meist westlicher ndash Geiseln in islamishyschen Laumlndern wird der Islam mitunter als eine Bedrohung empfunden Eishynerseits wird zum Dialog und Offenheit aufgerufen Integration und Anpasshysungsfaumlhigkeit werden gefordert und gefoumlrdert Andererseits deuten die immer schaumlrferen Sicherheitskontrollen vor allem fuumlr Flugpassagiere sowie Reisewarnungen der Auswaumlrtigen Aumlmter auf eine Aumlnderung der allgemeishynen Sicherheitssituation hin Der Islam geriet dabei immer mehr in den Foshykus der Oumlffentlichkeit und wird von Teilen der Oumlffentlichkeit als Problem wahrgenommen Dennoch ndash der Islam und seine Anhaumlnger gehoumlren inzwishyschen zur westlichen Realitaumlt Durch die Ausfuumlhrung religioumlser Rituale grenzen sich die Muslime von der westlichen Gesellschaft ab und bewahren ihre eigene Kultur und Religion Gleichzeitig versuchen immer mehr ndash vor allem junge ndash Muslime sich den Bedingungen der westlichen Gesellschaft anzupassen was mit einer Einschraumlnkung des religioumlsen Lebens eng verbunshyden ist Ausgelassene Gebete und Fastentage sowie Besuche der Moscheen gehoumlren fuumlr diese Menschen zum Alltag in der Diaspora genauso wie die Aneignung der Sprachen Kleidungs- und Verhaltensmuster der westlichen Kultur

Ein neues (Un-)Sicherheitsgefuumlhl ist jeder zweite junge Oumlsterreicher sieht Probshyseit dem 11 September 2001 ein Charak- leme mit Zuwanderern unter jungen Migshyteristikum der multikulturellen westlichen ranten sind es sogar etwas mehr Ange-Gesellschaft geworden Der Islam ndash und fuumlhrt werden hier vor allem mangelnde seine Anhaumlnger ndash gerieten dabei in den Fo- Anpassung an die Lebens- und Verhaltensshykus des oumlffentlichen Interesses Es wird weisen und Wertvorstellungen der Oumlstershyuumlber den Islam gesprochen und geschrie- reicher mangelnde Deutschkenntnisse ben der Islam beaumlngstigt bedroht und Abkapselung und mangelnde Akzeptanz fasziniert gleichzeitig Laut einer unlaumlngst durch die Oumlsterreicherldquo2 Der Islam ist zu veroumlffentlichten Studie koumlnnen zB rund einem Problem geworden fuumlr das eine Loumlshy45 Prozent der in Oumlsterreich lebenden sung erwartet wird ndash von der Wissenshymuslimischen Migranten als religioumls-poli- schaft den Medien und schlieszliglich von tisch bezeichnet werden1 Dennoch bdquoZirka der (Innen-)Politik Ambivalent werden

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KATARZYNA A MEYER-HUBBERT fellow der Research School der Ruhr-Universitaumlt Bochum

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die muslimischen Migranten in der westlishychen Gesellschaft betrachtet abhaumlngig von der Intensitaumlt der Kontakte mit muslishymischen Kreisen reichen die Reaktionen von Akzeptanz uumlber Gleichguumlltigkeit bis hin zu Ablehnung oder gar Feindseligkeit Aumlhnlich ist die Einstellung der muslimishyschen Migranten ihrem Gastland gegenshyuumlber bdquoReligioumls-politische Muslime weishysen einen vergleichsweise hohen Anteil an Personen mit relativ kurzer Aufenthaltsshydauer in Oumlsterreich auf ihre Deutschshykenntnisse sind eher unterdurchschnittlich () Nur ein Fuumlnftel bezeichnet sich selbst als voumlllig integriert () Saumlkulare Muslishyme leben im Vergleich zur ersten Gruppe schon laumlnger in Oumlsterreich haben bessere Deutschkenntnisse (hellip) sie fuumlhlen sich eher mit Oumlsterreich verbunden und nur ein Drittel ist nicht mit der oumlsterreichischen Gesellschaft und ihren Wertvorstellungen einverstandenldquo3

Die europaumlische Interkultushyralitaumlt ist de facto ein kulturelshy

les Nebeneinander eine (un-)sichtbare Wand trennt hier Traditionen Werte Anshy

schauungen ja ganze Welten

Die Integration ist zum Albtraum und zum Fluch vieler geworden die sich mit den bdquoAnderenldquo beschaumlftigen Einerseits wird von den Gastgebern erwartet dass sie integrationsfaumlhig offen und tolerant sind Andererseits stehen die muslimishyschen Migranten oft am Pranger der Oumlffentlichkeit Waumlhrend sich die bdquoreligishyoumls-politischenldquo Gruppen in ihren Kultur-vereinen Moscheen und Haumlusern vor der Auszligenwelt verschlieszligen versuchen die bdquosaumlkularenldquo oder bdquoprogressivenldquo Muslishyme ihre Religion Gesetze und Verhalshytensweisen dieser Auszligenwelt zu vermitshyteln zu erklaumlren und uumlber sie kritisch zu diskutieren

Eine solche Situation der Integrationsshynotwendigkeit in einer etablierten Welt in der die damals neue religioumlse Idee des Isshylam nicht unbedingt willkommen war ist dieser Religion nicht neu Schon die Entshystehungszeit und -umstaumlnde des Islam washyren wahrscheinlich den heutigen Verhaumlltshynissen der Muslime in der Diaspora aumlhnlich Fuumlr den entstehenden Islam washyren jegliche aumlltere Glaubensformen als eishyne Bedrohung anzusehen und sollten als solche nicht weiter uumlberliefert werden und sich verbreiten Die vorislamische Epoche wird im Arabischen als jahiliya (Unwisshysenheit) bezeichnet was eine Zeit bdquoohne soziale(r) Fuumlrsorge (Almosen) () Sysshytem der privaten und kollektiven Sichershyheit (Blutrache Strafrecht) und () Famishylien- und Erbrechtldquo4 ndash eine Zeit ohne goumlttliche Offenbarung ndash bedeuten sollte

Aumlhnlich ist die Lebensgeschichte des Propheten Muhammad eigentlich nur aus islamischen Quellen bekannt und somit ist eine gruumlndliche historische Rekonstruktishyon kaum moumlglich Dennoch wird angeshynommen dass der Prophet Muhammad eishyne historische Gestalt gewesen ist die gegen 610 n Chr erste Offenbarungen ershyfahren haben soll und die schon kurze Zeit spaumlter die islamische Religion unter seinen Verwandten5 Bekannten und schlieszliglich in weiteren Kreisen der Bewohner von Mekka verbreitet haben soll Muhammad vertrat eine strikt monotheistische Idee die im Widerspruch mit altarabischen Glaubensvorstellungen stand Mit der Zeit fand er in Mekka immer mehr Anhaumlnger (dass es nur junge und arme Menschen waren wie es die islamische Tradition darshystellt kann historisch nicht bestaumltigt wershyden) und erlaubte sich immer schaumlrfere Atshytacken auf das bisherige Glaubenssystem und den Polytheismus Seine Ideen die unter anderem fuumlr eine Gleichstellung der Mitglieder der Glaubensgemeinschaft (umma) plaumldierten und schlieszliglich die

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wachsende Popularitaumlt Muhammads wurshyden fuumlr die regierende Elite in Mekka geshyfaumlhrlich Die Unzufriedenheit der Mekkashyner wuchs und schlieszliglich wurde Muhammad zur Flucht gezwungen Die sorgfaumlltig vorbereitete bdquoEmigrationldquo oder bdquoAuswanderungldquo (hijra) der Anhaumlnger Muhammads nach Yathrib spaumlter Medina die im Sommer 622 n Chr stattfand wurshyde wenig spaumlter als Anfang einer neuen Aumlra angesehen und dient als Beginn der islamischen Zeitrechnung

Erst in Medina entwickelten sich die Kompetenzen Muhammads nicht nur als religioumlser sondern auch als politischer Anfuumlhrer seiner Gemeinde Nach dem neuen Konzept gehoumlrten alle die an einen Gott (Allah) glaubten zu einer Gemeinde unabhaumlngig von ihrem finanziellen oder sozialen Status ihrer Herkunft und ihren politischen Ansichten Der Glaube ndash und die Sprache in der dieser Glaube verbreishytet wurde ndash verbanden alle Anhaumlnger des Islam was ein Novum in der bisherigen Stammesgesellschaft war Anstatt der Loyalitaumlt die eine Grundlage in einem ndash territorial eingeschraumlnkten ndash Stamm war wurde die Idee der Souveraumlnitaumlt verbreitet die charakteristisch fuumlr eine Gruppe wurshyde die sich theoretisch unbeschraumlnkt vershybreiten konnte Aus der damaligen Sicht war diese Form der Verbindung zwischen einzelnen Mitgliedern der Gesellschaft reshyvolutionaumlr So konnte naumlmlich die umma die gesamte Welt beherrschen und vereinishygen6 Ein bdquosichtbaresldquo Zeichen dieser Vershyeinigung waren die religioumlsen Rituale die den Lebensrhythmus der Glaumlubigen beshystimmten

Der Islam musste sich zu seiner Entshystehungszeit gegen die etablierten politishyschen und religioumlsen Systeme behaupten Gleichzeitig musste er seinen Anhaumlngern als eine attraktive Alternative erscheinen die jedoch nicht alles bisher Bekannte und Verehrte verwarf Neben dem neuen Konshy

zept der umma die auf der Basis des Glaubens ihrer Mitglieder beruhte wurshyden auch gesetzliche Regelungen geshytroffen die das gemeinsame Leben der Muslime untereinander ihre religioumlsen Pflichten sowie den Umgang mit Andersshyglaumlubigen festlegten Das islamische Recht (sharirsquoa) umfasst naumlmlich alle Reshygelungen die bdquosowohl zur Ehre Gottes als auch fuumlr die Pflichten des Lebensldquo7

von Bedeutung sind und ist ein typisches ius divinum Das bedeutet dass es sich um ein religioumlses Recht handelt dessen Ursprung in goumlttlicher Offenbarung zu finden sei Alle Aspekte des Lebens die Probleme des Alltags der zwischenshymenschlichen Umgangsformen und der Pflichten Gott gegenuumlber werden im islashymischen Recht behandelt Aber auch die Fragen der Ethik Moral und schlieszliglich des angebrachten Benehmens beschaumlftigshyten die islamischen Rechtsgelehrten Charakteristisch ist dass ndash als goumlttliches Recht ndash sharirsquoa nicht beliebig veraumlndert werden darf und die menschliche Ingeshyrenz hier aumluszligerst eingeschraumlnkt ist Das einmal festgelegte Gesetz darf eigentlich nur noch interpretiert oder erklaumlrt wershyden jegliche Novi sind untersagt Die besondere Form des islamischen Rechts und sein ndash mit anderen vor allem westshylichen Rechtssystemen ndash unvergleichshybarer Umfang gaben den Anhaumlngern des Islam ein Gefuumlhl einer Zugehoumlrigkeit zu einer besonderen Gemeinde und einer direkten Teilnahme an der Offenbarung Gottes Gleichzeitig war es fuumlr die regieshyrende Elite einfach alle Aspekte des Leshybens der Muslime durch das islamische Recht nicht nur zu regeln sondern auch zu kontrollieren Der Islam wurde nicht nur ein Glaubens- sondern auch ein Leshybenssystem dem sich immer mehr Menshyschen ndash freiwillig oder als Konsequenz der Eroberungszuumlge gezwungen ndash untershywarfen

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Die Kontinuitaumlt der schon im spaumltantishyken Nahen Osten bekannten Formen der religioumlsen Praxis und der rechtlichen Reshygelungen laumlsst sich im Islam zum Teil wieshydererkennen Dies ist allerdings kein Chashyrakteristikum dieses religioumlsen Systems und soll ihn nicht als eine bdquoIdeenvermishyschungldquo abstufen denn wie die meisten Glaubenssysteme der Welt musste auch der Islam um sich zu etablieren aus seishynem Umfeld schoumlpfen und sich um eine Fortsetzung des schon Bekannten bemuumlshyhen Die Vorbilder waren selbstverstaumlndshylich in der naumlchsten Nachbarschaft zu sushychen und wurden entweder komplett uumlbernommen veraumlndert oder aber kategoshyrisch abgelehnt Dies soll jedoch nicht beshydeuten dass es keine rein islamischen Braumluche oder Rituale gibt die in den umshyliegenden Glaubenssystemen unauffindshybar sind Aumlhnlich wie heute so waren es auch zur Entstehungszeit des Islam vor alshylem der Alltag und die nachbarschaftlishychen Kontakte der ersten Muslime mit Anshydersglaumlubigen die diese Prozesse der Uumlbernahme oder Abgrenzung beschleushynigten und die noch relativ formbare Geshystalt der religioumlsen Praxis festlegten

Es ist naumlmlich das Aumluszligere das auf Fremdes Unbekanntes

oder Neues aufmerksam macht

Die Kleidung Sprache und schlieszliglich die Rituale ndash ob religioumls oder saumlkular ndash sind die Elemente die am meisten auffalshylen und die auch am haumlufigsten nachgeshyahmt oder eben abgelehnt werden

Vor allem zwei islamische Rituale sind in der westlichen Welt heute besonders bdquosichtbarldquo und werden seitens der Muslishyme auch in der Diaspora mehr oder wenishyger in den Alltag integriert wenn auch haumlufig mit vielen Einschraumlnkungen ndash es sind dies das Fasten und das Gebet Die

Ausfuumlhrung dieser Rituale sorgt in der modernen westlichen Gesellschaft fuumlr Aufmerksamkeit Gespraumlche Interesse Verwunderung und schlieszliglich nicht selten fuumlr Verspottung vor allem in Kreisen die sich entweder dem Fremden nicht oumlffnen wollen oder es absichtlich mit Ablehnung oder gar Feindseligkeit betrachten

Der allgemein im Westen bekannte islashymische Monat Ramadan wird ganz richtig mit der Fastenzeit verbunden Leider wird er haumlufig nicht als Zeit der besonderen Konzentration auf den Glauben als Zeit des Gebets und der Meditation angesehen sondern als der Monat in dem die Muslishyme bdquodie Nacht zum Tag machenldquo Kaum wird das Problem der Umstellung thematishysiert die die Muslime vor allem in der Diaspora jedes Jahr ihrem Alltag anpassen muumlssen Denn das islamische Fasten ist besonders streng und mit analogen Rituashylen im Judentum oder Christentum nur beshyschraumlnkt vergleichbar Das Fasten ist prishymaumlr als ein Element des religioumlsen Kultus zu verstehen und als ein weit verbreitetes Ritual das in den meisten Glaubenssysteshymen der Welt sein Aumlquivalent hat auch wenn die Formen seiner Ausfuumlhrung vonshyeinander stark abweichen und Parallelen haumlufig nur muumlhsam zu finden sind Es ist sehr schwierig die Urspruumlnge des Fastens zu nennen da es weltweit verbreitet ist und trotz der Saumlkularisierung vieler Rituashyle mit einer erstaunlichen Konsequenz realisiert wird Auch in der heutigen moshydernen Gesellschaft wird das Fasten mit seinen bdquowiederentdecktenldquo heilenden wohltuenden und staumlrkenden Eigenschafshyten fast schon zu einer Modeerscheinung

Der Monat Ramadan als eine der wichshytigsten Perioden im islamischen Kalender hat neben der rituellen auch eine integrashytive Funktion fuumlr die umma Es wird gefasshytet nicht nur weil es ein Gebot Gottes ist und eine der fuumlnf Saumlulen des Islam also eine absolute Pflicht fuumlr alle erwachsenen

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Muslime sondern weil es zur Tradition gehoumlrt Die bindende Funktion des islamishyschen Fastens vor allem die Festivitaumlten zu Ende der Fastenperiode lassen sich mit den Feierlichkeiten des Versoumlhnungstages im Judentum und mit der Weihnachtszeit des Christentums vergleichen

Die besondere Strenge des islamischen Fastens liegt darin dass es sich hier um Vollfasten handelt Das bedeutet dass jegshyliche Speisen und Getraumlnke sowie Tabak-rauch Geschlechtsverkehr und sogar das Riechen einer Blume untersagt sind Gefasshytet wird von der Morgendaumlmmerung bis zum Einbruch der Dunkelheit gemaumlszlig dem Koran bdquoEsset und trinkt bis ihr in der Morgendaumlmmerung einen weiszligen von eishynem schwarzen Faden unterscheiden koumlnnt Hierauf haltet das Fasten an bis zur Nachtldquo8 Die Dauer der Fastenzeit haumlngt von der Dauer des Monats Ramadan ab ndash es koumlnnen 29 oder 30 Tage sein der Moshynat beginnt sobald die Mondsichel zu seshyhen ist9

Jedes erwachsene gesunde und nicht reisende Mitglied der umma ist verpflichtet im Monat Ramadan zu fasten

Die genaueren Bestimmungen dieser Eigenschaften werden detailliert in den Gesetzen eroumlrtert und weichen in den einshyzelnen islamischen Rechtsschulen voneishynander ab Das individuelle Fasten ermoumlgshylicht die Entscheidung fuumlr jeden selbst ob er in der Lage ist diese religioumlse Pflicht auszufuumlhren Generell gilt Das Fasten ist eine Pflicht fuumlr alle Mitglieder der Geshymeinde und nur bestimmte Gruppen der Glaumlubigen werden von dieser Pflicht beshyfreit Es sind Frauen unter bestimmten Umstaumlnden Kinder aumlltere Menschen und schlieszliglich Reisende die das Fasten nicht immer einhalten muumlssen Fuumlr Frauen ist es die Zeit der monatlichen Blutung der Geshy

burt und der Schwangerschaft in der sie nicht zu fasten brauchen wobei jede Schwangere selbst zu entscheiden hat ob die Strapazen des Fastens ihr und dem Unshygeborenen nicht schaden10 Anders ist es mit der Monatsblutung und der Geburt da diese physiologischen Prozesse mit Blut verbunden sind Blut auch menschliches gilt im Islam als unrein und verunreinishygend Daher wird eine Frau unter diesen Umstaumlnden aus der fastenden Gemeinde ausgeschlossen auch wenn die Verunreinishygung im Islam ndash anders als im Judentum ndash nicht uumlbertragbar ist

Umstritten bleibt ab welchem Alter die Kinder fasten sollen Die Gesetze der islashymischen Rechtsschulen weichen hier vonshyeinander ab Die Vorgehensweise die Kinshyder langsam an das Fasten zu gewoumlhnen ist unterschiedlich in unterschiedlichen Regionen der islamischen Welt Generell fasten die Kinder zunaumlchst nur am ersten und letzten Tag des Monats Ramadan und jedes Jahr etwas laumlnger bis sie mit den Ershywachsenen mithalten koumlnnen11 Das vollshystaumlndige Fasten der Kinder ab dem ca zehnten Lebensjahr wie es in der fruumlheren Zeit praktiziert wurde wird heute nicht mehr allgemein eingehalten Die Gesetze sind hier in ihrem historischen Kontext zu verstehen waumlhrend sich die Erziehungsshymethoden auch im Kontext der Ausfuumlhshyrung religioumlser Rituale etwas dem Zeitshygeist angepasst haben

Fastendispens genieszligen auch aumlltere Menshyschen die allgemein unter einem besonshyderen Schutz in der islamischen Kultur steshyhen Der Islam bedient sich hier aumllterer arabischer Traditionen und verehrt aumlltere Menschen indem etwa diejenigen die ihr vierzigstes Lebensjahr erreicht haben von der Fastenpflicht befreit sind Im praktishyschen Leben sofern eine Person uumlberhaupt fastet tut sie dies auch bis zum Lebensende

Auch waumlhrend einer Reise wird ein Glaumlubiger vom Fasten befreit bdquoUnd wenn

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einer von euch () sich auf einer Reise befindet (und deshalb nicht fasten kann ist ihm) eine (entsprechende) Anzahl anshyderer Tage (zur Nachholung des Fastens auferlegt)ldquo lesen wir in Sure 2184 Es bleibt jedem selbst uumlberlassen zu entshyscheiden ob die Strapazen der Reise und die des Fastens die Gesundheit oder gar das Leben gefaumlhrden

Wie gezeigt wird der obligatorische Charakter des islamischen Fastens durch eine Reihe von Dispensen eingeschraumlnkt Hierzu gehoumlrt auch eine Gruppe die einen solchen Dispens zwar nicht gesetzlich geshynieszligt dennoch immer haumlufiger praktiziert es sind die Muslime in der Diaspora Das vollstaumlndige Fasten ist fuumlr diejenigen die in modernen Industrielaumlndern leben kaum haltbar die Vereinbarung der notwendigen Lebensrhythmusumstellungen mit dem beruflichen Leben ist eigentlich nicht durchfuumlhrbar Unabhaumlngig vom Typ der Beschaumlftigung haben der Verzicht auf Nahrung und Trank sowie die naumlchtlichen Treffen der Familie und Bekannten und schlieszliglich die laumlngeren Aufenthalte in Moscheen oder anderen Gebetsorten klare Konsequenzen fuumlr die Konzentrationsshyund Arbeitsfaumlhigkeit eines Fastenden Dashyher wird auf das Fasten haumlufig verzichtet Eine Moumlglichkeit die versaumlumten Fasten-tage nachzuholen und die praktische Vershyanlagung des Islam generell (immer wieshyder beruhigt der Koran die Glaumlubigen bdquoGott will es euch leicht machen nicht schwerldquo12) haben zur Folge dass die Rishytuale dem Alltag und seiner Realitaumlt angeshypasst werden Und wenn ein Glaumlubiger keine Moumlglichkeit sieht in seinen Berufsshyalltag die Strapazen des Fastens zu integshyrieren verzichtet er auf die Ausfuumlhrung des Rituals und der Monat Ramadan bleibt fuumlr ihn keine besondere Zeit

Noch bdquoeinfacherldquo abzulassen ist das isshylamische Pflichtgebet das fuumlnfmal taumlglich abzuhalten ist und mit einer Reihe von

Vorbereitungen verbunden ist In den islashymischen Laumlndern ndash und so auch zur Entshystehungszeit des Islam ndash soll das taumlgliche Gebet den Rhythmus der umma bestimmen Morgens (zwischen Morgendaumlmmerung (fajr) und dem Morgen (subh)) mittags (zuhr) nachmittags (rsquoasr) beim Sonnenshyuntergang (maghrib) und schlieszliglich nachts (rsquoisa) soll sich ein glaumlubiger Muslim zum Gebet aufstellen wobei die genauen Uhrshyzeiten von der Jahreszeit und geografishyschen Lage abhaumlngig sind In den islamishyschen Laumlndern wird den Glaumlubigen mit einem Gebetsruf (adhan) der Anfang der jeweiligen Gebetszeit mitgeteilt Ein solshycher Zeitaufwand war schon fuumlr die ersten Anhaumlnger des Islam enorm und ungeshywoumlhnlich bdquoIm Leben der vorislamischen Araber kann das Gebet wenn uumlberhaupt so nur eine untergeordnete Rolle gespielt haben Wohl werden auch sie sich zuweishylen mit ihren Anliegen an ihre Goumltter geshywandt haben aber als eine wiederholt oder gar staumlndig zu uumlbende Pflicht des Kultus haben sie das Gebet sicherlich nicht geshykannt Als Muhammed das Gebet zu einer staumlndigen Institution des Islam machte begegnete er hierbei zunaumlchst groszligen Schwierigkeitenldquo13

Um ein guumlltiges Gebet abzushyhalten muss sich ein Muslim

vorbereiten

Zunaumlchst ist es wichtig dass ein Gebet nur im Zustand ritueller Reinheit moumlglich ist Ein Glaumlubiger formuliert ndash meist nur in Gedanken ndash die Absicht (niyya) ein guumllshytiges Gebet durchzufuumlhren Jetzt ist die Zeit fuumlr die rituelle Waschung deren Abshylauf im Koran14 und spaumlter detailliert in der sunna (Tradition des Propheten in der seishyne Aussagen und Handlungen uumlberliefert werden sollen) sowie in weiteren juristishyschen Werken festgelegt wurde Drei Moumlgshylichkeiten hat ein Muslim seinen Koumlrper

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vor dem Gebet rituell zu reinigen die Wahl ist von der Verunreinigung und den vorhandenen Wasservorraumlten abhaumlngig Eine kleine (oder bdquonormaleldquo) Verunreinishygung (hadath) findet statt wenn ein Glaumlushybiger bull eine Person anderen Geschlechts beshy

ruumlhrt (ausgenommen der eigenen Eheshygattin)

bull eigene Geschlechtsteile beruumlhrt bull vom Abort zuruumlckkehrt bull eingeschlafen ist oder ohnmaumlchtig wurde

Hadath wird mit einer kleinen Washyschung (wudhu) beseitigt indem bull das Gesicht gewaschen wird (vom

Haaransatz bis zum Kinn und vom rechten zum linken Ohr)

bull die Haumlnde bis zu den Ellenbogen gewashyschen (erst die rechte dann die linke Seite beides dreifach) und die Zaumlhne geputzt werden

bull Mund und Nase ausgespuumllt werden (wobei das Wasser aus der rechten Hand aufgenommen und in die linke ausgespuumllt wird)

bull der Kopf (von vorn bis hinten) und die Ohren (auszligen und innen) mit Wasser bestrichen werden

bull die Fuumlszlige bis zu den Knoumlcheln gewashyschen werden (analog zu den Haumlnden zuerst die rechte dann die linke Seite beides dreifach)

bull Sollte sich ein Glaumlubiger im Zustand groszliger Unreinheit (janaba) befinden so ist auch eine groszlige Waschung (ghusl) durchzufuumlhren Janaba entsteht durch

bull Geschlechtsverkehr bull Ausstoszlig von Samenfluumlssigkeit (unabshy

haumlngig vom Geschlechtsverkehr) bull Menstruation bull Geburt bull Tod15

Ghusl ist ein Vollbad wobei es wichtig ist dass alle Koumlrperteile mit Wasser beshygossen werden Eine bestimmte Reihenshyfolge der Waschung wird hier nicht vorgeshy

geben Es ist leicht vorstellbar dass solche Reinigungspraktiken vor allem in den Wuumlstengebieten Saudi-Arabiens einen enormen Wasserverbrauch nach sich zoshygen Das Wasser fuumlr die rituelle Reinigung muss zudem sauber und bestenfalls flieshyszligend sein Daher gibt es eine Alternative zur Wasserreinigung ndash eine rituelle Sandshywaschung (tayammum) die selbstvershystaumlndlich nur symbolisch abzuhalten ist und eine Reibung von Haumlnden und Fuumlszligen sowie des Gesichts genuumlgt um eine kleine Verunreinigung zu beseitigen und ein Geshybet durchfuumlhren zu duumlrfen Auch die Kleishydung und der Ort an dem ein Gebet abgeshyhalten wird muumlssen rituell rein sein Obwohl ein Spruch des Propheten Mushyhammad besagt dass die ganze Erde eine Moschee sei ist es einem Muslim nicht ershylaubt auf den Friedhoumlfen in Schlachtshyhoumlfen Baumldern an Aborten sowie an Muumlllshyhalden zu beten Sollte ein Glaumlubiger keine Moumlglichkeit haben in einer Moshyschee zu beten so ist es wichtig dass sein aktueller Gebetsort sauber ist16 Auch ist die Kleidung sauber zu halten die Schuhe werden zum Gebet ausgezogen17

Erst wenn der Zustand ritushyeller Reinheit erreicht wurde ist es moumlglich ein Gebet zu

sprechen

Dies kann individuell oder in einer Geshymeinde meist in einer Moschee gescheshyhen Das Gebet in einer Gemeinde wird von einem Imam gefuumlhrt der allerdings nicht als islamisches Aumlquivalent des christlichen Priesters anzusehen ist Zu Beginn des Islam uumlbernahmen die Anfuumlhshyrer der islamischen Gemeinde (als Erster selbstverstaumlndlich der Prophet selbst) die Funktion des Imam in der Zeit der Erobeshyrungszuumlge waren es haumlufig Kommandeure des Heeres in den Staumldten Statthalter und schlieszliglich islamische Theologen und

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Rechtsgelehrte oder Personen mit besonshyderem Charisma Es ist eine Neuerscheishynung dass eine Moschee ihren eigenen Imam hat der seiner Funktion als beruflishyche Taumltigkeit nachgeht

Mindestens einmal woumlchentlich sollen sich die Glaumlubigen in einer Moschee vershysammeln ndash freitags zum Mittagsgebet Eine Predigt (khutba) wird bei dieser Gelegenshyheit ndash und noch vor dem eigentlichen Geshybet ndash gehalten Der Prediger kann muss aber nicht zwingend auch die Funktion des Imam innehaben Die khutba war schon in der vorislamischen arabischen Welt bekannt und wurde bei vielen Geleshygenheiten ndash wie Regelungen allerart zwishyschen Staumlmmen (Frieden schlieszligen Durchfuumlhrung der Blutrache Kriegsaufruf etc) und innerhalb des eigenen Stammes (bei groszligen Ereignissen wie Berufung eishynes neuen Stammesaumlltesten Hochzeiten Geburten etc) ndash gehalten Diese Tradition setzte Muhammad fort er selbst hielt die ersten Predigten und nutzte sie um die Regelungen des Islam zu verkuumlnden die Glaumlubigen in schwierigen Zeiten zu untershystuumltzen ihnen Mut Ausdauer und Beharrshylichkeit zuzusprechen und schlieszliglich um sie zum Kampf gegen bdquoFeinde des Islamldquo zu ermutigen Heute unterscheidet sich der Inhalt der Freitagspredigt vielerorts voneinander und wird auch haumlufig mit der aktuellen politischen und kulturellen Sishytuation der einzelnen Gemeinden und der gesamten islamischen umma verknuumlpft Die integrierende und kommunikative Rolle der Freitagspredigt und ihre Binshydung an die religioumlsen Pflichten der Musshylime sind nicht zu unterschaumltzen

Aumlhnlich wie das Fasten so ist auch die Ausfuumlhrung des Pflichtgebets in der Diasshypora haumlufig mit einem enormen Aufwand verbunden Die Quantitaumlt des Gebets die fehlenden Moumlglichkeiten entsprechende Waschungen vorzunehmen und schlieszligshylich einen geeigneten Ort zum Gebet zu

finden fuumlhren dazu dass viele Muslime auszligerhalb der islamischen Welt ihre Geshybetspflicht vernachlaumlssigen Waumlhrend das Nachholen der versaumlumten Fastentage noch realistisch ist so ist das beim Gebet ausgeschlossen alleine wegen der hohen Zahl der taumlglichen Pflichten Zwar wird das Problem schon ausfuumlhrlich in den jurisshytischen Werken des Islam behandelt da es sich hier nicht ausschlieszliglich um ein moshydernes Phaumlnomen handelt dennoch ist zu beobachten dass viele Muslime in der Diaspora immer seltener ihren religioumlsen Pflichten nachkommen und somit der Proshyzess der Saumlkularisierung hier eindeutig einsetzt

Selbstverstaumlndlich gibt es auch in der Diaspora viele Muslime die den Geboten nachgehen dennoch sind es meistens dieshyjenigen die ihre Religion nicht mit dem beruflichen Alltag in der westlichen Welt vereinbaren muumlssen Auch die Pilgerfahrt nach Mekka die jeder Glaumlubige einmal in seinem Leben unternehmen soll wird haumlushyfig vor allem aus finanziellen Gruumlnden hinausgezoumlgert Fuumlr eine Familie die in der Diaspora nicht selten mit materiellen Schwierigkeiten zu kaumlmpfen hat haumltte eishyne solche Reise moumlglicherweise ernsthafte Konsequenzen Fuumlr viele ist die Pilgershyfahrt (hajj) einfach nicht realisierbar dashyher berufen sie sich auf die Koranaussage bdquoUnd die Menschen die Gott gegenuumlber verpflichtet die Wallfahrt nach dem Haus (Karsquoba Anm der Autorin) zu machen ndash soweit sie dazu eine Moumlglichkeit findenldquo18

und verzichten auf die Reise nach Saudi-Arabien Schlieszliglich gilt bdquoWer die grundshysaumltzliche Pflicht zum hajj leugnet sei es fuumlr sich oder andere wird unglaumlubigldquo19

und ein Hinauszoumlgern muss nicht zwinshygend mit der Leugnung verbunden sein Der Verzicht auf die Pilgerfahrt ist nicht unbedingt als ein Merkmal der Muslime in der modernen Diaspora anzusehen waumlhshyrend ein gekuumlrztes oder gar ausgebliebenes

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Fasten sowie der Alltag ohne Pflichtgeshybet sicherlich zu solchen Charakteristika zaumlhlen

Die Interkulturalitaumlt des Islam ist fuumlr diese Religion und ihre Anhaumlnger kein Novum Schon zur Entstehungszeit wurde die muslimische Gemeinde mit etablierten Glaubenssystemen wie dem Judentum dem Christentum und dem Zoroastrismus konfrontiert Die ablehnende Position des Christentums dem Islam gegenuumlber die juumldischen Bewohner von Medina die in der Person Muhammads keinen Propheten sehen wollten und schlieszliglich der Vorshywurf des Synkretismus der sich vor allem unter westlichen Gelehrten verbreitete ershyschwerten zusaumltzlich das Etablieren der neuen Religion im spaumltantiken Nahen Osten Gleichzeitig gab diese besondere Situation der entstehenden Religion eine Chance sich ihrem Umfeld von Beginn an anzupassen und bot sich den neuen ndash und potentiellen ndash Anhaumlngern vor allem als eishyne attraktive Alternative die im Grunde nicht viel veraumlnderte das Bekannte beshywahrte und mit der Zeit das Gefuumlhl der Zugehoumlrigkeit zu einer groszligen ndash immer wachsenden ndash Gemeinde vermittelte Die beschuumltzende und integrierende Rolle der Idee des Islam ist im historischen Kontext der Zeit ihrer Entstehung nicht zu untershyschaumltzen

Eine solche Interkulturalitaumlt ist auch in Europa nicht neu Dennoch flammen imshymer wieder Diskussionen auf die vor bdquoUumlberfluss des Fremdenldquo und bdquoAusstershyben des eigenen Kulturerbesldquo warnen und die Uumlbernahmen von Sprachgewohnheishyten Mode oder Verhaltensweisen brandshymarken Selbstverstaumlndlich wuumlrde eine kritiklose Aneignung fremder Muster zum Verlust eigener Identitaumlt und zu einer Orishyentierungslosigkeit auf der multikulturelshylen Arena der modernen europaumlischen Realitaumlt fuumlhren dennoch scheint eine geshywisse Uumlbervorsichtigkeit dem Fremden

gegenuumlber zu herrschen Dabei ist die Inshyterkulturalitaumlt nicht unbedingt nur als eine Gefahr fuumlr bdquodas Eigeneldquo anzusehen Soshywohl die Gastgeber als auch die Migranten haben eine Chance voneinander zu profishytieren die Bedingung ist ndash sie muumlssen sich kennen Dazu gehoumlren sowohl die Sprache des Gastlandes als auch die Gepflogenheishyten der Gaumlste Eine Konfrontation mit neushyen kulturellen und religioumlsen Ideen kann zur Reflexion uumlber eigene Werte und Weltshyanschauungen anspornen Und schlieszliglich bedeutet die Integration nicht einen Vershyzicht auf das Eigene sondern eher eine Bereitschaft sich zu oumlffnen und neue Wershyte zu den eigenen zusaumltzlich aufzunehmen

Die Muslime sind in Oumlstershyreich die drittgroumlszligte anerkannte

Religionsgemeinschaft20

Somit ist es auch der Islam der die meiste auf die Minderheiten gerichtete Aufmerksamkeit genieszligt was Vor- aber oft auch Nachteile hat Spaumltestens seit 2001 laumlsst sich verstaumlrkt eine negative Thematisierung und Oumlffentlichkeit beshyobachten Einerseits ist es bdquoin Mode gekomshymenldquo in islamische Laumlnder zu reisen oder gar Arabisch zu studieren andererseits sind es nicht selten die Ignoranz vielleicht auch die Angst und schlieszliglich die Macht der Medien die haumlufig ein verzerrtes Bild dieser Religion ndash und ihrer Anhaumlnger ndash darstellen Der Islam ist fremd und somit sicherlich spannend vielleicht etwas exoshytisch fuumlr viele jedoch eher bedrohlich Seine Anhaumlnger sind selbstverstaumlndlich nicht homogen zu sehen Die Mehrheit der Muslime will bdquonurldquo ihre Religion leben ndash eine vielleicht gewagte These wenn man die Medienberichte der letzten Monate ja Jahre beruumlcksichtigt Einerseits sehen wir Menschen die ihr Gebet verrichten einshymal jaumlhrlich fasten vielleicht engere Konshytakte mit der Familie in Jordanien im Lishy

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banon oder im Iran pflegen sich traditioshynell kleiden und nicht wirklich an der bdquogroszligenldquo Integration interessiert sind Sie leben einfach hier in Europa und versushychen ihre Traditionen nicht aufzugeben Andererseits beaumlngstigen uns Berichte uumlber Terroranschlaumlge terroristische Netzshywerke und Besuche in sogenannten bdquoTershyrorcampsldquo Drohungen an die gesamte westliche Welt die als Videobotschaften im Internet kursieren Razzien der Polizei in Frankfurt Amsterdam Wien London und schlieszliglich Entfuumlhrungen und Hinshyrichtungen westlicher Touristen Angeshystellter oder Studenten in islamischen Laumlndern Wo liegt die Grenze zwischen Toleranz und Angst ja Panik Wo die Grenze zwischen Akzeptanz und Ablehshynung Und schlieszliglich ndash wo liegt die Grenshyze zwischen Integration und Abwehr

Die islamische umma zaumlhlt alleine in der Europaumlischen Union knapp 14 Millionen Mitglieder21 Es ist kaum moumlglich diese in sich heterogene Gruppe zu uumlberschauen oder zu kontrollieren Um sich den Muslishymen zu naumlhern bzw sie als Teil unserer Gemeinschaft wahrzunehmen ist es denshynoch wichtig sich mit ihren Vorstellungen und Werten (sofern diese kulturell-religioumls beeinflusst sind und man von bdquokollektiven Wertenldquo sprechen kann) zwecks eines besshyseren Verstaumlndnisses auseinanderzusetzen Das bedeutet auch den Islam als Religion aber auch Teil einer anderen Kultur besser kennen zu lernen seine Idee Geschichte und Praxis Denn Vertrautes houmlrt auf fremd zu sein Einen Beitrag hierzu zu liefern war Anspruch des vorliegenden Artikels

1 Ulram 2009 2 Ebd 9 3 Ebd 21 4 Endreszlig 1997 37 5 Nach islamischer Tradition sollte der

Prophet die ersten religioumlsen Erfahrunshy

gen seiner Frau Khadija anvertraut hashy

ben die ihn dazu ermutigt haben soll die

Botschaft Gottes zu verbreiten Interesshy

santerweise wird Khadija im Koran nicht

erwaumlhnt 6 Vgl Danecki 1998 29 ff 7 Vgl Hughes 1995 231b 8 Sure 2187

9 Eine genaue Bestimmung des Fastenanshy

fangs kann wegen Witterungsproblemen

und unterschiedlichen Ortszeiten Schwieshy

rigkeiten bereiten im Zweifelsfall duumlrfen

sich die Glaumlubigen nach der Zeit in Saushy

di-Arabien orientieren wo das obligatorishy

sche Fasten institutionalisiert wurde und

fuumlr alle Muslime auf der Welt gilt unabshy

haumlngig von der Zeitzone ihres Aufentshy

haltsortes Ein detailliertes Studium zu

Berechnungsmoumlglichkeiten und -praktika

fuumlr die Bestimmung der genauen Fastenshy

zeit im Monat Ramadan siehe Lech 1979 10 Vgl Motzki 1986 409

11 Vgl Schimmel 2002 100 12 Zum Beispiel Sure 2185 13 Mittwoch 1913 9 14 Interessanterweise sind es nur zwei Koshy

ranstellen die Genaueres zu den Vorbeshy

reitungen auf das Pflichtgebet sagen Sushy

re 443 und 56 Weitere Bestimmungen

und Konkretisierungen sind erst in den

Uumlberlieferungen zu finden die in der Zeit

nach dem Tode des Propheten niedergeshy

schrieben wurden oder gar entstanden 15 Detaillierte Beschreibung siehe zB

Reidegeld 2008 149ndash231 16 Haumlufig benutzen Muslime eine Matte

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oder einen Gebetsteppich (sajjada) wenn sie aushy

szligerhalb einer Moschee beten Auch die Boumlden in

Moscheen werden meistens mit Teppichen vershy

legt 17 Maumlnner muumlssen fuumlrs Gebet ihre Geschlechtsteishy

le bedecken am besten jedoch ihren Koumlrper von

der Brust bis zu den Knien bei Frauen gilt Nur

Gesicht und Fuumlszlige duumlrfen unbedeckt bleiben Dieshy

se Vorschriften variieren in ihren Details in den

islamischen Rechtsschulen 18 Sure 397 19 Reidegeld 2008 589 20 Khorchide 2009 9 21 Laut einer Statistik des Zentral-Instituts Islamshy

Archiv-Deutschland (Soest) hat sich die muslimishy

sche Gemeinschaft in Europa von 522 Mio

(2003) um 800000 auf uumlber 53 Mio (2005) ershy

houmlht Die Zunahme resultierte aus exakteren Dashy

ten der Behoumlrden Nach den Angaben gibt es die

meisten Muslime auf dem europaumlischen Kontishy

nent in Russland (25 Mio) gefolgt von der Tuumlrshy

kei (59 Mio) In der EU allein leben knapp 14

Mio Muslime die meisten davon in Frankreich

(55 Mio) und Deutschland (32 Mio)

httpwwwshortnewsdestartcfmid=593380

Abgerufen am 25012010

Quellenangaben

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tus Rechtshistorische und hadit ndash kritische Unshy

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der rsquoIbadat Band1 Das ramadan Fasten Wiesshy

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Mittwoch E (1913) Zur Entstehungsgeschichte

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Motzki H (1986) Das Kind und seine Sozialishy

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ters in Martin JNitschke A (Hg) Zur Sozialshy

geschichte der Kindheit Muumlnchen

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Schimmel A (2002) Das islamische Jahr Zeiten

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Weiterfuumlhrende Literatur und Links

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die muslimischen Migranten in der westlishychen Gesellschaft betrachtet abhaumlngig von der Intensitaumlt der Kontakte mit muslishymischen Kreisen reichen die Reaktionen von Akzeptanz uumlber Gleichguumlltigkeit bis hin zu Ablehnung oder gar Feindseligkeit Aumlhnlich ist die Einstellung der muslimishyschen Migranten ihrem Gastland gegenshyuumlber bdquoReligioumls-politische Muslime weishysen einen vergleichsweise hohen Anteil an Personen mit relativ kurzer Aufenthaltsshydauer in Oumlsterreich auf ihre Deutschshykenntnisse sind eher unterdurchschnittlich () Nur ein Fuumlnftel bezeichnet sich selbst als voumlllig integriert () Saumlkulare Muslishyme leben im Vergleich zur ersten Gruppe schon laumlnger in Oumlsterreich haben bessere Deutschkenntnisse (hellip) sie fuumlhlen sich eher mit Oumlsterreich verbunden und nur ein Drittel ist nicht mit der oumlsterreichischen Gesellschaft und ihren Wertvorstellungen einverstandenldquo3

Die europaumlische Interkultushyralitaumlt ist de facto ein kulturelshy

les Nebeneinander eine (un-)sichtbare Wand trennt hier Traditionen Werte Anshy

schauungen ja ganze Welten

Die Integration ist zum Albtraum und zum Fluch vieler geworden die sich mit den bdquoAnderenldquo beschaumlftigen Einerseits wird von den Gastgebern erwartet dass sie integrationsfaumlhig offen und tolerant sind Andererseits stehen die muslimishyschen Migranten oft am Pranger der Oumlffentlichkeit Waumlhrend sich die bdquoreligishyoumls-politischenldquo Gruppen in ihren Kultur-vereinen Moscheen und Haumlusern vor der Auszligenwelt verschlieszligen versuchen die bdquosaumlkularenldquo oder bdquoprogressivenldquo Muslishyme ihre Religion Gesetze und Verhalshytensweisen dieser Auszligenwelt zu vermitshyteln zu erklaumlren und uumlber sie kritisch zu diskutieren

Eine solche Situation der Integrationsshynotwendigkeit in einer etablierten Welt in der die damals neue religioumlse Idee des Isshylam nicht unbedingt willkommen war ist dieser Religion nicht neu Schon die Entshystehungszeit und -umstaumlnde des Islam washyren wahrscheinlich den heutigen Verhaumlltshynissen der Muslime in der Diaspora aumlhnlich Fuumlr den entstehenden Islam washyren jegliche aumlltere Glaubensformen als eishyne Bedrohung anzusehen und sollten als solche nicht weiter uumlberliefert werden und sich verbreiten Die vorislamische Epoche wird im Arabischen als jahiliya (Unwisshysenheit) bezeichnet was eine Zeit bdquoohne soziale(r) Fuumlrsorge (Almosen) () Sysshytem der privaten und kollektiven Sichershyheit (Blutrache Strafrecht) und () Famishylien- und Erbrechtldquo4 ndash eine Zeit ohne goumlttliche Offenbarung ndash bedeuten sollte

Aumlhnlich ist die Lebensgeschichte des Propheten Muhammad eigentlich nur aus islamischen Quellen bekannt und somit ist eine gruumlndliche historische Rekonstruktishyon kaum moumlglich Dennoch wird angeshynommen dass der Prophet Muhammad eishyne historische Gestalt gewesen ist die gegen 610 n Chr erste Offenbarungen ershyfahren haben soll und die schon kurze Zeit spaumlter die islamische Religion unter seinen Verwandten5 Bekannten und schlieszliglich in weiteren Kreisen der Bewohner von Mekka verbreitet haben soll Muhammad vertrat eine strikt monotheistische Idee die im Widerspruch mit altarabischen Glaubensvorstellungen stand Mit der Zeit fand er in Mekka immer mehr Anhaumlnger (dass es nur junge und arme Menschen waren wie es die islamische Tradition darshystellt kann historisch nicht bestaumltigt wershyden) und erlaubte sich immer schaumlrfere Atshytacken auf das bisherige Glaubenssystem und den Polytheismus Seine Ideen die unter anderem fuumlr eine Gleichstellung der Mitglieder der Glaubensgemeinschaft (umma) plaumldierten und schlieszliglich die

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wachsende Popularitaumlt Muhammads wurshyden fuumlr die regierende Elite in Mekka geshyfaumlhrlich Die Unzufriedenheit der Mekkashyner wuchs und schlieszliglich wurde Muhammad zur Flucht gezwungen Die sorgfaumlltig vorbereitete bdquoEmigrationldquo oder bdquoAuswanderungldquo (hijra) der Anhaumlnger Muhammads nach Yathrib spaumlter Medina die im Sommer 622 n Chr stattfand wurshyde wenig spaumlter als Anfang einer neuen Aumlra angesehen und dient als Beginn der islamischen Zeitrechnung

Erst in Medina entwickelten sich die Kompetenzen Muhammads nicht nur als religioumlser sondern auch als politischer Anfuumlhrer seiner Gemeinde Nach dem neuen Konzept gehoumlrten alle die an einen Gott (Allah) glaubten zu einer Gemeinde unabhaumlngig von ihrem finanziellen oder sozialen Status ihrer Herkunft und ihren politischen Ansichten Der Glaube ndash und die Sprache in der dieser Glaube verbreishytet wurde ndash verbanden alle Anhaumlnger des Islam was ein Novum in der bisherigen Stammesgesellschaft war Anstatt der Loyalitaumlt die eine Grundlage in einem ndash territorial eingeschraumlnkten ndash Stamm war wurde die Idee der Souveraumlnitaumlt verbreitet die charakteristisch fuumlr eine Gruppe wurshyde die sich theoretisch unbeschraumlnkt vershybreiten konnte Aus der damaligen Sicht war diese Form der Verbindung zwischen einzelnen Mitgliedern der Gesellschaft reshyvolutionaumlr So konnte naumlmlich die umma die gesamte Welt beherrschen und vereinishygen6 Ein bdquosichtbaresldquo Zeichen dieser Vershyeinigung waren die religioumlsen Rituale die den Lebensrhythmus der Glaumlubigen beshystimmten

Der Islam musste sich zu seiner Entshystehungszeit gegen die etablierten politishyschen und religioumlsen Systeme behaupten Gleichzeitig musste er seinen Anhaumlngern als eine attraktive Alternative erscheinen die jedoch nicht alles bisher Bekannte und Verehrte verwarf Neben dem neuen Konshy

zept der umma die auf der Basis des Glaubens ihrer Mitglieder beruhte wurshyden auch gesetzliche Regelungen geshytroffen die das gemeinsame Leben der Muslime untereinander ihre religioumlsen Pflichten sowie den Umgang mit Andersshyglaumlubigen festlegten Das islamische Recht (sharirsquoa) umfasst naumlmlich alle Reshygelungen die bdquosowohl zur Ehre Gottes als auch fuumlr die Pflichten des Lebensldquo7

von Bedeutung sind und ist ein typisches ius divinum Das bedeutet dass es sich um ein religioumlses Recht handelt dessen Ursprung in goumlttlicher Offenbarung zu finden sei Alle Aspekte des Lebens die Probleme des Alltags der zwischenshymenschlichen Umgangsformen und der Pflichten Gott gegenuumlber werden im islashymischen Recht behandelt Aber auch die Fragen der Ethik Moral und schlieszliglich des angebrachten Benehmens beschaumlftigshyten die islamischen Rechtsgelehrten Charakteristisch ist dass ndash als goumlttliches Recht ndash sharirsquoa nicht beliebig veraumlndert werden darf und die menschliche Ingeshyrenz hier aumluszligerst eingeschraumlnkt ist Das einmal festgelegte Gesetz darf eigentlich nur noch interpretiert oder erklaumlrt wershyden jegliche Novi sind untersagt Die besondere Form des islamischen Rechts und sein ndash mit anderen vor allem westshylichen Rechtssystemen ndash unvergleichshybarer Umfang gaben den Anhaumlngern des Islam ein Gefuumlhl einer Zugehoumlrigkeit zu einer besonderen Gemeinde und einer direkten Teilnahme an der Offenbarung Gottes Gleichzeitig war es fuumlr die regieshyrende Elite einfach alle Aspekte des Leshybens der Muslime durch das islamische Recht nicht nur zu regeln sondern auch zu kontrollieren Der Islam wurde nicht nur ein Glaubens- sondern auch ein Leshybenssystem dem sich immer mehr Menshyschen ndash freiwillig oder als Konsequenz der Eroberungszuumlge gezwungen ndash untershywarfen

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Die Kontinuitaumlt der schon im spaumltantishyken Nahen Osten bekannten Formen der religioumlsen Praxis und der rechtlichen Reshygelungen laumlsst sich im Islam zum Teil wieshydererkennen Dies ist allerdings kein Chashyrakteristikum dieses religioumlsen Systems und soll ihn nicht als eine bdquoIdeenvermishyschungldquo abstufen denn wie die meisten Glaubenssysteme der Welt musste auch der Islam um sich zu etablieren aus seishynem Umfeld schoumlpfen und sich um eine Fortsetzung des schon Bekannten bemuumlshyhen Die Vorbilder waren selbstverstaumlndshylich in der naumlchsten Nachbarschaft zu sushychen und wurden entweder komplett uumlbernommen veraumlndert oder aber kategoshyrisch abgelehnt Dies soll jedoch nicht beshydeuten dass es keine rein islamischen Braumluche oder Rituale gibt die in den umshyliegenden Glaubenssystemen unauffindshybar sind Aumlhnlich wie heute so waren es auch zur Entstehungszeit des Islam vor alshylem der Alltag und die nachbarschaftlishychen Kontakte der ersten Muslime mit Anshydersglaumlubigen die diese Prozesse der Uumlbernahme oder Abgrenzung beschleushynigten und die noch relativ formbare Geshystalt der religioumlsen Praxis festlegten

Es ist naumlmlich das Aumluszligere das auf Fremdes Unbekanntes

oder Neues aufmerksam macht

Die Kleidung Sprache und schlieszliglich die Rituale ndash ob religioumls oder saumlkular ndash sind die Elemente die am meisten auffalshylen und die auch am haumlufigsten nachgeshyahmt oder eben abgelehnt werden

Vor allem zwei islamische Rituale sind in der westlichen Welt heute besonders bdquosichtbarldquo und werden seitens der Muslishyme auch in der Diaspora mehr oder wenishyger in den Alltag integriert wenn auch haumlufig mit vielen Einschraumlnkungen ndash es sind dies das Fasten und das Gebet Die

Ausfuumlhrung dieser Rituale sorgt in der modernen westlichen Gesellschaft fuumlr Aufmerksamkeit Gespraumlche Interesse Verwunderung und schlieszliglich nicht selten fuumlr Verspottung vor allem in Kreisen die sich entweder dem Fremden nicht oumlffnen wollen oder es absichtlich mit Ablehnung oder gar Feindseligkeit betrachten

Der allgemein im Westen bekannte islashymische Monat Ramadan wird ganz richtig mit der Fastenzeit verbunden Leider wird er haumlufig nicht als Zeit der besonderen Konzentration auf den Glauben als Zeit des Gebets und der Meditation angesehen sondern als der Monat in dem die Muslishyme bdquodie Nacht zum Tag machenldquo Kaum wird das Problem der Umstellung thematishysiert die die Muslime vor allem in der Diaspora jedes Jahr ihrem Alltag anpassen muumlssen Denn das islamische Fasten ist besonders streng und mit analogen Rituashylen im Judentum oder Christentum nur beshyschraumlnkt vergleichbar Das Fasten ist prishymaumlr als ein Element des religioumlsen Kultus zu verstehen und als ein weit verbreitetes Ritual das in den meisten Glaubenssysteshymen der Welt sein Aumlquivalent hat auch wenn die Formen seiner Ausfuumlhrung vonshyeinander stark abweichen und Parallelen haumlufig nur muumlhsam zu finden sind Es ist sehr schwierig die Urspruumlnge des Fastens zu nennen da es weltweit verbreitet ist und trotz der Saumlkularisierung vieler Rituashyle mit einer erstaunlichen Konsequenz realisiert wird Auch in der heutigen moshydernen Gesellschaft wird das Fasten mit seinen bdquowiederentdecktenldquo heilenden wohltuenden und staumlrkenden Eigenschafshyten fast schon zu einer Modeerscheinung

Der Monat Ramadan als eine der wichshytigsten Perioden im islamischen Kalender hat neben der rituellen auch eine integrashytive Funktion fuumlr die umma Es wird gefasshytet nicht nur weil es ein Gebot Gottes ist und eine der fuumlnf Saumlulen des Islam also eine absolute Pflicht fuumlr alle erwachsenen

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Muslime sondern weil es zur Tradition gehoumlrt Die bindende Funktion des islamishyschen Fastens vor allem die Festivitaumlten zu Ende der Fastenperiode lassen sich mit den Feierlichkeiten des Versoumlhnungstages im Judentum und mit der Weihnachtszeit des Christentums vergleichen

Die besondere Strenge des islamischen Fastens liegt darin dass es sich hier um Vollfasten handelt Das bedeutet dass jegshyliche Speisen und Getraumlnke sowie Tabak-rauch Geschlechtsverkehr und sogar das Riechen einer Blume untersagt sind Gefasshytet wird von der Morgendaumlmmerung bis zum Einbruch der Dunkelheit gemaumlszlig dem Koran bdquoEsset und trinkt bis ihr in der Morgendaumlmmerung einen weiszligen von eishynem schwarzen Faden unterscheiden koumlnnt Hierauf haltet das Fasten an bis zur Nachtldquo8 Die Dauer der Fastenzeit haumlngt von der Dauer des Monats Ramadan ab ndash es koumlnnen 29 oder 30 Tage sein der Moshynat beginnt sobald die Mondsichel zu seshyhen ist9

Jedes erwachsene gesunde und nicht reisende Mitglied der umma ist verpflichtet im Monat Ramadan zu fasten

Die genaueren Bestimmungen dieser Eigenschaften werden detailliert in den Gesetzen eroumlrtert und weichen in den einshyzelnen islamischen Rechtsschulen voneishynander ab Das individuelle Fasten ermoumlgshylicht die Entscheidung fuumlr jeden selbst ob er in der Lage ist diese religioumlse Pflicht auszufuumlhren Generell gilt Das Fasten ist eine Pflicht fuumlr alle Mitglieder der Geshymeinde und nur bestimmte Gruppen der Glaumlubigen werden von dieser Pflicht beshyfreit Es sind Frauen unter bestimmten Umstaumlnden Kinder aumlltere Menschen und schlieszliglich Reisende die das Fasten nicht immer einhalten muumlssen Fuumlr Frauen ist es die Zeit der monatlichen Blutung der Geshy

burt und der Schwangerschaft in der sie nicht zu fasten brauchen wobei jede Schwangere selbst zu entscheiden hat ob die Strapazen des Fastens ihr und dem Unshygeborenen nicht schaden10 Anders ist es mit der Monatsblutung und der Geburt da diese physiologischen Prozesse mit Blut verbunden sind Blut auch menschliches gilt im Islam als unrein und verunreinishygend Daher wird eine Frau unter diesen Umstaumlnden aus der fastenden Gemeinde ausgeschlossen auch wenn die Verunreinishygung im Islam ndash anders als im Judentum ndash nicht uumlbertragbar ist

Umstritten bleibt ab welchem Alter die Kinder fasten sollen Die Gesetze der islashymischen Rechtsschulen weichen hier vonshyeinander ab Die Vorgehensweise die Kinshyder langsam an das Fasten zu gewoumlhnen ist unterschiedlich in unterschiedlichen Regionen der islamischen Welt Generell fasten die Kinder zunaumlchst nur am ersten und letzten Tag des Monats Ramadan und jedes Jahr etwas laumlnger bis sie mit den Ershywachsenen mithalten koumlnnen11 Das vollshystaumlndige Fasten der Kinder ab dem ca zehnten Lebensjahr wie es in der fruumlheren Zeit praktiziert wurde wird heute nicht mehr allgemein eingehalten Die Gesetze sind hier in ihrem historischen Kontext zu verstehen waumlhrend sich die Erziehungsshymethoden auch im Kontext der Ausfuumlhshyrung religioumlser Rituale etwas dem Zeitshygeist angepasst haben

Fastendispens genieszligen auch aumlltere Menshyschen die allgemein unter einem besonshyderen Schutz in der islamischen Kultur steshyhen Der Islam bedient sich hier aumllterer arabischer Traditionen und verehrt aumlltere Menschen indem etwa diejenigen die ihr vierzigstes Lebensjahr erreicht haben von der Fastenpflicht befreit sind Im praktishyschen Leben sofern eine Person uumlberhaupt fastet tut sie dies auch bis zum Lebensende

Auch waumlhrend einer Reise wird ein Glaumlubiger vom Fasten befreit bdquoUnd wenn

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einer von euch () sich auf einer Reise befindet (und deshalb nicht fasten kann ist ihm) eine (entsprechende) Anzahl anshyderer Tage (zur Nachholung des Fastens auferlegt)ldquo lesen wir in Sure 2184 Es bleibt jedem selbst uumlberlassen zu entshyscheiden ob die Strapazen der Reise und die des Fastens die Gesundheit oder gar das Leben gefaumlhrden

Wie gezeigt wird der obligatorische Charakter des islamischen Fastens durch eine Reihe von Dispensen eingeschraumlnkt Hierzu gehoumlrt auch eine Gruppe die einen solchen Dispens zwar nicht gesetzlich geshynieszligt dennoch immer haumlufiger praktiziert es sind die Muslime in der Diaspora Das vollstaumlndige Fasten ist fuumlr diejenigen die in modernen Industrielaumlndern leben kaum haltbar die Vereinbarung der notwendigen Lebensrhythmusumstellungen mit dem beruflichen Leben ist eigentlich nicht durchfuumlhrbar Unabhaumlngig vom Typ der Beschaumlftigung haben der Verzicht auf Nahrung und Trank sowie die naumlchtlichen Treffen der Familie und Bekannten und schlieszliglich die laumlngeren Aufenthalte in Moscheen oder anderen Gebetsorten klare Konsequenzen fuumlr die Konzentrationsshyund Arbeitsfaumlhigkeit eines Fastenden Dashyher wird auf das Fasten haumlufig verzichtet Eine Moumlglichkeit die versaumlumten Fasten-tage nachzuholen und die praktische Vershyanlagung des Islam generell (immer wieshyder beruhigt der Koran die Glaumlubigen bdquoGott will es euch leicht machen nicht schwerldquo12) haben zur Folge dass die Rishytuale dem Alltag und seiner Realitaumlt angeshypasst werden Und wenn ein Glaumlubiger keine Moumlglichkeit sieht in seinen Berufsshyalltag die Strapazen des Fastens zu integshyrieren verzichtet er auf die Ausfuumlhrung des Rituals und der Monat Ramadan bleibt fuumlr ihn keine besondere Zeit

Noch bdquoeinfacherldquo abzulassen ist das isshylamische Pflichtgebet das fuumlnfmal taumlglich abzuhalten ist und mit einer Reihe von

Vorbereitungen verbunden ist In den islashymischen Laumlndern ndash und so auch zur Entshystehungszeit des Islam ndash soll das taumlgliche Gebet den Rhythmus der umma bestimmen Morgens (zwischen Morgendaumlmmerung (fajr) und dem Morgen (subh)) mittags (zuhr) nachmittags (rsquoasr) beim Sonnenshyuntergang (maghrib) und schlieszliglich nachts (rsquoisa) soll sich ein glaumlubiger Muslim zum Gebet aufstellen wobei die genauen Uhrshyzeiten von der Jahreszeit und geografishyschen Lage abhaumlngig sind In den islamishyschen Laumlndern wird den Glaumlubigen mit einem Gebetsruf (adhan) der Anfang der jeweiligen Gebetszeit mitgeteilt Ein solshycher Zeitaufwand war schon fuumlr die ersten Anhaumlnger des Islam enorm und ungeshywoumlhnlich bdquoIm Leben der vorislamischen Araber kann das Gebet wenn uumlberhaupt so nur eine untergeordnete Rolle gespielt haben Wohl werden auch sie sich zuweishylen mit ihren Anliegen an ihre Goumltter geshywandt haben aber als eine wiederholt oder gar staumlndig zu uumlbende Pflicht des Kultus haben sie das Gebet sicherlich nicht geshykannt Als Muhammed das Gebet zu einer staumlndigen Institution des Islam machte begegnete er hierbei zunaumlchst groszligen Schwierigkeitenldquo13

Um ein guumlltiges Gebet abzushyhalten muss sich ein Muslim

vorbereiten

Zunaumlchst ist es wichtig dass ein Gebet nur im Zustand ritueller Reinheit moumlglich ist Ein Glaumlubiger formuliert ndash meist nur in Gedanken ndash die Absicht (niyya) ein guumllshytiges Gebet durchzufuumlhren Jetzt ist die Zeit fuumlr die rituelle Waschung deren Abshylauf im Koran14 und spaumlter detailliert in der sunna (Tradition des Propheten in der seishyne Aussagen und Handlungen uumlberliefert werden sollen) sowie in weiteren juristishyschen Werken festgelegt wurde Drei Moumlgshylichkeiten hat ein Muslim seinen Koumlrper

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vor dem Gebet rituell zu reinigen die Wahl ist von der Verunreinigung und den vorhandenen Wasservorraumlten abhaumlngig Eine kleine (oder bdquonormaleldquo) Verunreinishygung (hadath) findet statt wenn ein Glaumlushybiger bull eine Person anderen Geschlechts beshy

ruumlhrt (ausgenommen der eigenen Eheshygattin)

bull eigene Geschlechtsteile beruumlhrt bull vom Abort zuruumlckkehrt bull eingeschlafen ist oder ohnmaumlchtig wurde

Hadath wird mit einer kleinen Washyschung (wudhu) beseitigt indem bull das Gesicht gewaschen wird (vom

Haaransatz bis zum Kinn und vom rechten zum linken Ohr)

bull die Haumlnde bis zu den Ellenbogen gewashyschen (erst die rechte dann die linke Seite beides dreifach) und die Zaumlhne geputzt werden

bull Mund und Nase ausgespuumllt werden (wobei das Wasser aus der rechten Hand aufgenommen und in die linke ausgespuumllt wird)

bull der Kopf (von vorn bis hinten) und die Ohren (auszligen und innen) mit Wasser bestrichen werden

bull die Fuumlszlige bis zu den Knoumlcheln gewashyschen werden (analog zu den Haumlnden zuerst die rechte dann die linke Seite beides dreifach)

bull Sollte sich ein Glaumlubiger im Zustand groszliger Unreinheit (janaba) befinden so ist auch eine groszlige Waschung (ghusl) durchzufuumlhren Janaba entsteht durch

bull Geschlechtsverkehr bull Ausstoszlig von Samenfluumlssigkeit (unabshy

haumlngig vom Geschlechtsverkehr) bull Menstruation bull Geburt bull Tod15

Ghusl ist ein Vollbad wobei es wichtig ist dass alle Koumlrperteile mit Wasser beshygossen werden Eine bestimmte Reihenshyfolge der Waschung wird hier nicht vorgeshy

geben Es ist leicht vorstellbar dass solche Reinigungspraktiken vor allem in den Wuumlstengebieten Saudi-Arabiens einen enormen Wasserverbrauch nach sich zoshygen Das Wasser fuumlr die rituelle Reinigung muss zudem sauber und bestenfalls flieshyszligend sein Daher gibt es eine Alternative zur Wasserreinigung ndash eine rituelle Sandshywaschung (tayammum) die selbstvershystaumlndlich nur symbolisch abzuhalten ist und eine Reibung von Haumlnden und Fuumlszligen sowie des Gesichts genuumlgt um eine kleine Verunreinigung zu beseitigen und ein Geshybet durchfuumlhren zu duumlrfen Auch die Kleishydung und der Ort an dem ein Gebet abgeshyhalten wird muumlssen rituell rein sein Obwohl ein Spruch des Propheten Mushyhammad besagt dass die ganze Erde eine Moschee sei ist es einem Muslim nicht ershylaubt auf den Friedhoumlfen in Schlachtshyhoumlfen Baumldern an Aborten sowie an Muumlllshyhalden zu beten Sollte ein Glaumlubiger keine Moumlglichkeit haben in einer Moshyschee zu beten so ist es wichtig dass sein aktueller Gebetsort sauber ist16 Auch ist die Kleidung sauber zu halten die Schuhe werden zum Gebet ausgezogen17

Erst wenn der Zustand ritushyeller Reinheit erreicht wurde ist es moumlglich ein Gebet zu

sprechen

Dies kann individuell oder in einer Geshymeinde meist in einer Moschee gescheshyhen Das Gebet in einer Gemeinde wird von einem Imam gefuumlhrt der allerdings nicht als islamisches Aumlquivalent des christlichen Priesters anzusehen ist Zu Beginn des Islam uumlbernahmen die Anfuumlhshyrer der islamischen Gemeinde (als Erster selbstverstaumlndlich der Prophet selbst) die Funktion des Imam in der Zeit der Erobeshyrungszuumlge waren es haumlufig Kommandeure des Heeres in den Staumldten Statthalter und schlieszliglich islamische Theologen und

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Rechtsgelehrte oder Personen mit besonshyderem Charisma Es ist eine Neuerscheishynung dass eine Moschee ihren eigenen Imam hat der seiner Funktion als beruflishyche Taumltigkeit nachgeht

Mindestens einmal woumlchentlich sollen sich die Glaumlubigen in einer Moschee vershysammeln ndash freitags zum Mittagsgebet Eine Predigt (khutba) wird bei dieser Gelegenshyheit ndash und noch vor dem eigentlichen Geshybet ndash gehalten Der Prediger kann muss aber nicht zwingend auch die Funktion des Imam innehaben Die khutba war schon in der vorislamischen arabischen Welt bekannt und wurde bei vielen Geleshygenheiten ndash wie Regelungen allerart zwishyschen Staumlmmen (Frieden schlieszligen Durchfuumlhrung der Blutrache Kriegsaufruf etc) und innerhalb des eigenen Stammes (bei groszligen Ereignissen wie Berufung eishynes neuen Stammesaumlltesten Hochzeiten Geburten etc) ndash gehalten Diese Tradition setzte Muhammad fort er selbst hielt die ersten Predigten und nutzte sie um die Regelungen des Islam zu verkuumlnden die Glaumlubigen in schwierigen Zeiten zu untershystuumltzen ihnen Mut Ausdauer und Beharrshylichkeit zuzusprechen und schlieszliglich um sie zum Kampf gegen bdquoFeinde des Islamldquo zu ermutigen Heute unterscheidet sich der Inhalt der Freitagspredigt vielerorts voneinander und wird auch haumlufig mit der aktuellen politischen und kulturellen Sishytuation der einzelnen Gemeinden und der gesamten islamischen umma verknuumlpft Die integrierende und kommunikative Rolle der Freitagspredigt und ihre Binshydung an die religioumlsen Pflichten der Musshylime sind nicht zu unterschaumltzen

Aumlhnlich wie das Fasten so ist auch die Ausfuumlhrung des Pflichtgebets in der Diasshypora haumlufig mit einem enormen Aufwand verbunden Die Quantitaumlt des Gebets die fehlenden Moumlglichkeiten entsprechende Waschungen vorzunehmen und schlieszligshylich einen geeigneten Ort zum Gebet zu

finden fuumlhren dazu dass viele Muslime auszligerhalb der islamischen Welt ihre Geshybetspflicht vernachlaumlssigen Waumlhrend das Nachholen der versaumlumten Fastentage noch realistisch ist so ist das beim Gebet ausgeschlossen alleine wegen der hohen Zahl der taumlglichen Pflichten Zwar wird das Problem schon ausfuumlhrlich in den jurisshytischen Werken des Islam behandelt da es sich hier nicht ausschlieszliglich um ein moshydernes Phaumlnomen handelt dennoch ist zu beobachten dass viele Muslime in der Diaspora immer seltener ihren religioumlsen Pflichten nachkommen und somit der Proshyzess der Saumlkularisierung hier eindeutig einsetzt

Selbstverstaumlndlich gibt es auch in der Diaspora viele Muslime die den Geboten nachgehen dennoch sind es meistens dieshyjenigen die ihre Religion nicht mit dem beruflichen Alltag in der westlichen Welt vereinbaren muumlssen Auch die Pilgerfahrt nach Mekka die jeder Glaumlubige einmal in seinem Leben unternehmen soll wird haumlushyfig vor allem aus finanziellen Gruumlnden hinausgezoumlgert Fuumlr eine Familie die in der Diaspora nicht selten mit materiellen Schwierigkeiten zu kaumlmpfen hat haumltte eishyne solche Reise moumlglicherweise ernsthafte Konsequenzen Fuumlr viele ist die Pilgershyfahrt (hajj) einfach nicht realisierbar dashyher berufen sie sich auf die Koranaussage bdquoUnd die Menschen die Gott gegenuumlber verpflichtet die Wallfahrt nach dem Haus (Karsquoba Anm der Autorin) zu machen ndash soweit sie dazu eine Moumlglichkeit findenldquo18

und verzichten auf die Reise nach Saudi-Arabien Schlieszliglich gilt bdquoWer die grundshysaumltzliche Pflicht zum hajj leugnet sei es fuumlr sich oder andere wird unglaumlubigldquo19

und ein Hinauszoumlgern muss nicht zwinshygend mit der Leugnung verbunden sein Der Verzicht auf die Pilgerfahrt ist nicht unbedingt als ein Merkmal der Muslime in der modernen Diaspora anzusehen waumlhshyrend ein gekuumlrztes oder gar ausgebliebenes

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Fasten sowie der Alltag ohne Pflichtgeshybet sicherlich zu solchen Charakteristika zaumlhlen

Die Interkulturalitaumlt des Islam ist fuumlr diese Religion und ihre Anhaumlnger kein Novum Schon zur Entstehungszeit wurde die muslimische Gemeinde mit etablierten Glaubenssystemen wie dem Judentum dem Christentum und dem Zoroastrismus konfrontiert Die ablehnende Position des Christentums dem Islam gegenuumlber die juumldischen Bewohner von Medina die in der Person Muhammads keinen Propheten sehen wollten und schlieszliglich der Vorshywurf des Synkretismus der sich vor allem unter westlichen Gelehrten verbreitete ershyschwerten zusaumltzlich das Etablieren der neuen Religion im spaumltantiken Nahen Osten Gleichzeitig gab diese besondere Situation der entstehenden Religion eine Chance sich ihrem Umfeld von Beginn an anzupassen und bot sich den neuen ndash und potentiellen ndash Anhaumlngern vor allem als eishyne attraktive Alternative die im Grunde nicht viel veraumlnderte das Bekannte beshywahrte und mit der Zeit das Gefuumlhl der Zugehoumlrigkeit zu einer groszligen ndash immer wachsenden ndash Gemeinde vermittelte Die beschuumltzende und integrierende Rolle der Idee des Islam ist im historischen Kontext der Zeit ihrer Entstehung nicht zu untershyschaumltzen

Eine solche Interkulturalitaumlt ist auch in Europa nicht neu Dennoch flammen imshymer wieder Diskussionen auf die vor bdquoUumlberfluss des Fremdenldquo und bdquoAusstershyben des eigenen Kulturerbesldquo warnen und die Uumlbernahmen von Sprachgewohnheishyten Mode oder Verhaltensweisen brandshymarken Selbstverstaumlndlich wuumlrde eine kritiklose Aneignung fremder Muster zum Verlust eigener Identitaumlt und zu einer Orishyentierungslosigkeit auf der multikulturelshylen Arena der modernen europaumlischen Realitaumlt fuumlhren dennoch scheint eine geshywisse Uumlbervorsichtigkeit dem Fremden

gegenuumlber zu herrschen Dabei ist die Inshyterkulturalitaumlt nicht unbedingt nur als eine Gefahr fuumlr bdquodas Eigeneldquo anzusehen Soshywohl die Gastgeber als auch die Migranten haben eine Chance voneinander zu profishytieren die Bedingung ist ndash sie muumlssen sich kennen Dazu gehoumlren sowohl die Sprache des Gastlandes als auch die Gepflogenheishyten der Gaumlste Eine Konfrontation mit neushyen kulturellen und religioumlsen Ideen kann zur Reflexion uumlber eigene Werte und Weltshyanschauungen anspornen Und schlieszliglich bedeutet die Integration nicht einen Vershyzicht auf das Eigene sondern eher eine Bereitschaft sich zu oumlffnen und neue Wershyte zu den eigenen zusaumltzlich aufzunehmen

Die Muslime sind in Oumlstershyreich die drittgroumlszligte anerkannte

Religionsgemeinschaft20

Somit ist es auch der Islam der die meiste auf die Minderheiten gerichtete Aufmerksamkeit genieszligt was Vor- aber oft auch Nachteile hat Spaumltestens seit 2001 laumlsst sich verstaumlrkt eine negative Thematisierung und Oumlffentlichkeit beshyobachten Einerseits ist es bdquoin Mode gekomshymenldquo in islamische Laumlnder zu reisen oder gar Arabisch zu studieren andererseits sind es nicht selten die Ignoranz vielleicht auch die Angst und schlieszliglich die Macht der Medien die haumlufig ein verzerrtes Bild dieser Religion ndash und ihrer Anhaumlnger ndash darstellen Der Islam ist fremd und somit sicherlich spannend vielleicht etwas exoshytisch fuumlr viele jedoch eher bedrohlich Seine Anhaumlnger sind selbstverstaumlndlich nicht homogen zu sehen Die Mehrheit der Muslime will bdquonurldquo ihre Religion leben ndash eine vielleicht gewagte These wenn man die Medienberichte der letzten Monate ja Jahre beruumlcksichtigt Einerseits sehen wir Menschen die ihr Gebet verrichten einshymal jaumlhrlich fasten vielleicht engere Konshytakte mit der Familie in Jordanien im Lishy

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banon oder im Iran pflegen sich traditioshynell kleiden und nicht wirklich an der bdquogroszligenldquo Integration interessiert sind Sie leben einfach hier in Europa und versushychen ihre Traditionen nicht aufzugeben Andererseits beaumlngstigen uns Berichte uumlber Terroranschlaumlge terroristische Netzshywerke und Besuche in sogenannten bdquoTershyrorcampsldquo Drohungen an die gesamte westliche Welt die als Videobotschaften im Internet kursieren Razzien der Polizei in Frankfurt Amsterdam Wien London und schlieszliglich Entfuumlhrungen und Hinshyrichtungen westlicher Touristen Angeshystellter oder Studenten in islamischen Laumlndern Wo liegt die Grenze zwischen Toleranz und Angst ja Panik Wo die Grenze zwischen Akzeptanz und Ablehshynung Und schlieszliglich ndash wo liegt die Grenshyze zwischen Integration und Abwehr

Die islamische umma zaumlhlt alleine in der Europaumlischen Union knapp 14 Millionen Mitglieder21 Es ist kaum moumlglich diese in sich heterogene Gruppe zu uumlberschauen oder zu kontrollieren Um sich den Muslishymen zu naumlhern bzw sie als Teil unserer Gemeinschaft wahrzunehmen ist es denshynoch wichtig sich mit ihren Vorstellungen und Werten (sofern diese kulturell-religioumls beeinflusst sind und man von bdquokollektiven Wertenldquo sprechen kann) zwecks eines besshyseren Verstaumlndnisses auseinanderzusetzen Das bedeutet auch den Islam als Religion aber auch Teil einer anderen Kultur besser kennen zu lernen seine Idee Geschichte und Praxis Denn Vertrautes houmlrt auf fremd zu sein Einen Beitrag hierzu zu liefern war Anspruch des vorliegenden Artikels

1 Ulram 2009 2 Ebd 9 3 Ebd 21 4 Endreszlig 1997 37 5 Nach islamischer Tradition sollte der

Prophet die ersten religioumlsen Erfahrunshy

gen seiner Frau Khadija anvertraut hashy

ben die ihn dazu ermutigt haben soll die

Botschaft Gottes zu verbreiten Interesshy

santerweise wird Khadija im Koran nicht

erwaumlhnt 6 Vgl Danecki 1998 29 ff 7 Vgl Hughes 1995 231b 8 Sure 2187

9 Eine genaue Bestimmung des Fastenanshy

fangs kann wegen Witterungsproblemen

und unterschiedlichen Ortszeiten Schwieshy

rigkeiten bereiten im Zweifelsfall duumlrfen

sich die Glaumlubigen nach der Zeit in Saushy

di-Arabien orientieren wo das obligatorishy

sche Fasten institutionalisiert wurde und

fuumlr alle Muslime auf der Welt gilt unabshy

haumlngig von der Zeitzone ihres Aufentshy

haltsortes Ein detailliertes Studium zu

Berechnungsmoumlglichkeiten und -praktika

fuumlr die Bestimmung der genauen Fastenshy

zeit im Monat Ramadan siehe Lech 1979 10 Vgl Motzki 1986 409

11 Vgl Schimmel 2002 100 12 Zum Beispiel Sure 2185 13 Mittwoch 1913 9 14 Interessanterweise sind es nur zwei Koshy

ranstellen die Genaueres zu den Vorbeshy

reitungen auf das Pflichtgebet sagen Sushy

re 443 und 56 Weitere Bestimmungen

und Konkretisierungen sind erst in den

Uumlberlieferungen zu finden die in der Zeit

nach dem Tode des Propheten niedergeshy

schrieben wurden oder gar entstanden 15 Detaillierte Beschreibung siehe zB

Reidegeld 2008 149ndash231 16 Haumlufig benutzen Muslime eine Matte

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oder einen Gebetsteppich (sajjada) wenn sie aushy

szligerhalb einer Moschee beten Auch die Boumlden in

Moscheen werden meistens mit Teppichen vershy

legt 17 Maumlnner muumlssen fuumlrs Gebet ihre Geschlechtsteishy

le bedecken am besten jedoch ihren Koumlrper von

der Brust bis zu den Knien bei Frauen gilt Nur

Gesicht und Fuumlszlige duumlrfen unbedeckt bleiben Dieshy

se Vorschriften variieren in ihren Details in den

islamischen Rechtsschulen 18 Sure 397 19 Reidegeld 2008 589 20 Khorchide 2009 9 21 Laut einer Statistik des Zentral-Instituts Islamshy

Archiv-Deutschland (Soest) hat sich die muslimishy

sche Gemeinschaft in Europa von 522 Mio

(2003) um 800000 auf uumlber 53 Mio (2005) ershy

houmlht Die Zunahme resultierte aus exakteren Dashy

ten der Behoumlrden Nach den Angaben gibt es die

meisten Muslime auf dem europaumlischen Kontishy

nent in Russland (25 Mio) gefolgt von der Tuumlrshy

kei (59 Mio) In der EU allein leben knapp 14

Mio Muslime die meisten davon in Frankreich

(55 Mio) und Deutschland (32 Mio)

httpwwwshortnewsdestartcfmid=593380

Abgerufen am 25012010

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der rsquoIbadat Band1 Das ramadan Fasten Wiesshy

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20012010

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wachsende Popularitaumlt Muhammads wurshyden fuumlr die regierende Elite in Mekka geshyfaumlhrlich Die Unzufriedenheit der Mekkashyner wuchs und schlieszliglich wurde Muhammad zur Flucht gezwungen Die sorgfaumlltig vorbereitete bdquoEmigrationldquo oder bdquoAuswanderungldquo (hijra) der Anhaumlnger Muhammads nach Yathrib spaumlter Medina die im Sommer 622 n Chr stattfand wurshyde wenig spaumlter als Anfang einer neuen Aumlra angesehen und dient als Beginn der islamischen Zeitrechnung

Erst in Medina entwickelten sich die Kompetenzen Muhammads nicht nur als religioumlser sondern auch als politischer Anfuumlhrer seiner Gemeinde Nach dem neuen Konzept gehoumlrten alle die an einen Gott (Allah) glaubten zu einer Gemeinde unabhaumlngig von ihrem finanziellen oder sozialen Status ihrer Herkunft und ihren politischen Ansichten Der Glaube ndash und die Sprache in der dieser Glaube verbreishytet wurde ndash verbanden alle Anhaumlnger des Islam was ein Novum in der bisherigen Stammesgesellschaft war Anstatt der Loyalitaumlt die eine Grundlage in einem ndash territorial eingeschraumlnkten ndash Stamm war wurde die Idee der Souveraumlnitaumlt verbreitet die charakteristisch fuumlr eine Gruppe wurshyde die sich theoretisch unbeschraumlnkt vershybreiten konnte Aus der damaligen Sicht war diese Form der Verbindung zwischen einzelnen Mitgliedern der Gesellschaft reshyvolutionaumlr So konnte naumlmlich die umma die gesamte Welt beherrschen und vereinishygen6 Ein bdquosichtbaresldquo Zeichen dieser Vershyeinigung waren die religioumlsen Rituale die den Lebensrhythmus der Glaumlubigen beshystimmten

Der Islam musste sich zu seiner Entshystehungszeit gegen die etablierten politishyschen und religioumlsen Systeme behaupten Gleichzeitig musste er seinen Anhaumlngern als eine attraktive Alternative erscheinen die jedoch nicht alles bisher Bekannte und Verehrte verwarf Neben dem neuen Konshy

zept der umma die auf der Basis des Glaubens ihrer Mitglieder beruhte wurshyden auch gesetzliche Regelungen geshytroffen die das gemeinsame Leben der Muslime untereinander ihre religioumlsen Pflichten sowie den Umgang mit Andersshyglaumlubigen festlegten Das islamische Recht (sharirsquoa) umfasst naumlmlich alle Reshygelungen die bdquosowohl zur Ehre Gottes als auch fuumlr die Pflichten des Lebensldquo7

von Bedeutung sind und ist ein typisches ius divinum Das bedeutet dass es sich um ein religioumlses Recht handelt dessen Ursprung in goumlttlicher Offenbarung zu finden sei Alle Aspekte des Lebens die Probleme des Alltags der zwischenshymenschlichen Umgangsformen und der Pflichten Gott gegenuumlber werden im islashymischen Recht behandelt Aber auch die Fragen der Ethik Moral und schlieszliglich des angebrachten Benehmens beschaumlftigshyten die islamischen Rechtsgelehrten Charakteristisch ist dass ndash als goumlttliches Recht ndash sharirsquoa nicht beliebig veraumlndert werden darf und die menschliche Ingeshyrenz hier aumluszligerst eingeschraumlnkt ist Das einmal festgelegte Gesetz darf eigentlich nur noch interpretiert oder erklaumlrt wershyden jegliche Novi sind untersagt Die besondere Form des islamischen Rechts und sein ndash mit anderen vor allem westshylichen Rechtssystemen ndash unvergleichshybarer Umfang gaben den Anhaumlngern des Islam ein Gefuumlhl einer Zugehoumlrigkeit zu einer besonderen Gemeinde und einer direkten Teilnahme an der Offenbarung Gottes Gleichzeitig war es fuumlr die regieshyrende Elite einfach alle Aspekte des Leshybens der Muslime durch das islamische Recht nicht nur zu regeln sondern auch zu kontrollieren Der Islam wurde nicht nur ein Glaubens- sondern auch ein Leshybenssystem dem sich immer mehr Menshyschen ndash freiwillig oder als Konsequenz der Eroberungszuumlge gezwungen ndash untershywarfen

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Die Kontinuitaumlt der schon im spaumltantishyken Nahen Osten bekannten Formen der religioumlsen Praxis und der rechtlichen Reshygelungen laumlsst sich im Islam zum Teil wieshydererkennen Dies ist allerdings kein Chashyrakteristikum dieses religioumlsen Systems und soll ihn nicht als eine bdquoIdeenvermishyschungldquo abstufen denn wie die meisten Glaubenssysteme der Welt musste auch der Islam um sich zu etablieren aus seishynem Umfeld schoumlpfen und sich um eine Fortsetzung des schon Bekannten bemuumlshyhen Die Vorbilder waren selbstverstaumlndshylich in der naumlchsten Nachbarschaft zu sushychen und wurden entweder komplett uumlbernommen veraumlndert oder aber kategoshyrisch abgelehnt Dies soll jedoch nicht beshydeuten dass es keine rein islamischen Braumluche oder Rituale gibt die in den umshyliegenden Glaubenssystemen unauffindshybar sind Aumlhnlich wie heute so waren es auch zur Entstehungszeit des Islam vor alshylem der Alltag und die nachbarschaftlishychen Kontakte der ersten Muslime mit Anshydersglaumlubigen die diese Prozesse der Uumlbernahme oder Abgrenzung beschleushynigten und die noch relativ formbare Geshystalt der religioumlsen Praxis festlegten

Es ist naumlmlich das Aumluszligere das auf Fremdes Unbekanntes

oder Neues aufmerksam macht

Die Kleidung Sprache und schlieszliglich die Rituale ndash ob religioumls oder saumlkular ndash sind die Elemente die am meisten auffalshylen und die auch am haumlufigsten nachgeshyahmt oder eben abgelehnt werden

Vor allem zwei islamische Rituale sind in der westlichen Welt heute besonders bdquosichtbarldquo und werden seitens der Muslishyme auch in der Diaspora mehr oder wenishyger in den Alltag integriert wenn auch haumlufig mit vielen Einschraumlnkungen ndash es sind dies das Fasten und das Gebet Die

Ausfuumlhrung dieser Rituale sorgt in der modernen westlichen Gesellschaft fuumlr Aufmerksamkeit Gespraumlche Interesse Verwunderung und schlieszliglich nicht selten fuumlr Verspottung vor allem in Kreisen die sich entweder dem Fremden nicht oumlffnen wollen oder es absichtlich mit Ablehnung oder gar Feindseligkeit betrachten

Der allgemein im Westen bekannte islashymische Monat Ramadan wird ganz richtig mit der Fastenzeit verbunden Leider wird er haumlufig nicht als Zeit der besonderen Konzentration auf den Glauben als Zeit des Gebets und der Meditation angesehen sondern als der Monat in dem die Muslishyme bdquodie Nacht zum Tag machenldquo Kaum wird das Problem der Umstellung thematishysiert die die Muslime vor allem in der Diaspora jedes Jahr ihrem Alltag anpassen muumlssen Denn das islamische Fasten ist besonders streng und mit analogen Rituashylen im Judentum oder Christentum nur beshyschraumlnkt vergleichbar Das Fasten ist prishymaumlr als ein Element des religioumlsen Kultus zu verstehen und als ein weit verbreitetes Ritual das in den meisten Glaubenssysteshymen der Welt sein Aumlquivalent hat auch wenn die Formen seiner Ausfuumlhrung vonshyeinander stark abweichen und Parallelen haumlufig nur muumlhsam zu finden sind Es ist sehr schwierig die Urspruumlnge des Fastens zu nennen da es weltweit verbreitet ist und trotz der Saumlkularisierung vieler Rituashyle mit einer erstaunlichen Konsequenz realisiert wird Auch in der heutigen moshydernen Gesellschaft wird das Fasten mit seinen bdquowiederentdecktenldquo heilenden wohltuenden und staumlrkenden Eigenschafshyten fast schon zu einer Modeerscheinung

Der Monat Ramadan als eine der wichshytigsten Perioden im islamischen Kalender hat neben der rituellen auch eine integrashytive Funktion fuumlr die umma Es wird gefasshytet nicht nur weil es ein Gebot Gottes ist und eine der fuumlnf Saumlulen des Islam also eine absolute Pflicht fuumlr alle erwachsenen

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Muslime sondern weil es zur Tradition gehoumlrt Die bindende Funktion des islamishyschen Fastens vor allem die Festivitaumlten zu Ende der Fastenperiode lassen sich mit den Feierlichkeiten des Versoumlhnungstages im Judentum und mit der Weihnachtszeit des Christentums vergleichen

Die besondere Strenge des islamischen Fastens liegt darin dass es sich hier um Vollfasten handelt Das bedeutet dass jegshyliche Speisen und Getraumlnke sowie Tabak-rauch Geschlechtsverkehr und sogar das Riechen einer Blume untersagt sind Gefasshytet wird von der Morgendaumlmmerung bis zum Einbruch der Dunkelheit gemaumlszlig dem Koran bdquoEsset und trinkt bis ihr in der Morgendaumlmmerung einen weiszligen von eishynem schwarzen Faden unterscheiden koumlnnt Hierauf haltet das Fasten an bis zur Nachtldquo8 Die Dauer der Fastenzeit haumlngt von der Dauer des Monats Ramadan ab ndash es koumlnnen 29 oder 30 Tage sein der Moshynat beginnt sobald die Mondsichel zu seshyhen ist9

Jedes erwachsene gesunde und nicht reisende Mitglied der umma ist verpflichtet im Monat Ramadan zu fasten

Die genaueren Bestimmungen dieser Eigenschaften werden detailliert in den Gesetzen eroumlrtert und weichen in den einshyzelnen islamischen Rechtsschulen voneishynander ab Das individuelle Fasten ermoumlgshylicht die Entscheidung fuumlr jeden selbst ob er in der Lage ist diese religioumlse Pflicht auszufuumlhren Generell gilt Das Fasten ist eine Pflicht fuumlr alle Mitglieder der Geshymeinde und nur bestimmte Gruppen der Glaumlubigen werden von dieser Pflicht beshyfreit Es sind Frauen unter bestimmten Umstaumlnden Kinder aumlltere Menschen und schlieszliglich Reisende die das Fasten nicht immer einhalten muumlssen Fuumlr Frauen ist es die Zeit der monatlichen Blutung der Geshy

burt und der Schwangerschaft in der sie nicht zu fasten brauchen wobei jede Schwangere selbst zu entscheiden hat ob die Strapazen des Fastens ihr und dem Unshygeborenen nicht schaden10 Anders ist es mit der Monatsblutung und der Geburt da diese physiologischen Prozesse mit Blut verbunden sind Blut auch menschliches gilt im Islam als unrein und verunreinishygend Daher wird eine Frau unter diesen Umstaumlnden aus der fastenden Gemeinde ausgeschlossen auch wenn die Verunreinishygung im Islam ndash anders als im Judentum ndash nicht uumlbertragbar ist

Umstritten bleibt ab welchem Alter die Kinder fasten sollen Die Gesetze der islashymischen Rechtsschulen weichen hier vonshyeinander ab Die Vorgehensweise die Kinshyder langsam an das Fasten zu gewoumlhnen ist unterschiedlich in unterschiedlichen Regionen der islamischen Welt Generell fasten die Kinder zunaumlchst nur am ersten und letzten Tag des Monats Ramadan und jedes Jahr etwas laumlnger bis sie mit den Ershywachsenen mithalten koumlnnen11 Das vollshystaumlndige Fasten der Kinder ab dem ca zehnten Lebensjahr wie es in der fruumlheren Zeit praktiziert wurde wird heute nicht mehr allgemein eingehalten Die Gesetze sind hier in ihrem historischen Kontext zu verstehen waumlhrend sich die Erziehungsshymethoden auch im Kontext der Ausfuumlhshyrung religioumlser Rituale etwas dem Zeitshygeist angepasst haben

Fastendispens genieszligen auch aumlltere Menshyschen die allgemein unter einem besonshyderen Schutz in der islamischen Kultur steshyhen Der Islam bedient sich hier aumllterer arabischer Traditionen und verehrt aumlltere Menschen indem etwa diejenigen die ihr vierzigstes Lebensjahr erreicht haben von der Fastenpflicht befreit sind Im praktishyschen Leben sofern eine Person uumlberhaupt fastet tut sie dies auch bis zum Lebensende

Auch waumlhrend einer Reise wird ein Glaumlubiger vom Fasten befreit bdquoUnd wenn

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einer von euch () sich auf einer Reise befindet (und deshalb nicht fasten kann ist ihm) eine (entsprechende) Anzahl anshyderer Tage (zur Nachholung des Fastens auferlegt)ldquo lesen wir in Sure 2184 Es bleibt jedem selbst uumlberlassen zu entshyscheiden ob die Strapazen der Reise und die des Fastens die Gesundheit oder gar das Leben gefaumlhrden

Wie gezeigt wird der obligatorische Charakter des islamischen Fastens durch eine Reihe von Dispensen eingeschraumlnkt Hierzu gehoumlrt auch eine Gruppe die einen solchen Dispens zwar nicht gesetzlich geshynieszligt dennoch immer haumlufiger praktiziert es sind die Muslime in der Diaspora Das vollstaumlndige Fasten ist fuumlr diejenigen die in modernen Industrielaumlndern leben kaum haltbar die Vereinbarung der notwendigen Lebensrhythmusumstellungen mit dem beruflichen Leben ist eigentlich nicht durchfuumlhrbar Unabhaumlngig vom Typ der Beschaumlftigung haben der Verzicht auf Nahrung und Trank sowie die naumlchtlichen Treffen der Familie und Bekannten und schlieszliglich die laumlngeren Aufenthalte in Moscheen oder anderen Gebetsorten klare Konsequenzen fuumlr die Konzentrationsshyund Arbeitsfaumlhigkeit eines Fastenden Dashyher wird auf das Fasten haumlufig verzichtet Eine Moumlglichkeit die versaumlumten Fasten-tage nachzuholen und die praktische Vershyanlagung des Islam generell (immer wieshyder beruhigt der Koran die Glaumlubigen bdquoGott will es euch leicht machen nicht schwerldquo12) haben zur Folge dass die Rishytuale dem Alltag und seiner Realitaumlt angeshypasst werden Und wenn ein Glaumlubiger keine Moumlglichkeit sieht in seinen Berufsshyalltag die Strapazen des Fastens zu integshyrieren verzichtet er auf die Ausfuumlhrung des Rituals und der Monat Ramadan bleibt fuumlr ihn keine besondere Zeit

Noch bdquoeinfacherldquo abzulassen ist das isshylamische Pflichtgebet das fuumlnfmal taumlglich abzuhalten ist und mit einer Reihe von

Vorbereitungen verbunden ist In den islashymischen Laumlndern ndash und so auch zur Entshystehungszeit des Islam ndash soll das taumlgliche Gebet den Rhythmus der umma bestimmen Morgens (zwischen Morgendaumlmmerung (fajr) und dem Morgen (subh)) mittags (zuhr) nachmittags (rsquoasr) beim Sonnenshyuntergang (maghrib) und schlieszliglich nachts (rsquoisa) soll sich ein glaumlubiger Muslim zum Gebet aufstellen wobei die genauen Uhrshyzeiten von der Jahreszeit und geografishyschen Lage abhaumlngig sind In den islamishyschen Laumlndern wird den Glaumlubigen mit einem Gebetsruf (adhan) der Anfang der jeweiligen Gebetszeit mitgeteilt Ein solshycher Zeitaufwand war schon fuumlr die ersten Anhaumlnger des Islam enorm und ungeshywoumlhnlich bdquoIm Leben der vorislamischen Araber kann das Gebet wenn uumlberhaupt so nur eine untergeordnete Rolle gespielt haben Wohl werden auch sie sich zuweishylen mit ihren Anliegen an ihre Goumltter geshywandt haben aber als eine wiederholt oder gar staumlndig zu uumlbende Pflicht des Kultus haben sie das Gebet sicherlich nicht geshykannt Als Muhammed das Gebet zu einer staumlndigen Institution des Islam machte begegnete er hierbei zunaumlchst groszligen Schwierigkeitenldquo13

Um ein guumlltiges Gebet abzushyhalten muss sich ein Muslim

vorbereiten

Zunaumlchst ist es wichtig dass ein Gebet nur im Zustand ritueller Reinheit moumlglich ist Ein Glaumlubiger formuliert ndash meist nur in Gedanken ndash die Absicht (niyya) ein guumllshytiges Gebet durchzufuumlhren Jetzt ist die Zeit fuumlr die rituelle Waschung deren Abshylauf im Koran14 und spaumlter detailliert in der sunna (Tradition des Propheten in der seishyne Aussagen und Handlungen uumlberliefert werden sollen) sowie in weiteren juristishyschen Werken festgelegt wurde Drei Moumlgshylichkeiten hat ein Muslim seinen Koumlrper

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vor dem Gebet rituell zu reinigen die Wahl ist von der Verunreinigung und den vorhandenen Wasservorraumlten abhaumlngig Eine kleine (oder bdquonormaleldquo) Verunreinishygung (hadath) findet statt wenn ein Glaumlushybiger bull eine Person anderen Geschlechts beshy

ruumlhrt (ausgenommen der eigenen Eheshygattin)

bull eigene Geschlechtsteile beruumlhrt bull vom Abort zuruumlckkehrt bull eingeschlafen ist oder ohnmaumlchtig wurde

Hadath wird mit einer kleinen Washyschung (wudhu) beseitigt indem bull das Gesicht gewaschen wird (vom

Haaransatz bis zum Kinn und vom rechten zum linken Ohr)

bull die Haumlnde bis zu den Ellenbogen gewashyschen (erst die rechte dann die linke Seite beides dreifach) und die Zaumlhne geputzt werden

bull Mund und Nase ausgespuumllt werden (wobei das Wasser aus der rechten Hand aufgenommen und in die linke ausgespuumllt wird)

bull der Kopf (von vorn bis hinten) und die Ohren (auszligen und innen) mit Wasser bestrichen werden

bull die Fuumlszlige bis zu den Knoumlcheln gewashyschen werden (analog zu den Haumlnden zuerst die rechte dann die linke Seite beides dreifach)

bull Sollte sich ein Glaumlubiger im Zustand groszliger Unreinheit (janaba) befinden so ist auch eine groszlige Waschung (ghusl) durchzufuumlhren Janaba entsteht durch

bull Geschlechtsverkehr bull Ausstoszlig von Samenfluumlssigkeit (unabshy

haumlngig vom Geschlechtsverkehr) bull Menstruation bull Geburt bull Tod15

Ghusl ist ein Vollbad wobei es wichtig ist dass alle Koumlrperteile mit Wasser beshygossen werden Eine bestimmte Reihenshyfolge der Waschung wird hier nicht vorgeshy

geben Es ist leicht vorstellbar dass solche Reinigungspraktiken vor allem in den Wuumlstengebieten Saudi-Arabiens einen enormen Wasserverbrauch nach sich zoshygen Das Wasser fuumlr die rituelle Reinigung muss zudem sauber und bestenfalls flieshyszligend sein Daher gibt es eine Alternative zur Wasserreinigung ndash eine rituelle Sandshywaschung (tayammum) die selbstvershystaumlndlich nur symbolisch abzuhalten ist und eine Reibung von Haumlnden und Fuumlszligen sowie des Gesichts genuumlgt um eine kleine Verunreinigung zu beseitigen und ein Geshybet durchfuumlhren zu duumlrfen Auch die Kleishydung und der Ort an dem ein Gebet abgeshyhalten wird muumlssen rituell rein sein Obwohl ein Spruch des Propheten Mushyhammad besagt dass die ganze Erde eine Moschee sei ist es einem Muslim nicht ershylaubt auf den Friedhoumlfen in Schlachtshyhoumlfen Baumldern an Aborten sowie an Muumlllshyhalden zu beten Sollte ein Glaumlubiger keine Moumlglichkeit haben in einer Moshyschee zu beten so ist es wichtig dass sein aktueller Gebetsort sauber ist16 Auch ist die Kleidung sauber zu halten die Schuhe werden zum Gebet ausgezogen17

Erst wenn der Zustand ritushyeller Reinheit erreicht wurde ist es moumlglich ein Gebet zu

sprechen

Dies kann individuell oder in einer Geshymeinde meist in einer Moschee gescheshyhen Das Gebet in einer Gemeinde wird von einem Imam gefuumlhrt der allerdings nicht als islamisches Aumlquivalent des christlichen Priesters anzusehen ist Zu Beginn des Islam uumlbernahmen die Anfuumlhshyrer der islamischen Gemeinde (als Erster selbstverstaumlndlich der Prophet selbst) die Funktion des Imam in der Zeit der Erobeshyrungszuumlge waren es haumlufig Kommandeure des Heeres in den Staumldten Statthalter und schlieszliglich islamische Theologen und

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Rechtsgelehrte oder Personen mit besonshyderem Charisma Es ist eine Neuerscheishynung dass eine Moschee ihren eigenen Imam hat der seiner Funktion als beruflishyche Taumltigkeit nachgeht

Mindestens einmal woumlchentlich sollen sich die Glaumlubigen in einer Moschee vershysammeln ndash freitags zum Mittagsgebet Eine Predigt (khutba) wird bei dieser Gelegenshyheit ndash und noch vor dem eigentlichen Geshybet ndash gehalten Der Prediger kann muss aber nicht zwingend auch die Funktion des Imam innehaben Die khutba war schon in der vorislamischen arabischen Welt bekannt und wurde bei vielen Geleshygenheiten ndash wie Regelungen allerart zwishyschen Staumlmmen (Frieden schlieszligen Durchfuumlhrung der Blutrache Kriegsaufruf etc) und innerhalb des eigenen Stammes (bei groszligen Ereignissen wie Berufung eishynes neuen Stammesaumlltesten Hochzeiten Geburten etc) ndash gehalten Diese Tradition setzte Muhammad fort er selbst hielt die ersten Predigten und nutzte sie um die Regelungen des Islam zu verkuumlnden die Glaumlubigen in schwierigen Zeiten zu untershystuumltzen ihnen Mut Ausdauer und Beharrshylichkeit zuzusprechen und schlieszliglich um sie zum Kampf gegen bdquoFeinde des Islamldquo zu ermutigen Heute unterscheidet sich der Inhalt der Freitagspredigt vielerorts voneinander und wird auch haumlufig mit der aktuellen politischen und kulturellen Sishytuation der einzelnen Gemeinden und der gesamten islamischen umma verknuumlpft Die integrierende und kommunikative Rolle der Freitagspredigt und ihre Binshydung an die religioumlsen Pflichten der Musshylime sind nicht zu unterschaumltzen

Aumlhnlich wie das Fasten so ist auch die Ausfuumlhrung des Pflichtgebets in der Diasshypora haumlufig mit einem enormen Aufwand verbunden Die Quantitaumlt des Gebets die fehlenden Moumlglichkeiten entsprechende Waschungen vorzunehmen und schlieszligshylich einen geeigneten Ort zum Gebet zu

finden fuumlhren dazu dass viele Muslime auszligerhalb der islamischen Welt ihre Geshybetspflicht vernachlaumlssigen Waumlhrend das Nachholen der versaumlumten Fastentage noch realistisch ist so ist das beim Gebet ausgeschlossen alleine wegen der hohen Zahl der taumlglichen Pflichten Zwar wird das Problem schon ausfuumlhrlich in den jurisshytischen Werken des Islam behandelt da es sich hier nicht ausschlieszliglich um ein moshydernes Phaumlnomen handelt dennoch ist zu beobachten dass viele Muslime in der Diaspora immer seltener ihren religioumlsen Pflichten nachkommen und somit der Proshyzess der Saumlkularisierung hier eindeutig einsetzt

Selbstverstaumlndlich gibt es auch in der Diaspora viele Muslime die den Geboten nachgehen dennoch sind es meistens dieshyjenigen die ihre Religion nicht mit dem beruflichen Alltag in der westlichen Welt vereinbaren muumlssen Auch die Pilgerfahrt nach Mekka die jeder Glaumlubige einmal in seinem Leben unternehmen soll wird haumlushyfig vor allem aus finanziellen Gruumlnden hinausgezoumlgert Fuumlr eine Familie die in der Diaspora nicht selten mit materiellen Schwierigkeiten zu kaumlmpfen hat haumltte eishyne solche Reise moumlglicherweise ernsthafte Konsequenzen Fuumlr viele ist die Pilgershyfahrt (hajj) einfach nicht realisierbar dashyher berufen sie sich auf die Koranaussage bdquoUnd die Menschen die Gott gegenuumlber verpflichtet die Wallfahrt nach dem Haus (Karsquoba Anm der Autorin) zu machen ndash soweit sie dazu eine Moumlglichkeit findenldquo18

und verzichten auf die Reise nach Saudi-Arabien Schlieszliglich gilt bdquoWer die grundshysaumltzliche Pflicht zum hajj leugnet sei es fuumlr sich oder andere wird unglaumlubigldquo19

und ein Hinauszoumlgern muss nicht zwinshygend mit der Leugnung verbunden sein Der Verzicht auf die Pilgerfahrt ist nicht unbedingt als ein Merkmal der Muslime in der modernen Diaspora anzusehen waumlhshyrend ein gekuumlrztes oder gar ausgebliebenes

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Fasten sowie der Alltag ohne Pflichtgeshybet sicherlich zu solchen Charakteristika zaumlhlen

Die Interkulturalitaumlt des Islam ist fuumlr diese Religion und ihre Anhaumlnger kein Novum Schon zur Entstehungszeit wurde die muslimische Gemeinde mit etablierten Glaubenssystemen wie dem Judentum dem Christentum und dem Zoroastrismus konfrontiert Die ablehnende Position des Christentums dem Islam gegenuumlber die juumldischen Bewohner von Medina die in der Person Muhammads keinen Propheten sehen wollten und schlieszliglich der Vorshywurf des Synkretismus der sich vor allem unter westlichen Gelehrten verbreitete ershyschwerten zusaumltzlich das Etablieren der neuen Religion im spaumltantiken Nahen Osten Gleichzeitig gab diese besondere Situation der entstehenden Religion eine Chance sich ihrem Umfeld von Beginn an anzupassen und bot sich den neuen ndash und potentiellen ndash Anhaumlngern vor allem als eishyne attraktive Alternative die im Grunde nicht viel veraumlnderte das Bekannte beshywahrte und mit der Zeit das Gefuumlhl der Zugehoumlrigkeit zu einer groszligen ndash immer wachsenden ndash Gemeinde vermittelte Die beschuumltzende und integrierende Rolle der Idee des Islam ist im historischen Kontext der Zeit ihrer Entstehung nicht zu untershyschaumltzen

Eine solche Interkulturalitaumlt ist auch in Europa nicht neu Dennoch flammen imshymer wieder Diskussionen auf die vor bdquoUumlberfluss des Fremdenldquo und bdquoAusstershyben des eigenen Kulturerbesldquo warnen und die Uumlbernahmen von Sprachgewohnheishyten Mode oder Verhaltensweisen brandshymarken Selbstverstaumlndlich wuumlrde eine kritiklose Aneignung fremder Muster zum Verlust eigener Identitaumlt und zu einer Orishyentierungslosigkeit auf der multikulturelshylen Arena der modernen europaumlischen Realitaumlt fuumlhren dennoch scheint eine geshywisse Uumlbervorsichtigkeit dem Fremden

gegenuumlber zu herrschen Dabei ist die Inshyterkulturalitaumlt nicht unbedingt nur als eine Gefahr fuumlr bdquodas Eigeneldquo anzusehen Soshywohl die Gastgeber als auch die Migranten haben eine Chance voneinander zu profishytieren die Bedingung ist ndash sie muumlssen sich kennen Dazu gehoumlren sowohl die Sprache des Gastlandes als auch die Gepflogenheishyten der Gaumlste Eine Konfrontation mit neushyen kulturellen und religioumlsen Ideen kann zur Reflexion uumlber eigene Werte und Weltshyanschauungen anspornen Und schlieszliglich bedeutet die Integration nicht einen Vershyzicht auf das Eigene sondern eher eine Bereitschaft sich zu oumlffnen und neue Wershyte zu den eigenen zusaumltzlich aufzunehmen

Die Muslime sind in Oumlstershyreich die drittgroumlszligte anerkannte

Religionsgemeinschaft20

Somit ist es auch der Islam der die meiste auf die Minderheiten gerichtete Aufmerksamkeit genieszligt was Vor- aber oft auch Nachteile hat Spaumltestens seit 2001 laumlsst sich verstaumlrkt eine negative Thematisierung und Oumlffentlichkeit beshyobachten Einerseits ist es bdquoin Mode gekomshymenldquo in islamische Laumlnder zu reisen oder gar Arabisch zu studieren andererseits sind es nicht selten die Ignoranz vielleicht auch die Angst und schlieszliglich die Macht der Medien die haumlufig ein verzerrtes Bild dieser Religion ndash und ihrer Anhaumlnger ndash darstellen Der Islam ist fremd und somit sicherlich spannend vielleicht etwas exoshytisch fuumlr viele jedoch eher bedrohlich Seine Anhaumlnger sind selbstverstaumlndlich nicht homogen zu sehen Die Mehrheit der Muslime will bdquonurldquo ihre Religion leben ndash eine vielleicht gewagte These wenn man die Medienberichte der letzten Monate ja Jahre beruumlcksichtigt Einerseits sehen wir Menschen die ihr Gebet verrichten einshymal jaumlhrlich fasten vielleicht engere Konshytakte mit der Familie in Jordanien im Lishy

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22010SIAK-JOURNAL

banon oder im Iran pflegen sich traditioshynell kleiden und nicht wirklich an der bdquogroszligenldquo Integration interessiert sind Sie leben einfach hier in Europa und versushychen ihre Traditionen nicht aufzugeben Andererseits beaumlngstigen uns Berichte uumlber Terroranschlaumlge terroristische Netzshywerke und Besuche in sogenannten bdquoTershyrorcampsldquo Drohungen an die gesamte westliche Welt die als Videobotschaften im Internet kursieren Razzien der Polizei in Frankfurt Amsterdam Wien London und schlieszliglich Entfuumlhrungen und Hinshyrichtungen westlicher Touristen Angeshystellter oder Studenten in islamischen Laumlndern Wo liegt die Grenze zwischen Toleranz und Angst ja Panik Wo die Grenze zwischen Akzeptanz und Ablehshynung Und schlieszliglich ndash wo liegt die Grenshyze zwischen Integration und Abwehr

Die islamische umma zaumlhlt alleine in der Europaumlischen Union knapp 14 Millionen Mitglieder21 Es ist kaum moumlglich diese in sich heterogene Gruppe zu uumlberschauen oder zu kontrollieren Um sich den Muslishymen zu naumlhern bzw sie als Teil unserer Gemeinschaft wahrzunehmen ist es denshynoch wichtig sich mit ihren Vorstellungen und Werten (sofern diese kulturell-religioumls beeinflusst sind und man von bdquokollektiven Wertenldquo sprechen kann) zwecks eines besshyseren Verstaumlndnisses auseinanderzusetzen Das bedeutet auch den Islam als Religion aber auch Teil einer anderen Kultur besser kennen zu lernen seine Idee Geschichte und Praxis Denn Vertrautes houmlrt auf fremd zu sein Einen Beitrag hierzu zu liefern war Anspruch des vorliegenden Artikels

1 Ulram 2009 2 Ebd 9 3 Ebd 21 4 Endreszlig 1997 37 5 Nach islamischer Tradition sollte der

Prophet die ersten religioumlsen Erfahrunshy

gen seiner Frau Khadija anvertraut hashy

ben die ihn dazu ermutigt haben soll die

Botschaft Gottes zu verbreiten Interesshy

santerweise wird Khadija im Koran nicht

erwaumlhnt 6 Vgl Danecki 1998 29 ff 7 Vgl Hughes 1995 231b 8 Sure 2187

9 Eine genaue Bestimmung des Fastenanshy

fangs kann wegen Witterungsproblemen

und unterschiedlichen Ortszeiten Schwieshy

rigkeiten bereiten im Zweifelsfall duumlrfen

sich die Glaumlubigen nach der Zeit in Saushy

di-Arabien orientieren wo das obligatorishy

sche Fasten institutionalisiert wurde und

fuumlr alle Muslime auf der Welt gilt unabshy

haumlngig von der Zeitzone ihres Aufentshy

haltsortes Ein detailliertes Studium zu

Berechnungsmoumlglichkeiten und -praktika

fuumlr die Bestimmung der genauen Fastenshy

zeit im Monat Ramadan siehe Lech 1979 10 Vgl Motzki 1986 409

11 Vgl Schimmel 2002 100 12 Zum Beispiel Sure 2185 13 Mittwoch 1913 9 14 Interessanterweise sind es nur zwei Koshy

ranstellen die Genaueres zu den Vorbeshy

reitungen auf das Pflichtgebet sagen Sushy

re 443 und 56 Weitere Bestimmungen

und Konkretisierungen sind erst in den

Uumlberlieferungen zu finden die in der Zeit

nach dem Tode des Propheten niedergeshy

schrieben wurden oder gar entstanden 15 Detaillierte Beschreibung siehe zB

Reidegeld 2008 149ndash231 16 Haumlufig benutzen Muslime eine Matte

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SIAK-JOURNAL 22010

oder einen Gebetsteppich (sajjada) wenn sie aushy

szligerhalb einer Moschee beten Auch die Boumlden in

Moscheen werden meistens mit Teppichen vershy

legt 17 Maumlnner muumlssen fuumlrs Gebet ihre Geschlechtsteishy

le bedecken am besten jedoch ihren Koumlrper von

der Brust bis zu den Knien bei Frauen gilt Nur

Gesicht und Fuumlszlige duumlrfen unbedeckt bleiben Dieshy

se Vorschriften variieren in ihren Details in den

islamischen Rechtsschulen 18 Sure 397 19 Reidegeld 2008 589 20 Khorchide 2009 9 21 Laut einer Statistik des Zentral-Instituts Islamshy

Archiv-Deutschland (Soest) hat sich die muslimishy

sche Gemeinschaft in Europa von 522 Mio

(2003) um 800000 auf uumlber 53 Mio (2005) ershy

houmlht Die Zunahme resultierte aus exakteren Dashy

ten der Behoumlrden Nach den Angaben gibt es die

meisten Muslime auf dem europaumlischen Kontishy

nent in Russland (25 Mio) gefolgt von der Tuumlrshy

kei (59 Mio) In der EU allein leben knapp 14

Mio Muslime die meisten davon in Frankreich

(55 Mio) und Deutschland (32 Mio)

httpwwwshortnewsdestartcfmid=593380

Abgerufen am 25012010

Quellenangaben

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islamie Band 1 Warszawa

Der Koran Uumlbersetzung von Paret R(2007)

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in seine Geschichte Muumlnchen

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baden

Khorchide M (2009) Der islamische Religionsshy

unterricht in Oumlsterreich OumlIF-Dossier (52009)

Lech K (1979) Geschichte des islamischen Kulshy

tus Rechtshistorische und hadit ndash kritische Unshy

tersuchungen zur Entwicklung und Systematik

der rsquoIbadat Band1 Das ramadan Fasten Wiesshy

baden

Mittwoch E (1913) Zur Entstehungsgeschichte

des islamischen Gebets und Kultus Berlin

Motzki H (1986) Das Kind und seine Sozialishy

sierung in der islamischen Familie des Mittelalshy

ters in Martin JNitschke A (Hg) Zur Sozialshy

geschichte der Kindheit Muumlnchen

Reidegeld A A (2008) Handbuch Islam Die

Glaubens- und Rechtslehre der Muslime Dali

Nikosia

Schimmel A (2002) Das islamische Jahr Zeiten

und Feste Muumlnchen

Ulram P A (2009) Integration in Oumlsterreich

Einstellungen Orientierungen und Erfahrungen

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heitsbevoumllkerung Wien

Weiterfuumlhrende Literatur und Links

Kraumlmer G (2005) Geschichte des Islam Muumlnshy

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Wellhausen J (1961) Reste arabischen Heidenshy

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httpwwwfocusdepolitikdeutschland

konvertiten_aid_131946html Abgerufen am

20012010

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Die Kontinuitaumlt der schon im spaumltantishyken Nahen Osten bekannten Formen der religioumlsen Praxis und der rechtlichen Reshygelungen laumlsst sich im Islam zum Teil wieshydererkennen Dies ist allerdings kein Chashyrakteristikum dieses religioumlsen Systems und soll ihn nicht als eine bdquoIdeenvermishyschungldquo abstufen denn wie die meisten Glaubenssysteme der Welt musste auch der Islam um sich zu etablieren aus seishynem Umfeld schoumlpfen und sich um eine Fortsetzung des schon Bekannten bemuumlshyhen Die Vorbilder waren selbstverstaumlndshylich in der naumlchsten Nachbarschaft zu sushychen und wurden entweder komplett uumlbernommen veraumlndert oder aber kategoshyrisch abgelehnt Dies soll jedoch nicht beshydeuten dass es keine rein islamischen Braumluche oder Rituale gibt die in den umshyliegenden Glaubenssystemen unauffindshybar sind Aumlhnlich wie heute so waren es auch zur Entstehungszeit des Islam vor alshylem der Alltag und die nachbarschaftlishychen Kontakte der ersten Muslime mit Anshydersglaumlubigen die diese Prozesse der Uumlbernahme oder Abgrenzung beschleushynigten und die noch relativ formbare Geshystalt der religioumlsen Praxis festlegten

Es ist naumlmlich das Aumluszligere das auf Fremdes Unbekanntes

oder Neues aufmerksam macht

Die Kleidung Sprache und schlieszliglich die Rituale ndash ob religioumls oder saumlkular ndash sind die Elemente die am meisten auffalshylen und die auch am haumlufigsten nachgeshyahmt oder eben abgelehnt werden

Vor allem zwei islamische Rituale sind in der westlichen Welt heute besonders bdquosichtbarldquo und werden seitens der Muslishyme auch in der Diaspora mehr oder wenishyger in den Alltag integriert wenn auch haumlufig mit vielen Einschraumlnkungen ndash es sind dies das Fasten und das Gebet Die

Ausfuumlhrung dieser Rituale sorgt in der modernen westlichen Gesellschaft fuumlr Aufmerksamkeit Gespraumlche Interesse Verwunderung und schlieszliglich nicht selten fuumlr Verspottung vor allem in Kreisen die sich entweder dem Fremden nicht oumlffnen wollen oder es absichtlich mit Ablehnung oder gar Feindseligkeit betrachten

Der allgemein im Westen bekannte islashymische Monat Ramadan wird ganz richtig mit der Fastenzeit verbunden Leider wird er haumlufig nicht als Zeit der besonderen Konzentration auf den Glauben als Zeit des Gebets und der Meditation angesehen sondern als der Monat in dem die Muslishyme bdquodie Nacht zum Tag machenldquo Kaum wird das Problem der Umstellung thematishysiert die die Muslime vor allem in der Diaspora jedes Jahr ihrem Alltag anpassen muumlssen Denn das islamische Fasten ist besonders streng und mit analogen Rituashylen im Judentum oder Christentum nur beshyschraumlnkt vergleichbar Das Fasten ist prishymaumlr als ein Element des religioumlsen Kultus zu verstehen und als ein weit verbreitetes Ritual das in den meisten Glaubenssysteshymen der Welt sein Aumlquivalent hat auch wenn die Formen seiner Ausfuumlhrung vonshyeinander stark abweichen und Parallelen haumlufig nur muumlhsam zu finden sind Es ist sehr schwierig die Urspruumlnge des Fastens zu nennen da es weltweit verbreitet ist und trotz der Saumlkularisierung vieler Rituashyle mit einer erstaunlichen Konsequenz realisiert wird Auch in der heutigen moshydernen Gesellschaft wird das Fasten mit seinen bdquowiederentdecktenldquo heilenden wohltuenden und staumlrkenden Eigenschafshyten fast schon zu einer Modeerscheinung

Der Monat Ramadan als eine der wichshytigsten Perioden im islamischen Kalender hat neben der rituellen auch eine integrashytive Funktion fuumlr die umma Es wird gefasshytet nicht nur weil es ein Gebot Gottes ist und eine der fuumlnf Saumlulen des Islam also eine absolute Pflicht fuumlr alle erwachsenen

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Muslime sondern weil es zur Tradition gehoumlrt Die bindende Funktion des islamishyschen Fastens vor allem die Festivitaumlten zu Ende der Fastenperiode lassen sich mit den Feierlichkeiten des Versoumlhnungstages im Judentum und mit der Weihnachtszeit des Christentums vergleichen

Die besondere Strenge des islamischen Fastens liegt darin dass es sich hier um Vollfasten handelt Das bedeutet dass jegshyliche Speisen und Getraumlnke sowie Tabak-rauch Geschlechtsverkehr und sogar das Riechen einer Blume untersagt sind Gefasshytet wird von der Morgendaumlmmerung bis zum Einbruch der Dunkelheit gemaumlszlig dem Koran bdquoEsset und trinkt bis ihr in der Morgendaumlmmerung einen weiszligen von eishynem schwarzen Faden unterscheiden koumlnnt Hierauf haltet das Fasten an bis zur Nachtldquo8 Die Dauer der Fastenzeit haumlngt von der Dauer des Monats Ramadan ab ndash es koumlnnen 29 oder 30 Tage sein der Moshynat beginnt sobald die Mondsichel zu seshyhen ist9

Jedes erwachsene gesunde und nicht reisende Mitglied der umma ist verpflichtet im Monat Ramadan zu fasten

Die genaueren Bestimmungen dieser Eigenschaften werden detailliert in den Gesetzen eroumlrtert und weichen in den einshyzelnen islamischen Rechtsschulen voneishynander ab Das individuelle Fasten ermoumlgshylicht die Entscheidung fuumlr jeden selbst ob er in der Lage ist diese religioumlse Pflicht auszufuumlhren Generell gilt Das Fasten ist eine Pflicht fuumlr alle Mitglieder der Geshymeinde und nur bestimmte Gruppen der Glaumlubigen werden von dieser Pflicht beshyfreit Es sind Frauen unter bestimmten Umstaumlnden Kinder aumlltere Menschen und schlieszliglich Reisende die das Fasten nicht immer einhalten muumlssen Fuumlr Frauen ist es die Zeit der monatlichen Blutung der Geshy

burt und der Schwangerschaft in der sie nicht zu fasten brauchen wobei jede Schwangere selbst zu entscheiden hat ob die Strapazen des Fastens ihr und dem Unshygeborenen nicht schaden10 Anders ist es mit der Monatsblutung und der Geburt da diese physiologischen Prozesse mit Blut verbunden sind Blut auch menschliches gilt im Islam als unrein und verunreinishygend Daher wird eine Frau unter diesen Umstaumlnden aus der fastenden Gemeinde ausgeschlossen auch wenn die Verunreinishygung im Islam ndash anders als im Judentum ndash nicht uumlbertragbar ist

Umstritten bleibt ab welchem Alter die Kinder fasten sollen Die Gesetze der islashymischen Rechtsschulen weichen hier vonshyeinander ab Die Vorgehensweise die Kinshyder langsam an das Fasten zu gewoumlhnen ist unterschiedlich in unterschiedlichen Regionen der islamischen Welt Generell fasten die Kinder zunaumlchst nur am ersten und letzten Tag des Monats Ramadan und jedes Jahr etwas laumlnger bis sie mit den Ershywachsenen mithalten koumlnnen11 Das vollshystaumlndige Fasten der Kinder ab dem ca zehnten Lebensjahr wie es in der fruumlheren Zeit praktiziert wurde wird heute nicht mehr allgemein eingehalten Die Gesetze sind hier in ihrem historischen Kontext zu verstehen waumlhrend sich die Erziehungsshymethoden auch im Kontext der Ausfuumlhshyrung religioumlser Rituale etwas dem Zeitshygeist angepasst haben

Fastendispens genieszligen auch aumlltere Menshyschen die allgemein unter einem besonshyderen Schutz in der islamischen Kultur steshyhen Der Islam bedient sich hier aumllterer arabischer Traditionen und verehrt aumlltere Menschen indem etwa diejenigen die ihr vierzigstes Lebensjahr erreicht haben von der Fastenpflicht befreit sind Im praktishyschen Leben sofern eine Person uumlberhaupt fastet tut sie dies auch bis zum Lebensende

Auch waumlhrend einer Reise wird ein Glaumlubiger vom Fasten befreit bdquoUnd wenn

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einer von euch () sich auf einer Reise befindet (und deshalb nicht fasten kann ist ihm) eine (entsprechende) Anzahl anshyderer Tage (zur Nachholung des Fastens auferlegt)ldquo lesen wir in Sure 2184 Es bleibt jedem selbst uumlberlassen zu entshyscheiden ob die Strapazen der Reise und die des Fastens die Gesundheit oder gar das Leben gefaumlhrden

Wie gezeigt wird der obligatorische Charakter des islamischen Fastens durch eine Reihe von Dispensen eingeschraumlnkt Hierzu gehoumlrt auch eine Gruppe die einen solchen Dispens zwar nicht gesetzlich geshynieszligt dennoch immer haumlufiger praktiziert es sind die Muslime in der Diaspora Das vollstaumlndige Fasten ist fuumlr diejenigen die in modernen Industrielaumlndern leben kaum haltbar die Vereinbarung der notwendigen Lebensrhythmusumstellungen mit dem beruflichen Leben ist eigentlich nicht durchfuumlhrbar Unabhaumlngig vom Typ der Beschaumlftigung haben der Verzicht auf Nahrung und Trank sowie die naumlchtlichen Treffen der Familie und Bekannten und schlieszliglich die laumlngeren Aufenthalte in Moscheen oder anderen Gebetsorten klare Konsequenzen fuumlr die Konzentrationsshyund Arbeitsfaumlhigkeit eines Fastenden Dashyher wird auf das Fasten haumlufig verzichtet Eine Moumlglichkeit die versaumlumten Fasten-tage nachzuholen und die praktische Vershyanlagung des Islam generell (immer wieshyder beruhigt der Koran die Glaumlubigen bdquoGott will es euch leicht machen nicht schwerldquo12) haben zur Folge dass die Rishytuale dem Alltag und seiner Realitaumlt angeshypasst werden Und wenn ein Glaumlubiger keine Moumlglichkeit sieht in seinen Berufsshyalltag die Strapazen des Fastens zu integshyrieren verzichtet er auf die Ausfuumlhrung des Rituals und der Monat Ramadan bleibt fuumlr ihn keine besondere Zeit

Noch bdquoeinfacherldquo abzulassen ist das isshylamische Pflichtgebet das fuumlnfmal taumlglich abzuhalten ist und mit einer Reihe von

Vorbereitungen verbunden ist In den islashymischen Laumlndern ndash und so auch zur Entshystehungszeit des Islam ndash soll das taumlgliche Gebet den Rhythmus der umma bestimmen Morgens (zwischen Morgendaumlmmerung (fajr) und dem Morgen (subh)) mittags (zuhr) nachmittags (rsquoasr) beim Sonnenshyuntergang (maghrib) und schlieszliglich nachts (rsquoisa) soll sich ein glaumlubiger Muslim zum Gebet aufstellen wobei die genauen Uhrshyzeiten von der Jahreszeit und geografishyschen Lage abhaumlngig sind In den islamishyschen Laumlndern wird den Glaumlubigen mit einem Gebetsruf (adhan) der Anfang der jeweiligen Gebetszeit mitgeteilt Ein solshycher Zeitaufwand war schon fuumlr die ersten Anhaumlnger des Islam enorm und ungeshywoumlhnlich bdquoIm Leben der vorislamischen Araber kann das Gebet wenn uumlberhaupt so nur eine untergeordnete Rolle gespielt haben Wohl werden auch sie sich zuweishylen mit ihren Anliegen an ihre Goumltter geshywandt haben aber als eine wiederholt oder gar staumlndig zu uumlbende Pflicht des Kultus haben sie das Gebet sicherlich nicht geshykannt Als Muhammed das Gebet zu einer staumlndigen Institution des Islam machte begegnete er hierbei zunaumlchst groszligen Schwierigkeitenldquo13

Um ein guumlltiges Gebet abzushyhalten muss sich ein Muslim

vorbereiten

Zunaumlchst ist es wichtig dass ein Gebet nur im Zustand ritueller Reinheit moumlglich ist Ein Glaumlubiger formuliert ndash meist nur in Gedanken ndash die Absicht (niyya) ein guumllshytiges Gebet durchzufuumlhren Jetzt ist die Zeit fuumlr die rituelle Waschung deren Abshylauf im Koran14 und spaumlter detailliert in der sunna (Tradition des Propheten in der seishyne Aussagen und Handlungen uumlberliefert werden sollen) sowie in weiteren juristishyschen Werken festgelegt wurde Drei Moumlgshylichkeiten hat ein Muslim seinen Koumlrper

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vor dem Gebet rituell zu reinigen die Wahl ist von der Verunreinigung und den vorhandenen Wasservorraumlten abhaumlngig Eine kleine (oder bdquonormaleldquo) Verunreinishygung (hadath) findet statt wenn ein Glaumlushybiger bull eine Person anderen Geschlechts beshy

ruumlhrt (ausgenommen der eigenen Eheshygattin)

bull eigene Geschlechtsteile beruumlhrt bull vom Abort zuruumlckkehrt bull eingeschlafen ist oder ohnmaumlchtig wurde

Hadath wird mit einer kleinen Washyschung (wudhu) beseitigt indem bull das Gesicht gewaschen wird (vom

Haaransatz bis zum Kinn und vom rechten zum linken Ohr)

bull die Haumlnde bis zu den Ellenbogen gewashyschen (erst die rechte dann die linke Seite beides dreifach) und die Zaumlhne geputzt werden

bull Mund und Nase ausgespuumllt werden (wobei das Wasser aus der rechten Hand aufgenommen und in die linke ausgespuumllt wird)

bull der Kopf (von vorn bis hinten) und die Ohren (auszligen und innen) mit Wasser bestrichen werden

bull die Fuumlszlige bis zu den Knoumlcheln gewashyschen werden (analog zu den Haumlnden zuerst die rechte dann die linke Seite beides dreifach)

bull Sollte sich ein Glaumlubiger im Zustand groszliger Unreinheit (janaba) befinden so ist auch eine groszlige Waschung (ghusl) durchzufuumlhren Janaba entsteht durch

bull Geschlechtsverkehr bull Ausstoszlig von Samenfluumlssigkeit (unabshy

haumlngig vom Geschlechtsverkehr) bull Menstruation bull Geburt bull Tod15

Ghusl ist ein Vollbad wobei es wichtig ist dass alle Koumlrperteile mit Wasser beshygossen werden Eine bestimmte Reihenshyfolge der Waschung wird hier nicht vorgeshy

geben Es ist leicht vorstellbar dass solche Reinigungspraktiken vor allem in den Wuumlstengebieten Saudi-Arabiens einen enormen Wasserverbrauch nach sich zoshygen Das Wasser fuumlr die rituelle Reinigung muss zudem sauber und bestenfalls flieshyszligend sein Daher gibt es eine Alternative zur Wasserreinigung ndash eine rituelle Sandshywaschung (tayammum) die selbstvershystaumlndlich nur symbolisch abzuhalten ist und eine Reibung von Haumlnden und Fuumlszligen sowie des Gesichts genuumlgt um eine kleine Verunreinigung zu beseitigen und ein Geshybet durchfuumlhren zu duumlrfen Auch die Kleishydung und der Ort an dem ein Gebet abgeshyhalten wird muumlssen rituell rein sein Obwohl ein Spruch des Propheten Mushyhammad besagt dass die ganze Erde eine Moschee sei ist es einem Muslim nicht ershylaubt auf den Friedhoumlfen in Schlachtshyhoumlfen Baumldern an Aborten sowie an Muumlllshyhalden zu beten Sollte ein Glaumlubiger keine Moumlglichkeit haben in einer Moshyschee zu beten so ist es wichtig dass sein aktueller Gebetsort sauber ist16 Auch ist die Kleidung sauber zu halten die Schuhe werden zum Gebet ausgezogen17

Erst wenn der Zustand ritushyeller Reinheit erreicht wurde ist es moumlglich ein Gebet zu

sprechen

Dies kann individuell oder in einer Geshymeinde meist in einer Moschee gescheshyhen Das Gebet in einer Gemeinde wird von einem Imam gefuumlhrt der allerdings nicht als islamisches Aumlquivalent des christlichen Priesters anzusehen ist Zu Beginn des Islam uumlbernahmen die Anfuumlhshyrer der islamischen Gemeinde (als Erster selbstverstaumlndlich der Prophet selbst) die Funktion des Imam in der Zeit der Erobeshyrungszuumlge waren es haumlufig Kommandeure des Heeres in den Staumldten Statthalter und schlieszliglich islamische Theologen und

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SIAK-JOURNAL

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22010

Rechtsgelehrte oder Personen mit besonshyderem Charisma Es ist eine Neuerscheishynung dass eine Moschee ihren eigenen Imam hat der seiner Funktion als beruflishyche Taumltigkeit nachgeht

Mindestens einmal woumlchentlich sollen sich die Glaumlubigen in einer Moschee vershysammeln ndash freitags zum Mittagsgebet Eine Predigt (khutba) wird bei dieser Gelegenshyheit ndash und noch vor dem eigentlichen Geshybet ndash gehalten Der Prediger kann muss aber nicht zwingend auch die Funktion des Imam innehaben Die khutba war schon in der vorislamischen arabischen Welt bekannt und wurde bei vielen Geleshygenheiten ndash wie Regelungen allerart zwishyschen Staumlmmen (Frieden schlieszligen Durchfuumlhrung der Blutrache Kriegsaufruf etc) und innerhalb des eigenen Stammes (bei groszligen Ereignissen wie Berufung eishynes neuen Stammesaumlltesten Hochzeiten Geburten etc) ndash gehalten Diese Tradition setzte Muhammad fort er selbst hielt die ersten Predigten und nutzte sie um die Regelungen des Islam zu verkuumlnden die Glaumlubigen in schwierigen Zeiten zu untershystuumltzen ihnen Mut Ausdauer und Beharrshylichkeit zuzusprechen und schlieszliglich um sie zum Kampf gegen bdquoFeinde des Islamldquo zu ermutigen Heute unterscheidet sich der Inhalt der Freitagspredigt vielerorts voneinander und wird auch haumlufig mit der aktuellen politischen und kulturellen Sishytuation der einzelnen Gemeinden und der gesamten islamischen umma verknuumlpft Die integrierende und kommunikative Rolle der Freitagspredigt und ihre Binshydung an die religioumlsen Pflichten der Musshylime sind nicht zu unterschaumltzen

Aumlhnlich wie das Fasten so ist auch die Ausfuumlhrung des Pflichtgebets in der Diasshypora haumlufig mit einem enormen Aufwand verbunden Die Quantitaumlt des Gebets die fehlenden Moumlglichkeiten entsprechende Waschungen vorzunehmen und schlieszligshylich einen geeigneten Ort zum Gebet zu

finden fuumlhren dazu dass viele Muslime auszligerhalb der islamischen Welt ihre Geshybetspflicht vernachlaumlssigen Waumlhrend das Nachholen der versaumlumten Fastentage noch realistisch ist so ist das beim Gebet ausgeschlossen alleine wegen der hohen Zahl der taumlglichen Pflichten Zwar wird das Problem schon ausfuumlhrlich in den jurisshytischen Werken des Islam behandelt da es sich hier nicht ausschlieszliglich um ein moshydernes Phaumlnomen handelt dennoch ist zu beobachten dass viele Muslime in der Diaspora immer seltener ihren religioumlsen Pflichten nachkommen und somit der Proshyzess der Saumlkularisierung hier eindeutig einsetzt

Selbstverstaumlndlich gibt es auch in der Diaspora viele Muslime die den Geboten nachgehen dennoch sind es meistens dieshyjenigen die ihre Religion nicht mit dem beruflichen Alltag in der westlichen Welt vereinbaren muumlssen Auch die Pilgerfahrt nach Mekka die jeder Glaumlubige einmal in seinem Leben unternehmen soll wird haumlushyfig vor allem aus finanziellen Gruumlnden hinausgezoumlgert Fuumlr eine Familie die in der Diaspora nicht selten mit materiellen Schwierigkeiten zu kaumlmpfen hat haumltte eishyne solche Reise moumlglicherweise ernsthafte Konsequenzen Fuumlr viele ist die Pilgershyfahrt (hajj) einfach nicht realisierbar dashyher berufen sie sich auf die Koranaussage bdquoUnd die Menschen die Gott gegenuumlber verpflichtet die Wallfahrt nach dem Haus (Karsquoba Anm der Autorin) zu machen ndash soweit sie dazu eine Moumlglichkeit findenldquo18

und verzichten auf die Reise nach Saudi-Arabien Schlieszliglich gilt bdquoWer die grundshysaumltzliche Pflicht zum hajj leugnet sei es fuumlr sich oder andere wird unglaumlubigldquo19

und ein Hinauszoumlgern muss nicht zwinshygend mit der Leugnung verbunden sein Der Verzicht auf die Pilgerfahrt ist nicht unbedingt als ein Merkmal der Muslime in der modernen Diaspora anzusehen waumlhshyrend ein gekuumlrztes oder gar ausgebliebenes

SIAK-JOURNAL 22010

Fasten sowie der Alltag ohne Pflichtgeshybet sicherlich zu solchen Charakteristika zaumlhlen

Die Interkulturalitaumlt des Islam ist fuumlr diese Religion und ihre Anhaumlnger kein Novum Schon zur Entstehungszeit wurde die muslimische Gemeinde mit etablierten Glaubenssystemen wie dem Judentum dem Christentum und dem Zoroastrismus konfrontiert Die ablehnende Position des Christentums dem Islam gegenuumlber die juumldischen Bewohner von Medina die in der Person Muhammads keinen Propheten sehen wollten und schlieszliglich der Vorshywurf des Synkretismus der sich vor allem unter westlichen Gelehrten verbreitete ershyschwerten zusaumltzlich das Etablieren der neuen Religion im spaumltantiken Nahen Osten Gleichzeitig gab diese besondere Situation der entstehenden Religion eine Chance sich ihrem Umfeld von Beginn an anzupassen und bot sich den neuen ndash und potentiellen ndash Anhaumlngern vor allem als eishyne attraktive Alternative die im Grunde nicht viel veraumlnderte das Bekannte beshywahrte und mit der Zeit das Gefuumlhl der Zugehoumlrigkeit zu einer groszligen ndash immer wachsenden ndash Gemeinde vermittelte Die beschuumltzende und integrierende Rolle der Idee des Islam ist im historischen Kontext der Zeit ihrer Entstehung nicht zu untershyschaumltzen

Eine solche Interkulturalitaumlt ist auch in Europa nicht neu Dennoch flammen imshymer wieder Diskussionen auf die vor bdquoUumlberfluss des Fremdenldquo und bdquoAusstershyben des eigenen Kulturerbesldquo warnen und die Uumlbernahmen von Sprachgewohnheishyten Mode oder Verhaltensweisen brandshymarken Selbstverstaumlndlich wuumlrde eine kritiklose Aneignung fremder Muster zum Verlust eigener Identitaumlt und zu einer Orishyentierungslosigkeit auf der multikulturelshylen Arena der modernen europaumlischen Realitaumlt fuumlhren dennoch scheint eine geshywisse Uumlbervorsichtigkeit dem Fremden

gegenuumlber zu herrschen Dabei ist die Inshyterkulturalitaumlt nicht unbedingt nur als eine Gefahr fuumlr bdquodas Eigeneldquo anzusehen Soshywohl die Gastgeber als auch die Migranten haben eine Chance voneinander zu profishytieren die Bedingung ist ndash sie muumlssen sich kennen Dazu gehoumlren sowohl die Sprache des Gastlandes als auch die Gepflogenheishyten der Gaumlste Eine Konfrontation mit neushyen kulturellen und religioumlsen Ideen kann zur Reflexion uumlber eigene Werte und Weltshyanschauungen anspornen Und schlieszliglich bedeutet die Integration nicht einen Vershyzicht auf das Eigene sondern eher eine Bereitschaft sich zu oumlffnen und neue Wershyte zu den eigenen zusaumltzlich aufzunehmen

Die Muslime sind in Oumlstershyreich die drittgroumlszligte anerkannte

Religionsgemeinschaft20

Somit ist es auch der Islam der die meiste auf die Minderheiten gerichtete Aufmerksamkeit genieszligt was Vor- aber oft auch Nachteile hat Spaumltestens seit 2001 laumlsst sich verstaumlrkt eine negative Thematisierung und Oumlffentlichkeit beshyobachten Einerseits ist es bdquoin Mode gekomshymenldquo in islamische Laumlnder zu reisen oder gar Arabisch zu studieren andererseits sind es nicht selten die Ignoranz vielleicht auch die Angst und schlieszliglich die Macht der Medien die haumlufig ein verzerrtes Bild dieser Religion ndash und ihrer Anhaumlnger ndash darstellen Der Islam ist fremd und somit sicherlich spannend vielleicht etwas exoshytisch fuumlr viele jedoch eher bedrohlich Seine Anhaumlnger sind selbstverstaumlndlich nicht homogen zu sehen Die Mehrheit der Muslime will bdquonurldquo ihre Religion leben ndash eine vielleicht gewagte These wenn man die Medienberichte der letzten Monate ja Jahre beruumlcksichtigt Einerseits sehen wir Menschen die ihr Gebet verrichten einshymal jaumlhrlich fasten vielleicht engere Konshytakte mit der Familie in Jordanien im Lishy

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22010SIAK-JOURNAL

banon oder im Iran pflegen sich traditioshynell kleiden und nicht wirklich an der bdquogroszligenldquo Integration interessiert sind Sie leben einfach hier in Europa und versushychen ihre Traditionen nicht aufzugeben Andererseits beaumlngstigen uns Berichte uumlber Terroranschlaumlge terroristische Netzshywerke und Besuche in sogenannten bdquoTershyrorcampsldquo Drohungen an die gesamte westliche Welt die als Videobotschaften im Internet kursieren Razzien der Polizei in Frankfurt Amsterdam Wien London und schlieszliglich Entfuumlhrungen und Hinshyrichtungen westlicher Touristen Angeshystellter oder Studenten in islamischen Laumlndern Wo liegt die Grenze zwischen Toleranz und Angst ja Panik Wo die Grenze zwischen Akzeptanz und Ablehshynung Und schlieszliglich ndash wo liegt die Grenshyze zwischen Integration und Abwehr

Die islamische umma zaumlhlt alleine in der Europaumlischen Union knapp 14 Millionen Mitglieder21 Es ist kaum moumlglich diese in sich heterogene Gruppe zu uumlberschauen oder zu kontrollieren Um sich den Muslishymen zu naumlhern bzw sie als Teil unserer Gemeinschaft wahrzunehmen ist es denshynoch wichtig sich mit ihren Vorstellungen und Werten (sofern diese kulturell-religioumls beeinflusst sind und man von bdquokollektiven Wertenldquo sprechen kann) zwecks eines besshyseren Verstaumlndnisses auseinanderzusetzen Das bedeutet auch den Islam als Religion aber auch Teil einer anderen Kultur besser kennen zu lernen seine Idee Geschichte und Praxis Denn Vertrautes houmlrt auf fremd zu sein Einen Beitrag hierzu zu liefern war Anspruch des vorliegenden Artikels

1 Ulram 2009 2 Ebd 9 3 Ebd 21 4 Endreszlig 1997 37 5 Nach islamischer Tradition sollte der

Prophet die ersten religioumlsen Erfahrunshy

gen seiner Frau Khadija anvertraut hashy

ben die ihn dazu ermutigt haben soll die

Botschaft Gottes zu verbreiten Interesshy

santerweise wird Khadija im Koran nicht

erwaumlhnt 6 Vgl Danecki 1998 29 ff 7 Vgl Hughes 1995 231b 8 Sure 2187

9 Eine genaue Bestimmung des Fastenanshy

fangs kann wegen Witterungsproblemen

und unterschiedlichen Ortszeiten Schwieshy

rigkeiten bereiten im Zweifelsfall duumlrfen

sich die Glaumlubigen nach der Zeit in Saushy

di-Arabien orientieren wo das obligatorishy

sche Fasten institutionalisiert wurde und

fuumlr alle Muslime auf der Welt gilt unabshy

haumlngig von der Zeitzone ihres Aufentshy

haltsortes Ein detailliertes Studium zu

Berechnungsmoumlglichkeiten und -praktika

fuumlr die Bestimmung der genauen Fastenshy

zeit im Monat Ramadan siehe Lech 1979 10 Vgl Motzki 1986 409

11 Vgl Schimmel 2002 100 12 Zum Beispiel Sure 2185 13 Mittwoch 1913 9 14 Interessanterweise sind es nur zwei Koshy

ranstellen die Genaueres zu den Vorbeshy

reitungen auf das Pflichtgebet sagen Sushy

re 443 und 56 Weitere Bestimmungen

und Konkretisierungen sind erst in den

Uumlberlieferungen zu finden die in der Zeit

nach dem Tode des Propheten niedergeshy

schrieben wurden oder gar entstanden 15 Detaillierte Beschreibung siehe zB

Reidegeld 2008 149ndash231 16 Haumlufig benutzen Muslime eine Matte

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SIAK-JOURNAL 22010

oder einen Gebetsteppich (sajjada) wenn sie aushy

szligerhalb einer Moschee beten Auch die Boumlden in

Moscheen werden meistens mit Teppichen vershy

legt 17 Maumlnner muumlssen fuumlrs Gebet ihre Geschlechtsteishy

le bedecken am besten jedoch ihren Koumlrper von

der Brust bis zu den Knien bei Frauen gilt Nur

Gesicht und Fuumlszlige duumlrfen unbedeckt bleiben Dieshy

se Vorschriften variieren in ihren Details in den

islamischen Rechtsschulen 18 Sure 397 19 Reidegeld 2008 589 20 Khorchide 2009 9 21 Laut einer Statistik des Zentral-Instituts Islamshy

Archiv-Deutschland (Soest) hat sich die muslimishy

sche Gemeinschaft in Europa von 522 Mio

(2003) um 800000 auf uumlber 53 Mio (2005) ershy

houmlht Die Zunahme resultierte aus exakteren Dashy

ten der Behoumlrden Nach den Angaben gibt es die

meisten Muslime auf dem europaumlischen Kontishy

nent in Russland (25 Mio) gefolgt von der Tuumlrshy

kei (59 Mio) In der EU allein leben knapp 14

Mio Muslime die meisten davon in Frankreich

(55 Mio) und Deutschland (32 Mio)

httpwwwshortnewsdestartcfmid=593380

Abgerufen am 25012010

Quellenangaben

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islamie Band 1 Warszawa

Der Koran Uumlbersetzung von Paret R(2007)

Stuttgart

Endreszlig G (1997) Der Islam Eine Einfuumlhrung

in seine Geschichte Muumlnchen

Hughes T P (1995) Lexikon des Islam Wiesshy

baden

Khorchide M (2009) Der islamische Religionsshy

unterricht in Oumlsterreich OumlIF-Dossier (52009)

Lech K (1979) Geschichte des islamischen Kulshy

tus Rechtshistorische und hadit ndash kritische Unshy

tersuchungen zur Entwicklung und Systematik

der rsquoIbadat Band1 Das ramadan Fasten Wiesshy

baden

Mittwoch E (1913) Zur Entstehungsgeschichte

des islamischen Gebets und Kultus Berlin

Motzki H (1986) Das Kind und seine Sozialishy

sierung in der islamischen Familie des Mittelalshy

ters in Martin JNitschke A (Hg) Zur Sozialshy

geschichte der Kindheit Muumlnchen

Reidegeld A A (2008) Handbuch Islam Die

Glaubens- und Rechtslehre der Muslime Dali

Nikosia

Schimmel A (2002) Das islamische Jahr Zeiten

und Feste Muumlnchen

Ulram P A (2009) Integration in Oumlsterreich

Einstellungen Orientierungen und Erfahrungen

von MigrantInnen und Angehoumlrigen der Mehrshy

heitsbevoumllkerung Wien

Weiterfuumlhrende Literatur und Links

Kraumlmer G (2005) Geschichte des Islam Muumlnshy

chen

Wellhausen J (1961) Reste arabischen Heidenshy

tums Berlin

httpwwwshortnewsdestartcfmid=593380

Abgerufen am 20012010

httpwwwfocusdepolitikdeutschland

konvertiten_aid_131946html Abgerufen am

20012010

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SIAK-JOURNAL 22010

Muslime sondern weil es zur Tradition gehoumlrt Die bindende Funktion des islamishyschen Fastens vor allem die Festivitaumlten zu Ende der Fastenperiode lassen sich mit den Feierlichkeiten des Versoumlhnungstages im Judentum und mit der Weihnachtszeit des Christentums vergleichen

Die besondere Strenge des islamischen Fastens liegt darin dass es sich hier um Vollfasten handelt Das bedeutet dass jegshyliche Speisen und Getraumlnke sowie Tabak-rauch Geschlechtsverkehr und sogar das Riechen einer Blume untersagt sind Gefasshytet wird von der Morgendaumlmmerung bis zum Einbruch der Dunkelheit gemaumlszlig dem Koran bdquoEsset und trinkt bis ihr in der Morgendaumlmmerung einen weiszligen von eishynem schwarzen Faden unterscheiden koumlnnt Hierauf haltet das Fasten an bis zur Nachtldquo8 Die Dauer der Fastenzeit haumlngt von der Dauer des Monats Ramadan ab ndash es koumlnnen 29 oder 30 Tage sein der Moshynat beginnt sobald die Mondsichel zu seshyhen ist9

Jedes erwachsene gesunde und nicht reisende Mitglied der umma ist verpflichtet im Monat Ramadan zu fasten

Die genaueren Bestimmungen dieser Eigenschaften werden detailliert in den Gesetzen eroumlrtert und weichen in den einshyzelnen islamischen Rechtsschulen voneishynander ab Das individuelle Fasten ermoumlgshylicht die Entscheidung fuumlr jeden selbst ob er in der Lage ist diese religioumlse Pflicht auszufuumlhren Generell gilt Das Fasten ist eine Pflicht fuumlr alle Mitglieder der Geshymeinde und nur bestimmte Gruppen der Glaumlubigen werden von dieser Pflicht beshyfreit Es sind Frauen unter bestimmten Umstaumlnden Kinder aumlltere Menschen und schlieszliglich Reisende die das Fasten nicht immer einhalten muumlssen Fuumlr Frauen ist es die Zeit der monatlichen Blutung der Geshy

burt und der Schwangerschaft in der sie nicht zu fasten brauchen wobei jede Schwangere selbst zu entscheiden hat ob die Strapazen des Fastens ihr und dem Unshygeborenen nicht schaden10 Anders ist es mit der Monatsblutung und der Geburt da diese physiologischen Prozesse mit Blut verbunden sind Blut auch menschliches gilt im Islam als unrein und verunreinishygend Daher wird eine Frau unter diesen Umstaumlnden aus der fastenden Gemeinde ausgeschlossen auch wenn die Verunreinishygung im Islam ndash anders als im Judentum ndash nicht uumlbertragbar ist

Umstritten bleibt ab welchem Alter die Kinder fasten sollen Die Gesetze der islashymischen Rechtsschulen weichen hier vonshyeinander ab Die Vorgehensweise die Kinshyder langsam an das Fasten zu gewoumlhnen ist unterschiedlich in unterschiedlichen Regionen der islamischen Welt Generell fasten die Kinder zunaumlchst nur am ersten und letzten Tag des Monats Ramadan und jedes Jahr etwas laumlnger bis sie mit den Ershywachsenen mithalten koumlnnen11 Das vollshystaumlndige Fasten der Kinder ab dem ca zehnten Lebensjahr wie es in der fruumlheren Zeit praktiziert wurde wird heute nicht mehr allgemein eingehalten Die Gesetze sind hier in ihrem historischen Kontext zu verstehen waumlhrend sich die Erziehungsshymethoden auch im Kontext der Ausfuumlhshyrung religioumlser Rituale etwas dem Zeitshygeist angepasst haben

Fastendispens genieszligen auch aumlltere Menshyschen die allgemein unter einem besonshyderen Schutz in der islamischen Kultur steshyhen Der Islam bedient sich hier aumllterer arabischer Traditionen und verehrt aumlltere Menschen indem etwa diejenigen die ihr vierzigstes Lebensjahr erreicht haben von der Fastenpflicht befreit sind Im praktishyschen Leben sofern eine Person uumlberhaupt fastet tut sie dies auch bis zum Lebensende

Auch waumlhrend einer Reise wird ein Glaumlubiger vom Fasten befreit bdquoUnd wenn

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einer von euch () sich auf einer Reise befindet (und deshalb nicht fasten kann ist ihm) eine (entsprechende) Anzahl anshyderer Tage (zur Nachholung des Fastens auferlegt)ldquo lesen wir in Sure 2184 Es bleibt jedem selbst uumlberlassen zu entshyscheiden ob die Strapazen der Reise und die des Fastens die Gesundheit oder gar das Leben gefaumlhrden

Wie gezeigt wird der obligatorische Charakter des islamischen Fastens durch eine Reihe von Dispensen eingeschraumlnkt Hierzu gehoumlrt auch eine Gruppe die einen solchen Dispens zwar nicht gesetzlich geshynieszligt dennoch immer haumlufiger praktiziert es sind die Muslime in der Diaspora Das vollstaumlndige Fasten ist fuumlr diejenigen die in modernen Industrielaumlndern leben kaum haltbar die Vereinbarung der notwendigen Lebensrhythmusumstellungen mit dem beruflichen Leben ist eigentlich nicht durchfuumlhrbar Unabhaumlngig vom Typ der Beschaumlftigung haben der Verzicht auf Nahrung und Trank sowie die naumlchtlichen Treffen der Familie und Bekannten und schlieszliglich die laumlngeren Aufenthalte in Moscheen oder anderen Gebetsorten klare Konsequenzen fuumlr die Konzentrationsshyund Arbeitsfaumlhigkeit eines Fastenden Dashyher wird auf das Fasten haumlufig verzichtet Eine Moumlglichkeit die versaumlumten Fasten-tage nachzuholen und die praktische Vershyanlagung des Islam generell (immer wieshyder beruhigt der Koran die Glaumlubigen bdquoGott will es euch leicht machen nicht schwerldquo12) haben zur Folge dass die Rishytuale dem Alltag und seiner Realitaumlt angeshypasst werden Und wenn ein Glaumlubiger keine Moumlglichkeit sieht in seinen Berufsshyalltag die Strapazen des Fastens zu integshyrieren verzichtet er auf die Ausfuumlhrung des Rituals und der Monat Ramadan bleibt fuumlr ihn keine besondere Zeit

Noch bdquoeinfacherldquo abzulassen ist das isshylamische Pflichtgebet das fuumlnfmal taumlglich abzuhalten ist und mit einer Reihe von

Vorbereitungen verbunden ist In den islashymischen Laumlndern ndash und so auch zur Entshystehungszeit des Islam ndash soll das taumlgliche Gebet den Rhythmus der umma bestimmen Morgens (zwischen Morgendaumlmmerung (fajr) und dem Morgen (subh)) mittags (zuhr) nachmittags (rsquoasr) beim Sonnenshyuntergang (maghrib) und schlieszliglich nachts (rsquoisa) soll sich ein glaumlubiger Muslim zum Gebet aufstellen wobei die genauen Uhrshyzeiten von der Jahreszeit und geografishyschen Lage abhaumlngig sind In den islamishyschen Laumlndern wird den Glaumlubigen mit einem Gebetsruf (adhan) der Anfang der jeweiligen Gebetszeit mitgeteilt Ein solshycher Zeitaufwand war schon fuumlr die ersten Anhaumlnger des Islam enorm und ungeshywoumlhnlich bdquoIm Leben der vorislamischen Araber kann das Gebet wenn uumlberhaupt so nur eine untergeordnete Rolle gespielt haben Wohl werden auch sie sich zuweishylen mit ihren Anliegen an ihre Goumltter geshywandt haben aber als eine wiederholt oder gar staumlndig zu uumlbende Pflicht des Kultus haben sie das Gebet sicherlich nicht geshykannt Als Muhammed das Gebet zu einer staumlndigen Institution des Islam machte begegnete er hierbei zunaumlchst groszligen Schwierigkeitenldquo13

Um ein guumlltiges Gebet abzushyhalten muss sich ein Muslim

vorbereiten

Zunaumlchst ist es wichtig dass ein Gebet nur im Zustand ritueller Reinheit moumlglich ist Ein Glaumlubiger formuliert ndash meist nur in Gedanken ndash die Absicht (niyya) ein guumllshytiges Gebet durchzufuumlhren Jetzt ist die Zeit fuumlr die rituelle Waschung deren Abshylauf im Koran14 und spaumlter detailliert in der sunna (Tradition des Propheten in der seishyne Aussagen und Handlungen uumlberliefert werden sollen) sowie in weiteren juristishyschen Werken festgelegt wurde Drei Moumlgshylichkeiten hat ein Muslim seinen Koumlrper

SIAK-JOURNAL 22010

vor dem Gebet rituell zu reinigen die Wahl ist von der Verunreinigung und den vorhandenen Wasservorraumlten abhaumlngig Eine kleine (oder bdquonormaleldquo) Verunreinishygung (hadath) findet statt wenn ein Glaumlushybiger bull eine Person anderen Geschlechts beshy

ruumlhrt (ausgenommen der eigenen Eheshygattin)

bull eigene Geschlechtsteile beruumlhrt bull vom Abort zuruumlckkehrt bull eingeschlafen ist oder ohnmaumlchtig wurde

Hadath wird mit einer kleinen Washyschung (wudhu) beseitigt indem bull das Gesicht gewaschen wird (vom

Haaransatz bis zum Kinn und vom rechten zum linken Ohr)

bull die Haumlnde bis zu den Ellenbogen gewashyschen (erst die rechte dann die linke Seite beides dreifach) und die Zaumlhne geputzt werden

bull Mund und Nase ausgespuumllt werden (wobei das Wasser aus der rechten Hand aufgenommen und in die linke ausgespuumllt wird)

bull der Kopf (von vorn bis hinten) und die Ohren (auszligen und innen) mit Wasser bestrichen werden

bull die Fuumlszlige bis zu den Knoumlcheln gewashyschen werden (analog zu den Haumlnden zuerst die rechte dann die linke Seite beides dreifach)

bull Sollte sich ein Glaumlubiger im Zustand groszliger Unreinheit (janaba) befinden so ist auch eine groszlige Waschung (ghusl) durchzufuumlhren Janaba entsteht durch

bull Geschlechtsverkehr bull Ausstoszlig von Samenfluumlssigkeit (unabshy

haumlngig vom Geschlechtsverkehr) bull Menstruation bull Geburt bull Tod15

Ghusl ist ein Vollbad wobei es wichtig ist dass alle Koumlrperteile mit Wasser beshygossen werden Eine bestimmte Reihenshyfolge der Waschung wird hier nicht vorgeshy

geben Es ist leicht vorstellbar dass solche Reinigungspraktiken vor allem in den Wuumlstengebieten Saudi-Arabiens einen enormen Wasserverbrauch nach sich zoshygen Das Wasser fuumlr die rituelle Reinigung muss zudem sauber und bestenfalls flieshyszligend sein Daher gibt es eine Alternative zur Wasserreinigung ndash eine rituelle Sandshywaschung (tayammum) die selbstvershystaumlndlich nur symbolisch abzuhalten ist und eine Reibung von Haumlnden und Fuumlszligen sowie des Gesichts genuumlgt um eine kleine Verunreinigung zu beseitigen und ein Geshybet durchfuumlhren zu duumlrfen Auch die Kleishydung und der Ort an dem ein Gebet abgeshyhalten wird muumlssen rituell rein sein Obwohl ein Spruch des Propheten Mushyhammad besagt dass die ganze Erde eine Moschee sei ist es einem Muslim nicht ershylaubt auf den Friedhoumlfen in Schlachtshyhoumlfen Baumldern an Aborten sowie an Muumlllshyhalden zu beten Sollte ein Glaumlubiger keine Moumlglichkeit haben in einer Moshyschee zu beten so ist es wichtig dass sein aktueller Gebetsort sauber ist16 Auch ist die Kleidung sauber zu halten die Schuhe werden zum Gebet ausgezogen17

Erst wenn der Zustand ritushyeller Reinheit erreicht wurde ist es moumlglich ein Gebet zu

sprechen

Dies kann individuell oder in einer Geshymeinde meist in einer Moschee gescheshyhen Das Gebet in einer Gemeinde wird von einem Imam gefuumlhrt der allerdings nicht als islamisches Aumlquivalent des christlichen Priesters anzusehen ist Zu Beginn des Islam uumlbernahmen die Anfuumlhshyrer der islamischen Gemeinde (als Erster selbstverstaumlndlich der Prophet selbst) die Funktion des Imam in der Zeit der Erobeshyrungszuumlge waren es haumlufig Kommandeure des Heeres in den Staumldten Statthalter und schlieszliglich islamische Theologen und

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Rechtsgelehrte oder Personen mit besonshyderem Charisma Es ist eine Neuerscheishynung dass eine Moschee ihren eigenen Imam hat der seiner Funktion als beruflishyche Taumltigkeit nachgeht

Mindestens einmal woumlchentlich sollen sich die Glaumlubigen in einer Moschee vershysammeln ndash freitags zum Mittagsgebet Eine Predigt (khutba) wird bei dieser Gelegenshyheit ndash und noch vor dem eigentlichen Geshybet ndash gehalten Der Prediger kann muss aber nicht zwingend auch die Funktion des Imam innehaben Die khutba war schon in der vorislamischen arabischen Welt bekannt und wurde bei vielen Geleshygenheiten ndash wie Regelungen allerart zwishyschen Staumlmmen (Frieden schlieszligen Durchfuumlhrung der Blutrache Kriegsaufruf etc) und innerhalb des eigenen Stammes (bei groszligen Ereignissen wie Berufung eishynes neuen Stammesaumlltesten Hochzeiten Geburten etc) ndash gehalten Diese Tradition setzte Muhammad fort er selbst hielt die ersten Predigten und nutzte sie um die Regelungen des Islam zu verkuumlnden die Glaumlubigen in schwierigen Zeiten zu untershystuumltzen ihnen Mut Ausdauer und Beharrshylichkeit zuzusprechen und schlieszliglich um sie zum Kampf gegen bdquoFeinde des Islamldquo zu ermutigen Heute unterscheidet sich der Inhalt der Freitagspredigt vielerorts voneinander und wird auch haumlufig mit der aktuellen politischen und kulturellen Sishytuation der einzelnen Gemeinden und der gesamten islamischen umma verknuumlpft Die integrierende und kommunikative Rolle der Freitagspredigt und ihre Binshydung an die religioumlsen Pflichten der Musshylime sind nicht zu unterschaumltzen

Aumlhnlich wie das Fasten so ist auch die Ausfuumlhrung des Pflichtgebets in der Diasshypora haumlufig mit einem enormen Aufwand verbunden Die Quantitaumlt des Gebets die fehlenden Moumlglichkeiten entsprechende Waschungen vorzunehmen und schlieszligshylich einen geeigneten Ort zum Gebet zu

finden fuumlhren dazu dass viele Muslime auszligerhalb der islamischen Welt ihre Geshybetspflicht vernachlaumlssigen Waumlhrend das Nachholen der versaumlumten Fastentage noch realistisch ist so ist das beim Gebet ausgeschlossen alleine wegen der hohen Zahl der taumlglichen Pflichten Zwar wird das Problem schon ausfuumlhrlich in den jurisshytischen Werken des Islam behandelt da es sich hier nicht ausschlieszliglich um ein moshydernes Phaumlnomen handelt dennoch ist zu beobachten dass viele Muslime in der Diaspora immer seltener ihren religioumlsen Pflichten nachkommen und somit der Proshyzess der Saumlkularisierung hier eindeutig einsetzt

Selbstverstaumlndlich gibt es auch in der Diaspora viele Muslime die den Geboten nachgehen dennoch sind es meistens dieshyjenigen die ihre Religion nicht mit dem beruflichen Alltag in der westlichen Welt vereinbaren muumlssen Auch die Pilgerfahrt nach Mekka die jeder Glaumlubige einmal in seinem Leben unternehmen soll wird haumlushyfig vor allem aus finanziellen Gruumlnden hinausgezoumlgert Fuumlr eine Familie die in der Diaspora nicht selten mit materiellen Schwierigkeiten zu kaumlmpfen hat haumltte eishyne solche Reise moumlglicherweise ernsthafte Konsequenzen Fuumlr viele ist die Pilgershyfahrt (hajj) einfach nicht realisierbar dashyher berufen sie sich auf die Koranaussage bdquoUnd die Menschen die Gott gegenuumlber verpflichtet die Wallfahrt nach dem Haus (Karsquoba Anm der Autorin) zu machen ndash soweit sie dazu eine Moumlglichkeit findenldquo18

und verzichten auf die Reise nach Saudi-Arabien Schlieszliglich gilt bdquoWer die grundshysaumltzliche Pflicht zum hajj leugnet sei es fuumlr sich oder andere wird unglaumlubigldquo19

und ein Hinauszoumlgern muss nicht zwinshygend mit der Leugnung verbunden sein Der Verzicht auf die Pilgerfahrt ist nicht unbedingt als ein Merkmal der Muslime in der modernen Diaspora anzusehen waumlhshyrend ein gekuumlrztes oder gar ausgebliebenes

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Fasten sowie der Alltag ohne Pflichtgeshybet sicherlich zu solchen Charakteristika zaumlhlen

Die Interkulturalitaumlt des Islam ist fuumlr diese Religion und ihre Anhaumlnger kein Novum Schon zur Entstehungszeit wurde die muslimische Gemeinde mit etablierten Glaubenssystemen wie dem Judentum dem Christentum und dem Zoroastrismus konfrontiert Die ablehnende Position des Christentums dem Islam gegenuumlber die juumldischen Bewohner von Medina die in der Person Muhammads keinen Propheten sehen wollten und schlieszliglich der Vorshywurf des Synkretismus der sich vor allem unter westlichen Gelehrten verbreitete ershyschwerten zusaumltzlich das Etablieren der neuen Religion im spaumltantiken Nahen Osten Gleichzeitig gab diese besondere Situation der entstehenden Religion eine Chance sich ihrem Umfeld von Beginn an anzupassen und bot sich den neuen ndash und potentiellen ndash Anhaumlngern vor allem als eishyne attraktive Alternative die im Grunde nicht viel veraumlnderte das Bekannte beshywahrte und mit der Zeit das Gefuumlhl der Zugehoumlrigkeit zu einer groszligen ndash immer wachsenden ndash Gemeinde vermittelte Die beschuumltzende und integrierende Rolle der Idee des Islam ist im historischen Kontext der Zeit ihrer Entstehung nicht zu untershyschaumltzen

Eine solche Interkulturalitaumlt ist auch in Europa nicht neu Dennoch flammen imshymer wieder Diskussionen auf die vor bdquoUumlberfluss des Fremdenldquo und bdquoAusstershyben des eigenen Kulturerbesldquo warnen und die Uumlbernahmen von Sprachgewohnheishyten Mode oder Verhaltensweisen brandshymarken Selbstverstaumlndlich wuumlrde eine kritiklose Aneignung fremder Muster zum Verlust eigener Identitaumlt und zu einer Orishyentierungslosigkeit auf der multikulturelshylen Arena der modernen europaumlischen Realitaumlt fuumlhren dennoch scheint eine geshywisse Uumlbervorsichtigkeit dem Fremden

gegenuumlber zu herrschen Dabei ist die Inshyterkulturalitaumlt nicht unbedingt nur als eine Gefahr fuumlr bdquodas Eigeneldquo anzusehen Soshywohl die Gastgeber als auch die Migranten haben eine Chance voneinander zu profishytieren die Bedingung ist ndash sie muumlssen sich kennen Dazu gehoumlren sowohl die Sprache des Gastlandes als auch die Gepflogenheishyten der Gaumlste Eine Konfrontation mit neushyen kulturellen und religioumlsen Ideen kann zur Reflexion uumlber eigene Werte und Weltshyanschauungen anspornen Und schlieszliglich bedeutet die Integration nicht einen Vershyzicht auf das Eigene sondern eher eine Bereitschaft sich zu oumlffnen und neue Wershyte zu den eigenen zusaumltzlich aufzunehmen

Die Muslime sind in Oumlstershyreich die drittgroumlszligte anerkannte

Religionsgemeinschaft20

Somit ist es auch der Islam der die meiste auf die Minderheiten gerichtete Aufmerksamkeit genieszligt was Vor- aber oft auch Nachteile hat Spaumltestens seit 2001 laumlsst sich verstaumlrkt eine negative Thematisierung und Oumlffentlichkeit beshyobachten Einerseits ist es bdquoin Mode gekomshymenldquo in islamische Laumlnder zu reisen oder gar Arabisch zu studieren andererseits sind es nicht selten die Ignoranz vielleicht auch die Angst und schlieszliglich die Macht der Medien die haumlufig ein verzerrtes Bild dieser Religion ndash und ihrer Anhaumlnger ndash darstellen Der Islam ist fremd und somit sicherlich spannend vielleicht etwas exoshytisch fuumlr viele jedoch eher bedrohlich Seine Anhaumlnger sind selbstverstaumlndlich nicht homogen zu sehen Die Mehrheit der Muslime will bdquonurldquo ihre Religion leben ndash eine vielleicht gewagte These wenn man die Medienberichte der letzten Monate ja Jahre beruumlcksichtigt Einerseits sehen wir Menschen die ihr Gebet verrichten einshymal jaumlhrlich fasten vielleicht engere Konshytakte mit der Familie in Jordanien im Lishy

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22010SIAK-JOURNAL

banon oder im Iran pflegen sich traditioshynell kleiden und nicht wirklich an der bdquogroszligenldquo Integration interessiert sind Sie leben einfach hier in Europa und versushychen ihre Traditionen nicht aufzugeben Andererseits beaumlngstigen uns Berichte uumlber Terroranschlaumlge terroristische Netzshywerke und Besuche in sogenannten bdquoTershyrorcampsldquo Drohungen an die gesamte westliche Welt die als Videobotschaften im Internet kursieren Razzien der Polizei in Frankfurt Amsterdam Wien London und schlieszliglich Entfuumlhrungen und Hinshyrichtungen westlicher Touristen Angeshystellter oder Studenten in islamischen Laumlndern Wo liegt die Grenze zwischen Toleranz und Angst ja Panik Wo die Grenze zwischen Akzeptanz und Ablehshynung Und schlieszliglich ndash wo liegt die Grenshyze zwischen Integration und Abwehr

Die islamische umma zaumlhlt alleine in der Europaumlischen Union knapp 14 Millionen Mitglieder21 Es ist kaum moumlglich diese in sich heterogene Gruppe zu uumlberschauen oder zu kontrollieren Um sich den Muslishymen zu naumlhern bzw sie als Teil unserer Gemeinschaft wahrzunehmen ist es denshynoch wichtig sich mit ihren Vorstellungen und Werten (sofern diese kulturell-religioumls beeinflusst sind und man von bdquokollektiven Wertenldquo sprechen kann) zwecks eines besshyseren Verstaumlndnisses auseinanderzusetzen Das bedeutet auch den Islam als Religion aber auch Teil einer anderen Kultur besser kennen zu lernen seine Idee Geschichte und Praxis Denn Vertrautes houmlrt auf fremd zu sein Einen Beitrag hierzu zu liefern war Anspruch des vorliegenden Artikels

1 Ulram 2009 2 Ebd 9 3 Ebd 21 4 Endreszlig 1997 37 5 Nach islamischer Tradition sollte der

Prophet die ersten religioumlsen Erfahrunshy

gen seiner Frau Khadija anvertraut hashy

ben die ihn dazu ermutigt haben soll die

Botschaft Gottes zu verbreiten Interesshy

santerweise wird Khadija im Koran nicht

erwaumlhnt 6 Vgl Danecki 1998 29 ff 7 Vgl Hughes 1995 231b 8 Sure 2187

9 Eine genaue Bestimmung des Fastenanshy

fangs kann wegen Witterungsproblemen

und unterschiedlichen Ortszeiten Schwieshy

rigkeiten bereiten im Zweifelsfall duumlrfen

sich die Glaumlubigen nach der Zeit in Saushy

di-Arabien orientieren wo das obligatorishy

sche Fasten institutionalisiert wurde und

fuumlr alle Muslime auf der Welt gilt unabshy

haumlngig von der Zeitzone ihres Aufentshy

haltsortes Ein detailliertes Studium zu

Berechnungsmoumlglichkeiten und -praktika

fuumlr die Bestimmung der genauen Fastenshy

zeit im Monat Ramadan siehe Lech 1979 10 Vgl Motzki 1986 409

11 Vgl Schimmel 2002 100 12 Zum Beispiel Sure 2185 13 Mittwoch 1913 9 14 Interessanterweise sind es nur zwei Koshy

ranstellen die Genaueres zu den Vorbeshy

reitungen auf das Pflichtgebet sagen Sushy

re 443 und 56 Weitere Bestimmungen

und Konkretisierungen sind erst in den

Uumlberlieferungen zu finden die in der Zeit

nach dem Tode des Propheten niedergeshy

schrieben wurden oder gar entstanden 15 Detaillierte Beschreibung siehe zB

Reidegeld 2008 149ndash231 16 Haumlufig benutzen Muslime eine Matte

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SIAK-JOURNAL 22010

oder einen Gebetsteppich (sajjada) wenn sie aushy

szligerhalb einer Moschee beten Auch die Boumlden in

Moscheen werden meistens mit Teppichen vershy

legt 17 Maumlnner muumlssen fuumlrs Gebet ihre Geschlechtsteishy

le bedecken am besten jedoch ihren Koumlrper von

der Brust bis zu den Knien bei Frauen gilt Nur

Gesicht und Fuumlszlige duumlrfen unbedeckt bleiben Dieshy

se Vorschriften variieren in ihren Details in den

islamischen Rechtsschulen 18 Sure 397 19 Reidegeld 2008 589 20 Khorchide 2009 9 21 Laut einer Statistik des Zentral-Instituts Islamshy

Archiv-Deutschland (Soest) hat sich die muslimishy

sche Gemeinschaft in Europa von 522 Mio

(2003) um 800000 auf uumlber 53 Mio (2005) ershy

houmlht Die Zunahme resultierte aus exakteren Dashy

ten der Behoumlrden Nach den Angaben gibt es die

meisten Muslime auf dem europaumlischen Kontishy

nent in Russland (25 Mio) gefolgt von der Tuumlrshy

kei (59 Mio) In der EU allein leben knapp 14

Mio Muslime die meisten davon in Frankreich

(55 Mio) und Deutschland (32 Mio)

httpwwwshortnewsdestartcfmid=593380

Abgerufen am 25012010

Quellenangaben

Danecki J (1998) Podstawowe wiadomosci o

islamie Band 1 Warszawa

Der Koran Uumlbersetzung von Paret R(2007)

Stuttgart

Endreszlig G (1997) Der Islam Eine Einfuumlhrung

in seine Geschichte Muumlnchen

Hughes T P (1995) Lexikon des Islam Wiesshy

baden

Khorchide M (2009) Der islamische Religionsshy

unterricht in Oumlsterreich OumlIF-Dossier (52009)

Lech K (1979) Geschichte des islamischen Kulshy

tus Rechtshistorische und hadit ndash kritische Unshy

tersuchungen zur Entwicklung und Systematik

der rsquoIbadat Band1 Das ramadan Fasten Wiesshy

baden

Mittwoch E (1913) Zur Entstehungsgeschichte

des islamischen Gebets und Kultus Berlin

Motzki H (1986) Das Kind und seine Sozialishy

sierung in der islamischen Familie des Mittelalshy

ters in Martin JNitschke A (Hg) Zur Sozialshy

geschichte der Kindheit Muumlnchen

Reidegeld A A (2008) Handbuch Islam Die

Glaubens- und Rechtslehre der Muslime Dali

Nikosia

Schimmel A (2002) Das islamische Jahr Zeiten

und Feste Muumlnchen

Ulram P A (2009) Integration in Oumlsterreich

Einstellungen Orientierungen und Erfahrungen

von MigrantInnen und Angehoumlrigen der Mehrshy

heitsbevoumllkerung Wien

Weiterfuumlhrende Literatur und Links

Kraumlmer G (2005) Geschichte des Islam Muumlnshy

chen

Wellhausen J (1961) Reste arabischen Heidenshy

tums Berlin

httpwwwshortnewsdestartcfmid=593380

Abgerufen am 20012010

httpwwwfocusdepolitikdeutschland

konvertiten_aid_131946html Abgerufen am

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einer von euch () sich auf einer Reise befindet (und deshalb nicht fasten kann ist ihm) eine (entsprechende) Anzahl anshyderer Tage (zur Nachholung des Fastens auferlegt)ldquo lesen wir in Sure 2184 Es bleibt jedem selbst uumlberlassen zu entshyscheiden ob die Strapazen der Reise und die des Fastens die Gesundheit oder gar das Leben gefaumlhrden

Wie gezeigt wird der obligatorische Charakter des islamischen Fastens durch eine Reihe von Dispensen eingeschraumlnkt Hierzu gehoumlrt auch eine Gruppe die einen solchen Dispens zwar nicht gesetzlich geshynieszligt dennoch immer haumlufiger praktiziert es sind die Muslime in der Diaspora Das vollstaumlndige Fasten ist fuumlr diejenigen die in modernen Industrielaumlndern leben kaum haltbar die Vereinbarung der notwendigen Lebensrhythmusumstellungen mit dem beruflichen Leben ist eigentlich nicht durchfuumlhrbar Unabhaumlngig vom Typ der Beschaumlftigung haben der Verzicht auf Nahrung und Trank sowie die naumlchtlichen Treffen der Familie und Bekannten und schlieszliglich die laumlngeren Aufenthalte in Moscheen oder anderen Gebetsorten klare Konsequenzen fuumlr die Konzentrationsshyund Arbeitsfaumlhigkeit eines Fastenden Dashyher wird auf das Fasten haumlufig verzichtet Eine Moumlglichkeit die versaumlumten Fasten-tage nachzuholen und die praktische Vershyanlagung des Islam generell (immer wieshyder beruhigt der Koran die Glaumlubigen bdquoGott will es euch leicht machen nicht schwerldquo12) haben zur Folge dass die Rishytuale dem Alltag und seiner Realitaumlt angeshypasst werden Und wenn ein Glaumlubiger keine Moumlglichkeit sieht in seinen Berufsshyalltag die Strapazen des Fastens zu integshyrieren verzichtet er auf die Ausfuumlhrung des Rituals und der Monat Ramadan bleibt fuumlr ihn keine besondere Zeit

Noch bdquoeinfacherldquo abzulassen ist das isshylamische Pflichtgebet das fuumlnfmal taumlglich abzuhalten ist und mit einer Reihe von

Vorbereitungen verbunden ist In den islashymischen Laumlndern ndash und so auch zur Entshystehungszeit des Islam ndash soll das taumlgliche Gebet den Rhythmus der umma bestimmen Morgens (zwischen Morgendaumlmmerung (fajr) und dem Morgen (subh)) mittags (zuhr) nachmittags (rsquoasr) beim Sonnenshyuntergang (maghrib) und schlieszliglich nachts (rsquoisa) soll sich ein glaumlubiger Muslim zum Gebet aufstellen wobei die genauen Uhrshyzeiten von der Jahreszeit und geografishyschen Lage abhaumlngig sind In den islamishyschen Laumlndern wird den Glaumlubigen mit einem Gebetsruf (adhan) der Anfang der jeweiligen Gebetszeit mitgeteilt Ein solshycher Zeitaufwand war schon fuumlr die ersten Anhaumlnger des Islam enorm und ungeshywoumlhnlich bdquoIm Leben der vorislamischen Araber kann das Gebet wenn uumlberhaupt so nur eine untergeordnete Rolle gespielt haben Wohl werden auch sie sich zuweishylen mit ihren Anliegen an ihre Goumltter geshywandt haben aber als eine wiederholt oder gar staumlndig zu uumlbende Pflicht des Kultus haben sie das Gebet sicherlich nicht geshykannt Als Muhammed das Gebet zu einer staumlndigen Institution des Islam machte begegnete er hierbei zunaumlchst groszligen Schwierigkeitenldquo13

Um ein guumlltiges Gebet abzushyhalten muss sich ein Muslim

vorbereiten

Zunaumlchst ist es wichtig dass ein Gebet nur im Zustand ritueller Reinheit moumlglich ist Ein Glaumlubiger formuliert ndash meist nur in Gedanken ndash die Absicht (niyya) ein guumllshytiges Gebet durchzufuumlhren Jetzt ist die Zeit fuumlr die rituelle Waschung deren Abshylauf im Koran14 und spaumlter detailliert in der sunna (Tradition des Propheten in der seishyne Aussagen und Handlungen uumlberliefert werden sollen) sowie in weiteren juristishyschen Werken festgelegt wurde Drei Moumlgshylichkeiten hat ein Muslim seinen Koumlrper

SIAK-JOURNAL 22010

vor dem Gebet rituell zu reinigen die Wahl ist von der Verunreinigung und den vorhandenen Wasservorraumlten abhaumlngig Eine kleine (oder bdquonormaleldquo) Verunreinishygung (hadath) findet statt wenn ein Glaumlushybiger bull eine Person anderen Geschlechts beshy

ruumlhrt (ausgenommen der eigenen Eheshygattin)

bull eigene Geschlechtsteile beruumlhrt bull vom Abort zuruumlckkehrt bull eingeschlafen ist oder ohnmaumlchtig wurde

Hadath wird mit einer kleinen Washyschung (wudhu) beseitigt indem bull das Gesicht gewaschen wird (vom

Haaransatz bis zum Kinn und vom rechten zum linken Ohr)

bull die Haumlnde bis zu den Ellenbogen gewashyschen (erst die rechte dann die linke Seite beides dreifach) und die Zaumlhne geputzt werden

bull Mund und Nase ausgespuumllt werden (wobei das Wasser aus der rechten Hand aufgenommen und in die linke ausgespuumllt wird)

bull der Kopf (von vorn bis hinten) und die Ohren (auszligen und innen) mit Wasser bestrichen werden

bull die Fuumlszlige bis zu den Knoumlcheln gewashyschen werden (analog zu den Haumlnden zuerst die rechte dann die linke Seite beides dreifach)

bull Sollte sich ein Glaumlubiger im Zustand groszliger Unreinheit (janaba) befinden so ist auch eine groszlige Waschung (ghusl) durchzufuumlhren Janaba entsteht durch

bull Geschlechtsverkehr bull Ausstoszlig von Samenfluumlssigkeit (unabshy

haumlngig vom Geschlechtsverkehr) bull Menstruation bull Geburt bull Tod15

Ghusl ist ein Vollbad wobei es wichtig ist dass alle Koumlrperteile mit Wasser beshygossen werden Eine bestimmte Reihenshyfolge der Waschung wird hier nicht vorgeshy

geben Es ist leicht vorstellbar dass solche Reinigungspraktiken vor allem in den Wuumlstengebieten Saudi-Arabiens einen enormen Wasserverbrauch nach sich zoshygen Das Wasser fuumlr die rituelle Reinigung muss zudem sauber und bestenfalls flieshyszligend sein Daher gibt es eine Alternative zur Wasserreinigung ndash eine rituelle Sandshywaschung (tayammum) die selbstvershystaumlndlich nur symbolisch abzuhalten ist und eine Reibung von Haumlnden und Fuumlszligen sowie des Gesichts genuumlgt um eine kleine Verunreinigung zu beseitigen und ein Geshybet durchfuumlhren zu duumlrfen Auch die Kleishydung und der Ort an dem ein Gebet abgeshyhalten wird muumlssen rituell rein sein Obwohl ein Spruch des Propheten Mushyhammad besagt dass die ganze Erde eine Moschee sei ist es einem Muslim nicht ershylaubt auf den Friedhoumlfen in Schlachtshyhoumlfen Baumldern an Aborten sowie an Muumlllshyhalden zu beten Sollte ein Glaumlubiger keine Moumlglichkeit haben in einer Moshyschee zu beten so ist es wichtig dass sein aktueller Gebetsort sauber ist16 Auch ist die Kleidung sauber zu halten die Schuhe werden zum Gebet ausgezogen17

Erst wenn der Zustand ritushyeller Reinheit erreicht wurde ist es moumlglich ein Gebet zu

sprechen

Dies kann individuell oder in einer Geshymeinde meist in einer Moschee gescheshyhen Das Gebet in einer Gemeinde wird von einem Imam gefuumlhrt der allerdings nicht als islamisches Aumlquivalent des christlichen Priesters anzusehen ist Zu Beginn des Islam uumlbernahmen die Anfuumlhshyrer der islamischen Gemeinde (als Erster selbstverstaumlndlich der Prophet selbst) die Funktion des Imam in der Zeit der Erobeshyrungszuumlge waren es haumlufig Kommandeure des Heeres in den Staumldten Statthalter und schlieszliglich islamische Theologen und

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SIAK-JOURNAL

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Rechtsgelehrte oder Personen mit besonshyderem Charisma Es ist eine Neuerscheishynung dass eine Moschee ihren eigenen Imam hat der seiner Funktion als beruflishyche Taumltigkeit nachgeht

Mindestens einmal woumlchentlich sollen sich die Glaumlubigen in einer Moschee vershysammeln ndash freitags zum Mittagsgebet Eine Predigt (khutba) wird bei dieser Gelegenshyheit ndash und noch vor dem eigentlichen Geshybet ndash gehalten Der Prediger kann muss aber nicht zwingend auch die Funktion des Imam innehaben Die khutba war schon in der vorislamischen arabischen Welt bekannt und wurde bei vielen Geleshygenheiten ndash wie Regelungen allerart zwishyschen Staumlmmen (Frieden schlieszligen Durchfuumlhrung der Blutrache Kriegsaufruf etc) und innerhalb des eigenen Stammes (bei groszligen Ereignissen wie Berufung eishynes neuen Stammesaumlltesten Hochzeiten Geburten etc) ndash gehalten Diese Tradition setzte Muhammad fort er selbst hielt die ersten Predigten und nutzte sie um die Regelungen des Islam zu verkuumlnden die Glaumlubigen in schwierigen Zeiten zu untershystuumltzen ihnen Mut Ausdauer und Beharrshylichkeit zuzusprechen und schlieszliglich um sie zum Kampf gegen bdquoFeinde des Islamldquo zu ermutigen Heute unterscheidet sich der Inhalt der Freitagspredigt vielerorts voneinander und wird auch haumlufig mit der aktuellen politischen und kulturellen Sishytuation der einzelnen Gemeinden und der gesamten islamischen umma verknuumlpft Die integrierende und kommunikative Rolle der Freitagspredigt und ihre Binshydung an die religioumlsen Pflichten der Musshylime sind nicht zu unterschaumltzen

Aumlhnlich wie das Fasten so ist auch die Ausfuumlhrung des Pflichtgebets in der Diasshypora haumlufig mit einem enormen Aufwand verbunden Die Quantitaumlt des Gebets die fehlenden Moumlglichkeiten entsprechende Waschungen vorzunehmen und schlieszligshylich einen geeigneten Ort zum Gebet zu

finden fuumlhren dazu dass viele Muslime auszligerhalb der islamischen Welt ihre Geshybetspflicht vernachlaumlssigen Waumlhrend das Nachholen der versaumlumten Fastentage noch realistisch ist so ist das beim Gebet ausgeschlossen alleine wegen der hohen Zahl der taumlglichen Pflichten Zwar wird das Problem schon ausfuumlhrlich in den jurisshytischen Werken des Islam behandelt da es sich hier nicht ausschlieszliglich um ein moshydernes Phaumlnomen handelt dennoch ist zu beobachten dass viele Muslime in der Diaspora immer seltener ihren religioumlsen Pflichten nachkommen und somit der Proshyzess der Saumlkularisierung hier eindeutig einsetzt

Selbstverstaumlndlich gibt es auch in der Diaspora viele Muslime die den Geboten nachgehen dennoch sind es meistens dieshyjenigen die ihre Religion nicht mit dem beruflichen Alltag in der westlichen Welt vereinbaren muumlssen Auch die Pilgerfahrt nach Mekka die jeder Glaumlubige einmal in seinem Leben unternehmen soll wird haumlushyfig vor allem aus finanziellen Gruumlnden hinausgezoumlgert Fuumlr eine Familie die in der Diaspora nicht selten mit materiellen Schwierigkeiten zu kaumlmpfen hat haumltte eishyne solche Reise moumlglicherweise ernsthafte Konsequenzen Fuumlr viele ist die Pilgershyfahrt (hajj) einfach nicht realisierbar dashyher berufen sie sich auf die Koranaussage bdquoUnd die Menschen die Gott gegenuumlber verpflichtet die Wallfahrt nach dem Haus (Karsquoba Anm der Autorin) zu machen ndash soweit sie dazu eine Moumlglichkeit findenldquo18

und verzichten auf die Reise nach Saudi-Arabien Schlieszliglich gilt bdquoWer die grundshysaumltzliche Pflicht zum hajj leugnet sei es fuumlr sich oder andere wird unglaumlubigldquo19

und ein Hinauszoumlgern muss nicht zwinshygend mit der Leugnung verbunden sein Der Verzicht auf die Pilgerfahrt ist nicht unbedingt als ein Merkmal der Muslime in der modernen Diaspora anzusehen waumlhshyrend ein gekuumlrztes oder gar ausgebliebenes

SIAK-JOURNAL 22010

Fasten sowie der Alltag ohne Pflichtgeshybet sicherlich zu solchen Charakteristika zaumlhlen

Die Interkulturalitaumlt des Islam ist fuumlr diese Religion und ihre Anhaumlnger kein Novum Schon zur Entstehungszeit wurde die muslimische Gemeinde mit etablierten Glaubenssystemen wie dem Judentum dem Christentum und dem Zoroastrismus konfrontiert Die ablehnende Position des Christentums dem Islam gegenuumlber die juumldischen Bewohner von Medina die in der Person Muhammads keinen Propheten sehen wollten und schlieszliglich der Vorshywurf des Synkretismus der sich vor allem unter westlichen Gelehrten verbreitete ershyschwerten zusaumltzlich das Etablieren der neuen Religion im spaumltantiken Nahen Osten Gleichzeitig gab diese besondere Situation der entstehenden Religion eine Chance sich ihrem Umfeld von Beginn an anzupassen und bot sich den neuen ndash und potentiellen ndash Anhaumlngern vor allem als eishyne attraktive Alternative die im Grunde nicht viel veraumlnderte das Bekannte beshywahrte und mit der Zeit das Gefuumlhl der Zugehoumlrigkeit zu einer groszligen ndash immer wachsenden ndash Gemeinde vermittelte Die beschuumltzende und integrierende Rolle der Idee des Islam ist im historischen Kontext der Zeit ihrer Entstehung nicht zu untershyschaumltzen

Eine solche Interkulturalitaumlt ist auch in Europa nicht neu Dennoch flammen imshymer wieder Diskussionen auf die vor bdquoUumlberfluss des Fremdenldquo und bdquoAusstershyben des eigenen Kulturerbesldquo warnen und die Uumlbernahmen von Sprachgewohnheishyten Mode oder Verhaltensweisen brandshymarken Selbstverstaumlndlich wuumlrde eine kritiklose Aneignung fremder Muster zum Verlust eigener Identitaumlt und zu einer Orishyentierungslosigkeit auf der multikulturelshylen Arena der modernen europaumlischen Realitaumlt fuumlhren dennoch scheint eine geshywisse Uumlbervorsichtigkeit dem Fremden

gegenuumlber zu herrschen Dabei ist die Inshyterkulturalitaumlt nicht unbedingt nur als eine Gefahr fuumlr bdquodas Eigeneldquo anzusehen Soshywohl die Gastgeber als auch die Migranten haben eine Chance voneinander zu profishytieren die Bedingung ist ndash sie muumlssen sich kennen Dazu gehoumlren sowohl die Sprache des Gastlandes als auch die Gepflogenheishyten der Gaumlste Eine Konfrontation mit neushyen kulturellen und religioumlsen Ideen kann zur Reflexion uumlber eigene Werte und Weltshyanschauungen anspornen Und schlieszliglich bedeutet die Integration nicht einen Vershyzicht auf das Eigene sondern eher eine Bereitschaft sich zu oumlffnen und neue Wershyte zu den eigenen zusaumltzlich aufzunehmen

Die Muslime sind in Oumlstershyreich die drittgroumlszligte anerkannte

Religionsgemeinschaft20

Somit ist es auch der Islam der die meiste auf die Minderheiten gerichtete Aufmerksamkeit genieszligt was Vor- aber oft auch Nachteile hat Spaumltestens seit 2001 laumlsst sich verstaumlrkt eine negative Thematisierung und Oumlffentlichkeit beshyobachten Einerseits ist es bdquoin Mode gekomshymenldquo in islamische Laumlnder zu reisen oder gar Arabisch zu studieren andererseits sind es nicht selten die Ignoranz vielleicht auch die Angst und schlieszliglich die Macht der Medien die haumlufig ein verzerrtes Bild dieser Religion ndash und ihrer Anhaumlnger ndash darstellen Der Islam ist fremd und somit sicherlich spannend vielleicht etwas exoshytisch fuumlr viele jedoch eher bedrohlich Seine Anhaumlnger sind selbstverstaumlndlich nicht homogen zu sehen Die Mehrheit der Muslime will bdquonurldquo ihre Religion leben ndash eine vielleicht gewagte These wenn man die Medienberichte der letzten Monate ja Jahre beruumlcksichtigt Einerseits sehen wir Menschen die ihr Gebet verrichten einshymal jaumlhrlich fasten vielleicht engere Konshytakte mit der Familie in Jordanien im Lishy

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22010SIAK-JOURNAL

banon oder im Iran pflegen sich traditioshynell kleiden und nicht wirklich an der bdquogroszligenldquo Integration interessiert sind Sie leben einfach hier in Europa und versushychen ihre Traditionen nicht aufzugeben Andererseits beaumlngstigen uns Berichte uumlber Terroranschlaumlge terroristische Netzshywerke und Besuche in sogenannten bdquoTershyrorcampsldquo Drohungen an die gesamte westliche Welt die als Videobotschaften im Internet kursieren Razzien der Polizei in Frankfurt Amsterdam Wien London und schlieszliglich Entfuumlhrungen und Hinshyrichtungen westlicher Touristen Angeshystellter oder Studenten in islamischen Laumlndern Wo liegt die Grenze zwischen Toleranz und Angst ja Panik Wo die Grenze zwischen Akzeptanz und Ablehshynung Und schlieszliglich ndash wo liegt die Grenshyze zwischen Integration und Abwehr

Die islamische umma zaumlhlt alleine in der Europaumlischen Union knapp 14 Millionen Mitglieder21 Es ist kaum moumlglich diese in sich heterogene Gruppe zu uumlberschauen oder zu kontrollieren Um sich den Muslishymen zu naumlhern bzw sie als Teil unserer Gemeinschaft wahrzunehmen ist es denshynoch wichtig sich mit ihren Vorstellungen und Werten (sofern diese kulturell-religioumls beeinflusst sind und man von bdquokollektiven Wertenldquo sprechen kann) zwecks eines besshyseren Verstaumlndnisses auseinanderzusetzen Das bedeutet auch den Islam als Religion aber auch Teil einer anderen Kultur besser kennen zu lernen seine Idee Geschichte und Praxis Denn Vertrautes houmlrt auf fremd zu sein Einen Beitrag hierzu zu liefern war Anspruch des vorliegenden Artikels

1 Ulram 2009 2 Ebd 9 3 Ebd 21 4 Endreszlig 1997 37 5 Nach islamischer Tradition sollte der

Prophet die ersten religioumlsen Erfahrunshy

gen seiner Frau Khadija anvertraut hashy

ben die ihn dazu ermutigt haben soll die

Botschaft Gottes zu verbreiten Interesshy

santerweise wird Khadija im Koran nicht

erwaumlhnt 6 Vgl Danecki 1998 29 ff 7 Vgl Hughes 1995 231b 8 Sure 2187

9 Eine genaue Bestimmung des Fastenanshy

fangs kann wegen Witterungsproblemen

und unterschiedlichen Ortszeiten Schwieshy

rigkeiten bereiten im Zweifelsfall duumlrfen

sich die Glaumlubigen nach der Zeit in Saushy

di-Arabien orientieren wo das obligatorishy

sche Fasten institutionalisiert wurde und

fuumlr alle Muslime auf der Welt gilt unabshy

haumlngig von der Zeitzone ihres Aufentshy

haltsortes Ein detailliertes Studium zu

Berechnungsmoumlglichkeiten und -praktika

fuumlr die Bestimmung der genauen Fastenshy

zeit im Monat Ramadan siehe Lech 1979 10 Vgl Motzki 1986 409

11 Vgl Schimmel 2002 100 12 Zum Beispiel Sure 2185 13 Mittwoch 1913 9 14 Interessanterweise sind es nur zwei Koshy

ranstellen die Genaueres zu den Vorbeshy

reitungen auf das Pflichtgebet sagen Sushy

re 443 und 56 Weitere Bestimmungen

und Konkretisierungen sind erst in den

Uumlberlieferungen zu finden die in der Zeit

nach dem Tode des Propheten niedergeshy

schrieben wurden oder gar entstanden 15 Detaillierte Beschreibung siehe zB

Reidegeld 2008 149ndash231 16 Haumlufig benutzen Muslime eine Matte

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oder einen Gebetsteppich (sajjada) wenn sie aushy

szligerhalb einer Moschee beten Auch die Boumlden in

Moscheen werden meistens mit Teppichen vershy

legt 17 Maumlnner muumlssen fuumlrs Gebet ihre Geschlechtsteishy

le bedecken am besten jedoch ihren Koumlrper von

der Brust bis zu den Knien bei Frauen gilt Nur

Gesicht und Fuumlszlige duumlrfen unbedeckt bleiben Dieshy

se Vorschriften variieren in ihren Details in den

islamischen Rechtsschulen 18 Sure 397 19 Reidegeld 2008 589 20 Khorchide 2009 9 21 Laut einer Statistik des Zentral-Instituts Islamshy

Archiv-Deutschland (Soest) hat sich die muslimishy

sche Gemeinschaft in Europa von 522 Mio

(2003) um 800000 auf uumlber 53 Mio (2005) ershy

houmlht Die Zunahme resultierte aus exakteren Dashy

ten der Behoumlrden Nach den Angaben gibt es die

meisten Muslime auf dem europaumlischen Kontishy

nent in Russland (25 Mio) gefolgt von der Tuumlrshy

kei (59 Mio) In der EU allein leben knapp 14

Mio Muslime die meisten davon in Frankreich

(55 Mio) und Deutschland (32 Mio)

httpwwwshortnewsdestartcfmid=593380

Abgerufen am 25012010

Quellenangaben

Danecki J (1998) Podstawowe wiadomosci o

islamie Band 1 Warszawa

Der Koran Uumlbersetzung von Paret R(2007)

Stuttgart

Endreszlig G (1997) Der Islam Eine Einfuumlhrung

in seine Geschichte Muumlnchen

Hughes T P (1995) Lexikon des Islam Wiesshy

baden

Khorchide M (2009) Der islamische Religionsshy

unterricht in Oumlsterreich OumlIF-Dossier (52009)

Lech K (1979) Geschichte des islamischen Kulshy

tus Rechtshistorische und hadit ndash kritische Unshy

tersuchungen zur Entwicklung und Systematik

der rsquoIbadat Band1 Das ramadan Fasten Wiesshy

baden

Mittwoch E (1913) Zur Entstehungsgeschichte

des islamischen Gebets und Kultus Berlin

Motzki H (1986) Das Kind und seine Sozialishy

sierung in der islamischen Familie des Mittelalshy

ters in Martin JNitschke A (Hg) Zur Sozialshy

geschichte der Kindheit Muumlnchen

Reidegeld A A (2008) Handbuch Islam Die

Glaubens- und Rechtslehre der Muslime Dali

Nikosia

Schimmel A (2002) Das islamische Jahr Zeiten

und Feste Muumlnchen

Ulram P A (2009) Integration in Oumlsterreich

Einstellungen Orientierungen und Erfahrungen

von MigrantInnen und Angehoumlrigen der Mehrshy

heitsbevoumllkerung Wien

Weiterfuumlhrende Literatur und Links

Kraumlmer G (2005) Geschichte des Islam Muumlnshy

chen

Wellhausen J (1961) Reste arabischen Heidenshy

tums Berlin

httpwwwshortnewsdestartcfmid=593380

Abgerufen am 20012010

httpwwwfocusdepolitikdeutschland

konvertiten_aid_131946html Abgerufen am

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vor dem Gebet rituell zu reinigen die Wahl ist von der Verunreinigung und den vorhandenen Wasservorraumlten abhaumlngig Eine kleine (oder bdquonormaleldquo) Verunreinishygung (hadath) findet statt wenn ein Glaumlushybiger bull eine Person anderen Geschlechts beshy

ruumlhrt (ausgenommen der eigenen Eheshygattin)

bull eigene Geschlechtsteile beruumlhrt bull vom Abort zuruumlckkehrt bull eingeschlafen ist oder ohnmaumlchtig wurde

Hadath wird mit einer kleinen Washyschung (wudhu) beseitigt indem bull das Gesicht gewaschen wird (vom

Haaransatz bis zum Kinn und vom rechten zum linken Ohr)

bull die Haumlnde bis zu den Ellenbogen gewashyschen (erst die rechte dann die linke Seite beides dreifach) und die Zaumlhne geputzt werden

bull Mund und Nase ausgespuumllt werden (wobei das Wasser aus der rechten Hand aufgenommen und in die linke ausgespuumllt wird)

bull der Kopf (von vorn bis hinten) und die Ohren (auszligen und innen) mit Wasser bestrichen werden

bull die Fuumlszlige bis zu den Knoumlcheln gewashyschen werden (analog zu den Haumlnden zuerst die rechte dann die linke Seite beides dreifach)

bull Sollte sich ein Glaumlubiger im Zustand groszliger Unreinheit (janaba) befinden so ist auch eine groszlige Waschung (ghusl) durchzufuumlhren Janaba entsteht durch

bull Geschlechtsverkehr bull Ausstoszlig von Samenfluumlssigkeit (unabshy

haumlngig vom Geschlechtsverkehr) bull Menstruation bull Geburt bull Tod15

Ghusl ist ein Vollbad wobei es wichtig ist dass alle Koumlrperteile mit Wasser beshygossen werden Eine bestimmte Reihenshyfolge der Waschung wird hier nicht vorgeshy

geben Es ist leicht vorstellbar dass solche Reinigungspraktiken vor allem in den Wuumlstengebieten Saudi-Arabiens einen enormen Wasserverbrauch nach sich zoshygen Das Wasser fuumlr die rituelle Reinigung muss zudem sauber und bestenfalls flieshyszligend sein Daher gibt es eine Alternative zur Wasserreinigung ndash eine rituelle Sandshywaschung (tayammum) die selbstvershystaumlndlich nur symbolisch abzuhalten ist und eine Reibung von Haumlnden und Fuumlszligen sowie des Gesichts genuumlgt um eine kleine Verunreinigung zu beseitigen und ein Geshybet durchfuumlhren zu duumlrfen Auch die Kleishydung und der Ort an dem ein Gebet abgeshyhalten wird muumlssen rituell rein sein Obwohl ein Spruch des Propheten Mushyhammad besagt dass die ganze Erde eine Moschee sei ist es einem Muslim nicht ershylaubt auf den Friedhoumlfen in Schlachtshyhoumlfen Baumldern an Aborten sowie an Muumlllshyhalden zu beten Sollte ein Glaumlubiger keine Moumlglichkeit haben in einer Moshyschee zu beten so ist es wichtig dass sein aktueller Gebetsort sauber ist16 Auch ist die Kleidung sauber zu halten die Schuhe werden zum Gebet ausgezogen17

Erst wenn der Zustand ritushyeller Reinheit erreicht wurde ist es moumlglich ein Gebet zu

sprechen

Dies kann individuell oder in einer Geshymeinde meist in einer Moschee gescheshyhen Das Gebet in einer Gemeinde wird von einem Imam gefuumlhrt der allerdings nicht als islamisches Aumlquivalent des christlichen Priesters anzusehen ist Zu Beginn des Islam uumlbernahmen die Anfuumlhshyrer der islamischen Gemeinde (als Erster selbstverstaumlndlich der Prophet selbst) die Funktion des Imam in der Zeit der Erobeshyrungszuumlge waren es haumlufig Kommandeure des Heeres in den Staumldten Statthalter und schlieszliglich islamische Theologen und

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SIAK-JOURNAL

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22010

Rechtsgelehrte oder Personen mit besonshyderem Charisma Es ist eine Neuerscheishynung dass eine Moschee ihren eigenen Imam hat der seiner Funktion als beruflishyche Taumltigkeit nachgeht

Mindestens einmal woumlchentlich sollen sich die Glaumlubigen in einer Moschee vershysammeln ndash freitags zum Mittagsgebet Eine Predigt (khutba) wird bei dieser Gelegenshyheit ndash und noch vor dem eigentlichen Geshybet ndash gehalten Der Prediger kann muss aber nicht zwingend auch die Funktion des Imam innehaben Die khutba war schon in der vorislamischen arabischen Welt bekannt und wurde bei vielen Geleshygenheiten ndash wie Regelungen allerart zwishyschen Staumlmmen (Frieden schlieszligen Durchfuumlhrung der Blutrache Kriegsaufruf etc) und innerhalb des eigenen Stammes (bei groszligen Ereignissen wie Berufung eishynes neuen Stammesaumlltesten Hochzeiten Geburten etc) ndash gehalten Diese Tradition setzte Muhammad fort er selbst hielt die ersten Predigten und nutzte sie um die Regelungen des Islam zu verkuumlnden die Glaumlubigen in schwierigen Zeiten zu untershystuumltzen ihnen Mut Ausdauer und Beharrshylichkeit zuzusprechen und schlieszliglich um sie zum Kampf gegen bdquoFeinde des Islamldquo zu ermutigen Heute unterscheidet sich der Inhalt der Freitagspredigt vielerorts voneinander und wird auch haumlufig mit der aktuellen politischen und kulturellen Sishytuation der einzelnen Gemeinden und der gesamten islamischen umma verknuumlpft Die integrierende und kommunikative Rolle der Freitagspredigt und ihre Binshydung an die religioumlsen Pflichten der Musshylime sind nicht zu unterschaumltzen

Aumlhnlich wie das Fasten so ist auch die Ausfuumlhrung des Pflichtgebets in der Diasshypora haumlufig mit einem enormen Aufwand verbunden Die Quantitaumlt des Gebets die fehlenden Moumlglichkeiten entsprechende Waschungen vorzunehmen und schlieszligshylich einen geeigneten Ort zum Gebet zu

finden fuumlhren dazu dass viele Muslime auszligerhalb der islamischen Welt ihre Geshybetspflicht vernachlaumlssigen Waumlhrend das Nachholen der versaumlumten Fastentage noch realistisch ist so ist das beim Gebet ausgeschlossen alleine wegen der hohen Zahl der taumlglichen Pflichten Zwar wird das Problem schon ausfuumlhrlich in den jurisshytischen Werken des Islam behandelt da es sich hier nicht ausschlieszliglich um ein moshydernes Phaumlnomen handelt dennoch ist zu beobachten dass viele Muslime in der Diaspora immer seltener ihren religioumlsen Pflichten nachkommen und somit der Proshyzess der Saumlkularisierung hier eindeutig einsetzt

Selbstverstaumlndlich gibt es auch in der Diaspora viele Muslime die den Geboten nachgehen dennoch sind es meistens dieshyjenigen die ihre Religion nicht mit dem beruflichen Alltag in der westlichen Welt vereinbaren muumlssen Auch die Pilgerfahrt nach Mekka die jeder Glaumlubige einmal in seinem Leben unternehmen soll wird haumlushyfig vor allem aus finanziellen Gruumlnden hinausgezoumlgert Fuumlr eine Familie die in der Diaspora nicht selten mit materiellen Schwierigkeiten zu kaumlmpfen hat haumltte eishyne solche Reise moumlglicherweise ernsthafte Konsequenzen Fuumlr viele ist die Pilgershyfahrt (hajj) einfach nicht realisierbar dashyher berufen sie sich auf die Koranaussage bdquoUnd die Menschen die Gott gegenuumlber verpflichtet die Wallfahrt nach dem Haus (Karsquoba Anm der Autorin) zu machen ndash soweit sie dazu eine Moumlglichkeit findenldquo18

und verzichten auf die Reise nach Saudi-Arabien Schlieszliglich gilt bdquoWer die grundshysaumltzliche Pflicht zum hajj leugnet sei es fuumlr sich oder andere wird unglaumlubigldquo19

und ein Hinauszoumlgern muss nicht zwinshygend mit der Leugnung verbunden sein Der Verzicht auf die Pilgerfahrt ist nicht unbedingt als ein Merkmal der Muslime in der modernen Diaspora anzusehen waumlhshyrend ein gekuumlrztes oder gar ausgebliebenes

SIAK-JOURNAL 22010

Fasten sowie der Alltag ohne Pflichtgeshybet sicherlich zu solchen Charakteristika zaumlhlen

Die Interkulturalitaumlt des Islam ist fuumlr diese Religion und ihre Anhaumlnger kein Novum Schon zur Entstehungszeit wurde die muslimische Gemeinde mit etablierten Glaubenssystemen wie dem Judentum dem Christentum und dem Zoroastrismus konfrontiert Die ablehnende Position des Christentums dem Islam gegenuumlber die juumldischen Bewohner von Medina die in der Person Muhammads keinen Propheten sehen wollten und schlieszliglich der Vorshywurf des Synkretismus der sich vor allem unter westlichen Gelehrten verbreitete ershyschwerten zusaumltzlich das Etablieren der neuen Religion im spaumltantiken Nahen Osten Gleichzeitig gab diese besondere Situation der entstehenden Religion eine Chance sich ihrem Umfeld von Beginn an anzupassen und bot sich den neuen ndash und potentiellen ndash Anhaumlngern vor allem als eishyne attraktive Alternative die im Grunde nicht viel veraumlnderte das Bekannte beshywahrte und mit der Zeit das Gefuumlhl der Zugehoumlrigkeit zu einer groszligen ndash immer wachsenden ndash Gemeinde vermittelte Die beschuumltzende und integrierende Rolle der Idee des Islam ist im historischen Kontext der Zeit ihrer Entstehung nicht zu untershyschaumltzen

Eine solche Interkulturalitaumlt ist auch in Europa nicht neu Dennoch flammen imshymer wieder Diskussionen auf die vor bdquoUumlberfluss des Fremdenldquo und bdquoAusstershyben des eigenen Kulturerbesldquo warnen und die Uumlbernahmen von Sprachgewohnheishyten Mode oder Verhaltensweisen brandshymarken Selbstverstaumlndlich wuumlrde eine kritiklose Aneignung fremder Muster zum Verlust eigener Identitaumlt und zu einer Orishyentierungslosigkeit auf der multikulturelshylen Arena der modernen europaumlischen Realitaumlt fuumlhren dennoch scheint eine geshywisse Uumlbervorsichtigkeit dem Fremden

gegenuumlber zu herrschen Dabei ist die Inshyterkulturalitaumlt nicht unbedingt nur als eine Gefahr fuumlr bdquodas Eigeneldquo anzusehen Soshywohl die Gastgeber als auch die Migranten haben eine Chance voneinander zu profishytieren die Bedingung ist ndash sie muumlssen sich kennen Dazu gehoumlren sowohl die Sprache des Gastlandes als auch die Gepflogenheishyten der Gaumlste Eine Konfrontation mit neushyen kulturellen und religioumlsen Ideen kann zur Reflexion uumlber eigene Werte und Weltshyanschauungen anspornen Und schlieszliglich bedeutet die Integration nicht einen Vershyzicht auf das Eigene sondern eher eine Bereitschaft sich zu oumlffnen und neue Wershyte zu den eigenen zusaumltzlich aufzunehmen

Die Muslime sind in Oumlstershyreich die drittgroumlszligte anerkannte

Religionsgemeinschaft20

Somit ist es auch der Islam der die meiste auf die Minderheiten gerichtete Aufmerksamkeit genieszligt was Vor- aber oft auch Nachteile hat Spaumltestens seit 2001 laumlsst sich verstaumlrkt eine negative Thematisierung und Oumlffentlichkeit beshyobachten Einerseits ist es bdquoin Mode gekomshymenldquo in islamische Laumlnder zu reisen oder gar Arabisch zu studieren andererseits sind es nicht selten die Ignoranz vielleicht auch die Angst und schlieszliglich die Macht der Medien die haumlufig ein verzerrtes Bild dieser Religion ndash und ihrer Anhaumlnger ndash darstellen Der Islam ist fremd und somit sicherlich spannend vielleicht etwas exoshytisch fuumlr viele jedoch eher bedrohlich Seine Anhaumlnger sind selbstverstaumlndlich nicht homogen zu sehen Die Mehrheit der Muslime will bdquonurldquo ihre Religion leben ndash eine vielleicht gewagte These wenn man die Medienberichte der letzten Monate ja Jahre beruumlcksichtigt Einerseits sehen wir Menschen die ihr Gebet verrichten einshymal jaumlhrlich fasten vielleicht engere Konshytakte mit der Familie in Jordanien im Lishy

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22010SIAK-JOURNAL

banon oder im Iran pflegen sich traditioshynell kleiden und nicht wirklich an der bdquogroszligenldquo Integration interessiert sind Sie leben einfach hier in Europa und versushychen ihre Traditionen nicht aufzugeben Andererseits beaumlngstigen uns Berichte uumlber Terroranschlaumlge terroristische Netzshywerke und Besuche in sogenannten bdquoTershyrorcampsldquo Drohungen an die gesamte westliche Welt die als Videobotschaften im Internet kursieren Razzien der Polizei in Frankfurt Amsterdam Wien London und schlieszliglich Entfuumlhrungen und Hinshyrichtungen westlicher Touristen Angeshystellter oder Studenten in islamischen Laumlndern Wo liegt die Grenze zwischen Toleranz und Angst ja Panik Wo die Grenze zwischen Akzeptanz und Ablehshynung Und schlieszliglich ndash wo liegt die Grenshyze zwischen Integration und Abwehr

Die islamische umma zaumlhlt alleine in der Europaumlischen Union knapp 14 Millionen Mitglieder21 Es ist kaum moumlglich diese in sich heterogene Gruppe zu uumlberschauen oder zu kontrollieren Um sich den Muslishymen zu naumlhern bzw sie als Teil unserer Gemeinschaft wahrzunehmen ist es denshynoch wichtig sich mit ihren Vorstellungen und Werten (sofern diese kulturell-religioumls beeinflusst sind und man von bdquokollektiven Wertenldquo sprechen kann) zwecks eines besshyseren Verstaumlndnisses auseinanderzusetzen Das bedeutet auch den Islam als Religion aber auch Teil einer anderen Kultur besser kennen zu lernen seine Idee Geschichte und Praxis Denn Vertrautes houmlrt auf fremd zu sein Einen Beitrag hierzu zu liefern war Anspruch des vorliegenden Artikels

1 Ulram 2009 2 Ebd 9 3 Ebd 21 4 Endreszlig 1997 37 5 Nach islamischer Tradition sollte der

Prophet die ersten religioumlsen Erfahrunshy

gen seiner Frau Khadija anvertraut hashy

ben die ihn dazu ermutigt haben soll die

Botschaft Gottes zu verbreiten Interesshy

santerweise wird Khadija im Koran nicht

erwaumlhnt 6 Vgl Danecki 1998 29 ff 7 Vgl Hughes 1995 231b 8 Sure 2187

9 Eine genaue Bestimmung des Fastenanshy

fangs kann wegen Witterungsproblemen

und unterschiedlichen Ortszeiten Schwieshy

rigkeiten bereiten im Zweifelsfall duumlrfen

sich die Glaumlubigen nach der Zeit in Saushy

di-Arabien orientieren wo das obligatorishy

sche Fasten institutionalisiert wurde und

fuumlr alle Muslime auf der Welt gilt unabshy

haumlngig von der Zeitzone ihres Aufentshy

haltsortes Ein detailliertes Studium zu

Berechnungsmoumlglichkeiten und -praktika

fuumlr die Bestimmung der genauen Fastenshy

zeit im Monat Ramadan siehe Lech 1979 10 Vgl Motzki 1986 409

11 Vgl Schimmel 2002 100 12 Zum Beispiel Sure 2185 13 Mittwoch 1913 9 14 Interessanterweise sind es nur zwei Koshy

ranstellen die Genaueres zu den Vorbeshy

reitungen auf das Pflichtgebet sagen Sushy

re 443 und 56 Weitere Bestimmungen

und Konkretisierungen sind erst in den

Uumlberlieferungen zu finden die in der Zeit

nach dem Tode des Propheten niedergeshy

schrieben wurden oder gar entstanden 15 Detaillierte Beschreibung siehe zB

Reidegeld 2008 149ndash231 16 Haumlufig benutzen Muslime eine Matte

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SIAK-JOURNAL 22010

oder einen Gebetsteppich (sajjada) wenn sie aushy

szligerhalb einer Moschee beten Auch die Boumlden in

Moscheen werden meistens mit Teppichen vershy

legt 17 Maumlnner muumlssen fuumlrs Gebet ihre Geschlechtsteishy

le bedecken am besten jedoch ihren Koumlrper von

der Brust bis zu den Knien bei Frauen gilt Nur

Gesicht und Fuumlszlige duumlrfen unbedeckt bleiben Dieshy

se Vorschriften variieren in ihren Details in den

islamischen Rechtsschulen 18 Sure 397 19 Reidegeld 2008 589 20 Khorchide 2009 9 21 Laut einer Statistik des Zentral-Instituts Islamshy

Archiv-Deutschland (Soest) hat sich die muslimishy

sche Gemeinschaft in Europa von 522 Mio

(2003) um 800000 auf uumlber 53 Mio (2005) ershy

houmlht Die Zunahme resultierte aus exakteren Dashy

ten der Behoumlrden Nach den Angaben gibt es die

meisten Muslime auf dem europaumlischen Kontishy

nent in Russland (25 Mio) gefolgt von der Tuumlrshy

kei (59 Mio) In der EU allein leben knapp 14

Mio Muslime die meisten davon in Frankreich

(55 Mio) und Deutschland (32 Mio)

httpwwwshortnewsdestartcfmid=593380

Abgerufen am 25012010

Quellenangaben

Danecki J (1998) Podstawowe wiadomosci o

islamie Band 1 Warszawa

Der Koran Uumlbersetzung von Paret R(2007)

Stuttgart

Endreszlig G (1997) Der Islam Eine Einfuumlhrung

in seine Geschichte Muumlnchen

Hughes T P (1995) Lexikon des Islam Wiesshy

baden

Khorchide M (2009) Der islamische Religionsshy

unterricht in Oumlsterreich OumlIF-Dossier (52009)

Lech K (1979) Geschichte des islamischen Kulshy

tus Rechtshistorische und hadit ndash kritische Unshy

tersuchungen zur Entwicklung und Systematik

der rsquoIbadat Band1 Das ramadan Fasten Wiesshy

baden

Mittwoch E (1913) Zur Entstehungsgeschichte

des islamischen Gebets und Kultus Berlin

Motzki H (1986) Das Kind und seine Sozialishy

sierung in der islamischen Familie des Mittelalshy

ters in Martin JNitschke A (Hg) Zur Sozialshy

geschichte der Kindheit Muumlnchen

Reidegeld A A (2008) Handbuch Islam Die

Glaubens- und Rechtslehre der Muslime Dali

Nikosia

Schimmel A (2002) Das islamische Jahr Zeiten

und Feste Muumlnchen

Ulram P A (2009) Integration in Oumlsterreich

Einstellungen Orientierungen und Erfahrungen

von MigrantInnen und Angehoumlrigen der Mehrshy

heitsbevoumllkerung Wien

Weiterfuumlhrende Literatur und Links

Kraumlmer G (2005) Geschichte des Islam Muumlnshy

chen

Wellhausen J (1961) Reste arabischen Heidenshy

tums Berlin

httpwwwshortnewsdestartcfmid=593380

Abgerufen am 20012010

httpwwwfocusdepolitikdeutschland

konvertiten_aid_131946html Abgerufen am

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Rechtsgelehrte oder Personen mit besonshyderem Charisma Es ist eine Neuerscheishynung dass eine Moschee ihren eigenen Imam hat der seiner Funktion als beruflishyche Taumltigkeit nachgeht

Mindestens einmal woumlchentlich sollen sich die Glaumlubigen in einer Moschee vershysammeln ndash freitags zum Mittagsgebet Eine Predigt (khutba) wird bei dieser Gelegenshyheit ndash und noch vor dem eigentlichen Geshybet ndash gehalten Der Prediger kann muss aber nicht zwingend auch die Funktion des Imam innehaben Die khutba war schon in der vorislamischen arabischen Welt bekannt und wurde bei vielen Geleshygenheiten ndash wie Regelungen allerart zwishyschen Staumlmmen (Frieden schlieszligen Durchfuumlhrung der Blutrache Kriegsaufruf etc) und innerhalb des eigenen Stammes (bei groszligen Ereignissen wie Berufung eishynes neuen Stammesaumlltesten Hochzeiten Geburten etc) ndash gehalten Diese Tradition setzte Muhammad fort er selbst hielt die ersten Predigten und nutzte sie um die Regelungen des Islam zu verkuumlnden die Glaumlubigen in schwierigen Zeiten zu untershystuumltzen ihnen Mut Ausdauer und Beharrshylichkeit zuzusprechen und schlieszliglich um sie zum Kampf gegen bdquoFeinde des Islamldquo zu ermutigen Heute unterscheidet sich der Inhalt der Freitagspredigt vielerorts voneinander und wird auch haumlufig mit der aktuellen politischen und kulturellen Sishytuation der einzelnen Gemeinden und der gesamten islamischen umma verknuumlpft Die integrierende und kommunikative Rolle der Freitagspredigt und ihre Binshydung an die religioumlsen Pflichten der Musshylime sind nicht zu unterschaumltzen

Aumlhnlich wie das Fasten so ist auch die Ausfuumlhrung des Pflichtgebets in der Diasshypora haumlufig mit einem enormen Aufwand verbunden Die Quantitaumlt des Gebets die fehlenden Moumlglichkeiten entsprechende Waschungen vorzunehmen und schlieszligshylich einen geeigneten Ort zum Gebet zu

finden fuumlhren dazu dass viele Muslime auszligerhalb der islamischen Welt ihre Geshybetspflicht vernachlaumlssigen Waumlhrend das Nachholen der versaumlumten Fastentage noch realistisch ist so ist das beim Gebet ausgeschlossen alleine wegen der hohen Zahl der taumlglichen Pflichten Zwar wird das Problem schon ausfuumlhrlich in den jurisshytischen Werken des Islam behandelt da es sich hier nicht ausschlieszliglich um ein moshydernes Phaumlnomen handelt dennoch ist zu beobachten dass viele Muslime in der Diaspora immer seltener ihren religioumlsen Pflichten nachkommen und somit der Proshyzess der Saumlkularisierung hier eindeutig einsetzt

Selbstverstaumlndlich gibt es auch in der Diaspora viele Muslime die den Geboten nachgehen dennoch sind es meistens dieshyjenigen die ihre Religion nicht mit dem beruflichen Alltag in der westlichen Welt vereinbaren muumlssen Auch die Pilgerfahrt nach Mekka die jeder Glaumlubige einmal in seinem Leben unternehmen soll wird haumlushyfig vor allem aus finanziellen Gruumlnden hinausgezoumlgert Fuumlr eine Familie die in der Diaspora nicht selten mit materiellen Schwierigkeiten zu kaumlmpfen hat haumltte eishyne solche Reise moumlglicherweise ernsthafte Konsequenzen Fuumlr viele ist die Pilgershyfahrt (hajj) einfach nicht realisierbar dashyher berufen sie sich auf die Koranaussage bdquoUnd die Menschen die Gott gegenuumlber verpflichtet die Wallfahrt nach dem Haus (Karsquoba Anm der Autorin) zu machen ndash soweit sie dazu eine Moumlglichkeit findenldquo18

und verzichten auf die Reise nach Saudi-Arabien Schlieszliglich gilt bdquoWer die grundshysaumltzliche Pflicht zum hajj leugnet sei es fuumlr sich oder andere wird unglaumlubigldquo19

und ein Hinauszoumlgern muss nicht zwinshygend mit der Leugnung verbunden sein Der Verzicht auf die Pilgerfahrt ist nicht unbedingt als ein Merkmal der Muslime in der modernen Diaspora anzusehen waumlhshyrend ein gekuumlrztes oder gar ausgebliebenes

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Fasten sowie der Alltag ohne Pflichtgeshybet sicherlich zu solchen Charakteristika zaumlhlen

Die Interkulturalitaumlt des Islam ist fuumlr diese Religion und ihre Anhaumlnger kein Novum Schon zur Entstehungszeit wurde die muslimische Gemeinde mit etablierten Glaubenssystemen wie dem Judentum dem Christentum und dem Zoroastrismus konfrontiert Die ablehnende Position des Christentums dem Islam gegenuumlber die juumldischen Bewohner von Medina die in der Person Muhammads keinen Propheten sehen wollten und schlieszliglich der Vorshywurf des Synkretismus der sich vor allem unter westlichen Gelehrten verbreitete ershyschwerten zusaumltzlich das Etablieren der neuen Religion im spaumltantiken Nahen Osten Gleichzeitig gab diese besondere Situation der entstehenden Religion eine Chance sich ihrem Umfeld von Beginn an anzupassen und bot sich den neuen ndash und potentiellen ndash Anhaumlngern vor allem als eishyne attraktive Alternative die im Grunde nicht viel veraumlnderte das Bekannte beshywahrte und mit der Zeit das Gefuumlhl der Zugehoumlrigkeit zu einer groszligen ndash immer wachsenden ndash Gemeinde vermittelte Die beschuumltzende und integrierende Rolle der Idee des Islam ist im historischen Kontext der Zeit ihrer Entstehung nicht zu untershyschaumltzen

Eine solche Interkulturalitaumlt ist auch in Europa nicht neu Dennoch flammen imshymer wieder Diskussionen auf die vor bdquoUumlberfluss des Fremdenldquo und bdquoAusstershyben des eigenen Kulturerbesldquo warnen und die Uumlbernahmen von Sprachgewohnheishyten Mode oder Verhaltensweisen brandshymarken Selbstverstaumlndlich wuumlrde eine kritiklose Aneignung fremder Muster zum Verlust eigener Identitaumlt und zu einer Orishyentierungslosigkeit auf der multikulturelshylen Arena der modernen europaumlischen Realitaumlt fuumlhren dennoch scheint eine geshywisse Uumlbervorsichtigkeit dem Fremden

gegenuumlber zu herrschen Dabei ist die Inshyterkulturalitaumlt nicht unbedingt nur als eine Gefahr fuumlr bdquodas Eigeneldquo anzusehen Soshywohl die Gastgeber als auch die Migranten haben eine Chance voneinander zu profishytieren die Bedingung ist ndash sie muumlssen sich kennen Dazu gehoumlren sowohl die Sprache des Gastlandes als auch die Gepflogenheishyten der Gaumlste Eine Konfrontation mit neushyen kulturellen und religioumlsen Ideen kann zur Reflexion uumlber eigene Werte und Weltshyanschauungen anspornen Und schlieszliglich bedeutet die Integration nicht einen Vershyzicht auf das Eigene sondern eher eine Bereitschaft sich zu oumlffnen und neue Wershyte zu den eigenen zusaumltzlich aufzunehmen

Die Muslime sind in Oumlstershyreich die drittgroumlszligte anerkannte

Religionsgemeinschaft20

Somit ist es auch der Islam der die meiste auf die Minderheiten gerichtete Aufmerksamkeit genieszligt was Vor- aber oft auch Nachteile hat Spaumltestens seit 2001 laumlsst sich verstaumlrkt eine negative Thematisierung und Oumlffentlichkeit beshyobachten Einerseits ist es bdquoin Mode gekomshymenldquo in islamische Laumlnder zu reisen oder gar Arabisch zu studieren andererseits sind es nicht selten die Ignoranz vielleicht auch die Angst und schlieszliglich die Macht der Medien die haumlufig ein verzerrtes Bild dieser Religion ndash und ihrer Anhaumlnger ndash darstellen Der Islam ist fremd und somit sicherlich spannend vielleicht etwas exoshytisch fuumlr viele jedoch eher bedrohlich Seine Anhaumlnger sind selbstverstaumlndlich nicht homogen zu sehen Die Mehrheit der Muslime will bdquonurldquo ihre Religion leben ndash eine vielleicht gewagte These wenn man die Medienberichte der letzten Monate ja Jahre beruumlcksichtigt Einerseits sehen wir Menschen die ihr Gebet verrichten einshymal jaumlhrlich fasten vielleicht engere Konshytakte mit der Familie in Jordanien im Lishy

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banon oder im Iran pflegen sich traditioshynell kleiden und nicht wirklich an der bdquogroszligenldquo Integration interessiert sind Sie leben einfach hier in Europa und versushychen ihre Traditionen nicht aufzugeben Andererseits beaumlngstigen uns Berichte uumlber Terroranschlaumlge terroristische Netzshywerke und Besuche in sogenannten bdquoTershyrorcampsldquo Drohungen an die gesamte westliche Welt die als Videobotschaften im Internet kursieren Razzien der Polizei in Frankfurt Amsterdam Wien London und schlieszliglich Entfuumlhrungen und Hinshyrichtungen westlicher Touristen Angeshystellter oder Studenten in islamischen Laumlndern Wo liegt die Grenze zwischen Toleranz und Angst ja Panik Wo die Grenze zwischen Akzeptanz und Ablehshynung Und schlieszliglich ndash wo liegt die Grenshyze zwischen Integration und Abwehr

Die islamische umma zaumlhlt alleine in der Europaumlischen Union knapp 14 Millionen Mitglieder21 Es ist kaum moumlglich diese in sich heterogene Gruppe zu uumlberschauen oder zu kontrollieren Um sich den Muslishymen zu naumlhern bzw sie als Teil unserer Gemeinschaft wahrzunehmen ist es denshynoch wichtig sich mit ihren Vorstellungen und Werten (sofern diese kulturell-religioumls beeinflusst sind und man von bdquokollektiven Wertenldquo sprechen kann) zwecks eines besshyseren Verstaumlndnisses auseinanderzusetzen Das bedeutet auch den Islam als Religion aber auch Teil einer anderen Kultur besser kennen zu lernen seine Idee Geschichte und Praxis Denn Vertrautes houmlrt auf fremd zu sein Einen Beitrag hierzu zu liefern war Anspruch des vorliegenden Artikels

1 Ulram 2009 2 Ebd 9 3 Ebd 21 4 Endreszlig 1997 37 5 Nach islamischer Tradition sollte der

Prophet die ersten religioumlsen Erfahrunshy

gen seiner Frau Khadija anvertraut hashy

ben die ihn dazu ermutigt haben soll die

Botschaft Gottes zu verbreiten Interesshy

santerweise wird Khadija im Koran nicht

erwaumlhnt 6 Vgl Danecki 1998 29 ff 7 Vgl Hughes 1995 231b 8 Sure 2187

9 Eine genaue Bestimmung des Fastenanshy

fangs kann wegen Witterungsproblemen

und unterschiedlichen Ortszeiten Schwieshy

rigkeiten bereiten im Zweifelsfall duumlrfen

sich die Glaumlubigen nach der Zeit in Saushy

di-Arabien orientieren wo das obligatorishy

sche Fasten institutionalisiert wurde und

fuumlr alle Muslime auf der Welt gilt unabshy

haumlngig von der Zeitzone ihres Aufentshy

haltsortes Ein detailliertes Studium zu

Berechnungsmoumlglichkeiten und -praktika

fuumlr die Bestimmung der genauen Fastenshy

zeit im Monat Ramadan siehe Lech 1979 10 Vgl Motzki 1986 409

11 Vgl Schimmel 2002 100 12 Zum Beispiel Sure 2185 13 Mittwoch 1913 9 14 Interessanterweise sind es nur zwei Koshy

ranstellen die Genaueres zu den Vorbeshy

reitungen auf das Pflichtgebet sagen Sushy

re 443 und 56 Weitere Bestimmungen

und Konkretisierungen sind erst in den

Uumlberlieferungen zu finden die in der Zeit

nach dem Tode des Propheten niedergeshy

schrieben wurden oder gar entstanden 15 Detaillierte Beschreibung siehe zB

Reidegeld 2008 149ndash231 16 Haumlufig benutzen Muslime eine Matte

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oder einen Gebetsteppich (sajjada) wenn sie aushy

szligerhalb einer Moschee beten Auch die Boumlden in

Moscheen werden meistens mit Teppichen vershy

legt 17 Maumlnner muumlssen fuumlrs Gebet ihre Geschlechtsteishy

le bedecken am besten jedoch ihren Koumlrper von

der Brust bis zu den Knien bei Frauen gilt Nur

Gesicht und Fuumlszlige duumlrfen unbedeckt bleiben Dieshy

se Vorschriften variieren in ihren Details in den

islamischen Rechtsschulen 18 Sure 397 19 Reidegeld 2008 589 20 Khorchide 2009 9 21 Laut einer Statistik des Zentral-Instituts Islamshy

Archiv-Deutschland (Soest) hat sich die muslimishy

sche Gemeinschaft in Europa von 522 Mio

(2003) um 800000 auf uumlber 53 Mio (2005) ershy

houmlht Die Zunahme resultierte aus exakteren Dashy

ten der Behoumlrden Nach den Angaben gibt es die

meisten Muslime auf dem europaumlischen Kontishy

nent in Russland (25 Mio) gefolgt von der Tuumlrshy

kei (59 Mio) In der EU allein leben knapp 14

Mio Muslime die meisten davon in Frankreich

(55 Mio) und Deutschland (32 Mio)

httpwwwshortnewsdestartcfmid=593380

Abgerufen am 25012010

Quellenangaben

Danecki J (1998) Podstawowe wiadomosci o

islamie Band 1 Warszawa

Der Koran Uumlbersetzung von Paret R(2007)

Stuttgart

Endreszlig G (1997) Der Islam Eine Einfuumlhrung

in seine Geschichte Muumlnchen

Hughes T P (1995) Lexikon des Islam Wiesshy

baden

Khorchide M (2009) Der islamische Religionsshy

unterricht in Oumlsterreich OumlIF-Dossier (52009)

Lech K (1979) Geschichte des islamischen Kulshy

tus Rechtshistorische und hadit ndash kritische Unshy

tersuchungen zur Entwicklung und Systematik

der rsquoIbadat Band1 Das ramadan Fasten Wiesshy

baden

Mittwoch E (1913) Zur Entstehungsgeschichte

des islamischen Gebets und Kultus Berlin

Motzki H (1986) Das Kind und seine Sozialishy

sierung in der islamischen Familie des Mittelalshy

ters in Martin JNitschke A (Hg) Zur Sozialshy

geschichte der Kindheit Muumlnchen

Reidegeld A A (2008) Handbuch Islam Die

Glaubens- und Rechtslehre der Muslime Dali

Nikosia

Schimmel A (2002) Das islamische Jahr Zeiten

und Feste Muumlnchen

Ulram P A (2009) Integration in Oumlsterreich

Einstellungen Orientierungen und Erfahrungen

von MigrantInnen und Angehoumlrigen der Mehrshy

heitsbevoumllkerung Wien

Weiterfuumlhrende Literatur und Links

Kraumlmer G (2005) Geschichte des Islam Muumlnshy

chen

Wellhausen J (1961) Reste arabischen Heidenshy

tums Berlin

httpwwwshortnewsdestartcfmid=593380

Abgerufen am 20012010

httpwwwfocusdepolitikdeutschland

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Fasten sowie der Alltag ohne Pflichtgeshybet sicherlich zu solchen Charakteristika zaumlhlen

Die Interkulturalitaumlt des Islam ist fuumlr diese Religion und ihre Anhaumlnger kein Novum Schon zur Entstehungszeit wurde die muslimische Gemeinde mit etablierten Glaubenssystemen wie dem Judentum dem Christentum und dem Zoroastrismus konfrontiert Die ablehnende Position des Christentums dem Islam gegenuumlber die juumldischen Bewohner von Medina die in der Person Muhammads keinen Propheten sehen wollten und schlieszliglich der Vorshywurf des Synkretismus der sich vor allem unter westlichen Gelehrten verbreitete ershyschwerten zusaumltzlich das Etablieren der neuen Religion im spaumltantiken Nahen Osten Gleichzeitig gab diese besondere Situation der entstehenden Religion eine Chance sich ihrem Umfeld von Beginn an anzupassen und bot sich den neuen ndash und potentiellen ndash Anhaumlngern vor allem als eishyne attraktive Alternative die im Grunde nicht viel veraumlnderte das Bekannte beshywahrte und mit der Zeit das Gefuumlhl der Zugehoumlrigkeit zu einer groszligen ndash immer wachsenden ndash Gemeinde vermittelte Die beschuumltzende und integrierende Rolle der Idee des Islam ist im historischen Kontext der Zeit ihrer Entstehung nicht zu untershyschaumltzen

Eine solche Interkulturalitaumlt ist auch in Europa nicht neu Dennoch flammen imshymer wieder Diskussionen auf die vor bdquoUumlberfluss des Fremdenldquo und bdquoAusstershyben des eigenen Kulturerbesldquo warnen und die Uumlbernahmen von Sprachgewohnheishyten Mode oder Verhaltensweisen brandshymarken Selbstverstaumlndlich wuumlrde eine kritiklose Aneignung fremder Muster zum Verlust eigener Identitaumlt und zu einer Orishyentierungslosigkeit auf der multikulturelshylen Arena der modernen europaumlischen Realitaumlt fuumlhren dennoch scheint eine geshywisse Uumlbervorsichtigkeit dem Fremden

gegenuumlber zu herrschen Dabei ist die Inshyterkulturalitaumlt nicht unbedingt nur als eine Gefahr fuumlr bdquodas Eigeneldquo anzusehen Soshywohl die Gastgeber als auch die Migranten haben eine Chance voneinander zu profishytieren die Bedingung ist ndash sie muumlssen sich kennen Dazu gehoumlren sowohl die Sprache des Gastlandes als auch die Gepflogenheishyten der Gaumlste Eine Konfrontation mit neushyen kulturellen und religioumlsen Ideen kann zur Reflexion uumlber eigene Werte und Weltshyanschauungen anspornen Und schlieszliglich bedeutet die Integration nicht einen Vershyzicht auf das Eigene sondern eher eine Bereitschaft sich zu oumlffnen und neue Wershyte zu den eigenen zusaumltzlich aufzunehmen

Die Muslime sind in Oumlstershyreich die drittgroumlszligte anerkannte

Religionsgemeinschaft20

Somit ist es auch der Islam der die meiste auf die Minderheiten gerichtete Aufmerksamkeit genieszligt was Vor- aber oft auch Nachteile hat Spaumltestens seit 2001 laumlsst sich verstaumlrkt eine negative Thematisierung und Oumlffentlichkeit beshyobachten Einerseits ist es bdquoin Mode gekomshymenldquo in islamische Laumlnder zu reisen oder gar Arabisch zu studieren andererseits sind es nicht selten die Ignoranz vielleicht auch die Angst und schlieszliglich die Macht der Medien die haumlufig ein verzerrtes Bild dieser Religion ndash und ihrer Anhaumlnger ndash darstellen Der Islam ist fremd und somit sicherlich spannend vielleicht etwas exoshytisch fuumlr viele jedoch eher bedrohlich Seine Anhaumlnger sind selbstverstaumlndlich nicht homogen zu sehen Die Mehrheit der Muslime will bdquonurldquo ihre Religion leben ndash eine vielleicht gewagte These wenn man die Medienberichte der letzten Monate ja Jahre beruumlcksichtigt Einerseits sehen wir Menschen die ihr Gebet verrichten einshymal jaumlhrlich fasten vielleicht engere Konshytakte mit der Familie in Jordanien im Lishy

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22010SIAK-JOURNAL

banon oder im Iran pflegen sich traditioshynell kleiden und nicht wirklich an der bdquogroszligenldquo Integration interessiert sind Sie leben einfach hier in Europa und versushychen ihre Traditionen nicht aufzugeben Andererseits beaumlngstigen uns Berichte uumlber Terroranschlaumlge terroristische Netzshywerke und Besuche in sogenannten bdquoTershyrorcampsldquo Drohungen an die gesamte westliche Welt die als Videobotschaften im Internet kursieren Razzien der Polizei in Frankfurt Amsterdam Wien London und schlieszliglich Entfuumlhrungen und Hinshyrichtungen westlicher Touristen Angeshystellter oder Studenten in islamischen Laumlndern Wo liegt die Grenze zwischen Toleranz und Angst ja Panik Wo die Grenze zwischen Akzeptanz und Ablehshynung Und schlieszliglich ndash wo liegt die Grenshyze zwischen Integration und Abwehr

Die islamische umma zaumlhlt alleine in der Europaumlischen Union knapp 14 Millionen Mitglieder21 Es ist kaum moumlglich diese in sich heterogene Gruppe zu uumlberschauen oder zu kontrollieren Um sich den Muslishymen zu naumlhern bzw sie als Teil unserer Gemeinschaft wahrzunehmen ist es denshynoch wichtig sich mit ihren Vorstellungen und Werten (sofern diese kulturell-religioumls beeinflusst sind und man von bdquokollektiven Wertenldquo sprechen kann) zwecks eines besshyseren Verstaumlndnisses auseinanderzusetzen Das bedeutet auch den Islam als Religion aber auch Teil einer anderen Kultur besser kennen zu lernen seine Idee Geschichte und Praxis Denn Vertrautes houmlrt auf fremd zu sein Einen Beitrag hierzu zu liefern war Anspruch des vorliegenden Artikels

1 Ulram 2009 2 Ebd 9 3 Ebd 21 4 Endreszlig 1997 37 5 Nach islamischer Tradition sollte der

Prophet die ersten religioumlsen Erfahrunshy

gen seiner Frau Khadija anvertraut hashy

ben die ihn dazu ermutigt haben soll die

Botschaft Gottes zu verbreiten Interesshy

santerweise wird Khadija im Koran nicht

erwaumlhnt 6 Vgl Danecki 1998 29 ff 7 Vgl Hughes 1995 231b 8 Sure 2187

9 Eine genaue Bestimmung des Fastenanshy

fangs kann wegen Witterungsproblemen

und unterschiedlichen Ortszeiten Schwieshy

rigkeiten bereiten im Zweifelsfall duumlrfen

sich die Glaumlubigen nach der Zeit in Saushy

di-Arabien orientieren wo das obligatorishy

sche Fasten institutionalisiert wurde und

fuumlr alle Muslime auf der Welt gilt unabshy

haumlngig von der Zeitzone ihres Aufentshy

haltsortes Ein detailliertes Studium zu

Berechnungsmoumlglichkeiten und -praktika

fuumlr die Bestimmung der genauen Fastenshy

zeit im Monat Ramadan siehe Lech 1979 10 Vgl Motzki 1986 409

11 Vgl Schimmel 2002 100 12 Zum Beispiel Sure 2185 13 Mittwoch 1913 9 14 Interessanterweise sind es nur zwei Koshy

ranstellen die Genaueres zu den Vorbeshy

reitungen auf das Pflichtgebet sagen Sushy

re 443 und 56 Weitere Bestimmungen

und Konkretisierungen sind erst in den

Uumlberlieferungen zu finden die in der Zeit

nach dem Tode des Propheten niedergeshy

schrieben wurden oder gar entstanden 15 Detaillierte Beschreibung siehe zB

Reidegeld 2008 149ndash231 16 Haumlufig benutzen Muslime eine Matte

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SIAK-JOURNAL 22010

oder einen Gebetsteppich (sajjada) wenn sie aushy

szligerhalb einer Moschee beten Auch die Boumlden in

Moscheen werden meistens mit Teppichen vershy

legt 17 Maumlnner muumlssen fuumlrs Gebet ihre Geschlechtsteishy

le bedecken am besten jedoch ihren Koumlrper von

der Brust bis zu den Knien bei Frauen gilt Nur

Gesicht und Fuumlszlige duumlrfen unbedeckt bleiben Dieshy

se Vorschriften variieren in ihren Details in den

islamischen Rechtsschulen 18 Sure 397 19 Reidegeld 2008 589 20 Khorchide 2009 9 21 Laut einer Statistik des Zentral-Instituts Islamshy

Archiv-Deutschland (Soest) hat sich die muslimishy

sche Gemeinschaft in Europa von 522 Mio

(2003) um 800000 auf uumlber 53 Mio (2005) ershy

houmlht Die Zunahme resultierte aus exakteren Dashy

ten der Behoumlrden Nach den Angaben gibt es die

meisten Muslime auf dem europaumlischen Kontishy

nent in Russland (25 Mio) gefolgt von der Tuumlrshy

kei (59 Mio) In der EU allein leben knapp 14

Mio Muslime die meisten davon in Frankreich

(55 Mio) und Deutschland (32 Mio)

httpwwwshortnewsdestartcfmid=593380

Abgerufen am 25012010

Quellenangaben

Danecki J (1998) Podstawowe wiadomosci o

islamie Band 1 Warszawa

Der Koran Uumlbersetzung von Paret R(2007)

Stuttgart

Endreszlig G (1997) Der Islam Eine Einfuumlhrung

in seine Geschichte Muumlnchen

Hughes T P (1995) Lexikon des Islam Wiesshy

baden

Khorchide M (2009) Der islamische Religionsshy

unterricht in Oumlsterreich OumlIF-Dossier (52009)

Lech K (1979) Geschichte des islamischen Kulshy

tus Rechtshistorische und hadit ndash kritische Unshy

tersuchungen zur Entwicklung und Systematik

der rsquoIbadat Band1 Das ramadan Fasten Wiesshy

baden

Mittwoch E (1913) Zur Entstehungsgeschichte

des islamischen Gebets und Kultus Berlin

Motzki H (1986) Das Kind und seine Sozialishy

sierung in der islamischen Familie des Mittelalshy

ters in Martin JNitschke A (Hg) Zur Sozialshy

geschichte der Kindheit Muumlnchen

Reidegeld A A (2008) Handbuch Islam Die

Glaubens- und Rechtslehre der Muslime Dali

Nikosia

Schimmel A (2002) Das islamische Jahr Zeiten

und Feste Muumlnchen

Ulram P A (2009) Integration in Oumlsterreich

Einstellungen Orientierungen und Erfahrungen

von MigrantInnen und Angehoumlrigen der Mehrshy

heitsbevoumllkerung Wien

Weiterfuumlhrende Literatur und Links

Kraumlmer G (2005) Geschichte des Islam Muumlnshy

chen

Wellhausen J (1961) Reste arabischen Heidenshy

tums Berlin

httpwwwshortnewsdestartcfmid=593380

Abgerufen am 20012010

httpwwwfocusdepolitikdeutschland

konvertiten_aid_131946html Abgerufen am

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banon oder im Iran pflegen sich traditioshynell kleiden und nicht wirklich an der bdquogroszligenldquo Integration interessiert sind Sie leben einfach hier in Europa und versushychen ihre Traditionen nicht aufzugeben Andererseits beaumlngstigen uns Berichte uumlber Terroranschlaumlge terroristische Netzshywerke und Besuche in sogenannten bdquoTershyrorcampsldquo Drohungen an die gesamte westliche Welt die als Videobotschaften im Internet kursieren Razzien der Polizei in Frankfurt Amsterdam Wien London und schlieszliglich Entfuumlhrungen und Hinshyrichtungen westlicher Touristen Angeshystellter oder Studenten in islamischen Laumlndern Wo liegt die Grenze zwischen Toleranz und Angst ja Panik Wo die Grenze zwischen Akzeptanz und Ablehshynung Und schlieszliglich ndash wo liegt die Grenshyze zwischen Integration und Abwehr

Die islamische umma zaumlhlt alleine in der Europaumlischen Union knapp 14 Millionen Mitglieder21 Es ist kaum moumlglich diese in sich heterogene Gruppe zu uumlberschauen oder zu kontrollieren Um sich den Muslishymen zu naumlhern bzw sie als Teil unserer Gemeinschaft wahrzunehmen ist es denshynoch wichtig sich mit ihren Vorstellungen und Werten (sofern diese kulturell-religioumls beeinflusst sind und man von bdquokollektiven Wertenldquo sprechen kann) zwecks eines besshyseren Verstaumlndnisses auseinanderzusetzen Das bedeutet auch den Islam als Religion aber auch Teil einer anderen Kultur besser kennen zu lernen seine Idee Geschichte und Praxis Denn Vertrautes houmlrt auf fremd zu sein Einen Beitrag hierzu zu liefern war Anspruch des vorliegenden Artikels

1 Ulram 2009 2 Ebd 9 3 Ebd 21 4 Endreszlig 1997 37 5 Nach islamischer Tradition sollte der

Prophet die ersten religioumlsen Erfahrunshy

gen seiner Frau Khadija anvertraut hashy

ben die ihn dazu ermutigt haben soll die

Botschaft Gottes zu verbreiten Interesshy

santerweise wird Khadija im Koran nicht

erwaumlhnt 6 Vgl Danecki 1998 29 ff 7 Vgl Hughes 1995 231b 8 Sure 2187

9 Eine genaue Bestimmung des Fastenanshy

fangs kann wegen Witterungsproblemen

und unterschiedlichen Ortszeiten Schwieshy

rigkeiten bereiten im Zweifelsfall duumlrfen

sich die Glaumlubigen nach der Zeit in Saushy

di-Arabien orientieren wo das obligatorishy

sche Fasten institutionalisiert wurde und

fuumlr alle Muslime auf der Welt gilt unabshy

haumlngig von der Zeitzone ihres Aufentshy

haltsortes Ein detailliertes Studium zu

Berechnungsmoumlglichkeiten und -praktika

fuumlr die Bestimmung der genauen Fastenshy

zeit im Monat Ramadan siehe Lech 1979 10 Vgl Motzki 1986 409

11 Vgl Schimmel 2002 100 12 Zum Beispiel Sure 2185 13 Mittwoch 1913 9 14 Interessanterweise sind es nur zwei Koshy

ranstellen die Genaueres zu den Vorbeshy

reitungen auf das Pflichtgebet sagen Sushy

re 443 und 56 Weitere Bestimmungen

und Konkretisierungen sind erst in den

Uumlberlieferungen zu finden die in der Zeit

nach dem Tode des Propheten niedergeshy

schrieben wurden oder gar entstanden 15 Detaillierte Beschreibung siehe zB

Reidegeld 2008 149ndash231 16 Haumlufig benutzen Muslime eine Matte

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oder einen Gebetsteppich (sajjada) wenn sie aushy

szligerhalb einer Moschee beten Auch die Boumlden in

Moscheen werden meistens mit Teppichen vershy

legt 17 Maumlnner muumlssen fuumlrs Gebet ihre Geschlechtsteishy

le bedecken am besten jedoch ihren Koumlrper von

der Brust bis zu den Knien bei Frauen gilt Nur

Gesicht und Fuumlszlige duumlrfen unbedeckt bleiben Dieshy

se Vorschriften variieren in ihren Details in den

islamischen Rechtsschulen 18 Sure 397 19 Reidegeld 2008 589 20 Khorchide 2009 9 21 Laut einer Statistik des Zentral-Instituts Islamshy

Archiv-Deutschland (Soest) hat sich die muslimishy

sche Gemeinschaft in Europa von 522 Mio

(2003) um 800000 auf uumlber 53 Mio (2005) ershy

houmlht Die Zunahme resultierte aus exakteren Dashy

ten der Behoumlrden Nach den Angaben gibt es die

meisten Muslime auf dem europaumlischen Kontishy

nent in Russland (25 Mio) gefolgt von der Tuumlrshy

kei (59 Mio) In der EU allein leben knapp 14

Mio Muslime die meisten davon in Frankreich

(55 Mio) und Deutschland (32 Mio)

httpwwwshortnewsdestartcfmid=593380

Abgerufen am 25012010

Quellenangaben

Danecki J (1998) Podstawowe wiadomosci o

islamie Band 1 Warszawa

Der Koran Uumlbersetzung von Paret R(2007)

Stuttgart

Endreszlig G (1997) Der Islam Eine Einfuumlhrung

in seine Geschichte Muumlnchen

Hughes T P (1995) Lexikon des Islam Wiesshy

baden

Khorchide M (2009) Der islamische Religionsshy

unterricht in Oumlsterreich OumlIF-Dossier (52009)

Lech K (1979) Geschichte des islamischen Kulshy

tus Rechtshistorische und hadit ndash kritische Unshy

tersuchungen zur Entwicklung und Systematik

der rsquoIbadat Band1 Das ramadan Fasten Wiesshy

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Mittwoch E (1913) Zur Entstehungsgeschichte

des islamischen Gebets und Kultus Berlin

Motzki H (1986) Das Kind und seine Sozialishy

sierung in der islamischen Familie des Mittelalshy

ters in Martin JNitschke A (Hg) Zur Sozialshy

geschichte der Kindheit Muumlnchen

Reidegeld A A (2008) Handbuch Islam Die

Glaubens- und Rechtslehre der Muslime Dali

Nikosia

Schimmel A (2002) Das islamische Jahr Zeiten

und Feste Muumlnchen

Ulram P A (2009) Integration in Oumlsterreich

Einstellungen Orientierungen und Erfahrungen

von MigrantInnen und Angehoumlrigen der Mehrshy

heitsbevoumllkerung Wien

Weiterfuumlhrende Literatur und Links

Kraumlmer G (2005) Geschichte des Islam Muumlnshy

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oder einen Gebetsteppich (sajjada) wenn sie aushy

szligerhalb einer Moschee beten Auch die Boumlden in

Moscheen werden meistens mit Teppichen vershy

legt 17 Maumlnner muumlssen fuumlrs Gebet ihre Geschlechtsteishy

le bedecken am besten jedoch ihren Koumlrper von

der Brust bis zu den Knien bei Frauen gilt Nur

Gesicht und Fuumlszlige duumlrfen unbedeckt bleiben Dieshy

se Vorschriften variieren in ihren Details in den

islamischen Rechtsschulen 18 Sure 397 19 Reidegeld 2008 589 20 Khorchide 2009 9 21 Laut einer Statistik des Zentral-Instituts Islamshy

Archiv-Deutschland (Soest) hat sich die muslimishy

sche Gemeinschaft in Europa von 522 Mio

(2003) um 800000 auf uumlber 53 Mio (2005) ershy

houmlht Die Zunahme resultierte aus exakteren Dashy

ten der Behoumlrden Nach den Angaben gibt es die

meisten Muslime auf dem europaumlischen Kontishy

nent in Russland (25 Mio) gefolgt von der Tuumlrshy

kei (59 Mio) In der EU allein leben knapp 14

Mio Muslime die meisten davon in Frankreich

(55 Mio) und Deutschland (32 Mio)

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Abgerufen am 25012010

Quellenangaben

Danecki J (1998) Podstawowe wiadomosci o

islamie Band 1 Warszawa

Der Koran Uumlbersetzung von Paret R(2007)

Stuttgart

Endreszlig G (1997) Der Islam Eine Einfuumlhrung

in seine Geschichte Muumlnchen

Hughes T P (1995) Lexikon des Islam Wiesshy

baden

Khorchide M (2009) Der islamische Religionsshy

unterricht in Oumlsterreich OumlIF-Dossier (52009)

Lech K (1979) Geschichte des islamischen Kulshy

tus Rechtshistorische und hadit ndash kritische Unshy

tersuchungen zur Entwicklung und Systematik

der rsquoIbadat Band1 Das ramadan Fasten Wiesshy

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Mittwoch E (1913) Zur Entstehungsgeschichte

des islamischen Gebets und Kultus Berlin

Motzki H (1986) Das Kind und seine Sozialishy

sierung in der islamischen Familie des Mittelalshy

ters in Martin JNitschke A (Hg) Zur Sozialshy

geschichte der Kindheit Muumlnchen

Reidegeld A A (2008) Handbuch Islam Die

Glaubens- und Rechtslehre der Muslime Dali

Nikosia

Schimmel A (2002) Das islamische Jahr Zeiten

und Feste Muumlnchen

Ulram P A (2009) Integration in Oumlsterreich

Einstellungen Orientierungen und Erfahrungen

von MigrantInnen und Angehoumlrigen der Mehrshy

heitsbevoumllkerung Wien

Weiterfuumlhrende Literatur und Links

Kraumlmer G (2005) Geschichte des Islam Muumlnshy

chen

Wellhausen J (1961) Reste arabischen Heidenshy

tums Berlin

httpwwwshortnewsdestartcfmid=593380

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