Mathematisches Modellieren im Unterricht — Ergebnisse einer empirischen Studie

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Kat ja Maaß Mathematisches Modellieren im Unterricht - Ergebnisse einer empirischen Studie 175 Dissertation zur Erlangung des Grades einer Doktorin der Philosophie im Fachbereich ErziehungswissenschaJten der Universität Hamburg. Gutachter: Prof Dr. Gabriele Kaiser Prof Dr. Werner Blum Prof Dr. Meinert Meyer Prof Dr. Johannes Bastian Prof Dr. Claus-Peter Ortlieb Tag der Disputation: 10.12.2003 Die Integration von Realitätsbezügen und Modellierungen wird in der didaktischen Diskussion als eine Möglichkeit genannt, um Lernenden u.a. Fähigkeiten im Anwenden von Mathematik und ein angemessenes Bild von Mathematik zu vermitteln. Eine breite Implementation von ModelIierungen in den Schulalltag hat bisher trotz langjähriger Diskussion nicht stattgefunden. Die Gründe dafür sind vieWiltig. In jüngerer Zeit werden als ein Grund dafür die Beliefs der Lehrenden diskutiert. Die Arbeit greift die vorhandenen empirischen Untersuchungsergebnisse sowie den aktuellen Stand der didaktischen Diskussion um Realitätsbezüge und Beliefs auf. Ausgehend von den für Deutschland alarmierenden Ergebnissen der TIMS-Studie sowie dem in der Gesellschaft verbreiteten Bild von Mathematik wurde untersucht, inwieweit eine Integration von ModelIierungsbeispielen die Modellierungskompetenzen sowie die Beliefs von Mathematik der Lernenden verändert. Im Hinblick auf diese Forschungsziele muss sich der theoretische Ansatz der Studie auf zwei Bereiche der didaktischen Diskussion beziehen: In der Arbeit werden erstens verschiedene Definitionen für ModelIierungsprozesse und -kompetenzen, Zielsetzungen von ModelIierungen im Unterricht, ihre Berücksichtigung im Schul alltag sowie die Ergebnisse einiger empirischer Studien diskutiert. Als Konsequenz daraus werden ModelIierungsprozesse als Kreisprozesse aufgefasst, in denen ausgehend von außermathematischen Problemen mit mathematischen Mitteln eine Lösung gesucht wird, die auf ihre Eignung in der Realität überprüft wird. Im Rahmen der Forschung zu Beliefs werden zweitens Definitionen des Begriffs "Beliefs", Aspekte mathematischer Weltbilder sowie Veränderungen von Beliefs diskutiert. Daraus resultierend werden Beliefs als relativ überdauerndes subjektives Wissen von bestimmten Objekten und Angelegenheiten sowie damit verbundenen Emotionen und Haltungen aufgefasst. Basierend auf dem theoretischen Ansatz wurden Unterrichts einheiten konstruiert und in den Unterricht integriert. Während des Erhebungszeitraums (04/01 - 07/02) wurden im Unterricht zweier 8. Klassen sechs ModelIierungseinheiten durchgeführt. Diese entstammen unterschiedlichen Sachkontexten und fördern sukzessive Metakenntnisse über mathematisches Modellieren. Die Unterrichtseinheiten werden in der Arbeit ausführlich dargestellt. (JMD 25 (2004) H. 2, S. 175-176)

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Kat ja Maaß

Mathematisches Modellieren im Unterricht - Ergebnisse einer empirischen Studie

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Dissertation zur Erlangung des Grades einer Doktorin der Philosophie im Fachbereich ErziehungswissenschaJten der Universität Hamburg.

Gutachter: Prof Dr. Gabriele Kaiser Prof Dr. Werner Blum Prof Dr. Meinert Meyer Prof Dr. Johannes Bastian Prof Dr. Claus-Peter Ortlieb

Tag der Disputation: 10.12.2003

Die Integration von Realitätsbezügen und Modellierungen wird in der didaktischen Diskussion als eine Möglichkeit genannt, um Lernenden u.a. Fähigkeiten im Anwenden von Mathematik und ein angemessenes Bild von Mathematik zu vermitteln. Eine breite Implementation von ModelIierungen in den Schulalltag hat bisher trotz langjähriger Diskussion nicht stattgefunden. Die Gründe dafür sind vieWiltig. In jüngerer Zeit werden als ein Grund dafür die Beliefs der Lehrenden diskutiert.

Die Arbeit greift die vorhandenen empirischen Untersuchungsergebnisse sowie den aktuellen Stand der didaktischen Diskussion um Realitätsbezüge und Beliefs auf. Ausgehend von den für Deutschland alarmierenden Ergebnissen der TIMS-Studie sowie dem in der Gesellschaft verbreiteten Bild von Mathematik wurde untersucht, inwieweit eine Integration von ModelIierungsbeispielen die Modellierungskompetenzen sowie die Beliefs von Mathematik der Lernenden verändert.

Im Hinblick auf diese Forschungsziele muss sich der theoretische Ansatz der Studie auf zwei Bereiche der didaktischen Diskussion beziehen: In der Arbeit werden erstens verschiedene Definitionen für ModelIierungsprozesse und -kompetenzen, Zielsetzungen von ModelIierungen im Unterricht, ihre Berücksichtigung im Schul alltag sowie die Ergebnisse einiger empirischer Studien diskutiert. Als Konsequenz daraus werden ModelIierungsprozesse als Kreisprozesse aufgefasst, in denen ausgehend von außermathematischen Problemen mit mathematischen Mitteln eine Lösung gesucht wird, die auf ihre Eignung in der Realität überprüft wird. Im Rahmen der Forschung zu Beliefs werden zweitens Definitionen des Begriffs "Beliefs", Aspekte mathematischer Weltbilder sowie Veränderungen von Beliefs diskutiert. Daraus resultierend werden Beliefs als relativ überdauerndes subjektives Wissen von bestimmten Objekten und Angelegenheiten sowie damit verbundenen Emotionen und Haltungen aufgefasst.

Basierend auf dem theoretischen Ansatz wurden Unterrichts einheiten konstruiert und in den Unterricht integriert. Während des Erhebungszeitraums (04/01 - 07/02) wurden im Unterricht zweier 8. Klassen sechs ModelIierungseinheiten durchgeführt. Diese entstammen unterschiedlichen Sachkontexten und fördern sukzessive Metakenntnisse über mathematisches Modellieren. Die Unterrichtseinheiten werden in der Arbeit ausführlich dargestellt.

(JMD 25 (2004) H. 2, S. 175-176)

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Der anschließende Teil der Arbeit wendet sich methodologischen Überlegungen zu. Dabei werden Möglichkeiten der Theoriebildung, Gütekriterien qualitativer Forschung, Sampling-Strategien und Elemente der Aktionsforschung erörtert. Daraus ergibt sich der methodologische Ansatz der Studie: Zum einen ermöglichte die Übernahme der Rolle der Forscherin und Unterrichtenden von derselben Person im Sinne der Aktions­forschung die langfristige Integration von Modellierungsbeispielen in den Unterricht. Zum anderen führte die nötige offene Herangehensweise an den Untersuchungsgegen­stand zur methodologischen Verortung in der Grounded Theory. Um der Komplexität des Untersuchungsgegenstandes gerecht zu werden, wurde eine Vielzahl von Erhebungs­methoden eingesetzt. Basierend auf synoptischen Vergleichen und fallkontrastierenden Analysen wurden Typologien zur Erklärung von Sinnzusammenhängen gebildet.

Den Kern der Arbeit bilden die Ergebnisse der Studie, die auf der Auswertung von 35 Fällen basieren. Zunächst werden detailliert Ergebnisse genannt, die sich auf den Querschnitt der Studie beziehen. Viele Lernende scheinen kaum konkrete Vorstellungen von Mathematik als Wissenschaft zu haben, ihr Denken bezieht sich z.T. ausschließlich auf den Mathematikunterricht und ihre Rolle in diesem Unterricht. Diese neue Kategorie von Beliefs wird als nicht-fachspezifisch bezeichnet. Neben den Beliefs über Mathematik werden die Modellierungskompetenzen sowie Fehlvorstellungen über den Modellierungsprozess betrachtet. Dabei wird deutlich, dass bereits in der unteren Sekundarstufe I Modellierungskompetenzen vermittelt werden können.

Anschließend wird eine idealtypische Charakterisierung der Sinnzusammenhänge vorgenommen. Es wird deutlich, dass i.d.R. alle Komponenten des Weltbildes in einer typischen Weise handlungsleitend sind. Dieser handlungsleitende Einfluss kann durch Reaktionsmuster beschrieben werden. Auch im Zusammenhang mit den ModelIierungskompetenzen konnten typische Reaktionsmuster rekonstruiert werden. Neben der mathematischen Leistungsfähigkeit und Kompetenzen im zielgerichteten Vorgehen sowie im Argumentieren erwies sich die Einstellung gegenüber den Modellierungsbeispielen und der Mathematik als wesentlich.

Als Beleg für die vorgestellten Ergebnisse und die theoretische Rekonstruktion der Zusammenhänge werden sieben Fallbeispiele ausführlich und durch Zitate anschaulich dokumentiert. Abschließend werden sich aus den Ergebnissen ergebene Perspektiven für die Integration von Modellierungen in den Unterricht und die Forschung aufgezeigt.

Insgesamt verbindet die Studie mehrere Bereiche der mathematikdidaktischen Forschung: Sie liefert einerseits einen aktuellen Beitrag zur Diskussion um Modellierungen im Unterrichtsalltag, andererseits thematisiert sie die Veränderung von Schülerbeliefs durch den Unterricht und knüpft damit an die aktuelle Diskussion um Beliefs an. Die Verbindung von Schulalltag und didaktischer Forschung zeigt mögliche Auswirkungen einer weitreichenden Integration von Modellierungsbeispielen.

Die Arbeit ist im Februar 2004 unter obigem Titel im Verlag Franzbecker Hildesheim erschienen (ISBN 3-88120-380-X).

Kat ja Maaß Pädagogische Hochschule Heidelberg - Fakultät III Im Neuenheimer Feld 561 69120 Heidelberg Email: [email protected]