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Philipps-Universität Marburg
Fachbereich 19, Geographie
Wintersemester 2008/09
Oberseminar Syndrome des globalen Wandels
Seminarleiter: Dr. Thomas Max Hennig, Prof. Dr. Christian Opp
Autor: Paul Jörg Koch
Syndrome des globalen Wandels
Das Müllkippen-Syndrom
2
Gliederung
Seitenzahlen
1 Einleitung 3-4
2 Müllkippen-Syndrom 5-20
2.1 Ursachen 5-7
2.2 Auswirkungen 7-12
2.3 Entwicklung und Situation in Deutschland 13-16
2.4 Spezialfall „wilde Müllkippe Ozean“ 17
2.5 Spezialfall internationaler Müllhandel 18-19
2.6 Mögliche Darstellung: Fließschema 20
3 Fallbeispiele 21-29
3.1 Sao Paulo 21-27
3.2 Keputih-Deponie 27-29
4 Kurzfristige Maßnahmen zur „Symptombekämpfung“ 29
5 Strategien zur Syndromverhütung 29-32
6 Fazit 32-33
Literaturverzeichnis 34-38
3
1 Einleitung
Die vorliegende Ausarbeitung beschäftigt sich mit dem Müllkippen-Syndrom.
Das Müllkippen-Syndrom, als der „Umweltverbrauch durch geregelte und ungeregelte
Deponierung zivilisatorischer Abfälle“ (WBGU 1996, 2: 5), wurde erstmals im Jahr 1996
vom wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen
(WBGU) als eigenständiges Syndrom beschrieben. Vorher war es gemeinsam mit dem
Altlasten-Syndrom unter Bitterfeld-Syndrom zusammengefasst. Charakteristisch für das
Müllkippen-Syndrom ist, dass Mülldeponien nicht dem Schadstoffpotenzial des abgelagerten
Abfalls genügen und es somit zur Gefährdung von Umwelt und Gesundheit kommt (WBGU
1994: 171).
Vor allem in den weniger „entwickelten“ Ländern der Welt gehen enorme Umweltrisiken
von, häufig am Rande großer Agglomerationen angelegten, Müllkippen mit weitgehend
ungeregelter Abfallentsorgung aus (KRAAS 1994: 101). So werden z.B. die riesigen
Abfalldeponien in der unmittelbaren Umgebung vieler afrikanischer Ballungszentren als
„tickende Zeitbomben“ beschrieben (WBGU 1996, 2: 130). Diese Betroffenheit wird
zusätzlich durch den finanziell motivierten Müllexport aus Industrieländern in „Entwicklungs-
und Transformationsländer“, in denen die Deponierung z.B. aufgrund geringerer
Umweltstandards weniger kostenintensiv ist, gefördert (WBGU 1997: 146; WÖHLCKE
1987: 44; vgl. 2.5).
Darüber hinaus ist dieses Syndrom jedoch nicht nur in den ärmeren Ländern der Welt,
sondern „in der Nähe der großen Besiedlungsgebiete aller Kontinente“ anzutreffen (WBGU
1996, 2: 130). Bezüglich des Ausmaßes der Umweltgefährdung sind nämlich die lokalen
Umweltstandards und deren Umsetzung und nicht der Grad der Entwicklung einer Nation, als
maßgeblich zu betrachten (WBGU 1996, 2: 130). So waren in den USA, einem der reichsten
Länder der Welt, „Ende der 90’er Jahre“ des 20.Jh. nur etwa 10% der landesweit 100.000
Mülldeponien, aufgrund der relativ geringen Umweltstandards, „grundwassersicher“
abgedichtet (WBGU 1997: 95).
Ein aktuelles Problem welches in gesteigertem Maße die Industrie- und Schwellenländer
betrifft und bisher jeglicher Lösung entbehrt, ist die Entsorgung radioaktiven Mülls, welcher
bezüglich des Zeithorizonts eine Sonderstellung einnimmt, da die Lagerstätten über mehrere
4
Jahrtausende hinweg vollständig von der Umwelt abgeschlossen bleiben müssen (WBGU
1996, 2: 130). In Abhängigkeit vom jeweiligen Sicherheitsstandard bleibt ein fortwährendes
Risiko der Entweichung radioaktiver Strahlung bestehen (WBGU 1999: 217).
Auf einer internen Umfrage des WBGU basierend, entstand eine Einstufung der vom WBGU
beschriebenen Syndrome nach globaler Relevanz, Dringlichkeit und Wissensdefizit. Hieran
wurden die einzelnen Syndrome mit einem Indexwert auf der Skala von 1 (niedrig) bis 4
(hoch) versehen. Wie Abb.1 zeigt, besteht im Vergleich zu anderen Syndromen eine relativ
hohe globale Relevanz (3,3) und Dringlichkeit (3,3). Obwohl Ursache-Wirkungs-
Mechanismen weitgehend bekannt sind, bestehen weiterhin erhebliche Wissensdefizite, wie
aus dem Indexwert von 2,5 zu entnehmen ist.
Abb.1: Globale „Rangfolge der Syndrome gemäß der Relevanzkriterien“ (WBGU 1996, 2: 136)
5
2 Müllkippen-Syndrom
2.1 Ursachen
Hieran wird zwischen direkt wirkenden, inneren (on-side) und indirekt wirkenden, äußeren
(off-side) Ursachen unterschieden, wobei die Direkten zum Auftreten der Symptome
(Qualität) führen und die Indirekten für die Rahmenbedingungen, welche das Ausmaß des
Syndroms (Quantität) bestimmen, Verantwortung zeichnen.
Zu den direkten Ursachen des Müllkippen-Syndroms gehört die nicht dem
Schadstoffpotenzial genügende Deponierung von Siedlungs- und Industrieabfällen. Diese ist
oftmals darauf zurückzuführen, dass technische Umweltschutzmaßnahmen bei der Planung
nicht beachtet oder für nicht notwendig erachtet werden (WBGU 1994: 171) oder diese im
Laufe der Betriebszeit aufgrund von Abnutzungserscheinungen an Funktionalität verlieren
(vgl. 2.2). Außerdem kann es zur Schadstoffentweichung kommen, wenn außergewöhnliche
Wetterphänomene und Extremwettereignisse, deren Anzahl im Rahmen der globalen
Erderwärmung stetig zunimmt, nicht in die Planung miteinbegriffen werden (WBGU 1999:
220). Fehlende Regelungen für eine geordnete Abfallentsorgung führen in den meisten Fällen
zur Abfallbeseitigung auf die kostengünstigste Weise, wobei die Abfalleinbringung häufig
unsortiert, unkontrolliert und ungeordnet erfolgt (WBGU 1994: 171).
Demgegenüber sind die indirekten Ursachen oftmals vielschichtiger, können sich gegenseitig
bedingen oder verstärken und sind in vielen Fällen schwerer zu prognostizieren, da sie häufig
von externen Faktoren abhängig sind. Im Allgemeinen kommt es aufgrund eines relativ
schnell ansteigenden Müllaufkommens zu Tragfähigkeitsproblemen der Abfallinfrastruktur,
welche die unsachgerechte Müllentsorgung auf z.T. wilden, also illegalen, nicht kontrollierten
Müllkippen begünstigen (WBGU 1993: 129-130). Gründe für einen solch raschen Anstieg
können Industrialisierungsprozesse (WBGU 2001: 34, 48), Urbanisierung im Allgemeinen
(WBGU 1994: 146) und Wachstum der Megastädte im Besonderen (NOLTE&WALDMANN
2000; WBGU 2001: 34), die Ausbreitung westlicher Konsum- und Lebensstile (BAFU 2008,
1; WBGU 2001: 34, 45) und die damit häufig verbundene Anspruchssteigerung (WBGU
2001: 48), Suburbanisierung (WBGU 1996, 2: 118), Bevölkerungswachstum (BAFU 2008, 1;
WBGU 1993: 129-130; WBGU 2001: 34, 48), Wirtschaftswachstum (BAFU 2008, 1; WBGU
1994: 146), Verkürzung der Produktlebenszeiten (WBGU 1994: 146), Migration (WBGU
1993: 129-130; WBGU 2001: 45), Tourismus (WBGU 1994: 181), Markt- und
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Politikversagen (WBGU 2001: 48), Anstieg der Kaufkraft breiter Teile der Gesellschaft
(OULD CHIH&ROSE 2001: 18) und Weitere darstellen. Darüber hinaus ist es als besonders
problematisch zu betrachten, wenn der internationale Warenhandel und die Globalisierung der
Märkte zur Verbreitung verpackungsreicher Produkte, sowie von Materialen die in den
Konsumregionen nicht aufbereitet oder nachhaltig deponiert werden können, führt (BAFU
2008, 1; WBGU 2001: 48). Defizite in der gesellschaftlichen Umweltbildung und
Gewissenlosigkeit der Abfallemittenten können zudem selbst einer gutorgansierten
Abfallwirtschaft Probleme bereiten (BAFU 2008, 1).
Dass sich das Müllaufkommen einer Volkswirtschaft in Folge der obig genannten indirekten
Ursachen innerhalb eines Zeitraums von 35 Jahren verdoppeln kann, zeigt Abb.2 für die
Schweiz. Um den verheerenden Umweltauswirkungen, die ein so rascher Anstieg mit sich
bringen kann, effizient begegnen zu können, bedarf es eines hohen finanziellen Aufwandes,
welcher für viele Länder die entscheidende Hürde zur nachhaltigen Abfalldeponierung bzw.
-entsorgung darstellt.
Abb.2: Anstieg des Müllaufkommens in der Schweiz (in Mio. t) (eigener Entwurf nach BAFU 2008, 2)
Laut WBGU (1996, 2: 118) können sich Syndrome auch gegenseitig bedingen bzw.
verstärken. Daraus resultierend soll das Müllkippen-Syndrom in der Entwicklungsgeschichte
einer jeden Volkswirtschaft der Welt quasi vorprogrammiert sein (Müllkippen-Syndrom in
der Evolutionismustheorie): „Offensichtlich ist die Abfolge von Entwicklungsstadien der
7
menschlichen Zivilisation mit ganz bestimmten Syndromen verknüpft, so daß man sie
zumindest explorativ auch für eine Abschätzung der zukünftigen Entwicklung des Erdsystems
heranziehen kann. So läßt sich z.B. eine Syndrom-Sukzession bilden, die mit dem Sahel-
Syndrom anfängt, nach einem Verzweigungspunkt zum Grüne-Revolution-Syndrom oder zum
Kleine-Tiger-Syndrom führt und vom Dust-Bowl-Syndrom oder dem Suburbia-Syndrom und
Müllkippen-Syndrom vorläufig abgeschlossen wird“ (ebd.).
2.2 Auswirkungen
Die Auswirkungen einer unsachgemäßen Mülldeponierung sind vielfältig. Ähnlich wie bei
den Ursachen des Syndroms lässt sich auch hier zwischen direkten und indirekten Folgen
unterscheiden.
Direkte Auswirkungen sind die Infiltration von Sickerwasser, die Entweichung von
Deponiegas, Flächenverbrauch (WBGU 2001: 45), ästhetische Degradation des
Landschaftbildes, sowie Geruchsbildung (HAAS et al. 2005: 580; RACHMANSYAH 2001:
23).
Aus diesen direkten Auswirkungen resultieren schädliche Umweltauswirkungen, welche im
Syndromkonzept des WBGU als Symptome bezeichnet werden. Diese treten häufig parallel
auf, bedingen und verstärken sich in einigen Fällen sogar gegenseitig. Allgemein kommt es
durch die in Kauf genommene Schadstofffreisetzung zur Bodenkontamination mit
gefährlichen Auswirkungen auf Umwelt und Gesundheit, die je nach Ausmaß der
Schadstoffentweichung und deren Dauer kurz- oder langfristig zur Entstehung von Altlasten
führt (WBGU 1994: 171). In Abhängigkeit des Potenzials zur Sickerwasserbildung, welches
auf Niederschlagsintensität/ -häufigkeit und Art des deponierten Mülls zurückzuführen ist,
können diese kontaminierten Böden vor allem bei geringer Sickerwasserbildung zu einer
zeitlich verzögerten Schädigung des Grundwassers führen (WBGU 1994: 97, 173), wenn die
Giftstoffe im Boden temporär abgelagert und erst mit dem nächsten Niederschlagsereignis
dem Grundwasser zugeführt werden. Meist erfolgt die Kontamination von Böden und
Gewässern jedoch zeitlich relativ gering verzögert, durch die Infiltration toxischen
Sickerwassers bis in grundwassertragende Schichten (KRAAS 1994: 102; RACHMANSYAH
2001: 18-20; WÖHLCKE 1992: 70; WBGU 1994: 97, 146). Die daraus resultierenden
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schädlichen Folgen für die Trinkwasserressourcen führen zur Trinkwasserverknappung
(REISS 2006; WBGU 1997: 146) und zu steigenden Kosten für die Trinkwasseraufbereitung,
die über gleichfalls ansteigende Trinkwasserpreise auf die Konsumenten umgeschlagen
werden (WBGU 1994: 97, 173). Insbesondere in Entwicklungsländern, in denen
vergleichsweise viele Menschen am Existenzminimum leben und sich einen solchen
Preisanstieg somit häufig nicht leisten können, kommt es durch die direkte Einnahme
verseuchten Grundwassers zur erheblichen Gesundheitsgefährdung (WBGU 1996, 2: 130;
WBGU 1997: 146). Nach WÖHLCKE (1990: 24) leiden weltweit eine Milliarde Menschen an
schweren Erkrankungen, die auf verseuchtes Wasser zurückzuführen sind. Abb.3 zeigt auf, in
welch gravierendem Maße sich das Müllkippen-Syndrom im Vergleich zu anderen
Syndromen auf die Wasserqualität auswirkt und wie stark die Menschen davon betroffen sind.
Die Farbgebung zeigt von rot nach grün eine abnehmende globale Wasserrelevanz an. Da das
Müllkippen-Syndrom orange gekennzeichnet ist, lässt sich entnehmen, dass sich die obig
beschriebenen Auswirkungen im globalen Mittel relativ stark auf die ausreichende
Versorgung mit gesundheitlich unbedenklichem Wasser auswirken.
Abb.3: „Einschätzung der Bedeutung der einzelnen Syndrome hinsichtlich ihres Beitrags zur Wasserkrise“ (WBGU 1997: 147)
9
Kontaminierte Böden und Grundwasser wirken sich jedoch auch über die Biosphäre auf die
Gesundheit des Menschen aus, wenn die Giftstoffe von Pflanzen und Tieren aufgenommen
werden. Das Verzehren dieser mit Schadstoffen versetzten Nahrung kann letztendlich ähnlich
schädlich sein, wie die direkte Einnahme vergifteten Grundwassers (WBGU 1994: 97, 173).
Die lokale Landwirtschaft kann zudem durch Deponiegas beeinträchtigt werden, wenn es den
Bodensauerstoff verdrängt und somit zu erheblichen Wachstumsschäden führt
(KRÜMPELBECK 1999: 27). Durch Auswehung oder Ausschwemmung bei
Extremwetterereignissen können Schadstoffkombinationen aus dem Deponiebereich
entweichen, wodurch Böden und Trinkwasser unter Umständen in dem Maße kontaminiert
werden, dass erhebliche Gesundheitsgefährdungen für die angrenzende Bevölkerung
entstehen, bis hin dass ursprüngliche Siedlungsgebiete unbewohnbar werden (WBGU 1999:
220).
Aufgrund jener gravierenden Auswirkungen auf die Gesundheit des Menschen, gehört die
unzureichende Mülldeponierung vor allem in Entwicklungsländern, z.B. in den meisten
westafrikanischen Ballungsräumen, zu den „Schlüsselproblemen“ des öffentlichen
Gesundheitswesen (KRAAS 1994: 108; NCCR 2008: 20). Diese Tatsache wiederum lässt sich
oftmals darauf zurückführen, dass die betroffenen Menschen vor Ort häufig in engem Kontakt
zum Müll leben, von diesem teilweise sogar Überleben: „Vor allem die informellen
Siedlungen dienen oft als Müllkippe der Stadt. In Nairobi werden beispielsweise nur etwa 25
Prozent des städtischen Abfalls gesammelt und entsorgt. Auf der Müllkippe im Slumviertel
Dandora werden täglich 1.600 Tonnen Müll abgeladen. Die Halde und zugleich
Wohnsiedlungen entstanden in den 1980er Jahren: teils legal, teils illegal. Heute leben knapp
300.000 Menschen in Dandora und viele leben vom Durchsuchen und Verkaufen der Abfälle“
(HANSJÜRGENS&HEINRICHS 2007). Es handelt sich dabei jedoch keinesfalls um ein rein
afrikanisches Problem, da diese Art der Unterhaltssicherung z.B. auch in Lateinamerika
Anwendung findet. Laut NOLTE&WALDMANN (2000) gefährdet die improvisierte
Müllentsorgung die Gesundheit großer Teile der städtischen Bevölkerung in gesamt
Lateinamerika. Die akute Gesundheitsgefährdung geht dabei jedoch nicht nur auf
kontaminierte Böden, Grundwasser und Gewässer zurück. Müllkippen können nämlich auch
als Herde von ansteckenden Krankheiten dienen, vor allem wenn klinischer Müll
miteingebracht wird (WBGU 1999: 218). Besonders im Falle der bereits angesprochenen
informellen Müllaufbereitung, bei der Mülldeponien nach verkauf- und verwertbaren
10
Materialien und Gegenständen durchsucht werden, kann es zur raschen Ausbreitung dieser
Krankheiten, auch über relativ große Entfernungen hinweg, kommen (ebd.). Durch den
steigenden Anteil gefährlicher, chemischer Substanzen auf der Bevölkerung zugänglichen
Mülldeponien, steigt zudem die Anzahl schwerer und tödlicher Vergiftungen (WÖHLCKE
1987: 45).
Eine weitere Gefährdung von Menschleben und Gesundheit geht vom Geruchs- und
Schadstoffe enthaltenden Deponiegas aus (HAAS et al. 2005: 580). Dieses ist leicht brennbar
und zudem explosiv (KRÜMPELBECK 1999: 27). Durch die daraus resultierenden
Deponiebrände kann es zur starken Luftverschmutzung kommen, welche zu einer
zusätzlichen Beeinträchtigung der in der Nachbarschaft lebenden Menschen führt
(RACHMANSYAH 2001: 23).
Durch die direkte Einleitung oder über den Transport im Grundwasser können Schadstoffe
vor allem in der Nähe von Fließ- und Küstengewässern zur allgemeinen Gewässergefährdung
und zur nicht unerheblichen Gefährdung der Weltmeere beitragen (vgl. Abb.5;
RACHMANSYAH 2001: 23; WBGU 2001: 55).
Neben der „Gefährdung der Weltgesundheit“ sind der Verlust an Biodiversität und die
Bodendegradation als Kernprobleme des Syndroms anzusprechen (vgl. Abb.4, WBGU 1996,
2: 131).
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Abb.4: „Zuordnung von Kernproblemen des Globalen Wandels zu Syndromen“
(WBGU 1996, 2: 131)
Der unterschiedlich starke Einfluss des Müllkippen-Syndroms auf globale Umweltprobleme
kann Abb.5 entnommen werden. Die schwächere Relevanz für den Verlust biologischer
Vielfalt und Entwaldung hängt damit zusammen, dass die Deponien meist punktuell in
unmittelbarer Nähe zu den naturfremden Ballungsräumen auf freien, ungenutzten Flächen
(ehemaliger Tagebau, u.a.) entstehen bzw. angelegt werden. Der weniger ausgeprägte Einfluss
auf die Süßwasserverknappung und –verschmutzung kann darauf zurückgeführt werden, dass
bei der Abfalldeponierung kein außerordentlicher Wasserverbrauch stattfindet und das
Deponiesickerwasser relativ selten direkt in Gewässer eingeleitet wird. Die Gefährdung der
Weltmeere erklärt sich unter anderem auch aus der Müllverklappung (vgl. 2.4).
12
Abb.5: „Verursachung globaler Umweltprobleme durch Syndrome“
(WBGU 1996, 2 in WBGU 2001: 55)
Schließlich leistet das Müllkippen-Syndrom durch entweichendes Deponiegas, welches sich
zu 99% aus den klimawirksamen Gasen Methan und Kohlendioxid zusammensetzt, auch
einen Beitrag zur globalen Erderwärmung, wenn auch in einem eher geringen Maße, so dass
es in den Abbildungen Abb.4 und Abb.5 keinen Niederschlag findet (KRÜMPELBECK
1999: 10).
13
2.3 Entwicklung und Situation in Deutschland
Vor 1972 herrschte auf deutschen Deponien insgesamt eine Situation vor, die zum Auftreten
der spezifischen Symptome des Müllkippen-Syndroms geführt hat, eine Situation die heute
für viele Entwicklungs- und Schwellenländer charakteristisch ist. Der Müll wurde in
unverdichteten Gruben ohne technische Maßnahmen zur Emissionsminderung gelagert,
Sickerwasser und Deponiegas konnten ungehindert in die Umwelt entweichen
(KRÜMPELBECK 1999: 4). Mit der Einführung eines Abfallgesetzes (heute TA-Abfall und
TA-Siedlungsabfall) kam es seit 1972 zur beständigen Verbesserung technischer Maßnahmen,
um den schädlichen Umweltauswirkungen von unzureichend gesicherten Deponien
entgegenzuwirken (KRÜMPELBECK 1999: 4). Trotzdem gab es in Deutschland bis 1995
noch 196 Deponien ohne und 149 mit lediglich partieller Basisabdichtung (Umweltbundesamt
1997 in KRÜMPELBECK 1999: 5).
Im Rahmen der angestrebten umweltfreundlichen Abfalldeponierung, kam es in Deutschland
zur Konzentration und Verdichtung von Deponiestandorten, um zum Einen dem Prozess des
wachsenden Flächenverbrauchs durch Mülldeponien, der auf den (weltweit) steigenden
Bedarf an „kontrollierter Entsorgung von Rest- und Abfallstoffen“ zurückzuführen ist,
entgegenzuwirken (WBGU 1996, 2: 130). Zum Anderen um über diese Zusammenführung
die Umsetzung aufwendiger Schutzmaßnahmen, wie Deponieabdichtungen, unterirdische
Ableitungssysteme, Absaugeinrichtungen für Deponiegas und intelligente
Überwachungssysteme (HAAS et al. 2005: 580; WBGU 1996, 2: 130), welche zur
Vorbeugung von schädlichen Umweltauswirkungen notwendig sind (WBGU 1996, 2: 130),
zu ermöglichen, denn nur durch die Lokalisierung und Konzentration kann es gelingen, den
relativ hohen (je nach Gefährdungspotenzial des zu deponierenden Abfalls) technischen und
somit finanziellen Aufwand möglichst effizient zu gestalten (ebd.). Folglich wurde die Anzahl
von Mülldeponien in den alten Bundesländern zwischen 1970 und 1996 erheblich reduziert.
Wurden 1970 noch mehr als 50.000 Müllkippen allein im Gebiet der alten Bundesländer
verzeichnet, sollen in naher Zukunft nur noch 350-450 zentrale Großdeponien für das gesamte
Bundesgebiet bestehen (WBGU 1996, 2: 130). In Abb.6 ist die sinkende Anzahl der Deponien
für Siedlungsabfälle in den einzelnen Bundesländern zwischen 1995 und 2005, sowie die
Prognose für das Jahr 2009 dargestellt.
14
Abb.6: „Deponiestatistik Siedlungsabfalldeponien in Deutschland“ (STIEF 2006)
Dieser Prozess der Standortreduzierung kann jedoch mit einem erhöhten überregionalen
Mülltransport einher gehen und somit über ein erhöhtes Verkehrsaufkommen zur
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Sekundärverschmutzung der Luft und zu einem erhöhten Ressourcenverbrauch für die
Entsorgung führen.
Trotz der großen Fortschritte die durch den Einsatz moderner Technologien in der
Abfalldeponierung erzielt werden konnten, besteht aufgrund von Wissensdefiziten bzgl. der
Ermüdung und Korrosion der verwendeten Materialien weiterhin ein großes
Gefährdungspotenzial für die Umwelt (WBGU 1996, 2: 130; WBGU 1997: 146). Zu den
bekannten Unsicherheitsfaktoren gehören die Haltbarkeit von Dichtungen und die damit in
Zusammenhang stehenden Zersetzungsprozesse (WBGU 1996, 2: 130). So besteht z.B.
jederzeit die Gefahr einer Materialermüdung an der Basisabdichtung, was dazu führen kann,
dass Sickerwasser (unbemerkt) an den schadhaften Stellen punktuell in den Untergrund
infiltriert (KRÜMPELBECK 1999: 145).
In welchem Maße Deutschland nach wie vor vom Müllkippen-Syndrom betroffen ist,
verdeutlicht Abb.7. Hieran wurden ebenfalls Indexwerte auf einer Skala von 1-4 vergeben
(vgl. 2.1). Von den insgesamt 16 Syndromen ist das Müllkippen-Syndrom eines der
relevantesten für Deutschland. Sowohl hinsichtlich der Verantwortung (3,2) und der
Betroffenheit (3,0), als auch bezüglich der Forschungs- und Lösungskompetenz (3,6), belegt
dieses Syndrom immer einen Platz unter den ersten Fünf.
16
Abb.7: „Rangfolge der Syndrome gemäß der Relevanzkriterien“ für Deutschland (WBGU 1996, 2: 137)
Aus dieser Forschungs- und Lösungskompetenz Deutschlands resultiert die Empfehlung vom
WBGU dieses Syndrom - unter anderen als Klasse 1 Eingestuften - vorrangig in der
deutschen Forschung zu behandeln (vgl. Abb.8).
Abb.8: „Einordnung der Syndrome in Prioritätsklassen“ für die deutsche Forschung (WBGU 1996, 2: 137)
17
2.4 Spezialfall „wilde Müllkippe Ozean“
Ein Spezialfall, auf den in dieser Ausarbeitung nur am Rande eingegangen werden soll und
der sich an bestimmten Punkten mit anderen Syndromen überschneidet, ist der
„Umweltverbrauch durch geregelte und ungeregelte Deponierung zivilisatorischer Abfälle“
(WBGU 1996, 2: 5) in Ozeanen. Im Rahmen der Verklappung festen Mülls (Dumping)
kommt es zur zunehmenden Meeresverschmutzung (WBGU 1993: 42; WBGU 1996, 1: 152).
Dabei muss laut WBGU (1993: 45) beachtet werden, dass: „alle Arten der Abfalleinbringung
(fest und flüssig) zwar eher lokal oder regional sind, diese aber durch die teilweise recht
effektive Verbreitung mit Meeresströmungen über die einzelnen Hoheitszonen hinaus schnell
zu einem internationalen Problem werden können.“ Dadurch bedingt sind internationale
Abkommen wichtig, wenn den globalen und vor allem langfristigen Auswirkungen,
beispielsweise des Versenkens nuklearen Mülls in der Tiefsee, entgegengewirkt werden soll
(ebd.).
Mit dem „Londoner Übereinkommen zur Verhütung der Meeresverschmutzung durch das
Einbringen von Abfällen und anderen Stoffen“, welches 1972 auf der UN-Umweltkonferenz
in Stockholm vereinbart wurde, unterliegen Quecksilber, Kadmium, verschiedene
Mineralölarten, biologische und chemische Kampfstoffe und hochradioaktive Stoffe, wegen
der enormen Gefahr die von diesen Stoffen für marine Organismen ausgeht, sowie
schifffahrtsgefährdende nicht-abbaubare Kunststoffe in zahlreichen Staaten einem totalen
Einbringungsverbot (WBGU 1996, 1: 152). Dieser zunächst noch schwache Umweltvertrag
wurde stetig erweiter und verschärft (KÖNIG 1997 in WBGU 1996, 2: 84), so dass seit 1994
auch die Einbringung schwachradioaktiver Substanzen verboten ist (WBGU 1996, 1: 152).
Der Regelungsbereich des Übereinkommens ist jedoch oftmals zu begrenzt, um dass
ökologisch Notwendige durchsetzen zu können. So gelangen nach wie vor große Mengen an
Müll z.T. durch unsachgemäße Deponien oder illegale Abfallentsorgung in die Ozeane und
führen dort zur starken Schädigung der Meeresumwelt (KÖNIG 1997, TÜGEL 1999 in
WBGU 1996, 2: 32). Außerdem gilt das Übereinkommen nicht für alle Mitglieder im gleichen
Maße, weil z.B. für Russland, Großbritannien und Frankreich Ausnahmereglungen vereinbart
wurden (WBGU 1996, 1: 152). Im Gegensatz zur Verklappung von Müll auf den Ozeanen ist
die Einleitung von Schadstofffrachten durch Flüsse, sowie von Deponiesickerwasser oftmals
nicht institutionalisiert und unterliegt somit selten übergeordneten Regulationsmechanismen
(NOLLKAEMPER 1996 in WBGU 1996, 2: 84).
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2.5 Spezialfall internationaler Müllhandel
Ein weiterer Spezialfall ist der bereits in der Einleitung angesprochene internationale
Müllhandel, welcher in Ländern mit geringen Umweltstandards oder Kontrollen zur
verheerenden Verstärkung des Syndroms und dessen Symptomen führen kann.
In den 1980‘er Jahren wurde der Sondermüll der Industrieländer häufig kostengünstig in
Entwicklungs- und Schwellenländern mit geringeren Umweltstandards entsorgt, „da es an
internationalen Regelungen und Kontrollen fehlte“ (BMU 2007). Dieser internationale Handel
mit gefährlichen Abfällen ist seit dem Inkrafttreten des Basler Übereinkommens im Mai 1992
in weltweit über 170 Staaten reguliert worden (BMU 2008; EUROPA 2006). „Insbesondere
sollen hierdurch Staaten geschützt werden, die nicht über die notwendigen technischen
Voraussetzungen für den Umgang mit gefährlichen Abfällen verfügen“ (BMU 2008).
Dennoch kommt es immer wieder zu illegalen Abfallexporten, unter anderem auch aus
Deutschland (BMU 2008). 2006 wurden mehr als 580t Giftmüll im Auftrag eines
europäischen Unternehmens auf insgesamt 14 Deponien des westafrikanischen Landes
Elfenbeinküste verbracht. In direkter Folge starben mindestens zehn Menschen, ca. 30.000
mussten sich in ärztliche Behandlung begeben (IRIN 2008; TAGESSCHAU 2006). Insgesamt
wurden laut BMU (2006) 70.000 Menschen gesundheitlich beeinträchtigt.
Ein weitaus größeres Problem, als der weitgehend zurückgedrängte illegale Handel mit
giftigem Sondermüll, stellt jedoch der Export von Abfällen, welche zur Umgehung von
Exportverboten als Gebrauchtwaren und nicht als Abfall deklariert werden, dar (WIEPKING
2008). Dazu gehört vor allem der Elektroschrott, dessen Anteil am Sondermüll seit den
1990’er Jahren, mit der zunehmenden Verbreitung von Computern, Handys, u. a., rasant
ansteigt. „Die Produktion von Elektro- und Elektronikgeräten (EEA) ist einer der am
schnellsten wachsenden Wirtschaftssektoren der Welt“ (ÖSTERREICHISCHES ÖKOLOGIE
INSTITUT 2005), so dass eine Abnahme des Elektroschrottaufkommens vorerst nicht
absehbar ist. Allein in Österreich fallen jährlich etwa 100.000t Elektroschrott an (ebd.). Dieser
„enthält zahlreiche Bestandteile, darunter Problemstoffe wie Blei, Cadmium oder PCB
(polychlorierte Biphenyle), die bei unsachgemäßer Entsorgung schädliche Auswirkungen auf
die Umwelt und den Menschen haben“ (ebd.). Lt. DREYER (in BROT FÜR DIE WELT
2006: 7) übertreffen die Elektroschrottexporte alles, „was an Giftmüllexporten je dagewesen
ist“. Jährlich werden mehrere Millionen Tonnen dieser Art von Sondermüll nach Afrika und
19
Asien transportiert (BROT FÜR DIE WELT 2006: 7). Dort wird er in den meisten Fällen
nicht umweltgerecht entsorgt (BMU 2006). Die gebrauchten Produkte werden unter
primitivsten Bedingungen recycled. „Kabel werden verbrannt, Computergehäuse aufgekocht,
Elektronikteile über offenen Feuern erhitzt, wobei hochgiftige Dioxine in die Luft
verdampfen“ (WELT ONLINE 2007), um z.B. eingearbeitete Edelmetalle wie Gold
„herauszuschmelzen“ (CHIP ONLINE 2008). Somit geht der umweltfreundliche Aspekt des
Recyclings verloren, da die giftigen Bestandteile zu schweren Umwelt- und
Gesundheitsschäden führen (BROT FÜR DIE WELT 2006: 7; WIEPKING 2008). Neben
dem Elektroschrott werden unter anderem auch ausgediente Schiffe als Gebrauchtwaren
ausgewiesen und in Entwicklungs- und Schwellenländern exportiert, um dort gleichermaßen
unsachgemäß recycled zu werden (LEIDEL 2006).
20
2.6 Mögliche Darstellung: Fließschema
Zum besseren Verständnis darüber wie komplex die einzelnen Syndrome entstehen und
wirken, wurde vom WBGU (1994) der Versuch unternommen, die vielschichtigen
Zusammenhänge in einem Fließschema darzustellen. Dabei wird in zehn Sphären
unterschieden. Hierzu gilt zu sagen, dass es sich bei einer solchen Art der Darstellung immer
auch um eine Abstraktion handeln muss, da es nahezu unmöglich ist, die Vielzahl der zu
berücksichtigenden Faktoren (übersichtlich) darzustellen, ohne das dabei der eigentliche Sinn
der visuellen Verdeutlichung, multikausale Zusammenhänge auf einen Blick zu erfassen,
verloren geht. Abb.9 zeigt das Ursache-Wirkungs-Gefüge in Form eines Fließschemas für das
Müllkippen-Syndrom auf. Die gestrichelten Linien haben die gleiche Bedeutung wie die
durchgezogenen, dienen lediglich der besseren Übersichtlichkeit.
Abb.9: Fließschema Müllkippen-Syndrom (eigener Entwurf in Anlehnung an WBGU 1994: 172)
21
3 Fallbeispiele
Hieran soll das Syndrom auf verschiedenen Maßstabseben aufgezeigt werden. So bezieht sich
der erste Teil auf den gesamten Großraum Sao Paul (Makroskala), während sich der zweite
Teil mit einer Deponie in der indonesischen Stadt Surabaya (Mikroskala) beschäftigt.
3.1 Sao Paulo
Die Stadt Sao Paulo als führende Wirtschaftsmetropole Brasiliens und darüber hinaus größter
industrieller Ballungsraum und bevölkerungsreichste Agglomeration Latein Amerikas
(BSUGV 2007), stellt eine Art Paradebeispiel für die Entstehung des Müllkippen-Syndrom
dar.
Historische Entwicklung
Die Stadt Sao Paulo ist 1554 als kleine Siedlung um ein Jesuiten-Kloster entstanden, blieb bis
in die 1870er Jahre mit wenigen Tausend Einwohnern jedoch relativ unbedeutend
(KOHLHEPP 1997: 137-138). Durch den zu dieser Zeit einsetzenden Kaffeboom kam es
jedoch zu einer außerordentlichen Kapitalakkumulation, welche die anschließende
Industrialisierung ermöglichte. Das rasante Wirtschaftswachstum wirkte sich als
Anziehungspunkt für Wanderungen aus, so dass die Bevölkerungszahl Sao Paulos innerhalb
kürzester Zeit enorm anstieg. Waren es 1890 bereits 65.000 Einwohner, erhöhte sich diese
Zahl bis zur Jahrhundertwende auf 250.000. Mit der zunehmenden Industrialisierung und
Etablierung der Konsumgüterindustrie im 20.Jh. verstärkte sich der Bevölkerungszuwachs.
Bereits 1934 überschritt die Stadtbevölkerung die Millionengrenze und verdoppelte sich
erneut bis 1950 (KOHLHEPP 1997: 138). Heute leben etwa 19 Millionen Menschen in der
brasilianischen Metropole São Paulo (MENZEL 2007). Mit diesem außergewöhnlich starken
Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum stiegen auch die Anforderungen an die städtische
Müllentsorgung.
Ursachen
Ein für Entwicklungs- und Schwellenländer typisches Phänomen ist die Abfallentsorgung auf
die kostengünstigste Art und Weise, die unkontrollierte, unsachgerechte Deponierung, in
Ermangelung an Alternativen aus ökonomisch-politischen und finanziellen Gründen, sowie
Wissensdefiziten. So fehlen auch in Brasilien offiziell überwachte, ökologischen Kriterien
entsprechende Deponien. Vor allem in kleinen und mittleren brasilianischen Gemeinden sind
22
oftmals überhaupt keine Möglichkeiten zur Müllentsorgung vorhanden (OULD CHIH&ROSE
2001: 76). Alternativen zur Mülldeponierung sind ebenfalls wenig ausgereift, wie Abb.11 zu
entnehmen ist.
Im Rahmen der brasilianischen Liberalisierungspolitik und der Marktöffnung zu Beginn der
1990er Jahre kam es nun erneut zu einem enormen Wirtschaftswachstum. Sozio-politische
Maßnahmen führten dazu, dass auch einkommensschwächeren Bevölkerungsschichten am
Aufschwung teilnahmen (OULD CHIH&ROSE 2001: 19, 43). Durch die damit in breiten
Schichten angestiegene Kaufkraft bedingt, erhöhte sich aber auch das Haushalts- und
Industriemüllaufkommen deutlich. Abb.10 zeigt die Zunahme des Aufkommens an
Haushaltsabfällen in den Städten Sao Paulo, Brasilia und Porto Alegre zwischen 1992-1996.
Gut erkenntlich ist die Sonderstellung die Sao Paulo hinsichtlich der Menge des zu
entsorgenden Abfalls einnimmt. So weist Sao Paulo im Jahre 1996 ein 7-fach höheres
Müllaufkommen als die Hauptstadt Brasilia auf.
Abb.10: „Aufkommen an Haushaltsabfällen in Sao Paulo, Brasilia und Porto Alegre (in t/Jahr) (COMPROMISSO EMPRESARIAL PARA RECICLAGEM in OULD CHIH&ROSE 2001: 43)
In Folge der obig genannten Entwicklungen, sah sich Sao Paulo zur Jahrtausendwende täglich
mit der Entsorgung von 15.000-18.000t Müll konfrontiert (JACOBI 2001: 22; OULD
CHIH&ROSE 2001: 76). Diese ungeheure Menge geht auf die tägliche Produktion von 1,1 kg
Abfälle pro Einwohner zurück, was in etwa dem Doppelten des nationalen Durchschnitts
entspricht (OULD CHIH&ROSE 2001: 44). Davon werden mehr als 90% deponiert, weil
Wiederverwertung und Kompostierung nur in Ansätzen vorhanden sind (vgl. Abb.11;
JACOBI 2001: 22; KOHLHEPP 1997: 142).
23
Abb.11: Absolute und relative Aufschlüsselung der Behandlung von Hausabfällen im Großraum Sao Paulo nach qualitativen Kriterien (in t/Tag) (OULD CHIH&ROSE 2001: 76)
Noch Mitte der 1990er Jahre wurden schätzungsweise 78% von diesen enormen Mengen an
Hausabfällen nicht angemessen entsorgt und in offenen Deponien gelagert, die sich häufig in
der Nähe von Trinkwasserquellen befinden (WBGU 1994: 174). Zusätzlich zum Hausmüll
produziert der Großraum São Paulo Schätzungen zu Folge etwa 1,5 Mio. Tonnen gefährliche
Abfallstoffe pro Jahr (CETESB in OULD CHIH&ROSE 2001: 46). Demgegenüber steht die
landesweite Produktion von jährlich 2,7 Mio. Tonnen, so dass allein auf Sao Paulo mehr als
55% des in Brasilien zu entsorgenden Sondermülls entfallen (ebd.).
Die jahrelange Deponierung von bis zu über 90% des Müllaufkommens führte dazu, dass die
meisten Deponien im Großraum Sao Paulo bereits an ihre Kapazitätsgrenzen gestoßen sind
und dass es kaum noch Gebiete zur Neuerschließung für Abfalldeponien gibt, die aus
physisch-ökologischer und gesellschaftlicher Perspektive geeignet sind (JACOBI 2001: 22).
Vor allem hinsichtlich der Deponierung industriellen Sondermülls besteht ein gravierender
Mangel an adäquaten Deponien (JACOBI 2001: 22; OULD CHIH&ROSE 2001: 53). Dieser
ist laut OULD CHIH&ROSE (2001: 53) hauptsächlich auf die unzureichenden Kontrollen bei
der Mülldeponierung und auf fehlende gesetzliche Regelungen zurückzuführen. So sind
beispielsweise Produzenten von Sondermüll vor dem Gesetz dazu verpflichtet, ihre Abfälle
angemessen zu entsorgen, doch schreiben „weder Landes- noch Bundesumweltverordnungen
eine Frist für die endgültige Entsorgung von Sondermüll“ vor (ebd. 2001: 19, 60).
Folgen
Die Deponierung des außerordentlich hohen Müllaufkommens bedingt, in Abhängigkeit von
der Abfallart und- menge, die Bildung toxischen Sickerwassers, welches abgepumpt und
24
aufbereitet werden müsste, um Umweltschäden vorzubeugen (MENZEL 2007). Deshalb
gehen heute vor allem von „ungesicherten und nachlässig verwalteten Deponien“, sowie von
unkontrollierten wilden Müllkippen an Straßenrändern und in Flussbetten, die keine
Maßnahmen zum Grundwasserschutz aufweisen, große Umweltprobleme aus (OULD
CHIH&ROSE 2001: 44; WÖHLCKE 1994 in WBGU 1997: 200). Dabei ist die Anhäufung
wilder Müllkippen und deren starker Anstieg im Agglomerationsraum von Sao Paulo
zwischen 1996-2001 von ca. 350 (JACOBI/ TEIXEIRA 1996 in KOHLHEPP 1997: 142) auf
487 (OULD CHIH&ROSE 2001: 44) zu einem erheblichen Teil auf den Mangel an
ausreichender, offizieller Deponiefläche und den geringen Entsorgungsgrad durch die
überforderte städtische Müllabfuhr zurückzuführen (JACOBI 2001: 22; KOHLHEPP 1997:
142; WEHRHAHN 1994: 365-366). Bis zum Jahr 2001 waren lediglich 2/3 der
Gesamtbevölkerung Sao Paulos, im ländlichen Raum weniger als 1/3, an das öffentliche
Müllabfuhrnetz angeschlossen (OULD CHIH&ROSE 2001: 44). OULD CHIH&ROSE
(2001: 53) zu Folge besteht in Sao Paulo ein Bedarf an 2-3 Millionen Mülltonnen, denn
häufig wurden Mülltonnen aufgrund von begrenzten Finanzmitteln vorerst nur für bestimmte
Stadtgebiete eingeführt.
Die angesprochenen Gesetzeslücken bzgl. der Entsorgung von Sondermüll führen dazu, dass
viele Unternehmen den von ihnen produzierten Abfall auf potenziell gefährliche Weise auf
dem Firmengelände lagern, „ohne sich Gedanken über die weitere Behandlung oder
Entsorgung zu machen“ (ebd. 2001: 19, 53, 60). Aufgrund mangelnder Kontrollen wird
zusätzlich ein großer Teil auf den „zahlreichen wilden Müllkippen“ im Stadtgebiet verbracht
(ebd. 2001: 53). Zudem werden Transportunternehmen mit der Abholung von Sondermüll
beauftragt, die vorgeben, diesen sachgemäß zu entsorgen, in Wirklichkeit aber ebenfalls auf
wilde, nicht behördlich überwachte Deponien kippen (JACOBI 2001: 22; OULD
CHIH&ROSE 2001: 62). Neben industriellem Sondermüll wird auch der Krankenhausmüll
zum überwiegenden Teil auf wilde Müllkippen gefahren (OULD CHIH&ROSE 2001: 61).
Abb.12 zeigt eine Aufschlüsselung bezüglich der Behandlungen von festen Abfällen für
Gesamtbrasilien. Es ist erkenntlich, dass die Deponierung von Abfällen auf wilden
Müllkippen mit 74%, gegenüber 24% auf offiziellen und kontrollierten Deponien, bei weitem
überwiegt.
25
Abb.12: Absolute und relative Aufschlüsselung brasilianischer Mülldeponien nach qualitativen Kriterien (OULD CHIH&ROSE 2001: 44)
Selbst von den offiziellen Deponien Sao Paulos entsprechen jedoch lediglich „ein knappes
Dutzend dem Prädikat umweltfreundlich (d.h. vollstens den gesetzlichen Normen
entsprechend)“ (OULD CHIH&ROSE 2001: 44).
56% aller Abfalldeponien in der Metropolregion Sao Paulo befinden sich in
Wasserschutzgebieten, neun Deponien sind in Naturschutzgebieten anzutreffen und
„Tausende“ sind über das gesamte Stadtgebiet verstreut. Viele der bereits geschlossenen
Deponien werden gelegentlich reaktiviert, um auf ihnen erneut Industrieabfälle zu verbringen
(JACOBI 2001: 22). Diese Mülldeponien verfügen über keine angemessenen Vorrichtungen
zum Auffangen des Sickerwassers, welches somit ungehindert in den Untergrund bis in
grundwassertragende Schichten infiltrieren kann (ebd.).
Auswirkungen auf Umwelt und Gesundheit
Im Rahmen der unzureichenden Sicherung der legalen und illegalen Mülldeponien gegenüber
der Umwelt, vor allem im Bereich der Deponierung von industriellem Sondermüll und durch
direkte Entsorgung des Abfalls in nahe gelegene Fließgewässer, kommt es zur Belastung und
Schädigung von Böden, Wasser und Luft (JACOBI 2001: 21; KOHLHEPP 1997: 142;
WEHRHAHN 1994: 365-366). Die verheerendsten Umweltprobleme, die für den Großraum
Sao Paulo aus der unsachgerechten Mülldeponierung resultieren, sind die
Wasserverschmutzung und Bodendegradation (JACOBI 2001: 22).
Im Falle der selten erfolgenden Aufbereitung des Sickerwassers kommt es zu einer
Sekundärverschmutzung der ohnehin stark mit Abgasen belasteten Luft, da die Mülldeponien
26
über keine eigenen Aufbereitungsanlagen verfügen und das abgepumpte Sickerwasser deshalb
mit Tankwagen durch die Stadt transportiert werden muss (MENZEL 2007).
Aufgrund der fehlenden oder mangelhaften Müllentsorgung und schlechter
Hygienebedingungen sind die Säuglingssterblichkeit und die Gefahr von
Infektionskrankheiten, vor allem in den favelas oder cortios, besonders hoch (KOHLHEPP
1997: 141). 1994 lebten etwa 19% der Einwohner Sao Paulos in solchen Armensiedlungen
(JACOBI/ TEIXEIRA 1996 in KOHLHEPP 1997: 141), welche nicht selten auf freien
Flächen um Müllkippen herum entstanden (ebd.).
Perspektive
„Durch das steigende Volkseinkommen und die kontinuierliche Anhebung der Reallöhne, die
den Konsum breiter Schichten erhöhen, wird sich die Tendenz des wachsenden
Müllaufkommens weiter fortsetzen“ (OULD CHIH&ROSE 2001: 19). Gesetzesinitiativen zur
umweltfreundlicheren Gestaltung der Mülldeponierung scheitern häufig an „politischen
Hürden oder benötigen Jahre um alle Instanzen zu passieren“ (ebd.). Für flächendeckende
Müllkollekte fehlen nach wie vor die Gelder (ebd.). Der Mangel an für die Errichtung
kontrollierter Großdeponien geeigneter Flächen erschwert die Planung nachhaltiger Deponien
(BSUGV 2007, JACOBI 2001: 22).
Im Rahmen der mangelnden finanziellen Mittel und der allgemeinen Ineffizienz öffentlicher
Dienstleister wurden von der Regierung Privatisierungsprozesse eingeleitet (OULD
CHIH&ROSE 2001: 19; 51). So vergeben immer mehr Stadtverwaltungen „Konzessionen im
Bereich der Müllabfuhr und -entsorgung an Privatunternehmen“ (ebd. 2001: 62). Die
Umweltkontrollbehörde des Bundesstaates Sao Paulo CETESB begegnet der zunehmenden
Umweltverschmutzung durch Abfalldeponien seit Ende der 1990er Jahre mit verstärkten
Kontrollen (ebd. 2001: 51). Einige wenige Bezirke haben ein Recyclingsystem eingeführt
(JACOBI 2001: 22). Eine neue gesellschaftliche und politische Denkströmung fordert die
Ausweitung der Abfallwiederaufbereitung durch Recyclingverfahren, die Kompostierung
organischer Stoffe und strikte Deponiekontrollen (ebd.).
Sao Paulo hat seine Müllentsorgung in den 1990er Jahren stetig verbessert (WEHRHAHN
1994: 366) und gilt heute als innovatives Zentrum im Bereich der Forschung für nachhaltige
Abfallentsorgung. So wurde in Sao Paulo beispielsweise eine Plasma-Technologie zur
effizienteren Wiederverwertung von Aluminiumdosen und „Tetra Paks“ entwickelt, die von
27
dort „in die ganze Welt“ exportiert wird (NATIONAL GEOGRAPHIC 2007 in CSM 2008;
PACKAGING-GATEWAY 2008).
Dennoch besteht großer Handlungsbedarf, um die täglich anfallenden 15.000-18.000t Müll
(JACOBI 2001: 22; OULD CHIH&ROSE 2001: 76) nachhaltig entsorgen zu können, weil
eine fortschreitende Deponierung zwangsläufig mit der weiteren Expansion der
Deponieflächen in Trinkwasserschutzgebiete einhergehen würde (BSUGV 2007). Aus diesem
Grund hat sich Sao Paulo die Unterstützung ausländischer Experten gesichert. So arbeiten
bayerische Abfallexperten seit 2004 eng mit der Region Sao Paulo zusammen. „Mit Hilfe
bayerischen Know-Hows suchen die Verantwortlichen neue Wege, das Abfallaufkommen zu
minimieren und die Restmengen thermisch zu verwerten. So wird Abfall zur wichtigen
Ressource und hilft die Energieversorgung Brasiliens zu sichern“ (zit. BERNHARD in
BSUGV 2007).
Abzuwarten bleibt, ob Sao Paulo es schaffen wird, den dringenden Bedarf an
„Kontrollanlagen, Laborausstattungen, Anlagen zur Behandlung und Lagerung von
Sondermüll, Technologien zur Isolierung von Rückständen in Kapseln, Technologien für
Sondermüllrecycling, Recycling-Technologien für Hausmüllabfälle, Recycling-Technologien
für Industrieabfälle, Verbrennungsanlagen, Einführung von Clean Technologies,
Reststoffverminderung, Komplettlösungen für Abfallmanagement großer Firmen,
Verschmutzungsverminderung, Entwurf und Bau von Deponien, Entsorgung von Sondermüll,
Management von Sondermülldeponien, Kontrolle von Sickerwasser, Kontrolle von Deponien,
Labortechnische Analysen“ in naher Zukunft decken zu können, um somit endgültig den Weg
zu einer nachhaltigen Abfallentsorgung zu finden (OULD CHIH&ROSE 2001: 52-53).
Auch wenn nicht alle im Fließschema aufgezeigten Ursachen und Wirkungen des
Müllkippen-Syndroms (vgl. Abb.9) für das Fallbeispiel Sao Paulo im Text, aufgrund eines
Mangels an verfügbaren Studien, belegt werden konnten, ist davon auszugehen, dass diese
dennoch auftreten (z.B. Artensterben in Folge der Wasser- und Meeresverschmutzung,
wachsende Unzufriedenheit mit dem Landschaftsbild aufgrund des zunehmenden
Flächenverbrauchs, u.a.) bzw. unter bestimmten Bedingungen zukünftig auftreten werden
(z.B. internationale Abkommen im Falle grenzüberschreitender Umweltschädigung durch
unsachgerechte Müllentsorgung).
28
3.2 Keputih-Deponie, Surabaya
Die Keputih-Deponie, welche an dieser Stelle als konkretes Beispiel für on-side-Ursachen
und Auswirkungen des Syndroms dient, befindet sich in der indonesischen Stadt Surabaya
und wird seit 1982 betrieben (UNESCAP 2003: 52).
Die Deponie liegt in sumpfigem Überschwemmungsgebiet, 50cm über dem Meeresspiegel,
„in unmittelbarer Nähe zu Fischteichen und Wohnsiedlungen“ und ist nur 1km vom Strand
Surabayas entfernt (RACHMANSYAH 2001: 18; UNESCAP 2003: 52). Durch diese Lage
und das Fehlen eines Hochwasserschutzdamms bedingt, wird die Deponie in der Regenzeit
und bei Tidehochwasser häufig überschwemmt (RACHMANSYAH 2001: 18.). Die Deponie
verfügt über keine Basisabdichtung oder andere baulich-technische Schutzmaßnahmen. Eine
Kläranlage für das Sickerwasser ist ebenfalls nicht vorhanden. Das Drainagesystem leitet „das
Deponiesickerwasser ungefiltert in einen nah gelegenen Fluss“ (ebd.).
Aus Untersuchungen der JAPAN INTERNATIONAL COOPERATION AGENCY (JICA
1993 in RACHMANSYAH 2001: 20) geht hervor, dass in der Umgebung der Deponie eine
außerordentliche Gewässerverschmutzung durch organische Schadstoffe besteht, die die
Grenze des Wasserqualitätsstandards in Ostjava bei weitem übersteigt. Da es außerdem keine
Oberflächenabdichtung gibt, verbreiten sich Abfälle und übler Geruch mit dem Wind über das
Deponiegelände hinweg (RACHMANSYAH 2001: 22; UNESCAP 2003: 52; 53-54). „Der
Gestank kann in einer Entfernung von ca. 1 bis 2 km festgestellt werden. Die Substanzen, wie
z.B. Ammoniak (NH3), Schwefelwasserstoff (H2S) und Verbrennungsgase werden in der
Umgebungsluft nachgewiesen“ (JICA 1993 in RACHMANSYAH 2001: 20). Die giftigen,
umweltschädlichen Verbrennungsgase entstehen, wenn die Deponie während der Trockenzeit
regelmäßig Feuer fängt (UNESCAP 2003: 53-54). Gleichfalls durch das Fehlen einer
Oberflächenabdichtung bedingt, kommt es während der Regenzeit zur vermehrten
Sickerwasserbildung (RACHMANSYAH 2001: 20).
In direkter Folge sind Gewässer, Boden und Luft in der Nähe der Deponie als kontaminiert zu
bezeichnen. Die Deponie ist zu einer „Quelle der Verunreinigung geworden“ (ebd. 2001: 22).
Zur Lösung der ökologischen und sozialen Probleme sollte die Deponie saniert werden (ebd.
2001: 16).
Im Oktober 2001 kam es zur Bildung einer Bürgerbewegung durch belästigte Anwohner, die
die Einfahrt zur Mülldeponie blockierten (UNESCAP 2003: 53-54). Um den daraus für die
lokale Abfallwirtschaft resultierten Problemen zu begegnen und zur generellen Entlastung der
29
Keputih-Deponie, wurde die gerade in der Sanierung begriffene Benowo-Deponie zwei
Wochen später frühzeitig eröffnet (UNESCAP 2003: 53-54). Die Benowo-Deponie verfügt
nach der Sanierung über eine Drainage zum Abpumpen des Deponiesickerwassers, eine
angeschlossene Kläranlage, Basisabdichtungssystem und einen Schutzdamm gegen
Tidehochwasser (RACHMANSYAH 2001: 19; UNESCAP 2003: 53-54), so dass bei
ausreichender Kontrolle und technischer Wartung schädlichen Umweltauswirkungen durch
toxisches Sickerwasser weitgehend vorgebeugt wird. Problematisch bleiben die
Auswirkungen der fehlenden Oberflächenabdichtung.
4 Kurzfristige Maßnahmen zur Symptombekämpfung
Im Falle der akuten, lokalen Gefährdung durch die Symptome des Müllkippen-Syndroms sind
unmittelbar Schutzmaßnahmen und Nutzungsbeschränkungen zu erlassen. Gleichzeitig sollten
„Sicherungsmaßnahmen, wie z.B. Einkapselung, Grundwasserabsenkung, Gaserfassung und
Immobilisierung“ ergriffen werden, um die „Kontaminationspfade“ zu unterbrechen (WBGU
1994: 97, 173). Anschließend können die Schadstoffe im kontaminierten „Erdreich“ und
Grundwasser durch Dekontaminationsmaßnahmen, wie z.B. „aktive hydraulische und
pneumatische Verfahren, chemisch-physikalische Behandlung oder biologische Methoden
eliminiert werden“ (WBGU 1994: 97, 173). Die Möglichkeit der „Ausräumung und
Umlagerung der kontaminierten Böden“ sollte laut WBGU (1994: 97, 173) nur dann erfolgen,
wenn dem Ausmaß der Umweltschädigung mit anderen Maßnahmen nicht beizukommen ist.
5 Strategien zur Syndromverhütung
Die nachhaltige Lösung der Probleme die im Rahmen des Müllkippen-Syndrom anzutreffen
sind, bedarf zunächst der genauen Kenntnis über die Ursachen, die zu deren Entstehung
führen, denn nur über die Symptombekämpfung ist der zunehmenden, globalen Vermüllung
und deren Auswirkungen nicht beizukommen. Die Maßnahmen und Lösungsansätze die im
Folgenden ihren Niederschlag finden, dürfen hieran nicht als isolierte Gebilde verstanden
werden. Vielmehr kann dem Syndrom in seiner Komplexität nur dann effektiv vorgebeugt
werden, wenn die einzelnen Maßnahmen, aus den Kategorien Verringerung, Vermeidung,
Förderung und Ausweisung, sinnvoll miteinander kombiniert und parallel umgesetzt werden.
30
Verringerung
Eine der wichtigsten Entstehungsursachen ist das beständig steigende Müllvolumen, welches
die Entsorgungsinfrastruktur in bestimmten Räumen überlastet und vor scheinbar unlösbare
Probleme stellt. Deshalb ist es zunächst wichtig, das Müllaufkommen zu reduzieren. Die unter
der Kategorie Verringerung subsumierten Kompartimente umfassen finanzielle Anreize, über
staatlich vorgegebene Ressourcen- oder Energiesteuern und Abfallabgaben, zur
kostenintensiveren Gestaltung des Einsatzes von Ressourcen und resultierendem
Abfallaufkommen, so dass zum Einen die Wirtschaft zur kontinuierlichen Steigerung der
Effizienz gezwungen wird (WBGU 1993: 160; WBGU 2001: 48 ) und zum Anderen
„Möglichkeiten zur individuellen Einsparung“ von Müllgebühren über den Konsum
verpackungsarmer Produkte einen Bedeutungsgewinn erfahren (WBGU 1993: 189). Zur
weiteren Verringerung des Müllvolumens und somit zur Entlastung der Deponien sollte in
Forschung und Entwicklung investiert werden, um umweltfreundliche, leicht abbaubare
Materialien zu entwickeln und diese kostengünstig zu gestalten. Verpackungen und
Einkaufstüten können bereits heute schon aus ökologisch abbaubaren Materialien hergestellt
werden, sind aufgrund mangelnder Vermarktung und politischer Forcierung jedoch noch
wenig verbreitet. „Schon beim Design von Produkten sollte nicht nur deren Herstellung und
Nutzung, sondern auch die Entsorgung mit berücksichtigt“ werden (BAFU 2008, 1).
Schließlich bedarf es der Veränderung von Konsumgewohnheiten und Alltagshandeln breiter
Schichten der Bevölkerung, um den weltweit wachsenden Müllbergen entgegenwirken zu
können (WBGU 1993: 189).
Vermeidung
Ein weiteres Problem welches in vielen Regionen der Welt einer umgehenden Lösung bedarf,
ist die Entstehung wilder und somit unkontrollierter Müllablagerungen, welche selbst in
Regionen mit guten Möglichkeiten zur Müllentsorgung ein weit verbreitetes Phänomen
(„Littering“) darstellt (BAFU 2008, 1). Hieran sollte zunächst das Bewusstsein für die daraus
resultierenden, umweltschädlichen Prozesse gefördert werden. So können Kampagnen und
Beratung das „Bodenbewusstsein“ und Verständnis der Wasserproblematik in der
Gesellschaft stärken und Individuen somit zu nachhaltigem Handeln motivieren (BAFU 2008,
1; WBGU 2001: 45, 48). Dennoch sollte nicht auf unterstützende finanzielle Anreize
verzichtet werden. Dabei besteht zum Einen die Möglichkeit, das Pfandsystem auf alle Sorten
31
von Abfall auszudehnen (BAFU 2008, 1). Zum Anderen müssen Geldstrafen für die wilde
Entsorgung eingeführt oder erhöht und umgesetzt werden (ebd.).
Förderung
Die finanziell schlechter gestellten Staaten sehen sich häufig vor dem Problem der
Finanzierung einer funktionierenden Abfallwirtschaft. Im Rahmen der globalen
Auswirkungen des Syndroms und der Mitverantwortlichkeit der Industrieländer, sollten
notwendige Schutzmaßnahmen für eine umweltfreundliche Deponierung, sowie nachhaltige
Alternativen durch internationale Projekte bzw. projektgebundene Unterstützung, wie z.B.
durch das Security through Science Programme der NATO (2005: 4), gefördert und
ausgeweitet werden. Weltweit sollte der umweltfreundlichen Rohstoffrückgewinnung aus
Abfällen (Recycling) ein größeres Gewicht beigemessen werden. Wissenstransfers bezüglich
der Möglichkeiten zur Nutzbarmachung des potenziell relativ hohen Energiegehalts der im
Deponiegas enthalten ist, könnten vor allem in rohstoffarmen Ländern über finanzielle und
versorgungsstrategische Anreize das Auffangen und Verwerten des gesundheits- und
umweltschädlichen Gases bewirken (KRÜMPELBECK 1999: 28). Generell sollten
Erfahrungen mit Sanierungsverfahren von Müllkippen durch partnerschaftliche
Technologietransfers an Länder wie z.B. Brasilien, „die sich jetzt oder in Zukunft mit dem
Problem kontaminierter Böden auseinandersetzen müssen“, weitergegeben werden (WBGU
1994: 97, 173). Ferner sollte z.B. durch die Steigerung der Bodenpreise für Deponieflächen
eine Zentralisierung gefördert werden, um dem zunehmenden Flächenverbrauch
entgegenzuwirken und um baulich-technische Maßnahmen effizient gestalten zu können
(WBGU 2001: 45).
Ausweisung
Nicht jeder Standort ist in gleichem Maße für die Abfalldeponierung geeignet (vgl. 3.2), so
dass bei der Standortsuche Ausschlusskriterien berücksichtigt werden müssen. Als unbedingte
Tabuzonen sollten Gebiete mit besonders klüftigem Gestein wie Karstgebiete, sowie
fachbehördlich geplante Trinkwasserschutzgebiete, Heilquellenschutzgebiete,
Wasservorranggebiete und Überschwemmungsgebiete ausgewiesen werden
(RACHMANSYAH 2001: 24). Bezüglich der unterschiedlichen qualitativen Merkmale des zu
deponierender Abfalls sind weitere Kriterien zu berücksichtigen, welche eine eingeschränkte
Nutzung erforderlich machen könnten. Dazu zählen nach RACHMANSYAH (2001: 24)
32
„geologische, hydrogeologische, bodenkundliche Verhältnisse, erdbebengefährdete Gebiete,
tektonisch aktive Störungszonen, Rutschungsgefährdung, Bergsenkung, Tagesbrüche,
Setzungsverhalten und bodenmechanische Tragfähigkeit des Untergrundes“. Bei der
Ausweisung geeigneter Flächen ist es die Aufgabe staatlicher Ordnungspolitik, potenzielle
Umweltfolgen zu berücksichtigen und resümierend Rahmenbedingungen, wie z.B.
Umweltstandards zum Boden- und Gewässerschutz, zu definieren (WBGU 1994: 97, 173).
6 Fazit
Die Deponierung von Abfällen kann aufgrund der bestehenden Wissensdefizite im
eigentlichen Sinne nicht als nachhaltig bezeichnet werden, da es durch beschädigte
Schutzmechanismen unvorhersehbar zur Entweichung von Schadstoffen kommen kann. Wenn
in dieser Ausarbeitung diesbezüglich der Begriff nachhaltig genutzt wird, soll damit zum
Ausdruck gebracht werden, dass von einer Müllkippe zu einem bestimmten Zeitpunkt keine
Beeinträchtigungen für Umwelt, Gesundheit und Lebensqualität ausgehen.
Aufgrund der über lange Zeiträume gebundenen finanziellen und personellen Mittel und dem
erheblichen Kostenaufwand notwendiger Sicherungs- und Sanierungsmaßnahmen (WBGU
1996, 2: 130) werden saubere Mülldeponien wohl auch in Zukunft ein Privileg der finanziell
bessergestellten Staaten sein, so dass hieran vor allem die ärmeren Länder der Welt als
besonders vom Syndrom betroffen einzustufen sind (WBGU 1997: 95; NCCR 1). Weltweit
haben nach wie vor etwa 2,3 Mrd. Menschen, was mehr als 1/3 der Weltbevölkerung
entspricht, keine geordnete Abfallentsorgung (BAYERISCHE STAATSREGIERUNG 2007:
91).
Dennoch treten Umweltprobleme, welche im Zusammenhang mit der unsachgerechten
Lagerung von Abfällen auf wilden Müllkippen zusammenhängen, auch in Ländern mit einer
gut organisierten Abfallwirtschaft immer wieder auf. So wurden z.B. in Deutschland
30.000m³ Abfälle illegal auf der stillgelegten Deponie in Altbensdorf entsorgt (vgl.
MÄRKISCHE ALLGEMEINE 2008).
Im Allgemeinen ist die Überführung der Abfallströme in eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft
der Deponierung wenn möglich vorzuziehen (BAYERISCHE STAATSREGIERUNG 2007:
91), so dass die Deponierung von Abfällen zukünftig zu Gunsten von Alternativen in der
33
Abfallwirtschaft immer weiter an Bedeutung verlieren wird. So kommt es beispielsweise in
Deutschland aufgrund eines hohen Wiederverwertungsgrades nur noch zur Deponierung eines
relativ geringen, beständig abnehmenden Anteils von Abfällen (BECKER&KNICHEL 2007:
1). Abb.13 stellt die abnehmende Bedeutung der Mülldeponierung und das Aufstreben von
energetischer Nutzung und Wiederverwertung für Deutschland dar.
Abb.13: „relative Bedeutung von Abfallentsorgungsanlagen“ in Deutschland (BECKER&KNICHEL 2007: 1)
34
Literaturverzeichnis
v BAFU – Bundesamt für Umwelt (02/2008) 1: Zustandsbericht Abfallentsorgung. -
http://www.bafu.admin.ch/umwelt/status/03964/index.html?lang=de. 16.10.2008.
v BAFU – Bundesamt für Umwelt (09/2008) 2: Siedlungsabfälle. -
http://www.bafu.admin.ch/umwelt/daten/04503/index.html?lang=de. 16.10.2008.
v BAYERISCHE STAATSREGIERUNG (2007): Weltweite Megatrends und ihre Relevanz
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