Multifunktionale Verbunddecke mit integrierter Gebäudetechnik

9
Fachthemen DOI: 10.1002/stab.201410170 452 © Ernst & Sohn Verlag für Architektur und technische Wissenschaften GmbH & Co. KG, Berlin · Stahlbau 83 (2014), Heft 7 1 Einleitung Der moderne Geschossbau nimmt auf- grund seiner wirtschaftlichen Bedeu- tung für die Baubranche, seiner vielfäl- tigen Auswirkungen auf die Umwelt sowie seiner sozialen Relevanz eine Schlüsselposition bei der Umsetzung von Nachhaltigkeitsaspekten im Bau- Der moderne Hoch- und Geschossbau benötigt ganzheitlich auf Nachhaltigkeit ausge- richtete Gebäudekonzepte, die ein hohes Maß an Nutzungsflexibilität und Multifunktio- nalität bieten und hierdurch die Bauwerkslebensdauer und -wirtschaftlichkeit erhöhen [1]. Hierbei weisen Deckenkonstruktionen ein besonderes Verbesserungspotential auf. Multifunktionale und integrierte Deckensysteme können einen entscheidenden Beitrag zur Schaffung nachhaltiger Gebäudestrukturen leisten. Im vorliegenden Artikel wird ein neuartiges, multifunktionales Deckensystem in Stahl- Beton-Verbundbauweise (InaDeck) vorgestellt, welches die vollständige Unterbringung aller gebäudetechnischen Bestandteile innerhalb eines Deckenzwischenraumes ermög- licht. Die Deckenelemente bestehen aus Verbundträgern mit Einzelflansch und vorgespann- tem Betongurt sowie einer Verbunddübelleiste als Verbundmittel (filigrane Verbundträger). Zur flexiblen Leitungsführung sind große Stegöffnungen im Verbundträger angeordnet. Durch den vorgespannten Betongurt an der Querschnittsunterseite der Deckenelemente kombiniert das Deckensystem gute bauphysikalische Eigenschaften und Brandschutz- merkmale mit großen Spannweiten für eine hohe Flexibilität und eine variable Grundriss- gestaltung. Der Artikel verdeutlicht die vielschichtigen Wechselwirkungen zwischen den Fachdisziplinen Gebäudetechnik, Bauphysik, Brandschutz sowie Tragwerksplanung. Multifunctional composite slab system with integrated building services – Studies on the load bearing and fire behavior, thermal efficiency and sustainability of a novel com- posite floor system. Modern multi-story buildings require holistic and sustainable building conceptions that provide a high flexibility of use and multi-functionality and thereby in- crease the building’s service life and economy [1]. Special potential for improvement in this case provides the research area of floor-slab structures. Multifunctional and integrated floor-slab-systems can make a significant contribution to the creation of sustainable build- ing structures. In this paper, a novel multi-functional composite floor system (InaDeck) is presented which incorporates all building services and installations into the structural element by means of an integrated installation floor. The floor-slab elements are made of prestressed composite beams with single flange and continuous shear connectors (filigree composite beams) which have large web openings for the routing of integrated building services. Due to a pre-stressed concrete chord at the bottom side of the cross section, the slab system features improved physical and fire protection characteristics and provides wide spans for increased flexibility at the same time. The article highlights the complex inter- actions between the disciplines of building services, building physics, structural engi- neering and fire protection. wesen ein. Im Planungsprozess getrof- fene Entscheidungen wirken sich auf- grund der langen Lebensdauer von Bauwerken auf mehrere Generationen von Nutzern aus [2]. Trotzdem zeich- net sich ein Großteil der bestehenden und heute im Bau befindlichen Hoch- bauten durch monofunktionale Eigen- schaften und eine hierdurch bedingte eindimensionale Nutzungsstruktur aus. Vielfach müssen diese monofunk- tionalen Bauten bereits lange vor dem Erreichen der technischen Lebens- dauer abgerissen oder baulich umge- staltet werden, weil sie den dynami- schen Anforderungsprofilen ihrer Nutzer (Nutzerwechsel, technische Weiterentwicklung) nicht mehr ge- recht werden können [3]. Ein konkreter Lösungsansatz zur Verbesserung der Nachhaltigkeit im Bauwesen stellt die Entwicklung in- novativer und nachhaltigkeitsorien- tierter Bauweisen und Bauteile dar. Besonderes Potential zur Schaffung nachhaltiger Gebäudestrukturen be- sitzen integrierte und multifunktionale Deckensysteme. Aus diesem Grund wurde im Rahmen des NASTA-For- schungsprojektes P879 eine integrierte Verbunddecke für nachhaltige Stahl- bauten (InaDeck) entwickelt. Mit Spannweiten von bis zu 16 m und Nutzlasten bis 5 kN/m² erzielt das aus Vollfertigteilen aufgebaute inte- grierte Deckensystem ein Höchstmaß an Nutzungsflexibilität. Der umge- drehte Stahl-Verbundquerschnitt be- steht aus halbierten Walzprofilen (IPE bzw. HEA), die durch einen filigranen vorgespannten Betonzuggurt an der Querschnittsunterseite ergänzt wer- den (vgl. Bild 1 (a)). Die Übertragung der Schubkräfte in der Verbundfuge erfolgt über eine Verbunddübelleiste in Puzzleform, die unmittelbar in den Stahlprofilsteg eingebrannt ist (filigra- ner Verbundträger). Das Deckensystem zeichnet sich weiterhin durch einen innenliegenden Installationshohlraum aus, der die vollständige Integration gebäudetechnischer Anlagen und Lei- tungen in die Tragkonstruktion er- möglicht (vgl. Bild 1 (b)). Große Steg- öffnungen in den Stahlprofilen erlau- Multifunktionale Verbunddecke mit integrierter Gebäudetechnik Untersuchungen zum Trag- und Erwärmungsverhalten, zur thermischen Leistungsfähigkeit und Nachhaltigkeit eines neuartigen Verbunddeckensystems Josef Hegger Martin Classen Joerg Gallwoszus Peter Schaumann Waldemar Weisheim Jörg Sothmann Markus Feldmann Dominik Pyschny Dirk Bohne Steen Hargus

Transcript of Multifunktionale Verbunddecke mit integrierter Gebäudetechnik

Page 1: Multifunktionale Verbunddecke mit integrierter Gebäudetechnik

Fachthemen

DOI: 10.1002/stab.201410170

452 © Ernst & Sohn Verlag für Architektur und technische Wissenschaften GmbH & Co. KG, Berlin · Stahlbau 83 (2014), Heft 7

1 Einleitung

Der moderne Geschossbau nimmt auf-grund seiner wirtschaftlichen Bedeu-tung für die Baubranche, seiner vielfäl-tigen Auswirkungen auf die Umwelt sowie seiner sozialen Relevanz eine Schlüsselposition bei der Umsetzung von Nachhaltigkeitsaspekten im Bau-

Der moderne Hoch- und Geschossbau benötigt ganzheitlich auf Nachhaltigkeit ausge-rich tete Gebäudekonzepte, die ein hohes Maß an Nutzungsflexibilität und Multifunktio-nalität bieten und hierdurch die Bauwerkslebensdauer und -wirtschaftlichkeit erhöhen [1]. Hierbei weisen Deckenkonstruktionen ein besonderes Verbesserungspotential auf. Multi funktionale und integrierte Deckensysteme können einen entscheidenden Beitrag zur Schaffung nachhaltiger Gebäudestrukturen leisten. Im vorliegenden Artikel wird ein neuartiges, multifunktionales Deckensystem in Stahl- Beton-Verbundbauweise (InaDeck) vorgestellt, welches die vollständige Unterbringung aller gebäudetechnischen Bestandteile innerhalb eines Deckenzwischenraumes ermög-licht. Die Deckenelemente bestehen aus Verbundträgern mit Einzelflansch und vorgespann-tem Betongurt sowie einer Verbunddübelleiste als Verbundmittel (filigrane Verbundträger). Zur flexiblen Leitungsführung sind große Stegöffnungen im Verbundträger angeordnet. Durch den vorgespannten Betongurt an der Querschnittsunterseite der Deckenelemente kombiniert das Deckensystem gute bauphysikalische Eigenschaften und Brandschutz-merkmale mit großen Spannweiten für eine hohe Flexibilität und eine variable Grundriss-gestaltung. Der Artikel verdeutlicht die vielschichtigen Wechselwirkungen zwischen den Fachdisziplinen Gebäudetechnik, Bauphysik, Brandschutz sowie Tragwerksplanung.

Multifunctional composite slab system with integrated building services – Studies on the load bearing and fire behavior, thermal efficiency and sustainability of a novel com-posite floor system. Modern multi-story buildings require holistic and sustainable building conceptions that provide a high flexibility of use and multi-functionality and thereby in-crease the building’s service life and economy [1]. Special potential for improvement in this case provides the research area of floor-slab structures. Multifunctional and integrated floor-slab-systems can make a significant contribution to the creation of sustainable build-ing structures. In this paper, a novel multi-functional composite floor system (InaDeck) is presented which incorporates all building services and installations into the structural element by means of an integrated installation floor. The floor-slab elements are made of prestressed composite beams with single flange and continuous shear connectors (filigree composite beams) which have large web openings for the routing of integrated building services. Due to a pre-stressed concrete chord at the bottom side of the cross section, the slab system features improved physical and fire protection characteristics and provides wide spans for increased flexibility at the same time. The article highlights the complex inter-actions between the disciplines of building services, building physics, structural engi-neering and fire protection.

wesen ein. Im Planungsprozess getrof-fene Entscheidungen wirken sich auf-grund der langen Lebensdauer von Bauwerken auf mehrere Generationen von Nutzern aus [2]. Trotzdem zeich-net sich ein Großteil der bestehenden und heute im Bau befindlichen Hoch-bauten durch monofunktionale Eigen-schaften und eine hierdurch bedingte

eindimensionale Nutzungsstruktur aus. Vielfach müssen diese monofunk-tionalen Bauten bereits lange vor dem Erreichen der technischen Lebens-dauer abgerissen oder baulich umge-staltet werden, weil sie den dynami-schen Anforderungsprofilen ihrer Nutzer (Nutzerwechsel, technische Weiterentwicklung) nicht mehr ge-recht werden können [3].

Ein konkreter Lösungsansatz zur Verbesserung der Nachhaltigkeit im Bauwesen stellt die Entwicklung in-novativer und nachhaltigkeitsorien-tierter Bauweisen und Bauteile dar. Besonderes Potential zur Schaffung nachhaltiger Gebäudestrukturen be-sitzen integrierte und multifunktionale Deckensysteme. Aus diesem Grund wurde im Rahmen des NASTA-For-schungsprojektes P879 eine integrierte Verbunddecke für nachhaltige Stahl-bauten (InaDeck) entwickelt. Mit Spannweiten von bis zu 16 m und Nutzlasten bis 5 kN/m² erzielt das aus Vollfertigteilen aufgebaute inte-grierte Deckensystem ein Höchstmaß an Nutzungsflexibilität. Der umge-drehte Stahl-Verbundquerschnitt be-steht aus halbierten Walzprofilen (IPE bzw. HEA), die durch einen filigranen vorgespannten Betonzuggurt an der Querschnittsunterseite ergänzt wer-den (vgl. Bild 1 (a)). Die Übertragung der Schubkräfte in der Verbundfuge erfolgt über eine Verbunddübelleiste in Puzzleform, die unmittelbar in den Stahlprofilsteg eingebrannt ist (filigra-ner Verbundträger). Das Deckensystem zeichnet sich weiterhin durch einen innenliegenden Installationshohlraum aus, der die vollständige Integration gebäudetechnischer Anlagen und Lei-tungen in die Tragkonstruktion er-möglicht (vgl. Bild 1 (b)). Große Steg-öffnungen in den Stahlprofilen erlau-

Multifunktionale Verbunddecke mit integrierter GebäudetechnikUntersuchungen zum Trag- und Erwärmungsverhalten, zur thermischen Leistungsfähigkeit und Nachhaltigkeit eines neuartigen Verbunddeckensystems

Josef HeggerMartin ClassenJoerg GallwoszusPeter Schaumann

Waldemar WeisheimJörg SothmannMarkus Feldmann

Dominik PyschnyDirk Bohne Steen Hargus

Page 2: Multifunktionale Verbunddecke mit integrierter Gebäudetechnik

453

J. Hegger et al. · Multifunktionale Verbunddecke mit integrierter Gebäudetechnik

Stahlbau 83 (2014), Heft 7

bunddübelleiste führen. Hierbei treten Betonausbruchschollen am Öffnungs-rand auf (Bild 2a). Gleichzeitig ruft die Übertragung der globalen Quer-kraft über die Öffnung hinweg Sekun-därmomente in den Teilträgern ober-halb und unterhalb der Öffnung hervor. Sobald die Biegetragfähigkeit eines Teil-trägers durch das zugehörige Sekundär-moment überschritten wird, bildet sich ein Momenten-Fließgelenk im Teilträ-ger aus. Beim Erreichen der Biegetrag-fähigkeit aller Teilquerschnitte wird das rahmenartige Tragsystem des Öffnungs-bereiches kinematisch. Diese Versa-gensform wird als Biegeversagen der Teilträger bezeichnet (Bild 2b). Weiter-hin kann ein Querkraftversagen des Betongurtes unterhalb der Öffnung auftreten. Das für diese Versagensart typische Bruchbild zeichnet sich durch einen schräg verlaufenden Schubriss im Betongurt aus (Bild 2 c). Der un-tere Teilträger aus Stahlreststeg und Betongurt stellt einen teilverdübelten Verbundquerschnitt mit zwei Deh-nungsnulldurchgängen und Dehnungs-sprung in der Verbundfuge dar.

In vielen Trägerversuchen wurde das globale Versagen des Verbundträ-gers durch ein lokales Verbundmittel-versagen am Öffnungsrand eingeleitet. Um dieses lokale Tragverhalten ge-nauer zu untersuchen, wurden insge-samt 40 Verbundmittelversuche durch-geführt, die sich aus Zug- und Druck-versuchen (Verbundmittelverhalten orthogonal zur Trägerlängsachse) so-wie aus Abscherversuchen zum Schub-tragverhalten der Verbunddübelleiste im filigranen Betongurt (Verbundmit-telverhalten parallel zur Trägerlängs-achse) zusammensetzten. Neben un-terschiedlichen Bewehrungsführungen wurde hierin insbesondere der Ein-fluss unterschiedlicher Betonlängs-spannungszustände auf das Tragver-halten der Verbunddübelleiste mithilfe neu entwickelter Versuchsstände un-

Anordnung großer Öffnungen in den Stegen der filigranen Verbundträger und die Vorspannung des untenliegen-den Betongurtes stellen allerdings neu-artige Problemstellungen für die Trag-werksplanung dar. Ziel des NASTA-Forschungsvorhabens war daher die Beschreibung des Tragverhaltens filig-raner Verbundträger mit Öffnung und Verbunddübelleiste. Hierzu wurden experimentelle und theoretische Un-tersuchungen durchgeführt.

Das globale Trag- und Verfor-mungsverhalten der filigranen Ver-bundträger mit Stegöffnung unter Querkraft- und Biegebeanspruchung wurde in insgesamt 21 Trägerversu-chen untersucht. Hierbei bildete sich im Bereich der Stegöffnungen ein lo-kaler, sekundärer Tragmechanismus aus, der das globale Tragverhalten überlagert. Stegöffnungen stellen lo-kale Schwachstellen im filigranen Ver-bundträger dar, an denen eine Umla-gerung der Querkraft aus dem Steg des geschwächten Stahlprofils in den Betongurt stattfindet. Hierdurch tre-ten vertikale Zug- (auflagernaher Öff-nungsrand) bzw. Druckbeanspru-chungen (lastnaher Öffnungsrand) in den Verbundmitteln unterhalb der Öffnungsränder auf, welche in einer Aufklaffung der Verbundfuge bzw. ei-ner gegenseitigen Durchdringung von Stahlprofil und Betongurt resultieren. Die Übertragung der Verbundmittel-kräfte an den Öffnungsrändern kann zum Verbundmittelversagen durch He-rausreißen oder Durchstanzen der Ver-

ben eine variable und anpassungsfähige Leitungsführung, selbst für Lüftungs-kanäle mit großen Abmessungen. Eine gute Zugänglichkeit des Installa-tionsraumes und eine komfortable Montage und Wartung der Gebäude-technik „von oben“ werden durch de-montierbare Platten an der Element-oberseite des Deckenquerschnittes ermöglicht (vgl. Bild 1 (c)). Zur Ver-besserung der thermischen Eigen-schaften bei gleichzeitig hoher Ener-gieeffizienz wird das Deckensystem mit intergierten Heiz- und Kühlleitun-gen zur thermischen Bauteilaktivie-rung ausgestattet (vgl. Bild 1 (d)) [4].

Nachfolgend werden die erziel-ten Forschungsergebnisse zum Trag- und Verformungsverhalten sowie zum Trag- und Erwärmungsverhalten im Brandfall, zu den thermischen Eigen-schaften des Deckensystems und zur Gebäudetechnik zusammengefasst sowie eine Bewertung der Nachhaltig-keit des neuartigen Deckensystems vorgestellt.

2 Trag- und Verformungsverhalten

Nachhaltigkeitsorientierte Deckensys-teme zeichnen sich durch große Spann-weiten für eine hohe Flexibilität bei gleichzeitig materialeffizienter Quer-schnittsgestaltung aus. Eine Möglich-keit, Deckensysteme gleichermaßen flexibel und effizient zu gestalten ist es, den additiven Aufbau konventio-neller Deckenpakete (abgehängte De-cke, Installationen, Tragstruktur, Fuß-bodenaufbau) zu Gunsten schlanker, mehrstegiger und weitspannender Tragstrukturen mit dazwischenliegen-den Installationshohlräumen zur Inte-gration der Gebäudetechnik aufzulö-sen [5]. Hierzu eigenen sich filigrane Verbundträger mit Verbunddübelleis-ten und schlankem Betongurt an der Querschnittsunterseite in hervorragen-der Weise. Das Tragverhalten von fili-granen Verbundträgern und die An-wendung von Verbunddübelleisten wird in [6] und [7] beschrieben. Die

Bild 1. Konzeption des integrierten Decken­systems (InaDeck)Fig. 1. Concept of inte­grated floor slab system (InaDeck)

Bild 2. Versagensarten im Öffnungsbereich filigraner VerbundträgerFig. 2. Failure modes at the web opening of filigree composite beams

Page 3: Multifunktionale Verbunddecke mit integrierter Gebäudetechnik

J. Hegger et al. · Multifunktionale Verbunddecke mit integrierter Gebäudetechnik

454 Stahlbau 83 (2014), Heft 7

3 Trag- und Erwärmungsverhalten im Brandfall

Die während der Entwicklungsphase festgelegte Anwendung des multifunk-tionalen Verbunddeckensystems bis hin zur Gebäudeklasse 5 setzt voraus, dass neben der statisch-konstruktiven Gestaltung auch brandschutztechni-sche Anforderungen des Deckensys-tems sichergestellt sind. Als raumab-schließendes Bauteil muss das Decken-system dabei der Anforderung REI90 genügen. Neben dem Tragfähigkeits- (R) und dem Wärmedämmkriterium (I) ist damit auch das Dichtigkeitskrite-rium (E) bei einem Brand gemäß der Einheits-Temperaturzeitkurve (ETK) für eine Dauer von 90 Minuten zu gewährleisten. Eine Brandbeanspru-chung von unten stellt daher im Allge-meinen das maßgebende Bemessungs-brandszenario für das Deckentrag-werk dar (vgl. [9]). Bedingt durch die Querschnittsgeometrie sowie die An-ordnung der gebäudetechnischen Ausstattung innerhalb des Deckensys-tems ist ein Brand im Deckenhohl-raum ebenfalls zu berücksichtigen. Um die Auswirkung beider Brandsze-narien auf das Trag- und Erwärmungs-verhalten des integrierten Verbundde-ckensystems zu beurteilen, wurden im Rahmen des NASTA-Forschungsvor-habens [8] umfangreiche experimen-telle und numerische Untersuchungen durchgeführt. In diesem Beitrag wer-den die experimentellen Untersu-chungen vorgestellt.

Die Feuerwiderstandsfähigkeit des Deckensystems wurde in einem 4-Punkt-Biegeversuch (Last: 76 kN je Pressenstempel) bei gleichzeitiger

Stegöffnungsbereich der filigranen Ver-bundträger detailliert zu analysieren und ein mechanisches Ingenieurmo-dell zur Berechnung der Tragfähigkeit von filigranen Verbundträgern mit Stegöffnung und Verbunddübelleiste herzuleiten. Das Modell erfasst die drei relevanten Versagensarten der Trägerversuche mit Öffnungen (Ver-bundmittelversagen, Biegeversagen und Schubbruch). Ein Überblick über die Struktur des Ingenieurmodells be-inhalten [4] und [8]. Für die praktische Anwendung ist das entwickelte Inge-nieurmodell in ein Bemessungsmodell zu überführen und in Form geeigneter Bemessungshilfsmittel (Tabellen/Dia-gramme) für unterschiedliche Quer-schnittsformen sowie Spannweiten und Öffnungsanordnungen aufzube-reiten, die dem Tragwerksplaner eine einfache Dimensionierung von Steg-öffnungen in filigranen Verbundträ-gern erlauben. Alle durchgeführten experimentellen und numerischen Untersuchungen sind ausführlich in [8] dokumentiert.

tersucht. Alle durchgeführten Träger- und Verbundmittelversuche wurden mithilfe dreidimensionaler, nichtline-arer Finite-Elemente-Untersuchungen nachgerechnet. Anders als bei konven-tionellen Verbundträgern erfordern die komplexen Wechselwirkungen zwi-schen Stahlprofil und Betongurt des filigranen Verbundträgers mit Stegöff-nung (Schub-Zug- bzw. Schub-Druck-Beanspruchung der Verbundmittel) hierbei eine diskrete und geometrisch vollständige Modellierung der Ver-bunddübelleiste im Öffnungsbereich. Innerhalb des Forschungsprojektes wurde diese Modellierungsform erst-malig für einen ganzen Verbundträger mit VDL umgesetzt. Das entwickelte dreidimensionale, nicht-lineare FE-Mo-dell der filigranen Verbundträger er-reichte sowohl quantitativ (Verformun-gen, Dehnungen, Bruchlasten) als auch qualitativ (Rissbild, Versagensform) eine gute Übereinstimmung mit den ex-perimentellen Ergebnissen (vgl. Bild 3).

Mithilfe der FE-Untersuchungen war es möglich, den Lastabtrag im

Bild 3. Querkraft­Verformungskurven (links) und Rissbilder (rechts) im Vergleich von Versuch und FE­SimulationFig. 3. Shear force­deflection curves (test vs. calculation, left) and crack patterns of FE­simulation (right)

Bild 4. Experimentelle Untersuchungen zur Feuerwiderstandsfähigkeit des Verbunddeckensystems: a) Versuchsaufbau der Normbrandprüfung, b) gemessene Stahl­ und Betontemperaturen, c) gemessene SystemdurchbiegungenFig. 4. Experimental investigations on the fire resistance of the floor system: a) experimental setup of the fire test, b) measured steel and concrete temperatures, c) measured deflections of the system

Page 4: Multifunktionale Verbunddecke mit integrierter Gebäudetechnik

455

J. Hegger et al. · Multifunktionale Verbunddecke mit integrierter Gebäudetechnik

Stahlbau 83 (2014), Heft 7

der Kabel sowie die Brandfortleitung in den Deckenhohlraum sind nicht feststellbar. Eine maximale Stahltem-peratur von 50 °C (Träger 2) verdeut-licht zudem, dass sich die Stahlprofile aufgrund der geringen Heißgastempe-raturen im Deckenhohlraum (Achse VI: 151 °C) nur geringfügig erwärmen. Da die gemessenen Stahltemperatu-ren hinsichtlich einer möglichen Fes-tigkeits- und Steifigkeitsreduktion der Stahlprofile als unbedenklich zu be-werten sind, kann die Forderung nach einer ausreichenden Tragfähigkeit, die an das multifunktionale Deckensys-tem bei einem Brand im Deckenhohl-raum gestellt sind, als erfüllt angese-hen werden.

Weiterführende Ausführungen hinsichtlich der experimentellen Un-tersuchungen sowie zusätzliche Er-kenntnisse, die im Rahmen numeri-scher Untersuchungen zum Trag- und Erwärmungsverhalten des Deckensys-tems gewonnen wurden, können [3], [8] und [10] entnommen werden. In [10] wird darüber hinaus ein verein-fachtes Bemessungsverfahren der Mo-mententragfähigkeit des multifunktio-nalen Verbunddeckensystems im Brandfall vorgestellt.

4 Bauphysikalische Untersuchungen

Zusätzlich zu den Untersuchungen zum Trag- und Erwärmungsverhalten wurde im Rahmen des Forschungs-projekts [8] auch die Leistungsfähig-keit des neuartigen multifunktionalen Verbunddeckensystems hinsichtlich der Gebäudetemperierung durch nu-merische und messtechnische Metho-

sätzlich größer aus als in den Drittels-punkten (120 mm).

Aufgrund der geplanten unge-schützten Ausführung stellen die Stahl-profile bei einem Brand im Decken-hohlraum die maßgebende Tragkom-ponente des Deckensystems dar. Da die Brandentwicklung im Deckenzwi-schenraum maßgeblich von der Brand-last abhängt, wurde in Voruntersuchun-gen (vgl. [3]) zunächst eine praxisge-rechte Brandlast in Form von Kabeln ermittelt und den experimentellen Hauptuntersuchungen zugrunde ge-legt. Für die Bewertung des kabel-brandinduzierten Erwärmungsverhal-tens des Deckensystems wurde ein Versuchskörper (Breite: 4,0 m, Länge: 4,0 m) gewählt, der im Hinblick auf seine Querschnittsgeometrie und seine Werkstoffe dem Prüfkörper aus der Normbrandprüfung entsprach. Zusätz-lich wurden in die HE800A-Stahlpro-file Stegöffnungen (750 mm × 257 mm) eingelassen, um die Durchführung ei-ner Kabeltrasse, die mit 188 halogen-freien Kabeln des Typs NHXMH-J 3×1,5 bestückt wurde, zu ermöglichen (vgl. Bild 5a). Der Deckenabschluss wurde mit Filigrandeckenplatten her-gestellt. Die Entzündung der Kabel erfolgte mittels einer definierten Zündquelle von 5,5 L Ethanol. Die Ermittlung der Heißgas- und Stahl-temperaturen erfolgte unter anderem an den in Bild 5b gekennzeichneten Messstellen. In Bild 5c lässt sich er-kennen, dass die Heißgastemperatu-ren im Deckenhohlraum nach dem Versiegen der Zündquelle nach ca. 20 Minuten abnehmen. Ein von der Zündquelle unabhängiges Abbrennen

ETK-Einwirkung von unten an einem aus der Verbunddecke herausgelösten Deckenelement (Breite: 2,5 m, Länge: 10,5 m) untersucht. Der Prüfkörper be-stand aus einer 100 mm dicken Spann-betonplatte sowie zwei darin eingelas-senen, halben HE800A-Stahlprofilen (vgl. Bild 4a). Die Verbundsicherung zwischen den Stahlprofilen und dem Betongurt wurde über die puzzleför-mige Verbunddübelleiste realisiert. Mithilfe eines umfangreichen Messpro-gramms konnten während der Brand-prüfung sowohl Systemverformungen als auch Bauteiltemperaturen und -deh-nungen messtechnisch erfasst werden. In den Bildern 4b und 4c sind die Er-gebnisse der Brandprüfung auszugs-weise dargestellt. Hierbei lässt sich erkennen, dass insgesamt eine unkri-tische Erwärmung des Verbunddecken-systems vorliegt. Lediglich an der be-flammten Unterseite des Betongurtes lässt sich zu Versuchsende mit 575 °C eine nennenswerte Temperaturerhö-hung feststellen. Die im Betongurt ein-gelassenen Stahlprofile bleiben hinge-gen mit einer maximalen Temperatur von 120 °C nahezu unbeeinflusst, was auf die günstige Anordnung des Be-tongurts unterhalb der Stahlprofile zurückzuführen ist. Aus den Ergebnis-sen der Verformungsmessungen lässt sich eine stetige Zunahme der Durch-biegungen mit fortschreitender Brand-dauer feststellen, die sowohl aus der thermisch induzierten Materialentfes-tigung als auch aus den thermischen Dehnungen des Betongurtes resultie-ren. Die Durchbiegung in Feldmitte fällt mit einem Maximalwert von 138 mm nach 90 Minuten dabei grund-

Bild 5. Experimentelle Untersuchungen zur kabelbrandinduzierten Temperaturentwicklung im Deckenhohlraum: a) Versuchsaufbau, b) Übersicht der Temperaturmessstellen, c) gemessene Heißgas­ und Stahltemperaturen Fig. 5. Experimental investigations on the cable induced temperature progress within the ceiling void: a) experimental setup, b) overview of the temperature measuring points, c) measured combustion gas and steel temperatures

Page 5: Multifunktionale Verbunddecke mit integrierter Gebäudetechnik

J. Hegger et al. · Multifunktionale Verbunddecke mit integrierter Gebäudetechnik

456 Stahlbau 83 (2014), Heft 7

struktion zu gewährleisten. Hier kann die gesamte Deckenfläche für die Ver-legung der Rohre genutzt werden, der thermische Widerstand zum Raum hin ist jedoch vergrößert. Bei beiden Varianten erfolgt die Verlegung der Rohre mit dem Durchmesser 2,0 cm in einem Abstand von 15 cm.

Die messtechnischen Untersu-chungen wurden im Deckenprüfstand des Instituts für Stahlbau der RWTH Aachen (Bild 7) durchgeführt. Die nö-tige Messtechnik und die Anordnung des Versuchsaufbaus sind an das Prüf-verfahren nach DIN EN 14240 [12] an-gelehnt. Zur Bereitstellung von prä-zise definierten Vorlauftemperaturen werden Umwälzthermostate benutzt, welche die Rohrleitungen mit pro-grammierbar temperiertem Wasser ver-sorgt. Das Erwärmen des Prüfraums erfolgt über elektrisch beheizte Kühl-last-Simulatoren, die auf dem Fußbo-den im Prüfraum angeordnet sind.

In den Simulationen mit TRNSYS wurden die Bedingungen des Ver-suchsstandes nachgebildet. Die inter-nen Wärmelasten, der Volumenstrom des Kühlmediums sowie die Vorlauf-temperatur des Wassers wurden je-weils entsprechend der gemessenen Versuchswerte übernommen. Die Geo-metrien der geprüften Versuchskörper wurden exakt nachgebildet und in die Simulation implementiert.

Sowohl die internen Wärmequel-len als auch die Vorlauftemperaturen des Wassers wurden so gewählt, dass operative Raumtemperaturen zwi-schen 26 und 28 °C erzeugt werden. Hierbei wurden verschiedene Tempe-raturdifferenzen zwischen der Raum-

artigen Deckensystems untersucht. Die thermische Bauteilaktivierung verknüpft die Gebäudetechnik mit der Bauphysik. Dabei werden Rohr-leitungen in das tragende Bauteil inte-griert, um über einen Wasserkreislauf gezielt Wärme abführen zu können. Durch die Ermittlung der aktiven Kühl-leistung des temperierten Deckensys-tems kann die thermische Behaglich-keit im Raum überprüft bzw. sicherge-stellt werden. Im Rahmen des Projekts wurden zwei verschiedene Varianten zur Platzierung der Rohrleitungen un-tersucht (vgl. Bild 6).

In Variante A werden die Rohr-leitungen mittig im 10 cm dicken Be-tongurt verlegt. So wird ein sehr guter Wärmeübergang vom Rohr zum Be-ton und schließlich zum Raum sicher-gestellt. Aufgrund der Lage der Spann-litzen kann allerdings nur ein einge-schränkter Bereich der Betonplatte direkt durch die Rohrleitungen ther-misch aktiviert werden. In Variante B werden die Rohrleitungen auf der Be-tonplatte in Nuten verlegt und mit Vergussmörtel fixiert, um den thermi-schen Verbund mit der übrigen Kon-

den untersucht [11]. Hierbei wurden zwei auf integrale Lösungen ausge-richtete technische Prinzipien ver-folgt.

Zum einen wurden sowohl Ver-suche als auch Finite-Elemente-Simu-lationen zur passiven Kühlung durch-geführt, bei der die natürlichen Tem-peraturschwankungen zwischen Tag und Nacht genutzt werden, um die sommerlichen Raumtemperaturen in-nerhalb des angestrebten Bereichs zu halten. Hier zeigte sich, dass das neu-artige Deckensystem gegenüber einer Standard-Massivdecke verbesserte wirksame Wärmekapazitäten bei deutlich reduzierter Masse aufweist. Durch die Stahlprofile in Verbund mit dem untenliegenden Betongurt wur-den leicht höhere Werte bezüglich des maximalen Wärmestroms und der eingespeicherten Wärmemenge ermit-telt. Die hohe Wärmeleitfähigkeit der Stahlprofile führt dazu, dass die ther-mische Speichermasse des Betons im Stahlstegbereich direkter temperiert wird.

Zum anderen wurde die aktive thermische Leistungsfähigkeit des neu-

Bild 6. 3D­Zeichnungen der Versuchskörper Varianten A und BFig. 6. 3D drawings test specimen option A and B

Bild 7. Schematischer Aufbau des Deckenprüfstandes und realer VersuchsaufbauFig. 7. Schematic structure of the floor system test rig and real experimental setup

Page 6: Multifunktionale Verbunddecke mit integrierter Gebäudetechnik

457

J. Hegger et al. · Multifunktionale Verbunddecke mit integrierter Gebäudetechnik

Stahlbau 83 (2014), Heft 7

tig erschwerten Einbaubedingungen der Rohrleitungen im schmalen vorge-spannten Betongurt bei Variante A wird Variante B für die Herstellung der Deckenelemente präferiert.

5 Gebäudetechnik

Im Rahmen des Forschungsprojekts [8] wurden mit der Entwicklung eines An-forderungsprofils an die Gebäudetech-nik konkrete Problemstellungen für die Erarbeitung eines Technikkonzepts für ein integriertes und nachhaltig-keitsorientiertes Deckensystem festge-setzt.

Das integrierte Deckensystem sollte wie ein Doppelboden nutzbar und von der Oberseite aus der Nutzer-einheit revisionierbar sein, sämtliche Elektro- und Lüftungsleitungen auf-nehmen können und die Behaglich-keit im Gebäude durch Heizung und Kühlung sicherstellen. Des Weiteren soll es aus Gründen des Brandschut-zes möglichst keine Durchdringungen des Stahlbetonuntergurtes im System geben.

Im Projektverlauf wurde ein Lüf-tungskonzept entwickelt, welches eine zentrale Lüftungsanlage vorsieht, de-ren Zuluftstrang über den Doppelbo-den geführt wird und über Quellluft-auslässe im Boden den Mindest-Außen-luftvolumenstrom sicherstellt. Durch Überströmöffnungen im Sturzbereich von Türen in Trennwänden wird die Luft zu Abluftdurchlässen an Flur-Enden der betrachteten Nutzungsein-heit geleitet (vgl. Bild 9). Für die Rea-lisierung des Quellluftkonzepts mit zentraler Zuluftleitung über den ent-wickelten Deckenquerschnitt wurde von einem zentralen Kanalstrang aus-

Leckagestellen des Prüfstandes als Kühlleistung interpretiert werden. Es wird zudem deutlich, dass das neuar-tige Deckensystem in beiden Varian-ten auf dem Kühlniveau einer 20 cm dicken Standard-Stahlbetondecke mit mittiger Rohrlage zur Temperierung liegt (vgl. Bild 8). Dies ist auf die ge-ringe Betongurtdicke des neuen Sys-tems zurückzuführen, wodurch eine direktere Temperaturbeeinflussung der Deckenmasse und somit eine un-mittelbarere Temperierung der Raum-temperatur möglich ist. Eine Verbes-serung der Kühlleistung des unter-suchten neuartigen Deckensystems könnte darüber hinaus durch eine Veränderung des verwendeten Kühl-schlaufensystems erfolgen. Die Verle-gung eines Rohres mit einem Rohr-durchmesser von 1,7 cm in einem Ab-stand von 10 cm (Variante Bmod) erhöht die simulierte Kühlleistung des Systems um ca. 8 % (vgl. Bild 8).

Aufgrund möglicher mechani-scher Beschädigungen der wasserfüh-renden Rohre bei einer Durchführung im Bereich der hochbeanspruchten Verbunddübelleiste und den gelichzei-

temperatur und der durchschnittli-chen Wassertemperatur realisiert. Die spezifische Kühlleistung der Decke steht in einem funktionalen Zusam-menhang zu diesen Differenzen. Je größer der Temperaturunterschied ausfällt, desto höher ist die Leistung. Legt man für die Versuchsergebnisse beispielsweise eine lineare Näherung für die entsprechenden Werte an, so ergibt sich sowohl für Variante A als auch für Variante B eine spezifische Kühlleistung von 4,9 W/(m² · K). Dies zeigt, dass die Leistungsminderung der Variante B aufgrund des größeren Abstands zur Deckenunterseite durch die Belegung der kompletten Fläche kompensiert wird. Bei niedrigen Un-tertemperaturen (bis etwa 10 K) des Kühlmediums ist eine gute Überein-stimmung der TRNSYS-Simulationen und den Versuchen für die spezifische Kühlleistung zu erkennen. Bei hohen Untertemperaturen hingegen (ab etwa 10 K) driften die Messergebnisse des durchgeführten Versuchs leicht nach oben ab (vgl. Bild 8). Diese Tendenz kann dadurch erklärt werden, dass Wärmeverluste in Folge von kleinen

Bild 8. Vergleich der Simulations­ und VersuchsergebnisseFig. 8. Comparison of simulation and experimental results

Bild 9. 3D­Zeichnung Zuluftkanäle und LüftungsschemaFig. 9. 3D drawing of supply air ducts and ventilation diagram

Page 7: Multifunktionale Verbunddecke mit integrierter Gebäudetechnik

J. Hegger et al. · Multifunktionale Verbunddecke mit integrierter Gebäudetechnik

458 Stahlbau 83 (2014), Heft 7

schungsprojekts [8] wurde daher das entworfene Stahl-Verbunddeckensys-tem hinsichtlich ausgewählter Nach-haltigkeitsaspekte analysiert und be-wertet. Zunächst wurde auf unter-schiedlichen Betrachtungsebenen und unter Berücksichtigung eines konkre-ten Nutzungsszenarios die ökologi-sche Qualität des InaDeck-Systems im Vergleich zu zwei alternativen De-ckensystemen mit großen Spannwei-ten untersucht (vgl. Bild 11).

Die Ergebnisse belegen, dass das im Rahmen des Projekt P879 entwi-ckelte integrierte Verbunddeckensys-tem InaDeck unter ökologischen Gesichtspunkten vollständig wettbe-werbsfähig ist. Der Vergleich mit zwei etablierten Deckensystemen zeigt, dass das multifunktionale Deckensystem InaDeck auf Bauteilebene zwar die höchsten ökologischen Umweltauswir-kungen erzeugt, diese jedoch auf Bau-werksebene, insbesondere durch den möglichen Verzicht auf abgehängte Decken und zusätzliche Fußboden-aufbauten sowie durch eine infolge des reduzierten Deckeneigengewich-tes insgesamt schlankere Tragstruktur von Stützen und Fundamenten, relati-viert werden. Eine ausführliche Dar-stellung der ökologischen Auswirkun-gen enthält [15].

Des Weiteren wurden Elektro-Vorplanungen für die drei untersuch-ten Grundriss-Typologien (Zellen-, Kombi-, Gruppenbüro (Bild 10)) er-stellt. Das Konzept der Elektrovorpla-nung berücksichtigt, dass sämtliche horizontale Zuleitungen über den Systemboden erfolgen und vertikale Verteilungen über herkömmliche leichte Trennwände realisiert werden können.

Im Zuge der Ermittlung der inter-nen thermischen Lasten wurden Kunst-lichtsimulationen zur Berechnung der notwendigen Leuchten-Anschlusslei-stungen bei ausreichender Beleuch-tungsstärke durchgeführt. Diese Simu-lationen dienten außerdem der Über-prüfung des Versorgungskonzeptes für Elektroleitungen über den Zwi-schenboden des Systems.

6 Nachhaltigkeitsbewertung

Die Wahl des Deckensystems kann einen entscheidenden Beitrag zur Er-richtung flexibler, anpassungsfähiger und nachhaltiger Gebäudestrukturen leisten. So ist z. B. durch große Spann-weiten eine flexible Gestaltung des Grundrisses möglich, die mehrere ver-schiedene Nutzungsphasen ohne Ab-riss erlaubt. Zum Abschluss des For-

gegangen, der durch in der Mitte zen-trierte Trägeröffnungen geführt wird. Von dort wird die Zuluft in die jeweili-gen Räume verteilt, wobei aufgrund der Notwendigkeit von Telefonieschall-dämpfern zwischen voneinander ge-trennten Aufenthaltsräumen nur ein Zuluftstrang je Raum vorgesehen wird. Die Abmessungen des zentralen Ka-nalstrangs waren maßgeblich für die Dimensionierung der Trägeröffnun-gen im System.

Weiterhin wurden im Arbeitspa-ket Gebäudetechnik Behaglichkeits-untersuchungen mittels thermischer dynamischer Simulation für typische Lastfälle in Verwaltungsbauten (Zel-len-, Kombi-, Gruppenbüro) durchge-führt. Die in den bauphysikalischen Untersuchungen ermittelten Kühllei-stungen der Varianten von Bauteilak-tivierung wurden in den Modellen der Gebäudesimulation berücksichtigt, welche unter typischen Randbedin-gungen von Nichtwohngebäuden [13] im Durchschnittsklima für den Stand-ort Deutschland untersucht wurden.

Anhand des Grenzwertes der ope-rativen Temperatur im Behaglichkeits-bereich eines Gebäudes der Komfort-Kategorie II von 26 °C [15] und der Anzahl der Stunden im Jahr, in denen diese Temperatur überschritten wird, wurde die Behaglichkeit des entwickel-ten integrierten Deckensystems be-wertet. Unter Einhaltung bedeutender Parameter wie Verschattungsart und -lage sowie des Fensterflächenanteils von bis zu 50 % [14] ist eine Zuord-nung von Verwaltungsbauten mit dem entwickelten integrierten Deckensys-tem zur Komfort-Kategorie II möglich. Dabei sind in Zonen mit Fassaden-ausrichtung nach Süden die größten thermischen Lasten zu erwarten.

Bild 10. 3D­Modell Kunstlichtsimulation Gruppenbüro, Simulationsergebnis BeleuchtungsstärkeFig. 10. 3D model lighting simulation open plan office, simulation result illuminance

Bild 11. Übersicht der untersuchten DeckensystemeFig. 11. Overview of the investigated floor systems

Page 8: Multifunktionale Verbunddecke mit integrierter Gebäudetechnik

459

J. Hegger et al. · Multifunktionale Verbunddecke mit integrierter Gebäudetechnik

Stahlbau 83 (2014), Heft 7

Danksagung

Das IGF-Vorhaben der Forschungs-vereinigung Stahlanwendung e.V. – FOSTA wurde über die Arbeitsgemein-schaft industrieller Forschungsvereini-gungen „Otto von Guericke“ e.V. (AiF) aus Mitteln des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) aufgrund eines Beschlusses des Deut-schen Bundestages gefördert. Die Au-toren bedanken sich für die finanzi-elle Förderung beim BMWi sowie die tatkräftige Unterstützung aller Mit-glieder des projektbegleitenden Aus-schusses und für die organisatorische Unterstützung bei der FOSTA. Weite-rer Dank gilt der Bremer AG (Pader-born) sowie der Bauunternehmung Florack GmbH (Heinsberg) für die Herstellung von Versuchskörpern, der Peiner Träger GmbH (Peine) und der Arcelor-Mittal-AG (Luxemburg) für die Herstellung und Anarbeitung von Stahlprofilen, Goldbeck (Bielefeld) für die Unterstützung bei der Erstellung von Stahlkonstruktionen und der Ha-gen Ingenieurgesellschaft für Brand-schutz mbH für die Unterstützung bei Feldmodellsimulationen.

Literatur

[1] Hegger, J. et al.: Integrierte und nach-haltigkeitsorientierte Deckensysteme im Stahl- und Verbundbau. Stahlbau 80 (2011), H. 10, S. 728–733.

[2] Dreßen, T.: Deckensysteme für flexi-ble Nutzung als Beitrag zur Nachhaltig-keit von Gebäudestrukturen. RWTH Aachen, Dissertation 2011.

[3] Hegger, J., Schaumann, P., Feldmann, M.: Entwicklung einer integrierten Ver-bunddecke für nachhaltige Stahlbau-ten. Stahlbau 82 (2013), H. 1, S. 11–17.

[4] Hegger, J., Claßen, M., Gallwoszus J.: Zum Tragverhalten eines integrierten Verbunddeckensystems. Bauingenieur 89 (2014), S. 91–101.

[5] Dreßen, T., Claßen, M.: Verformungen von Stahl- und Spannbetonträgern mit großen Stegöffnungen. Beton- und Stahl-betonbau 108 (2013), H. 7, S. 462–474.

[6] Heinemeyer, S., Gallwoszus, J., Heg­ger, J.: Verbundträger mit Puzzleleisten und hochfesten Werkstoffen. Stahlbau 81 (2012), H. 8, S. 595–603.

[7] Gündel, M., Kopp, M., Feldmann, M., Gallwoszus, J., Hegger, J., Seidl, G.: Die Bemessung von Verbunddübelleisten nach neuer Allgemeiner bauaufsicht-licher Zulassung. Stahlbau 83 (2014), H. 2, S. 112–121.

schlüsse ersetzt. Die Fertigteilele-mente erlauben eine komfortable und schnelle Montage auf der Baustelle und verringern damit Unterbrechun-gen im Realisierungsprozess, reduzie-ren logistische Arbeitsschritte und ermöglichen Just-in-time-Abwicklun-gen [8].

7 Zusammenfassung und Ausblick

Mit integrierten Deckensystemen kann es gelingen, die Gesamtnutzungs-dauer einer Immobilie mit mehreren Nutzungszyklen der Lebensdauer des Tragwerks anzugleichen [18]. Der vor-liegende Artikel fasst die im Rahmen des IGF-Vorhabens 371 ZN durchge-führten experimentellen und numeri-schen Untersuchungen zum Trag- und Verformungsverhalten, zum Trag- und Erwärmungsverhalten im Brandfall sowie zu den thermischen und gebäu-detechnischen Eigenschaften des neu-artigen Deckensystems zusammen. Die vorgestellten Untersuchungen zei-gen, dass sich mit dem entwickelten Deckensystem die zur flexiblen Ge-bäudenutzung erforderlichen Spann-weiten sowohl unter Normaltempera-tur als auch im Brandfall zielsicher realisieren lassen. Gleichzeitig weist das Deckensystem gegenüber einer konventionellen Massivdecke eine ver-besserte wirksame Wärmekapazität bei deutlich reduzierter Masse auf und ermöglicht die vollständige Integra-tion der Gebäudetechnik in die Trag-struktur. Anhand ökobilanzieller Un-tersuchungen sowie einer qualitativen Bewertung anhand des DGNB-Krite-rienkatalogs konnte die Nachhaltig-keitsorientierung des neuartigen, mul-tifunktionalen Deckensystems belegt werden.

Um die zukünftige praktische An-wendung des Deckensystems zu er-leichtern, sind die entwickelten In-genieurmodelle zum Tragverhalten unter Normaltemperatur und Brand-beanspruchung in Bemessungsmo-delle für die Handrechnung zu über-führen. Zudem sind die Anschlussde-tails zu Hauptträgern und Stützen sowie die Verbindungen zwischen be-nachbarten Deckenelementen zu kon-kretisieren. Neben der Untersuchung verbesserter Verbundmittel zur Über-tragung der lokalen Kräfte im Öff-nungsbereich ist das Brandverhalten im Deckenzwischenraum detailliert zu erforschen.

Darüber hinaus wurden anhand des DGNB-Katalogs [17] Kriterien aus-gewählt, die für Deckensysteme rele-vant sind, und eine Bewertung des InaDeck-Systems hinsichtlich seiner ökonomischen, soziokulturellen und technischen Qualität durchgeführt. Hierbei wurde deutlich, dass das Sys-tem die vielschichtigen und komple-xen Anforderungen der einzelnen Kri-terien in hohem Maße berücksichtigt. Hier liegen die wesentlichen Stärken des innovativen Deckensystems, wel-ches dem Nutzer ein Höchstmaß an Flexibilität und Umnutzungsfähigkeit bietet. Das Tragsystem, das als Ein-feldträger mit Spannweiten von 12 bis 16 m ausgebildet wurde, ermöglicht stützenfreie und variable Gebäude-grundrisse für unterschiedliche Büro-typologien und Wohnlayouts.

Die gebäudetechnischen Anlagen des integrierten Deckensystems wer-den vollständig in die Tragwerkse-bene integriert. Demontierbare Plat-ten an der Oberseite der Deckenstruk-tur ermöglichen eine fortwährende Zugänglichkeit der Installationen in-nerhalb der gesamten Nutzungsphase an jedem Punkt der Decke. Durch gezielte bauliche Maßnahmen erfolgt eine problemlose Wartung, Montage bzw. Austausch der Gebäudetechnik „von oben“, also von dem Geschoss aus, in dem sich die stockwerkspezifi-schen Bodeninstallationen befinden. Die Gebäudetechnik einer Nutzungs-einheit ist folglich von der darunter liegenden Ebene entkoppelt und führt bei Wartungs-, Reparatur- oder Ein-bauarbeiten zu keiner Beeinträchti-gung angrenzender Geschosse. Gleich-zeitig wird durch die Integration der Gebäudetechnik in die Tragstruktur die Konstruktionshöhe der Decken-struktur im Verhältnis zu alternativen Systemen mit ähnlichen Spannweiten erheblich reduziert. So ermöglicht das InaDeck-System eine Vergrößerung der Nutzfläche bei gleichzeitiger Stei-gerung der Flächen effizienz des Ge-bäudes.

Zudem wird das Verbundde-ckensystem InaDeck als Fertigteil hergestellt. Der hohe Vorfertigungs-grad er möglicht eine wirtschaftliche Herstellung der Deckenelemente bei gleichbleibend hoher Qualität. Kom-plizierte und aufwendige Schalungs- und Bewehrungsarbeiten werden durch einfache kraftschlüssige Schraubenverbindungen und An-

Page 9: Multifunktionale Verbunddecke mit integrierter Gebäudetechnik

J. Hegger et al. · Multifunktionale Verbunddecke mit integrierter Gebäudetechnik

460 Stahlbau 83 (2014), Heft 7

Prof. Dr.-Ing. Peter Schaumann, Dipl.-Ing. Waldemar Weisheim,Leibniz Universität Hannover,Institut für Stahlbau,Appelstraße 9A, 30167 Hannover,[email protected]

Dr.-Ing. Jörg Sothmann,hhpberlin Ingenieure für Brandschutz GmbH,Niederlassung Hamburg,Kurze Mühren 20, 20095 Hamburg,[email protected]

Prof. Dr.-Ing. Markus Feldmann, Dipl.-Ing. Dominik Pyschny,RWTH Aachen, Institut für Stahlbau und Lehrstuhl für Stahlbau und Leichtmetallbau,Mies-van-der-Rohe-Straße 1, 52074 Aachen,[email protected]

Prof. Dr.-Ing. Dirk Bohne, Dipl.-Ing. Steen Hargus,Leibniz Universität Hannover,Institut für Entwerfen und Konstruieren,Herrenhäuser Straße 8, 30419 Hannover,[email protected]

[14] Bohne, D., Wellpott, E.: Technischer Ausbau von Gebäuden. Stuttgart, 2006.

[15] DIN EN 15251:2007: Eingangspara-meter für das Raumklima zur Ausle-gung und Bewertung der Energieeffizi-enz von Gebäuden – Raumluftqualität, Temperatur, Licht und Akustik, Deut-sches Institut für Normung e.V.

[16] Hegger, J., Claßen, M., Papakosta, A., Gallwoszus J., Kuhnhenne, M., Pyschny, D., Feldmann, M.: Nachhaltigkeitsbe-wertung von Deckensystemen mit gro-ßen Spannweiten. Bauingenieur 89 (2014), S. 125–133.

[17] Deutsche Gesellschaft für Nachhalti-ges Bauen e.V. (Hrsg.): Das Deutsche Gütesiegel Nachhaltiges Bauen, Krite-rienkataloge, 2012.

[18] Hegger, J., Dreßen, T., Schießl, P. et al.: Beton – Nachhaltiges Bauen im Lebens-zyklus. Bauingenieur 84 (2009), S 304–312.

Autoren dieses Beitrages:Prof. Dr.-Ing. Josef Hegger, Dipl.-Ing. Martin Claßen, Dipl.-Ing. Joerg Gallwoszus, RWTH Aachen, Institut für Massivbau, Mies-van-der-Rohe-Straße 1, 52074 Aachen,[email protected]

[8] Hegger, J., Feldmann, M., Schaumann, P., Bohne, D.: Integrierte und nachhal-tigkeitsorientierte Deckensysteme im Stahl- und Verbundbau. Abschlussbe-richt FOSTA Forschungsvorhaben P 879 – Teilprojekt des NASTA-For-schungsverbundes. Forschungsvereini-gung Stahlanwendungen e.V., Novem-ber 2013.

[9] DIN EN 1363–1: Feuerwiderstands-prüfungen, Teil 1: Allgemeine Anforde-rungen, Deutsches Institut für Nor-mung e.V. Oktober 2012.

[10] Schaumann, P., Sothmann, J., Weis­heim, W.: Untersuchungen zum Trag-verhalten eines integrierten und nach-haltigkeitsorientierten Verbunddecken-systems im Brandfall. Bauingenieur 89 (2014), S. 102–115.

[11] Pyschny, D., Döring, B., Feldmann, M.: Ermittlung der thermischen Leis-tungsfähigkeit eines neuartigen multi-funktionalen Verbunddeckensystems. Bauingenieur 89 (2014), S. 116–124.

[12] DIN EN 14240: Lüftung von Gebäu-den – Kühldecken – Prüfung und Bewer-tung, Deutsche Fassung EN 14240:2004, Berlin: Beuth-Verlag, April 2004.

[13] Bohne, D.: Leitfaden Nachhaltige Gebäudesysteme, Hannover, 2008.