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Methodenvielfalt in der Ritualforschung
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Transcript of Methodenvielfalt in der Ritualforschung
Dr. Benjamin JörissenOtto-von-Guericke-Universität Magdeburg
Einleitende Bemerkungen Das Ritual als Gegenstand empirischer Bildungs- und Sozialforschung Forschungstraditionen und -linien D er „perform ative turn“ als Forschungsperspektive
Methodologische und methodische Aspekte Qualitative Bildungs- und Sozialforschung als multiperspektivisches
Unternehmen D as Ritualforschungsprojekt des SFB „Kulturen des Perform ativen“ Feldzugänge Erhebungsmethoden Transkription und Analysemethoden
Aktualität der Ritualforschungz.B. Soeffner 1992, Belliger/Krieger 1998,
Schäfer/Wimmer 1998, Wulf/Zirfas 2003Sonderforschungsbereiche SFB 485 „N orm und Ritual“ (Konstanz); SFB 619 „Ritualdynam ik“ (H eidelberg)
Modernisierungsfolgen – status quo: Desintegration, Werteverfall, Entsolidarisierung
Legitim ation/Chancen des Ritualbegriffs: …
„D er Rekurs auf den Ritualbegriff findet seine Legitim ation … darin, die Alternative zw ischen einer forcierten Autonomisierung der Subjekte und der Restitution einer rituell abgesicherten normativen Kommunität zu verlassen, um das Verhältnis des modernen Subjekts zu seinem Anderen als ein stets problematisch bleibendes hervortreten zu sehen“.
Wie werden – geschlechtliche, kulturelle, soziale, generationale etc. – Differenzen in (post-) modernen Gesellschaften ausgehandelt?
Wie stellen sich angesichts sozialer Desintegration (Honneth 1998) Gemeinschaften „differenzübergreifend“ her?
Wie gestalten sich Selbstverhältnisse und Identitätsbildungsprozesse in postmodernen Gesellschaften?
etc. … (W eltverhältnisse, Transzendenz, M acht, M edien, … )
Genealogische Perspektive: Begründungsverhältnis von Religion und Mythos (z.B. Mircea Eliade, Sigmund Freud, René Girard)
Strukturelle und funktionale Perspektive (z.B. Émile Durkheim, Marcel Mauss, van Gennep)
Hermeneutische Perspektive: Ritual als Text und Symbolsystem (Claude Lévy-Strauss, Clifford Geertz)
Praktische und performative Perspektive: Handlung, Aufführung, Inszenierung (Erving Goffman, Pierre Bourdieu, Catherine Bell)
Das Konzept des PerformativenInszenierungsbegriff aus der Theaterwissenschaftperformance (Kunst)„perform ative Akte“ i.S. der Sprechakttheorie John
Austins (Handlungsaspekt, Instaurationsaspekt)
Strukturmerkmale des PerformativenInszenierungs- und Aufführungscharakter (Aufführung
z:B. sozialer symbolischer Ordnungen)Sozialität (Inszenierung für … )Erzeugungscharakter (Erzeugung neuer sozialer
Wirklichkeiten, z.B. durch Initiation; Erzeugung bzw. Transformation von Raum- und Zeitstrukturen, etc.)
Körperlichkeit, Mimesis (Inkorporation, ExpressivitätEreignischarakter)
rituelle Inszenierungen von Gemeinschaft (Schulgemeinschaft, Familie, Peergroup, Onlinecommunity, … )
rituelle Differenzbearbeitungen (Generation, ethnische Differenzen, doing gender, … )
rituelle Bearbeitungen von Alterität und Identität Machtstrukturen in Ritualen und Ritualisierungen rituelle Gestaltung von pädagogischen Situationen (z.B.
Lehr-Lern-Arrangements) und ihre symbolischen bzw. normativen Implikationen
Symbolische und transzendente Vollzüge im Ritualen und alltäglichen Ritualisierungen
rituelle/ritualisierte soziale Situationen (Begrüßungen, alltägliche Ritualisierungen, Spielhandlungen, Online-Interaktionen, Feiern, Partys, etc.)
szenische Arrangements (Räume, Gegenstände, Anordnung von Körpern)
Gesten, Bewegungen, Haltungen der Akteure Ästhetisierungen (Kleidung, Hautschmuck, Ausstattungen,
etc.) kulturelle und mediale Artefakte (Fotografien, Gadgets,
Videos etc.)
de facto herrscht Methodenvielfalt im Rahmen der qualitativen Sozialforschung aufgrund differenter Zugänge und Traditionen (Ethnographie, Cultural Studies, Symbolischer IA, Organisationsanalyse, Bildhermeneutik, Tiefenhermeneutik, objektive Hermeneutik)
charakteristisch ist (in jedem Fall) der Wechsel von der Was- zur Wie-Ebene. Der Form (z.B. von Inszenierungsakten) wird gegenüber
den Inhalten eine dominante Bedeutung zugesprochenEine bloße Inhaltsanalyse würde diese Aspekte verfehlen
Methodenvielfalt erzeugt differente Perspektiven.
Sie konstituiert dam it einen „kom plexen G egenstand“
Sie ermöglicht/proviziert den Vergleich von Forschungsergebnissen und damit eine kritische Reflexion
Zu große paradigmatische Differenzen wirken sich negativ auf Vergleichbarkeit von Forschungsbeiträgen bzw. deren Validität aus
Zudem weicht die Definition des Gegenstands (Ritualbegriff) notwendig auf
Titel „D ie H ervorbringung des Sozialen in Ritualen und Ritualisierungen“
Leitung: Prof. Dr. Christoph Wulf Projektphasen/Schwerpunkte:1999-2001: Gemeinschaftsbildung (Wulf e.a.: Das
Soziale als Ritual. Opladen 2001)2002-2004: Bildung und Ritualtransformation (Wulf
e.a.: Bildung im Ritual. Wiesbaden 2005)2005-2007: Rituelle Lernkulturen
Perspektive des Rituals als Forschungsimpuls Sozialisationsfelder Schule, Familie, Jugend(kultur),
Medien als Ordnungsprinzip (realisiert in vier Unterprojekten)
konkrete Forschungsfelder:eine Grundschule in einem Berliner InnenstadtbezirkMehrere Familien von Schülern der Schuleverschiedene Peergroups (teilweise nicht an die Schule
angebunden, jedoch im gleichen Bezirk)verschiedene medienbezogene Events und Kontexte
Teilnehmende Beobachtung klassisch/GedächtnisprotokollVideogestützte BeobachtungOnline-Beobachtung
Interviews Gruppendiskussionen (Videoaufzeichnungen) „Videoinszenierung“ Tonbandmitschnitte ohne direkte Teilnahme PC-Mitschnitte, Online-Mitschnitte Materialsammlung (Videos, Bilder, etc.) Topographie im urbanen Raum
Ziel: reicher Informationsgehalt der Transkripte Audio- und Videotranskriptionen in Anlehnung
an die TS-Regeln der Dokumentarischen Methode, wo sinnvoll
Anpassung durch Beschreibung von Gesten und Bewegungen
GRUPPENDISKUSSION CLAN „MATRICKS“, PASSAGE GEMEINSCHAFTSSINN
((Ein weiteres Clanmitglied (Em), das an der Gruppendiskussion teilnehmen will, bewegt sich auf den auf einem Sessel sitzenden Dm zu und begutachtet die Armlehne))
Im: Ach=so ( ) nimmst Du den (da)? ((zeigt auf einen freien Stuhl außerhalb der Sitzgruppe))Dm: Er wird eigentlich (gesucht) (2)
((Am, Cm lachen))?: JajaIf: Oder du kannst (1) (ach so)Im: Äh hier nimm den ((Im nimmt den freien Stuhl und ist
dabei, ihn zwischen Gm und If hinzustellen))Em: Ich brauch kein-n Stuhl ( )Cm: Der passt da noch zwischen ((zeigt auf eine freie Stelle auf dem zweisitzigen Sofa Im: Ne?Cm: zwischen Am und Bm)) oder (nimmt) ( ) (1) dem (zappel),
((Em setzt sich auf die Armlehne D m ’s))Dm: (genau) Wir zeigen Jemeinschafts-
sinn (1)((Dm und Em legen sich gegenseitig die Arme um die Schultern))Cm: So sind wir ja (1)Am: ähm (.) muss (ich) uns jetzt outen,
((Am, Cm, Dm, Em, Fm, Gm lachen))Dm: Wir sind (eigentlich jarkeen @Counterstrikeclan@)Am: @(.)@((Am, Bm, Cm, Dm, Em, Fm, Gm lachen kurz))
H err H ildebrand sagt laut „S o“, wendet sich von Claudine ab, dreht sich nach links, schaut in Richtung der Bildschirme von Ali, Hanna und Karla und geht drei S chritte nach links „w enn ihr P odest 01 habt“; er hält kurz inne und sagt in norm aler L autstärke „Umb M om ent, M om ent,“ geht drei w eitere S chritte nach links hinter H anna und A li; K arla sagt derw eilen „ich hab public of podest 01“. Hanna dreht kurz ihren Kopf nach rechts hinten/oben und schaut Herrn H ildebrand an, der sagt „bitte nicht einfach w ild rum klicken. S onst brauchen w ir w ieder so lange w ie letztes M al“. M arion sagt „kann ich schon U nterricht klicken?“ H err H ildebrand geht w ieder drei S chritte nach rechts, sagt „so, publicof podest 01.“ E r bleibt hinter C laudine stehen, tippt ihr m it seiner rechten H and auf die S chulter und sagt „D u m ust erstm al noch auf public w eitergehen“. Claudine greift daraufhin ihre Maus und klickt, auf ihrem Bildschirm öffnen sich neue F enster. N ach drei S ekunden sagt H err H ildebrand „S o! D a.“ Währenddessen sprechen Ali und Hanna wieder miteinander, bis Herr H ildebrand sagt „A li w as is nu?“, w ieder drei S chritte nach links zu H anna und Ali geht, auf Hannas Bildschirm schaut – auf den auch Ali sowie Karla und C laudine schauen und sagt „N ee, public of podest 01 (.) klicklick (.) jawoll, da w artet“. E r hebt bei herunterhängenden Armen leicht die Hände nach außen.
Das Projekt wendet Auswertungsmethoden flexibel an.
differenztheoretisch abgewandeltes Kodierparadigma nach Glaser/Strauss(Materialauswahl, Segmentierung, offenes/axiales/selektives Kodieren, Ermittlung von Kernkategorien bzw. generativen Leitdifferenzen)
Dokumentarische Methode (Auffinden von Fokussierungsmetaphern, formulierende Interpretation, reflektierende Interpretation, Komparative Analyse, Typenbildung)
Dichte Beschreibung (C. Geertz; Rekonstruktion handlungsleitender Vorstellungsstrukturen auf der Ebene kultureller Bedeutungen und Verdichtung im Rahmen e. analytischen Begriffssystems)
Kodierparadigma der Grounded Theory: Interaktionen, Handlungen und Prozesse
Dokumentarische Methode: Konjunktive Erfahrungsräume, gemeinschafts- und Milieuspezifische Habitus und Handlungspraxen
Dichte Beschreibung: (sub)kulturelle Bedeutungsebenen, subjektive Bedeutungsaspekte
Winfried Marotzki/Sandra Tiefel: Methodenband zur qual. Bildungsforschung, erscheint 2007
Sandra Tiefel/Claudia Koepernik/Sandra Moes: GEW-Handbuch Promovieren mit Perspektive. Bielefeld: Bertelsmann 2005