Martin Heideggers ‚Bremer...
Transcript of Martin Heideggers ‚Bremer...
Technische Universitaumlt Darmstadt
Institut fuumlr Philosophie
Martin Heideggers sbquoBremer Vortraumlgelsquo
Bachelor Thesis eingereicht von
Daniel Schindler
(Matrikelnummer 1514951)
Erstpruumlfer Prof Dr Christoph Hubig
Zweitpruumlferin Dr Cheryce von Xylander
Vorgelegt am 25 April 2016
i
Copyright 2017 Daniel Schindler
Diese Arbeit wird unter den Bedingungen der Creative Commons Lizenz Namens-
nennungndashNicht KommerziellndashKeine Bearbeitungen 40 Internationale Lizenz (CC
BY-NC-ND) veroumlffentlicht ndash siehe httpscreativecommonsorglicensesby-nc-nd40
Inhaltsverzeichnis
Abkuumlrzungsverzeichnis iii
Danksagung iv
1 Einleitung 1
2 Heideggers mythopoetisches Programm 4
21 Zu den Begriffen Mythos Mythologie und Mythopoetik 4
211 Ein Beispiel fuumlr ein Mythologem 8
22 Heideggers Mythen 9
221 Formen der Mythologie 16
3 Heideggers mythopoetische Technik 24
31 Zur Publikationsgeschichte von den Bremer Vortraumlgen 1949 27
32 Die mythopoetische Spiegelung der Schwarzen Hefte 29
321 Das Dinglsquo 29
322 Das Ge-Stelllsquo 32
323 Die Gefahrlsquo 41
324 Die Kehrelsquo 46
4 Konklusion 48
Literaturverzeichnis 52
Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit 56
iii
Abkuumlrzungsverzeichnis
Die Baumlnde der bdquoGesamtausgabeldquo Heideggers werden mit dem Sigel bdquoGAldquo und
der Bandzahl angegeben (Ausnahmen bilden sbquoDie Technik und die Kehrelsquound
sbquoVortraumlge und Aufsaumltzelsquo) Fuumlr ein Lexikon wird folgende Abkuumlrzung benutzt
RDL Reallexikon der Deutschen Literaturgeschichte
iv
Danksagung
Zu dieser zum kleinsten akademischen Grad gereichenden Arbeit moumlchte ich den
groumlszligten Dank meinen beiden Betreuern und Gutachtern Cheryce von Xylander
und Christoph Hubig aussprechen Mit groumlszligter Sorgfalt Fairness und fachlicher
Unterstuumltzung haben sie mir die Herausforderung dieser Pruumlfungsarbeit in jedem
erdenklichen Weg reichhaltig und zum Gelingen gestellt Dass Letzteres nach
einem ersten verworfenen Manuskript eintrat ist ihrer groszligen Geduld und dem
Vertrauen in mich geschuldet fuumlr die ich mich herzlich bedanken moumlchte
Fuumlr ihr besonders engagiertes Korrekturlesen und die konstruktive formale
Kritik danke ich Sarah Holschneider Ebenso bestaumlrkt darin mit dem was ich
schreibe uumlberhaupt verstanden zu werden hat mich Maleen Hanst der ich herz-
lich fuumlr ihr Lektorat danken moumlchte
Ein Geschenk von dem Filmemacher Jeffrey van Davis hat mir neue Perspek-
tiven vermittelt die aus der Literatur nicht erhaumlltlich sind Fuumlr diese Dokumen-
tation sbquoOnly A God Can Safe Uslsquo (2009) die er mir auf mein Ersuchen hin un-
vermittelt geschickt hat bin ich mehr als dankbar
Ein vielleicht ungewoumlhnlicher weil als selbstverstaumlndliche Institution angese-
hen Dank gebuumlhrt der Universitaumlts- und Landesbibliothek Darmstadt Die her-
vorragende Ausstattung Infrastruktur und 24 stuumlndige Oumlffnungszeiten werden
ermoumlglicht von einem klasse Team das in so vielfaumlltiger Weise hilfreich ist
Nicht zuletzt danke ich meinem Freund Roland Franz fuumlr die moralische Un-
terstuumltzung und seine Bestaumlrkungen in mich und meiner Familie fuumlr alles Unsag-
bare
1
1 Einleitung
Die Geschichte des deutschen Philosophen Martin Heidegger existiert beinahe
nicht ohne eine um ihn gravitierende tiefschuumlrfende Debatte Beinahe deshalb
weil es eine kurze Zeitspanne gibt in der Heidegger sowohl hohes Ansehen bei
seinen Marburger Studierenden genoss als auch steigende Anerkennung und Be-
kanntheit fuumlr seine Publikation von sbquoSein und Zeitlsquo1 (1927)
Seine Schuumllerinnen und Schuumller waren ihm ebenso an der Universitaumlt Frei-
burg zugetan Mit der Publikation von Rudolf Carnaps Aufsatz sbquoUumlberwindung
der Metaphysik durch logische Analyse der Sprachelsquo2 im Jahr 1931 allerdings ist
datierbar wie Heideggers Arbeit als Ausdruck der voumllkisch-nationalen Rechten
interpretiert zum erstenMal ins Zentrum einer Debatte geriet die bis heute seine
gesamte Philosophie auf den Pruumlfstand stellt3
Es blieben nur wenige Philosophen die nach dem Ende der Weimarer Repu-
blik im Deutschen Reich der NSDAP leben und wirken durften4 Der Bekann-
teste von ihnen ist Martin Heidegger Michael Friedman sieht ihn deswegen als
das Bindeglied der nachkantianischen Tradition deutscher Philosophie mit der
Postmoderne5
1 GA 22 Carnap Rudolph Uumlberwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache in Zs
Erkenntnis 2 Berlin 193132 S 219-2413 Vgl Galison Peter AufbauBauhaus Logischer Positivismus und architektonischer Moder-
nismus In Deutsche Zeitschrift fuumlr Philosophie 43 (1995) Heft 4 S 653-685 hier S 710Diese Aussage beruht auf einer hier nicht von selbst erschlieszligenden Interpetration die sich
aus der Lektuumlre von Peter Galisons Aufsatz sbquoAufbauBauhaus Logical Positivism and Archi-tectural Modernismlsquo (1990) ergibt Galison schildert dort auf Seite 710 wie Carnap undNeurath sich auf Seiten der Wissenschaftsphilosophie im Sinne des Logischen Positivsimusmit dem Bauhaus verbunden fuumlhlten Er nennt diese Koalition bdquotransparente KonstruktionldquoDiese Form des Bauens und Philosophierens haumltte den selben Feinden gegenuumlber gestanden ndashbdquothe religious right nationalist anthroposophists voumllkisch and Nazi opponentsldquo CarnapsAufsatz sbquoUumlberwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprachelsquo selbst haumllt sichpolitisch auffaumlllig zuruumlck Die Bedeutung Carnaps im Heidegger-Streit ist ferner eine interes-sante Frage die aber den Bereich der vorliegenden Arbeit uumlberschreitetDas Buch sbquoCarnap Heidegger Cassirer Geteilte Wegelsquo (2004) von dem US amerikani-
schen Philosophen Michael Friedman schlaumlgt dazu versoumlhnliche Toumlne an indem er alle dreials unterschiedliche Interpreten Kants versteht In der vorliegenden Arbeit aber ist ausschlag-gebend dass Carnap und Cassirer ins US-Exil flohen waumlhrend Heidegger ein Konzept desdeutsch-voumllkischen Denkens entwickelte
4 Vgl Dahms Hans Philosophie In Frank-Rutger Hausmann (Hg) Die Rolle der Geisteswis-senschaften im Dritten Reich 1933ndash1945 Muumlnchen 2002 S 193-228
5 Friedman Michael Carnap Cassirer Heidegger Geteilte Wege Frankfurt am Main 2004 S13 u 162
2
Von 1933 an war Heidegger Mitglied der NSDAP und mit der Einrichtung
des Fuumlhrer-Rektors zu dem er auch 1933 gewaumlhlt wurde als voumllkisch-nationaler
Rechter nicht mehr in Frage zu stellen Die philosophischen Differenzen waumlhrend
der Diktatur waren weniger von einer fachlichen Auseinandersetzung gepraumlgt als
denn der Erziehung des Volks und eines geistigen Uumlberbaus der Nazis geschul-
det6 Eine direkte Auseinandersetzung mit seinen Kritikern des mittlerweile ge-
flohenen Wiener Kreises hatte es nicht gegeben
Auf Umwegen wurde Jean-Paul Sartre zum ersten Heidegger-Apologeten je-
doch nicht gegenuumlber Carnap oder demWiener Kreis sondern gegen die franzoumlsi-
sche Linke Diese hatte sich aufgrund der offensichtlichen Faktenlage mit Heideg-
ger als Fuumlhrerrektor uumlber die Existenzphilosophie Sartres empoumlrt die Heideggers
Werk rezipiert Sartres Entgegenhalten enthaumllt den Kern der Frage wie Philoso-
phie und Autorschaft im Verhaumlltnis stehen
Was zaumlhlt schon Heidegger Wenn wir unser eigenes Denken anlaumlszliglich des-sen eines anderen Philosophen entdecken wenn wir bei diesem Technikenund Methoden suchen die uns zu neuen Problemen Zugang verschaffenkoumlnnen heiszligt das dann daszlig wir alle seine Theorien teilen Marx hat sei-ne Dialektik von Hegel uumlbernommen Sagen Sie deshalb sbquoDas Kapitallsquo seiein preuszligisches Werk7
Nach Ende des Krieges wurde Heidegger im Zuge der Entnazifizierung die
Lehrerlaubnis entzogen Die Debatte um seine Einstellung zum Nationalsozialis-
mus war ihm selbst zu dieser Zeit am unmittelbarsten denn seine Befugnisse wur-
den darin verhandelt Jean-Paul Sartre war unterdessen interessiert am Dialog mit
Heidegger und Jean Beaufret wandte sich brieflich an ihn Diese Auseinanderset-
zung uumlber den Humanismus angestoszligen von Sartres Essay sbquoLrsquoexistentialisme est
un humanismelsquo8 (1946) bindet die franzoumlsischen Philosophen an den deutschen
6 Vgl Dahms Hans-Joachim Philosophie In Elvert Juumlrgen und Nilson-Sikora Juumlrgen (Hg)Kulturwissenschaften und Nationalsozialismus Stuttgart 2008 S 19-51
7 Sartre Jean-Paul Zum Existenztalismus ndash eine Klarstellung In Der Existenzialismus istein Humanismus und andere philosophische Essays 1943ndash1948 Philosophische Schriften IFrankfurt am Main 1994 S 114Das Zitat wird auch herangezogen im Kopfteil einer Wikipedia Ab-
handlung uumlber die bdquoHeidegger-Kontroverseldquo (httpsdewikipediaorgwikiMartin_Heidegger_und_der_NationalsozialismusDie_Heidegger-Kontroverse ndash zuletztabgerufen am 24042016)
8 Sartre Jean-Paul Lrsquoexistentialisme est un humanisme Editions Nagel Paris 1946
3
Kollegen der seinen sbquoBrief uumlber den Humanismuslsquo9 (1947) beisteuerte Dieser bi-
laterale Briefwechsel wie auch die konspirativen Vortraumlge im privaten Club zu
Bremen im Jahr 1949 denen Heideggers spaumlte Technikphilosophie entspringt
trugen zu einer Rehabilitierung bei Ab 1951 wurde Heidegger emeritiert wo-
durch er wieder in Freiburg lehren durfte
Diese Arbeit untersucht inwiefern Heideggers Technikdenken in den Bremer
Vortraumlgen (1949) von seinen seit 2014 vorliegenden sogenannten Schwarzen Hef-
ten (1931-1948 GA 94 ndash 97) Heideggers Notizbuumlchern zehren Diese sind die
wichtigste Quelle zum Nachvollzug seiner Gedanken zum Nationalsozialismus
und Rassismus geworden Die vielen Spekulationen um Heideggers menschliche
Defizite und deren Eingeschriebensein in seine Philosophie finden seitdem eine
handfeste Grundlage
Insofern wird der Frage nachgegangen ob und wie ein Programm anhand der
Schwarzen Hefte vorliegt das sich auf Heideggers Technikdenken niederschlaumlgt
Dazu wird davon ausgegangen dass Heidegger sich in eine Denkweise des My-
thologisierens begeben hatte die sich in den Schwarzen Heften manifestierte
Das untersucht Kapitel 2 Kapitel 3 untersucht wie die moumlgliche Mythologie der
Schwarzen Hefte mit dem ersten Vortrag seit Beendigung des Zweiten Weltkriegs
zusammen haumlngt
9 GA 9
4
2 Heideggers mythopoetisches
Programm
In diesem Kapitel wird die These aufgestellt dass Heidegger in den Schwarzen
Heften von 1931ndash1948 sich selbst eine Mythologie anlegt derer er sich in Veroumlf-
fentlichungen mythopoetisch bedient Die Mythopoetik aus seinen mythologi-
schen Annahmen bestimmt aber auch weite Teile seiner intimen Schriften (Denk-
tagebuumlcher) also die Schwarzen Hefte selbst Dh dass Heidegger sich seine ei-
gens gesetzte Mythologie aus fruumlheren Jahren als permanentes Zentrum seines
Philosophierens oder Nachdenkens fortschreibt und mit spaumlteren Gedanken zum
Zeitgeschehen aktualisiert Gerade diese Kohaumlrenz mit der er an seiner
Der Begriff der Mythologie und ferner der des Mythos bieten eine Vielzahl
von Moumlglichkeiten der Bestimmungen und Interpretationen Aus diesem Grund
ist der weiteren Erlaumluterung der These eines mythopoetischen Programms eine Be-
griffseingrenzung vorangestellt10 Genauso wird eine Erlaumluterung des Begriffs der
Mythopoetik dargelegt werden um darauf aufbauend Heideggers Vorstellungen
aus den Schwarzen Heften aufzudecken
21 Zu den Begriffen Mythos Mythologie
und Mythopoetik
Zur Bestimmung von Heideggers Vorstellungen als mythopoetisches Programm
werden die drei Begriffe Mythos Mythologie und Mythopoetik hier einer einfa-
chen lexikalischen Definition zugrunde gelegt Diese orientiert sich maszliggeblich
am Reallexikon der Deutschen Literaturgeschichtelsquo (RDL) das eine fachwissen-
schaftliche (philologische) Seriositaumlt besitzt die gefragten Begriffe aber auch kom-
pakt und uumlberschaubar abhandelt11
10 Eine fuumlr dieses Thema hervorragende Reflexion des Mythos-Begriffes bietet sich in Ernst Cas-sirers Der Mythus des Staateslsquo an Auf diesen Titel wird allerdings erst spaumlter eingegangenwerden um mit der Begriffseingrenzung nicht einen Cassirerrsquoschen uumlberbau zu erstellen
11 Die Eintraumlge des RDL werden hier bereits nur sehr sparsam verwendet bieten sie jedochweitaus reichhaltigere Reflexionen zu den drei gefragten Begriffen Trotz der faszinierenden
5
Insofern legt das RDL den Mythos uumlber die bdquoForm eines vorrationalen Wis-
sensldquo hinaus so aus
Mythos2 bezeichnet ein ndash oft einem vermeintlich wissenschaftlicheren lo-goslsquo als mythisches Denkenlsquo entgegengesetztes ndashWeltverhaumlltnis uumlber dessenEigenschaften [] immer wieder neu spekuliert wird und das man ua ausdem Mythos1 zu erschlieszligen sucht12
Zur Wortgeschichte erklaumlrt das RDL ferner dass im Fortschritt der bdquoFachschrift-
stellereildquo Mythos und Logos als Spannungsverhaumlltnis hervorzutreten beginnen
mit demmyacutetos als bdquoAusdruck fuumlr Erdichtetes oder Erfundenesldquo und logos bdquoals ver-
antwortende Redeldquo Mit der im RDL sogenannten bdquoFachschriftstellereildquo muss be-
reits die griechische Antike gemeint sein wenn es in der Begriffsgeschichte heiszligt
bdquo[i]n der antiken Geschichtsschreibung und Philosophie wird der Begriff fast im-
mer ex negativo im Hinblick auf das Nicht-Wissenschaftliche verwendetldquo13
Der Begriff Mythologie wird hauptsaumlchlich unterschieden in 1) eine bdquoZusam-
menstellung der Mythen einer bestimmten Kulturldquo und 2) deren bdquoErforschung
und theoretische Reflexionldquo14 Als Drittes kann die Zusammenstellung von hy-
postasierten poetischen oder heroisierenden Elementen als Mythologie aufgefasst
werden So sagt Adorno uumlber die deutschen Existentialisten dass sie bdquoin der ab-
soluten Verfuumlgung des Einzelnen uumlber sich [] soldatischldquolsquo an der bdquoBindung an
den Befehlldquolsquo15 hingen Sprecher solcherlei bdquoExistenz bewegen sich auf heroisie-
rende Mythologie zuldquo16 Insofern kann als Mythologie gelten was sich als solche
gebiert Er bindet dieses Mythologisieren in seinen Topos des bdquoJargons der Eigent-
lichkeitldquo ein der hauptsaumlchlich Heideggers eigenwilligem Sprachverhaumlltnis gewid-
Begriffsgeschichten von Mythos und Mythologie soll zugunsten der hier verhandelten The-se auf tiefergehende Reflexionen verzichtet werden Das Material dazu ist weiterhin uumlberdas RDL hinaus sehr umfangreich Dennoch wird davon ausgegangen dass der hier gewaumlhl-te Bedeutungsumfang der Begriffe dem Verstaumlndnis hinsichtlich der These von Heideggersmythopoetischen Programm genuumlgen wird
12 RDL S 665 Da das RDL in seiner Explikation von drei verschiedenen Bedeutungsdimensio-nen spricht wird in der zitierten 2 auf die 1 refereriert welche lautet ldquoMythos1 meint dieerzaumlhlende Darstellung von kollektiv bedeutsamen Orten und Figuren oder Naturphaumlnome-nen in aller Regel mit religioumlser oder kultischer Dimensionldquo (Ebd S 664)
13 RDL S 66514 RDL S 66015 Adorno Theodor W Jargon der Eigentlichkeit Zur deutschen Ideologie Frankfurt am Main
1964 S 10716 Ebd S 108
6
met ist Was Adorno als Abwehr gegen Heidegger und die deutschen Ideologen
der Moderne anfuumlhrt kann nicht in gleicher Weise auf die Romantiker fallen
Im 19 Jahrhundert fanden bei denen auch Bestrebungen statt Mythologie als
wissenschaftliche Wahrheitsfindung zu betreiben Mythologie ist dort bdquoSprache
der Phantasielsquo die jedoch auch Spuren der aumlltesten Geschichte enthalte und da-
durch deren Allegorisierung verhindereldquo17 Der Unterschied zwischen beliebiger
Allegorie und verbindlicher Mythologisierung liegt demzufolge im Rekurs auf die
bdquoaumllteste Geschichteldquo Der Antikestoff befluumlgelte Schriftsteller wie Philosophen zu
poetologischen und philosophischen Doktrinen die die bloszlige Zusammenstellung
von tradiertenMythen sprengten und ein progressives Mythologisieren forderten
Dieses Zusammenspiel fand seinen Houmlhepunkt im bdquoSystemprogrammldquo
[E]ine neue Mythologie der Vernunftlsquo welche den Gegensatz zwischendem Volk und einer philosophischen Elite aufloumlsen und eine allgemeineFreiheit und Gleichheit der Geisterlsquo verwirklichen sollte18
Daran beteiligt waren Friedrich Schlegel Hegel und Houmllderlin Bei den aus-
gepraumlgten Houmllderlinkenntnissen Heideggers kann von dessen Kenntnis des bdquoSys-
temprogrammsldquo ausgegangen werden auch wenn er dessen noblen Ziele nicht zu
beerben gedachte Gerade fuumlr Schelling jedoch bdquoist Mythologie das Mittelglied der
Ruumlckkehr der Wissenschaft zur Poesieldquo19 Es ist genau diese Aufwertung des Au-
tors aus einer Synthese von Kunst und dem Prozess ihrer archaischen Ruumlckfuumlh-
rung die Heidegger als Wahrheitsquelle vorphantasiert Er geht bei dieser My-
thologisierung so weit von der Errettung durch die Goumltter zu traumlumen wobei
er auf Houmllderlin als Mittlerfigur rekuriert der sich wiederum auf die Vorstellung
von Goumlttern der griechischen Antike bezieht Das ist ein Teil von Heideggers
voumllkischer Mythologie die eine reine Linie des Denkadels nachzeichnen will
Werden wir einen wirklichen geistigen Adel schaffen der stark genug ist dieUumlberlieferung des Deutschen aus einer groszligen Zukunft zu gestalten20
17 RDL 66218 RDL S 66319 Ebd20 GA 94 S 121
7
bdquoAus einer groszligen Zukunftldquo ist hierbei bezeichnend fuumlr die Vorstellung eines
Versprechens aus der Vergangenheit Das macht diesen Mythos aus Heideggers
Mythologie
Mythopoetische Texte schlieszliglich werden definiert als
Literarische Werke die Mythen aufnehmen und auf eine fuumlr die Textaussagekonstitutive Weise dichterisch bearbeiten21
Die Besonderheit von der bei der vorliegenden Arbeit ausgegangen wird ist dass
Heidegger in seinen echten Publikationen wobei hier besonders die Vortraumlge von
1949 von Interesse sind nicht bloszlig mythologisierte im Sinne eines bdquoerweiterten
Mythosldquo Sondern er schreibt als Mythopoet schoumlpfend aus seiner privaten My-
thologie Diese legte er sich selbst zu Grunde in den Schwarzen Heften Es sind die
Manifestationen seines Glaubens an romantisierte Antikeideale und seine Uumlber-
houmlhungen von Fantasien von einem deutschen Volk
Wie das Metzler Literaturlexikon es bereits aufweist bdquoDie weitere Explikation
des M-Begriffs ist komplex und faumlllt in die Zustaumlndigkeit verschiedener Diszipli-
nenldquo22 Die Begriffseingrenzung hier hat allerdings in Bezug auf das RDL einen
deutlich literaturwissenschaftlichen Bezug da Heidegger eine bdquoPartnerschaft zwi-
schen Denken u Dichtenldquo23 anstrebte ndash bdquoDas Dichterischelsquo sollte rettende Wege
im Zeitalter des universalen technolog Zugriffs findenldquo24 Damit ist auch zum
wiederholten Male das Kontrastierende in dieser Haltung genannt ob sich der
Mythos nun gegen das TechnischeWissenschaftliche richtet (Heidegger) oder ge-
21 RDL S 66522 Metzler Lexikon der Literatur S 524 Ferner deutet ein Eintrag im Neuen Pauly dar-
auf hin bdquoEine alle Disziplinen befriedigende Definition von M (μῦθοςmyacutethos latmythos) zu finden erweist sich trotz vieler Versuche als unmoumlglichldquo (Graf Fritz(Princeton) Zgoll Annette (Leipzig) Hazenbos Joost (Leipzig) Niehr Herbert (Tuuml-bingen) Mythoslsquo Der Neue Pauly Hg v Cancik Hubert (Antike) und Schnei-der Helmuth Landfester Manfred (Rezeptions- und Wissenschaftsgeschichte) Brill On-line 2015 Reference Universitaumlts- und Landesbibliothek Darmstadt 06 December2015 httpreferenceworksbrillonlinecomentriesder-neue-paulymythos-e815160 Firstappeared on-line 2006)
23 Poumlggeler Otto Heidegger In Killy Literaturlexikon Autoren und Werke des deutschspra-chigen Kulturraums 15 Bde 1988-93 Bd 5 S 142-146 hier S 144
24 Ebd S 142
8
gen die Rationalitaumlt (Cassirer) er hat stets bdquodas erklaumlrte Andere des logischen
Erkennensldquo25 inne26
211 Ein Beispiel fuumlr ein Mythologem
bdquoDen μῦθος und λόγος [] aus ἀλήθεια erfahrenldquo27 Dieses System entruumlckt
Wort und Rede dem zwischenmenschlichen Sprachgebrauch und uumlberlaumlsst es dem
Prinzip eines eigenwillig ausgelegten Begriffs der ἀλήθεια ob etwas als Ereignis
zum Sein gereicht oder als Dasein hinfaumlllig ist Die erstrebenswerte Identifikation
mit dem bdquoLeben der Gemeinschaft und mit dem Leben der Naturldquo28 die der ge-
meinsame Austausch uumlber Mythen bieten soll zB im Raumlsonieren daruumlber (etwa
im Sinne des Logos) untersteht hier dem regelnden Prinzip einer Aletheia Mys-
thagogisch will Heidegger den archetypischen Akt dieser Wesensschau beim anti-
ken Griechenvolk enthuumlllen (vgl Kapitel 323) Damit ist die Zusammenstellung
von bdquoμῦθος und λόγος [] aus ἀλήθεια erfahrenldquo bereits ein Mythos seiner
Mythologie
Die Eigenwilligkeit mit der Heidegger einen Mix aus philologischer Hinwen-
dung zu den Vorsokratikern der Dichtung Houmllderlins und einem Pathos seiner
Heimatverbundenheit verquickt ist Adorno schon in den 1960ern als Mythologie
aufgefallen bdquoAntisophistik im Endstadium aufbereiteter Mythologie ist verhaumlrte-
tes Ursprungsdenkenldquo29 Adorno konnte nicht ahnen wie tief Heidegger seinen
Wunsch nach Ursprung in sein Denken verschlossen hat Der Bestand bdquoaufbe-
25 Erdbeer Robert Matthias Graf Fritz Mythoslsquo Der Neue Pauly Herausgegeben vonHubert Cancik Helmuth Schneider (Antike) Manfred Landfester (Rezeptions- und Wis-senschaftsgeschichte) Brill Online 2015 Reference Universitaumlts- und LandesbibliothekDarmstadt 06 December 2015 lthttpreferenceworksbrillonlinecomentriesder-neue-paulymythos-rwg-e1505640gt First appeared online 2006
26 Ernst Cassirer interpretiert in diesem Bezug ferner nachdem er den Konflikt zwischen ra-tionalem und mythischem Denken als Machtkonflikt aufwies Kants Annahme von zweibdquoGruppen von Gelehrten und Forschern die eine befolgt das Prinzip der Homogenitaumltlsquo dieandere das der Spezifikationlsquo [] Nach den Prinzipien der Kantischen Philosophie selbststehen beide Haltungen nicht wirklich im Widerstreit miteinander Denn sie druumlcken keinefundamentale ontologische Differenz aus keine Differenz in der Natur und dem Wesen derDinge an sichlsquo Sie repraumlsentieren eher ein doppeltes Interesse des menschlichen Verstandesldquo(Cassirer S 12) Allerdings ist Heidegger anti-wissenschaftlich Sein Ringen um das Mythi-sieren verfolgt das Ziel einer gegenwissenschaftlichen bdquoBesinnungldquo wie er es nennt
27 GA 97 S2028 Cassirer Der Mythus des Staates S 5329 Adorno Jargon der Eigentlichkeit S 41
9
reiteter Mythologieldquo liegt erst seit 2014 mit der Veroumlffentlichung der Schwarzen
Hefte vor
22 Heideggers Mythen
Heideggers Mythen sind weder eine Fortsetzung antiker Uumlberlieferungen noch
ein von ihm entwickeltes Fabulieren uumlber anthropomorphe Goumltter und ihre Ent-
stehungsgeschichten Es ist in erster Linie eine eigenwillige Philologie des Alt-
griechischen wenn er zB in bdquogeschichtlicher Besinnungldquo zum Zuruumlckgehen bdquoauf
den Zusammenhang von τέχνη ἀλήθεια und οὐσίαldquo30 auffordert Adorno cha-
rakterisiert seinen Begriff vom Jargon der Eigentlichkeitlsquo mit dem Zug der sta-
tischen Inbeschlagnahme einzelner Woumlrter die sich bdquodurch die Konstellation die
sie verleugnenldquo aus demDiskurs sprengten und als Apotheosen eine uumlbertriebene
Eigenbedeutung erhalten wuumlrden Diese guerrillaartige Umdeutung von Sprache
versteht Adorno als Asyl des Faschismus31
Was das singulaumlre Wort an Magie verlor wird ihm gleichwie durch Maszlignah-men dirigistisch angeschafft [] Bestandstuumlcke der empirischen Sprachewerden in ihrer Starrheit manipuliert als waumlren sie solche einer wahren undgeoffenbarten [] Der Jargon objektiv ein System benutzt als Organisati-onsprinzip die Desorganisation den Zerfall der Sprache in Worte an sich32
Die bdquoDesorganisationldquo die Adorno Heideggers Sprachzerfall zuweist ist viel-
mehr eine Neukonstellation im Sinne des Mythos So erscheint es zumindest
anhand der Leese die Heidegger in den Schwarzen Heften zusammentraumlgt Der
deutsch-schweizerische Philosoph Enno Rudolph fuumlhrt in diesem Zusammen-
hang einige Militaumlrmetaphern an die Heideggers Zielsetzung unterstreichen sol-
len mit seinem Sprachsystem voumllkisch-nationale und eben auch antisemitische
Abgrenzungspolitik zu betreiben
30 GA 94 S 336f31 Vgl Adorno Jargon der Eigentlichkeit S 8f bdquoAsyl des Faschismusldquo ist eine treffende Parodie
auf Heideggers Rede von der Sprache als Haus des Seins (su)32 Ebd S 10
10
Am Ende koumlnnten sich Text und Sache moumlglicherweise so darstellen lassen[] dass sich das Gesamtwerk als die labyrinthisch konstruierte letzte Basti-on eines philosophischen Stellungskrieges positioniert in dessen Verlauf derAntisemitismus ndash neben den anderen programmatischen Feindseligkeiten ndasheine strategische Funktion nach Analogie mehrerer einander koordinierterWaffengattungen erfuumlllt [] dass es sich bei den vier Baumlnden um Bausteinefuumlr eine Kampfschrift handelt33
Mit dem Schluumlssel des Verstaumlndnisses der altgriechischen Sprache seiner Liebe
zum Klassikautor Houmllderlin und als selbsterklaumlrter Feind der Metaphysik ver-
stand sich Heidegger als Prophet des Denkens das als Dichtung veredelt An-
athema zur Rationalitaumlt und Wissenschaft (worunter er auch die Philosophie ver-
stand) sein sollte Die strenge Bindung an seine Pseudotradition des Abendlandes
sollte mythologisch festgezurrt sein aber seine Veroumlffentlichungen in Form von
Vortraumlgen und Aufsaumltzen und schlieszliglich in Buchform sollten selbst nicht bloszlig
mythologisch sein ImModus von verhaumlrtetem solipsistischen Narzissmus ging er
daruumlber sogar noch hinaus und wollte sich verstehen als mythopoetischen Autor
seiner eigenen Mythologie
Eine katalysierende Wirkung auf dieses Vorgehen Heideggers hatte der Alt-
philologe Walter F Otto (1874ndash1958) In einem vor den Schwarzen Heften in
2009 veroumlffentlichen Aufsatz schildert der franzoumlsische Germanist Daniel Meyer
von diesem Bezug und untersucht Heideggers Verbindung der Kehre34 und des
Mythos Die Entdeckung des griechischen Mythos Heideggers geschichtsphilo-
sophische Wendelsquo35 Wie es der Titel verraumlt markiert Meyer Heideggers Kehre
zur Seinsgeschichte mit dessen bdquoEntdeckungldquo des Mythologisierens36
33 Rudolph Enno Heideggers Schwarze Hefte im Echo In Philosophische Rundschau Bd 62Heft 2 (2015) S 141-154 hier S 145f
34 Die bdquoKehreldquo ist multifaktoriell mit Bedeutungen besetzt Darauf kann hier nicht eingeangenwerden Im Uumlblichen ist die Kehre zur bdquoSeinsgeschichteldquo gemeint
35 Meyer Daniel Die Entdeckung des griechischen Mythos Heideggers geschichtsphilosophi-sche Wende Germanica 45 (2009) S 13-26
36 Diese Entdeckung ist wie bei Peter Trawny (su) gebunden an Heidegger Topos des AnfangsDen Anfang dieser Rede des Anfangs will auchMeyer erkannt haben Insgesamt koumlnnen nochmehrere starke Aumlhnlichkeiten des Artikels von Meyer mit Trawnys Buch uumlber die Schwar-zen Hefte nachgewiesen werden womit Trawny ohne jegliche Nennung Meyers unter denAnfangsverdacht des Plagierens faumlllt
11
Ottos 1929 erschienenes Werk Die Goumltter Griechenlandslsquo37 sei laut Meyer
der fuumlr Heideggers mythologische Strategie unentbehrliche Einfluss Somit sei
der griechische Goumltterbegriff nicht mehr bdquochristlich antithetisch zu Welt und
Mensch sondern in Einheit damit zu denkenldquo38 Diese Einheit wuumlrde gestif-
tet durch bdquoOttos Formel vom Geheimnis der Beruumlhrung von Goumlttlichem und
Menschlichenlsquoldquo39 Da Meyer das Mythologisieren im Zusammenhang mit der ge-
schichtsphilosophischen Kehre auch im Sinne einer bdquoVorrangstellung des primi-
tiven archaischen von ihm [Heidegger DS] als mythisch verstandenen Den-
kensldquo40 als Weg zum Nationalsozialismus ndash der Traum Heideggers eines neuen
(deutschenabendlaumlndischen) Anfangs ndash versteht liegt dem bdquogriechischen Goumltter-
begriffldquo hier eine besondere Wertlegung zugrunde41
Die Beschwoumlrung des Anfangs des griechischen Ursprungs ermoumlglicht ei-nen genuinen Neuanfang im Sinne einer Annullierung des Vorhergekom-menen Der Ausweg aus der Moderne aus der Welt der Uneigentlichkeitist moumlglich durch einen Bruumlckenschlag zum griechischen Denken [] DieMoumlglichkeit diese Krise zu uumlberwinden ist fuumlr Heidegger 1933 durch dienationalsozialistische Machtergreifung gestellt doch reiht er diesen Prozessin eine legitimierende geschichtsphilosophische Perspektive die auf einengriechischen Ursprungsmythos zuruumlckverweist42
Meyer findet kernige Passagen die er aus Heideggers Schriften und Vorle-
sungen bis 1935 durchaus uumlberzeugend zur Unterstuumltzung seiner These anfuumlhrt
Diese Zitate Heideggers sind der Mythologie der Schwarzen Hefte sehr aumlhnlich als
tentatives Entwerfen
37 Otto Walter F Die Goumltter Griechenlands Das Bild des Goumlttlichen im Spiegel des griechi-schen Geistes Frankfurt am Main 2013Meyer verweist in einer Fuszlignote auf das Buch Heideggerrsquos Roots Nietzsche National So-
cialism and the Greekslsquo von Charles Bambach (2005) das ihm fuumlr diese Aussage Pate stand38 Meyer Die Entdeckung des griechischen Mythos S 439 Ebd Durch eine solche Formel der Einheit von Menschen und Goumlttern ist ein nahtloser
Anschluss an die Goumltter Heraklits und anderer antiker Philosophen geebnet Heidegger hatdiese Moumlglichkeit erstaunlich ernst genommen und ausgearbeitet
40 Meyer Die Entdeckung des griechischen Mythos S 341 Meyer stolperte mit der Begruumlndung dass bdquoDieser erstaunlich unkritische Gottesbegriff []
sich nur im Kontext von Ottos Goumltter Griechenlands verstehenldquo (Meyer Die Entdeckungdes Griechischen Mythos S 4) lieszlige uumlber Heideggers SoSe Vorlesung 1930 Vom Wesender menschlichen Freiheitlsquo (GA 31 S 7f) Ferner vollzieht er Ottos Einfluszlig uumlber die ersteHoumllderlin-Vorlesung von 193435 und weitere Schriften Heideggers nach Es geht Meyerauch stark um das Verhaumlltnis von Heideggers Denken bis und nach Sein und Zeit was indieser Arbeit nicht tiefer behandelt werden kann
42 Meyer Die Entdeckung des griechischen Mythos S 4f
12
Das legt nahe dass Heidegger sein mythopoetisches Texten als Code vor allem
in den Nachkriegsveroumlffentlichungen einsetzt ndash ein Nachruf aus dem gescheiter-
ten Anfang43 Ab 1935 jedenfalls haumltte sich Heidegger von der Vorstellung des
neuen Anfangs verabschiedet44
Das Mythologisieren konstruiert Meyer als Anschluss an die Houmllderlin-Vor-
lesung (193435) Die Houmllderlinsche Lyrik haumltte fuumlr Heideggers bdquophilosophisches
Sprachmaterialldquo Vorbildcharakter da bdquomit Houmllderlin die griechische Mytholo-
gie in ihrer sprachlichen Verbildlichung zum tragenldquo45 kaumlme Die dann staumlndige
Wiederauferstehung der bdquogriechischen Goumltter- und Heldenwelt in seinen Vorle-
sungenldquo schluumlge dem zu Buche In der Vorlesung 193435 Houmllderlins Hymnen
Germanienlsquo und Der Rheinldquo klingt insofern bereits eine Figur an die Heidegger
uumlber zehn Jahre spaumlter in seinen technikphilosophischen Bremer Vortraumlgen mit
seinem Aletheia-Prinzip verbinden wird ndash der bdquoBlitzldquo (su)
43 Eine genaue Untersuchung laumlszligt die Form dieser Arbeit nicht zu sie bezoumlge sich wie gesagtauf die drei Darstellungsebenen der GA mit den Schwarzen Heften (GA 94ndash97) als (Entwurfs-phase) Besinnung (GA 66) Das Ereignis (GA 71) ua als (Konzeptionsphase) und den BremerVortraumlgen (GA79) als (Praumlsentation) die Uumlbergaumlnge sind freilich flieszligend und gerade in denvon Meyer zitierten Vorlesungen erscheinen alle drei Stufen mitunter gleichzeitig Gerade imfolgenden zitierten Doppelband in dem es ua um die bdquoWahrheit der Spracheldquo geht scheintes tatsaumlchlich genau wie Meyer es identifiziert um die Grundlegung Heideggers Mythologiezu gehen die in den Schwarzen Heften vielmehr lemmaartig und sporadisch entworfen wirdMit Heraklits Spruch des Kampfes als Wesen des Seienden zieht Heidegger einen Paten seinerMythos-Logos-Aletheia Kombination heran und versucht seiner eigenwilligen Philologie ei-ne verpflichtende Bedeutungstiefe einzulegenMeyers Zitate Heideggers mit groszliger Relevanz fuumlr diese Arbeit sind die folgenden bdquoDa-
mals als das Volk der Griechen deren Stammesart und Sprache mit uns dieselbe Herkunfthat in seinen groszligen Dichtern und Denkern sich aufmachte eine einzigartige Weise desmenschlichen volklichen Daseins zu schaffen Was da anfing ist bis heute nicht eingeloumlstAber dieser Anfang ist noch nicht und er verschwand nicht und verschwindet nicht dadurchdaszlig die nachkommende Geschichte immer weniger seiner Herr blieb Der Anfang ist nochund besteht als ferne Verfuumlgung die unserem abendlaumlndischen Schicksal weit vorausgreift unddas deutsche Geschick an sich kettetldquo (GA 3637 S 6 Die Grundfrage der PhilosophielsquoSommersemester 1933)bdquoAls μυθος ist das Wort das uumlber den Menschen kommt jenes worin ihm dieses und
jenes seines Gesamtdaseins gedeutet wird nicht das Wort in dem er von sich her Rede stehtsondern das Wort das Weisung gibt [] Aber der urspruumlngliche λογος der Philosophiebleibt dem μυθος verbunden erst die Sprache der Wissenschaft vollzieht die Abloumlsungldquo(Ebd S 116)
44 In den Schwarzen Heften houmlrt die Sehnsucht nach dem neuen Anfang nicht auf also bis ein-schlieszliglich 1948
45 Meyer Die Entdeckung des griechischen Mythos S 6
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Gewitter und Blitz sind die Sprache der Goumltter und der Dichter ist derder diese Sprache ohne Ausweichen auszuhalten hat aufzufangen und in dasDasein des Volkes zu stellen hat [] Die Dichtung ist ein Weiterwinkendieser Winke in das Volk oder von diesem her gesehen Dichtung ist []ein Zeigen ein Weisen in welcher Weisung die Goumltter offenbar werden46
Die Rede von bdquoWinkenldquo ist bereits ein Selbstbezug benannte der Autor der
Schwarzen Hefte seine ersten beiden Abteilungen des heutigen 94ten Bandes der
GA als Winke x uumlberlegungen (II) und Anweisungenlsquo und uumlberlegungen und
Winke IIIlsquo47 Diese setzen ein im Jahr 1931 und duumlrften moumlglicherweise bis 1933
oder vielleicht auch 1935 gereicht haben Heideggers Selbstuumlberhoumlhung als mys-
tagogisch bdquodichterisch-denkenden Schaffenden ndash also ihm selbstldquo48 erkennt auch
Meyer bereits ohne die eindeutigen Zeugnisse dieses Wunsches in den Schwarzen
Heften Es ist Heideggers Begehren das Volk seiner Fuumlhrung zu unterstellen bdquoso
dass sich das Wesen dieses Landes selbst findet und vollendetldquolsquo49
Meyer spricht in Folge daran davon was Heideggers Ursprungsmythos den
er in die griechische Altertum legt fuumlr diesen leistet Es ist eben das antiwis-
senschaftliche bdquoWissenldquo von einer bdquoUr-geschichteldquo Welche abgruumlndigen Motive
auch immer da hineinzuprojizieren sind (Bodenhaftigkeit arische Reinbluumltigkeit
abendlaumlndische Groumlszlige etc so wie es sich aus den Schwarzen Heften offenbart)
der Mythos verschraumlnkt Heideggers Streben nach Fuumlhrung als Denker und eine
Begruumlndung fuumlr die vermeintliche rassische uumlberlegenheit des deutschen Volkes
Meyer zitiert den Dichter-Denker mit bdquoMythologielsquo ist Wissen von einer Ur-
geschichteldquolsquo Es ginge um
Wissen nicht im archaumlologisch-musealen Sinn sondern als Prozess [] auchim Sinne dass Heidegger im Moment des Aussprechens gerade das leistetwovon er spricht Mythologie50
Augenscheinlich sieht Meyer keinen Grund dafuumlr von einer mythopoetischen
Textform in der Verschraumlnkung von Heideggers Denkerprophetie und der abend-
46 GA 39 S 31f (zitiert nach Meyer Die Entdeckung des griechischen Mythos S 6)47 Aus dem beigefuumlgten Nachwort des Herausgebers Peter Trawny geht nicht genauer hervor
weshalb zuerst bdquoWinke x uumlberlegungen (II)ldquo und dann bdquouumlberlegungen und Winke IIIldquo signi-fiziert sind Es wird hier davon ausgegangen dass es sich schlicht um das Gleiche handeltwobei der erste Teil sich in den bislang verschollenen Schwarzen Heften befinden muss
48 Meyer Die Entdeckung des griechischen Mythos S 749 Ebd Darin zitiert ist die GA 39 S 28950 Ebd Darin zitiert ist die GA 40 S 165
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laumlndischen uumlberhoumlhung zu sprechen Die Paarung von Dichtung und Denken al-
lerdings ist fuumlr den Husserlnachfolger erst der Zweck und die Mythologisierung
das Mittel dazu In seiner Schrift uumlber die Religionsphilosophie und ontologi-
sches Wahrheitsverstaumlndnis bei Walter F Ottolsquo schildert der Altersforscher und
Sozialwissenschaftler Schulz-Nieswandt aus Koumlln uumlber die menschliche Existenz
die bdquoMythopoetik als Seins-Vergewisserungldquo51
In jenem Kapitel seines Otto-Traktats von 2014 schreibt Schulz-Nieswandt
wie ein echter Epigone Heideggers von der Wappnung gegen die bdquoKrise der Mo-
derne ndash Entfremdung Einsamkeit Angst Verzweiflungldquo52 An fruumlherer Stelle
seines Buchs stellt sich dar dass Schulz-Nieswandt sich geradezu mit Heideggers
Linie vereint anstatt sich ihr nur anzunaumlhern
Es geht um das wahre Sein aus der Sicht des zu seinem Wesen gelangendenMenschen in dessen Daseinsfuumlhrung was hermeneutisch erschlossen wer-den soll nicht um Wissenschaft als hermeneutische Methode im Kriterien-spektrum zwischen Verifikation und Falsifikation von Hypothesen mittelsProtokollsaumltzen uumlber die Realitaumlt53
51 Schulz-Nieswandt Frank Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis beiWalter F Otto (1874-1958) Eine strukturalistische und psychodynamische RezeptionBaden-Baden 2014 S 58-60
52 Ebd S 58 Dabei spielt Schulz-Nieswandt die Begriffe Epistemologie gegen Ontologie ausund bezeichnet sich selbst als post-strukturalistisch im Sinne der Kritischen Theorie schrei-bend Jedoch erscheinen diese philosophischen Kontraste nur wie bdquoEdelsubstantiveldquo des vonAdorno gemuumlnzten bdquoJargon der Eigentlichkeitldquo Und in genau diesem Jargon laumlszligt der So-zialwissenschaftler Heideggers Urmythos des Goumlttlichen der griechischen Antike (so) inaktueller Praumlsenz wieder auferstehen Es ist erstaunlich dass jemand der die Kritische Theo-rie fuumlr sich reklamieren will Epigone des bdquoJargons der Eigentlichkeitldquo ist So zeigt es sichauch auf S 28 wenn er in Ottos Dionysos bdquodie ganze Tiefe des Menschen zum Ausdruck[bringt DS] die Todeserfahrung des sterblichen Menschen Dionysos ist Hadesldquo Um nocheinmal zu bestaumltigen wie sich Schulz-Nieswandt als Akteur des Jargons gebiert sei hier Ador-no zitiert (dies gilt allerdings nur der Gegenuumlberstellung zum Vorsatz jener wuumlrde sich ander Kritischen Theorie orientieren ohne fuumlr diese zu advozieren) bdquoDer Heideggerschen Phi-losophie schloszlig sich was einmal Pforte zum ewigen Leben war zu sie betet statt dessenWucht und Groumlszlige des Tores an [] Sein wuumlrdevolles Gehabe ist Reaktionsbildung auf dieSaumlkularisierung des Todes [] Darum wird Sinn in den Tod geworfenldquo (Adorno Jargonder Eigentlichkeit S 134)
53 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei WalterF Otto S 15
15
Beiden gemeinsam ist auch die Faszination an Houmllderlin die sie ebenso mit Otto
teilen
Die ganze Eigenart des Denkens von Otto kommt in dem komplett innerenVerhaumlltnis zu Heidegger und Houmllderlin zum Ausdruck54
Nur noch ein Gott kann uns rettenlsquo so das Zitat des Spiegelinterviews das Ja-
kob Augstein zum Titel machte ist die kodierte Mythopoetik auf die sich die
Spiegelleser keinen Reim machen konnten Fuumlr Heidegger fuumlr den das Sein in der
Sprache wohnen sollte55 ging es um den Mythos der Naumlhe zur Antike als Naumlhe
zu den Goumlttern
Fuumlr Houmllderlin war die Theologie der Abwesenheit Gottes als uumlberweltlichePraumlsenz der Verlust der Gotteserfahrung des diesseitig verankerten Men-schen [] Die Antike wird als eine von Goumltternaumlhe charakterisierte Zeitvon Houmllderlin verstanden und erneuert (der kommendelsquo Gott) ersehnt56
Dies ist eine der Leit-Mythen Heideggers insbesondere wenn man sich die Nach-
kriegsvortraumlge ansieht (eben die Bremer Vortraumlgelsquo)
Die Aufhebung der Trennungsangst durch die bdquoAbwesenheit der Goumltterldquo uumlber-
winde der in existenzieller Angst befindliche bdquohomo abyssusldquo mittels bdquoder lie-
bevollen Gestaltung als Sich-Einrichten des Menschen [] als apriorischer Mo-
dus des In-der-Welt-Seinsldquo durch die bdquoEwigkeit der Mythopoetikldquo57 Fuumlr Schulz-
Nieswandt ist Mythopoetik eben nur dieses ein peganistischer Goumltterdienst der
den Kanon der Ottoschen Antike mit Houmllderlin interpretiert Insofern versteht
dieser versuchte Religionsphilosoph der eigentlich Sozialforscher ist Heideggers
Mythologie als schoumlpfend aus geteilter Quelle mit Mythen als Gemeinplaumltzen
derer sich der Denker-Dichter philologisch sicher bediene
Dabei geht es Schulz-Nieswandt umHeideggers Aletheia-Prinzip das er bdquoWahr-
heitsbegriffldquo nennt ndash welches bdquoDie Differenz der Technik als Herrschaft uumlber
54 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei WalterF Otto S 20
55 Vgl GA 7 S56 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei Walter
F Otto S 2157 Vgl Ebd S 59
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Dinge von der Kunst als Schoumlpfung als Lichtung des Seins zur Wahrheit unter-
scheidetldquo58 Houmllderlins Goumlttliches waumlre darin vermisst und von Bedarf fuumlr den
Menschen Mit der Nomenklatur der griechischen Goumltter Houmllderlins und Ottos
ginge es beim Wahrheitsprinzip um bdquodie Erinnerung an Dionysos als der wie-
der kommende Gott []ldquo sie bdquofuumlhrt zur Lichtung des Seins als Wahrheitldquo59 Der
Mensch waumlre also Hirte seines Seins nicht Herr der Technik zum Sein bdquoDas Sein
ist den Menschen nicht technisch verfuumlgbar Die notwendige Einkehr wird zu
Heimkehrldquo60
Insofern zeichnet Schulz-Nieswandt ganz in Heideggers Sinne nach wie Hei-
mat und Irrationalitaumlt des Mythos zusammenfallen im Kanon der Goumltter-Mytho-
poetik Zum einen ist allerdings Heideggers Mythologie nicht so sehr an diese
Mythopoetik uumlber die Goumltter gebunden sondern bewegt sich frei im eigenwil-
ligen Auslegen von altgriechischen und deutschen Begriffen Zum anderen ist es
erstaunlich dass Schulz-Nieswand 2014 die Bedeutung der Mythopoetik fuumlr Hei-
deggers Ursprungsmythos des neuen Anfangs ignoriert und damit auch die gan-
ze voumllkisch-nationale Aura und damit die Abgrenzungspolitik Vor allem aber
richtet sich Heidegger nicht in einer bdquoliebevollen Gestaltungldquo menschlich ein
wie Schulz-Nieswandt es schon pathetisch darstellt sondern befeinded sich mit
allem ihm Zuhandenen als bdquoRaprochementldquo61 in alle Richtungen und pocht auf
bdquogeschichtliche Besinnungldquo als bdquoAuftrag des Deutschenldquo62
221 Formen der Mythologie
Mit den zwei oben herangezogenen Arbeiten uumlber Mythologisieren und Mytho-
poetik Heideggers sollte in dieser Arbeit das Verstaumlndnis seines Projekts der an-
tirationalen und antitechnischen Ausrichtung in den aktuellen Forschungsstand
gestellt werden Um welche Mythologie es sich in den Schwarzen Heften handelt
wird im Folgenden aufgedeckt werden Bereits in dem ersten Heft der Denktage-
58 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei WalterF Otto S 58
59 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei WalterF Otto S 59
60 Ebd61 Wolin Richard Heideggers bdquoSchwarze Hefteldquo Nationalsozialismus Weltjudentum und Seins-
geschichte In Vierteljahrsheft fuumlr Zeitgeschichte Bd 63 Heft 3 S 379-41062 GA 94 S 66
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buumlcher verschmilzt Heidegger seine Vision von Dichten und Denken stellt sich
unter dieses Ideal
Dichten undDenken ineinander geschlungen und so waumlre ihrWas im verbindend-trennenden Bestimmen gewonnen63
Als bdquoAusgriff in den Begriffldquo versteht Heidegger dies als bdquovorschreibend-bildenden
Entwurfldquo der hinfuumlhrend zum Ereignis des Aletheia-Prinzips waumlre ndash
(Dichtung als Mythos
Dichtung als Dichtung im engeren Sinne gtgtGedichtltlt
Dichtung als Philosophie)64
Grundsaumltzlich ist die lose wirkende Legion von Lemmata nicht mit einer
Ruumlckfuumlhrung seiner Gedanken auf bestimmte griechische Goumltter und antike (ech-
te) Mythen besetzt Heidegger fetischisiert Begriffe und mythologisiert die von
ihm aufgepfropfte Bedeutung durch ein staumlndiges Wiederholen und Weiterden-
ken als bdquoWissenldquo wie Meyer es herausgearbeitet hat In dieser philosophischen
Alchemie sieht sich Heidegger als Denker als Bewahrer einer uralten Lehre die
eben neu widererstarken muumlsse Das hat Meyer auch schon klar gemacht Die My-
thopoetik erscheint aber hauptsaumlchlich nicht in den Schwarzen Heften sondern in
den Vortragspublikationen sich auf seine private Mythologie beziehend die in
den Schwarzen Heften zu Grunde gelegt wird
Die Mythen Heideggers drehen sich wie Meyer zurecht behauptet um den
Ursprung bei den Griechen den bdquoGrund der Geschichte des Abendlandesldquo65
Aber auch um die vielen Binaritaumlten die sich entgegengesetzt werden und tat-
saumlchlich wie der Heidegger-Herausgeber und Initiator und Leiter des Wupper-
taler Heidegger Instituts Peter Trawny es benannt hat auf einen Manichaumlismus
zulaufen66 Die Abgrenzungspolitik im Sinne des schuumltzenswerten abendlaumlndisch-
heimatlichen Deutschlands richtet sich gegen den inneren Feind vorangetrieben
63 GA 94 S 6564 GA 94 S 6665 GA 96 S 20566 Trawny Peter Heidegger und der Mythos der juumldischen Weltverschwoumlrung Frankfurt am
Main 2015 S 22Das hier aufgefuumlhrte Buch birgt einige problematische Umformungen zum Verhaumlltnis von
Heideggers Antisemititsmus Allem voran versucht es eine Begriffsbildung zu formen nach
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von der Rechenhaftigkeit des juumldischen Wesens und die aumluszligeren Feinde wie Ameri-
kanismus franzoumlsische Kultur russischer Bolschewismus usw Heideggers Urmythos
vom neuen Anfang ist verquickt mit einem selbstangedichteten Personenmythos
was ebenfalls Meyer schon erkannt hat Dieses Schema ist die Grundstruktur
Immer deutlicher wird in mir die Ahnung daszlig unsere Heimat der Kerndes suumldwestdeutschen Landes [er selbst DS] der geschichtliche Geburtsortdes abendlaumlndischenWesens sein wird [] es ist das Geistvolle und zugleichdas erdenhafte schoumlne Land Es birgt unsichtbaren Reichtum dem Gemuumltbewahret tiefstes Dichten und houmlchste Gestalt der Sage67
Die mitunter wichtigste Dichotomie die Heidegger in den Denktagebuumlchern
aufwirft ist die zwischen Historie und Geschichte Es ist insofern nicht nur der
Mythos des neuen Anfangs der Heideggers Denken uumlber fast zwei Dekaden be-
stimmt sondern umso mehr die doppelte Projektion ndash des Verfalls (Machenschaft)
in eine Konstruktion von Historie und des Bestehens (Sein) in die konstruierte
Geschichte68 Geschichte faumlllt dann schlieszliglich mit der Schaffung des neuen An-
fangs so zusammen wie Historie mit Technik verschraumlnkt wird Geschichtlichkeit
muss durch das Prinzip des Ereignisses der Aletheia prozessiert werden waumlhrend
die verrationalisierte wissenschaftliche technische Historisierung des Lebens und
der Lebenswelt dem widerstrebt
Die Bindung von Heideggers Vorstellung des richtigen Lebens im Sein mit
demAbendland und einer voumllkisch-nationalen Groumlszlige undUumlberlegenheit Deutsch-
lands ist dabei ausschlaggebend Denn mit der Charakterisierung des Guten auf
derer Heideggers Antisemitismus mittels Heideggers Denkmethode behandelt aufgehobenwerden koumlnnte Die Hauptbegriffe darin sind bdquoSeinsgeschichtlicher Antisemitismusldquo undbdquoKontamination des Denkensldquo Von einer tieferen Auseinandersetzung muss an dieser Stelleabgesehen werden
67 GA 97 S 5468 In Band 66 der GA gibt es bereits einen kleinen Abriss der Historie und Techniklsquo die der Ge-
schichte gegenuumlbergestellt werden Das dies eine Uumlbertragung der Gedanken aus den Schwar-zen Heften ist ist ohne Zweifel Ein ansatzweise philosophisches Vorgehen vermengt sichdort mit dem poeto-mythologischen Denken Heideggers In Sachen mythopoetischer Figu-ren undMetaphernreichtum haumllt sich dieser dort aber noch zuruumlck (auch wenn er hier bereitsoumlffentlich vom bdquohistorischen Tierldquo redet) Die Absicht Technik und Historie als Verstellungdes abendlaumlndischen Menschen zu brandmarken stehen dabei im Vordergrund Weiterhinsoll in dieser Arbeit allerdings der Fokus auf den Schwarzen Heften und der Mythopoetik inden Technikvortraumlgen der Nachkriegszeit liegenDer Duden sieht Geschichte und Historie als Synonyme Von einer Ethymologie und der
Spekulation von Heideggers Gruumlnden der Auseinanderhaltung der zwei Synonyme soll hierabgesehen werden
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der Seite des Seins sind die Feinde dessen eine Notwendigkeit seines Erklaumlrungs-
schemas Dabei sind es vor allem die Juden denen die Wurzel des Antiseien-
den von Heidegger in ihr vermeintliches Wesen geschrieben wird Exemplarisch
spricht dafuumlr dieses Zitat aus Band 96
Die zweite Machtsteigerung des Judentums aber hat darin ihren Grund daszligdie Metaphysik des Abendlandes zumal in ihrer neuzeitlichen Entfaltungdie Ansatzstelle bot fuumlr das Sichbreitmachen einer sonst leeren Rationalitaumltund Rechenfaumlhigkeit die sich auf solchem Wege eine Unterkunft im Geistlsquovarschaffte ohne die verborgenen Entscheidungsbezirke von sich aus je zufassen zu koumlnnen69
Diese Vorstellung ist eine Konkretisierung dessen was Heidegger mit den Uumlber-
begriffen Historie vs Geschichte einige Jahre vorher begann zu topografieren
Wir sind durch die Historie geschwaumlcht [] ndash wir koumlnnen nur durch das ge-rettet werden was uns in seiner Verfaumllschung widert ndash durch die Geschich-te70
Dieses bdquoWirldquo sind die glorifizierten Deutschen vor allem nach der Ableitung von
den Griechen uumlber Houmllderlin (und dessen Griechen) und Nietzsche zu ihm und
seinem kleinen Kreis von ihm anerkannter Intellektuellen-Kollegen wie etwa
Carl Schmitt Oswald Spengler Walther F Otto und Ernst Juumlnger Die Luft auf
Heideggers Denker-Olymp ist duumlnn und bekommt nur Wenigen
Die Geschichte in Heideggers solipsistisch-immanenten Nachdenken erklaumlrt
sich wie gesagt immer zusammen mit der Hoffnung auf den neuen Anfang und
als Besinnung auf das Denken als Akt gegen die Historie Die Paarung der zwei
Woumlrter bdquoGeschichteldquo und bdquoBesinnungldquo durchzieht in deutlicher Haumlufigkeit alle
vier Baumlnde der Schwarzen Hefte ndash bdquogeschichtliche Besinnung [] ist die Uumlberwin-
dung der Historie und des Historismusldquo und sie bdquobedarf der houmlchsten Strenge
hinter der die historische Exaktheitlsquo weit zuruumlckbleibtldquo ndash somit ferner bdquonur wer
Geschichtemacht vermag sie auch zu errettenldquo71 Das oben mit Meyer und Schulz-
69 GA 96 S 4670 GA 94 S 26771 GA 94 S 358f
Dass die Besinnung eine militante Perspektive hat laumlszligt sich auch in Heideggers Vereh-rung Heraklits ldquoDer Krieg ist der Vater aller Dingerdquo finden Heidegger sah sich selbst alsDenker als Propheten des Seins Aus dieser Warte betrachetete er zuerst den Nationalsozia-
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Nieswandt bereits aufgezeigte Bereiten des Goumlttlichen legt Heidegger in seinen
Begriff der Geschichte
Geschichte ndash das Gewagtwerden der Goumltter nur Groszlig als Untergang oderSieg ndash nicht Dauerlsquo wesentlich ndash sondern die Abgruumlndigkeit der Erstrei-tung ndash Opfer und Weile
Historie ist bei Heidegger bdquogeschichtliche Entwurzelungldquo die bdquoTyrannei der
Technikldquo bdquoSelbstvergoumltterungldquo und bdquoAbgoumltterei der Technikldquo72 In einer skizzen-
haften Emanationsfolge wird dieHistorie als Modus der Technik auf sich selbst zu-
ruumlckgefuumlhrt bdquoDas Riesige ndash [] Historie die Technik der Geschichtelsquo Technik
Die Historie der Naturldquolsquo73 Es ist vage annehmbar dass Heidegger hier die Tech-
nik als rechenhafte machenschaftliche Historisierung der Natur versteht die vor
dem Geschichtsbegriff stattgefunden haumltte Diese wiederum haumltte die Geschichte
in die rechenhafte Machenschaft verfremdet Wie ein Apparat erscheint Heidegger
der Gegenstand seiner Historie zu sein die sich automatisch durchsetzen wuumlrde
Die Historie stellt zunaumlchst das Nacheinander der Begebenheiten dessenwas vorbeizieht (passiertlsquo) her [] Sie erklaumlrt dann Spaumlteres aus dem Fruuml-heren sie findet sogar dass Ideen die Geschichtelsquo bestimmen74
Den historisierend narrativen Umgang mit Geschichte als Wissenschaft emp-
findet Heidegger als Technisierung derGeschichte Diese wiederum basiert auf den
statischen Topoi seiner Mythen von Vaterland Bauerntum Houmllderlin alten Grie-
chen den Goumlttern etc und der Anwendung des Aletheia-Prinzips im Ereignis
Das ist ein Tugendenkatalog der Deutschtuumlmelei mit einer paumldagogischen Kom-
ponente seine Mythologie im Aletheia-Prinzip zu praktizieren Er nennt dieses
Geschaumlft auch Denken und ahnt dessen Feinde bdquodie Forscher die in der Technik
ihres Arbeitens keine Reibung dulden und ihr Wissen fuumlr den Geist haltenldquo75
lismus und nach dem Krieg den real existierenden Sozialismus des Ostblocks im Zuge deratomaren Aufruumlstung als Vollstrecker Macher der Geschichte die den neuen Anfang ebnensollten Dass Heidegger diese bdquoklaumlrendeldquo Wirkung tatsaumlchlich spaumlter den Russen zuschreibtlaumlszligt sich in Band 97 der GA zweifelsohne nachvollziehen Hier kann aus Gattungsgruumlnden(BA-Thesis) nicht naumlher auf dieses Faible fuumlr absolutistische Regime eingegangen werden Je-denfalls ist die geschichtliche Besinnung und der Kriegsakt ein Widerspruch den Heideggerjedoch gleichsam adressiert Auch dies kann hier nicht weiter untersucht werden
72 GA 9473 GA 95 S 35174 GA 96 S 6275 GA 97 S 509
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Insofern verschraumlnkt Heidegger das bdquohistorisch-technischeldquo zum Antagonis-
ten der bdquogeschichtlichen Besinnungldquo Es ist die Entwicklung einer historisch-
geschichtlichen Differenz unter dem Zeichen der Besinnung gegen die techni-
sche Machenschaft ndash es geht um zwei unterschiedliche Wissenssysteme76 In den
Schwarzen Heftenwird Technikmeistens als eine Seite der Muumlnze mit der anderen
der Historie genannt Sie haumltten eine schon angedeutete dualistische Dynamik
Wo beide Historie und Technik in solcher scheinbaren Gegensaumltzlichkeitverkoppelt sind koumlnnen sie sich zur Foumlrderung dessen zusammenschlieszligenwas einstmals wesentliche die Geschichte des Menschen mitbegruumlndet undwas wir die Kunstlsquo nennen Die Historie verschafft [] Anregungen undVorbilder der Nachahmung die Technik erleichtert [] die Zustellung vonDarstellungsmitteln und Wirkungsformen [] Gleichwohl ist alles wurzel-los [] berechnet und als Erlebnislsquo ausgegeben77
Diese vermeintliche Gefahr muumlnde als bdquoZuumlgellosigkeit des Historismusldquolsquo in der
bdquoBodenlosigkeit [] (das Judentum)ldquo78 Heideggers Mythos ist hier dieser bdquoWir
muumlssen zuvor geschichtlich sein [] Ohne diese uumlberlieferung verfaumlllt alles der
historisch-technischen Machenschaftldquo79
Heidegger mythologisiert uumlber den bdquoAuftrag des Deutschenldquo80 will in bdquoge-
schichtlicher Besinnung sehr weit zuruumlckgehen ndash auf den Zusammenhang von
τέχνη ἀλήθεια und οὐσίαldquo81 um Technik auf ihr Wesen im antiken Ursprung
zuruumlckzufuumlhren bdquoDie techne hat [] den Sieg uumlber die [] aletheia errungenldquo82
Heidegger will sie zuruumlckgewinnen Er will der Technik aus dem bdquoEreignisldquo83
wieder uumlbermaumlchtig werden und sieht das bdquoWesen des Vaterlandesldquo84 im Abend-
land Dabei ist es ihm unentbehrlich zu wissen bdquodaszlig das Griechentum [] und
76 Heideggers noch immer vorhande Rezeption in Puncto seiner Technikphilosophie erstauntdamit dass sein Prinzip der aletheiologischen Besinnung als alternatives Wissenssystem undTechnikkritik ob der eigenwilligen Konstruktion den Entwicklungen der Zeit standhaumllt
77 GA 95 S 21278 GA 95 S 9779 GA 96 S 10480 GA 94 S 6681 GA 94 S 35782 GA 95 S 13283 Ebd84 GA 96 S 52
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nicht das Roumlmertum der Grund der Geschichte des Abendlandes istldquo85 Sein My-
thos von Heimat verknuumlpft sich uumlber Dichtung und Ereignis zu einem fuumlr die
Technikphilosophie essentiellen Bezugs-Topos
Wir brauchen keine Technik [] Das Wesen des Vaterlandes ist das Abend-land In ihm werden die Deutschen erst deutsch und erkennen die Muttervon Allem die unversehrte Erde [] Die Wahrheit erfahren wir im Ge-daumlchtnis Das Gedaumlchtnis ist die Dichtung Die Dichtung sagen der Denkerund Saumlnger in ihrem Gespraumlch Dieses Gespraumlch erst ereignet dichterisch dieDichtung in die Sprache (die Dichtung das Ereignis und das Ereignis dasAbendland) [] Wohnt in seiner Sprache [] seyd dem Seyn im Seyn Soist Sein das Seyn86
Eine weitere mythologische Form haben seine Fuumlgungen von Jahreszahlen
womit er bereits in den Bereich des Okkulten Mystischen abzurutschen droht
Houmllderlin wurde [] 1770 geboren [] 1870 aber Lenin Waumlhrend der []Lebenszeit Houmllderlins vollzogen sich die entscheidenden technischen Entde-ckungen und Erfindungen der neuzeitlichen Technik (1774ndash1806)87
Und ferner bdquo1807 Phaumlnomenologie des Geistes 1867 Das Kapital 1927 Sein
und Zeitldquo88
Als letzter Mythos sei hier sein Aufgriff der Spenglerschen Metapher des
Raubtiers89 aufgezeigt Uumlber weite Strecken philosophiert Heidegger uumlber das his-
torische Tier Das historische Tier muumlsse vernichtet werden die bdquodeutsche Zukunft
wirdlsquo nicht erst seinlsquo sie istlsquo schon seit Houmllderlin sie stifteteldquo90 Der Homo
faber ist fuumlr Heidegger das historisch-technische Tier qua der bdquoAngewiesenheit auf
das Tierhafte als Wesensgrundldquo91 Es fehle ihm was bdquodie Griechen als Anfangen-
deldquo mit der bdquoZugewiesenheit des Menschen zum Sein gewagt habenldquo92 wodurch
85 GA 96 S 20586 GA 97 S 52f Hierbei handelt es sich um eine Nachkriegsnotiz Heidegger aumlnderte den die
Adressierung in eine direkte Ansprache richtet sich an seine imaginierte Volksgemeinschaft87 GA 96 S 17488 GA 97 S 131 Womoumlglich ist es eine Uumlbung per Jahreszahlen das Aletheia-Prinzip zu prakti-
zieren eine Kontemplationshilfe Andererseits koumlnnte er auch der Regelmaumlszligigkeit der Zah-lenfolgen eine uumlbernatuumlrliche bdquoWahrheitldquo beimessen Dies bleibt an dieser Stelle unerforscht
89 VGl Spengler Oswald Der Mensch und die Technik Muumlnchen 1931 S 1090 GA 95 S 19791 GA 95 S 32092 GA 95 S 321
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er den bdquoGoumlttern unertraumlglich gewordenldquo93 waumlre Das bdquoRaubtierldquo dem gegenuumlber
bdquoist die Urform des Heldenlsquoldquo94 Dann behauptet Heidegger dass das Raubtier das
historisch-technische Tier durch Anwendung seiner eigenen Waffen schlagen koumlnn-
te Es ist dabei die bdquoUumlberwindung der Metaphysikldquo mitgedacht die erfolge sobald
sich das metaphysische Fragen durch den Wille zum Willen verfestigt95 Auch
Spengler dachte an dieses Derivat des Nietzsche Topos vomWillen zur Macht das
er seiner antropomorphen Chimaumlre vom Raubtiermenschen eingibt Wieder ist
von der Gewalt die Rede die ein Tabula rasa schaffen sollte zur Wiederauferste-
hung des griechisch-abendlaumlndischen Anfangs in Deutschland bdquoDas Raubtier aber
mit denMitteln der houmlchsten Technik ausgestattet ndash vollendet die Verwirklichung
der brutalitas des Seinsldquo96
Es scheint so als haumltte Heidegger auf jeden Begriff einen Gegenbegriff (selbst
zum historisch-technischen Tier das Raubtier)97 Aber es geht hier nicht um die
Analyse ausgewogener Formprinzipien oder die Kritisierung seiner linguistischen
philologischen Faumlhigkeiten Die Zitierung der Heideggerschen Mythologie soll
seine Verbindung von voumllkisch-nationaler und antisemitischer Haltung mit den
Bedingungen und Anspruumlchen seines Philosophierens aufzeigen Da die Schwar-
zen Hefte wie alle sonstigen Werke seines philosophischen Schaffens in der GA
erschienen sind muumlssen sie insofern als Teil derer gelten Das bedeutet dass sie
ausreichend Relevanz fuumlr die Arbeiten uumlber die Technik haben98
93 GA 95 S 23694 GA 95 S 39795 Vgl GA 7 Uumlberwindung der Metaphysik S 7896 GA 95 S 39797 Vgl Rudolph Heideggers Schwarze Hefte im Echo S 151 bdquoKeiner hat Nietzsche so konse-
quent und wahnwitzig zumNazi avant la lettre verformt wie Heidegger und keiner hat einenzuvor gewaltsam gefuumlgig gemachten Nietzsche so konsequent instrumentalisiert um damitdie vulgaumlr- nationalistische Dekadenz im Sandwich zu geiszligeln wie Heidegger Die Philolo-gie ndash auch die klassische ndash (Colli Cancik Montinari) hat Nietzsche inzwischen laumlngst mitnachhaltigem Erfolg rehabilitiert Wer jetzt noch einen roten Faden von Nietzsche zu Hitlerzieht hat nur noch Heidegger auf seiner Seiteldquo
98 Zum Abschluss dieses Kapitels sei hinzugesagt dass der Veranschlagung der Beispiele vonHeideggers Mythologie ein Exzerpt von 13 Seiten aus 1700 Seiten Text der vier Baumlnde derSchwarzen Hefte zugrunde liegt Beim Studium dieser fielen die staumlndigen Repetitionen derimmer gleichen Figuren und Metaphern auf Daraus wurde geschlossen dass es sich um eineMythologie handeln kann was ein weiteres Forschen bestaumltigte Die hier zitierten Stellensind Topoi die sich in Huumllle und Fuumllle in jedem der vier Baumlnde finden lassen was ihrenmythischen Charakter unterstreicht Die Auswahl versucht ein besonders charakteristischesBild wiederzugeben
24
3 Heideggers mythopoetische
Technik
War Heidegger von seinem neuen Anfang nur zu traumlumen vergoumlnnt so gelang
ihm selbst aber die Wiederauferstehung aus der Asche des ZweitenWeltkriegs mit
der Vortragsreihe in Bremen (1949) uumlber die Technik Der Phoumlnix erweist sich
mittlerweile als Ikarus Anstatt sich selbst zu revidieren fordert Heidegger eine
Kehre ein die auf sein Programm der geschichtlichen Besinnung zum Ursprung ab-
zielt Rezipienten seiner Technikphilosophie taten zumeist seine voumllkischen und
nationalsozialistischen Verstrickungen mit der Niederlegung des Rektorats ab99
Sie glaubten an einen inneren Wandel Heideggers eine Laumluterung und sogar an
seinen geistigen Widerstand uumlber die Naziherrschaft hinweg100 Heute ist erwie-
sen wie Heidegger es aus seinem posthumen Gestaumlndnis in die Welt lecken laumlsst
dass er auf seine private Weise eine Form Nationalsozialismus hegte der die NS-
DAP und Hitler zwar als Vulgaumlrnazis kulturell degradierte aber sich selbst als
Denker-Nazi gerierte
Wie damit umzugehen ist steht aktuell in der Verhandlung Wie Rudolph es
behauptet stuumlnden die Heideggerianer bdquonun mit wertlosen Aktienldquo101 da Der
Kommunikationswissenschaftler Christian Fuchs sieht den Antisemitismus den
die Schwarzen Hefte zutage treten lassen als Notwendigkeit einer rigorosen Ver-
bannung Heideggers aus der technikphilosophischen Theorie102
99 Vgl Luckner Andreas Heidegger und das Denken der Technik Bielefeld 2008 S 64-69100 Vgl Babich Babette Nietzsche Heideggers Widerstand In Alfred Denker u Holger Zabo-
rowski (Hg) Heidegger-Jahrbuch 5 Heidegger und der Nationalsozialismus II Interpreta-tionen S 397-416
101 Rudolph Heideggers Schwarze Hefte im Echo S 146102 Vgl Fuchs Christian Martin-Heideggerrsquos anti-Semitism Philosophy of technology and the
media in the light of the ldquoBlack Notebooksldquo Implications for the reception of Heidegger inmedia and communication studies In tripleC Communication Capitalism amp Critique 13(1) (2015) S 55-78 hier S 74 Anstatt dessen pocht Fuchs auf die alternative Verwendungder Kritischen Theorie uumlber Fragestellungen zur Technik
25
It seems to me that Heideggerrsquos fetishism is often lrsquoart pour lrsquoart Heideg-ger pour Heidegger a tactic that aims at creating an aura of complexity byevoking Heidegger although the same content could be expressed withouthim103
Fuumlr Trawny waumlre dies ein bdquoperformativer Widerspruch [] stets daran zu erin-
nern Heidegger vergessen zu sollenldquo104 Quo vadis Heidegger
Die objektive Antwort Rudolphs der an den Commonsense und die Beweis-
last der Anklage glaubt wie auch der subjektive Appell Fuchs der es zur mora-
lischen Entscheidung des Einzelnen macht Heidegger zu vernachlaumlssigen setzen
aktuell die Jahrzehnte alte Tradition der Heidegger-Kontroverse fort Ein im Sep-
tember 2016 erscheinender Sammelband wird zusaumltzlich die Debatte mit neuen
Bewertungen anreichern105
In diesem Kapitel soll es nicht um die direkte Einreihung in eine der bestehen-
den Polemiken gehen sondern um den Versuch der Betrachtung der spaumlten Tech-
nikphilosophie Heideggers als mythopoetische Dichtung in seinem Sinne des
Philosophierens Als exemplarisches Werk ruumlckt damit das Vortrags-Geviert der
Bremer Vortraumlge ins Zentrum der Anschauung106 Hier wird davon ausgegangen
103 Ebd S 73104 Trawny Heidegger und der Mythos der juumldischen Weltverschwoumlrung S 141105 Heinz Marion und Kellerer Sidonie (Hg) Martin Heideggers raquoSchwarze Heftelaquo Eine
philosophisch-politische Debatte Berlin 2016 (im Druck) Aus dem Klappentext diesesTitelsbdquoOffene antisemitische Aumluszligerungen in diesen Denktagebuumlchern haben in der nichtakade-
mischen Oumlffentlichkeit fuumlr Empoumlrung gesorgt Die entscheidende Frage ist jedoch welcheVeraumlnderungen der Perspektive auf Heideggers Denken insgesamt sich dadurch ergebenund ob damit zugleich eine Neubewertung des Gesamtwerks eines der einflussreichstenPhilosophen des 20 Jahrhunderts noumltig istldquoEine der Herausgeberinnen des Bandes Sidonie Kellerer ist zudem an einem anlaufenden
fuumlnf jaumlhrigen Forschungsprojekt an der Universitaumlt Stuttgart im Rahmen des StuttgartResearch Centre for Text Studies beteiligt Heidegger und die Postmoderne Geschichteeiner Irrefuumlhrungiquest Sie und der Stuttgarter Literaturwissenschaftler Claus Zittel werden Hei-deggers ideologische Verstrickungen in den Nationalsozialismus untersuchen die textlichrekonstruierbar aber nachtraumlglich geklittet worden waumlren bdquoSo konnte die Wissenschaft-lerin Dr Sidonie Kellerer anhand des Vortrages Die Zeit des Weltbildeslsquo erstmals 1950veroumlffentlicht [sic] dass zahlreiche Passagen nachtraumlglich so modifiziert wurden dass dieurspruumlngliche Apologie des Nationalsozialismus nunmehr als Kritik am Regime gedeutetwerden konnte Die 2014 erschienenen Schwarzen Heftersquo mit persoumlnlichen AufzeichnungenHeideggers bestaumltigen zudem wie tief verankert in seiner Philosophie Rassismus undNationalsozialismus waren und bliebenldquo(httpwwwuni-stuttgartdehkompresseservicepressemitteilungen201567_kellererhtmlzuletzt abgerufen am 1442016)
106 Von einer umfassenderen Analyse der Schriften Heideggers zur Technik muss aus Platzgruumln-den abgesehen werden Die Voumlrtraumlge vom Ge-stell der Technik der Kehre und dem Dingsind vor allem wegen ihres Publikationszeitraums interessant da sie direkt an die Dokumen-
26
dass Heidegger den Versuch der abgrenzungspolitischen Einflussnahmemacht ge-
maumlszlig der oben dargelegten Ressentiments die sich in einer Mythologisierung des
Abendlandes niederschlagen Um seinem Ideal des dichtenden Denkens als Philo-
sophieren nachzukommen will Heidegger diese Einschreibung des Abendlandes
mythopoetisch vollfuumlhren
Grundsaumltzlich ist Verbindung und Trennung Heideggers boumlser Schwarzer Hef-
te mit und von seiner guten Technikphilosophie das Schlachtfeld aktueller De-
batten Wie bereits darauf hingewiesen werden hier Schwarze Hefte und Veroumlf-
fentlichungen wie eben in Form der Bremer Vortraumlge als ein kontinuierlicher
Arbeitsprozess gesehen Es gibt insofern nur einen Heidegger und keine gespal-
tene Persoumlnlichkeit Die Siegener Philosophin Sodonie Kellerer stellt dies anhand
Heideggers Selbstsicht luzide dar
Seine immer wiederkehrende Beschwoumlrung des Werkeslsquo und seine an diver-sen Stellen der bislang vorliegenden Briefkorrespondenz artikulierten Be-muumlhungen dieses Werklsquo fuumlr die Nachwelt zu sichern [Kellerer bezieht sichhier ua auf Heideggers Briefwechsel mit seiner Frau der 2007 veroumlffentlichtwurde DS] verdeutlichen wie sehr er seine Texte als ein Ganzes verstandin dem keines der Teile entbehrliche Wiederholung geschweige denn irrele-vante Eroumlrterung ist107
Dabei allerdings wird die Frage offen bleiben mit welchem Maszlig er sich selbst ge-
faumlhrdet sah seine Ansichten oumlffentlich zu vertreten und welche Konsequenzen er
dabei fuumlrchtete Denn er musste die Vortraumlge kodieren ndash was er im Sinne der My-
thopoetik auch macht ndash und mit Einigem hinterm Berg halten108 Dass es dabei
verschiedene Offenbarungsebenen gibt wird hier erst einmal hingenommen Es
interessieren staumlrker nachweisbare Bezuumlge des Entwurfsdenkens Heideggers zur
Oumlffentlichkeitsarbeit von ihm109
te der Schwarzen Hefte anschlieszligen (1948 der letzte Band der Schwarzen Hefte umfasst denZeitraum 1942-1948)
107 Kellerer Sidonie Kampf der Besinnung In Deutsche Zeitschrift fuumlr Philosophie Band 63Heft 5 Seiten 941ndash957 hier S 942
108 Weshalb die Veroumlffentlichung der Schwarzen Hefte auch weitestmoumlglich nach hinten verlegtwurde
109 Wuumlrde man dem entgegenhalten dass Heideggers vermeintliches Genie aus Formalisierun-gen seiner Gedanken ableitbar eine wichtige Quelle an sich bliebe scheitert dieses damitdass nun die Formalisierungen nicht personenneutral sozial-epistemologisch bestehen koumln-nen Als Vergleich wuumlrde man aus Hitlers und Goumlbbels Reden Formalisierungen isolierenlieszlige sich bestimmt die eine oder andere plausible Idee entwenden (wenn sie voumlllig dekon-
27
Hierzu wird der Text der gesamten vier Vortraumlge unter dem Titel Einblick
in das was ist Bremer Vortraumlge 1949lsquo110 aus dem 1994 veroumlffentlichten 79 Band
der GA zugrunde gelegt Das hat den Grund dass davon ausgegangen wird dass
der Text somit am naumlchsten an den 1949 tatsaumlchlich vorgetragenen Manuskripten
liegt Insofern ist eine realistische Annaumlherung an eine mythopoetische Uumlbertra-
gung der Schwarzen Hefte in die Bremer Vortraumlge 1949 das Ziel Demgegenuumlber
gibt es ob der virulenten Publikationspraxis von Heideggers Schriften111 noch
andere Auskopplungen der vier Vortraumlgsteile mit den Titeln Das Dinglsquo Das Ge-
Stelllsquo Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo
31 Zur Publikationsgeschichte von den
Bremer Vortraumlgen 1949
Zuerst erschien 1954 im Neske-Verlag (Pfullingen) ein Sammelband der lediglich
den ersten Vortrag Das Dinglsquo enthaumllt allerdings in leicht erweiterter Fassung
so wie er ein halbes Jahr nach dem Bremer Auftritt in Muumlnchen (1950) an der
Akademie der Schoumlnen Kuumlnste gehalten wurde112 Dem Band hinzugefuumlgt ist aber
zudem ein Vortrag der vornehmlich die Kernaussagen von Das Ge-Stelllsquo und
Die Gefahrlsquo verbindet allerdings in modifizierter Form Dieser wurde unter dem
textualisiert wuumlrde) Ist aber die wahre Verbindung zu Hitler und Goumlbbels hergestellt hatman selbstverstaumldlich die Verantwortung zu tragen an dem ganzen Tross von unmoumlglichenVerfehlungen dieser Menschen die sie fuumlr uns zu Personae non gratae stempeln muumlssen
110 GA 79111 Hierauf macht auch der Darmstaumldter Philosoph Gernot Boumlhme aufmerksam als Akt ei-
ner bdquoposthumen Selbstinszenierungldquo in Boumlhme Gernot Selbstinszenierung uumlber Ruhmin der Philosophie In Information Philosophie (Online Ausgabe 12015) URL=lthttpwwwinformation-philosophiedea=1ampt=8232ampn=2ampy=5ampc=29gt zuletzt ab-gerufen am 2442016)
112 Heidegger Martin Das Ding In Ders Vortraumlge und Aufsaumltze Pfullingen 1954 S 163ff
28
Titel Die Frage nach der Techniklsquo113 am 18 November 1953 an der TUMuumlnchen
gehalten
Eine weitere Auskopplung diesmal des letzten Vortragsteils Die Kehrelsquo fin-
det sich in einem broschuumlrenformatigen Band wiederum im Zusammenspiel mit
dem Vortrag Die Frage nach der Techniklsquo in Die Technik und die Kehrelsquo114 von
1962 wieder Somit wurden die Vortraumlge Das Ge-Stelllsquo und Die Gefahrlsquo lange
Zeit nicht veroumlffentlicht sondern als vermischter und modifizierter Text eben
Die Frage nach der Techniklsquo jeweils zusammen mit Das Dinglsquo (1954) und Die
Kehrelsquo (1962) angeboten115 In der Vorbemerkung zu Die Technik und die Keh-
relsquo wird diese kleine Chronologie leicht verfaumllscht auch aufgezeigt Darin heiszligt
es ferner dass Die Frage nach der Techniklsquo eine erweiterte Fassung von Das Ge-
Stelllsquo waumlre Dem ist wie schon gesagt nicht so Sondern es ist eine modifizierte
Vermischung von Das Ge-Stelllsquo und Die Gefahrlsquo was unschwer zB am Begriff
vom bdquoHer-vor-bringenldquo116 zu erkennen ist der in Die Gefahrlsquo eingefuumlhrt wird
und in Die Frage nach der Techniklsquo die gleiche Bedeutungskonstituente bildet
Mit der Veroumlffentlichung des 79 Bandes der GA 1994 wurden alle vier Bremer
Vortraumlge von 1949 publiziert In Band 11 der GA erschien 2006 auszligerdem Die
Kehrelsquo in ihrer urspruumlnglichen Fassung Die Frage nach der Techniklsquo enthaumllt
weniger mythopoetische Teile als Das Dinglsquo und operiert demgegenuumlber staumlrker
anhand klassisch philosophischer Allgemeinplaumltze Derer sind vor allem zu nen-
113 Heidegger Martin Die Frage nach der Technik In Ders Vortraumlge und Aufsaumltze Pfullingen1954 S 9ff (Der Aufsatz erschien ebenfalls 1954 im Sammelband der Vortragsreihe DieKuumlnste im technischen Zeitalter Heidegger Martin Die Frage nach der Technik In DieKuumlnste im technischen Zeitalter Dritte Folge des Jahrbuchs Gestalt und Gedanke Hg v dBayrischen Akademie der Schoumlnen Kuumlnste Muumlnchen 1954 S 70ff)
114 Heidegger Martin Die Technik und die Kehre Pfullingen 1962115 Beide Baumlnde Votraumlge und Aufsaumltzersquo sowie Die Technik und die Kehrersquo haben hohe Aufla-
genzahlen (Uumlbersetzungen wurden hier nicht recherchiert wobei es aber eine internationa-le Heidegger-Rezeption gibt) 1993 wurde der Pfullinger Neske-Verlag von dem StuttgarterHaus Klett-Cotta uumlbernommen was die Buumlcher aber unveraumlndert belaumlsst Vortraumlge und Auf-saumltzelsquo zaumlhlt seit 2009 die 11 Auflage Die Technik und die Kehrelsquo seit 2014 die 13 BeideBaumlnde sind vergriffen Es mutet unverstaumlndig an weshalb eine fehlerhafte Jahresangabe ausder ersten Veroumlffentlichung von Die Technik und die Kehrelsquo bis 2014 kolportiert wurdeDort steht der Vortrag Die Frage nach der Techniklsquo waumlre am 18 November 1955 gehaltenworden Der Vortragstermin war aber am 18 November 1953
116 Vgl GA 79 S 64 Und Heidegger Die Technik und die Kehre S 11
29
nen die Auflistung der bdquovier Ursachenldquo117 nach Aristoteles und die Kritik an der
Technik als bdquoein Mittel zu Zweckenldquo118 (Kausalitaumlt)119
Der Vortrag Das Dinglsquo galt Heidegger bei der Darbietung seiner Technikphi-
losophie nach dem Zweiten Weltkrieg allerdings als unentbehrlich ndash und damit
seine groszligflaumlchige Aufblaumltterung der Mythopoetik wie im folgenden Kapitel hier
gezeigt wird Denn im Vortrag Die Frage nach der Techniklsquo benutzt Heideg-
ger noch immer seinen mythopoetischen Topos vom Versammeln des Gebirges
der mit dem Versammeln eine Konstituente des Gevierts ist (bdquoErde und Himmel
die Goumlttlichen und die Sterblichenldquo120) (su)121 Fuumlr die Kaumlufer und Leser von
der spaumlteren Veroumlffentlichung Die Technik und die Kehrelsquo wird zudem in Die
Kehrelsquo extra auf den Vortrag Das Dinglsquo in der 1954er Ausgabe in Vortraumlge und
Aufsaumltzelsquo verwiesen122 Das zeigt wie wichtig und unerlaumlsslich Heidegger seine
mythopoetische Denkweise der Technik ist Auch wenn er in Die Frage nach der
Techniklsquo einen allgemeineren und offeneren Ansatz entwickelt hat der dadurch
auch leichter zu erschlieszligen ist
32 Die mythopoetische Spiegelung der Schwarzen
Hefte in den Bremer Vortraumlgen von 1949
321 Das Dinglsquo
In dem Vortrag Das Dinglsquo der 1949 vor dem privaten Club zu Bremen dort im
Neuen Rathaus das Vortragsquartett einleitete fuumlgt Heidegger mythopoetisch
zusammen was folgenden Topoi seiner Schwarzen Hefte aus Kap 221 entspricht
117 Heidegger Die Technik und die Kehre S 6118 Ebd S 6119 Diese Topoi versucht Heidegger in dem Text zu zersetzen und ihnen ein aletheisches Prin-
zip des Entbergens der Technik entgegenzusetzen Dies erfolgt wiederum auch anhand derVerwendung von mythopoetischen Teilen Darauf kann hier aber nicht weiter eingegangenwerdenAls weitere Gemeinsplaumltze (die er teils unterstuumltzend teils zur Zersetzung einfuumlgt) handelt
der Text auch mit Zitaten von Platon Heisenberg J P Hebel und Goethe120 Ebd S 12121 Vgl GA 79 S 11 Und Heidegger Die Technik und die Kehre S 19122 Vgl Heidegger Die Technik und die Kehre S 42f
30
1 die antirationale Wissenschaftsfeindlichkeit 2 der Mythos des Goumlttlichen 3
das Griechentum uumlber dem Roumlmertum 4 die Zahlenmystik (anhand des Spiegel-
Spiels des Gevierts ndash su) 5 das geschichtsbesinnliche Prinzip der Aletheia
Heidegger stellt zuerst die Frage nach dem Ding und will sie daraufhin ver-
anschaulichen mittels der Metapher des Kruges dh mit dem Krug als ein exem-
plarisches Ding Er fuumlhrt dann vor (was der Geste eines Zauberkuumlnstlers aumlhnelt)
wie der leere Krug gefuumlllt wird ndash Luft weicht der Fluumlssigkeit Dieses Sachverhaumllt-
nis aber ist fuumlr ihn Halbpoesie und eine Angabe aus der Physik sie verfehle das
vermeintliche Wesen des Kruges
Die Wissenschaft stellt durch sie [die Angabe der Physik DS] etwas Wirk-liches vor wonach sie sich objektiv richtet Aber ndash ist dieses Wirkliche derKrug Nein DieWissenschaft trifft immer nur auf das was ihre Art des Vor-stellens im vorhinein als den fuumlr sie moumlglichen Gegenstand zugelassen hat[] Die Wissenschaft macht das Krug-Ding zu etwas Nichtigem insofernsie Dinge nicht als das Maszliggebende zulaumlszligt123
Als ein wirkmaumlchtiges Beispiel das ihm sicherlich viel Beachtung uumlber die
Jahrzehnte seit ihrer Zuumlndung in Japan hinweg einbrachte fuumlhrt Heidegger die
Atombombe an Diese sei zu verstehen als verdinglichte Wissenschaft die das
Ding vernichten wuumlrde
Deren Explosion ist nur die groumlbste aller groben Bestaumltigungen der langherschon geschehenen Vernichtung des Dinges dessen daszlig das Ding als Dingnichtig bleibt124
Er buumlndelt damit Wissenschaft und Verkennung des Wesens als maszliggebend mit
dem Ding als sein machenschaftliches Prinzip der zerrechnenden Zerstoumlrung Drei
Jahre nach Kriegsende war der buumlrgerlich-elitaumlre Kreis in Bremen sicherlich be-
wegt von dieser Wortgewalt Diese jedoch suchte ja ihr Heim Harmonie Ruhe
in dem Haus als Wesen der Sprache
Und so faumlhrt Heidegger fort und ersetzt das physikalische Prinzip des Inhalts-
wechsels von Luft zu Wein in ein bdquoGeschenk des Gussesldquo als Spende und Opfer
den Goumlttern (2)125
123 GA 79 S 8124 Ebd S 9125 Vgl Ebd S 11f
31
Der Guszlig ist der den unsterblichen Goumlttern gespendete Trank [] Der ge-weihte Trank ist das was das Wort Guszliglsquo eigentlich nennt Spende und Op-fer Guszliglsquo gieszligenlsquo lautet griechisch χέειν indogermanisch ghu Das bedeu-tet opfern
Hier spielt bereits der Ursprungsmythos der Griechenmit ein (3) es ist aber auch
ein Bezug auf das Geviert Dieses waumlre ein System ein zusammen Gestelltes aus
bdquoErde und Himmel die Goumlttlichen und die Sterblichenldquo126 Im Guszlig des Trunkes
weilten gemeinsam diese Vier als emblematische Verbindung
Das im Geschenk Versammelte sammelt sich selbst darin das Geviert ereig-net zu verweilen Dieses vielfaumlltig einfache Versammeln ist das Wesen desKruges Unsere Sprache nennt was Versammlung ist in einem alten WortDies lautet thing127
Das Geviert zehrt von der Zahlenmystik zum einen als die Versammlung der
vier Begriffe an sich zum anderen da Heidegger ihnen eine Spiegel-Funktion
zuschreibt bdquoJedes der Vier spiegelt in seiner Weise das Wesen der uumlbrigen wie-
derldquo128 und ferner weil er damit auf sich selbst dh auf sein Vortrags-Geviert
verweist (4) Wie in Kap 21 schon gesagt lebt der Mythos von seiner Verbind-
lichkeit Diese legt Heidegger allen nah die sie verinnerlichen wollen bdquoSagen wir
die Sterblichen dann denken wir falls wir denken die anderen Drei mit aus der
Einfalt der Vierldquo129
Sollte der Vollzug der Praxis des sukzessiven Mitdenkens aller vier Geviert-
Entitaumlten gelingen koumlnnte das Ereignis der Aletheia begriffen werden (5) bdquoDas
Spiegel-Spiel von Welt ist der Reigen des Ereignensldquo130 Diese wird aber auch be-
griffen in Abgrenzung von dem Roumlmertum (3) denn in der bdquorealitas der resldquo
haumltten die Roumlmer bdquoihr Erfahrenes niemals eigens in seinem Wesen gedachtldquo131
Das waumlre den Griechen vorzubehalten und vom verstaumlndig denkenden Deutschen
wiederzubeleben
126 Ebd S 12127 Ebd S 13128 Ebd S 18129 Ebd130 Ebd S 19131 Ebd S 15
32
Der Krug ist ein Ding weder im Sinne der roumlmisch gemeinten res noch imSinne des mittelalterlich vorgestellten ens noch gar im Sinne des neuzeitlichvorgestellten Gegenstandes [] Der Krug ist Ding insofern er dingt132
Die Bindung an das deutsche Wort bdquoDingldquo das er spielerisch auch ins Englische
Romanische und Franzoumlsische uumlbersetzt ist unerlaumlsslich fuumlr seine ethymologi-
sche Argumentation In der ist der bdquoGuszligldquo ruumlckgefuumlhrt auf indogermanisch bdquoghuldquo
und das bdquoDingldquo auf das mittelhochdeutsche bdquothingldquo So konnten antik die Roumlmer
von den Griechen abgrenzt werden und modern die anderen drei Sprachen vom
Deutschen Das englische sich sehr nah am bdquothingldquo befindliche bdquothingldquo wird mit
dem Roumlmischen ausgespielt
Im Englischen hat thing noch die erfuumlllte Nennkraft des roumlmischen Wor-tes res bewahrt [] dh ein aus sich kommendes den Menschen Angehen-des133
Fuumlr Heidegger geht es beim bdquothingldquo aber um die mittelhochdeutsche Uumlbersetzung
der Versammlung Darauf beruht sein gesamter Systemansatz mit Geviert und
Ge-stell
Schulz-Nieswandt fuumlhrt diese Zusammenstellung zum Bejubeln von Heideg-
gers Mythopoetik
So fundamental sieht Heidegger die Welt Die Quelle des Wassers wird zurHochzeit von Himmel und Erde das Gieszligen des Wassers aus dem Krugzum Geschenk Auch Sprache ist daher kein Instrument sondern Ort desWohnens des Menschen Sprache wird zum Haus des Seinslsquo134
Hier bestaumltigt die Untersuchung des Ding-Vortrags die These von einer mytho-
poetischen Einschreibung der nationalistischen voumllkischen Abgrenzungs-Mythologie
aus den Schwarzen Heften
322 Das Ge-Stelllsquo
Der zweite Vortrag des Reden-Gevierts setzt ein mit der Metapher des fehlen-
den Abstands Wo kein Abstand sei da waumlre auch keine Naumlhe so Heidegger Er
132 Ebd S 16133 Ebd S 14134 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei Walter
F Otto S 59
33
verbindet die Abstandslosigkeit mit Urbanitaumlt und Verkehr alles fluktuiere Es
waumlre der Bestand der sich bestelle in dem das Abstandlose herrsche Das sind
neue Metaphern fuumlr die Machenschaft In seiner Erzaumlhlung vom Ge-Stell gibt es
bedeutend weniger mythopoetische Passagen als in dem vorangegangenen Vor-
trag Allerdings uumlbertraumlgt er den mythopoetischen Gehalt der Rede vom Ding
bereits im ersten Absatz von Das Ge-Stelllsquo mit dem Credo bdquoNaumlhe west insofern
das Ding dingtldquo135 Mit dieser Verbindung wird klar unter welchem Zeichen Hei-
degger die Rede vom Ge-Stell verstanden wissen will ndash als verlorenes Verhaumlltnis
des voumllkisch-traditionell verwurzelten Menschen mit den vermeintlichen Wesen
all seiner Gebrauchsobjekte in der mythopoetischen Formel des sich spiegelnden
Gevierts
Nahezu nuumlchtern erzaumlhlt Heidegger dann von dem Gefaumlngnis des Menschen
im Wesen der zirkulierenden sich immer neu bestellenden Bestandstechnik des
Ge-Stells Dabei scheinen folgende Mythen aus den Schwarzen Heften hindurch ndash
1 bdquoHistorie die Technik der Geschichtelsquo Technik die Historie der Naturlsquoldquo136
2 das historische Tier 3 der Appell an den Auftrag des Deutschen 4 der geschicht-
liche Mensch muss die Historie und damit die Technik uumlberwinden und 5 die
alles zernichtende Machenschaft des juumldischen Wesens
Den Topos der seinsvergessenen Groszligstadt jedenfalls kontrastiert er mit der
Bauerndorfidylle Da aber bdquodas Abstandlose herrschtldquo137 waumlre das Vorruumlcken der
Maschinentechnik bereits universell So in Form des Traktors Schon in Band
96 der Schwarzen Hefte beklagt er dieses bdquozum elektrischen Pflug [] gehoumlrt
das amerikanisch aufgemachte Magazinlsquoldquo Insofern erfolge die bdquoAngleichung der
Sitten der Bergbewohner an diejenigen des groszligstaumldtischen Sport- und Barbe-
triebsldquo138
Sein erster Land-Stadtvergleich betrifft den Bauern dessen Totenruhe tradi-
tionell in einem sg bdquoTotenbaumldquo (Sarg) stattgefunden haumltte ndash bdquoIn ihm gedeiht
der Tod des Totenldquo139 Dem gegenuumlber klingt in der bdquomotorisierten Bestattungs-
135 GA 79 S 24136 GA 95 S 351137 GA 79 S 24138 GA 96 S 54139 GA 79 S 26
34
industrie der Groszligstadtldquo140 bereits Heideggers pietaumltsloser Gaskammernvergleich
an
Ackerbau ist jetzt motorisierte Ernaumlhrungsindustrie im Wesen das Selbewie die Fabrikation von Leichen in Gaskammern und Vernichtungslagerndas Selbe wie die Blockade und Aushungerung von Laumlndern das Selbe wiedie Fabrikation von Wasserstoffbomben141
Hier wird davon ausgegangen dass es eine Uumlbertragung der Notizen uumlber
das deutsche Land als bdquoeinziges KZldquo ist die Unterdruumlckung des deutschen Vol-
kes durch die bdquoWeltdemokratieldquo die schlimmer sei als die Graumlueltaten der bdquoGas-
kammernlsquoldquo142 In die mythopoetische Formel von dem dingenden Ding aus dem
ersten Vortrag sind alle Valenzen eingeschrieben die es zur Aufgabe des abendlaumln-
dischen Deutschen (also als Nachfolger der alten Griechen) machen das Wesen
des Dings und somit der Technik zu huumlten Die Verantwortung fuumlr Genozid
Massenvernichtungswaffen und den Mangel im Nachkriegsdeutschland schreibt
Heidegger gleichfoumlrmig dem Prinzip der Abstandslosigkeit zu
Auch die Rede von der Habgier des Berechnenden ist ein bereits bekannter
Vorbehalt Heideggers anhand der Rede vom raffgierigen Juden Denn er sagt von
der bdquoHerrschaft des Abstandlosenldquo dass sie bdquodie Hab-gier des vorstellenden Be-
rechnensldquo waumlre143 Das entspricht seinem Mythos von der alles zernichtenden
Machenschaft des juumldischen Wesens144
Dann folgt eine lange Elegie uumlber das Bestellen des Bestands des Ge-Stells
bdquo[d]ie Kette des Bestellens laumluft auf nichts hinaus sie geht vielmehr nur in ihren
Kreisgang hineinldquo145 uumlber 19 Seiten des 21 seitigen Vortragsexts hinweg entwirft
Heidegger diverse Bilder wie das Ge-Stell die Natur das Hergestellte den Men-
schen und das Verstandesmaumlszligige vereinnahme und das Wesen desDings gleichsam
zur Veruntreuung bringen wuumlrde Wiederum poetisch orientiert kontrastiert also
140 Ebd141 Ebd S 27142 GA 97 S 99f143 Vgl GA 79 S 25144 Vgl Machenschaft hier S 29 und Geraff hier S 33145 GA 79 S 29
35
Heidegger Houmllderlins Hymne Der Rheinlsquo mit dem Rhein dessen Stroumlmung fuumlr
ein Stromkraftwerk genutzt wird
Achten wir um das Ungeheure das hier waltet zu ermessen nur auf einenAugenblick auf den Gegensatz der sich in den beiden Titeln ausspricht DerRhein verbaut in das Kraftwerk ndash der Rheinlsquo gesagt in der gleichnamigenHymne Houmllderlins146
Die Differenz also waumlre das Ungeheure147 Dabei waumlre der Rhein verbaut in das
Kraftwerk Aumlhnlich wie Kohle Erze und Rohoumll waumlren sie Bestand der bdquobesteht
im Bestellenldquo ndash bdquoDas Bestellen waumlre demnach lediglich eine Machenschaft des
Menschen vollzogen in der Weise der Ausbeutungldquo148
Das Bild des Wasserkraftwerks wird erweitert um den Begriff des Menschen
Elektrizitaumlt mit Wasserkraft erzeugen bdquokoumlnnen die Menschen [] nur insofern
sie selber schon in dieses Bestellen bestellt sindldquo149 Mit diesem Bild versucht Hei-
degger praktisch zu veranschaulichen dass Entwurf Umsetzung und Einsatz ei-
ner technischen Anlage den Menschen in ein entruumlcktes Verhaumlltnis zum Wesen
des dingenden Dings setze ndash bdquoDer Mensch ist darum der Angestellte des Bestel-
146 Ebd147 Das ist zusaumltzlich zu dem gemeinten Gegensatz ein Vergleich mit dem Heidegger dem Wort
bdquoRheinldquo in die Hymne Der Rheinlsquo gesprochen eine Energie erzeugende Wirkung zu-schreibt eben so wie das Kraftwerk Strom erzeugen wuumlrde Das wird klar dadurch dassHeidegger metaphorisch vom Stellen des Wortes bdquoRheinldquo in die Hymne spricht Es handeltsich um einen Appell zur denkerischen Besinnung Dass Heidegger dafuumlr eine technischeAnlage zur Veranschaulichung inspirierend wirken laumlsst spielt bereits in die Richtung derBegriffe bdquoHer-vor-bringenldquo bdquoEntbergenldquo und spielt auf das Alteheia-Prinzip an Darauf wirdweiter unten anhand Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo eingegangen werden Es handelt sich umdas Angebot eines mythopoetischen Umgangs mit Technik insbesondere wenn sie sich inheimische Gefilde einfuumlgtHeute koumlnnte man mit Windraumldern ebenso verfahren Somit koumlnnte aber auch Heidegger
als ein gewisser Quijana aus Mancha verstanden werden eben der Protagonist aus Miguel deCervantes Roman Don Quichote von der Manchalsquo der mit seinem von ihm flux auch um-benannten Klepper (weil er zuvor sich selbst in Don Quichote umtaufte) Rocinante Riesenbezwingen will um mit dieser Heldentat unsterblichen ritterlichen Ruhm zu erstreitenAuch Don Quichote fand seine Riesen in Windmuumlhlen und auch Don Quichote war uumlber
eine uumlbertriebene Auseinandersetzung mit einer verschuumltteten Kultur dieser verfallen undsuchte diese in seiner Aventuumlre zu reaktualisieren Martin Heideggers mythopoetisches Pro-gramm ist tatsaumlchlich stark mit Don Quichotes Motiv vergleichbarFerner waumlre eine Auseinandersetzung mit Heideggers Werk unter Beruumlcksichtigung sei-
ner Gewichtung der Vorsokratiker und Houmllderlin als mythopoetischen Autor eine moumlglicheForschung zum Thema Anachronismen in Konzepten von Moral und gesellschaftlicher An-gemessenheit (Vgl Cervantes Miguel de Don Quichote von der Mancha Herausgeben unduumlbersetzt v Susanne Lange Muumlnchen 2008 S 33f)
148 GA 79 S 29149 GA 79 S 30
36
lensldquo150 Schon vorher wies Heidegger darauf hin bdquo[d]ie Herrschaft des Gegen-
staumlndigen sichert nicht den Abstandldquo151 Jetzt heiszligt es
Das Bestellen befaumlllt nicht nur die Stoffe und Kraumlfte der Natur mit Gestel-lung Das Bestellen befaumlllt zugleich das Geschick des Menschen Das Wesendes Menschen wird daraufhin gestellt das Bestellen in menschlicher Weisemitzuvollziehen152
Der Begriff des Ge-Stells wird daraufhin so konstruiert dass es im Bestellen
um ein Stellen (Herausfordern) alles bdquoAnwesenden als Bestandldquo als bdquoversus unumldquo
gegen bdquodas Eine Ganzeldquo gehe153 In wiederum mythopoetischer Formulierung ge-
baumlre die bdquoVersammlung des Stellens worin alles Bestellbare in seinem Bestand
west das Ge-Stellldquo154 Der Begriff bdquoVersammlungldquo wird einen Absatz zuvor my-
thopoetisch wieder an die Versammlung also das thing eben das wesenhafteDing
angelehnt und somit wie zu Das Dinglsquo bereits oben erlaumlutert in einen deutsch-
abendlaumlndischen Kontext gestellt (3)
Wir nennen die Versammlung der Berge die von sich her einig und nienachtraumlglich schon gesammelt ist das Gebirge Wir nennen die Versamm-lung der Weisen nach denen uns so zumute ist und sein kann das Gemuumlt155
Allerdings ist obiges Versammlungsmodell hier als Kontrast zu sehen zu dem
bdquoGeraff des Getriebesldquo das das Ge-Stell darstellt als bdquoWesen der Technikldquo156 Hei-
degger sieht in der Gleichfoumlrmigkeit die zum Wesen des Technik als Ge-Stell
150 GA 79 S 30151 GA 79 S 25152 GA 79 S 31153 Vgl GA 79 S 32154 GA 79 S 32155 Ebd
Das Wort ldquoGemuumltrdquo hat ferner eine ausschlieszliglich deutsche Praumlgung gibt es doch keinedirekte Uumlbersetzungen Gemuumlth ist ferner ein nicht eindeutig umrissener Begriff (Vgl Kra-mer Cheryce A Foolrsquos Paradise The Psychiatry ofGemuumlth in a Biedermeier Asylum Chica-go 1998 S 19) Die Bedeutung im Deutschen selbst ist zudem sehr variabel hat aber zumeistmit Seelen- oder Geistkonzepten zu tun ndash Cheryce von Xylander (geb Kramer) uumlbersetztGemuumlth mit bdquosoul-organldquo (ebd S 43) das von diversen Autoren unterschiedlich konstru-riert wird (zB von Kant geistigkoumlrperlich und von Kleist individuellkollektiv (vgl ebdS 41)) In Heideggers emblematischem Duktus scheint eine Vermischung von allen vier Di-mensionen geistigkoumlrperlich wie auch individuellkollektiv stattzufinden Es ist auf jedenFall dem Mythos geschuldet den Auftrag des Deutschen anzunehmen (3)
156 GA 79 S 33
37
gehoumlre die planetarische Abloumlsung und Aufhebung des traditionellen und damit
wesenhaft ans Ding gebundenen Verhaumlltnisses vom Menschen zur Erde (das von
ihm idealisierte voumllkische Bauerntum das Bestellen des Ackers) bdquoDie Bestand-
Stuumlcke sind Stuumlck fuumlr Stuumlck die Gleichenldquo157 So kontrastiert er alte Handwerks-
techniken mit Maschinentechnik und schreibt der Maschinentechnik die machen-
schaftliche Verdraumlngung als Geraff zu
Das Ge-Stell hat auch wenn das nicht unmittelbar und nicht sogleich ver-nehmlich wird im vorhinein schon alle diejenigen Stellen beseitigt an denenvormals Spinnrad und Wassermuumlhle standen Das Ge-Stell bestellt durch sei-ne Maschinerie zum voraus eine andere Art und Ordnung von Stellen Andiesen kommt nur zu Stand was als Bestellbares auf der Stelle gleichfoumlrmigzur Stelle steht
Darum ist auch die Art wie die Maschine selbst etwas herstellt einewesentlich andere als das handwerkliche Tun gesetzt daszlig es innerhalb desGe-Stells uumlberhaupt noch so etwas wie ein Herstellen gibt
Die Traktoren und Kraftwagen werden herausgebracht ausgeworfen se-rienweise Stuumlck fuumlr Stuumlck Wo drauszligen steht dieses so Herausgestellte Wo-hin in welchen Stand ist es gebracht158
In dieser Klage uumlber den technischen Wandel der durch den Fortschritt in
alle Lebensbereiche Einzug haumllt versucht Heidegger zu veranschaulichen wel-
chen Verlust es zu erkennen gelte Ein Versuch diesem entgegen zu treten ist die
von ihm vorgetragene Mythopoetik die er in diesem Vortragsteil seines Vortrags-
Gevierts allerdings auffaumlllig zuruumlckgestellt sein laumlszligt War der Einleitungsteil Das
Dinglsquo schlieszliglich eine nahezu einzige mythopoetische Darbietung Dramatur-
gisch wird Heidegger in Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo die mythopoetischen For-
mulierung als Loumlsungswege wieder Bedeutung geben In Das Ge-Stelllsquo versucht
Heidegger hingegen Vorstellungen aus seinen Schwarzen Heften aumlhnlich der fol-
genden mitzuteilen die das Uniforme Gleichfoumlrmige betreffen
Die Macht der Machenschaft ndash die Vernichtung sogar der Gottlosigkeit dieVermenschung des Menschen in das Tier die Vernutzung der Erde die Ver-rechnung der Welt ndash ist in den Zustand der Endguumlltigkeit uumlbergegangenUnterschiede der Voumllker Staaten Kulturen sind nur noch Fassade159
157 GA 79 S 36158 GA 79 S 35159 GA 96 S 52f
38
Was Heidegger unter dieser Gleichfoumlrmigkeit versteht schreibt er in den Schwar-
zen Heften zumeist den Amerikanern zu Er nennt es auch haumlufig Planetarismus
Der Amerikanismus [ist DS] die Zusammenraffung von Allem welcheZusammenraffung immer zugleich die Entwurzelung des Gerafften bedeu-tet160
Der Planetarismus ist die historisch gedachte Bestimmung der uumlberall glei-chen die ganze Erde uumlberdeckenden Seinsverlassenheit des Seienden161
Die Gegenuumlberstellung von natuumlrlicher und traditioneller Handwerkstechnik
gegen maschinenhafte Gleichfoumlrmigkeit exemplifiziert Heidegger dann im Vor-
trag Das Ge-Stelllsquo vielfach wie zum Beispiel hier
Der Forstwart zB der im Wald das geschlagene Holz vermiszligt und demAnschein nach noch wie sein Groszligvater in der gleichen Weise die selbenWege geht ist heute von der Holzverwertungsindustrie gestellt Er ist ober es weiszlig oder nicht in seiner Weise Bestand-Stuumlck des Zellulosebestandesund dessen Bestellbarkeit fuumlr das Papier das den Zeitungen und illustrier-ten Magazinen zugestellt wird die uumlber die Oumlffentlichkeit daraufhin stellenverschlungen werden162
160 GA 96 S 257161 GA 96 S 261162 GA 79 S 37f
Die renommierte Theaterautorin Elfriede Jelinek karikiert in ihrem Stuumlck Totenaubergvon 1991 Heideggers Konstrukt von Heimat und Fortschrittsfeindlichkeit verbunden miteiner Auseinandersetzung mit dessen Liebschaft zu Hannah Arend Mit philologischer Prauml-zision polemisiert sie Teile aus Heideggers Elegie uumlber die Technik und laumlszligt ihn dabei alsbeschraumlnktes und eingezwaumlngtes Wesen in einem Gestell gefangen sein Aus diesem heraussoll er Arend Rede und Antwort stehen uumlber sein Verhaumlltnis zum Nationalsozialismus unddie Shoa Doch dieser redet nur naturtrunken von Heimat und berauscht sich daran Derprophetische Denker wird banalisert ndash diese Worte legt Jelinek ihm (im Stuumlck der alte Mann)in den MundbdquoDie Angst vor dem Fragen liegt uumlber dem Abendland Sie bannt die Kandidaten auf ein
Team-Leibchen verbannt sie auf altgewordene Wege und jagt sie zuruumlck ins morsch geworde-ne Gehaumluse ihrer Tore wo es um ihre Ausscheidungen geht Es wird ihnen alles weggenom-men werden auch der Weg selbst Keine Spur kein Lichtschein aus den Ritzen Aber ruf ichin die Huumltte um nach einem zu fragen den ich gekannt hab sehe ich grad noch eine Tuumlrsich schlieszligen Der Wald kommt nicht zur rechten Geltung alles ist entflohen was mir liebwar und woran ich geglaubt hab Was kommt ist noch nicht da Nichts war Ich habe nichtsgehoumlrt Ich erinnere mich nicht aber ich stelle dem Kommenden das mich den lupenreinenAmateur schon vor Beginn des Rennens erlahmen laumlszligt vorsorglich die Hausschuhe vor dieTuumlr Sie sind das Einzige was die Profis des Profits von mir dann vorfinden werden wennsie anklopfen Die Haumlrte des Urgesteins sollte sie nicht entmutigen Die Jahreszeiten machendie Landschaft auf und zu Ich sage nur In dieser scheinbaren Leere will ich vom Denkenmuumld nur schlafen Von der Huumltte aus lassen sich Wanderungen unternehmen Aber auchsonst wird Ihnen alles wie ich sagte genommen werden Auch Ihre Fotos und Namen Unddas Gewesene wird wesenlosldquo ( Jelinek Elfriede Totenauberg Hamburg 1991 S 86f)
39
Die Oumlffentlichkeit ist fuumlr Heidegger ein Topos der dem Denken und Besinnen
entgegenstuumlnde Somit meint er damit zum Einen die Medien wie er es anhand
der Rede von den Bestandstuumlcken in Das Ge-Stelllsquo erklaumlrt wo der Mensch als
Urheber des Ge-Stells als Wesen der Technik nicht gelten soll Vielmehr wuumlrde er
in Ratlosigkeit und Langeweile verfallen weil er in der Bestellung des Bestandes in
Form von Bestandstuumlcken vom Rundfunk keine Besinnung mehr faumlnde dh das
Ganze also wiederum daswesentliche Ding nicht mehr zu fassen vermoumlge163 Und
so toumlnt es bereits aus den Schwarzen Heften von 19391940()
Die Bildlsquo und Tonlsquo ndash Reportagenlsquo der Machenschaft ist der planetari-sche Mythuslsquo des Vollendungsabschnittes der Neuzeit Die Welt des abge-legensten deutschen Bauernhofes wird nicht mehr durch [] die Naturlsquobestimmt in der noch die Erde waltet sondern durch das illustrierte Blattmit der Darstellung von ausgezogenen Tanzweibern von Boxern und Renn-fahrern und sonstigen Heldenlsquo des Tages164
Und ferner notierte Heidegger 1946 in seinen Schwarzen Heften
Uumlberall zerrt es aus dem Oumlffentlichen ins Oumlffentliche mit vielen Strickenund jeder sieht das kaum versuchte Denken des Seyns am Leitband seinesStrickes165
Dabei waumlre eben ein bdquoLiterat [] ein in die Oumlffentlichkeit verliebter Mensch der
Angst vor dem Denker hatldquo166 Dieses liefe dann darauf hinaus dass beim Rund-
funk bdquoein Bestellen und Stellen waltet das in dasWesen des Menschen eingegriffen
hatldquo167
Abermals nach dem Wesen der Technik also nach dem Ge-Stell gefragt geht
Heidegger auf seine Unterscheidung vonNatur undNaturwissenschaft ein bdquo[w]elches
ist das Verhaumlltnis zwischen der Technik und der Naturldquo168 Natur wuumlrde in wis-
senschaftlicher Hinsicht unter das Berechnete fallen sie wuumlrde bdquoals das in Maszlig
und Zahl gestellte Wirkliche vorgestellt das in seinem Gewirkten staumlndig an-
westldquo169 Wenn Heidegger dann Natur aus technischer Sicht bdquoals ein System des
163 Vgl GA 79 S 38f164 GA 96 S 54165 GA 97 S 100166 GA 97 S 126167 GA 79 S 39168 GA 79 S 41169 Ebd
40
Bestellens von Erfolgen aus dem gestellten Wirksamenldquo170 charakterisiert spricht
er von seiner Rede der Verschraumlnkung von Historie und Technik ndash bdquoTechnik die
Historie der Naturldquolsquo171 Dieses ist bekanntlich das seinsvernichtende Gegenstuumlck
zur geschichtlichen Besinnung Denn geschichtliches Walten der Technik ist fuumlr
Heidegger technische Geschichte dh verwissenschaftlichte Geschichte die da-
durch ihr Wesen verloren haumltte (Seynsvergessenheit)172 So heiszligt es in den Schwar-
zen Heften von 1947
Ein Zeitalter das historisch geworden ist dh technisch planend sich selberberechnet und alles in diesen Sog zieht muszlig jede Besinnung nur als eine dervielen Formen der Intellektualitaumlt registrieren173
Heidegger schlieszligt den Vortrag mit dem Aufgriff der Anfangsbehauptung
bdquo[d]er Bestand bestellt das Abstandsloseldquo174 Somit liegt das Problem der ausblei-
benden Naumlhe durch die Technik deren Wesen das Ge-Stell waumlre das den Bestand
bestelle in der Luft Dass dabei der Mensch sogleich Teil des Bestandes und nicht
Teil der Maschine wird laumlsst ihn das historische Tier sein (2)
Der Mensch ist auswechselbar innerhalb des Bestellens von Bestand []Gleichwohl gehoumlrt der Mensch in einer voumlllig anderen Weise in das Ge-Stellals die Maschine DieseWeise kann unmenschlich werden DasUnmenschlicheist jedoch immer noch unmenschlich Der Mensch wird nie zur MaschineDas Unmenschliche und noch Menschentuumlmliche ist freilich unheimlicherweil boumlsartige und verhaumlngnisvoller denn der Mensch der nur Maschine wauml-re175
Wen Heidegger hier ersinnt ist der neuzeitliche Mensch der den bdquoGoumlttern uner-
traumlglich gewordenldquo176 waumlre
170 Ebd171 GA 95 S 351172 In Heidegger Die Technik und die Kehre S 21 stellt er Geschichte und Historie einander
gegenuumlber was er in Das Ge-Stelllsquo nicht vollzieht bdquoDie moderne Technik kam doch erst inden Gang als sie sich auf die exakte Naturwissenschaft stuumltzen konnte Historisch gerechnetbleibt dies richtig Geschichtlich gedacht trifft es nicht das Wahreldquo Signifikant fuumlr Heideg-gers Attributierung so wie sie oben schon geschildert ist steht Historie fuumlrs Rechnen undGeschichte fuumlr das Denken
173 GA 97 S 508174 GA 79 S 44175 GA 79 S 37176 GA 94 S 236
41
323 Die Gefahrlsquo
Aus Heideggers Darlegung uumlber das Ge-Stell erschlieszligen sich seine diversen Fa-
cetten der Vorstellung einer Abstandslosigkeit schaffenden Technik Dass die Ab-
standslosigkeit dem Prinzip des Gevierts des Zusammengestellten entgegensteht
bekommt im Vortrag Die Gefahrlsquo Nachdruck Die mythopoetische Erzaumlhlung
knuumlpft an den Vortrag Das Dinglsquo an mit den Mythologemene 1 Der Mythos
des geschichtlich sein muumlssens 2 der Mythos des Goumlttlichen 3 das geschichtsbe-
sinnliche Prinzip der Aletheia Zudem wird im Prozess des Vortrags das Ge-Stell
zur Gefahr stilisiert was einen eigenen Mythos erschafft
Durch das bdquouniversale Bestellen des Ge-Stellsldquo177 werde die naumlhernde Naumlhe des
Dings verwehrt Wie im Vortrag Das Dinglsquo fuumlhrt Heidegger das Wesentliche sei-
ner Theorie auf die deutsche und altgriechische Sprache zuruumlck Die so vollzoge-
ne Annaumlherung von Schwarzwaumllderischem Dialekt und Altgriechisch entspricht
Heideggers Traum von dem bdquogeschichtliche[n] Geburtsort des abendlaumlndischen
Wesensldquo178 den seine Heimat von Todtnauberg bis Freiburg stiften sollte (1)
es ist das Geistvolle und zugleich das erdenhafte schoumlne Land Es birgt un-sichtbaren Reichtum dem Gemuumlt bewahret tiefstes Dichten und houmlchsteGestalt der Sage179
Unter diesem Vorzeichen also sagt Heidegger
Das Ge-Stellwesen laumlszligt das Ding ohne die Wahr Das Wort die Wahrlsquo be-deutet in unserer Sprache dort wo sie noch urspruumlnglich spricht die HutIn unserer schwaumlbischen Mundart meint das Wort die Wahrlsquo die der muumlt-terlichen Hut anvertrauten Kinder Das Ge-Stell laumlszligt in seinem Stellen dasDing ohne die Hut ndash ohne die Wahr seines Dingwesens180
Diese in Bremen vorgetragene Heimatkunde ist auch Heideggers Sorge ge-
schuldet durch die Besatzermaumlchte und deren kulturellen Einfluss auch durch
die nun moumlgliche Oumlffnung Deutschlands zu einem Austausch mit der Welt das
eigene Wesen zu verlieren So schreibt er 1945-1947() in seine Schwarzen Hefte
177 GA 79 S 46178 GA 97 S 54179 Ebd180 GA 79 S 46
42
Das Schwerste und Fragwuumlrdigste unseres Geschickes ndash beruht darin ob wirdas Eigene finden und huumlten [] unter den anderen Voumllkernlsquo [] Scheinund Vorwand der Macht daszlig man unsere eigene Aufgabe bringen will []als Entmachtete aufgenommen zu sein in den Weltmachenschaftsbetrieb181
Es gaumlbe nach Heidegger also das Welten von Welt und die Verweigerung von
Welt aus derVerwahrlosung des Dings durch das Ge-Stell bzw die Technik182 Welt
ist nach dem Konzept des schwaumlbischen Denkers nichts weniger als das Geviert
Bei der folgenden mythopoetischen Zusammenstellung von dem Geviert mit alt-
griechischen Vokabeln um den Seins-Begriff wird das Aletheia-Prinzip eingefuumlhrt
Somit fuumlhrt uumlber den Mythos des Goumlttlichen (2) der Weg zur Wahrheit eben als
geschichtsbesinnlich erfahrene Aletheia (3)
Welt ist das Geviert von Erde und Himmel Goumlttlichen und SterblichenDas Spiegel-Spiel der Vierung wahrt alles was in ihm dingend zwischenden Vier anwest und abwest in das einende Ganze seines Anwesens Vonaltersher heiszligt das Anwesen des Anwesenden τὸ ὲόν das Seiend [sic] τὸεἶναι das Sein naumlmlich der ὲόντα des Seinenden das esse entium183
Diese Welt waumlre nun bdquoWahrnis des Wesens von Sein Statt Wahrnis sagen wir auch
Wahrheitldquo184 Die Welt mythopoetisch als Spiegel-Spiel des Gevierts und durch
eine altgriechische Brille betrachtet waumlre die wahre Welt Somit wird die Wahr-
heitsschau gebunden einen antiken Goumltterglauben und abendlaumlndische Sprachkas-
kaden vom Dialekt zum Altgriechisch
Das Problem mit der wahren Welt waumlre allerdings dass sie sich in die Ver-
borgenheit entziehe Naumlher betrachtet ist aber die Verborgenheit Bedingung des
Entbergens was Heidegger notwendig macht zu einem wuumlrdigen Lebensvollzug
in Harmonie mit dem Sein Durch solche Wesensschau waumlre der Mensch befaumlhigt
jederzeit die verstellenden Maumlchte des Ge-Stells (der Technik) zu uumlberwinden und
teilhaftig am Wesen der Welt zu werden
181 GA 97 S 99182 Vgl GA 79 S 47183 GA 79 S 48 (Die griechischen Vokabeln werden hier keiner Uumlbersetzung unterzogen Da
Heidegger ohnehin keine philologische Schaumlrfe anwenden will ist es fuumlr die Zwecke hierausreichend sie mit seiner Uumlbersetzung zu betrachten Heidegger spricht von bdquoAchten aufdas Griechischeldquo was schwieriger waumlre als klassische Philologie (vgl GA 79 S 63)
184 Ebd
43
Welt bleibt in der Verborgenheit (Αήθη) auf die Weise daszlig diese ihre Ver-borgenheit gerade eine Unverborgenheit gewaumlhrt die Αλήθεια185
Die Αλήθεια haumltte allerdings auch eine Rolle uumlber die subjektive hinaus da nur
durch ihren Vollzug Seinsgeschichte gewaumlhrt wuumlrde Das ist der Anspruch den
Heidegger an sein Auditorium stellt gemeinsam geschichtlich sein zu muumlssen (1)
Die Αλήθεια ist das Geschick des Seins als welches Geschick sich die Fuumllleder Seinsgeschichte in ihre Epochen fuumlgt186
Mit dem Ge-Stell als Wesen der modernen Technik waumlre die Aletheia aller-
dings hochgradig gefaumlhrdet Denn ohnehin waumlre die Aletheia prinzipiell der Ge-
fahr der Vergessenheit ausgesetzt Doch das Ge-Stell haumltte die Kraft die bdquovollende-
te Vergessenheit der Wahrheit des Seinsldquo187 zu vollrichten
Indem das Ge-Stell alles Anwesende in den Bestand bestellt setzt das Ge-Stell das Anwesen des Anwesenden heraus aus seiner Wesensherkunft ausder Αλήθεια188
Diese Versetzung des beteiligten Wesens aus der Moumlglichkeit des Wahrheitsprin-
zips heraus markiert Heidegger dann mit der Schreibweise Seyn (mit bdquoyldquo) Wie
bei dem Vortrag Das Dinglsquo koumlnnen ethymologische Abstammungen sein Sys-
tem anreichern Da wo es um das Wortfeld des Stellens geht Ge-Stell Bestellen
Verstellen ist auch das NachstellenMitglied der Familie
Im Althochdeutschen heiszligt nachstellen fara Das in sich gesammelte Stellenals Nachstellen ist die Gefahr Der Grundzug des Wesens der Gefahr ist dasNachstellen Insofern das Sein als das Ge-Stell sich selbst mit der Vergessen-heit seines Wesens nachstellt ist das Seyn als Seyn die Gefahr seines eigenenWesens189
Damit wuumlrde sich durch die Verringerung der Selbstreflexion im Seyns-Bestand
eine Schwachstelle auftun in die der denkbegabte und aletheiafaumlhige Mensch ei-
ne Moumlglichkeit haben das Seyn zum Sein zuruumlckzuwandeln ndash also wieder in ein
185 GA 79 S 49186 Ebd187 GA 79 S 53188 GA 79 S 52189 GA 79 S 53
44
wesentliches Verhaumlltnis zum bdquoDingldquo zu gelangen in dem das Geviert wieder die
Harmonie herstellt Allerdings faumlnde bis zu solch einer Nachstellung eine Ver-
sieglung des Seynsbestandes statt Und Heidegger beklagt dass die Erreichung der
Ruumlckeroberung des Seins uumlber die Nachstellung nicht stattfaumlnde und stattdessen
die Irre regieren wuumlrde190
In dieser Irre stuumlnde dem Menschen nicht einmal mehr zu zu sterben Denn
bdquoSterben [] heiszligt den Tod in sein Wesen austragenldquo191 Somit waumlren die Opfer
die in den KZs umkamen wie er sie in Das Dinglsquo bereits schildert nicht vermouml-
gend gewesen zu sterben bdquoSie werden Bestandstuumlcke eines Bestandes der Fabrika-
tion von Leichen [] Sie werden in Vernichtungslagern unauffaumlllig liquidiertldquo192
Das vermoumlge die Gefahr zu bewirken Der Mensch wuumlrde des eigenen Sterbens
beraubt da er keine Verbindung mehr zur Wahrheit der Welt haumltte Um den rich-
tigen Tod zu sterben muumlsse der Mensch die Aletheia schauen koumlnnen Insofern ist
Heideggers Prinzip ein religioumls anmutendes Wie in der christlichen Vorstellung
der Mensch im Jenseits an seinen Taten gemessen wird um Paradies oder Fege-
feuer zu besuchen soll nach Heidegger der Mensch waumlhrend des Sterbens mit
sich selbst ins Gericht gehen Er soll sich rein machen vom Ge-Stell der Technik
und dem Seyn um nicht die einmalge Gelegenheit des richtigen Sterbevollzugs
zu versaumlumen Es winken gemaumlszlig des Gevierts die himmlischen Goumlttlichen den
irdischen Sterblichen zu wobei annehmbar ist dass Heidegger Sterblichen die
die Aletheia erkennen einen Goumlttlichkeitsstatus beimessen moumlchte ndash eine Erlouml-
sungsphantasie
Genau diese Erloumlsung waumlre die Technik nicht
Ohne den Schritt des Denkens zu wagen der unser Menschenwesen demWesen der Technik [] aussetzt wuumlrgt man sich von Fall zu Fall von Lagezu Lage durch die Zwiespaumlltigkeiten hindurch Und genau durch dieses Ge-wuumlrge versaumlumt man die Moumlglichkeit dessen was man im Grunde erstrebtdie Technik durch menschliches Tun zu meistern und menschenwuumlrdig zulenken193
190 Vgl GA 79 S 55191 GA 79 S 55192 GA 79 S 56 Weil Heidegger im Judentum die Verantwortlichen fuumlr das Geraffe des Ge-Stells
sieht macht er sie gleichsam verantwortlich fuumlr die bdquoSelbstvernichtungldquo Die Seinsverges-senheit im Tode wird dadurch zum Spin-off der vermeintlich juumldisch erzeugten da machen-schaftlichen KZ-Maschinerie (Vgl GA 97 S 20f)
193 GA 79 S 59
45
Trost und Richtung findet Heidegger schlieszliglich abermals bei den alten Griechen
Das Wort stellenlsquo entspricht dem griechischen ϑέσις vorausgesetzt daszlig wirϑέσις griechisch denken Was heiszligt in diesem Falle griechisch denkenlsquo Esheiszligt darauf achten welche Lichtung desWesens des Seyns in welcherWeisedas Dasein der alten Griechen in den Anspruch genommen hat heiszligt imvoraus bedenken in welchem Geschick welcher Unverborgenheit des Seinsdie Griechen standenldquo194
Das sind Vorstellungen des Neuen Anfangs eine Reminiszenz der griechisch anti-
ken Welt Ein Eintrag aus den Schwarzen Heften von etwa 1945-47 () verdichtet
wie oben bereits aufgezeigt die Phantasie griechisch zu sein zu einem gelingenden
Lebensvollzug
Das reine Wesen des Griechentums dh das Seiende inmitten dessen dieGriechen als seiende fremd gewesen dieses und sie selbst und der Bezug desSeins zu ihnen ndash in der einfachen Wesung von der ἀλήθεια her zeigen underfahren Den μῦθος und λόγος ndash jedes Wort und Gebild rein aber nichterzwungen und schematisch-pedant ndash aus ἀλήθεια erfahren195
Hier zeigt sich auch dass Heidegger per se das Aletheia-Prinzip fuumlr notwendig
hielt um ins Licht der Wahrheit zu blicken Die Griechen sind ihm hier deshalb
Vorbild und rein da sie keiner modernen Technik und dem Ge-Stell ausgesetzt
waren sondern lediglich eine mythopoetische Verbindung zum Sein herstellen
mussten um wesentlich zu sein und Seinsgeschichte zu schreiben Die Dinge und
das Spiegel-Spiel des Gevierts waumlren ihnen geschickt zuhanden gewesen196 Hei-
degger macht schlieszliglich sehr deutlich dass das Griechische zu denken ein bei
weitem anderes Geschaumlft sei als philologische Praumlzision
Ein Echo zu sein naumlmlich dem Anspruch des Seins verlangt eine Sorgfaltder Sprache von der freilich der technisch-terminologische Sprachstil derWissenschaften uumlberhaupt nichts wissen kann Die Intentionalitaumlt der wis-senschaftlichen Sprache ist der staumlrkste Beweis fuumlr ihre Boden- und Heimat-losigkeit [] Das Heimische einer hohen Sprache gedeiht nur im Bereichdes unheimlichen Anspruchs der wesenhaften Stille im Wesen des Seyns197
194 GA 79 S 62f195 GA 97 S 20196 Hingegen waumlre das Judentum verantwortlich fuumlr das Ge-Stell fuumlr das Prinzip der Zerstoumlrung
wie es auf der selben Seite der Schwarzen Hefte darunter heiszligt (vgl ebd)197 GA 79 S 66 Die Bedeutung von Seyn als verstelltes Sein oder Bedingung zum Schauen
des wahren Seins ist verwirrend Einer genaueren Analyse wird aus Platzgruumlnden hier nichtnachgegangen
46
324 Die Kehrelsquo
Der letzte Vortrag ist mit nur neun Seiten der Kuumlrzeste des Vortragsgevierts
Nach dem Verlust des Dinges als Ding und der damit einsetzenden Abstandslosig-
keit als Wesen des Ge-Stells wobei die Gefahr zudem der Vergessenheit des Seyns
nachstellt bietet Heidegger eine Perspektive an
Im Wesen der Gefahr verbirgt sich [] die Moumlglichkeit einer Kehre in derdie Vergessenheit des Wesens des Seins sich so wendet daszlig mit dieser Kehredie Wahrheit des Wesens des Seyns in das Seiende eigens einkehrt198
Diese Moumlglichkeit bedeute nicht dass der Mensch sich der Gefahr selbst stellen
koumlnnte sie waumlre passiv ndash bdquoverbirgt sichldquo Die Kehre werde sich ereignen aumlhnlich
einer Erwartung an den Messias
Die Anwesenheit der Gefahr wuumlrde automatisch die Rettung bergen Denn
Houmllderlin haumltte geschrieben bdquoWo aber Gefahr ist waumlchst [d]as Rettende auchlsquoldquo199
Etwa 1945 notiert Heidegger in seine Schwarzen Hefte bdquoDie Wahrheit erfahren
wir im Gedaumlchtnis Das Gedaumlchtnis ist die Dichtungldquo200 (so) Von dieser War-
te aus ausgestattet mit Erinnerungen an das abendlaumlndische Dichten mit dem
Wissen um das Aletheia-Prinzip und passiv als denkender Huumlter des Seyns solle
der Mensch das Ereignis erwarten das ihn bdquoloumlsen freimachen freyen schonen
bergen in die Hut nehmen wahrenldquo201 wuumlrde (siehe S 43)
Dieses Ereignis waumlre der Blitz Ein unvermittelter jaumlher ploumltzlicher Moment
von kurzer Dauer der bloszlig einen ebenso kurzen Blick auf das wahre Wesen er-
lauben wuumlrde Abschlieszligend ist dies das Rezept gegen die Bestands bestellende
Technik in mythopoetischer Formulierung
So entsprechend ist der Mensch geeignet daszlig er im gewahrten Element vonWelt als der Sterbliche dem Goumlttlichen entgegenblickt Anders nicht dennauch der Gott ist wenn er ist ein Seiender steht als Seiender im Seyn unddessen Wesen das sich aus dem Welten von Welt ereignet202
198 GA 79 S 71199 GA 79 S 72200 GA 97 S 52f201 GA 79 S 72202 GA 79 S 76
47
Wenn Heidegger im Anschluss von der bdquohistorisch-technischen Darstellungldquo re-
det so ist dies die Abwehr der Wissenschaften (auch der Philosophie203) und ein
Appell an die Antirationalitaumlt des Mythos bdquokein historisches Vorstellen der Ge-
schichte als Geschehen bringt in den schicklichen Bezug zum Geschickldquo204
Damit das Blitzen erfahren werde als kurze Wesensschau der Aletheia muumlsse
dem wahren abendlaumlndischen und heimatlichen Ereignis stattgegeben werden Es
sollte nicht wie er 1939 schon in den Schwarzen Heften beschreibt das
kuumlnstliche Licht von Historie und Technik in der weder Mensch noch dieGoumltter weder eineWelt noch die Erde sichtbar werden koumlnnen wo aber dasLebenlsquo von allen den immer noch zu wenigen Meistenlsquo erlebtlsquo wird205
Damit schlieszligt der letzte Vortrag mit einer Erwartung an das Ereignis des Blit-
zens nicht das Erleben der Besinnungslosigkeit (vgl Das Ge-Stelllsquo) Schon 1947
traumlumt Heidegger von solcher Umkehr
Aus der Kehre der Seynsvergessenheit aber ereignet sich das Unumgaumlnglicheden Acker der Welt erst zu pfluumlgen und saatbereit der Sonne und dem Regenund den Voumlgeln des Himmels uumlberlassen206
203 Denn ldquo[e]igentlich denken heiszligt [] die Philosophie verlassen [] beim Sagen des Seinslsquoldquo(GA 97 S 60)
204 Ebd205 GA 95 S 427 Gegen das Erlebnis und Erleben straumlubt sich Heidegger besonders So notiert
er etwa 1939 bdquoZeitalter der Techniklsquo macht gerade die Techniklsquo nicht zum Ziel sondernimmer mehr zum Mittel der besinnungslosen Berechnung [] der Mensch [] das Erleb-nislsquo [] Erleben als der Gefuumlhlsgenuszligldquo (GA 95 S 149) Wie auch bdquoWo beide Historie undTechnik in solcher scheinbaren Gegensaumltzlichkeit verkoppelt sind koumlnnen sie sich zur Foumlr-derung dessen zusammenschlieszligen was einstmals wesentlich die Geschichte des Menschenmitbegruumlndete und was wir die Kunstlsquo nennen Die Historie verschafft [] Anregungenund Vorbilder der Nachahmung die Technik erleichtert [] die Zustellung von Darstel-lungsmitteln und Wirkungsformen [] Gleichwohl ist alles wurzellos [] berechnet und alsErlebnislsquo ausgegebenldquo (GA 95 S 212)
206 GA 97 S 511
48
4 Konklusion
Der umstrittene Philosoph Martin Heidegger hat uumlber die 1930erndash40er Jahre
hinweg eine ausgepraumlgte voumllkisch-nationale und bisweilen radikal-antisemitische
Denkweise entwickelt Dieses Denken fasste er auch auf als Besinnung und stellt
es der Philosophie und Wissenschaft diametral entgegen In Kapitel 2 wird aufge-
zeigt dass sowohl Heideggers Mythologie bereits kritisiert wurde (Adorno Cassi-
rer Meyer) als auch seine Mythopoetik bewundert (Schulz-Nieswandt) Kapitel
3 will daruumlber hinaus aufzeigen wie Heidegger eine eigene Mythologie mytho-
poetisch fruchtbar macht was sich von beiden vorigen Ansaumltzen unterscheidet
und erst mit der Veroumlffentlichung der Schwarzen Hefte ab 2014 nachvollziehbar
wurde
Umso mehr bietet die mythopoetische Verbindung von bdquoDichten und Den-
kenldquo (so) einen antitechnischen Gegenpol Denn Heidegger fasst wie oben ge-
schildert alles Rationale auf als berechnende Bestellung des Bestands im Sinne
der Technik Daruumlber hinaus fordert er mit dem Aletheia-Prinzip (als metapho-
risch gefasstes Ereignis des Blitzens) einen Mitvollzug seiner mythopoetischen
Kontemplation in dem religioumlse voumllkische antike und sprachliche Motive zu-
sammenfallen
Obwohl schon von Heidegger selbst nicht mehr als Philosophie betrachtet
hat seine Rede vom Ding dem Ge-Stell dem Wesen der Technik und der Kehre
noch immer einen bedeutenden Einfluss auf die Technikphilosophie So betont
Alfred Nordmann in bdquoWerkwissen oder How to express things in worksldquo (2008)
dass Heidegger mit Das Dinglsquo eine Art Dingwissen geschaffen haumltte In seinem
2012 erschienenen Aufsatz Another parting of the ways Intersubjectivity and the
objectivity of sciencersquo207 geht Nordmann ein weiteres Mal auf Heideggers Ding
ein Dieses waumlre eine Abarbeitung an dem Ding Kants womit auch Nordmann
Heidegger als einen Interpreten Kants versteht208 Anschlieszligend anMichael Fried-
207 Nordmann Alfred Another parting of the ways Intersubjectivity and the objectivity ofscience In Studies in History and Philosophy of Science 43 (2012) 38ndash46
208 Die Auseinandersetzung mit dem Ding wuumlrde nach Nordmann in Heideggers GA mit demText Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalen Grundsaumltzenlsquoeinsetzen (GA 41 Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalenGrundsaumltzen)
49
man spricht sich Nordmann ebenso dafuumlr aus dass Heidegger neben Rudolf Car-
nap und Ernst Cassirer eine neokantianische Philosophie verfolgt haumltte (siehe
Kap 1)209
Nach Nordmann haumltte Heidegger in seinen anschlieszligenden Gedanken uumlber
das Ding als Fortfuumlhrung Kants als erster Wissenschaft als angewandte Techno-
logie verstanden210 Diese Interpretation stuumltzt sich auf die gleichen Symbole
Metaphern und Mythen die die vorliegende Arbeit analysiert Das Ge-Stell ist
insofern aumlquivok mit dem Begriff techno-science Jedoch sind in dieser Fruchtbar-
machung von Heideggers Denken der Technik dessen nationalistischen rassisti-
schen und antisemitischen Implikationen die die vorliegende Arbeit als Zentrum
dessen Philosophie ermitteln konnte noch nicht beachtet worden koumlnnen211
Andreas Luckner webt Heideggers Ding-Entwurf weiter als verantwortliches
Sorgen um die Dinge212 Er geht dabei mit Heidegger voumlllig konform und tritt
eher als eine Art Bote der Ding-Botschaft auf als diese moumlglicherweise zu kriti-
sieren was sich diesen Artikel wie ein Kapitel aus einem Studienbuch lesen laumlsst
Der Darmstaumldter Technikphilosoph Christoph Hubig ist vor allem Kritiker Hei-
deggers Argumentationen laumlsst aber zuweilen diverse Topoi aus dem Werk des
Technik-Denkers durchscheinen ohne sie weiter zu reflektieren
So konstatiert Hubig Heidegger verfehle in dessen Auseinandersetzung mit
Aristoteles Lehre von der Poiesis zum Punkt der Sicherung wie sie in Die Frage
nach der Techniklsquo behandelt wird bdquodie operative Seite des Technischenldquo bei Aris-
totels213 In einem spaumlteren Aufsatz allerdings stuumltzt er sich ohne weitere Erlaumlute-
rungen auf Heideggers Begriff der Sicherung aus Die Frage nach der Techniklsquo214
209 Diese Befriedung paradigmatischer Umstaumlnde wird hier nicht geteilt Eine weitere Bearbeitunglaumlsst der Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht zu
210 Vgl Nordmann Another parting of the ways S 45211 Der Aussage dass Heideggers Ding-Begriff kantianisch waumlre muumlsste einer gezielten Untersu-
chung unterzogen werden genau wie die Behauptung insgesamt dass Heidegger oder inwie-weit dieser noch der suumlddeutschen Kantschule des 1920 Jahrhunderts angehoumlrte
212 Vgl Luckner Andreas Ding und Bestand Heidegger und das Wesen neuzeitlicher TechnikIn Gamm G Gehring P Hubig C Kaminski A und Nordmann A Ding und SystemS 15-30 hier S 29
213 Hubig Christoph Die Kunst des Moumlglichen Technikphilosophie als Reflexion der MedialitaumltBielefeld 2006 S 103
214 Vgl Hubig Christoph Technik als Medium In Grundwald Armin (Hg) Handbuch Tech-nikethik Stuttgart 2013 S 118-123 hier S 118
50
Dabei versteht Hubig Heideggers Betrachtungen zum Umgang mit der Technik
als gelassen
Fuumlr Heidegger liegt die Andersheit im Entbergen einer Wahrheit des Seinseines Geschicks von dem die Entwicklung der Technik hin zum Gestellkuumlnde Er verbindet dies mit dem Appell jenseits des rechnenden und si-chernden Vorstellens technischer Vollzuumlge als handlungsleitender Program-me sich gelassenlsquo dieser Entwicklung zu uumlberantworten und ein Seinlsquo zuhuumlten das sich als solches eben entbirgt Das Rettendelsquo dieser Einsicht lie-ge darin dass unsere individuelle Endlichkeit insofern transzendiert wirdals sie sich dem sie uumlbersteigenden Prozess aufschlieszligt und sich selbst relati-viert215
Wovon in diesem Zitat nicht die Rede ist ist der Mitvollzug der mythopoe-
tischen Rahmenbedinungen die Heidegger einfordert und an dem die Konzep-
te Abendland und voumllkische Tradition haumlngen In dieser Arbeit wird davon aus-
gegangen dass Heideggers Technikphilosophie-erzaumlhlung sich nicht von seinen
Absichten der Bekaumlmpfung des Technischen loumlsen laumlsst Die Relativierung ist in-
sofern nicht an den Prozess gebunden und damit emergent auf alles hin ausge-
richtet was kommen mag sondern houmlchst konvergent in einer Besinnung auf
Mythen von dem Ding und dem Geviert mit all deren Valenzen aus dem vorlie-
genden Heideggerschen Textkorpus Die individuelle Endlichkeit ist genoumltigt die
Heimat und das Abendland zu kennen und im Aletheia-Prinzip umzusetzen
Die Neubewertung der bislang bekannten Heideggerschen Technikphiloso-
phie von vor den SchwarzenHeften ist ein dringendes Desiderat Voumllkisch-nationale
Gruppierungen erstarken momentan in ganz Europa und es koumlnnte sehr hilfreich
sein aumlhnliche Denkstrukturen aufzudecken so wie sie zwischen den 1930er und
40er Jahren entwickelt wurden Zusaumltzlich muss das Werk Heideggers einer kriti-
schen Revision schon aufgrund der niemals von ihm behandelten Antisemitismen
unterzogen werden Heidegger hat nie zu diesen Stellung bezogen
Daruumlber hinaus ist das Thema Mythos und Philosophie ein weiterhin not-
wendiger Bereich der philosophischen Forschung In einem Bereich auszligerhalb
der exakten Wissenschaften und ohne klare theologische Tradition ist die Philo-
215 Hubig Die Kunst des Moumlglichen S 140
51
sophie beides sowohl Aufklaumlrer und antimythisch als auch Quelle fuumlr mythisches
Denken und affektierende Motive
52
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Die_Heidegger-Kontroverse ndash zuletzt abgerufen am 24042016)
56
Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
Der Unterzeichner versichert dass er die vorliegende Bachelorarbeit selbststaumlndig
verfasst und keine anderen als die von ihm angegebenen Hilfsmittel benutzt hat
Die Stellen der Arbeit die anderen Werken dem Wortlaut oder dem Sinne nach
entnommen sind wurden in jedem Fall unter Angabe der Quellen (einschlieszliglich
des World Wide Web und anderer elektronischer Text- und Datensammlungen)
kenntlich gemacht Dies gilt auch fuumlr beigegebene Zeichnungen bildliche Dar-
stellungen Skizzen und dergleichen
Darmstadt 25 April 2016
__________________________
(Eigenhaumlndige Unterschrift)
- Abkuumlrzungsverzeichnis
- Danksagung
- Einleitung
- Heideggers mythopoetisches Programm
-
- Zu den Begriffen Mythos Mythologie und Mythopoetik
-
- Ein Beispiel fuumlr ein Mythologem
-
- Heideggers Mythen
-
- Formen der Mythologie
-
- Heideggers mythopoetische Technik
-
- Zur Publikationsgeschichte von den Bremer Vortraumlgen 1949
- Die mythopoetische Spiegelung der Schwarzen Hefte
-
- Das Dinglsquo
- Das Ge-Stelllsquo
- Die Gefahrlsquo
- Die Kehrelsquo
-
- Konklusion
- Literaturverzeichnis
- Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
-
i
Copyright 2017 Daniel Schindler
Diese Arbeit wird unter den Bedingungen der Creative Commons Lizenz Namens-
nennungndashNicht KommerziellndashKeine Bearbeitungen 40 Internationale Lizenz (CC
BY-NC-ND) veroumlffentlicht ndash siehe httpscreativecommonsorglicensesby-nc-nd40
Inhaltsverzeichnis
Abkuumlrzungsverzeichnis iii
Danksagung iv
1 Einleitung 1
2 Heideggers mythopoetisches Programm 4
21 Zu den Begriffen Mythos Mythologie und Mythopoetik 4
211 Ein Beispiel fuumlr ein Mythologem 8
22 Heideggers Mythen 9
221 Formen der Mythologie 16
3 Heideggers mythopoetische Technik 24
31 Zur Publikationsgeschichte von den Bremer Vortraumlgen 1949 27
32 Die mythopoetische Spiegelung der Schwarzen Hefte 29
321 Das Dinglsquo 29
322 Das Ge-Stelllsquo 32
323 Die Gefahrlsquo 41
324 Die Kehrelsquo 46
4 Konklusion 48
Literaturverzeichnis 52
Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit 56
iii
Abkuumlrzungsverzeichnis
Die Baumlnde der bdquoGesamtausgabeldquo Heideggers werden mit dem Sigel bdquoGAldquo und
der Bandzahl angegeben (Ausnahmen bilden sbquoDie Technik und die Kehrelsquound
sbquoVortraumlge und Aufsaumltzelsquo) Fuumlr ein Lexikon wird folgende Abkuumlrzung benutzt
RDL Reallexikon der Deutschen Literaturgeschichte
iv
Danksagung
Zu dieser zum kleinsten akademischen Grad gereichenden Arbeit moumlchte ich den
groumlszligten Dank meinen beiden Betreuern und Gutachtern Cheryce von Xylander
und Christoph Hubig aussprechen Mit groumlszligter Sorgfalt Fairness und fachlicher
Unterstuumltzung haben sie mir die Herausforderung dieser Pruumlfungsarbeit in jedem
erdenklichen Weg reichhaltig und zum Gelingen gestellt Dass Letzteres nach
einem ersten verworfenen Manuskript eintrat ist ihrer groszligen Geduld und dem
Vertrauen in mich geschuldet fuumlr die ich mich herzlich bedanken moumlchte
Fuumlr ihr besonders engagiertes Korrekturlesen und die konstruktive formale
Kritik danke ich Sarah Holschneider Ebenso bestaumlrkt darin mit dem was ich
schreibe uumlberhaupt verstanden zu werden hat mich Maleen Hanst der ich herz-
lich fuumlr ihr Lektorat danken moumlchte
Ein Geschenk von dem Filmemacher Jeffrey van Davis hat mir neue Perspek-
tiven vermittelt die aus der Literatur nicht erhaumlltlich sind Fuumlr diese Dokumen-
tation sbquoOnly A God Can Safe Uslsquo (2009) die er mir auf mein Ersuchen hin un-
vermittelt geschickt hat bin ich mehr als dankbar
Ein vielleicht ungewoumlhnlicher weil als selbstverstaumlndliche Institution angese-
hen Dank gebuumlhrt der Universitaumlts- und Landesbibliothek Darmstadt Die her-
vorragende Ausstattung Infrastruktur und 24 stuumlndige Oumlffnungszeiten werden
ermoumlglicht von einem klasse Team das in so vielfaumlltiger Weise hilfreich ist
Nicht zuletzt danke ich meinem Freund Roland Franz fuumlr die moralische Un-
terstuumltzung und seine Bestaumlrkungen in mich und meiner Familie fuumlr alles Unsag-
bare
1
1 Einleitung
Die Geschichte des deutschen Philosophen Martin Heidegger existiert beinahe
nicht ohne eine um ihn gravitierende tiefschuumlrfende Debatte Beinahe deshalb
weil es eine kurze Zeitspanne gibt in der Heidegger sowohl hohes Ansehen bei
seinen Marburger Studierenden genoss als auch steigende Anerkennung und Be-
kanntheit fuumlr seine Publikation von sbquoSein und Zeitlsquo1 (1927)
Seine Schuumllerinnen und Schuumller waren ihm ebenso an der Universitaumlt Frei-
burg zugetan Mit der Publikation von Rudolf Carnaps Aufsatz sbquoUumlberwindung
der Metaphysik durch logische Analyse der Sprachelsquo2 im Jahr 1931 allerdings ist
datierbar wie Heideggers Arbeit als Ausdruck der voumllkisch-nationalen Rechten
interpretiert zum erstenMal ins Zentrum einer Debatte geriet die bis heute seine
gesamte Philosophie auf den Pruumlfstand stellt3
Es blieben nur wenige Philosophen die nach dem Ende der Weimarer Repu-
blik im Deutschen Reich der NSDAP leben und wirken durften4 Der Bekann-
teste von ihnen ist Martin Heidegger Michael Friedman sieht ihn deswegen als
das Bindeglied der nachkantianischen Tradition deutscher Philosophie mit der
Postmoderne5
1 GA 22 Carnap Rudolph Uumlberwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache in Zs
Erkenntnis 2 Berlin 193132 S 219-2413 Vgl Galison Peter AufbauBauhaus Logischer Positivismus und architektonischer Moder-
nismus In Deutsche Zeitschrift fuumlr Philosophie 43 (1995) Heft 4 S 653-685 hier S 710Diese Aussage beruht auf einer hier nicht von selbst erschlieszligenden Interpetration die sich
aus der Lektuumlre von Peter Galisons Aufsatz sbquoAufbauBauhaus Logical Positivism and Archi-tectural Modernismlsquo (1990) ergibt Galison schildert dort auf Seite 710 wie Carnap undNeurath sich auf Seiten der Wissenschaftsphilosophie im Sinne des Logischen Positivsimusmit dem Bauhaus verbunden fuumlhlten Er nennt diese Koalition bdquotransparente KonstruktionldquoDiese Form des Bauens und Philosophierens haumltte den selben Feinden gegenuumlber gestanden ndashbdquothe religious right nationalist anthroposophists voumllkisch and Nazi opponentsldquo CarnapsAufsatz sbquoUumlberwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprachelsquo selbst haumllt sichpolitisch auffaumlllig zuruumlck Die Bedeutung Carnaps im Heidegger-Streit ist ferner eine interes-sante Frage die aber den Bereich der vorliegenden Arbeit uumlberschreitetDas Buch sbquoCarnap Heidegger Cassirer Geteilte Wegelsquo (2004) von dem US amerikani-
schen Philosophen Michael Friedman schlaumlgt dazu versoumlhnliche Toumlne an indem er alle dreials unterschiedliche Interpreten Kants versteht In der vorliegenden Arbeit aber ist ausschlag-gebend dass Carnap und Cassirer ins US-Exil flohen waumlhrend Heidegger ein Konzept desdeutsch-voumllkischen Denkens entwickelte
4 Vgl Dahms Hans Philosophie In Frank-Rutger Hausmann (Hg) Die Rolle der Geisteswis-senschaften im Dritten Reich 1933ndash1945 Muumlnchen 2002 S 193-228
5 Friedman Michael Carnap Cassirer Heidegger Geteilte Wege Frankfurt am Main 2004 S13 u 162
2
Von 1933 an war Heidegger Mitglied der NSDAP und mit der Einrichtung
des Fuumlhrer-Rektors zu dem er auch 1933 gewaumlhlt wurde als voumllkisch-nationaler
Rechter nicht mehr in Frage zu stellen Die philosophischen Differenzen waumlhrend
der Diktatur waren weniger von einer fachlichen Auseinandersetzung gepraumlgt als
denn der Erziehung des Volks und eines geistigen Uumlberbaus der Nazis geschul-
det6 Eine direkte Auseinandersetzung mit seinen Kritikern des mittlerweile ge-
flohenen Wiener Kreises hatte es nicht gegeben
Auf Umwegen wurde Jean-Paul Sartre zum ersten Heidegger-Apologeten je-
doch nicht gegenuumlber Carnap oder demWiener Kreis sondern gegen die franzoumlsi-
sche Linke Diese hatte sich aufgrund der offensichtlichen Faktenlage mit Heideg-
ger als Fuumlhrerrektor uumlber die Existenzphilosophie Sartres empoumlrt die Heideggers
Werk rezipiert Sartres Entgegenhalten enthaumllt den Kern der Frage wie Philoso-
phie und Autorschaft im Verhaumlltnis stehen
Was zaumlhlt schon Heidegger Wenn wir unser eigenes Denken anlaumlszliglich des-sen eines anderen Philosophen entdecken wenn wir bei diesem Technikenund Methoden suchen die uns zu neuen Problemen Zugang verschaffenkoumlnnen heiszligt das dann daszlig wir alle seine Theorien teilen Marx hat sei-ne Dialektik von Hegel uumlbernommen Sagen Sie deshalb sbquoDas Kapitallsquo seiein preuszligisches Werk7
Nach Ende des Krieges wurde Heidegger im Zuge der Entnazifizierung die
Lehrerlaubnis entzogen Die Debatte um seine Einstellung zum Nationalsozialis-
mus war ihm selbst zu dieser Zeit am unmittelbarsten denn seine Befugnisse wur-
den darin verhandelt Jean-Paul Sartre war unterdessen interessiert am Dialog mit
Heidegger und Jean Beaufret wandte sich brieflich an ihn Diese Auseinanderset-
zung uumlber den Humanismus angestoszligen von Sartres Essay sbquoLrsquoexistentialisme est
un humanismelsquo8 (1946) bindet die franzoumlsischen Philosophen an den deutschen
6 Vgl Dahms Hans-Joachim Philosophie In Elvert Juumlrgen und Nilson-Sikora Juumlrgen (Hg)Kulturwissenschaften und Nationalsozialismus Stuttgart 2008 S 19-51
7 Sartre Jean-Paul Zum Existenztalismus ndash eine Klarstellung In Der Existenzialismus istein Humanismus und andere philosophische Essays 1943ndash1948 Philosophische Schriften IFrankfurt am Main 1994 S 114Das Zitat wird auch herangezogen im Kopfteil einer Wikipedia Ab-
handlung uumlber die bdquoHeidegger-Kontroverseldquo (httpsdewikipediaorgwikiMartin_Heidegger_und_der_NationalsozialismusDie_Heidegger-Kontroverse ndash zuletztabgerufen am 24042016)
8 Sartre Jean-Paul Lrsquoexistentialisme est un humanisme Editions Nagel Paris 1946
3
Kollegen der seinen sbquoBrief uumlber den Humanismuslsquo9 (1947) beisteuerte Dieser bi-
laterale Briefwechsel wie auch die konspirativen Vortraumlge im privaten Club zu
Bremen im Jahr 1949 denen Heideggers spaumlte Technikphilosophie entspringt
trugen zu einer Rehabilitierung bei Ab 1951 wurde Heidegger emeritiert wo-
durch er wieder in Freiburg lehren durfte
Diese Arbeit untersucht inwiefern Heideggers Technikdenken in den Bremer
Vortraumlgen (1949) von seinen seit 2014 vorliegenden sogenannten Schwarzen Hef-
ten (1931-1948 GA 94 ndash 97) Heideggers Notizbuumlchern zehren Diese sind die
wichtigste Quelle zum Nachvollzug seiner Gedanken zum Nationalsozialismus
und Rassismus geworden Die vielen Spekulationen um Heideggers menschliche
Defizite und deren Eingeschriebensein in seine Philosophie finden seitdem eine
handfeste Grundlage
Insofern wird der Frage nachgegangen ob und wie ein Programm anhand der
Schwarzen Hefte vorliegt das sich auf Heideggers Technikdenken niederschlaumlgt
Dazu wird davon ausgegangen dass Heidegger sich in eine Denkweise des My-
thologisierens begeben hatte die sich in den Schwarzen Heften manifestierte
Das untersucht Kapitel 2 Kapitel 3 untersucht wie die moumlgliche Mythologie der
Schwarzen Hefte mit dem ersten Vortrag seit Beendigung des Zweiten Weltkriegs
zusammen haumlngt
9 GA 9
4
2 Heideggers mythopoetisches
Programm
In diesem Kapitel wird die These aufgestellt dass Heidegger in den Schwarzen
Heften von 1931ndash1948 sich selbst eine Mythologie anlegt derer er sich in Veroumlf-
fentlichungen mythopoetisch bedient Die Mythopoetik aus seinen mythologi-
schen Annahmen bestimmt aber auch weite Teile seiner intimen Schriften (Denk-
tagebuumlcher) also die Schwarzen Hefte selbst Dh dass Heidegger sich seine ei-
gens gesetzte Mythologie aus fruumlheren Jahren als permanentes Zentrum seines
Philosophierens oder Nachdenkens fortschreibt und mit spaumlteren Gedanken zum
Zeitgeschehen aktualisiert Gerade diese Kohaumlrenz mit der er an seiner
Der Begriff der Mythologie und ferner der des Mythos bieten eine Vielzahl
von Moumlglichkeiten der Bestimmungen und Interpretationen Aus diesem Grund
ist der weiteren Erlaumluterung der These eines mythopoetischen Programms eine Be-
griffseingrenzung vorangestellt10 Genauso wird eine Erlaumluterung des Begriffs der
Mythopoetik dargelegt werden um darauf aufbauend Heideggers Vorstellungen
aus den Schwarzen Heften aufzudecken
21 Zu den Begriffen Mythos Mythologie
und Mythopoetik
Zur Bestimmung von Heideggers Vorstellungen als mythopoetisches Programm
werden die drei Begriffe Mythos Mythologie und Mythopoetik hier einer einfa-
chen lexikalischen Definition zugrunde gelegt Diese orientiert sich maszliggeblich
am Reallexikon der Deutschen Literaturgeschichtelsquo (RDL) das eine fachwissen-
schaftliche (philologische) Seriositaumlt besitzt die gefragten Begriffe aber auch kom-
pakt und uumlberschaubar abhandelt11
10 Eine fuumlr dieses Thema hervorragende Reflexion des Mythos-Begriffes bietet sich in Ernst Cas-sirers Der Mythus des Staateslsquo an Auf diesen Titel wird allerdings erst spaumlter eingegangenwerden um mit der Begriffseingrenzung nicht einen Cassirerrsquoschen uumlberbau zu erstellen
11 Die Eintraumlge des RDL werden hier bereits nur sehr sparsam verwendet bieten sie jedochweitaus reichhaltigere Reflexionen zu den drei gefragten Begriffen Trotz der faszinierenden
5
Insofern legt das RDL den Mythos uumlber die bdquoForm eines vorrationalen Wis-
sensldquo hinaus so aus
Mythos2 bezeichnet ein ndash oft einem vermeintlich wissenschaftlicheren lo-goslsquo als mythisches Denkenlsquo entgegengesetztes ndashWeltverhaumlltnis uumlber dessenEigenschaften [] immer wieder neu spekuliert wird und das man ua ausdem Mythos1 zu erschlieszligen sucht12
Zur Wortgeschichte erklaumlrt das RDL ferner dass im Fortschritt der bdquoFachschrift-
stellereildquo Mythos und Logos als Spannungsverhaumlltnis hervorzutreten beginnen
mit demmyacutetos als bdquoAusdruck fuumlr Erdichtetes oder Erfundenesldquo und logos bdquoals ver-
antwortende Redeldquo Mit der im RDL sogenannten bdquoFachschriftstellereildquo muss be-
reits die griechische Antike gemeint sein wenn es in der Begriffsgeschichte heiszligt
bdquo[i]n der antiken Geschichtsschreibung und Philosophie wird der Begriff fast im-
mer ex negativo im Hinblick auf das Nicht-Wissenschaftliche verwendetldquo13
Der Begriff Mythologie wird hauptsaumlchlich unterschieden in 1) eine bdquoZusam-
menstellung der Mythen einer bestimmten Kulturldquo und 2) deren bdquoErforschung
und theoretische Reflexionldquo14 Als Drittes kann die Zusammenstellung von hy-
postasierten poetischen oder heroisierenden Elementen als Mythologie aufgefasst
werden So sagt Adorno uumlber die deutschen Existentialisten dass sie bdquoin der ab-
soluten Verfuumlgung des Einzelnen uumlber sich [] soldatischldquolsquo an der bdquoBindung an
den Befehlldquolsquo15 hingen Sprecher solcherlei bdquoExistenz bewegen sich auf heroisie-
rende Mythologie zuldquo16 Insofern kann als Mythologie gelten was sich als solche
gebiert Er bindet dieses Mythologisieren in seinen Topos des bdquoJargons der Eigent-
lichkeitldquo ein der hauptsaumlchlich Heideggers eigenwilligem Sprachverhaumlltnis gewid-
Begriffsgeschichten von Mythos und Mythologie soll zugunsten der hier verhandelten The-se auf tiefergehende Reflexionen verzichtet werden Das Material dazu ist weiterhin uumlberdas RDL hinaus sehr umfangreich Dennoch wird davon ausgegangen dass der hier gewaumlhl-te Bedeutungsumfang der Begriffe dem Verstaumlndnis hinsichtlich der These von Heideggersmythopoetischen Programm genuumlgen wird
12 RDL S 665 Da das RDL in seiner Explikation von drei verschiedenen Bedeutungsdimensio-nen spricht wird in der zitierten 2 auf die 1 refereriert welche lautet ldquoMythos1 meint dieerzaumlhlende Darstellung von kollektiv bedeutsamen Orten und Figuren oder Naturphaumlnome-nen in aller Regel mit religioumlser oder kultischer Dimensionldquo (Ebd S 664)
13 RDL S 66514 RDL S 66015 Adorno Theodor W Jargon der Eigentlichkeit Zur deutschen Ideologie Frankfurt am Main
1964 S 10716 Ebd S 108
6
met ist Was Adorno als Abwehr gegen Heidegger und die deutschen Ideologen
der Moderne anfuumlhrt kann nicht in gleicher Weise auf die Romantiker fallen
Im 19 Jahrhundert fanden bei denen auch Bestrebungen statt Mythologie als
wissenschaftliche Wahrheitsfindung zu betreiben Mythologie ist dort bdquoSprache
der Phantasielsquo die jedoch auch Spuren der aumlltesten Geschichte enthalte und da-
durch deren Allegorisierung verhindereldquo17 Der Unterschied zwischen beliebiger
Allegorie und verbindlicher Mythologisierung liegt demzufolge im Rekurs auf die
bdquoaumllteste Geschichteldquo Der Antikestoff befluumlgelte Schriftsteller wie Philosophen zu
poetologischen und philosophischen Doktrinen die die bloszlige Zusammenstellung
von tradiertenMythen sprengten und ein progressives Mythologisieren forderten
Dieses Zusammenspiel fand seinen Houmlhepunkt im bdquoSystemprogrammldquo
[E]ine neue Mythologie der Vernunftlsquo welche den Gegensatz zwischendem Volk und einer philosophischen Elite aufloumlsen und eine allgemeineFreiheit und Gleichheit der Geisterlsquo verwirklichen sollte18
Daran beteiligt waren Friedrich Schlegel Hegel und Houmllderlin Bei den aus-
gepraumlgten Houmllderlinkenntnissen Heideggers kann von dessen Kenntnis des bdquoSys-
temprogrammsldquo ausgegangen werden auch wenn er dessen noblen Ziele nicht zu
beerben gedachte Gerade fuumlr Schelling jedoch bdquoist Mythologie das Mittelglied der
Ruumlckkehr der Wissenschaft zur Poesieldquo19 Es ist genau diese Aufwertung des Au-
tors aus einer Synthese von Kunst und dem Prozess ihrer archaischen Ruumlckfuumlh-
rung die Heidegger als Wahrheitsquelle vorphantasiert Er geht bei dieser My-
thologisierung so weit von der Errettung durch die Goumltter zu traumlumen wobei
er auf Houmllderlin als Mittlerfigur rekuriert der sich wiederum auf die Vorstellung
von Goumlttern der griechischen Antike bezieht Das ist ein Teil von Heideggers
voumllkischer Mythologie die eine reine Linie des Denkadels nachzeichnen will
Werden wir einen wirklichen geistigen Adel schaffen der stark genug ist dieUumlberlieferung des Deutschen aus einer groszligen Zukunft zu gestalten20
17 RDL 66218 RDL S 66319 Ebd20 GA 94 S 121
7
bdquoAus einer groszligen Zukunftldquo ist hierbei bezeichnend fuumlr die Vorstellung eines
Versprechens aus der Vergangenheit Das macht diesen Mythos aus Heideggers
Mythologie
Mythopoetische Texte schlieszliglich werden definiert als
Literarische Werke die Mythen aufnehmen und auf eine fuumlr die Textaussagekonstitutive Weise dichterisch bearbeiten21
Die Besonderheit von der bei der vorliegenden Arbeit ausgegangen wird ist dass
Heidegger in seinen echten Publikationen wobei hier besonders die Vortraumlge von
1949 von Interesse sind nicht bloszlig mythologisierte im Sinne eines bdquoerweiterten
Mythosldquo Sondern er schreibt als Mythopoet schoumlpfend aus seiner privaten My-
thologie Diese legte er sich selbst zu Grunde in den Schwarzen Heften Es sind die
Manifestationen seines Glaubens an romantisierte Antikeideale und seine Uumlber-
houmlhungen von Fantasien von einem deutschen Volk
Wie das Metzler Literaturlexikon es bereits aufweist bdquoDie weitere Explikation
des M-Begriffs ist komplex und faumlllt in die Zustaumlndigkeit verschiedener Diszipli-
nenldquo22 Die Begriffseingrenzung hier hat allerdings in Bezug auf das RDL einen
deutlich literaturwissenschaftlichen Bezug da Heidegger eine bdquoPartnerschaft zwi-
schen Denken u Dichtenldquo23 anstrebte ndash bdquoDas Dichterischelsquo sollte rettende Wege
im Zeitalter des universalen technolog Zugriffs findenldquo24 Damit ist auch zum
wiederholten Male das Kontrastierende in dieser Haltung genannt ob sich der
Mythos nun gegen das TechnischeWissenschaftliche richtet (Heidegger) oder ge-
21 RDL S 66522 Metzler Lexikon der Literatur S 524 Ferner deutet ein Eintrag im Neuen Pauly dar-
auf hin bdquoEine alle Disziplinen befriedigende Definition von M (μῦθοςmyacutethos latmythos) zu finden erweist sich trotz vieler Versuche als unmoumlglichldquo (Graf Fritz(Princeton) Zgoll Annette (Leipzig) Hazenbos Joost (Leipzig) Niehr Herbert (Tuuml-bingen) Mythoslsquo Der Neue Pauly Hg v Cancik Hubert (Antike) und Schnei-der Helmuth Landfester Manfred (Rezeptions- und Wissenschaftsgeschichte) Brill On-line 2015 Reference Universitaumlts- und Landesbibliothek Darmstadt 06 December2015 httpreferenceworksbrillonlinecomentriesder-neue-paulymythos-e815160 Firstappeared on-line 2006)
23 Poumlggeler Otto Heidegger In Killy Literaturlexikon Autoren und Werke des deutschspra-chigen Kulturraums 15 Bde 1988-93 Bd 5 S 142-146 hier S 144
24 Ebd S 142
8
gen die Rationalitaumlt (Cassirer) er hat stets bdquodas erklaumlrte Andere des logischen
Erkennensldquo25 inne26
211 Ein Beispiel fuumlr ein Mythologem
bdquoDen μῦθος und λόγος [] aus ἀλήθεια erfahrenldquo27 Dieses System entruumlckt
Wort und Rede dem zwischenmenschlichen Sprachgebrauch und uumlberlaumlsst es dem
Prinzip eines eigenwillig ausgelegten Begriffs der ἀλήθεια ob etwas als Ereignis
zum Sein gereicht oder als Dasein hinfaumlllig ist Die erstrebenswerte Identifikation
mit dem bdquoLeben der Gemeinschaft und mit dem Leben der Naturldquo28 die der ge-
meinsame Austausch uumlber Mythen bieten soll zB im Raumlsonieren daruumlber (etwa
im Sinne des Logos) untersteht hier dem regelnden Prinzip einer Aletheia Mys-
thagogisch will Heidegger den archetypischen Akt dieser Wesensschau beim anti-
ken Griechenvolk enthuumlllen (vgl Kapitel 323) Damit ist die Zusammenstellung
von bdquoμῦθος und λόγος [] aus ἀλήθεια erfahrenldquo bereits ein Mythos seiner
Mythologie
Die Eigenwilligkeit mit der Heidegger einen Mix aus philologischer Hinwen-
dung zu den Vorsokratikern der Dichtung Houmllderlins und einem Pathos seiner
Heimatverbundenheit verquickt ist Adorno schon in den 1960ern als Mythologie
aufgefallen bdquoAntisophistik im Endstadium aufbereiteter Mythologie ist verhaumlrte-
tes Ursprungsdenkenldquo29 Adorno konnte nicht ahnen wie tief Heidegger seinen
Wunsch nach Ursprung in sein Denken verschlossen hat Der Bestand bdquoaufbe-
25 Erdbeer Robert Matthias Graf Fritz Mythoslsquo Der Neue Pauly Herausgegeben vonHubert Cancik Helmuth Schneider (Antike) Manfred Landfester (Rezeptions- und Wis-senschaftsgeschichte) Brill Online 2015 Reference Universitaumlts- und LandesbibliothekDarmstadt 06 December 2015 lthttpreferenceworksbrillonlinecomentriesder-neue-paulymythos-rwg-e1505640gt First appeared online 2006
26 Ernst Cassirer interpretiert in diesem Bezug ferner nachdem er den Konflikt zwischen ra-tionalem und mythischem Denken als Machtkonflikt aufwies Kants Annahme von zweibdquoGruppen von Gelehrten und Forschern die eine befolgt das Prinzip der Homogenitaumltlsquo dieandere das der Spezifikationlsquo [] Nach den Prinzipien der Kantischen Philosophie selbststehen beide Haltungen nicht wirklich im Widerstreit miteinander Denn sie druumlcken keinefundamentale ontologische Differenz aus keine Differenz in der Natur und dem Wesen derDinge an sichlsquo Sie repraumlsentieren eher ein doppeltes Interesse des menschlichen Verstandesldquo(Cassirer S 12) Allerdings ist Heidegger anti-wissenschaftlich Sein Ringen um das Mythi-sieren verfolgt das Ziel einer gegenwissenschaftlichen bdquoBesinnungldquo wie er es nennt
27 GA 97 S2028 Cassirer Der Mythus des Staates S 5329 Adorno Jargon der Eigentlichkeit S 41
9
reiteter Mythologieldquo liegt erst seit 2014 mit der Veroumlffentlichung der Schwarzen
Hefte vor
22 Heideggers Mythen
Heideggers Mythen sind weder eine Fortsetzung antiker Uumlberlieferungen noch
ein von ihm entwickeltes Fabulieren uumlber anthropomorphe Goumltter und ihre Ent-
stehungsgeschichten Es ist in erster Linie eine eigenwillige Philologie des Alt-
griechischen wenn er zB in bdquogeschichtlicher Besinnungldquo zum Zuruumlckgehen bdquoauf
den Zusammenhang von τέχνη ἀλήθεια und οὐσίαldquo30 auffordert Adorno cha-
rakterisiert seinen Begriff vom Jargon der Eigentlichkeitlsquo mit dem Zug der sta-
tischen Inbeschlagnahme einzelner Woumlrter die sich bdquodurch die Konstellation die
sie verleugnenldquo aus demDiskurs sprengten und als Apotheosen eine uumlbertriebene
Eigenbedeutung erhalten wuumlrden Diese guerrillaartige Umdeutung von Sprache
versteht Adorno als Asyl des Faschismus31
Was das singulaumlre Wort an Magie verlor wird ihm gleichwie durch Maszlignah-men dirigistisch angeschafft [] Bestandstuumlcke der empirischen Sprachewerden in ihrer Starrheit manipuliert als waumlren sie solche einer wahren undgeoffenbarten [] Der Jargon objektiv ein System benutzt als Organisati-onsprinzip die Desorganisation den Zerfall der Sprache in Worte an sich32
Die bdquoDesorganisationldquo die Adorno Heideggers Sprachzerfall zuweist ist viel-
mehr eine Neukonstellation im Sinne des Mythos So erscheint es zumindest
anhand der Leese die Heidegger in den Schwarzen Heften zusammentraumlgt Der
deutsch-schweizerische Philosoph Enno Rudolph fuumlhrt in diesem Zusammen-
hang einige Militaumlrmetaphern an die Heideggers Zielsetzung unterstreichen sol-
len mit seinem Sprachsystem voumllkisch-nationale und eben auch antisemitische
Abgrenzungspolitik zu betreiben
30 GA 94 S 336f31 Vgl Adorno Jargon der Eigentlichkeit S 8f bdquoAsyl des Faschismusldquo ist eine treffende Parodie
auf Heideggers Rede von der Sprache als Haus des Seins (su)32 Ebd S 10
10
Am Ende koumlnnten sich Text und Sache moumlglicherweise so darstellen lassen[] dass sich das Gesamtwerk als die labyrinthisch konstruierte letzte Basti-on eines philosophischen Stellungskrieges positioniert in dessen Verlauf derAntisemitismus ndash neben den anderen programmatischen Feindseligkeiten ndasheine strategische Funktion nach Analogie mehrerer einander koordinierterWaffengattungen erfuumlllt [] dass es sich bei den vier Baumlnden um Bausteinefuumlr eine Kampfschrift handelt33
Mit dem Schluumlssel des Verstaumlndnisses der altgriechischen Sprache seiner Liebe
zum Klassikautor Houmllderlin und als selbsterklaumlrter Feind der Metaphysik ver-
stand sich Heidegger als Prophet des Denkens das als Dichtung veredelt An-
athema zur Rationalitaumlt und Wissenschaft (worunter er auch die Philosophie ver-
stand) sein sollte Die strenge Bindung an seine Pseudotradition des Abendlandes
sollte mythologisch festgezurrt sein aber seine Veroumlffentlichungen in Form von
Vortraumlgen und Aufsaumltzen und schlieszliglich in Buchform sollten selbst nicht bloszlig
mythologisch sein ImModus von verhaumlrtetem solipsistischen Narzissmus ging er
daruumlber sogar noch hinaus und wollte sich verstehen als mythopoetischen Autor
seiner eigenen Mythologie
Eine katalysierende Wirkung auf dieses Vorgehen Heideggers hatte der Alt-
philologe Walter F Otto (1874ndash1958) In einem vor den Schwarzen Heften in
2009 veroumlffentlichen Aufsatz schildert der franzoumlsische Germanist Daniel Meyer
von diesem Bezug und untersucht Heideggers Verbindung der Kehre34 und des
Mythos Die Entdeckung des griechischen Mythos Heideggers geschichtsphilo-
sophische Wendelsquo35 Wie es der Titel verraumlt markiert Meyer Heideggers Kehre
zur Seinsgeschichte mit dessen bdquoEntdeckungldquo des Mythologisierens36
33 Rudolph Enno Heideggers Schwarze Hefte im Echo In Philosophische Rundschau Bd 62Heft 2 (2015) S 141-154 hier S 145f
34 Die bdquoKehreldquo ist multifaktoriell mit Bedeutungen besetzt Darauf kann hier nicht eingeangenwerden Im Uumlblichen ist die Kehre zur bdquoSeinsgeschichteldquo gemeint
35 Meyer Daniel Die Entdeckung des griechischen Mythos Heideggers geschichtsphilosophi-sche Wende Germanica 45 (2009) S 13-26
36 Diese Entdeckung ist wie bei Peter Trawny (su) gebunden an Heidegger Topos des AnfangsDen Anfang dieser Rede des Anfangs will auchMeyer erkannt haben Insgesamt koumlnnen nochmehrere starke Aumlhnlichkeiten des Artikels von Meyer mit Trawnys Buch uumlber die Schwar-zen Hefte nachgewiesen werden womit Trawny ohne jegliche Nennung Meyers unter denAnfangsverdacht des Plagierens faumlllt
11
Ottos 1929 erschienenes Werk Die Goumltter Griechenlandslsquo37 sei laut Meyer
der fuumlr Heideggers mythologische Strategie unentbehrliche Einfluss Somit sei
der griechische Goumltterbegriff nicht mehr bdquochristlich antithetisch zu Welt und
Mensch sondern in Einheit damit zu denkenldquo38 Diese Einheit wuumlrde gestif-
tet durch bdquoOttos Formel vom Geheimnis der Beruumlhrung von Goumlttlichem und
Menschlichenlsquoldquo39 Da Meyer das Mythologisieren im Zusammenhang mit der ge-
schichtsphilosophischen Kehre auch im Sinne einer bdquoVorrangstellung des primi-
tiven archaischen von ihm [Heidegger DS] als mythisch verstandenen Den-
kensldquo40 als Weg zum Nationalsozialismus ndash der Traum Heideggers eines neuen
(deutschenabendlaumlndischen) Anfangs ndash versteht liegt dem bdquogriechischen Goumltter-
begriffldquo hier eine besondere Wertlegung zugrunde41
Die Beschwoumlrung des Anfangs des griechischen Ursprungs ermoumlglicht ei-nen genuinen Neuanfang im Sinne einer Annullierung des Vorhergekom-menen Der Ausweg aus der Moderne aus der Welt der Uneigentlichkeitist moumlglich durch einen Bruumlckenschlag zum griechischen Denken [] DieMoumlglichkeit diese Krise zu uumlberwinden ist fuumlr Heidegger 1933 durch dienationalsozialistische Machtergreifung gestellt doch reiht er diesen Prozessin eine legitimierende geschichtsphilosophische Perspektive die auf einengriechischen Ursprungsmythos zuruumlckverweist42
Meyer findet kernige Passagen die er aus Heideggers Schriften und Vorle-
sungen bis 1935 durchaus uumlberzeugend zur Unterstuumltzung seiner These anfuumlhrt
Diese Zitate Heideggers sind der Mythologie der Schwarzen Hefte sehr aumlhnlich als
tentatives Entwerfen
37 Otto Walter F Die Goumltter Griechenlands Das Bild des Goumlttlichen im Spiegel des griechi-schen Geistes Frankfurt am Main 2013Meyer verweist in einer Fuszlignote auf das Buch Heideggerrsquos Roots Nietzsche National So-
cialism and the Greekslsquo von Charles Bambach (2005) das ihm fuumlr diese Aussage Pate stand38 Meyer Die Entdeckung des griechischen Mythos S 439 Ebd Durch eine solche Formel der Einheit von Menschen und Goumlttern ist ein nahtloser
Anschluss an die Goumltter Heraklits und anderer antiker Philosophen geebnet Heidegger hatdiese Moumlglichkeit erstaunlich ernst genommen und ausgearbeitet
40 Meyer Die Entdeckung des griechischen Mythos S 341 Meyer stolperte mit der Begruumlndung dass bdquoDieser erstaunlich unkritische Gottesbegriff []
sich nur im Kontext von Ottos Goumltter Griechenlands verstehenldquo (Meyer Die Entdeckungdes Griechischen Mythos S 4) lieszlige uumlber Heideggers SoSe Vorlesung 1930 Vom Wesender menschlichen Freiheitlsquo (GA 31 S 7f) Ferner vollzieht er Ottos Einfluszlig uumlber die ersteHoumllderlin-Vorlesung von 193435 und weitere Schriften Heideggers nach Es geht Meyerauch stark um das Verhaumlltnis von Heideggers Denken bis und nach Sein und Zeit was indieser Arbeit nicht tiefer behandelt werden kann
42 Meyer Die Entdeckung des griechischen Mythos S 4f
12
Das legt nahe dass Heidegger sein mythopoetisches Texten als Code vor allem
in den Nachkriegsveroumlffentlichungen einsetzt ndash ein Nachruf aus dem gescheiter-
ten Anfang43 Ab 1935 jedenfalls haumltte sich Heidegger von der Vorstellung des
neuen Anfangs verabschiedet44
Das Mythologisieren konstruiert Meyer als Anschluss an die Houmllderlin-Vor-
lesung (193435) Die Houmllderlinsche Lyrik haumltte fuumlr Heideggers bdquophilosophisches
Sprachmaterialldquo Vorbildcharakter da bdquomit Houmllderlin die griechische Mytholo-
gie in ihrer sprachlichen Verbildlichung zum tragenldquo45 kaumlme Die dann staumlndige
Wiederauferstehung der bdquogriechischen Goumltter- und Heldenwelt in seinen Vorle-
sungenldquo schluumlge dem zu Buche In der Vorlesung 193435 Houmllderlins Hymnen
Germanienlsquo und Der Rheinldquo klingt insofern bereits eine Figur an die Heidegger
uumlber zehn Jahre spaumlter in seinen technikphilosophischen Bremer Vortraumlgen mit
seinem Aletheia-Prinzip verbinden wird ndash der bdquoBlitzldquo (su)
43 Eine genaue Untersuchung laumlszligt die Form dieser Arbeit nicht zu sie bezoumlge sich wie gesagtauf die drei Darstellungsebenen der GA mit den Schwarzen Heften (GA 94ndash97) als (Entwurfs-phase) Besinnung (GA 66) Das Ereignis (GA 71) ua als (Konzeptionsphase) und den BremerVortraumlgen (GA79) als (Praumlsentation) die Uumlbergaumlnge sind freilich flieszligend und gerade in denvon Meyer zitierten Vorlesungen erscheinen alle drei Stufen mitunter gleichzeitig Gerade imfolgenden zitierten Doppelband in dem es ua um die bdquoWahrheit der Spracheldquo geht scheintes tatsaumlchlich genau wie Meyer es identifiziert um die Grundlegung Heideggers Mythologiezu gehen die in den Schwarzen Heften vielmehr lemmaartig und sporadisch entworfen wirdMit Heraklits Spruch des Kampfes als Wesen des Seienden zieht Heidegger einen Paten seinerMythos-Logos-Aletheia Kombination heran und versucht seiner eigenwilligen Philologie ei-ne verpflichtende Bedeutungstiefe einzulegenMeyers Zitate Heideggers mit groszliger Relevanz fuumlr diese Arbeit sind die folgenden bdquoDa-
mals als das Volk der Griechen deren Stammesart und Sprache mit uns dieselbe Herkunfthat in seinen groszligen Dichtern und Denkern sich aufmachte eine einzigartige Weise desmenschlichen volklichen Daseins zu schaffen Was da anfing ist bis heute nicht eingeloumlstAber dieser Anfang ist noch nicht und er verschwand nicht und verschwindet nicht dadurchdaszlig die nachkommende Geschichte immer weniger seiner Herr blieb Der Anfang ist nochund besteht als ferne Verfuumlgung die unserem abendlaumlndischen Schicksal weit vorausgreift unddas deutsche Geschick an sich kettetldquo (GA 3637 S 6 Die Grundfrage der PhilosophielsquoSommersemester 1933)bdquoAls μυθος ist das Wort das uumlber den Menschen kommt jenes worin ihm dieses und
jenes seines Gesamtdaseins gedeutet wird nicht das Wort in dem er von sich her Rede stehtsondern das Wort das Weisung gibt [] Aber der urspruumlngliche λογος der Philosophiebleibt dem μυθος verbunden erst die Sprache der Wissenschaft vollzieht die Abloumlsungldquo(Ebd S 116)
44 In den Schwarzen Heften houmlrt die Sehnsucht nach dem neuen Anfang nicht auf also bis ein-schlieszliglich 1948
45 Meyer Die Entdeckung des griechischen Mythos S 6
13
Gewitter und Blitz sind die Sprache der Goumltter und der Dichter ist derder diese Sprache ohne Ausweichen auszuhalten hat aufzufangen und in dasDasein des Volkes zu stellen hat [] Die Dichtung ist ein Weiterwinkendieser Winke in das Volk oder von diesem her gesehen Dichtung ist []ein Zeigen ein Weisen in welcher Weisung die Goumltter offenbar werden46
Die Rede von bdquoWinkenldquo ist bereits ein Selbstbezug benannte der Autor der
Schwarzen Hefte seine ersten beiden Abteilungen des heutigen 94ten Bandes der
GA als Winke x uumlberlegungen (II) und Anweisungenlsquo und uumlberlegungen und
Winke IIIlsquo47 Diese setzen ein im Jahr 1931 und duumlrften moumlglicherweise bis 1933
oder vielleicht auch 1935 gereicht haben Heideggers Selbstuumlberhoumlhung als mys-
tagogisch bdquodichterisch-denkenden Schaffenden ndash also ihm selbstldquo48 erkennt auch
Meyer bereits ohne die eindeutigen Zeugnisse dieses Wunsches in den Schwarzen
Heften Es ist Heideggers Begehren das Volk seiner Fuumlhrung zu unterstellen bdquoso
dass sich das Wesen dieses Landes selbst findet und vollendetldquolsquo49
Meyer spricht in Folge daran davon was Heideggers Ursprungsmythos den
er in die griechische Altertum legt fuumlr diesen leistet Es ist eben das antiwis-
senschaftliche bdquoWissenldquo von einer bdquoUr-geschichteldquo Welche abgruumlndigen Motive
auch immer da hineinzuprojizieren sind (Bodenhaftigkeit arische Reinbluumltigkeit
abendlaumlndische Groumlszlige etc so wie es sich aus den Schwarzen Heften offenbart)
der Mythos verschraumlnkt Heideggers Streben nach Fuumlhrung als Denker und eine
Begruumlndung fuumlr die vermeintliche rassische uumlberlegenheit des deutschen Volkes
Meyer zitiert den Dichter-Denker mit bdquoMythologielsquo ist Wissen von einer Ur-
geschichteldquolsquo Es ginge um
Wissen nicht im archaumlologisch-musealen Sinn sondern als Prozess [] auchim Sinne dass Heidegger im Moment des Aussprechens gerade das leistetwovon er spricht Mythologie50
Augenscheinlich sieht Meyer keinen Grund dafuumlr von einer mythopoetischen
Textform in der Verschraumlnkung von Heideggers Denkerprophetie und der abend-
46 GA 39 S 31f (zitiert nach Meyer Die Entdeckung des griechischen Mythos S 6)47 Aus dem beigefuumlgten Nachwort des Herausgebers Peter Trawny geht nicht genauer hervor
weshalb zuerst bdquoWinke x uumlberlegungen (II)ldquo und dann bdquouumlberlegungen und Winke IIIldquo signi-fiziert sind Es wird hier davon ausgegangen dass es sich schlicht um das Gleiche handeltwobei der erste Teil sich in den bislang verschollenen Schwarzen Heften befinden muss
48 Meyer Die Entdeckung des griechischen Mythos S 749 Ebd Darin zitiert ist die GA 39 S 28950 Ebd Darin zitiert ist die GA 40 S 165
14
laumlndischen uumlberhoumlhung zu sprechen Die Paarung von Dichtung und Denken al-
lerdings ist fuumlr den Husserlnachfolger erst der Zweck und die Mythologisierung
das Mittel dazu In seiner Schrift uumlber die Religionsphilosophie und ontologi-
sches Wahrheitsverstaumlndnis bei Walter F Ottolsquo schildert der Altersforscher und
Sozialwissenschaftler Schulz-Nieswandt aus Koumlln uumlber die menschliche Existenz
die bdquoMythopoetik als Seins-Vergewisserungldquo51
In jenem Kapitel seines Otto-Traktats von 2014 schreibt Schulz-Nieswandt
wie ein echter Epigone Heideggers von der Wappnung gegen die bdquoKrise der Mo-
derne ndash Entfremdung Einsamkeit Angst Verzweiflungldquo52 An fruumlherer Stelle
seines Buchs stellt sich dar dass Schulz-Nieswandt sich geradezu mit Heideggers
Linie vereint anstatt sich ihr nur anzunaumlhern
Es geht um das wahre Sein aus der Sicht des zu seinem Wesen gelangendenMenschen in dessen Daseinsfuumlhrung was hermeneutisch erschlossen wer-den soll nicht um Wissenschaft als hermeneutische Methode im Kriterien-spektrum zwischen Verifikation und Falsifikation von Hypothesen mittelsProtokollsaumltzen uumlber die Realitaumlt53
51 Schulz-Nieswandt Frank Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis beiWalter F Otto (1874-1958) Eine strukturalistische und psychodynamische RezeptionBaden-Baden 2014 S 58-60
52 Ebd S 58 Dabei spielt Schulz-Nieswandt die Begriffe Epistemologie gegen Ontologie ausund bezeichnet sich selbst als post-strukturalistisch im Sinne der Kritischen Theorie schrei-bend Jedoch erscheinen diese philosophischen Kontraste nur wie bdquoEdelsubstantiveldquo des vonAdorno gemuumlnzten bdquoJargon der Eigentlichkeitldquo Und in genau diesem Jargon laumlszligt der So-zialwissenschaftler Heideggers Urmythos des Goumlttlichen der griechischen Antike (so) inaktueller Praumlsenz wieder auferstehen Es ist erstaunlich dass jemand der die Kritische Theo-rie fuumlr sich reklamieren will Epigone des bdquoJargons der Eigentlichkeitldquo ist So zeigt es sichauch auf S 28 wenn er in Ottos Dionysos bdquodie ganze Tiefe des Menschen zum Ausdruck[bringt DS] die Todeserfahrung des sterblichen Menschen Dionysos ist Hadesldquo Um nocheinmal zu bestaumltigen wie sich Schulz-Nieswandt als Akteur des Jargons gebiert sei hier Ador-no zitiert (dies gilt allerdings nur der Gegenuumlberstellung zum Vorsatz jener wuumlrde sich ander Kritischen Theorie orientieren ohne fuumlr diese zu advozieren) bdquoDer Heideggerschen Phi-losophie schloszlig sich was einmal Pforte zum ewigen Leben war zu sie betet statt dessenWucht und Groumlszlige des Tores an [] Sein wuumlrdevolles Gehabe ist Reaktionsbildung auf dieSaumlkularisierung des Todes [] Darum wird Sinn in den Tod geworfenldquo (Adorno Jargonder Eigentlichkeit S 134)
53 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei WalterF Otto S 15
15
Beiden gemeinsam ist auch die Faszination an Houmllderlin die sie ebenso mit Otto
teilen
Die ganze Eigenart des Denkens von Otto kommt in dem komplett innerenVerhaumlltnis zu Heidegger und Houmllderlin zum Ausdruck54
Nur noch ein Gott kann uns rettenlsquo so das Zitat des Spiegelinterviews das Ja-
kob Augstein zum Titel machte ist die kodierte Mythopoetik auf die sich die
Spiegelleser keinen Reim machen konnten Fuumlr Heidegger fuumlr den das Sein in der
Sprache wohnen sollte55 ging es um den Mythos der Naumlhe zur Antike als Naumlhe
zu den Goumlttern
Fuumlr Houmllderlin war die Theologie der Abwesenheit Gottes als uumlberweltlichePraumlsenz der Verlust der Gotteserfahrung des diesseitig verankerten Men-schen [] Die Antike wird als eine von Goumltternaumlhe charakterisierte Zeitvon Houmllderlin verstanden und erneuert (der kommendelsquo Gott) ersehnt56
Dies ist eine der Leit-Mythen Heideggers insbesondere wenn man sich die Nach-
kriegsvortraumlge ansieht (eben die Bremer Vortraumlgelsquo)
Die Aufhebung der Trennungsangst durch die bdquoAbwesenheit der Goumltterldquo uumlber-
winde der in existenzieller Angst befindliche bdquohomo abyssusldquo mittels bdquoder lie-
bevollen Gestaltung als Sich-Einrichten des Menschen [] als apriorischer Mo-
dus des In-der-Welt-Seinsldquo durch die bdquoEwigkeit der Mythopoetikldquo57 Fuumlr Schulz-
Nieswandt ist Mythopoetik eben nur dieses ein peganistischer Goumltterdienst der
den Kanon der Ottoschen Antike mit Houmllderlin interpretiert Insofern versteht
dieser versuchte Religionsphilosoph der eigentlich Sozialforscher ist Heideggers
Mythologie als schoumlpfend aus geteilter Quelle mit Mythen als Gemeinplaumltzen
derer sich der Denker-Dichter philologisch sicher bediene
Dabei geht es Schulz-Nieswandt umHeideggers Aletheia-Prinzip das er bdquoWahr-
heitsbegriffldquo nennt ndash welches bdquoDie Differenz der Technik als Herrschaft uumlber
54 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei WalterF Otto S 20
55 Vgl GA 7 S56 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei Walter
F Otto S 2157 Vgl Ebd S 59
16
Dinge von der Kunst als Schoumlpfung als Lichtung des Seins zur Wahrheit unter-
scheidetldquo58 Houmllderlins Goumlttliches waumlre darin vermisst und von Bedarf fuumlr den
Menschen Mit der Nomenklatur der griechischen Goumltter Houmllderlins und Ottos
ginge es beim Wahrheitsprinzip um bdquodie Erinnerung an Dionysos als der wie-
der kommende Gott []ldquo sie bdquofuumlhrt zur Lichtung des Seins als Wahrheitldquo59 Der
Mensch waumlre also Hirte seines Seins nicht Herr der Technik zum Sein bdquoDas Sein
ist den Menschen nicht technisch verfuumlgbar Die notwendige Einkehr wird zu
Heimkehrldquo60
Insofern zeichnet Schulz-Nieswandt ganz in Heideggers Sinne nach wie Hei-
mat und Irrationalitaumlt des Mythos zusammenfallen im Kanon der Goumltter-Mytho-
poetik Zum einen ist allerdings Heideggers Mythologie nicht so sehr an diese
Mythopoetik uumlber die Goumltter gebunden sondern bewegt sich frei im eigenwil-
ligen Auslegen von altgriechischen und deutschen Begriffen Zum anderen ist es
erstaunlich dass Schulz-Nieswand 2014 die Bedeutung der Mythopoetik fuumlr Hei-
deggers Ursprungsmythos des neuen Anfangs ignoriert und damit auch die gan-
ze voumllkisch-nationale Aura und damit die Abgrenzungspolitik Vor allem aber
richtet sich Heidegger nicht in einer bdquoliebevollen Gestaltungldquo menschlich ein
wie Schulz-Nieswandt es schon pathetisch darstellt sondern befeinded sich mit
allem ihm Zuhandenen als bdquoRaprochementldquo61 in alle Richtungen und pocht auf
bdquogeschichtliche Besinnungldquo als bdquoAuftrag des Deutschenldquo62
221 Formen der Mythologie
Mit den zwei oben herangezogenen Arbeiten uumlber Mythologisieren und Mytho-
poetik Heideggers sollte in dieser Arbeit das Verstaumlndnis seines Projekts der an-
tirationalen und antitechnischen Ausrichtung in den aktuellen Forschungsstand
gestellt werden Um welche Mythologie es sich in den Schwarzen Heften handelt
wird im Folgenden aufgedeckt werden Bereits in dem ersten Heft der Denktage-
58 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei WalterF Otto S 58
59 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei WalterF Otto S 59
60 Ebd61 Wolin Richard Heideggers bdquoSchwarze Hefteldquo Nationalsozialismus Weltjudentum und Seins-
geschichte In Vierteljahrsheft fuumlr Zeitgeschichte Bd 63 Heft 3 S 379-41062 GA 94 S 66
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buumlcher verschmilzt Heidegger seine Vision von Dichten und Denken stellt sich
unter dieses Ideal
Dichten undDenken ineinander geschlungen und so waumlre ihrWas im verbindend-trennenden Bestimmen gewonnen63
Als bdquoAusgriff in den Begriffldquo versteht Heidegger dies als bdquovorschreibend-bildenden
Entwurfldquo der hinfuumlhrend zum Ereignis des Aletheia-Prinzips waumlre ndash
(Dichtung als Mythos
Dichtung als Dichtung im engeren Sinne gtgtGedichtltlt
Dichtung als Philosophie)64
Grundsaumltzlich ist die lose wirkende Legion von Lemmata nicht mit einer
Ruumlckfuumlhrung seiner Gedanken auf bestimmte griechische Goumltter und antike (ech-
te) Mythen besetzt Heidegger fetischisiert Begriffe und mythologisiert die von
ihm aufgepfropfte Bedeutung durch ein staumlndiges Wiederholen und Weiterden-
ken als bdquoWissenldquo wie Meyer es herausgearbeitet hat In dieser philosophischen
Alchemie sieht sich Heidegger als Denker als Bewahrer einer uralten Lehre die
eben neu widererstarken muumlsse Das hat Meyer auch schon klar gemacht Die My-
thopoetik erscheint aber hauptsaumlchlich nicht in den Schwarzen Heften sondern in
den Vortragspublikationen sich auf seine private Mythologie beziehend die in
den Schwarzen Heften zu Grunde gelegt wird
Die Mythen Heideggers drehen sich wie Meyer zurecht behauptet um den
Ursprung bei den Griechen den bdquoGrund der Geschichte des Abendlandesldquo65
Aber auch um die vielen Binaritaumlten die sich entgegengesetzt werden und tat-
saumlchlich wie der Heidegger-Herausgeber und Initiator und Leiter des Wupper-
taler Heidegger Instituts Peter Trawny es benannt hat auf einen Manichaumlismus
zulaufen66 Die Abgrenzungspolitik im Sinne des schuumltzenswerten abendlaumlndisch-
heimatlichen Deutschlands richtet sich gegen den inneren Feind vorangetrieben
63 GA 94 S 6564 GA 94 S 6665 GA 96 S 20566 Trawny Peter Heidegger und der Mythos der juumldischen Weltverschwoumlrung Frankfurt am
Main 2015 S 22Das hier aufgefuumlhrte Buch birgt einige problematische Umformungen zum Verhaumlltnis von
Heideggers Antisemititsmus Allem voran versucht es eine Begriffsbildung zu formen nach
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von der Rechenhaftigkeit des juumldischen Wesens und die aumluszligeren Feinde wie Ameri-
kanismus franzoumlsische Kultur russischer Bolschewismus usw Heideggers Urmythos
vom neuen Anfang ist verquickt mit einem selbstangedichteten Personenmythos
was ebenfalls Meyer schon erkannt hat Dieses Schema ist die Grundstruktur
Immer deutlicher wird in mir die Ahnung daszlig unsere Heimat der Kerndes suumldwestdeutschen Landes [er selbst DS] der geschichtliche Geburtsortdes abendlaumlndischenWesens sein wird [] es ist das Geistvolle und zugleichdas erdenhafte schoumlne Land Es birgt unsichtbaren Reichtum dem Gemuumltbewahret tiefstes Dichten und houmlchste Gestalt der Sage67
Die mitunter wichtigste Dichotomie die Heidegger in den Denktagebuumlchern
aufwirft ist die zwischen Historie und Geschichte Es ist insofern nicht nur der
Mythos des neuen Anfangs der Heideggers Denken uumlber fast zwei Dekaden be-
stimmt sondern umso mehr die doppelte Projektion ndash des Verfalls (Machenschaft)
in eine Konstruktion von Historie und des Bestehens (Sein) in die konstruierte
Geschichte68 Geschichte faumlllt dann schlieszliglich mit der Schaffung des neuen An-
fangs so zusammen wie Historie mit Technik verschraumlnkt wird Geschichtlichkeit
muss durch das Prinzip des Ereignisses der Aletheia prozessiert werden waumlhrend
die verrationalisierte wissenschaftliche technische Historisierung des Lebens und
der Lebenswelt dem widerstrebt
Die Bindung von Heideggers Vorstellung des richtigen Lebens im Sein mit
demAbendland und einer voumllkisch-nationalen Groumlszlige undUumlberlegenheit Deutsch-
lands ist dabei ausschlaggebend Denn mit der Charakterisierung des Guten auf
derer Heideggers Antisemitismus mittels Heideggers Denkmethode behandelt aufgehobenwerden koumlnnte Die Hauptbegriffe darin sind bdquoSeinsgeschichtlicher Antisemitismusldquo undbdquoKontamination des Denkensldquo Von einer tieferen Auseinandersetzung muss an dieser Stelleabgesehen werden
67 GA 97 S 5468 In Band 66 der GA gibt es bereits einen kleinen Abriss der Historie und Techniklsquo die der Ge-
schichte gegenuumlbergestellt werden Das dies eine Uumlbertragung der Gedanken aus den Schwar-zen Heften ist ist ohne Zweifel Ein ansatzweise philosophisches Vorgehen vermengt sichdort mit dem poeto-mythologischen Denken Heideggers In Sachen mythopoetischer Figu-ren undMetaphernreichtum haumllt sich dieser dort aber noch zuruumlck (auch wenn er hier bereitsoumlffentlich vom bdquohistorischen Tierldquo redet) Die Absicht Technik und Historie als Verstellungdes abendlaumlndischen Menschen zu brandmarken stehen dabei im Vordergrund Weiterhinsoll in dieser Arbeit allerdings der Fokus auf den Schwarzen Heften und der Mythopoetik inden Technikvortraumlgen der Nachkriegszeit liegenDer Duden sieht Geschichte und Historie als Synonyme Von einer Ethymologie und der
Spekulation von Heideggers Gruumlnden der Auseinanderhaltung der zwei Synonyme soll hierabgesehen werden
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der Seite des Seins sind die Feinde dessen eine Notwendigkeit seines Erklaumlrungs-
schemas Dabei sind es vor allem die Juden denen die Wurzel des Antiseien-
den von Heidegger in ihr vermeintliches Wesen geschrieben wird Exemplarisch
spricht dafuumlr dieses Zitat aus Band 96
Die zweite Machtsteigerung des Judentums aber hat darin ihren Grund daszligdie Metaphysik des Abendlandes zumal in ihrer neuzeitlichen Entfaltungdie Ansatzstelle bot fuumlr das Sichbreitmachen einer sonst leeren Rationalitaumltund Rechenfaumlhigkeit die sich auf solchem Wege eine Unterkunft im Geistlsquovarschaffte ohne die verborgenen Entscheidungsbezirke von sich aus je zufassen zu koumlnnen69
Diese Vorstellung ist eine Konkretisierung dessen was Heidegger mit den Uumlber-
begriffen Historie vs Geschichte einige Jahre vorher begann zu topografieren
Wir sind durch die Historie geschwaumlcht [] ndash wir koumlnnen nur durch das ge-rettet werden was uns in seiner Verfaumllschung widert ndash durch die Geschich-te70
Dieses bdquoWirldquo sind die glorifizierten Deutschen vor allem nach der Ableitung von
den Griechen uumlber Houmllderlin (und dessen Griechen) und Nietzsche zu ihm und
seinem kleinen Kreis von ihm anerkannter Intellektuellen-Kollegen wie etwa
Carl Schmitt Oswald Spengler Walther F Otto und Ernst Juumlnger Die Luft auf
Heideggers Denker-Olymp ist duumlnn und bekommt nur Wenigen
Die Geschichte in Heideggers solipsistisch-immanenten Nachdenken erklaumlrt
sich wie gesagt immer zusammen mit der Hoffnung auf den neuen Anfang und
als Besinnung auf das Denken als Akt gegen die Historie Die Paarung der zwei
Woumlrter bdquoGeschichteldquo und bdquoBesinnungldquo durchzieht in deutlicher Haumlufigkeit alle
vier Baumlnde der Schwarzen Hefte ndash bdquogeschichtliche Besinnung [] ist die Uumlberwin-
dung der Historie und des Historismusldquo und sie bdquobedarf der houmlchsten Strenge
hinter der die historische Exaktheitlsquo weit zuruumlckbleibtldquo ndash somit ferner bdquonur wer
Geschichtemacht vermag sie auch zu errettenldquo71 Das oben mit Meyer und Schulz-
69 GA 96 S 4670 GA 94 S 26771 GA 94 S 358f
Dass die Besinnung eine militante Perspektive hat laumlszligt sich auch in Heideggers Vereh-rung Heraklits ldquoDer Krieg ist der Vater aller Dingerdquo finden Heidegger sah sich selbst alsDenker als Propheten des Seins Aus dieser Warte betrachetete er zuerst den Nationalsozia-
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Nieswandt bereits aufgezeigte Bereiten des Goumlttlichen legt Heidegger in seinen
Begriff der Geschichte
Geschichte ndash das Gewagtwerden der Goumltter nur Groszlig als Untergang oderSieg ndash nicht Dauerlsquo wesentlich ndash sondern die Abgruumlndigkeit der Erstrei-tung ndash Opfer und Weile
Historie ist bei Heidegger bdquogeschichtliche Entwurzelungldquo die bdquoTyrannei der
Technikldquo bdquoSelbstvergoumltterungldquo und bdquoAbgoumltterei der Technikldquo72 In einer skizzen-
haften Emanationsfolge wird dieHistorie als Modus der Technik auf sich selbst zu-
ruumlckgefuumlhrt bdquoDas Riesige ndash [] Historie die Technik der Geschichtelsquo Technik
Die Historie der Naturldquolsquo73 Es ist vage annehmbar dass Heidegger hier die Tech-
nik als rechenhafte machenschaftliche Historisierung der Natur versteht die vor
dem Geschichtsbegriff stattgefunden haumltte Diese wiederum haumltte die Geschichte
in die rechenhafte Machenschaft verfremdet Wie ein Apparat erscheint Heidegger
der Gegenstand seiner Historie zu sein die sich automatisch durchsetzen wuumlrde
Die Historie stellt zunaumlchst das Nacheinander der Begebenheiten dessenwas vorbeizieht (passiertlsquo) her [] Sie erklaumlrt dann Spaumlteres aus dem Fruuml-heren sie findet sogar dass Ideen die Geschichtelsquo bestimmen74
Den historisierend narrativen Umgang mit Geschichte als Wissenschaft emp-
findet Heidegger als Technisierung derGeschichte Diese wiederum basiert auf den
statischen Topoi seiner Mythen von Vaterland Bauerntum Houmllderlin alten Grie-
chen den Goumlttern etc und der Anwendung des Aletheia-Prinzips im Ereignis
Das ist ein Tugendenkatalog der Deutschtuumlmelei mit einer paumldagogischen Kom-
ponente seine Mythologie im Aletheia-Prinzip zu praktizieren Er nennt dieses
Geschaumlft auch Denken und ahnt dessen Feinde bdquodie Forscher die in der Technik
ihres Arbeitens keine Reibung dulden und ihr Wissen fuumlr den Geist haltenldquo75
lismus und nach dem Krieg den real existierenden Sozialismus des Ostblocks im Zuge deratomaren Aufruumlstung als Vollstrecker Macher der Geschichte die den neuen Anfang ebnensollten Dass Heidegger diese bdquoklaumlrendeldquo Wirkung tatsaumlchlich spaumlter den Russen zuschreibtlaumlszligt sich in Band 97 der GA zweifelsohne nachvollziehen Hier kann aus Gattungsgruumlnden(BA-Thesis) nicht naumlher auf dieses Faible fuumlr absolutistische Regime eingegangen werden Je-denfalls ist die geschichtliche Besinnung und der Kriegsakt ein Widerspruch den Heideggerjedoch gleichsam adressiert Auch dies kann hier nicht weiter untersucht werden
72 GA 9473 GA 95 S 35174 GA 96 S 6275 GA 97 S 509
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Insofern verschraumlnkt Heidegger das bdquohistorisch-technischeldquo zum Antagonis-
ten der bdquogeschichtlichen Besinnungldquo Es ist die Entwicklung einer historisch-
geschichtlichen Differenz unter dem Zeichen der Besinnung gegen die techni-
sche Machenschaft ndash es geht um zwei unterschiedliche Wissenssysteme76 In den
Schwarzen Heftenwird Technikmeistens als eine Seite der Muumlnze mit der anderen
der Historie genannt Sie haumltten eine schon angedeutete dualistische Dynamik
Wo beide Historie und Technik in solcher scheinbaren Gegensaumltzlichkeitverkoppelt sind koumlnnen sie sich zur Foumlrderung dessen zusammenschlieszligenwas einstmals wesentliche die Geschichte des Menschen mitbegruumlndet undwas wir die Kunstlsquo nennen Die Historie verschafft [] Anregungen undVorbilder der Nachahmung die Technik erleichtert [] die Zustellung vonDarstellungsmitteln und Wirkungsformen [] Gleichwohl ist alles wurzel-los [] berechnet und als Erlebnislsquo ausgegeben77
Diese vermeintliche Gefahr muumlnde als bdquoZuumlgellosigkeit des Historismusldquolsquo in der
bdquoBodenlosigkeit [] (das Judentum)ldquo78 Heideggers Mythos ist hier dieser bdquoWir
muumlssen zuvor geschichtlich sein [] Ohne diese uumlberlieferung verfaumlllt alles der
historisch-technischen Machenschaftldquo79
Heidegger mythologisiert uumlber den bdquoAuftrag des Deutschenldquo80 will in bdquoge-
schichtlicher Besinnung sehr weit zuruumlckgehen ndash auf den Zusammenhang von
τέχνη ἀλήθεια und οὐσίαldquo81 um Technik auf ihr Wesen im antiken Ursprung
zuruumlckzufuumlhren bdquoDie techne hat [] den Sieg uumlber die [] aletheia errungenldquo82
Heidegger will sie zuruumlckgewinnen Er will der Technik aus dem bdquoEreignisldquo83
wieder uumlbermaumlchtig werden und sieht das bdquoWesen des Vaterlandesldquo84 im Abend-
land Dabei ist es ihm unentbehrlich zu wissen bdquodaszlig das Griechentum [] und
76 Heideggers noch immer vorhande Rezeption in Puncto seiner Technikphilosophie erstauntdamit dass sein Prinzip der aletheiologischen Besinnung als alternatives Wissenssystem undTechnikkritik ob der eigenwilligen Konstruktion den Entwicklungen der Zeit standhaumllt
77 GA 95 S 21278 GA 95 S 9779 GA 96 S 10480 GA 94 S 6681 GA 94 S 35782 GA 95 S 13283 Ebd84 GA 96 S 52
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nicht das Roumlmertum der Grund der Geschichte des Abendlandes istldquo85 Sein My-
thos von Heimat verknuumlpft sich uumlber Dichtung und Ereignis zu einem fuumlr die
Technikphilosophie essentiellen Bezugs-Topos
Wir brauchen keine Technik [] Das Wesen des Vaterlandes ist das Abend-land In ihm werden die Deutschen erst deutsch und erkennen die Muttervon Allem die unversehrte Erde [] Die Wahrheit erfahren wir im Ge-daumlchtnis Das Gedaumlchtnis ist die Dichtung Die Dichtung sagen der Denkerund Saumlnger in ihrem Gespraumlch Dieses Gespraumlch erst ereignet dichterisch dieDichtung in die Sprache (die Dichtung das Ereignis und das Ereignis dasAbendland) [] Wohnt in seiner Sprache [] seyd dem Seyn im Seyn Soist Sein das Seyn86
Eine weitere mythologische Form haben seine Fuumlgungen von Jahreszahlen
womit er bereits in den Bereich des Okkulten Mystischen abzurutschen droht
Houmllderlin wurde [] 1770 geboren [] 1870 aber Lenin Waumlhrend der []Lebenszeit Houmllderlins vollzogen sich die entscheidenden technischen Entde-ckungen und Erfindungen der neuzeitlichen Technik (1774ndash1806)87
Und ferner bdquo1807 Phaumlnomenologie des Geistes 1867 Das Kapital 1927 Sein
und Zeitldquo88
Als letzter Mythos sei hier sein Aufgriff der Spenglerschen Metapher des
Raubtiers89 aufgezeigt Uumlber weite Strecken philosophiert Heidegger uumlber das his-
torische Tier Das historische Tier muumlsse vernichtet werden die bdquodeutsche Zukunft
wirdlsquo nicht erst seinlsquo sie istlsquo schon seit Houmllderlin sie stifteteldquo90 Der Homo
faber ist fuumlr Heidegger das historisch-technische Tier qua der bdquoAngewiesenheit auf
das Tierhafte als Wesensgrundldquo91 Es fehle ihm was bdquodie Griechen als Anfangen-
deldquo mit der bdquoZugewiesenheit des Menschen zum Sein gewagt habenldquo92 wodurch
85 GA 96 S 20586 GA 97 S 52f Hierbei handelt es sich um eine Nachkriegsnotiz Heidegger aumlnderte den die
Adressierung in eine direkte Ansprache richtet sich an seine imaginierte Volksgemeinschaft87 GA 96 S 17488 GA 97 S 131 Womoumlglich ist es eine Uumlbung per Jahreszahlen das Aletheia-Prinzip zu prakti-
zieren eine Kontemplationshilfe Andererseits koumlnnte er auch der Regelmaumlszligigkeit der Zah-lenfolgen eine uumlbernatuumlrliche bdquoWahrheitldquo beimessen Dies bleibt an dieser Stelle unerforscht
89 VGl Spengler Oswald Der Mensch und die Technik Muumlnchen 1931 S 1090 GA 95 S 19791 GA 95 S 32092 GA 95 S 321
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er den bdquoGoumlttern unertraumlglich gewordenldquo93 waumlre Das bdquoRaubtierldquo dem gegenuumlber
bdquoist die Urform des Heldenlsquoldquo94 Dann behauptet Heidegger dass das Raubtier das
historisch-technische Tier durch Anwendung seiner eigenen Waffen schlagen koumlnn-
te Es ist dabei die bdquoUumlberwindung der Metaphysikldquo mitgedacht die erfolge sobald
sich das metaphysische Fragen durch den Wille zum Willen verfestigt95 Auch
Spengler dachte an dieses Derivat des Nietzsche Topos vomWillen zur Macht das
er seiner antropomorphen Chimaumlre vom Raubtiermenschen eingibt Wieder ist
von der Gewalt die Rede die ein Tabula rasa schaffen sollte zur Wiederauferste-
hung des griechisch-abendlaumlndischen Anfangs in Deutschland bdquoDas Raubtier aber
mit denMitteln der houmlchsten Technik ausgestattet ndash vollendet die Verwirklichung
der brutalitas des Seinsldquo96
Es scheint so als haumltte Heidegger auf jeden Begriff einen Gegenbegriff (selbst
zum historisch-technischen Tier das Raubtier)97 Aber es geht hier nicht um die
Analyse ausgewogener Formprinzipien oder die Kritisierung seiner linguistischen
philologischen Faumlhigkeiten Die Zitierung der Heideggerschen Mythologie soll
seine Verbindung von voumllkisch-nationaler und antisemitischer Haltung mit den
Bedingungen und Anspruumlchen seines Philosophierens aufzeigen Da die Schwar-
zen Hefte wie alle sonstigen Werke seines philosophischen Schaffens in der GA
erschienen sind muumlssen sie insofern als Teil derer gelten Das bedeutet dass sie
ausreichend Relevanz fuumlr die Arbeiten uumlber die Technik haben98
93 GA 95 S 23694 GA 95 S 39795 Vgl GA 7 Uumlberwindung der Metaphysik S 7896 GA 95 S 39797 Vgl Rudolph Heideggers Schwarze Hefte im Echo S 151 bdquoKeiner hat Nietzsche so konse-
quent und wahnwitzig zumNazi avant la lettre verformt wie Heidegger und keiner hat einenzuvor gewaltsam gefuumlgig gemachten Nietzsche so konsequent instrumentalisiert um damitdie vulgaumlr- nationalistische Dekadenz im Sandwich zu geiszligeln wie Heidegger Die Philolo-gie ndash auch die klassische ndash (Colli Cancik Montinari) hat Nietzsche inzwischen laumlngst mitnachhaltigem Erfolg rehabilitiert Wer jetzt noch einen roten Faden von Nietzsche zu Hitlerzieht hat nur noch Heidegger auf seiner Seiteldquo
98 Zum Abschluss dieses Kapitels sei hinzugesagt dass der Veranschlagung der Beispiele vonHeideggers Mythologie ein Exzerpt von 13 Seiten aus 1700 Seiten Text der vier Baumlnde derSchwarzen Hefte zugrunde liegt Beim Studium dieser fielen die staumlndigen Repetitionen derimmer gleichen Figuren und Metaphern auf Daraus wurde geschlossen dass es sich um eineMythologie handeln kann was ein weiteres Forschen bestaumltigte Die hier zitierten Stellensind Topoi die sich in Huumllle und Fuumllle in jedem der vier Baumlnde finden lassen was ihrenmythischen Charakter unterstreicht Die Auswahl versucht ein besonders charakteristischesBild wiederzugeben
24
3 Heideggers mythopoetische
Technik
War Heidegger von seinem neuen Anfang nur zu traumlumen vergoumlnnt so gelang
ihm selbst aber die Wiederauferstehung aus der Asche des ZweitenWeltkriegs mit
der Vortragsreihe in Bremen (1949) uumlber die Technik Der Phoumlnix erweist sich
mittlerweile als Ikarus Anstatt sich selbst zu revidieren fordert Heidegger eine
Kehre ein die auf sein Programm der geschichtlichen Besinnung zum Ursprung ab-
zielt Rezipienten seiner Technikphilosophie taten zumeist seine voumllkischen und
nationalsozialistischen Verstrickungen mit der Niederlegung des Rektorats ab99
Sie glaubten an einen inneren Wandel Heideggers eine Laumluterung und sogar an
seinen geistigen Widerstand uumlber die Naziherrschaft hinweg100 Heute ist erwie-
sen wie Heidegger es aus seinem posthumen Gestaumlndnis in die Welt lecken laumlsst
dass er auf seine private Weise eine Form Nationalsozialismus hegte der die NS-
DAP und Hitler zwar als Vulgaumlrnazis kulturell degradierte aber sich selbst als
Denker-Nazi gerierte
Wie damit umzugehen ist steht aktuell in der Verhandlung Wie Rudolph es
behauptet stuumlnden die Heideggerianer bdquonun mit wertlosen Aktienldquo101 da Der
Kommunikationswissenschaftler Christian Fuchs sieht den Antisemitismus den
die Schwarzen Hefte zutage treten lassen als Notwendigkeit einer rigorosen Ver-
bannung Heideggers aus der technikphilosophischen Theorie102
99 Vgl Luckner Andreas Heidegger und das Denken der Technik Bielefeld 2008 S 64-69100 Vgl Babich Babette Nietzsche Heideggers Widerstand In Alfred Denker u Holger Zabo-
rowski (Hg) Heidegger-Jahrbuch 5 Heidegger und der Nationalsozialismus II Interpreta-tionen S 397-416
101 Rudolph Heideggers Schwarze Hefte im Echo S 146102 Vgl Fuchs Christian Martin-Heideggerrsquos anti-Semitism Philosophy of technology and the
media in the light of the ldquoBlack Notebooksldquo Implications for the reception of Heidegger inmedia and communication studies In tripleC Communication Capitalism amp Critique 13(1) (2015) S 55-78 hier S 74 Anstatt dessen pocht Fuchs auf die alternative Verwendungder Kritischen Theorie uumlber Fragestellungen zur Technik
25
It seems to me that Heideggerrsquos fetishism is often lrsquoart pour lrsquoart Heideg-ger pour Heidegger a tactic that aims at creating an aura of complexity byevoking Heidegger although the same content could be expressed withouthim103
Fuumlr Trawny waumlre dies ein bdquoperformativer Widerspruch [] stets daran zu erin-
nern Heidegger vergessen zu sollenldquo104 Quo vadis Heidegger
Die objektive Antwort Rudolphs der an den Commonsense und die Beweis-
last der Anklage glaubt wie auch der subjektive Appell Fuchs der es zur mora-
lischen Entscheidung des Einzelnen macht Heidegger zu vernachlaumlssigen setzen
aktuell die Jahrzehnte alte Tradition der Heidegger-Kontroverse fort Ein im Sep-
tember 2016 erscheinender Sammelband wird zusaumltzlich die Debatte mit neuen
Bewertungen anreichern105
In diesem Kapitel soll es nicht um die direkte Einreihung in eine der bestehen-
den Polemiken gehen sondern um den Versuch der Betrachtung der spaumlten Tech-
nikphilosophie Heideggers als mythopoetische Dichtung in seinem Sinne des
Philosophierens Als exemplarisches Werk ruumlckt damit das Vortrags-Geviert der
Bremer Vortraumlge ins Zentrum der Anschauung106 Hier wird davon ausgegangen
103 Ebd S 73104 Trawny Heidegger und der Mythos der juumldischen Weltverschwoumlrung S 141105 Heinz Marion und Kellerer Sidonie (Hg) Martin Heideggers raquoSchwarze Heftelaquo Eine
philosophisch-politische Debatte Berlin 2016 (im Druck) Aus dem Klappentext diesesTitelsbdquoOffene antisemitische Aumluszligerungen in diesen Denktagebuumlchern haben in der nichtakade-
mischen Oumlffentlichkeit fuumlr Empoumlrung gesorgt Die entscheidende Frage ist jedoch welcheVeraumlnderungen der Perspektive auf Heideggers Denken insgesamt sich dadurch ergebenund ob damit zugleich eine Neubewertung des Gesamtwerks eines der einflussreichstenPhilosophen des 20 Jahrhunderts noumltig istldquoEine der Herausgeberinnen des Bandes Sidonie Kellerer ist zudem an einem anlaufenden
fuumlnf jaumlhrigen Forschungsprojekt an der Universitaumlt Stuttgart im Rahmen des StuttgartResearch Centre for Text Studies beteiligt Heidegger und die Postmoderne Geschichteeiner Irrefuumlhrungiquest Sie und der Stuttgarter Literaturwissenschaftler Claus Zittel werden Hei-deggers ideologische Verstrickungen in den Nationalsozialismus untersuchen die textlichrekonstruierbar aber nachtraumlglich geklittet worden waumlren bdquoSo konnte die Wissenschaft-lerin Dr Sidonie Kellerer anhand des Vortrages Die Zeit des Weltbildeslsquo erstmals 1950veroumlffentlicht [sic] dass zahlreiche Passagen nachtraumlglich so modifiziert wurden dass dieurspruumlngliche Apologie des Nationalsozialismus nunmehr als Kritik am Regime gedeutetwerden konnte Die 2014 erschienenen Schwarzen Heftersquo mit persoumlnlichen AufzeichnungenHeideggers bestaumltigen zudem wie tief verankert in seiner Philosophie Rassismus undNationalsozialismus waren und bliebenldquo(httpwwwuni-stuttgartdehkompresseservicepressemitteilungen201567_kellererhtmlzuletzt abgerufen am 1442016)
106 Von einer umfassenderen Analyse der Schriften Heideggers zur Technik muss aus Platzgruumln-den abgesehen werden Die Voumlrtraumlge vom Ge-stell der Technik der Kehre und dem Dingsind vor allem wegen ihres Publikationszeitraums interessant da sie direkt an die Dokumen-
26
dass Heidegger den Versuch der abgrenzungspolitischen Einflussnahmemacht ge-
maumlszlig der oben dargelegten Ressentiments die sich in einer Mythologisierung des
Abendlandes niederschlagen Um seinem Ideal des dichtenden Denkens als Philo-
sophieren nachzukommen will Heidegger diese Einschreibung des Abendlandes
mythopoetisch vollfuumlhren
Grundsaumltzlich ist Verbindung und Trennung Heideggers boumlser Schwarzer Hef-
te mit und von seiner guten Technikphilosophie das Schlachtfeld aktueller De-
batten Wie bereits darauf hingewiesen werden hier Schwarze Hefte und Veroumlf-
fentlichungen wie eben in Form der Bremer Vortraumlge als ein kontinuierlicher
Arbeitsprozess gesehen Es gibt insofern nur einen Heidegger und keine gespal-
tene Persoumlnlichkeit Die Siegener Philosophin Sodonie Kellerer stellt dies anhand
Heideggers Selbstsicht luzide dar
Seine immer wiederkehrende Beschwoumlrung des Werkeslsquo und seine an diver-sen Stellen der bislang vorliegenden Briefkorrespondenz artikulierten Be-muumlhungen dieses Werklsquo fuumlr die Nachwelt zu sichern [Kellerer bezieht sichhier ua auf Heideggers Briefwechsel mit seiner Frau der 2007 veroumlffentlichtwurde DS] verdeutlichen wie sehr er seine Texte als ein Ganzes verstandin dem keines der Teile entbehrliche Wiederholung geschweige denn irrele-vante Eroumlrterung ist107
Dabei allerdings wird die Frage offen bleiben mit welchem Maszlig er sich selbst ge-
faumlhrdet sah seine Ansichten oumlffentlich zu vertreten und welche Konsequenzen er
dabei fuumlrchtete Denn er musste die Vortraumlge kodieren ndash was er im Sinne der My-
thopoetik auch macht ndash und mit Einigem hinterm Berg halten108 Dass es dabei
verschiedene Offenbarungsebenen gibt wird hier erst einmal hingenommen Es
interessieren staumlrker nachweisbare Bezuumlge des Entwurfsdenkens Heideggers zur
Oumlffentlichkeitsarbeit von ihm109
te der Schwarzen Hefte anschlieszligen (1948 der letzte Band der Schwarzen Hefte umfasst denZeitraum 1942-1948)
107 Kellerer Sidonie Kampf der Besinnung In Deutsche Zeitschrift fuumlr Philosophie Band 63Heft 5 Seiten 941ndash957 hier S 942
108 Weshalb die Veroumlffentlichung der Schwarzen Hefte auch weitestmoumlglich nach hinten verlegtwurde
109 Wuumlrde man dem entgegenhalten dass Heideggers vermeintliches Genie aus Formalisierun-gen seiner Gedanken ableitbar eine wichtige Quelle an sich bliebe scheitert dieses damitdass nun die Formalisierungen nicht personenneutral sozial-epistemologisch bestehen koumln-nen Als Vergleich wuumlrde man aus Hitlers und Goumlbbels Reden Formalisierungen isolierenlieszlige sich bestimmt die eine oder andere plausible Idee entwenden (wenn sie voumlllig dekon-
27
Hierzu wird der Text der gesamten vier Vortraumlge unter dem Titel Einblick
in das was ist Bremer Vortraumlge 1949lsquo110 aus dem 1994 veroumlffentlichten 79 Band
der GA zugrunde gelegt Das hat den Grund dass davon ausgegangen wird dass
der Text somit am naumlchsten an den 1949 tatsaumlchlich vorgetragenen Manuskripten
liegt Insofern ist eine realistische Annaumlherung an eine mythopoetische Uumlbertra-
gung der Schwarzen Hefte in die Bremer Vortraumlge 1949 das Ziel Demgegenuumlber
gibt es ob der virulenten Publikationspraxis von Heideggers Schriften111 noch
andere Auskopplungen der vier Vortraumlgsteile mit den Titeln Das Dinglsquo Das Ge-
Stelllsquo Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo
31 Zur Publikationsgeschichte von den
Bremer Vortraumlgen 1949
Zuerst erschien 1954 im Neske-Verlag (Pfullingen) ein Sammelband der lediglich
den ersten Vortrag Das Dinglsquo enthaumllt allerdings in leicht erweiterter Fassung
so wie er ein halbes Jahr nach dem Bremer Auftritt in Muumlnchen (1950) an der
Akademie der Schoumlnen Kuumlnste gehalten wurde112 Dem Band hinzugefuumlgt ist aber
zudem ein Vortrag der vornehmlich die Kernaussagen von Das Ge-Stelllsquo und
Die Gefahrlsquo verbindet allerdings in modifizierter Form Dieser wurde unter dem
textualisiert wuumlrde) Ist aber die wahre Verbindung zu Hitler und Goumlbbels hergestellt hatman selbstverstaumldlich die Verantwortung zu tragen an dem ganzen Tross von unmoumlglichenVerfehlungen dieser Menschen die sie fuumlr uns zu Personae non gratae stempeln muumlssen
110 GA 79111 Hierauf macht auch der Darmstaumldter Philosoph Gernot Boumlhme aufmerksam als Akt ei-
ner bdquoposthumen Selbstinszenierungldquo in Boumlhme Gernot Selbstinszenierung uumlber Ruhmin der Philosophie In Information Philosophie (Online Ausgabe 12015) URL=lthttpwwwinformation-philosophiedea=1ampt=8232ampn=2ampy=5ampc=29gt zuletzt ab-gerufen am 2442016)
112 Heidegger Martin Das Ding In Ders Vortraumlge und Aufsaumltze Pfullingen 1954 S 163ff
28
Titel Die Frage nach der Techniklsquo113 am 18 November 1953 an der TUMuumlnchen
gehalten
Eine weitere Auskopplung diesmal des letzten Vortragsteils Die Kehrelsquo fin-
det sich in einem broschuumlrenformatigen Band wiederum im Zusammenspiel mit
dem Vortrag Die Frage nach der Techniklsquo in Die Technik und die Kehrelsquo114 von
1962 wieder Somit wurden die Vortraumlge Das Ge-Stelllsquo und Die Gefahrlsquo lange
Zeit nicht veroumlffentlicht sondern als vermischter und modifizierter Text eben
Die Frage nach der Techniklsquo jeweils zusammen mit Das Dinglsquo (1954) und Die
Kehrelsquo (1962) angeboten115 In der Vorbemerkung zu Die Technik und die Keh-
relsquo wird diese kleine Chronologie leicht verfaumllscht auch aufgezeigt Darin heiszligt
es ferner dass Die Frage nach der Techniklsquo eine erweiterte Fassung von Das Ge-
Stelllsquo waumlre Dem ist wie schon gesagt nicht so Sondern es ist eine modifizierte
Vermischung von Das Ge-Stelllsquo und Die Gefahrlsquo was unschwer zB am Begriff
vom bdquoHer-vor-bringenldquo116 zu erkennen ist der in Die Gefahrlsquo eingefuumlhrt wird
und in Die Frage nach der Techniklsquo die gleiche Bedeutungskonstituente bildet
Mit der Veroumlffentlichung des 79 Bandes der GA 1994 wurden alle vier Bremer
Vortraumlge von 1949 publiziert In Band 11 der GA erschien 2006 auszligerdem Die
Kehrelsquo in ihrer urspruumlnglichen Fassung Die Frage nach der Techniklsquo enthaumllt
weniger mythopoetische Teile als Das Dinglsquo und operiert demgegenuumlber staumlrker
anhand klassisch philosophischer Allgemeinplaumltze Derer sind vor allem zu nen-
113 Heidegger Martin Die Frage nach der Technik In Ders Vortraumlge und Aufsaumltze Pfullingen1954 S 9ff (Der Aufsatz erschien ebenfalls 1954 im Sammelband der Vortragsreihe DieKuumlnste im technischen Zeitalter Heidegger Martin Die Frage nach der Technik In DieKuumlnste im technischen Zeitalter Dritte Folge des Jahrbuchs Gestalt und Gedanke Hg v dBayrischen Akademie der Schoumlnen Kuumlnste Muumlnchen 1954 S 70ff)
114 Heidegger Martin Die Technik und die Kehre Pfullingen 1962115 Beide Baumlnde Votraumlge und Aufsaumltzersquo sowie Die Technik und die Kehrersquo haben hohe Aufla-
genzahlen (Uumlbersetzungen wurden hier nicht recherchiert wobei es aber eine internationa-le Heidegger-Rezeption gibt) 1993 wurde der Pfullinger Neske-Verlag von dem StuttgarterHaus Klett-Cotta uumlbernommen was die Buumlcher aber unveraumlndert belaumlsst Vortraumlge und Auf-saumltzelsquo zaumlhlt seit 2009 die 11 Auflage Die Technik und die Kehrelsquo seit 2014 die 13 BeideBaumlnde sind vergriffen Es mutet unverstaumlndig an weshalb eine fehlerhafte Jahresangabe ausder ersten Veroumlffentlichung von Die Technik und die Kehrelsquo bis 2014 kolportiert wurdeDort steht der Vortrag Die Frage nach der Techniklsquo waumlre am 18 November 1955 gehaltenworden Der Vortragstermin war aber am 18 November 1953
116 Vgl GA 79 S 64 Und Heidegger Die Technik und die Kehre S 11
29
nen die Auflistung der bdquovier Ursachenldquo117 nach Aristoteles und die Kritik an der
Technik als bdquoein Mittel zu Zweckenldquo118 (Kausalitaumlt)119
Der Vortrag Das Dinglsquo galt Heidegger bei der Darbietung seiner Technikphi-
losophie nach dem Zweiten Weltkrieg allerdings als unentbehrlich ndash und damit
seine groszligflaumlchige Aufblaumltterung der Mythopoetik wie im folgenden Kapitel hier
gezeigt wird Denn im Vortrag Die Frage nach der Techniklsquo benutzt Heideg-
ger noch immer seinen mythopoetischen Topos vom Versammeln des Gebirges
der mit dem Versammeln eine Konstituente des Gevierts ist (bdquoErde und Himmel
die Goumlttlichen und die Sterblichenldquo120) (su)121 Fuumlr die Kaumlufer und Leser von
der spaumlteren Veroumlffentlichung Die Technik und die Kehrelsquo wird zudem in Die
Kehrelsquo extra auf den Vortrag Das Dinglsquo in der 1954er Ausgabe in Vortraumlge und
Aufsaumltzelsquo verwiesen122 Das zeigt wie wichtig und unerlaumlsslich Heidegger seine
mythopoetische Denkweise der Technik ist Auch wenn er in Die Frage nach der
Techniklsquo einen allgemeineren und offeneren Ansatz entwickelt hat der dadurch
auch leichter zu erschlieszligen ist
32 Die mythopoetische Spiegelung der Schwarzen
Hefte in den Bremer Vortraumlgen von 1949
321 Das Dinglsquo
In dem Vortrag Das Dinglsquo der 1949 vor dem privaten Club zu Bremen dort im
Neuen Rathaus das Vortragsquartett einleitete fuumlgt Heidegger mythopoetisch
zusammen was folgenden Topoi seiner Schwarzen Hefte aus Kap 221 entspricht
117 Heidegger Die Technik und die Kehre S 6118 Ebd S 6119 Diese Topoi versucht Heidegger in dem Text zu zersetzen und ihnen ein aletheisches Prin-
zip des Entbergens der Technik entgegenzusetzen Dies erfolgt wiederum auch anhand derVerwendung von mythopoetischen Teilen Darauf kann hier aber nicht weiter eingegangenwerdenAls weitere Gemeinsplaumltze (die er teils unterstuumltzend teils zur Zersetzung einfuumlgt) handelt
der Text auch mit Zitaten von Platon Heisenberg J P Hebel und Goethe120 Ebd S 12121 Vgl GA 79 S 11 Und Heidegger Die Technik und die Kehre S 19122 Vgl Heidegger Die Technik und die Kehre S 42f
30
1 die antirationale Wissenschaftsfeindlichkeit 2 der Mythos des Goumlttlichen 3
das Griechentum uumlber dem Roumlmertum 4 die Zahlenmystik (anhand des Spiegel-
Spiels des Gevierts ndash su) 5 das geschichtsbesinnliche Prinzip der Aletheia
Heidegger stellt zuerst die Frage nach dem Ding und will sie daraufhin ver-
anschaulichen mittels der Metapher des Kruges dh mit dem Krug als ein exem-
plarisches Ding Er fuumlhrt dann vor (was der Geste eines Zauberkuumlnstlers aumlhnelt)
wie der leere Krug gefuumlllt wird ndash Luft weicht der Fluumlssigkeit Dieses Sachverhaumllt-
nis aber ist fuumlr ihn Halbpoesie und eine Angabe aus der Physik sie verfehle das
vermeintliche Wesen des Kruges
Die Wissenschaft stellt durch sie [die Angabe der Physik DS] etwas Wirk-liches vor wonach sie sich objektiv richtet Aber ndash ist dieses Wirkliche derKrug Nein DieWissenschaft trifft immer nur auf das was ihre Art des Vor-stellens im vorhinein als den fuumlr sie moumlglichen Gegenstand zugelassen hat[] Die Wissenschaft macht das Krug-Ding zu etwas Nichtigem insofernsie Dinge nicht als das Maszliggebende zulaumlszligt123
Als ein wirkmaumlchtiges Beispiel das ihm sicherlich viel Beachtung uumlber die
Jahrzehnte seit ihrer Zuumlndung in Japan hinweg einbrachte fuumlhrt Heidegger die
Atombombe an Diese sei zu verstehen als verdinglichte Wissenschaft die das
Ding vernichten wuumlrde
Deren Explosion ist nur die groumlbste aller groben Bestaumltigungen der langherschon geschehenen Vernichtung des Dinges dessen daszlig das Ding als Dingnichtig bleibt124
Er buumlndelt damit Wissenschaft und Verkennung des Wesens als maszliggebend mit
dem Ding als sein machenschaftliches Prinzip der zerrechnenden Zerstoumlrung Drei
Jahre nach Kriegsende war der buumlrgerlich-elitaumlre Kreis in Bremen sicherlich be-
wegt von dieser Wortgewalt Diese jedoch suchte ja ihr Heim Harmonie Ruhe
in dem Haus als Wesen der Sprache
Und so faumlhrt Heidegger fort und ersetzt das physikalische Prinzip des Inhalts-
wechsels von Luft zu Wein in ein bdquoGeschenk des Gussesldquo als Spende und Opfer
den Goumlttern (2)125
123 GA 79 S 8124 Ebd S 9125 Vgl Ebd S 11f
31
Der Guszlig ist der den unsterblichen Goumlttern gespendete Trank [] Der ge-weihte Trank ist das was das Wort Guszliglsquo eigentlich nennt Spende und Op-fer Guszliglsquo gieszligenlsquo lautet griechisch χέειν indogermanisch ghu Das bedeu-tet opfern
Hier spielt bereits der Ursprungsmythos der Griechenmit ein (3) es ist aber auch
ein Bezug auf das Geviert Dieses waumlre ein System ein zusammen Gestelltes aus
bdquoErde und Himmel die Goumlttlichen und die Sterblichenldquo126 Im Guszlig des Trunkes
weilten gemeinsam diese Vier als emblematische Verbindung
Das im Geschenk Versammelte sammelt sich selbst darin das Geviert ereig-net zu verweilen Dieses vielfaumlltig einfache Versammeln ist das Wesen desKruges Unsere Sprache nennt was Versammlung ist in einem alten WortDies lautet thing127
Das Geviert zehrt von der Zahlenmystik zum einen als die Versammlung der
vier Begriffe an sich zum anderen da Heidegger ihnen eine Spiegel-Funktion
zuschreibt bdquoJedes der Vier spiegelt in seiner Weise das Wesen der uumlbrigen wie-
derldquo128 und ferner weil er damit auf sich selbst dh auf sein Vortrags-Geviert
verweist (4) Wie in Kap 21 schon gesagt lebt der Mythos von seiner Verbind-
lichkeit Diese legt Heidegger allen nah die sie verinnerlichen wollen bdquoSagen wir
die Sterblichen dann denken wir falls wir denken die anderen Drei mit aus der
Einfalt der Vierldquo129
Sollte der Vollzug der Praxis des sukzessiven Mitdenkens aller vier Geviert-
Entitaumlten gelingen koumlnnte das Ereignis der Aletheia begriffen werden (5) bdquoDas
Spiegel-Spiel von Welt ist der Reigen des Ereignensldquo130 Diese wird aber auch be-
griffen in Abgrenzung von dem Roumlmertum (3) denn in der bdquorealitas der resldquo
haumltten die Roumlmer bdquoihr Erfahrenes niemals eigens in seinem Wesen gedachtldquo131
Das waumlre den Griechen vorzubehalten und vom verstaumlndig denkenden Deutschen
wiederzubeleben
126 Ebd S 12127 Ebd S 13128 Ebd S 18129 Ebd130 Ebd S 19131 Ebd S 15
32
Der Krug ist ein Ding weder im Sinne der roumlmisch gemeinten res noch imSinne des mittelalterlich vorgestellten ens noch gar im Sinne des neuzeitlichvorgestellten Gegenstandes [] Der Krug ist Ding insofern er dingt132
Die Bindung an das deutsche Wort bdquoDingldquo das er spielerisch auch ins Englische
Romanische und Franzoumlsische uumlbersetzt ist unerlaumlsslich fuumlr seine ethymologi-
sche Argumentation In der ist der bdquoGuszligldquo ruumlckgefuumlhrt auf indogermanisch bdquoghuldquo
und das bdquoDingldquo auf das mittelhochdeutsche bdquothingldquo So konnten antik die Roumlmer
von den Griechen abgrenzt werden und modern die anderen drei Sprachen vom
Deutschen Das englische sich sehr nah am bdquothingldquo befindliche bdquothingldquo wird mit
dem Roumlmischen ausgespielt
Im Englischen hat thing noch die erfuumlllte Nennkraft des roumlmischen Wor-tes res bewahrt [] dh ein aus sich kommendes den Menschen Angehen-des133
Fuumlr Heidegger geht es beim bdquothingldquo aber um die mittelhochdeutsche Uumlbersetzung
der Versammlung Darauf beruht sein gesamter Systemansatz mit Geviert und
Ge-stell
Schulz-Nieswandt fuumlhrt diese Zusammenstellung zum Bejubeln von Heideg-
gers Mythopoetik
So fundamental sieht Heidegger die Welt Die Quelle des Wassers wird zurHochzeit von Himmel und Erde das Gieszligen des Wassers aus dem Krugzum Geschenk Auch Sprache ist daher kein Instrument sondern Ort desWohnens des Menschen Sprache wird zum Haus des Seinslsquo134
Hier bestaumltigt die Untersuchung des Ding-Vortrags die These von einer mytho-
poetischen Einschreibung der nationalistischen voumllkischen Abgrenzungs-Mythologie
aus den Schwarzen Heften
322 Das Ge-Stelllsquo
Der zweite Vortrag des Reden-Gevierts setzt ein mit der Metapher des fehlen-
den Abstands Wo kein Abstand sei da waumlre auch keine Naumlhe so Heidegger Er
132 Ebd S 16133 Ebd S 14134 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei Walter
F Otto S 59
33
verbindet die Abstandslosigkeit mit Urbanitaumlt und Verkehr alles fluktuiere Es
waumlre der Bestand der sich bestelle in dem das Abstandlose herrsche Das sind
neue Metaphern fuumlr die Machenschaft In seiner Erzaumlhlung vom Ge-Stell gibt es
bedeutend weniger mythopoetische Passagen als in dem vorangegangenen Vor-
trag Allerdings uumlbertraumlgt er den mythopoetischen Gehalt der Rede vom Ding
bereits im ersten Absatz von Das Ge-Stelllsquo mit dem Credo bdquoNaumlhe west insofern
das Ding dingtldquo135 Mit dieser Verbindung wird klar unter welchem Zeichen Hei-
degger die Rede vom Ge-Stell verstanden wissen will ndash als verlorenes Verhaumlltnis
des voumllkisch-traditionell verwurzelten Menschen mit den vermeintlichen Wesen
all seiner Gebrauchsobjekte in der mythopoetischen Formel des sich spiegelnden
Gevierts
Nahezu nuumlchtern erzaumlhlt Heidegger dann von dem Gefaumlngnis des Menschen
im Wesen der zirkulierenden sich immer neu bestellenden Bestandstechnik des
Ge-Stells Dabei scheinen folgende Mythen aus den Schwarzen Heften hindurch ndash
1 bdquoHistorie die Technik der Geschichtelsquo Technik die Historie der Naturlsquoldquo136
2 das historische Tier 3 der Appell an den Auftrag des Deutschen 4 der geschicht-
liche Mensch muss die Historie und damit die Technik uumlberwinden und 5 die
alles zernichtende Machenschaft des juumldischen Wesens
Den Topos der seinsvergessenen Groszligstadt jedenfalls kontrastiert er mit der
Bauerndorfidylle Da aber bdquodas Abstandlose herrschtldquo137 waumlre das Vorruumlcken der
Maschinentechnik bereits universell So in Form des Traktors Schon in Band
96 der Schwarzen Hefte beklagt er dieses bdquozum elektrischen Pflug [] gehoumlrt
das amerikanisch aufgemachte Magazinlsquoldquo Insofern erfolge die bdquoAngleichung der
Sitten der Bergbewohner an diejenigen des groszligstaumldtischen Sport- und Barbe-
triebsldquo138
Sein erster Land-Stadtvergleich betrifft den Bauern dessen Totenruhe tradi-
tionell in einem sg bdquoTotenbaumldquo (Sarg) stattgefunden haumltte ndash bdquoIn ihm gedeiht
der Tod des Totenldquo139 Dem gegenuumlber klingt in der bdquomotorisierten Bestattungs-
135 GA 79 S 24136 GA 95 S 351137 GA 79 S 24138 GA 96 S 54139 GA 79 S 26
34
industrie der Groszligstadtldquo140 bereits Heideggers pietaumltsloser Gaskammernvergleich
an
Ackerbau ist jetzt motorisierte Ernaumlhrungsindustrie im Wesen das Selbewie die Fabrikation von Leichen in Gaskammern und Vernichtungslagerndas Selbe wie die Blockade und Aushungerung von Laumlndern das Selbe wiedie Fabrikation von Wasserstoffbomben141
Hier wird davon ausgegangen dass es eine Uumlbertragung der Notizen uumlber
das deutsche Land als bdquoeinziges KZldquo ist die Unterdruumlckung des deutschen Vol-
kes durch die bdquoWeltdemokratieldquo die schlimmer sei als die Graumlueltaten der bdquoGas-
kammernlsquoldquo142 In die mythopoetische Formel von dem dingenden Ding aus dem
ersten Vortrag sind alle Valenzen eingeschrieben die es zur Aufgabe des abendlaumln-
dischen Deutschen (also als Nachfolger der alten Griechen) machen das Wesen
des Dings und somit der Technik zu huumlten Die Verantwortung fuumlr Genozid
Massenvernichtungswaffen und den Mangel im Nachkriegsdeutschland schreibt
Heidegger gleichfoumlrmig dem Prinzip der Abstandslosigkeit zu
Auch die Rede von der Habgier des Berechnenden ist ein bereits bekannter
Vorbehalt Heideggers anhand der Rede vom raffgierigen Juden Denn er sagt von
der bdquoHerrschaft des Abstandlosenldquo dass sie bdquodie Hab-gier des vorstellenden Be-
rechnensldquo waumlre143 Das entspricht seinem Mythos von der alles zernichtenden
Machenschaft des juumldischen Wesens144
Dann folgt eine lange Elegie uumlber das Bestellen des Bestands des Ge-Stells
bdquo[d]ie Kette des Bestellens laumluft auf nichts hinaus sie geht vielmehr nur in ihren
Kreisgang hineinldquo145 uumlber 19 Seiten des 21 seitigen Vortragsexts hinweg entwirft
Heidegger diverse Bilder wie das Ge-Stell die Natur das Hergestellte den Men-
schen und das Verstandesmaumlszligige vereinnahme und das Wesen desDings gleichsam
zur Veruntreuung bringen wuumlrde Wiederum poetisch orientiert kontrastiert also
140 Ebd141 Ebd S 27142 GA 97 S 99f143 Vgl GA 79 S 25144 Vgl Machenschaft hier S 29 und Geraff hier S 33145 GA 79 S 29
35
Heidegger Houmllderlins Hymne Der Rheinlsquo mit dem Rhein dessen Stroumlmung fuumlr
ein Stromkraftwerk genutzt wird
Achten wir um das Ungeheure das hier waltet zu ermessen nur auf einenAugenblick auf den Gegensatz der sich in den beiden Titeln ausspricht DerRhein verbaut in das Kraftwerk ndash der Rheinlsquo gesagt in der gleichnamigenHymne Houmllderlins146
Die Differenz also waumlre das Ungeheure147 Dabei waumlre der Rhein verbaut in das
Kraftwerk Aumlhnlich wie Kohle Erze und Rohoumll waumlren sie Bestand der bdquobesteht
im Bestellenldquo ndash bdquoDas Bestellen waumlre demnach lediglich eine Machenschaft des
Menschen vollzogen in der Weise der Ausbeutungldquo148
Das Bild des Wasserkraftwerks wird erweitert um den Begriff des Menschen
Elektrizitaumlt mit Wasserkraft erzeugen bdquokoumlnnen die Menschen [] nur insofern
sie selber schon in dieses Bestellen bestellt sindldquo149 Mit diesem Bild versucht Hei-
degger praktisch zu veranschaulichen dass Entwurf Umsetzung und Einsatz ei-
ner technischen Anlage den Menschen in ein entruumlcktes Verhaumlltnis zum Wesen
des dingenden Dings setze ndash bdquoDer Mensch ist darum der Angestellte des Bestel-
146 Ebd147 Das ist zusaumltzlich zu dem gemeinten Gegensatz ein Vergleich mit dem Heidegger dem Wort
bdquoRheinldquo in die Hymne Der Rheinlsquo gesprochen eine Energie erzeugende Wirkung zu-schreibt eben so wie das Kraftwerk Strom erzeugen wuumlrde Das wird klar dadurch dassHeidegger metaphorisch vom Stellen des Wortes bdquoRheinldquo in die Hymne spricht Es handeltsich um einen Appell zur denkerischen Besinnung Dass Heidegger dafuumlr eine technischeAnlage zur Veranschaulichung inspirierend wirken laumlsst spielt bereits in die Richtung derBegriffe bdquoHer-vor-bringenldquo bdquoEntbergenldquo und spielt auf das Alteheia-Prinzip an Darauf wirdweiter unten anhand Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo eingegangen werden Es handelt sich umdas Angebot eines mythopoetischen Umgangs mit Technik insbesondere wenn sie sich inheimische Gefilde einfuumlgtHeute koumlnnte man mit Windraumldern ebenso verfahren Somit koumlnnte aber auch Heidegger
als ein gewisser Quijana aus Mancha verstanden werden eben der Protagonist aus Miguel deCervantes Roman Don Quichote von der Manchalsquo der mit seinem von ihm flux auch um-benannten Klepper (weil er zuvor sich selbst in Don Quichote umtaufte) Rocinante Riesenbezwingen will um mit dieser Heldentat unsterblichen ritterlichen Ruhm zu erstreitenAuch Don Quichote fand seine Riesen in Windmuumlhlen und auch Don Quichote war uumlber
eine uumlbertriebene Auseinandersetzung mit einer verschuumltteten Kultur dieser verfallen undsuchte diese in seiner Aventuumlre zu reaktualisieren Martin Heideggers mythopoetisches Pro-gramm ist tatsaumlchlich stark mit Don Quichotes Motiv vergleichbarFerner waumlre eine Auseinandersetzung mit Heideggers Werk unter Beruumlcksichtigung sei-
ner Gewichtung der Vorsokratiker und Houmllderlin als mythopoetischen Autor eine moumlglicheForschung zum Thema Anachronismen in Konzepten von Moral und gesellschaftlicher An-gemessenheit (Vgl Cervantes Miguel de Don Quichote von der Mancha Herausgeben unduumlbersetzt v Susanne Lange Muumlnchen 2008 S 33f)
148 GA 79 S 29149 GA 79 S 30
36
lensldquo150 Schon vorher wies Heidegger darauf hin bdquo[d]ie Herrschaft des Gegen-
staumlndigen sichert nicht den Abstandldquo151 Jetzt heiszligt es
Das Bestellen befaumlllt nicht nur die Stoffe und Kraumlfte der Natur mit Gestel-lung Das Bestellen befaumlllt zugleich das Geschick des Menschen Das Wesendes Menschen wird daraufhin gestellt das Bestellen in menschlicher Weisemitzuvollziehen152
Der Begriff des Ge-Stells wird daraufhin so konstruiert dass es im Bestellen
um ein Stellen (Herausfordern) alles bdquoAnwesenden als Bestandldquo als bdquoversus unumldquo
gegen bdquodas Eine Ganzeldquo gehe153 In wiederum mythopoetischer Formulierung ge-
baumlre die bdquoVersammlung des Stellens worin alles Bestellbare in seinem Bestand
west das Ge-Stellldquo154 Der Begriff bdquoVersammlungldquo wird einen Absatz zuvor my-
thopoetisch wieder an die Versammlung also das thing eben das wesenhafteDing
angelehnt und somit wie zu Das Dinglsquo bereits oben erlaumlutert in einen deutsch-
abendlaumlndischen Kontext gestellt (3)
Wir nennen die Versammlung der Berge die von sich her einig und nienachtraumlglich schon gesammelt ist das Gebirge Wir nennen die Versamm-lung der Weisen nach denen uns so zumute ist und sein kann das Gemuumlt155
Allerdings ist obiges Versammlungsmodell hier als Kontrast zu sehen zu dem
bdquoGeraff des Getriebesldquo das das Ge-Stell darstellt als bdquoWesen der Technikldquo156 Hei-
degger sieht in der Gleichfoumlrmigkeit die zum Wesen des Technik als Ge-Stell
150 GA 79 S 30151 GA 79 S 25152 GA 79 S 31153 Vgl GA 79 S 32154 GA 79 S 32155 Ebd
Das Wort ldquoGemuumltrdquo hat ferner eine ausschlieszliglich deutsche Praumlgung gibt es doch keinedirekte Uumlbersetzungen Gemuumlth ist ferner ein nicht eindeutig umrissener Begriff (Vgl Kra-mer Cheryce A Foolrsquos Paradise The Psychiatry ofGemuumlth in a Biedermeier Asylum Chica-go 1998 S 19) Die Bedeutung im Deutschen selbst ist zudem sehr variabel hat aber zumeistmit Seelen- oder Geistkonzepten zu tun ndash Cheryce von Xylander (geb Kramer) uumlbersetztGemuumlth mit bdquosoul-organldquo (ebd S 43) das von diversen Autoren unterschiedlich konstru-riert wird (zB von Kant geistigkoumlrperlich und von Kleist individuellkollektiv (vgl ebdS 41)) In Heideggers emblematischem Duktus scheint eine Vermischung von allen vier Di-mensionen geistigkoumlrperlich wie auch individuellkollektiv stattzufinden Es ist auf jedenFall dem Mythos geschuldet den Auftrag des Deutschen anzunehmen (3)
156 GA 79 S 33
37
gehoumlre die planetarische Abloumlsung und Aufhebung des traditionellen und damit
wesenhaft ans Ding gebundenen Verhaumlltnisses vom Menschen zur Erde (das von
ihm idealisierte voumllkische Bauerntum das Bestellen des Ackers) bdquoDie Bestand-
Stuumlcke sind Stuumlck fuumlr Stuumlck die Gleichenldquo157 So kontrastiert er alte Handwerks-
techniken mit Maschinentechnik und schreibt der Maschinentechnik die machen-
schaftliche Verdraumlngung als Geraff zu
Das Ge-Stell hat auch wenn das nicht unmittelbar und nicht sogleich ver-nehmlich wird im vorhinein schon alle diejenigen Stellen beseitigt an denenvormals Spinnrad und Wassermuumlhle standen Das Ge-Stell bestellt durch sei-ne Maschinerie zum voraus eine andere Art und Ordnung von Stellen Andiesen kommt nur zu Stand was als Bestellbares auf der Stelle gleichfoumlrmigzur Stelle steht
Darum ist auch die Art wie die Maschine selbst etwas herstellt einewesentlich andere als das handwerkliche Tun gesetzt daszlig es innerhalb desGe-Stells uumlberhaupt noch so etwas wie ein Herstellen gibt
Die Traktoren und Kraftwagen werden herausgebracht ausgeworfen se-rienweise Stuumlck fuumlr Stuumlck Wo drauszligen steht dieses so Herausgestellte Wo-hin in welchen Stand ist es gebracht158
In dieser Klage uumlber den technischen Wandel der durch den Fortschritt in
alle Lebensbereiche Einzug haumllt versucht Heidegger zu veranschaulichen wel-
chen Verlust es zu erkennen gelte Ein Versuch diesem entgegen zu treten ist die
von ihm vorgetragene Mythopoetik die er in diesem Vortragsteil seines Vortrags-
Gevierts allerdings auffaumlllig zuruumlckgestellt sein laumlszligt War der Einleitungsteil Das
Dinglsquo schlieszliglich eine nahezu einzige mythopoetische Darbietung Dramatur-
gisch wird Heidegger in Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo die mythopoetischen For-
mulierung als Loumlsungswege wieder Bedeutung geben In Das Ge-Stelllsquo versucht
Heidegger hingegen Vorstellungen aus seinen Schwarzen Heften aumlhnlich der fol-
genden mitzuteilen die das Uniforme Gleichfoumlrmige betreffen
Die Macht der Machenschaft ndash die Vernichtung sogar der Gottlosigkeit dieVermenschung des Menschen in das Tier die Vernutzung der Erde die Ver-rechnung der Welt ndash ist in den Zustand der Endguumlltigkeit uumlbergegangenUnterschiede der Voumllker Staaten Kulturen sind nur noch Fassade159
157 GA 79 S 36158 GA 79 S 35159 GA 96 S 52f
38
Was Heidegger unter dieser Gleichfoumlrmigkeit versteht schreibt er in den Schwar-
zen Heften zumeist den Amerikanern zu Er nennt es auch haumlufig Planetarismus
Der Amerikanismus [ist DS] die Zusammenraffung von Allem welcheZusammenraffung immer zugleich die Entwurzelung des Gerafften bedeu-tet160
Der Planetarismus ist die historisch gedachte Bestimmung der uumlberall glei-chen die ganze Erde uumlberdeckenden Seinsverlassenheit des Seienden161
Die Gegenuumlberstellung von natuumlrlicher und traditioneller Handwerkstechnik
gegen maschinenhafte Gleichfoumlrmigkeit exemplifiziert Heidegger dann im Vor-
trag Das Ge-Stelllsquo vielfach wie zum Beispiel hier
Der Forstwart zB der im Wald das geschlagene Holz vermiszligt und demAnschein nach noch wie sein Groszligvater in der gleichen Weise die selbenWege geht ist heute von der Holzverwertungsindustrie gestellt Er ist ober es weiszlig oder nicht in seiner Weise Bestand-Stuumlck des Zellulosebestandesund dessen Bestellbarkeit fuumlr das Papier das den Zeitungen und illustrier-ten Magazinen zugestellt wird die uumlber die Oumlffentlichkeit daraufhin stellenverschlungen werden162
160 GA 96 S 257161 GA 96 S 261162 GA 79 S 37f
Die renommierte Theaterautorin Elfriede Jelinek karikiert in ihrem Stuumlck Totenaubergvon 1991 Heideggers Konstrukt von Heimat und Fortschrittsfeindlichkeit verbunden miteiner Auseinandersetzung mit dessen Liebschaft zu Hannah Arend Mit philologischer Prauml-zision polemisiert sie Teile aus Heideggers Elegie uumlber die Technik und laumlszligt ihn dabei alsbeschraumlnktes und eingezwaumlngtes Wesen in einem Gestell gefangen sein Aus diesem heraussoll er Arend Rede und Antwort stehen uumlber sein Verhaumlltnis zum Nationalsozialismus unddie Shoa Doch dieser redet nur naturtrunken von Heimat und berauscht sich daran Derprophetische Denker wird banalisert ndash diese Worte legt Jelinek ihm (im Stuumlck der alte Mann)in den MundbdquoDie Angst vor dem Fragen liegt uumlber dem Abendland Sie bannt die Kandidaten auf ein
Team-Leibchen verbannt sie auf altgewordene Wege und jagt sie zuruumlck ins morsch geworde-ne Gehaumluse ihrer Tore wo es um ihre Ausscheidungen geht Es wird ihnen alles weggenom-men werden auch der Weg selbst Keine Spur kein Lichtschein aus den Ritzen Aber ruf ichin die Huumltte um nach einem zu fragen den ich gekannt hab sehe ich grad noch eine Tuumlrsich schlieszligen Der Wald kommt nicht zur rechten Geltung alles ist entflohen was mir liebwar und woran ich geglaubt hab Was kommt ist noch nicht da Nichts war Ich habe nichtsgehoumlrt Ich erinnere mich nicht aber ich stelle dem Kommenden das mich den lupenreinenAmateur schon vor Beginn des Rennens erlahmen laumlszligt vorsorglich die Hausschuhe vor dieTuumlr Sie sind das Einzige was die Profis des Profits von mir dann vorfinden werden wennsie anklopfen Die Haumlrte des Urgesteins sollte sie nicht entmutigen Die Jahreszeiten machendie Landschaft auf und zu Ich sage nur In dieser scheinbaren Leere will ich vom Denkenmuumld nur schlafen Von der Huumltte aus lassen sich Wanderungen unternehmen Aber auchsonst wird Ihnen alles wie ich sagte genommen werden Auch Ihre Fotos und Namen Unddas Gewesene wird wesenlosldquo ( Jelinek Elfriede Totenauberg Hamburg 1991 S 86f)
39
Die Oumlffentlichkeit ist fuumlr Heidegger ein Topos der dem Denken und Besinnen
entgegenstuumlnde Somit meint er damit zum Einen die Medien wie er es anhand
der Rede von den Bestandstuumlcken in Das Ge-Stelllsquo erklaumlrt wo der Mensch als
Urheber des Ge-Stells als Wesen der Technik nicht gelten soll Vielmehr wuumlrde er
in Ratlosigkeit und Langeweile verfallen weil er in der Bestellung des Bestandes in
Form von Bestandstuumlcken vom Rundfunk keine Besinnung mehr faumlnde dh das
Ganze also wiederum daswesentliche Ding nicht mehr zu fassen vermoumlge163 Und
so toumlnt es bereits aus den Schwarzen Heften von 19391940()
Die Bildlsquo und Tonlsquo ndash Reportagenlsquo der Machenschaft ist der planetari-sche Mythuslsquo des Vollendungsabschnittes der Neuzeit Die Welt des abge-legensten deutschen Bauernhofes wird nicht mehr durch [] die Naturlsquobestimmt in der noch die Erde waltet sondern durch das illustrierte Blattmit der Darstellung von ausgezogenen Tanzweibern von Boxern und Renn-fahrern und sonstigen Heldenlsquo des Tages164
Und ferner notierte Heidegger 1946 in seinen Schwarzen Heften
Uumlberall zerrt es aus dem Oumlffentlichen ins Oumlffentliche mit vielen Strickenund jeder sieht das kaum versuchte Denken des Seyns am Leitband seinesStrickes165
Dabei waumlre eben ein bdquoLiterat [] ein in die Oumlffentlichkeit verliebter Mensch der
Angst vor dem Denker hatldquo166 Dieses liefe dann darauf hinaus dass beim Rund-
funk bdquoein Bestellen und Stellen waltet das in dasWesen des Menschen eingegriffen
hatldquo167
Abermals nach dem Wesen der Technik also nach dem Ge-Stell gefragt geht
Heidegger auf seine Unterscheidung vonNatur undNaturwissenschaft ein bdquo[w]elches
ist das Verhaumlltnis zwischen der Technik und der Naturldquo168 Natur wuumlrde in wis-
senschaftlicher Hinsicht unter das Berechnete fallen sie wuumlrde bdquoals das in Maszlig
und Zahl gestellte Wirkliche vorgestellt das in seinem Gewirkten staumlndig an-
westldquo169 Wenn Heidegger dann Natur aus technischer Sicht bdquoals ein System des
163 Vgl GA 79 S 38f164 GA 96 S 54165 GA 97 S 100166 GA 97 S 126167 GA 79 S 39168 GA 79 S 41169 Ebd
40
Bestellens von Erfolgen aus dem gestellten Wirksamenldquo170 charakterisiert spricht
er von seiner Rede der Verschraumlnkung von Historie und Technik ndash bdquoTechnik die
Historie der Naturldquolsquo171 Dieses ist bekanntlich das seinsvernichtende Gegenstuumlck
zur geschichtlichen Besinnung Denn geschichtliches Walten der Technik ist fuumlr
Heidegger technische Geschichte dh verwissenschaftlichte Geschichte die da-
durch ihr Wesen verloren haumltte (Seynsvergessenheit)172 So heiszligt es in den Schwar-
zen Heften von 1947
Ein Zeitalter das historisch geworden ist dh technisch planend sich selberberechnet und alles in diesen Sog zieht muszlig jede Besinnung nur als eine dervielen Formen der Intellektualitaumlt registrieren173
Heidegger schlieszligt den Vortrag mit dem Aufgriff der Anfangsbehauptung
bdquo[d]er Bestand bestellt das Abstandsloseldquo174 Somit liegt das Problem der ausblei-
benden Naumlhe durch die Technik deren Wesen das Ge-Stell waumlre das den Bestand
bestelle in der Luft Dass dabei der Mensch sogleich Teil des Bestandes und nicht
Teil der Maschine wird laumlsst ihn das historische Tier sein (2)
Der Mensch ist auswechselbar innerhalb des Bestellens von Bestand []Gleichwohl gehoumlrt der Mensch in einer voumlllig anderen Weise in das Ge-Stellals die Maschine DieseWeise kann unmenschlich werden DasUnmenschlicheist jedoch immer noch unmenschlich Der Mensch wird nie zur MaschineDas Unmenschliche und noch Menschentuumlmliche ist freilich unheimlicherweil boumlsartige und verhaumlngnisvoller denn der Mensch der nur Maschine wauml-re175
Wen Heidegger hier ersinnt ist der neuzeitliche Mensch der den bdquoGoumlttern uner-
traumlglich gewordenldquo176 waumlre
170 Ebd171 GA 95 S 351172 In Heidegger Die Technik und die Kehre S 21 stellt er Geschichte und Historie einander
gegenuumlber was er in Das Ge-Stelllsquo nicht vollzieht bdquoDie moderne Technik kam doch erst inden Gang als sie sich auf die exakte Naturwissenschaft stuumltzen konnte Historisch gerechnetbleibt dies richtig Geschichtlich gedacht trifft es nicht das Wahreldquo Signifikant fuumlr Heideg-gers Attributierung so wie sie oben schon geschildert ist steht Historie fuumlrs Rechnen undGeschichte fuumlr das Denken
173 GA 97 S 508174 GA 79 S 44175 GA 79 S 37176 GA 94 S 236
41
323 Die Gefahrlsquo
Aus Heideggers Darlegung uumlber das Ge-Stell erschlieszligen sich seine diversen Fa-
cetten der Vorstellung einer Abstandslosigkeit schaffenden Technik Dass die Ab-
standslosigkeit dem Prinzip des Gevierts des Zusammengestellten entgegensteht
bekommt im Vortrag Die Gefahrlsquo Nachdruck Die mythopoetische Erzaumlhlung
knuumlpft an den Vortrag Das Dinglsquo an mit den Mythologemene 1 Der Mythos
des geschichtlich sein muumlssens 2 der Mythos des Goumlttlichen 3 das geschichtsbe-
sinnliche Prinzip der Aletheia Zudem wird im Prozess des Vortrags das Ge-Stell
zur Gefahr stilisiert was einen eigenen Mythos erschafft
Durch das bdquouniversale Bestellen des Ge-Stellsldquo177 werde die naumlhernde Naumlhe des
Dings verwehrt Wie im Vortrag Das Dinglsquo fuumlhrt Heidegger das Wesentliche sei-
ner Theorie auf die deutsche und altgriechische Sprache zuruumlck Die so vollzoge-
ne Annaumlherung von Schwarzwaumllderischem Dialekt und Altgriechisch entspricht
Heideggers Traum von dem bdquogeschichtliche[n] Geburtsort des abendlaumlndischen
Wesensldquo178 den seine Heimat von Todtnauberg bis Freiburg stiften sollte (1)
es ist das Geistvolle und zugleich das erdenhafte schoumlne Land Es birgt un-sichtbaren Reichtum dem Gemuumlt bewahret tiefstes Dichten und houmlchsteGestalt der Sage179
Unter diesem Vorzeichen also sagt Heidegger
Das Ge-Stellwesen laumlszligt das Ding ohne die Wahr Das Wort die Wahrlsquo be-deutet in unserer Sprache dort wo sie noch urspruumlnglich spricht die HutIn unserer schwaumlbischen Mundart meint das Wort die Wahrlsquo die der muumlt-terlichen Hut anvertrauten Kinder Das Ge-Stell laumlszligt in seinem Stellen dasDing ohne die Hut ndash ohne die Wahr seines Dingwesens180
Diese in Bremen vorgetragene Heimatkunde ist auch Heideggers Sorge ge-
schuldet durch die Besatzermaumlchte und deren kulturellen Einfluss auch durch
die nun moumlgliche Oumlffnung Deutschlands zu einem Austausch mit der Welt das
eigene Wesen zu verlieren So schreibt er 1945-1947() in seine Schwarzen Hefte
177 GA 79 S 46178 GA 97 S 54179 Ebd180 GA 79 S 46
42
Das Schwerste und Fragwuumlrdigste unseres Geschickes ndash beruht darin ob wirdas Eigene finden und huumlten [] unter den anderen Voumllkernlsquo [] Scheinund Vorwand der Macht daszlig man unsere eigene Aufgabe bringen will []als Entmachtete aufgenommen zu sein in den Weltmachenschaftsbetrieb181
Es gaumlbe nach Heidegger also das Welten von Welt und die Verweigerung von
Welt aus derVerwahrlosung des Dings durch das Ge-Stell bzw die Technik182 Welt
ist nach dem Konzept des schwaumlbischen Denkers nichts weniger als das Geviert
Bei der folgenden mythopoetischen Zusammenstellung von dem Geviert mit alt-
griechischen Vokabeln um den Seins-Begriff wird das Aletheia-Prinzip eingefuumlhrt
Somit fuumlhrt uumlber den Mythos des Goumlttlichen (2) der Weg zur Wahrheit eben als
geschichtsbesinnlich erfahrene Aletheia (3)
Welt ist das Geviert von Erde und Himmel Goumlttlichen und SterblichenDas Spiegel-Spiel der Vierung wahrt alles was in ihm dingend zwischenden Vier anwest und abwest in das einende Ganze seines Anwesens Vonaltersher heiszligt das Anwesen des Anwesenden τὸ ὲόν das Seiend [sic] τὸεἶναι das Sein naumlmlich der ὲόντα des Seinenden das esse entium183
Diese Welt waumlre nun bdquoWahrnis des Wesens von Sein Statt Wahrnis sagen wir auch
Wahrheitldquo184 Die Welt mythopoetisch als Spiegel-Spiel des Gevierts und durch
eine altgriechische Brille betrachtet waumlre die wahre Welt Somit wird die Wahr-
heitsschau gebunden einen antiken Goumltterglauben und abendlaumlndische Sprachkas-
kaden vom Dialekt zum Altgriechisch
Das Problem mit der wahren Welt waumlre allerdings dass sie sich in die Ver-
borgenheit entziehe Naumlher betrachtet ist aber die Verborgenheit Bedingung des
Entbergens was Heidegger notwendig macht zu einem wuumlrdigen Lebensvollzug
in Harmonie mit dem Sein Durch solche Wesensschau waumlre der Mensch befaumlhigt
jederzeit die verstellenden Maumlchte des Ge-Stells (der Technik) zu uumlberwinden und
teilhaftig am Wesen der Welt zu werden
181 GA 97 S 99182 Vgl GA 79 S 47183 GA 79 S 48 (Die griechischen Vokabeln werden hier keiner Uumlbersetzung unterzogen Da
Heidegger ohnehin keine philologische Schaumlrfe anwenden will ist es fuumlr die Zwecke hierausreichend sie mit seiner Uumlbersetzung zu betrachten Heidegger spricht von bdquoAchten aufdas Griechischeldquo was schwieriger waumlre als klassische Philologie (vgl GA 79 S 63)
184 Ebd
43
Welt bleibt in der Verborgenheit (Αήθη) auf die Weise daszlig diese ihre Ver-borgenheit gerade eine Unverborgenheit gewaumlhrt die Αλήθεια185
Die Αλήθεια haumltte allerdings auch eine Rolle uumlber die subjektive hinaus da nur
durch ihren Vollzug Seinsgeschichte gewaumlhrt wuumlrde Das ist der Anspruch den
Heidegger an sein Auditorium stellt gemeinsam geschichtlich sein zu muumlssen (1)
Die Αλήθεια ist das Geschick des Seins als welches Geschick sich die Fuumllleder Seinsgeschichte in ihre Epochen fuumlgt186
Mit dem Ge-Stell als Wesen der modernen Technik waumlre die Aletheia aller-
dings hochgradig gefaumlhrdet Denn ohnehin waumlre die Aletheia prinzipiell der Ge-
fahr der Vergessenheit ausgesetzt Doch das Ge-Stell haumltte die Kraft die bdquovollende-
te Vergessenheit der Wahrheit des Seinsldquo187 zu vollrichten
Indem das Ge-Stell alles Anwesende in den Bestand bestellt setzt das Ge-Stell das Anwesen des Anwesenden heraus aus seiner Wesensherkunft ausder Αλήθεια188
Diese Versetzung des beteiligten Wesens aus der Moumlglichkeit des Wahrheitsprin-
zips heraus markiert Heidegger dann mit der Schreibweise Seyn (mit bdquoyldquo) Wie
bei dem Vortrag Das Dinglsquo koumlnnen ethymologische Abstammungen sein Sys-
tem anreichern Da wo es um das Wortfeld des Stellens geht Ge-Stell Bestellen
Verstellen ist auch das NachstellenMitglied der Familie
Im Althochdeutschen heiszligt nachstellen fara Das in sich gesammelte Stellenals Nachstellen ist die Gefahr Der Grundzug des Wesens der Gefahr ist dasNachstellen Insofern das Sein als das Ge-Stell sich selbst mit der Vergessen-heit seines Wesens nachstellt ist das Seyn als Seyn die Gefahr seines eigenenWesens189
Damit wuumlrde sich durch die Verringerung der Selbstreflexion im Seyns-Bestand
eine Schwachstelle auftun in die der denkbegabte und aletheiafaumlhige Mensch ei-
ne Moumlglichkeit haben das Seyn zum Sein zuruumlckzuwandeln ndash also wieder in ein
185 GA 79 S 49186 Ebd187 GA 79 S 53188 GA 79 S 52189 GA 79 S 53
44
wesentliches Verhaumlltnis zum bdquoDingldquo zu gelangen in dem das Geviert wieder die
Harmonie herstellt Allerdings faumlnde bis zu solch einer Nachstellung eine Ver-
sieglung des Seynsbestandes statt Und Heidegger beklagt dass die Erreichung der
Ruumlckeroberung des Seins uumlber die Nachstellung nicht stattfaumlnde und stattdessen
die Irre regieren wuumlrde190
In dieser Irre stuumlnde dem Menschen nicht einmal mehr zu zu sterben Denn
bdquoSterben [] heiszligt den Tod in sein Wesen austragenldquo191 Somit waumlren die Opfer
die in den KZs umkamen wie er sie in Das Dinglsquo bereits schildert nicht vermouml-
gend gewesen zu sterben bdquoSie werden Bestandstuumlcke eines Bestandes der Fabrika-
tion von Leichen [] Sie werden in Vernichtungslagern unauffaumlllig liquidiertldquo192
Das vermoumlge die Gefahr zu bewirken Der Mensch wuumlrde des eigenen Sterbens
beraubt da er keine Verbindung mehr zur Wahrheit der Welt haumltte Um den rich-
tigen Tod zu sterben muumlsse der Mensch die Aletheia schauen koumlnnen Insofern ist
Heideggers Prinzip ein religioumls anmutendes Wie in der christlichen Vorstellung
der Mensch im Jenseits an seinen Taten gemessen wird um Paradies oder Fege-
feuer zu besuchen soll nach Heidegger der Mensch waumlhrend des Sterbens mit
sich selbst ins Gericht gehen Er soll sich rein machen vom Ge-Stell der Technik
und dem Seyn um nicht die einmalge Gelegenheit des richtigen Sterbevollzugs
zu versaumlumen Es winken gemaumlszlig des Gevierts die himmlischen Goumlttlichen den
irdischen Sterblichen zu wobei annehmbar ist dass Heidegger Sterblichen die
die Aletheia erkennen einen Goumlttlichkeitsstatus beimessen moumlchte ndash eine Erlouml-
sungsphantasie
Genau diese Erloumlsung waumlre die Technik nicht
Ohne den Schritt des Denkens zu wagen der unser Menschenwesen demWesen der Technik [] aussetzt wuumlrgt man sich von Fall zu Fall von Lagezu Lage durch die Zwiespaumlltigkeiten hindurch Und genau durch dieses Ge-wuumlrge versaumlumt man die Moumlglichkeit dessen was man im Grunde erstrebtdie Technik durch menschliches Tun zu meistern und menschenwuumlrdig zulenken193
190 Vgl GA 79 S 55191 GA 79 S 55192 GA 79 S 56 Weil Heidegger im Judentum die Verantwortlichen fuumlr das Geraffe des Ge-Stells
sieht macht er sie gleichsam verantwortlich fuumlr die bdquoSelbstvernichtungldquo Die Seinsverges-senheit im Tode wird dadurch zum Spin-off der vermeintlich juumldisch erzeugten da machen-schaftlichen KZ-Maschinerie (Vgl GA 97 S 20f)
193 GA 79 S 59
45
Trost und Richtung findet Heidegger schlieszliglich abermals bei den alten Griechen
Das Wort stellenlsquo entspricht dem griechischen ϑέσις vorausgesetzt daszlig wirϑέσις griechisch denken Was heiszligt in diesem Falle griechisch denkenlsquo Esheiszligt darauf achten welche Lichtung desWesens des Seyns in welcherWeisedas Dasein der alten Griechen in den Anspruch genommen hat heiszligt imvoraus bedenken in welchem Geschick welcher Unverborgenheit des Seinsdie Griechen standenldquo194
Das sind Vorstellungen des Neuen Anfangs eine Reminiszenz der griechisch anti-
ken Welt Ein Eintrag aus den Schwarzen Heften von etwa 1945-47 () verdichtet
wie oben bereits aufgezeigt die Phantasie griechisch zu sein zu einem gelingenden
Lebensvollzug
Das reine Wesen des Griechentums dh das Seiende inmitten dessen dieGriechen als seiende fremd gewesen dieses und sie selbst und der Bezug desSeins zu ihnen ndash in der einfachen Wesung von der ἀλήθεια her zeigen underfahren Den μῦθος und λόγος ndash jedes Wort und Gebild rein aber nichterzwungen und schematisch-pedant ndash aus ἀλήθεια erfahren195
Hier zeigt sich auch dass Heidegger per se das Aletheia-Prinzip fuumlr notwendig
hielt um ins Licht der Wahrheit zu blicken Die Griechen sind ihm hier deshalb
Vorbild und rein da sie keiner modernen Technik und dem Ge-Stell ausgesetzt
waren sondern lediglich eine mythopoetische Verbindung zum Sein herstellen
mussten um wesentlich zu sein und Seinsgeschichte zu schreiben Die Dinge und
das Spiegel-Spiel des Gevierts waumlren ihnen geschickt zuhanden gewesen196 Hei-
degger macht schlieszliglich sehr deutlich dass das Griechische zu denken ein bei
weitem anderes Geschaumlft sei als philologische Praumlzision
Ein Echo zu sein naumlmlich dem Anspruch des Seins verlangt eine Sorgfaltder Sprache von der freilich der technisch-terminologische Sprachstil derWissenschaften uumlberhaupt nichts wissen kann Die Intentionalitaumlt der wis-senschaftlichen Sprache ist der staumlrkste Beweis fuumlr ihre Boden- und Heimat-losigkeit [] Das Heimische einer hohen Sprache gedeiht nur im Bereichdes unheimlichen Anspruchs der wesenhaften Stille im Wesen des Seyns197
194 GA 79 S 62f195 GA 97 S 20196 Hingegen waumlre das Judentum verantwortlich fuumlr das Ge-Stell fuumlr das Prinzip der Zerstoumlrung
wie es auf der selben Seite der Schwarzen Hefte darunter heiszligt (vgl ebd)197 GA 79 S 66 Die Bedeutung von Seyn als verstelltes Sein oder Bedingung zum Schauen
des wahren Seins ist verwirrend Einer genaueren Analyse wird aus Platzgruumlnden hier nichtnachgegangen
46
324 Die Kehrelsquo
Der letzte Vortrag ist mit nur neun Seiten der Kuumlrzeste des Vortragsgevierts
Nach dem Verlust des Dinges als Ding und der damit einsetzenden Abstandslosig-
keit als Wesen des Ge-Stells wobei die Gefahr zudem der Vergessenheit des Seyns
nachstellt bietet Heidegger eine Perspektive an
Im Wesen der Gefahr verbirgt sich [] die Moumlglichkeit einer Kehre in derdie Vergessenheit des Wesens des Seins sich so wendet daszlig mit dieser Kehredie Wahrheit des Wesens des Seyns in das Seiende eigens einkehrt198
Diese Moumlglichkeit bedeute nicht dass der Mensch sich der Gefahr selbst stellen
koumlnnte sie waumlre passiv ndash bdquoverbirgt sichldquo Die Kehre werde sich ereignen aumlhnlich
einer Erwartung an den Messias
Die Anwesenheit der Gefahr wuumlrde automatisch die Rettung bergen Denn
Houmllderlin haumltte geschrieben bdquoWo aber Gefahr ist waumlchst [d]as Rettende auchlsquoldquo199
Etwa 1945 notiert Heidegger in seine Schwarzen Hefte bdquoDie Wahrheit erfahren
wir im Gedaumlchtnis Das Gedaumlchtnis ist die Dichtungldquo200 (so) Von dieser War-
te aus ausgestattet mit Erinnerungen an das abendlaumlndische Dichten mit dem
Wissen um das Aletheia-Prinzip und passiv als denkender Huumlter des Seyns solle
der Mensch das Ereignis erwarten das ihn bdquoloumlsen freimachen freyen schonen
bergen in die Hut nehmen wahrenldquo201 wuumlrde (siehe S 43)
Dieses Ereignis waumlre der Blitz Ein unvermittelter jaumlher ploumltzlicher Moment
von kurzer Dauer der bloszlig einen ebenso kurzen Blick auf das wahre Wesen er-
lauben wuumlrde Abschlieszligend ist dies das Rezept gegen die Bestands bestellende
Technik in mythopoetischer Formulierung
So entsprechend ist der Mensch geeignet daszlig er im gewahrten Element vonWelt als der Sterbliche dem Goumlttlichen entgegenblickt Anders nicht dennauch der Gott ist wenn er ist ein Seiender steht als Seiender im Seyn unddessen Wesen das sich aus dem Welten von Welt ereignet202
198 GA 79 S 71199 GA 79 S 72200 GA 97 S 52f201 GA 79 S 72202 GA 79 S 76
47
Wenn Heidegger im Anschluss von der bdquohistorisch-technischen Darstellungldquo re-
det so ist dies die Abwehr der Wissenschaften (auch der Philosophie203) und ein
Appell an die Antirationalitaumlt des Mythos bdquokein historisches Vorstellen der Ge-
schichte als Geschehen bringt in den schicklichen Bezug zum Geschickldquo204
Damit das Blitzen erfahren werde als kurze Wesensschau der Aletheia muumlsse
dem wahren abendlaumlndischen und heimatlichen Ereignis stattgegeben werden Es
sollte nicht wie er 1939 schon in den Schwarzen Heften beschreibt das
kuumlnstliche Licht von Historie und Technik in der weder Mensch noch dieGoumltter weder eineWelt noch die Erde sichtbar werden koumlnnen wo aber dasLebenlsquo von allen den immer noch zu wenigen Meistenlsquo erlebtlsquo wird205
Damit schlieszligt der letzte Vortrag mit einer Erwartung an das Ereignis des Blit-
zens nicht das Erleben der Besinnungslosigkeit (vgl Das Ge-Stelllsquo) Schon 1947
traumlumt Heidegger von solcher Umkehr
Aus der Kehre der Seynsvergessenheit aber ereignet sich das Unumgaumlnglicheden Acker der Welt erst zu pfluumlgen und saatbereit der Sonne und dem Regenund den Voumlgeln des Himmels uumlberlassen206
203 Denn ldquo[e]igentlich denken heiszligt [] die Philosophie verlassen [] beim Sagen des Seinslsquoldquo(GA 97 S 60)
204 Ebd205 GA 95 S 427 Gegen das Erlebnis und Erleben straumlubt sich Heidegger besonders So notiert
er etwa 1939 bdquoZeitalter der Techniklsquo macht gerade die Techniklsquo nicht zum Ziel sondernimmer mehr zum Mittel der besinnungslosen Berechnung [] der Mensch [] das Erleb-nislsquo [] Erleben als der Gefuumlhlsgenuszligldquo (GA 95 S 149) Wie auch bdquoWo beide Historie undTechnik in solcher scheinbaren Gegensaumltzlichkeit verkoppelt sind koumlnnen sie sich zur Foumlr-derung dessen zusammenschlieszligen was einstmals wesentlich die Geschichte des Menschenmitbegruumlndete und was wir die Kunstlsquo nennen Die Historie verschafft [] Anregungenund Vorbilder der Nachahmung die Technik erleichtert [] die Zustellung von Darstel-lungsmitteln und Wirkungsformen [] Gleichwohl ist alles wurzellos [] berechnet und alsErlebnislsquo ausgegebenldquo (GA 95 S 212)
206 GA 97 S 511
48
4 Konklusion
Der umstrittene Philosoph Martin Heidegger hat uumlber die 1930erndash40er Jahre
hinweg eine ausgepraumlgte voumllkisch-nationale und bisweilen radikal-antisemitische
Denkweise entwickelt Dieses Denken fasste er auch auf als Besinnung und stellt
es der Philosophie und Wissenschaft diametral entgegen In Kapitel 2 wird aufge-
zeigt dass sowohl Heideggers Mythologie bereits kritisiert wurde (Adorno Cassi-
rer Meyer) als auch seine Mythopoetik bewundert (Schulz-Nieswandt) Kapitel
3 will daruumlber hinaus aufzeigen wie Heidegger eine eigene Mythologie mytho-
poetisch fruchtbar macht was sich von beiden vorigen Ansaumltzen unterscheidet
und erst mit der Veroumlffentlichung der Schwarzen Hefte ab 2014 nachvollziehbar
wurde
Umso mehr bietet die mythopoetische Verbindung von bdquoDichten und Den-
kenldquo (so) einen antitechnischen Gegenpol Denn Heidegger fasst wie oben ge-
schildert alles Rationale auf als berechnende Bestellung des Bestands im Sinne
der Technik Daruumlber hinaus fordert er mit dem Aletheia-Prinzip (als metapho-
risch gefasstes Ereignis des Blitzens) einen Mitvollzug seiner mythopoetischen
Kontemplation in dem religioumlse voumllkische antike und sprachliche Motive zu-
sammenfallen
Obwohl schon von Heidegger selbst nicht mehr als Philosophie betrachtet
hat seine Rede vom Ding dem Ge-Stell dem Wesen der Technik und der Kehre
noch immer einen bedeutenden Einfluss auf die Technikphilosophie So betont
Alfred Nordmann in bdquoWerkwissen oder How to express things in worksldquo (2008)
dass Heidegger mit Das Dinglsquo eine Art Dingwissen geschaffen haumltte In seinem
2012 erschienenen Aufsatz Another parting of the ways Intersubjectivity and the
objectivity of sciencersquo207 geht Nordmann ein weiteres Mal auf Heideggers Ding
ein Dieses waumlre eine Abarbeitung an dem Ding Kants womit auch Nordmann
Heidegger als einen Interpreten Kants versteht208 Anschlieszligend anMichael Fried-
207 Nordmann Alfred Another parting of the ways Intersubjectivity and the objectivity ofscience In Studies in History and Philosophy of Science 43 (2012) 38ndash46
208 Die Auseinandersetzung mit dem Ding wuumlrde nach Nordmann in Heideggers GA mit demText Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalen Grundsaumltzenlsquoeinsetzen (GA 41 Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalenGrundsaumltzen)
49
man spricht sich Nordmann ebenso dafuumlr aus dass Heidegger neben Rudolf Car-
nap und Ernst Cassirer eine neokantianische Philosophie verfolgt haumltte (siehe
Kap 1)209
Nach Nordmann haumltte Heidegger in seinen anschlieszligenden Gedanken uumlber
das Ding als Fortfuumlhrung Kants als erster Wissenschaft als angewandte Techno-
logie verstanden210 Diese Interpretation stuumltzt sich auf die gleichen Symbole
Metaphern und Mythen die die vorliegende Arbeit analysiert Das Ge-Stell ist
insofern aumlquivok mit dem Begriff techno-science Jedoch sind in dieser Fruchtbar-
machung von Heideggers Denken der Technik dessen nationalistischen rassisti-
schen und antisemitischen Implikationen die die vorliegende Arbeit als Zentrum
dessen Philosophie ermitteln konnte noch nicht beachtet worden koumlnnen211
Andreas Luckner webt Heideggers Ding-Entwurf weiter als verantwortliches
Sorgen um die Dinge212 Er geht dabei mit Heidegger voumlllig konform und tritt
eher als eine Art Bote der Ding-Botschaft auf als diese moumlglicherweise zu kriti-
sieren was sich diesen Artikel wie ein Kapitel aus einem Studienbuch lesen laumlsst
Der Darmstaumldter Technikphilosoph Christoph Hubig ist vor allem Kritiker Hei-
deggers Argumentationen laumlsst aber zuweilen diverse Topoi aus dem Werk des
Technik-Denkers durchscheinen ohne sie weiter zu reflektieren
So konstatiert Hubig Heidegger verfehle in dessen Auseinandersetzung mit
Aristoteles Lehre von der Poiesis zum Punkt der Sicherung wie sie in Die Frage
nach der Techniklsquo behandelt wird bdquodie operative Seite des Technischenldquo bei Aris-
totels213 In einem spaumlteren Aufsatz allerdings stuumltzt er sich ohne weitere Erlaumlute-
rungen auf Heideggers Begriff der Sicherung aus Die Frage nach der Techniklsquo214
209 Diese Befriedung paradigmatischer Umstaumlnde wird hier nicht geteilt Eine weitere Bearbeitunglaumlsst der Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht zu
210 Vgl Nordmann Another parting of the ways S 45211 Der Aussage dass Heideggers Ding-Begriff kantianisch waumlre muumlsste einer gezielten Untersu-
chung unterzogen werden genau wie die Behauptung insgesamt dass Heidegger oder inwie-weit dieser noch der suumlddeutschen Kantschule des 1920 Jahrhunderts angehoumlrte
212 Vgl Luckner Andreas Ding und Bestand Heidegger und das Wesen neuzeitlicher TechnikIn Gamm G Gehring P Hubig C Kaminski A und Nordmann A Ding und SystemS 15-30 hier S 29
213 Hubig Christoph Die Kunst des Moumlglichen Technikphilosophie als Reflexion der MedialitaumltBielefeld 2006 S 103
214 Vgl Hubig Christoph Technik als Medium In Grundwald Armin (Hg) Handbuch Tech-nikethik Stuttgart 2013 S 118-123 hier S 118
50
Dabei versteht Hubig Heideggers Betrachtungen zum Umgang mit der Technik
als gelassen
Fuumlr Heidegger liegt die Andersheit im Entbergen einer Wahrheit des Seinseines Geschicks von dem die Entwicklung der Technik hin zum Gestellkuumlnde Er verbindet dies mit dem Appell jenseits des rechnenden und si-chernden Vorstellens technischer Vollzuumlge als handlungsleitender Program-me sich gelassenlsquo dieser Entwicklung zu uumlberantworten und ein Seinlsquo zuhuumlten das sich als solches eben entbirgt Das Rettendelsquo dieser Einsicht lie-ge darin dass unsere individuelle Endlichkeit insofern transzendiert wirdals sie sich dem sie uumlbersteigenden Prozess aufschlieszligt und sich selbst relati-viert215
Wovon in diesem Zitat nicht die Rede ist ist der Mitvollzug der mythopoe-
tischen Rahmenbedinungen die Heidegger einfordert und an dem die Konzep-
te Abendland und voumllkische Tradition haumlngen In dieser Arbeit wird davon aus-
gegangen dass Heideggers Technikphilosophie-erzaumlhlung sich nicht von seinen
Absichten der Bekaumlmpfung des Technischen loumlsen laumlsst Die Relativierung ist in-
sofern nicht an den Prozess gebunden und damit emergent auf alles hin ausge-
richtet was kommen mag sondern houmlchst konvergent in einer Besinnung auf
Mythen von dem Ding und dem Geviert mit all deren Valenzen aus dem vorlie-
genden Heideggerschen Textkorpus Die individuelle Endlichkeit ist genoumltigt die
Heimat und das Abendland zu kennen und im Aletheia-Prinzip umzusetzen
Die Neubewertung der bislang bekannten Heideggerschen Technikphiloso-
phie von vor den SchwarzenHeften ist ein dringendes Desiderat Voumllkisch-nationale
Gruppierungen erstarken momentan in ganz Europa und es koumlnnte sehr hilfreich
sein aumlhnliche Denkstrukturen aufzudecken so wie sie zwischen den 1930er und
40er Jahren entwickelt wurden Zusaumltzlich muss das Werk Heideggers einer kriti-
schen Revision schon aufgrund der niemals von ihm behandelten Antisemitismen
unterzogen werden Heidegger hat nie zu diesen Stellung bezogen
Daruumlber hinaus ist das Thema Mythos und Philosophie ein weiterhin not-
wendiger Bereich der philosophischen Forschung In einem Bereich auszligerhalb
der exakten Wissenschaften und ohne klare theologische Tradition ist die Philo-
215 Hubig Die Kunst des Moumlglichen S 140
51
sophie beides sowohl Aufklaumlrer und antimythisch als auch Quelle fuumlr mythisches
Denken und affektierende Motive
52
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55
Trawny Peter Heidegger und derMythos der juumldischenWeltverschwoumlrung Frank-
furt am Main 2015
Wolin Richard Heideggers bdquoSchwarze Hefteldquo Nationalsozialismus Weltjuden-
tum und Seinsgeschichte In Vierteljahrsheft fuumlr Zeitgeschichte Bd 63 Heft
3 S 379ndash410
LexikaHeidmann Vischer Ute Mythoslsquo In Braunart Georg ua (Hg) Reallexikon
der deutschen Literaturwissenschaft Bd 2 Berlin New York 2000 S 664ndash
668
mdash Mythologielsquo In Braunart Georg ua (Hg) Reallexikon der deutschen
Literaturwissenschaft Bd 2 Berlin New York 2000 S 660ndash664
Graf Fritz (Princeton) Zgoll Annette (Leipzig) Hazenbos Joost (Leipzig)
Niehr Herbert (Tuumlbingen) Mythoslsquo Der Neue Pauly Hg v Cancik Hu-
bert (Antike) und Schneider Helmuth Landfester Manfred (Rezeptions-
und Wissenschaftsgeschichte) Brill Online 2015 Reference Universitaumlts-
und Landesbibliothek Darmstadt 06 December 2015 httpreferenceworks
brillonlinecomentriesder-neue-paulymythos-e815160 First appeared on-
line 2006
Metzler Literatur Lexikon Begriffe und Definitionen hg v Schweikle Irmgard
und Guumlnther Stuttgart 1990
Poumlggeler Otto Heidegger In Killy Literaturlexikon Autoren und Werke des
deutschsprachigen Kulturraums 15 Bde 1988-93 Bd 5 S 142ndash146
Internetquellenwwwuni-stuttgartdehkompresseservicepressemitteilungen201567
_kellererhtml zuletzt abgerufen am 1442016
wwwdewikipediaorgwiki Martin_Heidegger_und_der_Nationalsozialismus
Die_Heidegger-Kontroverse ndash zuletzt abgerufen am 24042016)
56
Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
Der Unterzeichner versichert dass er die vorliegende Bachelorarbeit selbststaumlndig
verfasst und keine anderen als die von ihm angegebenen Hilfsmittel benutzt hat
Die Stellen der Arbeit die anderen Werken dem Wortlaut oder dem Sinne nach
entnommen sind wurden in jedem Fall unter Angabe der Quellen (einschlieszliglich
des World Wide Web und anderer elektronischer Text- und Datensammlungen)
kenntlich gemacht Dies gilt auch fuumlr beigegebene Zeichnungen bildliche Dar-
stellungen Skizzen und dergleichen
Darmstadt 25 April 2016
__________________________
(Eigenhaumlndige Unterschrift)
- Abkuumlrzungsverzeichnis
- Danksagung
- Einleitung
- Heideggers mythopoetisches Programm
-
- Zu den Begriffen Mythos Mythologie und Mythopoetik
-
- Ein Beispiel fuumlr ein Mythologem
-
- Heideggers Mythen
-
- Formen der Mythologie
-
- Heideggers mythopoetische Technik
-
- Zur Publikationsgeschichte von den Bremer Vortraumlgen 1949
- Die mythopoetische Spiegelung der Schwarzen Hefte
-
- Das Dinglsquo
- Das Ge-Stelllsquo
- Die Gefahrlsquo
- Die Kehrelsquo
-
- Konklusion
- Literaturverzeichnis
- Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
-
Inhaltsverzeichnis
Abkuumlrzungsverzeichnis iii
Danksagung iv
1 Einleitung 1
2 Heideggers mythopoetisches Programm 4
21 Zu den Begriffen Mythos Mythologie und Mythopoetik 4
211 Ein Beispiel fuumlr ein Mythologem 8
22 Heideggers Mythen 9
221 Formen der Mythologie 16
3 Heideggers mythopoetische Technik 24
31 Zur Publikationsgeschichte von den Bremer Vortraumlgen 1949 27
32 Die mythopoetische Spiegelung der Schwarzen Hefte 29
321 Das Dinglsquo 29
322 Das Ge-Stelllsquo 32
323 Die Gefahrlsquo 41
324 Die Kehrelsquo 46
4 Konklusion 48
Literaturverzeichnis 52
Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit 56
iii
Abkuumlrzungsverzeichnis
Die Baumlnde der bdquoGesamtausgabeldquo Heideggers werden mit dem Sigel bdquoGAldquo und
der Bandzahl angegeben (Ausnahmen bilden sbquoDie Technik und die Kehrelsquound
sbquoVortraumlge und Aufsaumltzelsquo) Fuumlr ein Lexikon wird folgende Abkuumlrzung benutzt
RDL Reallexikon der Deutschen Literaturgeschichte
iv
Danksagung
Zu dieser zum kleinsten akademischen Grad gereichenden Arbeit moumlchte ich den
groumlszligten Dank meinen beiden Betreuern und Gutachtern Cheryce von Xylander
und Christoph Hubig aussprechen Mit groumlszligter Sorgfalt Fairness und fachlicher
Unterstuumltzung haben sie mir die Herausforderung dieser Pruumlfungsarbeit in jedem
erdenklichen Weg reichhaltig und zum Gelingen gestellt Dass Letzteres nach
einem ersten verworfenen Manuskript eintrat ist ihrer groszligen Geduld und dem
Vertrauen in mich geschuldet fuumlr die ich mich herzlich bedanken moumlchte
Fuumlr ihr besonders engagiertes Korrekturlesen und die konstruktive formale
Kritik danke ich Sarah Holschneider Ebenso bestaumlrkt darin mit dem was ich
schreibe uumlberhaupt verstanden zu werden hat mich Maleen Hanst der ich herz-
lich fuumlr ihr Lektorat danken moumlchte
Ein Geschenk von dem Filmemacher Jeffrey van Davis hat mir neue Perspek-
tiven vermittelt die aus der Literatur nicht erhaumlltlich sind Fuumlr diese Dokumen-
tation sbquoOnly A God Can Safe Uslsquo (2009) die er mir auf mein Ersuchen hin un-
vermittelt geschickt hat bin ich mehr als dankbar
Ein vielleicht ungewoumlhnlicher weil als selbstverstaumlndliche Institution angese-
hen Dank gebuumlhrt der Universitaumlts- und Landesbibliothek Darmstadt Die her-
vorragende Ausstattung Infrastruktur und 24 stuumlndige Oumlffnungszeiten werden
ermoumlglicht von einem klasse Team das in so vielfaumlltiger Weise hilfreich ist
Nicht zuletzt danke ich meinem Freund Roland Franz fuumlr die moralische Un-
terstuumltzung und seine Bestaumlrkungen in mich und meiner Familie fuumlr alles Unsag-
bare
1
1 Einleitung
Die Geschichte des deutschen Philosophen Martin Heidegger existiert beinahe
nicht ohne eine um ihn gravitierende tiefschuumlrfende Debatte Beinahe deshalb
weil es eine kurze Zeitspanne gibt in der Heidegger sowohl hohes Ansehen bei
seinen Marburger Studierenden genoss als auch steigende Anerkennung und Be-
kanntheit fuumlr seine Publikation von sbquoSein und Zeitlsquo1 (1927)
Seine Schuumllerinnen und Schuumller waren ihm ebenso an der Universitaumlt Frei-
burg zugetan Mit der Publikation von Rudolf Carnaps Aufsatz sbquoUumlberwindung
der Metaphysik durch logische Analyse der Sprachelsquo2 im Jahr 1931 allerdings ist
datierbar wie Heideggers Arbeit als Ausdruck der voumllkisch-nationalen Rechten
interpretiert zum erstenMal ins Zentrum einer Debatte geriet die bis heute seine
gesamte Philosophie auf den Pruumlfstand stellt3
Es blieben nur wenige Philosophen die nach dem Ende der Weimarer Repu-
blik im Deutschen Reich der NSDAP leben und wirken durften4 Der Bekann-
teste von ihnen ist Martin Heidegger Michael Friedman sieht ihn deswegen als
das Bindeglied der nachkantianischen Tradition deutscher Philosophie mit der
Postmoderne5
1 GA 22 Carnap Rudolph Uumlberwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache in Zs
Erkenntnis 2 Berlin 193132 S 219-2413 Vgl Galison Peter AufbauBauhaus Logischer Positivismus und architektonischer Moder-
nismus In Deutsche Zeitschrift fuumlr Philosophie 43 (1995) Heft 4 S 653-685 hier S 710Diese Aussage beruht auf einer hier nicht von selbst erschlieszligenden Interpetration die sich
aus der Lektuumlre von Peter Galisons Aufsatz sbquoAufbauBauhaus Logical Positivism and Archi-tectural Modernismlsquo (1990) ergibt Galison schildert dort auf Seite 710 wie Carnap undNeurath sich auf Seiten der Wissenschaftsphilosophie im Sinne des Logischen Positivsimusmit dem Bauhaus verbunden fuumlhlten Er nennt diese Koalition bdquotransparente KonstruktionldquoDiese Form des Bauens und Philosophierens haumltte den selben Feinden gegenuumlber gestanden ndashbdquothe religious right nationalist anthroposophists voumllkisch and Nazi opponentsldquo CarnapsAufsatz sbquoUumlberwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprachelsquo selbst haumllt sichpolitisch auffaumlllig zuruumlck Die Bedeutung Carnaps im Heidegger-Streit ist ferner eine interes-sante Frage die aber den Bereich der vorliegenden Arbeit uumlberschreitetDas Buch sbquoCarnap Heidegger Cassirer Geteilte Wegelsquo (2004) von dem US amerikani-
schen Philosophen Michael Friedman schlaumlgt dazu versoumlhnliche Toumlne an indem er alle dreials unterschiedliche Interpreten Kants versteht In der vorliegenden Arbeit aber ist ausschlag-gebend dass Carnap und Cassirer ins US-Exil flohen waumlhrend Heidegger ein Konzept desdeutsch-voumllkischen Denkens entwickelte
4 Vgl Dahms Hans Philosophie In Frank-Rutger Hausmann (Hg) Die Rolle der Geisteswis-senschaften im Dritten Reich 1933ndash1945 Muumlnchen 2002 S 193-228
5 Friedman Michael Carnap Cassirer Heidegger Geteilte Wege Frankfurt am Main 2004 S13 u 162
2
Von 1933 an war Heidegger Mitglied der NSDAP und mit der Einrichtung
des Fuumlhrer-Rektors zu dem er auch 1933 gewaumlhlt wurde als voumllkisch-nationaler
Rechter nicht mehr in Frage zu stellen Die philosophischen Differenzen waumlhrend
der Diktatur waren weniger von einer fachlichen Auseinandersetzung gepraumlgt als
denn der Erziehung des Volks und eines geistigen Uumlberbaus der Nazis geschul-
det6 Eine direkte Auseinandersetzung mit seinen Kritikern des mittlerweile ge-
flohenen Wiener Kreises hatte es nicht gegeben
Auf Umwegen wurde Jean-Paul Sartre zum ersten Heidegger-Apologeten je-
doch nicht gegenuumlber Carnap oder demWiener Kreis sondern gegen die franzoumlsi-
sche Linke Diese hatte sich aufgrund der offensichtlichen Faktenlage mit Heideg-
ger als Fuumlhrerrektor uumlber die Existenzphilosophie Sartres empoumlrt die Heideggers
Werk rezipiert Sartres Entgegenhalten enthaumllt den Kern der Frage wie Philoso-
phie und Autorschaft im Verhaumlltnis stehen
Was zaumlhlt schon Heidegger Wenn wir unser eigenes Denken anlaumlszliglich des-sen eines anderen Philosophen entdecken wenn wir bei diesem Technikenund Methoden suchen die uns zu neuen Problemen Zugang verschaffenkoumlnnen heiszligt das dann daszlig wir alle seine Theorien teilen Marx hat sei-ne Dialektik von Hegel uumlbernommen Sagen Sie deshalb sbquoDas Kapitallsquo seiein preuszligisches Werk7
Nach Ende des Krieges wurde Heidegger im Zuge der Entnazifizierung die
Lehrerlaubnis entzogen Die Debatte um seine Einstellung zum Nationalsozialis-
mus war ihm selbst zu dieser Zeit am unmittelbarsten denn seine Befugnisse wur-
den darin verhandelt Jean-Paul Sartre war unterdessen interessiert am Dialog mit
Heidegger und Jean Beaufret wandte sich brieflich an ihn Diese Auseinanderset-
zung uumlber den Humanismus angestoszligen von Sartres Essay sbquoLrsquoexistentialisme est
un humanismelsquo8 (1946) bindet die franzoumlsischen Philosophen an den deutschen
6 Vgl Dahms Hans-Joachim Philosophie In Elvert Juumlrgen und Nilson-Sikora Juumlrgen (Hg)Kulturwissenschaften und Nationalsozialismus Stuttgart 2008 S 19-51
7 Sartre Jean-Paul Zum Existenztalismus ndash eine Klarstellung In Der Existenzialismus istein Humanismus und andere philosophische Essays 1943ndash1948 Philosophische Schriften IFrankfurt am Main 1994 S 114Das Zitat wird auch herangezogen im Kopfteil einer Wikipedia Ab-
handlung uumlber die bdquoHeidegger-Kontroverseldquo (httpsdewikipediaorgwikiMartin_Heidegger_und_der_NationalsozialismusDie_Heidegger-Kontroverse ndash zuletztabgerufen am 24042016)
8 Sartre Jean-Paul Lrsquoexistentialisme est un humanisme Editions Nagel Paris 1946
3
Kollegen der seinen sbquoBrief uumlber den Humanismuslsquo9 (1947) beisteuerte Dieser bi-
laterale Briefwechsel wie auch die konspirativen Vortraumlge im privaten Club zu
Bremen im Jahr 1949 denen Heideggers spaumlte Technikphilosophie entspringt
trugen zu einer Rehabilitierung bei Ab 1951 wurde Heidegger emeritiert wo-
durch er wieder in Freiburg lehren durfte
Diese Arbeit untersucht inwiefern Heideggers Technikdenken in den Bremer
Vortraumlgen (1949) von seinen seit 2014 vorliegenden sogenannten Schwarzen Hef-
ten (1931-1948 GA 94 ndash 97) Heideggers Notizbuumlchern zehren Diese sind die
wichtigste Quelle zum Nachvollzug seiner Gedanken zum Nationalsozialismus
und Rassismus geworden Die vielen Spekulationen um Heideggers menschliche
Defizite und deren Eingeschriebensein in seine Philosophie finden seitdem eine
handfeste Grundlage
Insofern wird der Frage nachgegangen ob und wie ein Programm anhand der
Schwarzen Hefte vorliegt das sich auf Heideggers Technikdenken niederschlaumlgt
Dazu wird davon ausgegangen dass Heidegger sich in eine Denkweise des My-
thologisierens begeben hatte die sich in den Schwarzen Heften manifestierte
Das untersucht Kapitel 2 Kapitel 3 untersucht wie die moumlgliche Mythologie der
Schwarzen Hefte mit dem ersten Vortrag seit Beendigung des Zweiten Weltkriegs
zusammen haumlngt
9 GA 9
4
2 Heideggers mythopoetisches
Programm
In diesem Kapitel wird die These aufgestellt dass Heidegger in den Schwarzen
Heften von 1931ndash1948 sich selbst eine Mythologie anlegt derer er sich in Veroumlf-
fentlichungen mythopoetisch bedient Die Mythopoetik aus seinen mythologi-
schen Annahmen bestimmt aber auch weite Teile seiner intimen Schriften (Denk-
tagebuumlcher) also die Schwarzen Hefte selbst Dh dass Heidegger sich seine ei-
gens gesetzte Mythologie aus fruumlheren Jahren als permanentes Zentrum seines
Philosophierens oder Nachdenkens fortschreibt und mit spaumlteren Gedanken zum
Zeitgeschehen aktualisiert Gerade diese Kohaumlrenz mit der er an seiner
Der Begriff der Mythologie und ferner der des Mythos bieten eine Vielzahl
von Moumlglichkeiten der Bestimmungen und Interpretationen Aus diesem Grund
ist der weiteren Erlaumluterung der These eines mythopoetischen Programms eine Be-
griffseingrenzung vorangestellt10 Genauso wird eine Erlaumluterung des Begriffs der
Mythopoetik dargelegt werden um darauf aufbauend Heideggers Vorstellungen
aus den Schwarzen Heften aufzudecken
21 Zu den Begriffen Mythos Mythologie
und Mythopoetik
Zur Bestimmung von Heideggers Vorstellungen als mythopoetisches Programm
werden die drei Begriffe Mythos Mythologie und Mythopoetik hier einer einfa-
chen lexikalischen Definition zugrunde gelegt Diese orientiert sich maszliggeblich
am Reallexikon der Deutschen Literaturgeschichtelsquo (RDL) das eine fachwissen-
schaftliche (philologische) Seriositaumlt besitzt die gefragten Begriffe aber auch kom-
pakt und uumlberschaubar abhandelt11
10 Eine fuumlr dieses Thema hervorragende Reflexion des Mythos-Begriffes bietet sich in Ernst Cas-sirers Der Mythus des Staateslsquo an Auf diesen Titel wird allerdings erst spaumlter eingegangenwerden um mit der Begriffseingrenzung nicht einen Cassirerrsquoschen uumlberbau zu erstellen
11 Die Eintraumlge des RDL werden hier bereits nur sehr sparsam verwendet bieten sie jedochweitaus reichhaltigere Reflexionen zu den drei gefragten Begriffen Trotz der faszinierenden
5
Insofern legt das RDL den Mythos uumlber die bdquoForm eines vorrationalen Wis-
sensldquo hinaus so aus
Mythos2 bezeichnet ein ndash oft einem vermeintlich wissenschaftlicheren lo-goslsquo als mythisches Denkenlsquo entgegengesetztes ndashWeltverhaumlltnis uumlber dessenEigenschaften [] immer wieder neu spekuliert wird und das man ua ausdem Mythos1 zu erschlieszligen sucht12
Zur Wortgeschichte erklaumlrt das RDL ferner dass im Fortschritt der bdquoFachschrift-
stellereildquo Mythos und Logos als Spannungsverhaumlltnis hervorzutreten beginnen
mit demmyacutetos als bdquoAusdruck fuumlr Erdichtetes oder Erfundenesldquo und logos bdquoals ver-
antwortende Redeldquo Mit der im RDL sogenannten bdquoFachschriftstellereildquo muss be-
reits die griechische Antike gemeint sein wenn es in der Begriffsgeschichte heiszligt
bdquo[i]n der antiken Geschichtsschreibung und Philosophie wird der Begriff fast im-
mer ex negativo im Hinblick auf das Nicht-Wissenschaftliche verwendetldquo13
Der Begriff Mythologie wird hauptsaumlchlich unterschieden in 1) eine bdquoZusam-
menstellung der Mythen einer bestimmten Kulturldquo und 2) deren bdquoErforschung
und theoretische Reflexionldquo14 Als Drittes kann die Zusammenstellung von hy-
postasierten poetischen oder heroisierenden Elementen als Mythologie aufgefasst
werden So sagt Adorno uumlber die deutschen Existentialisten dass sie bdquoin der ab-
soluten Verfuumlgung des Einzelnen uumlber sich [] soldatischldquolsquo an der bdquoBindung an
den Befehlldquolsquo15 hingen Sprecher solcherlei bdquoExistenz bewegen sich auf heroisie-
rende Mythologie zuldquo16 Insofern kann als Mythologie gelten was sich als solche
gebiert Er bindet dieses Mythologisieren in seinen Topos des bdquoJargons der Eigent-
lichkeitldquo ein der hauptsaumlchlich Heideggers eigenwilligem Sprachverhaumlltnis gewid-
Begriffsgeschichten von Mythos und Mythologie soll zugunsten der hier verhandelten The-se auf tiefergehende Reflexionen verzichtet werden Das Material dazu ist weiterhin uumlberdas RDL hinaus sehr umfangreich Dennoch wird davon ausgegangen dass der hier gewaumlhl-te Bedeutungsumfang der Begriffe dem Verstaumlndnis hinsichtlich der These von Heideggersmythopoetischen Programm genuumlgen wird
12 RDL S 665 Da das RDL in seiner Explikation von drei verschiedenen Bedeutungsdimensio-nen spricht wird in der zitierten 2 auf die 1 refereriert welche lautet ldquoMythos1 meint dieerzaumlhlende Darstellung von kollektiv bedeutsamen Orten und Figuren oder Naturphaumlnome-nen in aller Regel mit religioumlser oder kultischer Dimensionldquo (Ebd S 664)
13 RDL S 66514 RDL S 66015 Adorno Theodor W Jargon der Eigentlichkeit Zur deutschen Ideologie Frankfurt am Main
1964 S 10716 Ebd S 108
6
met ist Was Adorno als Abwehr gegen Heidegger und die deutschen Ideologen
der Moderne anfuumlhrt kann nicht in gleicher Weise auf die Romantiker fallen
Im 19 Jahrhundert fanden bei denen auch Bestrebungen statt Mythologie als
wissenschaftliche Wahrheitsfindung zu betreiben Mythologie ist dort bdquoSprache
der Phantasielsquo die jedoch auch Spuren der aumlltesten Geschichte enthalte und da-
durch deren Allegorisierung verhindereldquo17 Der Unterschied zwischen beliebiger
Allegorie und verbindlicher Mythologisierung liegt demzufolge im Rekurs auf die
bdquoaumllteste Geschichteldquo Der Antikestoff befluumlgelte Schriftsteller wie Philosophen zu
poetologischen und philosophischen Doktrinen die die bloszlige Zusammenstellung
von tradiertenMythen sprengten und ein progressives Mythologisieren forderten
Dieses Zusammenspiel fand seinen Houmlhepunkt im bdquoSystemprogrammldquo
[E]ine neue Mythologie der Vernunftlsquo welche den Gegensatz zwischendem Volk und einer philosophischen Elite aufloumlsen und eine allgemeineFreiheit und Gleichheit der Geisterlsquo verwirklichen sollte18
Daran beteiligt waren Friedrich Schlegel Hegel und Houmllderlin Bei den aus-
gepraumlgten Houmllderlinkenntnissen Heideggers kann von dessen Kenntnis des bdquoSys-
temprogrammsldquo ausgegangen werden auch wenn er dessen noblen Ziele nicht zu
beerben gedachte Gerade fuumlr Schelling jedoch bdquoist Mythologie das Mittelglied der
Ruumlckkehr der Wissenschaft zur Poesieldquo19 Es ist genau diese Aufwertung des Au-
tors aus einer Synthese von Kunst und dem Prozess ihrer archaischen Ruumlckfuumlh-
rung die Heidegger als Wahrheitsquelle vorphantasiert Er geht bei dieser My-
thologisierung so weit von der Errettung durch die Goumltter zu traumlumen wobei
er auf Houmllderlin als Mittlerfigur rekuriert der sich wiederum auf die Vorstellung
von Goumlttern der griechischen Antike bezieht Das ist ein Teil von Heideggers
voumllkischer Mythologie die eine reine Linie des Denkadels nachzeichnen will
Werden wir einen wirklichen geistigen Adel schaffen der stark genug ist dieUumlberlieferung des Deutschen aus einer groszligen Zukunft zu gestalten20
17 RDL 66218 RDL S 66319 Ebd20 GA 94 S 121
7
bdquoAus einer groszligen Zukunftldquo ist hierbei bezeichnend fuumlr die Vorstellung eines
Versprechens aus der Vergangenheit Das macht diesen Mythos aus Heideggers
Mythologie
Mythopoetische Texte schlieszliglich werden definiert als
Literarische Werke die Mythen aufnehmen und auf eine fuumlr die Textaussagekonstitutive Weise dichterisch bearbeiten21
Die Besonderheit von der bei der vorliegenden Arbeit ausgegangen wird ist dass
Heidegger in seinen echten Publikationen wobei hier besonders die Vortraumlge von
1949 von Interesse sind nicht bloszlig mythologisierte im Sinne eines bdquoerweiterten
Mythosldquo Sondern er schreibt als Mythopoet schoumlpfend aus seiner privaten My-
thologie Diese legte er sich selbst zu Grunde in den Schwarzen Heften Es sind die
Manifestationen seines Glaubens an romantisierte Antikeideale und seine Uumlber-
houmlhungen von Fantasien von einem deutschen Volk
Wie das Metzler Literaturlexikon es bereits aufweist bdquoDie weitere Explikation
des M-Begriffs ist komplex und faumlllt in die Zustaumlndigkeit verschiedener Diszipli-
nenldquo22 Die Begriffseingrenzung hier hat allerdings in Bezug auf das RDL einen
deutlich literaturwissenschaftlichen Bezug da Heidegger eine bdquoPartnerschaft zwi-
schen Denken u Dichtenldquo23 anstrebte ndash bdquoDas Dichterischelsquo sollte rettende Wege
im Zeitalter des universalen technolog Zugriffs findenldquo24 Damit ist auch zum
wiederholten Male das Kontrastierende in dieser Haltung genannt ob sich der
Mythos nun gegen das TechnischeWissenschaftliche richtet (Heidegger) oder ge-
21 RDL S 66522 Metzler Lexikon der Literatur S 524 Ferner deutet ein Eintrag im Neuen Pauly dar-
auf hin bdquoEine alle Disziplinen befriedigende Definition von M (μῦθοςmyacutethos latmythos) zu finden erweist sich trotz vieler Versuche als unmoumlglichldquo (Graf Fritz(Princeton) Zgoll Annette (Leipzig) Hazenbos Joost (Leipzig) Niehr Herbert (Tuuml-bingen) Mythoslsquo Der Neue Pauly Hg v Cancik Hubert (Antike) und Schnei-der Helmuth Landfester Manfred (Rezeptions- und Wissenschaftsgeschichte) Brill On-line 2015 Reference Universitaumlts- und Landesbibliothek Darmstadt 06 December2015 httpreferenceworksbrillonlinecomentriesder-neue-paulymythos-e815160 Firstappeared on-line 2006)
23 Poumlggeler Otto Heidegger In Killy Literaturlexikon Autoren und Werke des deutschspra-chigen Kulturraums 15 Bde 1988-93 Bd 5 S 142-146 hier S 144
24 Ebd S 142
8
gen die Rationalitaumlt (Cassirer) er hat stets bdquodas erklaumlrte Andere des logischen
Erkennensldquo25 inne26
211 Ein Beispiel fuumlr ein Mythologem
bdquoDen μῦθος und λόγος [] aus ἀλήθεια erfahrenldquo27 Dieses System entruumlckt
Wort und Rede dem zwischenmenschlichen Sprachgebrauch und uumlberlaumlsst es dem
Prinzip eines eigenwillig ausgelegten Begriffs der ἀλήθεια ob etwas als Ereignis
zum Sein gereicht oder als Dasein hinfaumlllig ist Die erstrebenswerte Identifikation
mit dem bdquoLeben der Gemeinschaft und mit dem Leben der Naturldquo28 die der ge-
meinsame Austausch uumlber Mythen bieten soll zB im Raumlsonieren daruumlber (etwa
im Sinne des Logos) untersteht hier dem regelnden Prinzip einer Aletheia Mys-
thagogisch will Heidegger den archetypischen Akt dieser Wesensschau beim anti-
ken Griechenvolk enthuumlllen (vgl Kapitel 323) Damit ist die Zusammenstellung
von bdquoμῦθος und λόγος [] aus ἀλήθεια erfahrenldquo bereits ein Mythos seiner
Mythologie
Die Eigenwilligkeit mit der Heidegger einen Mix aus philologischer Hinwen-
dung zu den Vorsokratikern der Dichtung Houmllderlins und einem Pathos seiner
Heimatverbundenheit verquickt ist Adorno schon in den 1960ern als Mythologie
aufgefallen bdquoAntisophistik im Endstadium aufbereiteter Mythologie ist verhaumlrte-
tes Ursprungsdenkenldquo29 Adorno konnte nicht ahnen wie tief Heidegger seinen
Wunsch nach Ursprung in sein Denken verschlossen hat Der Bestand bdquoaufbe-
25 Erdbeer Robert Matthias Graf Fritz Mythoslsquo Der Neue Pauly Herausgegeben vonHubert Cancik Helmuth Schneider (Antike) Manfred Landfester (Rezeptions- und Wis-senschaftsgeschichte) Brill Online 2015 Reference Universitaumlts- und LandesbibliothekDarmstadt 06 December 2015 lthttpreferenceworksbrillonlinecomentriesder-neue-paulymythos-rwg-e1505640gt First appeared online 2006
26 Ernst Cassirer interpretiert in diesem Bezug ferner nachdem er den Konflikt zwischen ra-tionalem und mythischem Denken als Machtkonflikt aufwies Kants Annahme von zweibdquoGruppen von Gelehrten und Forschern die eine befolgt das Prinzip der Homogenitaumltlsquo dieandere das der Spezifikationlsquo [] Nach den Prinzipien der Kantischen Philosophie selbststehen beide Haltungen nicht wirklich im Widerstreit miteinander Denn sie druumlcken keinefundamentale ontologische Differenz aus keine Differenz in der Natur und dem Wesen derDinge an sichlsquo Sie repraumlsentieren eher ein doppeltes Interesse des menschlichen Verstandesldquo(Cassirer S 12) Allerdings ist Heidegger anti-wissenschaftlich Sein Ringen um das Mythi-sieren verfolgt das Ziel einer gegenwissenschaftlichen bdquoBesinnungldquo wie er es nennt
27 GA 97 S2028 Cassirer Der Mythus des Staates S 5329 Adorno Jargon der Eigentlichkeit S 41
9
reiteter Mythologieldquo liegt erst seit 2014 mit der Veroumlffentlichung der Schwarzen
Hefte vor
22 Heideggers Mythen
Heideggers Mythen sind weder eine Fortsetzung antiker Uumlberlieferungen noch
ein von ihm entwickeltes Fabulieren uumlber anthropomorphe Goumltter und ihre Ent-
stehungsgeschichten Es ist in erster Linie eine eigenwillige Philologie des Alt-
griechischen wenn er zB in bdquogeschichtlicher Besinnungldquo zum Zuruumlckgehen bdquoauf
den Zusammenhang von τέχνη ἀλήθεια und οὐσίαldquo30 auffordert Adorno cha-
rakterisiert seinen Begriff vom Jargon der Eigentlichkeitlsquo mit dem Zug der sta-
tischen Inbeschlagnahme einzelner Woumlrter die sich bdquodurch die Konstellation die
sie verleugnenldquo aus demDiskurs sprengten und als Apotheosen eine uumlbertriebene
Eigenbedeutung erhalten wuumlrden Diese guerrillaartige Umdeutung von Sprache
versteht Adorno als Asyl des Faschismus31
Was das singulaumlre Wort an Magie verlor wird ihm gleichwie durch Maszlignah-men dirigistisch angeschafft [] Bestandstuumlcke der empirischen Sprachewerden in ihrer Starrheit manipuliert als waumlren sie solche einer wahren undgeoffenbarten [] Der Jargon objektiv ein System benutzt als Organisati-onsprinzip die Desorganisation den Zerfall der Sprache in Worte an sich32
Die bdquoDesorganisationldquo die Adorno Heideggers Sprachzerfall zuweist ist viel-
mehr eine Neukonstellation im Sinne des Mythos So erscheint es zumindest
anhand der Leese die Heidegger in den Schwarzen Heften zusammentraumlgt Der
deutsch-schweizerische Philosoph Enno Rudolph fuumlhrt in diesem Zusammen-
hang einige Militaumlrmetaphern an die Heideggers Zielsetzung unterstreichen sol-
len mit seinem Sprachsystem voumllkisch-nationale und eben auch antisemitische
Abgrenzungspolitik zu betreiben
30 GA 94 S 336f31 Vgl Adorno Jargon der Eigentlichkeit S 8f bdquoAsyl des Faschismusldquo ist eine treffende Parodie
auf Heideggers Rede von der Sprache als Haus des Seins (su)32 Ebd S 10
10
Am Ende koumlnnten sich Text und Sache moumlglicherweise so darstellen lassen[] dass sich das Gesamtwerk als die labyrinthisch konstruierte letzte Basti-on eines philosophischen Stellungskrieges positioniert in dessen Verlauf derAntisemitismus ndash neben den anderen programmatischen Feindseligkeiten ndasheine strategische Funktion nach Analogie mehrerer einander koordinierterWaffengattungen erfuumlllt [] dass es sich bei den vier Baumlnden um Bausteinefuumlr eine Kampfschrift handelt33
Mit dem Schluumlssel des Verstaumlndnisses der altgriechischen Sprache seiner Liebe
zum Klassikautor Houmllderlin und als selbsterklaumlrter Feind der Metaphysik ver-
stand sich Heidegger als Prophet des Denkens das als Dichtung veredelt An-
athema zur Rationalitaumlt und Wissenschaft (worunter er auch die Philosophie ver-
stand) sein sollte Die strenge Bindung an seine Pseudotradition des Abendlandes
sollte mythologisch festgezurrt sein aber seine Veroumlffentlichungen in Form von
Vortraumlgen und Aufsaumltzen und schlieszliglich in Buchform sollten selbst nicht bloszlig
mythologisch sein ImModus von verhaumlrtetem solipsistischen Narzissmus ging er
daruumlber sogar noch hinaus und wollte sich verstehen als mythopoetischen Autor
seiner eigenen Mythologie
Eine katalysierende Wirkung auf dieses Vorgehen Heideggers hatte der Alt-
philologe Walter F Otto (1874ndash1958) In einem vor den Schwarzen Heften in
2009 veroumlffentlichen Aufsatz schildert der franzoumlsische Germanist Daniel Meyer
von diesem Bezug und untersucht Heideggers Verbindung der Kehre34 und des
Mythos Die Entdeckung des griechischen Mythos Heideggers geschichtsphilo-
sophische Wendelsquo35 Wie es der Titel verraumlt markiert Meyer Heideggers Kehre
zur Seinsgeschichte mit dessen bdquoEntdeckungldquo des Mythologisierens36
33 Rudolph Enno Heideggers Schwarze Hefte im Echo In Philosophische Rundschau Bd 62Heft 2 (2015) S 141-154 hier S 145f
34 Die bdquoKehreldquo ist multifaktoriell mit Bedeutungen besetzt Darauf kann hier nicht eingeangenwerden Im Uumlblichen ist die Kehre zur bdquoSeinsgeschichteldquo gemeint
35 Meyer Daniel Die Entdeckung des griechischen Mythos Heideggers geschichtsphilosophi-sche Wende Germanica 45 (2009) S 13-26
36 Diese Entdeckung ist wie bei Peter Trawny (su) gebunden an Heidegger Topos des AnfangsDen Anfang dieser Rede des Anfangs will auchMeyer erkannt haben Insgesamt koumlnnen nochmehrere starke Aumlhnlichkeiten des Artikels von Meyer mit Trawnys Buch uumlber die Schwar-zen Hefte nachgewiesen werden womit Trawny ohne jegliche Nennung Meyers unter denAnfangsverdacht des Plagierens faumlllt
11
Ottos 1929 erschienenes Werk Die Goumltter Griechenlandslsquo37 sei laut Meyer
der fuumlr Heideggers mythologische Strategie unentbehrliche Einfluss Somit sei
der griechische Goumltterbegriff nicht mehr bdquochristlich antithetisch zu Welt und
Mensch sondern in Einheit damit zu denkenldquo38 Diese Einheit wuumlrde gestif-
tet durch bdquoOttos Formel vom Geheimnis der Beruumlhrung von Goumlttlichem und
Menschlichenlsquoldquo39 Da Meyer das Mythologisieren im Zusammenhang mit der ge-
schichtsphilosophischen Kehre auch im Sinne einer bdquoVorrangstellung des primi-
tiven archaischen von ihm [Heidegger DS] als mythisch verstandenen Den-
kensldquo40 als Weg zum Nationalsozialismus ndash der Traum Heideggers eines neuen
(deutschenabendlaumlndischen) Anfangs ndash versteht liegt dem bdquogriechischen Goumltter-
begriffldquo hier eine besondere Wertlegung zugrunde41
Die Beschwoumlrung des Anfangs des griechischen Ursprungs ermoumlglicht ei-nen genuinen Neuanfang im Sinne einer Annullierung des Vorhergekom-menen Der Ausweg aus der Moderne aus der Welt der Uneigentlichkeitist moumlglich durch einen Bruumlckenschlag zum griechischen Denken [] DieMoumlglichkeit diese Krise zu uumlberwinden ist fuumlr Heidegger 1933 durch dienationalsozialistische Machtergreifung gestellt doch reiht er diesen Prozessin eine legitimierende geschichtsphilosophische Perspektive die auf einengriechischen Ursprungsmythos zuruumlckverweist42
Meyer findet kernige Passagen die er aus Heideggers Schriften und Vorle-
sungen bis 1935 durchaus uumlberzeugend zur Unterstuumltzung seiner These anfuumlhrt
Diese Zitate Heideggers sind der Mythologie der Schwarzen Hefte sehr aumlhnlich als
tentatives Entwerfen
37 Otto Walter F Die Goumltter Griechenlands Das Bild des Goumlttlichen im Spiegel des griechi-schen Geistes Frankfurt am Main 2013Meyer verweist in einer Fuszlignote auf das Buch Heideggerrsquos Roots Nietzsche National So-
cialism and the Greekslsquo von Charles Bambach (2005) das ihm fuumlr diese Aussage Pate stand38 Meyer Die Entdeckung des griechischen Mythos S 439 Ebd Durch eine solche Formel der Einheit von Menschen und Goumlttern ist ein nahtloser
Anschluss an die Goumltter Heraklits und anderer antiker Philosophen geebnet Heidegger hatdiese Moumlglichkeit erstaunlich ernst genommen und ausgearbeitet
40 Meyer Die Entdeckung des griechischen Mythos S 341 Meyer stolperte mit der Begruumlndung dass bdquoDieser erstaunlich unkritische Gottesbegriff []
sich nur im Kontext von Ottos Goumltter Griechenlands verstehenldquo (Meyer Die Entdeckungdes Griechischen Mythos S 4) lieszlige uumlber Heideggers SoSe Vorlesung 1930 Vom Wesender menschlichen Freiheitlsquo (GA 31 S 7f) Ferner vollzieht er Ottos Einfluszlig uumlber die ersteHoumllderlin-Vorlesung von 193435 und weitere Schriften Heideggers nach Es geht Meyerauch stark um das Verhaumlltnis von Heideggers Denken bis und nach Sein und Zeit was indieser Arbeit nicht tiefer behandelt werden kann
42 Meyer Die Entdeckung des griechischen Mythos S 4f
12
Das legt nahe dass Heidegger sein mythopoetisches Texten als Code vor allem
in den Nachkriegsveroumlffentlichungen einsetzt ndash ein Nachruf aus dem gescheiter-
ten Anfang43 Ab 1935 jedenfalls haumltte sich Heidegger von der Vorstellung des
neuen Anfangs verabschiedet44
Das Mythologisieren konstruiert Meyer als Anschluss an die Houmllderlin-Vor-
lesung (193435) Die Houmllderlinsche Lyrik haumltte fuumlr Heideggers bdquophilosophisches
Sprachmaterialldquo Vorbildcharakter da bdquomit Houmllderlin die griechische Mytholo-
gie in ihrer sprachlichen Verbildlichung zum tragenldquo45 kaumlme Die dann staumlndige
Wiederauferstehung der bdquogriechischen Goumltter- und Heldenwelt in seinen Vorle-
sungenldquo schluumlge dem zu Buche In der Vorlesung 193435 Houmllderlins Hymnen
Germanienlsquo und Der Rheinldquo klingt insofern bereits eine Figur an die Heidegger
uumlber zehn Jahre spaumlter in seinen technikphilosophischen Bremer Vortraumlgen mit
seinem Aletheia-Prinzip verbinden wird ndash der bdquoBlitzldquo (su)
43 Eine genaue Untersuchung laumlszligt die Form dieser Arbeit nicht zu sie bezoumlge sich wie gesagtauf die drei Darstellungsebenen der GA mit den Schwarzen Heften (GA 94ndash97) als (Entwurfs-phase) Besinnung (GA 66) Das Ereignis (GA 71) ua als (Konzeptionsphase) und den BremerVortraumlgen (GA79) als (Praumlsentation) die Uumlbergaumlnge sind freilich flieszligend und gerade in denvon Meyer zitierten Vorlesungen erscheinen alle drei Stufen mitunter gleichzeitig Gerade imfolgenden zitierten Doppelband in dem es ua um die bdquoWahrheit der Spracheldquo geht scheintes tatsaumlchlich genau wie Meyer es identifiziert um die Grundlegung Heideggers Mythologiezu gehen die in den Schwarzen Heften vielmehr lemmaartig und sporadisch entworfen wirdMit Heraklits Spruch des Kampfes als Wesen des Seienden zieht Heidegger einen Paten seinerMythos-Logos-Aletheia Kombination heran und versucht seiner eigenwilligen Philologie ei-ne verpflichtende Bedeutungstiefe einzulegenMeyers Zitate Heideggers mit groszliger Relevanz fuumlr diese Arbeit sind die folgenden bdquoDa-
mals als das Volk der Griechen deren Stammesart und Sprache mit uns dieselbe Herkunfthat in seinen groszligen Dichtern und Denkern sich aufmachte eine einzigartige Weise desmenschlichen volklichen Daseins zu schaffen Was da anfing ist bis heute nicht eingeloumlstAber dieser Anfang ist noch nicht und er verschwand nicht und verschwindet nicht dadurchdaszlig die nachkommende Geschichte immer weniger seiner Herr blieb Der Anfang ist nochund besteht als ferne Verfuumlgung die unserem abendlaumlndischen Schicksal weit vorausgreift unddas deutsche Geschick an sich kettetldquo (GA 3637 S 6 Die Grundfrage der PhilosophielsquoSommersemester 1933)bdquoAls μυθος ist das Wort das uumlber den Menschen kommt jenes worin ihm dieses und
jenes seines Gesamtdaseins gedeutet wird nicht das Wort in dem er von sich her Rede stehtsondern das Wort das Weisung gibt [] Aber der urspruumlngliche λογος der Philosophiebleibt dem μυθος verbunden erst die Sprache der Wissenschaft vollzieht die Abloumlsungldquo(Ebd S 116)
44 In den Schwarzen Heften houmlrt die Sehnsucht nach dem neuen Anfang nicht auf also bis ein-schlieszliglich 1948
45 Meyer Die Entdeckung des griechischen Mythos S 6
13
Gewitter und Blitz sind die Sprache der Goumltter und der Dichter ist derder diese Sprache ohne Ausweichen auszuhalten hat aufzufangen und in dasDasein des Volkes zu stellen hat [] Die Dichtung ist ein Weiterwinkendieser Winke in das Volk oder von diesem her gesehen Dichtung ist []ein Zeigen ein Weisen in welcher Weisung die Goumltter offenbar werden46
Die Rede von bdquoWinkenldquo ist bereits ein Selbstbezug benannte der Autor der
Schwarzen Hefte seine ersten beiden Abteilungen des heutigen 94ten Bandes der
GA als Winke x uumlberlegungen (II) und Anweisungenlsquo und uumlberlegungen und
Winke IIIlsquo47 Diese setzen ein im Jahr 1931 und duumlrften moumlglicherweise bis 1933
oder vielleicht auch 1935 gereicht haben Heideggers Selbstuumlberhoumlhung als mys-
tagogisch bdquodichterisch-denkenden Schaffenden ndash also ihm selbstldquo48 erkennt auch
Meyer bereits ohne die eindeutigen Zeugnisse dieses Wunsches in den Schwarzen
Heften Es ist Heideggers Begehren das Volk seiner Fuumlhrung zu unterstellen bdquoso
dass sich das Wesen dieses Landes selbst findet und vollendetldquolsquo49
Meyer spricht in Folge daran davon was Heideggers Ursprungsmythos den
er in die griechische Altertum legt fuumlr diesen leistet Es ist eben das antiwis-
senschaftliche bdquoWissenldquo von einer bdquoUr-geschichteldquo Welche abgruumlndigen Motive
auch immer da hineinzuprojizieren sind (Bodenhaftigkeit arische Reinbluumltigkeit
abendlaumlndische Groumlszlige etc so wie es sich aus den Schwarzen Heften offenbart)
der Mythos verschraumlnkt Heideggers Streben nach Fuumlhrung als Denker und eine
Begruumlndung fuumlr die vermeintliche rassische uumlberlegenheit des deutschen Volkes
Meyer zitiert den Dichter-Denker mit bdquoMythologielsquo ist Wissen von einer Ur-
geschichteldquolsquo Es ginge um
Wissen nicht im archaumlologisch-musealen Sinn sondern als Prozess [] auchim Sinne dass Heidegger im Moment des Aussprechens gerade das leistetwovon er spricht Mythologie50
Augenscheinlich sieht Meyer keinen Grund dafuumlr von einer mythopoetischen
Textform in der Verschraumlnkung von Heideggers Denkerprophetie und der abend-
46 GA 39 S 31f (zitiert nach Meyer Die Entdeckung des griechischen Mythos S 6)47 Aus dem beigefuumlgten Nachwort des Herausgebers Peter Trawny geht nicht genauer hervor
weshalb zuerst bdquoWinke x uumlberlegungen (II)ldquo und dann bdquouumlberlegungen und Winke IIIldquo signi-fiziert sind Es wird hier davon ausgegangen dass es sich schlicht um das Gleiche handeltwobei der erste Teil sich in den bislang verschollenen Schwarzen Heften befinden muss
48 Meyer Die Entdeckung des griechischen Mythos S 749 Ebd Darin zitiert ist die GA 39 S 28950 Ebd Darin zitiert ist die GA 40 S 165
14
laumlndischen uumlberhoumlhung zu sprechen Die Paarung von Dichtung und Denken al-
lerdings ist fuumlr den Husserlnachfolger erst der Zweck und die Mythologisierung
das Mittel dazu In seiner Schrift uumlber die Religionsphilosophie und ontologi-
sches Wahrheitsverstaumlndnis bei Walter F Ottolsquo schildert der Altersforscher und
Sozialwissenschaftler Schulz-Nieswandt aus Koumlln uumlber die menschliche Existenz
die bdquoMythopoetik als Seins-Vergewisserungldquo51
In jenem Kapitel seines Otto-Traktats von 2014 schreibt Schulz-Nieswandt
wie ein echter Epigone Heideggers von der Wappnung gegen die bdquoKrise der Mo-
derne ndash Entfremdung Einsamkeit Angst Verzweiflungldquo52 An fruumlherer Stelle
seines Buchs stellt sich dar dass Schulz-Nieswandt sich geradezu mit Heideggers
Linie vereint anstatt sich ihr nur anzunaumlhern
Es geht um das wahre Sein aus der Sicht des zu seinem Wesen gelangendenMenschen in dessen Daseinsfuumlhrung was hermeneutisch erschlossen wer-den soll nicht um Wissenschaft als hermeneutische Methode im Kriterien-spektrum zwischen Verifikation und Falsifikation von Hypothesen mittelsProtokollsaumltzen uumlber die Realitaumlt53
51 Schulz-Nieswandt Frank Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis beiWalter F Otto (1874-1958) Eine strukturalistische und psychodynamische RezeptionBaden-Baden 2014 S 58-60
52 Ebd S 58 Dabei spielt Schulz-Nieswandt die Begriffe Epistemologie gegen Ontologie ausund bezeichnet sich selbst als post-strukturalistisch im Sinne der Kritischen Theorie schrei-bend Jedoch erscheinen diese philosophischen Kontraste nur wie bdquoEdelsubstantiveldquo des vonAdorno gemuumlnzten bdquoJargon der Eigentlichkeitldquo Und in genau diesem Jargon laumlszligt der So-zialwissenschaftler Heideggers Urmythos des Goumlttlichen der griechischen Antike (so) inaktueller Praumlsenz wieder auferstehen Es ist erstaunlich dass jemand der die Kritische Theo-rie fuumlr sich reklamieren will Epigone des bdquoJargons der Eigentlichkeitldquo ist So zeigt es sichauch auf S 28 wenn er in Ottos Dionysos bdquodie ganze Tiefe des Menschen zum Ausdruck[bringt DS] die Todeserfahrung des sterblichen Menschen Dionysos ist Hadesldquo Um nocheinmal zu bestaumltigen wie sich Schulz-Nieswandt als Akteur des Jargons gebiert sei hier Ador-no zitiert (dies gilt allerdings nur der Gegenuumlberstellung zum Vorsatz jener wuumlrde sich ander Kritischen Theorie orientieren ohne fuumlr diese zu advozieren) bdquoDer Heideggerschen Phi-losophie schloszlig sich was einmal Pforte zum ewigen Leben war zu sie betet statt dessenWucht und Groumlszlige des Tores an [] Sein wuumlrdevolles Gehabe ist Reaktionsbildung auf dieSaumlkularisierung des Todes [] Darum wird Sinn in den Tod geworfenldquo (Adorno Jargonder Eigentlichkeit S 134)
53 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei WalterF Otto S 15
15
Beiden gemeinsam ist auch die Faszination an Houmllderlin die sie ebenso mit Otto
teilen
Die ganze Eigenart des Denkens von Otto kommt in dem komplett innerenVerhaumlltnis zu Heidegger und Houmllderlin zum Ausdruck54
Nur noch ein Gott kann uns rettenlsquo so das Zitat des Spiegelinterviews das Ja-
kob Augstein zum Titel machte ist die kodierte Mythopoetik auf die sich die
Spiegelleser keinen Reim machen konnten Fuumlr Heidegger fuumlr den das Sein in der
Sprache wohnen sollte55 ging es um den Mythos der Naumlhe zur Antike als Naumlhe
zu den Goumlttern
Fuumlr Houmllderlin war die Theologie der Abwesenheit Gottes als uumlberweltlichePraumlsenz der Verlust der Gotteserfahrung des diesseitig verankerten Men-schen [] Die Antike wird als eine von Goumltternaumlhe charakterisierte Zeitvon Houmllderlin verstanden und erneuert (der kommendelsquo Gott) ersehnt56
Dies ist eine der Leit-Mythen Heideggers insbesondere wenn man sich die Nach-
kriegsvortraumlge ansieht (eben die Bremer Vortraumlgelsquo)
Die Aufhebung der Trennungsangst durch die bdquoAbwesenheit der Goumltterldquo uumlber-
winde der in existenzieller Angst befindliche bdquohomo abyssusldquo mittels bdquoder lie-
bevollen Gestaltung als Sich-Einrichten des Menschen [] als apriorischer Mo-
dus des In-der-Welt-Seinsldquo durch die bdquoEwigkeit der Mythopoetikldquo57 Fuumlr Schulz-
Nieswandt ist Mythopoetik eben nur dieses ein peganistischer Goumltterdienst der
den Kanon der Ottoschen Antike mit Houmllderlin interpretiert Insofern versteht
dieser versuchte Religionsphilosoph der eigentlich Sozialforscher ist Heideggers
Mythologie als schoumlpfend aus geteilter Quelle mit Mythen als Gemeinplaumltzen
derer sich der Denker-Dichter philologisch sicher bediene
Dabei geht es Schulz-Nieswandt umHeideggers Aletheia-Prinzip das er bdquoWahr-
heitsbegriffldquo nennt ndash welches bdquoDie Differenz der Technik als Herrschaft uumlber
54 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei WalterF Otto S 20
55 Vgl GA 7 S56 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei Walter
F Otto S 2157 Vgl Ebd S 59
16
Dinge von der Kunst als Schoumlpfung als Lichtung des Seins zur Wahrheit unter-
scheidetldquo58 Houmllderlins Goumlttliches waumlre darin vermisst und von Bedarf fuumlr den
Menschen Mit der Nomenklatur der griechischen Goumltter Houmllderlins und Ottos
ginge es beim Wahrheitsprinzip um bdquodie Erinnerung an Dionysos als der wie-
der kommende Gott []ldquo sie bdquofuumlhrt zur Lichtung des Seins als Wahrheitldquo59 Der
Mensch waumlre also Hirte seines Seins nicht Herr der Technik zum Sein bdquoDas Sein
ist den Menschen nicht technisch verfuumlgbar Die notwendige Einkehr wird zu
Heimkehrldquo60
Insofern zeichnet Schulz-Nieswandt ganz in Heideggers Sinne nach wie Hei-
mat und Irrationalitaumlt des Mythos zusammenfallen im Kanon der Goumltter-Mytho-
poetik Zum einen ist allerdings Heideggers Mythologie nicht so sehr an diese
Mythopoetik uumlber die Goumltter gebunden sondern bewegt sich frei im eigenwil-
ligen Auslegen von altgriechischen und deutschen Begriffen Zum anderen ist es
erstaunlich dass Schulz-Nieswand 2014 die Bedeutung der Mythopoetik fuumlr Hei-
deggers Ursprungsmythos des neuen Anfangs ignoriert und damit auch die gan-
ze voumllkisch-nationale Aura und damit die Abgrenzungspolitik Vor allem aber
richtet sich Heidegger nicht in einer bdquoliebevollen Gestaltungldquo menschlich ein
wie Schulz-Nieswandt es schon pathetisch darstellt sondern befeinded sich mit
allem ihm Zuhandenen als bdquoRaprochementldquo61 in alle Richtungen und pocht auf
bdquogeschichtliche Besinnungldquo als bdquoAuftrag des Deutschenldquo62
221 Formen der Mythologie
Mit den zwei oben herangezogenen Arbeiten uumlber Mythologisieren und Mytho-
poetik Heideggers sollte in dieser Arbeit das Verstaumlndnis seines Projekts der an-
tirationalen und antitechnischen Ausrichtung in den aktuellen Forschungsstand
gestellt werden Um welche Mythologie es sich in den Schwarzen Heften handelt
wird im Folgenden aufgedeckt werden Bereits in dem ersten Heft der Denktage-
58 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei WalterF Otto S 58
59 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei WalterF Otto S 59
60 Ebd61 Wolin Richard Heideggers bdquoSchwarze Hefteldquo Nationalsozialismus Weltjudentum und Seins-
geschichte In Vierteljahrsheft fuumlr Zeitgeschichte Bd 63 Heft 3 S 379-41062 GA 94 S 66
17
buumlcher verschmilzt Heidegger seine Vision von Dichten und Denken stellt sich
unter dieses Ideal
Dichten undDenken ineinander geschlungen und so waumlre ihrWas im verbindend-trennenden Bestimmen gewonnen63
Als bdquoAusgriff in den Begriffldquo versteht Heidegger dies als bdquovorschreibend-bildenden
Entwurfldquo der hinfuumlhrend zum Ereignis des Aletheia-Prinzips waumlre ndash
(Dichtung als Mythos
Dichtung als Dichtung im engeren Sinne gtgtGedichtltlt
Dichtung als Philosophie)64
Grundsaumltzlich ist die lose wirkende Legion von Lemmata nicht mit einer
Ruumlckfuumlhrung seiner Gedanken auf bestimmte griechische Goumltter und antike (ech-
te) Mythen besetzt Heidegger fetischisiert Begriffe und mythologisiert die von
ihm aufgepfropfte Bedeutung durch ein staumlndiges Wiederholen und Weiterden-
ken als bdquoWissenldquo wie Meyer es herausgearbeitet hat In dieser philosophischen
Alchemie sieht sich Heidegger als Denker als Bewahrer einer uralten Lehre die
eben neu widererstarken muumlsse Das hat Meyer auch schon klar gemacht Die My-
thopoetik erscheint aber hauptsaumlchlich nicht in den Schwarzen Heften sondern in
den Vortragspublikationen sich auf seine private Mythologie beziehend die in
den Schwarzen Heften zu Grunde gelegt wird
Die Mythen Heideggers drehen sich wie Meyer zurecht behauptet um den
Ursprung bei den Griechen den bdquoGrund der Geschichte des Abendlandesldquo65
Aber auch um die vielen Binaritaumlten die sich entgegengesetzt werden und tat-
saumlchlich wie der Heidegger-Herausgeber und Initiator und Leiter des Wupper-
taler Heidegger Instituts Peter Trawny es benannt hat auf einen Manichaumlismus
zulaufen66 Die Abgrenzungspolitik im Sinne des schuumltzenswerten abendlaumlndisch-
heimatlichen Deutschlands richtet sich gegen den inneren Feind vorangetrieben
63 GA 94 S 6564 GA 94 S 6665 GA 96 S 20566 Trawny Peter Heidegger und der Mythos der juumldischen Weltverschwoumlrung Frankfurt am
Main 2015 S 22Das hier aufgefuumlhrte Buch birgt einige problematische Umformungen zum Verhaumlltnis von
Heideggers Antisemititsmus Allem voran versucht es eine Begriffsbildung zu formen nach
18
von der Rechenhaftigkeit des juumldischen Wesens und die aumluszligeren Feinde wie Ameri-
kanismus franzoumlsische Kultur russischer Bolschewismus usw Heideggers Urmythos
vom neuen Anfang ist verquickt mit einem selbstangedichteten Personenmythos
was ebenfalls Meyer schon erkannt hat Dieses Schema ist die Grundstruktur
Immer deutlicher wird in mir die Ahnung daszlig unsere Heimat der Kerndes suumldwestdeutschen Landes [er selbst DS] der geschichtliche Geburtsortdes abendlaumlndischenWesens sein wird [] es ist das Geistvolle und zugleichdas erdenhafte schoumlne Land Es birgt unsichtbaren Reichtum dem Gemuumltbewahret tiefstes Dichten und houmlchste Gestalt der Sage67
Die mitunter wichtigste Dichotomie die Heidegger in den Denktagebuumlchern
aufwirft ist die zwischen Historie und Geschichte Es ist insofern nicht nur der
Mythos des neuen Anfangs der Heideggers Denken uumlber fast zwei Dekaden be-
stimmt sondern umso mehr die doppelte Projektion ndash des Verfalls (Machenschaft)
in eine Konstruktion von Historie und des Bestehens (Sein) in die konstruierte
Geschichte68 Geschichte faumlllt dann schlieszliglich mit der Schaffung des neuen An-
fangs so zusammen wie Historie mit Technik verschraumlnkt wird Geschichtlichkeit
muss durch das Prinzip des Ereignisses der Aletheia prozessiert werden waumlhrend
die verrationalisierte wissenschaftliche technische Historisierung des Lebens und
der Lebenswelt dem widerstrebt
Die Bindung von Heideggers Vorstellung des richtigen Lebens im Sein mit
demAbendland und einer voumllkisch-nationalen Groumlszlige undUumlberlegenheit Deutsch-
lands ist dabei ausschlaggebend Denn mit der Charakterisierung des Guten auf
derer Heideggers Antisemitismus mittels Heideggers Denkmethode behandelt aufgehobenwerden koumlnnte Die Hauptbegriffe darin sind bdquoSeinsgeschichtlicher Antisemitismusldquo undbdquoKontamination des Denkensldquo Von einer tieferen Auseinandersetzung muss an dieser Stelleabgesehen werden
67 GA 97 S 5468 In Band 66 der GA gibt es bereits einen kleinen Abriss der Historie und Techniklsquo die der Ge-
schichte gegenuumlbergestellt werden Das dies eine Uumlbertragung der Gedanken aus den Schwar-zen Heften ist ist ohne Zweifel Ein ansatzweise philosophisches Vorgehen vermengt sichdort mit dem poeto-mythologischen Denken Heideggers In Sachen mythopoetischer Figu-ren undMetaphernreichtum haumllt sich dieser dort aber noch zuruumlck (auch wenn er hier bereitsoumlffentlich vom bdquohistorischen Tierldquo redet) Die Absicht Technik und Historie als Verstellungdes abendlaumlndischen Menschen zu brandmarken stehen dabei im Vordergrund Weiterhinsoll in dieser Arbeit allerdings der Fokus auf den Schwarzen Heften und der Mythopoetik inden Technikvortraumlgen der Nachkriegszeit liegenDer Duden sieht Geschichte und Historie als Synonyme Von einer Ethymologie und der
Spekulation von Heideggers Gruumlnden der Auseinanderhaltung der zwei Synonyme soll hierabgesehen werden
19
der Seite des Seins sind die Feinde dessen eine Notwendigkeit seines Erklaumlrungs-
schemas Dabei sind es vor allem die Juden denen die Wurzel des Antiseien-
den von Heidegger in ihr vermeintliches Wesen geschrieben wird Exemplarisch
spricht dafuumlr dieses Zitat aus Band 96
Die zweite Machtsteigerung des Judentums aber hat darin ihren Grund daszligdie Metaphysik des Abendlandes zumal in ihrer neuzeitlichen Entfaltungdie Ansatzstelle bot fuumlr das Sichbreitmachen einer sonst leeren Rationalitaumltund Rechenfaumlhigkeit die sich auf solchem Wege eine Unterkunft im Geistlsquovarschaffte ohne die verborgenen Entscheidungsbezirke von sich aus je zufassen zu koumlnnen69
Diese Vorstellung ist eine Konkretisierung dessen was Heidegger mit den Uumlber-
begriffen Historie vs Geschichte einige Jahre vorher begann zu topografieren
Wir sind durch die Historie geschwaumlcht [] ndash wir koumlnnen nur durch das ge-rettet werden was uns in seiner Verfaumllschung widert ndash durch die Geschich-te70
Dieses bdquoWirldquo sind die glorifizierten Deutschen vor allem nach der Ableitung von
den Griechen uumlber Houmllderlin (und dessen Griechen) und Nietzsche zu ihm und
seinem kleinen Kreis von ihm anerkannter Intellektuellen-Kollegen wie etwa
Carl Schmitt Oswald Spengler Walther F Otto und Ernst Juumlnger Die Luft auf
Heideggers Denker-Olymp ist duumlnn und bekommt nur Wenigen
Die Geschichte in Heideggers solipsistisch-immanenten Nachdenken erklaumlrt
sich wie gesagt immer zusammen mit der Hoffnung auf den neuen Anfang und
als Besinnung auf das Denken als Akt gegen die Historie Die Paarung der zwei
Woumlrter bdquoGeschichteldquo und bdquoBesinnungldquo durchzieht in deutlicher Haumlufigkeit alle
vier Baumlnde der Schwarzen Hefte ndash bdquogeschichtliche Besinnung [] ist die Uumlberwin-
dung der Historie und des Historismusldquo und sie bdquobedarf der houmlchsten Strenge
hinter der die historische Exaktheitlsquo weit zuruumlckbleibtldquo ndash somit ferner bdquonur wer
Geschichtemacht vermag sie auch zu errettenldquo71 Das oben mit Meyer und Schulz-
69 GA 96 S 4670 GA 94 S 26771 GA 94 S 358f
Dass die Besinnung eine militante Perspektive hat laumlszligt sich auch in Heideggers Vereh-rung Heraklits ldquoDer Krieg ist der Vater aller Dingerdquo finden Heidegger sah sich selbst alsDenker als Propheten des Seins Aus dieser Warte betrachetete er zuerst den Nationalsozia-
20
Nieswandt bereits aufgezeigte Bereiten des Goumlttlichen legt Heidegger in seinen
Begriff der Geschichte
Geschichte ndash das Gewagtwerden der Goumltter nur Groszlig als Untergang oderSieg ndash nicht Dauerlsquo wesentlich ndash sondern die Abgruumlndigkeit der Erstrei-tung ndash Opfer und Weile
Historie ist bei Heidegger bdquogeschichtliche Entwurzelungldquo die bdquoTyrannei der
Technikldquo bdquoSelbstvergoumltterungldquo und bdquoAbgoumltterei der Technikldquo72 In einer skizzen-
haften Emanationsfolge wird dieHistorie als Modus der Technik auf sich selbst zu-
ruumlckgefuumlhrt bdquoDas Riesige ndash [] Historie die Technik der Geschichtelsquo Technik
Die Historie der Naturldquolsquo73 Es ist vage annehmbar dass Heidegger hier die Tech-
nik als rechenhafte machenschaftliche Historisierung der Natur versteht die vor
dem Geschichtsbegriff stattgefunden haumltte Diese wiederum haumltte die Geschichte
in die rechenhafte Machenschaft verfremdet Wie ein Apparat erscheint Heidegger
der Gegenstand seiner Historie zu sein die sich automatisch durchsetzen wuumlrde
Die Historie stellt zunaumlchst das Nacheinander der Begebenheiten dessenwas vorbeizieht (passiertlsquo) her [] Sie erklaumlrt dann Spaumlteres aus dem Fruuml-heren sie findet sogar dass Ideen die Geschichtelsquo bestimmen74
Den historisierend narrativen Umgang mit Geschichte als Wissenschaft emp-
findet Heidegger als Technisierung derGeschichte Diese wiederum basiert auf den
statischen Topoi seiner Mythen von Vaterland Bauerntum Houmllderlin alten Grie-
chen den Goumlttern etc und der Anwendung des Aletheia-Prinzips im Ereignis
Das ist ein Tugendenkatalog der Deutschtuumlmelei mit einer paumldagogischen Kom-
ponente seine Mythologie im Aletheia-Prinzip zu praktizieren Er nennt dieses
Geschaumlft auch Denken und ahnt dessen Feinde bdquodie Forscher die in der Technik
ihres Arbeitens keine Reibung dulden und ihr Wissen fuumlr den Geist haltenldquo75
lismus und nach dem Krieg den real existierenden Sozialismus des Ostblocks im Zuge deratomaren Aufruumlstung als Vollstrecker Macher der Geschichte die den neuen Anfang ebnensollten Dass Heidegger diese bdquoklaumlrendeldquo Wirkung tatsaumlchlich spaumlter den Russen zuschreibtlaumlszligt sich in Band 97 der GA zweifelsohne nachvollziehen Hier kann aus Gattungsgruumlnden(BA-Thesis) nicht naumlher auf dieses Faible fuumlr absolutistische Regime eingegangen werden Je-denfalls ist die geschichtliche Besinnung und der Kriegsakt ein Widerspruch den Heideggerjedoch gleichsam adressiert Auch dies kann hier nicht weiter untersucht werden
72 GA 9473 GA 95 S 35174 GA 96 S 6275 GA 97 S 509
21
Insofern verschraumlnkt Heidegger das bdquohistorisch-technischeldquo zum Antagonis-
ten der bdquogeschichtlichen Besinnungldquo Es ist die Entwicklung einer historisch-
geschichtlichen Differenz unter dem Zeichen der Besinnung gegen die techni-
sche Machenschaft ndash es geht um zwei unterschiedliche Wissenssysteme76 In den
Schwarzen Heftenwird Technikmeistens als eine Seite der Muumlnze mit der anderen
der Historie genannt Sie haumltten eine schon angedeutete dualistische Dynamik
Wo beide Historie und Technik in solcher scheinbaren Gegensaumltzlichkeitverkoppelt sind koumlnnen sie sich zur Foumlrderung dessen zusammenschlieszligenwas einstmals wesentliche die Geschichte des Menschen mitbegruumlndet undwas wir die Kunstlsquo nennen Die Historie verschafft [] Anregungen undVorbilder der Nachahmung die Technik erleichtert [] die Zustellung vonDarstellungsmitteln und Wirkungsformen [] Gleichwohl ist alles wurzel-los [] berechnet und als Erlebnislsquo ausgegeben77
Diese vermeintliche Gefahr muumlnde als bdquoZuumlgellosigkeit des Historismusldquolsquo in der
bdquoBodenlosigkeit [] (das Judentum)ldquo78 Heideggers Mythos ist hier dieser bdquoWir
muumlssen zuvor geschichtlich sein [] Ohne diese uumlberlieferung verfaumlllt alles der
historisch-technischen Machenschaftldquo79
Heidegger mythologisiert uumlber den bdquoAuftrag des Deutschenldquo80 will in bdquoge-
schichtlicher Besinnung sehr weit zuruumlckgehen ndash auf den Zusammenhang von
τέχνη ἀλήθεια und οὐσίαldquo81 um Technik auf ihr Wesen im antiken Ursprung
zuruumlckzufuumlhren bdquoDie techne hat [] den Sieg uumlber die [] aletheia errungenldquo82
Heidegger will sie zuruumlckgewinnen Er will der Technik aus dem bdquoEreignisldquo83
wieder uumlbermaumlchtig werden und sieht das bdquoWesen des Vaterlandesldquo84 im Abend-
land Dabei ist es ihm unentbehrlich zu wissen bdquodaszlig das Griechentum [] und
76 Heideggers noch immer vorhande Rezeption in Puncto seiner Technikphilosophie erstauntdamit dass sein Prinzip der aletheiologischen Besinnung als alternatives Wissenssystem undTechnikkritik ob der eigenwilligen Konstruktion den Entwicklungen der Zeit standhaumllt
77 GA 95 S 21278 GA 95 S 9779 GA 96 S 10480 GA 94 S 6681 GA 94 S 35782 GA 95 S 13283 Ebd84 GA 96 S 52
22
nicht das Roumlmertum der Grund der Geschichte des Abendlandes istldquo85 Sein My-
thos von Heimat verknuumlpft sich uumlber Dichtung und Ereignis zu einem fuumlr die
Technikphilosophie essentiellen Bezugs-Topos
Wir brauchen keine Technik [] Das Wesen des Vaterlandes ist das Abend-land In ihm werden die Deutschen erst deutsch und erkennen die Muttervon Allem die unversehrte Erde [] Die Wahrheit erfahren wir im Ge-daumlchtnis Das Gedaumlchtnis ist die Dichtung Die Dichtung sagen der Denkerund Saumlnger in ihrem Gespraumlch Dieses Gespraumlch erst ereignet dichterisch dieDichtung in die Sprache (die Dichtung das Ereignis und das Ereignis dasAbendland) [] Wohnt in seiner Sprache [] seyd dem Seyn im Seyn Soist Sein das Seyn86
Eine weitere mythologische Form haben seine Fuumlgungen von Jahreszahlen
womit er bereits in den Bereich des Okkulten Mystischen abzurutschen droht
Houmllderlin wurde [] 1770 geboren [] 1870 aber Lenin Waumlhrend der []Lebenszeit Houmllderlins vollzogen sich die entscheidenden technischen Entde-ckungen und Erfindungen der neuzeitlichen Technik (1774ndash1806)87
Und ferner bdquo1807 Phaumlnomenologie des Geistes 1867 Das Kapital 1927 Sein
und Zeitldquo88
Als letzter Mythos sei hier sein Aufgriff der Spenglerschen Metapher des
Raubtiers89 aufgezeigt Uumlber weite Strecken philosophiert Heidegger uumlber das his-
torische Tier Das historische Tier muumlsse vernichtet werden die bdquodeutsche Zukunft
wirdlsquo nicht erst seinlsquo sie istlsquo schon seit Houmllderlin sie stifteteldquo90 Der Homo
faber ist fuumlr Heidegger das historisch-technische Tier qua der bdquoAngewiesenheit auf
das Tierhafte als Wesensgrundldquo91 Es fehle ihm was bdquodie Griechen als Anfangen-
deldquo mit der bdquoZugewiesenheit des Menschen zum Sein gewagt habenldquo92 wodurch
85 GA 96 S 20586 GA 97 S 52f Hierbei handelt es sich um eine Nachkriegsnotiz Heidegger aumlnderte den die
Adressierung in eine direkte Ansprache richtet sich an seine imaginierte Volksgemeinschaft87 GA 96 S 17488 GA 97 S 131 Womoumlglich ist es eine Uumlbung per Jahreszahlen das Aletheia-Prinzip zu prakti-
zieren eine Kontemplationshilfe Andererseits koumlnnte er auch der Regelmaumlszligigkeit der Zah-lenfolgen eine uumlbernatuumlrliche bdquoWahrheitldquo beimessen Dies bleibt an dieser Stelle unerforscht
89 VGl Spengler Oswald Der Mensch und die Technik Muumlnchen 1931 S 1090 GA 95 S 19791 GA 95 S 32092 GA 95 S 321
23
er den bdquoGoumlttern unertraumlglich gewordenldquo93 waumlre Das bdquoRaubtierldquo dem gegenuumlber
bdquoist die Urform des Heldenlsquoldquo94 Dann behauptet Heidegger dass das Raubtier das
historisch-technische Tier durch Anwendung seiner eigenen Waffen schlagen koumlnn-
te Es ist dabei die bdquoUumlberwindung der Metaphysikldquo mitgedacht die erfolge sobald
sich das metaphysische Fragen durch den Wille zum Willen verfestigt95 Auch
Spengler dachte an dieses Derivat des Nietzsche Topos vomWillen zur Macht das
er seiner antropomorphen Chimaumlre vom Raubtiermenschen eingibt Wieder ist
von der Gewalt die Rede die ein Tabula rasa schaffen sollte zur Wiederauferste-
hung des griechisch-abendlaumlndischen Anfangs in Deutschland bdquoDas Raubtier aber
mit denMitteln der houmlchsten Technik ausgestattet ndash vollendet die Verwirklichung
der brutalitas des Seinsldquo96
Es scheint so als haumltte Heidegger auf jeden Begriff einen Gegenbegriff (selbst
zum historisch-technischen Tier das Raubtier)97 Aber es geht hier nicht um die
Analyse ausgewogener Formprinzipien oder die Kritisierung seiner linguistischen
philologischen Faumlhigkeiten Die Zitierung der Heideggerschen Mythologie soll
seine Verbindung von voumllkisch-nationaler und antisemitischer Haltung mit den
Bedingungen und Anspruumlchen seines Philosophierens aufzeigen Da die Schwar-
zen Hefte wie alle sonstigen Werke seines philosophischen Schaffens in der GA
erschienen sind muumlssen sie insofern als Teil derer gelten Das bedeutet dass sie
ausreichend Relevanz fuumlr die Arbeiten uumlber die Technik haben98
93 GA 95 S 23694 GA 95 S 39795 Vgl GA 7 Uumlberwindung der Metaphysik S 7896 GA 95 S 39797 Vgl Rudolph Heideggers Schwarze Hefte im Echo S 151 bdquoKeiner hat Nietzsche so konse-
quent und wahnwitzig zumNazi avant la lettre verformt wie Heidegger und keiner hat einenzuvor gewaltsam gefuumlgig gemachten Nietzsche so konsequent instrumentalisiert um damitdie vulgaumlr- nationalistische Dekadenz im Sandwich zu geiszligeln wie Heidegger Die Philolo-gie ndash auch die klassische ndash (Colli Cancik Montinari) hat Nietzsche inzwischen laumlngst mitnachhaltigem Erfolg rehabilitiert Wer jetzt noch einen roten Faden von Nietzsche zu Hitlerzieht hat nur noch Heidegger auf seiner Seiteldquo
98 Zum Abschluss dieses Kapitels sei hinzugesagt dass der Veranschlagung der Beispiele vonHeideggers Mythologie ein Exzerpt von 13 Seiten aus 1700 Seiten Text der vier Baumlnde derSchwarzen Hefte zugrunde liegt Beim Studium dieser fielen die staumlndigen Repetitionen derimmer gleichen Figuren und Metaphern auf Daraus wurde geschlossen dass es sich um eineMythologie handeln kann was ein weiteres Forschen bestaumltigte Die hier zitierten Stellensind Topoi die sich in Huumllle und Fuumllle in jedem der vier Baumlnde finden lassen was ihrenmythischen Charakter unterstreicht Die Auswahl versucht ein besonders charakteristischesBild wiederzugeben
24
3 Heideggers mythopoetische
Technik
War Heidegger von seinem neuen Anfang nur zu traumlumen vergoumlnnt so gelang
ihm selbst aber die Wiederauferstehung aus der Asche des ZweitenWeltkriegs mit
der Vortragsreihe in Bremen (1949) uumlber die Technik Der Phoumlnix erweist sich
mittlerweile als Ikarus Anstatt sich selbst zu revidieren fordert Heidegger eine
Kehre ein die auf sein Programm der geschichtlichen Besinnung zum Ursprung ab-
zielt Rezipienten seiner Technikphilosophie taten zumeist seine voumllkischen und
nationalsozialistischen Verstrickungen mit der Niederlegung des Rektorats ab99
Sie glaubten an einen inneren Wandel Heideggers eine Laumluterung und sogar an
seinen geistigen Widerstand uumlber die Naziherrschaft hinweg100 Heute ist erwie-
sen wie Heidegger es aus seinem posthumen Gestaumlndnis in die Welt lecken laumlsst
dass er auf seine private Weise eine Form Nationalsozialismus hegte der die NS-
DAP und Hitler zwar als Vulgaumlrnazis kulturell degradierte aber sich selbst als
Denker-Nazi gerierte
Wie damit umzugehen ist steht aktuell in der Verhandlung Wie Rudolph es
behauptet stuumlnden die Heideggerianer bdquonun mit wertlosen Aktienldquo101 da Der
Kommunikationswissenschaftler Christian Fuchs sieht den Antisemitismus den
die Schwarzen Hefte zutage treten lassen als Notwendigkeit einer rigorosen Ver-
bannung Heideggers aus der technikphilosophischen Theorie102
99 Vgl Luckner Andreas Heidegger und das Denken der Technik Bielefeld 2008 S 64-69100 Vgl Babich Babette Nietzsche Heideggers Widerstand In Alfred Denker u Holger Zabo-
rowski (Hg) Heidegger-Jahrbuch 5 Heidegger und der Nationalsozialismus II Interpreta-tionen S 397-416
101 Rudolph Heideggers Schwarze Hefte im Echo S 146102 Vgl Fuchs Christian Martin-Heideggerrsquos anti-Semitism Philosophy of technology and the
media in the light of the ldquoBlack Notebooksldquo Implications for the reception of Heidegger inmedia and communication studies In tripleC Communication Capitalism amp Critique 13(1) (2015) S 55-78 hier S 74 Anstatt dessen pocht Fuchs auf die alternative Verwendungder Kritischen Theorie uumlber Fragestellungen zur Technik
25
It seems to me that Heideggerrsquos fetishism is often lrsquoart pour lrsquoart Heideg-ger pour Heidegger a tactic that aims at creating an aura of complexity byevoking Heidegger although the same content could be expressed withouthim103
Fuumlr Trawny waumlre dies ein bdquoperformativer Widerspruch [] stets daran zu erin-
nern Heidegger vergessen zu sollenldquo104 Quo vadis Heidegger
Die objektive Antwort Rudolphs der an den Commonsense und die Beweis-
last der Anklage glaubt wie auch der subjektive Appell Fuchs der es zur mora-
lischen Entscheidung des Einzelnen macht Heidegger zu vernachlaumlssigen setzen
aktuell die Jahrzehnte alte Tradition der Heidegger-Kontroverse fort Ein im Sep-
tember 2016 erscheinender Sammelband wird zusaumltzlich die Debatte mit neuen
Bewertungen anreichern105
In diesem Kapitel soll es nicht um die direkte Einreihung in eine der bestehen-
den Polemiken gehen sondern um den Versuch der Betrachtung der spaumlten Tech-
nikphilosophie Heideggers als mythopoetische Dichtung in seinem Sinne des
Philosophierens Als exemplarisches Werk ruumlckt damit das Vortrags-Geviert der
Bremer Vortraumlge ins Zentrum der Anschauung106 Hier wird davon ausgegangen
103 Ebd S 73104 Trawny Heidegger und der Mythos der juumldischen Weltverschwoumlrung S 141105 Heinz Marion und Kellerer Sidonie (Hg) Martin Heideggers raquoSchwarze Heftelaquo Eine
philosophisch-politische Debatte Berlin 2016 (im Druck) Aus dem Klappentext diesesTitelsbdquoOffene antisemitische Aumluszligerungen in diesen Denktagebuumlchern haben in der nichtakade-
mischen Oumlffentlichkeit fuumlr Empoumlrung gesorgt Die entscheidende Frage ist jedoch welcheVeraumlnderungen der Perspektive auf Heideggers Denken insgesamt sich dadurch ergebenund ob damit zugleich eine Neubewertung des Gesamtwerks eines der einflussreichstenPhilosophen des 20 Jahrhunderts noumltig istldquoEine der Herausgeberinnen des Bandes Sidonie Kellerer ist zudem an einem anlaufenden
fuumlnf jaumlhrigen Forschungsprojekt an der Universitaumlt Stuttgart im Rahmen des StuttgartResearch Centre for Text Studies beteiligt Heidegger und die Postmoderne Geschichteeiner Irrefuumlhrungiquest Sie und der Stuttgarter Literaturwissenschaftler Claus Zittel werden Hei-deggers ideologische Verstrickungen in den Nationalsozialismus untersuchen die textlichrekonstruierbar aber nachtraumlglich geklittet worden waumlren bdquoSo konnte die Wissenschaft-lerin Dr Sidonie Kellerer anhand des Vortrages Die Zeit des Weltbildeslsquo erstmals 1950veroumlffentlicht [sic] dass zahlreiche Passagen nachtraumlglich so modifiziert wurden dass dieurspruumlngliche Apologie des Nationalsozialismus nunmehr als Kritik am Regime gedeutetwerden konnte Die 2014 erschienenen Schwarzen Heftersquo mit persoumlnlichen AufzeichnungenHeideggers bestaumltigen zudem wie tief verankert in seiner Philosophie Rassismus undNationalsozialismus waren und bliebenldquo(httpwwwuni-stuttgartdehkompresseservicepressemitteilungen201567_kellererhtmlzuletzt abgerufen am 1442016)
106 Von einer umfassenderen Analyse der Schriften Heideggers zur Technik muss aus Platzgruumln-den abgesehen werden Die Voumlrtraumlge vom Ge-stell der Technik der Kehre und dem Dingsind vor allem wegen ihres Publikationszeitraums interessant da sie direkt an die Dokumen-
26
dass Heidegger den Versuch der abgrenzungspolitischen Einflussnahmemacht ge-
maumlszlig der oben dargelegten Ressentiments die sich in einer Mythologisierung des
Abendlandes niederschlagen Um seinem Ideal des dichtenden Denkens als Philo-
sophieren nachzukommen will Heidegger diese Einschreibung des Abendlandes
mythopoetisch vollfuumlhren
Grundsaumltzlich ist Verbindung und Trennung Heideggers boumlser Schwarzer Hef-
te mit und von seiner guten Technikphilosophie das Schlachtfeld aktueller De-
batten Wie bereits darauf hingewiesen werden hier Schwarze Hefte und Veroumlf-
fentlichungen wie eben in Form der Bremer Vortraumlge als ein kontinuierlicher
Arbeitsprozess gesehen Es gibt insofern nur einen Heidegger und keine gespal-
tene Persoumlnlichkeit Die Siegener Philosophin Sodonie Kellerer stellt dies anhand
Heideggers Selbstsicht luzide dar
Seine immer wiederkehrende Beschwoumlrung des Werkeslsquo und seine an diver-sen Stellen der bislang vorliegenden Briefkorrespondenz artikulierten Be-muumlhungen dieses Werklsquo fuumlr die Nachwelt zu sichern [Kellerer bezieht sichhier ua auf Heideggers Briefwechsel mit seiner Frau der 2007 veroumlffentlichtwurde DS] verdeutlichen wie sehr er seine Texte als ein Ganzes verstandin dem keines der Teile entbehrliche Wiederholung geschweige denn irrele-vante Eroumlrterung ist107
Dabei allerdings wird die Frage offen bleiben mit welchem Maszlig er sich selbst ge-
faumlhrdet sah seine Ansichten oumlffentlich zu vertreten und welche Konsequenzen er
dabei fuumlrchtete Denn er musste die Vortraumlge kodieren ndash was er im Sinne der My-
thopoetik auch macht ndash und mit Einigem hinterm Berg halten108 Dass es dabei
verschiedene Offenbarungsebenen gibt wird hier erst einmal hingenommen Es
interessieren staumlrker nachweisbare Bezuumlge des Entwurfsdenkens Heideggers zur
Oumlffentlichkeitsarbeit von ihm109
te der Schwarzen Hefte anschlieszligen (1948 der letzte Band der Schwarzen Hefte umfasst denZeitraum 1942-1948)
107 Kellerer Sidonie Kampf der Besinnung In Deutsche Zeitschrift fuumlr Philosophie Band 63Heft 5 Seiten 941ndash957 hier S 942
108 Weshalb die Veroumlffentlichung der Schwarzen Hefte auch weitestmoumlglich nach hinten verlegtwurde
109 Wuumlrde man dem entgegenhalten dass Heideggers vermeintliches Genie aus Formalisierun-gen seiner Gedanken ableitbar eine wichtige Quelle an sich bliebe scheitert dieses damitdass nun die Formalisierungen nicht personenneutral sozial-epistemologisch bestehen koumln-nen Als Vergleich wuumlrde man aus Hitlers und Goumlbbels Reden Formalisierungen isolierenlieszlige sich bestimmt die eine oder andere plausible Idee entwenden (wenn sie voumlllig dekon-
27
Hierzu wird der Text der gesamten vier Vortraumlge unter dem Titel Einblick
in das was ist Bremer Vortraumlge 1949lsquo110 aus dem 1994 veroumlffentlichten 79 Band
der GA zugrunde gelegt Das hat den Grund dass davon ausgegangen wird dass
der Text somit am naumlchsten an den 1949 tatsaumlchlich vorgetragenen Manuskripten
liegt Insofern ist eine realistische Annaumlherung an eine mythopoetische Uumlbertra-
gung der Schwarzen Hefte in die Bremer Vortraumlge 1949 das Ziel Demgegenuumlber
gibt es ob der virulenten Publikationspraxis von Heideggers Schriften111 noch
andere Auskopplungen der vier Vortraumlgsteile mit den Titeln Das Dinglsquo Das Ge-
Stelllsquo Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo
31 Zur Publikationsgeschichte von den
Bremer Vortraumlgen 1949
Zuerst erschien 1954 im Neske-Verlag (Pfullingen) ein Sammelband der lediglich
den ersten Vortrag Das Dinglsquo enthaumllt allerdings in leicht erweiterter Fassung
so wie er ein halbes Jahr nach dem Bremer Auftritt in Muumlnchen (1950) an der
Akademie der Schoumlnen Kuumlnste gehalten wurde112 Dem Band hinzugefuumlgt ist aber
zudem ein Vortrag der vornehmlich die Kernaussagen von Das Ge-Stelllsquo und
Die Gefahrlsquo verbindet allerdings in modifizierter Form Dieser wurde unter dem
textualisiert wuumlrde) Ist aber die wahre Verbindung zu Hitler und Goumlbbels hergestellt hatman selbstverstaumldlich die Verantwortung zu tragen an dem ganzen Tross von unmoumlglichenVerfehlungen dieser Menschen die sie fuumlr uns zu Personae non gratae stempeln muumlssen
110 GA 79111 Hierauf macht auch der Darmstaumldter Philosoph Gernot Boumlhme aufmerksam als Akt ei-
ner bdquoposthumen Selbstinszenierungldquo in Boumlhme Gernot Selbstinszenierung uumlber Ruhmin der Philosophie In Information Philosophie (Online Ausgabe 12015) URL=lthttpwwwinformation-philosophiedea=1ampt=8232ampn=2ampy=5ampc=29gt zuletzt ab-gerufen am 2442016)
112 Heidegger Martin Das Ding In Ders Vortraumlge und Aufsaumltze Pfullingen 1954 S 163ff
28
Titel Die Frage nach der Techniklsquo113 am 18 November 1953 an der TUMuumlnchen
gehalten
Eine weitere Auskopplung diesmal des letzten Vortragsteils Die Kehrelsquo fin-
det sich in einem broschuumlrenformatigen Band wiederum im Zusammenspiel mit
dem Vortrag Die Frage nach der Techniklsquo in Die Technik und die Kehrelsquo114 von
1962 wieder Somit wurden die Vortraumlge Das Ge-Stelllsquo und Die Gefahrlsquo lange
Zeit nicht veroumlffentlicht sondern als vermischter und modifizierter Text eben
Die Frage nach der Techniklsquo jeweils zusammen mit Das Dinglsquo (1954) und Die
Kehrelsquo (1962) angeboten115 In der Vorbemerkung zu Die Technik und die Keh-
relsquo wird diese kleine Chronologie leicht verfaumllscht auch aufgezeigt Darin heiszligt
es ferner dass Die Frage nach der Techniklsquo eine erweiterte Fassung von Das Ge-
Stelllsquo waumlre Dem ist wie schon gesagt nicht so Sondern es ist eine modifizierte
Vermischung von Das Ge-Stelllsquo und Die Gefahrlsquo was unschwer zB am Begriff
vom bdquoHer-vor-bringenldquo116 zu erkennen ist der in Die Gefahrlsquo eingefuumlhrt wird
und in Die Frage nach der Techniklsquo die gleiche Bedeutungskonstituente bildet
Mit der Veroumlffentlichung des 79 Bandes der GA 1994 wurden alle vier Bremer
Vortraumlge von 1949 publiziert In Band 11 der GA erschien 2006 auszligerdem Die
Kehrelsquo in ihrer urspruumlnglichen Fassung Die Frage nach der Techniklsquo enthaumllt
weniger mythopoetische Teile als Das Dinglsquo und operiert demgegenuumlber staumlrker
anhand klassisch philosophischer Allgemeinplaumltze Derer sind vor allem zu nen-
113 Heidegger Martin Die Frage nach der Technik In Ders Vortraumlge und Aufsaumltze Pfullingen1954 S 9ff (Der Aufsatz erschien ebenfalls 1954 im Sammelband der Vortragsreihe DieKuumlnste im technischen Zeitalter Heidegger Martin Die Frage nach der Technik In DieKuumlnste im technischen Zeitalter Dritte Folge des Jahrbuchs Gestalt und Gedanke Hg v dBayrischen Akademie der Schoumlnen Kuumlnste Muumlnchen 1954 S 70ff)
114 Heidegger Martin Die Technik und die Kehre Pfullingen 1962115 Beide Baumlnde Votraumlge und Aufsaumltzersquo sowie Die Technik und die Kehrersquo haben hohe Aufla-
genzahlen (Uumlbersetzungen wurden hier nicht recherchiert wobei es aber eine internationa-le Heidegger-Rezeption gibt) 1993 wurde der Pfullinger Neske-Verlag von dem StuttgarterHaus Klett-Cotta uumlbernommen was die Buumlcher aber unveraumlndert belaumlsst Vortraumlge und Auf-saumltzelsquo zaumlhlt seit 2009 die 11 Auflage Die Technik und die Kehrelsquo seit 2014 die 13 BeideBaumlnde sind vergriffen Es mutet unverstaumlndig an weshalb eine fehlerhafte Jahresangabe ausder ersten Veroumlffentlichung von Die Technik und die Kehrelsquo bis 2014 kolportiert wurdeDort steht der Vortrag Die Frage nach der Techniklsquo waumlre am 18 November 1955 gehaltenworden Der Vortragstermin war aber am 18 November 1953
116 Vgl GA 79 S 64 Und Heidegger Die Technik und die Kehre S 11
29
nen die Auflistung der bdquovier Ursachenldquo117 nach Aristoteles und die Kritik an der
Technik als bdquoein Mittel zu Zweckenldquo118 (Kausalitaumlt)119
Der Vortrag Das Dinglsquo galt Heidegger bei der Darbietung seiner Technikphi-
losophie nach dem Zweiten Weltkrieg allerdings als unentbehrlich ndash und damit
seine groszligflaumlchige Aufblaumltterung der Mythopoetik wie im folgenden Kapitel hier
gezeigt wird Denn im Vortrag Die Frage nach der Techniklsquo benutzt Heideg-
ger noch immer seinen mythopoetischen Topos vom Versammeln des Gebirges
der mit dem Versammeln eine Konstituente des Gevierts ist (bdquoErde und Himmel
die Goumlttlichen und die Sterblichenldquo120) (su)121 Fuumlr die Kaumlufer und Leser von
der spaumlteren Veroumlffentlichung Die Technik und die Kehrelsquo wird zudem in Die
Kehrelsquo extra auf den Vortrag Das Dinglsquo in der 1954er Ausgabe in Vortraumlge und
Aufsaumltzelsquo verwiesen122 Das zeigt wie wichtig und unerlaumlsslich Heidegger seine
mythopoetische Denkweise der Technik ist Auch wenn er in Die Frage nach der
Techniklsquo einen allgemeineren und offeneren Ansatz entwickelt hat der dadurch
auch leichter zu erschlieszligen ist
32 Die mythopoetische Spiegelung der Schwarzen
Hefte in den Bremer Vortraumlgen von 1949
321 Das Dinglsquo
In dem Vortrag Das Dinglsquo der 1949 vor dem privaten Club zu Bremen dort im
Neuen Rathaus das Vortragsquartett einleitete fuumlgt Heidegger mythopoetisch
zusammen was folgenden Topoi seiner Schwarzen Hefte aus Kap 221 entspricht
117 Heidegger Die Technik und die Kehre S 6118 Ebd S 6119 Diese Topoi versucht Heidegger in dem Text zu zersetzen und ihnen ein aletheisches Prin-
zip des Entbergens der Technik entgegenzusetzen Dies erfolgt wiederum auch anhand derVerwendung von mythopoetischen Teilen Darauf kann hier aber nicht weiter eingegangenwerdenAls weitere Gemeinsplaumltze (die er teils unterstuumltzend teils zur Zersetzung einfuumlgt) handelt
der Text auch mit Zitaten von Platon Heisenberg J P Hebel und Goethe120 Ebd S 12121 Vgl GA 79 S 11 Und Heidegger Die Technik und die Kehre S 19122 Vgl Heidegger Die Technik und die Kehre S 42f
30
1 die antirationale Wissenschaftsfeindlichkeit 2 der Mythos des Goumlttlichen 3
das Griechentum uumlber dem Roumlmertum 4 die Zahlenmystik (anhand des Spiegel-
Spiels des Gevierts ndash su) 5 das geschichtsbesinnliche Prinzip der Aletheia
Heidegger stellt zuerst die Frage nach dem Ding und will sie daraufhin ver-
anschaulichen mittels der Metapher des Kruges dh mit dem Krug als ein exem-
plarisches Ding Er fuumlhrt dann vor (was der Geste eines Zauberkuumlnstlers aumlhnelt)
wie der leere Krug gefuumlllt wird ndash Luft weicht der Fluumlssigkeit Dieses Sachverhaumllt-
nis aber ist fuumlr ihn Halbpoesie und eine Angabe aus der Physik sie verfehle das
vermeintliche Wesen des Kruges
Die Wissenschaft stellt durch sie [die Angabe der Physik DS] etwas Wirk-liches vor wonach sie sich objektiv richtet Aber ndash ist dieses Wirkliche derKrug Nein DieWissenschaft trifft immer nur auf das was ihre Art des Vor-stellens im vorhinein als den fuumlr sie moumlglichen Gegenstand zugelassen hat[] Die Wissenschaft macht das Krug-Ding zu etwas Nichtigem insofernsie Dinge nicht als das Maszliggebende zulaumlszligt123
Als ein wirkmaumlchtiges Beispiel das ihm sicherlich viel Beachtung uumlber die
Jahrzehnte seit ihrer Zuumlndung in Japan hinweg einbrachte fuumlhrt Heidegger die
Atombombe an Diese sei zu verstehen als verdinglichte Wissenschaft die das
Ding vernichten wuumlrde
Deren Explosion ist nur die groumlbste aller groben Bestaumltigungen der langherschon geschehenen Vernichtung des Dinges dessen daszlig das Ding als Dingnichtig bleibt124
Er buumlndelt damit Wissenschaft und Verkennung des Wesens als maszliggebend mit
dem Ding als sein machenschaftliches Prinzip der zerrechnenden Zerstoumlrung Drei
Jahre nach Kriegsende war der buumlrgerlich-elitaumlre Kreis in Bremen sicherlich be-
wegt von dieser Wortgewalt Diese jedoch suchte ja ihr Heim Harmonie Ruhe
in dem Haus als Wesen der Sprache
Und so faumlhrt Heidegger fort und ersetzt das physikalische Prinzip des Inhalts-
wechsels von Luft zu Wein in ein bdquoGeschenk des Gussesldquo als Spende und Opfer
den Goumlttern (2)125
123 GA 79 S 8124 Ebd S 9125 Vgl Ebd S 11f
31
Der Guszlig ist der den unsterblichen Goumlttern gespendete Trank [] Der ge-weihte Trank ist das was das Wort Guszliglsquo eigentlich nennt Spende und Op-fer Guszliglsquo gieszligenlsquo lautet griechisch χέειν indogermanisch ghu Das bedeu-tet opfern
Hier spielt bereits der Ursprungsmythos der Griechenmit ein (3) es ist aber auch
ein Bezug auf das Geviert Dieses waumlre ein System ein zusammen Gestelltes aus
bdquoErde und Himmel die Goumlttlichen und die Sterblichenldquo126 Im Guszlig des Trunkes
weilten gemeinsam diese Vier als emblematische Verbindung
Das im Geschenk Versammelte sammelt sich selbst darin das Geviert ereig-net zu verweilen Dieses vielfaumlltig einfache Versammeln ist das Wesen desKruges Unsere Sprache nennt was Versammlung ist in einem alten WortDies lautet thing127
Das Geviert zehrt von der Zahlenmystik zum einen als die Versammlung der
vier Begriffe an sich zum anderen da Heidegger ihnen eine Spiegel-Funktion
zuschreibt bdquoJedes der Vier spiegelt in seiner Weise das Wesen der uumlbrigen wie-
derldquo128 und ferner weil er damit auf sich selbst dh auf sein Vortrags-Geviert
verweist (4) Wie in Kap 21 schon gesagt lebt der Mythos von seiner Verbind-
lichkeit Diese legt Heidegger allen nah die sie verinnerlichen wollen bdquoSagen wir
die Sterblichen dann denken wir falls wir denken die anderen Drei mit aus der
Einfalt der Vierldquo129
Sollte der Vollzug der Praxis des sukzessiven Mitdenkens aller vier Geviert-
Entitaumlten gelingen koumlnnte das Ereignis der Aletheia begriffen werden (5) bdquoDas
Spiegel-Spiel von Welt ist der Reigen des Ereignensldquo130 Diese wird aber auch be-
griffen in Abgrenzung von dem Roumlmertum (3) denn in der bdquorealitas der resldquo
haumltten die Roumlmer bdquoihr Erfahrenes niemals eigens in seinem Wesen gedachtldquo131
Das waumlre den Griechen vorzubehalten und vom verstaumlndig denkenden Deutschen
wiederzubeleben
126 Ebd S 12127 Ebd S 13128 Ebd S 18129 Ebd130 Ebd S 19131 Ebd S 15
32
Der Krug ist ein Ding weder im Sinne der roumlmisch gemeinten res noch imSinne des mittelalterlich vorgestellten ens noch gar im Sinne des neuzeitlichvorgestellten Gegenstandes [] Der Krug ist Ding insofern er dingt132
Die Bindung an das deutsche Wort bdquoDingldquo das er spielerisch auch ins Englische
Romanische und Franzoumlsische uumlbersetzt ist unerlaumlsslich fuumlr seine ethymologi-
sche Argumentation In der ist der bdquoGuszligldquo ruumlckgefuumlhrt auf indogermanisch bdquoghuldquo
und das bdquoDingldquo auf das mittelhochdeutsche bdquothingldquo So konnten antik die Roumlmer
von den Griechen abgrenzt werden und modern die anderen drei Sprachen vom
Deutschen Das englische sich sehr nah am bdquothingldquo befindliche bdquothingldquo wird mit
dem Roumlmischen ausgespielt
Im Englischen hat thing noch die erfuumlllte Nennkraft des roumlmischen Wor-tes res bewahrt [] dh ein aus sich kommendes den Menschen Angehen-des133
Fuumlr Heidegger geht es beim bdquothingldquo aber um die mittelhochdeutsche Uumlbersetzung
der Versammlung Darauf beruht sein gesamter Systemansatz mit Geviert und
Ge-stell
Schulz-Nieswandt fuumlhrt diese Zusammenstellung zum Bejubeln von Heideg-
gers Mythopoetik
So fundamental sieht Heidegger die Welt Die Quelle des Wassers wird zurHochzeit von Himmel und Erde das Gieszligen des Wassers aus dem Krugzum Geschenk Auch Sprache ist daher kein Instrument sondern Ort desWohnens des Menschen Sprache wird zum Haus des Seinslsquo134
Hier bestaumltigt die Untersuchung des Ding-Vortrags die These von einer mytho-
poetischen Einschreibung der nationalistischen voumllkischen Abgrenzungs-Mythologie
aus den Schwarzen Heften
322 Das Ge-Stelllsquo
Der zweite Vortrag des Reden-Gevierts setzt ein mit der Metapher des fehlen-
den Abstands Wo kein Abstand sei da waumlre auch keine Naumlhe so Heidegger Er
132 Ebd S 16133 Ebd S 14134 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei Walter
F Otto S 59
33
verbindet die Abstandslosigkeit mit Urbanitaumlt und Verkehr alles fluktuiere Es
waumlre der Bestand der sich bestelle in dem das Abstandlose herrsche Das sind
neue Metaphern fuumlr die Machenschaft In seiner Erzaumlhlung vom Ge-Stell gibt es
bedeutend weniger mythopoetische Passagen als in dem vorangegangenen Vor-
trag Allerdings uumlbertraumlgt er den mythopoetischen Gehalt der Rede vom Ding
bereits im ersten Absatz von Das Ge-Stelllsquo mit dem Credo bdquoNaumlhe west insofern
das Ding dingtldquo135 Mit dieser Verbindung wird klar unter welchem Zeichen Hei-
degger die Rede vom Ge-Stell verstanden wissen will ndash als verlorenes Verhaumlltnis
des voumllkisch-traditionell verwurzelten Menschen mit den vermeintlichen Wesen
all seiner Gebrauchsobjekte in der mythopoetischen Formel des sich spiegelnden
Gevierts
Nahezu nuumlchtern erzaumlhlt Heidegger dann von dem Gefaumlngnis des Menschen
im Wesen der zirkulierenden sich immer neu bestellenden Bestandstechnik des
Ge-Stells Dabei scheinen folgende Mythen aus den Schwarzen Heften hindurch ndash
1 bdquoHistorie die Technik der Geschichtelsquo Technik die Historie der Naturlsquoldquo136
2 das historische Tier 3 der Appell an den Auftrag des Deutschen 4 der geschicht-
liche Mensch muss die Historie und damit die Technik uumlberwinden und 5 die
alles zernichtende Machenschaft des juumldischen Wesens
Den Topos der seinsvergessenen Groszligstadt jedenfalls kontrastiert er mit der
Bauerndorfidylle Da aber bdquodas Abstandlose herrschtldquo137 waumlre das Vorruumlcken der
Maschinentechnik bereits universell So in Form des Traktors Schon in Band
96 der Schwarzen Hefte beklagt er dieses bdquozum elektrischen Pflug [] gehoumlrt
das amerikanisch aufgemachte Magazinlsquoldquo Insofern erfolge die bdquoAngleichung der
Sitten der Bergbewohner an diejenigen des groszligstaumldtischen Sport- und Barbe-
triebsldquo138
Sein erster Land-Stadtvergleich betrifft den Bauern dessen Totenruhe tradi-
tionell in einem sg bdquoTotenbaumldquo (Sarg) stattgefunden haumltte ndash bdquoIn ihm gedeiht
der Tod des Totenldquo139 Dem gegenuumlber klingt in der bdquomotorisierten Bestattungs-
135 GA 79 S 24136 GA 95 S 351137 GA 79 S 24138 GA 96 S 54139 GA 79 S 26
34
industrie der Groszligstadtldquo140 bereits Heideggers pietaumltsloser Gaskammernvergleich
an
Ackerbau ist jetzt motorisierte Ernaumlhrungsindustrie im Wesen das Selbewie die Fabrikation von Leichen in Gaskammern und Vernichtungslagerndas Selbe wie die Blockade und Aushungerung von Laumlndern das Selbe wiedie Fabrikation von Wasserstoffbomben141
Hier wird davon ausgegangen dass es eine Uumlbertragung der Notizen uumlber
das deutsche Land als bdquoeinziges KZldquo ist die Unterdruumlckung des deutschen Vol-
kes durch die bdquoWeltdemokratieldquo die schlimmer sei als die Graumlueltaten der bdquoGas-
kammernlsquoldquo142 In die mythopoetische Formel von dem dingenden Ding aus dem
ersten Vortrag sind alle Valenzen eingeschrieben die es zur Aufgabe des abendlaumln-
dischen Deutschen (also als Nachfolger der alten Griechen) machen das Wesen
des Dings und somit der Technik zu huumlten Die Verantwortung fuumlr Genozid
Massenvernichtungswaffen und den Mangel im Nachkriegsdeutschland schreibt
Heidegger gleichfoumlrmig dem Prinzip der Abstandslosigkeit zu
Auch die Rede von der Habgier des Berechnenden ist ein bereits bekannter
Vorbehalt Heideggers anhand der Rede vom raffgierigen Juden Denn er sagt von
der bdquoHerrschaft des Abstandlosenldquo dass sie bdquodie Hab-gier des vorstellenden Be-
rechnensldquo waumlre143 Das entspricht seinem Mythos von der alles zernichtenden
Machenschaft des juumldischen Wesens144
Dann folgt eine lange Elegie uumlber das Bestellen des Bestands des Ge-Stells
bdquo[d]ie Kette des Bestellens laumluft auf nichts hinaus sie geht vielmehr nur in ihren
Kreisgang hineinldquo145 uumlber 19 Seiten des 21 seitigen Vortragsexts hinweg entwirft
Heidegger diverse Bilder wie das Ge-Stell die Natur das Hergestellte den Men-
schen und das Verstandesmaumlszligige vereinnahme und das Wesen desDings gleichsam
zur Veruntreuung bringen wuumlrde Wiederum poetisch orientiert kontrastiert also
140 Ebd141 Ebd S 27142 GA 97 S 99f143 Vgl GA 79 S 25144 Vgl Machenschaft hier S 29 und Geraff hier S 33145 GA 79 S 29
35
Heidegger Houmllderlins Hymne Der Rheinlsquo mit dem Rhein dessen Stroumlmung fuumlr
ein Stromkraftwerk genutzt wird
Achten wir um das Ungeheure das hier waltet zu ermessen nur auf einenAugenblick auf den Gegensatz der sich in den beiden Titeln ausspricht DerRhein verbaut in das Kraftwerk ndash der Rheinlsquo gesagt in der gleichnamigenHymne Houmllderlins146
Die Differenz also waumlre das Ungeheure147 Dabei waumlre der Rhein verbaut in das
Kraftwerk Aumlhnlich wie Kohle Erze und Rohoumll waumlren sie Bestand der bdquobesteht
im Bestellenldquo ndash bdquoDas Bestellen waumlre demnach lediglich eine Machenschaft des
Menschen vollzogen in der Weise der Ausbeutungldquo148
Das Bild des Wasserkraftwerks wird erweitert um den Begriff des Menschen
Elektrizitaumlt mit Wasserkraft erzeugen bdquokoumlnnen die Menschen [] nur insofern
sie selber schon in dieses Bestellen bestellt sindldquo149 Mit diesem Bild versucht Hei-
degger praktisch zu veranschaulichen dass Entwurf Umsetzung und Einsatz ei-
ner technischen Anlage den Menschen in ein entruumlcktes Verhaumlltnis zum Wesen
des dingenden Dings setze ndash bdquoDer Mensch ist darum der Angestellte des Bestel-
146 Ebd147 Das ist zusaumltzlich zu dem gemeinten Gegensatz ein Vergleich mit dem Heidegger dem Wort
bdquoRheinldquo in die Hymne Der Rheinlsquo gesprochen eine Energie erzeugende Wirkung zu-schreibt eben so wie das Kraftwerk Strom erzeugen wuumlrde Das wird klar dadurch dassHeidegger metaphorisch vom Stellen des Wortes bdquoRheinldquo in die Hymne spricht Es handeltsich um einen Appell zur denkerischen Besinnung Dass Heidegger dafuumlr eine technischeAnlage zur Veranschaulichung inspirierend wirken laumlsst spielt bereits in die Richtung derBegriffe bdquoHer-vor-bringenldquo bdquoEntbergenldquo und spielt auf das Alteheia-Prinzip an Darauf wirdweiter unten anhand Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo eingegangen werden Es handelt sich umdas Angebot eines mythopoetischen Umgangs mit Technik insbesondere wenn sie sich inheimische Gefilde einfuumlgtHeute koumlnnte man mit Windraumldern ebenso verfahren Somit koumlnnte aber auch Heidegger
als ein gewisser Quijana aus Mancha verstanden werden eben der Protagonist aus Miguel deCervantes Roman Don Quichote von der Manchalsquo der mit seinem von ihm flux auch um-benannten Klepper (weil er zuvor sich selbst in Don Quichote umtaufte) Rocinante Riesenbezwingen will um mit dieser Heldentat unsterblichen ritterlichen Ruhm zu erstreitenAuch Don Quichote fand seine Riesen in Windmuumlhlen und auch Don Quichote war uumlber
eine uumlbertriebene Auseinandersetzung mit einer verschuumltteten Kultur dieser verfallen undsuchte diese in seiner Aventuumlre zu reaktualisieren Martin Heideggers mythopoetisches Pro-gramm ist tatsaumlchlich stark mit Don Quichotes Motiv vergleichbarFerner waumlre eine Auseinandersetzung mit Heideggers Werk unter Beruumlcksichtigung sei-
ner Gewichtung der Vorsokratiker und Houmllderlin als mythopoetischen Autor eine moumlglicheForschung zum Thema Anachronismen in Konzepten von Moral und gesellschaftlicher An-gemessenheit (Vgl Cervantes Miguel de Don Quichote von der Mancha Herausgeben unduumlbersetzt v Susanne Lange Muumlnchen 2008 S 33f)
148 GA 79 S 29149 GA 79 S 30
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lensldquo150 Schon vorher wies Heidegger darauf hin bdquo[d]ie Herrschaft des Gegen-
staumlndigen sichert nicht den Abstandldquo151 Jetzt heiszligt es
Das Bestellen befaumlllt nicht nur die Stoffe und Kraumlfte der Natur mit Gestel-lung Das Bestellen befaumlllt zugleich das Geschick des Menschen Das Wesendes Menschen wird daraufhin gestellt das Bestellen in menschlicher Weisemitzuvollziehen152
Der Begriff des Ge-Stells wird daraufhin so konstruiert dass es im Bestellen
um ein Stellen (Herausfordern) alles bdquoAnwesenden als Bestandldquo als bdquoversus unumldquo
gegen bdquodas Eine Ganzeldquo gehe153 In wiederum mythopoetischer Formulierung ge-
baumlre die bdquoVersammlung des Stellens worin alles Bestellbare in seinem Bestand
west das Ge-Stellldquo154 Der Begriff bdquoVersammlungldquo wird einen Absatz zuvor my-
thopoetisch wieder an die Versammlung also das thing eben das wesenhafteDing
angelehnt und somit wie zu Das Dinglsquo bereits oben erlaumlutert in einen deutsch-
abendlaumlndischen Kontext gestellt (3)
Wir nennen die Versammlung der Berge die von sich her einig und nienachtraumlglich schon gesammelt ist das Gebirge Wir nennen die Versamm-lung der Weisen nach denen uns so zumute ist und sein kann das Gemuumlt155
Allerdings ist obiges Versammlungsmodell hier als Kontrast zu sehen zu dem
bdquoGeraff des Getriebesldquo das das Ge-Stell darstellt als bdquoWesen der Technikldquo156 Hei-
degger sieht in der Gleichfoumlrmigkeit die zum Wesen des Technik als Ge-Stell
150 GA 79 S 30151 GA 79 S 25152 GA 79 S 31153 Vgl GA 79 S 32154 GA 79 S 32155 Ebd
Das Wort ldquoGemuumltrdquo hat ferner eine ausschlieszliglich deutsche Praumlgung gibt es doch keinedirekte Uumlbersetzungen Gemuumlth ist ferner ein nicht eindeutig umrissener Begriff (Vgl Kra-mer Cheryce A Foolrsquos Paradise The Psychiatry ofGemuumlth in a Biedermeier Asylum Chica-go 1998 S 19) Die Bedeutung im Deutschen selbst ist zudem sehr variabel hat aber zumeistmit Seelen- oder Geistkonzepten zu tun ndash Cheryce von Xylander (geb Kramer) uumlbersetztGemuumlth mit bdquosoul-organldquo (ebd S 43) das von diversen Autoren unterschiedlich konstru-riert wird (zB von Kant geistigkoumlrperlich und von Kleist individuellkollektiv (vgl ebdS 41)) In Heideggers emblematischem Duktus scheint eine Vermischung von allen vier Di-mensionen geistigkoumlrperlich wie auch individuellkollektiv stattzufinden Es ist auf jedenFall dem Mythos geschuldet den Auftrag des Deutschen anzunehmen (3)
156 GA 79 S 33
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gehoumlre die planetarische Abloumlsung und Aufhebung des traditionellen und damit
wesenhaft ans Ding gebundenen Verhaumlltnisses vom Menschen zur Erde (das von
ihm idealisierte voumllkische Bauerntum das Bestellen des Ackers) bdquoDie Bestand-
Stuumlcke sind Stuumlck fuumlr Stuumlck die Gleichenldquo157 So kontrastiert er alte Handwerks-
techniken mit Maschinentechnik und schreibt der Maschinentechnik die machen-
schaftliche Verdraumlngung als Geraff zu
Das Ge-Stell hat auch wenn das nicht unmittelbar und nicht sogleich ver-nehmlich wird im vorhinein schon alle diejenigen Stellen beseitigt an denenvormals Spinnrad und Wassermuumlhle standen Das Ge-Stell bestellt durch sei-ne Maschinerie zum voraus eine andere Art und Ordnung von Stellen Andiesen kommt nur zu Stand was als Bestellbares auf der Stelle gleichfoumlrmigzur Stelle steht
Darum ist auch die Art wie die Maschine selbst etwas herstellt einewesentlich andere als das handwerkliche Tun gesetzt daszlig es innerhalb desGe-Stells uumlberhaupt noch so etwas wie ein Herstellen gibt
Die Traktoren und Kraftwagen werden herausgebracht ausgeworfen se-rienweise Stuumlck fuumlr Stuumlck Wo drauszligen steht dieses so Herausgestellte Wo-hin in welchen Stand ist es gebracht158
In dieser Klage uumlber den technischen Wandel der durch den Fortschritt in
alle Lebensbereiche Einzug haumllt versucht Heidegger zu veranschaulichen wel-
chen Verlust es zu erkennen gelte Ein Versuch diesem entgegen zu treten ist die
von ihm vorgetragene Mythopoetik die er in diesem Vortragsteil seines Vortrags-
Gevierts allerdings auffaumlllig zuruumlckgestellt sein laumlszligt War der Einleitungsteil Das
Dinglsquo schlieszliglich eine nahezu einzige mythopoetische Darbietung Dramatur-
gisch wird Heidegger in Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo die mythopoetischen For-
mulierung als Loumlsungswege wieder Bedeutung geben In Das Ge-Stelllsquo versucht
Heidegger hingegen Vorstellungen aus seinen Schwarzen Heften aumlhnlich der fol-
genden mitzuteilen die das Uniforme Gleichfoumlrmige betreffen
Die Macht der Machenschaft ndash die Vernichtung sogar der Gottlosigkeit dieVermenschung des Menschen in das Tier die Vernutzung der Erde die Ver-rechnung der Welt ndash ist in den Zustand der Endguumlltigkeit uumlbergegangenUnterschiede der Voumllker Staaten Kulturen sind nur noch Fassade159
157 GA 79 S 36158 GA 79 S 35159 GA 96 S 52f
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Was Heidegger unter dieser Gleichfoumlrmigkeit versteht schreibt er in den Schwar-
zen Heften zumeist den Amerikanern zu Er nennt es auch haumlufig Planetarismus
Der Amerikanismus [ist DS] die Zusammenraffung von Allem welcheZusammenraffung immer zugleich die Entwurzelung des Gerafften bedeu-tet160
Der Planetarismus ist die historisch gedachte Bestimmung der uumlberall glei-chen die ganze Erde uumlberdeckenden Seinsverlassenheit des Seienden161
Die Gegenuumlberstellung von natuumlrlicher und traditioneller Handwerkstechnik
gegen maschinenhafte Gleichfoumlrmigkeit exemplifiziert Heidegger dann im Vor-
trag Das Ge-Stelllsquo vielfach wie zum Beispiel hier
Der Forstwart zB der im Wald das geschlagene Holz vermiszligt und demAnschein nach noch wie sein Groszligvater in der gleichen Weise die selbenWege geht ist heute von der Holzverwertungsindustrie gestellt Er ist ober es weiszlig oder nicht in seiner Weise Bestand-Stuumlck des Zellulosebestandesund dessen Bestellbarkeit fuumlr das Papier das den Zeitungen und illustrier-ten Magazinen zugestellt wird die uumlber die Oumlffentlichkeit daraufhin stellenverschlungen werden162
160 GA 96 S 257161 GA 96 S 261162 GA 79 S 37f
Die renommierte Theaterautorin Elfriede Jelinek karikiert in ihrem Stuumlck Totenaubergvon 1991 Heideggers Konstrukt von Heimat und Fortschrittsfeindlichkeit verbunden miteiner Auseinandersetzung mit dessen Liebschaft zu Hannah Arend Mit philologischer Prauml-zision polemisiert sie Teile aus Heideggers Elegie uumlber die Technik und laumlszligt ihn dabei alsbeschraumlnktes und eingezwaumlngtes Wesen in einem Gestell gefangen sein Aus diesem heraussoll er Arend Rede und Antwort stehen uumlber sein Verhaumlltnis zum Nationalsozialismus unddie Shoa Doch dieser redet nur naturtrunken von Heimat und berauscht sich daran Derprophetische Denker wird banalisert ndash diese Worte legt Jelinek ihm (im Stuumlck der alte Mann)in den MundbdquoDie Angst vor dem Fragen liegt uumlber dem Abendland Sie bannt die Kandidaten auf ein
Team-Leibchen verbannt sie auf altgewordene Wege und jagt sie zuruumlck ins morsch geworde-ne Gehaumluse ihrer Tore wo es um ihre Ausscheidungen geht Es wird ihnen alles weggenom-men werden auch der Weg selbst Keine Spur kein Lichtschein aus den Ritzen Aber ruf ichin die Huumltte um nach einem zu fragen den ich gekannt hab sehe ich grad noch eine Tuumlrsich schlieszligen Der Wald kommt nicht zur rechten Geltung alles ist entflohen was mir liebwar und woran ich geglaubt hab Was kommt ist noch nicht da Nichts war Ich habe nichtsgehoumlrt Ich erinnere mich nicht aber ich stelle dem Kommenden das mich den lupenreinenAmateur schon vor Beginn des Rennens erlahmen laumlszligt vorsorglich die Hausschuhe vor dieTuumlr Sie sind das Einzige was die Profis des Profits von mir dann vorfinden werden wennsie anklopfen Die Haumlrte des Urgesteins sollte sie nicht entmutigen Die Jahreszeiten machendie Landschaft auf und zu Ich sage nur In dieser scheinbaren Leere will ich vom Denkenmuumld nur schlafen Von der Huumltte aus lassen sich Wanderungen unternehmen Aber auchsonst wird Ihnen alles wie ich sagte genommen werden Auch Ihre Fotos und Namen Unddas Gewesene wird wesenlosldquo ( Jelinek Elfriede Totenauberg Hamburg 1991 S 86f)
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Die Oumlffentlichkeit ist fuumlr Heidegger ein Topos der dem Denken und Besinnen
entgegenstuumlnde Somit meint er damit zum Einen die Medien wie er es anhand
der Rede von den Bestandstuumlcken in Das Ge-Stelllsquo erklaumlrt wo der Mensch als
Urheber des Ge-Stells als Wesen der Technik nicht gelten soll Vielmehr wuumlrde er
in Ratlosigkeit und Langeweile verfallen weil er in der Bestellung des Bestandes in
Form von Bestandstuumlcken vom Rundfunk keine Besinnung mehr faumlnde dh das
Ganze also wiederum daswesentliche Ding nicht mehr zu fassen vermoumlge163 Und
so toumlnt es bereits aus den Schwarzen Heften von 19391940()
Die Bildlsquo und Tonlsquo ndash Reportagenlsquo der Machenschaft ist der planetari-sche Mythuslsquo des Vollendungsabschnittes der Neuzeit Die Welt des abge-legensten deutschen Bauernhofes wird nicht mehr durch [] die Naturlsquobestimmt in der noch die Erde waltet sondern durch das illustrierte Blattmit der Darstellung von ausgezogenen Tanzweibern von Boxern und Renn-fahrern und sonstigen Heldenlsquo des Tages164
Und ferner notierte Heidegger 1946 in seinen Schwarzen Heften
Uumlberall zerrt es aus dem Oumlffentlichen ins Oumlffentliche mit vielen Strickenund jeder sieht das kaum versuchte Denken des Seyns am Leitband seinesStrickes165
Dabei waumlre eben ein bdquoLiterat [] ein in die Oumlffentlichkeit verliebter Mensch der
Angst vor dem Denker hatldquo166 Dieses liefe dann darauf hinaus dass beim Rund-
funk bdquoein Bestellen und Stellen waltet das in dasWesen des Menschen eingegriffen
hatldquo167
Abermals nach dem Wesen der Technik also nach dem Ge-Stell gefragt geht
Heidegger auf seine Unterscheidung vonNatur undNaturwissenschaft ein bdquo[w]elches
ist das Verhaumlltnis zwischen der Technik und der Naturldquo168 Natur wuumlrde in wis-
senschaftlicher Hinsicht unter das Berechnete fallen sie wuumlrde bdquoals das in Maszlig
und Zahl gestellte Wirkliche vorgestellt das in seinem Gewirkten staumlndig an-
westldquo169 Wenn Heidegger dann Natur aus technischer Sicht bdquoals ein System des
163 Vgl GA 79 S 38f164 GA 96 S 54165 GA 97 S 100166 GA 97 S 126167 GA 79 S 39168 GA 79 S 41169 Ebd
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Bestellens von Erfolgen aus dem gestellten Wirksamenldquo170 charakterisiert spricht
er von seiner Rede der Verschraumlnkung von Historie und Technik ndash bdquoTechnik die
Historie der Naturldquolsquo171 Dieses ist bekanntlich das seinsvernichtende Gegenstuumlck
zur geschichtlichen Besinnung Denn geschichtliches Walten der Technik ist fuumlr
Heidegger technische Geschichte dh verwissenschaftlichte Geschichte die da-
durch ihr Wesen verloren haumltte (Seynsvergessenheit)172 So heiszligt es in den Schwar-
zen Heften von 1947
Ein Zeitalter das historisch geworden ist dh technisch planend sich selberberechnet und alles in diesen Sog zieht muszlig jede Besinnung nur als eine dervielen Formen der Intellektualitaumlt registrieren173
Heidegger schlieszligt den Vortrag mit dem Aufgriff der Anfangsbehauptung
bdquo[d]er Bestand bestellt das Abstandsloseldquo174 Somit liegt das Problem der ausblei-
benden Naumlhe durch die Technik deren Wesen das Ge-Stell waumlre das den Bestand
bestelle in der Luft Dass dabei der Mensch sogleich Teil des Bestandes und nicht
Teil der Maschine wird laumlsst ihn das historische Tier sein (2)
Der Mensch ist auswechselbar innerhalb des Bestellens von Bestand []Gleichwohl gehoumlrt der Mensch in einer voumlllig anderen Weise in das Ge-Stellals die Maschine DieseWeise kann unmenschlich werden DasUnmenschlicheist jedoch immer noch unmenschlich Der Mensch wird nie zur MaschineDas Unmenschliche und noch Menschentuumlmliche ist freilich unheimlicherweil boumlsartige und verhaumlngnisvoller denn der Mensch der nur Maschine wauml-re175
Wen Heidegger hier ersinnt ist der neuzeitliche Mensch der den bdquoGoumlttern uner-
traumlglich gewordenldquo176 waumlre
170 Ebd171 GA 95 S 351172 In Heidegger Die Technik und die Kehre S 21 stellt er Geschichte und Historie einander
gegenuumlber was er in Das Ge-Stelllsquo nicht vollzieht bdquoDie moderne Technik kam doch erst inden Gang als sie sich auf die exakte Naturwissenschaft stuumltzen konnte Historisch gerechnetbleibt dies richtig Geschichtlich gedacht trifft es nicht das Wahreldquo Signifikant fuumlr Heideg-gers Attributierung so wie sie oben schon geschildert ist steht Historie fuumlrs Rechnen undGeschichte fuumlr das Denken
173 GA 97 S 508174 GA 79 S 44175 GA 79 S 37176 GA 94 S 236
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323 Die Gefahrlsquo
Aus Heideggers Darlegung uumlber das Ge-Stell erschlieszligen sich seine diversen Fa-
cetten der Vorstellung einer Abstandslosigkeit schaffenden Technik Dass die Ab-
standslosigkeit dem Prinzip des Gevierts des Zusammengestellten entgegensteht
bekommt im Vortrag Die Gefahrlsquo Nachdruck Die mythopoetische Erzaumlhlung
knuumlpft an den Vortrag Das Dinglsquo an mit den Mythologemene 1 Der Mythos
des geschichtlich sein muumlssens 2 der Mythos des Goumlttlichen 3 das geschichtsbe-
sinnliche Prinzip der Aletheia Zudem wird im Prozess des Vortrags das Ge-Stell
zur Gefahr stilisiert was einen eigenen Mythos erschafft
Durch das bdquouniversale Bestellen des Ge-Stellsldquo177 werde die naumlhernde Naumlhe des
Dings verwehrt Wie im Vortrag Das Dinglsquo fuumlhrt Heidegger das Wesentliche sei-
ner Theorie auf die deutsche und altgriechische Sprache zuruumlck Die so vollzoge-
ne Annaumlherung von Schwarzwaumllderischem Dialekt und Altgriechisch entspricht
Heideggers Traum von dem bdquogeschichtliche[n] Geburtsort des abendlaumlndischen
Wesensldquo178 den seine Heimat von Todtnauberg bis Freiburg stiften sollte (1)
es ist das Geistvolle und zugleich das erdenhafte schoumlne Land Es birgt un-sichtbaren Reichtum dem Gemuumlt bewahret tiefstes Dichten und houmlchsteGestalt der Sage179
Unter diesem Vorzeichen also sagt Heidegger
Das Ge-Stellwesen laumlszligt das Ding ohne die Wahr Das Wort die Wahrlsquo be-deutet in unserer Sprache dort wo sie noch urspruumlnglich spricht die HutIn unserer schwaumlbischen Mundart meint das Wort die Wahrlsquo die der muumlt-terlichen Hut anvertrauten Kinder Das Ge-Stell laumlszligt in seinem Stellen dasDing ohne die Hut ndash ohne die Wahr seines Dingwesens180
Diese in Bremen vorgetragene Heimatkunde ist auch Heideggers Sorge ge-
schuldet durch die Besatzermaumlchte und deren kulturellen Einfluss auch durch
die nun moumlgliche Oumlffnung Deutschlands zu einem Austausch mit der Welt das
eigene Wesen zu verlieren So schreibt er 1945-1947() in seine Schwarzen Hefte
177 GA 79 S 46178 GA 97 S 54179 Ebd180 GA 79 S 46
42
Das Schwerste und Fragwuumlrdigste unseres Geschickes ndash beruht darin ob wirdas Eigene finden und huumlten [] unter den anderen Voumllkernlsquo [] Scheinund Vorwand der Macht daszlig man unsere eigene Aufgabe bringen will []als Entmachtete aufgenommen zu sein in den Weltmachenschaftsbetrieb181
Es gaumlbe nach Heidegger also das Welten von Welt und die Verweigerung von
Welt aus derVerwahrlosung des Dings durch das Ge-Stell bzw die Technik182 Welt
ist nach dem Konzept des schwaumlbischen Denkers nichts weniger als das Geviert
Bei der folgenden mythopoetischen Zusammenstellung von dem Geviert mit alt-
griechischen Vokabeln um den Seins-Begriff wird das Aletheia-Prinzip eingefuumlhrt
Somit fuumlhrt uumlber den Mythos des Goumlttlichen (2) der Weg zur Wahrheit eben als
geschichtsbesinnlich erfahrene Aletheia (3)
Welt ist das Geviert von Erde und Himmel Goumlttlichen und SterblichenDas Spiegel-Spiel der Vierung wahrt alles was in ihm dingend zwischenden Vier anwest und abwest in das einende Ganze seines Anwesens Vonaltersher heiszligt das Anwesen des Anwesenden τὸ ὲόν das Seiend [sic] τὸεἶναι das Sein naumlmlich der ὲόντα des Seinenden das esse entium183
Diese Welt waumlre nun bdquoWahrnis des Wesens von Sein Statt Wahrnis sagen wir auch
Wahrheitldquo184 Die Welt mythopoetisch als Spiegel-Spiel des Gevierts und durch
eine altgriechische Brille betrachtet waumlre die wahre Welt Somit wird die Wahr-
heitsschau gebunden einen antiken Goumltterglauben und abendlaumlndische Sprachkas-
kaden vom Dialekt zum Altgriechisch
Das Problem mit der wahren Welt waumlre allerdings dass sie sich in die Ver-
borgenheit entziehe Naumlher betrachtet ist aber die Verborgenheit Bedingung des
Entbergens was Heidegger notwendig macht zu einem wuumlrdigen Lebensvollzug
in Harmonie mit dem Sein Durch solche Wesensschau waumlre der Mensch befaumlhigt
jederzeit die verstellenden Maumlchte des Ge-Stells (der Technik) zu uumlberwinden und
teilhaftig am Wesen der Welt zu werden
181 GA 97 S 99182 Vgl GA 79 S 47183 GA 79 S 48 (Die griechischen Vokabeln werden hier keiner Uumlbersetzung unterzogen Da
Heidegger ohnehin keine philologische Schaumlrfe anwenden will ist es fuumlr die Zwecke hierausreichend sie mit seiner Uumlbersetzung zu betrachten Heidegger spricht von bdquoAchten aufdas Griechischeldquo was schwieriger waumlre als klassische Philologie (vgl GA 79 S 63)
184 Ebd
43
Welt bleibt in der Verborgenheit (Αήθη) auf die Weise daszlig diese ihre Ver-borgenheit gerade eine Unverborgenheit gewaumlhrt die Αλήθεια185
Die Αλήθεια haumltte allerdings auch eine Rolle uumlber die subjektive hinaus da nur
durch ihren Vollzug Seinsgeschichte gewaumlhrt wuumlrde Das ist der Anspruch den
Heidegger an sein Auditorium stellt gemeinsam geschichtlich sein zu muumlssen (1)
Die Αλήθεια ist das Geschick des Seins als welches Geschick sich die Fuumllleder Seinsgeschichte in ihre Epochen fuumlgt186
Mit dem Ge-Stell als Wesen der modernen Technik waumlre die Aletheia aller-
dings hochgradig gefaumlhrdet Denn ohnehin waumlre die Aletheia prinzipiell der Ge-
fahr der Vergessenheit ausgesetzt Doch das Ge-Stell haumltte die Kraft die bdquovollende-
te Vergessenheit der Wahrheit des Seinsldquo187 zu vollrichten
Indem das Ge-Stell alles Anwesende in den Bestand bestellt setzt das Ge-Stell das Anwesen des Anwesenden heraus aus seiner Wesensherkunft ausder Αλήθεια188
Diese Versetzung des beteiligten Wesens aus der Moumlglichkeit des Wahrheitsprin-
zips heraus markiert Heidegger dann mit der Schreibweise Seyn (mit bdquoyldquo) Wie
bei dem Vortrag Das Dinglsquo koumlnnen ethymologische Abstammungen sein Sys-
tem anreichern Da wo es um das Wortfeld des Stellens geht Ge-Stell Bestellen
Verstellen ist auch das NachstellenMitglied der Familie
Im Althochdeutschen heiszligt nachstellen fara Das in sich gesammelte Stellenals Nachstellen ist die Gefahr Der Grundzug des Wesens der Gefahr ist dasNachstellen Insofern das Sein als das Ge-Stell sich selbst mit der Vergessen-heit seines Wesens nachstellt ist das Seyn als Seyn die Gefahr seines eigenenWesens189
Damit wuumlrde sich durch die Verringerung der Selbstreflexion im Seyns-Bestand
eine Schwachstelle auftun in die der denkbegabte und aletheiafaumlhige Mensch ei-
ne Moumlglichkeit haben das Seyn zum Sein zuruumlckzuwandeln ndash also wieder in ein
185 GA 79 S 49186 Ebd187 GA 79 S 53188 GA 79 S 52189 GA 79 S 53
44
wesentliches Verhaumlltnis zum bdquoDingldquo zu gelangen in dem das Geviert wieder die
Harmonie herstellt Allerdings faumlnde bis zu solch einer Nachstellung eine Ver-
sieglung des Seynsbestandes statt Und Heidegger beklagt dass die Erreichung der
Ruumlckeroberung des Seins uumlber die Nachstellung nicht stattfaumlnde und stattdessen
die Irre regieren wuumlrde190
In dieser Irre stuumlnde dem Menschen nicht einmal mehr zu zu sterben Denn
bdquoSterben [] heiszligt den Tod in sein Wesen austragenldquo191 Somit waumlren die Opfer
die in den KZs umkamen wie er sie in Das Dinglsquo bereits schildert nicht vermouml-
gend gewesen zu sterben bdquoSie werden Bestandstuumlcke eines Bestandes der Fabrika-
tion von Leichen [] Sie werden in Vernichtungslagern unauffaumlllig liquidiertldquo192
Das vermoumlge die Gefahr zu bewirken Der Mensch wuumlrde des eigenen Sterbens
beraubt da er keine Verbindung mehr zur Wahrheit der Welt haumltte Um den rich-
tigen Tod zu sterben muumlsse der Mensch die Aletheia schauen koumlnnen Insofern ist
Heideggers Prinzip ein religioumls anmutendes Wie in der christlichen Vorstellung
der Mensch im Jenseits an seinen Taten gemessen wird um Paradies oder Fege-
feuer zu besuchen soll nach Heidegger der Mensch waumlhrend des Sterbens mit
sich selbst ins Gericht gehen Er soll sich rein machen vom Ge-Stell der Technik
und dem Seyn um nicht die einmalge Gelegenheit des richtigen Sterbevollzugs
zu versaumlumen Es winken gemaumlszlig des Gevierts die himmlischen Goumlttlichen den
irdischen Sterblichen zu wobei annehmbar ist dass Heidegger Sterblichen die
die Aletheia erkennen einen Goumlttlichkeitsstatus beimessen moumlchte ndash eine Erlouml-
sungsphantasie
Genau diese Erloumlsung waumlre die Technik nicht
Ohne den Schritt des Denkens zu wagen der unser Menschenwesen demWesen der Technik [] aussetzt wuumlrgt man sich von Fall zu Fall von Lagezu Lage durch die Zwiespaumlltigkeiten hindurch Und genau durch dieses Ge-wuumlrge versaumlumt man die Moumlglichkeit dessen was man im Grunde erstrebtdie Technik durch menschliches Tun zu meistern und menschenwuumlrdig zulenken193
190 Vgl GA 79 S 55191 GA 79 S 55192 GA 79 S 56 Weil Heidegger im Judentum die Verantwortlichen fuumlr das Geraffe des Ge-Stells
sieht macht er sie gleichsam verantwortlich fuumlr die bdquoSelbstvernichtungldquo Die Seinsverges-senheit im Tode wird dadurch zum Spin-off der vermeintlich juumldisch erzeugten da machen-schaftlichen KZ-Maschinerie (Vgl GA 97 S 20f)
193 GA 79 S 59
45
Trost und Richtung findet Heidegger schlieszliglich abermals bei den alten Griechen
Das Wort stellenlsquo entspricht dem griechischen ϑέσις vorausgesetzt daszlig wirϑέσις griechisch denken Was heiszligt in diesem Falle griechisch denkenlsquo Esheiszligt darauf achten welche Lichtung desWesens des Seyns in welcherWeisedas Dasein der alten Griechen in den Anspruch genommen hat heiszligt imvoraus bedenken in welchem Geschick welcher Unverborgenheit des Seinsdie Griechen standenldquo194
Das sind Vorstellungen des Neuen Anfangs eine Reminiszenz der griechisch anti-
ken Welt Ein Eintrag aus den Schwarzen Heften von etwa 1945-47 () verdichtet
wie oben bereits aufgezeigt die Phantasie griechisch zu sein zu einem gelingenden
Lebensvollzug
Das reine Wesen des Griechentums dh das Seiende inmitten dessen dieGriechen als seiende fremd gewesen dieses und sie selbst und der Bezug desSeins zu ihnen ndash in der einfachen Wesung von der ἀλήθεια her zeigen underfahren Den μῦθος und λόγος ndash jedes Wort und Gebild rein aber nichterzwungen und schematisch-pedant ndash aus ἀλήθεια erfahren195
Hier zeigt sich auch dass Heidegger per se das Aletheia-Prinzip fuumlr notwendig
hielt um ins Licht der Wahrheit zu blicken Die Griechen sind ihm hier deshalb
Vorbild und rein da sie keiner modernen Technik und dem Ge-Stell ausgesetzt
waren sondern lediglich eine mythopoetische Verbindung zum Sein herstellen
mussten um wesentlich zu sein und Seinsgeschichte zu schreiben Die Dinge und
das Spiegel-Spiel des Gevierts waumlren ihnen geschickt zuhanden gewesen196 Hei-
degger macht schlieszliglich sehr deutlich dass das Griechische zu denken ein bei
weitem anderes Geschaumlft sei als philologische Praumlzision
Ein Echo zu sein naumlmlich dem Anspruch des Seins verlangt eine Sorgfaltder Sprache von der freilich der technisch-terminologische Sprachstil derWissenschaften uumlberhaupt nichts wissen kann Die Intentionalitaumlt der wis-senschaftlichen Sprache ist der staumlrkste Beweis fuumlr ihre Boden- und Heimat-losigkeit [] Das Heimische einer hohen Sprache gedeiht nur im Bereichdes unheimlichen Anspruchs der wesenhaften Stille im Wesen des Seyns197
194 GA 79 S 62f195 GA 97 S 20196 Hingegen waumlre das Judentum verantwortlich fuumlr das Ge-Stell fuumlr das Prinzip der Zerstoumlrung
wie es auf der selben Seite der Schwarzen Hefte darunter heiszligt (vgl ebd)197 GA 79 S 66 Die Bedeutung von Seyn als verstelltes Sein oder Bedingung zum Schauen
des wahren Seins ist verwirrend Einer genaueren Analyse wird aus Platzgruumlnden hier nichtnachgegangen
46
324 Die Kehrelsquo
Der letzte Vortrag ist mit nur neun Seiten der Kuumlrzeste des Vortragsgevierts
Nach dem Verlust des Dinges als Ding und der damit einsetzenden Abstandslosig-
keit als Wesen des Ge-Stells wobei die Gefahr zudem der Vergessenheit des Seyns
nachstellt bietet Heidegger eine Perspektive an
Im Wesen der Gefahr verbirgt sich [] die Moumlglichkeit einer Kehre in derdie Vergessenheit des Wesens des Seins sich so wendet daszlig mit dieser Kehredie Wahrheit des Wesens des Seyns in das Seiende eigens einkehrt198
Diese Moumlglichkeit bedeute nicht dass der Mensch sich der Gefahr selbst stellen
koumlnnte sie waumlre passiv ndash bdquoverbirgt sichldquo Die Kehre werde sich ereignen aumlhnlich
einer Erwartung an den Messias
Die Anwesenheit der Gefahr wuumlrde automatisch die Rettung bergen Denn
Houmllderlin haumltte geschrieben bdquoWo aber Gefahr ist waumlchst [d]as Rettende auchlsquoldquo199
Etwa 1945 notiert Heidegger in seine Schwarzen Hefte bdquoDie Wahrheit erfahren
wir im Gedaumlchtnis Das Gedaumlchtnis ist die Dichtungldquo200 (so) Von dieser War-
te aus ausgestattet mit Erinnerungen an das abendlaumlndische Dichten mit dem
Wissen um das Aletheia-Prinzip und passiv als denkender Huumlter des Seyns solle
der Mensch das Ereignis erwarten das ihn bdquoloumlsen freimachen freyen schonen
bergen in die Hut nehmen wahrenldquo201 wuumlrde (siehe S 43)
Dieses Ereignis waumlre der Blitz Ein unvermittelter jaumlher ploumltzlicher Moment
von kurzer Dauer der bloszlig einen ebenso kurzen Blick auf das wahre Wesen er-
lauben wuumlrde Abschlieszligend ist dies das Rezept gegen die Bestands bestellende
Technik in mythopoetischer Formulierung
So entsprechend ist der Mensch geeignet daszlig er im gewahrten Element vonWelt als der Sterbliche dem Goumlttlichen entgegenblickt Anders nicht dennauch der Gott ist wenn er ist ein Seiender steht als Seiender im Seyn unddessen Wesen das sich aus dem Welten von Welt ereignet202
198 GA 79 S 71199 GA 79 S 72200 GA 97 S 52f201 GA 79 S 72202 GA 79 S 76
47
Wenn Heidegger im Anschluss von der bdquohistorisch-technischen Darstellungldquo re-
det so ist dies die Abwehr der Wissenschaften (auch der Philosophie203) und ein
Appell an die Antirationalitaumlt des Mythos bdquokein historisches Vorstellen der Ge-
schichte als Geschehen bringt in den schicklichen Bezug zum Geschickldquo204
Damit das Blitzen erfahren werde als kurze Wesensschau der Aletheia muumlsse
dem wahren abendlaumlndischen und heimatlichen Ereignis stattgegeben werden Es
sollte nicht wie er 1939 schon in den Schwarzen Heften beschreibt das
kuumlnstliche Licht von Historie und Technik in der weder Mensch noch dieGoumltter weder eineWelt noch die Erde sichtbar werden koumlnnen wo aber dasLebenlsquo von allen den immer noch zu wenigen Meistenlsquo erlebtlsquo wird205
Damit schlieszligt der letzte Vortrag mit einer Erwartung an das Ereignis des Blit-
zens nicht das Erleben der Besinnungslosigkeit (vgl Das Ge-Stelllsquo) Schon 1947
traumlumt Heidegger von solcher Umkehr
Aus der Kehre der Seynsvergessenheit aber ereignet sich das Unumgaumlnglicheden Acker der Welt erst zu pfluumlgen und saatbereit der Sonne und dem Regenund den Voumlgeln des Himmels uumlberlassen206
203 Denn ldquo[e]igentlich denken heiszligt [] die Philosophie verlassen [] beim Sagen des Seinslsquoldquo(GA 97 S 60)
204 Ebd205 GA 95 S 427 Gegen das Erlebnis und Erleben straumlubt sich Heidegger besonders So notiert
er etwa 1939 bdquoZeitalter der Techniklsquo macht gerade die Techniklsquo nicht zum Ziel sondernimmer mehr zum Mittel der besinnungslosen Berechnung [] der Mensch [] das Erleb-nislsquo [] Erleben als der Gefuumlhlsgenuszligldquo (GA 95 S 149) Wie auch bdquoWo beide Historie undTechnik in solcher scheinbaren Gegensaumltzlichkeit verkoppelt sind koumlnnen sie sich zur Foumlr-derung dessen zusammenschlieszligen was einstmals wesentlich die Geschichte des Menschenmitbegruumlndete und was wir die Kunstlsquo nennen Die Historie verschafft [] Anregungenund Vorbilder der Nachahmung die Technik erleichtert [] die Zustellung von Darstel-lungsmitteln und Wirkungsformen [] Gleichwohl ist alles wurzellos [] berechnet und alsErlebnislsquo ausgegebenldquo (GA 95 S 212)
206 GA 97 S 511
48
4 Konklusion
Der umstrittene Philosoph Martin Heidegger hat uumlber die 1930erndash40er Jahre
hinweg eine ausgepraumlgte voumllkisch-nationale und bisweilen radikal-antisemitische
Denkweise entwickelt Dieses Denken fasste er auch auf als Besinnung und stellt
es der Philosophie und Wissenschaft diametral entgegen In Kapitel 2 wird aufge-
zeigt dass sowohl Heideggers Mythologie bereits kritisiert wurde (Adorno Cassi-
rer Meyer) als auch seine Mythopoetik bewundert (Schulz-Nieswandt) Kapitel
3 will daruumlber hinaus aufzeigen wie Heidegger eine eigene Mythologie mytho-
poetisch fruchtbar macht was sich von beiden vorigen Ansaumltzen unterscheidet
und erst mit der Veroumlffentlichung der Schwarzen Hefte ab 2014 nachvollziehbar
wurde
Umso mehr bietet die mythopoetische Verbindung von bdquoDichten und Den-
kenldquo (so) einen antitechnischen Gegenpol Denn Heidegger fasst wie oben ge-
schildert alles Rationale auf als berechnende Bestellung des Bestands im Sinne
der Technik Daruumlber hinaus fordert er mit dem Aletheia-Prinzip (als metapho-
risch gefasstes Ereignis des Blitzens) einen Mitvollzug seiner mythopoetischen
Kontemplation in dem religioumlse voumllkische antike und sprachliche Motive zu-
sammenfallen
Obwohl schon von Heidegger selbst nicht mehr als Philosophie betrachtet
hat seine Rede vom Ding dem Ge-Stell dem Wesen der Technik und der Kehre
noch immer einen bedeutenden Einfluss auf die Technikphilosophie So betont
Alfred Nordmann in bdquoWerkwissen oder How to express things in worksldquo (2008)
dass Heidegger mit Das Dinglsquo eine Art Dingwissen geschaffen haumltte In seinem
2012 erschienenen Aufsatz Another parting of the ways Intersubjectivity and the
objectivity of sciencersquo207 geht Nordmann ein weiteres Mal auf Heideggers Ding
ein Dieses waumlre eine Abarbeitung an dem Ding Kants womit auch Nordmann
Heidegger als einen Interpreten Kants versteht208 Anschlieszligend anMichael Fried-
207 Nordmann Alfred Another parting of the ways Intersubjectivity and the objectivity ofscience In Studies in History and Philosophy of Science 43 (2012) 38ndash46
208 Die Auseinandersetzung mit dem Ding wuumlrde nach Nordmann in Heideggers GA mit demText Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalen Grundsaumltzenlsquoeinsetzen (GA 41 Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalenGrundsaumltzen)
49
man spricht sich Nordmann ebenso dafuumlr aus dass Heidegger neben Rudolf Car-
nap und Ernst Cassirer eine neokantianische Philosophie verfolgt haumltte (siehe
Kap 1)209
Nach Nordmann haumltte Heidegger in seinen anschlieszligenden Gedanken uumlber
das Ding als Fortfuumlhrung Kants als erster Wissenschaft als angewandte Techno-
logie verstanden210 Diese Interpretation stuumltzt sich auf die gleichen Symbole
Metaphern und Mythen die die vorliegende Arbeit analysiert Das Ge-Stell ist
insofern aumlquivok mit dem Begriff techno-science Jedoch sind in dieser Fruchtbar-
machung von Heideggers Denken der Technik dessen nationalistischen rassisti-
schen und antisemitischen Implikationen die die vorliegende Arbeit als Zentrum
dessen Philosophie ermitteln konnte noch nicht beachtet worden koumlnnen211
Andreas Luckner webt Heideggers Ding-Entwurf weiter als verantwortliches
Sorgen um die Dinge212 Er geht dabei mit Heidegger voumlllig konform und tritt
eher als eine Art Bote der Ding-Botschaft auf als diese moumlglicherweise zu kriti-
sieren was sich diesen Artikel wie ein Kapitel aus einem Studienbuch lesen laumlsst
Der Darmstaumldter Technikphilosoph Christoph Hubig ist vor allem Kritiker Hei-
deggers Argumentationen laumlsst aber zuweilen diverse Topoi aus dem Werk des
Technik-Denkers durchscheinen ohne sie weiter zu reflektieren
So konstatiert Hubig Heidegger verfehle in dessen Auseinandersetzung mit
Aristoteles Lehre von der Poiesis zum Punkt der Sicherung wie sie in Die Frage
nach der Techniklsquo behandelt wird bdquodie operative Seite des Technischenldquo bei Aris-
totels213 In einem spaumlteren Aufsatz allerdings stuumltzt er sich ohne weitere Erlaumlute-
rungen auf Heideggers Begriff der Sicherung aus Die Frage nach der Techniklsquo214
209 Diese Befriedung paradigmatischer Umstaumlnde wird hier nicht geteilt Eine weitere Bearbeitunglaumlsst der Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht zu
210 Vgl Nordmann Another parting of the ways S 45211 Der Aussage dass Heideggers Ding-Begriff kantianisch waumlre muumlsste einer gezielten Untersu-
chung unterzogen werden genau wie die Behauptung insgesamt dass Heidegger oder inwie-weit dieser noch der suumlddeutschen Kantschule des 1920 Jahrhunderts angehoumlrte
212 Vgl Luckner Andreas Ding und Bestand Heidegger und das Wesen neuzeitlicher TechnikIn Gamm G Gehring P Hubig C Kaminski A und Nordmann A Ding und SystemS 15-30 hier S 29
213 Hubig Christoph Die Kunst des Moumlglichen Technikphilosophie als Reflexion der MedialitaumltBielefeld 2006 S 103
214 Vgl Hubig Christoph Technik als Medium In Grundwald Armin (Hg) Handbuch Tech-nikethik Stuttgart 2013 S 118-123 hier S 118
50
Dabei versteht Hubig Heideggers Betrachtungen zum Umgang mit der Technik
als gelassen
Fuumlr Heidegger liegt die Andersheit im Entbergen einer Wahrheit des Seinseines Geschicks von dem die Entwicklung der Technik hin zum Gestellkuumlnde Er verbindet dies mit dem Appell jenseits des rechnenden und si-chernden Vorstellens technischer Vollzuumlge als handlungsleitender Program-me sich gelassenlsquo dieser Entwicklung zu uumlberantworten und ein Seinlsquo zuhuumlten das sich als solches eben entbirgt Das Rettendelsquo dieser Einsicht lie-ge darin dass unsere individuelle Endlichkeit insofern transzendiert wirdals sie sich dem sie uumlbersteigenden Prozess aufschlieszligt und sich selbst relati-viert215
Wovon in diesem Zitat nicht die Rede ist ist der Mitvollzug der mythopoe-
tischen Rahmenbedinungen die Heidegger einfordert und an dem die Konzep-
te Abendland und voumllkische Tradition haumlngen In dieser Arbeit wird davon aus-
gegangen dass Heideggers Technikphilosophie-erzaumlhlung sich nicht von seinen
Absichten der Bekaumlmpfung des Technischen loumlsen laumlsst Die Relativierung ist in-
sofern nicht an den Prozess gebunden und damit emergent auf alles hin ausge-
richtet was kommen mag sondern houmlchst konvergent in einer Besinnung auf
Mythen von dem Ding und dem Geviert mit all deren Valenzen aus dem vorlie-
genden Heideggerschen Textkorpus Die individuelle Endlichkeit ist genoumltigt die
Heimat und das Abendland zu kennen und im Aletheia-Prinzip umzusetzen
Die Neubewertung der bislang bekannten Heideggerschen Technikphiloso-
phie von vor den SchwarzenHeften ist ein dringendes Desiderat Voumllkisch-nationale
Gruppierungen erstarken momentan in ganz Europa und es koumlnnte sehr hilfreich
sein aumlhnliche Denkstrukturen aufzudecken so wie sie zwischen den 1930er und
40er Jahren entwickelt wurden Zusaumltzlich muss das Werk Heideggers einer kriti-
schen Revision schon aufgrund der niemals von ihm behandelten Antisemitismen
unterzogen werden Heidegger hat nie zu diesen Stellung bezogen
Daruumlber hinaus ist das Thema Mythos und Philosophie ein weiterhin not-
wendiger Bereich der philosophischen Forschung In einem Bereich auszligerhalb
der exakten Wissenschaften und ohne klare theologische Tradition ist die Philo-
215 Hubig Die Kunst des Moumlglichen S 140
51
sophie beides sowohl Aufklaumlrer und antimythisch als auch Quelle fuumlr mythisches
Denken und affektierende Motive
52
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Die_Heidegger-Kontroverse ndash zuletzt abgerufen am 24042016)
56
Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
Der Unterzeichner versichert dass er die vorliegende Bachelorarbeit selbststaumlndig
verfasst und keine anderen als die von ihm angegebenen Hilfsmittel benutzt hat
Die Stellen der Arbeit die anderen Werken dem Wortlaut oder dem Sinne nach
entnommen sind wurden in jedem Fall unter Angabe der Quellen (einschlieszliglich
des World Wide Web und anderer elektronischer Text- und Datensammlungen)
kenntlich gemacht Dies gilt auch fuumlr beigegebene Zeichnungen bildliche Dar-
stellungen Skizzen und dergleichen
Darmstadt 25 April 2016
__________________________
(Eigenhaumlndige Unterschrift)
- Abkuumlrzungsverzeichnis
- Danksagung
- Einleitung
- Heideggers mythopoetisches Programm
-
- Zu den Begriffen Mythos Mythologie und Mythopoetik
-
- Ein Beispiel fuumlr ein Mythologem
-
- Heideggers Mythen
-
- Formen der Mythologie
-
- Heideggers mythopoetische Technik
-
- Zur Publikationsgeschichte von den Bremer Vortraumlgen 1949
- Die mythopoetische Spiegelung der Schwarzen Hefte
-
- Das Dinglsquo
- Das Ge-Stelllsquo
- Die Gefahrlsquo
- Die Kehrelsquo
-
- Konklusion
- Literaturverzeichnis
- Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
-
iii
Abkuumlrzungsverzeichnis
Die Baumlnde der bdquoGesamtausgabeldquo Heideggers werden mit dem Sigel bdquoGAldquo und
der Bandzahl angegeben (Ausnahmen bilden sbquoDie Technik und die Kehrelsquound
sbquoVortraumlge und Aufsaumltzelsquo) Fuumlr ein Lexikon wird folgende Abkuumlrzung benutzt
RDL Reallexikon der Deutschen Literaturgeschichte
iv
Danksagung
Zu dieser zum kleinsten akademischen Grad gereichenden Arbeit moumlchte ich den
groumlszligten Dank meinen beiden Betreuern und Gutachtern Cheryce von Xylander
und Christoph Hubig aussprechen Mit groumlszligter Sorgfalt Fairness und fachlicher
Unterstuumltzung haben sie mir die Herausforderung dieser Pruumlfungsarbeit in jedem
erdenklichen Weg reichhaltig und zum Gelingen gestellt Dass Letzteres nach
einem ersten verworfenen Manuskript eintrat ist ihrer groszligen Geduld und dem
Vertrauen in mich geschuldet fuumlr die ich mich herzlich bedanken moumlchte
Fuumlr ihr besonders engagiertes Korrekturlesen und die konstruktive formale
Kritik danke ich Sarah Holschneider Ebenso bestaumlrkt darin mit dem was ich
schreibe uumlberhaupt verstanden zu werden hat mich Maleen Hanst der ich herz-
lich fuumlr ihr Lektorat danken moumlchte
Ein Geschenk von dem Filmemacher Jeffrey van Davis hat mir neue Perspek-
tiven vermittelt die aus der Literatur nicht erhaumlltlich sind Fuumlr diese Dokumen-
tation sbquoOnly A God Can Safe Uslsquo (2009) die er mir auf mein Ersuchen hin un-
vermittelt geschickt hat bin ich mehr als dankbar
Ein vielleicht ungewoumlhnlicher weil als selbstverstaumlndliche Institution angese-
hen Dank gebuumlhrt der Universitaumlts- und Landesbibliothek Darmstadt Die her-
vorragende Ausstattung Infrastruktur und 24 stuumlndige Oumlffnungszeiten werden
ermoumlglicht von einem klasse Team das in so vielfaumlltiger Weise hilfreich ist
Nicht zuletzt danke ich meinem Freund Roland Franz fuumlr die moralische Un-
terstuumltzung und seine Bestaumlrkungen in mich und meiner Familie fuumlr alles Unsag-
bare
1
1 Einleitung
Die Geschichte des deutschen Philosophen Martin Heidegger existiert beinahe
nicht ohne eine um ihn gravitierende tiefschuumlrfende Debatte Beinahe deshalb
weil es eine kurze Zeitspanne gibt in der Heidegger sowohl hohes Ansehen bei
seinen Marburger Studierenden genoss als auch steigende Anerkennung und Be-
kanntheit fuumlr seine Publikation von sbquoSein und Zeitlsquo1 (1927)
Seine Schuumllerinnen und Schuumller waren ihm ebenso an der Universitaumlt Frei-
burg zugetan Mit der Publikation von Rudolf Carnaps Aufsatz sbquoUumlberwindung
der Metaphysik durch logische Analyse der Sprachelsquo2 im Jahr 1931 allerdings ist
datierbar wie Heideggers Arbeit als Ausdruck der voumllkisch-nationalen Rechten
interpretiert zum erstenMal ins Zentrum einer Debatte geriet die bis heute seine
gesamte Philosophie auf den Pruumlfstand stellt3
Es blieben nur wenige Philosophen die nach dem Ende der Weimarer Repu-
blik im Deutschen Reich der NSDAP leben und wirken durften4 Der Bekann-
teste von ihnen ist Martin Heidegger Michael Friedman sieht ihn deswegen als
das Bindeglied der nachkantianischen Tradition deutscher Philosophie mit der
Postmoderne5
1 GA 22 Carnap Rudolph Uumlberwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache in Zs
Erkenntnis 2 Berlin 193132 S 219-2413 Vgl Galison Peter AufbauBauhaus Logischer Positivismus und architektonischer Moder-
nismus In Deutsche Zeitschrift fuumlr Philosophie 43 (1995) Heft 4 S 653-685 hier S 710Diese Aussage beruht auf einer hier nicht von selbst erschlieszligenden Interpetration die sich
aus der Lektuumlre von Peter Galisons Aufsatz sbquoAufbauBauhaus Logical Positivism and Archi-tectural Modernismlsquo (1990) ergibt Galison schildert dort auf Seite 710 wie Carnap undNeurath sich auf Seiten der Wissenschaftsphilosophie im Sinne des Logischen Positivsimusmit dem Bauhaus verbunden fuumlhlten Er nennt diese Koalition bdquotransparente KonstruktionldquoDiese Form des Bauens und Philosophierens haumltte den selben Feinden gegenuumlber gestanden ndashbdquothe religious right nationalist anthroposophists voumllkisch and Nazi opponentsldquo CarnapsAufsatz sbquoUumlberwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprachelsquo selbst haumllt sichpolitisch auffaumlllig zuruumlck Die Bedeutung Carnaps im Heidegger-Streit ist ferner eine interes-sante Frage die aber den Bereich der vorliegenden Arbeit uumlberschreitetDas Buch sbquoCarnap Heidegger Cassirer Geteilte Wegelsquo (2004) von dem US amerikani-
schen Philosophen Michael Friedman schlaumlgt dazu versoumlhnliche Toumlne an indem er alle dreials unterschiedliche Interpreten Kants versteht In der vorliegenden Arbeit aber ist ausschlag-gebend dass Carnap und Cassirer ins US-Exil flohen waumlhrend Heidegger ein Konzept desdeutsch-voumllkischen Denkens entwickelte
4 Vgl Dahms Hans Philosophie In Frank-Rutger Hausmann (Hg) Die Rolle der Geisteswis-senschaften im Dritten Reich 1933ndash1945 Muumlnchen 2002 S 193-228
5 Friedman Michael Carnap Cassirer Heidegger Geteilte Wege Frankfurt am Main 2004 S13 u 162
2
Von 1933 an war Heidegger Mitglied der NSDAP und mit der Einrichtung
des Fuumlhrer-Rektors zu dem er auch 1933 gewaumlhlt wurde als voumllkisch-nationaler
Rechter nicht mehr in Frage zu stellen Die philosophischen Differenzen waumlhrend
der Diktatur waren weniger von einer fachlichen Auseinandersetzung gepraumlgt als
denn der Erziehung des Volks und eines geistigen Uumlberbaus der Nazis geschul-
det6 Eine direkte Auseinandersetzung mit seinen Kritikern des mittlerweile ge-
flohenen Wiener Kreises hatte es nicht gegeben
Auf Umwegen wurde Jean-Paul Sartre zum ersten Heidegger-Apologeten je-
doch nicht gegenuumlber Carnap oder demWiener Kreis sondern gegen die franzoumlsi-
sche Linke Diese hatte sich aufgrund der offensichtlichen Faktenlage mit Heideg-
ger als Fuumlhrerrektor uumlber die Existenzphilosophie Sartres empoumlrt die Heideggers
Werk rezipiert Sartres Entgegenhalten enthaumllt den Kern der Frage wie Philoso-
phie und Autorschaft im Verhaumlltnis stehen
Was zaumlhlt schon Heidegger Wenn wir unser eigenes Denken anlaumlszliglich des-sen eines anderen Philosophen entdecken wenn wir bei diesem Technikenund Methoden suchen die uns zu neuen Problemen Zugang verschaffenkoumlnnen heiszligt das dann daszlig wir alle seine Theorien teilen Marx hat sei-ne Dialektik von Hegel uumlbernommen Sagen Sie deshalb sbquoDas Kapitallsquo seiein preuszligisches Werk7
Nach Ende des Krieges wurde Heidegger im Zuge der Entnazifizierung die
Lehrerlaubnis entzogen Die Debatte um seine Einstellung zum Nationalsozialis-
mus war ihm selbst zu dieser Zeit am unmittelbarsten denn seine Befugnisse wur-
den darin verhandelt Jean-Paul Sartre war unterdessen interessiert am Dialog mit
Heidegger und Jean Beaufret wandte sich brieflich an ihn Diese Auseinanderset-
zung uumlber den Humanismus angestoszligen von Sartres Essay sbquoLrsquoexistentialisme est
un humanismelsquo8 (1946) bindet die franzoumlsischen Philosophen an den deutschen
6 Vgl Dahms Hans-Joachim Philosophie In Elvert Juumlrgen und Nilson-Sikora Juumlrgen (Hg)Kulturwissenschaften und Nationalsozialismus Stuttgart 2008 S 19-51
7 Sartre Jean-Paul Zum Existenztalismus ndash eine Klarstellung In Der Existenzialismus istein Humanismus und andere philosophische Essays 1943ndash1948 Philosophische Schriften IFrankfurt am Main 1994 S 114Das Zitat wird auch herangezogen im Kopfteil einer Wikipedia Ab-
handlung uumlber die bdquoHeidegger-Kontroverseldquo (httpsdewikipediaorgwikiMartin_Heidegger_und_der_NationalsozialismusDie_Heidegger-Kontroverse ndash zuletztabgerufen am 24042016)
8 Sartre Jean-Paul Lrsquoexistentialisme est un humanisme Editions Nagel Paris 1946
3
Kollegen der seinen sbquoBrief uumlber den Humanismuslsquo9 (1947) beisteuerte Dieser bi-
laterale Briefwechsel wie auch die konspirativen Vortraumlge im privaten Club zu
Bremen im Jahr 1949 denen Heideggers spaumlte Technikphilosophie entspringt
trugen zu einer Rehabilitierung bei Ab 1951 wurde Heidegger emeritiert wo-
durch er wieder in Freiburg lehren durfte
Diese Arbeit untersucht inwiefern Heideggers Technikdenken in den Bremer
Vortraumlgen (1949) von seinen seit 2014 vorliegenden sogenannten Schwarzen Hef-
ten (1931-1948 GA 94 ndash 97) Heideggers Notizbuumlchern zehren Diese sind die
wichtigste Quelle zum Nachvollzug seiner Gedanken zum Nationalsozialismus
und Rassismus geworden Die vielen Spekulationen um Heideggers menschliche
Defizite und deren Eingeschriebensein in seine Philosophie finden seitdem eine
handfeste Grundlage
Insofern wird der Frage nachgegangen ob und wie ein Programm anhand der
Schwarzen Hefte vorliegt das sich auf Heideggers Technikdenken niederschlaumlgt
Dazu wird davon ausgegangen dass Heidegger sich in eine Denkweise des My-
thologisierens begeben hatte die sich in den Schwarzen Heften manifestierte
Das untersucht Kapitel 2 Kapitel 3 untersucht wie die moumlgliche Mythologie der
Schwarzen Hefte mit dem ersten Vortrag seit Beendigung des Zweiten Weltkriegs
zusammen haumlngt
9 GA 9
4
2 Heideggers mythopoetisches
Programm
In diesem Kapitel wird die These aufgestellt dass Heidegger in den Schwarzen
Heften von 1931ndash1948 sich selbst eine Mythologie anlegt derer er sich in Veroumlf-
fentlichungen mythopoetisch bedient Die Mythopoetik aus seinen mythologi-
schen Annahmen bestimmt aber auch weite Teile seiner intimen Schriften (Denk-
tagebuumlcher) also die Schwarzen Hefte selbst Dh dass Heidegger sich seine ei-
gens gesetzte Mythologie aus fruumlheren Jahren als permanentes Zentrum seines
Philosophierens oder Nachdenkens fortschreibt und mit spaumlteren Gedanken zum
Zeitgeschehen aktualisiert Gerade diese Kohaumlrenz mit der er an seiner
Der Begriff der Mythologie und ferner der des Mythos bieten eine Vielzahl
von Moumlglichkeiten der Bestimmungen und Interpretationen Aus diesem Grund
ist der weiteren Erlaumluterung der These eines mythopoetischen Programms eine Be-
griffseingrenzung vorangestellt10 Genauso wird eine Erlaumluterung des Begriffs der
Mythopoetik dargelegt werden um darauf aufbauend Heideggers Vorstellungen
aus den Schwarzen Heften aufzudecken
21 Zu den Begriffen Mythos Mythologie
und Mythopoetik
Zur Bestimmung von Heideggers Vorstellungen als mythopoetisches Programm
werden die drei Begriffe Mythos Mythologie und Mythopoetik hier einer einfa-
chen lexikalischen Definition zugrunde gelegt Diese orientiert sich maszliggeblich
am Reallexikon der Deutschen Literaturgeschichtelsquo (RDL) das eine fachwissen-
schaftliche (philologische) Seriositaumlt besitzt die gefragten Begriffe aber auch kom-
pakt und uumlberschaubar abhandelt11
10 Eine fuumlr dieses Thema hervorragende Reflexion des Mythos-Begriffes bietet sich in Ernst Cas-sirers Der Mythus des Staateslsquo an Auf diesen Titel wird allerdings erst spaumlter eingegangenwerden um mit der Begriffseingrenzung nicht einen Cassirerrsquoschen uumlberbau zu erstellen
11 Die Eintraumlge des RDL werden hier bereits nur sehr sparsam verwendet bieten sie jedochweitaus reichhaltigere Reflexionen zu den drei gefragten Begriffen Trotz der faszinierenden
5
Insofern legt das RDL den Mythos uumlber die bdquoForm eines vorrationalen Wis-
sensldquo hinaus so aus
Mythos2 bezeichnet ein ndash oft einem vermeintlich wissenschaftlicheren lo-goslsquo als mythisches Denkenlsquo entgegengesetztes ndashWeltverhaumlltnis uumlber dessenEigenschaften [] immer wieder neu spekuliert wird und das man ua ausdem Mythos1 zu erschlieszligen sucht12
Zur Wortgeschichte erklaumlrt das RDL ferner dass im Fortschritt der bdquoFachschrift-
stellereildquo Mythos und Logos als Spannungsverhaumlltnis hervorzutreten beginnen
mit demmyacutetos als bdquoAusdruck fuumlr Erdichtetes oder Erfundenesldquo und logos bdquoals ver-
antwortende Redeldquo Mit der im RDL sogenannten bdquoFachschriftstellereildquo muss be-
reits die griechische Antike gemeint sein wenn es in der Begriffsgeschichte heiszligt
bdquo[i]n der antiken Geschichtsschreibung und Philosophie wird der Begriff fast im-
mer ex negativo im Hinblick auf das Nicht-Wissenschaftliche verwendetldquo13
Der Begriff Mythologie wird hauptsaumlchlich unterschieden in 1) eine bdquoZusam-
menstellung der Mythen einer bestimmten Kulturldquo und 2) deren bdquoErforschung
und theoretische Reflexionldquo14 Als Drittes kann die Zusammenstellung von hy-
postasierten poetischen oder heroisierenden Elementen als Mythologie aufgefasst
werden So sagt Adorno uumlber die deutschen Existentialisten dass sie bdquoin der ab-
soluten Verfuumlgung des Einzelnen uumlber sich [] soldatischldquolsquo an der bdquoBindung an
den Befehlldquolsquo15 hingen Sprecher solcherlei bdquoExistenz bewegen sich auf heroisie-
rende Mythologie zuldquo16 Insofern kann als Mythologie gelten was sich als solche
gebiert Er bindet dieses Mythologisieren in seinen Topos des bdquoJargons der Eigent-
lichkeitldquo ein der hauptsaumlchlich Heideggers eigenwilligem Sprachverhaumlltnis gewid-
Begriffsgeschichten von Mythos und Mythologie soll zugunsten der hier verhandelten The-se auf tiefergehende Reflexionen verzichtet werden Das Material dazu ist weiterhin uumlberdas RDL hinaus sehr umfangreich Dennoch wird davon ausgegangen dass der hier gewaumlhl-te Bedeutungsumfang der Begriffe dem Verstaumlndnis hinsichtlich der These von Heideggersmythopoetischen Programm genuumlgen wird
12 RDL S 665 Da das RDL in seiner Explikation von drei verschiedenen Bedeutungsdimensio-nen spricht wird in der zitierten 2 auf die 1 refereriert welche lautet ldquoMythos1 meint dieerzaumlhlende Darstellung von kollektiv bedeutsamen Orten und Figuren oder Naturphaumlnome-nen in aller Regel mit religioumlser oder kultischer Dimensionldquo (Ebd S 664)
13 RDL S 66514 RDL S 66015 Adorno Theodor W Jargon der Eigentlichkeit Zur deutschen Ideologie Frankfurt am Main
1964 S 10716 Ebd S 108
6
met ist Was Adorno als Abwehr gegen Heidegger und die deutschen Ideologen
der Moderne anfuumlhrt kann nicht in gleicher Weise auf die Romantiker fallen
Im 19 Jahrhundert fanden bei denen auch Bestrebungen statt Mythologie als
wissenschaftliche Wahrheitsfindung zu betreiben Mythologie ist dort bdquoSprache
der Phantasielsquo die jedoch auch Spuren der aumlltesten Geschichte enthalte und da-
durch deren Allegorisierung verhindereldquo17 Der Unterschied zwischen beliebiger
Allegorie und verbindlicher Mythologisierung liegt demzufolge im Rekurs auf die
bdquoaumllteste Geschichteldquo Der Antikestoff befluumlgelte Schriftsteller wie Philosophen zu
poetologischen und philosophischen Doktrinen die die bloszlige Zusammenstellung
von tradiertenMythen sprengten und ein progressives Mythologisieren forderten
Dieses Zusammenspiel fand seinen Houmlhepunkt im bdquoSystemprogrammldquo
[E]ine neue Mythologie der Vernunftlsquo welche den Gegensatz zwischendem Volk und einer philosophischen Elite aufloumlsen und eine allgemeineFreiheit und Gleichheit der Geisterlsquo verwirklichen sollte18
Daran beteiligt waren Friedrich Schlegel Hegel und Houmllderlin Bei den aus-
gepraumlgten Houmllderlinkenntnissen Heideggers kann von dessen Kenntnis des bdquoSys-
temprogrammsldquo ausgegangen werden auch wenn er dessen noblen Ziele nicht zu
beerben gedachte Gerade fuumlr Schelling jedoch bdquoist Mythologie das Mittelglied der
Ruumlckkehr der Wissenschaft zur Poesieldquo19 Es ist genau diese Aufwertung des Au-
tors aus einer Synthese von Kunst und dem Prozess ihrer archaischen Ruumlckfuumlh-
rung die Heidegger als Wahrheitsquelle vorphantasiert Er geht bei dieser My-
thologisierung so weit von der Errettung durch die Goumltter zu traumlumen wobei
er auf Houmllderlin als Mittlerfigur rekuriert der sich wiederum auf die Vorstellung
von Goumlttern der griechischen Antike bezieht Das ist ein Teil von Heideggers
voumllkischer Mythologie die eine reine Linie des Denkadels nachzeichnen will
Werden wir einen wirklichen geistigen Adel schaffen der stark genug ist dieUumlberlieferung des Deutschen aus einer groszligen Zukunft zu gestalten20
17 RDL 66218 RDL S 66319 Ebd20 GA 94 S 121
7
bdquoAus einer groszligen Zukunftldquo ist hierbei bezeichnend fuumlr die Vorstellung eines
Versprechens aus der Vergangenheit Das macht diesen Mythos aus Heideggers
Mythologie
Mythopoetische Texte schlieszliglich werden definiert als
Literarische Werke die Mythen aufnehmen und auf eine fuumlr die Textaussagekonstitutive Weise dichterisch bearbeiten21
Die Besonderheit von der bei der vorliegenden Arbeit ausgegangen wird ist dass
Heidegger in seinen echten Publikationen wobei hier besonders die Vortraumlge von
1949 von Interesse sind nicht bloszlig mythologisierte im Sinne eines bdquoerweiterten
Mythosldquo Sondern er schreibt als Mythopoet schoumlpfend aus seiner privaten My-
thologie Diese legte er sich selbst zu Grunde in den Schwarzen Heften Es sind die
Manifestationen seines Glaubens an romantisierte Antikeideale und seine Uumlber-
houmlhungen von Fantasien von einem deutschen Volk
Wie das Metzler Literaturlexikon es bereits aufweist bdquoDie weitere Explikation
des M-Begriffs ist komplex und faumlllt in die Zustaumlndigkeit verschiedener Diszipli-
nenldquo22 Die Begriffseingrenzung hier hat allerdings in Bezug auf das RDL einen
deutlich literaturwissenschaftlichen Bezug da Heidegger eine bdquoPartnerschaft zwi-
schen Denken u Dichtenldquo23 anstrebte ndash bdquoDas Dichterischelsquo sollte rettende Wege
im Zeitalter des universalen technolog Zugriffs findenldquo24 Damit ist auch zum
wiederholten Male das Kontrastierende in dieser Haltung genannt ob sich der
Mythos nun gegen das TechnischeWissenschaftliche richtet (Heidegger) oder ge-
21 RDL S 66522 Metzler Lexikon der Literatur S 524 Ferner deutet ein Eintrag im Neuen Pauly dar-
auf hin bdquoEine alle Disziplinen befriedigende Definition von M (μῦθοςmyacutethos latmythos) zu finden erweist sich trotz vieler Versuche als unmoumlglichldquo (Graf Fritz(Princeton) Zgoll Annette (Leipzig) Hazenbos Joost (Leipzig) Niehr Herbert (Tuuml-bingen) Mythoslsquo Der Neue Pauly Hg v Cancik Hubert (Antike) und Schnei-der Helmuth Landfester Manfred (Rezeptions- und Wissenschaftsgeschichte) Brill On-line 2015 Reference Universitaumlts- und Landesbibliothek Darmstadt 06 December2015 httpreferenceworksbrillonlinecomentriesder-neue-paulymythos-e815160 Firstappeared on-line 2006)
23 Poumlggeler Otto Heidegger In Killy Literaturlexikon Autoren und Werke des deutschspra-chigen Kulturraums 15 Bde 1988-93 Bd 5 S 142-146 hier S 144
24 Ebd S 142
8
gen die Rationalitaumlt (Cassirer) er hat stets bdquodas erklaumlrte Andere des logischen
Erkennensldquo25 inne26
211 Ein Beispiel fuumlr ein Mythologem
bdquoDen μῦθος und λόγος [] aus ἀλήθεια erfahrenldquo27 Dieses System entruumlckt
Wort und Rede dem zwischenmenschlichen Sprachgebrauch und uumlberlaumlsst es dem
Prinzip eines eigenwillig ausgelegten Begriffs der ἀλήθεια ob etwas als Ereignis
zum Sein gereicht oder als Dasein hinfaumlllig ist Die erstrebenswerte Identifikation
mit dem bdquoLeben der Gemeinschaft und mit dem Leben der Naturldquo28 die der ge-
meinsame Austausch uumlber Mythen bieten soll zB im Raumlsonieren daruumlber (etwa
im Sinne des Logos) untersteht hier dem regelnden Prinzip einer Aletheia Mys-
thagogisch will Heidegger den archetypischen Akt dieser Wesensschau beim anti-
ken Griechenvolk enthuumlllen (vgl Kapitel 323) Damit ist die Zusammenstellung
von bdquoμῦθος und λόγος [] aus ἀλήθεια erfahrenldquo bereits ein Mythos seiner
Mythologie
Die Eigenwilligkeit mit der Heidegger einen Mix aus philologischer Hinwen-
dung zu den Vorsokratikern der Dichtung Houmllderlins und einem Pathos seiner
Heimatverbundenheit verquickt ist Adorno schon in den 1960ern als Mythologie
aufgefallen bdquoAntisophistik im Endstadium aufbereiteter Mythologie ist verhaumlrte-
tes Ursprungsdenkenldquo29 Adorno konnte nicht ahnen wie tief Heidegger seinen
Wunsch nach Ursprung in sein Denken verschlossen hat Der Bestand bdquoaufbe-
25 Erdbeer Robert Matthias Graf Fritz Mythoslsquo Der Neue Pauly Herausgegeben vonHubert Cancik Helmuth Schneider (Antike) Manfred Landfester (Rezeptions- und Wis-senschaftsgeschichte) Brill Online 2015 Reference Universitaumlts- und LandesbibliothekDarmstadt 06 December 2015 lthttpreferenceworksbrillonlinecomentriesder-neue-paulymythos-rwg-e1505640gt First appeared online 2006
26 Ernst Cassirer interpretiert in diesem Bezug ferner nachdem er den Konflikt zwischen ra-tionalem und mythischem Denken als Machtkonflikt aufwies Kants Annahme von zweibdquoGruppen von Gelehrten und Forschern die eine befolgt das Prinzip der Homogenitaumltlsquo dieandere das der Spezifikationlsquo [] Nach den Prinzipien der Kantischen Philosophie selbststehen beide Haltungen nicht wirklich im Widerstreit miteinander Denn sie druumlcken keinefundamentale ontologische Differenz aus keine Differenz in der Natur und dem Wesen derDinge an sichlsquo Sie repraumlsentieren eher ein doppeltes Interesse des menschlichen Verstandesldquo(Cassirer S 12) Allerdings ist Heidegger anti-wissenschaftlich Sein Ringen um das Mythi-sieren verfolgt das Ziel einer gegenwissenschaftlichen bdquoBesinnungldquo wie er es nennt
27 GA 97 S2028 Cassirer Der Mythus des Staates S 5329 Adorno Jargon der Eigentlichkeit S 41
9
reiteter Mythologieldquo liegt erst seit 2014 mit der Veroumlffentlichung der Schwarzen
Hefte vor
22 Heideggers Mythen
Heideggers Mythen sind weder eine Fortsetzung antiker Uumlberlieferungen noch
ein von ihm entwickeltes Fabulieren uumlber anthropomorphe Goumltter und ihre Ent-
stehungsgeschichten Es ist in erster Linie eine eigenwillige Philologie des Alt-
griechischen wenn er zB in bdquogeschichtlicher Besinnungldquo zum Zuruumlckgehen bdquoauf
den Zusammenhang von τέχνη ἀλήθεια und οὐσίαldquo30 auffordert Adorno cha-
rakterisiert seinen Begriff vom Jargon der Eigentlichkeitlsquo mit dem Zug der sta-
tischen Inbeschlagnahme einzelner Woumlrter die sich bdquodurch die Konstellation die
sie verleugnenldquo aus demDiskurs sprengten und als Apotheosen eine uumlbertriebene
Eigenbedeutung erhalten wuumlrden Diese guerrillaartige Umdeutung von Sprache
versteht Adorno als Asyl des Faschismus31
Was das singulaumlre Wort an Magie verlor wird ihm gleichwie durch Maszlignah-men dirigistisch angeschafft [] Bestandstuumlcke der empirischen Sprachewerden in ihrer Starrheit manipuliert als waumlren sie solche einer wahren undgeoffenbarten [] Der Jargon objektiv ein System benutzt als Organisati-onsprinzip die Desorganisation den Zerfall der Sprache in Worte an sich32
Die bdquoDesorganisationldquo die Adorno Heideggers Sprachzerfall zuweist ist viel-
mehr eine Neukonstellation im Sinne des Mythos So erscheint es zumindest
anhand der Leese die Heidegger in den Schwarzen Heften zusammentraumlgt Der
deutsch-schweizerische Philosoph Enno Rudolph fuumlhrt in diesem Zusammen-
hang einige Militaumlrmetaphern an die Heideggers Zielsetzung unterstreichen sol-
len mit seinem Sprachsystem voumllkisch-nationale und eben auch antisemitische
Abgrenzungspolitik zu betreiben
30 GA 94 S 336f31 Vgl Adorno Jargon der Eigentlichkeit S 8f bdquoAsyl des Faschismusldquo ist eine treffende Parodie
auf Heideggers Rede von der Sprache als Haus des Seins (su)32 Ebd S 10
10
Am Ende koumlnnten sich Text und Sache moumlglicherweise so darstellen lassen[] dass sich das Gesamtwerk als die labyrinthisch konstruierte letzte Basti-on eines philosophischen Stellungskrieges positioniert in dessen Verlauf derAntisemitismus ndash neben den anderen programmatischen Feindseligkeiten ndasheine strategische Funktion nach Analogie mehrerer einander koordinierterWaffengattungen erfuumlllt [] dass es sich bei den vier Baumlnden um Bausteinefuumlr eine Kampfschrift handelt33
Mit dem Schluumlssel des Verstaumlndnisses der altgriechischen Sprache seiner Liebe
zum Klassikautor Houmllderlin und als selbsterklaumlrter Feind der Metaphysik ver-
stand sich Heidegger als Prophet des Denkens das als Dichtung veredelt An-
athema zur Rationalitaumlt und Wissenschaft (worunter er auch die Philosophie ver-
stand) sein sollte Die strenge Bindung an seine Pseudotradition des Abendlandes
sollte mythologisch festgezurrt sein aber seine Veroumlffentlichungen in Form von
Vortraumlgen und Aufsaumltzen und schlieszliglich in Buchform sollten selbst nicht bloszlig
mythologisch sein ImModus von verhaumlrtetem solipsistischen Narzissmus ging er
daruumlber sogar noch hinaus und wollte sich verstehen als mythopoetischen Autor
seiner eigenen Mythologie
Eine katalysierende Wirkung auf dieses Vorgehen Heideggers hatte der Alt-
philologe Walter F Otto (1874ndash1958) In einem vor den Schwarzen Heften in
2009 veroumlffentlichen Aufsatz schildert der franzoumlsische Germanist Daniel Meyer
von diesem Bezug und untersucht Heideggers Verbindung der Kehre34 und des
Mythos Die Entdeckung des griechischen Mythos Heideggers geschichtsphilo-
sophische Wendelsquo35 Wie es der Titel verraumlt markiert Meyer Heideggers Kehre
zur Seinsgeschichte mit dessen bdquoEntdeckungldquo des Mythologisierens36
33 Rudolph Enno Heideggers Schwarze Hefte im Echo In Philosophische Rundschau Bd 62Heft 2 (2015) S 141-154 hier S 145f
34 Die bdquoKehreldquo ist multifaktoriell mit Bedeutungen besetzt Darauf kann hier nicht eingeangenwerden Im Uumlblichen ist die Kehre zur bdquoSeinsgeschichteldquo gemeint
35 Meyer Daniel Die Entdeckung des griechischen Mythos Heideggers geschichtsphilosophi-sche Wende Germanica 45 (2009) S 13-26
36 Diese Entdeckung ist wie bei Peter Trawny (su) gebunden an Heidegger Topos des AnfangsDen Anfang dieser Rede des Anfangs will auchMeyer erkannt haben Insgesamt koumlnnen nochmehrere starke Aumlhnlichkeiten des Artikels von Meyer mit Trawnys Buch uumlber die Schwar-zen Hefte nachgewiesen werden womit Trawny ohne jegliche Nennung Meyers unter denAnfangsverdacht des Plagierens faumlllt
11
Ottos 1929 erschienenes Werk Die Goumltter Griechenlandslsquo37 sei laut Meyer
der fuumlr Heideggers mythologische Strategie unentbehrliche Einfluss Somit sei
der griechische Goumltterbegriff nicht mehr bdquochristlich antithetisch zu Welt und
Mensch sondern in Einheit damit zu denkenldquo38 Diese Einheit wuumlrde gestif-
tet durch bdquoOttos Formel vom Geheimnis der Beruumlhrung von Goumlttlichem und
Menschlichenlsquoldquo39 Da Meyer das Mythologisieren im Zusammenhang mit der ge-
schichtsphilosophischen Kehre auch im Sinne einer bdquoVorrangstellung des primi-
tiven archaischen von ihm [Heidegger DS] als mythisch verstandenen Den-
kensldquo40 als Weg zum Nationalsozialismus ndash der Traum Heideggers eines neuen
(deutschenabendlaumlndischen) Anfangs ndash versteht liegt dem bdquogriechischen Goumltter-
begriffldquo hier eine besondere Wertlegung zugrunde41
Die Beschwoumlrung des Anfangs des griechischen Ursprungs ermoumlglicht ei-nen genuinen Neuanfang im Sinne einer Annullierung des Vorhergekom-menen Der Ausweg aus der Moderne aus der Welt der Uneigentlichkeitist moumlglich durch einen Bruumlckenschlag zum griechischen Denken [] DieMoumlglichkeit diese Krise zu uumlberwinden ist fuumlr Heidegger 1933 durch dienationalsozialistische Machtergreifung gestellt doch reiht er diesen Prozessin eine legitimierende geschichtsphilosophische Perspektive die auf einengriechischen Ursprungsmythos zuruumlckverweist42
Meyer findet kernige Passagen die er aus Heideggers Schriften und Vorle-
sungen bis 1935 durchaus uumlberzeugend zur Unterstuumltzung seiner These anfuumlhrt
Diese Zitate Heideggers sind der Mythologie der Schwarzen Hefte sehr aumlhnlich als
tentatives Entwerfen
37 Otto Walter F Die Goumltter Griechenlands Das Bild des Goumlttlichen im Spiegel des griechi-schen Geistes Frankfurt am Main 2013Meyer verweist in einer Fuszlignote auf das Buch Heideggerrsquos Roots Nietzsche National So-
cialism and the Greekslsquo von Charles Bambach (2005) das ihm fuumlr diese Aussage Pate stand38 Meyer Die Entdeckung des griechischen Mythos S 439 Ebd Durch eine solche Formel der Einheit von Menschen und Goumlttern ist ein nahtloser
Anschluss an die Goumltter Heraklits und anderer antiker Philosophen geebnet Heidegger hatdiese Moumlglichkeit erstaunlich ernst genommen und ausgearbeitet
40 Meyer Die Entdeckung des griechischen Mythos S 341 Meyer stolperte mit der Begruumlndung dass bdquoDieser erstaunlich unkritische Gottesbegriff []
sich nur im Kontext von Ottos Goumltter Griechenlands verstehenldquo (Meyer Die Entdeckungdes Griechischen Mythos S 4) lieszlige uumlber Heideggers SoSe Vorlesung 1930 Vom Wesender menschlichen Freiheitlsquo (GA 31 S 7f) Ferner vollzieht er Ottos Einfluszlig uumlber die ersteHoumllderlin-Vorlesung von 193435 und weitere Schriften Heideggers nach Es geht Meyerauch stark um das Verhaumlltnis von Heideggers Denken bis und nach Sein und Zeit was indieser Arbeit nicht tiefer behandelt werden kann
42 Meyer Die Entdeckung des griechischen Mythos S 4f
12
Das legt nahe dass Heidegger sein mythopoetisches Texten als Code vor allem
in den Nachkriegsveroumlffentlichungen einsetzt ndash ein Nachruf aus dem gescheiter-
ten Anfang43 Ab 1935 jedenfalls haumltte sich Heidegger von der Vorstellung des
neuen Anfangs verabschiedet44
Das Mythologisieren konstruiert Meyer als Anschluss an die Houmllderlin-Vor-
lesung (193435) Die Houmllderlinsche Lyrik haumltte fuumlr Heideggers bdquophilosophisches
Sprachmaterialldquo Vorbildcharakter da bdquomit Houmllderlin die griechische Mytholo-
gie in ihrer sprachlichen Verbildlichung zum tragenldquo45 kaumlme Die dann staumlndige
Wiederauferstehung der bdquogriechischen Goumltter- und Heldenwelt in seinen Vorle-
sungenldquo schluumlge dem zu Buche In der Vorlesung 193435 Houmllderlins Hymnen
Germanienlsquo und Der Rheinldquo klingt insofern bereits eine Figur an die Heidegger
uumlber zehn Jahre spaumlter in seinen technikphilosophischen Bremer Vortraumlgen mit
seinem Aletheia-Prinzip verbinden wird ndash der bdquoBlitzldquo (su)
43 Eine genaue Untersuchung laumlszligt die Form dieser Arbeit nicht zu sie bezoumlge sich wie gesagtauf die drei Darstellungsebenen der GA mit den Schwarzen Heften (GA 94ndash97) als (Entwurfs-phase) Besinnung (GA 66) Das Ereignis (GA 71) ua als (Konzeptionsphase) und den BremerVortraumlgen (GA79) als (Praumlsentation) die Uumlbergaumlnge sind freilich flieszligend und gerade in denvon Meyer zitierten Vorlesungen erscheinen alle drei Stufen mitunter gleichzeitig Gerade imfolgenden zitierten Doppelband in dem es ua um die bdquoWahrheit der Spracheldquo geht scheintes tatsaumlchlich genau wie Meyer es identifiziert um die Grundlegung Heideggers Mythologiezu gehen die in den Schwarzen Heften vielmehr lemmaartig und sporadisch entworfen wirdMit Heraklits Spruch des Kampfes als Wesen des Seienden zieht Heidegger einen Paten seinerMythos-Logos-Aletheia Kombination heran und versucht seiner eigenwilligen Philologie ei-ne verpflichtende Bedeutungstiefe einzulegenMeyers Zitate Heideggers mit groszliger Relevanz fuumlr diese Arbeit sind die folgenden bdquoDa-
mals als das Volk der Griechen deren Stammesart und Sprache mit uns dieselbe Herkunfthat in seinen groszligen Dichtern und Denkern sich aufmachte eine einzigartige Weise desmenschlichen volklichen Daseins zu schaffen Was da anfing ist bis heute nicht eingeloumlstAber dieser Anfang ist noch nicht und er verschwand nicht und verschwindet nicht dadurchdaszlig die nachkommende Geschichte immer weniger seiner Herr blieb Der Anfang ist nochund besteht als ferne Verfuumlgung die unserem abendlaumlndischen Schicksal weit vorausgreift unddas deutsche Geschick an sich kettetldquo (GA 3637 S 6 Die Grundfrage der PhilosophielsquoSommersemester 1933)bdquoAls μυθος ist das Wort das uumlber den Menschen kommt jenes worin ihm dieses und
jenes seines Gesamtdaseins gedeutet wird nicht das Wort in dem er von sich her Rede stehtsondern das Wort das Weisung gibt [] Aber der urspruumlngliche λογος der Philosophiebleibt dem μυθος verbunden erst die Sprache der Wissenschaft vollzieht die Abloumlsungldquo(Ebd S 116)
44 In den Schwarzen Heften houmlrt die Sehnsucht nach dem neuen Anfang nicht auf also bis ein-schlieszliglich 1948
45 Meyer Die Entdeckung des griechischen Mythos S 6
13
Gewitter und Blitz sind die Sprache der Goumltter und der Dichter ist derder diese Sprache ohne Ausweichen auszuhalten hat aufzufangen und in dasDasein des Volkes zu stellen hat [] Die Dichtung ist ein Weiterwinkendieser Winke in das Volk oder von diesem her gesehen Dichtung ist []ein Zeigen ein Weisen in welcher Weisung die Goumltter offenbar werden46
Die Rede von bdquoWinkenldquo ist bereits ein Selbstbezug benannte der Autor der
Schwarzen Hefte seine ersten beiden Abteilungen des heutigen 94ten Bandes der
GA als Winke x uumlberlegungen (II) und Anweisungenlsquo und uumlberlegungen und
Winke IIIlsquo47 Diese setzen ein im Jahr 1931 und duumlrften moumlglicherweise bis 1933
oder vielleicht auch 1935 gereicht haben Heideggers Selbstuumlberhoumlhung als mys-
tagogisch bdquodichterisch-denkenden Schaffenden ndash also ihm selbstldquo48 erkennt auch
Meyer bereits ohne die eindeutigen Zeugnisse dieses Wunsches in den Schwarzen
Heften Es ist Heideggers Begehren das Volk seiner Fuumlhrung zu unterstellen bdquoso
dass sich das Wesen dieses Landes selbst findet und vollendetldquolsquo49
Meyer spricht in Folge daran davon was Heideggers Ursprungsmythos den
er in die griechische Altertum legt fuumlr diesen leistet Es ist eben das antiwis-
senschaftliche bdquoWissenldquo von einer bdquoUr-geschichteldquo Welche abgruumlndigen Motive
auch immer da hineinzuprojizieren sind (Bodenhaftigkeit arische Reinbluumltigkeit
abendlaumlndische Groumlszlige etc so wie es sich aus den Schwarzen Heften offenbart)
der Mythos verschraumlnkt Heideggers Streben nach Fuumlhrung als Denker und eine
Begruumlndung fuumlr die vermeintliche rassische uumlberlegenheit des deutschen Volkes
Meyer zitiert den Dichter-Denker mit bdquoMythologielsquo ist Wissen von einer Ur-
geschichteldquolsquo Es ginge um
Wissen nicht im archaumlologisch-musealen Sinn sondern als Prozess [] auchim Sinne dass Heidegger im Moment des Aussprechens gerade das leistetwovon er spricht Mythologie50
Augenscheinlich sieht Meyer keinen Grund dafuumlr von einer mythopoetischen
Textform in der Verschraumlnkung von Heideggers Denkerprophetie und der abend-
46 GA 39 S 31f (zitiert nach Meyer Die Entdeckung des griechischen Mythos S 6)47 Aus dem beigefuumlgten Nachwort des Herausgebers Peter Trawny geht nicht genauer hervor
weshalb zuerst bdquoWinke x uumlberlegungen (II)ldquo und dann bdquouumlberlegungen und Winke IIIldquo signi-fiziert sind Es wird hier davon ausgegangen dass es sich schlicht um das Gleiche handeltwobei der erste Teil sich in den bislang verschollenen Schwarzen Heften befinden muss
48 Meyer Die Entdeckung des griechischen Mythos S 749 Ebd Darin zitiert ist die GA 39 S 28950 Ebd Darin zitiert ist die GA 40 S 165
14
laumlndischen uumlberhoumlhung zu sprechen Die Paarung von Dichtung und Denken al-
lerdings ist fuumlr den Husserlnachfolger erst der Zweck und die Mythologisierung
das Mittel dazu In seiner Schrift uumlber die Religionsphilosophie und ontologi-
sches Wahrheitsverstaumlndnis bei Walter F Ottolsquo schildert der Altersforscher und
Sozialwissenschaftler Schulz-Nieswandt aus Koumlln uumlber die menschliche Existenz
die bdquoMythopoetik als Seins-Vergewisserungldquo51
In jenem Kapitel seines Otto-Traktats von 2014 schreibt Schulz-Nieswandt
wie ein echter Epigone Heideggers von der Wappnung gegen die bdquoKrise der Mo-
derne ndash Entfremdung Einsamkeit Angst Verzweiflungldquo52 An fruumlherer Stelle
seines Buchs stellt sich dar dass Schulz-Nieswandt sich geradezu mit Heideggers
Linie vereint anstatt sich ihr nur anzunaumlhern
Es geht um das wahre Sein aus der Sicht des zu seinem Wesen gelangendenMenschen in dessen Daseinsfuumlhrung was hermeneutisch erschlossen wer-den soll nicht um Wissenschaft als hermeneutische Methode im Kriterien-spektrum zwischen Verifikation und Falsifikation von Hypothesen mittelsProtokollsaumltzen uumlber die Realitaumlt53
51 Schulz-Nieswandt Frank Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis beiWalter F Otto (1874-1958) Eine strukturalistische und psychodynamische RezeptionBaden-Baden 2014 S 58-60
52 Ebd S 58 Dabei spielt Schulz-Nieswandt die Begriffe Epistemologie gegen Ontologie ausund bezeichnet sich selbst als post-strukturalistisch im Sinne der Kritischen Theorie schrei-bend Jedoch erscheinen diese philosophischen Kontraste nur wie bdquoEdelsubstantiveldquo des vonAdorno gemuumlnzten bdquoJargon der Eigentlichkeitldquo Und in genau diesem Jargon laumlszligt der So-zialwissenschaftler Heideggers Urmythos des Goumlttlichen der griechischen Antike (so) inaktueller Praumlsenz wieder auferstehen Es ist erstaunlich dass jemand der die Kritische Theo-rie fuumlr sich reklamieren will Epigone des bdquoJargons der Eigentlichkeitldquo ist So zeigt es sichauch auf S 28 wenn er in Ottos Dionysos bdquodie ganze Tiefe des Menschen zum Ausdruck[bringt DS] die Todeserfahrung des sterblichen Menschen Dionysos ist Hadesldquo Um nocheinmal zu bestaumltigen wie sich Schulz-Nieswandt als Akteur des Jargons gebiert sei hier Ador-no zitiert (dies gilt allerdings nur der Gegenuumlberstellung zum Vorsatz jener wuumlrde sich ander Kritischen Theorie orientieren ohne fuumlr diese zu advozieren) bdquoDer Heideggerschen Phi-losophie schloszlig sich was einmal Pforte zum ewigen Leben war zu sie betet statt dessenWucht und Groumlszlige des Tores an [] Sein wuumlrdevolles Gehabe ist Reaktionsbildung auf dieSaumlkularisierung des Todes [] Darum wird Sinn in den Tod geworfenldquo (Adorno Jargonder Eigentlichkeit S 134)
53 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei WalterF Otto S 15
15
Beiden gemeinsam ist auch die Faszination an Houmllderlin die sie ebenso mit Otto
teilen
Die ganze Eigenart des Denkens von Otto kommt in dem komplett innerenVerhaumlltnis zu Heidegger und Houmllderlin zum Ausdruck54
Nur noch ein Gott kann uns rettenlsquo so das Zitat des Spiegelinterviews das Ja-
kob Augstein zum Titel machte ist die kodierte Mythopoetik auf die sich die
Spiegelleser keinen Reim machen konnten Fuumlr Heidegger fuumlr den das Sein in der
Sprache wohnen sollte55 ging es um den Mythos der Naumlhe zur Antike als Naumlhe
zu den Goumlttern
Fuumlr Houmllderlin war die Theologie der Abwesenheit Gottes als uumlberweltlichePraumlsenz der Verlust der Gotteserfahrung des diesseitig verankerten Men-schen [] Die Antike wird als eine von Goumltternaumlhe charakterisierte Zeitvon Houmllderlin verstanden und erneuert (der kommendelsquo Gott) ersehnt56
Dies ist eine der Leit-Mythen Heideggers insbesondere wenn man sich die Nach-
kriegsvortraumlge ansieht (eben die Bremer Vortraumlgelsquo)
Die Aufhebung der Trennungsangst durch die bdquoAbwesenheit der Goumltterldquo uumlber-
winde der in existenzieller Angst befindliche bdquohomo abyssusldquo mittels bdquoder lie-
bevollen Gestaltung als Sich-Einrichten des Menschen [] als apriorischer Mo-
dus des In-der-Welt-Seinsldquo durch die bdquoEwigkeit der Mythopoetikldquo57 Fuumlr Schulz-
Nieswandt ist Mythopoetik eben nur dieses ein peganistischer Goumltterdienst der
den Kanon der Ottoschen Antike mit Houmllderlin interpretiert Insofern versteht
dieser versuchte Religionsphilosoph der eigentlich Sozialforscher ist Heideggers
Mythologie als schoumlpfend aus geteilter Quelle mit Mythen als Gemeinplaumltzen
derer sich der Denker-Dichter philologisch sicher bediene
Dabei geht es Schulz-Nieswandt umHeideggers Aletheia-Prinzip das er bdquoWahr-
heitsbegriffldquo nennt ndash welches bdquoDie Differenz der Technik als Herrschaft uumlber
54 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei WalterF Otto S 20
55 Vgl GA 7 S56 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei Walter
F Otto S 2157 Vgl Ebd S 59
16
Dinge von der Kunst als Schoumlpfung als Lichtung des Seins zur Wahrheit unter-
scheidetldquo58 Houmllderlins Goumlttliches waumlre darin vermisst und von Bedarf fuumlr den
Menschen Mit der Nomenklatur der griechischen Goumltter Houmllderlins und Ottos
ginge es beim Wahrheitsprinzip um bdquodie Erinnerung an Dionysos als der wie-
der kommende Gott []ldquo sie bdquofuumlhrt zur Lichtung des Seins als Wahrheitldquo59 Der
Mensch waumlre also Hirte seines Seins nicht Herr der Technik zum Sein bdquoDas Sein
ist den Menschen nicht technisch verfuumlgbar Die notwendige Einkehr wird zu
Heimkehrldquo60
Insofern zeichnet Schulz-Nieswandt ganz in Heideggers Sinne nach wie Hei-
mat und Irrationalitaumlt des Mythos zusammenfallen im Kanon der Goumltter-Mytho-
poetik Zum einen ist allerdings Heideggers Mythologie nicht so sehr an diese
Mythopoetik uumlber die Goumltter gebunden sondern bewegt sich frei im eigenwil-
ligen Auslegen von altgriechischen und deutschen Begriffen Zum anderen ist es
erstaunlich dass Schulz-Nieswand 2014 die Bedeutung der Mythopoetik fuumlr Hei-
deggers Ursprungsmythos des neuen Anfangs ignoriert und damit auch die gan-
ze voumllkisch-nationale Aura und damit die Abgrenzungspolitik Vor allem aber
richtet sich Heidegger nicht in einer bdquoliebevollen Gestaltungldquo menschlich ein
wie Schulz-Nieswandt es schon pathetisch darstellt sondern befeinded sich mit
allem ihm Zuhandenen als bdquoRaprochementldquo61 in alle Richtungen und pocht auf
bdquogeschichtliche Besinnungldquo als bdquoAuftrag des Deutschenldquo62
221 Formen der Mythologie
Mit den zwei oben herangezogenen Arbeiten uumlber Mythologisieren und Mytho-
poetik Heideggers sollte in dieser Arbeit das Verstaumlndnis seines Projekts der an-
tirationalen und antitechnischen Ausrichtung in den aktuellen Forschungsstand
gestellt werden Um welche Mythologie es sich in den Schwarzen Heften handelt
wird im Folgenden aufgedeckt werden Bereits in dem ersten Heft der Denktage-
58 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei WalterF Otto S 58
59 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei WalterF Otto S 59
60 Ebd61 Wolin Richard Heideggers bdquoSchwarze Hefteldquo Nationalsozialismus Weltjudentum und Seins-
geschichte In Vierteljahrsheft fuumlr Zeitgeschichte Bd 63 Heft 3 S 379-41062 GA 94 S 66
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buumlcher verschmilzt Heidegger seine Vision von Dichten und Denken stellt sich
unter dieses Ideal
Dichten undDenken ineinander geschlungen und so waumlre ihrWas im verbindend-trennenden Bestimmen gewonnen63
Als bdquoAusgriff in den Begriffldquo versteht Heidegger dies als bdquovorschreibend-bildenden
Entwurfldquo der hinfuumlhrend zum Ereignis des Aletheia-Prinzips waumlre ndash
(Dichtung als Mythos
Dichtung als Dichtung im engeren Sinne gtgtGedichtltlt
Dichtung als Philosophie)64
Grundsaumltzlich ist die lose wirkende Legion von Lemmata nicht mit einer
Ruumlckfuumlhrung seiner Gedanken auf bestimmte griechische Goumltter und antike (ech-
te) Mythen besetzt Heidegger fetischisiert Begriffe und mythologisiert die von
ihm aufgepfropfte Bedeutung durch ein staumlndiges Wiederholen und Weiterden-
ken als bdquoWissenldquo wie Meyer es herausgearbeitet hat In dieser philosophischen
Alchemie sieht sich Heidegger als Denker als Bewahrer einer uralten Lehre die
eben neu widererstarken muumlsse Das hat Meyer auch schon klar gemacht Die My-
thopoetik erscheint aber hauptsaumlchlich nicht in den Schwarzen Heften sondern in
den Vortragspublikationen sich auf seine private Mythologie beziehend die in
den Schwarzen Heften zu Grunde gelegt wird
Die Mythen Heideggers drehen sich wie Meyer zurecht behauptet um den
Ursprung bei den Griechen den bdquoGrund der Geschichte des Abendlandesldquo65
Aber auch um die vielen Binaritaumlten die sich entgegengesetzt werden und tat-
saumlchlich wie der Heidegger-Herausgeber und Initiator und Leiter des Wupper-
taler Heidegger Instituts Peter Trawny es benannt hat auf einen Manichaumlismus
zulaufen66 Die Abgrenzungspolitik im Sinne des schuumltzenswerten abendlaumlndisch-
heimatlichen Deutschlands richtet sich gegen den inneren Feind vorangetrieben
63 GA 94 S 6564 GA 94 S 6665 GA 96 S 20566 Trawny Peter Heidegger und der Mythos der juumldischen Weltverschwoumlrung Frankfurt am
Main 2015 S 22Das hier aufgefuumlhrte Buch birgt einige problematische Umformungen zum Verhaumlltnis von
Heideggers Antisemititsmus Allem voran versucht es eine Begriffsbildung zu formen nach
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von der Rechenhaftigkeit des juumldischen Wesens und die aumluszligeren Feinde wie Ameri-
kanismus franzoumlsische Kultur russischer Bolschewismus usw Heideggers Urmythos
vom neuen Anfang ist verquickt mit einem selbstangedichteten Personenmythos
was ebenfalls Meyer schon erkannt hat Dieses Schema ist die Grundstruktur
Immer deutlicher wird in mir die Ahnung daszlig unsere Heimat der Kerndes suumldwestdeutschen Landes [er selbst DS] der geschichtliche Geburtsortdes abendlaumlndischenWesens sein wird [] es ist das Geistvolle und zugleichdas erdenhafte schoumlne Land Es birgt unsichtbaren Reichtum dem Gemuumltbewahret tiefstes Dichten und houmlchste Gestalt der Sage67
Die mitunter wichtigste Dichotomie die Heidegger in den Denktagebuumlchern
aufwirft ist die zwischen Historie und Geschichte Es ist insofern nicht nur der
Mythos des neuen Anfangs der Heideggers Denken uumlber fast zwei Dekaden be-
stimmt sondern umso mehr die doppelte Projektion ndash des Verfalls (Machenschaft)
in eine Konstruktion von Historie und des Bestehens (Sein) in die konstruierte
Geschichte68 Geschichte faumlllt dann schlieszliglich mit der Schaffung des neuen An-
fangs so zusammen wie Historie mit Technik verschraumlnkt wird Geschichtlichkeit
muss durch das Prinzip des Ereignisses der Aletheia prozessiert werden waumlhrend
die verrationalisierte wissenschaftliche technische Historisierung des Lebens und
der Lebenswelt dem widerstrebt
Die Bindung von Heideggers Vorstellung des richtigen Lebens im Sein mit
demAbendland und einer voumllkisch-nationalen Groumlszlige undUumlberlegenheit Deutsch-
lands ist dabei ausschlaggebend Denn mit der Charakterisierung des Guten auf
derer Heideggers Antisemitismus mittels Heideggers Denkmethode behandelt aufgehobenwerden koumlnnte Die Hauptbegriffe darin sind bdquoSeinsgeschichtlicher Antisemitismusldquo undbdquoKontamination des Denkensldquo Von einer tieferen Auseinandersetzung muss an dieser Stelleabgesehen werden
67 GA 97 S 5468 In Band 66 der GA gibt es bereits einen kleinen Abriss der Historie und Techniklsquo die der Ge-
schichte gegenuumlbergestellt werden Das dies eine Uumlbertragung der Gedanken aus den Schwar-zen Heften ist ist ohne Zweifel Ein ansatzweise philosophisches Vorgehen vermengt sichdort mit dem poeto-mythologischen Denken Heideggers In Sachen mythopoetischer Figu-ren undMetaphernreichtum haumllt sich dieser dort aber noch zuruumlck (auch wenn er hier bereitsoumlffentlich vom bdquohistorischen Tierldquo redet) Die Absicht Technik und Historie als Verstellungdes abendlaumlndischen Menschen zu brandmarken stehen dabei im Vordergrund Weiterhinsoll in dieser Arbeit allerdings der Fokus auf den Schwarzen Heften und der Mythopoetik inden Technikvortraumlgen der Nachkriegszeit liegenDer Duden sieht Geschichte und Historie als Synonyme Von einer Ethymologie und der
Spekulation von Heideggers Gruumlnden der Auseinanderhaltung der zwei Synonyme soll hierabgesehen werden
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der Seite des Seins sind die Feinde dessen eine Notwendigkeit seines Erklaumlrungs-
schemas Dabei sind es vor allem die Juden denen die Wurzel des Antiseien-
den von Heidegger in ihr vermeintliches Wesen geschrieben wird Exemplarisch
spricht dafuumlr dieses Zitat aus Band 96
Die zweite Machtsteigerung des Judentums aber hat darin ihren Grund daszligdie Metaphysik des Abendlandes zumal in ihrer neuzeitlichen Entfaltungdie Ansatzstelle bot fuumlr das Sichbreitmachen einer sonst leeren Rationalitaumltund Rechenfaumlhigkeit die sich auf solchem Wege eine Unterkunft im Geistlsquovarschaffte ohne die verborgenen Entscheidungsbezirke von sich aus je zufassen zu koumlnnen69
Diese Vorstellung ist eine Konkretisierung dessen was Heidegger mit den Uumlber-
begriffen Historie vs Geschichte einige Jahre vorher begann zu topografieren
Wir sind durch die Historie geschwaumlcht [] ndash wir koumlnnen nur durch das ge-rettet werden was uns in seiner Verfaumllschung widert ndash durch die Geschich-te70
Dieses bdquoWirldquo sind die glorifizierten Deutschen vor allem nach der Ableitung von
den Griechen uumlber Houmllderlin (und dessen Griechen) und Nietzsche zu ihm und
seinem kleinen Kreis von ihm anerkannter Intellektuellen-Kollegen wie etwa
Carl Schmitt Oswald Spengler Walther F Otto und Ernst Juumlnger Die Luft auf
Heideggers Denker-Olymp ist duumlnn und bekommt nur Wenigen
Die Geschichte in Heideggers solipsistisch-immanenten Nachdenken erklaumlrt
sich wie gesagt immer zusammen mit der Hoffnung auf den neuen Anfang und
als Besinnung auf das Denken als Akt gegen die Historie Die Paarung der zwei
Woumlrter bdquoGeschichteldquo und bdquoBesinnungldquo durchzieht in deutlicher Haumlufigkeit alle
vier Baumlnde der Schwarzen Hefte ndash bdquogeschichtliche Besinnung [] ist die Uumlberwin-
dung der Historie und des Historismusldquo und sie bdquobedarf der houmlchsten Strenge
hinter der die historische Exaktheitlsquo weit zuruumlckbleibtldquo ndash somit ferner bdquonur wer
Geschichtemacht vermag sie auch zu errettenldquo71 Das oben mit Meyer und Schulz-
69 GA 96 S 4670 GA 94 S 26771 GA 94 S 358f
Dass die Besinnung eine militante Perspektive hat laumlszligt sich auch in Heideggers Vereh-rung Heraklits ldquoDer Krieg ist der Vater aller Dingerdquo finden Heidegger sah sich selbst alsDenker als Propheten des Seins Aus dieser Warte betrachetete er zuerst den Nationalsozia-
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Nieswandt bereits aufgezeigte Bereiten des Goumlttlichen legt Heidegger in seinen
Begriff der Geschichte
Geschichte ndash das Gewagtwerden der Goumltter nur Groszlig als Untergang oderSieg ndash nicht Dauerlsquo wesentlich ndash sondern die Abgruumlndigkeit der Erstrei-tung ndash Opfer und Weile
Historie ist bei Heidegger bdquogeschichtliche Entwurzelungldquo die bdquoTyrannei der
Technikldquo bdquoSelbstvergoumltterungldquo und bdquoAbgoumltterei der Technikldquo72 In einer skizzen-
haften Emanationsfolge wird dieHistorie als Modus der Technik auf sich selbst zu-
ruumlckgefuumlhrt bdquoDas Riesige ndash [] Historie die Technik der Geschichtelsquo Technik
Die Historie der Naturldquolsquo73 Es ist vage annehmbar dass Heidegger hier die Tech-
nik als rechenhafte machenschaftliche Historisierung der Natur versteht die vor
dem Geschichtsbegriff stattgefunden haumltte Diese wiederum haumltte die Geschichte
in die rechenhafte Machenschaft verfremdet Wie ein Apparat erscheint Heidegger
der Gegenstand seiner Historie zu sein die sich automatisch durchsetzen wuumlrde
Die Historie stellt zunaumlchst das Nacheinander der Begebenheiten dessenwas vorbeizieht (passiertlsquo) her [] Sie erklaumlrt dann Spaumlteres aus dem Fruuml-heren sie findet sogar dass Ideen die Geschichtelsquo bestimmen74
Den historisierend narrativen Umgang mit Geschichte als Wissenschaft emp-
findet Heidegger als Technisierung derGeschichte Diese wiederum basiert auf den
statischen Topoi seiner Mythen von Vaterland Bauerntum Houmllderlin alten Grie-
chen den Goumlttern etc und der Anwendung des Aletheia-Prinzips im Ereignis
Das ist ein Tugendenkatalog der Deutschtuumlmelei mit einer paumldagogischen Kom-
ponente seine Mythologie im Aletheia-Prinzip zu praktizieren Er nennt dieses
Geschaumlft auch Denken und ahnt dessen Feinde bdquodie Forscher die in der Technik
ihres Arbeitens keine Reibung dulden und ihr Wissen fuumlr den Geist haltenldquo75
lismus und nach dem Krieg den real existierenden Sozialismus des Ostblocks im Zuge deratomaren Aufruumlstung als Vollstrecker Macher der Geschichte die den neuen Anfang ebnensollten Dass Heidegger diese bdquoklaumlrendeldquo Wirkung tatsaumlchlich spaumlter den Russen zuschreibtlaumlszligt sich in Band 97 der GA zweifelsohne nachvollziehen Hier kann aus Gattungsgruumlnden(BA-Thesis) nicht naumlher auf dieses Faible fuumlr absolutistische Regime eingegangen werden Je-denfalls ist die geschichtliche Besinnung und der Kriegsakt ein Widerspruch den Heideggerjedoch gleichsam adressiert Auch dies kann hier nicht weiter untersucht werden
72 GA 9473 GA 95 S 35174 GA 96 S 6275 GA 97 S 509
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Insofern verschraumlnkt Heidegger das bdquohistorisch-technischeldquo zum Antagonis-
ten der bdquogeschichtlichen Besinnungldquo Es ist die Entwicklung einer historisch-
geschichtlichen Differenz unter dem Zeichen der Besinnung gegen die techni-
sche Machenschaft ndash es geht um zwei unterschiedliche Wissenssysteme76 In den
Schwarzen Heftenwird Technikmeistens als eine Seite der Muumlnze mit der anderen
der Historie genannt Sie haumltten eine schon angedeutete dualistische Dynamik
Wo beide Historie und Technik in solcher scheinbaren Gegensaumltzlichkeitverkoppelt sind koumlnnen sie sich zur Foumlrderung dessen zusammenschlieszligenwas einstmals wesentliche die Geschichte des Menschen mitbegruumlndet undwas wir die Kunstlsquo nennen Die Historie verschafft [] Anregungen undVorbilder der Nachahmung die Technik erleichtert [] die Zustellung vonDarstellungsmitteln und Wirkungsformen [] Gleichwohl ist alles wurzel-los [] berechnet und als Erlebnislsquo ausgegeben77
Diese vermeintliche Gefahr muumlnde als bdquoZuumlgellosigkeit des Historismusldquolsquo in der
bdquoBodenlosigkeit [] (das Judentum)ldquo78 Heideggers Mythos ist hier dieser bdquoWir
muumlssen zuvor geschichtlich sein [] Ohne diese uumlberlieferung verfaumlllt alles der
historisch-technischen Machenschaftldquo79
Heidegger mythologisiert uumlber den bdquoAuftrag des Deutschenldquo80 will in bdquoge-
schichtlicher Besinnung sehr weit zuruumlckgehen ndash auf den Zusammenhang von
τέχνη ἀλήθεια und οὐσίαldquo81 um Technik auf ihr Wesen im antiken Ursprung
zuruumlckzufuumlhren bdquoDie techne hat [] den Sieg uumlber die [] aletheia errungenldquo82
Heidegger will sie zuruumlckgewinnen Er will der Technik aus dem bdquoEreignisldquo83
wieder uumlbermaumlchtig werden und sieht das bdquoWesen des Vaterlandesldquo84 im Abend-
land Dabei ist es ihm unentbehrlich zu wissen bdquodaszlig das Griechentum [] und
76 Heideggers noch immer vorhande Rezeption in Puncto seiner Technikphilosophie erstauntdamit dass sein Prinzip der aletheiologischen Besinnung als alternatives Wissenssystem undTechnikkritik ob der eigenwilligen Konstruktion den Entwicklungen der Zeit standhaumllt
77 GA 95 S 21278 GA 95 S 9779 GA 96 S 10480 GA 94 S 6681 GA 94 S 35782 GA 95 S 13283 Ebd84 GA 96 S 52
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nicht das Roumlmertum der Grund der Geschichte des Abendlandes istldquo85 Sein My-
thos von Heimat verknuumlpft sich uumlber Dichtung und Ereignis zu einem fuumlr die
Technikphilosophie essentiellen Bezugs-Topos
Wir brauchen keine Technik [] Das Wesen des Vaterlandes ist das Abend-land In ihm werden die Deutschen erst deutsch und erkennen die Muttervon Allem die unversehrte Erde [] Die Wahrheit erfahren wir im Ge-daumlchtnis Das Gedaumlchtnis ist die Dichtung Die Dichtung sagen der Denkerund Saumlnger in ihrem Gespraumlch Dieses Gespraumlch erst ereignet dichterisch dieDichtung in die Sprache (die Dichtung das Ereignis und das Ereignis dasAbendland) [] Wohnt in seiner Sprache [] seyd dem Seyn im Seyn Soist Sein das Seyn86
Eine weitere mythologische Form haben seine Fuumlgungen von Jahreszahlen
womit er bereits in den Bereich des Okkulten Mystischen abzurutschen droht
Houmllderlin wurde [] 1770 geboren [] 1870 aber Lenin Waumlhrend der []Lebenszeit Houmllderlins vollzogen sich die entscheidenden technischen Entde-ckungen und Erfindungen der neuzeitlichen Technik (1774ndash1806)87
Und ferner bdquo1807 Phaumlnomenologie des Geistes 1867 Das Kapital 1927 Sein
und Zeitldquo88
Als letzter Mythos sei hier sein Aufgriff der Spenglerschen Metapher des
Raubtiers89 aufgezeigt Uumlber weite Strecken philosophiert Heidegger uumlber das his-
torische Tier Das historische Tier muumlsse vernichtet werden die bdquodeutsche Zukunft
wirdlsquo nicht erst seinlsquo sie istlsquo schon seit Houmllderlin sie stifteteldquo90 Der Homo
faber ist fuumlr Heidegger das historisch-technische Tier qua der bdquoAngewiesenheit auf
das Tierhafte als Wesensgrundldquo91 Es fehle ihm was bdquodie Griechen als Anfangen-
deldquo mit der bdquoZugewiesenheit des Menschen zum Sein gewagt habenldquo92 wodurch
85 GA 96 S 20586 GA 97 S 52f Hierbei handelt es sich um eine Nachkriegsnotiz Heidegger aumlnderte den die
Adressierung in eine direkte Ansprache richtet sich an seine imaginierte Volksgemeinschaft87 GA 96 S 17488 GA 97 S 131 Womoumlglich ist es eine Uumlbung per Jahreszahlen das Aletheia-Prinzip zu prakti-
zieren eine Kontemplationshilfe Andererseits koumlnnte er auch der Regelmaumlszligigkeit der Zah-lenfolgen eine uumlbernatuumlrliche bdquoWahrheitldquo beimessen Dies bleibt an dieser Stelle unerforscht
89 VGl Spengler Oswald Der Mensch und die Technik Muumlnchen 1931 S 1090 GA 95 S 19791 GA 95 S 32092 GA 95 S 321
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er den bdquoGoumlttern unertraumlglich gewordenldquo93 waumlre Das bdquoRaubtierldquo dem gegenuumlber
bdquoist die Urform des Heldenlsquoldquo94 Dann behauptet Heidegger dass das Raubtier das
historisch-technische Tier durch Anwendung seiner eigenen Waffen schlagen koumlnn-
te Es ist dabei die bdquoUumlberwindung der Metaphysikldquo mitgedacht die erfolge sobald
sich das metaphysische Fragen durch den Wille zum Willen verfestigt95 Auch
Spengler dachte an dieses Derivat des Nietzsche Topos vomWillen zur Macht das
er seiner antropomorphen Chimaumlre vom Raubtiermenschen eingibt Wieder ist
von der Gewalt die Rede die ein Tabula rasa schaffen sollte zur Wiederauferste-
hung des griechisch-abendlaumlndischen Anfangs in Deutschland bdquoDas Raubtier aber
mit denMitteln der houmlchsten Technik ausgestattet ndash vollendet die Verwirklichung
der brutalitas des Seinsldquo96
Es scheint so als haumltte Heidegger auf jeden Begriff einen Gegenbegriff (selbst
zum historisch-technischen Tier das Raubtier)97 Aber es geht hier nicht um die
Analyse ausgewogener Formprinzipien oder die Kritisierung seiner linguistischen
philologischen Faumlhigkeiten Die Zitierung der Heideggerschen Mythologie soll
seine Verbindung von voumllkisch-nationaler und antisemitischer Haltung mit den
Bedingungen und Anspruumlchen seines Philosophierens aufzeigen Da die Schwar-
zen Hefte wie alle sonstigen Werke seines philosophischen Schaffens in der GA
erschienen sind muumlssen sie insofern als Teil derer gelten Das bedeutet dass sie
ausreichend Relevanz fuumlr die Arbeiten uumlber die Technik haben98
93 GA 95 S 23694 GA 95 S 39795 Vgl GA 7 Uumlberwindung der Metaphysik S 7896 GA 95 S 39797 Vgl Rudolph Heideggers Schwarze Hefte im Echo S 151 bdquoKeiner hat Nietzsche so konse-
quent und wahnwitzig zumNazi avant la lettre verformt wie Heidegger und keiner hat einenzuvor gewaltsam gefuumlgig gemachten Nietzsche so konsequent instrumentalisiert um damitdie vulgaumlr- nationalistische Dekadenz im Sandwich zu geiszligeln wie Heidegger Die Philolo-gie ndash auch die klassische ndash (Colli Cancik Montinari) hat Nietzsche inzwischen laumlngst mitnachhaltigem Erfolg rehabilitiert Wer jetzt noch einen roten Faden von Nietzsche zu Hitlerzieht hat nur noch Heidegger auf seiner Seiteldquo
98 Zum Abschluss dieses Kapitels sei hinzugesagt dass der Veranschlagung der Beispiele vonHeideggers Mythologie ein Exzerpt von 13 Seiten aus 1700 Seiten Text der vier Baumlnde derSchwarzen Hefte zugrunde liegt Beim Studium dieser fielen die staumlndigen Repetitionen derimmer gleichen Figuren und Metaphern auf Daraus wurde geschlossen dass es sich um eineMythologie handeln kann was ein weiteres Forschen bestaumltigte Die hier zitierten Stellensind Topoi die sich in Huumllle und Fuumllle in jedem der vier Baumlnde finden lassen was ihrenmythischen Charakter unterstreicht Die Auswahl versucht ein besonders charakteristischesBild wiederzugeben
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3 Heideggers mythopoetische
Technik
War Heidegger von seinem neuen Anfang nur zu traumlumen vergoumlnnt so gelang
ihm selbst aber die Wiederauferstehung aus der Asche des ZweitenWeltkriegs mit
der Vortragsreihe in Bremen (1949) uumlber die Technik Der Phoumlnix erweist sich
mittlerweile als Ikarus Anstatt sich selbst zu revidieren fordert Heidegger eine
Kehre ein die auf sein Programm der geschichtlichen Besinnung zum Ursprung ab-
zielt Rezipienten seiner Technikphilosophie taten zumeist seine voumllkischen und
nationalsozialistischen Verstrickungen mit der Niederlegung des Rektorats ab99
Sie glaubten an einen inneren Wandel Heideggers eine Laumluterung und sogar an
seinen geistigen Widerstand uumlber die Naziherrschaft hinweg100 Heute ist erwie-
sen wie Heidegger es aus seinem posthumen Gestaumlndnis in die Welt lecken laumlsst
dass er auf seine private Weise eine Form Nationalsozialismus hegte der die NS-
DAP und Hitler zwar als Vulgaumlrnazis kulturell degradierte aber sich selbst als
Denker-Nazi gerierte
Wie damit umzugehen ist steht aktuell in der Verhandlung Wie Rudolph es
behauptet stuumlnden die Heideggerianer bdquonun mit wertlosen Aktienldquo101 da Der
Kommunikationswissenschaftler Christian Fuchs sieht den Antisemitismus den
die Schwarzen Hefte zutage treten lassen als Notwendigkeit einer rigorosen Ver-
bannung Heideggers aus der technikphilosophischen Theorie102
99 Vgl Luckner Andreas Heidegger und das Denken der Technik Bielefeld 2008 S 64-69100 Vgl Babich Babette Nietzsche Heideggers Widerstand In Alfred Denker u Holger Zabo-
rowski (Hg) Heidegger-Jahrbuch 5 Heidegger und der Nationalsozialismus II Interpreta-tionen S 397-416
101 Rudolph Heideggers Schwarze Hefte im Echo S 146102 Vgl Fuchs Christian Martin-Heideggerrsquos anti-Semitism Philosophy of technology and the
media in the light of the ldquoBlack Notebooksldquo Implications for the reception of Heidegger inmedia and communication studies In tripleC Communication Capitalism amp Critique 13(1) (2015) S 55-78 hier S 74 Anstatt dessen pocht Fuchs auf die alternative Verwendungder Kritischen Theorie uumlber Fragestellungen zur Technik
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It seems to me that Heideggerrsquos fetishism is often lrsquoart pour lrsquoart Heideg-ger pour Heidegger a tactic that aims at creating an aura of complexity byevoking Heidegger although the same content could be expressed withouthim103
Fuumlr Trawny waumlre dies ein bdquoperformativer Widerspruch [] stets daran zu erin-
nern Heidegger vergessen zu sollenldquo104 Quo vadis Heidegger
Die objektive Antwort Rudolphs der an den Commonsense und die Beweis-
last der Anklage glaubt wie auch der subjektive Appell Fuchs der es zur mora-
lischen Entscheidung des Einzelnen macht Heidegger zu vernachlaumlssigen setzen
aktuell die Jahrzehnte alte Tradition der Heidegger-Kontroverse fort Ein im Sep-
tember 2016 erscheinender Sammelband wird zusaumltzlich die Debatte mit neuen
Bewertungen anreichern105
In diesem Kapitel soll es nicht um die direkte Einreihung in eine der bestehen-
den Polemiken gehen sondern um den Versuch der Betrachtung der spaumlten Tech-
nikphilosophie Heideggers als mythopoetische Dichtung in seinem Sinne des
Philosophierens Als exemplarisches Werk ruumlckt damit das Vortrags-Geviert der
Bremer Vortraumlge ins Zentrum der Anschauung106 Hier wird davon ausgegangen
103 Ebd S 73104 Trawny Heidegger und der Mythos der juumldischen Weltverschwoumlrung S 141105 Heinz Marion und Kellerer Sidonie (Hg) Martin Heideggers raquoSchwarze Heftelaquo Eine
philosophisch-politische Debatte Berlin 2016 (im Druck) Aus dem Klappentext diesesTitelsbdquoOffene antisemitische Aumluszligerungen in diesen Denktagebuumlchern haben in der nichtakade-
mischen Oumlffentlichkeit fuumlr Empoumlrung gesorgt Die entscheidende Frage ist jedoch welcheVeraumlnderungen der Perspektive auf Heideggers Denken insgesamt sich dadurch ergebenund ob damit zugleich eine Neubewertung des Gesamtwerks eines der einflussreichstenPhilosophen des 20 Jahrhunderts noumltig istldquoEine der Herausgeberinnen des Bandes Sidonie Kellerer ist zudem an einem anlaufenden
fuumlnf jaumlhrigen Forschungsprojekt an der Universitaumlt Stuttgart im Rahmen des StuttgartResearch Centre for Text Studies beteiligt Heidegger und die Postmoderne Geschichteeiner Irrefuumlhrungiquest Sie und der Stuttgarter Literaturwissenschaftler Claus Zittel werden Hei-deggers ideologische Verstrickungen in den Nationalsozialismus untersuchen die textlichrekonstruierbar aber nachtraumlglich geklittet worden waumlren bdquoSo konnte die Wissenschaft-lerin Dr Sidonie Kellerer anhand des Vortrages Die Zeit des Weltbildeslsquo erstmals 1950veroumlffentlicht [sic] dass zahlreiche Passagen nachtraumlglich so modifiziert wurden dass dieurspruumlngliche Apologie des Nationalsozialismus nunmehr als Kritik am Regime gedeutetwerden konnte Die 2014 erschienenen Schwarzen Heftersquo mit persoumlnlichen AufzeichnungenHeideggers bestaumltigen zudem wie tief verankert in seiner Philosophie Rassismus undNationalsozialismus waren und bliebenldquo(httpwwwuni-stuttgartdehkompresseservicepressemitteilungen201567_kellererhtmlzuletzt abgerufen am 1442016)
106 Von einer umfassenderen Analyse der Schriften Heideggers zur Technik muss aus Platzgruumln-den abgesehen werden Die Voumlrtraumlge vom Ge-stell der Technik der Kehre und dem Dingsind vor allem wegen ihres Publikationszeitraums interessant da sie direkt an die Dokumen-
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dass Heidegger den Versuch der abgrenzungspolitischen Einflussnahmemacht ge-
maumlszlig der oben dargelegten Ressentiments die sich in einer Mythologisierung des
Abendlandes niederschlagen Um seinem Ideal des dichtenden Denkens als Philo-
sophieren nachzukommen will Heidegger diese Einschreibung des Abendlandes
mythopoetisch vollfuumlhren
Grundsaumltzlich ist Verbindung und Trennung Heideggers boumlser Schwarzer Hef-
te mit und von seiner guten Technikphilosophie das Schlachtfeld aktueller De-
batten Wie bereits darauf hingewiesen werden hier Schwarze Hefte und Veroumlf-
fentlichungen wie eben in Form der Bremer Vortraumlge als ein kontinuierlicher
Arbeitsprozess gesehen Es gibt insofern nur einen Heidegger und keine gespal-
tene Persoumlnlichkeit Die Siegener Philosophin Sodonie Kellerer stellt dies anhand
Heideggers Selbstsicht luzide dar
Seine immer wiederkehrende Beschwoumlrung des Werkeslsquo und seine an diver-sen Stellen der bislang vorliegenden Briefkorrespondenz artikulierten Be-muumlhungen dieses Werklsquo fuumlr die Nachwelt zu sichern [Kellerer bezieht sichhier ua auf Heideggers Briefwechsel mit seiner Frau der 2007 veroumlffentlichtwurde DS] verdeutlichen wie sehr er seine Texte als ein Ganzes verstandin dem keines der Teile entbehrliche Wiederholung geschweige denn irrele-vante Eroumlrterung ist107
Dabei allerdings wird die Frage offen bleiben mit welchem Maszlig er sich selbst ge-
faumlhrdet sah seine Ansichten oumlffentlich zu vertreten und welche Konsequenzen er
dabei fuumlrchtete Denn er musste die Vortraumlge kodieren ndash was er im Sinne der My-
thopoetik auch macht ndash und mit Einigem hinterm Berg halten108 Dass es dabei
verschiedene Offenbarungsebenen gibt wird hier erst einmal hingenommen Es
interessieren staumlrker nachweisbare Bezuumlge des Entwurfsdenkens Heideggers zur
Oumlffentlichkeitsarbeit von ihm109
te der Schwarzen Hefte anschlieszligen (1948 der letzte Band der Schwarzen Hefte umfasst denZeitraum 1942-1948)
107 Kellerer Sidonie Kampf der Besinnung In Deutsche Zeitschrift fuumlr Philosophie Band 63Heft 5 Seiten 941ndash957 hier S 942
108 Weshalb die Veroumlffentlichung der Schwarzen Hefte auch weitestmoumlglich nach hinten verlegtwurde
109 Wuumlrde man dem entgegenhalten dass Heideggers vermeintliches Genie aus Formalisierun-gen seiner Gedanken ableitbar eine wichtige Quelle an sich bliebe scheitert dieses damitdass nun die Formalisierungen nicht personenneutral sozial-epistemologisch bestehen koumln-nen Als Vergleich wuumlrde man aus Hitlers und Goumlbbels Reden Formalisierungen isolierenlieszlige sich bestimmt die eine oder andere plausible Idee entwenden (wenn sie voumlllig dekon-
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Hierzu wird der Text der gesamten vier Vortraumlge unter dem Titel Einblick
in das was ist Bremer Vortraumlge 1949lsquo110 aus dem 1994 veroumlffentlichten 79 Band
der GA zugrunde gelegt Das hat den Grund dass davon ausgegangen wird dass
der Text somit am naumlchsten an den 1949 tatsaumlchlich vorgetragenen Manuskripten
liegt Insofern ist eine realistische Annaumlherung an eine mythopoetische Uumlbertra-
gung der Schwarzen Hefte in die Bremer Vortraumlge 1949 das Ziel Demgegenuumlber
gibt es ob der virulenten Publikationspraxis von Heideggers Schriften111 noch
andere Auskopplungen der vier Vortraumlgsteile mit den Titeln Das Dinglsquo Das Ge-
Stelllsquo Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo
31 Zur Publikationsgeschichte von den
Bremer Vortraumlgen 1949
Zuerst erschien 1954 im Neske-Verlag (Pfullingen) ein Sammelband der lediglich
den ersten Vortrag Das Dinglsquo enthaumllt allerdings in leicht erweiterter Fassung
so wie er ein halbes Jahr nach dem Bremer Auftritt in Muumlnchen (1950) an der
Akademie der Schoumlnen Kuumlnste gehalten wurde112 Dem Band hinzugefuumlgt ist aber
zudem ein Vortrag der vornehmlich die Kernaussagen von Das Ge-Stelllsquo und
Die Gefahrlsquo verbindet allerdings in modifizierter Form Dieser wurde unter dem
textualisiert wuumlrde) Ist aber die wahre Verbindung zu Hitler und Goumlbbels hergestellt hatman selbstverstaumldlich die Verantwortung zu tragen an dem ganzen Tross von unmoumlglichenVerfehlungen dieser Menschen die sie fuumlr uns zu Personae non gratae stempeln muumlssen
110 GA 79111 Hierauf macht auch der Darmstaumldter Philosoph Gernot Boumlhme aufmerksam als Akt ei-
ner bdquoposthumen Selbstinszenierungldquo in Boumlhme Gernot Selbstinszenierung uumlber Ruhmin der Philosophie In Information Philosophie (Online Ausgabe 12015) URL=lthttpwwwinformation-philosophiedea=1ampt=8232ampn=2ampy=5ampc=29gt zuletzt ab-gerufen am 2442016)
112 Heidegger Martin Das Ding In Ders Vortraumlge und Aufsaumltze Pfullingen 1954 S 163ff
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Titel Die Frage nach der Techniklsquo113 am 18 November 1953 an der TUMuumlnchen
gehalten
Eine weitere Auskopplung diesmal des letzten Vortragsteils Die Kehrelsquo fin-
det sich in einem broschuumlrenformatigen Band wiederum im Zusammenspiel mit
dem Vortrag Die Frage nach der Techniklsquo in Die Technik und die Kehrelsquo114 von
1962 wieder Somit wurden die Vortraumlge Das Ge-Stelllsquo und Die Gefahrlsquo lange
Zeit nicht veroumlffentlicht sondern als vermischter und modifizierter Text eben
Die Frage nach der Techniklsquo jeweils zusammen mit Das Dinglsquo (1954) und Die
Kehrelsquo (1962) angeboten115 In der Vorbemerkung zu Die Technik und die Keh-
relsquo wird diese kleine Chronologie leicht verfaumllscht auch aufgezeigt Darin heiszligt
es ferner dass Die Frage nach der Techniklsquo eine erweiterte Fassung von Das Ge-
Stelllsquo waumlre Dem ist wie schon gesagt nicht so Sondern es ist eine modifizierte
Vermischung von Das Ge-Stelllsquo und Die Gefahrlsquo was unschwer zB am Begriff
vom bdquoHer-vor-bringenldquo116 zu erkennen ist der in Die Gefahrlsquo eingefuumlhrt wird
und in Die Frage nach der Techniklsquo die gleiche Bedeutungskonstituente bildet
Mit der Veroumlffentlichung des 79 Bandes der GA 1994 wurden alle vier Bremer
Vortraumlge von 1949 publiziert In Band 11 der GA erschien 2006 auszligerdem Die
Kehrelsquo in ihrer urspruumlnglichen Fassung Die Frage nach der Techniklsquo enthaumllt
weniger mythopoetische Teile als Das Dinglsquo und operiert demgegenuumlber staumlrker
anhand klassisch philosophischer Allgemeinplaumltze Derer sind vor allem zu nen-
113 Heidegger Martin Die Frage nach der Technik In Ders Vortraumlge und Aufsaumltze Pfullingen1954 S 9ff (Der Aufsatz erschien ebenfalls 1954 im Sammelband der Vortragsreihe DieKuumlnste im technischen Zeitalter Heidegger Martin Die Frage nach der Technik In DieKuumlnste im technischen Zeitalter Dritte Folge des Jahrbuchs Gestalt und Gedanke Hg v dBayrischen Akademie der Schoumlnen Kuumlnste Muumlnchen 1954 S 70ff)
114 Heidegger Martin Die Technik und die Kehre Pfullingen 1962115 Beide Baumlnde Votraumlge und Aufsaumltzersquo sowie Die Technik und die Kehrersquo haben hohe Aufla-
genzahlen (Uumlbersetzungen wurden hier nicht recherchiert wobei es aber eine internationa-le Heidegger-Rezeption gibt) 1993 wurde der Pfullinger Neske-Verlag von dem StuttgarterHaus Klett-Cotta uumlbernommen was die Buumlcher aber unveraumlndert belaumlsst Vortraumlge und Auf-saumltzelsquo zaumlhlt seit 2009 die 11 Auflage Die Technik und die Kehrelsquo seit 2014 die 13 BeideBaumlnde sind vergriffen Es mutet unverstaumlndig an weshalb eine fehlerhafte Jahresangabe ausder ersten Veroumlffentlichung von Die Technik und die Kehrelsquo bis 2014 kolportiert wurdeDort steht der Vortrag Die Frage nach der Techniklsquo waumlre am 18 November 1955 gehaltenworden Der Vortragstermin war aber am 18 November 1953
116 Vgl GA 79 S 64 Und Heidegger Die Technik und die Kehre S 11
29
nen die Auflistung der bdquovier Ursachenldquo117 nach Aristoteles und die Kritik an der
Technik als bdquoein Mittel zu Zweckenldquo118 (Kausalitaumlt)119
Der Vortrag Das Dinglsquo galt Heidegger bei der Darbietung seiner Technikphi-
losophie nach dem Zweiten Weltkrieg allerdings als unentbehrlich ndash und damit
seine groszligflaumlchige Aufblaumltterung der Mythopoetik wie im folgenden Kapitel hier
gezeigt wird Denn im Vortrag Die Frage nach der Techniklsquo benutzt Heideg-
ger noch immer seinen mythopoetischen Topos vom Versammeln des Gebirges
der mit dem Versammeln eine Konstituente des Gevierts ist (bdquoErde und Himmel
die Goumlttlichen und die Sterblichenldquo120) (su)121 Fuumlr die Kaumlufer und Leser von
der spaumlteren Veroumlffentlichung Die Technik und die Kehrelsquo wird zudem in Die
Kehrelsquo extra auf den Vortrag Das Dinglsquo in der 1954er Ausgabe in Vortraumlge und
Aufsaumltzelsquo verwiesen122 Das zeigt wie wichtig und unerlaumlsslich Heidegger seine
mythopoetische Denkweise der Technik ist Auch wenn er in Die Frage nach der
Techniklsquo einen allgemeineren und offeneren Ansatz entwickelt hat der dadurch
auch leichter zu erschlieszligen ist
32 Die mythopoetische Spiegelung der Schwarzen
Hefte in den Bremer Vortraumlgen von 1949
321 Das Dinglsquo
In dem Vortrag Das Dinglsquo der 1949 vor dem privaten Club zu Bremen dort im
Neuen Rathaus das Vortragsquartett einleitete fuumlgt Heidegger mythopoetisch
zusammen was folgenden Topoi seiner Schwarzen Hefte aus Kap 221 entspricht
117 Heidegger Die Technik und die Kehre S 6118 Ebd S 6119 Diese Topoi versucht Heidegger in dem Text zu zersetzen und ihnen ein aletheisches Prin-
zip des Entbergens der Technik entgegenzusetzen Dies erfolgt wiederum auch anhand derVerwendung von mythopoetischen Teilen Darauf kann hier aber nicht weiter eingegangenwerdenAls weitere Gemeinsplaumltze (die er teils unterstuumltzend teils zur Zersetzung einfuumlgt) handelt
der Text auch mit Zitaten von Platon Heisenberg J P Hebel und Goethe120 Ebd S 12121 Vgl GA 79 S 11 Und Heidegger Die Technik und die Kehre S 19122 Vgl Heidegger Die Technik und die Kehre S 42f
30
1 die antirationale Wissenschaftsfeindlichkeit 2 der Mythos des Goumlttlichen 3
das Griechentum uumlber dem Roumlmertum 4 die Zahlenmystik (anhand des Spiegel-
Spiels des Gevierts ndash su) 5 das geschichtsbesinnliche Prinzip der Aletheia
Heidegger stellt zuerst die Frage nach dem Ding und will sie daraufhin ver-
anschaulichen mittels der Metapher des Kruges dh mit dem Krug als ein exem-
plarisches Ding Er fuumlhrt dann vor (was der Geste eines Zauberkuumlnstlers aumlhnelt)
wie der leere Krug gefuumlllt wird ndash Luft weicht der Fluumlssigkeit Dieses Sachverhaumllt-
nis aber ist fuumlr ihn Halbpoesie und eine Angabe aus der Physik sie verfehle das
vermeintliche Wesen des Kruges
Die Wissenschaft stellt durch sie [die Angabe der Physik DS] etwas Wirk-liches vor wonach sie sich objektiv richtet Aber ndash ist dieses Wirkliche derKrug Nein DieWissenschaft trifft immer nur auf das was ihre Art des Vor-stellens im vorhinein als den fuumlr sie moumlglichen Gegenstand zugelassen hat[] Die Wissenschaft macht das Krug-Ding zu etwas Nichtigem insofernsie Dinge nicht als das Maszliggebende zulaumlszligt123
Als ein wirkmaumlchtiges Beispiel das ihm sicherlich viel Beachtung uumlber die
Jahrzehnte seit ihrer Zuumlndung in Japan hinweg einbrachte fuumlhrt Heidegger die
Atombombe an Diese sei zu verstehen als verdinglichte Wissenschaft die das
Ding vernichten wuumlrde
Deren Explosion ist nur die groumlbste aller groben Bestaumltigungen der langherschon geschehenen Vernichtung des Dinges dessen daszlig das Ding als Dingnichtig bleibt124
Er buumlndelt damit Wissenschaft und Verkennung des Wesens als maszliggebend mit
dem Ding als sein machenschaftliches Prinzip der zerrechnenden Zerstoumlrung Drei
Jahre nach Kriegsende war der buumlrgerlich-elitaumlre Kreis in Bremen sicherlich be-
wegt von dieser Wortgewalt Diese jedoch suchte ja ihr Heim Harmonie Ruhe
in dem Haus als Wesen der Sprache
Und so faumlhrt Heidegger fort und ersetzt das physikalische Prinzip des Inhalts-
wechsels von Luft zu Wein in ein bdquoGeschenk des Gussesldquo als Spende und Opfer
den Goumlttern (2)125
123 GA 79 S 8124 Ebd S 9125 Vgl Ebd S 11f
31
Der Guszlig ist der den unsterblichen Goumlttern gespendete Trank [] Der ge-weihte Trank ist das was das Wort Guszliglsquo eigentlich nennt Spende und Op-fer Guszliglsquo gieszligenlsquo lautet griechisch χέειν indogermanisch ghu Das bedeu-tet opfern
Hier spielt bereits der Ursprungsmythos der Griechenmit ein (3) es ist aber auch
ein Bezug auf das Geviert Dieses waumlre ein System ein zusammen Gestelltes aus
bdquoErde und Himmel die Goumlttlichen und die Sterblichenldquo126 Im Guszlig des Trunkes
weilten gemeinsam diese Vier als emblematische Verbindung
Das im Geschenk Versammelte sammelt sich selbst darin das Geviert ereig-net zu verweilen Dieses vielfaumlltig einfache Versammeln ist das Wesen desKruges Unsere Sprache nennt was Versammlung ist in einem alten WortDies lautet thing127
Das Geviert zehrt von der Zahlenmystik zum einen als die Versammlung der
vier Begriffe an sich zum anderen da Heidegger ihnen eine Spiegel-Funktion
zuschreibt bdquoJedes der Vier spiegelt in seiner Weise das Wesen der uumlbrigen wie-
derldquo128 und ferner weil er damit auf sich selbst dh auf sein Vortrags-Geviert
verweist (4) Wie in Kap 21 schon gesagt lebt der Mythos von seiner Verbind-
lichkeit Diese legt Heidegger allen nah die sie verinnerlichen wollen bdquoSagen wir
die Sterblichen dann denken wir falls wir denken die anderen Drei mit aus der
Einfalt der Vierldquo129
Sollte der Vollzug der Praxis des sukzessiven Mitdenkens aller vier Geviert-
Entitaumlten gelingen koumlnnte das Ereignis der Aletheia begriffen werden (5) bdquoDas
Spiegel-Spiel von Welt ist der Reigen des Ereignensldquo130 Diese wird aber auch be-
griffen in Abgrenzung von dem Roumlmertum (3) denn in der bdquorealitas der resldquo
haumltten die Roumlmer bdquoihr Erfahrenes niemals eigens in seinem Wesen gedachtldquo131
Das waumlre den Griechen vorzubehalten und vom verstaumlndig denkenden Deutschen
wiederzubeleben
126 Ebd S 12127 Ebd S 13128 Ebd S 18129 Ebd130 Ebd S 19131 Ebd S 15
32
Der Krug ist ein Ding weder im Sinne der roumlmisch gemeinten res noch imSinne des mittelalterlich vorgestellten ens noch gar im Sinne des neuzeitlichvorgestellten Gegenstandes [] Der Krug ist Ding insofern er dingt132
Die Bindung an das deutsche Wort bdquoDingldquo das er spielerisch auch ins Englische
Romanische und Franzoumlsische uumlbersetzt ist unerlaumlsslich fuumlr seine ethymologi-
sche Argumentation In der ist der bdquoGuszligldquo ruumlckgefuumlhrt auf indogermanisch bdquoghuldquo
und das bdquoDingldquo auf das mittelhochdeutsche bdquothingldquo So konnten antik die Roumlmer
von den Griechen abgrenzt werden und modern die anderen drei Sprachen vom
Deutschen Das englische sich sehr nah am bdquothingldquo befindliche bdquothingldquo wird mit
dem Roumlmischen ausgespielt
Im Englischen hat thing noch die erfuumlllte Nennkraft des roumlmischen Wor-tes res bewahrt [] dh ein aus sich kommendes den Menschen Angehen-des133
Fuumlr Heidegger geht es beim bdquothingldquo aber um die mittelhochdeutsche Uumlbersetzung
der Versammlung Darauf beruht sein gesamter Systemansatz mit Geviert und
Ge-stell
Schulz-Nieswandt fuumlhrt diese Zusammenstellung zum Bejubeln von Heideg-
gers Mythopoetik
So fundamental sieht Heidegger die Welt Die Quelle des Wassers wird zurHochzeit von Himmel und Erde das Gieszligen des Wassers aus dem Krugzum Geschenk Auch Sprache ist daher kein Instrument sondern Ort desWohnens des Menschen Sprache wird zum Haus des Seinslsquo134
Hier bestaumltigt die Untersuchung des Ding-Vortrags die These von einer mytho-
poetischen Einschreibung der nationalistischen voumllkischen Abgrenzungs-Mythologie
aus den Schwarzen Heften
322 Das Ge-Stelllsquo
Der zweite Vortrag des Reden-Gevierts setzt ein mit der Metapher des fehlen-
den Abstands Wo kein Abstand sei da waumlre auch keine Naumlhe so Heidegger Er
132 Ebd S 16133 Ebd S 14134 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei Walter
F Otto S 59
33
verbindet die Abstandslosigkeit mit Urbanitaumlt und Verkehr alles fluktuiere Es
waumlre der Bestand der sich bestelle in dem das Abstandlose herrsche Das sind
neue Metaphern fuumlr die Machenschaft In seiner Erzaumlhlung vom Ge-Stell gibt es
bedeutend weniger mythopoetische Passagen als in dem vorangegangenen Vor-
trag Allerdings uumlbertraumlgt er den mythopoetischen Gehalt der Rede vom Ding
bereits im ersten Absatz von Das Ge-Stelllsquo mit dem Credo bdquoNaumlhe west insofern
das Ding dingtldquo135 Mit dieser Verbindung wird klar unter welchem Zeichen Hei-
degger die Rede vom Ge-Stell verstanden wissen will ndash als verlorenes Verhaumlltnis
des voumllkisch-traditionell verwurzelten Menschen mit den vermeintlichen Wesen
all seiner Gebrauchsobjekte in der mythopoetischen Formel des sich spiegelnden
Gevierts
Nahezu nuumlchtern erzaumlhlt Heidegger dann von dem Gefaumlngnis des Menschen
im Wesen der zirkulierenden sich immer neu bestellenden Bestandstechnik des
Ge-Stells Dabei scheinen folgende Mythen aus den Schwarzen Heften hindurch ndash
1 bdquoHistorie die Technik der Geschichtelsquo Technik die Historie der Naturlsquoldquo136
2 das historische Tier 3 der Appell an den Auftrag des Deutschen 4 der geschicht-
liche Mensch muss die Historie und damit die Technik uumlberwinden und 5 die
alles zernichtende Machenschaft des juumldischen Wesens
Den Topos der seinsvergessenen Groszligstadt jedenfalls kontrastiert er mit der
Bauerndorfidylle Da aber bdquodas Abstandlose herrschtldquo137 waumlre das Vorruumlcken der
Maschinentechnik bereits universell So in Form des Traktors Schon in Band
96 der Schwarzen Hefte beklagt er dieses bdquozum elektrischen Pflug [] gehoumlrt
das amerikanisch aufgemachte Magazinlsquoldquo Insofern erfolge die bdquoAngleichung der
Sitten der Bergbewohner an diejenigen des groszligstaumldtischen Sport- und Barbe-
triebsldquo138
Sein erster Land-Stadtvergleich betrifft den Bauern dessen Totenruhe tradi-
tionell in einem sg bdquoTotenbaumldquo (Sarg) stattgefunden haumltte ndash bdquoIn ihm gedeiht
der Tod des Totenldquo139 Dem gegenuumlber klingt in der bdquomotorisierten Bestattungs-
135 GA 79 S 24136 GA 95 S 351137 GA 79 S 24138 GA 96 S 54139 GA 79 S 26
34
industrie der Groszligstadtldquo140 bereits Heideggers pietaumltsloser Gaskammernvergleich
an
Ackerbau ist jetzt motorisierte Ernaumlhrungsindustrie im Wesen das Selbewie die Fabrikation von Leichen in Gaskammern und Vernichtungslagerndas Selbe wie die Blockade und Aushungerung von Laumlndern das Selbe wiedie Fabrikation von Wasserstoffbomben141
Hier wird davon ausgegangen dass es eine Uumlbertragung der Notizen uumlber
das deutsche Land als bdquoeinziges KZldquo ist die Unterdruumlckung des deutschen Vol-
kes durch die bdquoWeltdemokratieldquo die schlimmer sei als die Graumlueltaten der bdquoGas-
kammernlsquoldquo142 In die mythopoetische Formel von dem dingenden Ding aus dem
ersten Vortrag sind alle Valenzen eingeschrieben die es zur Aufgabe des abendlaumln-
dischen Deutschen (also als Nachfolger der alten Griechen) machen das Wesen
des Dings und somit der Technik zu huumlten Die Verantwortung fuumlr Genozid
Massenvernichtungswaffen und den Mangel im Nachkriegsdeutschland schreibt
Heidegger gleichfoumlrmig dem Prinzip der Abstandslosigkeit zu
Auch die Rede von der Habgier des Berechnenden ist ein bereits bekannter
Vorbehalt Heideggers anhand der Rede vom raffgierigen Juden Denn er sagt von
der bdquoHerrschaft des Abstandlosenldquo dass sie bdquodie Hab-gier des vorstellenden Be-
rechnensldquo waumlre143 Das entspricht seinem Mythos von der alles zernichtenden
Machenschaft des juumldischen Wesens144
Dann folgt eine lange Elegie uumlber das Bestellen des Bestands des Ge-Stells
bdquo[d]ie Kette des Bestellens laumluft auf nichts hinaus sie geht vielmehr nur in ihren
Kreisgang hineinldquo145 uumlber 19 Seiten des 21 seitigen Vortragsexts hinweg entwirft
Heidegger diverse Bilder wie das Ge-Stell die Natur das Hergestellte den Men-
schen und das Verstandesmaumlszligige vereinnahme und das Wesen desDings gleichsam
zur Veruntreuung bringen wuumlrde Wiederum poetisch orientiert kontrastiert also
140 Ebd141 Ebd S 27142 GA 97 S 99f143 Vgl GA 79 S 25144 Vgl Machenschaft hier S 29 und Geraff hier S 33145 GA 79 S 29
35
Heidegger Houmllderlins Hymne Der Rheinlsquo mit dem Rhein dessen Stroumlmung fuumlr
ein Stromkraftwerk genutzt wird
Achten wir um das Ungeheure das hier waltet zu ermessen nur auf einenAugenblick auf den Gegensatz der sich in den beiden Titeln ausspricht DerRhein verbaut in das Kraftwerk ndash der Rheinlsquo gesagt in der gleichnamigenHymne Houmllderlins146
Die Differenz also waumlre das Ungeheure147 Dabei waumlre der Rhein verbaut in das
Kraftwerk Aumlhnlich wie Kohle Erze und Rohoumll waumlren sie Bestand der bdquobesteht
im Bestellenldquo ndash bdquoDas Bestellen waumlre demnach lediglich eine Machenschaft des
Menschen vollzogen in der Weise der Ausbeutungldquo148
Das Bild des Wasserkraftwerks wird erweitert um den Begriff des Menschen
Elektrizitaumlt mit Wasserkraft erzeugen bdquokoumlnnen die Menschen [] nur insofern
sie selber schon in dieses Bestellen bestellt sindldquo149 Mit diesem Bild versucht Hei-
degger praktisch zu veranschaulichen dass Entwurf Umsetzung und Einsatz ei-
ner technischen Anlage den Menschen in ein entruumlcktes Verhaumlltnis zum Wesen
des dingenden Dings setze ndash bdquoDer Mensch ist darum der Angestellte des Bestel-
146 Ebd147 Das ist zusaumltzlich zu dem gemeinten Gegensatz ein Vergleich mit dem Heidegger dem Wort
bdquoRheinldquo in die Hymne Der Rheinlsquo gesprochen eine Energie erzeugende Wirkung zu-schreibt eben so wie das Kraftwerk Strom erzeugen wuumlrde Das wird klar dadurch dassHeidegger metaphorisch vom Stellen des Wortes bdquoRheinldquo in die Hymne spricht Es handeltsich um einen Appell zur denkerischen Besinnung Dass Heidegger dafuumlr eine technischeAnlage zur Veranschaulichung inspirierend wirken laumlsst spielt bereits in die Richtung derBegriffe bdquoHer-vor-bringenldquo bdquoEntbergenldquo und spielt auf das Alteheia-Prinzip an Darauf wirdweiter unten anhand Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo eingegangen werden Es handelt sich umdas Angebot eines mythopoetischen Umgangs mit Technik insbesondere wenn sie sich inheimische Gefilde einfuumlgtHeute koumlnnte man mit Windraumldern ebenso verfahren Somit koumlnnte aber auch Heidegger
als ein gewisser Quijana aus Mancha verstanden werden eben der Protagonist aus Miguel deCervantes Roman Don Quichote von der Manchalsquo der mit seinem von ihm flux auch um-benannten Klepper (weil er zuvor sich selbst in Don Quichote umtaufte) Rocinante Riesenbezwingen will um mit dieser Heldentat unsterblichen ritterlichen Ruhm zu erstreitenAuch Don Quichote fand seine Riesen in Windmuumlhlen und auch Don Quichote war uumlber
eine uumlbertriebene Auseinandersetzung mit einer verschuumltteten Kultur dieser verfallen undsuchte diese in seiner Aventuumlre zu reaktualisieren Martin Heideggers mythopoetisches Pro-gramm ist tatsaumlchlich stark mit Don Quichotes Motiv vergleichbarFerner waumlre eine Auseinandersetzung mit Heideggers Werk unter Beruumlcksichtigung sei-
ner Gewichtung der Vorsokratiker und Houmllderlin als mythopoetischen Autor eine moumlglicheForschung zum Thema Anachronismen in Konzepten von Moral und gesellschaftlicher An-gemessenheit (Vgl Cervantes Miguel de Don Quichote von der Mancha Herausgeben unduumlbersetzt v Susanne Lange Muumlnchen 2008 S 33f)
148 GA 79 S 29149 GA 79 S 30
36
lensldquo150 Schon vorher wies Heidegger darauf hin bdquo[d]ie Herrschaft des Gegen-
staumlndigen sichert nicht den Abstandldquo151 Jetzt heiszligt es
Das Bestellen befaumlllt nicht nur die Stoffe und Kraumlfte der Natur mit Gestel-lung Das Bestellen befaumlllt zugleich das Geschick des Menschen Das Wesendes Menschen wird daraufhin gestellt das Bestellen in menschlicher Weisemitzuvollziehen152
Der Begriff des Ge-Stells wird daraufhin so konstruiert dass es im Bestellen
um ein Stellen (Herausfordern) alles bdquoAnwesenden als Bestandldquo als bdquoversus unumldquo
gegen bdquodas Eine Ganzeldquo gehe153 In wiederum mythopoetischer Formulierung ge-
baumlre die bdquoVersammlung des Stellens worin alles Bestellbare in seinem Bestand
west das Ge-Stellldquo154 Der Begriff bdquoVersammlungldquo wird einen Absatz zuvor my-
thopoetisch wieder an die Versammlung also das thing eben das wesenhafteDing
angelehnt und somit wie zu Das Dinglsquo bereits oben erlaumlutert in einen deutsch-
abendlaumlndischen Kontext gestellt (3)
Wir nennen die Versammlung der Berge die von sich her einig und nienachtraumlglich schon gesammelt ist das Gebirge Wir nennen die Versamm-lung der Weisen nach denen uns so zumute ist und sein kann das Gemuumlt155
Allerdings ist obiges Versammlungsmodell hier als Kontrast zu sehen zu dem
bdquoGeraff des Getriebesldquo das das Ge-Stell darstellt als bdquoWesen der Technikldquo156 Hei-
degger sieht in der Gleichfoumlrmigkeit die zum Wesen des Technik als Ge-Stell
150 GA 79 S 30151 GA 79 S 25152 GA 79 S 31153 Vgl GA 79 S 32154 GA 79 S 32155 Ebd
Das Wort ldquoGemuumltrdquo hat ferner eine ausschlieszliglich deutsche Praumlgung gibt es doch keinedirekte Uumlbersetzungen Gemuumlth ist ferner ein nicht eindeutig umrissener Begriff (Vgl Kra-mer Cheryce A Foolrsquos Paradise The Psychiatry ofGemuumlth in a Biedermeier Asylum Chica-go 1998 S 19) Die Bedeutung im Deutschen selbst ist zudem sehr variabel hat aber zumeistmit Seelen- oder Geistkonzepten zu tun ndash Cheryce von Xylander (geb Kramer) uumlbersetztGemuumlth mit bdquosoul-organldquo (ebd S 43) das von diversen Autoren unterschiedlich konstru-riert wird (zB von Kant geistigkoumlrperlich und von Kleist individuellkollektiv (vgl ebdS 41)) In Heideggers emblematischem Duktus scheint eine Vermischung von allen vier Di-mensionen geistigkoumlrperlich wie auch individuellkollektiv stattzufinden Es ist auf jedenFall dem Mythos geschuldet den Auftrag des Deutschen anzunehmen (3)
156 GA 79 S 33
37
gehoumlre die planetarische Abloumlsung und Aufhebung des traditionellen und damit
wesenhaft ans Ding gebundenen Verhaumlltnisses vom Menschen zur Erde (das von
ihm idealisierte voumllkische Bauerntum das Bestellen des Ackers) bdquoDie Bestand-
Stuumlcke sind Stuumlck fuumlr Stuumlck die Gleichenldquo157 So kontrastiert er alte Handwerks-
techniken mit Maschinentechnik und schreibt der Maschinentechnik die machen-
schaftliche Verdraumlngung als Geraff zu
Das Ge-Stell hat auch wenn das nicht unmittelbar und nicht sogleich ver-nehmlich wird im vorhinein schon alle diejenigen Stellen beseitigt an denenvormals Spinnrad und Wassermuumlhle standen Das Ge-Stell bestellt durch sei-ne Maschinerie zum voraus eine andere Art und Ordnung von Stellen Andiesen kommt nur zu Stand was als Bestellbares auf der Stelle gleichfoumlrmigzur Stelle steht
Darum ist auch die Art wie die Maschine selbst etwas herstellt einewesentlich andere als das handwerkliche Tun gesetzt daszlig es innerhalb desGe-Stells uumlberhaupt noch so etwas wie ein Herstellen gibt
Die Traktoren und Kraftwagen werden herausgebracht ausgeworfen se-rienweise Stuumlck fuumlr Stuumlck Wo drauszligen steht dieses so Herausgestellte Wo-hin in welchen Stand ist es gebracht158
In dieser Klage uumlber den technischen Wandel der durch den Fortschritt in
alle Lebensbereiche Einzug haumllt versucht Heidegger zu veranschaulichen wel-
chen Verlust es zu erkennen gelte Ein Versuch diesem entgegen zu treten ist die
von ihm vorgetragene Mythopoetik die er in diesem Vortragsteil seines Vortrags-
Gevierts allerdings auffaumlllig zuruumlckgestellt sein laumlszligt War der Einleitungsteil Das
Dinglsquo schlieszliglich eine nahezu einzige mythopoetische Darbietung Dramatur-
gisch wird Heidegger in Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo die mythopoetischen For-
mulierung als Loumlsungswege wieder Bedeutung geben In Das Ge-Stelllsquo versucht
Heidegger hingegen Vorstellungen aus seinen Schwarzen Heften aumlhnlich der fol-
genden mitzuteilen die das Uniforme Gleichfoumlrmige betreffen
Die Macht der Machenschaft ndash die Vernichtung sogar der Gottlosigkeit dieVermenschung des Menschen in das Tier die Vernutzung der Erde die Ver-rechnung der Welt ndash ist in den Zustand der Endguumlltigkeit uumlbergegangenUnterschiede der Voumllker Staaten Kulturen sind nur noch Fassade159
157 GA 79 S 36158 GA 79 S 35159 GA 96 S 52f
38
Was Heidegger unter dieser Gleichfoumlrmigkeit versteht schreibt er in den Schwar-
zen Heften zumeist den Amerikanern zu Er nennt es auch haumlufig Planetarismus
Der Amerikanismus [ist DS] die Zusammenraffung von Allem welcheZusammenraffung immer zugleich die Entwurzelung des Gerafften bedeu-tet160
Der Planetarismus ist die historisch gedachte Bestimmung der uumlberall glei-chen die ganze Erde uumlberdeckenden Seinsverlassenheit des Seienden161
Die Gegenuumlberstellung von natuumlrlicher und traditioneller Handwerkstechnik
gegen maschinenhafte Gleichfoumlrmigkeit exemplifiziert Heidegger dann im Vor-
trag Das Ge-Stelllsquo vielfach wie zum Beispiel hier
Der Forstwart zB der im Wald das geschlagene Holz vermiszligt und demAnschein nach noch wie sein Groszligvater in der gleichen Weise die selbenWege geht ist heute von der Holzverwertungsindustrie gestellt Er ist ober es weiszlig oder nicht in seiner Weise Bestand-Stuumlck des Zellulosebestandesund dessen Bestellbarkeit fuumlr das Papier das den Zeitungen und illustrier-ten Magazinen zugestellt wird die uumlber die Oumlffentlichkeit daraufhin stellenverschlungen werden162
160 GA 96 S 257161 GA 96 S 261162 GA 79 S 37f
Die renommierte Theaterautorin Elfriede Jelinek karikiert in ihrem Stuumlck Totenaubergvon 1991 Heideggers Konstrukt von Heimat und Fortschrittsfeindlichkeit verbunden miteiner Auseinandersetzung mit dessen Liebschaft zu Hannah Arend Mit philologischer Prauml-zision polemisiert sie Teile aus Heideggers Elegie uumlber die Technik und laumlszligt ihn dabei alsbeschraumlnktes und eingezwaumlngtes Wesen in einem Gestell gefangen sein Aus diesem heraussoll er Arend Rede und Antwort stehen uumlber sein Verhaumlltnis zum Nationalsozialismus unddie Shoa Doch dieser redet nur naturtrunken von Heimat und berauscht sich daran Derprophetische Denker wird banalisert ndash diese Worte legt Jelinek ihm (im Stuumlck der alte Mann)in den MundbdquoDie Angst vor dem Fragen liegt uumlber dem Abendland Sie bannt die Kandidaten auf ein
Team-Leibchen verbannt sie auf altgewordene Wege und jagt sie zuruumlck ins morsch geworde-ne Gehaumluse ihrer Tore wo es um ihre Ausscheidungen geht Es wird ihnen alles weggenom-men werden auch der Weg selbst Keine Spur kein Lichtschein aus den Ritzen Aber ruf ichin die Huumltte um nach einem zu fragen den ich gekannt hab sehe ich grad noch eine Tuumlrsich schlieszligen Der Wald kommt nicht zur rechten Geltung alles ist entflohen was mir liebwar und woran ich geglaubt hab Was kommt ist noch nicht da Nichts war Ich habe nichtsgehoumlrt Ich erinnere mich nicht aber ich stelle dem Kommenden das mich den lupenreinenAmateur schon vor Beginn des Rennens erlahmen laumlszligt vorsorglich die Hausschuhe vor dieTuumlr Sie sind das Einzige was die Profis des Profits von mir dann vorfinden werden wennsie anklopfen Die Haumlrte des Urgesteins sollte sie nicht entmutigen Die Jahreszeiten machendie Landschaft auf und zu Ich sage nur In dieser scheinbaren Leere will ich vom Denkenmuumld nur schlafen Von der Huumltte aus lassen sich Wanderungen unternehmen Aber auchsonst wird Ihnen alles wie ich sagte genommen werden Auch Ihre Fotos und Namen Unddas Gewesene wird wesenlosldquo ( Jelinek Elfriede Totenauberg Hamburg 1991 S 86f)
39
Die Oumlffentlichkeit ist fuumlr Heidegger ein Topos der dem Denken und Besinnen
entgegenstuumlnde Somit meint er damit zum Einen die Medien wie er es anhand
der Rede von den Bestandstuumlcken in Das Ge-Stelllsquo erklaumlrt wo der Mensch als
Urheber des Ge-Stells als Wesen der Technik nicht gelten soll Vielmehr wuumlrde er
in Ratlosigkeit und Langeweile verfallen weil er in der Bestellung des Bestandes in
Form von Bestandstuumlcken vom Rundfunk keine Besinnung mehr faumlnde dh das
Ganze also wiederum daswesentliche Ding nicht mehr zu fassen vermoumlge163 Und
so toumlnt es bereits aus den Schwarzen Heften von 19391940()
Die Bildlsquo und Tonlsquo ndash Reportagenlsquo der Machenschaft ist der planetari-sche Mythuslsquo des Vollendungsabschnittes der Neuzeit Die Welt des abge-legensten deutschen Bauernhofes wird nicht mehr durch [] die Naturlsquobestimmt in der noch die Erde waltet sondern durch das illustrierte Blattmit der Darstellung von ausgezogenen Tanzweibern von Boxern und Renn-fahrern und sonstigen Heldenlsquo des Tages164
Und ferner notierte Heidegger 1946 in seinen Schwarzen Heften
Uumlberall zerrt es aus dem Oumlffentlichen ins Oumlffentliche mit vielen Strickenund jeder sieht das kaum versuchte Denken des Seyns am Leitband seinesStrickes165
Dabei waumlre eben ein bdquoLiterat [] ein in die Oumlffentlichkeit verliebter Mensch der
Angst vor dem Denker hatldquo166 Dieses liefe dann darauf hinaus dass beim Rund-
funk bdquoein Bestellen und Stellen waltet das in dasWesen des Menschen eingegriffen
hatldquo167
Abermals nach dem Wesen der Technik also nach dem Ge-Stell gefragt geht
Heidegger auf seine Unterscheidung vonNatur undNaturwissenschaft ein bdquo[w]elches
ist das Verhaumlltnis zwischen der Technik und der Naturldquo168 Natur wuumlrde in wis-
senschaftlicher Hinsicht unter das Berechnete fallen sie wuumlrde bdquoals das in Maszlig
und Zahl gestellte Wirkliche vorgestellt das in seinem Gewirkten staumlndig an-
westldquo169 Wenn Heidegger dann Natur aus technischer Sicht bdquoals ein System des
163 Vgl GA 79 S 38f164 GA 96 S 54165 GA 97 S 100166 GA 97 S 126167 GA 79 S 39168 GA 79 S 41169 Ebd
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Bestellens von Erfolgen aus dem gestellten Wirksamenldquo170 charakterisiert spricht
er von seiner Rede der Verschraumlnkung von Historie und Technik ndash bdquoTechnik die
Historie der Naturldquolsquo171 Dieses ist bekanntlich das seinsvernichtende Gegenstuumlck
zur geschichtlichen Besinnung Denn geschichtliches Walten der Technik ist fuumlr
Heidegger technische Geschichte dh verwissenschaftlichte Geschichte die da-
durch ihr Wesen verloren haumltte (Seynsvergessenheit)172 So heiszligt es in den Schwar-
zen Heften von 1947
Ein Zeitalter das historisch geworden ist dh technisch planend sich selberberechnet und alles in diesen Sog zieht muszlig jede Besinnung nur als eine dervielen Formen der Intellektualitaumlt registrieren173
Heidegger schlieszligt den Vortrag mit dem Aufgriff der Anfangsbehauptung
bdquo[d]er Bestand bestellt das Abstandsloseldquo174 Somit liegt das Problem der ausblei-
benden Naumlhe durch die Technik deren Wesen das Ge-Stell waumlre das den Bestand
bestelle in der Luft Dass dabei der Mensch sogleich Teil des Bestandes und nicht
Teil der Maschine wird laumlsst ihn das historische Tier sein (2)
Der Mensch ist auswechselbar innerhalb des Bestellens von Bestand []Gleichwohl gehoumlrt der Mensch in einer voumlllig anderen Weise in das Ge-Stellals die Maschine DieseWeise kann unmenschlich werden DasUnmenschlicheist jedoch immer noch unmenschlich Der Mensch wird nie zur MaschineDas Unmenschliche und noch Menschentuumlmliche ist freilich unheimlicherweil boumlsartige und verhaumlngnisvoller denn der Mensch der nur Maschine wauml-re175
Wen Heidegger hier ersinnt ist der neuzeitliche Mensch der den bdquoGoumlttern uner-
traumlglich gewordenldquo176 waumlre
170 Ebd171 GA 95 S 351172 In Heidegger Die Technik und die Kehre S 21 stellt er Geschichte und Historie einander
gegenuumlber was er in Das Ge-Stelllsquo nicht vollzieht bdquoDie moderne Technik kam doch erst inden Gang als sie sich auf die exakte Naturwissenschaft stuumltzen konnte Historisch gerechnetbleibt dies richtig Geschichtlich gedacht trifft es nicht das Wahreldquo Signifikant fuumlr Heideg-gers Attributierung so wie sie oben schon geschildert ist steht Historie fuumlrs Rechnen undGeschichte fuumlr das Denken
173 GA 97 S 508174 GA 79 S 44175 GA 79 S 37176 GA 94 S 236
41
323 Die Gefahrlsquo
Aus Heideggers Darlegung uumlber das Ge-Stell erschlieszligen sich seine diversen Fa-
cetten der Vorstellung einer Abstandslosigkeit schaffenden Technik Dass die Ab-
standslosigkeit dem Prinzip des Gevierts des Zusammengestellten entgegensteht
bekommt im Vortrag Die Gefahrlsquo Nachdruck Die mythopoetische Erzaumlhlung
knuumlpft an den Vortrag Das Dinglsquo an mit den Mythologemene 1 Der Mythos
des geschichtlich sein muumlssens 2 der Mythos des Goumlttlichen 3 das geschichtsbe-
sinnliche Prinzip der Aletheia Zudem wird im Prozess des Vortrags das Ge-Stell
zur Gefahr stilisiert was einen eigenen Mythos erschafft
Durch das bdquouniversale Bestellen des Ge-Stellsldquo177 werde die naumlhernde Naumlhe des
Dings verwehrt Wie im Vortrag Das Dinglsquo fuumlhrt Heidegger das Wesentliche sei-
ner Theorie auf die deutsche und altgriechische Sprache zuruumlck Die so vollzoge-
ne Annaumlherung von Schwarzwaumllderischem Dialekt und Altgriechisch entspricht
Heideggers Traum von dem bdquogeschichtliche[n] Geburtsort des abendlaumlndischen
Wesensldquo178 den seine Heimat von Todtnauberg bis Freiburg stiften sollte (1)
es ist das Geistvolle und zugleich das erdenhafte schoumlne Land Es birgt un-sichtbaren Reichtum dem Gemuumlt bewahret tiefstes Dichten und houmlchsteGestalt der Sage179
Unter diesem Vorzeichen also sagt Heidegger
Das Ge-Stellwesen laumlszligt das Ding ohne die Wahr Das Wort die Wahrlsquo be-deutet in unserer Sprache dort wo sie noch urspruumlnglich spricht die HutIn unserer schwaumlbischen Mundart meint das Wort die Wahrlsquo die der muumlt-terlichen Hut anvertrauten Kinder Das Ge-Stell laumlszligt in seinem Stellen dasDing ohne die Hut ndash ohne die Wahr seines Dingwesens180
Diese in Bremen vorgetragene Heimatkunde ist auch Heideggers Sorge ge-
schuldet durch die Besatzermaumlchte und deren kulturellen Einfluss auch durch
die nun moumlgliche Oumlffnung Deutschlands zu einem Austausch mit der Welt das
eigene Wesen zu verlieren So schreibt er 1945-1947() in seine Schwarzen Hefte
177 GA 79 S 46178 GA 97 S 54179 Ebd180 GA 79 S 46
42
Das Schwerste und Fragwuumlrdigste unseres Geschickes ndash beruht darin ob wirdas Eigene finden und huumlten [] unter den anderen Voumllkernlsquo [] Scheinund Vorwand der Macht daszlig man unsere eigene Aufgabe bringen will []als Entmachtete aufgenommen zu sein in den Weltmachenschaftsbetrieb181
Es gaumlbe nach Heidegger also das Welten von Welt und die Verweigerung von
Welt aus derVerwahrlosung des Dings durch das Ge-Stell bzw die Technik182 Welt
ist nach dem Konzept des schwaumlbischen Denkers nichts weniger als das Geviert
Bei der folgenden mythopoetischen Zusammenstellung von dem Geviert mit alt-
griechischen Vokabeln um den Seins-Begriff wird das Aletheia-Prinzip eingefuumlhrt
Somit fuumlhrt uumlber den Mythos des Goumlttlichen (2) der Weg zur Wahrheit eben als
geschichtsbesinnlich erfahrene Aletheia (3)
Welt ist das Geviert von Erde und Himmel Goumlttlichen und SterblichenDas Spiegel-Spiel der Vierung wahrt alles was in ihm dingend zwischenden Vier anwest und abwest in das einende Ganze seines Anwesens Vonaltersher heiszligt das Anwesen des Anwesenden τὸ ὲόν das Seiend [sic] τὸεἶναι das Sein naumlmlich der ὲόντα des Seinenden das esse entium183
Diese Welt waumlre nun bdquoWahrnis des Wesens von Sein Statt Wahrnis sagen wir auch
Wahrheitldquo184 Die Welt mythopoetisch als Spiegel-Spiel des Gevierts und durch
eine altgriechische Brille betrachtet waumlre die wahre Welt Somit wird die Wahr-
heitsschau gebunden einen antiken Goumltterglauben und abendlaumlndische Sprachkas-
kaden vom Dialekt zum Altgriechisch
Das Problem mit der wahren Welt waumlre allerdings dass sie sich in die Ver-
borgenheit entziehe Naumlher betrachtet ist aber die Verborgenheit Bedingung des
Entbergens was Heidegger notwendig macht zu einem wuumlrdigen Lebensvollzug
in Harmonie mit dem Sein Durch solche Wesensschau waumlre der Mensch befaumlhigt
jederzeit die verstellenden Maumlchte des Ge-Stells (der Technik) zu uumlberwinden und
teilhaftig am Wesen der Welt zu werden
181 GA 97 S 99182 Vgl GA 79 S 47183 GA 79 S 48 (Die griechischen Vokabeln werden hier keiner Uumlbersetzung unterzogen Da
Heidegger ohnehin keine philologische Schaumlrfe anwenden will ist es fuumlr die Zwecke hierausreichend sie mit seiner Uumlbersetzung zu betrachten Heidegger spricht von bdquoAchten aufdas Griechischeldquo was schwieriger waumlre als klassische Philologie (vgl GA 79 S 63)
184 Ebd
43
Welt bleibt in der Verborgenheit (Αήθη) auf die Weise daszlig diese ihre Ver-borgenheit gerade eine Unverborgenheit gewaumlhrt die Αλήθεια185
Die Αλήθεια haumltte allerdings auch eine Rolle uumlber die subjektive hinaus da nur
durch ihren Vollzug Seinsgeschichte gewaumlhrt wuumlrde Das ist der Anspruch den
Heidegger an sein Auditorium stellt gemeinsam geschichtlich sein zu muumlssen (1)
Die Αλήθεια ist das Geschick des Seins als welches Geschick sich die Fuumllleder Seinsgeschichte in ihre Epochen fuumlgt186
Mit dem Ge-Stell als Wesen der modernen Technik waumlre die Aletheia aller-
dings hochgradig gefaumlhrdet Denn ohnehin waumlre die Aletheia prinzipiell der Ge-
fahr der Vergessenheit ausgesetzt Doch das Ge-Stell haumltte die Kraft die bdquovollende-
te Vergessenheit der Wahrheit des Seinsldquo187 zu vollrichten
Indem das Ge-Stell alles Anwesende in den Bestand bestellt setzt das Ge-Stell das Anwesen des Anwesenden heraus aus seiner Wesensherkunft ausder Αλήθεια188
Diese Versetzung des beteiligten Wesens aus der Moumlglichkeit des Wahrheitsprin-
zips heraus markiert Heidegger dann mit der Schreibweise Seyn (mit bdquoyldquo) Wie
bei dem Vortrag Das Dinglsquo koumlnnen ethymologische Abstammungen sein Sys-
tem anreichern Da wo es um das Wortfeld des Stellens geht Ge-Stell Bestellen
Verstellen ist auch das NachstellenMitglied der Familie
Im Althochdeutschen heiszligt nachstellen fara Das in sich gesammelte Stellenals Nachstellen ist die Gefahr Der Grundzug des Wesens der Gefahr ist dasNachstellen Insofern das Sein als das Ge-Stell sich selbst mit der Vergessen-heit seines Wesens nachstellt ist das Seyn als Seyn die Gefahr seines eigenenWesens189
Damit wuumlrde sich durch die Verringerung der Selbstreflexion im Seyns-Bestand
eine Schwachstelle auftun in die der denkbegabte und aletheiafaumlhige Mensch ei-
ne Moumlglichkeit haben das Seyn zum Sein zuruumlckzuwandeln ndash also wieder in ein
185 GA 79 S 49186 Ebd187 GA 79 S 53188 GA 79 S 52189 GA 79 S 53
44
wesentliches Verhaumlltnis zum bdquoDingldquo zu gelangen in dem das Geviert wieder die
Harmonie herstellt Allerdings faumlnde bis zu solch einer Nachstellung eine Ver-
sieglung des Seynsbestandes statt Und Heidegger beklagt dass die Erreichung der
Ruumlckeroberung des Seins uumlber die Nachstellung nicht stattfaumlnde und stattdessen
die Irre regieren wuumlrde190
In dieser Irre stuumlnde dem Menschen nicht einmal mehr zu zu sterben Denn
bdquoSterben [] heiszligt den Tod in sein Wesen austragenldquo191 Somit waumlren die Opfer
die in den KZs umkamen wie er sie in Das Dinglsquo bereits schildert nicht vermouml-
gend gewesen zu sterben bdquoSie werden Bestandstuumlcke eines Bestandes der Fabrika-
tion von Leichen [] Sie werden in Vernichtungslagern unauffaumlllig liquidiertldquo192
Das vermoumlge die Gefahr zu bewirken Der Mensch wuumlrde des eigenen Sterbens
beraubt da er keine Verbindung mehr zur Wahrheit der Welt haumltte Um den rich-
tigen Tod zu sterben muumlsse der Mensch die Aletheia schauen koumlnnen Insofern ist
Heideggers Prinzip ein religioumls anmutendes Wie in der christlichen Vorstellung
der Mensch im Jenseits an seinen Taten gemessen wird um Paradies oder Fege-
feuer zu besuchen soll nach Heidegger der Mensch waumlhrend des Sterbens mit
sich selbst ins Gericht gehen Er soll sich rein machen vom Ge-Stell der Technik
und dem Seyn um nicht die einmalge Gelegenheit des richtigen Sterbevollzugs
zu versaumlumen Es winken gemaumlszlig des Gevierts die himmlischen Goumlttlichen den
irdischen Sterblichen zu wobei annehmbar ist dass Heidegger Sterblichen die
die Aletheia erkennen einen Goumlttlichkeitsstatus beimessen moumlchte ndash eine Erlouml-
sungsphantasie
Genau diese Erloumlsung waumlre die Technik nicht
Ohne den Schritt des Denkens zu wagen der unser Menschenwesen demWesen der Technik [] aussetzt wuumlrgt man sich von Fall zu Fall von Lagezu Lage durch die Zwiespaumlltigkeiten hindurch Und genau durch dieses Ge-wuumlrge versaumlumt man die Moumlglichkeit dessen was man im Grunde erstrebtdie Technik durch menschliches Tun zu meistern und menschenwuumlrdig zulenken193
190 Vgl GA 79 S 55191 GA 79 S 55192 GA 79 S 56 Weil Heidegger im Judentum die Verantwortlichen fuumlr das Geraffe des Ge-Stells
sieht macht er sie gleichsam verantwortlich fuumlr die bdquoSelbstvernichtungldquo Die Seinsverges-senheit im Tode wird dadurch zum Spin-off der vermeintlich juumldisch erzeugten da machen-schaftlichen KZ-Maschinerie (Vgl GA 97 S 20f)
193 GA 79 S 59
45
Trost und Richtung findet Heidegger schlieszliglich abermals bei den alten Griechen
Das Wort stellenlsquo entspricht dem griechischen ϑέσις vorausgesetzt daszlig wirϑέσις griechisch denken Was heiszligt in diesem Falle griechisch denkenlsquo Esheiszligt darauf achten welche Lichtung desWesens des Seyns in welcherWeisedas Dasein der alten Griechen in den Anspruch genommen hat heiszligt imvoraus bedenken in welchem Geschick welcher Unverborgenheit des Seinsdie Griechen standenldquo194
Das sind Vorstellungen des Neuen Anfangs eine Reminiszenz der griechisch anti-
ken Welt Ein Eintrag aus den Schwarzen Heften von etwa 1945-47 () verdichtet
wie oben bereits aufgezeigt die Phantasie griechisch zu sein zu einem gelingenden
Lebensvollzug
Das reine Wesen des Griechentums dh das Seiende inmitten dessen dieGriechen als seiende fremd gewesen dieses und sie selbst und der Bezug desSeins zu ihnen ndash in der einfachen Wesung von der ἀλήθεια her zeigen underfahren Den μῦθος und λόγος ndash jedes Wort und Gebild rein aber nichterzwungen und schematisch-pedant ndash aus ἀλήθεια erfahren195
Hier zeigt sich auch dass Heidegger per se das Aletheia-Prinzip fuumlr notwendig
hielt um ins Licht der Wahrheit zu blicken Die Griechen sind ihm hier deshalb
Vorbild und rein da sie keiner modernen Technik und dem Ge-Stell ausgesetzt
waren sondern lediglich eine mythopoetische Verbindung zum Sein herstellen
mussten um wesentlich zu sein und Seinsgeschichte zu schreiben Die Dinge und
das Spiegel-Spiel des Gevierts waumlren ihnen geschickt zuhanden gewesen196 Hei-
degger macht schlieszliglich sehr deutlich dass das Griechische zu denken ein bei
weitem anderes Geschaumlft sei als philologische Praumlzision
Ein Echo zu sein naumlmlich dem Anspruch des Seins verlangt eine Sorgfaltder Sprache von der freilich der technisch-terminologische Sprachstil derWissenschaften uumlberhaupt nichts wissen kann Die Intentionalitaumlt der wis-senschaftlichen Sprache ist der staumlrkste Beweis fuumlr ihre Boden- und Heimat-losigkeit [] Das Heimische einer hohen Sprache gedeiht nur im Bereichdes unheimlichen Anspruchs der wesenhaften Stille im Wesen des Seyns197
194 GA 79 S 62f195 GA 97 S 20196 Hingegen waumlre das Judentum verantwortlich fuumlr das Ge-Stell fuumlr das Prinzip der Zerstoumlrung
wie es auf der selben Seite der Schwarzen Hefte darunter heiszligt (vgl ebd)197 GA 79 S 66 Die Bedeutung von Seyn als verstelltes Sein oder Bedingung zum Schauen
des wahren Seins ist verwirrend Einer genaueren Analyse wird aus Platzgruumlnden hier nichtnachgegangen
46
324 Die Kehrelsquo
Der letzte Vortrag ist mit nur neun Seiten der Kuumlrzeste des Vortragsgevierts
Nach dem Verlust des Dinges als Ding und der damit einsetzenden Abstandslosig-
keit als Wesen des Ge-Stells wobei die Gefahr zudem der Vergessenheit des Seyns
nachstellt bietet Heidegger eine Perspektive an
Im Wesen der Gefahr verbirgt sich [] die Moumlglichkeit einer Kehre in derdie Vergessenheit des Wesens des Seins sich so wendet daszlig mit dieser Kehredie Wahrheit des Wesens des Seyns in das Seiende eigens einkehrt198
Diese Moumlglichkeit bedeute nicht dass der Mensch sich der Gefahr selbst stellen
koumlnnte sie waumlre passiv ndash bdquoverbirgt sichldquo Die Kehre werde sich ereignen aumlhnlich
einer Erwartung an den Messias
Die Anwesenheit der Gefahr wuumlrde automatisch die Rettung bergen Denn
Houmllderlin haumltte geschrieben bdquoWo aber Gefahr ist waumlchst [d]as Rettende auchlsquoldquo199
Etwa 1945 notiert Heidegger in seine Schwarzen Hefte bdquoDie Wahrheit erfahren
wir im Gedaumlchtnis Das Gedaumlchtnis ist die Dichtungldquo200 (so) Von dieser War-
te aus ausgestattet mit Erinnerungen an das abendlaumlndische Dichten mit dem
Wissen um das Aletheia-Prinzip und passiv als denkender Huumlter des Seyns solle
der Mensch das Ereignis erwarten das ihn bdquoloumlsen freimachen freyen schonen
bergen in die Hut nehmen wahrenldquo201 wuumlrde (siehe S 43)
Dieses Ereignis waumlre der Blitz Ein unvermittelter jaumlher ploumltzlicher Moment
von kurzer Dauer der bloszlig einen ebenso kurzen Blick auf das wahre Wesen er-
lauben wuumlrde Abschlieszligend ist dies das Rezept gegen die Bestands bestellende
Technik in mythopoetischer Formulierung
So entsprechend ist der Mensch geeignet daszlig er im gewahrten Element vonWelt als der Sterbliche dem Goumlttlichen entgegenblickt Anders nicht dennauch der Gott ist wenn er ist ein Seiender steht als Seiender im Seyn unddessen Wesen das sich aus dem Welten von Welt ereignet202
198 GA 79 S 71199 GA 79 S 72200 GA 97 S 52f201 GA 79 S 72202 GA 79 S 76
47
Wenn Heidegger im Anschluss von der bdquohistorisch-technischen Darstellungldquo re-
det so ist dies die Abwehr der Wissenschaften (auch der Philosophie203) und ein
Appell an die Antirationalitaumlt des Mythos bdquokein historisches Vorstellen der Ge-
schichte als Geschehen bringt in den schicklichen Bezug zum Geschickldquo204
Damit das Blitzen erfahren werde als kurze Wesensschau der Aletheia muumlsse
dem wahren abendlaumlndischen und heimatlichen Ereignis stattgegeben werden Es
sollte nicht wie er 1939 schon in den Schwarzen Heften beschreibt das
kuumlnstliche Licht von Historie und Technik in der weder Mensch noch dieGoumltter weder eineWelt noch die Erde sichtbar werden koumlnnen wo aber dasLebenlsquo von allen den immer noch zu wenigen Meistenlsquo erlebtlsquo wird205
Damit schlieszligt der letzte Vortrag mit einer Erwartung an das Ereignis des Blit-
zens nicht das Erleben der Besinnungslosigkeit (vgl Das Ge-Stelllsquo) Schon 1947
traumlumt Heidegger von solcher Umkehr
Aus der Kehre der Seynsvergessenheit aber ereignet sich das Unumgaumlnglicheden Acker der Welt erst zu pfluumlgen und saatbereit der Sonne und dem Regenund den Voumlgeln des Himmels uumlberlassen206
203 Denn ldquo[e]igentlich denken heiszligt [] die Philosophie verlassen [] beim Sagen des Seinslsquoldquo(GA 97 S 60)
204 Ebd205 GA 95 S 427 Gegen das Erlebnis und Erleben straumlubt sich Heidegger besonders So notiert
er etwa 1939 bdquoZeitalter der Techniklsquo macht gerade die Techniklsquo nicht zum Ziel sondernimmer mehr zum Mittel der besinnungslosen Berechnung [] der Mensch [] das Erleb-nislsquo [] Erleben als der Gefuumlhlsgenuszligldquo (GA 95 S 149) Wie auch bdquoWo beide Historie undTechnik in solcher scheinbaren Gegensaumltzlichkeit verkoppelt sind koumlnnen sie sich zur Foumlr-derung dessen zusammenschlieszligen was einstmals wesentlich die Geschichte des Menschenmitbegruumlndete und was wir die Kunstlsquo nennen Die Historie verschafft [] Anregungenund Vorbilder der Nachahmung die Technik erleichtert [] die Zustellung von Darstel-lungsmitteln und Wirkungsformen [] Gleichwohl ist alles wurzellos [] berechnet und alsErlebnislsquo ausgegebenldquo (GA 95 S 212)
206 GA 97 S 511
48
4 Konklusion
Der umstrittene Philosoph Martin Heidegger hat uumlber die 1930erndash40er Jahre
hinweg eine ausgepraumlgte voumllkisch-nationale und bisweilen radikal-antisemitische
Denkweise entwickelt Dieses Denken fasste er auch auf als Besinnung und stellt
es der Philosophie und Wissenschaft diametral entgegen In Kapitel 2 wird aufge-
zeigt dass sowohl Heideggers Mythologie bereits kritisiert wurde (Adorno Cassi-
rer Meyer) als auch seine Mythopoetik bewundert (Schulz-Nieswandt) Kapitel
3 will daruumlber hinaus aufzeigen wie Heidegger eine eigene Mythologie mytho-
poetisch fruchtbar macht was sich von beiden vorigen Ansaumltzen unterscheidet
und erst mit der Veroumlffentlichung der Schwarzen Hefte ab 2014 nachvollziehbar
wurde
Umso mehr bietet die mythopoetische Verbindung von bdquoDichten und Den-
kenldquo (so) einen antitechnischen Gegenpol Denn Heidegger fasst wie oben ge-
schildert alles Rationale auf als berechnende Bestellung des Bestands im Sinne
der Technik Daruumlber hinaus fordert er mit dem Aletheia-Prinzip (als metapho-
risch gefasstes Ereignis des Blitzens) einen Mitvollzug seiner mythopoetischen
Kontemplation in dem religioumlse voumllkische antike und sprachliche Motive zu-
sammenfallen
Obwohl schon von Heidegger selbst nicht mehr als Philosophie betrachtet
hat seine Rede vom Ding dem Ge-Stell dem Wesen der Technik und der Kehre
noch immer einen bedeutenden Einfluss auf die Technikphilosophie So betont
Alfred Nordmann in bdquoWerkwissen oder How to express things in worksldquo (2008)
dass Heidegger mit Das Dinglsquo eine Art Dingwissen geschaffen haumltte In seinem
2012 erschienenen Aufsatz Another parting of the ways Intersubjectivity and the
objectivity of sciencersquo207 geht Nordmann ein weiteres Mal auf Heideggers Ding
ein Dieses waumlre eine Abarbeitung an dem Ding Kants womit auch Nordmann
Heidegger als einen Interpreten Kants versteht208 Anschlieszligend anMichael Fried-
207 Nordmann Alfred Another parting of the ways Intersubjectivity and the objectivity ofscience In Studies in History and Philosophy of Science 43 (2012) 38ndash46
208 Die Auseinandersetzung mit dem Ding wuumlrde nach Nordmann in Heideggers GA mit demText Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalen Grundsaumltzenlsquoeinsetzen (GA 41 Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalenGrundsaumltzen)
49
man spricht sich Nordmann ebenso dafuumlr aus dass Heidegger neben Rudolf Car-
nap und Ernst Cassirer eine neokantianische Philosophie verfolgt haumltte (siehe
Kap 1)209
Nach Nordmann haumltte Heidegger in seinen anschlieszligenden Gedanken uumlber
das Ding als Fortfuumlhrung Kants als erster Wissenschaft als angewandte Techno-
logie verstanden210 Diese Interpretation stuumltzt sich auf die gleichen Symbole
Metaphern und Mythen die die vorliegende Arbeit analysiert Das Ge-Stell ist
insofern aumlquivok mit dem Begriff techno-science Jedoch sind in dieser Fruchtbar-
machung von Heideggers Denken der Technik dessen nationalistischen rassisti-
schen und antisemitischen Implikationen die die vorliegende Arbeit als Zentrum
dessen Philosophie ermitteln konnte noch nicht beachtet worden koumlnnen211
Andreas Luckner webt Heideggers Ding-Entwurf weiter als verantwortliches
Sorgen um die Dinge212 Er geht dabei mit Heidegger voumlllig konform und tritt
eher als eine Art Bote der Ding-Botschaft auf als diese moumlglicherweise zu kriti-
sieren was sich diesen Artikel wie ein Kapitel aus einem Studienbuch lesen laumlsst
Der Darmstaumldter Technikphilosoph Christoph Hubig ist vor allem Kritiker Hei-
deggers Argumentationen laumlsst aber zuweilen diverse Topoi aus dem Werk des
Technik-Denkers durchscheinen ohne sie weiter zu reflektieren
So konstatiert Hubig Heidegger verfehle in dessen Auseinandersetzung mit
Aristoteles Lehre von der Poiesis zum Punkt der Sicherung wie sie in Die Frage
nach der Techniklsquo behandelt wird bdquodie operative Seite des Technischenldquo bei Aris-
totels213 In einem spaumlteren Aufsatz allerdings stuumltzt er sich ohne weitere Erlaumlute-
rungen auf Heideggers Begriff der Sicherung aus Die Frage nach der Techniklsquo214
209 Diese Befriedung paradigmatischer Umstaumlnde wird hier nicht geteilt Eine weitere Bearbeitunglaumlsst der Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht zu
210 Vgl Nordmann Another parting of the ways S 45211 Der Aussage dass Heideggers Ding-Begriff kantianisch waumlre muumlsste einer gezielten Untersu-
chung unterzogen werden genau wie die Behauptung insgesamt dass Heidegger oder inwie-weit dieser noch der suumlddeutschen Kantschule des 1920 Jahrhunderts angehoumlrte
212 Vgl Luckner Andreas Ding und Bestand Heidegger und das Wesen neuzeitlicher TechnikIn Gamm G Gehring P Hubig C Kaminski A und Nordmann A Ding und SystemS 15-30 hier S 29
213 Hubig Christoph Die Kunst des Moumlglichen Technikphilosophie als Reflexion der MedialitaumltBielefeld 2006 S 103
214 Vgl Hubig Christoph Technik als Medium In Grundwald Armin (Hg) Handbuch Tech-nikethik Stuttgart 2013 S 118-123 hier S 118
50
Dabei versteht Hubig Heideggers Betrachtungen zum Umgang mit der Technik
als gelassen
Fuumlr Heidegger liegt die Andersheit im Entbergen einer Wahrheit des Seinseines Geschicks von dem die Entwicklung der Technik hin zum Gestellkuumlnde Er verbindet dies mit dem Appell jenseits des rechnenden und si-chernden Vorstellens technischer Vollzuumlge als handlungsleitender Program-me sich gelassenlsquo dieser Entwicklung zu uumlberantworten und ein Seinlsquo zuhuumlten das sich als solches eben entbirgt Das Rettendelsquo dieser Einsicht lie-ge darin dass unsere individuelle Endlichkeit insofern transzendiert wirdals sie sich dem sie uumlbersteigenden Prozess aufschlieszligt und sich selbst relati-viert215
Wovon in diesem Zitat nicht die Rede ist ist der Mitvollzug der mythopoe-
tischen Rahmenbedinungen die Heidegger einfordert und an dem die Konzep-
te Abendland und voumllkische Tradition haumlngen In dieser Arbeit wird davon aus-
gegangen dass Heideggers Technikphilosophie-erzaumlhlung sich nicht von seinen
Absichten der Bekaumlmpfung des Technischen loumlsen laumlsst Die Relativierung ist in-
sofern nicht an den Prozess gebunden und damit emergent auf alles hin ausge-
richtet was kommen mag sondern houmlchst konvergent in einer Besinnung auf
Mythen von dem Ding und dem Geviert mit all deren Valenzen aus dem vorlie-
genden Heideggerschen Textkorpus Die individuelle Endlichkeit ist genoumltigt die
Heimat und das Abendland zu kennen und im Aletheia-Prinzip umzusetzen
Die Neubewertung der bislang bekannten Heideggerschen Technikphiloso-
phie von vor den SchwarzenHeften ist ein dringendes Desiderat Voumllkisch-nationale
Gruppierungen erstarken momentan in ganz Europa und es koumlnnte sehr hilfreich
sein aumlhnliche Denkstrukturen aufzudecken so wie sie zwischen den 1930er und
40er Jahren entwickelt wurden Zusaumltzlich muss das Werk Heideggers einer kriti-
schen Revision schon aufgrund der niemals von ihm behandelten Antisemitismen
unterzogen werden Heidegger hat nie zu diesen Stellung bezogen
Daruumlber hinaus ist das Thema Mythos und Philosophie ein weiterhin not-
wendiger Bereich der philosophischen Forschung In einem Bereich auszligerhalb
der exakten Wissenschaften und ohne klare theologische Tradition ist die Philo-
215 Hubig Die Kunst des Moumlglichen S 140
51
sophie beides sowohl Aufklaumlrer und antimythisch als auch Quelle fuumlr mythisches
Denken und affektierende Motive
52
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55
Trawny Peter Heidegger und derMythos der juumldischenWeltverschwoumlrung Frank-
furt am Main 2015
Wolin Richard Heideggers bdquoSchwarze Hefteldquo Nationalsozialismus Weltjuden-
tum und Seinsgeschichte In Vierteljahrsheft fuumlr Zeitgeschichte Bd 63 Heft
3 S 379ndash410
LexikaHeidmann Vischer Ute Mythoslsquo In Braunart Georg ua (Hg) Reallexikon
der deutschen Literaturwissenschaft Bd 2 Berlin New York 2000 S 664ndash
668
mdash Mythologielsquo In Braunart Georg ua (Hg) Reallexikon der deutschen
Literaturwissenschaft Bd 2 Berlin New York 2000 S 660ndash664
Graf Fritz (Princeton) Zgoll Annette (Leipzig) Hazenbos Joost (Leipzig)
Niehr Herbert (Tuumlbingen) Mythoslsquo Der Neue Pauly Hg v Cancik Hu-
bert (Antike) und Schneider Helmuth Landfester Manfred (Rezeptions-
und Wissenschaftsgeschichte) Brill Online 2015 Reference Universitaumlts-
und Landesbibliothek Darmstadt 06 December 2015 httpreferenceworks
brillonlinecomentriesder-neue-paulymythos-e815160 First appeared on-
line 2006
Metzler Literatur Lexikon Begriffe und Definitionen hg v Schweikle Irmgard
und Guumlnther Stuttgart 1990
Poumlggeler Otto Heidegger In Killy Literaturlexikon Autoren und Werke des
deutschsprachigen Kulturraums 15 Bde 1988-93 Bd 5 S 142ndash146
Internetquellenwwwuni-stuttgartdehkompresseservicepressemitteilungen201567
_kellererhtml zuletzt abgerufen am 1442016
wwwdewikipediaorgwiki Martin_Heidegger_und_der_Nationalsozialismus
Die_Heidegger-Kontroverse ndash zuletzt abgerufen am 24042016)
56
Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
Der Unterzeichner versichert dass er die vorliegende Bachelorarbeit selbststaumlndig
verfasst und keine anderen als die von ihm angegebenen Hilfsmittel benutzt hat
Die Stellen der Arbeit die anderen Werken dem Wortlaut oder dem Sinne nach
entnommen sind wurden in jedem Fall unter Angabe der Quellen (einschlieszliglich
des World Wide Web und anderer elektronischer Text- und Datensammlungen)
kenntlich gemacht Dies gilt auch fuumlr beigegebene Zeichnungen bildliche Dar-
stellungen Skizzen und dergleichen
Darmstadt 25 April 2016
__________________________
(Eigenhaumlndige Unterschrift)
- Abkuumlrzungsverzeichnis
- Danksagung
- Einleitung
- Heideggers mythopoetisches Programm
-
- Zu den Begriffen Mythos Mythologie und Mythopoetik
-
- Ein Beispiel fuumlr ein Mythologem
-
- Heideggers Mythen
-
- Formen der Mythologie
-
- Heideggers mythopoetische Technik
-
- Zur Publikationsgeschichte von den Bremer Vortraumlgen 1949
- Die mythopoetische Spiegelung der Schwarzen Hefte
-
- Das Dinglsquo
- Das Ge-Stelllsquo
- Die Gefahrlsquo
- Die Kehrelsquo
-
- Konklusion
- Literaturverzeichnis
- Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
-
iv
Danksagung
Zu dieser zum kleinsten akademischen Grad gereichenden Arbeit moumlchte ich den
groumlszligten Dank meinen beiden Betreuern und Gutachtern Cheryce von Xylander
und Christoph Hubig aussprechen Mit groumlszligter Sorgfalt Fairness und fachlicher
Unterstuumltzung haben sie mir die Herausforderung dieser Pruumlfungsarbeit in jedem
erdenklichen Weg reichhaltig und zum Gelingen gestellt Dass Letzteres nach
einem ersten verworfenen Manuskript eintrat ist ihrer groszligen Geduld und dem
Vertrauen in mich geschuldet fuumlr die ich mich herzlich bedanken moumlchte
Fuumlr ihr besonders engagiertes Korrekturlesen und die konstruktive formale
Kritik danke ich Sarah Holschneider Ebenso bestaumlrkt darin mit dem was ich
schreibe uumlberhaupt verstanden zu werden hat mich Maleen Hanst der ich herz-
lich fuumlr ihr Lektorat danken moumlchte
Ein Geschenk von dem Filmemacher Jeffrey van Davis hat mir neue Perspek-
tiven vermittelt die aus der Literatur nicht erhaumlltlich sind Fuumlr diese Dokumen-
tation sbquoOnly A God Can Safe Uslsquo (2009) die er mir auf mein Ersuchen hin un-
vermittelt geschickt hat bin ich mehr als dankbar
Ein vielleicht ungewoumlhnlicher weil als selbstverstaumlndliche Institution angese-
hen Dank gebuumlhrt der Universitaumlts- und Landesbibliothek Darmstadt Die her-
vorragende Ausstattung Infrastruktur und 24 stuumlndige Oumlffnungszeiten werden
ermoumlglicht von einem klasse Team das in so vielfaumlltiger Weise hilfreich ist
Nicht zuletzt danke ich meinem Freund Roland Franz fuumlr die moralische Un-
terstuumltzung und seine Bestaumlrkungen in mich und meiner Familie fuumlr alles Unsag-
bare
1
1 Einleitung
Die Geschichte des deutschen Philosophen Martin Heidegger existiert beinahe
nicht ohne eine um ihn gravitierende tiefschuumlrfende Debatte Beinahe deshalb
weil es eine kurze Zeitspanne gibt in der Heidegger sowohl hohes Ansehen bei
seinen Marburger Studierenden genoss als auch steigende Anerkennung und Be-
kanntheit fuumlr seine Publikation von sbquoSein und Zeitlsquo1 (1927)
Seine Schuumllerinnen und Schuumller waren ihm ebenso an der Universitaumlt Frei-
burg zugetan Mit der Publikation von Rudolf Carnaps Aufsatz sbquoUumlberwindung
der Metaphysik durch logische Analyse der Sprachelsquo2 im Jahr 1931 allerdings ist
datierbar wie Heideggers Arbeit als Ausdruck der voumllkisch-nationalen Rechten
interpretiert zum erstenMal ins Zentrum einer Debatte geriet die bis heute seine
gesamte Philosophie auf den Pruumlfstand stellt3
Es blieben nur wenige Philosophen die nach dem Ende der Weimarer Repu-
blik im Deutschen Reich der NSDAP leben und wirken durften4 Der Bekann-
teste von ihnen ist Martin Heidegger Michael Friedman sieht ihn deswegen als
das Bindeglied der nachkantianischen Tradition deutscher Philosophie mit der
Postmoderne5
1 GA 22 Carnap Rudolph Uumlberwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache in Zs
Erkenntnis 2 Berlin 193132 S 219-2413 Vgl Galison Peter AufbauBauhaus Logischer Positivismus und architektonischer Moder-
nismus In Deutsche Zeitschrift fuumlr Philosophie 43 (1995) Heft 4 S 653-685 hier S 710Diese Aussage beruht auf einer hier nicht von selbst erschlieszligenden Interpetration die sich
aus der Lektuumlre von Peter Galisons Aufsatz sbquoAufbauBauhaus Logical Positivism and Archi-tectural Modernismlsquo (1990) ergibt Galison schildert dort auf Seite 710 wie Carnap undNeurath sich auf Seiten der Wissenschaftsphilosophie im Sinne des Logischen Positivsimusmit dem Bauhaus verbunden fuumlhlten Er nennt diese Koalition bdquotransparente KonstruktionldquoDiese Form des Bauens und Philosophierens haumltte den selben Feinden gegenuumlber gestanden ndashbdquothe religious right nationalist anthroposophists voumllkisch and Nazi opponentsldquo CarnapsAufsatz sbquoUumlberwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprachelsquo selbst haumllt sichpolitisch auffaumlllig zuruumlck Die Bedeutung Carnaps im Heidegger-Streit ist ferner eine interes-sante Frage die aber den Bereich der vorliegenden Arbeit uumlberschreitetDas Buch sbquoCarnap Heidegger Cassirer Geteilte Wegelsquo (2004) von dem US amerikani-
schen Philosophen Michael Friedman schlaumlgt dazu versoumlhnliche Toumlne an indem er alle dreials unterschiedliche Interpreten Kants versteht In der vorliegenden Arbeit aber ist ausschlag-gebend dass Carnap und Cassirer ins US-Exil flohen waumlhrend Heidegger ein Konzept desdeutsch-voumllkischen Denkens entwickelte
4 Vgl Dahms Hans Philosophie In Frank-Rutger Hausmann (Hg) Die Rolle der Geisteswis-senschaften im Dritten Reich 1933ndash1945 Muumlnchen 2002 S 193-228
5 Friedman Michael Carnap Cassirer Heidegger Geteilte Wege Frankfurt am Main 2004 S13 u 162
2
Von 1933 an war Heidegger Mitglied der NSDAP und mit der Einrichtung
des Fuumlhrer-Rektors zu dem er auch 1933 gewaumlhlt wurde als voumllkisch-nationaler
Rechter nicht mehr in Frage zu stellen Die philosophischen Differenzen waumlhrend
der Diktatur waren weniger von einer fachlichen Auseinandersetzung gepraumlgt als
denn der Erziehung des Volks und eines geistigen Uumlberbaus der Nazis geschul-
det6 Eine direkte Auseinandersetzung mit seinen Kritikern des mittlerweile ge-
flohenen Wiener Kreises hatte es nicht gegeben
Auf Umwegen wurde Jean-Paul Sartre zum ersten Heidegger-Apologeten je-
doch nicht gegenuumlber Carnap oder demWiener Kreis sondern gegen die franzoumlsi-
sche Linke Diese hatte sich aufgrund der offensichtlichen Faktenlage mit Heideg-
ger als Fuumlhrerrektor uumlber die Existenzphilosophie Sartres empoumlrt die Heideggers
Werk rezipiert Sartres Entgegenhalten enthaumllt den Kern der Frage wie Philoso-
phie und Autorschaft im Verhaumlltnis stehen
Was zaumlhlt schon Heidegger Wenn wir unser eigenes Denken anlaumlszliglich des-sen eines anderen Philosophen entdecken wenn wir bei diesem Technikenund Methoden suchen die uns zu neuen Problemen Zugang verschaffenkoumlnnen heiszligt das dann daszlig wir alle seine Theorien teilen Marx hat sei-ne Dialektik von Hegel uumlbernommen Sagen Sie deshalb sbquoDas Kapitallsquo seiein preuszligisches Werk7
Nach Ende des Krieges wurde Heidegger im Zuge der Entnazifizierung die
Lehrerlaubnis entzogen Die Debatte um seine Einstellung zum Nationalsozialis-
mus war ihm selbst zu dieser Zeit am unmittelbarsten denn seine Befugnisse wur-
den darin verhandelt Jean-Paul Sartre war unterdessen interessiert am Dialog mit
Heidegger und Jean Beaufret wandte sich brieflich an ihn Diese Auseinanderset-
zung uumlber den Humanismus angestoszligen von Sartres Essay sbquoLrsquoexistentialisme est
un humanismelsquo8 (1946) bindet die franzoumlsischen Philosophen an den deutschen
6 Vgl Dahms Hans-Joachim Philosophie In Elvert Juumlrgen und Nilson-Sikora Juumlrgen (Hg)Kulturwissenschaften und Nationalsozialismus Stuttgart 2008 S 19-51
7 Sartre Jean-Paul Zum Existenztalismus ndash eine Klarstellung In Der Existenzialismus istein Humanismus und andere philosophische Essays 1943ndash1948 Philosophische Schriften IFrankfurt am Main 1994 S 114Das Zitat wird auch herangezogen im Kopfteil einer Wikipedia Ab-
handlung uumlber die bdquoHeidegger-Kontroverseldquo (httpsdewikipediaorgwikiMartin_Heidegger_und_der_NationalsozialismusDie_Heidegger-Kontroverse ndash zuletztabgerufen am 24042016)
8 Sartre Jean-Paul Lrsquoexistentialisme est un humanisme Editions Nagel Paris 1946
3
Kollegen der seinen sbquoBrief uumlber den Humanismuslsquo9 (1947) beisteuerte Dieser bi-
laterale Briefwechsel wie auch die konspirativen Vortraumlge im privaten Club zu
Bremen im Jahr 1949 denen Heideggers spaumlte Technikphilosophie entspringt
trugen zu einer Rehabilitierung bei Ab 1951 wurde Heidegger emeritiert wo-
durch er wieder in Freiburg lehren durfte
Diese Arbeit untersucht inwiefern Heideggers Technikdenken in den Bremer
Vortraumlgen (1949) von seinen seit 2014 vorliegenden sogenannten Schwarzen Hef-
ten (1931-1948 GA 94 ndash 97) Heideggers Notizbuumlchern zehren Diese sind die
wichtigste Quelle zum Nachvollzug seiner Gedanken zum Nationalsozialismus
und Rassismus geworden Die vielen Spekulationen um Heideggers menschliche
Defizite und deren Eingeschriebensein in seine Philosophie finden seitdem eine
handfeste Grundlage
Insofern wird der Frage nachgegangen ob und wie ein Programm anhand der
Schwarzen Hefte vorliegt das sich auf Heideggers Technikdenken niederschlaumlgt
Dazu wird davon ausgegangen dass Heidegger sich in eine Denkweise des My-
thologisierens begeben hatte die sich in den Schwarzen Heften manifestierte
Das untersucht Kapitel 2 Kapitel 3 untersucht wie die moumlgliche Mythologie der
Schwarzen Hefte mit dem ersten Vortrag seit Beendigung des Zweiten Weltkriegs
zusammen haumlngt
9 GA 9
4
2 Heideggers mythopoetisches
Programm
In diesem Kapitel wird die These aufgestellt dass Heidegger in den Schwarzen
Heften von 1931ndash1948 sich selbst eine Mythologie anlegt derer er sich in Veroumlf-
fentlichungen mythopoetisch bedient Die Mythopoetik aus seinen mythologi-
schen Annahmen bestimmt aber auch weite Teile seiner intimen Schriften (Denk-
tagebuumlcher) also die Schwarzen Hefte selbst Dh dass Heidegger sich seine ei-
gens gesetzte Mythologie aus fruumlheren Jahren als permanentes Zentrum seines
Philosophierens oder Nachdenkens fortschreibt und mit spaumlteren Gedanken zum
Zeitgeschehen aktualisiert Gerade diese Kohaumlrenz mit der er an seiner
Der Begriff der Mythologie und ferner der des Mythos bieten eine Vielzahl
von Moumlglichkeiten der Bestimmungen und Interpretationen Aus diesem Grund
ist der weiteren Erlaumluterung der These eines mythopoetischen Programms eine Be-
griffseingrenzung vorangestellt10 Genauso wird eine Erlaumluterung des Begriffs der
Mythopoetik dargelegt werden um darauf aufbauend Heideggers Vorstellungen
aus den Schwarzen Heften aufzudecken
21 Zu den Begriffen Mythos Mythologie
und Mythopoetik
Zur Bestimmung von Heideggers Vorstellungen als mythopoetisches Programm
werden die drei Begriffe Mythos Mythologie und Mythopoetik hier einer einfa-
chen lexikalischen Definition zugrunde gelegt Diese orientiert sich maszliggeblich
am Reallexikon der Deutschen Literaturgeschichtelsquo (RDL) das eine fachwissen-
schaftliche (philologische) Seriositaumlt besitzt die gefragten Begriffe aber auch kom-
pakt und uumlberschaubar abhandelt11
10 Eine fuumlr dieses Thema hervorragende Reflexion des Mythos-Begriffes bietet sich in Ernst Cas-sirers Der Mythus des Staateslsquo an Auf diesen Titel wird allerdings erst spaumlter eingegangenwerden um mit der Begriffseingrenzung nicht einen Cassirerrsquoschen uumlberbau zu erstellen
11 Die Eintraumlge des RDL werden hier bereits nur sehr sparsam verwendet bieten sie jedochweitaus reichhaltigere Reflexionen zu den drei gefragten Begriffen Trotz der faszinierenden
5
Insofern legt das RDL den Mythos uumlber die bdquoForm eines vorrationalen Wis-
sensldquo hinaus so aus
Mythos2 bezeichnet ein ndash oft einem vermeintlich wissenschaftlicheren lo-goslsquo als mythisches Denkenlsquo entgegengesetztes ndashWeltverhaumlltnis uumlber dessenEigenschaften [] immer wieder neu spekuliert wird und das man ua ausdem Mythos1 zu erschlieszligen sucht12
Zur Wortgeschichte erklaumlrt das RDL ferner dass im Fortschritt der bdquoFachschrift-
stellereildquo Mythos und Logos als Spannungsverhaumlltnis hervorzutreten beginnen
mit demmyacutetos als bdquoAusdruck fuumlr Erdichtetes oder Erfundenesldquo und logos bdquoals ver-
antwortende Redeldquo Mit der im RDL sogenannten bdquoFachschriftstellereildquo muss be-
reits die griechische Antike gemeint sein wenn es in der Begriffsgeschichte heiszligt
bdquo[i]n der antiken Geschichtsschreibung und Philosophie wird der Begriff fast im-
mer ex negativo im Hinblick auf das Nicht-Wissenschaftliche verwendetldquo13
Der Begriff Mythologie wird hauptsaumlchlich unterschieden in 1) eine bdquoZusam-
menstellung der Mythen einer bestimmten Kulturldquo und 2) deren bdquoErforschung
und theoretische Reflexionldquo14 Als Drittes kann die Zusammenstellung von hy-
postasierten poetischen oder heroisierenden Elementen als Mythologie aufgefasst
werden So sagt Adorno uumlber die deutschen Existentialisten dass sie bdquoin der ab-
soluten Verfuumlgung des Einzelnen uumlber sich [] soldatischldquolsquo an der bdquoBindung an
den Befehlldquolsquo15 hingen Sprecher solcherlei bdquoExistenz bewegen sich auf heroisie-
rende Mythologie zuldquo16 Insofern kann als Mythologie gelten was sich als solche
gebiert Er bindet dieses Mythologisieren in seinen Topos des bdquoJargons der Eigent-
lichkeitldquo ein der hauptsaumlchlich Heideggers eigenwilligem Sprachverhaumlltnis gewid-
Begriffsgeschichten von Mythos und Mythologie soll zugunsten der hier verhandelten The-se auf tiefergehende Reflexionen verzichtet werden Das Material dazu ist weiterhin uumlberdas RDL hinaus sehr umfangreich Dennoch wird davon ausgegangen dass der hier gewaumlhl-te Bedeutungsumfang der Begriffe dem Verstaumlndnis hinsichtlich der These von Heideggersmythopoetischen Programm genuumlgen wird
12 RDL S 665 Da das RDL in seiner Explikation von drei verschiedenen Bedeutungsdimensio-nen spricht wird in der zitierten 2 auf die 1 refereriert welche lautet ldquoMythos1 meint dieerzaumlhlende Darstellung von kollektiv bedeutsamen Orten und Figuren oder Naturphaumlnome-nen in aller Regel mit religioumlser oder kultischer Dimensionldquo (Ebd S 664)
13 RDL S 66514 RDL S 66015 Adorno Theodor W Jargon der Eigentlichkeit Zur deutschen Ideologie Frankfurt am Main
1964 S 10716 Ebd S 108
6
met ist Was Adorno als Abwehr gegen Heidegger und die deutschen Ideologen
der Moderne anfuumlhrt kann nicht in gleicher Weise auf die Romantiker fallen
Im 19 Jahrhundert fanden bei denen auch Bestrebungen statt Mythologie als
wissenschaftliche Wahrheitsfindung zu betreiben Mythologie ist dort bdquoSprache
der Phantasielsquo die jedoch auch Spuren der aumlltesten Geschichte enthalte und da-
durch deren Allegorisierung verhindereldquo17 Der Unterschied zwischen beliebiger
Allegorie und verbindlicher Mythologisierung liegt demzufolge im Rekurs auf die
bdquoaumllteste Geschichteldquo Der Antikestoff befluumlgelte Schriftsteller wie Philosophen zu
poetologischen und philosophischen Doktrinen die die bloszlige Zusammenstellung
von tradiertenMythen sprengten und ein progressives Mythologisieren forderten
Dieses Zusammenspiel fand seinen Houmlhepunkt im bdquoSystemprogrammldquo
[E]ine neue Mythologie der Vernunftlsquo welche den Gegensatz zwischendem Volk und einer philosophischen Elite aufloumlsen und eine allgemeineFreiheit und Gleichheit der Geisterlsquo verwirklichen sollte18
Daran beteiligt waren Friedrich Schlegel Hegel und Houmllderlin Bei den aus-
gepraumlgten Houmllderlinkenntnissen Heideggers kann von dessen Kenntnis des bdquoSys-
temprogrammsldquo ausgegangen werden auch wenn er dessen noblen Ziele nicht zu
beerben gedachte Gerade fuumlr Schelling jedoch bdquoist Mythologie das Mittelglied der
Ruumlckkehr der Wissenschaft zur Poesieldquo19 Es ist genau diese Aufwertung des Au-
tors aus einer Synthese von Kunst und dem Prozess ihrer archaischen Ruumlckfuumlh-
rung die Heidegger als Wahrheitsquelle vorphantasiert Er geht bei dieser My-
thologisierung so weit von der Errettung durch die Goumltter zu traumlumen wobei
er auf Houmllderlin als Mittlerfigur rekuriert der sich wiederum auf die Vorstellung
von Goumlttern der griechischen Antike bezieht Das ist ein Teil von Heideggers
voumllkischer Mythologie die eine reine Linie des Denkadels nachzeichnen will
Werden wir einen wirklichen geistigen Adel schaffen der stark genug ist dieUumlberlieferung des Deutschen aus einer groszligen Zukunft zu gestalten20
17 RDL 66218 RDL S 66319 Ebd20 GA 94 S 121
7
bdquoAus einer groszligen Zukunftldquo ist hierbei bezeichnend fuumlr die Vorstellung eines
Versprechens aus der Vergangenheit Das macht diesen Mythos aus Heideggers
Mythologie
Mythopoetische Texte schlieszliglich werden definiert als
Literarische Werke die Mythen aufnehmen und auf eine fuumlr die Textaussagekonstitutive Weise dichterisch bearbeiten21
Die Besonderheit von der bei der vorliegenden Arbeit ausgegangen wird ist dass
Heidegger in seinen echten Publikationen wobei hier besonders die Vortraumlge von
1949 von Interesse sind nicht bloszlig mythologisierte im Sinne eines bdquoerweiterten
Mythosldquo Sondern er schreibt als Mythopoet schoumlpfend aus seiner privaten My-
thologie Diese legte er sich selbst zu Grunde in den Schwarzen Heften Es sind die
Manifestationen seines Glaubens an romantisierte Antikeideale und seine Uumlber-
houmlhungen von Fantasien von einem deutschen Volk
Wie das Metzler Literaturlexikon es bereits aufweist bdquoDie weitere Explikation
des M-Begriffs ist komplex und faumlllt in die Zustaumlndigkeit verschiedener Diszipli-
nenldquo22 Die Begriffseingrenzung hier hat allerdings in Bezug auf das RDL einen
deutlich literaturwissenschaftlichen Bezug da Heidegger eine bdquoPartnerschaft zwi-
schen Denken u Dichtenldquo23 anstrebte ndash bdquoDas Dichterischelsquo sollte rettende Wege
im Zeitalter des universalen technolog Zugriffs findenldquo24 Damit ist auch zum
wiederholten Male das Kontrastierende in dieser Haltung genannt ob sich der
Mythos nun gegen das TechnischeWissenschaftliche richtet (Heidegger) oder ge-
21 RDL S 66522 Metzler Lexikon der Literatur S 524 Ferner deutet ein Eintrag im Neuen Pauly dar-
auf hin bdquoEine alle Disziplinen befriedigende Definition von M (μῦθοςmyacutethos latmythos) zu finden erweist sich trotz vieler Versuche als unmoumlglichldquo (Graf Fritz(Princeton) Zgoll Annette (Leipzig) Hazenbos Joost (Leipzig) Niehr Herbert (Tuuml-bingen) Mythoslsquo Der Neue Pauly Hg v Cancik Hubert (Antike) und Schnei-der Helmuth Landfester Manfred (Rezeptions- und Wissenschaftsgeschichte) Brill On-line 2015 Reference Universitaumlts- und Landesbibliothek Darmstadt 06 December2015 httpreferenceworksbrillonlinecomentriesder-neue-paulymythos-e815160 Firstappeared on-line 2006)
23 Poumlggeler Otto Heidegger In Killy Literaturlexikon Autoren und Werke des deutschspra-chigen Kulturraums 15 Bde 1988-93 Bd 5 S 142-146 hier S 144
24 Ebd S 142
8
gen die Rationalitaumlt (Cassirer) er hat stets bdquodas erklaumlrte Andere des logischen
Erkennensldquo25 inne26
211 Ein Beispiel fuumlr ein Mythologem
bdquoDen μῦθος und λόγος [] aus ἀλήθεια erfahrenldquo27 Dieses System entruumlckt
Wort und Rede dem zwischenmenschlichen Sprachgebrauch und uumlberlaumlsst es dem
Prinzip eines eigenwillig ausgelegten Begriffs der ἀλήθεια ob etwas als Ereignis
zum Sein gereicht oder als Dasein hinfaumlllig ist Die erstrebenswerte Identifikation
mit dem bdquoLeben der Gemeinschaft und mit dem Leben der Naturldquo28 die der ge-
meinsame Austausch uumlber Mythen bieten soll zB im Raumlsonieren daruumlber (etwa
im Sinne des Logos) untersteht hier dem regelnden Prinzip einer Aletheia Mys-
thagogisch will Heidegger den archetypischen Akt dieser Wesensschau beim anti-
ken Griechenvolk enthuumlllen (vgl Kapitel 323) Damit ist die Zusammenstellung
von bdquoμῦθος und λόγος [] aus ἀλήθεια erfahrenldquo bereits ein Mythos seiner
Mythologie
Die Eigenwilligkeit mit der Heidegger einen Mix aus philologischer Hinwen-
dung zu den Vorsokratikern der Dichtung Houmllderlins und einem Pathos seiner
Heimatverbundenheit verquickt ist Adorno schon in den 1960ern als Mythologie
aufgefallen bdquoAntisophistik im Endstadium aufbereiteter Mythologie ist verhaumlrte-
tes Ursprungsdenkenldquo29 Adorno konnte nicht ahnen wie tief Heidegger seinen
Wunsch nach Ursprung in sein Denken verschlossen hat Der Bestand bdquoaufbe-
25 Erdbeer Robert Matthias Graf Fritz Mythoslsquo Der Neue Pauly Herausgegeben vonHubert Cancik Helmuth Schneider (Antike) Manfred Landfester (Rezeptions- und Wis-senschaftsgeschichte) Brill Online 2015 Reference Universitaumlts- und LandesbibliothekDarmstadt 06 December 2015 lthttpreferenceworksbrillonlinecomentriesder-neue-paulymythos-rwg-e1505640gt First appeared online 2006
26 Ernst Cassirer interpretiert in diesem Bezug ferner nachdem er den Konflikt zwischen ra-tionalem und mythischem Denken als Machtkonflikt aufwies Kants Annahme von zweibdquoGruppen von Gelehrten und Forschern die eine befolgt das Prinzip der Homogenitaumltlsquo dieandere das der Spezifikationlsquo [] Nach den Prinzipien der Kantischen Philosophie selbststehen beide Haltungen nicht wirklich im Widerstreit miteinander Denn sie druumlcken keinefundamentale ontologische Differenz aus keine Differenz in der Natur und dem Wesen derDinge an sichlsquo Sie repraumlsentieren eher ein doppeltes Interesse des menschlichen Verstandesldquo(Cassirer S 12) Allerdings ist Heidegger anti-wissenschaftlich Sein Ringen um das Mythi-sieren verfolgt das Ziel einer gegenwissenschaftlichen bdquoBesinnungldquo wie er es nennt
27 GA 97 S2028 Cassirer Der Mythus des Staates S 5329 Adorno Jargon der Eigentlichkeit S 41
9
reiteter Mythologieldquo liegt erst seit 2014 mit der Veroumlffentlichung der Schwarzen
Hefte vor
22 Heideggers Mythen
Heideggers Mythen sind weder eine Fortsetzung antiker Uumlberlieferungen noch
ein von ihm entwickeltes Fabulieren uumlber anthropomorphe Goumltter und ihre Ent-
stehungsgeschichten Es ist in erster Linie eine eigenwillige Philologie des Alt-
griechischen wenn er zB in bdquogeschichtlicher Besinnungldquo zum Zuruumlckgehen bdquoauf
den Zusammenhang von τέχνη ἀλήθεια und οὐσίαldquo30 auffordert Adorno cha-
rakterisiert seinen Begriff vom Jargon der Eigentlichkeitlsquo mit dem Zug der sta-
tischen Inbeschlagnahme einzelner Woumlrter die sich bdquodurch die Konstellation die
sie verleugnenldquo aus demDiskurs sprengten und als Apotheosen eine uumlbertriebene
Eigenbedeutung erhalten wuumlrden Diese guerrillaartige Umdeutung von Sprache
versteht Adorno als Asyl des Faschismus31
Was das singulaumlre Wort an Magie verlor wird ihm gleichwie durch Maszlignah-men dirigistisch angeschafft [] Bestandstuumlcke der empirischen Sprachewerden in ihrer Starrheit manipuliert als waumlren sie solche einer wahren undgeoffenbarten [] Der Jargon objektiv ein System benutzt als Organisati-onsprinzip die Desorganisation den Zerfall der Sprache in Worte an sich32
Die bdquoDesorganisationldquo die Adorno Heideggers Sprachzerfall zuweist ist viel-
mehr eine Neukonstellation im Sinne des Mythos So erscheint es zumindest
anhand der Leese die Heidegger in den Schwarzen Heften zusammentraumlgt Der
deutsch-schweizerische Philosoph Enno Rudolph fuumlhrt in diesem Zusammen-
hang einige Militaumlrmetaphern an die Heideggers Zielsetzung unterstreichen sol-
len mit seinem Sprachsystem voumllkisch-nationale und eben auch antisemitische
Abgrenzungspolitik zu betreiben
30 GA 94 S 336f31 Vgl Adorno Jargon der Eigentlichkeit S 8f bdquoAsyl des Faschismusldquo ist eine treffende Parodie
auf Heideggers Rede von der Sprache als Haus des Seins (su)32 Ebd S 10
10
Am Ende koumlnnten sich Text und Sache moumlglicherweise so darstellen lassen[] dass sich das Gesamtwerk als die labyrinthisch konstruierte letzte Basti-on eines philosophischen Stellungskrieges positioniert in dessen Verlauf derAntisemitismus ndash neben den anderen programmatischen Feindseligkeiten ndasheine strategische Funktion nach Analogie mehrerer einander koordinierterWaffengattungen erfuumlllt [] dass es sich bei den vier Baumlnden um Bausteinefuumlr eine Kampfschrift handelt33
Mit dem Schluumlssel des Verstaumlndnisses der altgriechischen Sprache seiner Liebe
zum Klassikautor Houmllderlin und als selbsterklaumlrter Feind der Metaphysik ver-
stand sich Heidegger als Prophet des Denkens das als Dichtung veredelt An-
athema zur Rationalitaumlt und Wissenschaft (worunter er auch die Philosophie ver-
stand) sein sollte Die strenge Bindung an seine Pseudotradition des Abendlandes
sollte mythologisch festgezurrt sein aber seine Veroumlffentlichungen in Form von
Vortraumlgen und Aufsaumltzen und schlieszliglich in Buchform sollten selbst nicht bloszlig
mythologisch sein ImModus von verhaumlrtetem solipsistischen Narzissmus ging er
daruumlber sogar noch hinaus und wollte sich verstehen als mythopoetischen Autor
seiner eigenen Mythologie
Eine katalysierende Wirkung auf dieses Vorgehen Heideggers hatte der Alt-
philologe Walter F Otto (1874ndash1958) In einem vor den Schwarzen Heften in
2009 veroumlffentlichen Aufsatz schildert der franzoumlsische Germanist Daniel Meyer
von diesem Bezug und untersucht Heideggers Verbindung der Kehre34 und des
Mythos Die Entdeckung des griechischen Mythos Heideggers geschichtsphilo-
sophische Wendelsquo35 Wie es der Titel verraumlt markiert Meyer Heideggers Kehre
zur Seinsgeschichte mit dessen bdquoEntdeckungldquo des Mythologisierens36
33 Rudolph Enno Heideggers Schwarze Hefte im Echo In Philosophische Rundschau Bd 62Heft 2 (2015) S 141-154 hier S 145f
34 Die bdquoKehreldquo ist multifaktoriell mit Bedeutungen besetzt Darauf kann hier nicht eingeangenwerden Im Uumlblichen ist die Kehre zur bdquoSeinsgeschichteldquo gemeint
35 Meyer Daniel Die Entdeckung des griechischen Mythos Heideggers geschichtsphilosophi-sche Wende Germanica 45 (2009) S 13-26
36 Diese Entdeckung ist wie bei Peter Trawny (su) gebunden an Heidegger Topos des AnfangsDen Anfang dieser Rede des Anfangs will auchMeyer erkannt haben Insgesamt koumlnnen nochmehrere starke Aumlhnlichkeiten des Artikels von Meyer mit Trawnys Buch uumlber die Schwar-zen Hefte nachgewiesen werden womit Trawny ohne jegliche Nennung Meyers unter denAnfangsverdacht des Plagierens faumlllt
11
Ottos 1929 erschienenes Werk Die Goumltter Griechenlandslsquo37 sei laut Meyer
der fuumlr Heideggers mythologische Strategie unentbehrliche Einfluss Somit sei
der griechische Goumltterbegriff nicht mehr bdquochristlich antithetisch zu Welt und
Mensch sondern in Einheit damit zu denkenldquo38 Diese Einheit wuumlrde gestif-
tet durch bdquoOttos Formel vom Geheimnis der Beruumlhrung von Goumlttlichem und
Menschlichenlsquoldquo39 Da Meyer das Mythologisieren im Zusammenhang mit der ge-
schichtsphilosophischen Kehre auch im Sinne einer bdquoVorrangstellung des primi-
tiven archaischen von ihm [Heidegger DS] als mythisch verstandenen Den-
kensldquo40 als Weg zum Nationalsozialismus ndash der Traum Heideggers eines neuen
(deutschenabendlaumlndischen) Anfangs ndash versteht liegt dem bdquogriechischen Goumltter-
begriffldquo hier eine besondere Wertlegung zugrunde41
Die Beschwoumlrung des Anfangs des griechischen Ursprungs ermoumlglicht ei-nen genuinen Neuanfang im Sinne einer Annullierung des Vorhergekom-menen Der Ausweg aus der Moderne aus der Welt der Uneigentlichkeitist moumlglich durch einen Bruumlckenschlag zum griechischen Denken [] DieMoumlglichkeit diese Krise zu uumlberwinden ist fuumlr Heidegger 1933 durch dienationalsozialistische Machtergreifung gestellt doch reiht er diesen Prozessin eine legitimierende geschichtsphilosophische Perspektive die auf einengriechischen Ursprungsmythos zuruumlckverweist42
Meyer findet kernige Passagen die er aus Heideggers Schriften und Vorle-
sungen bis 1935 durchaus uumlberzeugend zur Unterstuumltzung seiner These anfuumlhrt
Diese Zitate Heideggers sind der Mythologie der Schwarzen Hefte sehr aumlhnlich als
tentatives Entwerfen
37 Otto Walter F Die Goumltter Griechenlands Das Bild des Goumlttlichen im Spiegel des griechi-schen Geistes Frankfurt am Main 2013Meyer verweist in einer Fuszlignote auf das Buch Heideggerrsquos Roots Nietzsche National So-
cialism and the Greekslsquo von Charles Bambach (2005) das ihm fuumlr diese Aussage Pate stand38 Meyer Die Entdeckung des griechischen Mythos S 439 Ebd Durch eine solche Formel der Einheit von Menschen und Goumlttern ist ein nahtloser
Anschluss an die Goumltter Heraklits und anderer antiker Philosophen geebnet Heidegger hatdiese Moumlglichkeit erstaunlich ernst genommen und ausgearbeitet
40 Meyer Die Entdeckung des griechischen Mythos S 341 Meyer stolperte mit der Begruumlndung dass bdquoDieser erstaunlich unkritische Gottesbegriff []
sich nur im Kontext von Ottos Goumltter Griechenlands verstehenldquo (Meyer Die Entdeckungdes Griechischen Mythos S 4) lieszlige uumlber Heideggers SoSe Vorlesung 1930 Vom Wesender menschlichen Freiheitlsquo (GA 31 S 7f) Ferner vollzieht er Ottos Einfluszlig uumlber die ersteHoumllderlin-Vorlesung von 193435 und weitere Schriften Heideggers nach Es geht Meyerauch stark um das Verhaumlltnis von Heideggers Denken bis und nach Sein und Zeit was indieser Arbeit nicht tiefer behandelt werden kann
42 Meyer Die Entdeckung des griechischen Mythos S 4f
12
Das legt nahe dass Heidegger sein mythopoetisches Texten als Code vor allem
in den Nachkriegsveroumlffentlichungen einsetzt ndash ein Nachruf aus dem gescheiter-
ten Anfang43 Ab 1935 jedenfalls haumltte sich Heidegger von der Vorstellung des
neuen Anfangs verabschiedet44
Das Mythologisieren konstruiert Meyer als Anschluss an die Houmllderlin-Vor-
lesung (193435) Die Houmllderlinsche Lyrik haumltte fuumlr Heideggers bdquophilosophisches
Sprachmaterialldquo Vorbildcharakter da bdquomit Houmllderlin die griechische Mytholo-
gie in ihrer sprachlichen Verbildlichung zum tragenldquo45 kaumlme Die dann staumlndige
Wiederauferstehung der bdquogriechischen Goumltter- und Heldenwelt in seinen Vorle-
sungenldquo schluumlge dem zu Buche In der Vorlesung 193435 Houmllderlins Hymnen
Germanienlsquo und Der Rheinldquo klingt insofern bereits eine Figur an die Heidegger
uumlber zehn Jahre spaumlter in seinen technikphilosophischen Bremer Vortraumlgen mit
seinem Aletheia-Prinzip verbinden wird ndash der bdquoBlitzldquo (su)
43 Eine genaue Untersuchung laumlszligt die Form dieser Arbeit nicht zu sie bezoumlge sich wie gesagtauf die drei Darstellungsebenen der GA mit den Schwarzen Heften (GA 94ndash97) als (Entwurfs-phase) Besinnung (GA 66) Das Ereignis (GA 71) ua als (Konzeptionsphase) und den BremerVortraumlgen (GA79) als (Praumlsentation) die Uumlbergaumlnge sind freilich flieszligend und gerade in denvon Meyer zitierten Vorlesungen erscheinen alle drei Stufen mitunter gleichzeitig Gerade imfolgenden zitierten Doppelband in dem es ua um die bdquoWahrheit der Spracheldquo geht scheintes tatsaumlchlich genau wie Meyer es identifiziert um die Grundlegung Heideggers Mythologiezu gehen die in den Schwarzen Heften vielmehr lemmaartig und sporadisch entworfen wirdMit Heraklits Spruch des Kampfes als Wesen des Seienden zieht Heidegger einen Paten seinerMythos-Logos-Aletheia Kombination heran und versucht seiner eigenwilligen Philologie ei-ne verpflichtende Bedeutungstiefe einzulegenMeyers Zitate Heideggers mit groszliger Relevanz fuumlr diese Arbeit sind die folgenden bdquoDa-
mals als das Volk der Griechen deren Stammesart und Sprache mit uns dieselbe Herkunfthat in seinen groszligen Dichtern und Denkern sich aufmachte eine einzigartige Weise desmenschlichen volklichen Daseins zu schaffen Was da anfing ist bis heute nicht eingeloumlstAber dieser Anfang ist noch nicht und er verschwand nicht und verschwindet nicht dadurchdaszlig die nachkommende Geschichte immer weniger seiner Herr blieb Der Anfang ist nochund besteht als ferne Verfuumlgung die unserem abendlaumlndischen Schicksal weit vorausgreift unddas deutsche Geschick an sich kettetldquo (GA 3637 S 6 Die Grundfrage der PhilosophielsquoSommersemester 1933)bdquoAls μυθος ist das Wort das uumlber den Menschen kommt jenes worin ihm dieses und
jenes seines Gesamtdaseins gedeutet wird nicht das Wort in dem er von sich her Rede stehtsondern das Wort das Weisung gibt [] Aber der urspruumlngliche λογος der Philosophiebleibt dem μυθος verbunden erst die Sprache der Wissenschaft vollzieht die Abloumlsungldquo(Ebd S 116)
44 In den Schwarzen Heften houmlrt die Sehnsucht nach dem neuen Anfang nicht auf also bis ein-schlieszliglich 1948
45 Meyer Die Entdeckung des griechischen Mythos S 6
13
Gewitter und Blitz sind die Sprache der Goumltter und der Dichter ist derder diese Sprache ohne Ausweichen auszuhalten hat aufzufangen und in dasDasein des Volkes zu stellen hat [] Die Dichtung ist ein Weiterwinkendieser Winke in das Volk oder von diesem her gesehen Dichtung ist []ein Zeigen ein Weisen in welcher Weisung die Goumltter offenbar werden46
Die Rede von bdquoWinkenldquo ist bereits ein Selbstbezug benannte der Autor der
Schwarzen Hefte seine ersten beiden Abteilungen des heutigen 94ten Bandes der
GA als Winke x uumlberlegungen (II) und Anweisungenlsquo und uumlberlegungen und
Winke IIIlsquo47 Diese setzen ein im Jahr 1931 und duumlrften moumlglicherweise bis 1933
oder vielleicht auch 1935 gereicht haben Heideggers Selbstuumlberhoumlhung als mys-
tagogisch bdquodichterisch-denkenden Schaffenden ndash also ihm selbstldquo48 erkennt auch
Meyer bereits ohne die eindeutigen Zeugnisse dieses Wunsches in den Schwarzen
Heften Es ist Heideggers Begehren das Volk seiner Fuumlhrung zu unterstellen bdquoso
dass sich das Wesen dieses Landes selbst findet und vollendetldquolsquo49
Meyer spricht in Folge daran davon was Heideggers Ursprungsmythos den
er in die griechische Altertum legt fuumlr diesen leistet Es ist eben das antiwis-
senschaftliche bdquoWissenldquo von einer bdquoUr-geschichteldquo Welche abgruumlndigen Motive
auch immer da hineinzuprojizieren sind (Bodenhaftigkeit arische Reinbluumltigkeit
abendlaumlndische Groumlszlige etc so wie es sich aus den Schwarzen Heften offenbart)
der Mythos verschraumlnkt Heideggers Streben nach Fuumlhrung als Denker und eine
Begruumlndung fuumlr die vermeintliche rassische uumlberlegenheit des deutschen Volkes
Meyer zitiert den Dichter-Denker mit bdquoMythologielsquo ist Wissen von einer Ur-
geschichteldquolsquo Es ginge um
Wissen nicht im archaumlologisch-musealen Sinn sondern als Prozess [] auchim Sinne dass Heidegger im Moment des Aussprechens gerade das leistetwovon er spricht Mythologie50
Augenscheinlich sieht Meyer keinen Grund dafuumlr von einer mythopoetischen
Textform in der Verschraumlnkung von Heideggers Denkerprophetie und der abend-
46 GA 39 S 31f (zitiert nach Meyer Die Entdeckung des griechischen Mythos S 6)47 Aus dem beigefuumlgten Nachwort des Herausgebers Peter Trawny geht nicht genauer hervor
weshalb zuerst bdquoWinke x uumlberlegungen (II)ldquo und dann bdquouumlberlegungen und Winke IIIldquo signi-fiziert sind Es wird hier davon ausgegangen dass es sich schlicht um das Gleiche handeltwobei der erste Teil sich in den bislang verschollenen Schwarzen Heften befinden muss
48 Meyer Die Entdeckung des griechischen Mythos S 749 Ebd Darin zitiert ist die GA 39 S 28950 Ebd Darin zitiert ist die GA 40 S 165
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laumlndischen uumlberhoumlhung zu sprechen Die Paarung von Dichtung und Denken al-
lerdings ist fuumlr den Husserlnachfolger erst der Zweck und die Mythologisierung
das Mittel dazu In seiner Schrift uumlber die Religionsphilosophie und ontologi-
sches Wahrheitsverstaumlndnis bei Walter F Ottolsquo schildert der Altersforscher und
Sozialwissenschaftler Schulz-Nieswandt aus Koumlln uumlber die menschliche Existenz
die bdquoMythopoetik als Seins-Vergewisserungldquo51
In jenem Kapitel seines Otto-Traktats von 2014 schreibt Schulz-Nieswandt
wie ein echter Epigone Heideggers von der Wappnung gegen die bdquoKrise der Mo-
derne ndash Entfremdung Einsamkeit Angst Verzweiflungldquo52 An fruumlherer Stelle
seines Buchs stellt sich dar dass Schulz-Nieswandt sich geradezu mit Heideggers
Linie vereint anstatt sich ihr nur anzunaumlhern
Es geht um das wahre Sein aus der Sicht des zu seinem Wesen gelangendenMenschen in dessen Daseinsfuumlhrung was hermeneutisch erschlossen wer-den soll nicht um Wissenschaft als hermeneutische Methode im Kriterien-spektrum zwischen Verifikation und Falsifikation von Hypothesen mittelsProtokollsaumltzen uumlber die Realitaumlt53
51 Schulz-Nieswandt Frank Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis beiWalter F Otto (1874-1958) Eine strukturalistische und psychodynamische RezeptionBaden-Baden 2014 S 58-60
52 Ebd S 58 Dabei spielt Schulz-Nieswandt die Begriffe Epistemologie gegen Ontologie ausund bezeichnet sich selbst als post-strukturalistisch im Sinne der Kritischen Theorie schrei-bend Jedoch erscheinen diese philosophischen Kontraste nur wie bdquoEdelsubstantiveldquo des vonAdorno gemuumlnzten bdquoJargon der Eigentlichkeitldquo Und in genau diesem Jargon laumlszligt der So-zialwissenschaftler Heideggers Urmythos des Goumlttlichen der griechischen Antike (so) inaktueller Praumlsenz wieder auferstehen Es ist erstaunlich dass jemand der die Kritische Theo-rie fuumlr sich reklamieren will Epigone des bdquoJargons der Eigentlichkeitldquo ist So zeigt es sichauch auf S 28 wenn er in Ottos Dionysos bdquodie ganze Tiefe des Menschen zum Ausdruck[bringt DS] die Todeserfahrung des sterblichen Menschen Dionysos ist Hadesldquo Um nocheinmal zu bestaumltigen wie sich Schulz-Nieswandt als Akteur des Jargons gebiert sei hier Ador-no zitiert (dies gilt allerdings nur der Gegenuumlberstellung zum Vorsatz jener wuumlrde sich ander Kritischen Theorie orientieren ohne fuumlr diese zu advozieren) bdquoDer Heideggerschen Phi-losophie schloszlig sich was einmal Pforte zum ewigen Leben war zu sie betet statt dessenWucht und Groumlszlige des Tores an [] Sein wuumlrdevolles Gehabe ist Reaktionsbildung auf dieSaumlkularisierung des Todes [] Darum wird Sinn in den Tod geworfenldquo (Adorno Jargonder Eigentlichkeit S 134)
53 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei WalterF Otto S 15
15
Beiden gemeinsam ist auch die Faszination an Houmllderlin die sie ebenso mit Otto
teilen
Die ganze Eigenart des Denkens von Otto kommt in dem komplett innerenVerhaumlltnis zu Heidegger und Houmllderlin zum Ausdruck54
Nur noch ein Gott kann uns rettenlsquo so das Zitat des Spiegelinterviews das Ja-
kob Augstein zum Titel machte ist die kodierte Mythopoetik auf die sich die
Spiegelleser keinen Reim machen konnten Fuumlr Heidegger fuumlr den das Sein in der
Sprache wohnen sollte55 ging es um den Mythos der Naumlhe zur Antike als Naumlhe
zu den Goumlttern
Fuumlr Houmllderlin war die Theologie der Abwesenheit Gottes als uumlberweltlichePraumlsenz der Verlust der Gotteserfahrung des diesseitig verankerten Men-schen [] Die Antike wird als eine von Goumltternaumlhe charakterisierte Zeitvon Houmllderlin verstanden und erneuert (der kommendelsquo Gott) ersehnt56
Dies ist eine der Leit-Mythen Heideggers insbesondere wenn man sich die Nach-
kriegsvortraumlge ansieht (eben die Bremer Vortraumlgelsquo)
Die Aufhebung der Trennungsangst durch die bdquoAbwesenheit der Goumltterldquo uumlber-
winde der in existenzieller Angst befindliche bdquohomo abyssusldquo mittels bdquoder lie-
bevollen Gestaltung als Sich-Einrichten des Menschen [] als apriorischer Mo-
dus des In-der-Welt-Seinsldquo durch die bdquoEwigkeit der Mythopoetikldquo57 Fuumlr Schulz-
Nieswandt ist Mythopoetik eben nur dieses ein peganistischer Goumltterdienst der
den Kanon der Ottoschen Antike mit Houmllderlin interpretiert Insofern versteht
dieser versuchte Religionsphilosoph der eigentlich Sozialforscher ist Heideggers
Mythologie als schoumlpfend aus geteilter Quelle mit Mythen als Gemeinplaumltzen
derer sich der Denker-Dichter philologisch sicher bediene
Dabei geht es Schulz-Nieswandt umHeideggers Aletheia-Prinzip das er bdquoWahr-
heitsbegriffldquo nennt ndash welches bdquoDie Differenz der Technik als Herrschaft uumlber
54 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei WalterF Otto S 20
55 Vgl GA 7 S56 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei Walter
F Otto S 2157 Vgl Ebd S 59
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Dinge von der Kunst als Schoumlpfung als Lichtung des Seins zur Wahrheit unter-
scheidetldquo58 Houmllderlins Goumlttliches waumlre darin vermisst und von Bedarf fuumlr den
Menschen Mit der Nomenklatur der griechischen Goumltter Houmllderlins und Ottos
ginge es beim Wahrheitsprinzip um bdquodie Erinnerung an Dionysos als der wie-
der kommende Gott []ldquo sie bdquofuumlhrt zur Lichtung des Seins als Wahrheitldquo59 Der
Mensch waumlre also Hirte seines Seins nicht Herr der Technik zum Sein bdquoDas Sein
ist den Menschen nicht technisch verfuumlgbar Die notwendige Einkehr wird zu
Heimkehrldquo60
Insofern zeichnet Schulz-Nieswandt ganz in Heideggers Sinne nach wie Hei-
mat und Irrationalitaumlt des Mythos zusammenfallen im Kanon der Goumltter-Mytho-
poetik Zum einen ist allerdings Heideggers Mythologie nicht so sehr an diese
Mythopoetik uumlber die Goumltter gebunden sondern bewegt sich frei im eigenwil-
ligen Auslegen von altgriechischen und deutschen Begriffen Zum anderen ist es
erstaunlich dass Schulz-Nieswand 2014 die Bedeutung der Mythopoetik fuumlr Hei-
deggers Ursprungsmythos des neuen Anfangs ignoriert und damit auch die gan-
ze voumllkisch-nationale Aura und damit die Abgrenzungspolitik Vor allem aber
richtet sich Heidegger nicht in einer bdquoliebevollen Gestaltungldquo menschlich ein
wie Schulz-Nieswandt es schon pathetisch darstellt sondern befeinded sich mit
allem ihm Zuhandenen als bdquoRaprochementldquo61 in alle Richtungen und pocht auf
bdquogeschichtliche Besinnungldquo als bdquoAuftrag des Deutschenldquo62
221 Formen der Mythologie
Mit den zwei oben herangezogenen Arbeiten uumlber Mythologisieren und Mytho-
poetik Heideggers sollte in dieser Arbeit das Verstaumlndnis seines Projekts der an-
tirationalen und antitechnischen Ausrichtung in den aktuellen Forschungsstand
gestellt werden Um welche Mythologie es sich in den Schwarzen Heften handelt
wird im Folgenden aufgedeckt werden Bereits in dem ersten Heft der Denktage-
58 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei WalterF Otto S 58
59 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei WalterF Otto S 59
60 Ebd61 Wolin Richard Heideggers bdquoSchwarze Hefteldquo Nationalsozialismus Weltjudentum und Seins-
geschichte In Vierteljahrsheft fuumlr Zeitgeschichte Bd 63 Heft 3 S 379-41062 GA 94 S 66
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buumlcher verschmilzt Heidegger seine Vision von Dichten und Denken stellt sich
unter dieses Ideal
Dichten undDenken ineinander geschlungen und so waumlre ihrWas im verbindend-trennenden Bestimmen gewonnen63
Als bdquoAusgriff in den Begriffldquo versteht Heidegger dies als bdquovorschreibend-bildenden
Entwurfldquo der hinfuumlhrend zum Ereignis des Aletheia-Prinzips waumlre ndash
(Dichtung als Mythos
Dichtung als Dichtung im engeren Sinne gtgtGedichtltlt
Dichtung als Philosophie)64
Grundsaumltzlich ist die lose wirkende Legion von Lemmata nicht mit einer
Ruumlckfuumlhrung seiner Gedanken auf bestimmte griechische Goumltter und antike (ech-
te) Mythen besetzt Heidegger fetischisiert Begriffe und mythologisiert die von
ihm aufgepfropfte Bedeutung durch ein staumlndiges Wiederholen und Weiterden-
ken als bdquoWissenldquo wie Meyer es herausgearbeitet hat In dieser philosophischen
Alchemie sieht sich Heidegger als Denker als Bewahrer einer uralten Lehre die
eben neu widererstarken muumlsse Das hat Meyer auch schon klar gemacht Die My-
thopoetik erscheint aber hauptsaumlchlich nicht in den Schwarzen Heften sondern in
den Vortragspublikationen sich auf seine private Mythologie beziehend die in
den Schwarzen Heften zu Grunde gelegt wird
Die Mythen Heideggers drehen sich wie Meyer zurecht behauptet um den
Ursprung bei den Griechen den bdquoGrund der Geschichte des Abendlandesldquo65
Aber auch um die vielen Binaritaumlten die sich entgegengesetzt werden und tat-
saumlchlich wie der Heidegger-Herausgeber und Initiator und Leiter des Wupper-
taler Heidegger Instituts Peter Trawny es benannt hat auf einen Manichaumlismus
zulaufen66 Die Abgrenzungspolitik im Sinne des schuumltzenswerten abendlaumlndisch-
heimatlichen Deutschlands richtet sich gegen den inneren Feind vorangetrieben
63 GA 94 S 6564 GA 94 S 6665 GA 96 S 20566 Trawny Peter Heidegger und der Mythos der juumldischen Weltverschwoumlrung Frankfurt am
Main 2015 S 22Das hier aufgefuumlhrte Buch birgt einige problematische Umformungen zum Verhaumlltnis von
Heideggers Antisemititsmus Allem voran versucht es eine Begriffsbildung zu formen nach
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von der Rechenhaftigkeit des juumldischen Wesens und die aumluszligeren Feinde wie Ameri-
kanismus franzoumlsische Kultur russischer Bolschewismus usw Heideggers Urmythos
vom neuen Anfang ist verquickt mit einem selbstangedichteten Personenmythos
was ebenfalls Meyer schon erkannt hat Dieses Schema ist die Grundstruktur
Immer deutlicher wird in mir die Ahnung daszlig unsere Heimat der Kerndes suumldwestdeutschen Landes [er selbst DS] der geschichtliche Geburtsortdes abendlaumlndischenWesens sein wird [] es ist das Geistvolle und zugleichdas erdenhafte schoumlne Land Es birgt unsichtbaren Reichtum dem Gemuumltbewahret tiefstes Dichten und houmlchste Gestalt der Sage67
Die mitunter wichtigste Dichotomie die Heidegger in den Denktagebuumlchern
aufwirft ist die zwischen Historie und Geschichte Es ist insofern nicht nur der
Mythos des neuen Anfangs der Heideggers Denken uumlber fast zwei Dekaden be-
stimmt sondern umso mehr die doppelte Projektion ndash des Verfalls (Machenschaft)
in eine Konstruktion von Historie und des Bestehens (Sein) in die konstruierte
Geschichte68 Geschichte faumlllt dann schlieszliglich mit der Schaffung des neuen An-
fangs so zusammen wie Historie mit Technik verschraumlnkt wird Geschichtlichkeit
muss durch das Prinzip des Ereignisses der Aletheia prozessiert werden waumlhrend
die verrationalisierte wissenschaftliche technische Historisierung des Lebens und
der Lebenswelt dem widerstrebt
Die Bindung von Heideggers Vorstellung des richtigen Lebens im Sein mit
demAbendland und einer voumllkisch-nationalen Groumlszlige undUumlberlegenheit Deutsch-
lands ist dabei ausschlaggebend Denn mit der Charakterisierung des Guten auf
derer Heideggers Antisemitismus mittels Heideggers Denkmethode behandelt aufgehobenwerden koumlnnte Die Hauptbegriffe darin sind bdquoSeinsgeschichtlicher Antisemitismusldquo undbdquoKontamination des Denkensldquo Von einer tieferen Auseinandersetzung muss an dieser Stelleabgesehen werden
67 GA 97 S 5468 In Band 66 der GA gibt es bereits einen kleinen Abriss der Historie und Techniklsquo die der Ge-
schichte gegenuumlbergestellt werden Das dies eine Uumlbertragung der Gedanken aus den Schwar-zen Heften ist ist ohne Zweifel Ein ansatzweise philosophisches Vorgehen vermengt sichdort mit dem poeto-mythologischen Denken Heideggers In Sachen mythopoetischer Figu-ren undMetaphernreichtum haumllt sich dieser dort aber noch zuruumlck (auch wenn er hier bereitsoumlffentlich vom bdquohistorischen Tierldquo redet) Die Absicht Technik und Historie als Verstellungdes abendlaumlndischen Menschen zu brandmarken stehen dabei im Vordergrund Weiterhinsoll in dieser Arbeit allerdings der Fokus auf den Schwarzen Heften und der Mythopoetik inden Technikvortraumlgen der Nachkriegszeit liegenDer Duden sieht Geschichte und Historie als Synonyme Von einer Ethymologie und der
Spekulation von Heideggers Gruumlnden der Auseinanderhaltung der zwei Synonyme soll hierabgesehen werden
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der Seite des Seins sind die Feinde dessen eine Notwendigkeit seines Erklaumlrungs-
schemas Dabei sind es vor allem die Juden denen die Wurzel des Antiseien-
den von Heidegger in ihr vermeintliches Wesen geschrieben wird Exemplarisch
spricht dafuumlr dieses Zitat aus Band 96
Die zweite Machtsteigerung des Judentums aber hat darin ihren Grund daszligdie Metaphysik des Abendlandes zumal in ihrer neuzeitlichen Entfaltungdie Ansatzstelle bot fuumlr das Sichbreitmachen einer sonst leeren Rationalitaumltund Rechenfaumlhigkeit die sich auf solchem Wege eine Unterkunft im Geistlsquovarschaffte ohne die verborgenen Entscheidungsbezirke von sich aus je zufassen zu koumlnnen69
Diese Vorstellung ist eine Konkretisierung dessen was Heidegger mit den Uumlber-
begriffen Historie vs Geschichte einige Jahre vorher begann zu topografieren
Wir sind durch die Historie geschwaumlcht [] ndash wir koumlnnen nur durch das ge-rettet werden was uns in seiner Verfaumllschung widert ndash durch die Geschich-te70
Dieses bdquoWirldquo sind die glorifizierten Deutschen vor allem nach der Ableitung von
den Griechen uumlber Houmllderlin (und dessen Griechen) und Nietzsche zu ihm und
seinem kleinen Kreis von ihm anerkannter Intellektuellen-Kollegen wie etwa
Carl Schmitt Oswald Spengler Walther F Otto und Ernst Juumlnger Die Luft auf
Heideggers Denker-Olymp ist duumlnn und bekommt nur Wenigen
Die Geschichte in Heideggers solipsistisch-immanenten Nachdenken erklaumlrt
sich wie gesagt immer zusammen mit der Hoffnung auf den neuen Anfang und
als Besinnung auf das Denken als Akt gegen die Historie Die Paarung der zwei
Woumlrter bdquoGeschichteldquo und bdquoBesinnungldquo durchzieht in deutlicher Haumlufigkeit alle
vier Baumlnde der Schwarzen Hefte ndash bdquogeschichtliche Besinnung [] ist die Uumlberwin-
dung der Historie und des Historismusldquo und sie bdquobedarf der houmlchsten Strenge
hinter der die historische Exaktheitlsquo weit zuruumlckbleibtldquo ndash somit ferner bdquonur wer
Geschichtemacht vermag sie auch zu errettenldquo71 Das oben mit Meyer und Schulz-
69 GA 96 S 4670 GA 94 S 26771 GA 94 S 358f
Dass die Besinnung eine militante Perspektive hat laumlszligt sich auch in Heideggers Vereh-rung Heraklits ldquoDer Krieg ist der Vater aller Dingerdquo finden Heidegger sah sich selbst alsDenker als Propheten des Seins Aus dieser Warte betrachetete er zuerst den Nationalsozia-
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Nieswandt bereits aufgezeigte Bereiten des Goumlttlichen legt Heidegger in seinen
Begriff der Geschichte
Geschichte ndash das Gewagtwerden der Goumltter nur Groszlig als Untergang oderSieg ndash nicht Dauerlsquo wesentlich ndash sondern die Abgruumlndigkeit der Erstrei-tung ndash Opfer und Weile
Historie ist bei Heidegger bdquogeschichtliche Entwurzelungldquo die bdquoTyrannei der
Technikldquo bdquoSelbstvergoumltterungldquo und bdquoAbgoumltterei der Technikldquo72 In einer skizzen-
haften Emanationsfolge wird dieHistorie als Modus der Technik auf sich selbst zu-
ruumlckgefuumlhrt bdquoDas Riesige ndash [] Historie die Technik der Geschichtelsquo Technik
Die Historie der Naturldquolsquo73 Es ist vage annehmbar dass Heidegger hier die Tech-
nik als rechenhafte machenschaftliche Historisierung der Natur versteht die vor
dem Geschichtsbegriff stattgefunden haumltte Diese wiederum haumltte die Geschichte
in die rechenhafte Machenschaft verfremdet Wie ein Apparat erscheint Heidegger
der Gegenstand seiner Historie zu sein die sich automatisch durchsetzen wuumlrde
Die Historie stellt zunaumlchst das Nacheinander der Begebenheiten dessenwas vorbeizieht (passiertlsquo) her [] Sie erklaumlrt dann Spaumlteres aus dem Fruuml-heren sie findet sogar dass Ideen die Geschichtelsquo bestimmen74
Den historisierend narrativen Umgang mit Geschichte als Wissenschaft emp-
findet Heidegger als Technisierung derGeschichte Diese wiederum basiert auf den
statischen Topoi seiner Mythen von Vaterland Bauerntum Houmllderlin alten Grie-
chen den Goumlttern etc und der Anwendung des Aletheia-Prinzips im Ereignis
Das ist ein Tugendenkatalog der Deutschtuumlmelei mit einer paumldagogischen Kom-
ponente seine Mythologie im Aletheia-Prinzip zu praktizieren Er nennt dieses
Geschaumlft auch Denken und ahnt dessen Feinde bdquodie Forscher die in der Technik
ihres Arbeitens keine Reibung dulden und ihr Wissen fuumlr den Geist haltenldquo75
lismus und nach dem Krieg den real existierenden Sozialismus des Ostblocks im Zuge deratomaren Aufruumlstung als Vollstrecker Macher der Geschichte die den neuen Anfang ebnensollten Dass Heidegger diese bdquoklaumlrendeldquo Wirkung tatsaumlchlich spaumlter den Russen zuschreibtlaumlszligt sich in Band 97 der GA zweifelsohne nachvollziehen Hier kann aus Gattungsgruumlnden(BA-Thesis) nicht naumlher auf dieses Faible fuumlr absolutistische Regime eingegangen werden Je-denfalls ist die geschichtliche Besinnung und der Kriegsakt ein Widerspruch den Heideggerjedoch gleichsam adressiert Auch dies kann hier nicht weiter untersucht werden
72 GA 9473 GA 95 S 35174 GA 96 S 6275 GA 97 S 509
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Insofern verschraumlnkt Heidegger das bdquohistorisch-technischeldquo zum Antagonis-
ten der bdquogeschichtlichen Besinnungldquo Es ist die Entwicklung einer historisch-
geschichtlichen Differenz unter dem Zeichen der Besinnung gegen die techni-
sche Machenschaft ndash es geht um zwei unterschiedliche Wissenssysteme76 In den
Schwarzen Heftenwird Technikmeistens als eine Seite der Muumlnze mit der anderen
der Historie genannt Sie haumltten eine schon angedeutete dualistische Dynamik
Wo beide Historie und Technik in solcher scheinbaren Gegensaumltzlichkeitverkoppelt sind koumlnnen sie sich zur Foumlrderung dessen zusammenschlieszligenwas einstmals wesentliche die Geschichte des Menschen mitbegruumlndet undwas wir die Kunstlsquo nennen Die Historie verschafft [] Anregungen undVorbilder der Nachahmung die Technik erleichtert [] die Zustellung vonDarstellungsmitteln und Wirkungsformen [] Gleichwohl ist alles wurzel-los [] berechnet und als Erlebnislsquo ausgegeben77
Diese vermeintliche Gefahr muumlnde als bdquoZuumlgellosigkeit des Historismusldquolsquo in der
bdquoBodenlosigkeit [] (das Judentum)ldquo78 Heideggers Mythos ist hier dieser bdquoWir
muumlssen zuvor geschichtlich sein [] Ohne diese uumlberlieferung verfaumlllt alles der
historisch-technischen Machenschaftldquo79
Heidegger mythologisiert uumlber den bdquoAuftrag des Deutschenldquo80 will in bdquoge-
schichtlicher Besinnung sehr weit zuruumlckgehen ndash auf den Zusammenhang von
τέχνη ἀλήθεια und οὐσίαldquo81 um Technik auf ihr Wesen im antiken Ursprung
zuruumlckzufuumlhren bdquoDie techne hat [] den Sieg uumlber die [] aletheia errungenldquo82
Heidegger will sie zuruumlckgewinnen Er will der Technik aus dem bdquoEreignisldquo83
wieder uumlbermaumlchtig werden und sieht das bdquoWesen des Vaterlandesldquo84 im Abend-
land Dabei ist es ihm unentbehrlich zu wissen bdquodaszlig das Griechentum [] und
76 Heideggers noch immer vorhande Rezeption in Puncto seiner Technikphilosophie erstauntdamit dass sein Prinzip der aletheiologischen Besinnung als alternatives Wissenssystem undTechnikkritik ob der eigenwilligen Konstruktion den Entwicklungen der Zeit standhaumllt
77 GA 95 S 21278 GA 95 S 9779 GA 96 S 10480 GA 94 S 6681 GA 94 S 35782 GA 95 S 13283 Ebd84 GA 96 S 52
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nicht das Roumlmertum der Grund der Geschichte des Abendlandes istldquo85 Sein My-
thos von Heimat verknuumlpft sich uumlber Dichtung und Ereignis zu einem fuumlr die
Technikphilosophie essentiellen Bezugs-Topos
Wir brauchen keine Technik [] Das Wesen des Vaterlandes ist das Abend-land In ihm werden die Deutschen erst deutsch und erkennen die Muttervon Allem die unversehrte Erde [] Die Wahrheit erfahren wir im Ge-daumlchtnis Das Gedaumlchtnis ist die Dichtung Die Dichtung sagen der Denkerund Saumlnger in ihrem Gespraumlch Dieses Gespraumlch erst ereignet dichterisch dieDichtung in die Sprache (die Dichtung das Ereignis und das Ereignis dasAbendland) [] Wohnt in seiner Sprache [] seyd dem Seyn im Seyn Soist Sein das Seyn86
Eine weitere mythologische Form haben seine Fuumlgungen von Jahreszahlen
womit er bereits in den Bereich des Okkulten Mystischen abzurutschen droht
Houmllderlin wurde [] 1770 geboren [] 1870 aber Lenin Waumlhrend der []Lebenszeit Houmllderlins vollzogen sich die entscheidenden technischen Entde-ckungen und Erfindungen der neuzeitlichen Technik (1774ndash1806)87
Und ferner bdquo1807 Phaumlnomenologie des Geistes 1867 Das Kapital 1927 Sein
und Zeitldquo88
Als letzter Mythos sei hier sein Aufgriff der Spenglerschen Metapher des
Raubtiers89 aufgezeigt Uumlber weite Strecken philosophiert Heidegger uumlber das his-
torische Tier Das historische Tier muumlsse vernichtet werden die bdquodeutsche Zukunft
wirdlsquo nicht erst seinlsquo sie istlsquo schon seit Houmllderlin sie stifteteldquo90 Der Homo
faber ist fuumlr Heidegger das historisch-technische Tier qua der bdquoAngewiesenheit auf
das Tierhafte als Wesensgrundldquo91 Es fehle ihm was bdquodie Griechen als Anfangen-
deldquo mit der bdquoZugewiesenheit des Menschen zum Sein gewagt habenldquo92 wodurch
85 GA 96 S 20586 GA 97 S 52f Hierbei handelt es sich um eine Nachkriegsnotiz Heidegger aumlnderte den die
Adressierung in eine direkte Ansprache richtet sich an seine imaginierte Volksgemeinschaft87 GA 96 S 17488 GA 97 S 131 Womoumlglich ist es eine Uumlbung per Jahreszahlen das Aletheia-Prinzip zu prakti-
zieren eine Kontemplationshilfe Andererseits koumlnnte er auch der Regelmaumlszligigkeit der Zah-lenfolgen eine uumlbernatuumlrliche bdquoWahrheitldquo beimessen Dies bleibt an dieser Stelle unerforscht
89 VGl Spengler Oswald Der Mensch und die Technik Muumlnchen 1931 S 1090 GA 95 S 19791 GA 95 S 32092 GA 95 S 321
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er den bdquoGoumlttern unertraumlglich gewordenldquo93 waumlre Das bdquoRaubtierldquo dem gegenuumlber
bdquoist die Urform des Heldenlsquoldquo94 Dann behauptet Heidegger dass das Raubtier das
historisch-technische Tier durch Anwendung seiner eigenen Waffen schlagen koumlnn-
te Es ist dabei die bdquoUumlberwindung der Metaphysikldquo mitgedacht die erfolge sobald
sich das metaphysische Fragen durch den Wille zum Willen verfestigt95 Auch
Spengler dachte an dieses Derivat des Nietzsche Topos vomWillen zur Macht das
er seiner antropomorphen Chimaumlre vom Raubtiermenschen eingibt Wieder ist
von der Gewalt die Rede die ein Tabula rasa schaffen sollte zur Wiederauferste-
hung des griechisch-abendlaumlndischen Anfangs in Deutschland bdquoDas Raubtier aber
mit denMitteln der houmlchsten Technik ausgestattet ndash vollendet die Verwirklichung
der brutalitas des Seinsldquo96
Es scheint so als haumltte Heidegger auf jeden Begriff einen Gegenbegriff (selbst
zum historisch-technischen Tier das Raubtier)97 Aber es geht hier nicht um die
Analyse ausgewogener Formprinzipien oder die Kritisierung seiner linguistischen
philologischen Faumlhigkeiten Die Zitierung der Heideggerschen Mythologie soll
seine Verbindung von voumllkisch-nationaler und antisemitischer Haltung mit den
Bedingungen und Anspruumlchen seines Philosophierens aufzeigen Da die Schwar-
zen Hefte wie alle sonstigen Werke seines philosophischen Schaffens in der GA
erschienen sind muumlssen sie insofern als Teil derer gelten Das bedeutet dass sie
ausreichend Relevanz fuumlr die Arbeiten uumlber die Technik haben98
93 GA 95 S 23694 GA 95 S 39795 Vgl GA 7 Uumlberwindung der Metaphysik S 7896 GA 95 S 39797 Vgl Rudolph Heideggers Schwarze Hefte im Echo S 151 bdquoKeiner hat Nietzsche so konse-
quent und wahnwitzig zumNazi avant la lettre verformt wie Heidegger und keiner hat einenzuvor gewaltsam gefuumlgig gemachten Nietzsche so konsequent instrumentalisiert um damitdie vulgaumlr- nationalistische Dekadenz im Sandwich zu geiszligeln wie Heidegger Die Philolo-gie ndash auch die klassische ndash (Colli Cancik Montinari) hat Nietzsche inzwischen laumlngst mitnachhaltigem Erfolg rehabilitiert Wer jetzt noch einen roten Faden von Nietzsche zu Hitlerzieht hat nur noch Heidegger auf seiner Seiteldquo
98 Zum Abschluss dieses Kapitels sei hinzugesagt dass der Veranschlagung der Beispiele vonHeideggers Mythologie ein Exzerpt von 13 Seiten aus 1700 Seiten Text der vier Baumlnde derSchwarzen Hefte zugrunde liegt Beim Studium dieser fielen die staumlndigen Repetitionen derimmer gleichen Figuren und Metaphern auf Daraus wurde geschlossen dass es sich um eineMythologie handeln kann was ein weiteres Forschen bestaumltigte Die hier zitierten Stellensind Topoi die sich in Huumllle und Fuumllle in jedem der vier Baumlnde finden lassen was ihrenmythischen Charakter unterstreicht Die Auswahl versucht ein besonders charakteristischesBild wiederzugeben
24
3 Heideggers mythopoetische
Technik
War Heidegger von seinem neuen Anfang nur zu traumlumen vergoumlnnt so gelang
ihm selbst aber die Wiederauferstehung aus der Asche des ZweitenWeltkriegs mit
der Vortragsreihe in Bremen (1949) uumlber die Technik Der Phoumlnix erweist sich
mittlerweile als Ikarus Anstatt sich selbst zu revidieren fordert Heidegger eine
Kehre ein die auf sein Programm der geschichtlichen Besinnung zum Ursprung ab-
zielt Rezipienten seiner Technikphilosophie taten zumeist seine voumllkischen und
nationalsozialistischen Verstrickungen mit der Niederlegung des Rektorats ab99
Sie glaubten an einen inneren Wandel Heideggers eine Laumluterung und sogar an
seinen geistigen Widerstand uumlber die Naziherrschaft hinweg100 Heute ist erwie-
sen wie Heidegger es aus seinem posthumen Gestaumlndnis in die Welt lecken laumlsst
dass er auf seine private Weise eine Form Nationalsozialismus hegte der die NS-
DAP und Hitler zwar als Vulgaumlrnazis kulturell degradierte aber sich selbst als
Denker-Nazi gerierte
Wie damit umzugehen ist steht aktuell in der Verhandlung Wie Rudolph es
behauptet stuumlnden die Heideggerianer bdquonun mit wertlosen Aktienldquo101 da Der
Kommunikationswissenschaftler Christian Fuchs sieht den Antisemitismus den
die Schwarzen Hefte zutage treten lassen als Notwendigkeit einer rigorosen Ver-
bannung Heideggers aus der technikphilosophischen Theorie102
99 Vgl Luckner Andreas Heidegger und das Denken der Technik Bielefeld 2008 S 64-69100 Vgl Babich Babette Nietzsche Heideggers Widerstand In Alfred Denker u Holger Zabo-
rowski (Hg) Heidegger-Jahrbuch 5 Heidegger und der Nationalsozialismus II Interpreta-tionen S 397-416
101 Rudolph Heideggers Schwarze Hefte im Echo S 146102 Vgl Fuchs Christian Martin-Heideggerrsquos anti-Semitism Philosophy of technology and the
media in the light of the ldquoBlack Notebooksldquo Implications for the reception of Heidegger inmedia and communication studies In tripleC Communication Capitalism amp Critique 13(1) (2015) S 55-78 hier S 74 Anstatt dessen pocht Fuchs auf die alternative Verwendungder Kritischen Theorie uumlber Fragestellungen zur Technik
25
It seems to me that Heideggerrsquos fetishism is often lrsquoart pour lrsquoart Heideg-ger pour Heidegger a tactic that aims at creating an aura of complexity byevoking Heidegger although the same content could be expressed withouthim103
Fuumlr Trawny waumlre dies ein bdquoperformativer Widerspruch [] stets daran zu erin-
nern Heidegger vergessen zu sollenldquo104 Quo vadis Heidegger
Die objektive Antwort Rudolphs der an den Commonsense und die Beweis-
last der Anklage glaubt wie auch der subjektive Appell Fuchs der es zur mora-
lischen Entscheidung des Einzelnen macht Heidegger zu vernachlaumlssigen setzen
aktuell die Jahrzehnte alte Tradition der Heidegger-Kontroverse fort Ein im Sep-
tember 2016 erscheinender Sammelband wird zusaumltzlich die Debatte mit neuen
Bewertungen anreichern105
In diesem Kapitel soll es nicht um die direkte Einreihung in eine der bestehen-
den Polemiken gehen sondern um den Versuch der Betrachtung der spaumlten Tech-
nikphilosophie Heideggers als mythopoetische Dichtung in seinem Sinne des
Philosophierens Als exemplarisches Werk ruumlckt damit das Vortrags-Geviert der
Bremer Vortraumlge ins Zentrum der Anschauung106 Hier wird davon ausgegangen
103 Ebd S 73104 Trawny Heidegger und der Mythos der juumldischen Weltverschwoumlrung S 141105 Heinz Marion und Kellerer Sidonie (Hg) Martin Heideggers raquoSchwarze Heftelaquo Eine
philosophisch-politische Debatte Berlin 2016 (im Druck) Aus dem Klappentext diesesTitelsbdquoOffene antisemitische Aumluszligerungen in diesen Denktagebuumlchern haben in der nichtakade-
mischen Oumlffentlichkeit fuumlr Empoumlrung gesorgt Die entscheidende Frage ist jedoch welcheVeraumlnderungen der Perspektive auf Heideggers Denken insgesamt sich dadurch ergebenund ob damit zugleich eine Neubewertung des Gesamtwerks eines der einflussreichstenPhilosophen des 20 Jahrhunderts noumltig istldquoEine der Herausgeberinnen des Bandes Sidonie Kellerer ist zudem an einem anlaufenden
fuumlnf jaumlhrigen Forschungsprojekt an der Universitaumlt Stuttgart im Rahmen des StuttgartResearch Centre for Text Studies beteiligt Heidegger und die Postmoderne Geschichteeiner Irrefuumlhrungiquest Sie und der Stuttgarter Literaturwissenschaftler Claus Zittel werden Hei-deggers ideologische Verstrickungen in den Nationalsozialismus untersuchen die textlichrekonstruierbar aber nachtraumlglich geklittet worden waumlren bdquoSo konnte die Wissenschaft-lerin Dr Sidonie Kellerer anhand des Vortrages Die Zeit des Weltbildeslsquo erstmals 1950veroumlffentlicht [sic] dass zahlreiche Passagen nachtraumlglich so modifiziert wurden dass dieurspruumlngliche Apologie des Nationalsozialismus nunmehr als Kritik am Regime gedeutetwerden konnte Die 2014 erschienenen Schwarzen Heftersquo mit persoumlnlichen AufzeichnungenHeideggers bestaumltigen zudem wie tief verankert in seiner Philosophie Rassismus undNationalsozialismus waren und bliebenldquo(httpwwwuni-stuttgartdehkompresseservicepressemitteilungen201567_kellererhtmlzuletzt abgerufen am 1442016)
106 Von einer umfassenderen Analyse der Schriften Heideggers zur Technik muss aus Platzgruumln-den abgesehen werden Die Voumlrtraumlge vom Ge-stell der Technik der Kehre und dem Dingsind vor allem wegen ihres Publikationszeitraums interessant da sie direkt an die Dokumen-
26
dass Heidegger den Versuch der abgrenzungspolitischen Einflussnahmemacht ge-
maumlszlig der oben dargelegten Ressentiments die sich in einer Mythologisierung des
Abendlandes niederschlagen Um seinem Ideal des dichtenden Denkens als Philo-
sophieren nachzukommen will Heidegger diese Einschreibung des Abendlandes
mythopoetisch vollfuumlhren
Grundsaumltzlich ist Verbindung und Trennung Heideggers boumlser Schwarzer Hef-
te mit und von seiner guten Technikphilosophie das Schlachtfeld aktueller De-
batten Wie bereits darauf hingewiesen werden hier Schwarze Hefte und Veroumlf-
fentlichungen wie eben in Form der Bremer Vortraumlge als ein kontinuierlicher
Arbeitsprozess gesehen Es gibt insofern nur einen Heidegger und keine gespal-
tene Persoumlnlichkeit Die Siegener Philosophin Sodonie Kellerer stellt dies anhand
Heideggers Selbstsicht luzide dar
Seine immer wiederkehrende Beschwoumlrung des Werkeslsquo und seine an diver-sen Stellen der bislang vorliegenden Briefkorrespondenz artikulierten Be-muumlhungen dieses Werklsquo fuumlr die Nachwelt zu sichern [Kellerer bezieht sichhier ua auf Heideggers Briefwechsel mit seiner Frau der 2007 veroumlffentlichtwurde DS] verdeutlichen wie sehr er seine Texte als ein Ganzes verstandin dem keines der Teile entbehrliche Wiederholung geschweige denn irrele-vante Eroumlrterung ist107
Dabei allerdings wird die Frage offen bleiben mit welchem Maszlig er sich selbst ge-
faumlhrdet sah seine Ansichten oumlffentlich zu vertreten und welche Konsequenzen er
dabei fuumlrchtete Denn er musste die Vortraumlge kodieren ndash was er im Sinne der My-
thopoetik auch macht ndash und mit Einigem hinterm Berg halten108 Dass es dabei
verschiedene Offenbarungsebenen gibt wird hier erst einmal hingenommen Es
interessieren staumlrker nachweisbare Bezuumlge des Entwurfsdenkens Heideggers zur
Oumlffentlichkeitsarbeit von ihm109
te der Schwarzen Hefte anschlieszligen (1948 der letzte Band der Schwarzen Hefte umfasst denZeitraum 1942-1948)
107 Kellerer Sidonie Kampf der Besinnung In Deutsche Zeitschrift fuumlr Philosophie Band 63Heft 5 Seiten 941ndash957 hier S 942
108 Weshalb die Veroumlffentlichung der Schwarzen Hefte auch weitestmoumlglich nach hinten verlegtwurde
109 Wuumlrde man dem entgegenhalten dass Heideggers vermeintliches Genie aus Formalisierun-gen seiner Gedanken ableitbar eine wichtige Quelle an sich bliebe scheitert dieses damitdass nun die Formalisierungen nicht personenneutral sozial-epistemologisch bestehen koumln-nen Als Vergleich wuumlrde man aus Hitlers und Goumlbbels Reden Formalisierungen isolierenlieszlige sich bestimmt die eine oder andere plausible Idee entwenden (wenn sie voumlllig dekon-
27
Hierzu wird der Text der gesamten vier Vortraumlge unter dem Titel Einblick
in das was ist Bremer Vortraumlge 1949lsquo110 aus dem 1994 veroumlffentlichten 79 Band
der GA zugrunde gelegt Das hat den Grund dass davon ausgegangen wird dass
der Text somit am naumlchsten an den 1949 tatsaumlchlich vorgetragenen Manuskripten
liegt Insofern ist eine realistische Annaumlherung an eine mythopoetische Uumlbertra-
gung der Schwarzen Hefte in die Bremer Vortraumlge 1949 das Ziel Demgegenuumlber
gibt es ob der virulenten Publikationspraxis von Heideggers Schriften111 noch
andere Auskopplungen der vier Vortraumlgsteile mit den Titeln Das Dinglsquo Das Ge-
Stelllsquo Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo
31 Zur Publikationsgeschichte von den
Bremer Vortraumlgen 1949
Zuerst erschien 1954 im Neske-Verlag (Pfullingen) ein Sammelband der lediglich
den ersten Vortrag Das Dinglsquo enthaumllt allerdings in leicht erweiterter Fassung
so wie er ein halbes Jahr nach dem Bremer Auftritt in Muumlnchen (1950) an der
Akademie der Schoumlnen Kuumlnste gehalten wurde112 Dem Band hinzugefuumlgt ist aber
zudem ein Vortrag der vornehmlich die Kernaussagen von Das Ge-Stelllsquo und
Die Gefahrlsquo verbindet allerdings in modifizierter Form Dieser wurde unter dem
textualisiert wuumlrde) Ist aber die wahre Verbindung zu Hitler und Goumlbbels hergestellt hatman selbstverstaumldlich die Verantwortung zu tragen an dem ganzen Tross von unmoumlglichenVerfehlungen dieser Menschen die sie fuumlr uns zu Personae non gratae stempeln muumlssen
110 GA 79111 Hierauf macht auch der Darmstaumldter Philosoph Gernot Boumlhme aufmerksam als Akt ei-
ner bdquoposthumen Selbstinszenierungldquo in Boumlhme Gernot Selbstinszenierung uumlber Ruhmin der Philosophie In Information Philosophie (Online Ausgabe 12015) URL=lthttpwwwinformation-philosophiedea=1ampt=8232ampn=2ampy=5ampc=29gt zuletzt ab-gerufen am 2442016)
112 Heidegger Martin Das Ding In Ders Vortraumlge und Aufsaumltze Pfullingen 1954 S 163ff
28
Titel Die Frage nach der Techniklsquo113 am 18 November 1953 an der TUMuumlnchen
gehalten
Eine weitere Auskopplung diesmal des letzten Vortragsteils Die Kehrelsquo fin-
det sich in einem broschuumlrenformatigen Band wiederum im Zusammenspiel mit
dem Vortrag Die Frage nach der Techniklsquo in Die Technik und die Kehrelsquo114 von
1962 wieder Somit wurden die Vortraumlge Das Ge-Stelllsquo und Die Gefahrlsquo lange
Zeit nicht veroumlffentlicht sondern als vermischter und modifizierter Text eben
Die Frage nach der Techniklsquo jeweils zusammen mit Das Dinglsquo (1954) und Die
Kehrelsquo (1962) angeboten115 In der Vorbemerkung zu Die Technik und die Keh-
relsquo wird diese kleine Chronologie leicht verfaumllscht auch aufgezeigt Darin heiszligt
es ferner dass Die Frage nach der Techniklsquo eine erweiterte Fassung von Das Ge-
Stelllsquo waumlre Dem ist wie schon gesagt nicht so Sondern es ist eine modifizierte
Vermischung von Das Ge-Stelllsquo und Die Gefahrlsquo was unschwer zB am Begriff
vom bdquoHer-vor-bringenldquo116 zu erkennen ist der in Die Gefahrlsquo eingefuumlhrt wird
und in Die Frage nach der Techniklsquo die gleiche Bedeutungskonstituente bildet
Mit der Veroumlffentlichung des 79 Bandes der GA 1994 wurden alle vier Bremer
Vortraumlge von 1949 publiziert In Band 11 der GA erschien 2006 auszligerdem Die
Kehrelsquo in ihrer urspruumlnglichen Fassung Die Frage nach der Techniklsquo enthaumllt
weniger mythopoetische Teile als Das Dinglsquo und operiert demgegenuumlber staumlrker
anhand klassisch philosophischer Allgemeinplaumltze Derer sind vor allem zu nen-
113 Heidegger Martin Die Frage nach der Technik In Ders Vortraumlge und Aufsaumltze Pfullingen1954 S 9ff (Der Aufsatz erschien ebenfalls 1954 im Sammelband der Vortragsreihe DieKuumlnste im technischen Zeitalter Heidegger Martin Die Frage nach der Technik In DieKuumlnste im technischen Zeitalter Dritte Folge des Jahrbuchs Gestalt und Gedanke Hg v dBayrischen Akademie der Schoumlnen Kuumlnste Muumlnchen 1954 S 70ff)
114 Heidegger Martin Die Technik und die Kehre Pfullingen 1962115 Beide Baumlnde Votraumlge und Aufsaumltzersquo sowie Die Technik und die Kehrersquo haben hohe Aufla-
genzahlen (Uumlbersetzungen wurden hier nicht recherchiert wobei es aber eine internationa-le Heidegger-Rezeption gibt) 1993 wurde der Pfullinger Neske-Verlag von dem StuttgarterHaus Klett-Cotta uumlbernommen was die Buumlcher aber unveraumlndert belaumlsst Vortraumlge und Auf-saumltzelsquo zaumlhlt seit 2009 die 11 Auflage Die Technik und die Kehrelsquo seit 2014 die 13 BeideBaumlnde sind vergriffen Es mutet unverstaumlndig an weshalb eine fehlerhafte Jahresangabe ausder ersten Veroumlffentlichung von Die Technik und die Kehrelsquo bis 2014 kolportiert wurdeDort steht der Vortrag Die Frage nach der Techniklsquo waumlre am 18 November 1955 gehaltenworden Der Vortragstermin war aber am 18 November 1953
116 Vgl GA 79 S 64 Und Heidegger Die Technik und die Kehre S 11
29
nen die Auflistung der bdquovier Ursachenldquo117 nach Aristoteles und die Kritik an der
Technik als bdquoein Mittel zu Zweckenldquo118 (Kausalitaumlt)119
Der Vortrag Das Dinglsquo galt Heidegger bei der Darbietung seiner Technikphi-
losophie nach dem Zweiten Weltkrieg allerdings als unentbehrlich ndash und damit
seine groszligflaumlchige Aufblaumltterung der Mythopoetik wie im folgenden Kapitel hier
gezeigt wird Denn im Vortrag Die Frage nach der Techniklsquo benutzt Heideg-
ger noch immer seinen mythopoetischen Topos vom Versammeln des Gebirges
der mit dem Versammeln eine Konstituente des Gevierts ist (bdquoErde und Himmel
die Goumlttlichen und die Sterblichenldquo120) (su)121 Fuumlr die Kaumlufer und Leser von
der spaumlteren Veroumlffentlichung Die Technik und die Kehrelsquo wird zudem in Die
Kehrelsquo extra auf den Vortrag Das Dinglsquo in der 1954er Ausgabe in Vortraumlge und
Aufsaumltzelsquo verwiesen122 Das zeigt wie wichtig und unerlaumlsslich Heidegger seine
mythopoetische Denkweise der Technik ist Auch wenn er in Die Frage nach der
Techniklsquo einen allgemeineren und offeneren Ansatz entwickelt hat der dadurch
auch leichter zu erschlieszligen ist
32 Die mythopoetische Spiegelung der Schwarzen
Hefte in den Bremer Vortraumlgen von 1949
321 Das Dinglsquo
In dem Vortrag Das Dinglsquo der 1949 vor dem privaten Club zu Bremen dort im
Neuen Rathaus das Vortragsquartett einleitete fuumlgt Heidegger mythopoetisch
zusammen was folgenden Topoi seiner Schwarzen Hefte aus Kap 221 entspricht
117 Heidegger Die Technik und die Kehre S 6118 Ebd S 6119 Diese Topoi versucht Heidegger in dem Text zu zersetzen und ihnen ein aletheisches Prin-
zip des Entbergens der Technik entgegenzusetzen Dies erfolgt wiederum auch anhand derVerwendung von mythopoetischen Teilen Darauf kann hier aber nicht weiter eingegangenwerdenAls weitere Gemeinsplaumltze (die er teils unterstuumltzend teils zur Zersetzung einfuumlgt) handelt
der Text auch mit Zitaten von Platon Heisenberg J P Hebel und Goethe120 Ebd S 12121 Vgl GA 79 S 11 Und Heidegger Die Technik und die Kehre S 19122 Vgl Heidegger Die Technik und die Kehre S 42f
30
1 die antirationale Wissenschaftsfeindlichkeit 2 der Mythos des Goumlttlichen 3
das Griechentum uumlber dem Roumlmertum 4 die Zahlenmystik (anhand des Spiegel-
Spiels des Gevierts ndash su) 5 das geschichtsbesinnliche Prinzip der Aletheia
Heidegger stellt zuerst die Frage nach dem Ding und will sie daraufhin ver-
anschaulichen mittels der Metapher des Kruges dh mit dem Krug als ein exem-
plarisches Ding Er fuumlhrt dann vor (was der Geste eines Zauberkuumlnstlers aumlhnelt)
wie der leere Krug gefuumlllt wird ndash Luft weicht der Fluumlssigkeit Dieses Sachverhaumllt-
nis aber ist fuumlr ihn Halbpoesie und eine Angabe aus der Physik sie verfehle das
vermeintliche Wesen des Kruges
Die Wissenschaft stellt durch sie [die Angabe der Physik DS] etwas Wirk-liches vor wonach sie sich objektiv richtet Aber ndash ist dieses Wirkliche derKrug Nein DieWissenschaft trifft immer nur auf das was ihre Art des Vor-stellens im vorhinein als den fuumlr sie moumlglichen Gegenstand zugelassen hat[] Die Wissenschaft macht das Krug-Ding zu etwas Nichtigem insofernsie Dinge nicht als das Maszliggebende zulaumlszligt123
Als ein wirkmaumlchtiges Beispiel das ihm sicherlich viel Beachtung uumlber die
Jahrzehnte seit ihrer Zuumlndung in Japan hinweg einbrachte fuumlhrt Heidegger die
Atombombe an Diese sei zu verstehen als verdinglichte Wissenschaft die das
Ding vernichten wuumlrde
Deren Explosion ist nur die groumlbste aller groben Bestaumltigungen der langherschon geschehenen Vernichtung des Dinges dessen daszlig das Ding als Dingnichtig bleibt124
Er buumlndelt damit Wissenschaft und Verkennung des Wesens als maszliggebend mit
dem Ding als sein machenschaftliches Prinzip der zerrechnenden Zerstoumlrung Drei
Jahre nach Kriegsende war der buumlrgerlich-elitaumlre Kreis in Bremen sicherlich be-
wegt von dieser Wortgewalt Diese jedoch suchte ja ihr Heim Harmonie Ruhe
in dem Haus als Wesen der Sprache
Und so faumlhrt Heidegger fort und ersetzt das physikalische Prinzip des Inhalts-
wechsels von Luft zu Wein in ein bdquoGeschenk des Gussesldquo als Spende und Opfer
den Goumlttern (2)125
123 GA 79 S 8124 Ebd S 9125 Vgl Ebd S 11f
31
Der Guszlig ist der den unsterblichen Goumlttern gespendete Trank [] Der ge-weihte Trank ist das was das Wort Guszliglsquo eigentlich nennt Spende und Op-fer Guszliglsquo gieszligenlsquo lautet griechisch χέειν indogermanisch ghu Das bedeu-tet opfern
Hier spielt bereits der Ursprungsmythos der Griechenmit ein (3) es ist aber auch
ein Bezug auf das Geviert Dieses waumlre ein System ein zusammen Gestelltes aus
bdquoErde und Himmel die Goumlttlichen und die Sterblichenldquo126 Im Guszlig des Trunkes
weilten gemeinsam diese Vier als emblematische Verbindung
Das im Geschenk Versammelte sammelt sich selbst darin das Geviert ereig-net zu verweilen Dieses vielfaumlltig einfache Versammeln ist das Wesen desKruges Unsere Sprache nennt was Versammlung ist in einem alten WortDies lautet thing127
Das Geviert zehrt von der Zahlenmystik zum einen als die Versammlung der
vier Begriffe an sich zum anderen da Heidegger ihnen eine Spiegel-Funktion
zuschreibt bdquoJedes der Vier spiegelt in seiner Weise das Wesen der uumlbrigen wie-
derldquo128 und ferner weil er damit auf sich selbst dh auf sein Vortrags-Geviert
verweist (4) Wie in Kap 21 schon gesagt lebt der Mythos von seiner Verbind-
lichkeit Diese legt Heidegger allen nah die sie verinnerlichen wollen bdquoSagen wir
die Sterblichen dann denken wir falls wir denken die anderen Drei mit aus der
Einfalt der Vierldquo129
Sollte der Vollzug der Praxis des sukzessiven Mitdenkens aller vier Geviert-
Entitaumlten gelingen koumlnnte das Ereignis der Aletheia begriffen werden (5) bdquoDas
Spiegel-Spiel von Welt ist der Reigen des Ereignensldquo130 Diese wird aber auch be-
griffen in Abgrenzung von dem Roumlmertum (3) denn in der bdquorealitas der resldquo
haumltten die Roumlmer bdquoihr Erfahrenes niemals eigens in seinem Wesen gedachtldquo131
Das waumlre den Griechen vorzubehalten und vom verstaumlndig denkenden Deutschen
wiederzubeleben
126 Ebd S 12127 Ebd S 13128 Ebd S 18129 Ebd130 Ebd S 19131 Ebd S 15
32
Der Krug ist ein Ding weder im Sinne der roumlmisch gemeinten res noch imSinne des mittelalterlich vorgestellten ens noch gar im Sinne des neuzeitlichvorgestellten Gegenstandes [] Der Krug ist Ding insofern er dingt132
Die Bindung an das deutsche Wort bdquoDingldquo das er spielerisch auch ins Englische
Romanische und Franzoumlsische uumlbersetzt ist unerlaumlsslich fuumlr seine ethymologi-
sche Argumentation In der ist der bdquoGuszligldquo ruumlckgefuumlhrt auf indogermanisch bdquoghuldquo
und das bdquoDingldquo auf das mittelhochdeutsche bdquothingldquo So konnten antik die Roumlmer
von den Griechen abgrenzt werden und modern die anderen drei Sprachen vom
Deutschen Das englische sich sehr nah am bdquothingldquo befindliche bdquothingldquo wird mit
dem Roumlmischen ausgespielt
Im Englischen hat thing noch die erfuumlllte Nennkraft des roumlmischen Wor-tes res bewahrt [] dh ein aus sich kommendes den Menschen Angehen-des133
Fuumlr Heidegger geht es beim bdquothingldquo aber um die mittelhochdeutsche Uumlbersetzung
der Versammlung Darauf beruht sein gesamter Systemansatz mit Geviert und
Ge-stell
Schulz-Nieswandt fuumlhrt diese Zusammenstellung zum Bejubeln von Heideg-
gers Mythopoetik
So fundamental sieht Heidegger die Welt Die Quelle des Wassers wird zurHochzeit von Himmel und Erde das Gieszligen des Wassers aus dem Krugzum Geschenk Auch Sprache ist daher kein Instrument sondern Ort desWohnens des Menschen Sprache wird zum Haus des Seinslsquo134
Hier bestaumltigt die Untersuchung des Ding-Vortrags die These von einer mytho-
poetischen Einschreibung der nationalistischen voumllkischen Abgrenzungs-Mythologie
aus den Schwarzen Heften
322 Das Ge-Stelllsquo
Der zweite Vortrag des Reden-Gevierts setzt ein mit der Metapher des fehlen-
den Abstands Wo kein Abstand sei da waumlre auch keine Naumlhe so Heidegger Er
132 Ebd S 16133 Ebd S 14134 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei Walter
F Otto S 59
33
verbindet die Abstandslosigkeit mit Urbanitaumlt und Verkehr alles fluktuiere Es
waumlre der Bestand der sich bestelle in dem das Abstandlose herrsche Das sind
neue Metaphern fuumlr die Machenschaft In seiner Erzaumlhlung vom Ge-Stell gibt es
bedeutend weniger mythopoetische Passagen als in dem vorangegangenen Vor-
trag Allerdings uumlbertraumlgt er den mythopoetischen Gehalt der Rede vom Ding
bereits im ersten Absatz von Das Ge-Stelllsquo mit dem Credo bdquoNaumlhe west insofern
das Ding dingtldquo135 Mit dieser Verbindung wird klar unter welchem Zeichen Hei-
degger die Rede vom Ge-Stell verstanden wissen will ndash als verlorenes Verhaumlltnis
des voumllkisch-traditionell verwurzelten Menschen mit den vermeintlichen Wesen
all seiner Gebrauchsobjekte in der mythopoetischen Formel des sich spiegelnden
Gevierts
Nahezu nuumlchtern erzaumlhlt Heidegger dann von dem Gefaumlngnis des Menschen
im Wesen der zirkulierenden sich immer neu bestellenden Bestandstechnik des
Ge-Stells Dabei scheinen folgende Mythen aus den Schwarzen Heften hindurch ndash
1 bdquoHistorie die Technik der Geschichtelsquo Technik die Historie der Naturlsquoldquo136
2 das historische Tier 3 der Appell an den Auftrag des Deutschen 4 der geschicht-
liche Mensch muss die Historie und damit die Technik uumlberwinden und 5 die
alles zernichtende Machenschaft des juumldischen Wesens
Den Topos der seinsvergessenen Groszligstadt jedenfalls kontrastiert er mit der
Bauerndorfidylle Da aber bdquodas Abstandlose herrschtldquo137 waumlre das Vorruumlcken der
Maschinentechnik bereits universell So in Form des Traktors Schon in Band
96 der Schwarzen Hefte beklagt er dieses bdquozum elektrischen Pflug [] gehoumlrt
das amerikanisch aufgemachte Magazinlsquoldquo Insofern erfolge die bdquoAngleichung der
Sitten der Bergbewohner an diejenigen des groszligstaumldtischen Sport- und Barbe-
triebsldquo138
Sein erster Land-Stadtvergleich betrifft den Bauern dessen Totenruhe tradi-
tionell in einem sg bdquoTotenbaumldquo (Sarg) stattgefunden haumltte ndash bdquoIn ihm gedeiht
der Tod des Totenldquo139 Dem gegenuumlber klingt in der bdquomotorisierten Bestattungs-
135 GA 79 S 24136 GA 95 S 351137 GA 79 S 24138 GA 96 S 54139 GA 79 S 26
34
industrie der Groszligstadtldquo140 bereits Heideggers pietaumltsloser Gaskammernvergleich
an
Ackerbau ist jetzt motorisierte Ernaumlhrungsindustrie im Wesen das Selbewie die Fabrikation von Leichen in Gaskammern und Vernichtungslagerndas Selbe wie die Blockade und Aushungerung von Laumlndern das Selbe wiedie Fabrikation von Wasserstoffbomben141
Hier wird davon ausgegangen dass es eine Uumlbertragung der Notizen uumlber
das deutsche Land als bdquoeinziges KZldquo ist die Unterdruumlckung des deutschen Vol-
kes durch die bdquoWeltdemokratieldquo die schlimmer sei als die Graumlueltaten der bdquoGas-
kammernlsquoldquo142 In die mythopoetische Formel von dem dingenden Ding aus dem
ersten Vortrag sind alle Valenzen eingeschrieben die es zur Aufgabe des abendlaumln-
dischen Deutschen (also als Nachfolger der alten Griechen) machen das Wesen
des Dings und somit der Technik zu huumlten Die Verantwortung fuumlr Genozid
Massenvernichtungswaffen und den Mangel im Nachkriegsdeutschland schreibt
Heidegger gleichfoumlrmig dem Prinzip der Abstandslosigkeit zu
Auch die Rede von der Habgier des Berechnenden ist ein bereits bekannter
Vorbehalt Heideggers anhand der Rede vom raffgierigen Juden Denn er sagt von
der bdquoHerrschaft des Abstandlosenldquo dass sie bdquodie Hab-gier des vorstellenden Be-
rechnensldquo waumlre143 Das entspricht seinem Mythos von der alles zernichtenden
Machenschaft des juumldischen Wesens144
Dann folgt eine lange Elegie uumlber das Bestellen des Bestands des Ge-Stells
bdquo[d]ie Kette des Bestellens laumluft auf nichts hinaus sie geht vielmehr nur in ihren
Kreisgang hineinldquo145 uumlber 19 Seiten des 21 seitigen Vortragsexts hinweg entwirft
Heidegger diverse Bilder wie das Ge-Stell die Natur das Hergestellte den Men-
schen und das Verstandesmaumlszligige vereinnahme und das Wesen desDings gleichsam
zur Veruntreuung bringen wuumlrde Wiederum poetisch orientiert kontrastiert also
140 Ebd141 Ebd S 27142 GA 97 S 99f143 Vgl GA 79 S 25144 Vgl Machenschaft hier S 29 und Geraff hier S 33145 GA 79 S 29
35
Heidegger Houmllderlins Hymne Der Rheinlsquo mit dem Rhein dessen Stroumlmung fuumlr
ein Stromkraftwerk genutzt wird
Achten wir um das Ungeheure das hier waltet zu ermessen nur auf einenAugenblick auf den Gegensatz der sich in den beiden Titeln ausspricht DerRhein verbaut in das Kraftwerk ndash der Rheinlsquo gesagt in der gleichnamigenHymne Houmllderlins146
Die Differenz also waumlre das Ungeheure147 Dabei waumlre der Rhein verbaut in das
Kraftwerk Aumlhnlich wie Kohle Erze und Rohoumll waumlren sie Bestand der bdquobesteht
im Bestellenldquo ndash bdquoDas Bestellen waumlre demnach lediglich eine Machenschaft des
Menschen vollzogen in der Weise der Ausbeutungldquo148
Das Bild des Wasserkraftwerks wird erweitert um den Begriff des Menschen
Elektrizitaumlt mit Wasserkraft erzeugen bdquokoumlnnen die Menschen [] nur insofern
sie selber schon in dieses Bestellen bestellt sindldquo149 Mit diesem Bild versucht Hei-
degger praktisch zu veranschaulichen dass Entwurf Umsetzung und Einsatz ei-
ner technischen Anlage den Menschen in ein entruumlcktes Verhaumlltnis zum Wesen
des dingenden Dings setze ndash bdquoDer Mensch ist darum der Angestellte des Bestel-
146 Ebd147 Das ist zusaumltzlich zu dem gemeinten Gegensatz ein Vergleich mit dem Heidegger dem Wort
bdquoRheinldquo in die Hymne Der Rheinlsquo gesprochen eine Energie erzeugende Wirkung zu-schreibt eben so wie das Kraftwerk Strom erzeugen wuumlrde Das wird klar dadurch dassHeidegger metaphorisch vom Stellen des Wortes bdquoRheinldquo in die Hymne spricht Es handeltsich um einen Appell zur denkerischen Besinnung Dass Heidegger dafuumlr eine technischeAnlage zur Veranschaulichung inspirierend wirken laumlsst spielt bereits in die Richtung derBegriffe bdquoHer-vor-bringenldquo bdquoEntbergenldquo und spielt auf das Alteheia-Prinzip an Darauf wirdweiter unten anhand Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo eingegangen werden Es handelt sich umdas Angebot eines mythopoetischen Umgangs mit Technik insbesondere wenn sie sich inheimische Gefilde einfuumlgtHeute koumlnnte man mit Windraumldern ebenso verfahren Somit koumlnnte aber auch Heidegger
als ein gewisser Quijana aus Mancha verstanden werden eben der Protagonist aus Miguel deCervantes Roman Don Quichote von der Manchalsquo der mit seinem von ihm flux auch um-benannten Klepper (weil er zuvor sich selbst in Don Quichote umtaufte) Rocinante Riesenbezwingen will um mit dieser Heldentat unsterblichen ritterlichen Ruhm zu erstreitenAuch Don Quichote fand seine Riesen in Windmuumlhlen und auch Don Quichote war uumlber
eine uumlbertriebene Auseinandersetzung mit einer verschuumltteten Kultur dieser verfallen undsuchte diese in seiner Aventuumlre zu reaktualisieren Martin Heideggers mythopoetisches Pro-gramm ist tatsaumlchlich stark mit Don Quichotes Motiv vergleichbarFerner waumlre eine Auseinandersetzung mit Heideggers Werk unter Beruumlcksichtigung sei-
ner Gewichtung der Vorsokratiker und Houmllderlin als mythopoetischen Autor eine moumlglicheForschung zum Thema Anachronismen in Konzepten von Moral und gesellschaftlicher An-gemessenheit (Vgl Cervantes Miguel de Don Quichote von der Mancha Herausgeben unduumlbersetzt v Susanne Lange Muumlnchen 2008 S 33f)
148 GA 79 S 29149 GA 79 S 30
36
lensldquo150 Schon vorher wies Heidegger darauf hin bdquo[d]ie Herrschaft des Gegen-
staumlndigen sichert nicht den Abstandldquo151 Jetzt heiszligt es
Das Bestellen befaumlllt nicht nur die Stoffe und Kraumlfte der Natur mit Gestel-lung Das Bestellen befaumlllt zugleich das Geschick des Menschen Das Wesendes Menschen wird daraufhin gestellt das Bestellen in menschlicher Weisemitzuvollziehen152
Der Begriff des Ge-Stells wird daraufhin so konstruiert dass es im Bestellen
um ein Stellen (Herausfordern) alles bdquoAnwesenden als Bestandldquo als bdquoversus unumldquo
gegen bdquodas Eine Ganzeldquo gehe153 In wiederum mythopoetischer Formulierung ge-
baumlre die bdquoVersammlung des Stellens worin alles Bestellbare in seinem Bestand
west das Ge-Stellldquo154 Der Begriff bdquoVersammlungldquo wird einen Absatz zuvor my-
thopoetisch wieder an die Versammlung also das thing eben das wesenhafteDing
angelehnt und somit wie zu Das Dinglsquo bereits oben erlaumlutert in einen deutsch-
abendlaumlndischen Kontext gestellt (3)
Wir nennen die Versammlung der Berge die von sich her einig und nienachtraumlglich schon gesammelt ist das Gebirge Wir nennen die Versamm-lung der Weisen nach denen uns so zumute ist und sein kann das Gemuumlt155
Allerdings ist obiges Versammlungsmodell hier als Kontrast zu sehen zu dem
bdquoGeraff des Getriebesldquo das das Ge-Stell darstellt als bdquoWesen der Technikldquo156 Hei-
degger sieht in der Gleichfoumlrmigkeit die zum Wesen des Technik als Ge-Stell
150 GA 79 S 30151 GA 79 S 25152 GA 79 S 31153 Vgl GA 79 S 32154 GA 79 S 32155 Ebd
Das Wort ldquoGemuumltrdquo hat ferner eine ausschlieszliglich deutsche Praumlgung gibt es doch keinedirekte Uumlbersetzungen Gemuumlth ist ferner ein nicht eindeutig umrissener Begriff (Vgl Kra-mer Cheryce A Foolrsquos Paradise The Psychiatry ofGemuumlth in a Biedermeier Asylum Chica-go 1998 S 19) Die Bedeutung im Deutschen selbst ist zudem sehr variabel hat aber zumeistmit Seelen- oder Geistkonzepten zu tun ndash Cheryce von Xylander (geb Kramer) uumlbersetztGemuumlth mit bdquosoul-organldquo (ebd S 43) das von diversen Autoren unterschiedlich konstru-riert wird (zB von Kant geistigkoumlrperlich und von Kleist individuellkollektiv (vgl ebdS 41)) In Heideggers emblematischem Duktus scheint eine Vermischung von allen vier Di-mensionen geistigkoumlrperlich wie auch individuellkollektiv stattzufinden Es ist auf jedenFall dem Mythos geschuldet den Auftrag des Deutschen anzunehmen (3)
156 GA 79 S 33
37
gehoumlre die planetarische Abloumlsung und Aufhebung des traditionellen und damit
wesenhaft ans Ding gebundenen Verhaumlltnisses vom Menschen zur Erde (das von
ihm idealisierte voumllkische Bauerntum das Bestellen des Ackers) bdquoDie Bestand-
Stuumlcke sind Stuumlck fuumlr Stuumlck die Gleichenldquo157 So kontrastiert er alte Handwerks-
techniken mit Maschinentechnik und schreibt der Maschinentechnik die machen-
schaftliche Verdraumlngung als Geraff zu
Das Ge-Stell hat auch wenn das nicht unmittelbar und nicht sogleich ver-nehmlich wird im vorhinein schon alle diejenigen Stellen beseitigt an denenvormals Spinnrad und Wassermuumlhle standen Das Ge-Stell bestellt durch sei-ne Maschinerie zum voraus eine andere Art und Ordnung von Stellen Andiesen kommt nur zu Stand was als Bestellbares auf der Stelle gleichfoumlrmigzur Stelle steht
Darum ist auch die Art wie die Maschine selbst etwas herstellt einewesentlich andere als das handwerkliche Tun gesetzt daszlig es innerhalb desGe-Stells uumlberhaupt noch so etwas wie ein Herstellen gibt
Die Traktoren und Kraftwagen werden herausgebracht ausgeworfen se-rienweise Stuumlck fuumlr Stuumlck Wo drauszligen steht dieses so Herausgestellte Wo-hin in welchen Stand ist es gebracht158
In dieser Klage uumlber den technischen Wandel der durch den Fortschritt in
alle Lebensbereiche Einzug haumllt versucht Heidegger zu veranschaulichen wel-
chen Verlust es zu erkennen gelte Ein Versuch diesem entgegen zu treten ist die
von ihm vorgetragene Mythopoetik die er in diesem Vortragsteil seines Vortrags-
Gevierts allerdings auffaumlllig zuruumlckgestellt sein laumlszligt War der Einleitungsteil Das
Dinglsquo schlieszliglich eine nahezu einzige mythopoetische Darbietung Dramatur-
gisch wird Heidegger in Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo die mythopoetischen For-
mulierung als Loumlsungswege wieder Bedeutung geben In Das Ge-Stelllsquo versucht
Heidegger hingegen Vorstellungen aus seinen Schwarzen Heften aumlhnlich der fol-
genden mitzuteilen die das Uniforme Gleichfoumlrmige betreffen
Die Macht der Machenschaft ndash die Vernichtung sogar der Gottlosigkeit dieVermenschung des Menschen in das Tier die Vernutzung der Erde die Ver-rechnung der Welt ndash ist in den Zustand der Endguumlltigkeit uumlbergegangenUnterschiede der Voumllker Staaten Kulturen sind nur noch Fassade159
157 GA 79 S 36158 GA 79 S 35159 GA 96 S 52f
38
Was Heidegger unter dieser Gleichfoumlrmigkeit versteht schreibt er in den Schwar-
zen Heften zumeist den Amerikanern zu Er nennt es auch haumlufig Planetarismus
Der Amerikanismus [ist DS] die Zusammenraffung von Allem welcheZusammenraffung immer zugleich die Entwurzelung des Gerafften bedeu-tet160
Der Planetarismus ist die historisch gedachte Bestimmung der uumlberall glei-chen die ganze Erde uumlberdeckenden Seinsverlassenheit des Seienden161
Die Gegenuumlberstellung von natuumlrlicher und traditioneller Handwerkstechnik
gegen maschinenhafte Gleichfoumlrmigkeit exemplifiziert Heidegger dann im Vor-
trag Das Ge-Stelllsquo vielfach wie zum Beispiel hier
Der Forstwart zB der im Wald das geschlagene Holz vermiszligt und demAnschein nach noch wie sein Groszligvater in der gleichen Weise die selbenWege geht ist heute von der Holzverwertungsindustrie gestellt Er ist ober es weiszlig oder nicht in seiner Weise Bestand-Stuumlck des Zellulosebestandesund dessen Bestellbarkeit fuumlr das Papier das den Zeitungen und illustrier-ten Magazinen zugestellt wird die uumlber die Oumlffentlichkeit daraufhin stellenverschlungen werden162
160 GA 96 S 257161 GA 96 S 261162 GA 79 S 37f
Die renommierte Theaterautorin Elfriede Jelinek karikiert in ihrem Stuumlck Totenaubergvon 1991 Heideggers Konstrukt von Heimat und Fortschrittsfeindlichkeit verbunden miteiner Auseinandersetzung mit dessen Liebschaft zu Hannah Arend Mit philologischer Prauml-zision polemisiert sie Teile aus Heideggers Elegie uumlber die Technik und laumlszligt ihn dabei alsbeschraumlnktes und eingezwaumlngtes Wesen in einem Gestell gefangen sein Aus diesem heraussoll er Arend Rede und Antwort stehen uumlber sein Verhaumlltnis zum Nationalsozialismus unddie Shoa Doch dieser redet nur naturtrunken von Heimat und berauscht sich daran Derprophetische Denker wird banalisert ndash diese Worte legt Jelinek ihm (im Stuumlck der alte Mann)in den MundbdquoDie Angst vor dem Fragen liegt uumlber dem Abendland Sie bannt die Kandidaten auf ein
Team-Leibchen verbannt sie auf altgewordene Wege und jagt sie zuruumlck ins morsch geworde-ne Gehaumluse ihrer Tore wo es um ihre Ausscheidungen geht Es wird ihnen alles weggenom-men werden auch der Weg selbst Keine Spur kein Lichtschein aus den Ritzen Aber ruf ichin die Huumltte um nach einem zu fragen den ich gekannt hab sehe ich grad noch eine Tuumlrsich schlieszligen Der Wald kommt nicht zur rechten Geltung alles ist entflohen was mir liebwar und woran ich geglaubt hab Was kommt ist noch nicht da Nichts war Ich habe nichtsgehoumlrt Ich erinnere mich nicht aber ich stelle dem Kommenden das mich den lupenreinenAmateur schon vor Beginn des Rennens erlahmen laumlszligt vorsorglich die Hausschuhe vor dieTuumlr Sie sind das Einzige was die Profis des Profits von mir dann vorfinden werden wennsie anklopfen Die Haumlrte des Urgesteins sollte sie nicht entmutigen Die Jahreszeiten machendie Landschaft auf und zu Ich sage nur In dieser scheinbaren Leere will ich vom Denkenmuumld nur schlafen Von der Huumltte aus lassen sich Wanderungen unternehmen Aber auchsonst wird Ihnen alles wie ich sagte genommen werden Auch Ihre Fotos und Namen Unddas Gewesene wird wesenlosldquo ( Jelinek Elfriede Totenauberg Hamburg 1991 S 86f)
39
Die Oumlffentlichkeit ist fuumlr Heidegger ein Topos der dem Denken und Besinnen
entgegenstuumlnde Somit meint er damit zum Einen die Medien wie er es anhand
der Rede von den Bestandstuumlcken in Das Ge-Stelllsquo erklaumlrt wo der Mensch als
Urheber des Ge-Stells als Wesen der Technik nicht gelten soll Vielmehr wuumlrde er
in Ratlosigkeit und Langeweile verfallen weil er in der Bestellung des Bestandes in
Form von Bestandstuumlcken vom Rundfunk keine Besinnung mehr faumlnde dh das
Ganze also wiederum daswesentliche Ding nicht mehr zu fassen vermoumlge163 Und
so toumlnt es bereits aus den Schwarzen Heften von 19391940()
Die Bildlsquo und Tonlsquo ndash Reportagenlsquo der Machenschaft ist der planetari-sche Mythuslsquo des Vollendungsabschnittes der Neuzeit Die Welt des abge-legensten deutschen Bauernhofes wird nicht mehr durch [] die Naturlsquobestimmt in der noch die Erde waltet sondern durch das illustrierte Blattmit der Darstellung von ausgezogenen Tanzweibern von Boxern und Renn-fahrern und sonstigen Heldenlsquo des Tages164
Und ferner notierte Heidegger 1946 in seinen Schwarzen Heften
Uumlberall zerrt es aus dem Oumlffentlichen ins Oumlffentliche mit vielen Strickenund jeder sieht das kaum versuchte Denken des Seyns am Leitband seinesStrickes165
Dabei waumlre eben ein bdquoLiterat [] ein in die Oumlffentlichkeit verliebter Mensch der
Angst vor dem Denker hatldquo166 Dieses liefe dann darauf hinaus dass beim Rund-
funk bdquoein Bestellen und Stellen waltet das in dasWesen des Menschen eingegriffen
hatldquo167
Abermals nach dem Wesen der Technik also nach dem Ge-Stell gefragt geht
Heidegger auf seine Unterscheidung vonNatur undNaturwissenschaft ein bdquo[w]elches
ist das Verhaumlltnis zwischen der Technik und der Naturldquo168 Natur wuumlrde in wis-
senschaftlicher Hinsicht unter das Berechnete fallen sie wuumlrde bdquoals das in Maszlig
und Zahl gestellte Wirkliche vorgestellt das in seinem Gewirkten staumlndig an-
westldquo169 Wenn Heidegger dann Natur aus technischer Sicht bdquoals ein System des
163 Vgl GA 79 S 38f164 GA 96 S 54165 GA 97 S 100166 GA 97 S 126167 GA 79 S 39168 GA 79 S 41169 Ebd
40
Bestellens von Erfolgen aus dem gestellten Wirksamenldquo170 charakterisiert spricht
er von seiner Rede der Verschraumlnkung von Historie und Technik ndash bdquoTechnik die
Historie der Naturldquolsquo171 Dieses ist bekanntlich das seinsvernichtende Gegenstuumlck
zur geschichtlichen Besinnung Denn geschichtliches Walten der Technik ist fuumlr
Heidegger technische Geschichte dh verwissenschaftlichte Geschichte die da-
durch ihr Wesen verloren haumltte (Seynsvergessenheit)172 So heiszligt es in den Schwar-
zen Heften von 1947
Ein Zeitalter das historisch geworden ist dh technisch planend sich selberberechnet und alles in diesen Sog zieht muszlig jede Besinnung nur als eine dervielen Formen der Intellektualitaumlt registrieren173
Heidegger schlieszligt den Vortrag mit dem Aufgriff der Anfangsbehauptung
bdquo[d]er Bestand bestellt das Abstandsloseldquo174 Somit liegt das Problem der ausblei-
benden Naumlhe durch die Technik deren Wesen das Ge-Stell waumlre das den Bestand
bestelle in der Luft Dass dabei der Mensch sogleich Teil des Bestandes und nicht
Teil der Maschine wird laumlsst ihn das historische Tier sein (2)
Der Mensch ist auswechselbar innerhalb des Bestellens von Bestand []Gleichwohl gehoumlrt der Mensch in einer voumlllig anderen Weise in das Ge-Stellals die Maschine DieseWeise kann unmenschlich werden DasUnmenschlicheist jedoch immer noch unmenschlich Der Mensch wird nie zur MaschineDas Unmenschliche und noch Menschentuumlmliche ist freilich unheimlicherweil boumlsartige und verhaumlngnisvoller denn der Mensch der nur Maschine wauml-re175
Wen Heidegger hier ersinnt ist der neuzeitliche Mensch der den bdquoGoumlttern uner-
traumlglich gewordenldquo176 waumlre
170 Ebd171 GA 95 S 351172 In Heidegger Die Technik und die Kehre S 21 stellt er Geschichte und Historie einander
gegenuumlber was er in Das Ge-Stelllsquo nicht vollzieht bdquoDie moderne Technik kam doch erst inden Gang als sie sich auf die exakte Naturwissenschaft stuumltzen konnte Historisch gerechnetbleibt dies richtig Geschichtlich gedacht trifft es nicht das Wahreldquo Signifikant fuumlr Heideg-gers Attributierung so wie sie oben schon geschildert ist steht Historie fuumlrs Rechnen undGeschichte fuumlr das Denken
173 GA 97 S 508174 GA 79 S 44175 GA 79 S 37176 GA 94 S 236
41
323 Die Gefahrlsquo
Aus Heideggers Darlegung uumlber das Ge-Stell erschlieszligen sich seine diversen Fa-
cetten der Vorstellung einer Abstandslosigkeit schaffenden Technik Dass die Ab-
standslosigkeit dem Prinzip des Gevierts des Zusammengestellten entgegensteht
bekommt im Vortrag Die Gefahrlsquo Nachdruck Die mythopoetische Erzaumlhlung
knuumlpft an den Vortrag Das Dinglsquo an mit den Mythologemene 1 Der Mythos
des geschichtlich sein muumlssens 2 der Mythos des Goumlttlichen 3 das geschichtsbe-
sinnliche Prinzip der Aletheia Zudem wird im Prozess des Vortrags das Ge-Stell
zur Gefahr stilisiert was einen eigenen Mythos erschafft
Durch das bdquouniversale Bestellen des Ge-Stellsldquo177 werde die naumlhernde Naumlhe des
Dings verwehrt Wie im Vortrag Das Dinglsquo fuumlhrt Heidegger das Wesentliche sei-
ner Theorie auf die deutsche und altgriechische Sprache zuruumlck Die so vollzoge-
ne Annaumlherung von Schwarzwaumllderischem Dialekt und Altgriechisch entspricht
Heideggers Traum von dem bdquogeschichtliche[n] Geburtsort des abendlaumlndischen
Wesensldquo178 den seine Heimat von Todtnauberg bis Freiburg stiften sollte (1)
es ist das Geistvolle und zugleich das erdenhafte schoumlne Land Es birgt un-sichtbaren Reichtum dem Gemuumlt bewahret tiefstes Dichten und houmlchsteGestalt der Sage179
Unter diesem Vorzeichen also sagt Heidegger
Das Ge-Stellwesen laumlszligt das Ding ohne die Wahr Das Wort die Wahrlsquo be-deutet in unserer Sprache dort wo sie noch urspruumlnglich spricht die HutIn unserer schwaumlbischen Mundart meint das Wort die Wahrlsquo die der muumlt-terlichen Hut anvertrauten Kinder Das Ge-Stell laumlszligt in seinem Stellen dasDing ohne die Hut ndash ohne die Wahr seines Dingwesens180
Diese in Bremen vorgetragene Heimatkunde ist auch Heideggers Sorge ge-
schuldet durch die Besatzermaumlchte und deren kulturellen Einfluss auch durch
die nun moumlgliche Oumlffnung Deutschlands zu einem Austausch mit der Welt das
eigene Wesen zu verlieren So schreibt er 1945-1947() in seine Schwarzen Hefte
177 GA 79 S 46178 GA 97 S 54179 Ebd180 GA 79 S 46
42
Das Schwerste und Fragwuumlrdigste unseres Geschickes ndash beruht darin ob wirdas Eigene finden und huumlten [] unter den anderen Voumllkernlsquo [] Scheinund Vorwand der Macht daszlig man unsere eigene Aufgabe bringen will []als Entmachtete aufgenommen zu sein in den Weltmachenschaftsbetrieb181
Es gaumlbe nach Heidegger also das Welten von Welt und die Verweigerung von
Welt aus derVerwahrlosung des Dings durch das Ge-Stell bzw die Technik182 Welt
ist nach dem Konzept des schwaumlbischen Denkers nichts weniger als das Geviert
Bei der folgenden mythopoetischen Zusammenstellung von dem Geviert mit alt-
griechischen Vokabeln um den Seins-Begriff wird das Aletheia-Prinzip eingefuumlhrt
Somit fuumlhrt uumlber den Mythos des Goumlttlichen (2) der Weg zur Wahrheit eben als
geschichtsbesinnlich erfahrene Aletheia (3)
Welt ist das Geviert von Erde und Himmel Goumlttlichen und SterblichenDas Spiegel-Spiel der Vierung wahrt alles was in ihm dingend zwischenden Vier anwest und abwest in das einende Ganze seines Anwesens Vonaltersher heiszligt das Anwesen des Anwesenden τὸ ὲόν das Seiend [sic] τὸεἶναι das Sein naumlmlich der ὲόντα des Seinenden das esse entium183
Diese Welt waumlre nun bdquoWahrnis des Wesens von Sein Statt Wahrnis sagen wir auch
Wahrheitldquo184 Die Welt mythopoetisch als Spiegel-Spiel des Gevierts und durch
eine altgriechische Brille betrachtet waumlre die wahre Welt Somit wird die Wahr-
heitsschau gebunden einen antiken Goumltterglauben und abendlaumlndische Sprachkas-
kaden vom Dialekt zum Altgriechisch
Das Problem mit der wahren Welt waumlre allerdings dass sie sich in die Ver-
borgenheit entziehe Naumlher betrachtet ist aber die Verborgenheit Bedingung des
Entbergens was Heidegger notwendig macht zu einem wuumlrdigen Lebensvollzug
in Harmonie mit dem Sein Durch solche Wesensschau waumlre der Mensch befaumlhigt
jederzeit die verstellenden Maumlchte des Ge-Stells (der Technik) zu uumlberwinden und
teilhaftig am Wesen der Welt zu werden
181 GA 97 S 99182 Vgl GA 79 S 47183 GA 79 S 48 (Die griechischen Vokabeln werden hier keiner Uumlbersetzung unterzogen Da
Heidegger ohnehin keine philologische Schaumlrfe anwenden will ist es fuumlr die Zwecke hierausreichend sie mit seiner Uumlbersetzung zu betrachten Heidegger spricht von bdquoAchten aufdas Griechischeldquo was schwieriger waumlre als klassische Philologie (vgl GA 79 S 63)
184 Ebd
43
Welt bleibt in der Verborgenheit (Αήθη) auf die Weise daszlig diese ihre Ver-borgenheit gerade eine Unverborgenheit gewaumlhrt die Αλήθεια185
Die Αλήθεια haumltte allerdings auch eine Rolle uumlber die subjektive hinaus da nur
durch ihren Vollzug Seinsgeschichte gewaumlhrt wuumlrde Das ist der Anspruch den
Heidegger an sein Auditorium stellt gemeinsam geschichtlich sein zu muumlssen (1)
Die Αλήθεια ist das Geschick des Seins als welches Geschick sich die Fuumllleder Seinsgeschichte in ihre Epochen fuumlgt186
Mit dem Ge-Stell als Wesen der modernen Technik waumlre die Aletheia aller-
dings hochgradig gefaumlhrdet Denn ohnehin waumlre die Aletheia prinzipiell der Ge-
fahr der Vergessenheit ausgesetzt Doch das Ge-Stell haumltte die Kraft die bdquovollende-
te Vergessenheit der Wahrheit des Seinsldquo187 zu vollrichten
Indem das Ge-Stell alles Anwesende in den Bestand bestellt setzt das Ge-Stell das Anwesen des Anwesenden heraus aus seiner Wesensherkunft ausder Αλήθεια188
Diese Versetzung des beteiligten Wesens aus der Moumlglichkeit des Wahrheitsprin-
zips heraus markiert Heidegger dann mit der Schreibweise Seyn (mit bdquoyldquo) Wie
bei dem Vortrag Das Dinglsquo koumlnnen ethymologische Abstammungen sein Sys-
tem anreichern Da wo es um das Wortfeld des Stellens geht Ge-Stell Bestellen
Verstellen ist auch das NachstellenMitglied der Familie
Im Althochdeutschen heiszligt nachstellen fara Das in sich gesammelte Stellenals Nachstellen ist die Gefahr Der Grundzug des Wesens der Gefahr ist dasNachstellen Insofern das Sein als das Ge-Stell sich selbst mit der Vergessen-heit seines Wesens nachstellt ist das Seyn als Seyn die Gefahr seines eigenenWesens189
Damit wuumlrde sich durch die Verringerung der Selbstreflexion im Seyns-Bestand
eine Schwachstelle auftun in die der denkbegabte und aletheiafaumlhige Mensch ei-
ne Moumlglichkeit haben das Seyn zum Sein zuruumlckzuwandeln ndash also wieder in ein
185 GA 79 S 49186 Ebd187 GA 79 S 53188 GA 79 S 52189 GA 79 S 53
44
wesentliches Verhaumlltnis zum bdquoDingldquo zu gelangen in dem das Geviert wieder die
Harmonie herstellt Allerdings faumlnde bis zu solch einer Nachstellung eine Ver-
sieglung des Seynsbestandes statt Und Heidegger beklagt dass die Erreichung der
Ruumlckeroberung des Seins uumlber die Nachstellung nicht stattfaumlnde und stattdessen
die Irre regieren wuumlrde190
In dieser Irre stuumlnde dem Menschen nicht einmal mehr zu zu sterben Denn
bdquoSterben [] heiszligt den Tod in sein Wesen austragenldquo191 Somit waumlren die Opfer
die in den KZs umkamen wie er sie in Das Dinglsquo bereits schildert nicht vermouml-
gend gewesen zu sterben bdquoSie werden Bestandstuumlcke eines Bestandes der Fabrika-
tion von Leichen [] Sie werden in Vernichtungslagern unauffaumlllig liquidiertldquo192
Das vermoumlge die Gefahr zu bewirken Der Mensch wuumlrde des eigenen Sterbens
beraubt da er keine Verbindung mehr zur Wahrheit der Welt haumltte Um den rich-
tigen Tod zu sterben muumlsse der Mensch die Aletheia schauen koumlnnen Insofern ist
Heideggers Prinzip ein religioumls anmutendes Wie in der christlichen Vorstellung
der Mensch im Jenseits an seinen Taten gemessen wird um Paradies oder Fege-
feuer zu besuchen soll nach Heidegger der Mensch waumlhrend des Sterbens mit
sich selbst ins Gericht gehen Er soll sich rein machen vom Ge-Stell der Technik
und dem Seyn um nicht die einmalge Gelegenheit des richtigen Sterbevollzugs
zu versaumlumen Es winken gemaumlszlig des Gevierts die himmlischen Goumlttlichen den
irdischen Sterblichen zu wobei annehmbar ist dass Heidegger Sterblichen die
die Aletheia erkennen einen Goumlttlichkeitsstatus beimessen moumlchte ndash eine Erlouml-
sungsphantasie
Genau diese Erloumlsung waumlre die Technik nicht
Ohne den Schritt des Denkens zu wagen der unser Menschenwesen demWesen der Technik [] aussetzt wuumlrgt man sich von Fall zu Fall von Lagezu Lage durch die Zwiespaumlltigkeiten hindurch Und genau durch dieses Ge-wuumlrge versaumlumt man die Moumlglichkeit dessen was man im Grunde erstrebtdie Technik durch menschliches Tun zu meistern und menschenwuumlrdig zulenken193
190 Vgl GA 79 S 55191 GA 79 S 55192 GA 79 S 56 Weil Heidegger im Judentum die Verantwortlichen fuumlr das Geraffe des Ge-Stells
sieht macht er sie gleichsam verantwortlich fuumlr die bdquoSelbstvernichtungldquo Die Seinsverges-senheit im Tode wird dadurch zum Spin-off der vermeintlich juumldisch erzeugten da machen-schaftlichen KZ-Maschinerie (Vgl GA 97 S 20f)
193 GA 79 S 59
45
Trost und Richtung findet Heidegger schlieszliglich abermals bei den alten Griechen
Das Wort stellenlsquo entspricht dem griechischen ϑέσις vorausgesetzt daszlig wirϑέσις griechisch denken Was heiszligt in diesem Falle griechisch denkenlsquo Esheiszligt darauf achten welche Lichtung desWesens des Seyns in welcherWeisedas Dasein der alten Griechen in den Anspruch genommen hat heiszligt imvoraus bedenken in welchem Geschick welcher Unverborgenheit des Seinsdie Griechen standenldquo194
Das sind Vorstellungen des Neuen Anfangs eine Reminiszenz der griechisch anti-
ken Welt Ein Eintrag aus den Schwarzen Heften von etwa 1945-47 () verdichtet
wie oben bereits aufgezeigt die Phantasie griechisch zu sein zu einem gelingenden
Lebensvollzug
Das reine Wesen des Griechentums dh das Seiende inmitten dessen dieGriechen als seiende fremd gewesen dieses und sie selbst und der Bezug desSeins zu ihnen ndash in der einfachen Wesung von der ἀλήθεια her zeigen underfahren Den μῦθος und λόγος ndash jedes Wort und Gebild rein aber nichterzwungen und schematisch-pedant ndash aus ἀλήθεια erfahren195
Hier zeigt sich auch dass Heidegger per se das Aletheia-Prinzip fuumlr notwendig
hielt um ins Licht der Wahrheit zu blicken Die Griechen sind ihm hier deshalb
Vorbild und rein da sie keiner modernen Technik und dem Ge-Stell ausgesetzt
waren sondern lediglich eine mythopoetische Verbindung zum Sein herstellen
mussten um wesentlich zu sein und Seinsgeschichte zu schreiben Die Dinge und
das Spiegel-Spiel des Gevierts waumlren ihnen geschickt zuhanden gewesen196 Hei-
degger macht schlieszliglich sehr deutlich dass das Griechische zu denken ein bei
weitem anderes Geschaumlft sei als philologische Praumlzision
Ein Echo zu sein naumlmlich dem Anspruch des Seins verlangt eine Sorgfaltder Sprache von der freilich der technisch-terminologische Sprachstil derWissenschaften uumlberhaupt nichts wissen kann Die Intentionalitaumlt der wis-senschaftlichen Sprache ist der staumlrkste Beweis fuumlr ihre Boden- und Heimat-losigkeit [] Das Heimische einer hohen Sprache gedeiht nur im Bereichdes unheimlichen Anspruchs der wesenhaften Stille im Wesen des Seyns197
194 GA 79 S 62f195 GA 97 S 20196 Hingegen waumlre das Judentum verantwortlich fuumlr das Ge-Stell fuumlr das Prinzip der Zerstoumlrung
wie es auf der selben Seite der Schwarzen Hefte darunter heiszligt (vgl ebd)197 GA 79 S 66 Die Bedeutung von Seyn als verstelltes Sein oder Bedingung zum Schauen
des wahren Seins ist verwirrend Einer genaueren Analyse wird aus Platzgruumlnden hier nichtnachgegangen
46
324 Die Kehrelsquo
Der letzte Vortrag ist mit nur neun Seiten der Kuumlrzeste des Vortragsgevierts
Nach dem Verlust des Dinges als Ding und der damit einsetzenden Abstandslosig-
keit als Wesen des Ge-Stells wobei die Gefahr zudem der Vergessenheit des Seyns
nachstellt bietet Heidegger eine Perspektive an
Im Wesen der Gefahr verbirgt sich [] die Moumlglichkeit einer Kehre in derdie Vergessenheit des Wesens des Seins sich so wendet daszlig mit dieser Kehredie Wahrheit des Wesens des Seyns in das Seiende eigens einkehrt198
Diese Moumlglichkeit bedeute nicht dass der Mensch sich der Gefahr selbst stellen
koumlnnte sie waumlre passiv ndash bdquoverbirgt sichldquo Die Kehre werde sich ereignen aumlhnlich
einer Erwartung an den Messias
Die Anwesenheit der Gefahr wuumlrde automatisch die Rettung bergen Denn
Houmllderlin haumltte geschrieben bdquoWo aber Gefahr ist waumlchst [d]as Rettende auchlsquoldquo199
Etwa 1945 notiert Heidegger in seine Schwarzen Hefte bdquoDie Wahrheit erfahren
wir im Gedaumlchtnis Das Gedaumlchtnis ist die Dichtungldquo200 (so) Von dieser War-
te aus ausgestattet mit Erinnerungen an das abendlaumlndische Dichten mit dem
Wissen um das Aletheia-Prinzip und passiv als denkender Huumlter des Seyns solle
der Mensch das Ereignis erwarten das ihn bdquoloumlsen freimachen freyen schonen
bergen in die Hut nehmen wahrenldquo201 wuumlrde (siehe S 43)
Dieses Ereignis waumlre der Blitz Ein unvermittelter jaumlher ploumltzlicher Moment
von kurzer Dauer der bloszlig einen ebenso kurzen Blick auf das wahre Wesen er-
lauben wuumlrde Abschlieszligend ist dies das Rezept gegen die Bestands bestellende
Technik in mythopoetischer Formulierung
So entsprechend ist der Mensch geeignet daszlig er im gewahrten Element vonWelt als der Sterbliche dem Goumlttlichen entgegenblickt Anders nicht dennauch der Gott ist wenn er ist ein Seiender steht als Seiender im Seyn unddessen Wesen das sich aus dem Welten von Welt ereignet202
198 GA 79 S 71199 GA 79 S 72200 GA 97 S 52f201 GA 79 S 72202 GA 79 S 76
47
Wenn Heidegger im Anschluss von der bdquohistorisch-technischen Darstellungldquo re-
det so ist dies die Abwehr der Wissenschaften (auch der Philosophie203) und ein
Appell an die Antirationalitaumlt des Mythos bdquokein historisches Vorstellen der Ge-
schichte als Geschehen bringt in den schicklichen Bezug zum Geschickldquo204
Damit das Blitzen erfahren werde als kurze Wesensschau der Aletheia muumlsse
dem wahren abendlaumlndischen und heimatlichen Ereignis stattgegeben werden Es
sollte nicht wie er 1939 schon in den Schwarzen Heften beschreibt das
kuumlnstliche Licht von Historie und Technik in der weder Mensch noch dieGoumltter weder eineWelt noch die Erde sichtbar werden koumlnnen wo aber dasLebenlsquo von allen den immer noch zu wenigen Meistenlsquo erlebtlsquo wird205
Damit schlieszligt der letzte Vortrag mit einer Erwartung an das Ereignis des Blit-
zens nicht das Erleben der Besinnungslosigkeit (vgl Das Ge-Stelllsquo) Schon 1947
traumlumt Heidegger von solcher Umkehr
Aus der Kehre der Seynsvergessenheit aber ereignet sich das Unumgaumlnglicheden Acker der Welt erst zu pfluumlgen und saatbereit der Sonne und dem Regenund den Voumlgeln des Himmels uumlberlassen206
203 Denn ldquo[e]igentlich denken heiszligt [] die Philosophie verlassen [] beim Sagen des Seinslsquoldquo(GA 97 S 60)
204 Ebd205 GA 95 S 427 Gegen das Erlebnis und Erleben straumlubt sich Heidegger besonders So notiert
er etwa 1939 bdquoZeitalter der Techniklsquo macht gerade die Techniklsquo nicht zum Ziel sondernimmer mehr zum Mittel der besinnungslosen Berechnung [] der Mensch [] das Erleb-nislsquo [] Erleben als der Gefuumlhlsgenuszligldquo (GA 95 S 149) Wie auch bdquoWo beide Historie undTechnik in solcher scheinbaren Gegensaumltzlichkeit verkoppelt sind koumlnnen sie sich zur Foumlr-derung dessen zusammenschlieszligen was einstmals wesentlich die Geschichte des Menschenmitbegruumlndete und was wir die Kunstlsquo nennen Die Historie verschafft [] Anregungenund Vorbilder der Nachahmung die Technik erleichtert [] die Zustellung von Darstel-lungsmitteln und Wirkungsformen [] Gleichwohl ist alles wurzellos [] berechnet und alsErlebnislsquo ausgegebenldquo (GA 95 S 212)
206 GA 97 S 511
48
4 Konklusion
Der umstrittene Philosoph Martin Heidegger hat uumlber die 1930erndash40er Jahre
hinweg eine ausgepraumlgte voumllkisch-nationale und bisweilen radikal-antisemitische
Denkweise entwickelt Dieses Denken fasste er auch auf als Besinnung und stellt
es der Philosophie und Wissenschaft diametral entgegen In Kapitel 2 wird aufge-
zeigt dass sowohl Heideggers Mythologie bereits kritisiert wurde (Adorno Cassi-
rer Meyer) als auch seine Mythopoetik bewundert (Schulz-Nieswandt) Kapitel
3 will daruumlber hinaus aufzeigen wie Heidegger eine eigene Mythologie mytho-
poetisch fruchtbar macht was sich von beiden vorigen Ansaumltzen unterscheidet
und erst mit der Veroumlffentlichung der Schwarzen Hefte ab 2014 nachvollziehbar
wurde
Umso mehr bietet die mythopoetische Verbindung von bdquoDichten und Den-
kenldquo (so) einen antitechnischen Gegenpol Denn Heidegger fasst wie oben ge-
schildert alles Rationale auf als berechnende Bestellung des Bestands im Sinne
der Technik Daruumlber hinaus fordert er mit dem Aletheia-Prinzip (als metapho-
risch gefasstes Ereignis des Blitzens) einen Mitvollzug seiner mythopoetischen
Kontemplation in dem religioumlse voumllkische antike und sprachliche Motive zu-
sammenfallen
Obwohl schon von Heidegger selbst nicht mehr als Philosophie betrachtet
hat seine Rede vom Ding dem Ge-Stell dem Wesen der Technik und der Kehre
noch immer einen bedeutenden Einfluss auf die Technikphilosophie So betont
Alfred Nordmann in bdquoWerkwissen oder How to express things in worksldquo (2008)
dass Heidegger mit Das Dinglsquo eine Art Dingwissen geschaffen haumltte In seinem
2012 erschienenen Aufsatz Another parting of the ways Intersubjectivity and the
objectivity of sciencersquo207 geht Nordmann ein weiteres Mal auf Heideggers Ding
ein Dieses waumlre eine Abarbeitung an dem Ding Kants womit auch Nordmann
Heidegger als einen Interpreten Kants versteht208 Anschlieszligend anMichael Fried-
207 Nordmann Alfred Another parting of the ways Intersubjectivity and the objectivity ofscience In Studies in History and Philosophy of Science 43 (2012) 38ndash46
208 Die Auseinandersetzung mit dem Ding wuumlrde nach Nordmann in Heideggers GA mit demText Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalen Grundsaumltzenlsquoeinsetzen (GA 41 Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalenGrundsaumltzen)
49
man spricht sich Nordmann ebenso dafuumlr aus dass Heidegger neben Rudolf Car-
nap und Ernst Cassirer eine neokantianische Philosophie verfolgt haumltte (siehe
Kap 1)209
Nach Nordmann haumltte Heidegger in seinen anschlieszligenden Gedanken uumlber
das Ding als Fortfuumlhrung Kants als erster Wissenschaft als angewandte Techno-
logie verstanden210 Diese Interpretation stuumltzt sich auf die gleichen Symbole
Metaphern und Mythen die die vorliegende Arbeit analysiert Das Ge-Stell ist
insofern aumlquivok mit dem Begriff techno-science Jedoch sind in dieser Fruchtbar-
machung von Heideggers Denken der Technik dessen nationalistischen rassisti-
schen und antisemitischen Implikationen die die vorliegende Arbeit als Zentrum
dessen Philosophie ermitteln konnte noch nicht beachtet worden koumlnnen211
Andreas Luckner webt Heideggers Ding-Entwurf weiter als verantwortliches
Sorgen um die Dinge212 Er geht dabei mit Heidegger voumlllig konform und tritt
eher als eine Art Bote der Ding-Botschaft auf als diese moumlglicherweise zu kriti-
sieren was sich diesen Artikel wie ein Kapitel aus einem Studienbuch lesen laumlsst
Der Darmstaumldter Technikphilosoph Christoph Hubig ist vor allem Kritiker Hei-
deggers Argumentationen laumlsst aber zuweilen diverse Topoi aus dem Werk des
Technik-Denkers durchscheinen ohne sie weiter zu reflektieren
So konstatiert Hubig Heidegger verfehle in dessen Auseinandersetzung mit
Aristoteles Lehre von der Poiesis zum Punkt der Sicherung wie sie in Die Frage
nach der Techniklsquo behandelt wird bdquodie operative Seite des Technischenldquo bei Aris-
totels213 In einem spaumlteren Aufsatz allerdings stuumltzt er sich ohne weitere Erlaumlute-
rungen auf Heideggers Begriff der Sicherung aus Die Frage nach der Techniklsquo214
209 Diese Befriedung paradigmatischer Umstaumlnde wird hier nicht geteilt Eine weitere Bearbeitunglaumlsst der Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht zu
210 Vgl Nordmann Another parting of the ways S 45211 Der Aussage dass Heideggers Ding-Begriff kantianisch waumlre muumlsste einer gezielten Untersu-
chung unterzogen werden genau wie die Behauptung insgesamt dass Heidegger oder inwie-weit dieser noch der suumlddeutschen Kantschule des 1920 Jahrhunderts angehoumlrte
212 Vgl Luckner Andreas Ding und Bestand Heidegger und das Wesen neuzeitlicher TechnikIn Gamm G Gehring P Hubig C Kaminski A und Nordmann A Ding und SystemS 15-30 hier S 29
213 Hubig Christoph Die Kunst des Moumlglichen Technikphilosophie als Reflexion der MedialitaumltBielefeld 2006 S 103
214 Vgl Hubig Christoph Technik als Medium In Grundwald Armin (Hg) Handbuch Tech-nikethik Stuttgart 2013 S 118-123 hier S 118
50
Dabei versteht Hubig Heideggers Betrachtungen zum Umgang mit der Technik
als gelassen
Fuumlr Heidegger liegt die Andersheit im Entbergen einer Wahrheit des Seinseines Geschicks von dem die Entwicklung der Technik hin zum Gestellkuumlnde Er verbindet dies mit dem Appell jenseits des rechnenden und si-chernden Vorstellens technischer Vollzuumlge als handlungsleitender Program-me sich gelassenlsquo dieser Entwicklung zu uumlberantworten und ein Seinlsquo zuhuumlten das sich als solches eben entbirgt Das Rettendelsquo dieser Einsicht lie-ge darin dass unsere individuelle Endlichkeit insofern transzendiert wirdals sie sich dem sie uumlbersteigenden Prozess aufschlieszligt und sich selbst relati-viert215
Wovon in diesem Zitat nicht die Rede ist ist der Mitvollzug der mythopoe-
tischen Rahmenbedinungen die Heidegger einfordert und an dem die Konzep-
te Abendland und voumllkische Tradition haumlngen In dieser Arbeit wird davon aus-
gegangen dass Heideggers Technikphilosophie-erzaumlhlung sich nicht von seinen
Absichten der Bekaumlmpfung des Technischen loumlsen laumlsst Die Relativierung ist in-
sofern nicht an den Prozess gebunden und damit emergent auf alles hin ausge-
richtet was kommen mag sondern houmlchst konvergent in einer Besinnung auf
Mythen von dem Ding und dem Geviert mit all deren Valenzen aus dem vorlie-
genden Heideggerschen Textkorpus Die individuelle Endlichkeit ist genoumltigt die
Heimat und das Abendland zu kennen und im Aletheia-Prinzip umzusetzen
Die Neubewertung der bislang bekannten Heideggerschen Technikphiloso-
phie von vor den SchwarzenHeften ist ein dringendes Desiderat Voumllkisch-nationale
Gruppierungen erstarken momentan in ganz Europa und es koumlnnte sehr hilfreich
sein aumlhnliche Denkstrukturen aufzudecken so wie sie zwischen den 1930er und
40er Jahren entwickelt wurden Zusaumltzlich muss das Werk Heideggers einer kriti-
schen Revision schon aufgrund der niemals von ihm behandelten Antisemitismen
unterzogen werden Heidegger hat nie zu diesen Stellung bezogen
Daruumlber hinaus ist das Thema Mythos und Philosophie ein weiterhin not-
wendiger Bereich der philosophischen Forschung In einem Bereich auszligerhalb
der exakten Wissenschaften und ohne klare theologische Tradition ist die Philo-
215 Hubig Die Kunst des Moumlglichen S 140
51
sophie beides sowohl Aufklaumlrer und antimythisch als auch Quelle fuumlr mythisches
Denken und affektierende Motive
52
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56
Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
Der Unterzeichner versichert dass er die vorliegende Bachelorarbeit selbststaumlndig
verfasst und keine anderen als die von ihm angegebenen Hilfsmittel benutzt hat
Die Stellen der Arbeit die anderen Werken dem Wortlaut oder dem Sinne nach
entnommen sind wurden in jedem Fall unter Angabe der Quellen (einschlieszliglich
des World Wide Web und anderer elektronischer Text- und Datensammlungen)
kenntlich gemacht Dies gilt auch fuumlr beigegebene Zeichnungen bildliche Dar-
stellungen Skizzen und dergleichen
Darmstadt 25 April 2016
__________________________
(Eigenhaumlndige Unterschrift)
- Abkuumlrzungsverzeichnis
- Danksagung
- Einleitung
- Heideggers mythopoetisches Programm
-
- Zu den Begriffen Mythos Mythologie und Mythopoetik
-
- Ein Beispiel fuumlr ein Mythologem
-
- Heideggers Mythen
-
- Formen der Mythologie
-
- Heideggers mythopoetische Technik
-
- Zur Publikationsgeschichte von den Bremer Vortraumlgen 1949
- Die mythopoetische Spiegelung der Schwarzen Hefte
-
- Das Dinglsquo
- Das Ge-Stelllsquo
- Die Gefahrlsquo
- Die Kehrelsquo
-
- Konklusion
- Literaturverzeichnis
- Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
-
1
1 Einleitung
Die Geschichte des deutschen Philosophen Martin Heidegger existiert beinahe
nicht ohne eine um ihn gravitierende tiefschuumlrfende Debatte Beinahe deshalb
weil es eine kurze Zeitspanne gibt in der Heidegger sowohl hohes Ansehen bei
seinen Marburger Studierenden genoss als auch steigende Anerkennung und Be-
kanntheit fuumlr seine Publikation von sbquoSein und Zeitlsquo1 (1927)
Seine Schuumllerinnen und Schuumller waren ihm ebenso an der Universitaumlt Frei-
burg zugetan Mit der Publikation von Rudolf Carnaps Aufsatz sbquoUumlberwindung
der Metaphysik durch logische Analyse der Sprachelsquo2 im Jahr 1931 allerdings ist
datierbar wie Heideggers Arbeit als Ausdruck der voumllkisch-nationalen Rechten
interpretiert zum erstenMal ins Zentrum einer Debatte geriet die bis heute seine
gesamte Philosophie auf den Pruumlfstand stellt3
Es blieben nur wenige Philosophen die nach dem Ende der Weimarer Repu-
blik im Deutschen Reich der NSDAP leben und wirken durften4 Der Bekann-
teste von ihnen ist Martin Heidegger Michael Friedman sieht ihn deswegen als
das Bindeglied der nachkantianischen Tradition deutscher Philosophie mit der
Postmoderne5
1 GA 22 Carnap Rudolph Uumlberwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache in Zs
Erkenntnis 2 Berlin 193132 S 219-2413 Vgl Galison Peter AufbauBauhaus Logischer Positivismus und architektonischer Moder-
nismus In Deutsche Zeitschrift fuumlr Philosophie 43 (1995) Heft 4 S 653-685 hier S 710Diese Aussage beruht auf einer hier nicht von selbst erschlieszligenden Interpetration die sich
aus der Lektuumlre von Peter Galisons Aufsatz sbquoAufbauBauhaus Logical Positivism and Archi-tectural Modernismlsquo (1990) ergibt Galison schildert dort auf Seite 710 wie Carnap undNeurath sich auf Seiten der Wissenschaftsphilosophie im Sinne des Logischen Positivsimusmit dem Bauhaus verbunden fuumlhlten Er nennt diese Koalition bdquotransparente KonstruktionldquoDiese Form des Bauens und Philosophierens haumltte den selben Feinden gegenuumlber gestanden ndashbdquothe religious right nationalist anthroposophists voumllkisch and Nazi opponentsldquo CarnapsAufsatz sbquoUumlberwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprachelsquo selbst haumllt sichpolitisch auffaumlllig zuruumlck Die Bedeutung Carnaps im Heidegger-Streit ist ferner eine interes-sante Frage die aber den Bereich der vorliegenden Arbeit uumlberschreitetDas Buch sbquoCarnap Heidegger Cassirer Geteilte Wegelsquo (2004) von dem US amerikani-
schen Philosophen Michael Friedman schlaumlgt dazu versoumlhnliche Toumlne an indem er alle dreials unterschiedliche Interpreten Kants versteht In der vorliegenden Arbeit aber ist ausschlag-gebend dass Carnap und Cassirer ins US-Exil flohen waumlhrend Heidegger ein Konzept desdeutsch-voumllkischen Denkens entwickelte
4 Vgl Dahms Hans Philosophie In Frank-Rutger Hausmann (Hg) Die Rolle der Geisteswis-senschaften im Dritten Reich 1933ndash1945 Muumlnchen 2002 S 193-228
5 Friedman Michael Carnap Cassirer Heidegger Geteilte Wege Frankfurt am Main 2004 S13 u 162
2
Von 1933 an war Heidegger Mitglied der NSDAP und mit der Einrichtung
des Fuumlhrer-Rektors zu dem er auch 1933 gewaumlhlt wurde als voumllkisch-nationaler
Rechter nicht mehr in Frage zu stellen Die philosophischen Differenzen waumlhrend
der Diktatur waren weniger von einer fachlichen Auseinandersetzung gepraumlgt als
denn der Erziehung des Volks und eines geistigen Uumlberbaus der Nazis geschul-
det6 Eine direkte Auseinandersetzung mit seinen Kritikern des mittlerweile ge-
flohenen Wiener Kreises hatte es nicht gegeben
Auf Umwegen wurde Jean-Paul Sartre zum ersten Heidegger-Apologeten je-
doch nicht gegenuumlber Carnap oder demWiener Kreis sondern gegen die franzoumlsi-
sche Linke Diese hatte sich aufgrund der offensichtlichen Faktenlage mit Heideg-
ger als Fuumlhrerrektor uumlber die Existenzphilosophie Sartres empoumlrt die Heideggers
Werk rezipiert Sartres Entgegenhalten enthaumllt den Kern der Frage wie Philoso-
phie und Autorschaft im Verhaumlltnis stehen
Was zaumlhlt schon Heidegger Wenn wir unser eigenes Denken anlaumlszliglich des-sen eines anderen Philosophen entdecken wenn wir bei diesem Technikenund Methoden suchen die uns zu neuen Problemen Zugang verschaffenkoumlnnen heiszligt das dann daszlig wir alle seine Theorien teilen Marx hat sei-ne Dialektik von Hegel uumlbernommen Sagen Sie deshalb sbquoDas Kapitallsquo seiein preuszligisches Werk7
Nach Ende des Krieges wurde Heidegger im Zuge der Entnazifizierung die
Lehrerlaubnis entzogen Die Debatte um seine Einstellung zum Nationalsozialis-
mus war ihm selbst zu dieser Zeit am unmittelbarsten denn seine Befugnisse wur-
den darin verhandelt Jean-Paul Sartre war unterdessen interessiert am Dialog mit
Heidegger und Jean Beaufret wandte sich brieflich an ihn Diese Auseinanderset-
zung uumlber den Humanismus angestoszligen von Sartres Essay sbquoLrsquoexistentialisme est
un humanismelsquo8 (1946) bindet die franzoumlsischen Philosophen an den deutschen
6 Vgl Dahms Hans-Joachim Philosophie In Elvert Juumlrgen und Nilson-Sikora Juumlrgen (Hg)Kulturwissenschaften und Nationalsozialismus Stuttgart 2008 S 19-51
7 Sartre Jean-Paul Zum Existenztalismus ndash eine Klarstellung In Der Existenzialismus istein Humanismus und andere philosophische Essays 1943ndash1948 Philosophische Schriften IFrankfurt am Main 1994 S 114Das Zitat wird auch herangezogen im Kopfteil einer Wikipedia Ab-
handlung uumlber die bdquoHeidegger-Kontroverseldquo (httpsdewikipediaorgwikiMartin_Heidegger_und_der_NationalsozialismusDie_Heidegger-Kontroverse ndash zuletztabgerufen am 24042016)
8 Sartre Jean-Paul Lrsquoexistentialisme est un humanisme Editions Nagel Paris 1946
3
Kollegen der seinen sbquoBrief uumlber den Humanismuslsquo9 (1947) beisteuerte Dieser bi-
laterale Briefwechsel wie auch die konspirativen Vortraumlge im privaten Club zu
Bremen im Jahr 1949 denen Heideggers spaumlte Technikphilosophie entspringt
trugen zu einer Rehabilitierung bei Ab 1951 wurde Heidegger emeritiert wo-
durch er wieder in Freiburg lehren durfte
Diese Arbeit untersucht inwiefern Heideggers Technikdenken in den Bremer
Vortraumlgen (1949) von seinen seit 2014 vorliegenden sogenannten Schwarzen Hef-
ten (1931-1948 GA 94 ndash 97) Heideggers Notizbuumlchern zehren Diese sind die
wichtigste Quelle zum Nachvollzug seiner Gedanken zum Nationalsozialismus
und Rassismus geworden Die vielen Spekulationen um Heideggers menschliche
Defizite und deren Eingeschriebensein in seine Philosophie finden seitdem eine
handfeste Grundlage
Insofern wird der Frage nachgegangen ob und wie ein Programm anhand der
Schwarzen Hefte vorliegt das sich auf Heideggers Technikdenken niederschlaumlgt
Dazu wird davon ausgegangen dass Heidegger sich in eine Denkweise des My-
thologisierens begeben hatte die sich in den Schwarzen Heften manifestierte
Das untersucht Kapitel 2 Kapitel 3 untersucht wie die moumlgliche Mythologie der
Schwarzen Hefte mit dem ersten Vortrag seit Beendigung des Zweiten Weltkriegs
zusammen haumlngt
9 GA 9
4
2 Heideggers mythopoetisches
Programm
In diesem Kapitel wird die These aufgestellt dass Heidegger in den Schwarzen
Heften von 1931ndash1948 sich selbst eine Mythologie anlegt derer er sich in Veroumlf-
fentlichungen mythopoetisch bedient Die Mythopoetik aus seinen mythologi-
schen Annahmen bestimmt aber auch weite Teile seiner intimen Schriften (Denk-
tagebuumlcher) also die Schwarzen Hefte selbst Dh dass Heidegger sich seine ei-
gens gesetzte Mythologie aus fruumlheren Jahren als permanentes Zentrum seines
Philosophierens oder Nachdenkens fortschreibt und mit spaumlteren Gedanken zum
Zeitgeschehen aktualisiert Gerade diese Kohaumlrenz mit der er an seiner
Der Begriff der Mythologie und ferner der des Mythos bieten eine Vielzahl
von Moumlglichkeiten der Bestimmungen und Interpretationen Aus diesem Grund
ist der weiteren Erlaumluterung der These eines mythopoetischen Programms eine Be-
griffseingrenzung vorangestellt10 Genauso wird eine Erlaumluterung des Begriffs der
Mythopoetik dargelegt werden um darauf aufbauend Heideggers Vorstellungen
aus den Schwarzen Heften aufzudecken
21 Zu den Begriffen Mythos Mythologie
und Mythopoetik
Zur Bestimmung von Heideggers Vorstellungen als mythopoetisches Programm
werden die drei Begriffe Mythos Mythologie und Mythopoetik hier einer einfa-
chen lexikalischen Definition zugrunde gelegt Diese orientiert sich maszliggeblich
am Reallexikon der Deutschen Literaturgeschichtelsquo (RDL) das eine fachwissen-
schaftliche (philologische) Seriositaumlt besitzt die gefragten Begriffe aber auch kom-
pakt und uumlberschaubar abhandelt11
10 Eine fuumlr dieses Thema hervorragende Reflexion des Mythos-Begriffes bietet sich in Ernst Cas-sirers Der Mythus des Staateslsquo an Auf diesen Titel wird allerdings erst spaumlter eingegangenwerden um mit der Begriffseingrenzung nicht einen Cassirerrsquoschen uumlberbau zu erstellen
11 Die Eintraumlge des RDL werden hier bereits nur sehr sparsam verwendet bieten sie jedochweitaus reichhaltigere Reflexionen zu den drei gefragten Begriffen Trotz der faszinierenden
5
Insofern legt das RDL den Mythos uumlber die bdquoForm eines vorrationalen Wis-
sensldquo hinaus so aus
Mythos2 bezeichnet ein ndash oft einem vermeintlich wissenschaftlicheren lo-goslsquo als mythisches Denkenlsquo entgegengesetztes ndashWeltverhaumlltnis uumlber dessenEigenschaften [] immer wieder neu spekuliert wird und das man ua ausdem Mythos1 zu erschlieszligen sucht12
Zur Wortgeschichte erklaumlrt das RDL ferner dass im Fortschritt der bdquoFachschrift-
stellereildquo Mythos und Logos als Spannungsverhaumlltnis hervorzutreten beginnen
mit demmyacutetos als bdquoAusdruck fuumlr Erdichtetes oder Erfundenesldquo und logos bdquoals ver-
antwortende Redeldquo Mit der im RDL sogenannten bdquoFachschriftstellereildquo muss be-
reits die griechische Antike gemeint sein wenn es in der Begriffsgeschichte heiszligt
bdquo[i]n der antiken Geschichtsschreibung und Philosophie wird der Begriff fast im-
mer ex negativo im Hinblick auf das Nicht-Wissenschaftliche verwendetldquo13
Der Begriff Mythologie wird hauptsaumlchlich unterschieden in 1) eine bdquoZusam-
menstellung der Mythen einer bestimmten Kulturldquo und 2) deren bdquoErforschung
und theoretische Reflexionldquo14 Als Drittes kann die Zusammenstellung von hy-
postasierten poetischen oder heroisierenden Elementen als Mythologie aufgefasst
werden So sagt Adorno uumlber die deutschen Existentialisten dass sie bdquoin der ab-
soluten Verfuumlgung des Einzelnen uumlber sich [] soldatischldquolsquo an der bdquoBindung an
den Befehlldquolsquo15 hingen Sprecher solcherlei bdquoExistenz bewegen sich auf heroisie-
rende Mythologie zuldquo16 Insofern kann als Mythologie gelten was sich als solche
gebiert Er bindet dieses Mythologisieren in seinen Topos des bdquoJargons der Eigent-
lichkeitldquo ein der hauptsaumlchlich Heideggers eigenwilligem Sprachverhaumlltnis gewid-
Begriffsgeschichten von Mythos und Mythologie soll zugunsten der hier verhandelten The-se auf tiefergehende Reflexionen verzichtet werden Das Material dazu ist weiterhin uumlberdas RDL hinaus sehr umfangreich Dennoch wird davon ausgegangen dass der hier gewaumlhl-te Bedeutungsumfang der Begriffe dem Verstaumlndnis hinsichtlich der These von Heideggersmythopoetischen Programm genuumlgen wird
12 RDL S 665 Da das RDL in seiner Explikation von drei verschiedenen Bedeutungsdimensio-nen spricht wird in der zitierten 2 auf die 1 refereriert welche lautet ldquoMythos1 meint dieerzaumlhlende Darstellung von kollektiv bedeutsamen Orten und Figuren oder Naturphaumlnome-nen in aller Regel mit religioumlser oder kultischer Dimensionldquo (Ebd S 664)
13 RDL S 66514 RDL S 66015 Adorno Theodor W Jargon der Eigentlichkeit Zur deutschen Ideologie Frankfurt am Main
1964 S 10716 Ebd S 108
6
met ist Was Adorno als Abwehr gegen Heidegger und die deutschen Ideologen
der Moderne anfuumlhrt kann nicht in gleicher Weise auf die Romantiker fallen
Im 19 Jahrhundert fanden bei denen auch Bestrebungen statt Mythologie als
wissenschaftliche Wahrheitsfindung zu betreiben Mythologie ist dort bdquoSprache
der Phantasielsquo die jedoch auch Spuren der aumlltesten Geschichte enthalte und da-
durch deren Allegorisierung verhindereldquo17 Der Unterschied zwischen beliebiger
Allegorie und verbindlicher Mythologisierung liegt demzufolge im Rekurs auf die
bdquoaumllteste Geschichteldquo Der Antikestoff befluumlgelte Schriftsteller wie Philosophen zu
poetologischen und philosophischen Doktrinen die die bloszlige Zusammenstellung
von tradiertenMythen sprengten und ein progressives Mythologisieren forderten
Dieses Zusammenspiel fand seinen Houmlhepunkt im bdquoSystemprogrammldquo
[E]ine neue Mythologie der Vernunftlsquo welche den Gegensatz zwischendem Volk und einer philosophischen Elite aufloumlsen und eine allgemeineFreiheit und Gleichheit der Geisterlsquo verwirklichen sollte18
Daran beteiligt waren Friedrich Schlegel Hegel und Houmllderlin Bei den aus-
gepraumlgten Houmllderlinkenntnissen Heideggers kann von dessen Kenntnis des bdquoSys-
temprogrammsldquo ausgegangen werden auch wenn er dessen noblen Ziele nicht zu
beerben gedachte Gerade fuumlr Schelling jedoch bdquoist Mythologie das Mittelglied der
Ruumlckkehr der Wissenschaft zur Poesieldquo19 Es ist genau diese Aufwertung des Au-
tors aus einer Synthese von Kunst und dem Prozess ihrer archaischen Ruumlckfuumlh-
rung die Heidegger als Wahrheitsquelle vorphantasiert Er geht bei dieser My-
thologisierung so weit von der Errettung durch die Goumltter zu traumlumen wobei
er auf Houmllderlin als Mittlerfigur rekuriert der sich wiederum auf die Vorstellung
von Goumlttern der griechischen Antike bezieht Das ist ein Teil von Heideggers
voumllkischer Mythologie die eine reine Linie des Denkadels nachzeichnen will
Werden wir einen wirklichen geistigen Adel schaffen der stark genug ist dieUumlberlieferung des Deutschen aus einer groszligen Zukunft zu gestalten20
17 RDL 66218 RDL S 66319 Ebd20 GA 94 S 121
7
bdquoAus einer groszligen Zukunftldquo ist hierbei bezeichnend fuumlr die Vorstellung eines
Versprechens aus der Vergangenheit Das macht diesen Mythos aus Heideggers
Mythologie
Mythopoetische Texte schlieszliglich werden definiert als
Literarische Werke die Mythen aufnehmen und auf eine fuumlr die Textaussagekonstitutive Weise dichterisch bearbeiten21
Die Besonderheit von der bei der vorliegenden Arbeit ausgegangen wird ist dass
Heidegger in seinen echten Publikationen wobei hier besonders die Vortraumlge von
1949 von Interesse sind nicht bloszlig mythologisierte im Sinne eines bdquoerweiterten
Mythosldquo Sondern er schreibt als Mythopoet schoumlpfend aus seiner privaten My-
thologie Diese legte er sich selbst zu Grunde in den Schwarzen Heften Es sind die
Manifestationen seines Glaubens an romantisierte Antikeideale und seine Uumlber-
houmlhungen von Fantasien von einem deutschen Volk
Wie das Metzler Literaturlexikon es bereits aufweist bdquoDie weitere Explikation
des M-Begriffs ist komplex und faumlllt in die Zustaumlndigkeit verschiedener Diszipli-
nenldquo22 Die Begriffseingrenzung hier hat allerdings in Bezug auf das RDL einen
deutlich literaturwissenschaftlichen Bezug da Heidegger eine bdquoPartnerschaft zwi-
schen Denken u Dichtenldquo23 anstrebte ndash bdquoDas Dichterischelsquo sollte rettende Wege
im Zeitalter des universalen technolog Zugriffs findenldquo24 Damit ist auch zum
wiederholten Male das Kontrastierende in dieser Haltung genannt ob sich der
Mythos nun gegen das TechnischeWissenschaftliche richtet (Heidegger) oder ge-
21 RDL S 66522 Metzler Lexikon der Literatur S 524 Ferner deutet ein Eintrag im Neuen Pauly dar-
auf hin bdquoEine alle Disziplinen befriedigende Definition von M (μῦθοςmyacutethos latmythos) zu finden erweist sich trotz vieler Versuche als unmoumlglichldquo (Graf Fritz(Princeton) Zgoll Annette (Leipzig) Hazenbos Joost (Leipzig) Niehr Herbert (Tuuml-bingen) Mythoslsquo Der Neue Pauly Hg v Cancik Hubert (Antike) und Schnei-der Helmuth Landfester Manfred (Rezeptions- und Wissenschaftsgeschichte) Brill On-line 2015 Reference Universitaumlts- und Landesbibliothek Darmstadt 06 December2015 httpreferenceworksbrillonlinecomentriesder-neue-paulymythos-e815160 Firstappeared on-line 2006)
23 Poumlggeler Otto Heidegger In Killy Literaturlexikon Autoren und Werke des deutschspra-chigen Kulturraums 15 Bde 1988-93 Bd 5 S 142-146 hier S 144
24 Ebd S 142
8
gen die Rationalitaumlt (Cassirer) er hat stets bdquodas erklaumlrte Andere des logischen
Erkennensldquo25 inne26
211 Ein Beispiel fuumlr ein Mythologem
bdquoDen μῦθος und λόγος [] aus ἀλήθεια erfahrenldquo27 Dieses System entruumlckt
Wort und Rede dem zwischenmenschlichen Sprachgebrauch und uumlberlaumlsst es dem
Prinzip eines eigenwillig ausgelegten Begriffs der ἀλήθεια ob etwas als Ereignis
zum Sein gereicht oder als Dasein hinfaumlllig ist Die erstrebenswerte Identifikation
mit dem bdquoLeben der Gemeinschaft und mit dem Leben der Naturldquo28 die der ge-
meinsame Austausch uumlber Mythen bieten soll zB im Raumlsonieren daruumlber (etwa
im Sinne des Logos) untersteht hier dem regelnden Prinzip einer Aletheia Mys-
thagogisch will Heidegger den archetypischen Akt dieser Wesensschau beim anti-
ken Griechenvolk enthuumlllen (vgl Kapitel 323) Damit ist die Zusammenstellung
von bdquoμῦθος und λόγος [] aus ἀλήθεια erfahrenldquo bereits ein Mythos seiner
Mythologie
Die Eigenwilligkeit mit der Heidegger einen Mix aus philologischer Hinwen-
dung zu den Vorsokratikern der Dichtung Houmllderlins und einem Pathos seiner
Heimatverbundenheit verquickt ist Adorno schon in den 1960ern als Mythologie
aufgefallen bdquoAntisophistik im Endstadium aufbereiteter Mythologie ist verhaumlrte-
tes Ursprungsdenkenldquo29 Adorno konnte nicht ahnen wie tief Heidegger seinen
Wunsch nach Ursprung in sein Denken verschlossen hat Der Bestand bdquoaufbe-
25 Erdbeer Robert Matthias Graf Fritz Mythoslsquo Der Neue Pauly Herausgegeben vonHubert Cancik Helmuth Schneider (Antike) Manfred Landfester (Rezeptions- und Wis-senschaftsgeschichte) Brill Online 2015 Reference Universitaumlts- und LandesbibliothekDarmstadt 06 December 2015 lthttpreferenceworksbrillonlinecomentriesder-neue-paulymythos-rwg-e1505640gt First appeared online 2006
26 Ernst Cassirer interpretiert in diesem Bezug ferner nachdem er den Konflikt zwischen ra-tionalem und mythischem Denken als Machtkonflikt aufwies Kants Annahme von zweibdquoGruppen von Gelehrten und Forschern die eine befolgt das Prinzip der Homogenitaumltlsquo dieandere das der Spezifikationlsquo [] Nach den Prinzipien der Kantischen Philosophie selbststehen beide Haltungen nicht wirklich im Widerstreit miteinander Denn sie druumlcken keinefundamentale ontologische Differenz aus keine Differenz in der Natur und dem Wesen derDinge an sichlsquo Sie repraumlsentieren eher ein doppeltes Interesse des menschlichen Verstandesldquo(Cassirer S 12) Allerdings ist Heidegger anti-wissenschaftlich Sein Ringen um das Mythi-sieren verfolgt das Ziel einer gegenwissenschaftlichen bdquoBesinnungldquo wie er es nennt
27 GA 97 S2028 Cassirer Der Mythus des Staates S 5329 Adorno Jargon der Eigentlichkeit S 41
9
reiteter Mythologieldquo liegt erst seit 2014 mit der Veroumlffentlichung der Schwarzen
Hefte vor
22 Heideggers Mythen
Heideggers Mythen sind weder eine Fortsetzung antiker Uumlberlieferungen noch
ein von ihm entwickeltes Fabulieren uumlber anthropomorphe Goumltter und ihre Ent-
stehungsgeschichten Es ist in erster Linie eine eigenwillige Philologie des Alt-
griechischen wenn er zB in bdquogeschichtlicher Besinnungldquo zum Zuruumlckgehen bdquoauf
den Zusammenhang von τέχνη ἀλήθεια und οὐσίαldquo30 auffordert Adorno cha-
rakterisiert seinen Begriff vom Jargon der Eigentlichkeitlsquo mit dem Zug der sta-
tischen Inbeschlagnahme einzelner Woumlrter die sich bdquodurch die Konstellation die
sie verleugnenldquo aus demDiskurs sprengten und als Apotheosen eine uumlbertriebene
Eigenbedeutung erhalten wuumlrden Diese guerrillaartige Umdeutung von Sprache
versteht Adorno als Asyl des Faschismus31
Was das singulaumlre Wort an Magie verlor wird ihm gleichwie durch Maszlignah-men dirigistisch angeschafft [] Bestandstuumlcke der empirischen Sprachewerden in ihrer Starrheit manipuliert als waumlren sie solche einer wahren undgeoffenbarten [] Der Jargon objektiv ein System benutzt als Organisati-onsprinzip die Desorganisation den Zerfall der Sprache in Worte an sich32
Die bdquoDesorganisationldquo die Adorno Heideggers Sprachzerfall zuweist ist viel-
mehr eine Neukonstellation im Sinne des Mythos So erscheint es zumindest
anhand der Leese die Heidegger in den Schwarzen Heften zusammentraumlgt Der
deutsch-schweizerische Philosoph Enno Rudolph fuumlhrt in diesem Zusammen-
hang einige Militaumlrmetaphern an die Heideggers Zielsetzung unterstreichen sol-
len mit seinem Sprachsystem voumllkisch-nationale und eben auch antisemitische
Abgrenzungspolitik zu betreiben
30 GA 94 S 336f31 Vgl Adorno Jargon der Eigentlichkeit S 8f bdquoAsyl des Faschismusldquo ist eine treffende Parodie
auf Heideggers Rede von der Sprache als Haus des Seins (su)32 Ebd S 10
10
Am Ende koumlnnten sich Text und Sache moumlglicherweise so darstellen lassen[] dass sich das Gesamtwerk als die labyrinthisch konstruierte letzte Basti-on eines philosophischen Stellungskrieges positioniert in dessen Verlauf derAntisemitismus ndash neben den anderen programmatischen Feindseligkeiten ndasheine strategische Funktion nach Analogie mehrerer einander koordinierterWaffengattungen erfuumlllt [] dass es sich bei den vier Baumlnden um Bausteinefuumlr eine Kampfschrift handelt33
Mit dem Schluumlssel des Verstaumlndnisses der altgriechischen Sprache seiner Liebe
zum Klassikautor Houmllderlin und als selbsterklaumlrter Feind der Metaphysik ver-
stand sich Heidegger als Prophet des Denkens das als Dichtung veredelt An-
athema zur Rationalitaumlt und Wissenschaft (worunter er auch die Philosophie ver-
stand) sein sollte Die strenge Bindung an seine Pseudotradition des Abendlandes
sollte mythologisch festgezurrt sein aber seine Veroumlffentlichungen in Form von
Vortraumlgen und Aufsaumltzen und schlieszliglich in Buchform sollten selbst nicht bloszlig
mythologisch sein ImModus von verhaumlrtetem solipsistischen Narzissmus ging er
daruumlber sogar noch hinaus und wollte sich verstehen als mythopoetischen Autor
seiner eigenen Mythologie
Eine katalysierende Wirkung auf dieses Vorgehen Heideggers hatte der Alt-
philologe Walter F Otto (1874ndash1958) In einem vor den Schwarzen Heften in
2009 veroumlffentlichen Aufsatz schildert der franzoumlsische Germanist Daniel Meyer
von diesem Bezug und untersucht Heideggers Verbindung der Kehre34 und des
Mythos Die Entdeckung des griechischen Mythos Heideggers geschichtsphilo-
sophische Wendelsquo35 Wie es der Titel verraumlt markiert Meyer Heideggers Kehre
zur Seinsgeschichte mit dessen bdquoEntdeckungldquo des Mythologisierens36
33 Rudolph Enno Heideggers Schwarze Hefte im Echo In Philosophische Rundschau Bd 62Heft 2 (2015) S 141-154 hier S 145f
34 Die bdquoKehreldquo ist multifaktoriell mit Bedeutungen besetzt Darauf kann hier nicht eingeangenwerden Im Uumlblichen ist die Kehre zur bdquoSeinsgeschichteldquo gemeint
35 Meyer Daniel Die Entdeckung des griechischen Mythos Heideggers geschichtsphilosophi-sche Wende Germanica 45 (2009) S 13-26
36 Diese Entdeckung ist wie bei Peter Trawny (su) gebunden an Heidegger Topos des AnfangsDen Anfang dieser Rede des Anfangs will auchMeyer erkannt haben Insgesamt koumlnnen nochmehrere starke Aumlhnlichkeiten des Artikels von Meyer mit Trawnys Buch uumlber die Schwar-zen Hefte nachgewiesen werden womit Trawny ohne jegliche Nennung Meyers unter denAnfangsverdacht des Plagierens faumlllt
11
Ottos 1929 erschienenes Werk Die Goumltter Griechenlandslsquo37 sei laut Meyer
der fuumlr Heideggers mythologische Strategie unentbehrliche Einfluss Somit sei
der griechische Goumltterbegriff nicht mehr bdquochristlich antithetisch zu Welt und
Mensch sondern in Einheit damit zu denkenldquo38 Diese Einheit wuumlrde gestif-
tet durch bdquoOttos Formel vom Geheimnis der Beruumlhrung von Goumlttlichem und
Menschlichenlsquoldquo39 Da Meyer das Mythologisieren im Zusammenhang mit der ge-
schichtsphilosophischen Kehre auch im Sinne einer bdquoVorrangstellung des primi-
tiven archaischen von ihm [Heidegger DS] als mythisch verstandenen Den-
kensldquo40 als Weg zum Nationalsozialismus ndash der Traum Heideggers eines neuen
(deutschenabendlaumlndischen) Anfangs ndash versteht liegt dem bdquogriechischen Goumltter-
begriffldquo hier eine besondere Wertlegung zugrunde41
Die Beschwoumlrung des Anfangs des griechischen Ursprungs ermoumlglicht ei-nen genuinen Neuanfang im Sinne einer Annullierung des Vorhergekom-menen Der Ausweg aus der Moderne aus der Welt der Uneigentlichkeitist moumlglich durch einen Bruumlckenschlag zum griechischen Denken [] DieMoumlglichkeit diese Krise zu uumlberwinden ist fuumlr Heidegger 1933 durch dienationalsozialistische Machtergreifung gestellt doch reiht er diesen Prozessin eine legitimierende geschichtsphilosophische Perspektive die auf einengriechischen Ursprungsmythos zuruumlckverweist42
Meyer findet kernige Passagen die er aus Heideggers Schriften und Vorle-
sungen bis 1935 durchaus uumlberzeugend zur Unterstuumltzung seiner These anfuumlhrt
Diese Zitate Heideggers sind der Mythologie der Schwarzen Hefte sehr aumlhnlich als
tentatives Entwerfen
37 Otto Walter F Die Goumltter Griechenlands Das Bild des Goumlttlichen im Spiegel des griechi-schen Geistes Frankfurt am Main 2013Meyer verweist in einer Fuszlignote auf das Buch Heideggerrsquos Roots Nietzsche National So-
cialism and the Greekslsquo von Charles Bambach (2005) das ihm fuumlr diese Aussage Pate stand38 Meyer Die Entdeckung des griechischen Mythos S 439 Ebd Durch eine solche Formel der Einheit von Menschen und Goumlttern ist ein nahtloser
Anschluss an die Goumltter Heraklits und anderer antiker Philosophen geebnet Heidegger hatdiese Moumlglichkeit erstaunlich ernst genommen und ausgearbeitet
40 Meyer Die Entdeckung des griechischen Mythos S 341 Meyer stolperte mit der Begruumlndung dass bdquoDieser erstaunlich unkritische Gottesbegriff []
sich nur im Kontext von Ottos Goumltter Griechenlands verstehenldquo (Meyer Die Entdeckungdes Griechischen Mythos S 4) lieszlige uumlber Heideggers SoSe Vorlesung 1930 Vom Wesender menschlichen Freiheitlsquo (GA 31 S 7f) Ferner vollzieht er Ottos Einfluszlig uumlber die ersteHoumllderlin-Vorlesung von 193435 und weitere Schriften Heideggers nach Es geht Meyerauch stark um das Verhaumlltnis von Heideggers Denken bis und nach Sein und Zeit was indieser Arbeit nicht tiefer behandelt werden kann
42 Meyer Die Entdeckung des griechischen Mythos S 4f
12
Das legt nahe dass Heidegger sein mythopoetisches Texten als Code vor allem
in den Nachkriegsveroumlffentlichungen einsetzt ndash ein Nachruf aus dem gescheiter-
ten Anfang43 Ab 1935 jedenfalls haumltte sich Heidegger von der Vorstellung des
neuen Anfangs verabschiedet44
Das Mythologisieren konstruiert Meyer als Anschluss an die Houmllderlin-Vor-
lesung (193435) Die Houmllderlinsche Lyrik haumltte fuumlr Heideggers bdquophilosophisches
Sprachmaterialldquo Vorbildcharakter da bdquomit Houmllderlin die griechische Mytholo-
gie in ihrer sprachlichen Verbildlichung zum tragenldquo45 kaumlme Die dann staumlndige
Wiederauferstehung der bdquogriechischen Goumltter- und Heldenwelt in seinen Vorle-
sungenldquo schluumlge dem zu Buche In der Vorlesung 193435 Houmllderlins Hymnen
Germanienlsquo und Der Rheinldquo klingt insofern bereits eine Figur an die Heidegger
uumlber zehn Jahre spaumlter in seinen technikphilosophischen Bremer Vortraumlgen mit
seinem Aletheia-Prinzip verbinden wird ndash der bdquoBlitzldquo (su)
43 Eine genaue Untersuchung laumlszligt die Form dieser Arbeit nicht zu sie bezoumlge sich wie gesagtauf die drei Darstellungsebenen der GA mit den Schwarzen Heften (GA 94ndash97) als (Entwurfs-phase) Besinnung (GA 66) Das Ereignis (GA 71) ua als (Konzeptionsphase) und den BremerVortraumlgen (GA79) als (Praumlsentation) die Uumlbergaumlnge sind freilich flieszligend und gerade in denvon Meyer zitierten Vorlesungen erscheinen alle drei Stufen mitunter gleichzeitig Gerade imfolgenden zitierten Doppelband in dem es ua um die bdquoWahrheit der Spracheldquo geht scheintes tatsaumlchlich genau wie Meyer es identifiziert um die Grundlegung Heideggers Mythologiezu gehen die in den Schwarzen Heften vielmehr lemmaartig und sporadisch entworfen wirdMit Heraklits Spruch des Kampfes als Wesen des Seienden zieht Heidegger einen Paten seinerMythos-Logos-Aletheia Kombination heran und versucht seiner eigenwilligen Philologie ei-ne verpflichtende Bedeutungstiefe einzulegenMeyers Zitate Heideggers mit groszliger Relevanz fuumlr diese Arbeit sind die folgenden bdquoDa-
mals als das Volk der Griechen deren Stammesart und Sprache mit uns dieselbe Herkunfthat in seinen groszligen Dichtern und Denkern sich aufmachte eine einzigartige Weise desmenschlichen volklichen Daseins zu schaffen Was da anfing ist bis heute nicht eingeloumlstAber dieser Anfang ist noch nicht und er verschwand nicht und verschwindet nicht dadurchdaszlig die nachkommende Geschichte immer weniger seiner Herr blieb Der Anfang ist nochund besteht als ferne Verfuumlgung die unserem abendlaumlndischen Schicksal weit vorausgreift unddas deutsche Geschick an sich kettetldquo (GA 3637 S 6 Die Grundfrage der PhilosophielsquoSommersemester 1933)bdquoAls μυθος ist das Wort das uumlber den Menschen kommt jenes worin ihm dieses und
jenes seines Gesamtdaseins gedeutet wird nicht das Wort in dem er von sich her Rede stehtsondern das Wort das Weisung gibt [] Aber der urspruumlngliche λογος der Philosophiebleibt dem μυθος verbunden erst die Sprache der Wissenschaft vollzieht die Abloumlsungldquo(Ebd S 116)
44 In den Schwarzen Heften houmlrt die Sehnsucht nach dem neuen Anfang nicht auf also bis ein-schlieszliglich 1948
45 Meyer Die Entdeckung des griechischen Mythos S 6
13
Gewitter und Blitz sind die Sprache der Goumltter und der Dichter ist derder diese Sprache ohne Ausweichen auszuhalten hat aufzufangen und in dasDasein des Volkes zu stellen hat [] Die Dichtung ist ein Weiterwinkendieser Winke in das Volk oder von diesem her gesehen Dichtung ist []ein Zeigen ein Weisen in welcher Weisung die Goumltter offenbar werden46
Die Rede von bdquoWinkenldquo ist bereits ein Selbstbezug benannte der Autor der
Schwarzen Hefte seine ersten beiden Abteilungen des heutigen 94ten Bandes der
GA als Winke x uumlberlegungen (II) und Anweisungenlsquo und uumlberlegungen und
Winke IIIlsquo47 Diese setzen ein im Jahr 1931 und duumlrften moumlglicherweise bis 1933
oder vielleicht auch 1935 gereicht haben Heideggers Selbstuumlberhoumlhung als mys-
tagogisch bdquodichterisch-denkenden Schaffenden ndash also ihm selbstldquo48 erkennt auch
Meyer bereits ohne die eindeutigen Zeugnisse dieses Wunsches in den Schwarzen
Heften Es ist Heideggers Begehren das Volk seiner Fuumlhrung zu unterstellen bdquoso
dass sich das Wesen dieses Landes selbst findet und vollendetldquolsquo49
Meyer spricht in Folge daran davon was Heideggers Ursprungsmythos den
er in die griechische Altertum legt fuumlr diesen leistet Es ist eben das antiwis-
senschaftliche bdquoWissenldquo von einer bdquoUr-geschichteldquo Welche abgruumlndigen Motive
auch immer da hineinzuprojizieren sind (Bodenhaftigkeit arische Reinbluumltigkeit
abendlaumlndische Groumlszlige etc so wie es sich aus den Schwarzen Heften offenbart)
der Mythos verschraumlnkt Heideggers Streben nach Fuumlhrung als Denker und eine
Begruumlndung fuumlr die vermeintliche rassische uumlberlegenheit des deutschen Volkes
Meyer zitiert den Dichter-Denker mit bdquoMythologielsquo ist Wissen von einer Ur-
geschichteldquolsquo Es ginge um
Wissen nicht im archaumlologisch-musealen Sinn sondern als Prozess [] auchim Sinne dass Heidegger im Moment des Aussprechens gerade das leistetwovon er spricht Mythologie50
Augenscheinlich sieht Meyer keinen Grund dafuumlr von einer mythopoetischen
Textform in der Verschraumlnkung von Heideggers Denkerprophetie und der abend-
46 GA 39 S 31f (zitiert nach Meyer Die Entdeckung des griechischen Mythos S 6)47 Aus dem beigefuumlgten Nachwort des Herausgebers Peter Trawny geht nicht genauer hervor
weshalb zuerst bdquoWinke x uumlberlegungen (II)ldquo und dann bdquouumlberlegungen und Winke IIIldquo signi-fiziert sind Es wird hier davon ausgegangen dass es sich schlicht um das Gleiche handeltwobei der erste Teil sich in den bislang verschollenen Schwarzen Heften befinden muss
48 Meyer Die Entdeckung des griechischen Mythos S 749 Ebd Darin zitiert ist die GA 39 S 28950 Ebd Darin zitiert ist die GA 40 S 165
14
laumlndischen uumlberhoumlhung zu sprechen Die Paarung von Dichtung und Denken al-
lerdings ist fuumlr den Husserlnachfolger erst der Zweck und die Mythologisierung
das Mittel dazu In seiner Schrift uumlber die Religionsphilosophie und ontologi-
sches Wahrheitsverstaumlndnis bei Walter F Ottolsquo schildert der Altersforscher und
Sozialwissenschaftler Schulz-Nieswandt aus Koumlln uumlber die menschliche Existenz
die bdquoMythopoetik als Seins-Vergewisserungldquo51
In jenem Kapitel seines Otto-Traktats von 2014 schreibt Schulz-Nieswandt
wie ein echter Epigone Heideggers von der Wappnung gegen die bdquoKrise der Mo-
derne ndash Entfremdung Einsamkeit Angst Verzweiflungldquo52 An fruumlherer Stelle
seines Buchs stellt sich dar dass Schulz-Nieswandt sich geradezu mit Heideggers
Linie vereint anstatt sich ihr nur anzunaumlhern
Es geht um das wahre Sein aus der Sicht des zu seinem Wesen gelangendenMenschen in dessen Daseinsfuumlhrung was hermeneutisch erschlossen wer-den soll nicht um Wissenschaft als hermeneutische Methode im Kriterien-spektrum zwischen Verifikation und Falsifikation von Hypothesen mittelsProtokollsaumltzen uumlber die Realitaumlt53
51 Schulz-Nieswandt Frank Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis beiWalter F Otto (1874-1958) Eine strukturalistische und psychodynamische RezeptionBaden-Baden 2014 S 58-60
52 Ebd S 58 Dabei spielt Schulz-Nieswandt die Begriffe Epistemologie gegen Ontologie ausund bezeichnet sich selbst als post-strukturalistisch im Sinne der Kritischen Theorie schrei-bend Jedoch erscheinen diese philosophischen Kontraste nur wie bdquoEdelsubstantiveldquo des vonAdorno gemuumlnzten bdquoJargon der Eigentlichkeitldquo Und in genau diesem Jargon laumlszligt der So-zialwissenschaftler Heideggers Urmythos des Goumlttlichen der griechischen Antike (so) inaktueller Praumlsenz wieder auferstehen Es ist erstaunlich dass jemand der die Kritische Theo-rie fuumlr sich reklamieren will Epigone des bdquoJargons der Eigentlichkeitldquo ist So zeigt es sichauch auf S 28 wenn er in Ottos Dionysos bdquodie ganze Tiefe des Menschen zum Ausdruck[bringt DS] die Todeserfahrung des sterblichen Menschen Dionysos ist Hadesldquo Um nocheinmal zu bestaumltigen wie sich Schulz-Nieswandt als Akteur des Jargons gebiert sei hier Ador-no zitiert (dies gilt allerdings nur der Gegenuumlberstellung zum Vorsatz jener wuumlrde sich ander Kritischen Theorie orientieren ohne fuumlr diese zu advozieren) bdquoDer Heideggerschen Phi-losophie schloszlig sich was einmal Pforte zum ewigen Leben war zu sie betet statt dessenWucht und Groumlszlige des Tores an [] Sein wuumlrdevolles Gehabe ist Reaktionsbildung auf dieSaumlkularisierung des Todes [] Darum wird Sinn in den Tod geworfenldquo (Adorno Jargonder Eigentlichkeit S 134)
53 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei WalterF Otto S 15
15
Beiden gemeinsam ist auch die Faszination an Houmllderlin die sie ebenso mit Otto
teilen
Die ganze Eigenart des Denkens von Otto kommt in dem komplett innerenVerhaumlltnis zu Heidegger und Houmllderlin zum Ausdruck54
Nur noch ein Gott kann uns rettenlsquo so das Zitat des Spiegelinterviews das Ja-
kob Augstein zum Titel machte ist die kodierte Mythopoetik auf die sich die
Spiegelleser keinen Reim machen konnten Fuumlr Heidegger fuumlr den das Sein in der
Sprache wohnen sollte55 ging es um den Mythos der Naumlhe zur Antike als Naumlhe
zu den Goumlttern
Fuumlr Houmllderlin war die Theologie der Abwesenheit Gottes als uumlberweltlichePraumlsenz der Verlust der Gotteserfahrung des diesseitig verankerten Men-schen [] Die Antike wird als eine von Goumltternaumlhe charakterisierte Zeitvon Houmllderlin verstanden und erneuert (der kommendelsquo Gott) ersehnt56
Dies ist eine der Leit-Mythen Heideggers insbesondere wenn man sich die Nach-
kriegsvortraumlge ansieht (eben die Bremer Vortraumlgelsquo)
Die Aufhebung der Trennungsangst durch die bdquoAbwesenheit der Goumltterldquo uumlber-
winde der in existenzieller Angst befindliche bdquohomo abyssusldquo mittels bdquoder lie-
bevollen Gestaltung als Sich-Einrichten des Menschen [] als apriorischer Mo-
dus des In-der-Welt-Seinsldquo durch die bdquoEwigkeit der Mythopoetikldquo57 Fuumlr Schulz-
Nieswandt ist Mythopoetik eben nur dieses ein peganistischer Goumltterdienst der
den Kanon der Ottoschen Antike mit Houmllderlin interpretiert Insofern versteht
dieser versuchte Religionsphilosoph der eigentlich Sozialforscher ist Heideggers
Mythologie als schoumlpfend aus geteilter Quelle mit Mythen als Gemeinplaumltzen
derer sich der Denker-Dichter philologisch sicher bediene
Dabei geht es Schulz-Nieswandt umHeideggers Aletheia-Prinzip das er bdquoWahr-
heitsbegriffldquo nennt ndash welches bdquoDie Differenz der Technik als Herrschaft uumlber
54 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei WalterF Otto S 20
55 Vgl GA 7 S56 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei Walter
F Otto S 2157 Vgl Ebd S 59
16
Dinge von der Kunst als Schoumlpfung als Lichtung des Seins zur Wahrheit unter-
scheidetldquo58 Houmllderlins Goumlttliches waumlre darin vermisst und von Bedarf fuumlr den
Menschen Mit der Nomenklatur der griechischen Goumltter Houmllderlins und Ottos
ginge es beim Wahrheitsprinzip um bdquodie Erinnerung an Dionysos als der wie-
der kommende Gott []ldquo sie bdquofuumlhrt zur Lichtung des Seins als Wahrheitldquo59 Der
Mensch waumlre also Hirte seines Seins nicht Herr der Technik zum Sein bdquoDas Sein
ist den Menschen nicht technisch verfuumlgbar Die notwendige Einkehr wird zu
Heimkehrldquo60
Insofern zeichnet Schulz-Nieswandt ganz in Heideggers Sinne nach wie Hei-
mat und Irrationalitaumlt des Mythos zusammenfallen im Kanon der Goumltter-Mytho-
poetik Zum einen ist allerdings Heideggers Mythologie nicht so sehr an diese
Mythopoetik uumlber die Goumltter gebunden sondern bewegt sich frei im eigenwil-
ligen Auslegen von altgriechischen und deutschen Begriffen Zum anderen ist es
erstaunlich dass Schulz-Nieswand 2014 die Bedeutung der Mythopoetik fuumlr Hei-
deggers Ursprungsmythos des neuen Anfangs ignoriert und damit auch die gan-
ze voumllkisch-nationale Aura und damit die Abgrenzungspolitik Vor allem aber
richtet sich Heidegger nicht in einer bdquoliebevollen Gestaltungldquo menschlich ein
wie Schulz-Nieswandt es schon pathetisch darstellt sondern befeinded sich mit
allem ihm Zuhandenen als bdquoRaprochementldquo61 in alle Richtungen und pocht auf
bdquogeschichtliche Besinnungldquo als bdquoAuftrag des Deutschenldquo62
221 Formen der Mythologie
Mit den zwei oben herangezogenen Arbeiten uumlber Mythologisieren und Mytho-
poetik Heideggers sollte in dieser Arbeit das Verstaumlndnis seines Projekts der an-
tirationalen und antitechnischen Ausrichtung in den aktuellen Forschungsstand
gestellt werden Um welche Mythologie es sich in den Schwarzen Heften handelt
wird im Folgenden aufgedeckt werden Bereits in dem ersten Heft der Denktage-
58 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei WalterF Otto S 58
59 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei WalterF Otto S 59
60 Ebd61 Wolin Richard Heideggers bdquoSchwarze Hefteldquo Nationalsozialismus Weltjudentum und Seins-
geschichte In Vierteljahrsheft fuumlr Zeitgeschichte Bd 63 Heft 3 S 379-41062 GA 94 S 66
17
buumlcher verschmilzt Heidegger seine Vision von Dichten und Denken stellt sich
unter dieses Ideal
Dichten undDenken ineinander geschlungen und so waumlre ihrWas im verbindend-trennenden Bestimmen gewonnen63
Als bdquoAusgriff in den Begriffldquo versteht Heidegger dies als bdquovorschreibend-bildenden
Entwurfldquo der hinfuumlhrend zum Ereignis des Aletheia-Prinzips waumlre ndash
(Dichtung als Mythos
Dichtung als Dichtung im engeren Sinne gtgtGedichtltlt
Dichtung als Philosophie)64
Grundsaumltzlich ist die lose wirkende Legion von Lemmata nicht mit einer
Ruumlckfuumlhrung seiner Gedanken auf bestimmte griechische Goumltter und antike (ech-
te) Mythen besetzt Heidegger fetischisiert Begriffe und mythologisiert die von
ihm aufgepfropfte Bedeutung durch ein staumlndiges Wiederholen und Weiterden-
ken als bdquoWissenldquo wie Meyer es herausgearbeitet hat In dieser philosophischen
Alchemie sieht sich Heidegger als Denker als Bewahrer einer uralten Lehre die
eben neu widererstarken muumlsse Das hat Meyer auch schon klar gemacht Die My-
thopoetik erscheint aber hauptsaumlchlich nicht in den Schwarzen Heften sondern in
den Vortragspublikationen sich auf seine private Mythologie beziehend die in
den Schwarzen Heften zu Grunde gelegt wird
Die Mythen Heideggers drehen sich wie Meyer zurecht behauptet um den
Ursprung bei den Griechen den bdquoGrund der Geschichte des Abendlandesldquo65
Aber auch um die vielen Binaritaumlten die sich entgegengesetzt werden und tat-
saumlchlich wie der Heidegger-Herausgeber und Initiator und Leiter des Wupper-
taler Heidegger Instituts Peter Trawny es benannt hat auf einen Manichaumlismus
zulaufen66 Die Abgrenzungspolitik im Sinne des schuumltzenswerten abendlaumlndisch-
heimatlichen Deutschlands richtet sich gegen den inneren Feind vorangetrieben
63 GA 94 S 6564 GA 94 S 6665 GA 96 S 20566 Trawny Peter Heidegger und der Mythos der juumldischen Weltverschwoumlrung Frankfurt am
Main 2015 S 22Das hier aufgefuumlhrte Buch birgt einige problematische Umformungen zum Verhaumlltnis von
Heideggers Antisemititsmus Allem voran versucht es eine Begriffsbildung zu formen nach
18
von der Rechenhaftigkeit des juumldischen Wesens und die aumluszligeren Feinde wie Ameri-
kanismus franzoumlsische Kultur russischer Bolschewismus usw Heideggers Urmythos
vom neuen Anfang ist verquickt mit einem selbstangedichteten Personenmythos
was ebenfalls Meyer schon erkannt hat Dieses Schema ist die Grundstruktur
Immer deutlicher wird in mir die Ahnung daszlig unsere Heimat der Kerndes suumldwestdeutschen Landes [er selbst DS] der geschichtliche Geburtsortdes abendlaumlndischenWesens sein wird [] es ist das Geistvolle und zugleichdas erdenhafte schoumlne Land Es birgt unsichtbaren Reichtum dem Gemuumltbewahret tiefstes Dichten und houmlchste Gestalt der Sage67
Die mitunter wichtigste Dichotomie die Heidegger in den Denktagebuumlchern
aufwirft ist die zwischen Historie und Geschichte Es ist insofern nicht nur der
Mythos des neuen Anfangs der Heideggers Denken uumlber fast zwei Dekaden be-
stimmt sondern umso mehr die doppelte Projektion ndash des Verfalls (Machenschaft)
in eine Konstruktion von Historie und des Bestehens (Sein) in die konstruierte
Geschichte68 Geschichte faumlllt dann schlieszliglich mit der Schaffung des neuen An-
fangs so zusammen wie Historie mit Technik verschraumlnkt wird Geschichtlichkeit
muss durch das Prinzip des Ereignisses der Aletheia prozessiert werden waumlhrend
die verrationalisierte wissenschaftliche technische Historisierung des Lebens und
der Lebenswelt dem widerstrebt
Die Bindung von Heideggers Vorstellung des richtigen Lebens im Sein mit
demAbendland und einer voumllkisch-nationalen Groumlszlige undUumlberlegenheit Deutsch-
lands ist dabei ausschlaggebend Denn mit der Charakterisierung des Guten auf
derer Heideggers Antisemitismus mittels Heideggers Denkmethode behandelt aufgehobenwerden koumlnnte Die Hauptbegriffe darin sind bdquoSeinsgeschichtlicher Antisemitismusldquo undbdquoKontamination des Denkensldquo Von einer tieferen Auseinandersetzung muss an dieser Stelleabgesehen werden
67 GA 97 S 5468 In Band 66 der GA gibt es bereits einen kleinen Abriss der Historie und Techniklsquo die der Ge-
schichte gegenuumlbergestellt werden Das dies eine Uumlbertragung der Gedanken aus den Schwar-zen Heften ist ist ohne Zweifel Ein ansatzweise philosophisches Vorgehen vermengt sichdort mit dem poeto-mythologischen Denken Heideggers In Sachen mythopoetischer Figu-ren undMetaphernreichtum haumllt sich dieser dort aber noch zuruumlck (auch wenn er hier bereitsoumlffentlich vom bdquohistorischen Tierldquo redet) Die Absicht Technik und Historie als Verstellungdes abendlaumlndischen Menschen zu brandmarken stehen dabei im Vordergrund Weiterhinsoll in dieser Arbeit allerdings der Fokus auf den Schwarzen Heften und der Mythopoetik inden Technikvortraumlgen der Nachkriegszeit liegenDer Duden sieht Geschichte und Historie als Synonyme Von einer Ethymologie und der
Spekulation von Heideggers Gruumlnden der Auseinanderhaltung der zwei Synonyme soll hierabgesehen werden
19
der Seite des Seins sind die Feinde dessen eine Notwendigkeit seines Erklaumlrungs-
schemas Dabei sind es vor allem die Juden denen die Wurzel des Antiseien-
den von Heidegger in ihr vermeintliches Wesen geschrieben wird Exemplarisch
spricht dafuumlr dieses Zitat aus Band 96
Die zweite Machtsteigerung des Judentums aber hat darin ihren Grund daszligdie Metaphysik des Abendlandes zumal in ihrer neuzeitlichen Entfaltungdie Ansatzstelle bot fuumlr das Sichbreitmachen einer sonst leeren Rationalitaumltund Rechenfaumlhigkeit die sich auf solchem Wege eine Unterkunft im Geistlsquovarschaffte ohne die verborgenen Entscheidungsbezirke von sich aus je zufassen zu koumlnnen69
Diese Vorstellung ist eine Konkretisierung dessen was Heidegger mit den Uumlber-
begriffen Historie vs Geschichte einige Jahre vorher begann zu topografieren
Wir sind durch die Historie geschwaumlcht [] ndash wir koumlnnen nur durch das ge-rettet werden was uns in seiner Verfaumllschung widert ndash durch die Geschich-te70
Dieses bdquoWirldquo sind die glorifizierten Deutschen vor allem nach der Ableitung von
den Griechen uumlber Houmllderlin (und dessen Griechen) und Nietzsche zu ihm und
seinem kleinen Kreis von ihm anerkannter Intellektuellen-Kollegen wie etwa
Carl Schmitt Oswald Spengler Walther F Otto und Ernst Juumlnger Die Luft auf
Heideggers Denker-Olymp ist duumlnn und bekommt nur Wenigen
Die Geschichte in Heideggers solipsistisch-immanenten Nachdenken erklaumlrt
sich wie gesagt immer zusammen mit der Hoffnung auf den neuen Anfang und
als Besinnung auf das Denken als Akt gegen die Historie Die Paarung der zwei
Woumlrter bdquoGeschichteldquo und bdquoBesinnungldquo durchzieht in deutlicher Haumlufigkeit alle
vier Baumlnde der Schwarzen Hefte ndash bdquogeschichtliche Besinnung [] ist die Uumlberwin-
dung der Historie und des Historismusldquo und sie bdquobedarf der houmlchsten Strenge
hinter der die historische Exaktheitlsquo weit zuruumlckbleibtldquo ndash somit ferner bdquonur wer
Geschichtemacht vermag sie auch zu errettenldquo71 Das oben mit Meyer und Schulz-
69 GA 96 S 4670 GA 94 S 26771 GA 94 S 358f
Dass die Besinnung eine militante Perspektive hat laumlszligt sich auch in Heideggers Vereh-rung Heraklits ldquoDer Krieg ist der Vater aller Dingerdquo finden Heidegger sah sich selbst alsDenker als Propheten des Seins Aus dieser Warte betrachetete er zuerst den Nationalsozia-
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Nieswandt bereits aufgezeigte Bereiten des Goumlttlichen legt Heidegger in seinen
Begriff der Geschichte
Geschichte ndash das Gewagtwerden der Goumltter nur Groszlig als Untergang oderSieg ndash nicht Dauerlsquo wesentlich ndash sondern die Abgruumlndigkeit der Erstrei-tung ndash Opfer und Weile
Historie ist bei Heidegger bdquogeschichtliche Entwurzelungldquo die bdquoTyrannei der
Technikldquo bdquoSelbstvergoumltterungldquo und bdquoAbgoumltterei der Technikldquo72 In einer skizzen-
haften Emanationsfolge wird dieHistorie als Modus der Technik auf sich selbst zu-
ruumlckgefuumlhrt bdquoDas Riesige ndash [] Historie die Technik der Geschichtelsquo Technik
Die Historie der Naturldquolsquo73 Es ist vage annehmbar dass Heidegger hier die Tech-
nik als rechenhafte machenschaftliche Historisierung der Natur versteht die vor
dem Geschichtsbegriff stattgefunden haumltte Diese wiederum haumltte die Geschichte
in die rechenhafte Machenschaft verfremdet Wie ein Apparat erscheint Heidegger
der Gegenstand seiner Historie zu sein die sich automatisch durchsetzen wuumlrde
Die Historie stellt zunaumlchst das Nacheinander der Begebenheiten dessenwas vorbeizieht (passiertlsquo) her [] Sie erklaumlrt dann Spaumlteres aus dem Fruuml-heren sie findet sogar dass Ideen die Geschichtelsquo bestimmen74
Den historisierend narrativen Umgang mit Geschichte als Wissenschaft emp-
findet Heidegger als Technisierung derGeschichte Diese wiederum basiert auf den
statischen Topoi seiner Mythen von Vaterland Bauerntum Houmllderlin alten Grie-
chen den Goumlttern etc und der Anwendung des Aletheia-Prinzips im Ereignis
Das ist ein Tugendenkatalog der Deutschtuumlmelei mit einer paumldagogischen Kom-
ponente seine Mythologie im Aletheia-Prinzip zu praktizieren Er nennt dieses
Geschaumlft auch Denken und ahnt dessen Feinde bdquodie Forscher die in der Technik
ihres Arbeitens keine Reibung dulden und ihr Wissen fuumlr den Geist haltenldquo75
lismus und nach dem Krieg den real existierenden Sozialismus des Ostblocks im Zuge deratomaren Aufruumlstung als Vollstrecker Macher der Geschichte die den neuen Anfang ebnensollten Dass Heidegger diese bdquoklaumlrendeldquo Wirkung tatsaumlchlich spaumlter den Russen zuschreibtlaumlszligt sich in Band 97 der GA zweifelsohne nachvollziehen Hier kann aus Gattungsgruumlnden(BA-Thesis) nicht naumlher auf dieses Faible fuumlr absolutistische Regime eingegangen werden Je-denfalls ist die geschichtliche Besinnung und der Kriegsakt ein Widerspruch den Heideggerjedoch gleichsam adressiert Auch dies kann hier nicht weiter untersucht werden
72 GA 9473 GA 95 S 35174 GA 96 S 6275 GA 97 S 509
21
Insofern verschraumlnkt Heidegger das bdquohistorisch-technischeldquo zum Antagonis-
ten der bdquogeschichtlichen Besinnungldquo Es ist die Entwicklung einer historisch-
geschichtlichen Differenz unter dem Zeichen der Besinnung gegen die techni-
sche Machenschaft ndash es geht um zwei unterschiedliche Wissenssysteme76 In den
Schwarzen Heftenwird Technikmeistens als eine Seite der Muumlnze mit der anderen
der Historie genannt Sie haumltten eine schon angedeutete dualistische Dynamik
Wo beide Historie und Technik in solcher scheinbaren Gegensaumltzlichkeitverkoppelt sind koumlnnen sie sich zur Foumlrderung dessen zusammenschlieszligenwas einstmals wesentliche die Geschichte des Menschen mitbegruumlndet undwas wir die Kunstlsquo nennen Die Historie verschafft [] Anregungen undVorbilder der Nachahmung die Technik erleichtert [] die Zustellung vonDarstellungsmitteln und Wirkungsformen [] Gleichwohl ist alles wurzel-los [] berechnet und als Erlebnislsquo ausgegeben77
Diese vermeintliche Gefahr muumlnde als bdquoZuumlgellosigkeit des Historismusldquolsquo in der
bdquoBodenlosigkeit [] (das Judentum)ldquo78 Heideggers Mythos ist hier dieser bdquoWir
muumlssen zuvor geschichtlich sein [] Ohne diese uumlberlieferung verfaumlllt alles der
historisch-technischen Machenschaftldquo79
Heidegger mythologisiert uumlber den bdquoAuftrag des Deutschenldquo80 will in bdquoge-
schichtlicher Besinnung sehr weit zuruumlckgehen ndash auf den Zusammenhang von
τέχνη ἀλήθεια und οὐσίαldquo81 um Technik auf ihr Wesen im antiken Ursprung
zuruumlckzufuumlhren bdquoDie techne hat [] den Sieg uumlber die [] aletheia errungenldquo82
Heidegger will sie zuruumlckgewinnen Er will der Technik aus dem bdquoEreignisldquo83
wieder uumlbermaumlchtig werden und sieht das bdquoWesen des Vaterlandesldquo84 im Abend-
land Dabei ist es ihm unentbehrlich zu wissen bdquodaszlig das Griechentum [] und
76 Heideggers noch immer vorhande Rezeption in Puncto seiner Technikphilosophie erstauntdamit dass sein Prinzip der aletheiologischen Besinnung als alternatives Wissenssystem undTechnikkritik ob der eigenwilligen Konstruktion den Entwicklungen der Zeit standhaumllt
77 GA 95 S 21278 GA 95 S 9779 GA 96 S 10480 GA 94 S 6681 GA 94 S 35782 GA 95 S 13283 Ebd84 GA 96 S 52
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nicht das Roumlmertum der Grund der Geschichte des Abendlandes istldquo85 Sein My-
thos von Heimat verknuumlpft sich uumlber Dichtung und Ereignis zu einem fuumlr die
Technikphilosophie essentiellen Bezugs-Topos
Wir brauchen keine Technik [] Das Wesen des Vaterlandes ist das Abend-land In ihm werden die Deutschen erst deutsch und erkennen die Muttervon Allem die unversehrte Erde [] Die Wahrheit erfahren wir im Ge-daumlchtnis Das Gedaumlchtnis ist die Dichtung Die Dichtung sagen der Denkerund Saumlnger in ihrem Gespraumlch Dieses Gespraumlch erst ereignet dichterisch dieDichtung in die Sprache (die Dichtung das Ereignis und das Ereignis dasAbendland) [] Wohnt in seiner Sprache [] seyd dem Seyn im Seyn Soist Sein das Seyn86
Eine weitere mythologische Form haben seine Fuumlgungen von Jahreszahlen
womit er bereits in den Bereich des Okkulten Mystischen abzurutschen droht
Houmllderlin wurde [] 1770 geboren [] 1870 aber Lenin Waumlhrend der []Lebenszeit Houmllderlins vollzogen sich die entscheidenden technischen Entde-ckungen und Erfindungen der neuzeitlichen Technik (1774ndash1806)87
Und ferner bdquo1807 Phaumlnomenologie des Geistes 1867 Das Kapital 1927 Sein
und Zeitldquo88
Als letzter Mythos sei hier sein Aufgriff der Spenglerschen Metapher des
Raubtiers89 aufgezeigt Uumlber weite Strecken philosophiert Heidegger uumlber das his-
torische Tier Das historische Tier muumlsse vernichtet werden die bdquodeutsche Zukunft
wirdlsquo nicht erst seinlsquo sie istlsquo schon seit Houmllderlin sie stifteteldquo90 Der Homo
faber ist fuumlr Heidegger das historisch-technische Tier qua der bdquoAngewiesenheit auf
das Tierhafte als Wesensgrundldquo91 Es fehle ihm was bdquodie Griechen als Anfangen-
deldquo mit der bdquoZugewiesenheit des Menschen zum Sein gewagt habenldquo92 wodurch
85 GA 96 S 20586 GA 97 S 52f Hierbei handelt es sich um eine Nachkriegsnotiz Heidegger aumlnderte den die
Adressierung in eine direkte Ansprache richtet sich an seine imaginierte Volksgemeinschaft87 GA 96 S 17488 GA 97 S 131 Womoumlglich ist es eine Uumlbung per Jahreszahlen das Aletheia-Prinzip zu prakti-
zieren eine Kontemplationshilfe Andererseits koumlnnte er auch der Regelmaumlszligigkeit der Zah-lenfolgen eine uumlbernatuumlrliche bdquoWahrheitldquo beimessen Dies bleibt an dieser Stelle unerforscht
89 VGl Spengler Oswald Der Mensch und die Technik Muumlnchen 1931 S 1090 GA 95 S 19791 GA 95 S 32092 GA 95 S 321
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er den bdquoGoumlttern unertraumlglich gewordenldquo93 waumlre Das bdquoRaubtierldquo dem gegenuumlber
bdquoist die Urform des Heldenlsquoldquo94 Dann behauptet Heidegger dass das Raubtier das
historisch-technische Tier durch Anwendung seiner eigenen Waffen schlagen koumlnn-
te Es ist dabei die bdquoUumlberwindung der Metaphysikldquo mitgedacht die erfolge sobald
sich das metaphysische Fragen durch den Wille zum Willen verfestigt95 Auch
Spengler dachte an dieses Derivat des Nietzsche Topos vomWillen zur Macht das
er seiner antropomorphen Chimaumlre vom Raubtiermenschen eingibt Wieder ist
von der Gewalt die Rede die ein Tabula rasa schaffen sollte zur Wiederauferste-
hung des griechisch-abendlaumlndischen Anfangs in Deutschland bdquoDas Raubtier aber
mit denMitteln der houmlchsten Technik ausgestattet ndash vollendet die Verwirklichung
der brutalitas des Seinsldquo96
Es scheint so als haumltte Heidegger auf jeden Begriff einen Gegenbegriff (selbst
zum historisch-technischen Tier das Raubtier)97 Aber es geht hier nicht um die
Analyse ausgewogener Formprinzipien oder die Kritisierung seiner linguistischen
philologischen Faumlhigkeiten Die Zitierung der Heideggerschen Mythologie soll
seine Verbindung von voumllkisch-nationaler und antisemitischer Haltung mit den
Bedingungen und Anspruumlchen seines Philosophierens aufzeigen Da die Schwar-
zen Hefte wie alle sonstigen Werke seines philosophischen Schaffens in der GA
erschienen sind muumlssen sie insofern als Teil derer gelten Das bedeutet dass sie
ausreichend Relevanz fuumlr die Arbeiten uumlber die Technik haben98
93 GA 95 S 23694 GA 95 S 39795 Vgl GA 7 Uumlberwindung der Metaphysik S 7896 GA 95 S 39797 Vgl Rudolph Heideggers Schwarze Hefte im Echo S 151 bdquoKeiner hat Nietzsche so konse-
quent und wahnwitzig zumNazi avant la lettre verformt wie Heidegger und keiner hat einenzuvor gewaltsam gefuumlgig gemachten Nietzsche so konsequent instrumentalisiert um damitdie vulgaumlr- nationalistische Dekadenz im Sandwich zu geiszligeln wie Heidegger Die Philolo-gie ndash auch die klassische ndash (Colli Cancik Montinari) hat Nietzsche inzwischen laumlngst mitnachhaltigem Erfolg rehabilitiert Wer jetzt noch einen roten Faden von Nietzsche zu Hitlerzieht hat nur noch Heidegger auf seiner Seiteldquo
98 Zum Abschluss dieses Kapitels sei hinzugesagt dass der Veranschlagung der Beispiele vonHeideggers Mythologie ein Exzerpt von 13 Seiten aus 1700 Seiten Text der vier Baumlnde derSchwarzen Hefte zugrunde liegt Beim Studium dieser fielen die staumlndigen Repetitionen derimmer gleichen Figuren und Metaphern auf Daraus wurde geschlossen dass es sich um eineMythologie handeln kann was ein weiteres Forschen bestaumltigte Die hier zitierten Stellensind Topoi die sich in Huumllle und Fuumllle in jedem der vier Baumlnde finden lassen was ihrenmythischen Charakter unterstreicht Die Auswahl versucht ein besonders charakteristischesBild wiederzugeben
24
3 Heideggers mythopoetische
Technik
War Heidegger von seinem neuen Anfang nur zu traumlumen vergoumlnnt so gelang
ihm selbst aber die Wiederauferstehung aus der Asche des ZweitenWeltkriegs mit
der Vortragsreihe in Bremen (1949) uumlber die Technik Der Phoumlnix erweist sich
mittlerweile als Ikarus Anstatt sich selbst zu revidieren fordert Heidegger eine
Kehre ein die auf sein Programm der geschichtlichen Besinnung zum Ursprung ab-
zielt Rezipienten seiner Technikphilosophie taten zumeist seine voumllkischen und
nationalsozialistischen Verstrickungen mit der Niederlegung des Rektorats ab99
Sie glaubten an einen inneren Wandel Heideggers eine Laumluterung und sogar an
seinen geistigen Widerstand uumlber die Naziherrschaft hinweg100 Heute ist erwie-
sen wie Heidegger es aus seinem posthumen Gestaumlndnis in die Welt lecken laumlsst
dass er auf seine private Weise eine Form Nationalsozialismus hegte der die NS-
DAP und Hitler zwar als Vulgaumlrnazis kulturell degradierte aber sich selbst als
Denker-Nazi gerierte
Wie damit umzugehen ist steht aktuell in der Verhandlung Wie Rudolph es
behauptet stuumlnden die Heideggerianer bdquonun mit wertlosen Aktienldquo101 da Der
Kommunikationswissenschaftler Christian Fuchs sieht den Antisemitismus den
die Schwarzen Hefte zutage treten lassen als Notwendigkeit einer rigorosen Ver-
bannung Heideggers aus der technikphilosophischen Theorie102
99 Vgl Luckner Andreas Heidegger und das Denken der Technik Bielefeld 2008 S 64-69100 Vgl Babich Babette Nietzsche Heideggers Widerstand In Alfred Denker u Holger Zabo-
rowski (Hg) Heidegger-Jahrbuch 5 Heidegger und der Nationalsozialismus II Interpreta-tionen S 397-416
101 Rudolph Heideggers Schwarze Hefte im Echo S 146102 Vgl Fuchs Christian Martin-Heideggerrsquos anti-Semitism Philosophy of technology and the
media in the light of the ldquoBlack Notebooksldquo Implications for the reception of Heidegger inmedia and communication studies In tripleC Communication Capitalism amp Critique 13(1) (2015) S 55-78 hier S 74 Anstatt dessen pocht Fuchs auf die alternative Verwendungder Kritischen Theorie uumlber Fragestellungen zur Technik
25
It seems to me that Heideggerrsquos fetishism is often lrsquoart pour lrsquoart Heideg-ger pour Heidegger a tactic that aims at creating an aura of complexity byevoking Heidegger although the same content could be expressed withouthim103
Fuumlr Trawny waumlre dies ein bdquoperformativer Widerspruch [] stets daran zu erin-
nern Heidegger vergessen zu sollenldquo104 Quo vadis Heidegger
Die objektive Antwort Rudolphs der an den Commonsense und die Beweis-
last der Anklage glaubt wie auch der subjektive Appell Fuchs der es zur mora-
lischen Entscheidung des Einzelnen macht Heidegger zu vernachlaumlssigen setzen
aktuell die Jahrzehnte alte Tradition der Heidegger-Kontroverse fort Ein im Sep-
tember 2016 erscheinender Sammelband wird zusaumltzlich die Debatte mit neuen
Bewertungen anreichern105
In diesem Kapitel soll es nicht um die direkte Einreihung in eine der bestehen-
den Polemiken gehen sondern um den Versuch der Betrachtung der spaumlten Tech-
nikphilosophie Heideggers als mythopoetische Dichtung in seinem Sinne des
Philosophierens Als exemplarisches Werk ruumlckt damit das Vortrags-Geviert der
Bremer Vortraumlge ins Zentrum der Anschauung106 Hier wird davon ausgegangen
103 Ebd S 73104 Trawny Heidegger und der Mythos der juumldischen Weltverschwoumlrung S 141105 Heinz Marion und Kellerer Sidonie (Hg) Martin Heideggers raquoSchwarze Heftelaquo Eine
philosophisch-politische Debatte Berlin 2016 (im Druck) Aus dem Klappentext diesesTitelsbdquoOffene antisemitische Aumluszligerungen in diesen Denktagebuumlchern haben in der nichtakade-
mischen Oumlffentlichkeit fuumlr Empoumlrung gesorgt Die entscheidende Frage ist jedoch welcheVeraumlnderungen der Perspektive auf Heideggers Denken insgesamt sich dadurch ergebenund ob damit zugleich eine Neubewertung des Gesamtwerks eines der einflussreichstenPhilosophen des 20 Jahrhunderts noumltig istldquoEine der Herausgeberinnen des Bandes Sidonie Kellerer ist zudem an einem anlaufenden
fuumlnf jaumlhrigen Forschungsprojekt an der Universitaumlt Stuttgart im Rahmen des StuttgartResearch Centre for Text Studies beteiligt Heidegger und die Postmoderne Geschichteeiner Irrefuumlhrungiquest Sie und der Stuttgarter Literaturwissenschaftler Claus Zittel werden Hei-deggers ideologische Verstrickungen in den Nationalsozialismus untersuchen die textlichrekonstruierbar aber nachtraumlglich geklittet worden waumlren bdquoSo konnte die Wissenschaft-lerin Dr Sidonie Kellerer anhand des Vortrages Die Zeit des Weltbildeslsquo erstmals 1950veroumlffentlicht [sic] dass zahlreiche Passagen nachtraumlglich so modifiziert wurden dass dieurspruumlngliche Apologie des Nationalsozialismus nunmehr als Kritik am Regime gedeutetwerden konnte Die 2014 erschienenen Schwarzen Heftersquo mit persoumlnlichen AufzeichnungenHeideggers bestaumltigen zudem wie tief verankert in seiner Philosophie Rassismus undNationalsozialismus waren und bliebenldquo(httpwwwuni-stuttgartdehkompresseservicepressemitteilungen201567_kellererhtmlzuletzt abgerufen am 1442016)
106 Von einer umfassenderen Analyse der Schriften Heideggers zur Technik muss aus Platzgruumln-den abgesehen werden Die Voumlrtraumlge vom Ge-stell der Technik der Kehre und dem Dingsind vor allem wegen ihres Publikationszeitraums interessant da sie direkt an die Dokumen-
26
dass Heidegger den Versuch der abgrenzungspolitischen Einflussnahmemacht ge-
maumlszlig der oben dargelegten Ressentiments die sich in einer Mythologisierung des
Abendlandes niederschlagen Um seinem Ideal des dichtenden Denkens als Philo-
sophieren nachzukommen will Heidegger diese Einschreibung des Abendlandes
mythopoetisch vollfuumlhren
Grundsaumltzlich ist Verbindung und Trennung Heideggers boumlser Schwarzer Hef-
te mit und von seiner guten Technikphilosophie das Schlachtfeld aktueller De-
batten Wie bereits darauf hingewiesen werden hier Schwarze Hefte und Veroumlf-
fentlichungen wie eben in Form der Bremer Vortraumlge als ein kontinuierlicher
Arbeitsprozess gesehen Es gibt insofern nur einen Heidegger und keine gespal-
tene Persoumlnlichkeit Die Siegener Philosophin Sodonie Kellerer stellt dies anhand
Heideggers Selbstsicht luzide dar
Seine immer wiederkehrende Beschwoumlrung des Werkeslsquo und seine an diver-sen Stellen der bislang vorliegenden Briefkorrespondenz artikulierten Be-muumlhungen dieses Werklsquo fuumlr die Nachwelt zu sichern [Kellerer bezieht sichhier ua auf Heideggers Briefwechsel mit seiner Frau der 2007 veroumlffentlichtwurde DS] verdeutlichen wie sehr er seine Texte als ein Ganzes verstandin dem keines der Teile entbehrliche Wiederholung geschweige denn irrele-vante Eroumlrterung ist107
Dabei allerdings wird die Frage offen bleiben mit welchem Maszlig er sich selbst ge-
faumlhrdet sah seine Ansichten oumlffentlich zu vertreten und welche Konsequenzen er
dabei fuumlrchtete Denn er musste die Vortraumlge kodieren ndash was er im Sinne der My-
thopoetik auch macht ndash und mit Einigem hinterm Berg halten108 Dass es dabei
verschiedene Offenbarungsebenen gibt wird hier erst einmal hingenommen Es
interessieren staumlrker nachweisbare Bezuumlge des Entwurfsdenkens Heideggers zur
Oumlffentlichkeitsarbeit von ihm109
te der Schwarzen Hefte anschlieszligen (1948 der letzte Band der Schwarzen Hefte umfasst denZeitraum 1942-1948)
107 Kellerer Sidonie Kampf der Besinnung In Deutsche Zeitschrift fuumlr Philosophie Band 63Heft 5 Seiten 941ndash957 hier S 942
108 Weshalb die Veroumlffentlichung der Schwarzen Hefte auch weitestmoumlglich nach hinten verlegtwurde
109 Wuumlrde man dem entgegenhalten dass Heideggers vermeintliches Genie aus Formalisierun-gen seiner Gedanken ableitbar eine wichtige Quelle an sich bliebe scheitert dieses damitdass nun die Formalisierungen nicht personenneutral sozial-epistemologisch bestehen koumln-nen Als Vergleich wuumlrde man aus Hitlers und Goumlbbels Reden Formalisierungen isolierenlieszlige sich bestimmt die eine oder andere plausible Idee entwenden (wenn sie voumlllig dekon-
27
Hierzu wird der Text der gesamten vier Vortraumlge unter dem Titel Einblick
in das was ist Bremer Vortraumlge 1949lsquo110 aus dem 1994 veroumlffentlichten 79 Band
der GA zugrunde gelegt Das hat den Grund dass davon ausgegangen wird dass
der Text somit am naumlchsten an den 1949 tatsaumlchlich vorgetragenen Manuskripten
liegt Insofern ist eine realistische Annaumlherung an eine mythopoetische Uumlbertra-
gung der Schwarzen Hefte in die Bremer Vortraumlge 1949 das Ziel Demgegenuumlber
gibt es ob der virulenten Publikationspraxis von Heideggers Schriften111 noch
andere Auskopplungen der vier Vortraumlgsteile mit den Titeln Das Dinglsquo Das Ge-
Stelllsquo Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo
31 Zur Publikationsgeschichte von den
Bremer Vortraumlgen 1949
Zuerst erschien 1954 im Neske-Verlag (Pfullingen) ein Sammelband der lediglich
den ersten Vortrag Das Dinglsquo enthaumllt allerdings in leicht erweiterter Fassung
so wie er ein halbes Jahr nach dem Bremer Auftritt in Muumlnchen (1950) an der
Akademie der Schoumlnen Kuumlnste gehalten wurde112 Dem Band hinzugefuumlgt ist aber
zudem ein Vortrag der vornehmlich die Kernaussagen von Das Ge-Stelllsquo und
Die Gefahrlsquo verbindet allerdings in modifizierter Form Dieser wurde unter dem
textualisiert wuumlrde) Ist aber die wahre Verbindung zu Hitler und Goumlbbels hergestellt hatman selbstverstaumldlich die Verantwortung zu tragen an dem ganzen Tross von unmoumlglichenVerfehlungen dieser Menschen die sie fuumlr uns zu Personae non gratae stempeln muumlssen
110 GA 79111 Hierauf macht auch der Darmstaumldter Philosoph Gernot Boumlhme aufmerksam als Akt ei-
ner bdquoposthumen Selbstinszenierungldquo in Boumlhme Gernot Selbstinszenierung uumlber Ruhmin der Philosophie In Information Philosophie (Online Ausgabe 12015) URL=lthttpwwwinformation-philosophiedea=1ampt=8232ampn=2ampy=5ampc=29gt zuletzt ab-gerufen am 2442016)
112 Heidegger Martin Das Ding In Ders Vortraumlge und Aufsaumltze Pfullingen 1954 S 163ff
28
Titel Die Frage nach der Techniklsquo113 am 18 November 1953 an der TUMuumlnchen
gehalten
Eine weitere Auskopplung diesmal des letzten Vortragsteils Die Kehrelsquo fin-
det sich in einem broschuumlrenformatigen Band wiederum im Zusammenspiel mit
dem Vortrag Die Frage nach der Techniklsquo in Die Technik und die Kehrelsquo114 von
1962 wieder Somit wurden die Vortraumlge Das Ge-Stelllsquo und Die Gefahrlsquo lange
Zeit nicht veroumlffentlicht sondern als vermischter und modifizierter Text eben
Die Frage nach der Techniklsquo jeweils zusammen mit Das Dinglsquo (1954) und Die
Kehrelsquo (1962) angeboten115 In der Vorbemerkung zu Die Technik und die Keh-
relsquo wird diese kleine Chronologie leicht verfaumllscht auch aufgezeigt Darin heiszligt
es ferner dass Die Frage nach der Techniklsquo eine erweiterte Fassung von Das Ge-
Stelllsquo waumlre Dem ist wie schon gesagt nicht so Sondern es ist eine modifizierte
Vermischung von Das Ge-Stelllsquo und Die Gefahrlsquo was unschwer zB am Begriff
vom bdquoHer-vor-bringenldquo116 zu erkennen ist der in Die Gefahrlsquo eingefuumlhrt wird
und in Die Frage nach der Techniklsquo die gleiche Bedeutungskonstituente bildet
Mit der Veroumlffentlichung des 79 Bandes der GA 1994 wurden alle vier Bremer
Vortraumlge von 1949 publiziert In Band 11 der GA erschien 2006 auszligerdem Die
Kehrelsquo in ihrer urspruumlnglichen Fassung Die Frage nach der Techniklsquo enthaumllt
weniger mythopoetische Teile als Das Dinglsquo und operiert demgegenuumlber staumlrker
anhand klassisch philosophischer Allgemeinplaumltze Derer sind vor allem zu nen-
113 Heidegger Martin Die Frage nach der Technik In Ders Vortraumlge und Aufsaumltze Pfullingen1954 S 9ff (Der Aufsatz erschien ebenfalls 1954 im Sammelband der Vortragsreihe DieKuumlnste im technischen Zeitalter Heidegger Martin Die Frage nach der Technik In DieKuumlnste im technischen Zeitalter Dritte Folge des Jahrbuchs Gestalt und Gedanke Hg v dBayrischen Akademie der Schoumlnen Kuumlnste Muumlnchen 1954 S 70ff)
114 Heidegger Martin Die Technik und die Kehre Pfullingen 1962115 Beide Baumlnde Votraumlge und Aufsaumltzersquo sowie Die Technik und die Kehrersquo haben hohe Aufla-
genzahlen (Uumlbersetzungen wurden hier nicht recherchiert wobei es aber eine internationa-le Heidegger-Rezeption gibt) 1993 wurde der Pfullinger Neske-Verlag von dem StuttgarterHaus Klett-Cotta uumlbernommen was die Buumlcher aber unveraumlndert belaumlsst Vortraumlge und Auf-saumltzelsquo zaumlhlt seit 2009 die 11 Auflage Die Technik und die Kehrelsquo seit 2014 die 13 BeideBaumlnde sind vergriffen Es mutet unverstaumlndig an weshalb eine fehlerhafte Jahresangabe ausder ersten Veroumlffentlichung von Die Technik und die Kehrelsquo bis 2014 kolportiert wurdeDort steht der Vortrag Die Frage nach der Techniklsquo waumlre am 18 November 1955 gehaltenworden Der Vortragstermin war aber am 18 November 1953
116 Vgl GA 79 S 64 Und Heidegger Die Technik und die Kehre S 11
29
nen die Auflistung der bdquovier Ursachenldquo117 nach Aristoteles und die Kritik an der
Technik als bdquoein Mittel zu Zweckenldquo118 (Kausalitaumlt)119
Der Vortrag Das Dinglsquo galt Heidegger bei der Darbietung seiner Technikphi-
losophie nach dem Zweiten Weltkrieg allerdings als unentbehrlich ndash und damit
seine groszligflaumlchige Aufblaumltterung der Mythopoetik wie im folgenden Kapitel hier
gezeigt wird Denn im Vortrag Die Frage nach der Techniklsquo benutzt Heideg-
ger noch immer seinen mythopoetischen Topos vom Versammeln des Gebirges
der mit dem Versammeln eine Konstituente des Gevierts ist (bdquoErde und Himmel
die Goumlttlichen und die Sterblichenldquo120) (su)121 Fuumlr die Kaumlufer und Leser von
der spaumlteren Veroumlffentlichung Die Technik und die Kehrelsquo wird zudem in Die
Kehrelsquo extra auf den Vortrag Das Dinglsquo in der 1954er Ausgabe in Vortraumlge und
Aufsaumltzelsquo verwiesen122 Das zeigt wie wichtig und unerlaumlsslich Heidegger seine
mythopoetische Denkweise der Technik ist Auch wenn er in Die Frage nach der
Techniklsquo einen allgemeineren und offeneren Ansatz entwickelt hat der dadurch
auch leichter zu erschlieszligen ist
32 Die mythopoetische Spiegelung der Schwarzen
Hefte in den Bremer Vortraumlgen von 1949
321 Das Dinglsquo
In dem Vortrag Das Dinglsquo der 1949 vor dem privaten Club zu Bremen dort im
Neuen Rathaus das Vortragsquartett einleitete fuumlgt Heidegger mythopoetisch
zusammen was folgenden Topoi seiner Schwarzen Hefte aus Kap 221 entspricht
117 Heidegger Die Technik und die Kehre S 6118 Ebd S 6119 Diese Topoi versucht Heidegger in dem Text zu zersetzen und ihnen ein aletheisches Prin-
zip des Entbergens der Technik entgegenzusetzen Dies erfolgt wiederum auch anhand derVerwendung von mythopoetischen Teilen Darauf kann hier aber nicht weiter eingegangenwerdenAls weitere Gemeinsplaumltze (die er teils unterstuumltzend teils zur Zersetzung einfuumlgt) handelt
der Text auch mit Zitaten von Platon Heisenberg J P Hebel und Goethe120 Ebd S 12121 Vgl GA 79 S 11 Und Heidegger Die Technik und die Kehre S 19122 Vgl Heidegger Die Technik und die Kehre S 42f
30
1 die antirationale Wissenschaftsfeindlichkeit 2 der Mythos des Goumlttlichen 3
das Griechentum uumlber dem Roumlmertum 4 die Zahlenmystik (anhand des Spiegel-
Spiels des Gevierts ndash su) 5 das geschichtsbesinnliche Prinzip der Aletheia
Heidegger stellt zuerst die Frage nach dem Ding und will sie daraufhin ver-
anschaulichen mittels der Metapher des Kruges dh mit dem Krug als ein exem-
plarisches Ding Er fuumlhrt dann vor (was der Geste eines Zauberkuumlnstlers aumlhnelt)
wie der leere Krug gefuumlllt wird ndash Luft weicht der Fluumlssigkeit Dieses Sachverhaumllt-
nis aber ist fuumlr ihn Halbpoesie und eine Angabe aus der Physik sie verfehle das
vermeintliche Wesen des Kruges
Die Wissenschaft stellt durch sie [die Angabe der Physik DS] etwas Wirk-liches vor wonach sie sich objektiv richtet Aber ndash ist dieses Wirkliche derKrug Nein DieWissenschaft trifft immer nur auf das was ihre Art des Vor-stellens im vorhinein als den fuumlr sie moumlglichen Gegenstand zugelassen hat[] Die Wissenschaft macht das Krug-Ding zu etwas Nichtigem insofernsie Dinge nicht als das Maszliggebende zulaumlszligt123
Als ein wirkmaumlchtiges Beispiel das ihm sicherlich viel Beachtung uumlber die
Jahrzehnte seit ihrer Zuumlndung in Japan hinweg einbrachte fuumlhrt Heidegger die
Atombombe an Diese sei zu verstehen als verdinglichte Wissenschaft die das
Ding vernichten wuumlrde
Deren Explosion ist nur die groumlbste aller groben Bestaumltigungen der langherschon geschehenen Vernichtung des Dinges dessen daszlig das Ding als Dingnichtig bleibt124
Er buumlndelt damit Wissenschaft und Verkennung des Wesens als maszliggebend mit
dem Ding als sein machenschaftliches Prinzip der zerrechnenden Zerstoumlrung Drei
Jahre nach Kriegsende war der buumlrgerlich-elitaumlre Kreis in Bremen sicherlich be-
wegt von dieser Wortgewalt Diese jedoch suchte ja ihr Heim Harmonie Ruhe
in dem Haus als Wesen der Sprache
Und so faumlhrt Heidegger fort und ersetzt das physikalische Prinzip des Inhalts-
wechsels von Luft zu Wein in ein bdquoGeschenk des Gussesldquo als Spende und Opfer
den Goumlttern (2)125
123 GA 79 S 8124 Ebd S 9125 Vgl Ebd S 11f
31
Der Guszlig ist der den unsterblichen Goumlttern gespendete Trank [] Der ge-weihte Trank ist das was das Wort Guszliglsquo eigentlich nennt Spende und Op-fer Guszliglsquo gieszligenlsquo lautet griechisch χέειν indogermanisch ghu Das bedeu-tet opfern
Hier spielt bereits der Ursprungsmythos der Griechenmit ein (3) es ist aber auch
ein Bezug auf das Geviert Dieses waumlre ein System ein zusammen Gestelltes aus
bdquoErde und Himmel die Goumlttlichen und die Sterblichenldquo126 Im Guszlig des Trunkes
weilten gemeinsam diese Vier als emblematische Verbindung
Das im Geschenk Versammelte sammelt sich selbst darin das Geviert ereig-net zu verweilen Dieses vielfaumlltig einfache Versammeln ist das Wesen desKruges Unsere Sprache nennt was Versammlung ist in einem alten WortDies lautet thing127
Das Geviert zehrt von der Zahlenmystik zum einen als die Versammlung der
vier Begriffe an sich zum anderen da Heidegger ihnen eine Spiegel-Funktion
zuschreibt bdquoJedes der Vier spiegelt in seiner Weise das Wesen der uumlbrigen wie-
derldquo128 und ferner weil er damit auf sich selbst dh auf sein Vortrags-Geviert
verweist (4) Wie in Kap 21 schon gesagt lebt der Mythos von seiner Verbind-
lichkeit Diese legt Heidegger allen nah die sie verinnerlichen wollen bdquoSagen wir
die Sterblichen dann denken wir falls wir denken die anderen Drei mit aus der
Einfalt der Vierldquo129
Sollte der Vollzug der Praxis des sukzessiven Mitdenkens aller vier Geviert-
Entitaumlten gelingen koumlnnte das Ereignis der Aletheia begriffen werden (5) bdquoDas
Spiegel-Spiel von Welt ist der Reigen des Ereignensldquo130 Diese wird aber auch be-
griffen in Abgrenzung von dem Roumlmertum (3) denn in der bdquorealitas der resldquo
haumltten die Roumlmer bdquoihr Erfahrenes niemals eigens in seinem Wesen gedachtldquo131
Das waumlre den Griechen vorzubehalten und vom verstaumlndig denkenden Deutschen
wiederzubeleben
126 Ebd S 12127 Ebd S 13128 Ebd S 18129 Ebd130 Ebd S 19131 Ebd S 15
32
Der Krug ist ein Ding weder im Sinne der roumlmisch gemeinten res noch imSinne des mittelalterlich vorgestellten ens noch gar im Sinne des neuzeitlichvorgestellten Gegenstandes [] Der Krug ist Ding insofern er dingt132
Die Bindung an das deutsche Wort bdquoDingldquo das er spielerisch auch ins Englische
Romanische und Franzoumlsische uumlbersetzt ist unerlaumlsslich fuumlr seine ethymologi-
sche Argumentation In der ist der bdquoGuszligldquo ruumlckgefuumlhrt auf indogermanisch bdquoghuldquo
und das bdquoDingldquo auf das mittelhochdeutsche bdquothingldquo So konnten antik die Roumlmer
von den Griechen abgrenzt werden und modern die anderen drei Sprachen vom
Deutschen Das englische sich sehr nah am bdquothingldquo befindliche bdquothingldquo wird mit
dem Roumlmischen ausgespielt
Im Englischen hat thing noch die erfuumlllte Nennkraft des roumlmischen Wor-tes res bewahrt [] dh ein aus sich kommendes den Menschen Angehen-des133
Fuumlr Heidegger geht es beim bdquothingldquo aber um die mittelhochdeutsche Uumlbersetzung
der Versammlung Darauf beruht sein gesamter Systemansatz mit Geviert und
Ge-stell
Schulz-Nieswandt fuumlhrt diese Zusammenstellung zum Bejubeln von Heideg-
gers Mythopoetik
So fundamental sieht Heidegger die Welt Die Quelle des Wassers wird zurHochzeit von Himmel und Erde das Gieszligen des Wassers aus dem Krugzum Geschenk Auch Sprache ist daher kein Instrument sondern Ort desWohnens des Menschen Sprache wird zum Haus des Seinslsquo134
Hier bestaumltigt die Untersuchung des Ding-Vortrags die These von einer mytho-
poetischen Einschreibung der nationalistischen voumllkischen Abgrenzungs-Mythologie
aus den Schwarzen Heften
322 Das Ge-Stelllsquo
Der zweite Vortrag des Reden-Gevierts setzt ein mit der Metapher des fehlen-
den Abstands Wo kein Abstand sei da waumlre auch keine Naumlhe so Heidegger Er
132 Ebd S 16133 Ebd S 14134 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei Walter
F Otto S 59
33
verbindet die Abstandslosigkeit mit Urbanitaumlt und Verkehr alles fluktuiere Es
waumlre der Bestand der sich bestelle in dem das Abstandlose herrsche Das sind
neue Metaphern fuumlr die Machenschaft In seiner Erzaumlhlung vom Ge-Stell gibt es
bedeutend weniger mythopoetische Passagen als in dem vorangegangenen Vor-
trag Allerdings uumlbertraumlgt er den mythopoetischen Gehalt der Rede vom Ding
bereits im ersten Absatz von Das Ge-Stelllsquo mit dem Credo bdquoNaumlhe west insofern
das Ding dingtldquo135 Mit dieser Verbindung wird klar unter welchem Zeichen Hei-
degger die Rede vom Ge-Stell verstanden wissen will ndash als verlorenes Verhaumlltnis
des voumllkisch-traditionell verwurzelten Menschen mit den vermeintlichen Wesen
all seiner Gebrauchsobjekte in der mythopoetischen Formel des sich spiegelnden
Gevierts
Nahezu nuumlchtern erzaumlhlt Heidegger dann von dem Gefaumlngnis des Menschen
im Wesen der zirkulierenden sich immer neu bestellenden Bestandstechnik des
Ge-Stells Dabei scheinen folgende Mythen aus den Schwarzen Heften hindurch ndash
1 bdquoHistorie die Technik der Geschichtelsquo Technik die Historie der Naturlsquoldquo136
2 das historische Tier 3 der Appell an den Auftrag des Deutschen 4 der geschicht-
liche Mensch muss die Historie und damit die Technik uumlberwinden und 5 die
alles zernichtende Machenschaft des juumldischen Wesens
Den Topos der seinsvergessenen Groszligstadt jedenfalls kontrastiert er mit der
Bauerndorfidylle Da aber bdquodas Abstandlose herrschtldquo137 waumlre das Vorruumlcken der
Maschinentechnik bereits universell So in Form des Traktors Schon in Band
96 der Schwarzen Hefte beklagt er dieses bdquozum elektrischen Pflug [] gehoumlrt
das amerikanisch aufgemachte Magazinlsquoldquo Insofern erfolge die bdquoAngleichung der
Sitten der Bergbewohner an diejenigen des groszligstaumldtischen Sport- und Barbe-
triebsldquo138
Sein erster Land-Stadtvergleich betrifft den Bauern dessen Totenruhe tradi-
tionell in einem sg bdquoTotenbaumldquo (Sarg) stattgefunden haumltte ndash bdquoIn ihm gedeiht
der Tod des Totenldquo139 Dem gegenuumlber klingt in der bdquomotorisierten Bestattungs-
135 GA 79 S 24136 GA 95 S 351137 GA 79 S 24138 GA 96 S 54139 GA 79 S 26
34
industrie der Groszligstadtldquo140 bereits Heideggers pietaumltsloser Gaskammernvergleich
an
Ackerbau ist jetzt motorisierte Ernaumlhrungsindustrie im Wesen das Selbewie die Fabrikation von Leichen in Gaskammern und Vernichtungslagerndas Selbe wie die Blockade und Aushungerung von Laumlndern das Selbe wiedie Fabrikation von Wasserstoffbomben141
Hier wird davon ausgegangen dass es eine Uumlbertragung der Notizen uumlber
das deutsche Land als bdquoeinziges KZldquo ist die Unterdruumlckung des deutschen Vol-
kes durch die bdquoWeltdemokratieldquo die schlimmer sei als die Graumlueltaten der bdquoGas-
kammernlsquoldquo142 In die mythopoetische Formel von dem dingenden Ding aus dem
ersten Vortrag sind alle Valenzen eingeschrieben die es zur Aufgabe des abendlaumln-
dischen Deutschen (also als Nachfolger der alten Griechen) machen das Wesen
des Dings und somit der Technik zu huumlten Die Verantwortung fuumlr Genozid
Massenvernichtungswaffen und den Mangel im Nachkriegsdeutschland schreibt
Heidegger gleichfoumlrmig dem Prinzip der Abstandslosigkeit zu
Auch die Rede von der Habgier des Berechnenden ist ein bereits bekannter
Vorbehalt Heideggers anhand der Rede vom raffgierigen Juden Denn er sagt von
der bdquoHerrschaft des Abstandlosenldquo dass sie bdquodie Hab-gier des vorstellenden Be-
rechnensldquo waumlre143 Das entspricht seinem Mythos von der alles zernichtenden
Machenschaft des juumldischen Wesens144
Dann folgt eine lange Elegie uumlber das Bestellen des Bestands des Ge-Stells
bdquo[d]ie Kette des Bestellens laumluft auf nichts hinaus sie geht vielmehr nur in ihren
Kreisgang hineinldquo145 uumlber 19 Seiten des 21 seitigen Vortragsexts hinweg entwirft
Heidegger diverse Bilder wie das Ge-Stell die Natur das Hergestellte den Men-
schen und das Verstandesmaumlszligige vereinnahme und das Wesen desDings gleichsam
zur Veruntreuung bringen wuumlrde Wiederum poetisch orientiert kontrastiert also
140 Ebd141 Ebd S 27142 GA 97 S 99f143 Vgl GA 79 S 25144 Vgl Machenschaft hier S 29 und Geraff hier S 33145 GA 79 S 29
35
Heidegger Houmllderlins Hymne Der Rheinlsquo mit dem Rhein dessen Stroumlmung fuumlr
ein Stromkraftwerk genutzt wird
Achten wir um das Ungeheure das hier waltet zu ermessen nur auf einenAugenblick auf den Gegensatz der sich in den beiden Titeln ausspricht DerRhein verbaut in das Kraftwerk ndash der Rheinlsquo gesagt in der gleichnamigenHymne Houmllderlins146
Die Differenz also waumlre das Ungeheure147 Dabei waumlre der Rhein verbaut in das
Kraftwerk Aumlhnlich wie Kohle Erze und Rohoumll waumlren sie Bestand der bdquobesteht
im Bestellenldquo ndash bdquoDas Bestellen waumlre demnach lediglich eine Machenschaft des
Menschen vollzogen in der Weise der Ausbeutungldquo148
Das Bild des Wasserkraftwerks wird erweitert um den Begriff des Menschen
Elektrizitaumlt mit Wasserkraft erzeugen bdquokoumlnnen die Menschen [] nur insofern
sie selber schon in dieses Bestellen bestellt sindldquo149 Mit diesem Bild versucht Hei-
degger praktisch zu veranschaulichen dass Entwurf Umsetzung und Einsatz ei-
ner technischen Anlage den Menschen in ein entruumlcktes Verhaumlltnis zum Wesen
des dingenden Dings setze ndash bdquoDer Mensch ist darum der Angestellte des Bestel-
146 Ebd147 Das ist zusaumltzlich zu dem gemeinten Gegensatz ein Vergleich mit dem Heidegger dem Wort
bdquoRheinldquo in die Hymne Der Rheinlsquo gesprochen eine Energie erzeugende Wirkung zu-schreibt eben so wie das Kraftwerk Strom erzeugen wuumlrde Das wird klar dadurch dassHeidegger metaphorisch vom Stellen des Wortes bdquoRheinldquo in die Hymne spricht Es handeltsich um einen Appell zur denkerischen Besinnung Dass Heidegger dafuumlr eine technischeAnlage zur Veranschaulichung inspirierend wirken laumlsst spielt bereits in die Richtung derBegriffe bdquoHer-vor-bringenldquo bdquoEntbergenldquo und spielt auf das Alteheia-Prinzip an Darauf wirdweiter unten anhand Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo eingegangen werden Es handelt sich umdas Angebot eines mythopoetischen Umgangs mit Technik insbesondere wenn sie sich inheimische Gefilde einfuumlgtHeute koumlnnte man mit Windraumldern ebenso verfahren Somit koumlnnte aber auch Heidegger
als ein gewisser Quijana aus Mancha verstanden werden eben der Protagonist aus Miguel deCervantes Roman Don Quichote von der Manchalsquo der mit seinem von ihm flux auch um-benannten Klepper (weil er zuvor sich selbst in Don Quichote umtaufte) Rocinante Riesenbezwingen will um mit dieser Heldentat unsterblichen ritterlichen Ruhm zu erstreitenAuch Don Quichote fand seine Riesen in Windmuumlhlen und auch Don Quichote war uumlber
eine uumlbertriebene Auseinandersetzung mit einer verschuumltteten Kultur dieser verfallen undsuchte diese in seiner Aventuumlre zu reaktualisieren Martin Heideggers mythopoetisches Pro-gramm ist tatsaumlchlich stark mit Don Quichotes Motiv vergleichbarFerner waumlre eine Auseinandersetzung mit Heideggers Werk unter Beruumlcksichtigung sei-
ner Gewichtung der Vorsokratiker und Houmllderlin als mythopoetischen Autor eine moumlglicheForschung zum Thema Anachronismen in Konzepten von Moral und gesellschaftlicher An-gemessenheit (Vgl Cervantes Miguel de Don Quichote von der Mancha Herausgeben unduumlbersetzt v Susanne Lange Muumlnchen 2008 S 33f)
148 GA 79 S 29149 GA 79 S 30
36
lensldquo150 Schon vorher wies Heidegger darauf hin bdquo[d]ie Herrschaft des Gegen-
staumlndigen sichert nicht den Abstandldquo151 Jetzt heiszligt es
Das Bestellen befaumlllt nicht nur die Stoffe und Kraumlfte der Natur mit Gestel-lung Das Bestellen befaumlllt zugleich das Geschick des Menschen Das Wesendes Menschen wird daraufhin gestellt das Bestellen in menschlicher Weisemitzuvollziehen152
Der Begriff des Ge-Stells wird daraufhin so konstruiert dass es im Bestellen
um ein Stellen (Herausfordern) alles bdquoAnwesenden als Bestandldquo als bdquoversus unumldquo
gegen bdquodas Eine Ganzeldquo gehe153 In wiederum mythopoetischer Formulierung ge-
baumlre die bdquoVersammlung des Stellens worin alles Bestellbare in seinem Bestand
west das Ge-Stellldquo154 Der Begriff bdquoVersammlungldquo wird einen Absatz zuvor my-
thopoetisch wieder an die Versammlung also das thing eben das wesenhafteDing
angelehnt und somit wie zu Das Dinglsquo bereits oben erlaumlutert in einen deutsch-
abendlaumlndischen Kontext gestellt (3)
Wir nennen die Versammlung der Berge die von sich her einig und nienachtraumlglich schon gesammelt ist das Gebirge Wir nennen die Versamm-lung der Weisen nach denen uns so zumute ist und sein kann das Gemuumlt155
Allerdings ist obiges Versammlungsmodell hier als Kontrast zu sehen zu dem
bdquoGeraff des Getriebesldquo das das Ge-Stell darstellt als bdquoWesen der Technikldquo156 Hei-
degger sieht in der Gleichfoumlrmigkeit die zum Wesen des Technik als Ge-Stell
150 GA 79 S 30151 GA 79 S 25152 GA 79 S 31153 Vgl GA 79 S 32154 GA 79 S 32155 Ebd
Das Wort ldquoGemuumltrdquo hat ferner eine ausschlieszliglich deutsche Praumlgung gibt es doch keinedirekte Uumlbersetzungen Gemuumlth ist ferner ein nicht eindeutig umrissener Begriff (Vgl Kra-mer Cheryce A Foolrsquos Paradise The Psychiatry ofGemuumlth in a Biedermeier Asylum Chica-go 1998 S 19) Die Bedeutung im Deutschen selbst ist zudem sehr variabel hat aber zumeistmit Seelen- oder Geistkonzepten zu tun ndash Cheryce von Xylander (geb Kramer) uumlbersetztGemuumlth mit bdquosoul-organldquo (ebd S 43) das von diversen Autoren unterschiedlich konstru-riert wird (zB von Kant geistigkoumlrperlich und von Kleist individuellkollektiv (vgl ebdS 41)) In Heideggers emblematischem Duktus scheint eine Vermischung von allen vier Di-mensionen geistigkoumlrperlich wie auch individuellkollektiv stattzufinden Es ist auf jedenFall dem Mythos geschuldet den Auftrag des Deutschen anzunehmen (3)
156 GA 79 S 33
37
gehoumlre die planetarische Abloumlsung und Aufhebung des traditionellen und damit
wesenhaft ans Ding gebundenen Verhaumlltnisses vom Menschen zur Erde (das von
ihm idealisierte voumllkische Bauerntum das Bestellen des Ackers) bdquoDie Bestand-
Stuumlcke sind Stuumlck fuumlr Stuumlck die Gleichenldquo157 So kontrastiert er alte Handwerks-
techniken mit Maschinentechnik und schreibt der Maschinentechnik die machen-
schaftliche Verdraumlngung als Geraff zu
Das Ge-Stell hat auch wenn das nicht unmittelbar und nicht sogleich ver-nehmlich wird im vorhinein schon alle diejenigen Stellen beseitigt an denenvormals Spinnrad und Wassermuumlhle standen Das Ge-Stell bestellt durch sei-ne Maschinerie zum voraus eine andere Art und Ordnung von Stellen Andiesen kommt nur zu Stand was als Bestellbares auf der Stelle gleichfoumlrmigzur Stelle steht
Darum ist auch die Art wie die Maschine selbst etwas herstellt einewesentlich andere als das handwerkliche Tun gesetzt daszlig es innerhalb desGe-Stells uumlberhaupt noch so etwas wie ein Herstellen gibt
Die Traktoren und Kraftwagen werden herausgebracht ausgeworfen se-rienweise Stuumlck fuumlr Stuumlck Wo drauszligen steht dieses so Herausgestellte Wo-hin in welchen Stand ist es gebracht158
In dieser Klage uumlber den technischen Wandel der durch den Fortschritt in
alle Lebensbereiche Einzug haumllt versucht Heidegger zu veranschaulichen wel-
chen Verlust es zu erkennen gelte Ein Versuch diesem entgegen zu treten ist die
von ihm vorgetragene Mythopoetik die er in diesem Vortragsteil seines Vortrags-
Gevierts allerdings auffaumlllig zuruumlckgestellt sein laumlszligt War der Einleitungsteil Das
Dinglsquo schlieszliglich eine nahezu einzige mythopoetische Darbietung Dramatur-
gisch wird Heidegger in Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo die mythopoetischen For-
mulierung als Loumlsungswege wieder Bedeutung geben In Das Ge-Stelllsquo versucht
Heidegger hingegen Vorstellungen aus seinen Schwarzen Heften aumlhnlich der fol-
genden mitzuteilen die das Uniforme Gleichfoumlrmige betreffen
Die Macht der Machenschaft ndash die Vernichtung sogar der Gottlosigkeit dieVermenschung des Menschen in das Tier die Vernutzung der Erde die Ver-rechnung der Welt ndash ist in den Zustand der Endguumlltigkeit uumlbergegangenUnterschiede der Voumllker Staaten Kulturen sind nur noch Fassade159
157 GA 79 S 36158 GA 79 S 35159 GA 96 S 52f
38
Was Heidegger unter dieser Gleichfoumlrmigkeit versteht schreibt er in den Schwar-
zen Heften zumeist den Amerikanern zu Er nennt es auch haumlufig Planetarismus
Der Amerikanismus [ist DS] die Zusammenraffung von Allem welcheZusammenraffung immer zugleich die Entwurzelung des Gerafften bedeu-tet160
Der Planetarismus ist die historisch gedachte Bestimmung der uumlberall glei-chen die ganze Erde uumlberdeckenden Seinsverlassenheit des Seienden161
Die Gegenuumlberstellung von natuumlrlicher und traditioneller Handwerkstechnik
gegen maschinenhafte Gleichfoumlrmigkeit exemplifiziert Heidegger dann im Vor-
trag Das Ge-Stelllsquo vielfach wie zum Beispiel hier
Der Forstwart zB der im Wald das geschlagene Holz vermiszligt und demAnschein nach noch wie sein Groszligvater in der gleichen Weise die selbenWege geht ist heute von der Holzverwertungsindustrie gestellt Er ist ober es weiszlig oder nicht in seiner Weise Bestand-Stuumlck des Zellulosebestandesund dessen Bestellbarkeit fuumlr das Papier das den Zeitungen und illustrier-ten Magazinen zugestellt wird die uumlber die Oumlffentlichkeit daraufhin stellenverschlungen werden162
160 GA 96 S 257161 GA 96 S 261162 GA 79 S 37f
Die renommierte Theaterautorin Elfriede Jelinek karikiert in ihrem Stuumlck Totenaubergvon 1991 Heideggers Konstrukt von Heimat und Fortschrittsfeindlichkeit verbunden miteiner Auseinandersetzung mit dessen Liebschaft zu Hannah Arend Mit philologischer Prauml-zision polemisiert sie Teile aus Heideggers Elegie uumlber die Technik und laumlszligt ihn dabei alsbeschraumlnktes und eingezwaumlngtes Wesen in einem Gestell gefangen sein Aus diesem heraussoll er Arend Rede und Antwort stehen uumlber sein Verhaumlltnis zum Nationalsozialismus unddie Shoa Doch dieser redet nur naturtrunken von Heimat und berauscht sich daran Derprophetische Denker wird banalisert ndash diese Worte legt Jelinek ihm (im Stuumlck der alte Mann)in den MundbdquoDie Angst vor dem Fragen liegt uumlber dem Abendland Sie bannt die Kandidaten auf ein
Team-Leibchen verbannt sie auf altgewordene Wege und jagt sie zuruumlck ins morsch geworde-ne Gehaumluse ihrer Tore wo es um ihre Ausscheidungen geht Es wird ihnen alles weggenom-men werden auch der Weg selbst Keine Spur kein Lichtschein aus den Ritzen Aber ruf ichin die Huumltte um nach einem zu fragen den ich gekannt hab sehe ich grad noch eine Tuumlrsich schlieszligen Der Wald kommt nicht zur rechten Geltung alles ist entflohen was mir liebwar und woran ich geglaubt hab Was kommt ist noch nicht da Nichts war Ich habe nichtsgehoumlrt Ich erinnere mich nicht aber ich stelle dem Kommenden das mich den lupenreinenAmateur schon vor Beginn des Rennens erlahmen laumlszligt vorsorglich die Hausschuhe vor dieTuumlr Sie sind das Einzige was die Profis des Profits von mir dann vorfinden werden wennsie anklopfen Die Haumlrte des Urgesteins sollte sie nicht entmutigen Die Jahreszeiten machendie Landschaft auf und zu Ich sage nur In dieser scheinbaren Leere will ich vom Denkenmuumld nur schlafen Von der Huumltte aus lassen sich Wanderungen unternehmen Aber auchsonst wird Ihnen alles wie ich sagte genommen werden Auch Ihre Fotos und Namen Unddas Gewesene wird wesenlosldquo ( Jelinek Elfriede Totenauberg Hamburg 1991 S 86f)
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Die Oumlffentlichkeit ist fuumlr Heidegger ein Topos der dem Denken und Besinnen
entgegenstuumlnde Somit meint er damit zum Einen die Medien wie er es anhand
der Rede von den Bestandstuumlcken in Das Ge-Stelllsquo erklaumlrt wo der Mensch als
Urheber des Ge-Stells als Wesen der Technik nicht gelten soll Vielmehr wuumlrde er
in Ratlosigkeit und Langeweile verfallen weil er in der Bestellung des Bestandes in
Form von Bestandstuumlcken vom Rundfunk keine Besinnung mehr faumlnde dh das
Ganze also wiederum daswesentliche Ding nicht mehr zu fassen vermoumlge163 Und
so toumlnt es bereits aus den Schwarzen Heften von 19391940()
Die Bildlsquo und Tonlsquo ndash Reportagenlsquo der Machenschaft ist der planetari-sche Mythuslsquo des Vollendungsabschnittes der Neuzeit Die Welt des abge-legensten deutschen Bauernhofes wird nicht mehr durch [] die Naturlsquobestimmt in der noch die Erde waltet sondern durch das illustrierte Blattmit der Darstellung von ausgezogenen Tanzweibern von Boxern und Renn-fahrern und sonstigen Heldenlsquo des Tages164
Und ferner notierte Heidegger 1946 in seinen Schwarzen Heften
Uumlberall zerrt es aus dem Oumlffentlichen ins Oumlffentliche mit vielen Strickenund jeder sieht das kaum versuchte Denken des Seyns am Leitband seinesStrickes165
Dabei waumlre eben ein bdquoLiterat [] ein in die Oumlffentlichkeit verliebter Mensch der
Angst vor dem Denker hatldquo166 Dieses liefe dann darauf hinaus dass beim Rund-
funk bdquoein Bestellen und Stellen waltet das in dasWesen des Menschen eingegriffen
hatldquo167
Abermals nach dem Wesen der Technik also nach dem Ge-Stell gefragt geht
Heidegger auf seine Unterscheidung vonNatur undNaturwissenschaft ein bdquo[w]elches
ist das Verhaumlltnis zwischen der Technik und der Naturldquo168 Natur wuumlrde in wis-
senschaftlicher Hinsicht unter das Berechnete fallen sie wuumlrde bdquoals das in Maszlig
und Zahl gestellte Wirkliche vorgestellt das in seinem Gewirkten staumlndig an-
westldquo169 Wenn Heidegger dann Natur aus technischer Sicht bdquoals ein System des
163 Vgl GA 79 S 38f164 GA 96 S 54165 GA 97 S 100166 GA 97 S 126167 GA 79 S 39168 GA 79 S 41169 Ebd
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Bestellens von Erfolgen aus dem gestellten Wirksamenldquo170 charakterisiert spricht
er von seiner Rede der Verschraumlnkung von Historie und Technik ndash bdquoTechnik die
Historie der Naturldquolsquo171 Dieses ist bekanntlich das seinsvernichtende Gegenstuumlck
zur geschichtlichen Besinnung Denn geschichtliches Walten der Technik ist fuumlr
Heidegger technische Geschichte dh verwissenschaftlichte Geschichte die da-
durch ihr Wesen verloren haumltte (Seynsvergessenheit)172 So heiszligt es in den Schwar-
zen Heften von 1947
Ein Zeitalter das historisch geworden ist dh technisch planend sich selberberechnet und alles in diesen Sog zieht muszlig jede Besinnung nur als eine dervielen Formen der Intellektualitaumlt registrieren173
Heidegger schlieszligt den Vortrag mit dem Aufgriff der Anfangsbehauptung
bdquo[d]er Bestand bestellt das Abstandsloseldquo174 Somit liegt das Problem der ausblei-
benden Naumlhe durch die Technik deren Wesen das Ge-Stell waumlre das den Bestand
bestelle in der Luft Dass dabei der Mensch sogleich Teil des Bestandes und nicht
Teil der Maschine wird laumlsst ihn das historische Tier sein (2)
Der Mensch ist auswechselbar innerhalb des Bestellens von Bestand []Gleichwohl gehoumlrt der Mensch in einer voumlllig anderen Weise in das Ge-Stellals die Maschine DieseWeise kann unmenschlich werden DasUnmenschlicheist jedoch immer noch unmenschlich Der Mensch wird nie zur MaschineDas Unmenschliche und noch Menschentuumlmliche ist freilich unheimlicherweil boumlsartige und verhaumlngnisvoller denn der Mensch der nur Maschine wauml-re175
Wen Heidegger hier ersinnt ist der neuzeitliche Mensch der den bdquoGoumlttern uner-
traumlglich gewordenldquo176 waumlre
170 Ebd171 GA 95 S 351172 In Heidegger Die Technik und die Kehre S 21 stellt er Geschichte und Historie einander
gegenuumlber was er in Das Ge-Stelllsquo nicht vollzieht bdquoDie moderne Technik kam doch erst inden Gang als sie sich auf die exakte Naturwissenschaft stuumltzen konnte Historisch gerechnetbleibt dies richtig Geschichtlich gedacht trifft es nicht das Wahreldquo Signifikant fuumlr Heideg-gers Attributierung so wie sie oben schon geschildert ist steht Historie fuumlrs Rechnen undGeschichte fuumlr das Denken
173 GA 97 S 508174 GA 79 S 44175 GA 79 S 37176 GA 94 S 236
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323 Die Gefahrlsquo
Aus Heideggers Darlegung uumlber das Ge-Stell erschlieszligen sich seine diversen Fa-
cetten der Vorstellung einer Abstandslosigkeit schaffenden Technik Dass die Ab-
standslosigkeit dem Prinzip des Gevierts des Zusammengestellten entgegensteht
bekommt im Vortrag Die Gefahrlsquo Nachdruck Die mythopoetische Erzaumlhlung
knuumlpft an den Vortrag Das Dinglsquo an mit den Mythologemene 1 Der Mythos
des geschichtlich sein muumlssens 2 der Mythos des Goumlttlichen 3 das geschichtsbe-
sinnliche Prinzip der Aletheia Zudem wird im Prozess des Vortrags das Ge-Stell
zur Gefahr stilisiert was einen eigenen Mythos erschafft
Durch das bdquouniversale Bestellen des Ge-Stellsldquo177 werde die naumlhernde Naumlhe des
Dings verwehrt Wie im Vortrag Das Dinglsquo fuumlhrt Heidegger das Wesentliche sei-
ner Theorie auf die deutsche und altgriechische Sprache zuruumlck Die so vollzoge-
ne Annaumlherung von Schwarzwaumllderischem Dialekt und Altgriechisch entspricht
Heideggers Traum von dem bdquogeschichtliche[n] Geburtsort des abendlaumlndischen
Wesensldquo178 den seine Heimat von Todtnauberg bis Freiburg stiften sollte (1)
es ist das Geistvolle und zugleich das erdenhafte schoumlne Land Es birgt un-sichtbaren Reichtum dem Gemuumlt bewahret tiefstes Dichten und houmlchsteGestalt der Sage179
Unter diesem Vorzeichen also sagt Heidegger
Das Ge-Stellwesen laumlszligt das Ding ohne die Wahr Das Wort die Wahrlsquo be-deutet in unserer Sprache dort wo sie noch urspruumlnglich spricht die HutIn unserer schwaumlbischen Mundart meint das Wort die Wahrlsquo die der muumlt-terlichen Hut anvertrauten Kinder Das Ge-Stell laumlszligt in seinem Stellen dasDing ohne die Hut ndash ohne die Wahr seines Dingwesens180
Diese in Bremen vorgetragene Heimatkunde ist auch Heideggers Sorge ge-
schuldet durch die Besatzermaumlchte und deren kulturellen Einfluss auch durch
die nun moumlgliche Oumlffnung Deutschlands zu einem Austausch mit der Welt das
eigene Wesen zu verlieren So schreibt er 1945-1947() in seine Schwarzen Hefte
177 GA 79 S 46178 GA 97 S 54179 Ebd180 GA 79 S 46
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Das Schwerste und Fragwuumlrdigste unseres Geschickes ndash beruht darin ob wirdas Eigene finden und huumlten [] unter den anderen Voumllkernlsquo [] Scheinund Vorwand der Macht daszlig man unsere eigene Aufgabe bringen will []als Entmachtete aufgenommen zu sein in den Weltmachenschaftsbetrieb181
Es gaumlbe nach Heidegger also das Welten von Welt und die Verweigerung von
Welt aus derVerwahrlosung des Dings durch das Ge-Stell bzw die Technik182 Welt
ist nach dem Konzept des schwaumlbischen Denkers nichts weniger als das Geviert
Bei der folgenden mythopoetischen Zusammenstellung von dem Geviert mit alt-
griechischen Vokabeln um den Seins-Begriff wird das Aletheia-Prinzip eingefuumlhrt
Somit fuumlhrt uumlber den Mythos des Goumlttlichen (2) der Weg zur Wahrheit eben als
geschichtsbesinnlich erfahrene Aletheia (3)
Welt ist das Geviert von Erde und Himmel Goumlttlichen und SterblichenDas Spiegel-Spiel der Vierung wahrt alles was in ihm dingend zwischenden Vier anwest und abwest in das einende Ganze seines Anwesens Vonaltersher heiszligt das Anwesen des Anwesenden τὸ ὲόν das Seiend [sic] τὸεἶναι das Sein naumlmlich der ὲόντα des Seinenden das esse entium183
Diese Welt waumlre nun bdquoWahrnis des Wesens von Sein Statt Wahrnis sagen wir auch
Wahrheitldquo184 Die Welt mythopoetisch als Spiegel-Spiel des Gevierts und durch
eine altgriechische Brille betrachtet waumlre die wahre Welt Somit wird die Wahr-
heitsschau gebunden einen antiken Goumltterglauben und abendlaumlndische Sprachkas-
kaden vom Dialekt zum Altgriechisch
Das Problem mit der wahren Welt waumlre allerdings dass sie sich in die Ver-
borgenheit entziehe Naumlher betrachtet ist aber die Verborgenheit Bedingung des
Entbergens was Heidegger notwendig macht zu einem wuumlrdigen Lebensvollzug
in Harmonie mit dem Sein Durch solche Wesensschau waumlre der Mensch befaumlhigt
jederzeit die verstellenden Maumlchte des Ge-Stells (der Technik) zu uumlberwinden und
teilhaftig am Wesen der Welt zu werden
181 GA 97 S 99182 Vgl GA 79 S 47183 GA 79 S 48 (Die griechischen Vokabeln werden hier keiner Uumlbersetzung unterzogen Da
Heidegger ohnehin keine philologische Schaumlrfe anwenden will ist es fuumlr die Zwecke hierausreichend sie mit seiner Uumlbersetzung zu betrachten Heidegger spricht von bdquoAchten aufdas Griechischeldquo was schwieriger waumlre als klassische Philologie (vgl GA 79 S 63)
184 Ebd
43
Welt bleibt in der Verborgenheit (Αήθη) auf die Weise daszlig diese ihre Ver-borgenheit gerade eine Unverborgenheit gewaumlhrt die Αλήθεια185
Die Αλήθεια haumltte allerdings auch eine Rolle uumlber die subjektive hinaus da nur
durch ihren Vollzug Seinsgeschichte gewaumlhrt wuumlrde Das ist der Anspruch den
Heidegger an sein Auditorium stellt gemeinsam geschichtlich sein zu muumlssen (1)
Die Αλήθεια ist das Geschick des Seins als welches Geschick sich die Fuumllleder Seinsgeschichte in ihre Epochen fuumlgt186
Mit dem Ge-Stell als Wesen der modernen Technik waumlre die Aletheia aller-
dings hochgradig gefaumlhrdet Denn ohnehin waumlre die Aletheia prinzipiell der Ge-
fahr der Vergessenheit ausgesetzt Doch das Ge-Stell haumltte die Kraft die bdquovollende-
te Vergessenheit der Wahrheit des Seinsldquo187 zu vollrichten
Indem das Ge-Stell alles Anwesende in den Bestand bestellt setzt das Ge-Stell das Anwesen des Anwesenden heraus aus seiner Wesensherkunft ausder Αλήθεια188
Diese Versetzung des beteiligten Wesens aus der Moumlglichkeit des Wahrheitsprin-
zips heraus markiert Heidegger dann mit der Schreibweise Seyn (mit bdquoyldquo) Wie
bei dem Vortrag Das Dinglsquo koumlnnen ethymologische Abstammungen sein Sys-
tem anreichern Da wo es um das Wortfeld des Stellens geht Ge-Stell Bestellen
Verstellen ist auch das NachstellenMitglied der Familie
Im Althochdeutschen heiszligt nachstellen fara Das in sich gesammelte Stellenals Nachstellen ist die Gefahr Der Grundzug des Wesens der Gefahr ist dasNachstellen Insofern das Sein als das Ge-Stell sich selbst mit der Vergessen-heit seines Wesens nachstellt ist das Seyn als Seyn die Gefahr seines eigenenWesens189
Damit wuumlrde sich durch die Verringerung der Selbstreflexion im Seyns-Bestand
eine Schwachstelle auftun in die der denkbegabte und aletheiafaumlhige Mensch ei-
ne Moumlglichkeit haben das Seyn zum Sein zuruumlckzuwandeln ndash also wieder in ein
185 GA 79 S 49186 Ebd187 GA 79 S 53188 GA 79 S 52189 GA 79 S 53
44
wesentliches Verhaumlltnis zum bdquoDingldquo zu gelangen in dem das Geviert wieder die
Harmonie herstellt Allerdings faumlnde bis zu solch einer Nachstellung eine Ver-
sieglung des Seynsbestandes statt Und Heidegger beklagt dass die Erreichung der
Ruumlckeroberung des Seins uumlber die Nachstellung nicht stattfaumlnde und stattdessen
die Irre regieren wuumlrde190
In dieser Irre stuumlnde dem Menschen nicht einmal mehr zu zu sterben Denn
bdquoSterben [] heiszligt den Tod in sein Wesen austragenldquo191 Somit waumlren die Opfer
die in den KZs umkamen wie er sie in Das Dinglsquo bereits schildert nicht vermouml-
gend gewesen zu sterben bdquoSie werden Bestandstuumlcke eines Bestandes der Fabrika-
tion von Leichen [] Sie werden in Vernichtungslagern unauffaumlllig liquidiertldquo192
Das vermoumlge die Gefahr zu bewirken Der Mensch wuumlrde des eigenen Sterbens
beraubt da er keine Verbindung mehr zur Wahrheit der Welt haumltte Um den rich-
tigen Tod zu sterben muumlsse der Mensch die Aletheia schauen koumlnnen Insofern ist
Heideggers Prinzip ein religioumls anmutendes Wie in der christlichen Vorstellung
der Mensch im Jenseits an seinen Taten gemessen wird um Paradies oder Fege-
feuer zu besuchen soll nach Heidegger der Mensch waumlhrend des Sterbens mit
sich selbst ins Gericht gehen Er soll sich rein machen vom Ge-Stell der Technik
und dem Seyn um nicht die einmalge Gelegenheit des richtigen Sterbevollzugs
zu versaumlumen Es winken gemaumlszlig des Gevierts die himmlischen Goumlttlichen den
irdischen Sterblichen zu wobei annehmbar ist dass Heidegger Sterblichen die
die Aletheia erkennen einen Goumlttlichkeitsstatus beimessen moumlchte ndash eine Erlouml-
sungsphantasie
Genau diese Erloumlsung waumlre die Technik nicht
Ohne den Schritt des Denkens zu wagen der unser Menschenwesen demWesen der Technik [] aussetzt wuumlrgt man sich von Fall zu Fall von Lagezu Lage durch die Zwiespaumlltigkeiten hindurch Und genau durch dieses Ge-wuumlrge versaumlumt man die Moumlglichkeit dessen was man im Grunde erstrebtdie Technik durch menschliches Tun zu meistern und menschenwuumlrdig zulenken193
190 Vgl GA 79 S 55191 GA 79 S 55192 GA 79 S 56 Weil Heidegger im Judentum die Verantwortlichen fuumlr das Geraffe des Ge-Stells
sieht macht er sie gleichsam verantwortlich fuumlr die bdquoSelbstvernichtungldquo Die Seinsverges-senheit im Tode wird dadurch zum Spin-off der vermeintlich juumldisch erzeugten da machen-schaftlichen KZ-Maschinerie (Vgl GA 97 S 20f)
193 GA 79 S 59
45
Trost und Richtung findet Heidegger schlieszliglich abermals bei den alten Griechen
Das Wort stellenlsquo entspricht dem griechischen ϑέσις vorausgesetzt daszlig wirϑέσις griechisch denken Was heiszligt in diesem Falle griechisch denkenlsquo Esheiszligt darauf achten welche Lichtung desWesens des Seyns in welcherWeisedas Dasein der alten Griechen in den Anspruch genommen hat heiszligt imvoraus bedenken in welchem Geschick welcher Unverborgenheit des Seinsdie Griechen standenldquo194
Das sind Vorstellungen des Neuen Anfangs eine Reminiszenz der griechisch anti-
ken Welt Ein Eintrag aus den Schwarzen Heften von etwa 1945-47 () verdichtet
wie oben bereits aufgezeigt die Phantasie griechisch zu sein zu einem gelingenden
Lebensvollzug
Das reine Wesen des Griechentums dh das Seiende inmitten dessen dieGriechen als seiende fremd gewesen dieses und sie selbst und der Bezug desSeins zu ihnen ndash in der einfachen Wesung von der ἀλήθεια her zeigen underfahren Den μῦθος und λόγος ndash jedes Wort und Gebild rein aber nichterzwungen und schematisch-pedant ndash aus ἀλήθεια erfahren195
Hier zeigt sich auch dass Heidegger per se das Aletheia-Prinzip fuumlr notwendig
hielt um ins Licht der Wahrheit zu blicken Die Griechen sind ihm hier deshalb
Vorbild und rein da sie keiner modernen Technik und dem Ge-Stell ausgesetzt
waren sondern lediglich eine mythopoetische Verbindung zum Sein herstellen
mussten um wesentlich zu sein und Seinsgeschichte zu schreiben Die Dinge und
das Spiegel-Spiel des Gevierts waumlren ihnen geschickt zuhanden gewesen196 Hei-
degger macht schlieszliglich sehr deutlich dass das Griechische zu denken ein bei
weitem anderes Geschaumlft sei als philologische Praumlzision
Ein Echo zu sein naumlmlich dem Anspruch des Seins verlangt eine Sorgfaltder Sprache von der freilich der technisch-terminologische Sprachstil derWissenschaften uumlberhaupt nichts wissen kann Die Intentionalitaumlt der wis-senschaftlichen Sprache ist der staumlrkste Beweis fuumlr ihre Boden- und Heimat-losigkeit [] Das Heimische einer hohen Sprache gedeiht nur im Bereichdes unheimlichen Anspruchs der wesenhaften Stille im Wesen des Seyns197
194 GA 79 S 62f195 GA 97 S 20196 Hingegen waumlre das Judentum verantwortlich fuumlr das Ge-Stell fuumlr das Prinzip der Zerstoumlrung
wie es auf der selben Seite der Schwarzen Hefte darunter heiszligt (vgl ebd)197 GA 79 S 66 Die Bedeutung von Seyn als verstelltes Sein oder Bedingung zum Schauen
des wahren Seins ist verwirrend Einer genaueren Analyse wird aus Platzgruumlnden hier nichtnachgegangen
46
324 Die Kehrelsquo
Der letzte Vortrag ist mit nur neun Seiten der Kuumlrzeste des Vortragsgevierts
Nach dem Verlust des Dinges als Ding und der damit einsetzenden Abstandslosig-
keit als Wesen des Ge-Stells wobei die Gefahr zudem der Vergessenheit des Seyns
nachstellt bietet Heidegger eine Perspektive an
Im Wesen der Gefahr verbirgt sich [] die Moumlglichkeit einer Kehre in derdie Vergessenheit des Wesens des Seins sich so wendet daszlig mit dieser Kehredie Wahrheit des Wesens des Seyns in das Seiende eigens einkehrt198
Diese Moumlglichkeit bedeute nicht dass der Mensch sich der Gefahr selbst stellen
koumlnnte sie waumlre passiv ndash bdquoverbirgt sichldquo Die Kehre werde sich ereignen aumlhnlich
einer Erwartung an den Messias
Die Anwesenheit der Gefahr wuumlrde automatisch die Rettung bergen Denn
Houmllderlin haumltte geschrieben bdquoWo aber Gefahr ist waumlchst [d]as Rettende auchlsquoldquo199
Etwa 1945 notiert Heidegger in seine Schwarzen Hefte bdquoDie Wahrheit erfahren
wir im Gedaumlchtnis Das Gedaumlchtnis ist die Dichtungldquo200 (so) Von dieser War-
te aus ausgestattet mit Erinnerungen an das abendlaumlndische Dichten mit dem
Wissen um das Aletheia-Prinzip und passiv als denkender Huumlter des Seyns solle
der Mensch das Ereignis erwarten das ihn bdquoloumlsen freimachen freyen schonen
bergen in die Hut nehmen wahrenldquo201 wuumlrde (siehe S 43)
Dieses Ereignis waumlre der Blitz Ein unvermittelter jaumlher ploumltzlicher Moment
von kurzer Dauer der bloszlig einen ebenso kurzen Blick auf das wahre Wesen er-
lauben wuumlrde Abschlieszligend ist dies das Rezept gegen die Bestands bestellende
Technik in mythopoetischer Formulierung
So entsprechend ist der Mensch geeignet daszlig er im gewahrten Element vonWelt als der Sterbliche dem Goumlttlichen entgegenblickt Anders nicht dennauch der Gott ist wenn er ist ein Seiender steht als Seiender im Seyn unddessen Wesen das sich aus dem Welten von Welt ereignet202
198 GA 79 S 71199 GA 79 S 72200 GA 97 S 52f201 GA 79 S 72202 GA 79 S 76
47
Wenn Heidegger im Anschluss von der bdquohistorisch-technischen Darstellungldquo re-
det so ist dies die Abwehr der Wissenschaften (auch der Philosophie203) und ein
Appell an die Antirationalitaumlt des Mythos bdquokein historisches Vorstellen der Ge-
schichte als Geschehen bringt in den schicklichen Bezug zum Geschickldquo204
Damit das Blitzen erfahren werde als kurze Wesensschau der Aletheia muumlsse
dem wahren abendlaumlndischen und heimatlichen Ereignis stattgegeben werden Es
sollte nicht wie er 1939 schon in den Schwarzen Heften beschreibt das
kuumlnstliche Licht von Historie und Technik in der weder Mensch noch dieGoumltter weder eineWelt noch die Erde sichtbar werden koumlnnen wo aber dasLebenlsquo von allen den immer noch zu wenigen Meistenlsquo erlebtlsquo wird205
Damit schlieszligt der letzte Vortrag mit einer Erwartung an das Ereignis des Blit-
zens nicht das Erleben der Besinnungslosigkeit (vgl Das Ge-Stelllsquo) Schon 1947
traumlumt Heidegger von solcher Umkehr
Aus der Kehre der Seynsvergessenheit aber ereignet sich das Unumgaumlnglicheden Acker der Welt erst zu pfluumlgen und saatbereit der Sonne und dem Regenund den Voumlgeln des Himmels uumlberlassen206
203 Denn ldquo[e]igentlich denken heiszligt [] die Philosophie verlassen [] beim Sagen des Seinslsquoldquo(GA 97 S 60)
204 Ebd205 GA 95 S 427 Gegen das Erlebnis und Erleben straumlubt sich Heidegger besonders So notiert
er etwa 1939 bdquoZeitalter der Techniklsquo macht gerade die Techniklsquo nicht zum Ziel sondernimmer mehr zum Mittel der besinnungslosen Berechnung [] der Mensch [] das Erleb-nislsquo [] Erleben als der Gefuumlhlsgenuszligldquo (GA 95 S 149) Wie auch bdquoWo beide Historie undTechnik in solcher scheinbaren Gegensaumltzlichkeit verkoppelt sind koumlnnen sie sich zur Foumlr-derung dessen zusammenschlieszligen was einstmals wesentlich die Geschichte des Menschenmitbegruumlndete und was wir die Kunstlsquo nennen Die Historie verschafft [] Anregungenund Vorbilder der Nachahmung die Technik erleichtert [] die Zustellung von Darstel-lungsmitteln und Wirkungsformen [] Gleichwohl ist alles wurzellos [] berechnet und alsErlebnislsquo ausgegebenldquo (GA 95 S 212)
206 GA 97 S 511
48
4 Konklusion
Der umstrittene Philosoph Martin Heidegger hat uumlber die 1930erndash40er Jahre
hinweg eine ausgepraumlgte voumllkisch-nationale und bisweilen radikal-antisemitische
Denkweise entwickelt Dieses Denken fasste er auch auf als Besinnung und stellt
es der Philosophie und Wissenschaft diametral entgegen In Kapitel 2 wird aufge-
zeigt dass sowohl Heideggers Mythologie bereits kritisiert wurde (Adorno Cassi-
rer Meyer) als auch seine Mythopoetik bewundert (Schulz-Nieswandt) Kapitel
3 will daruumlber hinaus aufzeigen wie Heidegger eine eigene Mythologie mytho-
poetisch fruchtbar macht was sich von beiden vorigen Ansaumltzen unterscheidet
und erst mit der Veroumlffentlichung der Schwarzen Hefte ab 2014 nachvollziehbar
wurde
Umso mehr bietet die mythopoetische Verbindung von bdquoDichten und Den-
kenldquo (so) einen antitechnischen Gegenpol Denn Heidegger fasst wie oben ge-
schildert alles Rationale auf als berechnende Bestellung des Bestands im Sinne
der Technik Daruumlber hinaus fordert er mit dem Aletheia-Prinzip (als metapho-
risch gefasstes Ereignis des Blitzens) einen Mitvollzug seiner mythopoetischen
Kontemplation in dem religioumlse voumllkische antike und sprachliche Motive zu-
sammenfallen
Obwohl schon von Heidegger selbst nicht mehr als Philosophie betrachtet
hat seine Rede vom Ding dem Ge-Stell dem Wesen der Technik und der Kehre
noch immer einen bedeutenden Einfluss auf die Technikphilosophie So betont
Alfred Nordmann in bdquoWerkwissen oder How to express things in worksldquo (2008)
dass Heidegger mit Das Dinglsquo eine Art Dingwissen geschaffen haumltte In seinem
2012 erschienenen Aufsatz Another parting of the ways Intersubjectivity and the
objectivity of sciencersquo207 geht Nordmann ein weiteres Mal auf Heideggers Ding
ein Dieses waumlre eine Abarbeitung an dem Ding Kants womit auch Nordmann
Heidegger als einen Interpreten Kants versteht208 Anschlieszligend anMichael Fried-
207 Nordmann Alfred Another parting of the ways Intersubjectivity and the objectivity ofscience In Studies in History and Philosophy of Science 43 (2012) 38ndash46
208 Die Auseinandersetzung mit dem Ding wuumlrde nach Nordmann in Heideggers GA mit demText Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalen Grundsaumltzenlsquoeinsetzen (GA 41 Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalenGrundsaumltzen)
49
man spricht sich Nordmann ebenso dafuumlr aus dass Heidegger neben Rudolf Car-
nap und Ernst Cassirer eine neokantianische Philosophie verfolgt haumltte (siehe
Kap 1)209
Nach Nordmann haumltte Heidegger in seinen anschlieszligenden Gedanken uumlber
das Ding als Fortfuumlhrung Kants als erster Wissenschaft als angewandte Techno-
logie verstanden210 Diese Interpretation stuumltzt sich auf die gleichen Symbole
Metaphern und Mythen die die vorliegende Arbeit analysiert Das Ge-Stell ist
insofern aumlquivok mit dem Begriff techno-science Jedoch sind in dieser Fruchtbar-
machung von Heideggers Denken der Technik dessen nationalistischen rassisti-
schen und antisemitischen Implikationen die die vorliegende Arbeit als Zentrum
dessen Philosophie ermitteln konnte noch nicht beachtet worden koumlnnen211
Andreas Luckner webt Heideggers Ding-Entwurf weiter als verantwortliches
Sorgen um die Dinge212 Er geht dabei mit Heidegger voumlllig konform und tritt
eher als eine Art Bote der Ding-Botschaft auf als diese moumlglicherweise zu kriti-
sieren was sich diesen Artikel wie ein Kapitel aus einem Studienbuch lesen laumlsst
Der Darmstaumldter Technikphilosoph Christoph Hubig ist vor allem Kritiker Hei-
deggers Argumentationen laumlsst aber zuweilen diverse Topoi aus dem Werk des
Technik-Denkers durchscheinen ohne sie weiter zu reflektieren
So konstatiert Hubig Heidegger verfehle in dessen Auseinandersetzung mit
Aristoteles Lehre von der Poiesis zum Punkt der Sicherung wie sie in Die Frage
nach der Techniklsquo behandelt wird bdquodie operative Seite des Technischenldquo bei Aris-
totels213 In einem spaumlteren Aufsatz allerdings stuumltzt er sich ohne weitere Erlaumlute-
rungen auf Heideggers Begriff der Sicherung aus Die Frage nach der Techniklsquo214
209 Diese Befriedung paradigmatischer Umstaumlnde wird hier nicht geteilt Eine weitere Bearbeitunglaumlsst der Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht zu
210 Vgl Nordmann Another parting of the ways S 45211 Der Aussage dass Heideggers Ding-Begriff kantianisch waumlre muumlsste einer gezielten Untersu-
chung unterzogen werden genau wie die Behauptung insgesamt dass Heidegger oder inwie-weit dieser noch der suumlddeutschen Kantschule des 1920 Jahrhunderts angehoumlrte
212 Vgl Luckner Andreas Ding und Bestand Heidegger und das Wesen neuzeitlicher TechnikIn Gamm G Gehring P Hubig C Kaminski A und Nordmann A Ding und SystemS 15-30 hier S 29
213 Hubig Christoph Die Kunst des Moumlglichen Technikphilosophie als Reflexion der MedialitaumltBielefeld 2006 S 103
214 Vgl Hubig Christoph Technik als Medium In Grundwald Armin (Hg) Handbuch Tech-nikethik Stuttgart 2013 S 118-123 hier S 118
50
Dabei versteht Hubig Heideggers Betrachtungen zum Umgang mit der Technik
als gelassen
Fuumlr Heidegger liegt die Andersheit im Entbergen einer Wahrheit des Seinseines Geschicks von dem die Entwicklung der Technik hin zum Gestellkuumlnde Er verbindet dies mit dem Appell jenseits des rechnenden und si-chernden Vorstellens technischer Vollzuumlge als handlungsleitender Program-me sich gelassenlsquo dieser Entwicklung zu uumlberantworten und ein Seinlsquo zuhuumlten das sich als solches eben entbirgt Das Rettendelsquo dieser Einsicht lie-ge darin dass unsere individuelle Endlichkeit insofern transzendiert wirdals sie sich dem sie uumlbersteigenden Prozess aufschlieszligt und sich selbst relati-viert215
Wovon in diesem Zitat nicht die Rede ist ist der Mitvollzug der mythopoe-
tischen Rahmenbedinungen die Heidegger einfordert und an dem die Konzep-
te Abendland und voumllkische Tradition haumlngen In dieser Arbeit wird davon aus-
gegangen dass Heideggers Technikphilosophie-erzaumlhlung sich nicht von seinen
Absichten der Bekaumlmpfung des Technischen loumlsen laumlsst Die Relativierung ist in-
sofern nicht an den Prozess gebunden und damit emergent auf alles hin ausge-
richtet was kommen mag sondern houmlchst konvergent in einer Besinnung auf
Mythen von dem Ding und dem Geviert mit all deren Valenzen aus dem vorlie-
genden Heideggerschen Textkorpus Die individuelle Endlichkeit ist genoumltigt die
Heimat und das Abendland zu kennen und im Aletheia-Prinzip umzusetzen
Die Neubewertung der bislang bekannten Heideggerschen Technikphiloso-
phie von vor den SchwarzenHeften ist ein dringendes Desiderat Voumllkisch-nationale
Gruppierungen erstarken momentan in ganz Europa und es koumlnnte sehr hilfreich
sein aumlhnliche Denkstrukturen aufzudecken so wie sie zwischen den 1930er und
40er Jahren entwickelt wurden Zusaumltzlich muss das Werk Heideggers einer kriti-
schen Revision schon aufgrund der niemals von ihm behandelten Antisemitismen
unterzogen werden Heidegger hat nie zu diesen Stellung bezogen
Daruumlber hinaus ist das Thema Mythos und Philosophie ein weiterhin not-
wendiger Bereich der philosophischen Forschung In einem Bereich auszligerhalb
der exakten Wissenschaften und ohne klare theologische Tradition ist die Philo-
215 Hubig Die Kunst des Moumlglichen S 140
51
sophie beides sowohl Aufklaumlrer und antimythisch als auch Quelle fuumlr mythisches
Denken und affektierende Motive
52
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56
Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
Der Unterzeichner versichert dass er die vorliegende Bachelorarbeit selbststaumlndig
verfasst und keine anderen als die von ihm angegebenen Hilfsmittel benutzt hat
Die Stellen der Arbeit die anderen Werken dem Wortlaut oder dem Sinne nach
entnommen sind wurden in jedem Fall unter Angabe der Quellen (einschlieszliglich
des World Wide Web und anderer elektronischer Text- und Datensammlungen)
kenntlich gemacht Dies gilt auch fuumlr beigegebene Zeichnungen bildliche Dar-
stellungen Skizzen und dergleichen
Darmstadt 25 April 2016
__________________________
(Eigenhaumlndige Unterschrift)
- Abkuumlrzungsverzeichnis
- Danksagung
- Einleitung
- Heideggers mythopoetisches Programm
-
- Zu den Begriffen Mythos Mythologie und Mythopoetik
-
- Ein Beispiel fuumlr ein Mythologem
-
- Heideggers Mythen
-
- Formen der Mythologie
-
- Heideggers mythopoetische Technik
-
- Zur Publikationsgeschichte von den Bremer Vortraumlgen 1949
- Die mythopoetische Spiegelung der Schwarzen Hefte
-
- Das Dinglsquo
- Das Ge-Stelllsquo
- Die Gefahrlsquo
- Die Kehrelsquo
-
- Konklusion
- Literaturverzeichnis
- Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
-
2
Von 1933 an war Heidegger Mitglied der NSDAP und mit der Einrichtung
des Fuumlhrer-Rektors zu dem er auch 1933 gewaumlhlt wurde als voumllkisch-nationaler
Rechter nicht mehr in Frage zu stellen Die philosophischen Differenzen waumlhrend
der Diktatur waren weniger von einer fachlichen Auseinandersetzung gepraumlgt als
denn der Erziehung des Volks und eines geistigen Uumlberbaus der Nazis geschul-
det6 Eine direkte Auseinandersetzung mit seinen Kritikern des mittlerweile ge-
flohenen Wiener Kreises hatte es nicht gegeben
Auf Umwegen wurde Jean-Paul Sartre zum ersten Heidegger-Apologeten je-
doch nicht gegenuumlber Carnap oder demWiener Kreis sondern gegen die franzoumlsi-
sche Linke Diese hatte sich aufgrund der offensichtlichen Faktenlage mit Heideg-
ger als Fuumlhrerrektor uumlber die Existenzphilosophie Sartres empoumlrt die Heideggers
Werk rezipiert Sartres Entgegenhalten enthaumllt den Kern der Frage wie Philoso-
phie und Autorschaft im Verhaumlltnis stehen
Was zaumlhlt schon Heidegger Wenn wir unser eigenes Denken anlaumlszliglich des-sen eines anderen Philosophen entdecken wenn wir bei diesem Technikenund Methoden suchen die uns zu neuen Problemen Zugang verschaffenkoumlnnen heiszligt das dann daszlig wir alle seine Theorien teilen Marx hat sei-ne Dialektik von Hegel uumlbernommen Sagen Sie deshalb sbquoDas Kapitallsquo seiein preuszligisches Werk7
Nach Ende des Krieges wurde Heidegger im Zuge der Entnazifizierung die
Lehrerlaubnis entzogen Die Debatte um seine Einstellung zum Nationalsozialis-
mus war ihm selbst zu dieser Zeit am unmittelbarsten denn seine Befugnisse wur-
den darin verhandelt Jean-Paul Sartre war unterdessen interessiert am Dialog mit
Heidegger und Jean Beaufret wandte sich brieflich an ihn Diese Auseinanderset-
zung uumlber den Humanismus angestoszligen von Sartres Essay sbquoLrsquoexistentialisme est
un humanismelsquo8 (1946) bindet die franzoumlsischen Philosophen an den deutschen
6 Vgl Dahms Hans-Joachim Philosophie In Elvert Juumlrgen und Nilson-Sikora Juumlrgen (Hg)Kulturwissenschaften und Nationalsozialismus Stuttgart 2008 S 19-51
7 Sartre Jean-Paul Zum Existenztalismus ndash eine Klarstellung In Der Existenzialismus istein Humanismus und andere philosophische Essays 1943ndash1948 Philosophische Schriften IFrankfurt am Main 1994 S 114Das Zitat wird auch herangezogen im Kopfteil einer Wikipedia Ab-
handlung uumlber die bdquoHeidegger-Kontroverseldquo (httpsdewikipediaorgwikiMartin_Heidegger_und_der_NationalsozialismusDie_Heidegger-Kontroverse ndash zuletztabgerufen am 24042016)
8 Sartre Jean-Paul Lrsquoexistentialisme est un humanisme Editions Nagel Paris 1946
3
Kollegen der seinen sbquoBrief uumlber den Humanismuslsquo9 (1947) beisteuerte Dieser bi-
laterale Briefwechsel wie auch die konspirativen Vortraumlge im privaten Club zu
Bremen im Jahr 1949 denen Heideggers spaumlte Technikphilosophie entspringt
trugen zu einer Rehabilitierung bei Ab 1951 wurde Heidegger emeritiert wo-
durch er wieder in Freiburg lehren durfte
Diese Arbeit untersucht inwiefern Heideggers Technikdenken in den Bremer
Vortraumlgen (1949) von seinen seit 2014 vorliegenden sogenannten Schwarzen Hef-
ten (1931-1948 GA 94 ndash 97) Heideggers Notizbuumlchern zehren Diese sind die
wichtigste Quelle zum Nachvollzug seiner Gedanken zum Nationalsozialismus
und Rassismus geworden Die vielen Spekulationen um Heideggers menschliche
Defizite und deren Eingeschriebensein in seine Philosophie finden seitdem eine
handfeste Grundlage
Insofern wird der Frage nachgegangen ob und wie ein Programm anhand der
Schwarzen Hefte vorliegt das sich auf Heideggers Technikdenken niederschlaumlgt
Dazu wird davon ausgegangen dass Heidegger sich in eine Denkweise des My-
thologisierens begeben hatte die sich in den Schwarzen Heften manifestierte
Das untersucht Kapitel 2 Kapitel 3 untersucht wie die moumlgliche Mythologie der
Schwarzen Hefte mit dem ersten Vortrag seit Beendigung des Zweiten Weltkriegs
zusammen haumlngt
9 GA 9
4
2 Heideggers mythopoetisches
Programm
In diesem Kapitel wird die These aufgestellt dass Heidegger in den Schwarzen
Heften von 1931ndash1948 sich selbst eine Mythologie anlegt derer er sich in Veroumlf-
fentlichungen mythopoetisch bedient Die Mythopoetik aus seinen mythologi-
schen Annahmen bestimmt aber auch weite Teile seiner intimen Schriften (Denk-
tagebuumlcher) also die Schwarzen Hefte selbst Dh dass Heidegger sich seine ei-
gens gesetzte Mythologie aus fruumlheren Jahren als permanentes Zentrum seines
Philosophierens oder Nachdenkens fortschreibt und mit spaumlteren Gedanken zum
Zeitgeschehen aktualisiert Gerade diese Kohaumlrenz mit der er an seiner
Der Begriff der Mythologie und ferner der des Mythos bieten eine Vielzahl
von Moumlglichkeiten der Bestimmungen und Interpretationen Aus diesem Grund
ist der weiteren Erlaumluterung der These eines mythopoetischen Programms eine Be-
griffseingrenzung vorangestellt10 Genauso wird eine Erlaumluterung des Begriffs der
Mythopoetik dargelegt werden um darauf aufbauend Heideggers Vorstellungen
aus den Schwarzen Heften aufzudecken
21 Zu den Begriffen Mythos Mythologie
und Mythopoetik
Zur Bestimmung von Heideggers Vorstellungen als mythopoetisches Programm
werden die drei Begriffe Mythos Mythologie und Mythopoetik hier einer einfa-
chen lexikalischen Definition zugrunde gelegt Diese orientiert sich maszliggeblich
am Reallexikon der Deutschen Literaturgeschichtelsquo (RDL) das eine fachwissen-
schaftliche (philologische) Seriositaumlt besitzt die gefragten Begriffe aber auch kom-
pakt und uumlberschaubar abhandelt11
10 Eine fuumlr dieses Thema hervorragende Reflexion des Mythos-Begriffes bietet sich in Ernst Cas-sirers Der Mythus des Staateslsquo an Auf diesen Titel wird allerdings erst spaumlter eingegangenwerden um mit der Begriffseingrenzung nicht einen Cassirerrsquoschen uumlberbau zu erstellen
11 Die Eintraumlge des RDL werden hier bereits nur sehr sparsam verwendet bieten sie jedochweitaus reichhaltigere Reflexionen zu den drei gefragten Begriffen Trotz der faszinierenden
5
Insofern legt das RDL den Mythos uumlber die bdquoForm eines vorrationalen Wis-
sensldquo hinaus so aus
Mythos2 bezeichnet ein ndash oft einem vermeintlich wissenschaftlicheren lo-goslsquo als mythisches Denkenlsquo entgegengesetztes ndashWeltverhaumlltnis uumlber dessenEigenschaften [] immer wieder neu spekuliert wird und das man ua ausdem Mythos1 zu erschlieszligen sucht12
Zur Wortgeschichte erklaumlrt das RDL ferner dass im Fortschritt der bdquoFachschrift-
stellereildquo Mythos und Logos als Spannungsverhaumlltnis hervorzutreten beginnen
mit demmyacutetos als bdquoAusdruck fuumlr Erdichtetes oder Erfundenesldquo und logos bdquoals ver-
antwortende Redeldquo Mit der im RDL sogenannten bdquoFachschriftstellereildquo muss be-
reits die griechische Antike gemeint sein wenn es in der Begriffsgeschichte heiszligt
bdquo[i]n der antiken Geschichtsschreibung und Philosophie wird der Begriff fast im-
mer ex negativo im Hinblick auf das Nicht-Wissenschaftliche verwendetldquo13
Der Begriff Mythologie wird hauptsaumlchlich unterschieden in 1) eine bdquoZusam-
menstellung der Mythen einer bestimmten Kulturldquo und 2) deren bdquoErforschung
und theoretische Reflexionldquo14 Als Drittes kann die Zusammenstellung von hy-
postasierten poetischen oder heroisierenden Elementen als Mythologie aufgefasst
werden So sagt Adorno uumlber die deutschen Existentialisten dass sie bdquoin der ab-
soluten Verfuumlgung des Einzelnen uumlber sich [] soldatischldquolsquo an der bdquoBindung an
den Befehlldquolsquo15 hingen Sprecher solcherlei bdquoExistenz bewegen sich auf heroisie-
rende Mythologie zuldquo16 Insofern kann als Mythologie gelten was sich als solche
gebiert Er bindet dieses Mythologisieren in seinen Topos des bdquoJargons der Eigent-
lichkeitldquo ein der hauptsaumlchlich Heideggers eigenwilligem Sprachverhaumlltnis gewid-
Begriffsgeschichten von Mythos und Mythologie soll zugunsten der hier verhandelten The-se auf tiefergehende Reflexionen verzichtet werden Das Material dazu ist weiterhin uumlberdas RDL hinaus sehr umfangreich Dennoch wird davon ausgegangen dass der hier gewaumlhl-te Bedeutungsumfang der Begriffe dem Verstaumlndnis hinsichtlich der These von Heideggersmythopoetischen Programm genuumlgen wird
12 RDL S 665 Da das RDL in seiner Explikation von drei verschiedenen Bedeutungsdimensio-nen spricht wird in der zitierten 2 auf die 1 refereriert welche lautet ldquoMythos1 meint dieerzaumlhlende Darstellung von kollektiv bedeutsamen Orten und Figuren oder Naturphaumlnome-nen in aller Regel mit religioumlser oder kultischer Dimensionldquo (Ebd S 664)
13 RDL S 66514 RDL S 66015 Adorno Theodor W Jargon der Eigentlichkeit Zur deutschen Ideologie Frankfurt am Main
1964 S 10716 Ebd S 108
6
met ist Was Adorno als Abwehr gegen Heidegger und die deutschen Ideologen
der Moderne anfuumlhrt kann nicht in gleicher Weise auf die Romantiker fallen
Im 19 Jahrhundert fanden bei denen auch Bestrebungen statt Mythologie als
wissenschaftliche Wahrheitsfindung zu betreiben Mythologie ist dort bdquoSprache
der Phantasielsquo die jedoch auch Spuren der aumlltesten Geschichte enthalte und da-
durch deren Allegorisierung verhindereldquo17 Der Unterschied zwischen beliebiger
Allegorie und verbindlicher Mythologisierung liegt demzufolge im Rekurs auf die
bdquoaumllteste Geschichteldquo Der Antikestoff befluumlgelte Schriftsteller wie Philosophen zu
poetologischen und philosophischen Doktrinen die die bloszlige Zusammenstellung
von tradiertenMythen sprengten und ein progressives Mythologisieren forderten
Dieses Zusammenspiel fand seinen Houmlhepunkt im bdquoSystemprogrammldquo
[E]ine neue Mythologie der Vernunftlsquo welche den Gegensatz zwischendem Volk und einer philosophischen Elite aufloumlsen und eine allgemeineFreiheit und Gleichheit der Geisterlsquo verwirklichen sollte18
Daran beteiligt waren Friedrich Schlegel Hegel und Houmllderlin Bei den aus-
gepraumlgten Houmllderlinkenntnissen Heideggers kann von dessen Kenntnis des bdquoSys-
temprogrammsldquo ausgegangen werden auch wenn er dessen noblen Ziele nicht zu
beerben gedachte Gerade fuumlr Schelling jedoch bdquoist Mythologie das Mittelglied der
Ruumlckkehr der Wissenschaft zur Poesieldquo19 Es ist genau diese Aufwertung des Au-
tors aus einer Synthese von Kunst und dem Prozess ihrer archaischen Ruumlckfuumlh-
rung die Heidegger als Wahrheitsquelle vorphantasiert Er geht bei dieser My-
thologisierung so weit von der Errettung durch die Goumltter zu traumlumen wobei
er auf Houmllderlin als Mittlerfigur rekuriert der sich wiederum auf die Vorstellung
von Goumlttern der griechischen Antike bezieht Das ist ein Teil von Heideggers
voumllkischer Mythologie die eine reine Linie des Denkadels nachzeichnen will
Werden wir einen wirklichen geistigen Adel schaffen der stark genug ist dieUumlberlieferung des Deutschen aus einer groszligen Zukunft zu gestalten20
17 RDL 66218 RDL S 66319 Ebd20 GA 94 S 121
7
bdquoAus einer groszligen Zukunftldquo ist hierbei bezeichnend fuumlr die Vorstellung eines
Versprechens aus der Vergangenheit Das macht diesen Mythos aus Heideggers
Mythologie
Mythopoetische Texte schlieszliglich werden definiert als
Literarische Werke die Mythen aufnehmen und auf eine fuumlr die Textaussagekonstitutive Weise dichterisch bearbeiten21
Die Besonderheit von der bei der vorliegenden Arbeit ausgegangen wird ist dass
Heidegger in seinen echten Publikationen wobei hier besonders die Vortraumlge von
1949 von Interesse sind nicht bloszlig mythologisierte im Sinne eines bdquoerweiterten
Mythosldquo Sondern er schreibt als Mythopoet schoumlpfend aus seiner privaten My-
thologie Diese legte er sich selbst zu Grunde in den Schwarzen Heften Es sind die
Manifestationen seines Glaubens an romantisierte Antikeideale und seine Uumlber-
houmlhungen von Fantasien von einem deutschen Volk
Wie das Metzler Literaturlexikon es bereits aufweist bdquoDie weitere Explikation
des M-Begriffs ist komplex und faumlllt in die Zustaumlndigkeit verschiedener Diszipli-
nenldquo22 Die Begriffseingrenzung hier hat allerdings in Bezug auf das RDL einen
deutlich literaturwissenschaftlichen Bezug da Heidegger eine bdquoPartnerschaft zwi-
schen Denken u Dichtenldquo23 anstrebte ndash bdquoDas Dichterischelsquo sollte rettende Wege
im Zeitalter des universalen technolog Zugriffs findenldquo24 Damit ist auch zum
wiederholten Male das Kontrastierende in dieser Haltung genannt ob sich der
Mythos nun gegen das TechnischeWissenschaftliche richtet (Heidegger) oder ge-
21 RDL S 66522 Metzler Lexikon der Literatur S 524 Ferner deutet ein Eintrag im Neuen Pauly dar-
auf hin bdquoEine alle Disziplinen befriedigende Definition von M (μῦθοςmyacutethos latmythos) zu finden erweist sich trotz vieler Versuche als unmoumlglichldquo (Graf Fritz(Princeton) Zgoll Annette (Leipzig) Hazenbos Joost (Leipzig) Niehr Herbert (Tuuml-bingen) Mythoslsquo Der Neue Pauly Hg v Cancik Hubert (Antike) und Schnei-der Helmuth Landfester Manfred (Rezeptions- und Wissenschaftsgeschichte) Brill On-line 2015 Reference Universitaumlts- und Landesbibliothek Darmstadt 06 December2015 httpreferenceworksbrillonlinecomentriesder-neue-paulymythos-e815160 Firstappeared on-line 2006)
23 Poumlggeler Otto Heidegger In Killy Literaturlexikon Autoren und Werke des deutschspra-chigen Kulturraums 15 Bde 1988-93 Bd 5 S 142-146 hier S 144
24 Ebd S 142
8
gen die Rationalitaumlt (Cassirer) er hat stets bdquodas erklaumlrte Andere des logischen
Erkennensldquo25 inne26
211 Ein Beispiel fuumlr ein Mythologem
bdquoDen μῦθος und λόγος [] aus ἀλήθεια erfahrenldquo27 Dieses System entruumlckt
Wort und Rede dem zwischenmenschlichen Sprachgebrauch und uumlberlaumlsst es dem
Prinzip eines eigenwillig ausgelegten Begriffs der ἀλήθεια ob etwas als Ereignis
zum Sein gereicht oder als Dasein hinfaumlllig ist Die erstrebenswerte Identifikation
mit dem bdquoLeben der Gemeinschaft und mit dem Leben der Naturldquo28 die der ge-
meinsame Austausch uumlber Mythen bieten soll zB im Raumlsonieren daruumlber (etwa
im Sinne des Logos) untersteht hier dem regelnden Prinzip einer Aletheia Mys-
thagogisch will Heidegger den archetypischen Akt dieser Wesensschau beim anti-
ken Griechenvolk enthuumlllen (vgl Kapitel 323) Damit ist die Zusammenstellung
von bdquoμῦθος und λόγος [] aus ἀλήθεια erfahrenldquo bereits ein Mythos seiner
Mythologie
Die Eigenwilligkeit mit der Heidegger einen Mix aus philologischer Hinwen-
dung zu den Vorsokratikern der Dichtung Houmllderlins und einem Pathos seiner
Heimatverbundenheit verquickt ist Adorno schon in den 1960ern als Mythologie
aufgefallen bdquoAntisophistik im Endstadium aufbereiteter Mythologie ist verhaumlrte-
tes Ursprungsdenkenldquo29 Adorno konnte nicht ahnen wie tief Heidegger seinen
Wunsch nach Ursprung in sein Denken verschlossen hat Der Bestand bdquoaufbe-
25 Erdbeer Robert Matthias Graf Fritz Mythoslsquo Der Neue Pauly Herausgegeben vonHubert Cancik Helmuth Schneider (Antike) Manfred Landfester (Rezeptions- und Wis-senschaftsgeschichte) Brill Online 2015 Reference Universitaumlts- und LandesbibliothekDarmstadt 06 December 2015 lthttpreferenceworksbrillonlinecomentriesder-neue-paulymythos-rwg-e1505640gt First appeared online 2006
26 Ernst Cassirer interpretiert in diesem Bezug ferner nachdem er den Konflikt zwischen ra-tionalem und mythischem Denken als Machtkonflikt aufwies Kants Annahme von zweibdquoGruppen von Gelehrten und Forschern die eine befolgt das Prinzip der Homogenitaumltlsquo dieandere das der Spezifikationlsquo [] Nach den Prinzipien der Kantischen Philosophie selbststehen beide Haltungen nicht wirklich im Widerstreit miteinander Denn sie druumlcken keinefundamentale ontologische Differenz aus keine Differenz in der Natur und dem Wesen derDinge an sichlsquo Sie repraumlsentieren eher ein doppeltes Interesse des menschlichen Verstandesldquo(Cassirer S 12) Allerdings ist Heidegger anti-wissenschaftlich Sein Ringen um das Mythi-sieren verfolgt das Ziel einer gegenwissenschaftlichen bdquoBesinnungldquo wie er es nennt
27 GA 97 S2028 Cassirer Der Mythus des Staates S 5329 Adorno Jargon der Eigentlichkeit S 41
9
reiteter Mythologieldquo liegt erst seit 2014 mit der Veroumlffentlichung der Schwarzen
Hefte vor
22 Heideggers Mythen
Heideggers Mythen sind weder eine Fortsetzung antiker Uumlberlieferungen noch
ein von ihm entwickeltes Fabulieren uumlber anthropomorphe Goumltter und ihre Ent-
stehungsgeschichten Es ist in erster Linie eine eigenwillige Philologie des Alt-
griechischen wenn er zB in bdquogeschichtlicher Besinnungldquo zum Zuruumlckgehen bdquoauf
den Zusammenhang von τέχνη ἀλήθεια und οὐσίαldquo30 auffordert Adorno cha-
rakterisiert seinen Begriff vom Jargon der Eigentlichkeitlsquo mit dem Zug der sta-
tischen Inbeschlagnahme einzelner Woumlrter die sich bdquodurch die Konstellation die
sie verleugnenldquo aus demDiskurs sprengten und als Apotheosen eine uumlbertriebene
Eigenbedeutung erhalten wuumlrden Diese guerrillaartige Umdeutung von Sprache
versteht Adorno als Asyl des Faschismus31
Was das singulaumlre Wort an Magie verlor wird ihm gleichwie durch Maszlignah-men dirigistisch angeschafft [] Bestandstuumlcke der empirischen Sprachewerden in ihrer Starrheit manipuliert als waumlren sie solche einer wahren undgeoffenbarten [] Der Jargon objektiv ein System benutzt als Organisati-onsprinzip die Desorganisation den Zerfall der Sprache in Worte an sich32
Die bdquoDesorganisationldquo die Adorno Heideggers Sprachzerfall zuweist ist viel-
mehr eine Neukonstellation im Sinne des Mythos So erscheint es zumindest
anhand der Leese die Heidegger in den Schwarzen Heften zusammentraumlgt Der
deutsch-schweizerische Philosoph Enno Rudolph fuumlhrt in diesem Zusammen-
hang einige Militaumlrmetaphern an die Heideggers Zielsetzung unterstreichen sol-
len mit seinem Sprachsystem voumllkisch-nationale und eben auch antisemitische
Abgrenzungspolitik zu betreiben
30 GA 94 S 336f31 Vgl Adorno Jargon der Eigentlichkeit S 8f bdquoAsyl des Faschismusldquo ist eine treffende Parodie
auf Heideggers Rede von der Sprache als Haus des Seins (su)32 Ebd S 10
10
Am Ende koumlnnten sich Text und Sache moumlglicherweise so darstellen lassen[] dass sich das Gesamtwerk als die labyrinthisch konstruierte letzte Basti-on eines philosophischen Stellungskrieges positioniert in dessen Verlauf derAntisemitismus ndash neben den anderen programmatischen Feindseligkeiten ndasheine strategische Funktion nach Analogie mehrerer einander koordinierterWaffengattungen erfuumlllt [] dass es sich bei den vier Baumlnden um Bausteinefuumlr eine Kampfschrift handelt33
Mit dem Schluumlssel des Verstaumlndnisses der altgriechischen Sprache seiner Liebe
zum Klassikautor Houmllderlin und als selbsterklaumlrter Feind der Metaphysik ver-
stand sich Heidegger als Prophet des Denkens das als Dichtung veredelt An-
athema zur Rationalitaumlt und Wissenschaft (worunter er auch die Philosophie ver-
stand) sein sollte Die strenge Bindung an seine Pseudotradition des Abendlandes
sollte mythologisch festgezurrt sein aber seine Veroumlffentlichungen in Form von
Vortraumlgen und Aufsaumltzen und schlieszliglich in Buchform sollten selbst nicht bloszlig
mythologisch sein ImModus von verhaumlrtetem solipsistischen Narzissmus ging er
daruumlber sogar noch hinaus und wollte sich verstehen als mythopoetischen Autor
seiner eigenen Mythologie
Eine katalysierende Wirkung auf dieses Vorgehen Heideggers hatte der Alt-
philologe Walter F Otto (1874ndash1958) In einem vor den Schwarzen Heften in
2009 veroumlffentlichen Aufsatz schildert der franzoumlsische Germanist Daniel Meyer
von diesem Bezug und untersucht Heideggers Verbindung der Kehre34 und des
Mythos Die Entdeckung des griechischen Mythos Heideggers geschichtsphilo-
sophische Wendelsquo35 Wie es der Titel verraumlt markiert Meyer Heideggers Kehre
zur Seinsgeschichte mit dessen bdquoEntdeckungldquo des Mythologisierens36
33 Rudolph Enno Heideggers Schwarze Hefte im Echo In Philosophische Rundschau Bd 62Heft 2 (2015) S 141-154 hier S 145f
34 Die bdquoKehreldquo ist multifaktoriell mit Bedeutungen besetzt Darauf kann hier nicht eingeangenwerden Im Uumlblichen ist die Kehre zur bdquoSeinsgeschichteldquo gemeint
35 Meyer Daniel Die Entdeckung des griechischen Mythos Heideggers geschichtsphilosophi-sche Wende Germanica 45 (2009) S 13-26
36 Diese Entdeckung ist wie bei Peter Trawny (su) gebunden an Heidegger Topos des AnfangsDen Anfang dieser Rede des Anfangs will auchMeyer erkannt haben Insgesamt koumlnnen nochmehrere starke Aumlhnlichkeiten des Artikels von Meyer mit Trawnys Buch uumlber die Schwar-zen Hefte nachgewiesen werden womit Trawny ohne jegliche Nennung Meyers unter denAnfangsverdacht des Plagierens faumlllt
11
Ottos 1929 erschienenes Werk Die Goumltter Griechenlandslsquo37 sei laut Meyer
der fuumlr Heideggers mythologische Strategie unentbehrliche Einfluss Somit sei
der griechische Goumltterbegriff nicht mehr bdquochristlich antithetisch zu Welt und
Mensch sondern in Einheit damit zu denkenldquo38 Diese Einheit wuumlrde gestif-
tet durch bdquoOttos Formel vom Geheimnis der Beruumlhrung von Goumlttlichem und
Menschlichenlsquoldquo39 Da Meyer das Mythologisieren im Zusammenhang mit der ge-
schichtsphilosophischen Kehre auch im Sinne einer bdquoVorrangstellung des primi-
tiven archaischen von ihm [Heidegger DS] als mythisch verstandenen Den-
kensldquo40 als Weg zum Nationalsozialismus ndash der Traum Heideggers eines neuen
(deutschenabendlaumlndischen) Anfangs ndash versteht liegt dem bdquogriechischen Goumltter-
begriffldquo hier eine besondere Wertlegung zugrunde41
Die Beschwoumlrung des Anfangs des griechischen Ursprungs ermoumlglicht ei-nen genuinen Neuanfang im Sinne einer Annullierung des Vorhergekom-menen Der Ausweg aus der Moderne aus der Welt der Uneigentlichkeitist moumlglich durch einen Bruumlckenschlag zum griechischen Denken [] DieMoumlglichkeit diese Krise zu uumlberwinden ist fuumlr Heidegger 1933 durch dienationalsozialistische Machtergreifung gestellt doch reiht er diesen Prozessin eine legitimierende geschichtsphilosophische Perspektive die auf einengriechischen Ursprungsmythos zuruumlckverweist42
Meyer findet kernige Passagen die er aus Heideggers Schriften und Vorle-
sungen bis 1935 durchaus uumlberzeugend zur Unterstuumltzung seiner These anfuumlhrt
Diese Zitate Heideggers sind der Mythologie der Schwarzen Hefte sehr aumlhnlich als
tentatives Entwerfen
37 Otto Walter F Die Goumltter Griechenlands Das Bild des Goumlttlichen im Spiegel des griechi-schen Geistes Frankfurt am Main 2013Meyer verweist in einer Fuszlignote auf das Buch Heideggerrsquos Roots Nietzsche National So-
cialism and the Greekslsquo von Charles Bambach (2005) das ihm fuumlr diese Aussage Pate stand38 Meyer Die Entdeckung des griechischen Mythos S 439 Ebd Durch eine solche Formel der Einheit von Menschen und Goumlttern ist ein nahtloser
Anschluss an die Goumltter Heraklits und anderer antiker Philosophen geebnet Heidegger hatdiese Moumlglichkeit erstaunlich ernst genommen und ausgearbeitet
40 Meyer Die Entdeckung des griechischen Mythos S 341 Meyer stolperte mit der Begruumlndung dass bdquoDieser erstaunlich unkritische Gottesbegriff []
sich nur im Kontext von Ottos Goumltter Griechenlands verstehenldquo (Meyer Die Entdeckungdes Griechischen Mythos S 4) lieszlige uumlber Heideggers SoSe Vorlesung 1930 Vom Wesender menschlichen Freiheitlsquo (GA 31 S 7f) Ferner vollzieht er Ottos Einfluszlig uumlber die ersteHoumllderlin-Vorlesung von 193435 und weitere Schriften Heideggers nach Es geht Meyerauch stark um das Verhaumlltnis von Heideggers Denken bis und nach Sein und Zeit was indieser Arbeit nicht tiefer behandelt werden kann
42 Meyer Die Entdeckung des griechischen Mythos S 4f
12
Das legt nahe dass Heidegger sein mythopoetisches Texten als Code vor allem
in den Nachkriegsveroumlffentlichungen einsetzt ndash ein Nachruf aus dem gescheiter-
ten Anfang43 Ab 1935 jedenfalls haumltte sich Heidegger von der Vorstellung des
neuen Anfangs verabschiedet44
Das Mythologisieren konstruiert Meyer als Anschluss an die Houmllderlin-Vor-
lesung (193435) Die Houmllderlinsche Lyrik haumltte fuumlr Heideggers bdquophilosophisches
Sprachmaterialldquo Vorbildcharakter da bdquomit Houmllderlin die griechische Mytholo-
gie in ihrer sprachlichen Verbildlichung zum tragenldquo45 kaumlme Die dann staumlndige
Wiederauferstehung der bdquogriechischen Goumltter- und Heldenwelt in seinen Vorle-
sungenldquo schluumlge dem zu Buche In der Vorlesung 193435 Houmllderlins Hymnen
Germanienlsquo und Der Rheinldquo klingt insofern bereits eine Figur an die Heidegger
uumlber zehn Jahre spaumlter in seinen technikphilosophischen Bremer Vortraumlgen mit
seinem Aletheia-Prinzip verbinden wird ndash der bdquoBlitzldquo (su)
43 Eine genaue Untersuchung laumlszligt die Form dieser Arbeit nicht zu sie bezoumlge sich wie gesagtauf die drei Darstellungsebenen der GA mit den Schwarzen Heften (GA 94ndash97) als (Entwurfs-phase) Besinnung (GA 66) Das Ereignis (GA 71) ua als (Konzeptionsphase) und den BremerVortraumlgen (GA79) als (Praumlsentation) die Uumlbergaumlnge sind freilich flieszligend und gerade in denvon Meyer zitierten Vorlesungen erscheinen alle drei Stufen mitunter gleichzeitig Gerade imfolgenden zitierten Doppelband in dem es ua um die bdquoWahrheit der Spracheldquo geht scheintes tatsaumlchlich genau wie Meyer es identifiziert um die Grundlegung Heideggers Mythologiezu gehen die in den Schwarzen Heften vielmehr lemmaartig und sporadisch entworfen wirdMit Heraklits Spruch des Kampfes als Wesen des Seienden zieht Heidegger einen Paten seinerMythos-Logos-Aletheia Kombination heran und versucht seiner eigenwilligen Philologie ei-ne verpflichtende Bedeutungstiefe einzulegenMeyers Zitate Heideggers mit groszliger Relevanz fuumlr diese Arbeit sind die folgenden bdquoDa-
mals als das Volk der Griechen deren Stammesart und Sprache mit uns dieselbe Herkunfthat in seinen groszligen Dichtern und Denkern sich aufmachte eine einzigartige Weise desmenschlichen volklichen Daseins zu schaffen Was da anfing ist bis heute nicht eingeloumlstAber dieser Anfang ist noch nicht und er verschwand nicht und verschwindet nicht dadurchdaszlig die nachkommende Geschichte immer weniger seiner Herr blieb Der Anfang ist nochund besteht als ferne Verfuumlgung die unserem abendlaumlndischen Schicksal weit vorausgreift unddas deutsche Geschick an sich kettetldquo (GA 3637 S 6 Die Grundfrage der PhilosophielsquoSommersemester 1933)bdquoAls μυθος ist das Wort das uumlber den Menschen kommt jenes worin ihm dieses und
jenes seines Gesamtdaseins gedeutet wird nicht das Wort in dem er von sich her Rede stehtsondern das Wort das Weisung gibt [] Aber der urspruumlngliche λογος der Philosophiebleibt dem μυθος verbunden erst die Sprache der Wissenschaft vollzieht die Abloumlsungldquo(Ebd S 116)
44 In den Schwarzen Heften houmlrt die Sehnsucht nach dem neuen Anfang nicht auf also bis ein-schlieszliglich 1948
45 Meyer Die Entdeckung des griechischen Mythos S 6
13
Gewitter und Blitz sind die Sprache der Goumltter und der Dichter ist derder diese Sprache ohne Ausweichen auszuhalten hat aufzufangen und in dasDasein des Volkes zu stellen hat [] Die Dichtung ist ein Weiterwinkendieser Winke in das Volk oder von diesem her gesehen Dichtung ist []ein Zeigen ein Weisen in welcher Weisung die Goumltter offenbar werden46
Die Rede von bdquoWinkenldquo ist bereits ein Selbstbezug benannte der Autor der
Schwarzen Hefte seine ersten beiden Abteilungen des heutigen 94ten Bandes der
GA als Winke x uumlberlegungen (II) und Anweisungenlsquo und uumlberlegungen und
Winke IIIlsquo47 Diese setzen ein im Jahr 1931 und duumlrften moumlglicherweise bis 1933
oder vielleicht auch 1935 gereicht haben Heideggers Selbstuumlberhoumlhung als mys-
tagogisch bdquodichterisch-denkenden Schaffenden ndash also ihm selbstldquo48 erkennt auch
Meyer bereits ohne die eindeutigen Zeugnisse dieses Wunsches in den Schwarzen
Heften Es ist Heideggers Begehren das Volk seiner Fuumlhrung zu unterstellen bdquoso
dass sich das Wesen dieses Landes selbst findet und vollendetldquolsquo49
Meyer spricht in Folge daran davon was Heideggers Ursprungsmythos den
er in die griechische Altertum legt fuumlr diesen leistet Es ist eben das antiwis-
senschaftliche bdquoWissenldquo von einer bdquoUr-geschichteldquo Welche abgruumlndigen Motive
auch immer da hineinzuprojizieren sind (Bodenhaftigkeit arische Reinbluumltigkeit
abendlaumlndische Groumlszlige etc so wie es sich aus den Schwarzen Heften offenbart)
der Mythos verschraumlnkt Heideggers Streben nach Fuumlhrung als Denker und eine
Begruumlndung fuumlr die vermeintliche rassische uumlberlegenheit des deutschen Volkes
Meyer zitiert den Dichter-Denker mit bdquoMythologielsquo ist Wissen von einer Ur-
geschichteldquolsquo Es ginge um
Wissen nicht im archaumlologisch-musealen Sinn sondern als Prozess [] auchim Sinne dass Heidegger im Moment des Aussprechens gerade das leistetwovon er spricht Mythologie50
Augenscheinlich sieht Meyer keinen Grund dafuumlr von einer mythopoetischen
Textform in der Verschraumlnkung von Heideggers Denkerprophetie und der abend-
46 GA 39 S 31f (zitiert nach Meyer Die Entdeckung des griechischen Mythos S 6)47 Aus dem beigefuumlgten Nachwort des Herausgebers Peter Trawny geht nicht genauer hervor
weshalb zuerst bdquoWinke x uumlberlegungen (II)ldquo und dann bdquouumlberlegungen und Winke IIIldquo signi-fiziert sind Es wird hier davon ausgegangen dass es sich schlicht um das Gleiche handeltwobei der erste Teil sich in den bislang verschollenen Schwarzen Heften befinden muss
48 Meyer Die Entdeckung des griechischen Mythos S 749 Ebd Darin zitiert ist die GA 39 S 28950 Ebd Darin zitiert ist die GA 40 S 165
14
laumlndischen uumlberhoumlhung zu sprechen Die Paarung von Dichtung und Denken al-
lerdings ist fuumlr den Husserlnachfolger erst der Zweck und die Mythologisierung
das Mittel dazu In seiner Schrift uumlber die Religionsphilosophie und ontologi-
sches Wahrheitsverstaumlndnis bei Walter F Ottolsquo schildert der Altersforscher und
Sozialwissenschaftler Schulz-Nieswandt aus Koumlln uumlber die menschliche Existenz
die bdquoMythopoetik als Seins-Vergewisserungldquo51
In jenem Kapitel seines Otto-Traktats von 2014 schreibt Schulz-Nieswandt
wie ein echter Epigone Heideggers von der Wappnung gegen die bdquoKrise der Mo-
derne ndash Entfremdung Einsamkeit Angst Verzweiflungldquo52 An fruumlherer Stelle
seines Buchs stellt sich dar dass Schulz-Nieswandt sich geradezu mit Heideggers
Linie vereint anstatt sich ihr nur anzunaumlhern
Es geht um das wahre Sein aus der Sicht des zu seinem Wesen gelangendenMenschen in dessen Daseinsfuumlhrung was hermeneutisch erschlossen wer-den soll nicht um Wissenschaft als hermeneutische Methode im Kriterien-spektrum zwischen Verifikation und Falsifikation von Hypothesen mittelsProtokollsaumltzen uumlber die Realitaumlt53
51 Schulz-Nieswandt Frank Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis beiWalter F Otto (1874-1958) Eine strukturalistische und psychodynamische RezeptionBaden-Baden 2014 S 58-60
52 Ebd S 58 Dabei spielt Schulz-Nieswandt die Begriffe Epistemologie gegen Ontologie ausund bezeichnet sich selbst als post-strukturalistisch im Sinne der Kritischen Theorie schrei-bend Jedoch erscheinen diese philosophischen Kontraste nur wie bdquoEdelsubstantiveldquo des vonAdorno gemuumlnzten bdquoJargon der Eigentlichkeitldquo Und in genau diesem Jargon laumlszligt der So-zialwissenschaftler Heideggers Urmythos des Goumlttlichen der griechischen Antike (so) inaktueller Praumlsenz wieder auferstehen Es ist erstaunlich dass jemand der die Kritische Theo-rie fuumlr sich reklamieren will Epigone des bdquoJargons der Eigentlichkeitldquo ist So zeigt es sichauch auf S 28 wenn er in Ottos Dionysos bdquodie ganze Tiefe des Menschen zum Ausdruck[bringt DS] die Todeserfahrung des sterblichen Menschen Dionysos ist Hadesldquo Um nocheinmal zu bestaumltigen wie sich Schulz-Nieswandt als Akteur des Jargons gebiert sei hier Ador-no zitiert (dies gilt allerdings nur der Gegenuumlberstellung zum Vorsatz jener wuumlrde sich ander Kritischen Theorie orientieren ohne fuumlr diese zu advozieren) bdquoDer Heideggerschen Phi-losophie schloszlig sich was einmal Pforte zum ewigen Leben war zu sie betet statt dessenWucht und Groumlszlige des Tores an [] Sein wuumlrdevolles Gehabe ist Reaktionsbildung auf dieSaumlkularisierung des Todes [] Darum wird Sinn in den Tod geworfenldquo (Adorno Jargonder Eigentlichkeit S 134)
53 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei WalterF Otto S 15
15
Beiden gemeinsam ist auch die Faszination an Houmllderlin die sie ebenso mit Otto
teilen
Die ganze Eigenart des Denkens von Otto kommt in dem komplett innerenVerhaumlltnis zu Heidegger und Houmllderlin zum Ausdruck54
Nur noch ein Gott kann uns rettenlsquo so das Zitat des Spiegelinterviews das Ja-
kob Augstein zum Titel machte ist die kodierte Mythopoetik auf die sich die
Spiegelleser keinen Reim machen konnten Fuumlr Heidegger fuumlr den das Sein in der
Sprache wohnen sollte55 ging es um den Mythos der Naumlhe zur Antike als Naumlhe
zu den Goumlttern
Fuumlr Houmllderlin war die Theologie der Abwesenheit Gottes als uumlberweltlichePraumlsenz der Verlust der Gotteserfahrung des diesseitig verankerten Men-schen [] Die Antike wird als eine von Goumltternaumlhe charakterisierte Zeitvon Houmllderlin verstanden und erneuert (der kommendelsquo Gott) ersehnt56
Dies ist eine der Leit-Mythen Heideggers insbesondere wenn man sich die Nach-
kriegsvortraumlge ansieht (eben die Bremer Vortraumlgelsquo)
Die Aufhebung der Trennungsangst durch die bdquoAbwesenheit der Goumltterldquo uumlber-
winde der in existenzieller Angst befindliche bdquohomo abyssusldquo mittels bdquoder lie-
bevollen Gestaltung als Sich-Einrichten des Menschen [] als apriorischer Mo-
dus des In-der-Welt-Seinsldquo durch die bdquoEwigkeit der Mythopoetikldquo57 Fuumlr Schulz-
Nieswandt ist Mythopoetik eben nur dieses ein peganistischer Goumltterdienst der
den Kanon der Ottoschen Antike mit Houmllderlin interpretiert Insofern versteht
dieser versuchte Religionsphilosoph der eigentlich Sozialforscher ist Heideggers
Mythologie als schoumlpfend aus geteilter Quelle mit Mythen als Gemeinplaumltzen
derer sich der Denker-Dichter philologisch sicher bediene
Dabei geht es Schulz-Nieswandt umHeideggers Aletheia-Prinzip das er bdquoWahr-
heitsbegriffldquo nennt ndash welches bdquoDie Differenz der Technik als Herrschaft uumlber
54 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei WalterF Otto S 20
55 Vgl GA 7 S56 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei Walter
F Otto S 2157 Vgl Ebd S 59
16
Dinge von der Kunst als Schoumlpfung als Lichtung des Seins zur Wahrheit unter-
scheidetldquo58 Houmllderlins Goumlttliches waumlre darin vermisst und von Bedarf fuumlr den
Menschen Mit der Nomenklatur der griechischen Goumltter Houmllderlins und Ottos
ginge es beim Wahrheitsprinzip um bdquodie Erinnerung an Dionysos als der wie-
der kommende Gott []ldquo sie bdquofuumlhrt zur Lichtung des Seins als Wahrheitldquo59 Der
Mensch waumlre also Hirte seines Seins nicht Herr der Technik zum Sein bdquoDas Sein
ist den Menschen nicht technisch verfuumlgbar Die notwendige Einkehr wird zu
Heimkehrldquo60
Insofern zeichnet Schulz-Nieswandt ganz in Heideggers Sinne nach wie Hei-
mat und Irrationalitaumlt des Mythos zusammenfallen im Kanon der Goumltter-Mytho-
poetik Zum einen ist allerdings Heideggers Mythologie nicht so sehr an diese
Mythopoetik uumlber die Goumltter gebunden sondern bewegt sich frei im eigenwil-
ligen Auslegen von altgriechischen und deutschen Begriffen Zum anderen ist es
erstaunlich dass Schulz-Nieswand 2014 die Bedeutung der Mythopoetik fuumlr Hei-
deggers Ursprungsmythos des neuen Anfangs ignoriert und damit auch die gan-
ze voumllkisch-nationale Aura und damit die Abgrenzungspolitik Vor allem aber
richtet sich Heidegger nicht in einer bdquoliebevollen Gestaltungldquo menschlich ein
wie Schulz-Nieswandt es schon pathetisch darstellt sondern befeinded sich mit
allem ihm Zuhandenen als bdquoRaprochementldquo61 in alle Richtungen und pocht auf
bdquogeschichtliche Besinnungldquo als bdquoAuftrag des Deutschenldquo62
221 Formen der Mythologie
Mit den zwei oben herangezogenen Arbeiten uumlber Mythologisieren und Mytho-
poetik Heideggers sollte in dieser Arbeit das Verstaumlndnis seines Projekts der an-
tirationalen und antitechnischen Ausrichtung in den aktuellen Forschungsstand
gestellt werden Um welche Mythologie es sich in den Schwarzen Heften handelt
wird im Folgenden aufgedeckt werden Bereits in dem ersten Heft der Denktage-
58 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei WalterF Otto S 58
59 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei WalterF Otto S 59
60 Ebd61 Wolin Richard Heideggers bdquoSchwarze Hefteldquo Nationalsozialismus Weltjudentum und Seins-
geschichte In Vierteljahrsheft fuumlr Zeitgeschichte Bd 63 Heft 3 S 379-41062 GA 94 S 66
17
buumlcher verschmilzt Heidegger seine Vision von Dichten und Denken stellt sich
unter dieses Ideal
Dichten undDenken ineinander geschlungen und so waumlre ihrWas im verbindend-trennenden Bestimmen gewonnen63
Als bdquoAusgriff in den Begriffldquo versteht Heidegger dies als bdquovorschreibend-bildenden
Entwurfldquo der hinfuumlhrend zum Ereignis des Aletheia-Prinzips waumlre ndash
(Dichtung als Mythos
Dichtung als Dichtung im engeren Sinne gtgtGedichtltlt
Dichtung als Philosophie)64
Grundsaumltzlich ist die lose wirkende Legion von Lemmata nicht mit einer
Ruumlckfuumlhrung seiner Gedanken auf bestimmte griechische Goumltter und antike (ech-
te) Mythen besetzt Heidegger fetischisiert Begriffe und mythologisiert die von
ihm aufgepfropfte Bedeutung durch ein staumlndiges Wiederholen und Weiterden-
ken als bdquoWissenldquo wie Meyer es herausgearbeitet hat In dieser philosophischen
Alchemie sieht sich Heidegger als Denker als Bewahrer einer uralten Lehre die
eben neu widererstarken muumlsse Das hat Meyer auch schon klar gemacht Die My-
thopoetik erscheint aber hauptsaumlchlich nicht in den Schwarzen Heften sondern in
den Vortragspublikationen sich auf seine private Mythologie beziehend die in
den Schwarzen Heften zu Grunde gelegt wird
Die Mythen Heideggers drehen sich wie Meyer zurecht behauptet um den
Ursprung bei den Griechen den bdquoGrund der Geschichte des Abendlandesldquo65
Aber auch um die vielen Binaritaumlten die sich entgegengesetzt werden und tat-
saumlchlich wie der Heidegger-Herausgeber und Initiator und Leiter des Wupper-
taler Heidegger Instituts Peter Trawny es benannt hat auf einen Manichaumlismus
zulaufen66 Die Abgrenzungspolitik im Sinne des schuumltzenswerten abendlaumlndisch-
heimatlichen Deutschlands richtet sich gegen den inneren Feind vorangetrieben
63 GA 94 S 6564 GA 94 S 6665 GA 96 S 20566 Trawny Peter Heidegger und der Mythos der juumldischen Weltverschwoumlrung Frankfurt am
Main 2015 S 22Das hier aufgefuumlhrte Buch birgt einige problematische Umformungen zum Verhaumlltnis von
Heideggers Antisemititsmus Allem voran versucht es eine Begriffsbildung zu formen nach
18
von der Rechenhaftigkeit des juumldischen Wesens und die aumluszligeren Feinde wie Ameri-
kanismus franzoumlsische Kultur russischer Bolschewismus usw Heideggers Urmythos
vom neuen Anfang ist verquickt mit einem selbstangedichteten Personenmythos
was ebenfalls Meyer schon erkannt hat Dieses Schema ist die Grundstruktur
Immer deutlicher wird in mir die Ahnung daszlig unsere Heimat der Kerndes suumldwestdeutschen Landes [er selbst DS] der geschichtliche Geburtsortdes abendlaumlndischenWesens sein wird [] es ist das Geistvolle und zugleichdas erdenhafte schoumlne Land Es birgt unsichtbaren Reichtum dem Gemuumltbewahret tiefstes Dichten und houmlchste Gestalt der Sage67
Die mitunter wichtigste Dichotomie die Heidegger in den Denktagebuumlchern
aufwirft ist die zwischen Historie und Geschichte Es ist insofern nicht nur der
Mythos des neuen Anfangs der Heideggers Denken uumlber fast zwei Dekaden be-
stimmt sondern umso mehr die doppelte Projektion ndash des Verfalls (Machenschaft)
in eine Konstruktion von Historie und des Bestehens (Sein) in die konstruierte
Geschichte68 Geschichte faumlllt dann schlieszliglich mit der Schaffung des neuen An-
fangs so zusammen wie Historie mit Technik verschraumlnkt wird Geschichtlichkeit
muss durch das Prinzip des Ereignisses der Aletheia prozessiert werden waumlhrend
die verrationalisierte wissenschaftliche technische Historisierung des Lebens und
der Lebenswelt dem widerstrebt
Die Bindung von Heideggers Vorstellung des richtigen Lebens im Sein mit
demAbendland und einer voumllkisch-nationalen Groumlszlige undUumlberlegenheit Deutsch-
lands ist dabei ausschlaggebend Denn mit der Charakterisierung des Guten auf
derer Heideggers Antisemitismus mittels Heideggers Denkmethode behandelt aufgehobenwerden koumlnnte Die Hauptbegriffe darin sind bdquoSeinsgeschichtlicher Antisemitismusldquo undbdquoKontamination des Denkensldquo Von einer tieferen Auseinandersetzung muss an dieser Stelleabgesehen werden
67 GA 97 S 5468 In Band 66 der GA gibt es bereits einen kleinen Abriss der Historie und Techniklsquo die der Ge-
schichte gegenuumlbergestellt werden Das dies eine Uumlbertragung der Gedanken aus den Schwar-zen Heften ist ist ohne Zweifel Ein ansatzweise philosophisches Vorgehen vermengt sichdort mit dem poeto-mythologischen Denken Heideggers In Sachen mythopoetischer Figu-ren undMetaphernreichtum haumllt sich dieser dort aber noch zuruumlck (auch wenn er hier bereitsoumlffentlich vom bdquohistorischen Tierldquo redet) Die Absicht Technik und Historie als Verstellungdes abendlaumlndischen Menschen zu brandmarken stehen dabei im Vordergrund Weiterhinsoll in dieser Arbeit allerdings der Fokus auf den Schwarzen Heften und der Mythopoetik inden Technikvortraumlgen der Nachkriegszeit liegenDer Duden sieht Geschichte und Historie als Synonyme Von einer Ethymologie und der
Spekulation von Heideggers Gruumlnden der Auseinanderhaltung der zwei Synonyme soll hierabgesehen werden
19
der Seite des Seins sind die Feinde dessen eine Notwendigkeit seines Erklaumlrungs-
schemas Dabei sind es vor allem die Juden denen die Wurzel des Antiseien-
den von Heidegger in ihr vermeintliches Wesen geschrieben wird Exemplarisch
spricht dafuumlr dieses Zitat aus Band 96
Die zweite Machtsteigerung des Judentums aber hat darin ihren Grund daszligdie Metaphysik des Abendlandes zumal in ihrer neuzeitlichen Entfaltungdie Ansatzstelle bot fuumlr das Sichbreitmachen einer sonst leeren Rationalitaumltund Rechenfaumlhigkeit die sich auf solchem Wege eine Unterkunft im Geistlsquovarschaffte ohne die verborgenen Entscheidungsbezirke von sich aus je zufassen zu koumlnnen69
Diese Vorstellung ist eine Konkretisierung dessen was Heidegger mit den Uumlber-
begriffen Historie vs Geschichte einige Jahre vorher begann zu topografieren
Wir sind durch die Historie geschwaumlcht [] ndash wir koumlnnen nur durch das ge-rettet werden was uns in seiner Verfaumllschung widert ndash durch die Geschich-te70
Dieses bdquoWirldquo sind die glorifizierten Deutschen vor allem nach der Ableitung von
den Griechen uumlber Houmllderlin (und dessen Griechen) und Nietzsche zu ihm und
seinem kleinen Kreis von ihm anerkannter Intellektuellen-Kollegen wie etwa
Carl Schmitt Oswald Spengler Walther F Otto und Ernst Juumlnger Die Luft auf
Heideggers Denker-Olymp ist duumlnn und bekommt nur Wenigen
Die Geschichte in Heideggers solipsistisch-immanenten Nachdenken erklaumlrt
sich wie gesagt immer zusammen mit der Hoffnung auf den neuen Anfang und
als Besinnung auf das Denken als Akt gegen die Historie Die Paarung der zwei
Woumlrter bdquoGeschichteldquo und bdquoBesinnungldquo durchzieht in deutlicher Haumlufigkeit alle
vier Baumlnde der Schwarzen Hefte ndash bdquogeschichtliche Besinnung [] ist die Uumlberwin-
dung der Historie und des Historismusldquo und sie bdquobedarf der houmlchsten Strenge
hinter der die historische Exaktheitlsquo weit zuruumlckbleibtldquo ndash somit ferner bdquonur wer
Geschichtemacht vermag sie auch zu errettenldquo71 Das oben mit Meyer und Schulz-
69 GA 96 S 4670 GA 94 S 26771 GA 94 S 358f
Dass die Besinnung eine militante Perspektive hat laumlszligt sich auch in Heideggers Vereh-rung Heraklits ldquoDer Krieg ist der Vater aller Dingerdquo finden Heidegger sah sich selbst alsDenker als Propheten des Seins Aus dieser Warte betrachetete er zuerst den Nationalsozia-
20
Nieswandt bereits aufgezeigte Bereiten des Goumlttlichen legt Heidegger in seinen
Begriff der Geschichte
Geschichte ndash das Gewagtwerden der Goumltter nur Groszlig als Untergang oderSieg ndash nicht Dauerlsquo wesentlich ndash sondern die Abgruumlndigkeit der Erstrei-tung ndash Opfer und Weile
Historie ist bei Heidegger bdquogeschichtliche Entwurzelungldquo die bdquoTyrannei der
Technikldquo bdquoSelbstvergoumltterungldquo und bdquoAbgoumltterei der Technikldquo72 In einer skizzen-
haften Emanationsfolge wird dieHistorie als Modus der Technik auf sich selbst zu-
ruumlckgefuumlhrt bdquoDas Riesige ndash [] Historie die Technik der Geschichtelsquo Technik
Die Historie der Naturldquolsquo73 Es ist vage annehmbar dass Heidegger hier die Tech-
nik als rechenhafte machenschaftliche Historisierung der Natur versteht die vor
dem Geschichtsbegriff stattgefunden haumltte Diese wiederum haumltte die Geschichte
in die rechenhafte Machenschaft verfremdet Wie ein Apparat erscheint Heidegger
der Gegenstand seiner Historie zu sein die sich automatisch durchsetzen wuumlrde
Die Historie stellt zunaumlchst das Nacheinander der Begebenheiten dessenwas vorbeizieht (passiertlsquo) her [] Sie erklaumlrt dann Spaumlteres aus dem Fruuml-heren sie findet sogar dass Ideen die Geschichtelsquo bestimmen74
Den historisierend narrativen Umgang mit Geschichte als Wissenschaft emp-
findet Heidegger als Technisierung derGeschichte Diese wiederum basiert auf den
statischen Topoi seiner Mythen von Vaterland Bauerntum Houmllderlin alten Grie-
chen den Goumlttern etc und der Anwendung des Aletheia-Prinzips im Ereignis
Das ist ein Tugendenkatalog der Deutschtuumlmelei mit einer paumldagogischen Kom-
ponente seine Mythologie im Aletheia-Prinzip zu praktizieren Er nennt dieses
Geschaumlft auch Denken und ahnt dessen Feinde bdquodie Forscher die in der Technik
ihres Arbeitens keine Reibung dulden und ihr Wissen fuumlr den Geist haltenldquo75
lismus und nach dem Krieg den real existierenden Sozialismus des Ostblocks im Zuge deratomaren Aufruumlstung als Vollstrecker Macher der Geschichte die den neuen Anfang ebnensollten Dass Heidegger diese bdquoklaumlrendeldquo Wirkung tatsaumlchlich spaumlter den Russen zuschreibtlaumlszligt sich in Band 97 der GA zweifelsohne nachvollziehen Hier kann aus Gattungsgruumlnden(BA-Thesis) nicht naumlher auf dieses Faible fuumlr absolutistische Regime eingegangen werden Je-denfalls ist die geschichtliche Besinnung und der Kriegsakt ein Widerspruch den Heideggerjedoch gleichsam adressiert Auch dies kann hier nicht weiter untersucht werden
72 GA 9473 GA 95 S 35174 GA 96 S 6275 GA 97 S 509
21
Insofern verschraumlnkt Heidegger das bdquohistorisch-technischeldquo zum Antagonis-
ten der bdquogeschichtlichen Besinnungldquo Es ist die Entwicklung einer historisch-
geschichtlichen Differenz unter dem Zeichen der Besinnung gegen die techni-
sche Machenschaft ndash es geht um zwei unterschiedliche Wissenssysteme76 In den
Schwarzen Heftenwird Technikmeistens als eine Seite der Muumlnze mit der anderen
der Historie genannt Sie haumltten eine schon angedeutete dualistische Dynamik
Wo beide Historie und Technik in solcher scheinbaren Gegensaumltzlichkeitverkoppelt sind koumlnnen sie sich zur Foumlrderung dessen zusammenschlieszligenwas einstmals wesentliche die Geschichte des Menschen mitbegruumlndet undwas wir die Kunstlsquo nennen Die Historie verschafft [] Anregungen undVorbilder der Nachahmung die Technik erleichtert [] die Zustellung vonDarstellungsmitteln und Wirkungsformen [] Gleichwohl ist alles wurzel-los [] berechnet und als Erlebnislsquo ausgegeben77
Diese vermeintliche Gefahr muumlnde als bdquoZuumlgellosigkeit des Historismusldquolsquo in der
bdquoBodenlosigkeit [] (das Judentum)ldquo78 Heideggers Mythos ist hier dieser bdquoWir
muumlssen zuvor geschichtlich sein [] Ohne diese uumlberlieferung verfaumlllt alles der
historisch-technischen Machenschaftldquo79
Heidegger mythologisiert uumlber den bdquoAuftrag des Deutschenldquo80 will in bdquoge-
schichtlicher Besinnung sehr weit zuruumlckgehen ndash auf den Zusammenhang von
τέχνη ἀλήθεια und οὐσίαldquo81 um Technik auf ihr Wesen im antiken Ursprung
zuruumlckzufuumlhren bdquoDie techne hat [] den Sieg uumlber die [] aletheia errungenldquo82
Heidegger will sie zuruumlckgewinnen Er will der Technik aus dem bdquoEreignisldquo83
wieder uumlbermaumlchtig werden und sieht das bdquoWesen des Vaterlandesldquo84 im Abend-
land Dabei ist es ihm unentbehrlich zu wissen bdquodaszlig das Griechentum [] und
76 Heideggers noch immer vorhande Rezeption in Puncto seiner Technikphilosophie erstauntdamit dass sein Prinzip der aletheiologischen Besinnung als alternatives Wissenssystem undTechnikkritik ob der eigenwilligen Konstruktion den Entwicklungen der Zeit standhaumllt
77 GA 95 S 21278 GA 95 S 9779 GA 96 S 10480 GA 94 S 6681 GA 94 S 35782 GA 95 S 13283 Ebd84 GA 96 S 52
22
nicht das Roumlmertum der Grund der Geschichte des Abendlandes istldquo85 Sein My-
thos von Heimat verknuumlpft sich uumlber Dichtung und Ereignis zu einem fuumlr die
Technikphilosophie essentiellen Bezugs-Topos
Wir brauchen keine Technik [] Das Wesen des Vaterlandes ist das Abend-land In ihm werden die Deutschen erst deutsch und erkennen die Muttervon Allem die unversehrte Erde [] Die Wahrheit erfahren wir im Ge-daumlchtnis Das Gedaumlchtnis ist die Dichtung Die Dichtung sagen der Denkerund Saumlnger in ihrem Gespraumlch Dieses Gespraumlch erst ereignet dichterisch dieDichtung in die Sprache (die Dichtung das Ereignis und das Ereignis dasAbendland) [] Wohnt in seiner Sprache [] seyd dem Seyn im Seyn Soist Sein das Seyn86
Eine weitere mythologische Form haben seine Fuumlgungen von Jahreszahlen
womit er bereits in den Bereich des Okkulten Mystischen abzurutschen droht
Houmllderlin wurde [] 1770 geboren [] 1870 aber Lenin Waumlhrend der []Lebenszeit Houmllderlins vollzogen sich die entscheidenden technischen Entde-ckungen und Erfindungen der neuzeitlichen Technik (1774ndash1806)87
Und ferner bdquo1807 Phaumlnomenologie des Geistes 1867 Das Kapital 1927 Sein
und Zeitldquo88
Als letzter Mythos sei hier sein Aufgriff der Spenglerschen Metapher des
Raubtiers89 aufgezeigt Uumlber weite Strecken philosophiert Heidegger uumlber das his-
torische Tier Das historische Tier muumlsse vernichtet werden die bdquodeutsche Zukunft
wirdlsquo nicht erst seinlsquo sie istlsquo schon seit Houmllderlin sie stifteteldquo90 Der Homo
faber ist fuumlr Heidegger das historisch-technische Tier qua der bdquoAngewiesenheit auf
das Tierhafte als Wesensgrundldquo91 Es fehle ihm was bdquodie Griechen als Anfangen-
deldquo mit der bdquoZugewiesenheit des Menschen zum Sein gewagt habenldquo92 wodurch
85 GA 96 S 20586 GA 97 S 52f Hierbei handelt es sich um eine Nachkriegsnotiz Heidegger aumlnderte den die
Adressierung in eine direkte Ansprache richtet sich an seine imaginierte Volksgemeinschaft87 GA 96 S 17488 GA 97 S 131 Womoumlglich ist es eine Uumlbung per Jahreszahlen das Aletheia-Prinzip zu prakti-
zieren eine Kontemplationshilfe Andererseits koumlnnte er auch der Regelmaumlszligigkeit der Zah-lenfolgen eine uumlbernatuumlrliche bdquoWahrheitldquo beimessen Dies bleibt an dieser Stelle unerforscht
89 VGl Spengler Oswald Der Mensch und die Technik Muumlnchen 1931 S 1090 GA 95 S 19791 GA 95 S 32092 GA 95 S 321
23
er den bdquoGoumlttern unertraumlglich gewordenldquo93 waumlre Das bdquoRaubtierldquo dem gegenuumlber
bdquoist die Urform des Heldenlsquoldquo94 Dann behauptet Heidegger dass das Raubtier das
historisch-technische Tier durch Anwendung seiner eigenen Waffen schlagen koumlnn-
te Es ist dabei die bdquoUumlberwindung der Metaphysikldquo mitgedacht die erfolge sobald
sich das metaphysische Fragen durch den Wille zum Willen verfestigt95 Auch
Spengler dachte an dieses Derivat des Nietzsche Topos vomWillen zur Macht das
er seiner antropomorphen Chimaumlre vom Raubtiermenschen eingibt Wieder ist
von der Gewalt die Rede die ein Tabula rasa schaffen sollte zur Wiederauferste-
hung des griechisch-abendlaumlndischen Anfangs in Deutschland bdquoDas Raubtier aber
mit denMitteln der houmlchsten Technik ausgestattet ndash vollendet die Verwirklichung
der brutalitas des Seinsldquo96
Es scheint so als haumltte Heidegger auf jeden Begriff einen Gegenbegriff (selbst
zum historisch-technischen Tier das Raubtier)97 Aber es geht hier nicht um die
Analyse ausgewogener Formprinzipien oder die Kritisierung seiner linguistischen
philologischen Faumlhigkeiten Die Zitierung der Heideggerschen Mythologie soll
seine Verbindung von voumllkisch-nationaler und antisemitischer Haltung mit den
Bedingungen und Anspruumlchen seines Philosophierens aufzeigen Da die Schwar-
zen Hefte wie alle sonstigen Werke seines philosophischen Schaffens in der GA
erschienen sind muumlssen sie insofern als Teil derer gelten Das bedeutet dass sie
ausreichend Relevanz fuumlr die Arbeiten uumlber die Technik haben98
93 GA 95 S 23694 GA 95 S 39795 Vgl GA 7 Uumlberwindung der Metaphysik S 7896 GA 95 S 39797 Vgl Rudolph Heideggers Schwarze Hefte im Echo S 151 bdquoKeiner hat Nietzsche so konse-
quent und wahnwitzig zumNazi avant la lettre verformt wie Heidegger und keiner hat einenzuvor gewaltsam gefuumlgig gemachten Nietzsche so konsequent instrumentalisiert um damitdie vulgaumlr- nationalistische Dekadenz im Sandwich zu geiszligeln wie Heidegger Die Philolo-gie ndash auch die klassische ndash (Colli Cancik Montinari) hat Nietzsche inzwischen laumlngst mitnachhaltigem Erfolg rehabilitiert Wer jetzt noch einen roten Faden von Nietzsche zu Hitlerzieht hat nur noch Heidegger auf seiner Seiteldquo
98 Zum Abschluss dieses Kapitels sei hinzugesagt dass der Veranschlagung der Beispiele vonHeideggers Mythologie ein Exzerpt von 13 Seiten aus 1700 Seiten Text der vier Baumlnde derSchwarzen Hefte zugrunde liegt Beim Studium dieser fielen die staumlndigen Repetitionen derimmer gleichen Figuren und Metaphern auf Daraus wurde geschlossen dass es sich um eineMythologie handeln kann was ein weiteres Forschen bestaumltigte Die hier zitierten Stellensind Topoi die sich in Huumllle und Fuumllle in jedem der vier Baumlnde finden lassen was ihrenmythischen Charakter unterstreicht Die Auswahl versucht ein besonders charakteristischesBild wiederzugeben
24
3 Heideggers mythopoetische
Technik
War Heidegger von seinem neuen Anfang nur zu traumlumen vergoumlnnt so gelang
ihm selbst aber die Wiederauferstehung aus der Asche des ZweitenWeltkriegs mit
der Vortragsreihe in Bremen (1949) uumlber die Technik Der Phoumlnix erweist sich
mittlerweile als Ikarus Anstatt sich selbst zu revidieren fordert Heidegger eine
Kehre ein die auf sein Programm der geschichtlichen Besinnung zum Ursprung ab-
zielt Rezipienten seiner Technikphilosophie taten zumeist seine voumllkischen und
nationalsozialistischen Verstrickungen mit der Niederlegung des Rektorats ab99
Sie glaubten an einen inneren Wandel Heideggers eine Laumluterung und sogar an
seinen geistigen Widerstand uumlber die Naziherrschaft hinweg100 Heute ist erwie-
sen wie Heidegger es aus seinem posthumen Gestaumlndnis in die Welt lecken laumlsst
dass er auf seine private Weise eine Form Nationalsozialismus hegte der die NS-
DAP und Hitler zwar als Vulgaumlrnazis kulturell degradierte aber sich selbst als
Denker-Nazi gerierte
Wie damit umzugehen ist steht aktuell in der Verhandlung Wie Rudolph es
behauptet stuumlnden die Heideggerianer bdquonun mit wertlosen Aktienldquo101 da Der
Kommunikationswissenschaftler Christian Fuchs sieht den Antisemitismus den
die Schwarzen Hefte zutage treten lassen als Notwendigkeit einer rigorosen Ver-
bannung Heideggers aus der technikphilosophischen Theorie102
99 Vgl Luckner Andreas Heidegger und das Denken der Technik Bielefeld 2008 S 64-69100 Vgl Babich Babette Nietzsche Heideggers Widerstand In Alfred Denker u Holger Zabo-
rowski (Hg) Heidegger-Jahrbuch 5 Heidegger und der Nationalsozialismus II Interpreta-tionen S 397-416
101 Rudolph Heideggers Schwarze Hefte im Echo S 146102 Vgl Fuchs Christian Martin-Heideggerrsquos anti-Semitism Philosophy of technology and the
media in the light of the ldquoBlack Notebooksldquo Implications for the reception of Heidegger inmedia and communication studies In tripleC Communication Capitalism amp Critique 13(1) (2015) S 55-78 hier S 74 Anstatt dessen pocht Fuchs auf die alternative Verwendungder Kritischen Theorie uumlber Fragestellungen zur Technik
25
It seems to me that Heideggerrsquos fetishism is often lrsquoart pour lrsquoart Heideg-ger pour Heidegger a tactic that aims at creating an aura of complexity byevoking Heidegger although the same content could be expressed withouthim103
Fuumlr Trawny waumlre dies ein bdquoperformativer Widerspruch [] stets daran zu erin-
nern Heidegger vergessen zu sollenldquo104 Quo vadis Heidegger
Die objektive Antwort Rudolphs der an den Commonsense und die Beweis-
last der Anklage glaubt wie auch der subjektive Appell Fuchs der es zur mora-
lischen Entscheidung des Einzelnen macht Heidegger zu vernachlaumlssigen setzen
aktuell die Jahrzehnte alte Tradition der Heidegger-Kontroverse fort Ein im Sep-
tember 2016 erscheinender Sammelband wird zusaumltzlich die Debatte mit neuen
Bewertungen anreichern105
In diesem Kapitel soll es nicht um die direkte Einreihung in eine der bestehen-
den Polemiken gehen sondern um den Versuch der Betrachtung der spaumlten Tech-
nikphilosophie Heideggers als mythopoetische Dichtung in seinem Sinne des
Philosophierens Als exemplarisches Werk ruumlckt damit das Vortrags-Geviert der
Bremer Vortraumlge ins Zentrum der Anschauung106 Hier wird davon ausgegangen
103 Ebd S 73104 Trawny Heidegger und der Mythos der juumldischen Weltverschwoumlrung S 141105 Heinz Marion und Kellerer Sidonie (Hg) Martin Heideggers raquoSchwarze Heftelaquo Eine
philosophisch-politische Debatte Berlin 2016 (im Druck) Aus dem Klappentext diesesTitelsbdquoOffene antisemitische Aumluszligerungen in diesen Denktagebuumlchern haben in der nichtakade-
mischen Oumlffentlichkeit fuumlr Empoumlrung gesorgt Die entscheidende Frage ist jedoch welcheVeraumlnderungen der Perspektive auf Heideggers Denken insgesamt sich dadurch ergebenund ob damit zugleich eine Neubewertung des Gesamtwerks eines der einflussreichstenPhilosophen des 20 Jahrhunderts noumltig istldquoEine der Herausgeberinnen des Bandes Sidonie Kellerer ist zudem an einem anlaufenden
fuumlnf jaumlhrigen Forschungsprojekt an der Universitaumlt Stuttgart im Rahmen des StuttgartResearch Centre for Text Studies beteiligt Heidegger und die Postmoderne Geschichteeiner Irrefuumlhrungiquest Sie und der Stuttgarter Literaturwissenschaftler Claus Zittel werden Hei-deggers ideologische Verstrickungen in den Nationalsozialismus untersuchen die textlichrekonstruierbar aber nachtraumlglich geklittet worden waumlren bdquoSo konnte die Wissenschaft-lerin Dr Sidonie Kellerer anhand des Vortrages Die Zeit des Weltbildeslsquo erstmals 1950veroumlffentlicht [sic] dass zahlreiche Passagen nachtraumlglich so modifiziert wurden dass dieurspruumlngliche Apologie des Nationalsozialismus nunmehr als Kritik am Regime gedeutetwerden konnte Die 2014 erschienenen Schwarzen Heftersquo mit persoumlnlichen AufzeichnungenHeideggers bestaumltigen zudem wie tief verankert in seiner Philosophie Rassismus undNationalsozialismus waren und bliebenldquo(httpwwwuni-stuttgartdehkompresseservicepressemitteilungen201567_kellererhtmlzuletzt abgerufen am 1442016)
106 Von einer umfassenderen Analyse der Schriften Heideggers zur Technik muss aus Platzgruumln-den abgesehen werden Die Voumlrtraumlge vom Ge-stell der Technik der Kehre und dem Dingsind vor allem wegen ihres Publikationszeitraums interessant da sie direkt an die Dokumen-
26
dass Heidegger den Versuch der abgrenzungspolitischen Einflussnahmemacht ge-
maumlszlig der oben dargelegten Ressentiments die sich in einer Mythologisierung des
Abendlandes niederschlagen Um seinem Ideal des dichtenden Denkens als Philo-
sophieren nachzukommen will Heidegger diese Einschreibung des Abendlandes
mythopoetisch vollfuumlhren
Grundsaumltzlich ist Verbindung und Trennung Heideggers boumlser Schwarzer Hef-
te mit und von seiner guten Technikphilosophie das Schlachtfeld aktueller De-
batten Wie bereits darauf hingewiesen werden hier Schwarze Hefte und Veroumlf-
fentlichungen wie eben in Form der Bremer Vortraumlge als ein kontinuierlicher
Arbeitsprozess gesehen Es gibt insofern nur einen Heidegger und keine gespal-
tene Persoumlnlichkeit Die Siegener Philosophin Sodonie Kellerer stellt dies anhand
Heideggers Selbstsicht luzide dar
Seine immer wiederkehrende Beschwoumlrung des Werkeslsquo und seine an diver-sen Stellen der bislang vorliegenden Briefkorrespondenz artikulierten Be-muumlhungen dieses Werklsquo fuumlr die Nachwelt zu sichern [Kellerer bezieht sichhier ua auf Heideggers Briefwechsel mit seiner Frau der 2007 veroumlffentlichtwurde DS] verdeutlichen wie sehr er seine Texte als ein Ganzes verstandin dem keines der Teile entbehrliche Wiederholung geschweige denn irrele-vante Eroumlrterung ist107
Dabei allerdings wird die Frage offen bleiben mit welchem Maszlig er sich selbst ge-
faumlhrdet sah seine Ansichten oumlffentlich zu vertreten und welche Konsequenzen er
dabei fuumlrchtete Denn er musste die Vortraumlge kodieren ndash was er im Sinne der My-
thopoetik auch macht ndash und mit Einigem hinterm Berg halten108 Dass es dabei
verschiedene Offenbarungsebenen gibt wird hier erst einmal hingenommen Es
interessieren staumlrker nachweisbare Bezuumlge des Entwurfsdenkens Heideggers zur
Oumlffentlichkeitsarbeit von ihm109
te der Schwarzen Hefte anschlieszligen (1948 der letzte Band der Schwarzen Hefte umfasst denZeitraum 1942-1948)
107 Kellerer Sidonie Kampf der Besinnung In Deutsche Zeitschrift fuumlr Philosophie Band 63Heft 5 Seiten 941ndash957 hier S 942
108 Weshalb die Veroumlffentlichung der Schwarzen Hefte auch weitestmoumlglich nach hinten verlegtwurde
109 Wuumlrde man dem entgegenhalten dass Heideggers vermeintliches Genie aus Formalisierun-gen seiner Gedanken ableitbar eine wichtige Quelle an sich bliebe scheitert dieses damitdass nun die Formalisierungen nicht personenneutral sozial-epistemologisch bestehen koumln-nen Als Vergleich wuumlrde man aus Hitlers und Goumlbbels Reden Formalisierungen isolierenlieszlige sich bestimmt die eine oder andere plausible Idee entwenden (wenn sie voumlllig dekon-
27
Hierzu wird der Text der gesamten vier Vortraumlge unter dem Titel Einblick
in das was ist Bremer Vortraumlge 1949lsquo110 aus dem 1994 veroumlffentlichten 79 Band
der GA zugrunde gelegt Das hat den Grund dass davon ausgegangen wird dass
der Text somit am naumlchsten an den 1949 tatsaumlchlich vorgetragenen Manuskripten
liegt Insofern ist eine realistische Annaumlherung an eine mythopoetische Uumlbertra-
gung der Schwarzen Hefte in die Bremer Vortraumlge 1949 das Ziel Demgegenuumlber
gibt es ob der virulenten Publikationspraxis von Heideggers Schriften111 noch
andere Auskopplungen der vier Vortraumlgsteile mit den Titeln Das Dinglsquo Das Ge-
Stelllsquo Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo
31 Zur Publikationsgeschichte von den
Bremer Vortraumlgen 1949
Zuerst erschien 1954 im Neske-Verlag (Pfullingen) ein Sammelband der lediglich
den ersten Vortrag Das Dinglsquo enthaumllt allerdings in leicht erweiterter Fassung
so wie er ein halbes Jahr nach dem Bremer Auftritt in Muumlnchen (1950) an der
Akademie der Schoumlnen Kuumlnste gehalten wurde112 Dem Band hinzugefuumlgt ist aber
zudem ein Vortrag der vornehmlich die Kernaussagen von Das Ge-Stelllsquo und
Die Gefahrlsquo verbindet allerdings in modifizierter Form Dieser wurde unter dem
textualisiert wuumlrde) Ist aber die wahre Verbindung zu Hitler und Goumlbbels hergestellt hatman selbstverstaumldlich die Verantwortung zu tragen an dem ganzen Tross von unmoumlglichenVerfehlungen dieser Menschen die sie fuumlr uns zu Personae non gratae stempeln muumlssen
110 GA 79111 Hierauf macht auch der Darmstaumldter Philosoph Gernot Boumlhme aufmerksam als Akt ei-
ner bdquoposthumen Selbstinszenierungldquo in Boumlhme Gernot Selbstinszenierung uumlber Ruhmin der Philosophie In Information Philosophie (Online Ausgabe 12015) URL=lthttpwwwinformation-philosophiedea=1ampt=8232ampn=2ampy=5ampc=29gt zuletzt ab-gerufen am 2442016)
112 Heidegger Martin Das Ding In Ders Vortraumlge und Aufsaumltze Pfullingen 1954 S 163ff
28
Titel Die Frage nach der Techniklsquo113 am 18 November 1953 an der TUMuumlnchen
gehalten
Eine weitere Auskopplung diesmal des letzten Vortragsteils Die Kehrelsquo fin-
det sich in einem broschuumlrenformatigen Band wiederum im Zusammenspiel mit
dem Vortrag Die Frage nach der Techniklsquo in Die Technik und die Kehrelsquo114 von
1962 wieder Somit wurden die Vortraumlge Das Ge-Stelllsquo und Die Gefahrlsquo lange
Zeit nicht veroumlffentlicht sondern als vermischter und modifizierter Text eben
Die Frage nach der Techniklsquo jeweils zusammen mit Das Dinglsquo (1954) und Die
Kehrelsquo (1962) angeboten115 In der Vorbemerkung zu Die Technik und die Keh-
relsquo wird diese kleine Chronologie leicht verfaumllscht auch aufgezeigt Darin heiszligt
es ferner dass Die Frage nach der Techniklsquo eine erweiterte Fassung von Das Ge-
Stelllsquo waumlre Dem ist wie schon gesagt nicht so Sondern es ist eine modifizierte
Vermischung von Das Ge-Stelllsquo und Die Gefahrlsquo was unschwer zB am Begriff
vom bdquoHer-vor-bringenldquo116 zu erkennen ist der in Die Gefahrlsquo eingefuumlhrt wird
und in Die Frage nach der Techniklsquo die gleiche Bedeutungskonstituente bildet
Mit der Veroumlffentlichung des 79 Bandes der GA 1994 wurden alle vier Bremer
Vortraumlge von 1949 publiziert In Band 11 der GA erschien 2006 auszligerdem Die
Kehrelsquo in ihrer urspruumlnglichen Fassung Die Frage nach der Techniklsquo enthaumllt
weniger mythopoetische Teile als Das Dinglsquo und operiert demgegenuumlber staumlrker
anhand klassisch philosophischer Allgemeinplaumltze Derer sind vor allem zu nen-
113 Heidegger Martin Die Frage nach der Technik In Ders Vortraumlge und Aufsaumltze Pfullingen1954 S 9ff (Der Aufsatz erschien ebenfalls 1954 im Sammelband der Vortragsreihe DieKuumlnste im technischen Zeitalter Heidegger Martin Die Frage nach der Technik In DieKuumlnste im technischen Zeitalter Dritte Folge des Jahrbuchs Gestalt und Gedanke Hg v dBayrischen Akademie der Schoumlnen Kuumlnste Muumlnchen 1954 S 70ff)
114 Heidegger Martin Die Technik und die Kehre Pfullingen 1962115 Beide Baumlnde Votraumlge und Aufsaumltzersquo sowie Die Technik und die Kehrersquo haben hohe Aufla-
genzahlen (Uumlbersetzungen wurden hier nicht recherchiert wobei es aber eine internationa-le Heidegger-Rezeption gibt) 1993 wurde der Pfullinger Neske-Verlag von dem StuttgarterHaus Klett-Cotta uumlbernommen was die Buumlcher aber unveraumlndert belaumlsst Vortraumlge und Auf-saumltzelsquo zaumlhlt seit 2009 die 11 Auflage Die Technik und die Kehrelsquo seit 2014 die 13 BeideBaumlnde sind vergriffen Es mutet unverstaumlndig an weshalb eine fehlerhafte Jahresangabe ausder ersten Veroumlffentlichung von Die Technik und die Kehrelsquo bis 2014 kolportiert wurdeDort steht der Vortrag Die Frage nach der Techniklsquo waumlre am 18 November 1955 gehaltenworden Der Vortragstermin war aber am 18 November 1953
116 Vgl GA 79 S 64 Und Heidegger Die Technik und die Kehre S 11
29
nen die Auflistung der bdquovier Ursachenldquo117 nach Aristoteles und die Kritik an der
Technik als bdquoein Mittel zu Zweckenldquo118 (Kausalitaumlt)119
Der Vortrag Das Dinglsquo galt Heidegger bei der Darbietung seiner Technikphi-
losophie nach dem Zweiten Weltkrieg allerdings als unentbehrlich ndash und damit
seine groszligflaumlchige Aufblaumltterung der Mythopoetik wie im folgenden Kapitel hier
gezeigt wird Denn im Vortrag Die Frage nach der Techniklsquo benutzt Heideg-
ger noch immer seinen mythopoetischen Topos vom Versammeln des Gebirges
der mit dem Versammeln eine Konstituente des Gevierts ist (bdquoErde und Himmel
die Goumlttlichen und die Sterblichenldquo120) (su)121 Fuumlr die Kaumlufer und Leser von
der spaumlteren Veroumlffentlichung Die Technik und die Kehrelsquo wird zudem in Die
Kehrelsquo extra auf den Vortrag Das Dinglsquo in der 1954er Ausgabe in Vortraumlge und
Aufsaumltzelsquo verwiesen122 Das zeigt wie wichtig und unerlaumlsslich Heidegger seine
mythopoetische Denkweise der Technik ist Auch wenn er in Die Frage nach der
Techniklsquo einen allgemeineren und offeneren Ansatz entwickelt hat der dadurch
auch leichter zu erschlieszligen ist
32 Die mythopoetische Spiegelung der Schwarzen
Hefte in den Bremer Vortraumlgen von 1949
321 Das Dinglsquo
In dem Vortrag Das Dinglsquo der 1949 vor dem privaten Club zu Bremen dort im
Neuen Rathaus das Vortragsquartett einleitete fuumlgt Heidegger mythopoetisch
zusammen was folgenden Topoi seiner Schwarzen Hefte aus Kap 221 entspricht
117 Heidegger Die Technik und die Kehre S 6118 Ebd S 6119 Diese Topoi versucht Heidegger in dem Text zu zersetzen und ihnen ein aletheisches Prin-
zip des Entbergens der Technik entgegenzusetzen Dies erfolgt wiederum auch anhand derVerwendung von mythopoetischen Teilen Darauf kann hier aber nicht weiter eingegangenwerdenAls weitere Gemeinsplaumltze (die er teils unterstuumltzend teils zur Zersetzung einfuumlgt) handelt
der Text auch mit Zitaten von Platon Heisenberg J P Hebel und Goethe120 Ebd S 12121 Vgl GA 79 S 11 Und Heidegger Die Technik und die Kehre S 19122 Vgl Heidegger Die Technik und die Kehre S 42f
30
1 die antirationale Wissenschaftsfeindlichkeit 2 der Mythos des Goumlttlichen 3
das Griechentum uumlber dem Roumlmertum 4 die Zahlenmystik (anhand des Spiegel-
Spiels des Gevierts ndash su) 5 das geschichtsbesinnliche Prinzip der Aletheia
Heidegger stellt zuerst die Frage nach dem Ding und will sie daraufhin ver-
anschaulichen mittels der Metapher des Kruges dh mit dem Krug als ein exem-
plarisches Ding Er fuumlhrt dann vor (was der Geste eines Zauberkuumlnstlers aumlhnelt)
wie der leere Krug gefuumlllt wird ndash Luft weicht der Fluumlssigkeit Dieses Sachverhaumllt-
nis aber ist fuumlr ihn Halbpoesie und eine Angabe aus der Physik sie verfehle das
vermeintliche Wesen des Kruges
Die Wissenschaft stellt durch sie [die Angabe der Physik DS] etwas Wirk-liches vor wonach sie sich objektiv richtet Aber ndash ist dieses Wirkliche derKrug Nein DieWissenschaft trifft immer nur auf das was ihre Art des Vor-stellens im vorhinein als den fuumlr sie moumlglichen Gegenstand zugelassen hat[] Die Wissenschaft macht das Krug-Ding zu etwas Nichtigem insofernsie Dinge nicht als das Maszliggebende zulaumlszligt123
Als ein wirkmaumlchtiges Beispiel das ihm sicherlich viel Beachtung uumlber die
Jahrzehnte seit ihrer Zuumlndung in Japan hinweg einbrachte fuumlhrt Heidegger die
Atombombe an Diese sei zu verstehen als verdinglichte Wissenschaft die das
Ding vernichten wuumlrde
Deren Explosion ist nur die groumlbste aller groben Bestaumltigungen der langherschon geschehenen Vernichtung des Dinges dessen daszlig das Ding als Dingnichtig bleibt124
Er buumlndelt damit Wissenschaft und Verkennung des Wesens als maszliggebend mit
dem Ding als sein machenschaftliches Prinzip der zerrechnenden Zerstoumlrung Drei
Jahre nach Kriegsende war der buumlrgerlich-elitaumlre Kreis in Bremen sicherlich be-
wegt von dieser Wortgewalt Diese jedoch suchte ja ihr Heim Harmonie Ruhe
in dem Haus als Wesen der Sprache
Und so faumlhrt Heidegger fort und ersetzt das physikalische Prinzip des Inhalts-
wechsels von Luft zu Wein in ein bdquoGeschenk des Gussesldquo als Spende und Opfer
den Goumlttern (2)125
123 GA 79 S 8124 Ebd S 9125 Vgl Ebd S 11f
31
Der Guszlig ist der den unsterblichen Goumlttern gespendete Trank [] Der ge-weihte Trank ist das was das Wort Guszliglsquo eigentlich nennt Spende und Op-fer Guszliglsquo gieszligenlsquo lautet griechisch χέειν indogermanisch ghu Das bedeu-tet opfern
Hier spielt bereits der Ursprungsmythos der Griechenmit ein (3) es ist aber auch
ein Bezug auf das Geviert Dieses waumlre ein System ein zusammen Gestelltes aus
bdquoErde und Himmel die Goumlttlichen und die Sterblichenldquo126 Im Guszlig des Trunkes
weilten gemeinsam diese Vier als emblematische Verbindung
Das im Geschenk Versammelte sammelt sich selbst darin das Geviert ereig-net zu verweilen Dieses vielfaumlltig einfache Versammeln ist das Wesen desKruges Unsere Sprache nennt was Versammlung ist in einem alten WortDies lautet thing127
Das Geviert zehrt von der Zahlenmystik zum einen als die Versammlung der
vier Begriffe an sich zum anderen da Heidegger ihnen eine Spiegel-Funktion
zuschreibt bdquoJedes der Vier spiegelt in seiner Weise das Wesen der uumlbrigen wie-
derldquo128 und ferner weil er damit auf sich selbst dh auf sein Vortrags-Geviert
verweist (4) Wie in Kap 21 schon gesagt lebt der Mythos von seiner Verbind-
lichkeit Diese legt Heidegger allen nah die sie verinnerlichen wollen bdquoSagen wir
die Sterblichen dann denken wir falls wir denken die anderen Drei mit aus der
Einfalt der Vierldquo129
Sollte der Vollzug der Praxis des sukzessiven Mitdenkens aller vier Geviert-
Entitaumlten gelingen koumlnnte das Ereignis der Aletheia begriffen werden (5) bdquoDas
Spiegel-Spiel von Welt ist der Reigen des Ereignensldquo130 Diese wird aber auch be-
griffen in Abgrenzung von dem Roumlmertum (3) denn in der bdquorealitas der resldquo
haumltten die Roumlmer bdquoihr Erfahrenes niemals eigens in seinem Wesen gedachtldquo131
Das waumlre den Griechen vorzubehalten und vom verstaumlndig denkenden Deutschen
wiederzubeleben
126 Ebd S 12127 Ebd S 13128 Ebd S 18129 Ebd130 Ebd S 19131 Ebd S 15
32
Der Krug ist ein Ding weder im Sinne der roumlmisch gemeinten res noch imSinne des mittelalterlich vorgestellten ens noch gar im Sinne des neuzeitlichvorgestellten Gegenstandes [] Der Krug ist Ding insofern er dingt132
Die Bindung an das deutsche Wort bdquoDingldquo das er spielerisch auch ins Englische
Romanische und Franzoumlsische uumlbersetzt ist unerlaumlsslich fuumlr seine ethymologi-
sche Argumentation In der ist der bdquoGuszligldquo ruumlckgefuumlhrt auf indogermanisch bdquoghuldquo
und das bdquoDingldquo auf das mittelhochdeutsche bdquothingldquo So konnten antik die Roumlmer
von den Griechen abgrenzt werden und modern die anderen drei Sprachen vom
Deutschen Das englische sich sehr nah am bdquothingldquo befindliche bdquothingldquo wird mit
dem Roumlmischen ausgespielt
Im Englischen hat thing noch die erfuumlllte Nennkraft des roumlmischen Wor-tes res bewahrt [] dh ein aus sich kommendes den Menschen Angehen-des133
Fuumlr Heidegger geht es beim bdquothingldquo aber um die mittelhochdeutsche Uumlbersetzung
der Versammlung Darauf beruht sein gesamter Systemansatz mit Geviert und
Ge-stell
Schulz-Nieswandt fuumlhrt diese Zusammenstellung zum Bejubeln von Heideg-
gers Mythopoetik
So fundamental sieht Heidegger die Welt Die Quelle des Wassers wird zurHochzeit von Himmel und Erde das Gieszligen des Wassers aus dem Krugzum Geschenk Auch Sprache ist daher kein Instrument sondern Ort desWohnens des Menschen Sprache wird zum Haus des Seinslsquo134
Hier bestaumltigt die Untersuchung des Ding-Vortrags die These von einer mytho-
poetischen Einschreibung der nationalistischen voumllkischen Abgrenzungs-Mythologie
aus den Schwarzen Heften
322 Das Ge-Stelllsquo
Der zweite Vortrag des Reden-Gevierts setzt ein mit der Metapher des fehlen-
den Abstands Wo kein Abstand sei da waumlre auch keine Naumlhe so Heidegger Er
132 Ebd S 16133 Ebd S 14134 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei Walter
F Otto S 59
33
verbindet die Abstandslosigkeit mit Urbanitaumlt und Verkehr alles fluktuiere Es
waumlre der Bestand der sich bestelle in dem das Abstandlose herrsche Das sind
neue Metaphern fuumlr die Machenschaft In seiner Erzaumlhlung vom Ge-Stell gibt es
bedeutend weniger mythopoetische Passagen als in dem vorangegangenen Vor-
trag Allerdings uumlbertraumlgt er den mythopoetischen Gehalt der Rede vom Ding
bereits im ersten Absatz von Das Ge-Stelllsquo mit dem Credo bdquoNaumlhe west insofern
das Ding dingtldquo135 Mit dieser Verbindung wird klar unter welchem Zeichen Hei-
degger die Rede vom Ge-Stell verstanden wissen will ndash als verlorenes Verhaumlltnis
des voumllkisch-traditionell verwurzelten Menschen mit den vermeintlichen Wesen
all seiner Gebrauchsobjekte in der mythopoetischen Formel des sich spiegelnden
Gevierts
Nahezu nuumlchtern erzaumlhlt Heidegger dann von dem Gefaumlngnis des Menschen
im Wesen der zirkulierenden sich immer neu bestellenden Bestandstechnik des
Ge-Stells Dabei scheinen folgende Mythen aus den Schwarzen Heften hindurch ndash
1 bdquoHistorie die Technik der Geschichtelsquo Technik die Historie der Naturlsquoldquo136
2 das historische Tier 3 der Appell an den Auftrag des Deutschen 4 der geschicht-
liche Mensch muss die Historie und damit die Technik uumlberwinden und 5 die
alles zernichtende Machenschaft des juumldischen Wesens
Den Topos der seinsvergessenen Groszligstadt jedenfalls kontrastiert er mit der
Bauerndorfidylle Da aber bdquodas Abstandlose herrschtldquo137 waumlre das Vorruumlcken der
Maschinentechnik bereits universell So in Form des Traktors Schon in Band
96 der Schwarzen Hefte beklagt er dieses bdquozum elektrischen Pflug [] gehoumlrt
das amerikanisch aufgemachte Magazinlsquoldquo Insofern erfolge die bdquoAngleichung der
Sitten der Bergbewohner an diejenigen des groszligstaumldtischen Sport- und Barbe-
triebsldquo138
Sein erster Land-Stadtvergleich betrifft den Bauern dessen Totenruhe tradi-
tionell in einem sg bdquoTotenbaumldquo (Sarg) stattgefunden haumltte ndash bdquoIn ihm gedeiht
der Tod des Totenldquo139 Dem gegenuumlber klingt in der bdquomotorisierten Bestattungs-
135 GA 79 S 24136 GA 95 S 351137 GA 79 S 24138 GA 96 S 54139 GA 79 S 26
34
industrie der Groszligstadtldquo140 bereits Heideggers pietaumltsloser Gaskammernvergleich
an
Ackerbau ist jetzt motorisierte Ernaumlhrungsindustrie im Wesen das Selbewie die Fabrikation von Leichen in Gaskammern und Vernichtungslagerndas Selbe wie die Blockade und Aushungerung von Laumlndern das Selbe wiedie Fabrikation von Wasserstoffbomben141
Hier wird davon ausgegangen dass es eine Uumlbertragung der Notizen uumlber
das deutsche Land als bdquoeinziges KZldquo ist die Unterdruumlckung des deutschen Vol-
kes durch die bdquoWeltdemokratieldquo die schlimmer sei als die Graumlueltaten der bdquoGas-
kammernlsquoldquo142 In die mythopoetische Formel von dem dingenden Ding aus dem
ersten Vortrag sind alle Valenzen eingeschrieben die es zur Aufgabe des abendlaumln-
dischen Deutschen (also als Nachfolger der alten Griechen) machen das Wesen
des Dings und somit der Technik zu huumlten Die Verantwortung fuumlr Genozid
Massenvernichtungswaffen und den Mangel im Nachkriegsdeutschland schreibt
Heidegger gleichfoumlrmig dem Prinzip der Abstandslosigkeit zu
Auch die Rede von der Habgier des Berechnenden ist ein bereits bekannter
Vorbehalt Heideggers anhand der Rede vom raffgierigen Juden Denn er sagt von
der bdquoHerrschaft des Abstandlosenldquo dass sie bdquodie Hab-gier des vorstellenden Be-
rechnensldquo waumlre143 Das entspricht seinem Mythos von der alles zernichtenden
Machenschaft des juumldischen Wesens144
Dann folgt eine lange Elegie uumlber das Bestellen des Bestands des Ge-Stells
bdquo[d]ie Kette des Bestellens laumluft auf nichts hinaus sie geht vielmehr nur in ihren
Kreisgang hineinldquo145 uumlber 19 Seiten des 21 seitigen Vortragsexts hinweg entwirft
Heidegger diverse Bilder wie das Ge-Stell die Natur das Hergestellte den Men-
schen und das Verstandesmaumlszligige vereinnahme und das Wesen desDings gleichsam
zur Veruntreuung bringen wuumlrde Wiederum poetisch orientiert kontrastiert also
140 Ebd141 Ebd S 27142 GA 97 S 99f143 Vgl GA 79 S 25144 Vgl Machenschaft hier S 29 und Geraff hier S 33145 GA 79 S 29
35
Heidegger Houmllderlins Hymne Der Rheinlsquo mit dem Rhein dessen Stroumlmung fuumlr
ein Stromkraftwerk genutzt wird
Achten wir um das Ungeheure das hier waltet zu ermessen nur auf einenAugenblick auf den Gegensatz der sich in den beiden Titeln ausspricht DerRhein verbaut in das Kraftwerk ndash der Rheinlsquo gesagt in der gleichnamigenHymne Houmllderlins146
Die Differenz also waumlre das Ungeheure147 Dabei waumlre der Rhein verbaut in das
Kraftwerk Aumlhnlich wie Kohle Erze und Rohoumll waumlren sie Bestand der bdquobesteht
im Bestellenldquo ndash bdquoDas Bestellen waumlre demnach lediglich eine Machenschaft des
Menschen vollzogen in der Weise der Ausbeutungldquo148
Das Bild des Wasserkraftwerks wird erweitert um den Begriff des Menschen
Elektrizitaumlt mit Wasserkraft erzeugen bdquokoumlnnen die Menschen [] nur insofern
sie selber schon in dieses Bestellen bestellt sindldquo149 Mit diesem Bild versucht Hei-
degger praktisch zu veranschaulichen dass Entwurf Umsetzung und Einsatz ei-
ner technischen Anlage den Menschen in ein entruumlcktes Verhaumlltnis zum Wesen
des dingenden Dings setze ndash bdquoDer Mensch ist darum der Angestellte des Bestel-
146 Ebd147 Das ist zusaumltzlich zu dem gemeinten Gegensatz ein Vergleich mit dem Heidegger dem Wort
bdquoRheinldquo in die Hymne Der Rheinlsquo gesprochen eine Energie erzeugende Wirkung zu-schreibt eben so wie das Kraftwerk Strom erzeugen wuumlrde Das wird klar dadurch dassHeidegger metaphorisch vom Stellen des Wortes bdquoRheinldquo in die Hymne spricht Es handeltsich um einen Appell zur denkerischen Besinnung Dass Heidegger dafuumlr eine technischeAnlage zur Veranschaulichung inspirierend wirken laumlsst spielt bereits in die Richtung derBegriffe bdquoHer-vor-bringenldquo bdquoEntbergenldquo und spielt auf das Alteheia-Prinzip an Darauf wirdweiter unten anhand Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo eingegangen werden Es handelt sich umdas Angebot eines mythopoetischen Umgangs mit Technik insbesondere wenn sie sich inheimische Gefilde einfuumlgtHeute koumlnnte man mit Windraumldern ebenso verfahren Somit koumlnnte aber auch Heidegger
als ein gewisser Quijana aus Mancha verstanden werden eben der Protagonist aus Miguel deCervantes Roman Don Quichote von der Manchalsquo der mit seinem von ihm flux auch um-benannten Klepper (weil er zuvor sich selbst in Don Quichote umtaufte) Rocinante Riesenbezwingen will um mit dieser Heldentat unsterblichen ritterlichen Ruhm zu erstreitenAuch Don Quichote fand seine Riesen in Windmuumlhlen und auch Don Quichote war uumlber
eine uumlbertriebene Auseinandersetzung mit einer verschuumltteten Kultur dieser verfallen undsuchte diese in seiner Aventuumlre zu reaktualisieren Martin Heideggers mythopoetisches Pro-gramm ist tatsaumlchlich stark mit Don Quichotes Motiv vergleichbarFerner waumlre eine Auseinandersetzung mit Heideggers Werk unter Beruumlcksichtigung sei-
ner Gewichtung der Vorsokratiker und Houmllderlin als mythopoetischen Autor eine moumlglicheForschung zum Thema Anachronismen in Konzepten von Moral und gesellschaftlicher An-gemessenheit (Vgl Cervantes Miguel de Don Quichote von der Mancha Herausgeben unduumlbersetzt v Susanne Lange Muumlnchen 2008 S 33f)
148 GA 79 S 29149 GA 79 S 30
36
lensldquo150 Schon vorher wies Heidegger darauf hin bdquo[d]ie Herrschaft des Gegen-
staumlndigen sichert nicht den Abstandldquo151 Jetzt heiszligt es
Das Bestellen befaumlllt nicht nur die Stoffe und Kraumlfte der Natur mit Gestel-lung Das Bestellen befaumlllt zugleich das Geschick des Menschen Das Wesendes Menschen wird daraufhin gestellt das Bestellen in menschlicher Weisemitzuvollziehen152
Der Begriff des Ge-Stells wird daraufhin so konstruiert dass es im Bestellen
um ein Stellen (Herausfordern) alles bdquoAnwesenden als Bestandldquo als bdquoversus unumldquo
gegen bdquodas Eine Ganzeldquo gehe153 In wiederum mythopoetischer Formulierung ge-
baumlre die bdquoVersammlung des Stellens worin alles Bestellbare in seinem Bestand
west das Ge-Stellldquo154 Der Begriff bdquoVersammlungldquo wird einen Absatz zuvor my-
thopoetisch wieder an die Versammlung also das thing eben das wesenhafteDing
angelehnt und somit wie zu Das Dinglsquo bereits oben erlaumlutert in einen deutsch-
abendlaumlndischen Kontext gestellt (3)
Wir nennen die Versammlung der Berge die von sich her einig und nienachtraumlglich schon gesammelt ist das Gebirge Wir nennen die Versamm-lung der Weisen nach denen uns so zumute ist und sein kann das Gemuumlt155
Allerdings ist obiges Versammlungsmodell hier als Kontrast zu sehen zu dem
bdquoGeraff des Getriebesldquo das das Ge-Stell darstellt als bdquoWesen der Technikldquo156 Hei-
degger sieht in der Gleichfoumlrmigkeit die zum Wesen des Technik als Ge-Stell
150 GA 79 S 30151 GA 79 S 25152 GA 79 S 31153 Vgl GA 79 S 32154 GA 79 S 32155 Ebd
Das Wort ldquoGemuumltrdquo hat ferner eine ausschlieszliglich deutsche Praumlgung gibt es doch keinedirekte Uumlbersetzungen Gemuumlth ist ferner ein nicht eindeutig umrissener Begriff (Vgl Kra-mer Cheryce A Foolrsquos Paradise The Psychiatry ofGemuumlth in a Biedermeier Asylum Chica-go 1998 S 19) Die Bedeutung im Deutschen selbst ist zudem sehr variabel hat aber zumeistmit Seelen- oder Geistkonzepten zu tun ndash Cheryce von Xylander (geb Kramer) uumlbersetztGemuumlth mit bdquosoul-organldquo (ebd S 43) das von diversen Autoren unterschiedlich konstru-riert wird (zB von Kant geistigkoumlrperlich und von Kleist individuellkollektiv (vgl ebdS 41)) In Heideggers emblematischem Duktus scheint eine Vermischung von allen vier Di-mensionen geistigkoumlrperlich wie auch individuellkollektiv stattzufinden Es ist auf jedenFall dem Mythos geschuldet den Auftrag des Deutschen anzunehmen (3)
156 GA 79 S 33
37
gehoumlre die planetarische Abloumlsung und Aufhebung des traditionellen und damit
wesenhaft ans Ding gebundenen Verhaumlltnisses vom Menschen zur Erde (das von
ihm idealisierte voumllkische Bauerntum das Bestellen des Ackers) bdquoDie Bestand-
Stuumlcke sind Stuumlck fuumlr Stuumlck die Gleichenldquo157 So kontrastiert er alte Handwerks-
techniken mit Maschinentechnik und schreibt der Maschinentechnik die machen-
schaftliche Verdraumlngung als Geraff zu
Das Ge-Stell hat auch wenn das nicht unmittelbar und nicht sogleich ver-nehmlich wird im vorhinein schon alle diejenigen Stellen beseitigt an denenvormals Spinnrad und Wassermuumlhle standen Das Ge-Stell bestellt durch sei-ne Maschinerie zum voraus eine andere Art und Ordnung von Stellen Andiesen kommt nur zu Stand was als Bestellbares auf der Stelle gleichfoumlrmigzur Stelle steht
Darum ist auch die Art wie die Maschine selbst etwas herstellt einewesentlich andere als das handwerkliche Tun gesetzt daszlig es innerhalb desGe-Stells uumlberhaupt noch so etwas wie ein Herstellen gibt
Die Traktoren und Kraftwagen werden herausgebracht ausgeworfen se-rienweise Stuumlck fuumlr Stuumlck Wo drauszligen steht dieses so Herausgestellte Wo-hin in welchen Stand ist es gebracht158
In dieser Klage uumlber den technischen Wandel der durch den Fortschritt in
alle Lebensbereiche Einzug haumllt versucht Heidegger zu veranschaulichen wel-
chen Verlust es zu erkennen gelte Ein Versuch diesem entgegen zu treten ist die
von ihm vorgetragene Mythopoetik die er in diesem Vortragsteil seines Vortrags-
Gevierts allerdings auffaumlllig zuruumlckgestellt sein laumlszligt War der Einleitungsteil Das
Dinglsquo schlieszliglich eine nahezu einzige mythopoetische Darbietung Dramatur-
gisch wird Heidegger in Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo die mythopoetischen For-
mulierung als Loumlsungswege wieder Bedeutung geben In Das Ge-Stelllsquo versucht
Heidegger hingegen Vorstellungen aus seinen Schwarzen Heften aumlhnlich der fol-
genden mitzuteilen die das Uniforme Gleichfoumlrmige betreffen
Die Macht der Machenschaft ndash die Vernichtung sogar der Gottlosigkeit dieVermenschung des Menschen in das Tier die Vernutzung der Erde die Ver-rechnung der Welt ndash ist in den Zustand der Endguumlltigkeit uumlbergegangenUnterschiede der Voumllker Staaten Kulturen sind nur noch Fassade159
157 GA 79 S 36158 GA 79 S 35159 GA 96 S 52f
38
Was Heidegger unter dieser Gleichfoumlrmigkeit versteht schreibt er in den Schwar-
zen Heften zumeist den Amerikanern zu Er nennt es auch haumlufig Planetarismus
Der Amerikanismus [ist DS] die Zusammenraffung von Allem welcheZusammenraffung immer zugleich die Entwurzelung des Gerafften bedeu-tet160
Der Planetarismus ist die historisch gedachte Bestimmung der uumlberall glei-chen die ganze Erde uumlberdeckenden Seinsverlassenheit des Seienden161
Die Gegenuumlberstellung von natuumlrlicher und traditioneller Handwerkstechnik
gegen maschinenhafte Gleichfoumlrmigkeit exemplifiziert Heidegger dann im Vor-
trag Das Ge-Stelllsquo vielfach wie zum Beispiel hier
Der Forstwart zB der im Wald das geschlagene Holz vermiszligt und demAnschein nach noch wie sein Groszligvater in der gleichen Weise die selbenWege geht ist heute von der Holzverwertungsindustrie gestellt Er ist ober es weiszlig oder nicht in seiner Weise Bestand-Stuumlck des Zellulosebestandesund dessen Bestellbarkeit fuumlr das Papier das den Zeitungen und illustrier-ten Magazinen zugestellt wird die uumlber die Oumlffentlichkeit daraufhin stellenverschlungen werden162
160 GA 96 S 257161 GA 96 S 261162 GA 79 S 37f
Die renommierte Theaterautorin Elfriede Jelinek karikiert in ihrem Stuumlck Totenaubergvon 1991 Heideggers Konstrukt von Heimat und Fortschrittsfeindlichkeit verbunden miteiner Auseinandersetzung mit dessen Liebschaft zu Hannah Arend Mit philologischer Prauml-zision polemisiert sie Teile aus Heideggers Elegie uumlber die Technik und laumlszligt ihn dabei alsbeschraumlnktes und eingezwaumlngtes Wesen in einem Gestell gefangen sein Aus diesem heraussoll er Arend Rede und Antwort stehen uumlber sein Verhaumlltnis zum Nationalsozialismus unddie Shoa Doch dieser redet nur naturtrunken von Heimat und berauscht sich daran Derprophetische Denker wird banalisert ndash diese Worte legt Jelinek ihm (im Stuumlck der alte Mann)in den MundbdquoDie Angst vor dem Fragen liegt uumlber dem Abendland Sie bannt die Kandidaten auf ein
Team-Leibchen verbannt sie auf altgewordene Wege und jagt sie zuruumlck ins morsch geworde-ne Gehaumluse ihrer Tore wo es um ihre Ausscheidungen geht Es wird ihnen alles weggenom-men werden auch der Weg selbst Keine Spur kein Lichtschein aus den Ritzen Aber ruf ichin die Huumltte um nach einem zu fragen den ich gekannt hab sehe ich grad noch eine Tuumlrsich schlieszligen Der Wald kommt nicht zur rechten Geltung alles ist entflohen was mir liebwar und woran ich geglaubt hab Was kommt ist noch nicht da Nichts war Ich habe nichtsgehoumlrt Ich erinnere mich nicht aber ich stelle dem Kommenden das mich den lupenreinenAmateur schon vor Beginn des Rennens erlahmen laumlszligt vorsorglich die Hausschuhe vor dieTuumlr Sie sind das Einzige was die Profis des Profits von mir dann vorfinden werden wennsie anklopfen Die Haumlrte des Urgesteins sollte sie nicht entmutigen Die Jahreszeiten machendie Landschaft auf und zu Ich sage nur In dieser scheinbaren Leere will ich vom Denkenmuumld nur schlafen Von der Huumltte aus lassen sich Wanderungen unternehmen Aber auchsonst wird Ihnen alles wie ich sagte genommen werden Auch Ihre Fotos und Namen Unddas Gewesene wird wesenlosldquo ( Jelinek Elfriede Totenauberg Hamburg 1991 S 86f)
39
Die Oumlffentlichkeit ist fuumlr Heidegger ein Topos der dem Denken und Besinnen
entgegenstuumlnde Somit meint er damit zum Einen die Medien wie er es anhand
der Rede von den Bestandstuumlcken in Das Ge-Stelllsquo erklaumlrt wo der Mensch als
Urheber des Ge-Stells als Wesen der Technik nicht gelten soll Vielmehr wuumlrde er
in Ratlosigkeit und Langeweile verfallen weil er in der Bestellung des Bestandes in
Form von Bestandstuumlcken vom Rundfunk keine Besinnung mehr faumlnde dh das
Ganze also wiederum daswesentliche Ding nicht mehr zu fassen vermoumlge163 Und
so toumlnt es bereits aus den Schwarzen Heften von 19391940()
Die Bildlsquo und Tonlsquo ndash Reportagenlsquo der Machenschaft ist der planetari-sche Mythuslsquo des Vollendungsabschnittes der Neuzeit Die Welt des abge-legensten deutschen Bauernhofes wird nicht mehr durch [] die Naturlsquobestimmt in der noch die Erde waltet sondern durch das illustrierte Blattmit der Darstellung von ausgezogenen Tanzweibern von Boxern und Renn-fahrern und sonstigen Heldenlsquo des Tages164
Und ferner notierte Heidegger 1946 in seinen Schwarzen Heften
Uumlberall zerrt es aus dem Oumlffentlichen ins Oumlffentliche mit vielen Strickenund jeder sieht das kaum versuchte Denken des Seyns am Leitband seinesStrickes165
Dabei waumlre eben ein bdquoLiterat [] ein in die Oumlffentlichkeit verliebter Mensch der
Angst vor dem Denker hatldquo166 Dieses liefe dann darauf hinaus dass beim Rund-
funk bdquoein Bestellen und Stellen waltet das in dasWesen des Menschen eingegriffen
hatldquo167
Abermals nach dem Wesen der Technik also nach dem Ge-Stell gefragt geht
Heidegger auf seine Unterscheidung vonNatur undNaturwissenschaft ein bdquo[w]elches
ist das Verhaumlltnis zwischen der Technik und der Naturldquo168 Natur wuumlrde in wis-
senschaftlicher Hinsicht unter das Berechnete fallen sie wuumlrde bdquoals das in Maszlig
und Zahl gestellte Wirkliche vorgestellt das in seinem Gewirkten staumlndig an-
westldquo169 Wenn Heidegger dann Natur aus technischer Sicht bdquoals ein System des
163 Vgl GA 79 S 38f164 GA 96 S 54165 GA 97 S 100166 GA 97 S 126167 GA 79 S 39168 GA 79 S 41169 Ebd
40
Bestellens von Erfolgen aus dem gestellten Wirksamenldquo170 charakterisiert spricht
er von seiner Rede der Verschraumlnkung von Historie und Technik ndash bdquoTechnik die
Historie der Naturldquolsquo171 Dieses ist bekanntlich das seinsvernichtende Gegenstuumlck
zur geschichtlichen Besinnung Denn geschichtliches Walten der Technik ist fuumlr
Heidegger technische Geschichte dh verwissenschaftlichte Geschichte die da-
durch ihr Wesen verloren haumltte (Seynsvergessenheit)172 So heiszligt es in den Schwar-
zen Heften von 1947
Ein Zeitalter das historisch geworden ist dh technisch planend sich selberberechnet und alles in diesen Sog zieht muszlig jede Besinnung nur als eine dervielen Formen der Intellektualitaumlt registrieren173
Heidegger schlieszligt den Vortrag mit dem Aufgriff der Anfangsbehauptung
bdquo[d]er Bestand bestellt das Abstandsloseldquo174 Somit liegt das Problem der ausblei-
benden Naumlhe durch die Technik deren Wesen das Ge-Stell waumlre das den Bestand
bestelle in der Luft Dass dabei der Mensch sogleich Teil des Bestandes und nicht
Teil der Maschine wird laumlsst ihn das historische Tier sein (2)
Der Mensch ist auswechselbar innerhalb des Bestellens von Bestand []Gleichwohl gehoumlrt der Mensch in einer voumlllig anderen Weise in das Ge-Stellals die Maschine DieseWeise kann unmenschlich werden DasUnmenschlicheist jedoch immer noch unmenschlich Der Mensch wird nie zur MaschineDas Unmenschliche und noch Menschentuumlmliche ist freilich unheimlicherweil boumlsartige und verhaumlngnisvoller denn der Mensch der nur Maschine wauml-re175
Wen Heidegger hier ersinnt ist der neuzeitliche Mensch der den bdquoGoumlttern uner-
traumlglich gewordenldquo176 waumlre
170 Ebd171 GA 95 S 351172 In Heidegger Die Technik und die Kehre S 21 stellt er Geschichte und Historie einander
gegenuumlber was er in Das Ge-Stelllsquo nicht vollzieht bdquoDie moderne Technik kam doch erst inden Gang als sie sich auf die exakte Naturwissenschaft stuumltzen konnte Historisch gerechnetbleibt dies richtig Geschichtlich gedacht trifft es nicht das Wahreldquo Signifikant fuumlr Heideg-gers Attributierung so wie sie oben schon geschildert ist steht Historie fuumlrs Rechnen undGeschichte fuumlr das Denken
173 GA 97 S 508174 GA 79 S 44175 GA 79 S 37176 GA 94 S 236
41
323 Die Gefahrlsquo
Aus Heideggers Darlegung uumlber das Ge-Stell erschlieszligen sich seine diversen Fa-
cetten der Vorstellung einer Abstandslosigkeit schaffenden Technik Dass die Ab-
standslosigkeit dem Prinzip des Gevierts des Zusammengestellten entgegensteht
bekommt im Vortrag Die Gefahrlsquo Nachdruck Die mythopoetische Erzaumlhlung
knuumlpft an den Vortrag Das Dinglsquo an mit den Mythologemene 1 Der Mythos
des geschichtlich sein muumlssens 2 der Mythos des Goumlttlichen 3 das geschichtsbe-
sinnliche Prinzip der Aletheia Zudem wird im Prozess des Vortrags das Ge-Stell
zur Gefahr stilisiert was einen eigenen Mythos erschafft
Durch das bdquouniversale Bestellen des Ge-Stellsldquo177 werde die naumlhernde Naumlhe des
Dings verwehrt Wie im Vortrag Das Dinglsquo fuumlhrt Heidegger das Wesentliche sei-
ner Theorie auf die deutsche und altgriechische Sprache zuruumlck Die so vollzoge-
ne Annaumlherung von Schwarzwaumllderischem Dialekt und Altgriechisch entspricht
Heideggers Traum von dem bdquogeschichtliche[n] Geburtsort des abendlaumlndischen
Wesensldquo178 den seine Heimat von Todtnauberg bis Freiburg stiften sollte (1)
es ist das Geistvolle und zugleich das erdenhafte schoumlne Land Es birgt un-sichtbaren Reichtum dem Gemuumlt bewahret tiefstes Dichten und houmlchsteGestalt der Sage179
Unter diesem Vorzeichen also sagt Heidegger
Das Ge-Stellwesen laumlszligt das Ding ohne die Wahr Das Wort die Wahrlsquo be-deutet in unserer Sprache dort wo sie noch urspruumlnglich spricht die HutIn unserer schwaumlbischen Mundart meint das Wort die Wahrlsquo die der muumlt-terlichen Hut anvertrauten Kinder Das Ge-Stell laumlszligt in seinem Stellen dasDing ohne die Hut ndash ohne die Wahr seines Dingwesens180
Diese in Bremen vorgetragene Heimatkunde ist auch Heideggers Sorge ge-
schuldet durch die Besatzermaumlchte und deren kulturellen Einfluss auch durch
die nun moumlgliche Oumlffnung Deutschlands zu einem Austausch mit der Welt das
eigene Wesen zu verlieren So schreibt er 1945-1947() in seine Schwarzen Hefte
177 GA 79 S 46178 GA 97 S 54179 Ebd180 GA 79 S 46
42
Das Schwerste und Fragwuumlrdigste unseres Geschickes ndash beruht darin ob wirdas Eigene finden und huumlten [] unter den anderen Voumllkernlsquo [] Scheinund Vorwand der Macht daszlig man unsere eigene Aufgabe bringen will []als Entmachtete aufgenommen zu sein in den Weltmachenschaftsbetrieb181
Es gaumlbe nach Heidegger also das Welten von Welt und die Verweigerung von
Welt aus derVerwahrlosung des Dings durch das Ge-Stell bzw die Technik182 Welt
ist nach dem Konzept des schwaumlbischen Denkers nichts weniger als das Geviert
Bei der folgenden mythopoetischen Zusammenstellung von dem Geviert mit alt-
griechischen Vokabeln um den Seins-Begriff wird das Aletheia-Prinzip eingefuumlhrt
Somit fuumlhrt uumlber den Mythos des Goumlttlichen (2) der Weg zur Wahrheit eben als
geschichtsbesinnlich erfahrene Aletheia (3)
Welt ist das Geviert von Erde und Himmel Goumlttlichen und SterblichenDas Spiegel-Spiel der Vierung wahrt alles was in ihm dingend zwischenden Vier anwest und abwest in das einende Ganze seines Anwesens Vonaltersher heiszligt das Anwesen des Anwesenden τὸ ὲόν das Seiend [sic] τὸεἶναι das Sein naumlmlich der ὲόντα des Seinenden das esse entium183
Diese Welt waumlre nun bdquoWahrnis des Wesens von Sein Statt Wahrnis sagen wir auch
Wahrheitldquo184 Die Welt mythopoetisch als Spiegel-Spiel des Gevierts und durch
eine altgriechische Brille betrachtet waumlre die wahre Welt Somit wird die Wahr-
heitsschau gebunden einen antiken Goumltterglauben und abendlaumlndische Sprachkas-
kaden vom Dialekt zum Altgriechisch
Das Problem mit der wahren Welt waumlre allerdings dass sie sich in die Ver-
borgenheit entziehe Naumlher betrachtet ist aber die Verborgenheit Bedingung des
Entbergens was Heidegger notwendig macht zu einem wuumlrdigen Lebensvollzug
in Harmonie mit dem Sein Durch solche Wesensschau waumlre der Mensch befaumlhigt
jederzeit die verstellenden Maumlchte des Ge-Stells (der Technik) zu uumlberwinden und
teilhaftig am Wesen der Welt zu werden
181 GA 97 S 99182 Vgl GA 79 S 47183 GA 79 S 48 (Die griechischen Vokabeln werden hier keiner Uumlbersetzung unterzogen Da
Heidegger ohnehin keine philologische Schaumlrfe anwenden will ist es fuumlr die Zwecke hierausreichend sie mit seiner Uumlbersetzung zu betrachten Heidegger spricht von bdquoAchten aufdas Griechischeldquo was schwieriger waumlre als klassische Philologie (vgl GA 79 S 63)
184 Ebd
43
Welt bleibt in der Verborgenheit (Αήθη) auf die Weise daszlig diese ihre Ver-borgenheit gerade eine Unverborgenheit gewaumlhrt die Αλήθεια185
Die Αλήθεια haumltte allerdings auch eine Rolle uumlber die subjektive hinaus da nur
durch ihren Vollzug Seinsgeschichte gewaumlhrt wuumlrde Das ist der Anspruch den
Heidegger an sein Auditorium stellt gemeinsam geschichtlich sein zu muumlssen (1)
Die Αλήθεια ist das Geschick des Seins als welches Geschick sich die Fuumllleder Seinsgeschichte in ihre Epochen fuumlgt186
Mit dem Ge-Stell als Wesen der modernen Technik waumlre die Aletheia aller-
dings hochgradig gefaumlhrdet Denn ohnehin waumlre die Aletheia prinzipiell der Ge-
fahr der Vergessenheit ausgesetzt Doch das Ge-Stell haumltte die Kraft die bdquovollende-
te Vergessenheit der Wahrheit des Seinsldquo187 zu vollrichten
Indem das Ge-Stell alles Anwesende in den Bestand bestellt setzt das Ge-Stell das Anwesen des Anwesenden heraus aus seiner Wesensherkunft ausder Αλήθεια188
Diese Versetzung des beteiligten Wesens aus der Moumlglichkeit des Wahrheitsprin-
zips heraus markiert Heidegger dann mit der Schreibweise Seyn (mit bdquoyldquo) Wie
bei dem Vortrag Das Dinglsquo koumlnnen ethymologische Abstammungen sein Sys-
tem anreichern Da wo es um das Wortfeld des Stellens geht Ge-Stell Bestellen
Verstellen ist auch das NachstellenMitglied der Familie
Im Althochdeutschen heiszligt nachstellen fara Das in sich gesammelte Stellenals Nachstellen ist die Gefahr Der Grundzug des Wesens der Gefahr ist dasNachstellen Insofern das Sein als das Ge-Stell sich selbst mit der Vergessen-heit seines Wesens nachstellt ist das Seyn als Seyn die Gefahr seines eigenenWesens189
Damit wuumlrde sich durch die Verringerung der Selbstreflexion im Seyns-Bestand
eine Schwachstelle auftun in die der denkbegabte und aletheiafaumlhige Mensch ei-
ne Moumlglichkeit haben das Seyn zum Sein zuruumlckzuwandeln ndash also wieder in ein
185 GA 79 S 49186 Ebd187 GA 79 S 53188 GA 79 S 52189 GA 79 S 53
44
wesentliches Verhaumlltnis zum bdquoDingldquo zu gelangen in dem das Geviert wieder die
Harmonie herstellt Allerdings faumlnde bis zu solch einer Nachstellung eine Ver-
sieglung des Seynsbestandes statt Und Heidegger beklagt dass die Erreichung der
Ruumlckeroberung des Seins uumlber die Nachstellung nicht stattfaumlnde und stattdessen
die Irre regieren wuumlrde190
In dieser Irre stuumlnde dem Menschen nicht einmal mehr zu zu sterben Denn
bdquoSterben [] heiszligt den Tod in sein Wesen austragenldquo191 Somit waumlren die Opfer
die in den KZs umkamen wie er sie in Das Dinglsquo bereits schildert nicht vermouml-
gend gewesen zu sterben bdquoSie werden Bestandstuumlcke eines Bestandes der Fabrika-
tion von Leichen [] Sie werden in Vernichtungslagern unauffaumlllig liquidiertldquo192
Das vermoumlge die Gefahr zu bewirken Der Mensch wuumlrde des eigenen Sterbens
beraubt da er keine Verbindung mehr zur Wahrheit der Welt haumltte Um den rich-
tigen Tod zu sterben muumlsse der Mensch die Aletheia schauen koumlnnen Insofern ist
Heideggers Prinzip ein religioumls anmutendes Wie in der christlichen Vorstellung
der Mensch im Jenseits an seinen Taten gemessen wird um Paradies oder Fege-
feuer zu besuchen soll nach Heidegger der Mensch waumlhrend des Sterbens mit
sich selbst ins Gericht gehen Er soll sich rein machen vom Ge-Stell der Technik
und dem Seyn um nicht die einmalge Gelegenheit des richtigen Sterbevollzugs
zu versaumlumen Es winken gemaumlszlig des Gevierts die himmlischen Goumlttlichen den
irdischen Sterblichen zu wobei annehmbar ist dass Heidegger Sterblichen die
die Aletheia erkennen einen Goumlttlichkeitsstatus beimessen moumlchte ndash eine Erlouml-
sungsphantasie
Genau diese Erloumlsung waumlre die Technik nicht
Ohne den Schritt des Denkens zu wagen der unser Menschenwesen demWesen der Technik [] aussetzt wuumlrgt man sich von Fall zu Fall von Lagezu Lage durch die Zwiespaumlltigkeiten hindurch Und genau durch dieses Ge-wuumlrge versaumlumt man die Moumlglichkeit dessen was man im Grunde erstrebtdie Technik durch menschliches Tun zu meistern und menschenwuumlrdig zulenken193
190 Vgl GA 79 S 55191 GA 79 S 55192 GA 79 S 56 Weil Heidegger im Judentum die Verantwortlichen fuumlr das Geraffe des Ge-Stells
sieht macht er sie gleichsam verantwortlich fuumlr die bdquoSelbstvernichtungldquo Die Seinsverges-senheit im Tode wird dadurch zum Spin-off der vermeintlich juumldisch erzeugten da machen-schaftlichen KZ-Maschinerie (Vgl GA 97 S 20f)
193 GA 79 S 59
45
Trost und Richtung findet Heidegger schlieszliglich abermals bei den alten Griechen
Das Wort stellenlsquo entspricht dem griechischen ϑέσις vorausgesetzt daszlig wirϑέσις griechisch denken Was heiszligt in diesem Falle griechisch denkenlsquo Esheiszligt darauf achten welche Lichtung desWesens des Seyns in welcherWeisedas Dasein der alten Griechen in den Anspruch genommen hat heiszligt imvoraus bedenken in welchem Geschick welcher Unverborgenheit des Seinsdie Griechen standenldquo194
Das sind Vorstellungen des Neuen Anfangs eine Reminiszenz der griechisch anti-
ken Welt Ein Eintrag aus den Schwarzen Heften von etwa 1945-47 () verdichtet
wie oben bereits aufgezeigt die Phantasie griechisch zu sein zu einem gelingenden
Lebensvollzug
Das reine Wesen des Griechentums dh das Seiende inmitten dessen dieGriechen als seiende fremd gewesen dieses und sie selbst und der Bezug desSeins zu ihnen ndash in der einfachen Wesung von der ἀλήθεια her zeigen underfahren Den μῦθος und λόγος ndash jedes Wort und Gebild rein aber nichterzwungen und schematisch-pedant ndash aus ἀλήθεια erfahren195
Hier zeigt sich auch dass Heidegger per se das Aletheia-Prinzip fuumlr notwendig
hielt um ins Licht der Wahrheit zu blicken Die Griechen sind ihm hier deshalb
Vorbild und rein da sie keiner modernen Technik und dem Ge-Stell ausgesetzt
waren sondern lediglich eine mythopoetische Verbindung zum Sein herstellen
mussten um wesentlich zu sein und Seinsgeschichte zu schreiben Die Dinge und
das Spiegel-Spiel des Gevierts waumlren ihnen geschickt zuhanden gewesen196 Hei-
degger macht schlieszliglich sehr deutlich dass das Griechische zu denken ein bei
weitem anderes Geschaumlft sei als philologische Praumlzision
Ein Echo zu sein naumlmlich dem Anspruch des Seins verlangt eine Sorgfaltder Sprache von der freilich der technisch-terminologische Sprachstil derWissenschaften uumlberhaupt nichts wissen kann Die Intentionalitaumlt der wis-senschaftlichen Sprache ist der staumlrkste Beweis fuumlr ihre Boden- und Heimat-losigkeit [] Das Heimische einer hohen Sprache gedeiht nur im Bereichdes unheimlichen Anspruchs der wesenhaften Stille im Wesen des Seyns197
194 GA 79 S 62f195 GA 97 S 20196 Hingegen waumlre das Judentum verantwortlich fuumlr das Ge-Stell fuumlr das Prinzip der Zerstoumlrung
wie es auf der selben Seite der Schwarzen Hefte darunter heiszligt (vgl ebd)197 GA 79 S 66 Die Bedeutung von Seyn als verstelltes Sein oder Bedingung zum Schauen
des wahren Seins ist verwirrend Einer genaueren Analyse wird aus Platzgruumlnden hier nichtnachgegangen
46
324 Die Kehrelsquo
Der letzte Vortrag ist mit nur neun Seiten der Kuumlrzeste des Vortragsgevierts
Nach dem Verlust des Dinges als Ding und der damit einsetzenden Abstandslosig-
keit als Wesen des Ge-Stells wobei die Gefahr zudem der Vergessenheit des Seyns
nachstellt bietet Heidegger eine Perspektive an
Im Wesen der Gefahr verbirgt sich [] die Moumlglichkeit einer Kehre in derdie Vergessenheit des Wesens des Seins sich so wendet daszlig mit dieser Kehredie Wahrheit des Wesens des Seyns in das Seiende eigens einkehrt198
Diese Moumlglichkeit bedeute nicht dass der Mensch sich der Gefahr selbst stellen
koumlnnte sie waumlre passiv ndash bdquoverbirgt sichldquo Die Kehre werde sich ereignen aumlhnlich
einer Erwartung an den Messias
Die Anwesenheit der Gefahr wuumlrde automatisch die Rettung bergen Denn
Houmllderlin haumltte geschrieben bdquoWo aber Gefahr ist waumlchst [d]as Rettende auchlsquoldquo199
Etwa 1945 notiert Heidegger in seine Schwarzen Hefte bdquoDie Wahrheit erfahren
wir im Gedaumlchtnis Das Gedaumlchtnis ist die Dichtungldquo200 (so) Von dieser War-
te aus ausgestattet mit Erinnerungen an das abendlaumlndische Dichten mit dem
Wissen um das Aletheia-Prinzip und passiv als denkender Huumlter des Seyns solle
der Mensch das Ereignis erwarten das ihn bdquoloumlsen freimachen freyen schonen
bergen in die Hut nehmen wahrenldquo201 wuumlrde (siehe S 43)
Dieses Ereignis waumlre der Blitz Ein unvermittelter jaumlher ploumltzlicher Moment
von kurzer Dauer der bloszlig einen ebenso kurzen Blick auf das wahre Wesen er-
lauben wuumlrde Abschlieszligend ist dies das Rezept gegen die Bestands bestellende
Technik in mythopoetischer Formulierung
So entsprechend ist der Mensch geeignet daszlig er im gewahrten Element vonWelt als der Sterbliche dem Goumlttlichen entgegenblickt Anders nicht dennauch der Gott ist wenn er ist ein Seiender steht als Seiender im Seyn unddessen Wesen das sich aus dem Welten von Welt ereignet202
198 GA 79 S 71199 GA 79 S 72200 GA 97 S 52f201 GA 79 S 72202 GA 79 S 76
47
Wenn Heidegger im Anschluss von der bdquohistorisch-technischen Darstellungldquo re-
det so ist dies die Abwehr der Wissenschaften (auch der Philosophie203) und ein
Appell an die Antirationalitaumlt des Mythos bdquokein historisches Vorstellen der Ge-
schichte als Geschehen bringt in den schicklichen Bezug zum Geschickldquo204
Damit das Blitzen erfahren werde als kurze Wesensschau der Aletheia muumlsse
dem wahren abendlaumlndischen und heimatlichen Ereignis stattgegeben werden Es
sollte nicht wie er 1939 schon in den Schwarzen Heften beschreibt das
kuumlnstliche Licht von Historie und Technik in der weder Mensch noch dieGoumltter weder eineWelt noch die Erde sichtbar werden koumlnnen wo aber dasLebenlsquo von allen den immer noch zu wenigen Meistenlsquo erlebtlsquo wird205
Damit schlieszligt der letzte Vortrag mit einer Erwartung an das Ereignis des Blit-
zens nicht das Erleben der Besinnungslosigkeit (vgl Das Ge-Stelllsquo) Schon 1947
traumlumt Heidegger von solcher Umkehr
Aus der Kehre der Seynsvergessenheit aber ereignet sich das Unumgaumlnglicheden Acker der Welt erst zu pfluumlgen und saatbereit der Sonne und dem Regenund den Voumlgeln des Himmels uumlberlassen206
203 Denn ldquo[e]igentlich denken heiszligt [] die Philosophie verlassen [] beim Sagen des Seinslsquoldquo(GA 97 S 60)
204 Ebd205 GA 95 S 427 Gegen das Erlebnis und Erleben straumlubt sich Heidegger besonders So notiert
er etwa 1939 bdquoZeitalter der Techniklsquo macht gerade die Techniklsquo nicht zum Ziel sondernimmer mehr zum Mittel der besinnungslosen Berechnung [] der Mensch [] das Erleb-nislsquo [] Erleben als der Gefuumlhlsgenuszligldquo (GA 95 S 149) Wie auch bdquoWo beide Historie undTechnik in solcher scheinbaren Gegensaumltzlichkeit verkoppelt sind koumlnnen sie sich zur Foumlr-derung dessen zusammenschlieszligen was einstmals wesentlich die Geschichte des Menschenmitbegruumlndete und was wir die Kunstlsquo nennen Die Historie verschafft [] Anregungenund Vorbilder der Nachahmung die Technik erleichtert [] die Zustellung von Darstel-lungsmitteln und Wirkungsformen [] Gleichwohl ist alles wurzellos [] berechnet und alsErlebnislsquo ausgegebenldquo (GA 95 S 212)
206 GA 97 S 511
48
4 Konklusion
Der umstrittene Philosoph Martin Heidegger hat uumlber die 1930erndash40er Jahre
hinweg eine ausgepraumlgte voumllkisch-nationale und bisweilen radikal-antisemitische
Denkweise entwickelt Dieses Denken fasste er auch auf als Besinnung und stellt
es der Philosophie und Wissenschaft diametral entgegen In Kapitel 2 wird aufge-
zeigt dass sowohl Heideggers Mythologie bereits kritisiert wurde (Adorno Cassi-
rer Meyer) als auch seine Mythopoetik bewundert (Schulz-Nieswandt) Kapitel
3 will daruumlber hinaus aufzeigen wie Heidegger eine eigene Mythologie mytho-
poetisch fruchtbar macht was sich von beiden vorigen Ansaumltzen unterscheidet
und erst mit der Veroumlffentlichung der Schwarzen Hefte ab 2014 nachvollziehbar
wurde
Umso mehr bietet die mythopoetische Verbindung von bdquoDichten und Den-
kenldquo (so) einen antitechnischen Gegenpol Denn Heidegger fasst wie oben ge-
schildert alles Rationale auf als berechnende Bestellung des Bestands im Sinne
der Technik Daruumlber hinaus fordert er mit dem Aletheia-Prinzip (als metapho-
risch gefasstes Ereignis des Blitzens) einen Mitvollzug seiner mythopoetischen
Kontemplation in dem religioumlse voumllkische antike und sprachliche Motive zu-
sammenfallen
Obwohl schon von Heidegger selbst nicht mehr als Philosophie betrachtet
hat seine Rede vom Ding dem Ge-Stell dem Wesen der Technik und der Kehre
noch immer einen bedeutenden Einfluss auf die Technikphilosophie So betont
Alfred Nordmann in bdquoWerkwissen oder How to express things in worksldquo (2008)
dass Heidegger mit Das Dinglsquo eine Art Dingwissen geschaffen haumltte In seinem
2012 erschienenen Aufsatz Another parting of the ways Intersubjectivity and the
objectivity of sciencersquo207 geht Nordmann ein weiteres Mal auf Heideggers Ding
ein Dieses waumlre eine Abarbeitung an dem Ding Kants womit auch Nordmann
Heidegger als einen Interpreten Kants versteht208 Anschlieszligend anMichael Fried-
207 Nordmann Alfred Another parting of the ways Intersubjectivity and the objectivity ofscience In Studies in History and Philosophy of Science 43 (2012) 38ndash46
208 Die Auseinandersetzung mit dem Ding wuumlrde nach Nordmann in Heideggers GA mit demText Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalen Grundsaumltzenlsquoeinsetzen (GA 41 Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalenGrundsaumltzen)
49
man spricht sich Nordmann ebenso dafuumlr aus dass Heidegger neben Rudolf Car-
nap und Ernst Cassirer eine neokantianische Philosophie verfolgt haumltte (siehe
Kap 1)209
Nach Nordmann haumltte Heidegger in seinen anschlieszligenden Gedanken uumlber
das Ding als Fortfuumlhrung Kants als erster Wissenschaft als angewandte Techno-
logie verstanden210 Diese Interpretation stuumltzt sich auf die gleichen Symbole
Metaphern und Mythen die die vorliegende Arbeit analysiert Das Ge-Stell ist
insofern aumlquivok mit dem Begriff techno-science Jedoch sind in dieser Fruchtbar-
machung von Heideggers Denken der Technik dessen nationalistischen rassisti-
schen und antisemitischen Implikationen die die vorliegende Arbeit als Zentrum
dessen Philosophie ermitteln konnte noch nicht beachtet worden koumlnnen211
Andreas Luckner webt Heideggers Ding-Entwurf weiter als verantwortliches
Sorgen um die Dinge212 Er geht dabei mit Heidegger voumlllig konform und tritt
eher als eine Art Bote der Ding-Botschaft auf als diese moumlglicherweise zu kriti-
sieren was sich diesen Artikel wie ein Kapitel aus einem Studienbuch lesen laumlsst
Der Darmstaumldter Technikphilosoph Christoph Hubig ist vor allem Kritiker Hei-
deggers Argumentationen laumlsst aber zuweilen diverse Topoi aus dem Werk des
Technik-Denkers durchscheinen ohne sie weiter zu reflektieren
So konstatiert Hubig Heidegger verfehle in dessen Auseinandersetzung mit
Aristoteles Lehre von der Poiesis zum Punkt der Sicherung wie sie in Die Frage
nach der Techniklsquo behandelt wird bdquodie operative Seite des Technischenldquo bei Aris-
totels213 In einem spaumlteren Aufsatz allerdings stuumltzt er sich ohne weitere Erlaumlute-
rungen auf Heideggers Begriff der Sicherung aus Die Frage nach der Techniklsquo214
209 Diese Befriedung paradigmatischer Umstaumlnde wird hier nicht geteilt Eine weitere Bearbeitunglaumlsst der Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht zu
210 Vgl Nordmann Another parting of the ways S 45211 Der Aussage dass Heideggers Ding-Begriff kantianisch waumlre muumlsste einer gezielten Untersu-
chung unterzogen werden genau wie die Behauptung insgesamt dass Heidegger oder inwie-weit dieser noch der suumlddeutschen Kantschule des 1920 Jahrhunderts angehoumlrte
212 Vgl Luckner Andreas Ding und Bestand Heidegger und das Wesen neuzeitlicher TechnikIn Gamm G Gehring P Hubig C Kaminski A und Nordmann A Ding und SystemS 15-30 hier S 29
213 Hubig Christoph Die Kunst des Moumlglichen Technikphilosophie als Reflexion der MedialitaumltBielefeld 2006 S 103
214 Vgl Hubig Christoph Technik als Medium In Grundwald Armin (Hg) Handbuch Tech-nikethik Stuttgart 2013 S 118-123 hier S 118
50
Dabei versteht Hubig Heideggers Betrachtungen zum Umgang mit der Technik
als gelassen
Fuumlr Heidegger liegt die Andersheit im Entbergen einer Wahrheit des Seinseines Geschicks von dem die Entwicklung der Technik hin zum Gestellkuumlnde Er verbindet dies mit dem Appell jenseits des rechnenden und si-chernden Vorstellens technischer Vollzuumlge als handlungsleitender Program-me sich gelassenlsquo dieser Entwicklung zu uumlberantworten und ein Seinlsquo zuhuumlten das sich als solches eben entbirgt Das Rettendelsquo dieser Einsicht lie-ge darin dass unsere individuelle Endlichkeit insofern transzendiert wirdals sie sich dem sie uumlbersteigenden Prozess aufschlieszligt und sich selbst relati-viert215
Wovon in diesem Zitat nicht die Rede ist ist der Mitvollzug der mythopoe-
tischen Rahmenbedinungen die Heidegger einfordert und an dem die Konzep-
te Abendland und voumllkische Tradition haumlngen In dieser Arbeit wird davon aus-
gegangen dass Heideggers Technikphilosophie-erzaumlhlung sich nicht von seinen
Absichten der Bekaumlmpfung des Technischen loumlsen laumlsst Die Relativierung ist in-
sofern nicht an den Prozess gebunden und damit emergent auf alles hin ausge-
richtet was kommen mag sondern houmlchst konvergent in einer Besinnung auf
Mythen von dem Ding und dem Geviert mit all deren Valenzen aus dem vorlie-
genden Heideggerschen Textkorpus Die individuelle Endlichkeit ist genoumltigt die
Heimat und das Abendland zu kennen und im Aletheia-Prinzip umzusetzen
Die Neubewertung der bislang bekannten Heideggerschen Technikphiloso-
phie von vor den SchwarzenHeften ist ein dringendes Desiderat Voumllkisch-nationale
Gruppierungen erstarken momentan in ganz Europa und es koumlnnte sehr hilfreich
sein aumlhnliche Denkstrukturen aufzudecken so wie sie zwischen den 1930er und
40er Jahren entwickelt wurden Zusaumltzlich muss das Werk Heideggers einer kriti-
schen Revision schon aufgrund der niemals von ihm behandelten Antisemitismen
unterzogen werden Heidegger hat nie zu diesen Stellung bezogen
Daruumlber hinaus ist das Thema Mythos und Philosophie ein weiterhin not-
wendiger Bereich der philosophischen Forschung In einem Bereich auszligerhalb
der exakten Wissenschaften und ohne klare theologische Tradition ist die Philo-
215 Hubig Die Kunst des Moumlglichen S 140
51
sophie beides sowohl Aufklaumlrer und antimythisch als auch Quelle fuumlr mythisches
Denken und affektierende Motive
52
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Die_Heidegger-Kontroverse ndash zuletzt abgerufen am 24042016)
56
Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
Der Unterzeichner versichert dass er die vorliegende Bachelorarbeit selbststaumlndig
verfasst und keine anderen als die von ihm angegebenen Hilfsmittel benutzt hat
Die Stellen der Arbeit die anderen Werken dem Wortlaut oder dem Sinne nach
entnommen sind wurden in jedem Fall unter Angabe der Quellen (einschlieszliglich
des World Wide Web und anderer elektronischer Text- und Datensammlungen)
kenntlich gemacht Dies gilt auch fuumlr beigegebene Zeichnungen bildliche Dar-
stellungen Skizzen und dergleichen
Darmstadt 25 April 2016
__________________________
(Eigenhaumlndige Unterschrift)
- Abkuumlrzungsverzeichnis
- Danksagung
- Einleitung
- Heideggers mythopoetisches Programm
-
- Zu den Begriffen Mythos Mythologie und Mythopoetik
-
- Ein Beispiel fuumlr ein Mythologem
-
- Heideggers Mythen
-
- Formen der Mythologie
-
- Heideggers mythopoetische Technik
-
- Zur Publikationsgeschichte von den Bremer Vortraumlgen 1949
- Die mythopoetische Spiegelung der Schwarzen Hefte
-
- Das Dinglsquo
- Das Ge-Stelllsquo
- Die Gefahrlsquo
- Die Kehrelsquo
-
- Konklusion
- Literaturverzeichnis
- Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
-
3
Kollegen der seinen sbquoBrief uumlber den Humanismuslsquo9 (1947) beisteuerte Dieser bi-
laterale Briefwechsel wie auch die konspirativen Vortraumlge im privaten Club zu
Bremen im Jahr 1949 denen Heideggers spaumlte Technikphilosophie entspringt
trugen zu einer Rehabilitierung bei Ab 1951 wurde Heidegger emeritiert wo-
durch er wieder in Freiburg lehren durfte
Diese Arbeit untersucht inwiefern Heideggers Technikdenken in den Bremer
Vortraumlgen (1949) von seinen seit 2014 vorliegenden sogenannten Schwarzen Hef-
ten (1931-1948 GA 94 ndash 97) Heideggers Notizbuumlchern zehren Diese sind die
wichtigste Quelle zum Nachvollzug seiner Gedanken zum Nationalsozialismus
und Rassismus geworden Die vielen Spekulationen um Heideggers menschliche
Defizite und deren Eingeschriebensein in seine Philosophie finden seitdem eine
handfeste Grundlage
Insofern wird der Frage nachgegangen ob und wie ein Programm anhand der
Schwarzen Hefte vorliegt das sich auf Heideggers Technikdenken niederschlaumlgt
Dazu wird davon ausgegangen dass Heidegger sich in eine Denkweise des My-
thologisierens begeben hatte die sich in den Schwarzen Heften manifestierte
Das untersucht Kapitel 2 Kapitel 3 untersucht wie die moumlgliche Mythologie der
Schwarzen Hefte mit dem ersten Vortrag seit Beendigung des Zweiten Weltkriegs
zusammen haumlngt
9 GA 9
4
2 Heideggers mythopoetisches
Programm
In diesem Kapitel wird die These aufgestellt dass Heidegger in den Schwarzen
Heften von 1931ndash1948 sich selbst eine Mythologie anlegt derer er sich in Veroumlf-
fentlichungen mythopoetisch bedient Die Mythopoetik aus seinen mythologi-
schen Annahmen bestimmt aber auch weite Teile seiner intimen Schriften (Denk-
tagebuumlcher) also die Schwarzen Hefte selbst Dh dass Heidegger sich seine ei-
gens gesetzte Mythologie aus fruumlheren Jahren als permanentes Zentrum seines
Philosophierens oder Nachdenkens fortschreibt und mit spaumlteren Gedanken zum
Zeitgeschehen aktualisiert Gerade diese Kohaumlrenz mit der er an seiner
Der Begriff der Mythologie und ferner der des Mythos bieten eine Vielzahl
von Moumlglichkeiten der Bestimmungen und Interpretationen Aus diesem Grund
ist der weiteren Erlaumluterung der These eines mythopoetischen Programms eine Be-
griffseingrenzung vorangestellt10 Genauso wird eine Erlaumluterung des Begriffs der
Mythopoetik dargelegt werden um darauf aufbauend Heideggers Vorstellungen
aus den Schwarzen Heften aufzudecken
21 Zu den Begriffen Mythos Mythologie
und Mythopoetik
Zur Bestimmung von Heideggers Vorstellungen als mythopoetisches Programm
werden die drei Begriffe Mythos Mythologie und Mythopoetik hier einer einfa-
chen lexikalischen Definition zugrunde gelegt Diese orientiert sich maszliggeblich
am Reallexikon der Deutschen Literaturgeschichtelsquo (RDL) das eine fachwissen-
schaftliche (philologische) Seriositaumlt besitzt die gefragten Begriffe aber auch kom-
pakt und uumlberschaubar abhandelt11
10 Eine fuumlr dieses Thema hervorragende Reflexion des Mythos-Begriffes bietet sich in Ernst Cas-sirers Der Mythus des Staateslsquo an Auf diesen Titel wird allerdings erst spaumlter eingegangenwerden um mit der Begriffseingrenzung nicht einen Cassirerrsquoschen uumlberbau zu erstellen
11 Die Eintraumlge des RDL werden hier bereits nur sehr sparsam verwendet bieten sie jedochweitaus reichhaltigere Reflexionen zu den drei gefragten Begriffen Trotz der faszinierenden
5
Insofern legt das RDL den Mythos uumlber die bdquoForm eines vorrationalen Wis-
sensldquo hinaus so aus
Mythos2 bezeichnet ein ndash oft einem vermeintlich wissenschaftlicheren lo-goslsquo als mythisches Denkenlsquo entgegengesetztes ndashWeltverhaumlltnis uumlber dessenEigenschaften [] immer wieder neu spekuliert wird und das man ua ausdem Mythos1 zu erschlieszligen sucht12
Zur Wortgeschichte erklaumlrt das RDL ferner dass im Fortschritt der bdquoFachschrift-
stellereildquo Mythos und Logos als Spannungsverhaumlltnis hervorzutreten beginnen
mit demmyacutetos als bdquoAusdruck fuumlr Erdichtetes oder Erfundenesldquo und logos bdquoals ver-
antwortende Redeldquo Mit der im RDL sogenannten bdquoFachschriftstellereildquo muss be-
reits die griechische Antike gemeint sein wenn es in der Begriffsgeschichte heiszligt
bdquo[i]n der antiken Geschichtsschreibung und Philosophie wird der Begriff fast im-
mer ex negativo im Hinblick auf das Nicht-Wissenschaftliche verwendetldquo13
Der Begriff Mythologie wird hauptsaumlchlich unterschieden in 1) eine bdquoZusam-
menstellung der Mythen einer bestimmten Kulturldquo und 2) deren bdquoErforschung
und theoretische Reflexionldquo14 Als Drittes kann die Zusammenstellung von hy-
postasierten poetischen oder heroisierenden Elementen als Mythologie aufgefasst
werden So sagt Adorno uumlber die deutschen Existentialisten dass sie bdquoin der ab-
soluten Verfuumlgung des Einzelnen uumlber sich [] soldatischldquolsquo an der bdquoBindung an
den Befehlldquolsquo15 hingen Sprecher solcherlei bdquoExistenz bewegen sich auf heroisie-
rende Mythologie zuldquo16 Insofern kann als Mythologie gelten was sich als solche
gebiert Er bindet dieses Mythologisieren in seinen Topos des bdquoJargons der Eigent-
lichkeitldquo ein der hauptsaumlchlich Heideggers eigenwilligem Sprachverhaumlltnis gewid-
Begriffsgeschichten von Mythos und Mythologie soll zugunsten der hier verhandelten The-se auf tiefergehende Reflexionen verzichtet werden Das Material dazu ist weiterhin uumlberdas RDL hinaus sehr umfangreich Dennoch wird davon ausgegangen dass der hier gewaumlhl-te Bedeutungsumfang der Begriffe dem Verstaumlndnis hinsichtlich der These von Heideggersmythopoetischen Programm genuumlgen wird
12 RDL S 665 Da das RDL in seiner Explikation von drei verschiedenen Bedeutungsdimensio-nen spricht wird in der zitierten 2 auf die 1 refereriert welche lautet ldquoMythos1 meint dieerzaumlhlende Darstellung von kollektiv bedeutsamen Orten und Figuren oder Naturphaumlnome-nen in aller Regel mit religioumlser oder kultischer Dimensionldquo (Ebd S 664)
13 RDL S 66514 RDL S 66015 Adorno Theodor W Jargon der Eigentlichkeit Zur deutschen Ideologie Frankfurt am Main
1964 S 10716 Ebd S 108
6
met ist Was Adorno als Abwehr gegen Heidegger und die deutschen Ideologen
der Moderne anfuumlhrt kann nicht in gleicher Weise auf die Romantiker fallen
Im 19 Jahrhundert fanden bei denen auch Bestrebungen statt Mythologie als
wissenschaftliche Wahrheitsfindung zu betreiben Mythologie ist dort bdquoSprache
der Phantasielsquo die jedoch auch Spuren der aumlltesten Geschichte enthalte und da-
durch deren Allegorisierung verhindereldquo17 Der Unterschied zwischen beliebiger
Allegorie und verbindlicher Mythologisierung liegt demzufolge im Rekurs auf die
bdquoaumllteste Geschichteldquo Der Antikestoff befluumlgelte Schriftsteller wie Philosophen zu
poetologischen und philosophischen Doktrinen die die bloszlige Zusammenstellung
von tradiertenMythen sprengten und ein progressives Mythologisieren forderten
Dieses Zusammenspiel fand seinen Houmlhepunkt im bdquoSystemprogrammldquo
[E]ine neue Mythologie der Vernunftlsquo welche den Gegensatz zwischendem Volk und einer philosophischen Elite aufloumlsen und eine allgemeineFreiheit und Gleichheit der Geisterlsquo verwirklichen sollte18
Daran beteiligt waren Friedrich Schlegel Hegel und Houmllderlin Bei den aus-
gepraumlgten Houmllderlinkenntnissen Heideggers kann von dessen Kenntnis des bdquoSys-
temprogrammsldquo ausgegangen werden auch wenn er dessen noblen Ziele nicht zu
beerben gedachte Gerade fuumlr Schelling jedoch bdquoist Mythologie das Mittelglied der
Ruumlckkehr der Wissenschaft zur Poesieldquo19 Es ist genau diese Aufwertung des Au-
tors aus einer Synthese von Kunst und dem Prozess ihrer archaischen Ruumlckfuumlh-
rung die Heidegger als Wahrheitsquelle vorphantasiert Er geht bei dieser My-
thologisierung so weit von der Errettung durch die Goumltter zu traumlumen wobei
er auf Houmllderlin als Mittlerfigur rekuriert der sich wiederum auf die Vorstellung
von Goumlttern der griechischen Antike bezieht Das ist ein Teil von Heideggers
voumllkischer Mythologie die eine reine Linie des Denkadels nachzeichnen will
Werden wir einen wirklichen geistigen Adel schaffen der stark genug ist dieUumlberlieferung des Deutschen aus einer groszligen Zukunft zu gestalten20
17 RDL 66218 RDL S 66319 Ebd20 GA 94 S 121
7
bdquoAus einer groszligen Zukunftldquo ist hierbei bezeichnend fuumlr die Vorstellung eines
Versprechens aus der Vergangenheit Das macht diesen Mythos aus Heideggers
Mythologie
Mythopoetische Texte schlieszliglich werden definiert als
Literarische Werke die Mythen aufnehmen und auf eine fuumlr die Textaussagekonstitutive Weise dichterisch bearbeiten21
Die Besonderheit von der bei der vorliegenden Arbeit ausgegangen wird ist dass
Heidegger in seinen echten Publikationen wobei hier besonders die Vortraumlge von
1949 von Interesse sind nicht bloszlig mythologisierte im Sinne eines bdquoerweiterten
Mythosldquo Sondern er schreibt als Mythopoet schoumlpfend aus seiner privaten My-
thologie Diese legte er sich selbst zu Grunde in den Schwarzen Heften Es sind die
Manifestationen seines Glaubens an romantisierte Antikeideale und seine Uumlber-
houmlhungen von Fantasien von einem deutschen Volk
Wie das Metzler Literaturlexikon es bereits aufweist bdquoDie weitere Explikation
des M-Begriffs ist komplex und faumlllt in die Zustaumlndigkeit verschiedener Diszipli-
nenldquo22 Die Begriffseingrenzung hier hat allerdings in Bezug auf das RDL einen
deutlich literaturwissenschaftlichen Bezug da Heidegger eine bdquoPartnerschaft zwi-
schen Denken u Dichtenldquo23 anstrebte ndash bdquoDas Dichterischelsquo sollte rettende Wege
im Zeitalter des universalen technolog Zugriffs findenldquo24 Damit ist auch zum
wiederholten Male das Kontrastierende in dieser Haltung genannt ob sich der
Mythos nun gegen das TechnischeWissenschaftliche richtet (Heidegger) oder ge-
21 RDL S 66522 Metzler Lexikon der Literatur S 524 Ferner deutet ein Eintrag im Neuen Pauly dar-
auf hin bdquoEine alle Disziplinen befriedigende Definition von M (μῦθοςmyacutethos latmythos) zu finden erweist sich trotz vieler Versuche als unmoumlglichldquo (Graf Fritz(Princeton) Zgoll Annette (Leipzig) Hazenbos Joost (Leipzig) Niehr Herbert (Tuuml-bingen) Mythoslsquo Der Neue Pauly Hg v Cancik Hubert (Antike) und Schnei-der Helmuth Landfester Manfred (Rezeptions- und Wissenschaftsgeschichte) Brill On-line 2015 Reference Universitaumlts- und Landesbibliothek Darmstadt 06 December2015 httpreferenceworksbrillonlinecomentriesder-neue-paulymythos-e815160 Firstappeared on-line 2006)
23 Poumlggeler Otto Heidegger In Killy Literaturlexikon Autoren und Werke des deutschspra-chigen Kulturraums 15 Bde 1988-93 Bd 5 S 142-146 hier S 144
24 Ebd S 142
8
gen die Rationalitaumlt (Cassirer) er hat stets bdquodas erklaumlrte Andere des logischen
Erkennensldquo25 inne26
211 Ein Beispiel fuumlr ein Mythologem
bdquoDen μῦθος und λόγος [] aus ἀλήθεια erfahrenldquo27 Dieses System entruumlckt
Wort und Rede dem zwischenmenschlichen Sprachgebrauch und uumlberlaumlsst es dem
Prinzip eines eigenwillig ausgelegten Begriffs der ἀλήθεια ob etwas als Ereignis
zum Sein gereicht oder als Dasein hinfaumlllig ist Die erstrebenswerte Identifikation
mit dem bdquoLeben der Gemeinschaft und mit dem Leben der Naturldquo28 die der ge-
meinsame Austausch uumlber Mythen bieten soll zB im Raumlsonieren daruumlber (etwa
im Sinne des Logos) untersteht hier dem regelnden Prinzip einer Aletheia Mys-
thagogisch will Heidegger den archetypischen Akt dieser Wesensschau beim anti-
ken Griechenvolk enthuumlllen (vgl Kapitel 323) Damit ist die Zusammenstellung
von bdquoμῦθος und λόγος [] aus ἀλήθεια erfahrenldquo bereits ein Mythos seiner
Mythologie
Die Eigenwilligkeit mit der Heidegger einen Mix aus philologischer Hinwen-
dung zu den Vorsokratikern der Dichtung Houmllderlins und einem Pathos seiner
Heimatverbundenheit verquickt ist Adorno schon in den 1960ern als Mythologie
aufgefallen bdquoAntisophistik im Endstadium aufbereiteter Mythologie ist verhaumlrte-
tes Ursprungsdenkenldquo29 Adorno konnte nicht ahnen wie tief Heidegger seinen
Wunsch nach Ursprung in sein Denken verschlossen hat Der Bestand bdquoaufbe-
25 Erdbeer Robert Matthias Graf Fritz Mythoslsquo Der Neue Pauly Herausgegeben vonHubert Cancik Helmuth Schneider (Antike) Manfred Landfester (Rezeptions- und Wis-senschaftsgeschichte) Brill Online 2015 Reference Universitaumlts- und LandesbibliothekDarmstadt 06 December 2015 lthttpreferenceworksbrillonlinecomentriesder-neue-paulymythos-rwg-e1505640gt First appeared online 2006
26 Ernst Cassirer interpretiert in diesem Bezug ferner nachdem er den Konflikt zwischen ra-tionalem und mythischem Denken als Machtkonflikt aufwies Kants Annahme von zweibdquoGruppen von Gelehrten und Forschern die eine befolgt das Prinzip der Homogenitaumltlsquo dieandere das der Spezifikationlsquo [] Nach den Prinzipien der Kantischen Philosophie selbststehen beide Haltungen nicht wirklich im Widerstreit miteinander Denn sie druumlcken keinefundamentale ontologische Differenz aus keine Differenz in der Natur und dem Wesen derDinge an sichlsquo Sie repraumlsentieren eher ein doppeltes Interesse des menschlichen Verstandesldquo(Cassirer S 12) Allerdings ist Heidegger anti-wissenschaftlich Sein Ringen um das Mythi-sieren verfolgt das Ziel einer gegenwissenschaftlichen bdquoBesinnungldquo wie er es nennt
27 GA 97 S2028 Cassirer Der Mythus des Staates S 5329 Adorno Jargon der Eigentlichkeit S 41
9
reiteter Mythologieldquo liegt erst seit 2014 mit der Veroumlffentlichung der Schwarzen
Hefte vor
22 Heideggers Mythen
Heideggers Mythen sind weder eine Fortsetzung antiker Uumlberlieferungen noch
ein von ihm entwickeltes Fabulieren uumlber anthropomorphe Goumltter und ihre Ent-
stehungsgeschichten Es ist in erster Linie eine eigenwillige Philologie des Alt-
griechischen wenn er zB in bdquogeschichtlicher Besinnungldquo zum Zuruumlckgehen bdquoauf
den Zusammenhang von τέχνη ἀλήθεια und οὐσίαldquo30 auffordert Adorno cha-
rakterisiert seinen Begriff vom Jargon der Eigentlichkeitlsquo mit dem Zug der sta-
tischen Inbeschlagnahme einzelner Woumlrter die sich bdquodurch die Konstellation die
sie verleugnenldquo aus demDiskurs sprengten und als Apotheosen eine uumlbertriebene
Eigenbedeutung erhalten wuumlrden Diese guerrillaartige Umdeutung von Sprache
versteht Adorno als Asyl des Faschismus31
Was das singulaumlre Wort an Magie verlor wird ihm gleichwie durch Maszlignah-men dirigistisch angeschafft [] Bestandstuumlcke der empirischen Sprachewerden in ihrer Starrheit manipuliert als waumlren sie solche einer wahren undgeoffenbarten [] Der Jargon objektiv ein System benutzt als Organisati-onsprinzip die Desorganisation den Zerfall der Sprache in Worte an sich32
Die bdquoDesorganisationldquo die Adorno Heideggers Sprachzerfall zuweist ist viel-
mehr eine Neukonstellation im Sinne des Mythos So erscheint es zumindest
anhand der Leese die Heidegger in den Schwarzen Heften zusammentraumlgt Der
deutsch-schweizerische Philosoph Enno Rudolph fuumlhrt in diesem Zusammen-
hang einige Militaumlrmetaphern an die Heideggers Zielsetzung unterstreichen sol-
len mit seinem Sprachsystem voumllkisch-nationale und eben auch antisemitische
Abgrenzungspolitik zu betreiben
30 GA 94 S 336f31 Vgl Adorno Jargon der Eigentlichkeit S 8f bdquoAsyl des Faschismusldquo ist eine treffende Parodie
auf Heideggers Rede von der Sprache als Haus des Seins (su)32 Ebd S 10
10
Am Ende koumlnnten sich Text und Sache moumlglicherweise so darstellen lassen[] dass sich das Gesamtwerk als die labyrinthisch konstruierte letzte Basti-on eines philosophischen Stellungskrieges positioniert in dessen Verlauf derAntisemitismus ndash neben den anderen programmatischen Feindseligkeiten ndasheine strategische Funktion nach Analogie mehrerer einander koordinierterWaffengattungen erfuumlllt [] dass es sich bei den vier Baumlnden um Bausteinefuumlr eine Kampfschrift handelt33
Mit dem Schluumlssel des Verstaumlndnisses der altgriechischen Sprache seiner Liebe
zum Klassikautor Houmllderlin und als selbsterklaumlrter Feind der Metaphysik ver-
stand sich Heidegger als Prophet des Denkens das als Dichtung veredelt An-
athema zur Rationalitaumlt und Wissenschaft (worunter er auch die Philosophie ver-
stand) sein sollte Die strenge Bindung an seine Pseudotradition des Abendlandes
sollte mythologisch festgezurrt sein aber seine Veroumlffentlichungen in Form von
Vortraumlgen und Aufsaumltzen und schlieszliglich in Buchform sollten selbst nicht bloszlig
mythologisch sein ImModus von verhaumlrtetem solipsistischen Narzissmus ging er
daruumlber sogar noch hinaus und wollte sich verstehen als mythopoetischen Autor
seiner eigenen Mythologie
Eine katalysierende Wirkung auf dieses Vorgehen Heideggers hatte der Alt-
philologe Walter F Otto (1874ndash1958) In einem vor den Schwarzen Heften in
2009 veroumlffentlichen Aufsatz schildert der franzoumlsische Germanist Daniel Meyer
von diesem Bezug und untersucht Heideggers Verbindung der Kehre34 und des
Mythos Die Entdeckung des griechischen Mythos Heideggers geschichtsphilo-
sophische Wendelsquo35 Wie es der Titel verraumlt markiert Meyer Heideggers Kehre
zur Seinsgeschichte mit dessen bdquoEntdeckungldquo des Mythologisierens36
33 Rudolph Enno Heideggers Schwarze Hefte im Echo In Philosophische Rundschau Bd 62Heft 2 (2015) S 141-154 hier S 145f
34 Die bdquoKehreldquo ist multifaktoriell mit Bedeutungen besetzt Darauf kann hier nicht eingeangenwerden Im Uumlblichen ist die Kehre zur bdquoSeinsgeschichteldquo gemeint
35 Meyer Daniel Die Entdeckung des griechischen Mythos Heideggers geschichtsphilosophi-sche Wende Germanica 45 (2009) S 13-26
36 Diese Entdeckung ist wie bei Peter Trawny (su) gebunden an Heidegger Topos des AnfangsDen Anfang dieser Rede des Anfangs will auchMeyer erkannt haben Insgesamt koumlnnen nochmehrere starke Aumlhnlichkeiten des Artikels von Meyer mit Trawnys Buch uumlber die Schwar-zen Hefte nachgewiesen werden womit Trawny ohne jegliche Nennung Meyers unter denAnfangsverdacht des Plagierens faumlllt
11
Ottos 1929 erschienenes Werk Die Goumltter Griechenlandslsquo37 sei laut Meyer
der fuumlr Heideggers mythologische Strategie unentbehrliche Einfluss Somit sei
der griechische Goumltterbegriff nicht mehr bdquochristlich antithetisch zu Welt und
Mensch sondern in Einheit damit zu denkenldquo38 Diese Einheit wuumlrde gestif-
tet durch bdquoOttos Formel vom Geheimnis der Beruumlhrung von Goumlttlichem und
Menschlichenlsquoldquo39 Da Meyer das Mythologisieren im Zusammenhang mit der ge-
schichtsphilosophischen Kehre auch im Sinne einer bdquoVorrangstellung des primi-
tiven archaischen von ihm [Heidegger DS] als mythisch verstandenen Den-
kensldquo40 als Weg zum Nationalsozialismus ndash der Traum Heideggers eines neuen
(deutschenabendlaumlndischen) Anfangs ndash versteht liegt dem bdquogriechischen Goumltter-
begriffldquo hier eine besondere Wertlegung zugrunde41
Die Beschwoumlrung des Anfangs des griechischen Ursprungs ermoumlglicht ei-nen genuinen Neuanfang im Sinne einer Annullierung des Vorhergekom-menen Der Ausweg aus der Moderne aus der Welt der Uneigentlichkeitist moumlglich durch einen Bruumlckenschlag zum griechischen Denken [] DieMoumlglichkeit diese Krise zu uumlberwinden ist fuumlr Heidegger 1933 durch dienationalsozialistische Machtergreifung gestellt doch reiht er diesen Prozessin eine legitimierende geschichtsphilosophische Perspektive die auf einengriechischen Ursprungsmythos zuruumlckverweist42
Meyer findet kernige Passagen die er aus Heideggers Schriften und Vorle-
sungen bis 1935 durchaus uumlberzeugend zur Unterstuumltzung seiner These anfuumlhrt
Diese Zitate Heideggers sind der Mythologie der Schwarzen Hefte sehr aumlhnlich als
tentatives Entwerfen
37 Otto Walter F Die Goumltter Griechenlands Das Bild des Goumlttlichen im Spiegel des griechi-schen Geistes Frankfurt am Main 2013Meyer verweist in einer Fuszlignote auf das Buch Heideggerrsquos Roots Nietzsche National So-
cialism and the Greekslsquo von Charles Bambach (2005) das ihm fuumlr diese Aussage Pate stand38 Meyer Die Entdeckung des griechischen Mythos S 439 Ebd Durch eine solche Formel der Einheit von Menschen und Goumlttern ist ein nahtloser
Anschluss an die Goumltter Heraklits und anderer antiker Philosophen geebnet Heidegger hatdiese Moumlglichkeit erstaunlich ernst genommen und ausgearbeitet
40 Meyer Die Entdeckung des griechischen Mythos S 341 Meyer stolperte mit der Begruumlndung dass bdquoDieser erstaunlich unkritische Gottesbegriff []
sich nur im Kontext von Ottos Goumltter Griechenlands verstehenldquo (Meyer Die Entdeckungdes Griechischen Mythos S 4) lieszlige uumlber Heideggers SoSe Vorlesung 1930 Vom Wesender menschlichen Freiheitlsquo (GA 31 S 7f) Ferner vollzieht er Ottos Einfluszlig uumlber die ersteHoumllderlin-Vorlesung von 193435 und weitere Schriften Heideggers nach Es geht Meyerauch stark um das Verhaumlltnis von Heideggers Denken bis und nach Sein und Zeit was indieser Arbeit nicht tiefer behandelt werden kann
42 Meyer Die Entdeckung des griechischen Mythos S 4f
12
Das legt nahe dass Heidegger sein mythopoetisches Texten als Code vor allem
in den Nachkriegsveroumlffentlichungen einsetzt ndash ein Nachruf aus dem gescheiter-
ten Anfang43 Ab 1935 jedenfalls haumltte sich Heidegger von der Vorstellung des
neuen Anfangs verabschiedet44
Das Mythologisieren konstruiert Meyer als Anschluss an die Houmllderlin-Vor-
lesung (193435) Die Houmllderlinsche Lyrik haumltte fuumlr Heideggers bdquophilosophisches
Sprachmaterialldquo Vorbildcharakter da bdquomit Houmllderlin die griechische Mytholo-
gie in ihrer sprachlichen Verbildlichung zum tragenldquo45 kaumlme Die dann staumlndige
Wiederauferstehung der bdquogriechischen Goumltter- und Heldenwelt in seinen Vorle-
sungenldquo schluumlge dem zu Buche In der Vorlesung 193435 Houmllderlins Hymnen
Germanienlsquo und Der Rheinldquo klingt insofern bereits eine Figur an die Heidegger
uumlber zehn Jahre spaumlter in seinen technikphilosophischen Bremer Vortraumlgen mit
seinem Aletheia-Prinzip verbinden wird ndash der bdquoBlitzldquo (su)
43 Eine genaue Untersuchung laumlszligt die Form dieser Arbeit nicht zu sie bezoumlge sich wie gesagtauf die drei Darstellungsebenen der GA mit den Schwarzen Heften (GA 94ndash97) als (Entwurfs-phase) Besinnung (GA 66) Das Ereignis (GA 71) ua als (Konzeptionsphase) und den BremerVortraumlgen (GA79) als (Praumlsentation) die Uumlbergaumlnge sind freilich flieszligend und gerade in denvon Meyer zitierten Vorlesungen erscheinen alle drei Stufen mitunter gleichzeitig Gerade imfolgenden zitierten Doppelband in dem es ua um die bdquoWahrheit der Spracheldquo geht scheintes tatsaumlchlich genau wie Meyer es identifiziert um die Grundlegung Heideggers Mythologiezu gehen die in den Schwarzen Heften vielmehr lemmaartig und sporadisch entworfen wirdMit Heraklits Spruch des Kampfes als Wesen des Seienden zieht Heidegger einen Paten seinerMythos-Logos-Aletheia Kombination heran und versucht seiner eigenwilligen Philologie ei-ne verpflichtende Bedeutungstiefe einzulegenMeyers Zitate Heideggers mit groszliger Relevanz fuumlr diese Arbeit sind die folgenden bdquoDa-
mals als das Volk der Griechen deren Stammesart und Sprache mit uns dieselbe Herkunfthat in seinen groszligen Dichtern und Denkern sich aufmachte eine einzigartige Weise desmenschlichen volklichen Daseins zu schaffen Was da anfing ist bis heute nicht eingeloumlstAber dieser Anfang ist noch nicht und er verschwand nicht und verschwindet nicht dadurchdaszlig die nachkommende Geschichte immer weniger seiner Herr blieb Der Anfang ist nochund besteht als ferne Verfuumlgung die unserem abendlaumlndischen Schicksal weit vorausgreift unddas deutsche Geschick an sich kettetldquo (GA 3637 S 6 Die Grundfrage der PhilosophielsquoSommersemester 1933)bdquoAls μυθος ist das Wort das uumlber den Menschen kommt jenes worin ihm dieses und
jenes seines Gesamtdaseins gedeutet wird nicht das Wort in dem er von sich her Rede stehtsondern das Wort das Weisung gibt [] Aber der urspruumlngliche λογος der Philosophiebleibt dem μυθος verbunden erst die Sprache der Wissenschaft vollzieht die Abloumlsungldquo(Ebd S 116)
44 In den Schwarzen Heften houmlrt die Sehnsucht nach dem neuen Anfang nicht auf also bis ein-schlieszliglich 1948
45 Meyer Die Entdeckung des griechischen Mythos S 6
13
Gewitter und Blitz sind die Sprache der Goumltter und der Dichter ist derder diese Sprache ohne Ausweichen auszuhalten hat aufzufangen und in dasDasein des Volkes zu stellen hat [] Die Dichtung ist ein Weiterwinkendieser Winke in das Volk oder von diesem her gesehen Dichtung ist []ein Zeigen ein Weisen in welcher Weisung die Goumltter offenbar werden46
Die Rede von bdquoWinkenldquo ist bereits ein Selbstbezug benannte der Autor der
Schwarzen Hefte seine ersten beiden Abteilungen des heutigen 94ten Bandes der
GA als Winke x uumlberlegungen (II) und Anweisungenlsquo und uumlberlegungen und
Winke IIIlsquo47 Diese setzen ein im Jahr 1931 und duumlrften moumlglicherweise bis 1933
oder vielleicht auch 1935 gereicht haben Heideggers Selbstuumlberhoumlhung als mys-
tagogisch bdquodichterisch-denkenden Schaffenden ndash also ihm selbstldquo48 erkennt auch
Meyer bereits ohne die eindeutigen Zeugnisse dieses Wunsches in den Schwarzen
Heften Es ist Heideggers Begehren das Volk seiner Fuumlhrung zu unterstellen bdquoso
dass sich das Wesen dieses Landes selbst findet und vollendetldquolsquo49
Meyer spricht in Folge daran davon was Heideggers Ursprungsmythos den
er in die griechische Altertum legt fuumlr diesen leistet Es ist eben das antiwis-
senschaftliche bdquoWissenldquo von einer bdquoUr-geschichteldquo Welche abgruumlndigen Motive
auch immer da hineinzuprojizieren sind (Bodenhaftigkeit arische Reinbluumltigkeit
abendlaumlndische Groumlszlige etc so wie es sich aus den Schwarzen Heften offenbart)
der Mythos verschraumlnkt Heideggers Streben nach Fuumlhrung als Denker und eine
Begruumlndung fuumlr die vermeintliche rassische uumlberlegenheit des deutschen Volkes
Meyer zitiert den Dichter-Denker mit bdquoMythologielsquo ist Wissen von einer Ur-
geschichteldquolsquo Es ginge um
Wissen nicht im archaumlologisch-musealen Sinn sondern als Prozess [] auchim Sinne dass Heidegger im Moment des Aussprechens gerade das leistetwovon er spricht Mythologie50
Augenscheinlich sieht Meyer keinen Grund dafuumlr von einer mythopoetischen
Textform in der Verschraumlnkung von Heideggers Denkerprophetie und der abend-
46 GA 39 S 31f (zitiert nach Meyer Die Entdeckung des griechischen Mythos S 6)47 Aus dem beigefuumlgten Nachwort des Herausgebers Peter Trawny geht nicht genauer hervor
weshalb zuerst bdquoWinke x uumlberlegungen (II)ldquo und dann bdquouumlberlegungen und Winke IIIldquo signi-fiziert sind Es wird hier davon ausgegangen dass es sich schlicht um das Gleiche handeltwobei der erste Teil sich in den bislang verschollenen Schwarzen Heften befinden muss
48 Meyer Die Entdeckung des griechischen Mythos S 749 Ebd Darin zitiert ist die GA 39 S 28950 Ebd Darin zitiert ist die GA 40 S 165
14
laumlndischen uumlberhoumlhung zu sprechen Die Paarung von Dichtung und Denken al-
lerdings ist fuumlr den Husserlnachfolger erst der Zweck und die Mythologisierung
das Mittel dazu In seiner Schrift uumlber die Religionsphilosophie und ontologi-
sches Wahrheitsverstaumlndnis bei Walter F Ottolsquo schildert der Altersforscher und
Sozialwissenschaftler Schulz-Nieswandt aus Koumlln uumlber die menschliche Existenz
die bdquoMythopoetik als Seins-Vergewisserungldquo51
In jenem Kapitel seines Otto-Traktats von 2014 schreibt Schulz-Nieswandt
wie ein echter Epigone Heideggers von der Wappnung gegen die bdquoKrise der Mo-
derne ndash Entfremdung Einsamkeit Angst Verzweiflungldquo52 An fruumlherer Stelle
seines Buchs stellt sich dar dass Schulz-Nieswandt sich geradezu mit Heideggers
Linie vereint anstatt sich ihr nur anzunaumlhern
Es geht um das wahre Sein aus der Sicht des zu seinem Wesen gelangendenMenschen in dessen Daseinsfuumlhrung was hermeneutisch erschlossen wer-den soll nicht um Wissenschaft als hermeneutische Methode im Kriterien-spektrum zwischen Verifikation und Falsifikation von Hypothesen mittelsProtokollsaumltzen uumlber die Realitaumlt53
51 Schulz-Nieswandt Frank Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis beiWalter F Otto (1874-1958) Eine strukturalistische und psychodynamische RezeptionBaden-Baden 2014 S 58-60
52 Ebd S 58 Dabei spielt Schulz-Nieswandt die Begriffe Epistemologie gegen Ontologie ausund bezeichnet sich selbst als post-strukturalistisch im Sinne der Kritischen Theorie schrei-bend Jedoch erscheinen diese philosophischen Kontraste nur wie bdquoEdelsubstantiveldquo des vonAdorno gemuumlnzten bdquoJargon der Eigentlichkeitldquo Und in genau diesem Jargon laumlszligt der So-zialwissenschaftler Heideggers Urmythos des Goumlttlichen der griechischen Antike (so) inaktueller Praumlsenz wieder auferstehen Es ist erstaunlich dass jemand der die Kritische Theo-rie fuumlr sich reklamieren will Epigone des bdquoJargons der Eigentlichkeitldquo ist So zeigt es sichauch auf S 28 wenn er in Ottos Dionysos bdquodie ganze Tiefe des Menschen zum Ausdruck[bringt DS] die Todeserfahrung des sterblichen Menschen Dionysos ist Hadesldquo Um nocheinmal zu bestaumltigen wie sich Schulz-Nieswandt als Akteur des Jargons gebiert sei hier Ador-no zitiert (dies gilt allerdings nur der Gegenuumlberstellung zum Vorsatz jener wuumlrde sich ander Kritischen Theorie orientieren ohne fuumlr diese zu advozieren) bdquoDer Heideggerschen Phi-losophie schloszlig sich was einmal Pforte zum ewigen Leben war zu sie betet statt dessenWucht und Groumlszlige des Tores an [] Sein wuumlrdevolles Gehabe ist Reaktionsbildung auf dieSaumlkularisierung des Todes [] Darum wird Sinn in den Tod geworfenldquo (Adorno Jargonder Eigentlichkeit S 134)
53 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei WalterF Otto S 15
15
Beiden gemeinsam ist auch die Faszination an Houmllderlin die sie ebenso mit Otto
teilen
Die ganze Eigenart des Denkens von Otto kommt in dem komplett innerenVerhaumlltnis zu Heidegger und Houmllderlin zum Ausdruck54
Nur noch ein Gott kann uns rettenlsquo so das Zitat des Spiegelinterviews das Ja-
kob Augstein zum Titel machte ist die kodierte Mythopoetik auf die sich die
Spiegelleser keinen Reim machen konnten Fuumlr Heidegger fuumlr den das Sein in der
Sprache wohnen sollte55 ging es um den Mythos der Naumlhe zur Antike als Naumlhe
zu den Goumlttern
Fuumlr Houmllderlin war die Theologie der Abwesenheit Gottes als uumlberweltlichePraumlsenz der Verlust der Gotteserfahrung des diesseitig verankerten Men-schen [] Die Antike wird als eine von Goumltternaumlhe charakterisierte Zeitvon Houmllderlin verstanden und erneuert (der kommendelsquo Gott) ersehnt56
Dies ist eine der Leit-Mythen Heideggers insbesondere wenn man sich die Nach-
kriegsvortraumlge ansieht (eben die Bremer Vortraumlgelsquo)
Die Aufhebung der Trennungsangst durch die bdquoAbwesenheit der Goumltterldquo uumlber-
winde der in existenzieller Angst befindliche bdquohomo abyssusldquo mittels bdquoder lie-
bevollen Gestaltung als Sich-Einrichten des Menschen [] als apriorischer Mo-
dus des In-der-Welt-Seinsldquo durch die bdquoEwigkeit der Mythopoetikldquo57 Fuumlr Schulz-
Nieswandt ist Mythopoetik eben nur dieses ein peganistischer Goumltterdienst der
den Kanon der Ottoschen Antike mit Houmllderlin interpretiert Insofern versteht
dieser versuchte Religionsphilosoph der eigentlich Sozialforscher ist Heideggers
Mythologie als schoumlpfend aus geteilter Quelle mit Mythen als Gemeinplaumltzen
derer sich der Denker-Dichter philologisch sicher bediene
Dabei geht es Schulz-Nieswandt umHeideggers Aletheia-Prinzip das er bdquoWahr-
heitsbegriffldquo nennt ndash welches bdquoDie Differenz der Technik als Herrschaft uumlber
54 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei WalterF Otto S 20
55 Vgl GA 7 S56 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei Walter
F Otto S 2157 Vgl Ebd S 59
16
Dinge von der Kunst als Schoumlpfung als Lichtung des Seins zur Wahrheit unter-
scheidetldquo58 Houmllderlins Goumlttliches waumlre darin vermisst und von Bedarf fuumlr den
Menschen Mit der Nomenklatur der griechischen Goumltter Houmllderlins und Ottos
ginge es beim Wahrheitsprinzip um bdquodie Erinnerung an Dionysos als der wie-
der kommende Gott []ldquo sie bdquofuumlhrt zur Lichtung des Seins als Wahrheitldquo59 Der
Mensch waumlre also Hirte seines Seins nicht Herr der Technik zum Sein bdquoDas Sein
ist den Menschen nicht technisch verfuumlgbar Die notwendige Einkehr wird zu
Heimkehrldquo60
Insofern zeichnet Schulz-Nieswandt ganz in Heideggers Sinne nach wie Hei-
mat und Irrationalitaumlt des Mythos zusammenfallen im Kanon der Goumltter-Mytho-
poetik Zum einen ist allerdings Heideggers Mythologie nicht so sehr an diese
Mythopoetik uumlber die Goumltter gebunden sondern bewegt sich frei im eigenwil-
ligen Auslegen von altgriechischen und deutschen Begriffen Zum anderen ist es
erstaunlich dass Schulz-Nieswand 2014 die Bedeutung der Mythopoetik fuumlr Hei-
deggers Ursprungsmythos des neuen Anfangs ignoriert und damit auch die gan-
ze voumllkisch-nationale Aura und damit die Abgrenzungspolitik Vor allem aber
richtet sich Heidegger nicht in einer bdquoliebevollen Gestaltungldquo menschlich ein
wie Schulz-Nieswandt es schon pathetisch darstellt sondern befeinded sich mit
allem ihm Zuhandenen als bdquoRaprochementldquo61 in alle Richtungen und pocht auf
bdquogeschichtliche Besinnungldquo als bdquoAuftrag des Deutschenldquo62
221 Formen der Mythologie
Mit den zwei oben herangezogenen Arbeiten uumlber Mythologisieren und Mytho-
poetik Heideggers sollte in dieser Arbeit das Verstaumlndnis seines Projekts der an-
tirationalen und antitechnischen Ausrichtung in den aktuellen Forschungsstand
gestellt werden Um welche Mythologie es sich in den Schwarzen Heften handelt
wird im Folgenden aufgedeckt werden Bereits in dem ersten Heft der Denktage-
58 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei WalterF Otto S 58
59 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei WalterF Otto S 59
60 Ebd61 Wolin Richard Heideggers bdquoSchwarze Hefteldquo Nationalsozialismus Weltjudentum und Seins-
geschichte In Vierteljahrsheft fuumlr Zeitgeschichte Bd 63 Heft 3 S 379-41062 GA 94 S 66
17
buumlcher verschmilzt Heidegger seine Vision von Dichten und Denken stellt sich
unter dieses Ideal
Dichten undDenken ineinander geschlungen und so waumlre ihrWas im verbindend-trennenden Bestimmen gewonnen63
Als bdquoAusgriff in den Begriffldquo versteht Heidegger dies als bdquovorschreibend-bildenden
Entwurfldquo der hinfuumlhrend zum Ereignis des Aletheia-Prinzips waumlre ndash
(Dichtung als Mythos
Dichtung als Dichtung im engeren Sinne gtgtGedichtltlt
Dichtung als Philosophie)64
Grundsaumltzlich ist die lose wirkende Legion von Lemmata nicht mit einer
Ruumlckfuumlhrung seiner Gedanken auf bestimmte griechische Goumltter und antike (ech-
te) Mythen besetzt Heidegger fetischisiert Begriffe und mythologisiert die von
ihm aufgepfropfte Bedeutung durch ein staumlndiges Wiederholen und Weiterden-
ken als bdquoWissenldquo wie Meyer es herausgearbeitet hat In dieser philosophischen
Alchemie sieht sich Heidegger als Denker als Bewahrer einer uralten Lehre die
eben neu widererstarken muumlsse Das hat Meyer auch schon klar gemacht Die My-
thopoetik erscheint aber hauptsaumlchlich nicht in den Schwarzen Heften sondern in
den Vortragspublikationen sich auf seine private Mythologie beziehend die in
den Schwarzen Heften zu Grunde gelegt wird
Die Mythen Heideggers drehen sich wie Meyer zurecht behauptet um den
Ursprung bei den Griechen den bdquoGrund der Geschichte des Abendlandesldquo65
Aber auch um die vielen Binaritaumlten die sich entgegengesetzt werden und tat-
saumlchlich wie der Heidegger-Herausgeber und Initiator und Leiter des Wupper-
taler Heidegger Instituts Peter Trawny es benannt hat auf einen Manichaumlismus
zulaufen66 Die Abgrenzungspolitik im Sinne des schuumltzenswerten abendlaumlndisch-
heimatlichen Deutschlands richtet sich gegen den inneren Feind vorangetrieben
63 GA 94 S 6564 GA 94 S 6665 GA 96 S 20566 Trawny Peter Heidegger und der Mythos der juumldischen Weltverschwoumlrung Frankfurt am
Main 2015 S 22Das hier aufgefuumlhrte Buch birgt einige problematische Umformungen zum Verhaumlltnis von
Heideggers Antisemititsmus Allem voran versucht es eine Begriffsbildung zu formen nach
18
von der Rechenhaftigkeit des juumldischen Wesens und die aumluszligeren Feinde wie Ameri-
kanismus franzoumlsische Kultur russischer Bolschewismus usw Heideggers Urmythos
vom neuen Anfang ist verquickt mit einem selbstangedichteten Personenmythos
was ebenfalls Meyer schon erkannt hat Dieses Schema ist die Grundstruktur
Immer deutlicher wird in mir die Ahnung daszlig unsere Heimat der Kerndes suumldwestdeutschen Landes [er selbst DS] der geschichtliche Geburtsortdes abendlaumlndischenWesens sein wird [] es ist das Geistvolle und zugleichdas erdenhafte schoumlne Land Es birgt unsichtbaren Reichtum dem Gemuumltbewahret tiefstes Dichten und houmlchste Gestalt der Sage67
Die mitunter wichtigste Dichotomie die Heidegger in den Denktagebuumlchern
aufwirft ist die zwischen Historie und Geschichte Es ist insofern nicht nur der
Mythos des neuen Anfangs der Heideggers Denken uumlber fast zwei Dekaden be-
stimmt sondern umso mehr die doppelte Projektion ndash des Verfalls (Machenschaft)
in eine Konstruktion von Historie und des Bestehens (Sein) in die konstruierte
Geschichte68 Geschichte faumlllt dann schlieszliglich mit der Schaffung des neuen An-
fangs so zusammen wie Historie mit Technik verschraumlnkt wird Geschichtlichkeit
muss durch das Prinzip des Ereignisses der Aletheia prozessiert werden waumlhrend
die verrationalisierte wissenschaftliche technische Historisierung des Lebens und
der Lebenswelt dem widerstrebt
Die Bindung von Heideggers Vorstellung des richtigen Lebens im Sein mit
demAbendland und einer voumllkisch-nationalen Groumlszlige undUumlberlegenheit Deutsch-
lands ist dabei ausschlaggebend Denn mit der Charakterisierung des Guten auf
derer Heideggers Antisemitismus mittels Heideggers Denkmethode behandelt aufgehobenwerden koumlnnte Die Hauptbegriffe darin sind bdquoSeinsgeschichtlicher Antisemitismusldquo undbdquoKontamination des Denkensldquo Von einer tieferen Auseinandersetzung muss an dieser Stelleabgesehen werden
67 GA 97 S 5468 In Band 66 der GA gibt es bereits einen kleinen Abriss der Historie und Techniklsquo die der Ge-
schichte gegenuumlbergestellt werden Das dies eine Uumlbertragung der Gedanken aus den Schwar-zen Heften ist ist ohne Zweifel Ein ansatzweise philosophisches Vorgehen vermengt sichdort mit dem poeto-mythologischen Denken Heideggers In Sachen mythopoetischer Figu-ren undMetaphernreichtum haumllt sich dieser dort aber noch zuruumlck (auch wenn er hier bereitsoumlffentlich vom bdquohistorischen Tierldquo redet) Die Absicht Technik und Historie als Verstellungdes abendlaumlndischen Menschen zu brandmarken stehen dabei im Vordergrund Weiterhinsoll in dieser Arbeit allerdings der Fokus auf den Schwarzen Heften und der Mythopoetik inden Technikvortraumlgen der Nachkriegszeit liegenDer Duden sieht Geschichte und Historie als Synonyme Von einer Ethymologie und der
Spekulation von Heideggers Gruumlnden der Auseinanderhaltung der zwei Synonyme soll hierabgesehen werden
19
der Seite des Seins sind die Feinde dessen eine Notwendigkeit seines Erklaumlrungs-
schemas Dabei sind es vor allem die Juden denen die Wurzel des Antiseien-
den von Heidegger in ihr vermeintliches Wesen geschrieben wird Exemplarisch
spricht dafuumlr dieses Zitat aus Band 96
Die zweite Machtsteigerung des Judentums aber hat darin ihren Grund daszligdie Metaphysik des Abendlandes zumal in ihrer neuzeitlichen Entfaltungdie Ansatzstelle bot fuumlr das Sichbreitmachen einer sonst leeren Rationalitaumltund Rechenfaumlhigkeit die sich auf solchem Wege eine Unterkunft im Geistlsquovarschaffte ohne die verborgenen Entscheidungsbezirke von sich aus je zufassen zu koumlnnen69
Diese Vorstellung ist eine Konkretisierung dessen was Heidegger mit den Uumlber-
begriffen Historie vs Geschichte einige Jahre vorher begann zu topografieren
Wir sind durch die Historie geschwaumlcht [] ndash wir koumlnnen nur durch das ge-rettet werden was uns in seiner Verfaumllschung widert ndash durch die Geschich-te70
Dieses bdquoWirldquo sind die glorifizierten Deutschen vor allem nach der Ableitung von
den Griechen uumlber Houmllderlin (und dessen Griechen) und Nietzsche zu ihm und
seinem kleinen Kreis von ihm anerkannter Intellektuellen-Kollegen wie etwa
Carl Schmitt Oswald Spengler Walther F Otto und Ernst Juumlnger Die Luft auf
Heideggers Denker-Olymp ist duumlnn und bekommt nur Wenigen
Die Geschichte in Heideggers solipsistisch-immanenten Nachdenken erklaumlrt
sich wie gesagt immer zusammen mit der Hoffnung auf den neuen Anfang und
als Besinnung auf das Denken als Akt gegen die Historie Die Paarung der zwei
Woumlrter bdquoGeschichteldquo und bdquoBesinnungldquo durchzieht in deutlicher Haumlufigkeit alle
vier Baumlnde der Schwarzen Hefte ndash bdquogeschichtliche Besinnung [] ist die Uumlberwin-
dung der Historie und des Historismusldquo und sie bdquobedarf der houmlchsten Strenge
hinter der die historische Exaktheitlsquo weit zuruumlckbleibtldquo ndash somit ferner bdquonur wer
Geschichtemacht vermag sie auch zu errettenldquo71 Das oben mit Meyer und Schulz-
69 GA 96 S 4670 GA 94 S 26771 GA 94 S 358f
Dass die Besinnung eine militante Perspektive hat laumlszligt sich auch in Heideggers Vereh-rung Heraklits ldquoDer Krieg ist der Vater aller Dingerdquo finden Heidegger sah sich selbst alsDenker als Propheten des Seins Aus dieser Warte betrachetete er zuerst den Nationalsozia-
20
Nieswandt bereits aufgezeigte Bereiten des Goumlttlichen legt Heidegger in seinen
Begriff der Geschichte
Geschichte ndash das Gewagtwerden der Goumltter nur Groszlig als Untergang oderSieg ndash nicht Dauerlsquo wesentlich ndash sondern die Abgruumlndigkeit der Erstrei-tung ndash Opfer und Weile
Historie ist bei Heidegger bdquogeschichtliche Entwurzelungldquo die bdquoTyrannei der
Technikldquo bdquoSelbstvergoumltterungldquo und bdquoAbgoumltterei der Technikldquo72 In einer skizzen-
haften Emanationsfolge wird dieHistorie als Modus der Technik auf sich selbst zu-
ruumlckgefuumlhrt bdquoDas Riesige ndash [] Historie die Technik der Geschichtelsquo Technik
Die Historie der Naturldquolsquo73 Es ist vage annehmbar dass Heidegger hier die Tech-
nik als rechenhafte machenschaftliche Historisierung der Natur versteht die vor
dem Geschichtsbegriff stattgefunden haumltte Diese wiederum haumltte die Geschichte
in die rechenhafte Machenschaft verfremdet Wie ein Apparat erscheint Heidegger
der Gegenstand seiner Historie zu sein die sich automatisch durchsetzen wuumlrde
Die Historie stellt zunaumlchst das Nacheinander der Begebenheiten dessenwas vorbeizieht (passiertlsquo) her [] Sie erklaumlrt dann Spaumlteres aus dem Fruuml-heren sie findet sogar dass Ideen die Geschichtelsquo bestimmen74
Den historisierend narrativen Umgang mit Geschichte als Wissenschaft emp-
findet Heidegger als Technisierung derGeschichte Diese wiederum basiert auf den
statischen Topoi seiner Mythen von Vaterland Bauerntum Houmllderlin alten Grie-
chen den Goumlttern etc und der Anwendung des Aletheia-Prinzips im Ereignis
Das ist ein Tugendenkatalog der Deutschtuumlmelei mit einer paumldagogischen Kom-
ponente seine Mythologie im Aletheia-Prinzip zu praktizieren Er nennt dieses
Geschaumlft auch Denken und ahnt dessen Feinde bdquodie Forscher die in der Technik
ihres Arbeitens keine Reibung dulden und ihr Wissen fuumlr den Geist haltenldquo75
lismus und nach dem Krieg den real existierenden Sozialismus des Ostblocks im Zuge deratomaren Aufruumlstung als Vollstrecker Macher der Geschichte die den neuen Anfang ebnensollten Dass Heidegger diese bdquoklaumlrendeldquo Wirkung tatsaumlchlich spaumlter den Russen zuschreibtlaumlszligt sich in Band 97 der GA zweifelsohne nachvollziehen Hier kann aus Gattungsgruumlnden(BA-Thesis) nicht naumlher auf dieses Faible fuumlr absolutistische Regime eingegangen werden Je-denfalls ist die geschichtliche Besinnung und der Kriegsakt ein Widerspruch den Heideggerjedoch gleichsam adressiert Auch dies kann hier nicht weiter untersucht werden
72 GA 9473 GA 95 S 35174 GA 96 S 6275 GA 97 S 509
21
Insofern verschraumlnkt Heidegger das bdquohistorisch-technischeldquo zum Antagonis-
ten der bdquogeschichtlichen Besinnungldquo Es ist die Entwicklung einer historisch-
geschichtlichen Differenz unter dem Zeichen der Besinnung gegen die techni-
sche Machenschaft ndash es geht um zwei unterschiedliche Wissenssysteme76 In den
Schwarzen Heftenwird Technikmeistens als eine Seite der Muumlnze mit der anderen
der Historie genannt Sie haumltten eine schon angedeutete dualistische Dynamik
Wo beide Historie und Technik in solcher scheinbaren Gegensaumltzlichkeitverkoppelt sind koumlnnen sie sich zur Foumlrderung dessen zusammenschlieszligenwas einstmals wesentliche die Geschichte des Menschen mitbegruumlndet undwas wir die Kunstlsquo nennen Die Historie verschafft [] Anregungen undVorbilder der Nachahmung die Technik erleichtert [] die Zustellung vonDarstellungsmitteln und Wirkungsformen [] Gleichwohl ist alles wurzel-los [] berechnet und als Erlebnislsquo ausgegeben77
Diese vermeintliche Gefahr muumlnde als bdquoZuumlgellosigkeit des Historismusldquolsquo in der
bdquoBodenlosigkeit [] (das Judentum)ldquo78 Heideggers Mythos ist hier dieser bdquoWir
muumlssen zuvor geschichtlich sein [] Ohne diese uumlberlieferung verfaumlllt alles der
historisch-technischen Machenschaftldquo79
Heidegger mythologisiert uumlber den bdquoAuftrag des Deutschenldquo80 will in bdquoge-
schichtlicher Besinnung sehr weit zuruumlckgehen ndash auf den Zusammenhang von
τέχνη ἀλήθεια und οὐσίαldquo81 um Technik auf ihr Wesen im antiken Ursprung
zuruumlckzufuumlhren bdquoDie techne hat [] den Sieg uumlber die [] aletheia errungenldquo82
Heidegger will sie zuruumlckgewinnen Er will der Technik aus dem bdquoEreignisldquo83
wieder uumlbermaumlchtig werden und sieht das bdquoWesen des Vaterlandesldquo84 im Abend-
land Dabei ist es ihm unentbehrlich zu wissen bdquodaszlig das Griechentum [] und
76 Heideggers noch immer vorhande Rezeption in Puncto seiner Technikphilosophie erstauntdamit dass sein Prinzip der aletheiologischen Besinnung als alternatives Wissenssystem undTechnikkritik ob der eigenwilligen Konstruktion den Entwicklungen der Zeit standhaumllt
77 GA 95 S 21278 GA 95 S 9779 GA 96 S 10480 GA 94 S 6681 GA 94 S 35782 GA 95 S 13283 Ebd84 GA 96 S 52
22
nicht das Roumlmertum der Grund der Geschichte des Abendlandes istldquo85 Sein My-
thos von Heimat verknuumlpft sich uumlber Dichtung und Ereignis zu einem fuumlr die
Technikphilosophie essentiellen Bezugs-Topos
Wir brauchen keine Technik [] Das Wesen des Vaterlandes ist das Abend-land In ihm werden die Deutschen erst deutsch und erkennen die Muttervon Allem die unversehrte Erde [] Die Wahrheit erfahren wir im Ge-daumlchtnis Das Gedaumlchtnis ist die Dichtung Die Dichtung sagen der Denkerund Saumlnger in ihrem Gespraumlch Dieses Gespraumlch erst ereignet dichterisch dieDichtung in die Sprache (die Dichtung das Ereignis und das Ereignis dasAbendland) [] Wohnt in seiner Sprache [] seyd dem Seyn im Seyn Soist Sein das Seyn86
Eine weitere mythologische Form haben seine Fuumlgungen von Jahreszahlen
womit er bereits in den Bereich des Okkulten Mystischen abzurutschen droht
Houmllderlin wurde [] 1770 geboren [] 1870 aber Lenin Waumlhrend der []Lebenszeit Houmllderlins vollzogen sich die entscheidenden technischen Entde-ckungen und Erfindungen der neuzeitlichen Technik (1774ndash1806)87
Und ferner bdquo1807 Phaumlnomenologie des Geistes 1867 Das Kapital 1927 Sein
und Zeitldquo88
Als letzter Mythos sei hier sein Aufgriff der Spenglerschen Metapher des
Raubtiers89 aufgezeigt Uumlber weite Strecken philosophiert Heidegger uumlber das his-
torische Tier Das historische Tier muumlsse vernichtet werden die bdquodeutsche Zukunft
wirdlsquo nicht erst seinlsquo sie istlsquo schon seit Houmllderlin sie stifteteldquo90 Der Homo
faber ist fuumlr Heidegger das historisch-technische Tier qua der bdquoAngewiesenheit auf
das Tierhafte als Wesensgrundldquo91 Es fehle ihm was bdquodie Griechen als Anfangen-
deldquo mit der bdquoZugewiesenheit des Menschen zum Sein gewagt habenldquo92 wodurch
85 GA 96 S 20586 GA 97 S 52f Hierbei handelt es sich um eine Nachkriegsnotiz Heidegger aumlnderte den die
Adressierung in eine direkte Ansprache richtet sich an seine imaginierte Volksgemeinschaft87 GA 96 S 17488 GA 97 S 131 Womoumlglich ist es eine Uumlbung per Jahreszahlen das Aletheia-Prinzip zu prakti-
zieren eine Kontemplationshilfe Andererseits koumlnnte er auch der Regelmaumlszligigkeit der Zah-lenfolgen eine uumlbernatuumlrliche bdquoWahrheitldquo beimessen Dies bleibt an dieser Stelle unerforscht
89 VGl Spengler Oswald Der Mensch und die Technik Muumlnchen 1931 S 1090 GA 95 S 19791 GA 95 S 32092 GA 95 S 321
23
er den bdquoGoumlttern unertraumlglich gewordenldquo93 waumlre Das bdquoRaubtierldquo dem gegenuumlber
bdquoist die Urform des Heldenlsquoldquo94 Dann behauptet Heidegger dass das Raubtier das
historisch-technische Tier durch Anwendung seiner eigenen Waffen schlagen koumlnn-
te Es ist dabei die bdquoUumlberwindung der Metaphysikldquo mitgedacht die erfolge sobald
sich das metaphysische Fragen durch den Wille zum Willen verfestigt95 Auch
Spengler dachte an dieses Derivat des Nietzsche Topos vomWillen zur Macht das
er seiner antropomorphen Chimaumlre vom Raubtiermenschen eingibt Wieder ist
von der Gewalt die Rede die ein Tabula rasa schaffen sollte zur Wiederauferste-
hung des griechisch-abendlaumlndischen Anfangs in Deutschland bdquoDas Raubtier aber
mit denMitteln der houmlchsten Technik ausgestattet ndash vollendet die Verwirklichung
der brutalitas des Seinsldquo96
Es scheint so als haumltte Heidegger auf jeden Begriff einen Gegenbegriff (selbst
zum historisch-technischen Tier das Raubtier)97 Aber es geht hier nicht um die
Analyse ausgewogener Formprinzipien oder die Kritisierung seiner linguistischen
philologischen Faumlhigkeiten Die Zitierung der Heideggerschen Mythologie soll
seine Verbindung von voumllkisch-nationaler und antisemitischer Haltung mit den
Bedingungen und Anspruumlchen seines Philosophierens aufzeigen Da die Schwar-
zen Hefte wie alle sonstigen Werke seines philosophischen Schaffens in der GA
erschienen sind muumlssen sie insofern als Teil derer gelten Das bedeutet dass sie
ausreichend Relevanz fuumlr die Arbeiten uumlber die Technik haben98
93 GA 95 S 23694 GA 95 S 39795 Vgl GA 7 Uumlberwindung der Metaphysik S 7896 GA 95 S 39797 Vgl Rudolph Heideggers Schwarze Hefte im Echo S 151 bdquoKeiner hat Nietzsche so konse-
quent und wahnwitzig zumNazi avant la lettre verformt wie Heidegger und keiner hat einenzuvor gewaltsam gefuumlgig gemachten Nietzsche so konsequent instrumentalisiert um damitdie vulgaumlr- nationalistische Dekadenz im Sandwich zu geiszligeln wie Heidegger Die Philolo-gie ndash auch die klassische ndash (Colli Cancik Montinari) hat Nietzsche inzwischen laumlngst mitnachhaltigem Erfolg rehabilitiert Wer jetzt noch einen roten Faden von Nietzsche zu Hitlerzieht hat nur noch Heidegger auf seiner Seiteldquo
98 Zum Abschluss dieses Kapitels sei hinzugesagt dass der Veranschlagung der Beispiele vonHeideggers Mythologie ein Exzerpt von 13 Seiten aus 1700 Seiten Text der vier Baumlnde derSchwarzen Hefte zugrunde liegt Beim Studium dieser fielen die staumlndigen Repetitionen derimmer gleichen Figuren und Metaphern auf Daraus wurde geschlossen dass es sich um eineMythologie handeln kann was ein weiteres Forschen bestaumltigte Die hier zitierten Stellensind Topoi die sich in Huumllle und Fuumllle in jedem der vier Baumlnde finden lassen was ihrenmythischen Charakter unterstreicht Die Auswahl versucht ein besonders charakteristischesBild wiederzugeben
24
3 Heideggers mythopoetische
Technik
War Heidegger von seinem neuen Anfang nur zu traumlumen vergoumlnnt so gelang
ihm selbst aber die Wiederauferstehung aus der Asche des ZweitenWeltkriegs mit
der Vortragsreihe in Bremen (1949) uumlber die Technik Der Phoumlnix erweist sich
mittlerweile als Ikarus Anstatt sich selbst zu revidieren fordert Heidegger eine
Kehre ein die auf sein Programm der geschichtlichen Besinnung zum Ursprung ab-
zielt Rezipienten seiner Technikphilosophie taten zumeist seine voumllkischen und
nationalsozialistischen Verstrickungen mit der Niederlegung des Rektorats ab99
Sie glaubten an einen inneren Wandel Heideggers eine Laumluterung und sogar an
seinen geistigen Widerstand uumlber die Naziherrschaft hinweg100 Heute ist erwie-
sen wie Heidegger es aus seinem posthumen Gestaumlndnis in die Welt lecken laumlsst
dass er auf seine private Weise eine Form Nationalsozialismus hegte der die NS-
DAP und Hitler zwar als Vulgaumlrnazis kulturell degradierte aber sich selbst als
Denker-Nazi gerierte
Wie damit umzugehen ist steht aktuell in der Verhandlung Wie Rudolph es
behauptet stuumlnden die Heideggerianer bdquonun mit wertlosen Aktienldquo101 da Der
Kommunikationswissenschaftler Christian Fuchs sieht den Antisemitismus den
die Schwarzen Hefte zutage treten lassen als Notwendigkeit einer rigorosen Ver-
bannung Heideggers aus der technikphilosophischen Theorie102
99 Vgl Luckner Andreas Heidegger und das Denken der Technik Bielefeld 2008 S 64-69100 Vgl Babich Babette Nietzsche Heideggers Widerstand In Alfred Denker u Holger Zabo-
rowski (Hg) Heidegger-Jahrbuch 5 Heidegger und der Nationalsozialismus II Interpreta-tionen S 397-416
101 Rudolph Heideggers Schwarze Hefte im Echo S 146102 Vgl Fuchs Christian Martin-Heideggerrsquos anti-Semitism Philosophy of technology and the
media in the light of the ldquoBlack Notebooksldquo Implications for the reception of Heidegger inmedia and communication studies In tripleC Communication Capitalism amp Critique 13(1) (2015) S 55-78 hier S 74 Anstatt dessen pocht Fuchs auf die alternative Verwendungder Kritischen Theorie uumlber Fragestellungen zur Technik
25
It seems to me that Heideggerrsquos fetishism is often lrsquoart pour lrsquoart Heideg-ger pour Heidegger a tactic that aims at creating an aura of complexity byevoking Heidegger although the same content could be expressed withouthim103
Fuumlr Trawny waumlre dies ein bdquoperformativer Widerspruch [] stets daran zu erin-
nern Heidegger vergessen zu sollenldquo104 Quo vadis Heidegger
Die objektive Antwort Rudolphs der an den Commonsense und die Beweis-
last der Anklage glaubt wie auch der subjektive Appell Fuchs der es zur mora-
lischen Entscheidung des Einzelnen macht Heidegger zu vernachlaumlssigen setzen
aktuell die Jahrzehnte alte Tradition der Heidegger-Kontroverse fort Ein im Sep-
tember 2016 erscheinender Sammelband wird zusaumltzlich die Debatte mit neuen
Bewertungen anreichern105
In diesem Kapitel soll es nicht um die direkte Einreihung in eine der bestehen-
den Polemiken gehen sondern um den Versuch der Betrachtung der spaumlten Tech-
nikphilosophie Heideggers als mythopoetische Dichtung in seinem Sinne des
Philosophierens Als exemplarisches Werk ruumlckt damit das Vortrags-Geviert der
Bremer Vortraumlge ins Zentrum der Anschauung106 Hier wird davon ausgegangen
103 Ebd S 73104 Trawny Heidegger und der Mythos der juumldischen Weltverschwoumlrung S 141105 Heinz Marion und Kellerer Sidonie (Hg) Martin Heideggers raquoSchwarze Heftelaquo Eine
philosophisch-politische Debatte Berlin 2016 (im Druck) Aus dem Klappentext diesesTitelsbdquoOffene antisemitische Aumluszligerungen in diesen Denktagebuumlchern haben in der nichtakade-
mischen Oumlffentlichkeit fuumlr Empoumlrung gesorgt Die entscheidende Frage ist jedoch welcheVeraumlnderungen der Perspektive auf Heideggers Denken insgesamt sich dadurch ergebenund ob damit zugleich eine Neubewertung des Gesamtwerks eines der einflussreichstenPhilosophen des 20 Jahrhunderts noumltig istldquoEine der Herausgeberinnen des Bandes Sidonie Kellerer ist zudem an einem anlaufenden
fuumlnf jaumlhrigen Forschungsprojekt an der Universitaumlt Stuttgart im Rahmen des StuttgartResearch Centre for Text Studies beteiligt Heidegger und die Postmoderne Geschichteeiner Irrefuumlhrungiquest Sie und der Stuttgarter Literaturwissenschaftler Claus Zittel werden Hei-deggers ideologische Verstrickungen in den Nationalsozialismus untersuchen die textlichrekonstruierbar aber nachtraumlglich geklittet worden waumlren bdquoSo konnte die Wissenschaft-lerin Dr Sidonie Kellerer anhand des Vortrages Die Zeit des Weltbildeslsquo erstmals 1950veroumlffentlicht [sic] dass zahlreiche Passagen nachtraumlglich so modifiziert wurden dass dieurspruumlngliche Apologie des Nationalsozialismus nunmehr als Kritik am Regime gedeutetwerden konnte Die 2014 erschienenen Schwarzen Heftersquo mit persoumlnlichen AufzeichnungenHeideggers bestaumltigen zudem wie tief verankert in seiner Philosophie Rassismus undNationalsozialismus waren und bliebenldquo(httpwwwuni-stuttgartdehkompresseservicepressemitteilungen201567_kellererhtmlzuletzt abgerufen am 1442016)
106 Von einer umfassenderen Analyse der Schriften Heideggers zur Technik muss aus Platzgruumln-den abgesehen werden Die Voumlrtraumlge vom Ge-stell der Technik der Kehre und dem Dingsind vor allem wegen ihres Publikationszeitraums interessant da sie direkt an die Dokumen-
26
dass Heidegger den Versuch der abgrenzungspolitischen Einflussnahmemacht ge-
maumlszlig der oben dargelegten Ressentiments die sich in einer Mythologisierung des
Abendlandes niederschlagen Um seinem Ideal des dichtenden Denkens als Philo-
sophieren nachzukommen will Heidegger diese Einschreibung des Abendlandes
mythopoetisch vollfuumlhren
Grundsaumltzlich ist Verbindung und Trennung Heideggers boumlser Schwarzer Hef-
te mit und von seiner guten Technikphilosophie das Schlachtfeld aktueller De-
batten Wie bereits darauf hingewiesen werden hier Schwarze Hefte und Veroumlf-
fentlichungen wie eben in Form der Bremer Vortraumlge als ein kontinuierlicher
Arbeitsprozess gesehen Es gibt insofern nur einen Heidegger und keine gespal-
tene Persoumlnlichkeit Die Siegener Philosophin Sodonie Kellerer stellt dies anhand
Heideggers Selbstsicht luzide dar
Seine immer wiederkehrende Beschwoumlrung des Werkeslsquo und seine an diver-sen Stellen der bislang vorliegenden Briefkorrespondenz artikulierten Be-muumlhungen dieses Werklsquo fuumlr die Nachwelt zu sichern [Kellerer bezieht sichhier ua auf Heideggers Briefwechsel mit seiner Frau der 2007 veroumlffentlichtwurde DS] verdeutlichen wie sehr er seine Texte als ein Ganzes verstandin dem keines der Teile entbehrliche Wiederholung geschweige denn irrele-vante Eroumlrterung ist107
Dabei allerdings wird die Frage offen bleiben mit welchem Maszlig er sich selbst ge-
faumlhrdet sah seine Ansichten oumlffentlich zu vertreten und welche Konsequenzen er
dabei fuumlrchtete Denn er musste die Vortraumlge kodieren ndash was er im Sinne der My-
thopoetik auch macht ndash und mit Einigem hinterm Berg halten108 Dass es dabei
verschiedene Offenbarungsebenen gibt wird hier erst einmal hingenommen Es
interessieren staumlrker nachweisbare Bezuumlge des Entwurfsdenkens Heideggers zur
Oumlffentlichkeitsarbeit von ihm109
te der Schwarzen Hefte anschlieszligen (1948 der letzte Band der Schwarzen Hefte umfasst denZeitraum 1942-1948)
107 Kellerer Sidonie Kampf der Besinnung In Deutsche Zeitschrift fuumlr Philosophie Band 63Heft 5 Seiten 941ndash957 hier S 942
108 Weshalb die Veroumlffentlichung der Schwarzen Hefte auch weitestmoumlglich nach hinten verlegtwurde
109 Wuumlrde man dem entgegenhalten dass Heideggers vermeintliches Genie aus Formalisierun-gen seiner Gedanken ableitbar eine wichtige Quelle an sich bliebe scheitert dieses damitdass nun die Formalisierungen nicht personenneutral sozial-epistemologisch bestehen koumln-nen Als Vergleich wuumlrde man aus Hitlers und Goumlbbels Reden Formalisierungen isolierenlieszlige sich bestimmt die eine oder andere plausible Idee entwenden (wenn sie voumlllig dekon-
27
Hierzu wird der Text der gesamten vier Vortraumlge unter dem Titel Einblick
in das was ist Bremer Vortraumlge 1949lsquo110 aus dem 1994 veroumlffentlichten 79 Band
der GA zugrunde gelegt Das hat den Grund dass davon ausgegangen wird dass
der Text somit am naumlchsten an den 1949 tatsaumlchlich vorgetragenen Manuskripten
liegt Insofern ist eine realistische Annaumlherung an eine mythopoetische Uumlbertra-
gung der Schwarzen Hefte in die Bremer Vortraumlge 1949 das Ziel Demgegenuumlber
gibt es ob der virulenten Publikationspraxis von Heideggers Schriften111 noch
andere Auskopplungen der vier Vortraumlgsteile mit den Titeln Das Dinglsquo Das Ge-
Stelllsquo Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo
31 Zur Publikationsgeschichte von den
Bremer Vortraumlgen 1949
Zuerst erschien 1954 im Neske-Verlag (Pfullingen) ein Sammelband der lediglich
den ersten Vortrag Das Dinglsquo enthaumllt allerdings in leicht erweiterter Fassung
so wie er ein halbes Jahr nach dem Bremer Auftritt in Muumlnchen (1950) an der
Akademie der Schoumlnen Kuumlnste gehalten wurde112 Dem Band hinzugefuumlgt ist aber
zudem ein Vortrag der vornehmlich die Kernaussagen von Das Ge-Stelllsquo und
Die Gefahrlsquo verbindet allerdings in modifizierter Form Dieser wurde unter dem
textualisiert wuumlrde) Ist aber die wahre Verbindung zu Hitler und Goumlbbels hergestellt hatman selbstverstaumldlich die Verantwortung zu tragen an dem ganzen Tross von unmoumlglichenVerfehlungen dieser Menschen die sie fuumlr uns zu Personae non gratae stempeln muumlssen
110 GA 79111 Hierauf macht auch der Darmstaumldter Philosoph Gernot Boumlhme aufmerksam als Akt ei-
ner bdquoposthumen Selbstinszenierungldquo in Boumlhme Gernot Selbstinszenierung uumlber Ruhmin der Philosophie In Information Philosophie (Online Ausgabe 12015) URL=lthttpwwwinformation-philosophiedea=1ampt=8232ampn=2ampy=5ampc=29gt zuletzt ab-gerufen am 2442016)
112 Heidegger Martin Das Ding In Ders Vortraumlge und Aufsaumltze Pfullingen 1954 S 163ff
28
Titel Die Frage nach der Techniklsquo113 am 18 November 1953 an der TUMuumlnchen
gehalten
Eine weitere Auskopplung diesmal des letzten Vortragsteils Die Kehrelsquo fin-
det sich in einem broschuumlrenformatigen Band wiederum im Zusammenspiel mit
dem Vortrag Die Frage nach der Techniklsquo in Die Technik und die Kehrelsquo114 von
1962 wieder Somit wurden die Vortraumlge Das Ge-Stelllsquo und Die Gefahrlsquo lange
Zeit nicht veroumlffentlicht sondern als vermischter und modifizierter Text eben
Die Frage nach der Techniklsquo jeweils zusammen mit Das Dinglsquo (1954) und Die
Kehrelsquo (1962) angeboten115 In der Vorbemerkung zu Die Technik und die Keh-
relsquo wird diese kleine Chronologie leicht verfaumllscht auch aufgezeigt Darin heiszligt
es ferner dass Die Frage nach der Techniklsquo eine erweiterte Fassung von Das Ge-
Stelllsquo waumlre Dem ist wie schon gesagt nicht so Sondern es ist eine modifizierte
Vermischung von Das Ge-Stelllsquo und Die Gefahrlsquo was unschwer zB am Begriff
vom bdquoHer-vor-bringenldquo116 zu erkennen ist der in Die Gefahrlsquo eingefuumlhrt wird
und in Die Frage nach der Techniklsquo die gleiche Bedeutungskonstituente bildet
Mit der Veroumlffentlichung des 79 Bandes der GA 1994 wurden alle vier Bremer
Vortraumlge von 1949 publiziert In Band 11 der GA erschien 2006 auszligerdem Die
Kehrelsquo in ihrer urspruumlnglichen Fassung Die Frage nach der Techniklsquo enthaumllt
weniger mythopoetische Teile als Das Dinglsquo und operiert demgegenuumlber staumlrker
anhand klassisch philosophischer Allgemeinplaumltze Derer sind vor allem zu nen-
113 Heidegger Martin Die Frage nach der Technik In Ders Vortraumlge und Aufsaumltze Pfullingen1954 S 9ff (Der Aufsatz erschien ebenfalls 1954 im Sammelband der Vortragsreihe DieKuumlnste im technischen Zeitalter Heidegger Martin Die Frage nach der Technik In DieKuumlnste im technischen Zeitalter Dritte Folge des Jahrbuchs Gestalt und Gedanke Hg v dBayrischen Akademie der Schoumlnen Kuumlnste Muumlnchen 1954 S 70ff)
114 Heidegger Martin Die Technik und die Kehre Pfullingen 1962115 Beide Baumlnde Votraumlge und Aufsaumltzersquo sowie Die Technik und die Kehrersquo haben hohe Aufla-
genzahlen (Uumlbersetzungen wurden hier nicht recherchiert wobei es aber eine internationa-le Heidegger-Rezeption gibt) 1993 wurde der Pfullinger Neske-Verlag von dem StuttgarterHaus Klett-Cotta uumlbernommen was die Buumlcher aber unveraumlndert belaumlsst Vortraumlge und Auf-saumltzelsquo zaumlhlt seit 2009 die 11 Auflage Die Technik und die Kehrelsquo seit 2014 die 13 BeideBaumlnde sind vergriffen Es mutet unverstaumlndig an weshalb eine fehlerhafte Jahresangabe ausder ersten Veroumlffentlichung von Die Technik und die Kehrelsquo bis 2014 kolportiert wurdeDort steht der Vortrag Die Frage nach der Techniklsquo waumlre am 18 November 1955 gehaltenworden Der Vortragstermin war aber am 18 November 1953
116 Vgl GA 79 S 64 Und Heidegger Die Technik und die Kehre S 11
29
nen die Auflistung der bdquovier Ursachenldquo117 nach Aristoteles und die Kritik an der
Technik als bdquoein Mittel zu Zweckenldquo118 (Kausalitaumlt)119
Der Vortrag Das Dinglsquo galt Heidegger bei der Darbietung seiner Technikphi-
losophie nach dem Zweiten Weltkrieg allerdings als unentbehrlich ndash und damit
seine groszligflaumlchige Aufblaumltterung der Mythopoetik wie im folgenden Kapitel hier
gezeigt wird Denn im Vortrag Die Frage nach der Techniklsquo benutzt Heideg-
ger noch immer seinen mythopoetischen Topos vom Versammeln des Gebirges
der mit dem Versammeln eine Konstituente des Gevierts ist (bdquoErde und Himmel
die Goumlttlichen und die Sterblichenldquo120) (su)121 Fuumlr die Kaumlufer und Leser von
der spaumlteren Veroumlffentlichung Die Technik und die Kehrelsquo wird zudem in Die
Kehrelsquo extra auf den Vortrag Das Dinglsquo in der 1954er Ausgabe in Vortraumlge und
Aufsaumltzelsquo verwiesen122 Das zeigt wie wichtig und unerlaumlsslich Heidegger seine
mythopoetische Denkweise der Technik ist Auch wenn er in Die Frage nach der
Techniklsquo einen allgemeineren und offeneren Ansatz entwickelt hat der dadurch
auch leichter zu erschlieszligen ist
32 Die mythopoetische Spiegelung der Schwarzen
Hefte in den Bremer Vortraumlgen von 1949
321 Das Dinglsquo
In dem Vortrag Das Dinglsquo der 1949 vor dem privaten Club zu Bremen dort im
Neuen Rathaus das Vortragsquartett einleitete fuumlgt Heidegger mythopoetisch
zusammen was folgenden Topoi seiner Schwarzen Hefte aus Kap 221 entspricht
117 Heidegger Die Technik und die Kehre S 6118 Ebd S 6119 Diese Topoi versucht Heidegger in dem Text zu zersetzen und ihnen ein aletheisches Prin-
zip des Entbergens der Technik entgegenzusetzen Dies erfolgt wiederum auch anhand derVerwendung von mythopoetischen Teilen Darauf kann hier aber nicht weiter eingegangenwerdenAls weitere Gemeinsplaumltze (die er teils unterstuumltzend teils zur Zersetzung einfuumlgt) handelt
der Text auch mit Zitaten von Platon Heisenberg J P Hebel und Goethe120 Ebd S 12121 Vgl GA 79 S 11 Und Heidegger Die Technik und die Kehre S 19122 Vgl Heidegger Die Technik und die Kehre S 42f
30
1 die antirationale Wissenschaftsfeindlichkeit 2 der Mythos des Goumlttlichen 3
das Griechentum uumlber dem Roumlmertum 4 die Zahlenmystik (anhand des Spiegel-
Spiels des Gevierts ndash su) 5 das geschichtsbesinnliche Prinzip der Aletheia
Heidegger stellt zuerst die Frage nach dem Ding und will sie daraufhin ver-
anschaulichen mittels der Metapher des Kruges dh mit dem Krug als ein exem-
plarisches Ding Er fuumlhrt dann vor (was der Geste eines Zauberkuumlnstlers aumlhnelt)
wie der leere Krug gefuumlllt wird ndash Luft weicht der Fluumlssigkeit Dieses Sachverhaumllt-
nis aber ist fuumlr ihn Halbpoesie und eine Angabe aus der Physik sie verfehle das
vermeintliche Wesen des Kruges
Die Wissenschaft stellt durch sie [die Angabe der Physik DS] etwas Wirk-liches vor wonach sie sich objektiv richtet Aber ndash ist dieses Wirkliche derKrug Nein DieWissenschaft trifft immer nur auf das was ihre Art des Vor-stellens im vorhinein als den fuumlr sie moumlglichen Gegenstand zugelassen hat[] Die Wissenschaft macht das Krug-Ding zu etwas Nichtigem insofernsie Dinge nicht als das Maszliggebende zulaumlszligt123
Als ein wirkmaumlchtiges Beispiel das ihm sicherlich viel Beachtung uumlber die
Jahrzehnte seit ihrer Zuumlndung in Japan hinweg einbrachte fuumlhrt Heidegger die
Atombombe an Diese sei zu verstehen als verdinglichte Wissenschaft die das
Ding vernichten wuumlrde
Deren Explosion ist nur die groumlbste aller groben Bestaumltigungen der langherschon geschehenen Vernichtung des Dinges dessen daszlig das Ding als Dingnichtig bleibt124
Er buumlndelt damit Wissenschaft und Verkennung des Wesens als maszliggebend mit
dem Ding als sein machenschaftliches Prinzip der zerrechnenden Zerstoumlrung Drei
Jahre nach Kriegsende war der buumlrgerlich-elitaumlre Kreis in Bremen sicherlich be-
wegt von dieser Wortgewalt Diese jedoch suchte ja ihr Heim Harmonie Ruhe
in dem Haus als Wesen der Sprache
Und so faumlhrt Heidegger fort und ersetzt das physikalische Prinzip des Inhalts-
wechsels von Luft zu Wein in ein bdquoGeschenk des Gussesldquo als Spende und Opfer
den Goumlttern (2)125
123 GA 79 S 8124 Ebd S 9125 Vgl Ebd S 11f
31
Der Guszlig ist der den unsterblichen Goumlttern gespendete Trank [] Der ge-weihte Trank ist das was das Wort Guszliglsquo eigentlich nennt Spende und Op-fer Guszliglsquo gieszligenlsquo lautet griechisch χέειν indogermanisch ghu Das bedeu-tet opfern
Hier spielt bereits der Ursprungsmythos der Griechenmit ein (3) es ist aber auch
ein Bezug auf das Geviert Dieses waumlre ein System ein zusammen Gestelltes aus
bdquoErde und Himmel die Goumlttlichen und die Sterblichenldquo126 Im Guszlig des Trunkes
weilten gemeinsam diese Vier als emblematische Verbindung
Das im Geschenk Versammelte sammelt sich selbst darin das Geviert ereig-net zu verweilen Dieses vielfaumlltig einfache Versammeln ist das Wesen desKruges Unsere Sprache nennt was Versammlung ist in einem alten WortDies lautet thing127
Das Geviert zehrt von der Zahlenmystik zum einen als die Versammlung der
vier Begriffe an sich zum anderen da Heidegger ihnen eine Spiegel-Funktion
zuschreibt bdquoJedes der Vier spiegelt in seiner Weise das Wesen der uumlbrigen wie-
derldquo128 und ferner weil er damit auf sich selbst dh auf sein Vortrags-Geviert
verweist (4) Wie in Kap 21 schon gesagt lebt der Mythos von seiner Verbind-
lichkeit Diese legt Heidegger allen nah die sie verinnerlichen wollen bdquoSagen wir
die Sterblichen dann denken wir falls wir denken die anderen Drei mit aus der
Einfalt der Vierldquo129
Sollte der Vollzug der Praxis des sukzessiven Mitdenkens aller vier Geviert-
Entitaumlten gelingen koumlnnte das Ereignis der Aletheia begriffen werden (5) bdquoDas
Spiegel-Spiel von Welt ist der Reigen des Ereignensldquo130 Diese wird aber auch be-
griffen in Abgrenzung von dem Roumlmertum (3) denn in der bdquorealitas der resldquo
haumltten die Roumlmer bdquoihr Erfahrenes niemals eigens in seinem Wesen gedachtldquo131
Das waumlre den Griechen vorzubehalten und vom verstaumlndig denkenden Deutschen
wiederzubeleben
126 Ebd S 12127 Ebd S 13128 Ebd S 18129 Ebd130 Ebd S 19131 Ebd S 15
32
Der Krug ist ein Ding weder im Sinne der roumlmisch gemeinten res noch imSinne des mittelalterlich vorgestellten ens noch gar im Sinne des neuzeitlichvorgestellten Gegenstandes [] Der Krug ist Ding insofern er dingt132
Die Bindung an das deutsche Wort bdquoDingldquo das er spielerisch auch ins Englische
Romanische und Franzoumlsische uumlbersetzt ist unerlaumlsslich fuumlr seine ethymologi-
sche Argumentation In der ist der bdquoGuszligldquo ruumlckgefuumlhrt auf indogermanisch bdquoghuldquo
und das bdquoDingldquo auf das mittelhochdeutsche bdquothingldquo So konnten antik die Roumlmer
von den Griechen abgrenzt werden und modern die anderen drei Sprachen vom
Deutschen Das englische sich sehr nah am bdquothingldquo befindliche bdquothingldquo wird mit
dem Roumlmischen ausgespielt
Im Englischen hat thing noch die erfuumlllte Nennkraft des roumlmischen Wor-tes res bewahrt [] dh ein aus sich kommendes den Menschen Angehen-des133
Fuumlr Heidegger geht es beim bdquothingldquo aber um die mittelhochdeutsche Uumlbersetzung
der Versammlung Darauf beruht sein gesamter Systemansatz mit Geviert und
Ge-stell
Schulz-Nieswandt fuumlhrt diese Zusammenstellung zum Bejubeln von Heideg-
gers Mythopoetik
So fundamental sieht Heidegger die Welt Die Quelle des Wassers wird zurHochzeit von Himmel und Erde das Gieszligen des Wassers aus dem Krugzum Geschenk Auch Sprache ist daher kein Instrument sondern Ort desWohnens des Menschen Sprache wird zum Haus des Seinslsquo134
Hier bestaumltigt die Untersuchung des Ding-Vortrags die These von einer mytho-
poetischen Einschreibung der nationalistischen voumllkischen Abgrenzungs-Mythologie
aus den Schwarzen Heften
322 Das Ge-Stelllsquo
Der zweite Vortrag des Reden-Gevierts setzt ein mit der Metapher des fehlen-
den Abstands Wo kein Abstand sei da waumlre auch keine Naumlhe so Heidegger Er
132 Ebd S 16133 Ebd S 14134 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei Walter
F Otto S 59
33
verbindet die Abstandslosigkeit mit Urbanitaumlt und Verkehr alles fluktuiere Es
waumlre der Bestand der sich bestelle in dem das Abstandlose herrsche Das sind
neue Metaphern fuumlr die Machenschaft In seiner Erzaumlhlung vom Ge-Stell gibt es
bedeutend weniger mythopoetische Passagen als in dem vorangegangenen Vor-
trag Allerdings uumlbertraumlgt er den mythopoetischen Gehalt der Rede vom Ding
bereits im ersten Absatz von Das Ge-Stelllsquo mit dem Credo bdquoNaumlhe west insofern
das Ding dingtldquo135 Mit dieser Verbindung wird klar unter welchem Zeichen Hei-
degger die Rede vom Ge-Stell verstanden wissen will ndash als verlorenes Verhaumlltnis
des voumllkisch-traditionell verwurzelten Menschen mit den vermeintlichen Wesen
all seiner Gebrauchsobjekte in der mythopoetischen Formel des sich spiegelnden
Gevierts
Nahezu nuumlchtern erzaumlhlt Heidegger dann von dem Gefaumlngnis des Menschen
im Wesen der zirkulierenden sich immer neu bestellenden Bestandstechnik des
Ge-Stells Dabei scheinen folgende Mythen aus den Schwarzen Heften hindurch ndash
1 bdquoHistorie die Technik der Geschichtelsquo Technik die Historie der Naturlsquoldquo136
2 das historische Tier 3 der Appell an den Auftrag des Deutschen 4 der geschicht-
liche Mensch muss die Historie und damit die Technik uumlberwinden und 5 die
alles zernichtende Machenschaft des juumldischen Wesens
Den Topos der seinsvergessenen Groszligstadt jedenfalls kontrastiert er mit der
Bauerndorfidylle Da aber bdquodas Abstandlose herrschtldquo137 waumlre das Vorruumlcken der
Maschinentechnik bereits universell So in Form des Traktors Schon in Band
96 der Schwarzen Hefte beklagt er dieses bdquozum elektrischen Pflug [] gehoumlrt
das amerikanisch aufgemachte Magazinlsquoldquo Insofern erfolge die bdquoAngleichung der
Sitten der Bergbewohner an diejenigen des groszligstaumldtischen Sport- und Barbe-
triebsldquo138
Sein erster Land-Stadtvergleich betrifft den Bauern dessen Totenruhe tradi-
tionell in einem sg bdquoTotenbaumldquo (Sarg) stattgefunden haumltte ndash bdquoIn ihm gedeiht
der Tod des Totenldquo139 Dem gegenuumlber klingt in der bdquomotorisierten Bestattungs-
135 GA 79 S 24136 GA 95 S 351137 GA 79 S 24138 GA 96 S 54139 GA 79 S 26
34
industrie der Groszligstadtldquo140 bereits Heideggers pietaumltsloser Gaskammernvergleich
an
Ackerbau ist jetzt motorisierte Ernaumlhrungsindustrie im Wesen das Selbewie die Fabrikation von Leichen in Gaskammern und Vernichtungslagerndas Selbe wie die Blockade und Aushungerung von Laumlndern das Selbe wiedie Fabrikation von Wasserstoffbomben141
Hier wird davon ausgegangen dass es eine Uumlbertragung der Notizen uumlber
das deutsche Land als bdquoeinziges KZldquo ist die Unterdruumlckung des deutschen Vol-
kes durch die bdquoWeltdemokratieldquo die schlimmer sei als die Graumlueltaten der bdquoGas-
kammernlsquoldquo142 In die mythopoetische Formel von dem dingenden Ding aus dem
ersten Vortrag sind alle Valenzen eingeschrieben die es zur Aufgabe des abendlaumln-
dischen Deutschen (also als Nachfolger der alten Griechen) machen das Wesen
des Dings und somit der Technik zu huumlten Die Verantwortung fuumlr Genozid
Massenvernichtungswaffen und den Mangel im Nachkriegsdeutschland schreibt
Heidegger gleichfoumlrmig dem Prinzip der Abstandslosigkeit zu
Auch die Rede von der Habgier des Berechnenden ist ein bereits bekannter
Vorbehalt Heideggers anhand der Rede vom raffgierigen Juden Denn er sagt von
der bdquoHerrschaft des Abstandlosenldquo dass sie bdquodie Hab-gier des vorstellenden Be-
rechnensldquo waumlre143 Das entspricht seinem Mythos von der alles zernichtenden
Machenschaft des juumldischen Wesens144
Dann folgt eine lange Elegie uumlber das Bestellen des Bestands des Ge-Stells
bdquo[d]ie Kette des Bestellens laumluft auf nichts hinaus sie geht vielmehr nur in ihren
Kreisgang hineinldquo145 uumlber 19 Seiten des 21 seitigen Vortragsexts hinweg entwirft
Heidegger diverse Bilder wie das Ge-Stell die Natur das Hergestellte den Men-
schen und das Verstandesmaumlszligige vereinnahme und das Wesen desDings gleichsam
zur Veruntreuung bringen wuumlrde Wiederum poetisch orientiert kontrastiert also
140 Ebd141 Ebd S 27142 GA 97 S 99f143 Vgl GA 79 S 25144 Vgl Machenschaft hier S 29 und Geraff hier S 33145 GA 79 S 29
35
Heidegger Houmllderlins Hymne Der Rheinlsquo mit dem Rhein dessen Stroumlmung fuumlr
ein Stromkraftwerk genutzt wird
Achten wir um das Ungeheure das hier waltet zu ermessen nur auf einenAugenblick auf den Gegensatz der sich in den beiden Titeln ausspricht DerRhein verbaut in das Kraftwerk ndash der Rheinlsquo gesagt in der gleichnamigenHymne Houmllderlins146
Die Differenz also waumlre das Ungeheure147 Dabei waumlre der Rhein verbaut in das
Kraftwerk Aumlhnlich wie Kohle Erze und Rohoumll waumlren sie Bestand der bdquobesteht
im Bestellenldquo ndash bdquoDas Bestellen waumlre demnach lediglich eine Machenschaft des
Menschen vollzogen in der Weise der Ausbeutungldquo148
Das Bild des Wasserkraftwerks wird erweitert um den Begriff des Menschen
Elektrizitaumlt mit Wasserkraft erzeugen bdquokoumlnnen die Menschen [] nur insofern
sie selber schon in dieses Bestellen bestellt sindldquo149 Mit diesem Bild versucht Hei-
degger praktisch zu veranschaulichen dass Entwurf Umsetzung und Einsatz ei-
ner technischen Anlage den Menschen in ein entruumlcktes Verhaumlltnis zum Wesen
des dingenden Dings setze ndash bdquoDer Mensch ist darum der Angestellte des Bestel-
146 Ebd147 Das ist zusaumltzlich zu dem gemeinten Gegensatz ein Vergleich mit dem Heidegger dem Wort
bdquoRheinldquo in die Hymne Der Rheinlsquo gesprochen eine Energie erzeugende Wirkung zu-schreibt eben so wie das Kraftwerk Strom erzeugen wuumlrde Das wird klar dadurch dassHeidegger metaphorisch vom Stellen des Wortes bdquoRheinldquo in die Hymne spricht Es handeltsich um einen Appell zur denkerischen Besinnung Dass Heidegger dafuumlr eine technischeAnlage zur Veranschaulichung inspirierend wirken laumlsst spielt bereits in die Richtung derBegriffe bdquoHer-vor-bringenldquo bdquoEntbergenldquo und spielt auf das Alteheia-Prinzip an Darauf wirdweiter unten anhand Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo eingegangen werden Es handelt sich umdas Angebot eines mythopoetischen Umgangs mit Technik insbesondere wenn sie sich inheimische Gefilde einfuumlgtHeute koumlnnte man mit Windraumldern ebenso verfahren Somit koumlnnte aber auch Heidegger
als ein gewisser Quijana aus Mancha verstanden werden eben der Protagonist aus Miguel deCervantes Roman Don Quichote von der Manchalsquo der mit seinem von ihm flux auch um-benannten Klepper (weil er zuvor sich selbst in Don Quichote umtaufte) Rocinante Riesenbezwingen will um mit dieser Heldentat unsterblichen ritterlichen Ruhm zu erstreitenAuch Don Quichote fand seine Riesen in Windmuumlhlen und auch Don Quichote war uumlber
eine uumlbertriebene Auseinandersetzung mit einer verschuumltteten Kultur dieser verfallen undsuchte diese in seiner Aventuumlre zu reaktualisieren Martin Heideggers mythopoetisches Pro-gramm ist tatsaumlchlich stark mit Don Quichotes Motiv vergleichbarFerner waumlre eine Auseinandersetzung mit Heideggers Werk unter Beruumlcksichtigung sei-
ner Gewichtung der Vorsokratiker und Houmllderlin als mythopoetischen Autor eine moumlglicheForschung zum Thema Anachronismen in Konzepten von Moral und gesellschaftlicher An-gemessenheit (Vgl Cervantes Miguel de Don Quichote von der Mancha Herausgeben unduumlbersetzt v Susanne Lange Muumlnchen 2008 S 33f)
148 GA 79 S 29149 GA 79 S 30
36
lensldquo150 Schon vorher wies Heidegger darauf hin bdquo[d]ie Herrschaft des Gegen-
staumlndigen sichert nicht den Abstandldquo151 Jetzt heiszligt es
Das Bestellen befaumlllt nicht nur die Stoffe und Kraumlfte der Natur mit Gestel-lung Das Bestellen befaumlllt zugleich das Geschick des Menschen Das Wesendes Menschen wird daraufhin gestellt das Bestellen in menschlicher Weisemitzuvollziehen152
Der Begriff des Ge-Stells wird daraufhin so konstruiert dass es im Bestellen
um ein Stellen (Herausfordern) alles bdquoAnwesenden als Bestandldquo als bdquoversus unumldquo
gegen bdquodas Eine Ganzeldquo gehe153 In wiederum mythopoetischer Formulierung ge-
baumlre die bdquoVersammlung des Stellens worin alles Bestellbare in seinem Bestand
west das Ge-Stellldquo154 Der Begriff bdquoVersammlungldquo wird einen Absatz zuvor my-
thopoetisch wieder an die Versammlung also das thing eben das wesenhafteDing
angelehnt und somit wie zu Das Dinglsquo bereits oben erlaumlutert in einen deutsch-
abendlaumlndischen Kontext gestellt (3)
Wir nennen die Versammlung der Berge die von sich her einig und nienachtraumlglich schon gesammelt ist das Gebirge Wir nennen die Versamm-lung der Weisen nach denen uns so zumute ist und sein kann das Gemuumlt155
Allerdings ist obiges Versammlungsmodell hier als Kontrast zu sehen zu dem
bdquoGeraff des Getriebesldquo das das Ge-Stell darstellt als bdquoWesen der Technikldquo156 Hei-
degger sieht in der Gleichfoumlrmigkeit die zum Wesen des Technik als Ge-Stell
150 GA 79 S 30151 GA 79 S 25152 GA 79 S 31153 Vgl GA 79 S 32154 GA 79 S 32155 Ebd
Das Wort ldquoGemuumltrdquo hat ferner eine ausschlieszliglich deutsche Praumlgung gibt es doch keinedirekte Uumlbersetzungen Gemuumlth ist ferner ein nicht eindeutig umrissener Begriff (Vgl Kra-mer Cheryce A Foolrsquos Paradise The Psychiatry ofGemuumlth in a Biedermeier Asylum Chica-go 1998 S 19) Die Bedeutung im Deutschen selbst ist zudem sehr variabel hat aber zumeistmit Seelen- oder Geistkonzepten zu tun ndash Cheryce von Xylander (geb Kramer) uumlbersetztGemuumlth mit bdquosoul-organldquo (ebd S 43) das von diversen Autoren unterschiedlich konstru-riert wird (zB von Kant geistigkoumlrperlich und von Kleist individuellkollektiv (vgl ebdS 41)) In Heideggers emblematischem Duktus scheint eine Vermischung von allen vier Di-mensionen geistigkoumlrperlich wie auch individuellkollektiv stattzufinden Es ist auf jedenFall dem Mythos geschuldet den Auftrag des Deutschen anzunehmen (3)
156 GA 79 S 33
37
gehoumlre die planetarische Abloumlsung und Aufhebung des traditionellen und damit
wesenhaft ans Ding gebundenen Verhaumlltnisses vom Menschen zur Erde (das von
ihm idealisierte voumllkische Bauerntum das Bestellen des Ackers) bdquoDie Bestand-
Stuumlcke sind Stuumlck fuumlr Stuumlck die Gleichenldquo157 So kontrastiert er alte Handwerks-
techniken mit Maschinentechnik und schreibt der Maschinentechnik die machen-
schaftliche Verdraumlngung als Geraff zu
Das Ge-Stell hat auch wenn das nicht unmittelbar und nicht sogleich ver-nehmlich wird im vorhinein schon alle diejenigen Stellen beseitigt an denenvormals Spinnrad und Wassermuumlhle standen Das Ge-Stell bestellt durch sei-ne Maschinerie zum voraus eine andere Art und Ordnung von Stellen Andiesen kommt nur zu Stand was als Bestellbares auf der Stelle gleichfoumlrmigzur Stelle steht
Darum ist auch die Art wie die Maschine selbst etwas herstellt einewesentlich andere als das handwerkliche Tun gesetzt daszlig es innerhalb desGe-Stells uumlberhaupt noch so etwas wie ein Herstellen gibt
Die Traktoren und Kraftwagen werden herausgebracht ausgeworfen se-rienweise Stuumlck fuumlr Stuumlck Wo drauszligen steht dieses so Herausgestellte Wo-hin in welchen Stand ist es gebracht158
In dieser Klage uumlber den technischen Wandel der durch den Fortschritt in
alle Lebensbereiche Einzug haumllt versucht Heidegger zu veranschaulichen wel-
chen Verlust es zu erkennen gelte Ein Versuch diesem entgegen zu treten ist die
von ihm vorgetragene Mythopoetik die er in diesem Vortragsteil seines Vortrags-
Gevierts allerdings auffaumlllig zuruumlckgestellt sein laumlszligt War der Einleitungsteil Das
Dinglsquo schlieszliglich eine nahezu einzige mythopoetische Darbietung Dramatur-
gisch wird Heidegger in Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo die mythopoetischen For-
mulierung als Loumlsungswege wieder Bedeutung geben In Das Ge-Stelllsquo versucht
Heidegger hingegen Vorstellungen aus seinen Schwarzen Heften aumlhnlich der fol-
genden mitzuteilen die das Uniforme Gleichfoumlrmige betreffen
Die Macht der Machenschaft ndash die Vernichtung sogar der Gottlosigkeit dieVermenschung des Menschen in das Tier die Vernutzung der Erde die Ver-rechnung der Welt ndash ist in den Zustand der Endguumlltigkeit uumlbergegangenUnterschiede der Voumllker Staaten Kulturen sind nur noch Fassade159
157 GA 79 S 36158 GA 79 S 35159 GA 96 S 52f
38
Was Heidegger unter dieser Gleichfoumlrmigkeit versteht schreibt er in den Schwar-
zen Heften zumeist den Amerikanern zu Er nennt es auch haumlufig Planetarismus
Der Amerikanismus [ist DS] die Zusammenraffung von Allem welcheZusammenraffung immer zugleich die Entwurzelung des Gerafften bedeu-tet160
Der Planetarismus ist die historisch gedachte Bestimmung der uumlberall glei-chen die ganze Erde uumlberdeckenden Seinsverlassenheit des Seienden161
Die Gegenuumlberstellung von natuumlrlicher und traditioneller Handwerkstechnik
gegen maschinenhafte Gleichfoumlrmigkeit exemplifiziert Heidegger dann im Vor-
trag Das Ge-Stelllsquo vielfach wie zum Beispiel hier
Der Forstwart zB der im Wald das geschlagene Holz vermiszligt und demAnschein nach noch wie sein Groszligvater in der gleichen Weise die selbenWege geht ist heute von der Holzverwertungsindustrie gestellt Er ist ober es weiszlig oder nicht in seiner Weise Bestand-Stuumlck des Zellulosebestandesund dessen Bestellbarkeit fuumlr das Papier das den Zeitungen und illustrier-ten Magazinen zugestellt wird die uumlber die Oumlffentlichkeit daraufhin stellenverschlungen werden162
160 GA 96 S 257161 GA 96 S 261162 GA 79 S 37f
Die renommierte Theaterautorin Elfriede Jelinek karikiert in ihrem Stuumlck Totenaubergvon 1991 Heideggers Konstrukt von Heimat und Fortschrittsfeindlichkeit verbunden miteiner Auseinandersetzung mit dessen Liebschaft zu Hannah Arend Mit philologischer Prauml-zision polemisiert sie Teile aus Heideggers Elegie uumlber die Technik und laumlszligt ihn dabei alsbeschraumlnktes und eingezwaumlngtes Wesen in einem Gestell gefangen sein Aus diesem heraussoll er Arend Rede und Antwort stehen uumlber sein Verhaumlltnis zum Nationalsozialismus unddie Shoa Doch dieser redet nur naturtrunken von Heimat und berauscht sich daran Derprophetische Denker wird banalisert ndash diese Worte legt Jelinek ihm (im Stuumlck der alte Mann)in den MundbdquoDie Angst vor dem Fragen liegt uumlber dem Abendland Sie bannt die Kandidaten auf ein
Team-Leibchen verbannt sie auf altgewordene Wege und jagt sie zuruumlck ins morsch geworde-ne Gehaumluse ihrer Tore wo es um ihre Ausscheidungen geht Es wird ihnen alles weggenom-men werden auch der Weg selbst Keine Spur kein Lichtschein aus den Ritzen Aber ruf ichin die Huumltte um nach einem zu fragen den ich gekannt hab sehe ich grad noch eine Tuumlrsich schlieszligen Der Wald kommt nicht zur rechten Geltung alles ist entflohen was mir liebwar und woran ich geglaubt hab Was kommt ist noch nicht da Nichts war Ich habe nichtsgehoumlrt Ich erinnere mich nicht aber ich stelle dem Kommenden das mich den lupenreinenAmateur schon vor Beginn des Rennens erlahmen laumlszligt vorsorglich die Hausschuhe vor dieTuumlr Sie sind das Einzige was die Profis des Profits von mir dann vorfinden werden wennsie anklopfen Die Haumlrte des Urgesteins sollte sie nicht entmutigen Die Jahreszeiten machendie Landschaft auf und zu Ich sage nur In dieser scheinbaren Leere will ich vom Denkenmuumld nur schlafen Von der Huumltte aus lassen sich Wanderungen unternehmen Aber auchsonst wird Ihnen alles wie ich sagte genommen werden Auch Ihre Fotos und Namen Unddas Gewesene wird wesenlosldquo ( Jelinek Elfriede Totenauberg Hamburg 1991 S 86f)
39
Die Oumlffentlichkeit ist fuumlr Heidegger ein Topos der dem Denken und Besinnen
entgegenstuumlnde Somit meint er damit zum Einen die Medien wie er es anhand
der Rede von den Bestandstuumlcken in Das Ge-Stelllsquo erklaumlrt wo der Mensch als
Urheber des Ge-Stells als Wesen der Technik nicht gelten soll Vielmehr wuumlrde er
in Ratlosigkeit und Langeweile verfallen weil er in der Bestellung des Bestandes in
Form von Bestandstuumlcken vom Rundfunk keine Besinnung mehr faumlnde dh das
Ganze also wiederum daswesentliche Ding nicht mehr zu fassen vermoumlge163 Und
so toumlnt es bereits aus den Schwarzen Heften von 19391940()
Die Bildlsquo und Tonlsquo ndash Reportagenlsquo der Machenschaft ist der planetari-sche Mythuslsquo des Vollendungsabschnittes der Neuzeit Die Welt des abge-legensten deutschen Bauernhofes wird nicht mehr durch [] die Naturlsquobestimmt in der noch die Erde waltet sondern durch das illustrierte Blattmit der Darstellung von ausgezogenen Tanzweibern von Boxern und Renn-fahrern und sonstigen Heldenlsquo des Tages164
Und ferner notierte Heidegger 1946 in seinen Schwarzen Heften
Uumlberall zerrt es aus dem Oumlffentlichen ins Oumlffentliche mit vielen Strickenund jeder sieht das kaum versuchte Denken des Seyns am Leitband seinesStrickes165
Dabei waumlre eben ein bdquoLiterat [] ein in die Oumlffentlichkeit verliebter Mensch der
Angst vor dem Denker hatldquo166 Dieses liefe dann darauf hinaus dass beim Rund-
funk bdquoein Bestellen und Stellen waltet das in dasWesen des Menschen eingegriffen
hatldquo167
Abermals nach dem Wesen der Technik also nach dem Ge-Stell gefragt geht
Heidegger auf seine Unterscheidung vonNatur undNaturwissenschaft ein bdquo[w]elches
ist das Verhaumlltnis zwischen der Technik und der Naturldquo168 Natur wuumlrde in wis-
senschaftlicher Hinsicht unter das Berechnete fallen sie wuumlrde bdquoals das in Maszlig
und Zahl gestellte Wirkliche vorgestellt das in seinem Gewirkten staumlndig an-
westldquo169 Wenn Heidegger dann Natur aus technischer Sicht bdquoals ein System des
163 Vgl GA 79 S 38f164 GA 96 S 54165 GA 97 S 100166 GA 97 S 126167 GA 79 S 39168 GA 79 S 41169 Ebd
40
Bestellens von Erfolgen aus dem gestellten Wirksamenldquo170 charakterisiert spricht
er von seiner Rede der Verschraumlnkung von Historie und Technik ndash bdquoTechnik die
Historie der Naturldquolsquo171 Dieses ist bekanntlich das seinsvernichtende Gegenstuumlck
zur geschichtlichen Besinnung Denn geschichtliches Walten der Technik ist fuumlr
Heidegger technische Geschichte dh verwissenschaftlichte Geschichte die da-
durch ihr Wesen verloren haumltte (Seynsvergessenheit)172 So heiszligt es in den Schwar-
zen Heften von 1947
Ein Zeitalter das historisch geworden ist dh technisch planend sich selberberechnet und alles in diesen Sog zieht muszlig jede Besinnung nur als eine dervielen Formen der Intellektualitaumlt registrieren173
Heidegger schlieszligt den Vortrag mit dem Aufgriff der Anfangsbehauptung
bdquo[d]er Bestand bestellt das Abstandsloseldquo174 Somit liegt das Problem der ausblei-
benden Naumlhe durch die Technik deren Wesen das Ge-Stell waumlre das den Bestand
bestelle in der Luft Dass dabei der Mensch sogleich Teil des Bestandes und nicht
Teil der Maschine wird laumlsst ihn das historische Tier sein (2)
Der Mensch ist auswechselbar innerhalb des Bestellens von Bestand []Gleichwohl gehoumlrt der Mensch in einer voumlllig anderen Weise in das Ge-Stellals die Maschine DieseWeise kann unmenschlich werden DasUnmenschlicheist jedoch immer noch unmenschlich Der Mensch wird nie zur MaschineDas Unmenschliche und noch Menschentuumlmliche ist freilich unheimlicherweil boumlsartige und verhaumlngnisvoller denn der Mensch der nur Maschine wauml-re175
Wen Heidegger hier ersinnt ist der neuzeitliche Mensch der den bdquoGoumlttern uner-
traumlglich gewordenldquo176 waumlre
170 Ebd171 GA 95 S 351172 In Heidegger Die Technik und die Kehre S 21 stellt er Geschichte und Historie einander
gegenuumlber was er in Das Ge-Stelllsquo nicht vollzieht bdquoDie moderne Technik kam doch erst inden Gang als sie sich auf die exakte Naturwissenschaft stuumltzen konnte Historisch gerechnetbleibt dies richtig Geschichtlich gedacht trifft es nicht das Wahreldquo Signifikant fuumlr Heideg-gers Attributierung so wie sie oben schon geschildert ist steht Historie fuumlrs Rechnen undGeschichte fuumlr das Denken
173 GA 97 S 508174 GA 79 S 44175 GA 79 S 37176 GA 94 S 236
41
323 Die Gefahrlsquo
Aus Heideggers Darlegung uumlber das Ge-Stell erschlieszligen sich seine diversen Fa-
cetten der Vorstellung einer Abstandslosigkeit schaffenden Technik Dass die Ab-
standslosigkeit dem Prinzip des Gevierts des Zusammengestellten entgegensteht
bekommt im Vortrag Die Gefahrlsquo Nachdruck Die mythopoetische Erzaumlhlung
knuumlpft an den Vortrag Das Dinglsquo an mit den Mythologemene 1 Der Mythos
des geschichtlich sein muumlssens 2 der Mythos des Goumlttlichen 3 das geschichtsbe-
sinnliche Prinzip der Aletheia Zudem wird im Prozess des Vortrags das Ge-Stell
zur Gefahr stilisiert was einen eigenen Mythos erschafft
Durch das bdquouniversale Bestellen des Ge-Stellsldquo177 werde die naumlhernde Naumlhe des
Dings verwehrt Wie im Vortrag Das Dinglsquo fuumlhrt Heidegger das Wesentliche sei-
ner Theorie auf die deutsche und altgriechische Sprache zuruumlck Die so vollzoge-
ne Annaumlherung von Schwarzwaumllderischem Dialekt und Altgriechisch entspricht
Heideggers Traum von dem bdquogeschichtliche[n] Geburtsort des abendlaumlndischen
Wesensldquo178 den seine Heimat von Todtnauberg bis Freiburg stiften sollte (1)
es ist das Geistvolle und zugleich das erdenhafte schoumlne Land Es birgt un-sichtbaren Reichtum dem Gemuumlt bewahret tiefstes Dichten und houmlchsteGestalt der Sage179
Unter diesem Vorzeichen also sagt Heidegger
Das Ge-Stellwesen laumlszligt das Ding ohne die Wahr Das Wort die Wahrlsquo be-deutet in unserer Sprache dort wo sie noch urspruumlnglich spricht die HutIn unserer schwaumlbischen Mundart meint das Wort die Wahrlsquo die der muumlt-terlichen Hut anvertrauten Kinder Das Ge-Stell laumlszligt in seinem Stellen dasDing ohne die Hut ndash ohne die Wahr seines Dingwesens180
Diese in Bremen vorgetragene Heimatkunde ist auch Heideggers Sorge ge-
schuldet durch die Besatzermaumlchte und deren kulturellen Einfluss auch durch
die nun moumlgliche Oumlffnung Deutschlands zu einem Austausch mit der Welt das
eigene Wesen zu verlieren So schreibt er 1945-1947() in seine Schwarzen Hefte
177 GA 79 S 46178 GA 97 S 54179 Ebd180 GA 79 S 46
42
Das Schwerste und Fragwuumlrdigste unseres Geschickes ndash beruht darin ob wirdas Eigene finden und huumlten [] unter den anderen Voumllkernlsquo [] Scheinund Vorwand der Macht daszlig man unsere eigene Aufgabe bringen will []als Entmachtete aufgenommen zu sein in den Weltmachenschaftsbetrieb181
Es gaumlbe nach Heidegger also das Welten von Welt und die Verweigerung von
Welt aus derVerwahrlosung des Dings durch das Ge-Stell bzw die Technik182 Welt
ist nach dem Konzept des schwaumlbischen Denkers nichts weniger als das Geviert
Bei der folgenden mythopoetischen Zusammenstellung von dem Geviert mit alt-
griechischen Vokabeln um den Seins-Begriff wird das Aletheia-Prinzip eingefuumlhrt
Somit fuumlhrt uumlber den Mythos des Goumlttlichen (2) der Weg zur Wahrheit eben als
geschichtsbesinnlich erfahrene Aletheia (3)
Welt ist das Geviert von Erde und Himmel Goumlttlichen und SterblichenDas Spiegel-Spiel der Vierung wahrt alles was in ihm dingend zwischenden Vier anwest und abwest in das einende Ganze seines Anwesens Vonaltersher heiszligt das Anwesen des Anwesenden τὸ ὲόν das Seiend [sic] τὸεἶναι das Sein naumlmlich der ὲόντα des Seinenden das esse entium183
Diese Welt waumlre nun bdquoWahrnis des Wesens von Sein Statt Wahrnis sagen wir auch
Wahrheitldquo184 Die Welt mythopoetisch als Spiegel-Spiel des Gevierts und durch
eine altgriechische Brille betrachtet waumlre die wahre Welt Somit wird die Wahr-
heitsschau gebunden einen antiken Goumltterglauben und abendlaumlndische Sprachkas-
kaden vom Dialekt zum Altgriechisch
Das Problem mit der wahren Welt waumlre allerdings dass sie sich in die Ver-
borgenheit entziehe Naumlher betrachtet ist aber die Verborgenheit Bedingung des
Entbergens was Heidegger notwendig macht zu einem wuumlrdigen Lebensvollzug
in Harmonie mit dem Sein Durch solche Wesensschau waumlre der Mensch befaumlhigt
jederzeit die verstellenden Maumlchte des Ge-Stells (der Technik) zu uumlberwinden und
teilhaftig am Wesen der Welt zu werden
181 GA 97 S 99182 Vgl GA 79 S 47183 GA 79 S 48 (Die griechischen Vokabeln werden hier keiner Uumlbersetzung unterzogen Da
Heidegger ohnehin keine philologische Schaumlrfe anwenden will ist es fuumlr die Zwecke hierausreichend sie mit seiner Uumlbersetzung zu betrachten Heidegger spricht von bdquoAchten aufdas Griechischeldquo was schwieriger waumlre als klassische Philologie (vgl GA 79 S 63)
184 Ebd
43
Welt bleibt in der Verborgenheit (Αήθη) auf die Weise daszlig diese ihre Ver-borgenheit gerade eine Unverborgenheit gewaumlhrt die Αλήθεια185
Die Αλήθεια haumltte allerdings auch eine Rolle uumlber die subjektive hinaus da nur
durch ihren Vollzug Seinsgeschichte gewaumlhrt wuumlrde Das ist der Anspruch den
Heidegger an sein Auditorium stellt gemeinsam geschichtlich sein zu muumlssen (1)
Die Αλήθεια ist das Geschick des Seins als welches Geschick sich die Fuumllleder Seinsgeschichte in ihre Epochen fuumlgt186
Mit dem Ge-Stell als Wesen der modernen Technik waumlre die Aletheia aller-
dings hochgradig gefaumlhrdet Denn ohnehin waumlre die Aletheia prinzipiell der Ge-
fahr der Vergessenheit ausgesetzt Doch das Ge-Stell haumltte die Kraft die bdquovollende-
te Vergessenheit der Wahrheit des Seinsldquo187 zu vollrichten
Indem das Ge-Stell alles Anwesende in den Bestand bestellt setzt das Ge-Stell das Anwesen des Anwesenden heraus aus seiner Wesensherkunft ausder Αλήθεια188
Diese Versetzung des beteiligten Wesens aus der Moumlglichkeit des Wahrheitsprin-
zips heraus markiert Heidegger dann mit der Schreibweise Seyn (mit bdquoyldquo) Wie
bei dem Vortrag Das Dinglsquo koumlnnen ethymologische Abstammungen sein Sys-
tem anreichern Da wo es um das Wortfeld des Stellens geht Ge-Stell Bestellen
Verstellen ist auch das NachstellenMitglied der Familie
Im Althochdeutschen heiszligt nachstellen fara Das in sich gesammelte Stellenals Nachstellen ist die Gefahr Der Grundzug des Wesens der Gefahr ist dasNachstellen Insofern das Sein als das Ge-Stell sich selbst mit der Vergessen-heit seines Wesens nachstellt ist das Seyn als Seyn die Gefahr seines eigenenWesens189
Damit wuumlrde sich durch die Verringerung der Selbstreflexion im Seyns-Bestand
eine Schwachstelle auftun in die der denkbegabte und aletheiafaumlhige Mensch ei-
ne Moumlglichkeit haben das Seyn zum Sein zuruumlckzuwandeln ndash also wieder in ein
185 GA 79 S 49186 Ebd187 GA 79 S 53188 GA 79 S 52189 GA 79 S 53
44
wesentliches Verhaumlltnis zum bdquoDingldquo zu gelangen in dem das Geviert wieder die
Harmonie herstellt Allerdings faumlnde bis zu solch einer Nachstellung eine Ver-
sieglung des Seynsbestandes statt Und Heidegger beklagt dass die Erreichung der
Ruumlckeroberung des Seins uumlber die Nachstellung nicht stattfaumlnde und stattdessen
die Irre regieren wuumlrde190
In dieser Irre stuumlnde dem Menschen nicht einmal mehr zu zu sterben Denn
bdquoSterben [] heiszligt den Tod in sein Wesen austragenldquo191 Somit waumlren die Opfer
die in den KZs umkamen wie er sie in Das Dinglsquo bereits schildert nicht vermouml-
gend gewesen zu sterben bdquoSie werden Bestandstuumlcke eines Bestandes der Fabrika-
tion von Leichen [] Sie werden in Vernichtungslagern unauffaumlllig liquidiertldquo192
Das vermoumlge die Gefahr zu bewirken Der Mensch wuumlrde des eigenen Sterbens
beraubt da er keine Verbindung mehr zur Wahrheit der Welt haumltte Um den rich-
tigen Tod zu sterben muumlsse der Mensch die Aletheia schauen koumlnnen Insofern ist
Heideggers Prinzip ein religioumls anmutendes Wie in der christlichen Vorstellung
der Mensch im Jenseits an seinen Taten gemessen wird um Paradies oder Fege-
feuer zu besuchen soll nach Heidegger der Mensch waumlhrend des Sterbens mit
sich selbst ins Gericht gehen Er soll sich rein machen vom Ge-Stell der Technik
und dem Seyn um nicht die einmalge Gelegenheit des richtigen Sterbevollzugs
zu versaumlumen Es winken gemaumlszlig des Gevierts die himmlischen Goumlttlichen den
irdischen Sterblichen zu wobei annehmbar ist dass Heidegger Sterblichen die
die Aletheia erkennen einen Goumlttlichkeitsstatus beimessen moumlchte ndash eine Erlouml-
sungsphantasie
Genau diese Erloumlsung waumlre die Technik nicht
Ohne den Schritt des Denkens zu wagen der unser Menschenwesen demWesen der Technik [] aussetzt wuumlrgt man sich von Fall zu Fall von Lagezu Lage durch die Zwiespaumlltigkeiten hindurch Und genau durch dieses Ge-wuumlrge versaumlumt man die Moumlglichkeit dessen was man im Grunde erstrebtdie Technik durch menschliches Tun zu meistern und menschenwuumlrdig zulenken193
190 Vgl GA 79 S 55191 GA 79 S 55192 GA 79 S 56 Weil Heidegger im Judentum die Verantwortlichen fuumlr das Geraffe des Ge-Stells
sieht macht er sie gleichsam verantwortlich fuumlr die bdquoSelbstvernichtungldquo Die Seinsverges-senheit im Tode wird dadurch zum Spin-off der vermeintlich juumldisch erzeugten da machen-schaftlichen KZ-Maschinerie (Vgl GA 97 S 20f)
193 GA 79 S 59
45
Trost und Richtung findet Heidegger schlieszliglich abermals bei den alten Griechen
Das Wort stellenlsquo entspricht dem griechischen ϑέσις vorausgesetzt daszlig wirϑέσις griechisch denken Was heiszligt in diesem Falle griechisch denkenlsquo Esheiszligt darauf achten welche Lichtung desWesens des Seyns in welcherWeisedas Dasein der alten Griechen in den Anspruch genommen hat heiszligt imvoraus bedenken in welchem Geschick welcher Unverborgenheit des Seinsdie Griechen standenldquo194
Das sind Vorstellungen des Neuen Anfangs eine Reminiszenz der griechisch anti-
ken Welt Ein Eintrag aus den Schwarzen Heften von etwa 1945-47 () verdichtet
wie oben bereits aufgezeigt die Phantasie griechisch zu sein zu einem gelingenden
Lebensvollzug
Das reine Wesen des Griechentums dh das Seiende inmitten dessen dieGriechen als seiende fremd gewesen dieses und sie selbst und der Bezug desSeins zu ihnen ndash in der einfachen Wesung von der ἀλήθεια her zeigen underfahren Den μῦθος und λόγος ndash jedes Wort und Gebild rein aber nichterzwungen und schematisch-pedant ndash aus ἀλήθεια erfahren195
Hier zeigt sich auch dass Heidegger per se das Aletheia-Prinzip fuumlr notwendig
hielt um ins Licht der Wahrheit zu blicken Die Griechen sind ihm hier deshalb
Vorbild und rein da sie keiner modernen Technik und dem Ge-Stell ausgesetzt
waren sondern lediglich eine mythopoetische Verbindung zum Sein herstellen
mussten um wesentlich zu sein und Seinsgeschichte zu schreiben Die Dinge und
das Spiegel-Spiel des Gevierts waumlren ihnen geschickt zuhanden gewesen196 Hei-
degger macht schlieszliglich sehr deutlich dass das Griechische zu denken ein bei
weitem anderes Geschaumlft sei als philologische Praumlzision
Ein Echo zu sein naumlmlich dem Anspruch des Seins verlangt eine Sorgfaltder Sprache von der freilich der technisch-terminologische Sprachstil derWissenschaften uumlberhaupt nichts wissen kann Die Intentionalitaumlt der wis-senschaftlichen Sprache ist der staumlrkste Beweis fuumlr ihre Boden- und Heimat-losigkeit [] Das Heimische einer hohen Sprache gedeiht nur im Bereichdes unheimlichen Anspruchs der wesenhaften Stille im Wesen des Seyns197
194 GA 79 S 62f195 GA 97 S 20196 Hingegen waumlre das Judentum verantwortlich fuumlr das Ge-Stell fuumlr das Prinzip der Zerstoumlrung
wie es auf der selben Seite der Schwarzen Hefte darunter heiszligt (vgl ebd)197 GA 79 S 66 Die Bedeutung von Seyn als verstelltes Sein oder Bedingung zum Schauen
des wahren Seins ist verwirrend Einer genaueren Analyse wird aus Platzgruumlnden hier nichtnachgegangen
46
324 Die Kehrelsquo
Der letzte Vortrag ist mit nur neun Seiten der Kuumlrzeste des Vortragsgevierts
Nach dem Verlust des Dinges als Ding und der damit einsetzenden Abstandslosig-
keit als Wesen des Ge-Stells wobei die Gefahr zudem der Vergessenheit des Seyns
nachstellt bietet Heidegger eine Perspektive an
Im Wesen der Gefahr verbirgt sich [] die Moumlglichkeit einer Kehre in derdie Vergessenheit des Wesens des Seins sich so wendet daszlig mit dieser Kehredie Wahrheit des Wesens des Seyns in das Seiende eigens einkehrt198
Diese Moumlglichkeit bedeute nicht dass der Mensch sich der Gefahr selbst stellen
koumlnnte sie waumlre passiv ndash bdquoverbirgt sichldquo Die Kehre werde sich ereignen aumlhnlich
einer Erwartung an den Messias
Die Anwesenheit der Gefahr wuumlrde automatisch die Rettung bergen Denn
Houmllderlin haumltte geschrieben bdquoWo aber Gefahr ist waumlchst [d]as Rettende auchlsquoldquo199
Etwa 1945 notiert Heidegger in seine Schwarzen Hefte bdquoDie Wahrheit erfahren
wir im Gedaumlchtnis Das Gedaumlchtnis ist die Dichtungldquo200 (so) Von dieser War-
te aus ausgestattet mit Erinnerungen an das abendlaumlndische Dichten mit dem
Wissen um das Aletheia-Prinzip und passiv als denkender Huumlter des Seyns solle
der Mensch das Ereignis erwarten das ihn bdquoloumlsen freimachen freyen schonen
bergen in die Hut nehmen wahrenldquo201 wuumlrde (siehe S 43)
Dieses Ereignis waumlre der Blitz Ein unvermittelter jaumlher ploumltzlicher Moment
von kurzer Dauer der bloszlig einen ebenso kurzen Blick auf das wahre Wesen er-
lauben wuumlrde Abschlieszligend ist dies das Rezept gegen die Bestands bestellende
Technik in mythopoetischer Formulierung
So entsprechend ist der Mensch geeignet daszlig er im gewahrten Element vonWelt als der Sterbliche dem Goumlttlichen entgegenblickt Anders nicht dennauch der Gott ist wenn er ist ein Seiender steht als Seiender im Seyn unddessen Wesen das sich aus dem Welten von Welt ereignet202
198 GA 79 S 71199 GA 79 S 72200 GA 97 S 52f201 GA 79 S 72202 GA 79 S 76
47
Wenn Heidegger im Anschluss von der bdquohistorisch-technischen Darstellungldquo re-
det so ist dies die Abwehr der Wissenschaften (auch der Philosophie203) und ein
Appell an die Antirationalitaumlt des Mythos bdquokein historisches Vorstellen der Ge-
schichte als Geschehen bringt in den schicklichen Bezug zum Geschickldquo204
Damit das Blitzen erfahren werde als kurze Wesensschau der Aletheia muumlsse
dem wahren abendlaumlndischen und heimatlichen Ereignis stattgegeben werden Es
sollte nicht wie er 1939 schon in den Schwarzen Heften beschreibt das
kuumlnstliche Licht von Historie und Technik in der weder Mensch noch dieGoumltter weder eineWelt noch die Erde sichtbar werden koumlnnen wo aber dasLebenlsquo von allen den immer noch zu wenigen Meistenlsquo erlebtlsquo wird205
Damit schlieszligt der letzte Vortrag mit einer Erwartung an das Ereignis des Blit-
zens nicht das Erleben der Besinnungslosigkeit (vgl Das Ge-Stelllsquo) Schon 1947
traumlumt Heidegger von solcher Umkehr
Aus der Kehre der Seynsvergessenheit aber ereignet sich das Unumgaumlnglicheden Acker der Welt erst zu pfluumlgen und saatbereit der Sonne und dem Regenund den Voumlgeln des Himmels uumlberlassen206
203 Denn ldquo[e]igentlich denken heiszligt [] die Philosophie verlassen [] beim Sagen des Seinslsquoldquo(GA 97 S 60)
204 Ebd205 GA 95 S 427 Gegen das Erlebnis und Erleben straumlubt sich Heidegger besonders So notiert
er etwa 1939 bdquoZeitalter der Techniklsquo macht gerade die Techniklsquo nicht zum Ziel sondernimmer mehr zum Mittel der besinnungslosen Berechnung [] der Mensch [] das Erleb-nislsquo [] Erleben als der Gefuumlhlsgenuszligldquo (GA 95 S 149) Wie auch bdquoWo beide Historie undTechnik in solcher scheinbaren Gegensaumltzlichkeit verkoppelt sind koumlnnen sie sich zur Foumlr-derung dessen zusammenschlieszligen was einstmals wesentlich die Geschichte des Menschenmitbegruumlndete und was wir die Kunstlsquo nennen Die Historie verschafft [] Anregungenund Vorbilder der Nachahmung die Technik erleichtert [] die Zustellung von Darstel-lungsmitteln und Wirkungsformen [] Gleichwohl ist alles wurzellos [] berechnet und alsErlebnislsquo ausgegebenldquo (GA 95 S 212)
206 GA 97 S 511
48
4 Konklusion
Der umstrittene Philosoph Martin Heidegger hat uumlber die 1930erndash40er Jahre
hinweg eine ausgepraumlgte voumllkisch-nationale und bisweilen radikal-antisemitische
Denkweise entwickelt Dieses Denken fasste er auch auf als Besinnung und stellt
es der Philosophie und Wissenschaft diametral entgegen In Kapitel 2 wird aufge-
zeigt dass sowohl Heideggers Mythologie bereits kritisiert wurde (Adorno Cassi-
rer Meyer) als auch seine Mythopoetik bewundert (Schulz-Nieswandt) Kapitel
3 will daruumlber hinaus aufzeigen wie Heidegger eine eigene Mythologie mytho-
poetisch fruchtbar macht was sich von beiden vorigen Ansaumltzen unterscheidet
und erst mit der Veroumlffentlichung der Schwarzen Hefte ab 2014 nachvollziehbar
wurde
Umso mehr bietet die mythopoetische Verbindung von bdquoDichten und Den-
kenldquo (so) einen antitechnischen Gegenpol Denn Heidegger fasst wie oben ge-
schildert alles Rationale auf als berechnende Bestellung des Bestands im Sinne
der Technik Daruumlber hinaus fordert er mit dem Aletheia-Prinzip (als metapho-
risch gefasstes Ereignis des Blitzens) einen Mitvollzug seiner mythopoetischen
Kontemplation in dem religioumlse voumllkische antike und sprachliche Motive zu-
sammenfallen
Obwohl schon von Heidegger selbst nicht mehr als Philosophie betrachtet
hat seine Rede vom Ding dem Ge-Stell dem Wesen der Technik und der Kehre
noch immer einen bedeutenden Einfluss auf die Technikphilosophie So betont
Alfred Nordmann in bdquoWerkwissen oder How to express things in worksldquo (2008)
dass Heidegger mit Das Dinglsquo eine Art Dingwissen geschaffen haumltte In seinem
2012 erschienenen Aufsatz Another parting of the ways Intersubjectivity and the
objectivity of sciencersquo207 geht Nordmann ein weiteres Mal auf Heideggers Ding
ein Dieses waumlre eine Abarbeitung an dem Ding Kants womit auch Nordmann
Heidegger als einen Interpreten Kants versteht208 Anschlieszligend anMichael Fried-
207 Nordmann Alfred Another parting of the ways Intersubjectivity and the objectivity ofscience In Studies in History and Philosophy of Science 43 (2012) 38ndash46
208 Die Auseinandersetzung mit dem Ding wuumlrde nach Nordmann in Heideggers GA mit demText Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalen Grundsaumltzenlsquoeinsetzen (GA 41 Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalenGrundsaumltzen)
49
man spricht sich Nordmann ebenso dafuumlr aus dass Heidegger neben Rudolf Car-
nap und Ernst Cassirer eine neokantianische Philosophie verfolgt haumltte (siehe
Kap 1)209
Nach Nordmann haumltte Heidegger in seinen anschlieszligenden Gedanken uumlber
das Ding als Fortfuumlhrung Kants als erster Wissenschaft als angewandte Techno-
logie verstanden210 Diese Interpretation stuumltzt sich auf die gleichen Symbole
Metaphern und Mythen die die vorliegende Arbeit analysiert Das Ge-Stell ist
insofern aumlquivok mit dem Begriff techno-science Jedoch sind in dieser Fruchtbar-
machung von Heideggers Denken der Technik dessen nationalistischen rassisti-
schen und antisemitischen Implikationen die die vorliegende Arbeit als Zentrum
dessen Philosophie ermitteln konnte noch nicht beachtet worden koumlnnen211
Andreas Luckner webt Heideggers Ding-Entwurf weiter als verantwortliches
Sorgen um die Dinge212 Er geht dabei mit Heidegger voumlllig konform und tritt
eher als eine Art Bote der Ding-Botschaft auf als diese moumlglicherweise zu kriti-
sieren was sich diesen Artikel wie ein Kapitel aus einem Studienbuch lesen laumlsst
Der Darmstaumldter Technikphilosoph Christoph Hubig ist vor allem Kritiker Hei-
deggers Argumentationen laumlsst aber zuweilen diverse Topoi aus dem Werk des
Technik-Denkers durchscheinen ohne sie weiter zu reflektieren
So konstatiert Hubig Heidegger verfehle in dessen Auseinandersetzung mit
Aristoteles Lehre von der Poiesis zum Punkt der Sicherung wie sie in Die Frage
nach der Techniklsquo behandelt wird bdquodie operative Seite des Technischenldquo bei Aris-
totels213 In einem spaumlteren Aufsatz allerdings stuumltzt er sich ohne weitere Erlaumlute-
rungen auf Heideggers Begriff der Sicherung aus Die Frage nach der Techniklsquo214
209 Diese Befriedung paradigmatischer Umstaumlnde wird hier nicht geteilt Eine weitere Bearbeitunglaumlsst der Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht zu
210 Vgl Nordmann Another parting of the ways S 45211 Der Aussage dass Heideggers Ding-Begriff kantianisch waumlre muumlsste einer gezielten Untersu-
chung unterzogen werden genau wie die Behauptung insgesamt dass Heidegger oder inwie-weit dieser noch der suumlddeutschen Kantschule des 1920 Jahrhunderts angehoumlrte
212 Vgl Luckner Andreas Ding und Bestand Heidegger und das Wesen neuzeitlicher TechnikIn Gamm G Gehring P Hubig C Kaminski A und Nordmann A Ding und SystemS 15-30 hier S 29
213 Hubig Christoph Die Kunst des Moumlglichen Technikphilosophie als Reflexion der MedialitaumltBielefeld 2006 S 103
214 Vgl Hubig Christoph Technik als Medium In Grundwald Armin (Hg) Handbuch Tech-nikethik Stuttgart 2013 S 118-123 hier S 118
50
Dabei versteht Hubig Heideggers Betrachtungen zum Umgang mit der Technik
als gelassen
Fuumlr Heidegger liegt die Andersheit im Entbergen einer Wahrheit des Seinseines Geschicks von dem die Entwicklung der Technik hin zum Gestellkuumlnde Er verbindet dies mit dem Appell jenseits des rechnenden und si-chernden Vorstellens technischer Vollzuumlge als handlungsleitender Program-me sich gelassenlsquo dieser Entwicklung zu uumlberantworten und ein Seinlsquo zuhuumlten das sich als solches eben entbirgt Das Rettendelsquo dieser Einsicht lie-ge darin dass unsere individuelle Endlichkeit insofern transzendiert wirdals sie sich dem sie uumlbersteigenden Prozess aufschlieszligt und sich selbst relati-viert215
Wovon in diesem Zitat nicht die Rede ist ist der Mitvollzug der mythopoe-
tischen Rahmenbedinungen die Heidegger einfordert und an dem die Konzep-
te Abendland und voumllkische Tradition haumlngen In dieser Arbeit wird davon aus-
gegangen dass Heideggers Technikphilosophie-erzaumlhlung sich nicht von seinen
Absichten der Bekaumlmpfung des Technischen loumlsen laumlsst Die Relativierung ist in-
sofern nicht an den Prozess gebunden und damit emergent auf alles hin ausge-
richtet was kommen mag sondern houmlchst konvergent in einer Besinnung auf
Mythen von dem Ding und dem Geviert mit all deren Valenzen aus dem vorlie-
genden Heideggerschen Textkorpus Die individuelle Endlichkeit ist genoumltigt die
Heimat und das Abendland zu kennen und im Aletheia-Prinzip umzusetzen
Die Neubewertung der bislang bekannten Heideggerschen Technikphiloso-
phie von vor den SchwarzenHeften ist ein dringendes Desiderat Voumllkisch-nationale
Gruppierungen erstarken momentan in ganz Europa und es koumlnnte sehr hilfreich
sein aumlhnliche Denkstrukturen aufzudecken so wie sie zwischen den 1930er und
40er Jahren entwickelt wurden Zusaumltzlich muss das Werk Heideggers einer kriti-
schen Revision schon aufgrund der niemals von ihm behandelten Antisemitismen
unterzogen werden Heidegger hat nie zu diesen Stellung bezogen
Daruumlber hinaus ist das Thema Mythos und Philosophie ein weiterhin not-
wendiger Bereich der philosophischen Forschung In einem Bereich auszligerhalb
der exakten Wissenschaften und ohne klare theologische Tradition ist die Philo-
215 Hubig Die Kunst des Moumlglichen S 140
51
sophie beides sowohl Aufklaumlrer und antimythisch als auch Quelle fuumlr mythisches
Denken und affektierende Motive
52
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56
Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
Der Unterzeichner versichert dass er die vorliegende Bachelorarbeit selbststaumlndig
verfasst und keine anderen als die von ihm angegebenen Hilfsmittel benutzt hat
Die Stellen der Arbeit die anderen Werken dem Wortlaut oder dem Sinne nach
entnommen sind wurden in jedem Fall unter Angabe der Quellen (einschlieszliglich
des World Wide Web und anderer elektronischer Text- und Datensammlungen)
kenntlich gemacht Dies gilt auch fuumlr beigegebene Zeichnungen bildliche Dar-
stellungen Skizzen und dergleichen
Darmstadt 25 April 2016
__________________________
(Eigenhaumlndige Unterschrift)
- Abkuumlrzungsverzeichnis
- Danksagung
- Einleitung
- Heideggers mythopoetisches Programm
-
- Zu den Begriffen Mythos Mythologie und Mythopoetik
-
- Ein Beispiel fuumlr ein Mythologem
-
- Heideggers Mythen
-
- Formen der Mythologie
-
- Heideggers mythopoetische Technik
-
- Zur Publikationsgeschichte von den Bremer Vortraumlgen 1949
- Die mythopoetische Spiegelung der Schwarzen Hefte
-
- Das Dinglsquo
- Das Ge-Stelllsquo
- Die Gefahrlsquo
- Die Kehrelsquo
-
- Konklusion
- Literaturverzeichnis
- Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
-
4
2 Heideggers mythopoetisches
Programm
In diesem Kapitel wird die These aufgestellt dass Heidegger in den Schwarzen
Heften von 1931ndash1948 sich selbst eine Mythologie anlegt derer er sich in Veroumlf-
fentlichungen mythopoetisch bedient Die Mythopoetik aus seinen mythologi-
schen Annahmen bestimmt aber auch weite Teile seiner intimen Schriften (Denk-
tagebuumlcher) also die Schwarzen Hefte selbst Dh dass Heidegger sich seine ei-
gens gesetzte Mythologie aus fruumlheren Jahren als permanentes Zentrum seines
Philosophierens oder Nachdenkens fortschreibt und mit spaumlteren Gedanken zum
Zeitgeschehen aktualisiert Gerade diese Kohaumlrenz mit der er an seiner
Der Begriff der Mythologie und ferner der des Mythos bieten eine Vielzahl
von Moumlglichkeiten der Bestimmungen und Interpretationen Aus diesem Grund
ist der weiteren Erlaumluterung der These eines mythopoetischen Programms eine Be-
griffseingrenzung vorangestellt10 Genauso wird eine Erlaumluterung des Begriffs der
Mythopoetik dargelegt werden um darauf aufbauend Heideggers Vorstellungen
aus den Schwarzen Heften aufzudecken
21 Zu den Begriffen Mythos Mythologie
und Mythopoetik
Zur Bestimmung von Heideggers Vorstellungen als mythopoetisches Programm
werden die drei Begriffe Mythos Mythologie und Mythopoetik hier einer einfa-
chen lexikalischen Definition zugrunde gelegt Diese orientiert sich maszliggeblich
am Reallexikon der Deutschen Literaturgeschichtelsquo (RDL) das eine fachwissen-
schaftliche (philologische) Seriositaumlt besitzt die gefragten Begriffe aber auch kom-
pakt und uumlberschaubar abhandelt11
10 Eine fuumlr dieses Thema hervorragende Reflexion des Mythos-Begriffes bietet sich in Ernst Cas-sirers Der Mythus des Staateslsquo an Auf diesen Titel wird allerdings erst spaumlter eingegangenwerden um mit der Begriffseingrenzung nicht einen Cassirerrsquoschen uumlberbau zu erstellen
11 Die Eintraumlge des RDL werden hier bereits nur sehr sparsam verwendet bieten sie jedochweitaus reichhaltigere Reflexionen zu den drei gefragten Begriffen Trotz der faszinierenden
5
Insofern legt das RDL den Mythos uumlber die bdquoForm eines vorrationalen Wis-
sensldquo hinaus so aus
Mythos2 bezeichnet ein ndash oft einem vermeintlich wissenschaftlicheren lo-goslsquo als mythisches Denkenlsquo entgegengesetztes ndashWeltverhaumlltnis uumlber dessenEigenschaften [] immer wieder neu spekuliert wird und das man ua ausdem Mythos1 zu erschlieszligen sucht12
Zur Wortgeschichte erklaumlrt das RDL ferner dass im Fortschritt der bdquoFachschrift-
stellereildquo Mythos und Logos als Spannungsverhaumlltnis hervorzutreten beginnen
mit demmyacutetos als bdquoAusdruck fuumlr Erdichtetes oder Erfundenesldquo und logos bdquoals ver-
antwortende Redeldquo Mit der im RDL sogenannten bdquoFachschriftstellereildquo muss be-
reits die griechische Antike gemeint sein wenn es in der Begriffsgeschichte heiszligt
bdquo[i]n der antiken Geschichtsschreibung und Philosophie wird der Begriff fast im-
mer ex negativo im Hinblick auf das Nicht-Wissenschaftliche verwendetldquo13
Der Begriff Mythologie wird hauptsaumlchlich unterschieden in 1) eine bdquoZusam-
menstellung der Mythen einer bestimmten Kulturldquo und 2) deren bdquoErforschung
und theoretische Reflexionldquo14 Als Drittes kann die Zusammenstellung von hy-
postasierten poetischen oder heroisierenden Elementen als Mythologie aufgefasst
werden So sagt Adorno uumlber die deutschen Existentialisten dass sie bdquoin der ab-
soluten Verfuumlgung des Einzelnen uumlber sich [] soldatischldquolsquo an der bdquoBindung an
den Befehlldquolsquo15 hingen Sprecher solcherlei bdquoExistenz bewegen sich auf heroisie-
rende Mythologie zuldquo16 Insofern kann als Mythologie gelten was sich als solche
gebiert Er bindet dieses Mythologisieren in seinen Topos des bdquoJargons der Eigent-
lichkeitldquo ein der hauptsaumlchlich Heideggers eigenwilligem Sprachverhaumlltnis gewid-
Begriffsgeschichten von Mythos und Mythologie soll zugunsten der hier verhandelten The-se auf tiefergehende Reflexionen verzichtet werden Das Material dazu ist weiterhin uumlberdas RDL hinaus sehr umfangreich Dennoch wird davon ausgegangen dass der hier gewaumlhl-te Bedeutungsumfang der Begriffe dem Verstaumlndnis hinsichtlich der These von Heideggersmythopoetischen Programm genuumlgen wird
12 RDL S 665 Da das RDL in seiner Explikation von drei verschiedenen Bedeutungsdimensio-nen spricht wird in der zitierten 2 auf die 1 refereriert welche lautet ldquoMythos1 meint dieerzaumlhlende Darstellung von kollektiv bedeutsamen Orten und Figuren oder Naturphaumlnome-nen in aller Regel mit religioumlser oder kultischer Dimensionldquo (Ebd S 664)
13 RDL S 66514 RDL S 66015 Adorno Theodor W Jargon der Eigentlichkeit Zur deutschen Ideologie Frankfurt am Main
1964 S 10716 Ebd S 108
6
met ist Was Adorno als Abwehr gegen Heidegger und die deutschen Ideologen
der Moderne anfuumlhrt kann nicht in gleicher Weise auf die Romantiker fallen
Im 19 Jahrhundert fanden bei denen auch Bestrebungen statt Mythologie als
wissenschaftliche Wahrheitsfindung zu betreiben Mythologie ist dort bdquoSprache
der Phantasielsquo die jedoch auch Spuren der aumlltesten Geschichte enthalte und da-
durch deren Allegorisierung verhindereldquo17 Der Unterschied zwischen beliebiger
Allegorie und verbindlicher Mythologisierung liegt demzufolge im Rekurs auf die
bdquoaumllteste Geschichteldquo Der Antikestoff befluumlgelte Schriftsteller wie Philosophen zu
poetologischen und philosophischen Doktrinen die die bloszlige Zusammenstellung
von tradiertenMythen sprengten und ein progressives Mythologisieren forderten
Dieses Zusammenspiel fand seinen Houmlhepunkt im bdquoSystemprogrammldquo
[E]ine neue Mythologie der Vernunftlsquo welche den Gegensatz zwischendem Volk und einer philosophischen Elite aufloumlsen und eine allgemeineFreiheit und Gleichheit der Geisterlsquo verwirklichen sollte18
Daran beteiligt waren Friedrich Schlegel Hegel und Houmllderlin Bei den aus-
gepraumlgten Houmllderlinkenntnissen Heideggers kann von dessen Kenntnis des bdquoSys-
temprogrammsldquo ausgegangen werden auch wenn er dessen noblen Ziele nicht zu
beerben gedachte Gerade fuumlr Schelling jedoch bdquoist Mythologie das Mittelglied der
Ruumlckkehr der Wissenschaft zur Poesieldquo19 Es ist genau diese Aufwertung des Au-
tors aus einer Synthese von Kunst und dem Prozess ihrer archaischen Ruumlckfuumlh-
rung die Heidegger als Wahrheitsquelle vorphantasiert Er geht bei dieser My-
thologisierung so weit von der Errettung durch die Goumltter zu traumlumen wobei
er auf Houmllderlin als Mittlerfigur rekuriert der sich wiederum auf die Vorstellung
von Goumlttern der griechischen Antike bezieht Das ist ein Teil von Heideggers
voumllkischer Mythologie die eine reine Linie des Denkadels nachzeichnen will
Werden wir einen wirklichen geistigen Adel schaffen der stark genug ist dieUumlberlieferung des Deutschen aus einer groszligen Zukunft zu gestalten20
17 RDL 66218 RDL S 66319 Ebd20 GA 94 S 121
7
bdquoAus einer groszligen Zukunftldquo ist hierbei bezeichnend fuumlr die Vorstellung eines
Versprechens aus der Vergangenheit Das macht diesen Mythos aus Heideggers
Mythologie
Mythopoetische Texte schlieszliglich werden definiert als
Literarische Werke die Mythen aufnehmen und auf eine fuumlr die Textaussagekonstitutive Weise dichterisch bearbeiten21
Die Besonderheit von der bei der vorliegenden Arbeit ausgegangen wird ist dass
Heidegger in seinen echten Publikationen wobei hier besonders die Vortraumlge von
1949 von Interesse sind nicht bloszlig mythologisierte im Sinne eines bdquoerweiterten
Mythosldquo Sondern er schreibt als Mythopoet schoumlpfend aus seiner privaten My-
thologie Diese legte er sich selbst zu Grunde in den Schwarzen Heften Es sind die
Manifestationen seines Glaubens an romantisierte Antikeideale und seine Uumlber-
houmlhungen von Fantasien von einem deutschen Volk
Wie das Metzler Literaturlexikon es bereits aufweist bdquoDie weitere Explikation
des M-Begriffs ist komplex und faumlllt in die Zustaumlndigkeit verschiedener Diszipli-
nenldquo22 Die Begriffseingrenzung hier hat allerdings in Bezug auf das RDL einen
deutlich literaturwissenschaftlichen Bezug da Heidegger eine bdquoPartnerschaft zwi-
schen Denken u Dichtenldquo23 anstrebte ndash bdquoDas Dichterischelsquo sollte rettende Wege
im Zeitalter des universalen technolog Zugriffs findenldquo24 Damit ist auch zum
wiederholten Male das Kontrastierende in dieser Haltung genannt ob sich der
Mythos nun gegen das TechnischeWissenschaftliche richtet (Heidegger) oder ge-
21 RDL S 66522 Metzler Lexikon der Literatur S 524 Ferner deutet ein Eintrag im Neuen Pauly dar-
auf hin bdquoEine alle Disziplinen befriedigende Definition von M (μῦθοςmyacutethos latmythos) zu finden erweist sich trotz vieler Versuche als unmoumlglichldquo (Graf Fritz(Princeton) Zgoll Annette (Leipzig) Hazenbos Joost (Leipzig) Niehr Herbert (Tuuml-bingen) Mythoslsquo Der Neue Pauly Hg v Cancik Hubert (Antike) und Schnei-der Helmuth Landfester Manfred (Rezeptions- und Wissenschaftsgeschichte) Brill On-line 2015 Reference Universitaumlts- und Landesbibliothek Darmstadt 06 December2015 httpreferenceworksbrillonlinecomentriesder-neue-paulymythos-e815160 Firstappeared on-line 2006)
23 Poumlggeler Otto Heidegger In Killy Literaturlexikon Autoren und Werke des deutschspra-chigen Kulturraums 15 Bde 1988-93 Bd 5 S 142-146 hier S 144
24 Ebd S 142
8
gen die Rationalitaumlt (Cassirer) er hat stets bdquodas erklaumlrte Andere des logischen
Erkennensldquo25 inne26
211 Ein Beispiel fuumlr ein Mythologem
bdquoDen μῦθος und λόγος [] aus ἀλήθεια erfahrenldquo27 Dieses System entruumlckt
Wort und Rede dem zwischenmenschlichen Sprachgebrauch und uumlberlaumlsst es dem
Prinzip eines eigenwillig ausgelegten Begriffs der ἀλήθεια ob etwas als Ereignis
zum Sein gereicht oder als Dasein hinfaumlllig ist Die erstrebenswerte Identifikation
mit dem bdquoLeben der Gemeinschaft und mit dem Leben der Naturldquo28 die der ge-
meinsame Austausch uumlber Mythen bieten soll zB im Raumlsonieren daruumlber (etwa
im Sinne des Logos) untersteht hier dem regelnden Prinzip einer Aletheia Mys-
thagogisch will Heidegger den archetypischen Akt dieser Wesensschau beim anti-
ken Griechenvolk enthuumlllen (vgl Kapitel 323) Damit ist die Zusammenstellung
von bdquoμῦθος und λόγος [] aus ἀλήθεια erfahrenldquo bereits ein Mythos seiner
Mythologie
Die Eigenwilligkeit mit der Heidegger einen Mix aus philologischer Hinwen-
dung zu den Vorsokratikern der Dichtung Houmllderlins und einem Pathos seiner
Heimatverbundenheit verquickt ist Adorno schon in den 1960ern als Mythologie
aufgefallen bdquoAntisophistik im Endstadium aufbereiteter Mythologie ist verhaumlrte-
tes Ursprungsdenkenldquo29 Adorno konnte nicht ahnen wie tief Heidegger seinen
Wunsch nach Ursprung in sein Denken verschlossen hat Der Bestand bdquoaufbe-
25 Erdbeer Robert Matthias Graf Fritz Mythoslsquo Der Neue Pauly Herausgegeben vonHubert Cancik Helmuth Schneider (Antike) Manfred Landfester (Rezeptions- und Wis-senschaftsgeschichte) Brill Online 2015 Reference Universitaumlts- und LandesbibliothekDarmstadt 06 December 2015 lthttpreferenceworksbrillonlinecomentriesder-neue-paulymythos-rwg-e1505640gt First appeared online 2006
26 Ernst Cassirer interpretiert in diesem Bezug ferner nachdem er den Konflikt zwischen ra-tionalem und mythischem Denken als Machtkonflikt aufwies Kants Annahme von zweibdquoGruppen von Gelehrten und Forschern die eine befolgt das Prinzip der Homogenitaumltlsquo dieandere das der Spezifikationlsquo [] Nach den Prinzipien der Kantischen Philosophie selbststehen beide Haltungen nicht wirklich im Widerstreit miteinander Denn sie druumlcken keinefundamentale ontologische Differenz aus keine Differenz in der Natur und dem Wesen derDinge an sichlsquo Sie repraumlsentieren eher ein doppeltes Interesse des menschlichen Verstandesldquo(Cassirer S 12) Allerdings ist Heidegger anti-wissenschaftlich Sein Ringen um das Mythi-sieren verfolgt das Ziel einer gegenwissenschaftlichen bdquoBesinnungldquo wie er es nennt
27 GA 97 S2028 Cassirer Der Mythus des Staates S 5329 Adorno Jargon der Eigentlichkeit S 41
9
reiteter Mythologieldquo liegt erst seit 2014 mit der Veroumlffentlichung der Schwarzen
Hefte vor
22 Heideggers Mythen
Heideggers Mythen sind weder eine Fortsetzung antiker Uumlberlieferungen noch
ein von ihm entwickeltes Fabulieren uumlber anthropomorphe Goumltter und ihre Ent-
stehungsgeschichten Es ist in erster Linie eine eigenwillige Philologie des Alt-
griechischen wenn er zB in bdquogeschichtlicher Besinnungldquo zum Zuruumlckgehen bdquoauf
den Zusammenhang von τέχνη ἀλήθεια und οὐσίαldquo30 auffordert Adorno cha-
rakterisiert seinen Begriff vom Jargon der Eigentlichkeitlsquo mit dem Zug der sta-
tischen Inbeschlagnahme einzelner Woumlrter die sich bdquodurch die Konstellation die
sie verleugnenldquo aus demDiskurs sprengten und als Apotheosen eine uumlbertriebene
Eigenbedeutung erhalten wuumlrden Diese guerrillaartige Umdeutung von Sprache
versteht Adorno als Asyl des Faschismus31
Was das singulaumlre Wort an Magie verlor wird ihm gleichwie durch Maszlignah-men dirigistisch angeschafft [] Bestandstuumlcke der empirischen Sprachewerden in ihrer Starrheit manipuliert als waumlren sie solche einer wahren undgeoffenbarten [] Der Jargon objektiv ein System benutzt als Organisati-onsprinzip die Desorganisation den Zerfall der Sprache in Worte an sich32
Die bdquoDesorganisationldquo die Adorno Heideggers Sprachzerfall zuweist ist viel-
mehr eine Neukonstellation im Sinne des Mythos So erscheint es zumindest
anhand der Leese die Heidegger in den Schwarzen Heften zusammentraumlgt Der
deutsch-schweizerische Philosoph Enno Rudolph fuumlhrt in diesem Zusammen-
hang einige Militaumlrmetaphern an die Heideggers Zielsetzung unterstreichen sol-
len mit seinem Sprachsystem voumllkisch-nationale und eben auch antisemitische
Abgrenzungspolitik zu betreiben
30 GA 94 S 336f31 Vgl Adorno Jargon der Eigentlichkeit S 8f bdquoAsyl des Faschismusldquo ist eine treffende Parodie
auf Heideggers Rede von der Sprache als Haus des Seins (su)32 Ebd S 10
10
Am Ende koumlnnten sich Text und Sache moumlglicherweise so darstellen lassen[] dass sich das Gesamtwerk als die labyrinthisch konstruierte letzte Basti-on eines philosophischen Stellungskrieges positioniert in dessen Verlauf derAntisemitismus ndash neben den anderen programmatischen Feindseligkeiten ndasheine strategische Funktion nach Analogie mehrerer einander koordinierterWaffengattungen erfuumlllt [] dass es sich bei den vier Baumlnden um Bausteinefuumlr eine Kampfschrift handelt33
Mit dem Schluumlssel des Verstaumlndnisses der altgriechischen Sprache seiner Liebe
zum Klassikautor Houmllderlin und als selbsterklaumlrter Feind der Metaphysik ver-
stand sich Heidegger als Prophet des Denkens das als Dichtung veredelt An-
athema zur Rationalitaumlt und Wissenschaft (worunter er auch die Philosophie ver-
stand) sein sollte Die strenge Bindung an seine Pseudotradition des Abendlandes
sollte mythologisch festgezurrt sein aber seine Veroumlffentlichungen in Form von
Vortraumlgen und Aufsaumltzen und schlieszliglich in Buchform sollten selbst nicht bloszlig
mythologisch sein ImModus von verhaumlrtetem solipsistischen Narzissmus ging er
daruumlber sogar noch hinaus und wollte sich verstehen als mythopoetischen Autor
seiner eigenen Mythologie
Eine katalysierende Wirkung auf dieses Vorgehen Heideggers hatte der Alt-
philologe Walter F Otto (1874ndash1958) In einem vor den Schwarzen Heften in
2009 veroumlffentlichen Aufsatz schildert der franzoumlsische Germanist Daniel Meyer
von diesem Bezug und untersucht Heideggers Verbindung der Kehre34 und des
Mythos Die Entdeckung des griechischen Mythos Heideggers geschichtsphilo-
sophische Wendelsquo35 Wie es der Titel verraumlt markiert Meyer Heideggers Kehre
zur Seinsgeschichte mit dessen bdquoEntdeckungldquo des Mythologisierens36
33 Rudolph Enno Heideggers Schwarze Hefte im Echo In Philosophische Rundschau Bd 62Heft 2 (2015) S 141-154 hier S 145f
34 Die bdquoKehreldquo ist multifaktoriell mit Bedeutungen besetzt Darauf kann hier nicht eingeangenwerden Im Uumlblichen ist die Kehre zur bdquoSeinsgeschichteldquo gemeint
35 Meyer Daniel Die Entdeckung des griechischen Mythos Heideggers geschichtsphilosophi-sche Wende Germanica 45 (2009) S 13-26
36 Diese Entdeckung ist wie bei Peter Trawny (su) gebunden an Heidegger Topos des AnfangsDen Anfang dieser Rede des Anfangs will auchMeyer erkannt haben Insgesamt koumlnnen nochmehrere starke Aumlhnlichkeiten des Artikels von Meyer mit Trawnys Buch uumlber die Schwar-zen Hefte nachgewiesen werden womit Trawny ohne jegliche Nennung Meyers unter denAnfangsverdacht des Plagierens faumlllt
11
Ottos 1929 erschienenes Werk Die Goumltter Griechenlandslsquo37 sei laut Meyer
der fuumlr Heideggers mythologische Strategie unentbehrliche Einfluss Somit sei
der griechische Goumltterbegriff nicht mehr bdquochristlich antithetisch zu Welt und
Mensch sondern in Einheit damit zu denkenldquo38 Diese Einheit wuumlrde gestif-
tet durch bdquoOttos Formel vom Geheimnis der Beruumlhrung von Goumlttlichem und
Menschlichenlsquoldquo39 Da Meyer das Mythologisieren im Zusammenhang mit der ge-
schichtsphilosophischen Kehre auch im Sinne einer bdquoVorrangstellung des primi-
tiven archaischen von ihm [Heidegger DS] als mythisch verstandenen Den-
kensldquo40 als Weg zum Nationalsozialismus ndash der Traum Heideggers eines neuen
(deutschenabendlaumlndischen) Anfangs ndash versteht liegt dem bdquogriechischen Goumltter-
begriffldquo hier eine besondere Wertlegung zugrunde41
Die Beschwoumlrung des Anfangs des griechischen Ursprungs ermoumlglicht ei-nen genuinen Neuanfang im Sinne einer Annullierung des Vorhergekom-menen Der Ausweg aus der Moderne aus der Welt der Uneigentlichkeitist moumlglich durch einen Bruumlckenschlag zum griechischen Denken [] DieMoumlglichkeit diese Krise zu uumlberwinden ist fuumlr Heidegger 1933 durch dienationalsozialistische Machtergreifung gestellt doch reiht er diesen Prozessin eine legitimierende geschichtsphilosophische Perspektive die auf einengriechischen Ursprungsmythos zuruumlckverweist42
Meyer findet kernige Passagen die er aus Heideggers Schriften und Vorle-
sungen bis 1935 durchaus uumlberzeugend zur Unterstuumltzung seiner These anfuumlhrt
Diese Zitate Heideggers sind der Mythologie der Schwarzen Hefte sehr aumlhnlich als
tentatives Entwerfen
37 Otto Walter F Die Goumltter Griechenlands Das Bild des Goumlttlichen im Spiegel des griechi-schen Geistes Frankfurt am Main 2013Meyer verweist in einer Fuszlignote auf das Buch Heideggerrsquos Roots Nietzsche National So-
cialism and the Greekslsquo von Charles Bambach (2005) das ihm fuumlr diese Aussage Pate stand38 Meyer Die Entdeckung des griechischen Mythos S 439 Ebd Durch eine solche Formel der Einheit von Menschen und Goumlttern ist ein nahtloser
Anschluss an die Goumltter Heraklits und anderer antiker Philosophen geebnet Heidegger hatdiese Moumlglichkeit erstaunlich ernst genommen und ausgearbeitet
40 Meyer Die Entdeckung des griechischen Mythos S 341 Meyer stolperte mit der Begruumlndung dass bdquoDieser erstaunlich unkritische Gottesbegriff []
sich nur im Kontext von Ottos Goumltter Griechenlands verstehenldquo (Meyer Die Entdeckungdes Griechischen Mythos S 4) lieszlige uumlber Heideggers SoSe Vorlesung 1930 Vom Wesender menschlichen Freiheitlsquo (GA 31 S 7f) Ferner vollzieht er Ottos Einfluszlig uumlber die ersteHoumllderlin-Vorlesung von 193435 und weitere Schriften Heideggers nach Es geht Meyerauch stark um das Verhaumlltnis von Heideggers Denken bis und nach Sein und Zeit was indieser Arbeit nicht tiefer behandelt werden kann
42 Meyer Die Entdeckung des griechischen Mythos S 4f
12
Das legt nahe dass Heidegger sein mythopoetisches Texten als Code vor allem
in den Nachkriegsveroumlffentlichungen einsetzt ndash ein Nachruf aus dem gescheiter-
ten Anfang43 Ab 1935 jedenfalls haumltte sich Heidegger von der Vorstellung des
neuen Anfangs verabschiedet44
Das Mythologisieren konstruiert Meyer als Anschluss an die Houmllderlin-Vor-
lesung (193435) Die Houmllderlinsche Lyrik haumltte fuumlr Heideggers bdquophilosophisches
Sprachmaterialldquo Vorbildcharakter da bdquomit Houmllderlin die griechische Mytholo-
gie in ihrer sprachlichen Verbildlichung zum tragenldquo45 kaumlme Die dann staumlndige
Wiederauferstehung der bdquogriechischen Goumltter- und Heldenwelt in seinen Vorle-
sungenldquo schluumlge dem zu Buche In der Vorlesung 193435 Houmllderlins Hymnen
Germanienlsquo und Der Rheinldquo klingt insofern bereits eine Figur an die Heidegger
uumlber zehn Jahre spaumlter in seinen technikphilosophischen Bremer Vortraumlgen mit
seinem Aletheia-Prinzip verbinden wird ndash der bdquoBlitzldquo (su)
43 Eine genaue Untersuchung laumlszligt die Form dieser Arbeit nicht zu sie bezoumlge sich wie gesagtauf die drei Darstellungsebenen der GA mit den Schwarzen Heften (GA 94ndash97) als (Entwurfs-phase) Besinnung (GA 66) Das Ereignis (GA 71) ua als (Konzeptionsphase) und den BremerVortraumlgen (GA79) als (Praumlsentation) die Uumlbergaumlnge sind freilich flieszligend und gerade in denvon Meyer zitierten Vorlesungen erscheinen alle drei Stufen mitunter gleichzeitig Gerade imfolgenden zitierten Doppelband in dem es ua um die bdquoWahrheit der Spracheldquo geht scheintes tatsaumlchlich genau wie Meyer es identifiziert um die Grundlegung Heideggers Mythologiezu gehen die in den Schwarzen Heften vielmehr lemmaartig und sporadisch entworfen wirdMit Heraklits Spruch des Kampfes als Wesen des Seienden zieht Heidegger einen Paten seinerMythos-Logos-Aletheia Kombination heran und versucht seiner eigenwilligen Philologie ei-ne verpflichtende Bedeutungstiefe einzulegenMeyers Zitate Heideggers mit groszliger Relevanz fuumlr diese Arbeit sind die folgenden bdquoDa-
mals als das Volk der Griechen deren Stammesart und Sprache mit uns dieselbe Herkunfthat in seinen groszligen Dichtern und Denkern sich aufmachte eine einzigartige Weise desmenschlichen volklichen Daseins zu schaffen Was da anfing ist bis heute nicht eingeloumlstAber dieser Anfang ist noch nicht und er verschwand nicht und verschwindet nicht dadurchdaszlig die nachkommende Geschichte immer weniger seiner Herr blieb Der Anfang ist nochund besteht als ferne Verfuumlgung die unserem abendlaumlndischen Schicksal weit vorausgreift unddas deutsche Geschick an sich kettetldquo (GA 3637 S 6 Die Grundfrage der PhilosophielsquoSommersemester 1933)bdquoAls μυθος ist das Wort das uumlber den Menschen kommt jenes worin ihm dieses und
jenes seines Gesamtdaseins gedeutet wird nicht das Wort in dem er von sich her Rede stehtsondern das Wort das Weisung gibt [] Aber der urspruumlngliche λογος der Philosophiebleibt dem μυθος verbunden erst die Sprache der Wissenschaft vollzieht die Abloumlsungldquo(Ebd S 116)
44 In den Schwarzen Heften houmlrt die Sehnsucht nach dem neuen Anfang nicht auf also bis ein-schlieszliglich 1948
45 Meyer Die Entdeckung des griechischen Mythos S 6
13
Gewitter und Blitz sind die Sprache der Goumltter und der Dichter ist derder diese Sprache ohne Ausweichen auszuhalten hat aufzufangen und in dasDasein des Volkes zu stellen hat [] Die Dichtung ist ein Weiterwinkendieser Winke in das Volk oder von diesem her gesehen Dichtung ist []ein Zeigen ein Weisen in welcher Weisung die Goumltter offenbar werden46
Die Rede von bdquoWinkenldquo ist bereits ein Selbstbezug benannte der Autor der
Schwarzen Hefte seine ersten beiden Abteilungen des heutigen 94ten Bandes der
GA als Winke x uumlberlegungen (II) und Anweisungenlsquo und uumlberlegungen und
Winke IIIlsquo47 Diese setzen ein im Jahr 1931 und duumlrften moumlglicherweise bis 1933
oder vielleicht auch 1935 gereicht haben Heideggers Selbstuumlberhoumlhung als mys-
tagogisch bdquodichterisch-denkenden Schaffenden ndash also ihm selbstldquo48 erkennt auch
Meyer bereits ohne die eindeutigen Zeugnisse dieses Wunsches in den Schwarzen
Heften Es ist Heideggers Begehren das Volk seiner Fuumlhrung zu unterstellen bdquoso
dass sich das Wesen dieses Landes selbst findet und vollendetldquolsquo49
Meyer spricht in Folge daran davon was Heideggers Ursprungsmythos den
er in die griechische Altertum legt fuumlr diesen leistet Es ist eben das antiwis-
senschaftliche bdquoWissenldquo von einer bdquoUr-geschichteldquo Welche abgruumlndigen Motive
auch immer da hineinzuprojizieren sind (Bodenhaftigkeit arische Reinbluumltigkeit
abendlaumlndische Groumlszlige etc so wie es sich aus den Schwarzen Heften offenbart)
der Mythos verschraumlnkt Heideggers Streben nach Fuumlhrung als Denker und eine
Begruumlndung fuumlr die vermeintliche rassische uumlberlegenheit des deutschen Volkes
Meyer zitiert den Dichter-Denker mit bdquoMythologielsquo ist Wissen von einer Ur-
geschichteldquolsquo Es ginge um
Wissen nicht im archaumlologisch-musealen Sinn sondern als Prozess [] auchim Sinne dass Heidegger im Moment des Aussprechens gerade das leistetwovon er spricht Mythologie50
Augenscheinlich sieht Meyer keinen Grund dafuumlr von einer mythopoetischen
Textform in der Verschraumlnkung von Heideggers Denkerprophetie und der abend-
46 GA 39 S 31f (zitiert nach Meyer Die Entdeckung des griechischen Mythos S 6)47 Aus dem beigefuumlgten Nachwort des Herausgebers Peter Trawny geht nicht genauer hervor
weshalb zuerst bdquoWinke x uumlberlegungen (II)ldquo und dann bdquouumlberlegungen und Winke IIIldquo signi-fiziert sind Es wird hier davon ausgegangen dass es sich schlicht um das Gleiche handeltwobei der erste Teil sich in den bislang verschollenen Schwarzen Heften befinden muss
48 Meyer Die Entdeckung des griechischen Mythos S 749 Ebd Darin zitiert ist die GA 39 S 28950 Ebd Darin zitiert ist die GA 40 S 165
14
laumlndischen uumlberhoumlhung zu sprechen Die Paarung von Dichtung und Denken al-
lerdings ist fuumlr den Husserlnachfolger erst der Zweck und die Mythologisierung
das Mittel dazu In seiner Schrift uumlber die Religionsphilosophie und ontologi-
sches Wahrheitsverstaumlndnis bei Walter F Ottolsquo schildert der Altersforscher und
Sozialwissenschaftler Schulz-Nieswandt aus Koumlln uumlber die menschliche Existenz
die bdquoMythopoetik als Seins-Vergewisserungldquo51
In jenem Kapitel seines Otto-Traktats von 2014 schreibt Schulz-Nieswandt
wie ein echter Epigone Heideggers von der Wappnung gegen die bdquoKrise der Mo-
derne ndash Entfremdung Einsamkeit Angst Verzweiflungldquo52 An fruumlherer Stelle
seines Buchs stellt sich dar dass Schulz-Nieswandt sich geradezu mit Heideggers
Linie vereint anstatt sich ihr nur anzunaumlhern
Es geht um das wahre Sein aus der Sicht des zu seinem Wesen gelangendenMenschen in dessen Daseinsfuumlhrung was hermeneutisch erschlossen wer-den soll nicht um Wissenschaft als hermeneutische Methode im Kriterien-spektrum zwischen Verifikation und Falsifikation von Hypothesen mittelsProtokollsaumltzen uumlber die Realitaumlt53
51 Schulz-Nieswandt Frank Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis beiWalter F Otto (1874-1958) Eine strukturalistische und psychodynamische RezeptionBaden-Baden 2014 S 58-60
52 Ebd S 58 Dabei spielt Schulz-Nieswandt die Begriffe Epistemologie gegen Ontologie ausund bezeichnet sich selbst als post-strukturalistisch im Sinne der Kritischen Theorie schrei-bend Jedoch erscheinen diese philosophischen Kontraste nur wie bdquoEdelsubstantiveldquo des vonAdorno gemuumlnzten bdquoJargon der Eigentlichkeitldquo Und in genau diesem Jargon laumlszligt der So-zialwissenschaftler Heideggers Urmythos des Goumlttlichen der griechischen Antike (so) inaktueller Praumlsenz wieder auferstehen Es ist erstaunlich dass jemand der die Kritische Theo-rie fuumlr sich reklamieren will Epigone des bdquoJargons der Eigentlichkeitldquo ist So zeigt es sichauch auf S 28 wenn er in Ottos Dionysos bdquodie ganze Tiefe des Menschen zum Ausdruck[bringt DS] die Todeserfahrung des sterblichen Menschen Dionysos ist Hadesldquo Um nocheinmal zu bestaumltigen wie sich Schulz-Nieswandt als Akteur des Jargons gebiert sei hier Ador-no zitiert (dies gilt allerdings nur der Gegenuumlberstellung zum Vorsatz jener wuumlrde sich ander Kritischen Theorie orientieren ohne fuumlr diese zu advozieren) bdquoDer Heideggerschen Phi-losophie schloszlig sich was einmal Pforte zum ewigen Leben war zu sie betet statt dessenWucht und Groumlszlige des Tores an [] Sein wuumlrdevolles Gehabe ist Reaktionsbildung auf dieSaumlkularisierung des Todes [] Darum wird Sinn in den Tod geworfenldquo (Adorno Jargonder Eigentlichkeit S 134)
53 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei WalterF Otto S 15
15
Beiden gemeinsam ist auch die Faszination an Houmllderlin die sie ebenso mit Otto
teilen
Die ganze Eigenart des Denkens von Otto kommt in dem komplett innerenVerhaumlltnis zu Heidegger und Houmllderlin zum Ausdruck54
Nur noch ein Gott kann uns rettenlsquo so das Zitat des Spiegelinterviews das Ja-
kob Augstein zum Titel machte ist die kodierte Mythopoetik auf die sich die
Spiegelleser keinen Reim machen konnten Fuumlr Heidegger fuumlr den das Sein in der
Sprache wohnen sollte55 ging es um den Mythos der Naumlhe zur Antike als Naumlhe
zu den Goumlttern
Fuumlr Houmllderlin war die Theologie der Abwesenheit Gottes als uumlberweltlichePraumlsenz der Verlust der Gotteserfahrung des diesseitig verankerten Men-schen [] Die Antike wird als eine von Goumltternaumlhe charakterisierte Zeitvon Houmllderlin verstanden und erneuert (der kommendelsquo Gott) ersehnt56
Dies ist eine der Leit-Mythen Heideggers insbesondere wenn man sich die Nach-
kriegsvortraumlge ansieht (eben die Bremer Vortraumlgelsquo)
Die Aufhebung der Trennungsangst durch die bdquoAbwesenheit der Goumltterldquo uumlber-
winde der in existenzieller Angst befindliche bdquohomo abyssusldquo mittels bdquoder lie-
bevollen Gestaltung als Sich-Einrichten des Menschen [] als apriorischer Mo-
dus des In-der-Welt-Seinsldquo durch die bdquoEwigkeit der Mythopoetikldquo57 Fuumlr Schulz-
Nieswandt ist Mythopoetik eben nur dieses ein peganistischer Goumltterdienst der
den Kanon der Ottoschen Antike mit Houmllderlin interpretiert Insofern versteht
dieser versuchte Religionsphilosoph der eigentlich Sozialforscher ist Heideggers
Mythologie als schoumlpfend aus geteilter Quelle mit Mythen als Gemeinplaumltzen
derer sich der Denker-Dichter philologisch sicher bediene
Dabei geht es Schulz-Nieswandt umHeideggers Aletheia-Prinzip das er bdquoWahr-
heitsbegriffldquo nennt ndash welches bdquoDie Differenz der Technik als Herrschaft uumlber
54 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei WalterF Otto S 20
55 Vgl GA 7 S56 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei Walter
F Otto S 2157 Vgl Ebd S 59
16
Dinge von der Kunst als Schoumlpfung als Lichtung des Seins zur Wahrheit unter-
scheidetldquo58 Houmllderlins Goumlttliches waumlre darin vermisst und von Bedarf fuumlr den
Menschen Mit der Nomenklatur der griechischen Goumltter Houmllderlins und Ottos
ginge es beim Wahrheitsprinzip um bdquodie Erinnerung an Dionysos als der wie-
der kommende Gott []ldquo sie bdquofuumlhrt zur Lichtung des Seins als Wahrheitldquo59 Der
Mensch waumlre also Hirte seines Seins nicht Herr der Technik zum Sein bdquoDas Sein
ist den Menschen nicht technisch verfuumlgbar Die notwendige Einkehr wird zu
Heimkehrldquo60
Insofern zeichnet Schulz-Nieswandt ganz in Heideggers Sinne nach wie Hei-
mat und Irrationalitaumlt des Mythos zusammenfallen im Kanon der Goumltter-Mytho-
poetik Zum einen ist allerdings Heideggers Mythologie nicht so sehr an diese
Mythopoetik uumlber die Goumltter gebunden sondern bewegt sich frei im eigenwil-
ligen Auslegen von altgriechischen und deutschen Begriffen Zum anderen ist es
erstaunlich dass Schulz-Nieswand 2014 die Bedeutung der Mythopoetik fuumlr Hei-
deggers Ursprungsmythos des neuen Anfangs ignoriert und damit auch die gan-
ze voumllkisch-nationale Aura und damit die Abgrenzungspolitik Vor allem aber
richtet sich Heidegger nicht in einer bdquoliebevollen Gestaltungldquo menschlich ein
wie Schulz-Nieswandt es schon pathetisch darstellt sondern befeinded sich mit
allem ihm Zuhandenen als bdquoRaprochementldquo61 in alle Richtungen und pocht auf
bdquogeschichtliche Besinnungldquo als bdquoAuftrag des Deutschenldquo62
221 Formen der Mythologie
Mit den zwei oben herangezogenen Arbeiten uumlber Mythologisieren und Mytho-
poetik Heideggers sollte in dieser Arbeit das Verstaumlndnis seines Projekts der an-
tirationalen und antitechnischen Ausrichtung in den aktuellen Forschungsstand
gestellt werden Um welche Mythologie es sich in den Schwarzen Heften handelt
wird im Folgenden aufgedeckt werden Bereits in dem ersten Heft der Denktage-
58 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei WalterF Otto S 58
59 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei WalterF Otto S 59
60 Ebd61 Wolin Richard Heideggers bdquoSchwarze Hefteldquo Nationalsozialismus Weltjudentum und Seins-
geschichte In Vierteljahrsheft fuumlr Zeitgeschichte Bd 63 Heft 3 S 379-41062 GA 94 S 66
17
buumlcher verschmilzt Heidegger seine Vision von Dichten und Denken stellt sich
unter dieses Ideal
Dichten undDenken ineinander geschlungen und so waumlre ihrWas im verbindend-trennenden Bestimmen gewonnen63
Als bdquoAusgriff in den Begriffldquo versteht Heidegger dies als bdquovorschreibend-bildenden
Entwurfldquo der hinfuumlhrend zum Ereignis des Aletheia-Prinzips waumlre ndash
(Dichtung als Mythos
Dichtung als Dichtung im engeren Sinne gtgtGedichtltlt
Dichtung als Philosophie)64
Grundsaumltzlich ist die lose wirkende Legion von Lemmata nicht mit einer
Ruumlckfuumlhrung seiner Gedanken auf bestimmte griechische Goumltter und antike (ech-
te) Mythen besetzt Heidegger fetischisiert Begriffe und mythologisiert die von
ihm aufgepfropfte Bedeutung durch ein staumlndiges Wiederholen und Weiterden-
ken als bdquoWissenldquo wie Meyer es herausgearbeitet hat In dieser philosophischen
Alchemie sieht sich Heidegger als Denker als Bewahrer einer uralten Lehre die
eben neu widererstarken muumlsse Das hat Meyer auch schon klar gemacht Die My-
thopoetik erscheint aber hauptsaumlchlich nicht in den Schwarzen Heften sondern in
den Vortragspublikationen sich auf seine private Mythologie beziehend die in
den Schwarzen Heften zu Grunde gelegt wird
Die Mythen Heideggers drehen sich wie Meyer zurecht behauptet um den
Ursprung bei den Griechen den bdquoGrund der Geschichte des Abendlandesldquo65
Aber auch um die vielen Binaritaumlten die sich entgegengesetzt werden und tat-
saumlchlich wie der Heidegger-Herausgeber und Initiator und Leiter des Wupper-
taler Heidegger Instituts Peter Trawny es benannt hat auf einen Manichaumlismus
zulaufen66 Die Abgrenzungspolitik im Sinne des schuumltzenswerten abendlaumlndisch-
heimatlichen Deutschlands richtet sich gegen den inneren Feind vorangetrieben
63 GA 94 S 6564 GA 94 S 6665 GA 96 S 20566 Trawny Peter Heidegger und der Mythos der juumldischen Weltverschwoumlrung Frankfurt am
Main 2015 S 22Das hier aufgefuumlhrte Buch birgt einige problematische Umformungen zum Verhaumlltnis von
Heideggers Antisemititsmus Allem voran versucht es eine Begriffsbildung zu formen nach
18
von der Rechenhaftigkeit des juumldischen Wesens und die aumluszligeren Feinde wie Ameri-
kanismus franzoumlsische Kultur russischer Bolschewismus usw Heideggers Urmythos
vom neuen Anfang ist verquickt mit einem selbstangedichteten Personenmythos
was ebenfalls Meyer schon erkannt hat Dieses Schema ist die Grundstruktur
Immer deutlicher wird in mir die Ahnung daszlig unsere Heimat der Kerndes suumldwestdeutschen Landes [er selbst DS] der geschichtliche Geburtsortdes abendlaumlndischenWesens sein wird [] es ist das Geistvolle und zugleichdas erdenhafte schoumlne Land Es birgt unsichtbaren Reichtum dem Gemuumltbewahret tiefstes Dichten und houmlchste Gestalt der Sage67
Die mitunter wichtigste Dichotomie die Heidegger in den Denktagebuumlchern
aufwirft ist die zwischen Historie und Geschichte Es ist insofern nicht nur der
Mythos des neuen Anfangs der Heideggers Denken uumlber fast zwei Dekaden be-
stimmt sondern umso mehr die doppelte Projektion ndash des Verfalls (Machenschaft)
in eine Konstruktion von Historie und des Bestehens (Sein) in die konstruierte
Geschichte68 Geschichte faumlllt dann schlieszliglich mit der Schaffung des neuen An-
fangs so zusammen wie Historie mit Technik verschraumlnkt wird Geschichtlichkeit
muss durch das Prinzip des Ereignisses der Aletheia prozessiert werden waumlhrend
die verrationalisierte wissenschaftliche technische Historisierung des Lebens und
der Lebenswelt dem widerstrebt
Die Bindung von Heideggers Vorstellung des richtigen Lebens im Sein mit
demAbendland und einer voumllkisch-nationalen Groumlszlige undUumlberlegenheit Deutsch-
lands ist dabei ausschlaggebend Denn mit der Charakterisierung des Guten auf
derer Heideggers Antisemitismus mittels Heideggers Denkmethode behandelt aufgehobenwerden koumlnnte Die Hauptbegriffe darin sind bdquoSeinsgeschichtlicher Antisemitismusldquo undbdquoKontamination des Denkensldquo Von einer tieferen Auseinandersetzung muss an dieser Stelleabgesehen werden
67 GA 97 S 5468 In Band 66 der GA gibt es bereits einen kleinen Abriss der Historie und Techniklsquo die der Ge-
schichte gegenuumlbergestellt werden Das dies eine Uumlbertragung der Gedanken aus den Schwar-zen Heften ist ist ohne Zweifel Ein ansatzweise philosophisches Vorgehen vermengt sichdort mit dem poeto-mythologischen Denken Heideggers In Sachen mythopoetischer Figu-ren undMetaphernreichtum haumllt sich dieser dort aber noch zuruumlck (auch wenn er hier bereitsoumlffentlich vom bdquohistorischen Tierldquo redet) Die Absicht Technik und Historie als Verstellungdes abendlaumlndischen Menschen zu brandmarken stehen dabei im Vordergrund Weiterhinsoll in dieser Arbeit allerdings der Fokus auf den Schwarzen Heften und der Mythopoetik inden Technikvortraumlgen der Nachkriegszeit liegenDer Duden sieht Geschichte und Historie als Synonyme Von einer Ethymologie und der
Spekulation von Heideggers Gruumlnden der Auseinanderhaltung der zwei Synonyme soll hierabgesehen werden
19
der Seite des Seins sind die Feinde dessen eine Notwendigkeit seines Erklaumlrungs-
schemas Dabei sind es vor allem die Juden denen die Wurzel des Antiseien-
den von Heidegger in ihr vermeintliches Wesen geschrieben wird Exemplarisch
spricht dafuumlr dieses Zitat aus Band 96
Die zweite Machtsteigerung des Judentums aber hat darin ihren Grund daszligdie Metaphysik des Abendlandes zumal in ihrer neuzeitlichen Entfaltungdie Ansatzstelle bot fuumlr das Sichbreitmachen einer sonst leeren Rationalitaumltund Rechenfaumlhigkeit die sich auf solchem Wege eine Unterkunft im Geistlsquovarschaffte ohne die verborgenen Entscheidungsbezirke von sich aus je zufassen zu koumlnnen69
Diese Vorstellung ist eine Konkretisierung dessen was Heidegger mit den Uumlber-
begriffen Historie vs Geschichte einige Jahre vorher begann zu topografieren
Wir sind durch die Historie geschwaumlcht [] ndash wir koumlnnen nur durch das ge-rettet werden was uns in seiner Verfaumllschung widert ndash durch die Geschich-te70
Dieses bdquoWirldquo sind die glorifizierten Deutschen vor allem nach der Ableitung von
den Griechen uumlber Houmllderlin (und dessen Griechen) und Nietzsche zu ihm und
seinem kleinen Kreis von ihm anerkannter Intellektuellen-Kollegen wie etwa
Carl Schmitt Oswald Spengler Walther F Otto und Ernst Juumlnger Die Luft auf
Heideggers Denker-Olymp ist duumlnn und bekommt nur Wenigen
Die Geschichte in Heideggers solipsistisch-immanenten Nachdenken erklaumlrt
sich wie gesagt immer zusammen mit der Hoffnung auf den neuen Anfang und
als Besinnung auf das Denken als Akt gegen die Historie Die Paarung der zwei
Woumlrter bdquoGeschichteldquo und bdquoBesinnungldquo durchzieht in deutlicher Haumlufigkeit alle
vier Baumlnde der Schwarzen Hefte ndash bdquogeschichtliche Besinnung [] ist die Uumlberwin-
dung der Historie und des Historismusldquo und sie bdquobedarf der houmlchsten Strenge
hinter der die historische Exaktheitlsquo weit zuruumlckbleibtldquo ndash somit ferner bdquonur wer
Geschichtemacht vermag sie auch zu errettenldquo71 Das oben mit Meyer und Schulz-
69 GA 96 S 4670 GA 94 S 26771 GA 94 S 358f
Dass die Besinnung eine militante Perspektive hat laumlszligt sich auch in Heideggers Vereh-rung Heraklits ldquoDer Krieg ist der Vater aller Dingerdquo finden Heidegger sah sich selbst alsDenker als Propheten des Seins Aus dieser Warte betrachetete er zuerst den Nationalsozia-
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Nieswandt bereits aufgezeigte Bereiten des Goumlttlichen legt Heidegger in seinen
Begriff der Geschichte
Geschichte ndash das Gewagtwerden der Goumltter nur Groszlig als Untergang oderSieg ndash nicht Dauerlsquo wesentlich ndash sondern die Abgruumlndigkeit der Erstrei-tung ndash Opfer und Weile
Historie ist bei Heidegger bdquogeschichtliche Entwurzelungldquo die bdquoTyrannei der
Technikldquo bdquoSelbstvergoumltterungldquo und bdquoAbgoumltterei der Technikldquo72 In einer skizzen-
haften Emanationsfolge wird dieHistorie als Modus der Technik auf sich selbst zu-
ruumlckgefuumlhrt bdquoDas Riesige ndash [] Historie die Technik der Geschichtelsquo Technik
Die Historie der Naturldquolsquo73 Es ist vage annehmbar dass Heidegger hier die Tech-
nik als rechenhafte machenschaftliche Historisierung der Natur versteht die vor
dem Geschichtsbegriff stattgefunden haumltte Diese wiederum haumltte die Geschichte
in die rechenhafte Machenschaft verfremdet Wie ein Apparat erscheint Heidegger
der Gegenstand seiner Historie zu sein die sich automatisch durchsetzen wuumlrde
Die Historie stellt zunaumlchst das Nacheinander der Begebenheiten dessenwas vorbeizieht (passiertlsquo) her [] Sie erklaumlrt dann Spaumlteres aus dem Fruuml-heren sie findet sogar dass Ideen die Geschichtelsquo bestimmen74
Den historisierend narrativen Umgang mit Geschichte als Wissenschaft emp-
findet Heidegger als Technisierung derGeschichte Diese wiederum basiert auf den
statischen Topoi seiner Mythen von Vaterland Bauerntum Houmllderlin alten Grie-
chen den Goumlttern etc und der Anwendung des Aletheia-Prinzips im Ereignis
Das ist ein Tugendenkatalog der Deutschtuumlmelei mit einer paumldagogischen Kom-
ponente seine Mythologie im Aletheia-Prinzip zu praktizieren Er nennt dieses
Geschaumlft auch Denken und ahnt dessen Feinde bdquodie Forscher die in der Technik
ihres Arbeitens keine Reibung dulden und ihr Wissen fuumlr den Geist haltenldquo75
lismus und nach dem Krieg den real existierenden Sozialismus des Ostblocks im Zuge deratomaren Aufruumlstung als Vollstrecker Macher der Geschichte die den neuen Anfang ebnensollten Dass Heidegger diese bdquoklaumlrendeldquo Wirkung tatsaumlchlich spaumlter den Russen zuschreibtlaumlszligt sich in Band 97 der GA zweifelsohne nachvollziehen Hier kann aus Gattungsgruumlnden(BA-Thesis) nicht naumlher auf dieses Faible fuumlr absolutistische Regime eingegangen werden Je-denfalls ist die geschichtliche Besinnung und der Kriegsakt ein Widerspruch den Heideggerjedoch gleichsam adressiert Auch dies kann hier nicht weiter untersucht werden
72 GA 9473 GA 95 S 35174 GA 96 S 6275 GA 97 S 509
21
Insofern verschraumlnkt Heidegger das bdquohistorisch-technischeldquo zum Antagonis-
ten der bdquogeschichtlichen Besinnungldquo Es ist die Entwicklung einer historisch-
geschichtlichen Differenz unter dem Zeichen der Besinnung gegen die techni-
sche Machenschaft ndash es geht um zwei unterschiedliche Wissenssysteme76 In den
Schwarzen Heftenwird Technikmeistens als eine Seite der Muumlnze mit der anderen
der Historie genannt Sie haumltten eine schon angedeutete dualistische Dynamik
Wo beide Historie und Technik in solcher scheinbaren Gegensaumltzlichkeitverkoppelt sind koumlnnen sie sich zur Foumlrderung dessen zusammenschlieszligenwas einstmals wesentliche die Geschichte des Menschen mitbegruumlndet undwas wir die Kunstlsquo nennen Die Historie verschafft [] Anregungen undVorbilder der Nachahmung die Technik erleichtert [] die Zustellung vonDarstellungsmitteln und Wirkungsformen [] Gleichwohl ist alles wurzel-los [] berechnet und als Erlebnislsquo ausgegeben77
Diese vermeintliche Gefahr muumlnde als bdquoZuumlgellosigkeit des Historismusldquolsquo in der
bdquoBodenlosigkeit [] (das Judentum)ldquo78 Heideggers Mythos ist hier dieser bdquoWir
muumlssen zuvor geschichtlich sein [] Ohne diese uumlberlieferung verfaumlllt alles der
historisch-technischen Machenschaftldquo79
Heidegger mythologisiert uumlber den bdquoAuftrag des Deutschenldquo80 will in bdquoge-
schichtlicher Besinnung sehr weit zuruumlckgehen ndash auf den Zusammenhang von
τέχνη ἀλήθεια und οὐσίαldquo81 um Technik auf ihr Wesen im antiken Ursprung
zuruumlckzufuumlhren bdquoDie techne hat [] den Sieg uumlber die [] aletheia errungenldquo82
Heidegger will sie zuruumlckgewinnen Er will der Technik aus dem bdquoEreignisldquo83
wieder uumlbermaumlchtig werden und sieht das bdquoWesen des Vaterlandesldquo84 im Abend-
land Dabei ist es ihm unentbehrlich zu wissen bdquodaszlig das Griechentum [] und
76 Heideggers noch immer vorhande Rezeption in Puncto seiner Technikphilosophie erstauntdamit dass sein Prinzip der aletheiologischen Besinnung als alternatives Wissenssystem undTechnikkritik ob der eigenwilligen Konstruktion den Entwicklungen der Zeit standhaumllt
77 GA 95 S 21278 GA 95 S 9779 GA 96 S 10480 GA 94 S 6681 GA 94 S 35782 GA 95 S 13283 Ebd84 GA 96 S 52
22
nicht das Roumlmertum der Grund der Geschichte des Abendlandes istldquo85 Sein My-
thos von Heimat verknuumlpft sich uumlber Dichtung und Ereignis zu einem fuumlr die
Technikphilosophie essentiellen Bezugs-Topos
Wir brauchen keine Technik [] Das Wesen des Vaterlandes ist das Abend-land In ihm werden die Deutschen erst deutsch und erkennen die Muttervon Allem die unversehrte Erde [] Die Wahrheit erfahren wir im Ge-daumlchtnis Das Gedaumlchtnis ist die Dichtung Die Dichtung sagen der Denkerund Saumlnger in ihrem Gespraumlch Dieses Gespraumlch erst ereignet dichterisch dieDichtung in die Sprache (die Dichtung das Ereignis und das Ereignis dasAbendland) [] Wohnt in seiner Sprache [] seyd dem Seyn im Seyn Soist Sein das Seyn86
Eine weitere mythologische Form haben seine Fuumlgungen von Jahreszahlen
womit er bereits in den Bereich des Okkulten Mystischen abzurutschen droht
Houmllderlin wurde [] 1770 geboren [] 1870 aber Lenin Waumlhrend der []Lebenszeit Houmllderlins vollzogen sich die entscheidenden technischen Entde-ckungen und Erfindungen der neuzeitlichen Technik (1774ndash1806)87
Und ferner bdquo1807 Phaumlnomenologie des Geistes 1867 Das Kapital 1927 Sein
und Zeitldquo88
Als letzter Mythos sei hier sein Aufgriff der Spenglerschen Metapher des
Raubtiers89 aufgezeigt Uumlber weite Strecken philosophiert Heidegger uumlber das his-
torische Tier Das historische Tier muumlsse vernichtet werden die bdquodeutsche Zukunft
wirdlsquo nicht erst seinlsquo sie istlsquo schon seit Houmllderlin sie stifteteldquo90 Der Homo
faber ist fuumlr Heidegger das historisch-technische Tier qua der bdquoAngewiesenheit auf
das Tierhafte als Wesensgrundldquo91 Es fehle ihm was bdquodie Griechen als Anfangen-
deldquo mit der bdquoZugewiesenheit des Menschen zum Sein gewagt habenldquo92 wodurch
85 GA 96 S 20586 GA 97 S 52f Hierbei handelt es sich um eine Nachkriegsnotiz Heidegger aumlnderte den die
Adressierung in eine direkte Ansprache richtet sich an seine imaginierte Volksgemeinschaft87 GA 96 S 17488 GA 97 S 131 Womoumlglich ist es eine Uumlbung per Jahreszahlen das Aletheia-Prinzip zu prakti-
zieren eine Kontemplationshilfe Andererseits koumlnnte er auch der Regelmaumlszligigkeit der Zah-lenfolgen eine uumlbernatuumlrliche bdquoWahrheitldquo beimessen Dies bleibt an dieser Stelle unerforscht
89 VGl Spengler Oswald Der Mensch und die Technik Muumlnchen 1931 S 1090 GA 95 S 19791 GA 95 S 32092 GA 95 S 321
23
er den bdquoGoumlttern unertraumlglich gewordenldquo93 waumlre Das bdquoRaubtierldquo dem gegenuumlber
bdquoist die Urform des Heldenlsquoldquo94 Dann behauptet Heidegger dass das Raubtier das
historisch-technische Tier durch Anwendung seiner eigenen Waffen schlagen koumlnn-
te Es ist dabei die bdquoUumlberwindung der Metaphysikldquo mitgedacht die erfolge sobald
sich das metaphysische Fragen durch den Wille zum Willen verfestigt95 Auch
Spengler dachte an dieses Derivat des Nietzsche Topos vomWillen zur Macht das
er seiner antropomorphen Chimaumlre vom Raubtiermenschen eingibt Wieder ist
von der Gewalt die Rede die ein Tabula rasa schaffen sollte zur Wiederauferste-
hung des griechisch-abendlaumlndischen Anfangs in Deutschland bdquoDas Raubtier aber
mit denMitteln der houmlchsten Technik ausgestattet ndash vollendet die Verwirklichung
der brutalitas des Seinsldquo96
Es scheint so als haumltte Heidegger auf jeden Begriff einen Gegenbegriff (selbst
zum historisch-technischen Tier das Raubtier)97 Aber es geht hier nicht um die
Analyse ausgewogener Formprinzipien oder die Kritisierung seiner linguistischen
philologischen Faumlhigkeiten Die Zitierung der Heideggerschen Mythologie soll
seine Verbindung von voumllkisch-nationaler und antisemitischer Haltung mit den
Bedingungen und Anspruumlchen seines Philosophierens aufzeigen Da die Schwar-
zen Hefte wie alle sonstigen Werke seines philosophischen Schaffens in der GA
erschienen sind muumlssen sie insofern als Teil derer gelten Das bedeutet dass sie
ausreichend Relevanz fuumlr die Arbeiten uumlber die Technik haben98
93 GA 95 S 23694 GA 95 S 39795 Vgl GA 7 Uumlberwindung der Metaphysik S 7896 GA 95 S 39797 Vgl Rudolph Heideggers Schwarze Hefte im Echo S 151 bdquoKeiner hat Nietzsche so konse-
quent und wahnwitzig zumNazi avant la lettre verformt wie Heidegger und keiner hat einenzuvor gewaltsam gefuumlgig gemachten Nietzsche so konsequent instrumentalisiert um damitdie vulgaumlr- nationalistische Dekadenz im Sandwich zu geiszligeln wie Heidegger Die Philolo-gie ndash auch die klassische ndash (Colli Cancik Montinari) hat Nietzsche inzwischen laumlngst mitnachhaltigem Erfolg rehabilitiert Wer jetzt noch einen roten Faden von Nietzsche zu Hitlerzieht hat nur noch Heidegger auf seiner Seiteldquo
98 Zum Abschluss dieses Kapitels sei hinzugesagt dass der Veranschlagung der Beispiele vonHeideggers Mythologie ein Exzerpt von 13 Seiten aus 1700 Seiten Text der vier Baumlnde derSchwarzen Hefte zugrunde liegt Beim Studium dieser fielen die staumlndigen Repetitionen derimmer gleichen Figuren und Metaphern auf Daraus wurde geschlossen dass es sich um eineMythologie handeln kann was ein weiteres Forschen bestaumltigte Die hier zitierten Stellensind Topoi die sich in Huumllle und Fuumllle in jedem der vier Baumlnde finden lassen was ihrenmythischen Charakter unterstreicht Die Auswahl versucht ein besonders charakteristischesBild wiederzugeben
24
3 Heideggers mythopoetische
Technik
War Heidegger von seinem neuen Anfang nur zu traumlumen vergoumlnnt so gelang
ihm selbst aber die Wiederauferstehung aus der Asche des ZweitenWeltkriegs mit
der Vortragsreihe in Bremen (1949) uumlber die Technik Der Phoumlnix erweist sich
mittlerweile als Ikarus Anstatt sich selbst zu revidieren fordert Heidegger eine
Kehre ein die auf sein Programm der geschichtlichen Besinnung zum Ursprung ab-
zielt Rezipienten seiner Technikphilosophie taten zumeist seine voumllkischen und
nationalsozialistischen Verstrickungen mit der Niederlegung des Rektorats ab99
Sie glaubten an einen inneren Wandel Heideggers eine Laumluterung und sogar an
seinen geistigen Widerstand uumlber die Naziherrschaft hinweg100 Heute ist erwie-
sen wie Heidegger es aus seinem posthumen Gestaumlndnis in die Welt lecken laumlsst
dass er auf seine private Weise eine Form Nationalsozialismus hegte der die NS-
DAP und Hitler zwar als Vulgaumlrnazis kulturell degradierte aber sich selbst als
Denker-Nazi gerierte
Wie damit umzugehen ist steht aktuell in der Verhandlung Wie Rudolph es
behauptet stuumlnden die Heideggerianer bdquonun mit wertlosen Aktienldquo101 da Der
Kommunikationswissenschaftler Christian Fuchs sieht den Antisemitismus den
die Schwarzen Hefte zutage treten lassen als Notwendigkeit einer rigorosen Ver-
bannung Heideggers aus der technikphilosophischen Theorie102
99 Vgl Luckner Andreas Heidegger und das Denken der Technik Bielefeld 2008 S 64-69100 Vgl Babich Babette Nietzsche Heideggers Widerstand In Alfred Denker u Holger Zabo-
rowski (Hg) Heidegger-Jahrbuch 5 Heidegger und der Nationalsozialismus II Interpreta-tionen S 397-416
101 Rudolph Heideggers Schwarze Hefte im Echo S 146102 Vgl Fuchs Christian Martin-Heideggerrsquos anti-Semitism Philosophy of technology and the
media in the light of the ldquoBlack Notebooksldquo Implications for the reception of Heidegger inmedia and communication studies In tripleC Communication Capitalism amp Critique 13(1) (2015) S 55-78 hier S 74 Anstatt dessen pocht Fuchs auf die alternative Verwendungder Kritischen Theorie uumlber Fragestellungen zur Technik
25
It seems to me that Heideggerrsquos fetishism is often lrsquoart pour lrsquoart Heideg-ger pour Heidegger a tactic that aims at creating an aura of complexity byevoking Heidegger although the same content could be expressed withouthim103
Fuumlr Trawny waumlre dies ein bdquoperformativer Widerspruch [] stets daran zu erin-
nern Heidegger vergessen zu sollenldquo104 Quo vadis Heidegger
Die objektive Antwort Rudolphs der an den Commonsense und die Beweis-
last der Anklage glaubt wie auch der subjektive Appell Fuchs der es zur mora-
lischen Entscheidung des Einzelnen macht Heidegger zu vernachlaumlssigen setzen
aktuell die Jahrzehnte alte Tradition der Heidegger-Kontroverse fort Ein im Sep-
tember 2016 erscheinender Sammelband wird zusaumltzlich die Debatte mit neuen
Bewertungen anreichern105
In diesem Kapitel soll es nicht um die direkte Einreihung in eine der bestehen-
den Polemiken gehen sondern um den Versuch der Betrachtung der spaumlten Tech-
nikphilosophie Heideggers als mythopoetische Dichtung in seinem Sinne des
Philosophierens Als exemplarisches Werk ruumlckt damit das Vortrags-Geviert der
Bremer Vortraumlge ins Zentrum der Anschauung106 Hier wird davon ausgegangen
103 Ebd S 73104 Trawny Heidegger und der Mythos der juumldischen Weltverschwoumlrung S 141105 Heinz Marion und Kellerer Sidonie (Hg) Martin Heideggers raquoSchwarze Heftelaquo Eine
philosophisch-politische Debatte Berlin 2016 (im Druck) Aus dem Klappentext diesesTitelsbdquoOffene antisemitische Aumluszligerungen in diesen Denktagebuumlchern haben in der nichtakade-
mischen Oumlffentlichkeit fuumlr Empoumlrung gesorgt Die entscheidende Frage ist jedoch welcheVeraumlnderungen der Perspektive auf Heideggers Denken insgesamt sich dadurch ergebenund ob damit zugleich eine Neubewertung des Gesamtwerks eines der einflussreichstenPhilosophen des 20 Jahrhunderts noumltig istldquoEine der Herausgeberinnen des Bandes Sidonie Kellerer ist zudem an einem anlaufenden
fuumlnf jaumlhrigen Forschungsprojekt an der Universitaumlt Stuttgart im Rahmen des StuttgartResearch Centre for Text Studies beteiligt Heidegger und die Postmoderne Geschichteeiner Irrefuumlhrungiquest Sie und der Stuttgarter Literaturwissenschaftler Claus Zittel werden Hei-deggers ideologische Verstrickungen in den Nationalsozialismus untersuchen die textlichrekonstruierbar aber nachtraumlglich geklittet worden waumlren bdquoSo konnte die Wissenschaft-lerin Dr Sidonie Kellerer anhand des Vortrages Die Zeit des Weltbildeslsquo erstmals 1950veroumlffentlicht [sic] dass zahlreiche Passagen nachtraumlglich so modifiziert wurden dass dieurspruumlngliche Apologie des Nationalsozialismus nunmehr als Kritik am Regime gedeutetwerden konnte Die 2014 erschienenen Schwarzen Heftersquo mit persoumlnlichen AufzeichnungenHeideggers bestaumltigen zudem wie tief verankert in seiner Philosophie Rassismus undNationalsozialismus waren und bliebenldquo(httpwwwuni-stuttgartdehkompresseservicepressemitteilungen201567_kellererhtmlzuletzt abgerufen am 1442016)
106 Von einer umfassenderen Analyse der Schriften Heideggers zur Technik muss aus Platzgruumln-den abgesehen werden Die Voumlrtraumlge vom Ge-stell der Technik der Kehre und dem Dingsind vor allem wegen ihres Publikationszeitraums interessant da sie direkt an die Dokumen-
26
dass Heidegger den Versuch der abgrenzungspolitischen Einflussnahmemacht ge-
maumlszlig der oben dargelegten Ressentiments die sich in einer Mythologisierung des
Abendlandes niederschlagen Um seinem Ideal des dichtenden Denkens als Philo-
sophieren nachzukommen will Heidegger diese Einschreibung des Abendlandes
mythopoetisch vollfuumlhren
Grundsaumltzlich ist Verbindung und Trennung Heideggers boumlser Schwarzer Hef-
te mit und von seiner guten Technikphilosophie das Schlachtfeld aktueller De-
batten Wie bereits darauf hingewiesen werden hier Schwarze Hefte und Veroumlf-
fentlichungen wie eben in Form der Bremer Vortraumlge als ein kontinuierlicher
Arbeitsprozess gesehen Es gibt insofern nur einen Heidegger und keine gespal-
tene Persoumlnlichkeit Die Siegener Philosophin Sodonie Kellerer stellt dies anhand
Heideggers Selbstsicht luzide dar
Seine immer wiederkehrende Beschwoumlrung des Werkeslsquo und seine an diver-sen Stellen der bislang vorliegenden Briefkorrespondenz artikulierten Be-muumlhungen dieses Werklsquo fuumlr die Nachwelt zu sichern [Kellerer bezieht sichhier ua auf Heideggers Briefwechsel mit seiner Frau der 2007 veroumlffentlichtwurde DS] verdeutlichen wie sehr er seine Texte als ein Ganzes verstandin dem keines der Teile entbehrliche Wiederholung geschweige denn irrele-vante Eroumlrterung ist107
Dabei allerdings wird die Frage offen bleiben mit welchem Maszlig er sich selbst ge-
faumlhrdet sah seine Ansichten oumlffentlich zu vertreten und welche Konsequenzen er
dabei fuumlrchtete Denn er musste die Vortraumlge kodieren ndash was er im Sinne der My-
thopoetik auch macht ndash und mit Einigem hinterm Berg halten108 Dass es dabei
verschiedene Offenbarungsebenen gibt wird hier erst einmal hingenommen Es
interessieren staumlrker nachweisbare Bezuumlge des Entwurfsdenkens Heideggers zur
Oumlffentlichkeitsarbeit von ihm109
te der Schwarzen Hefte anschlieszligen (1948 der letzte Band der Schwarzen Hefte umfasst denZeitraum 1942-1948)
107 Kellerer Sidonie Kampf der Besinnung In Deutsche Zeitschrift fuumlr Philosophie Band 63Heft 5 Seiten 941ndash957 hier S 942
108 Weshalb die Veroumlffentlichung der Schwarzen Hefte auch weitestmoumlglich nach hinten verlegtwurde
109 Wuumlrde man dem entgegenhalten dass Heideggers vermeintliches Genie aus Formalisierun-gen seiner Gedanken ableitbar eine wichtige Quelle an sich bliebe scheitert dieses damitdass nun die Formalisierungen nicht personenneutral sozial-epistemologisch bestehen koumln-nen Als Vergleich wuumlrde man aus Hitlers und Goumlbbels Reden Formalisierungen isolierenlieszlige sich bestimmt die eine oder andere plausible Idee entwenden (wenn sie voumlllig dekon-
27
Hierzu wird der Text der gesamten vier Vortraumlge unter dem Titel Einblick
in das was ist Bremer Vortraumlge 1949lsquo110 aus dem 1994 veroumlffentlichten 79 Band
der GA zugrunde gelegt Das hat den Grund dass davon ausgegangen wird dass
der Text somit am naumlchsten an den 1949 tatsaumlchlich vorgetragenen Manuskripten
liegt Insofern ist eine realistische Annaumlherung an eine mythopoetische Uumlbertra-
gung der Schwarzen Hefte in die Bremer Vortraumlge 1949 das Ziel Demgegenuumlber
gibt es ob der virulenten Publikationspraxis von Heideggers Schriften111 noch
andere Auskopplungen der vier Vortraumlgsteile mit den Titeln Das Dinglsquo Das Ge-
Stelllsquo Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo
31 Zur Publikationsgeschichte von den
Bremer Vortraumlgen 1949
Zuerst erschien 1954 im Neske-Verlag (Pfullingen) ein Sammelband der lediglich
den ersten Vortrag Das Dinglsquo enthaumllt allerdings in leicht erweiterter Fassung
so wie er ein halbes Jahr nach dem Bremer Auftritt in Muumlnchen (1950) an der
Akademie der Schoumlnen Kuumlnste gehalten wurde112 Dem Band hinzugefuumlgt ist aber
zudem ein Vortrag der vornehmlich die Kernaussagen von Das Ge-Stelllsquo und
Die Gefahrlsquo verbindet allerdings in modifizierter Form Dieser wurde unter dem
textualisiert wuumlrde) Ist aber die wahre Verbindung zu Hitler und Goumlbbels hergestellt hatman selbstverstaumldlich die Verantwortung zu tragen an dem ganzen Tross von unmoumlglichenVerfehlungen dieser Menschen die sie fuumlr uns zu Personae non gratae stempeln muumlssen
110 GA 79111 Hierauf macht auch der Darmstaumldter Philosoph Gernot Boumlhme aufmerksam als Akt ei-
ner bdquoposthumen Selbstinszenierungldquo in Boumlhme Gernot Selbstinszenierung uumlber Ruhmin der Philosophie In Information Philosophie (Online Ausgabe 12015) URL=lthttpwwwinformation-philosophiedea=1ampt=8232ampn=2ampy=5ampc=29gt zuletzt ab-gerufen am 2442016)
112 Heidegger Martin Das Ding In Ders Vortraumlge und Aufsaumltze Pfullingen 1954 S 163ff
28
Titel Die Frage nach der Techniklsquo113 am 18 November 1953 an der TUMuumlnchen
gehalten
Eine weitere Auskopplung diesmal des letzten Vortragsteils Die Kehrelsquo fin-
det sich in einem broschuumlrenformatigen Band wiederum im Zusammenspiel mit
dem Vortrag Die Frage nach der Techniklsquo in Die Technik und die Kehrelsquo114 von
1962 wieder Somit wurden die Vortraumlge Das Ge-Stelllsquo und Die Gefahrlsquo lange
Zeit nicht veroumlffentlicht sondern als vermischter und modifizierter Text eben
Die Frage nach der Techniklsquo jeweils zusammen mit Das Dinglsquo (1954) und Die
Kehrelsquo (1962) angeboten115 In der Vorbemerkung zu Die Technik und die Keh-
relsquo wird diese kleine Chronologie leicht verfaumllscht auch aufgezeigt Darin heiszligt
es ferner dass Die Frage nach der Techniklsquo eine erweiterte Fassung von Das Ge-
Stelllsquo waumlre Dem ist wie schon gesagt nicht so Sondern es ist eine modifizierte
Vermischung von Das Ge-Stelllsquo und Die Gefahrlsquo was unschwer zB am Begriff
vom bdquoHer-vor-bringenldquo116 zu erkennen ist der in Die Gefahrlsquo eingefuumlhrt wird
und in Die Frage nach der Techniklsquo die gleiche Bedeutungskonstituente bildet
Mit der Veroumlffentlichung des 79 Bandes der GA 1994 wurden alle vier Bremer
Vortraumlge von 1949 publiziert In Band 11 der GA erschien 2006 auszligerdem Die
Kehrelsquo in ihrer urspruumlnglichen Fassung Die Frage nach der Techniklsquo enthaumllt
weniger mythopoetische Teile als Das Dinglsquo und operiert demgegenuumlber staumlrker
anhand klassisch philosophischer Allgemeinplaumltze Derer sind vor allem zu nen-
113 Heidegger Martin Die Frage nach der Technik In Ders Vortraumlge und Aufsaumltze Pfullingen1954 S 9ff (Der Aufsatz erschien ebenfalls 1954 im Sammelband der Vortragsreihe DieKuumlnste im technischen Zeitalter Heidegger Martin Die Frage nach der Technik In DieKuumlnste im technischen Zeitalter Dritte Folge des Jahrbuchs Gestalt und Gedanke Hg v dBayrischen Akademie der Schoumlnen Kuumlnste Muumlnchen 1954 S 70ff)
114 Heidegger Martin Die Technik und die Kehre Pfullingen 1962115 Beide Baumlnde Votraumlge und Aufsaumltzersquo sowie Die Technik und die Kehrersquo haben hohe Aufla-
genzahlen (Uumlbersetzungen wurden hier nicht recherchiert wobei es aber eine internationa-le Heidegger-Rezeption gibt) 1993 wurde der Pfullinger Neske-Verlag von dem StuttgarterHaus Klett-Cotta uumlbernommen was die Buumlcher aber unveraumlndert belaumlsst Vortraumlge und Auf-saumltzelsquo zaumlhlt seit 2009 die 11 Auflage Die Technik und die Kehrelsquo seit 2014 die 13 BeideBaumlnde sind vergriffen Es mutet unverstaumlndig an weshalb eine fehlerhafte Jahresangabe ausder ersten Veroumlffentlichung von Die Technik und die Kehrelsquo bis 2014 kolportiert wurdeDort steht der Vortrag Die Frage nach der Techniklsquo waumlre am 18 November 1955 gehaltenworden Der Vortragstermin war aber am 18 November 1953
116 Vgl GA 79 S 64 Und Heidegger Die Technik und die Kehre S 11
29
nen die Auflistung der bdquovier Ursachenldquo117 nach Aristoteles und die Kritik an der
Technik als bdquoein Mittel zu Zweckenldquo118 (Kausalitaumlt)119
Der Vortrag Das Dinglsquo galt Heidegger bei der Darbietung seiner Technikphi-
losophie nach dem Zweiten Weltkrieg allerdings als unentbehrlich ndash und damit
seine groszligflaumlchige Aufblaumltterung der Mythopoetik wie im folgenden Kapitel hier
gezeigt wird Denn im Vortrag Die Frage nach der Techniklsquo benutzt Heideg-
ger noch immer seinen mythopoetischen Topos vom Versammeln des Gebirges
der mit dem Versammeln eine Konstituente des Gevierts ist (bdquoErde und Himmel
die Goumlttlichen und die Sterblichenldquo120) (su)121 Fuumlr die Kaumlufer und Leser von
der spaumlteren Veroumlffentlichung Die Technik und die Kehrelsquo wird zudem in Die
Kehrelsquo extra auf den Vortrag Das Dinglsquo in der 1954er Ausgabe in Vortraumlge und
Aufsaumltzelsquo verwiesen122 Das zeigt wie wichtig und unerlaumlsslich Heidegger seine
mythopoetische Denkweise der Technik ist Auch wenn er in Die Frage nach der
Techniklsquo einen allgemeineren und offeneren Ansatz entwickelt hat der dadurch
auch leichter zu erschlieszligen ist
32 Die mythopoetische Spiegelung der Schwarzen
Hefte in den Bremer Vortraumlgen von 1949
321 Das Dinglsquo
In dem Vortrag Das Dinglsquo der 1949 vor dem privaten Club zu Bremen dort im
Neuen Rathaus das Vortragsquartett einleitete fuumlgt Heidegger mythopoetisch
zusammen was folgenden Topoi seiner Schwarzen Hefte aus Kap 221 entspricht
117 Heidegger Die Technik und die Kehre S 6118 Ebd S 6119 Diese Topoi versucht Heidegger in dem Text zu zersetzen und ihnen ein aletheisches Prin-
zip des Entbergens der Technik entgegenzusetzen Dies erfolgt wiederum auch anhand derVerwendung von mythopoetischen Teilen Darauf kann hier aber nicht weiter eingegangenwerdenAls weitere Gemeinsplaumltze (die er teils unterstuumltzend teils zur Zersetzung einfuumlgt) handelt
der Text auch mit Zitaten von Platon Heisenberg J P Hebel und Goethe120 Ebd S 12121 Vgl GA 79 S 11 Und Heidegger Die Technik und die Kehre S 19122 Vgl Heidegger Die Technik und die Kehre S 42f
30
1 die antirationale Wissenschaftsfeindlichkeit 2 der Mythos des Goumlttlichen 3
das Griechentum uumlber dem Roumlmertum 4 die Zahlenmystik (anhand des Spiegel-
Spiels des Gevierts ndash su) 5 das geschichtsbesinnliche Prinzip der Aletheia
Heidegger stellt zuerst die Frage nach dem Ding und will sie daraufhin ver-
anschaulichen mittels der Metapher des Kruges dh mit dem Krug als ein exem-
plarisches Ding Er fuumlhrt dann vor (was der Geste eines Zauberkuumlnstlers aumlhnelt)
wie der leere Krug gefuumlllt wird ndash Luft weicht der Fluumlssigkeit Dieses Sachverhaumllt-
nis aber ist fuumlr ihn Halbpoesie und eine Angabe aus der Physik sie verfehle das
vermeintliche Wesen des Kruges
Die Wissenschaft stellt durch sie [die Angabe der Physik DS] etwas Wirk-liches vor wonach sie sich objektiv richtet Aber ndash ist dieses Wirkliche derKrug Nein DieWissenschaft trifft immer nur auf das was ihre Art des Vor-stellens im vorhinein als den fuumlr sie moumlglichen Gegenstand zugelassen hat[] Die Wissenschaft macht das Krug-Ding zu etwas Nichtigem insofernsie Dinge nicht als das Maszliggebende zulaumlszligt123
Als ein wirkmaumlchtiges Beispiel das ihm sicherlich viel Beachtung uumlber die
Jahrzehnte seit ihrer Zuumlndung in Japan hinweg einbrachte fuumlhrt Heidegger die
Atombombe an Diese sei zu verstehen als verdinglichte Wissenschaft die das
Ding vernichten wuumlrde
Deren Explosion ist nur die groumlbste aller groben Bestaumltigungen der langherschon geschehenen Vernichtung des Dinges dessen daszlig das Ding als Dingnichtig bleibt124
Er buumlndelt damit Wissenschaft und Verkennung des Wesens als maszliggebend mit
dem Ding als sein machenschaftliches Prinzip der zerrechnenden Zerstoumlrung Drei
Jahre nach Kriegsende war der buumlrgerlich-elitaumlre Kreis in Bremen sicherlich be-
wegt von dieser Wortgewalt Diese jedoch suchte ja ihr Heim Harmonie Ruhe
in dem Haus als Wesen der Sprache
Und so faumlhrt Heidegger fort und ersetzt das physikalische Prinzip des Inhalts-
wechsels von Luft zu Wein in ein bdquoGeschenk des Gussesldquo als Spende und Opfer
den Goumlttern (2)125
123 GA 79 S 8124 Ebd S 9125 Vgl Ebd S 11f
31
Der Guszlig ist der den unsterblichen Goumlttern gespendete Trank [] Der ge-weihte Trank ist das was das Wort Guszliglsquo eigentlich nennt Spende und Op-fer Guszliglsquo gieszligenlsquo lautet griechisch χέειν indogermanisch ghu Das bedeu-tet opfern
Hier spielt bereits der Ursprungsmythos der Griechenmit ein (3) es ist aber auch
ein Bezug auf das Geviert Dieses waumlre ein System ein zusammen Gestelltes aus
bdquoErde und Himmel die Goumlttlichen und die Sterblichenldquo126 Im Guszlig des Trunkes
weilten gemeinsam diese Vier als emblematische Verbindung
Das im Geschenk Versammelte sammelt sich selbst darin das Geviert ereig-net zu verweilen Dieses vielfaumlltig einfache Versammeln ist das Wesen desKruges Unsere Sprache nennt was Versammlung ist in einem alten WortDies lautet thing127
Das Geviert zehrt von der Zahlenmystik zum einen als die Versammlung der
vier Begriffe an sich zum anderen da Heidegger ihnen eine Spiegel-Funktion
zuschreibt bdquoJedes der Vier spiegelt in seiner Weise das Wesen der uumlbrigen wie-
derldquo128 und ferner weil er damit auf sich selbst dh auf sein Vortrags-Geviert
verweist (4) Wie in Kap 21 schon gesagt lebt der Mythos von seiner Verbind-
lichkeit Diese legt Heidegger allen nah die sie verinnerlichen wollen bdquoSagen wir
die Sterblichen dann denken wir falls wir denken die anderen Drei mit aus der
Einfalt der Vierldquo129
Sollte der Vollzug der Praxis des sukzessiven Mitdenkens aller vier Geviert-
Entitaumlten gelingen koumlnnte das Ereignis der Aletheia begriffen werden (5) bdquoDas
Spiegel-Spiel von Welt ist der Reigen des Ereignensldquo130 Diese wird aber auch be-
griffen in Abgrenzung von dem Roumlmertum (3) denn in der bdquorealitas der resldquo
haumltten die Roumlmer bdquoihr Erfahrenes niemals eigens in seinem Wesen gedachtldquo131
Das waumlre den Griechen vorzubehalten und vom verstaumlndig denkenden Deutschen
wiederzubeleben
126 Ebd S 12127 Ebd S 13128 Ebd S 18129 Ebd130 Ebd S 19131 Ebd S 15
32
Der Krug ist ein Ding weder im Sinne der roumlmisch gemeinten res noch imSinne des mittelalterlich vorgestellten ens noch gar im Sinne des neuzeitlichvorgestellten Gegenstandes [] Der Krug ist Ding insofern er dingt132
Die Bindung an das deutsche Wort bdquoDingldquo das er spielerisch auch ins Englische
Romanische und Franzoumlsische uumlbersetzt ist unerlaumlsslich fuumlr seine ethymologi-
sche Argumentation In der ist der bdquoGuszligldquo ruumlckgefuumlhrt auf indogermanisch bdquoghuldquo
und das bdquoDingldquo auf das mittelhochdeutsche bdquothingldquo So konnten antik die Roumlmer
von den Griechen abgrenzt werden und modern die anderen drei Sprachen vom
Deutschen Das englische sich sehr nah am bdquothingldquo befindliche bdquothingldquo wird mit
dem Roumlmischen ausgespielt
Im Englischen hat thing noch die erfuumlllte Nennkraft des roumlmischen Wor-tes res bewahrt [] dh ein aus sich kommendes den Menschen Angehen-des133
Fuumlr Heidegger geht es beim bdquothingldquo aber um die mittelhochdeutsche Uumlbersetzung
der Versammlung Darauf beruht sein gesamter Systemansatz mit Geviert und
Ge-stell
Schulz-Nieswandt fuumlhrt diese Zusammenstellung zum Bejubeln von Heideg-
gers Mythopoetik
So fundamental sieht Heidegger die Welt Die Quelle des Wassers wird zurHochzeit von Himmel und Erde das Gieszligen des Wassers aus dem Krugzum Geschenk Auch Sprache ist daher kein Instrument sondern Ort desWohnens des Menschen Sprache wird zum Haus des Seinslsquo134
Hier bestaumltigt die Untersuchung des Ding-Vortrags die These von einer mytho-
poetischen Einschreibung der nationalistischen voumllkischen Abgrenzungs-Mythologie
aus den Schwarzen Heften
322 Das Ge-Stelllsquo
Der zweite Vortrag des Reden-Gevierts setzt ein mit der Metapher des fehlen-
den Abstands Wo kein Abstand sei da waumlre auch keine Naumlhe so Heidegger Er
132 Ebd S 16133 Ebd S 14134 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei Walter
F Otto S 59
33
verbindet die Abstandslosigkeit mit Urbanitaumlt und Verkehr alles fluktuiere Es
waumlre der Bestand der sich bestelle in dem das Abstandlose herrsche Das sind
neue Metaphern fuumlr die Machenschaft In seiner Erzaumlhlung vom Ge-Stell gibt es
bedeutend weniger mythopoetische Passagen als in dem vorangegangenen Vor-
trag Allerdings uumlbertraumlgt er den mythopoetischen Gehalt der Rede vom Ding
bereits im ersten Absatz von Das Ge-Stelllsquo mit dem Credo bdquoNaumlhe west insofern
das Ding dingtldquo135 Mit dieser Verbindung wird klar unter welchem Zeichen Hei-
degger die Rede vom Ge-Stell verstanden wissen will ndash als verlorenes Verhaumlltnis
des voumllkisch-traditionell verwurzelten Menschen mit den vermeintlichen Wesen
all seiner Gebrauchsobjekte in der mythopoetischen Formel des sich spiegelnden
Gevierts
Nahezu nuumlchtern erzaumlhlt Heidegger dann von dem Gefaumlngnis des Menschen
im Wesen der zirkulierenden sich immer neu bestellenden Bestandstechnik des
Ge-Stells Dabei scheinen folgende Mythen aus den Schwarzen Heften hindurch ndash
1 bdquoHistorie die Technik der Geschichtelsquo Technik die Historie der Naturlsquoldquo136
2 das historische Tier 3 der Appell an den Auftrag des Deutschen 4 der geschicht-
liche Mensch muss die Historie und damit die Technik uumlberwinden und 5 die
alles zernichtende Machenschaft des juumldischen Wesens
Den Topos der seinsvergessenen Groszligstadt jedenfalls kontrastiert er mit der
Bauerndorfidylle Da aber bdquodas Abstandlose herrschtldquo137 waumlre das Vorruumlcken der
Maschinentechnik bereits universell So in Form des Traktors Schon in Band
96 der Schwarzen Hefte beklagt er dieses bdquozum elektrischen Pflug [] gehoumlrt
das amerikanisch aufgemachte Magazinlsquoldquo Insofern erfolge die bdquoAngleichung der
Sitten der Bergbewohner an diejenigen des groszligstaumldtischen Sport- und Barbe-
triebsldquo138
Sein erster Land-Stadtvergleich betrifft den Bauern dessen Totenruhe tradi-
tionell in einem sg bdquoTotenbaumldquo (Sarg) stattgefunden haumltte ndash bdquoIn ihm gedeiht
der Tod des Totenldquo139 Dem gegenuumlber klingt in der bdquomotorisierten Bestattungs-
135 GA 79 S 24136 GA 95 S 351137 GA 79 S 24138 GA 96 S 54139 GA 79 S 26
34
industrie der Groszligstadtldquo140 bereits Heideggers pietaumltsloser Gaskammernvergleich
an
Ackerbau ist jetzt motorisierte Ernaumlhrungsindustrie im Wesen das Selbewie die Fabrikation von Leichen in Gaskammern und Vernichtungslagerndas Selbe wie die Blockade und Aushungerung von Laumlndern das Selbe wiedie Fabrikation von Wasserstoffbomben141
Hier wird davon ausgegangen dass es eine Uumlbertragung der Notizen uumlber
das deutsche Land als bdquoeinziges KZldquo ist die Unterdruumlckung des deutschen Vol-
kes durch die bdquoWeltdemokratieldquo die schlimmer sei als die Graumlueltaten der bdquoGas-
kammernlsquoldquo142 In die mythopoetische Formel von dem dingenden Ding aus dem
ersten Vortrag sind alle Valenzen eingeschrieben die es zur Aufgabe des abendlaumln-
dischen Deutschen (also als Nachfolger der alten Griechen) machen das Wesen
des Dings und somit der Technik zu huumlten Die Verantwortung fuumlr Genozid
Massenvernichtungswaffen und den Mangel im Nachkriegsdeutschland schreibt
Heidegger gleichfoumlrmig dem Prinzip der Abstandslosigkeit zu
Auch die Rede von der Habgier des Berechnenden ist ein bereits bekannter
Vorbehalt Heideggers anhand der Rede vom raffgierigen Juden Denn er sagt von
der bdquoHerrschaft des Abstandlosenldquo dass sie bdquodie Hab-gier des vorstellenden Be-
rechnensldquo waumlre143 Das entspricht seinem Mythos von der alles zernichtenden
Machenschaft des juumldischen Wesens144
Dann folgt eine lange Elegie uumlber das Bestellen des Bestands des Ge-Stells
bdquo[d]ie Kette des Bestellens laumluft auf nichts hinaus sie geht vielmehr nur in ihren
Kreisgang hineinldquo145 uumlber 19 Seiten des 21 seitigen Vortragsexts hinweg entwirft
Heidegger diverse Bilder wie das Ge-Stell die Natur das Hergestellte den Men-
schen und das Verstandesmaumlszligige vereinnahme und das Wesen desDings gleichsam
zur Veruntreuung bringen wuumlrde Wiederum poetisch orientiert kontrastiert also
140 Ebd141 Ebd S 27142 GA 97 S 99f143 Vgl GA 79 S 25144 Vgl Machenschaft hier S 29 und Geraff hier S 33145 GA 79 S 29
35
Heidegger Houmllderlins Hymne Der Rheinlsquo mit dem Rhein dessen Stroumlmung fuumlr
ein Stromkraftwerk genutzt wird
Achten wir um das Ungeheure das hier waltet zu ermessen nur auf einenAugenblick auf den Gegensatz der sich in den beiden Titeln ausspricht DerRhein verbaut in das Kraftwerk ndash der Rheinlsquo gesagt in der gleichnamigenHymne Houmllderlins146
Die Differenz also waumlre das Ungeheure147 Dabei waumlre der Rhein verbaut in das
Kraftwerk Aumlhnlich wie Kohle Erze und Rohoumll waumlren sie Bestand der bdquobesteht
im Bestellenldquo ndash bdquoDas Bestellen waumlre demnach lediglich eine Machenschaft des
Menschen vollzogen in der Weise der Ausbeutungldquo148
Das Bild des Wasserkraftwerks wird erweitert um den Begriff des Menschen
Elektrizitaumlt mit Wasserkraft erzeugen bdquokoumlnnen die Menschen [] nur insofern
sie selber schon in dieses Bestellen bestellt sindldquo149 Mit diesem Bild versucht Hei-
degger praktisch zu veranschaulichen dass Entwurf Umsetzung und Einsatz ei-
ner technischen Anlage den Menschen in ein entruumlcktes Verhaumlltnis zum Wesen
des dingenden Dings setze ndash bdquoDer Mensch ist darum der Angestellte des Bestel-
146 Ebd147 Das ist zusaumltzlich zu dem gemeinten Gegensatz ein Vergleich mit dem Heidegger dem Wort
bdquoRheinldquo in die Hymne Der Rheinlsquo gesprochen eine Energie erzeugende Wirkung zu-schreibt eben so wie das Kraftwerk Strom erzeugen wuumlrde Das wird klar dadurch dassHeidegger metaphorisch vom Stellen des Wortes bdquoRheinldquo in die Hymne spricht Es handeltsich um einen Appell zur denkerischen Besinnung Dass Heidegger dafuumlr eine technischeAnlage zur Veranschaulichung inspirierend wirken laumlsst spielt bereits in die Richtung derBegriffe bdquoHer-vor-bringenldquo bdquoEntbergenldquo und spielt auf das Alteheia-Prinzip an Darauf wirdweiter unten anhand Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo eingegangen werden Es handelt sich umdas Angebot eines mythopoetischen Umgangs mit Technik insbesondere wenn sie sich inheimische Gefilde einfuumlgtHeute koumlnnte man mit Windraumldern ebenso verfahren Somit koumlnnte aber auch Heidegger
als ein gewisser Quijana aus Mancha verstanden werden eben der Protagonist aus Miguel deCervantes Roman Don Quichote von der Manchalsquo der mit seinem von ihm flux auch um-benannten Klepper (weil er zuvor sich selbst in Don Quichote umtaufte) Rocinante Riesenbezwingen will um mit dieser Heldentat unsterblichen ritterlichen Ruhm zu erstreitenAuch Don Quichote fand seine Riesen in Windmuumlhlen und auch Don Quichote war uumlber
eine uumlbertriebene Auseinandersetzung mit einer verschuumltteten Kultur dieser verfallen undsuchte diese in seiner Aventuumlre zu reaktualisieren Martin Heideggers mythopoetisches Pro-gramm ist tatsaumlchlich stark mit Don Quichotes Motiv vergleichbarFerner waumlre eine Auseinandersetzung mit Heideggers Werk unter Beruumlcksichtigung sei-
ner Gewichtung der Vorsokratiker und Houmllderlin als mythopoetischen Autor eine moumlglicheForschung zum Thema Anachronismen in Konzepten von Moral und gesellschaftlicher An-gemessenheit (Vgl Cervantes Miguel de Don Quichote von der Mancha Herausgeben unduumlbersetzt v Susanne Lange Muumlnchen 2008 S 33f)
148 GA 79 S 29149 GA 79 S 30
36
lensldquo150 Schon vorher wies Heidegger darauf hin bdquo[d]ie Herrschaft des Gegen-
staumlndigen sichert nicht den Abstandldquo151 Jetzt heiszligt es
Das Bestellen befaumlllt nicht nur die Stoffe und Kraumlfte der Natur mit Gestel-lung Das Bestellen befaumlllt zugleich das Geschick des Menschen Das Wesendes Menschen wird daraufhin gestellt das Bestellen in menschlicher Weisemitzuvollziehen152
Der Begriff des Ge-Stells wird daraufhin so konstruiert dass es im Bestellen
um ein Stellen (Herausfordern) alles bdquoAnwesenden als Bestandldquo als bdquoversus unumldquo
gegen bdquodas Eine Ganzeldquo gehe153 In wiederum mythopoetischer Formulierung ge-
baumlre die bdquoVersammlung des Stellens worin alles Bestellbare in seinem Bestand
west das Ge-Stellldquo154 Der Begriff bdquoVersammlungldquo wird einen Absatz zuvor my-
thopoetisch wieder an die Versammlung also das thing eben das wesenhafteDing
angelehnt und somit wie zu Das Dinglsquo bereits oben erlaumlutert in einen deutsch-
abendlaumlndischen Kontext gestellt (3)
Wir nennen die Versammlung der Berge die von sich her einig und nienachtraumlglich schon gesammelt ist das Gebirge Wir nennen die Versamm-lung der Weisen nach denen uns so zumute ist und sein kann das Gemuumlt155
Allerdings ist obiges Versammlungsmodell hier als Kontrast zu sehen zu dem
bdquoGeraff des Getriebesldquo das das Ge-Stell darstellt als bdquoWesen der Technikldquo156 Hei-
degger sieht in der Gleichfoumlrmigkeit die zum Wesen des Technik als Ge-Stell
150 GA 79 S 30151 GA 79 S 25152 GA 79 S 31153 Vgl GA 79 S 32154 GA 79 S 32155 Ebd
Das Wort ldquoGemuumltrdquo hat ferner eine ausschlieszliglich deutsche Praumlgung gibt es doch keinedirekte Uumlbersetzungen Gemuumlth ist ferner ein nicht eindeutig umrissener Begriff (Vgl Kra-mer Cheryce A Foolrsquos Paradise The Psychiatry ofGemuumlth in a Biedermeier Asylum Chica-go 1998 S 19) Die Bedeutung im Deutschen selbst ist zudem sehr variabel hat aber zumeistmit Seelen- oder Geistkonzepten zu tun ndash Cheryce von Xylander (geb Kramer) uumlbersetztGemuumlth mit bdquosoul-organldquo (ebd S 43) das von diversen Autoren unterschiedlich konstru-riert wird (zB von Kant geistigkoumlrperlich und von Kleist individuellkollektiv (vgl ebdS 41)) In Heideggers emblematischem Duktus scheint eine Vermischung von allen vier Di-mensionen geistigkoumlrperlich wie auch individuellkollektiv stattzufinden Es ist auf jedenFall dem Mythos geschuldet den Auftrag des Deutschen anzunehmen (3)
156 GA 79 S 33
37
gehoumlre die planetarische Abloumlsung und Aufhebung des traditionellen und damit
wesenhaft ans Ding gebundenen Verhaumlltnisses vom Menschen zur Erde (das von
ihm idealisierte voumllkische Bauerntum das Bestellen des Ackers) bdquoDie Bestand-
Stuumlcke sind Stuumlck fuumlr Stuumlck die Gleichenldquo157 So kontrastiert er alte Handwerks-
techniken mit Maschinentechnik und schreibt der Maschinentechnik die machen-
schaftliche Verdraumlngung als Geraff zu
Das Ge-Stell hat auch wenn das nicht unmittelbar und nicht sogleich ver-nehmlich wird im vorhinein schon alle diejenigen Stellen beseitigt an denenvormals Spinnrad und Wassermuumlhle standen Das Ge-Stell bestellt durch sei-ne Maschinerie zum voraus eine andere Art und Ordnung von Stellen Andiesen kommt nur zu Stand was als Bestellbares auf der Stelle gleichfoumlrmigzur Stelle steht
Darum ist auch die Art wie die Maschine selbst etwas herstellt einewesentlich andere als das handwerkliche Tun gesetzt daszlig es innerhalb desGe-Stells uumlberhaupt noch so etwas wie ein Herstellen gibt
Die Traktoren und Kraftwagen werden herausgebracht ausgeworfen se-rienweise Stuumlck fuumlr Stuumlck Wo drauszligen steht dieses so Herausgestellte Wo-hin in welchen Stand ist es gebracht158
In dieser Klage uumlber den technischen Wandel der durch den Fortschritt in
alle Lebensbereiche Einzug haumllt versucht Heidegger zu veranschaulichen wel-
chen Verlust es zu erkennen gelte Ein Versuch diesem entgegen zu treten ist die
von ihm vorgetragene Mythopoetik die er in diesem Vortragsteil seines Vortrags-
Gevierts allerdings auffaumlllig zuruumlckgestellt sein laumlszligt War der Einleitungsteil Das
Dinglsquo schlieszliglich eine nahezu einzige mythopoetische Darbietung Dramatur-
gisch wird Heidegger in Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo die mythopoetischen For-
mulierung als Loumlsungswege wieder Bedeutung geben In Das Ge-Stelllsquo versucht
Heidegger hingegen Vorstellungen aus seinen Schwarzen Heften aumlhnlich der fol-
genden mitzuteilen die das Uniforme Gleichfoumlrmige betreffen
Die Macht der Machenschaft ndash die Vernichtung sogar der Gottlosigkeit dieVermenschung des Menschen in das Tier die Vernutzung der Erde die Ver-rechnung der Welt ndash ist in den Zustand der Endguumlltigkeit uumlbergegangenUnterschiede der Voumllker Staaten Kulturen sind nur noch Fassade159
157 GA 79 S 36158 GA 79 S 35159 GA 96 S 52f
38
Was Heidegger unter dieser Gleichfoumlrmigkeit versteht schreibt er in den Schwar-
zen Heften zumeist den Amerikanern zu Er nennt es auch haumlufig Planetarismus
Der Amerikanismus [ist DS] die Zusammenraffung von Allem welcheZusammenraffung immer zugleich die Entwurzelung des Gerafften bedeu-tet160
Der Planetarismus ist die historisch gedachte Bestimmung der uumlberall glei-chen die ganze Erde uumlberdeckenden Seinsverlassenheit des Seienden161
Die Gegenuumlberstellung von natuumlrlicher und traditioneller Handwerkstechnik
gegen maschinenhafte Gleichfoumlrmigkeit exemplifiziert Heidegger dann im Vor-
trag Das Ge-Stelllsquo vielfach wie zum Beispiel hier
Der Forstwart zB der im Wald das geschlagene Holz vermiszligt und demAnschein nach noch wie sein Groszligvater in der gleichen Weise die selbenWege geht ist heute von der Holzverwertungsindustrie gestellt Er ist ober es weiszlig oder nicht in seiner Weise Bestand-Stuumlck des Zellulosebestandesund dessen Bestellbarkeit fuumlr das Papier das den Zeitungen und illustrier-ten Magazinen zugestellt wird die uumlber die Oumlffentlichkeit daraufhin stellenverschlungen werden162
160 GA 96 S 257161 GA 96 S 261162 GA 79 S 37f
Die renommierte Theaterautorin Elfriede Jelinek karikiert in ihrem Stuumlck Totenaubergvon 1991 Heideggers Konstrukt von Heimat und Fortschrittsfeindlichkeit verbunden miteiner Auseinandersetzung mit dessen Liebschaft zu Hannah Arend Mit philologischer Prauml-zision polemisiert sie Teile aus Heideggers Elegie uumlber die Technik und laumlszligt ihn dabei alsbeschraumlnktes und eingezwaumlngtes Wesen in einem Gestell gefangen sein Aus diesem heraussoll er Arend Rede und Antwort stehen uumlber sein Verhaumlltnis zum Nationalsozialismus unddie Shoa Doch dieser redet nur naturtrunken von Heimat und berauscht sich daran Derprophetische Denker wird banalisert ndash diese Worte legt Jelinek ihm (im Stuumlck der alte Mann)in den MundbdquoDie Angst vor dem Fragen liegt uumlber dem Abendland Sie bannt die Kandidaten auf ein
Team-Leibchen verbannt sie auf altgewordene Wege und jagt sie zuruumlck ins morsch geworde-ne Gehaumluse ihrer Tore wo es um ihre Ausscheidungen geht Es wird ihnen alles weggenom-men werden auch der Weg selbst Keine Spur kein Lichtschein aus den Ritzen Aber ruf ichin die Huumltte um nach einem zu fragen den ich gekannt hab sehe ich grad noch eine Tuumlrsich schlieszligen Der Wald kommt nicht zur rechten Geltung alles ist entflohen was mir liebwar und woran ich geglaubt hab Was kommt ist noch nicht da Nichts war Ich habe nichtsgehoumlrt Ich erinnere mich nicht aber ich stelle dem Kommenden das mich den lupenreinenAmateur schon vor Beginn des Rennens erlahmen laumlszligt vorsorglich die Hausschuhe vor dieTuumlr Sie sind das Einzige was die Profis des Profits von mir dann vorfinden werden wennsie anklopfen Die Haumlrte des Urgesteins sollte sie nicht entmutigen Die Jahreszeiten machendie Landschaft auf und zu Ich sage nur In dieser scheinbaren Leere will ich vom Denkenmuumld nur schlafen Von der Huumltte aus lassen sich Wanderungen unternehmen Aber auchsonst wird Ihnen alles wie ich sagte genommen werden Auch Ihre Fotos und Namen Unddas Gewesene wird wesenlosldquo ( Jelinek Elfriede Totenauberg Hamburg 1991 S 86f)
39
Die Oumlffentlichkeit ist fuumlr Heidegger ein Topos der dem Denken und Besinnen
entgegenstuumlnde Somit meint er damit zum Einen die Medien wie er es anhand
der Rede von den Bestandstuumlcken in Das Ge-Stelllsquo erklaumlrt wo der Mensch als
Urheber des Ge-Stells als Wesen der Technik nicht gelten soll Vielmehr wuumlrde er
in Ratlosigkeit und Langeweile verfallen weil er in der Bestellung des Bestandes in
Form von Bestandstuumlcken vom Rundfunk keine Besinnung mehr faumlnde dh das
Ganze also wiederum daswesentliche Ding nicht mehr zu fassen vermoumlge163 Und
so toumlnt es bereits aus den Schwarzen Heften von 19391940()
Die Bildlsquo und Tonlsquo ndash Reportagenlsquo der Machenschaft ist der planetari-sche Mythuslsquo des Vollendungsabschnittes der Neuzeit Die Welt des abge-legensten deutschen Bauernhofes wird nicht mehr durch [] die Naturlsquobestimmt in der noch die Erde waltet sondern durch das illustrierte Blattmit der Darstellung von ausgezogenen Tanzweibern von Boxern und Renn-fahrern und sonstigen Heldenlsquo des Tages164
Und ferner notierte Heidegger 1946 in seinen Schwarzen Heften
Uumlberall zerrt es aus dem Oumlffentlichen ins Oumlffentliche mit vielen Strickenund jeder sieht das kaum versuchte Denken des Seyns am Leitband seinesStrickes165
Dabei waumlre eben ein bdquoLiterat [] ein in die Oumlffentlichkeit verliebter Mensch der
Angst vor dem Denker hatldquo166 Dieses liefe dann darauf hinaus dass beim Rund-
funk bdquoein Bestellen und Stellen waltet das in dasWesen des Menschen eingegriffen
hatldquo167
Abermals nach dem Wesen der Technik also nach dem Ge-Stell gefragt geht
Heidegger auf seine Unterscheidung vonNatur undNaturwissenschaft ein bdquo[w]elches
ist das Verhaumlltnis zwischen der Technik und der Naturldquo168 Natur wuumlrde in wis-
senschaftlicher Hinsicht unter das Berechnete fallen sie wuumlrde bdquoals das in Maszlig
und Zahl gestellte Wirkliche vorgestellt das in seinem Gewirkten staumlndig an-
westldquo169 Wenn Heidegger dann Natur aus technischer Sicht bdquoals ein System des
163 Vgl GA 79 S 38f164 GA 96 S 54165 GA 97 S 100166 GA 97 S 126167 GA 79 S 39168 GA 79 S 41169 Ebd
40
Bestellens von Erfolgen aus dem gestellten Wirksamenldquo170 charakterisiert spricht
er von seiner Rede der Verschraumlnkung von Historie und Technik ndash bdquoTechnik die
Historie der Naturldquolsquo171 Dieses ist bekanntlich das seinsvernichtende Gegenstuumlck
zur geschichtlichen Besinnung Denn geschichtliches Walten der Technik ist fuumlr
Heidegger technische Geschichte dh verwissenschaftlichte Geschichte die da-
durch ihr Wesen verloren haumltte (Seynsvergessenheit)172 So heiszligt es in den Schwar-
zen Heften von 1947
Ein Zeitalter das historisch geworden ist dh technisch planend sich selberberechnet und alles in diesen Sog zieht muszlig jede Besinnung nur als eine dervielen Formen der Intellektualitaumlt registrieren173
Heidegger schlieszligt den Vortrag mit dem Aufgriff der Anfangsbehauptung
bdquo[d]er Bestand bestellt das Abstandsloseldquo174 Somit liegt das Problem der ausblei-
benden Naumlhe durch die Technik deren Wesen das Ge-Stell waumlre das den Bestand
bestelle in der Luft Dass dabei der Mensch sogleich Teil des Bestandes und nicht
Teil der Maschine wird laumlsst ihn das historische Tier sein (2)
Der Mensch ist auswechselbar innerhalb des Bestellens von Bestand []Gleichwohl gehoumlrt der Mensch in einer voumlllig anderen Weise in das Ge-Stellals die Maschine DieseWeise kann unmenschlich werden DasUnmenschlicheist jedoch immer noch unmenschlich Der Mensch wird nie zur MaschineDas Unmenschliche und noch Menschentuumlmliche ist freilich unheimlicherweil boumlsartige und verhaumlngnisvoller denn der Mensch der nur Maschine wauml-re175
Wen Heidegger hier ersinnt ist der neuzeitliche Mensch der den bdquoGoumlttern uner-
traumlglich gewordenldquo176 waumlre
170 Ebd171 GA 95 S 351172 In Heidegger Die Technik und die Kehre S 21 stellt er Geschichte und Historie einander
gegenuumlber was er in Das Ge-Stelllsquo nicht vollzieht bdquoDie moderne Technik kam doch erst inden Gang als sie sich auf die exakte Naturwissenschaft stuumltzen konnte Historisch gerechnetbleibt dies richtig Geschichtlich gedacht trifft es nicht das Wahreldquo Signifikant fuumlr Heideg-gers Attributierung so wie sie oben schon geschildert ist steht Historie fuumlrs Rechnen undGeschichte fuumlr das Denken
173 GA 97 S 508174 GA 79 S 44175 GA 79 S 37176 GA 94 S 236
41
323 Die Gefahrlsquo
Aus Heideggers Darlegung uumlber das Ge-Stell erschlieszligen sich seine diversen Fa-
cetten der Vorstellung einer Abstandslosigkeit schaffenden Technik Dass die Ab-
standslosigkeit dem Prinzip des Gevierts des Zusammengestellten entgegensteht
bekommt im Vortrag Die Gefahrlsquo Nachdruck Die mythopoetische Erzaumlhlung
knuumlpft an den Vortrag Das Dinglsquo an mit den Mythologemene 1 Der Mythos
des geschichtlich sein muumlssens 2 der Mythos des Goumlttlichen 3 das geschichtsbe-
sinnliche Prinzip der Aletheia Zudem wird im Prozess des Vortrags das Ge-Stell
zur Gefahr stilisiert was einen eigenen Mythos erschafft
Durch das bdquouniversale Bestellen des Ge-Stellsldquo177 werde die naumlhernde Naumlhe des
Dings verwehrt Wie im Vortrag Das Dinglsquo fuumlhrt Heidegger das Wesentliche sei-
ner Theorie auf die deutsche und altgriechische Sprache zuruumlck Die so vollzoge-
ne Annaumlherung von Schwarzwaumllderischem Dialekt und Altgriechisch entspricht
Heideggers Traum von dem bdquogeschichtliche[n] Geburtsort des abendlaumlndischen
Wesensldquo178 den seine Heimat von Todtnauberg bis Freiburg stiften sollte (1)
es ist das Geistvolle und zugleich das erdenhafte schoumlne Land Es birgt un-sichtbaren Reichtum dem Gemuumlt bewahret tiefstes Dichten und houmlchsteGestalt der Sage179
Unter diesem Vorzeichen also sagt Heidegger
Das Ge-Stellwesen laumlszligt das Ding ohne die Wahr Das Wort die Wahrlsquo be-deutet in unserer Sprache dort wo sie noch urspruumlnglich spricht die HutIn unserer schwaumlbischen Mundart meint das Wort die Wahrlsquo die der muumlt-terlichen Hut anvertrauten Kinder Das Ge-Stell laumlszligt in seinem Stellen dasDing ohne die Hut ndash ohne die Wahr seines Dingwesens180
Diese in Bremen vorgetragene Heimatkunde ist auch Heideggers Sorge ge-
schuldet durch die Besatzermaumlchte und deren kulturellen Einfluss auch durch
die nun moumlgliche Oumlffnung Deutschlands zu einem Austausch mit der Welt das
eigene Wesen zu verlieren So schreibt er 1945-1947() in seine Schwarzen Hefte
177 GA 79 S 46178 GA 97 S 54179 Ebd180 GA 79 S 46
42
Das Schwerste und Fragwuumlrdigste unseres Geschickes ndash beruht darin ob wirdas Eigene finden und huumlten [] unter den anderen Voumllkernlsquo [] Scheinund Vorwand der Macht daszlig man unsere eigene Aufgabe bringen will []als Entmachtete aufgenommen zu sein in den Weltmachenschaftsbetrieb181
Es gaumlbe nach Heidegger also das Welten von Welt und die Verweigerung von
Welt aus derVerwahrlosung des Dings durch das Ge-Stell bzw die Technik182 Welt
ist nach dem Konzept des schwaumlbischen Denkers nichts weniger als das Geviert
Bei der folgenden mythopoetischen Zusammenstellung von dem Geviert mit alt-
griechischen Vokabeln um den Seins-Begriff wird das Aletheia-Prinzip eingefuumlhrt
Somit fuumlhrt uumlber den Mythos des Goumlttlichen (2) der Weg zur Wahrheit eben als
geschichtsbesinnlich erfahrene Aletheia (3)
Welt ist das Geviert von Erde und Himmel Goumlttlichen und SterblichenDas Spiegel-Spiel der Vierung wahrt alles was in ihm dingend zwischenden Vier anwest und abwest in das einende Ganze seines Anwesens Vonaltersher heiszligt das Anwesen des Anwesenden τὸ ὲόν das Seiend [sic] τὸεἶναι das Sein naumlmlich der ὲόντα des Seinenden das esse entium183
Diese Welt waumlre nun bdquoWahrnis des Wesens von Sein Statt Wahrnis sagen wir auch
Wahrheitldquo184 Die Welt mythopoetisch als Spiegel-Spiel des Gevierts und durch
eine altgriechische Brille betrachtet waumlre die wahre Welt Somit wird die Wahr-
heitsschau gebunden einen antiken Goumltterglauben und abendlaumlndische Sprachkas-
kaden vom Dialekt zum Altgriechisch
Das Problem mit der wahren Welt waumlre allerdings dass sie sich in die Ver-
borgenheit entziehe Naumlher betrachtet ist aber die Verborgenheit Bedingung des
Entbergens was Heidegger notwendig macht zu einem wuumlrdigen Lebensvollzug
in Harmonie mit dem Sein Durch solche Wesensschau waumlre der Mensch befaumlhigt
jederzeit die verstellenden Maumlchte des Ge-Stells (der Technik) zu uumlberwinden und
teilhaftig am Wesen der Welt zu werden
181 GA 97 S 99182 Vgl GA 79 S 47183 GA 79 S 48 (Die griechischen Vokabeln werden hier keiner Uumlbersetzung unterzogen Da
Heidegger ohnehin keine philologische Schaumlrfe anwenden will ist es fuumlr die Zwecke hierausreichend sie mit seiner Uumlbersetzung zu betrachten Heidegger spricht von bdquoAchten aufdas Griechischeldquo was schwieriger waumlre als klassische Philologie (vgl GA 79 S 63)
184 Ebd
43
Welt bleibt in der Verborgenheit (Αήθη) auf die Weise daszlig diese ihre Ver-borgenheit gerade eine Unverborgenheit gewaumlhrt die Αλήθεια185
Die Αλήθεια haumltte allerdings auch eine Rolle uumlber die subjektive hinaus da nur
durch ihren Vollzug Seinsgeschichte gewaumlhrt wuumlrde Das ist der Anspruch den
Heidegger an sein Auditorium stellt gemeinsam geschichtlich sein zu muumlssen (1)
Die Αλήθεια ist das Geschick des Seins als welches Geschick sich die Fuumllleder Seinsgeschichte in ihre Epochen fuumlgt186
Mit dem Ge-Stell als Wesen der modernen Technik waumlre die Aletheia aller-
dings hochgradig gefaumlhrdet Denn ohnehin waumlre die Aletheia prinzipiell der Ge-
fahr der Vergessenheit ausgesetzt Doch das Ge-Stell haumltte die Kraft die bdquovollende-
te Vergessenheit der Wahrheit des Seinsldquo187 zu vollrichten
Indem das Ge-Stell alles Anwesende in den Bestand bestellt setzt das Ge-Stell das Anwesen des Anwesenden heraus aus seiner Wesensherkunft ausder Αλήθεια188
Diese Versetzung des beteiligten Wesens aus der Moumlglichkeit des Wahrheitsprin-
zips heraus markiert Heidegger dann mit der Schreibweise Seyn (mit bdquoyldquo) Wie
bei dem Vortrag Das Dinglsquo koumlnnen ethymologische Abstammungen sein Sys-
tem anreichern Da wo es um das Wortfeld des Stellens geht Ge-Stell Bestellen
Verstellen ist auch das NachstellenMitglied der Familie
Im Althochdeutschen heiszligt nachstellen fara Das in sich gesammelte Stellenals Nachstellen ist die Gefahr Der Grundzug des Wesens der Gefahr ist dasNachstellen Insofern das Sein als das Ge-Stell sich selbst mit der Vergessen-heit seines Wesens nachstellt ist das Seyn als Seyn die Gefahr seines eigenenWesens189
Damit wuumlrde sich durch die Verringerung der Selbstreflexion im Seyns-Bestand
eine Schwachstelle auftun in die der denkbegabte und aletheiafaumlhige Mensch ei-
ne Moumlglichkeit haben das Seyn zum Sein zuruumlckzuwandeln ndash also wieder in ein
185 GA 79 S 49186 Ebd187 GA 79 S 53188 GA 79 S 52189 GA 79 S 53
44
wesentliches Verhaumlltnis zum bdquoDingldquo zu gelangen in dem das Geviert wieder die
Harmonie herstellt Allerdings faumlnde bis zu solch einer Nachstellung eine Ver-
sieglung des Seynsbestandes statt Und Heidegger beklagt dass die Erreichung der
Ruumlckeroberung des Seins uumlber die Nachstellung nicht stattfaumlnde und stattdessen
die Irre regieren wuumlrde190
In dieser Irre stuumlnde dem Menschen nicht einmal mehr zu zu sterben Denn
bdquoSterben [] heiszligt den Tod in sein Wesen austragenldquo191 Somit waumlren die Opfer
die in den KZs umkamen wie er sie in Das Dinglsquo bereits schildert nicht vermouml-
gend gewesen zu sterben bdquoSie werden Bestandstuumlcke eines Bestandes der Fabrika-
tion von Leichen [] Sie werden in Vernichtungslagern unauffaumlllig liquidiertldquo192
Das vermoumlge die Gefahr zu bewirken Der Mensch wuumlrde des eigenen Sterbens
beraubt da er keine Verbindung mehr zur Wahrheit der Welt haumltte Um den rich-
tigen Tod zu sterben muumlsse der Mensch die Aletheia schauen koumlnnen Insofern ist
Heideggers Prinzip ein religioumls anmutendes Wie in der christlichen Vorstellung
der Mensch im Jenseits an seinen Taten gemessen wird um Paradies oder Fege-
feuer zu besuchen soll nach Heidegger der Mensch waumlhrend des Sterbens mit
sich selbst ins Gericht gehen Er soll sich rein machen vom Ge-Stell der Technik
und dem Seyn um nicht die einmalge Gelegenheit des richtigen Sterbevollzugs
zu versaumlumen Es winken gemaumlszlig des Gevierts die himmlischen Goumlttlichen den
irdischen Sterblichen zu wobei annehmbar ist dass Heidegger Sterblichen die
die Aletheia erkennen einen Goumlttlichkeitsstatus beimessen moumlchte ndash eine Erlouml-
sungsphantasie
Genau diese Erloumlsung waumlre die Technik nicht
Ohne den Schritt des Denkens zu wagen der unser Menschenwesen demWesen der Technik [] aussetzt wuumlrgt man sich von Fall zu Fall von Lagezu Lage durch die Zwiespaumlltigkeiten hindurch Und genau durch dieses Ge-wuumlrge versaumlumt man die Moumlglichkeit dessen was man im Grunde erstrebtdie Technik durch menschliches Tun zu meistern und menschenwuumlrdig zulenken193
190 Vgl GA 79 S 55191 GA 79 S 55192 GA 79 S 56 Weil Heidegger im Judentum die Verantwortlichen fuumlr das Geraffe des Ge-Stells
sieht macht er sie gleichsam verantwortlich fuumlr die bdquoSelbstvernichtungldquo Die Seinsverges-senheit im Tode wird dadurch zum Spin-off der vermeintlich juumldisch erzeugten da machen-schaftlichen KZ-Maschinerie (Vgl GA 97 S 20f)
193 GA 79 S 59
45
Trost und Richtung findet Heidegger schlieszliglich abermals bei den alten Griechen
Das Wort stellenlsquo entspricht dem griechischen ϑέσις vorausgesetzt daszlig wirϑέσις griechisch denken Was heiszligt in diesem Falle griechisch denkenlsquo Esheiszligt darauf achten welche Lichtung desWesens des Seyns in welcherWeisedas Dasein der alten Griechen in den Anspruch genommen hat heiszligt imvoraus bedenken in welchem Geschick welcher Unverborgenheit des Seinsdie Griechen standenldquo194
Das sind Vorstellungen des Neuen Anfangs eine Reminiszenz der griechisch anti-
ken Welt Ein Eintrag aus den Schwarzen Heften von etwa 1945-47 () verdichtet
wie oben bereits aufgezeigt die Phantasie griechisch zu sein zu einem gelingenden
Lebensvollzug
Das reine Wesen des Griechentums dh das Seiende inmitten dessen dieGriechen als seiende fremd gewesen dieses und sie selbst und der Bezug desSeins zu ihnen ndash in der einfachen Wesung von der ἀλήθεια her zeigen underfahren Den μῦθος und λόγος ndash jedes Wort und Gebild rein aber nichterzwungen und schematisch-pedant ndash aus ἀλήθεια erfahren195
Hier zeigt sich auch dass Heidegger per se das Aletheia-Prinzip fuumlr notwendig
hielt um ins Licht der Wahrheit zu blicken Die Griechen sind ihm hier deshalb
Vorbild und rein da sie keiner modernen Technik und dem Ge-Stell ausgesetzt
waren sondern lediglich eine mythopoetische Verbindung zum Sein herstellen
mussten um wesentlich zu sein und Seinsgeschichte zu schreiben Die Dinge und
das Spiegel-Spiel des Gevierts waumlren ihnen geschickt zuhanden gewesen196 Hei-
degger macht schlieszliglich sehr deutlich dass das Griechische zu denken ein bei
weitem anderes Geschaumlft sei als philologische Praumlzision
Ein Echo zu sein naumlmlich dem Anspruch des Seins verlangt eine Sorgfaltder Sprache von der freilich der technisch-terminologische Sprachstil derWissenschaften uumlberhaupt nichts wissen kann Die Intentionalitaumlt der wis-senschaftlichen Sprache ist der staumlrkste Beweis fuumlr ihre Boden- und Heimat-losigkeit [] Das Heimische einer hohen Sprache gedeiht nur im Bereichdes unheimlichen Anspruchs der wesenhaften Stille im Wesen des Seyns197
194 GA 79 S 62f195 GA 97 S 20196 Hingegen waumlre das Judentum verantwortlich fuumlr das Ge-Stell fuumlr das Prinzip der Zerstoumlrung
wie es auf der selben Seite der Schwarzen Hefte darunter heiszligt (vgl ebd)197 GA 79 S 66 Die Bedeutung von Seyn als verstelltes Sein oder Bedingung zum Schauen
des wahren Seins ist verwirrend Einer genaueren Analyse wird aus Platzgruumlnden hier nichtnachgegangen
46
324 Die Kehrelsquo
Der letzte Vortrag ist mit nur neun Seiten der Kuumlrzeste des Vortragsgevierts
Nach dem Verlust des Dinges als Ding und der damit einsetzenden Abstandslosig-
keit als Wesen des Ge-Stells wobei die Gefahr zudem der Vergessenheit des Seyns
nachstellt bietet Heidegger eine Perspektive an
Im Wesen der Gefahr verbirgt sich [] die Moumlglichkeit einer Kehre in derdie Vergessenheit des Wesens des Seins sich so wendet daszlig mit dieser Kehredie Wahrheit des Wesens des Seyns in das Seiende eigens einkehrt198
Diese Moumlglichkeit bedeute nicht dass der Mensch sich der Gefahr selbst stellen
koumlnnte sie waumlre passiv ndash bdquoverbirgt sichldquo Die Kehre werde sich ereignen aumlhnlich
einer Erwartung an den Messias
Die Anwesenheit der Gefahr wuumlrde automatisch die Rettung bergen Denn
Houmllderlin haumltte geschrieben bdquoWo aber Gefahr ist waumlchst [d]as Rettende auchlsquoldquo199
Etwa 1945 notiert Heidegger in seine Schwarzen Hefte bdquoDie Wahrheit erfahren
wir im Gedaumlchtnis Das Gedaumlchtnis ist die Dichtungldquo200 (so) Von dieser War-
te aus ausgestattet mit Erinnerungen an das abendlaumlndische Dichten mit dem
Wissen um das Aletheia-Prinzip und passiv als denkender Huumlter des Seyns solle
der Mensch das Ereignis erwarten das ihn bdquoloumlsen freimachen freyen schonen
bergen in die Hut nehmen wahrenldquo201 wuumlrde (siehe S 43)
Dieses Ereignis waumlre der Blitz Ein unvermittelter jaumlher ploumltzlicher Moment
von kurzer Dauer der bloszlig einen ebenso kurzen Blick auf das wahre Wesen er-
lauben wuumlrde Abschlieszligend ist dies das Rezept gegen die Bestands bestellende
Technik in mythopoetischer Formulierung
So entsprechend ist der Mensch geeignet daszlig er im gewahrten Element vonWelt als der Sterbliche dem Goumlttlichen entgegenblickt Anders nicht dennauch der Gott ist wenn er ist ein Seiender steht als Seiender im Seyn unddessen Wesen das sich aus dem Welten von Welt ereignet202
198 GA 79 S 71199 GA 79 S 72200 GA 97 S 52f201 GA 79 S 72202 GA 79 S 76
47
Wenn Heidegger im Anschluss von der bdquohistorisch-technischen Darstellungldquo re-
det so ist dies die Abwehr der Wissenschaften (auch der Philosophie203) und ein
Appell an die Antirationalitaumlt des Mythos bdquokein historisches Vorstellen der Ge-
schichte als Geschehen bringt in den schicklichen Bezug zum Geschickldquo204
Damit das Blitzen erfahren werde als kurze Wesensschau der Aletheia muumlsse
dem wahren abendlaumlndischen und heimatlichen Ereignis stattgegeben werden Es
sollte nicht wie er 1939 schon in den Schwarzen Heften beschreibt das
kuumlnstliche Licht von Historie und Technik in der weder Mensch noch dieGoumltter weder eineWelt noch die Erde sichtbar werden koumlnnen wo aber dasLebenlsquo von allen den immer noch zu wenigen Meistenlsquo erlebtlsquo wird205
Damit schlieszligt der letzte Vortrag mit einer Erwartung an das Ereignis des Blit-
zens nicht das Erleben der Besinnungslosigkeit (vgl Das Ge-Stelllsquo) Schon 1947
traumlumt Heidegger von solcher Umkehr
Aus der Kehre der Seynsvergessenheit aber ereignet sich das Unumgaumlnglicheden Acker der Welt erst zu pfluumlgen und saatbereit der Sonne und dem Regenund den Voumlgeln des Himmels uumlberlassen206
203 Denn ldquo[e]igentlich denken heiszligt [] die Philosophie verlassen [] beim Sagen des Seinslsquoldquo(GA 97 S 60)
204 Ebd205 GA 95 S 427 Gegen das Erlebnis und Erleben straumlubt sich Heidegger besonders So notiert
er etwa 1939 bdquoZeitalter der Techniklsquo macht gerade die Techniklsquo nicht zum Ziel sondernimmer mehr zum Mittel der besinnungslosen Berechnung [] der Mensch [] das Erleb-nislsquo [] Erleben als der Gefuumlhlsgenuszligldquo (GA 95 S 149) Wie auch bdquoWo beide Historie undTechnik in solcher scheinbaren Gegensaumltzlichkeit verkoppelt sind koumlnnen sie sich zur Foumlr-derung dessen zusammenschlieszligen was einstmals wesentlich die Geschichte des Menschenmitbegruumlndete und was wir die Kunstlsquo nennen Die Historie verschafft [] Anregungenund Vorbilder der Nachahmung die Technik erleichtert [] die Zustellung von Darstel-lungsmitteln und Wirkungsformen [] Gleichwohl ist alles wurzellos [] berechnet und alsErlebnislsquo ausgegebenldquo (GA 95 S 212)
206 GA 97 S 511
48
4 Konklusion
Der umstrittene Philosoph Martin Heidegger hat uumlber die 1930erndash40er Jahre
hinweg eine ausgepraumlgte voumllkisch-nationale und bisweilen radikal-antisemitische
Denkweise entwickelt Dieses Denken fasste er auch auf als Besinnung und stellt
es der Philosophie und Wissenschaft diametral entgegen In Kapitel 2 wird aufge-
zeigt dass sowohl Heideggers Mythologie bereits kritisiert wurde (Adorno Cassi-
rer Meyer) als auch seine Mythopoetik bewundert (Schulz-Nieswandt) Kapitel
3 will daruumlber hinaus aufzeigen wie Heidegger eine eigene Mythologie mytho-
poetisch fruchtbar macht was sich von beiden vorigen Ansaumltzen unterscheidet
und erst mit der Veroumlffentlichung der Schwarzen Hefte ab 2014 nachvollziehbar
wurde
Umso mehr bietet die mythopoetische Verbindung von bdquoDichten und Den-
kenldquo (so) einen antitechnischen Gegenpol Denn Heidegger fasst wie oben ge-
schildert alles Rationale auf als berechnende Bestellung des Bestands im Sinne
der Technik Daruumlber hinaus fordert er mit dem Aletheia-Prinzip (als metapho-
risch gefasstes Ereignis des Blitzens) einen Mitvollzug seiner mythopoetischen
Kontemplation in dem religioumlse voumllkische antike und sprachliche Motive zu-
sammenfallen
Obwohl schon von Heidegger selbst nicht mehr als Philosophie betrachtet
hat seine Rede vom Ding dem Ge-Stell dem Wesen der Technik und der Kehre
noch immer einen bedeutenden Einfluss auf die Technikphilosophie So betont
Alfred Nordmann in bdquoWerkwissen oder How to express things in worksldquo (2008)
dass Heidegger mit Das Dinglsquo eine Art Dingwissen geschaffen haumltte In seinem
2012 erschienenen Aufsatz Another parting of the ways Intersubjectivity and the
objectivity of sciencersquo207 geht Nordmann ein weiteres Mal auf Heideggers Ding
ein Dieses waumlre eine Abarbeitung an dem Ding Kants womit auch Nordmann
Heidegger als einen Interpreten Kants versteht208 Anschlieszligend anMichael Fried-
207 Nordmann Alfred Another parting of the ways Intersubjectivity and the objectivity ofscience In Studies in History and Philosophy of Science 43 (2012) 38ndash46
208 Die Auseinandersetzung mit dem Ding wuumlrde nach Nordmann in Heideggers GA mit demText Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalen Grundsaumltzenlsquoeinsetzen (GA 41 Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalenGrundsaumltzen)
49
man spricht sich Nordmann ebenso dafuumlr aus dass Heidegger neben Rudolf Car-
nap und Ernst Cassirer eine neokantianische Philosophie verfolgt haumltte (siehe
Kap 1)209
Nach Nordmann haumltte Heidegger in seinen anschlieszligenden Gedanken uumlber
das Ding als Fortfuumlhrung Kants als erster Wissenschaft als angewandte Techno-
logie verstanden210 Diese Interpretation stuumltzt sich auf die gleichen Symbole
Metaphern und Mythen die die vorliegende Arbeit analysiert Das Ge-Stell ist
insofern aumlquivok mit dem Begriff techno-science Jedoch sind in dieser Fruchtbar-
machung von Heideggers Denken der Technik dessen nationalistischen rassisti-
schen und antisemitischen Implikationen die die vorliegende Arbeit als Zentrum
dessen Philosophie ermitteln konnte noch nicht beachtet worden koumlnnen211
Andreas Luckner webt Heideggers Ding-Entwurf weiter als verantwortliches
Sorgen um die Dinge212 Er geht dabei mit Heidegger voumlllig konform und tritt
eher als eine Art Bote der Ding-Botschaft auf als diese moumlglicherweise zu kriti-
sieren was sich diesen Artikel wie ein Kapitel aus einem Studienbuch lesen laumlsst
Der Darmstaumldter Technikphilosoph Christoph Hubig ist vor allem Kritiker Hei-
deggers Argumentationen laumlsst aber zuweilen diverse Topoi aus dem Werk des
Technik-Denkers durchscheinen ohne sie weiter zu reflektieren
So konstatiert Hubig Heidegger verfehle in dessen Auseinandersetzung mit
Aristoteles Lehre von der Poiesis zum Punkt der Sicherung wie sie in Die Frage
nach der Techniklsquo behandelt wird bdquodie operative Seite des Technischenldquo bei Aris-
totels213 In einem spaumlteren Aufsatz allerdings stuumltzt er sich ohne weitere Erlaumlute-
rungen auf Heideggers Begriff der Sicherung aus Die Frage nach der Techniklsquo214
209 Diese Befriedung paradigmatischer Umstaumlnde wird hier nicht geteilt Eine weitere Bearbeitunglaumlsst der Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht zu
210 Vgl Nordmann Another parting of the ways S 45211 Der Aussage dass Heideggers Ding-Begriff kantianisch waumlre muumlsste einer gezielten Untersu-
chung unterzogen werden genau wie die Behauptung insgesamt dass Heidegger oder inwie-weit dieser noch der suumlddeutschen Kantschule des 1920 Jahrhunderts angehoumlrte
212 Vgl Luckner Andreas Ding und Bestand Heidegger und das Wesen neuzeitlicher TechnikIn Gamm G Gehring P Hubig C Kaminski A und Nordmann A Ding und SystemS 15-30 hier S 29
213 Hubig Christoph Die Kunst des Moumlglichen Technikphilosophie als Reflexion der MedialitaumltBielefeld 2006 S 103
214 Vgl Hubig Christoph Technik als Medium In Grundwald Armin (Hg) Handbuch Tech-nikethik Stuttgart 2013 S 118-123 hier S 118
50
Dabei versteht Hubig Heideggers Betrachtungen zum Umgang mit der Technik
als gelassen
Fuumlr Heidegger liegt die Andersheit im Entbergen einer Wahrheit des Seinseines Geschicks von dem die Entwicklung der Technik hin zum Gestellkuumlnde Er verbindet dies mit dem Appell jenseits des rechnenden und si-chernden Vorstellens technischer Vollzuumlge als handlungsleitender Program-me sich gelassenlsquo dieser Entwicklung zu uumlberantworten und ein Seinlsquo zuhuumlten das sich als solches eben entbirgt Das Rettendelsquo dieser Einsicht lie-ge darin dass unsere individuelle Endlichkeit insofern transzendiert wirdals sie sich dem sie uumlbersteigenden Prozess aufschlieszligt und sich selbst relati-viert215
Wovon in diesem Zitat nicht die Rede ist ist der Mitvollzug der mythopoe-
tischen Rahmenbedinungen die Heidegger einfordert und an dem die Konzep-
te Abendland und voumllkische Tradition haumlngen In dieser Arbeit wird davon aus-
gegangen dass Heideggers Technikphilosophie-erzaumlhlung sich nicht von seinen
Absichten der Bekaumlmpfung des Technischen loumlsen laumlsst Die Relativierung ist in-
sofern nicht an den Prozess gebunden und damit emergent auf alles hin ausge-
richtet was kommen mag sondern houmlchst konvergent in einer Besinnung auf
Mythen von dem Ding und dem Geviert mit all deren Valenzen aus dem vorlie-
genden Heideggerschen Textkorpus Die individuelle Endlichkeit ist genoumltigt die
Heimat und das Abendland zu kennen und im Aletheia-Prinzip umzusetzen
Die Neubewertung der bislang bekannten Heideggerschen Technikphiloso-
phie von vor den SchwarzenHeften ist ein dringendes Desiderat Voumllkisch-nationale
Gruppierungen erstarken momentan in ganz Europa und es koumlnnte sehr hilfreich
sein aumlhnliche Denkstrukturen aufzudecken so wie sie zwischen den 1930er und
40er Jahren entwickelt wurden Zusaumltzlich muss das Werk Heideggers einer kriti-
schen Revision schon aufgrund der niemals von ihm behandelten Antisemitismen
unterzogen werden Heidegger hat nie zu diesen Stellung bezogen
Daruumlber hinaus ist das Thema Mythos und Philosophie ein weiterhin not-
wendiger Bereich der philosophischen Forschung In einem Bereich auszligerhalb
der exakten Wissenschaften und ohne klare theologische Tradition ist die Philo-
215 Hubig Die Kunst des Moumlglichen S 140
51
sophie beides sowohl Aufklaumlrer und antimythisch als auch Quelle fuumlr mythisches
Denken und affektierende Motive
52
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Die_Heidegger-Kontroverse ndash zuletzt abgerufen am 24042016)
56
Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
Der Unterzeichner versichert dass er die vorliegende Bachelorarbeit selbststaumlndig
verfasst und keine anderen als die von ihm angegebenen Hilfsmittel benutzt hat
Die Stellen der Arbeit die anderen Werken dem Wortlaut oder dem Sinne nach
entnommen sind wurden in jedem Fall unter Angabe der Quellen (einschlieszliglich
des World Wide Web und anderer elektronischer Text- und Datensammlungen)
kenntlich gemacht Dies gilt auch fuumlr beigegebene Zeichnungen bildliche Dar-
stellungen Skizzen und dergleichen
Darmstadt 25 April 2016
__________________________
(Eigenhaumlndige Unterschrift)
- Abkuumlrzungsverzeichnis
- Danksagung
- Einleitung
- Heideggers mythopoetisches Programm
-
- Zu den Begriffen Mythos Mythologie und Mythopoetik
-
- Ein Beispiel fuumlr ein Mythologem
-
- Heideggers Mythen
-
- Formen der Mythologie
-
- Heideggers mythopoetische Technik
-
- Zur Publikationsgeschichte von den Bremer Vortraumlgen 1949
- Die mythopoetische Spiegelung der Schwarzen Hefte
-
- Das Dinglsquo
- Das Ge-Stelllsquo
- Die Gefahrlsquo
- Die Kehrelsquo
-
- Konklusion
- Literaturverzeichnis
- Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
-
5
Insofern legt das RDL den Mythos uumlber die bdquoForm eines vorrationalen Wis-
sensldquo hinaus so aus
Mythos2 bezeichnet ein ndash oft einem vermeintlich wissenschaftlicheren lo-goslsquo als mythisches Denkenlsquo entgegengesetztes ndashWeltverhaumlltnis uumlber dessenEigenschaften [] immer wieder neu spekuliert wird und das man ua ausdem Mythos1 zu erschlieszligen sucht12
Zur Wortgeschichte erklaumlrt das RDL ferner dass im Fortschritt der bdquoFachschrift-
stellereildquo Mythos und Logos als Spannungsverhaumlltnis hervorzutreten beginnen
mit demmyacutetos als bdquoAusdruck fuumlr Erdichtetes oder Erfundenesldquo und logos bdquoals ver-
antwortende Redeldquo Mit der im RDL sogenannten bdquoFachschriftstellereildquo muss be-
reits die griechische Antike gemeint sein wenn es in der Begriffsgeschichte heiszligt
bdquo[i]n der antiken Geschichtsschreibung und Philosophie wird der Begriff fast im-
mer ex negativo im Hinblick auf das Nicht-Wissenschaftliche verwendetldquo13
Der Begriff Mythologie wird hauptsaumlchlich unterschieden in 1) eine bdquoZusam-
menstellung der Mythen einer bestimmten Kulturldquo und 2) deren bdquoErforschung
und theoretische Reflexionldquo14 Als Drittes kann die Zusammenstellung von hy-
postasierten poetischen oder heroisierenden Elementen als Mythologie aufgefasst
werden So sagt Adorno uumlber die deutschen Existentialisten dass sie bdquoin der ab-
soluten Verfuumlgung des Einzelnen uumlber sich [] soldatischldquolsquo an der bdquoBindung an
den Befehlldquolsquo15 hingen Sprecher solcherlei bdquoExistenz bewegen sich auf heroisie-
rende Mythologie zuldquo16 Insofern kann als Mythologie gelten was sich als solche
gebiert Er bindet dieses Mythologisieren in seinen Topos des bdquoJargons der Eigent-
lichkeitldquo ein der hauptsaumlchlich Heideggers eigenwilligem Sprachverhaumlltnis gewid-
Begriffsgeschichten von Mythos und Mythologie soll zugunsten der hier verhandelten The-se auf tiefergehende Reflexionen verzichtet werden Das Material dazu ist weiterhin uumlberdas RDL hinaus sehr umfangreich Dennoch wird davon ausgegangen dass der hier gewaumlhl-te Bedeutungsumfang der Begriffe dem Verstaumlndnis hinsichtlich der These von Heideggersmythopoetischen Programm genuumlgen wird
12 RDL S 665 Da das RDL in seiner Explikation von drei verschiedenen Bedeutungsdimensio-nen spricht wird in der zitierten 2 auf die 1 refereriert welche lautet ldquoMythos1 meint dieerzaumlhlende Darstellung von kollektiv bedeutsamen Orten und Figuren oder Naturphaumlnome-nen in aller Regel mit religioumlser oder kultischer Dimensionldquo (Ebd S 664)
13 RDL S 66514 RDL S 66015 Adorno Theodor W Jargon der Eigentlichkeit Zur deutschen Ideologie Frankfurt am Main
1964 S 10716 Ebd S 108
6
met ist Was Adorno als Abwehr gegen Heidegger und die deutschen Ideologen
der Moderne anfuumlhrt kann nicht in gleicher Weise auf die Romantiker fallen
Im 19 Jahrhundert fanden bei denen auch Bestrebungen statt Mythologie als
wissenschaftliche Wahrheitsfindung zu betreiben Mythologie ist dort bdquoSprache
der Phantasielsquo die jedoch auch Spuren der aumlltesten Geschichte enthalte und da-
durch deren Allegorisierung verhindereldquo17 Der Unterschied zwischen beliebiger
Allegorie und verbindlicher Mythologisierung liegt demzufolge im Rekurs auf die
bdquoaumllteste Geschichteldquo Der Antikestoff befluumlgelte Schriftsteller wie Philosophen zu
poetologischen und philosophischen Doktrinen die die bloszlige Zusammenstellung
von tradiertenMythen sprengten und ein progressives Mythologisieren forderten
Dieses Zusammenspiel fand seinen Houmlhepunkt im bdquoSystemprogrammldquo
[E]ine neue Mythologie der Vernunftlsquo welche den Gegensatz zwischendem Volk und einer philosophischen Elite aufloumlsen und eine allgemeineFreiheit und Gleichheit der Geisterlsquo verwirklichen sollte18
Daran beteiligt waren Friedrich Schlegel Hegel und Houmllderlin Bei den aus-
gepraumlgten Houmllderlinkenntnissen Heideggers kann von dessen Kenntnis des bdquoSys-
temprogrammsldquo ausgegangen werden auch wenn er dessen noblen Ziele nicht zu
beerben gedachte Gerade fuumlr Schelling jedoch bdquoist Mythologie das Mittelglied der
Ruumlckkehr der Wissenschaft zur Poesieldquo19 Es ist genau diese Aufwertung des Au-
tors aus einer Synthese von Kunst und dem Prozess ihrer archaischen Ruumlckfuumlh-
rung die Heidegger als Wahrheitsquelle vorphantasiert Er geht bei dieser My-
thologisierung so weit von der Errettung durch die Goumltter zu traumlumen wobei
er auf Houmllderlin als Mittlerfigur rekuriert der sich wiederum auf die Vorstellung
von Goumlttern der griechischen Antike bezieht Das ist ein Teil von Heideggers
voumllkischer Mythologie die eine reine Linie des Denkadels nachzeichnen will
Werden wir einen wirklichen geistigen Adel schaffen der stark genug ist dieUumlberlieferung des Deutschen aus einer groszligen Zukunft zu gestalten20
17 RDL 66218 RDL S 66319 Ebd20 GA 94 S 121
7
bdquoAus einer groszligen Zukunftldquo ist hierbei bezeichnend fuumlr die Vorstellung eines
Versprechens aus der Vergangenheit Das macht diesen Mythos aus Heideggers
Mythologie
Mythopoetische Texte schlieszliglich werden definiert als
Literarische Werke die Mythen aufnehmen und auf eine fuumlr die Textaussagekonstitutive Weise dichterisch bearbeiten21
Die Besonderheit von der bei der vorliegenden Arbeit ausgegangen wird ist dass
Heidegger in seinen echten Publikationen wobei hier besonders die Vortraumlge von
1949 von Interesse sind nicht bloszlig mythologisierte im Sinne eines bdquoerweiterten
Mythosldquo Sondern er schreibt als Mythopoet schoumlpfend aus seiner privaten My-
thologie Diese legte er sich selbst zu Grunde in den Schwarzen Heften Es sind die
Manifestationen seines Glaubens an romantisierte Antikeideale und seine Uumlber-
houmlhungen von Fantasien von einem deutschen Volk
Wie das Metzler Literaturlexikon es bereits aufweist bdquoDie weitere Explikation
des M-Begriffs ist komplex und faumlllt in die Zustaumlndigkeit verschiedener Diszipli-
nenldquo22 Die Begriffseingrenzung hier hat allerdings in Bezug auf das RDL einen
deutlich literaturwissenschaftlichen Bezug da Heidegger eine bdquoPartnerschaft zwi-
schen Denken u Dichtenldquo23 anstrebte ndash bdquoDas Dichterischelsquo sollte rettende Wege
im Zeitalter des universalen technolog Zugriffs findenldquo24 Damit ist auch zum
wiederholten Male das Kontrastierende in dieser Haltung genannt ob sich der
Mythos nun gegen das TechnischeWissenschaftliche richtet (Heidegger) oder ge-
21 RDL S 66522 Metzler Lexikon der Literatur S 524 Ferner deutet ein Eintrag im Neuen Pauly dar-
auf hin bdquoEine alle Disziplinen befriedigende Definition von M (μῦθοςmyacutethos latmythos) zu finden erweist sich trotz vieler Versuche als unmoumlglichldquo (Graf Fritz(Princeton) Zgoll Annette (Leipzig) Hazenbos Joost (Leipzig) Niehr Herbert (Tuuml-bingen) Mythoslsquo Der Neue Pauly Hg v Cancik Hubert (Antike) und Schnei-der Helmuth Landfester Manfred (Rezeptions- und Wissenschaftsgeschichte) Brill On-line 2015 Reference Universitaumlts- und Landesbibliothek Darmstadt 06 December2015 httpreferenceworksbrillonlinecomentriesder-neue-paulymythos-e815160 Firstappeared on-line 2006)
23 Poumlggeler Otto Heidegger In Killy Literaturlexikon Autoren und Werke des deutschspra-chigen Kulturraums 15 Bde 1988-93 Bd 5 S 142-146 hier S 144
24 Ebd S 142
8
gen die Rationalitaumlt (Cassirer) er hat stets bdquodas erklaumlrte Andere des logischen
Erkennensldquo25 inne26
211 Ein Beispiel fuumlr ein Mythologem
bdquoDen μῦθος und λόγος [] aus ἀλήθεια erfahrenldquo27 Dieses System entruumlckt
Wort und Rede dem zwischenmenschlichen Sprachgebrauch und uumlberlaumlsst es dem
Prinzip eines eigenwillig ausgelegten Begriffs der ἀλήθεια ob etwas als Ereignis
zum Sein gereicht oder als Dasein hinfaumlllig ist Die erstrebenswerte Identifikation
mit dem bdquoLeben der Gemeinschaft und mit dem Leben der Naturldquo28 die der ge-
meinsame Austausch uumlber Mythen bieten soll zB im Raumlsonieren daruumlber (etwa
im Sinne des Logos) untersteht hier dem regelnden Prinzip einer Aletheia Mys-
thagogisch will Heidegger den archetypischen Akt dieser Wesensschau beim anti-
ken Griechenvolk enthuumlllen (vgl Kapitel 323) Damit ist die Zusammenstellung
von bdquoμῦθος und λόγος [] aus ἀλήθεια erfahrenldquo bereits ein Mythos seiner
Mythologie
Die Eigenwilligkeit mit der Heidegger einen Mix aus philologischer Hinwen-
dung zu den Vorsokratikern der Dichtung Houmllderlins und einem Pathos seiner
Heimatverbundenheit verquickt ist Adorno schon in den 1960ern als Mythologie
aufgefallen bdquoAntisophistik im Endstadium aufbereiteter Mythologie ist verhaumlrte-
tes Ursprungsdenkenldquo29 Adorno konnte nicht ahnen wie tief Heidegger seinen
Wunsch nach Ursprung in sein Denken verschlossen hat Der Bestand bdquoaufbe-
25 Erdbeer Robert Matthias Graf Fritz Mythoslsquo Der Neue Pauly Herausgegeben vonHubert Cancik Helmuth Schneider (Antike) Manfred Landfester (Rezeptions- und Wis-senschaftsgeschichte) Brill Online 2015 Reference Universitaumlts- und LandesbibliothekDarmstadt 06 December 2015 lthttpreferenceworksbrillonlinecomentriesder-neue-paulymythos-rwg-e1505640gt First appeared online 2006
26 Ernst Cassirer interpretiert in diesem Bezug ferner nachdem er den Konflikt zwischen ra-tionalem und mythischem Denken als Machtkonflikt aufwies Kants Annahme von zweibdquoGruppen von Gelehrten und Forschern die eine befolgt das Prinzip der Homogenitaumltlsquo dieandere das der Spezifikationlsquo [] Nach den Prinzipien der Kantischen Philosophie selbststehen beide Haltungen nicht wirklich im Widerstreit miteinander Denn sie druumlcken keinefundamentale ontologische Differenz aus keine Differenz in der Natur und dem Wesen derDinge an sichlsquo Sie repraumlsentieren eher ein doppeltes Interesse des menschlichen Verstandesldquo(Cassirer S 12) Allerdings ist Heidegger anti-wissenschaftlich Sein Ringen um das Mythi-sieren verfolgt das Ziel einer gegenwissenschaftlichen bdquoBesinnungldquo wie er es nennt
27 GA 97 S2028 Cassirer Der Mythus des Staates S 5329 Adorno Jargon der Eigentlichkeit S 41
9
reiteter Mythologieldquo liegt erst seit 2014 mit der Veroumlffentlichung der Schwarzen
Hefte vor
22 Heideggers Mythen
Heideggers Mythen sind weder eine Fortsetzung antiker Uumlberlieferungen noch
ein von ihm entwickeltes Fabulieren uumlber anthropomorphe Goumltter und ihre Ent-
stehungsgeschichten Es ist in erster Linie eine eigenwillige Philologie des Alt-
griechischen wenn er zB in bdquogeschichtlicher Besinnungldquo zum Zuruumlckgehen bdquoauf
den Zusammenhang von τέχνη ἀλήθεια und οὐσίαldquo30 auffordert Adorno cha-
rakterisiert seinen Begriff vom Jargon der Eigentlichkeitlsquo mit dem Zug der sta-
tischen Inbeschlagnahme einzelner Woumlrter die sich bdquodurch die Konstellation die
sie verleugnenldquo aus demDiskurs sprengten und als Apotheosen eine uumlbertriebene
Eigenbedeutung erhalten wuumlrden Diese guerrillaartige Umdeutung von Sprache
versteht Adorno als Asyl des Faschismus31
Was das singulaumlre Wort an Magie verlor wird ihm gleichwie durch Maszlignah-men dirigistisch angeschafft [] Bestandstuumlcke der empirischen Sprachewerden in ihrer Starrheit manipuliert als waumlren sie solche einer wahren undgeoffenbarten [] Der Jargon objektiv ein System benutzt als Organisati-onsprinzip die Desorganisation den Zerfall der Sprache in Worte an sich32
Die bdquoDesorganisationldquo die Adorno Heideggers Sprachzerfall zuweist ist viel-
mehr eine Neukonstellation im Sinne des Mythos So erscheint es zumindest
anhand der Leese die Heidegger in den Schwarzen Heften zusammentraumlgt Der
deutsch-schweizerische Philosoph Enno Rudolph fuumlhrt in diesem Zusammen-
hang einige Militaumlrmetaphern an die Heideggers Zielsetzung unterstreichen sol-
len mit seinem Sprachsystem voumllkisch-nationale und eben auch antisemitische
Abgrenzungspolitik zu betreiben
30 GA 94 S 336f31 Vgl Adorno Jargon der Eigentlichkeit S 8f bdquoAsyl des Faschismusldquo ist eine treffende Parodie
auf Heideggers Rede von der Sprache als Haus des Seins (su)32 Ebd S 10
10
Am Ende koumlnnten sich Text und Sache moumlglicherweise so darstellen lassen[] dass sich das Gesamtwerk als die labyrinthisch konstruierte letzte Basti-on eines philosophischen Stellungskrieges positioniert in dessen Verlauf derAntisemitismus ndash neben den anderen programmatischen Feindseligkeiten ndasheine strategische Funktion nach Analogie mehrerer einander koordinierterWaffengattungen erfuumlllt [] dass es sich bei den vier Baumlnden um Bausteinefuumlr eine Kampfschrift handelt33
Mit dem Schluumlssel des Verstaumlndnisses der altgriechischen Sprache seiner Liebe
zum Klassikautor Houmllderlin und als selbsterklaumlrter Feind der Metaphysik ver-
stand sich Heidegger als Prophet des Denkens das als Dichtung veredelt An-
athema zur Rationalitaumlt und Wissenschaft (worunter er auch die Philosophie ver-
stand) sein sollte Die strenge Bindung an seine Pseudotradition des Abendlandes
sollte mythologisch festgezurrt sein aber seine Veroumlffentlichungen in Form von
Vortraumlgen und Aufsaumltzen und schlieszliglich in Buchform sollten selbst nicht bloszlig
mythologisch sein ImModus von verhaumlrtetem solipsistischen Narzissmus ging er
daruumlber sogar noch hinaus und wollte sich verstehen als mythopoetischen Autor
seiner eigenen Mythologie
Eine katalysierende Wirkung auf dieses Vorgehen Heideggers hatte der Alt-
philologe Walter F Otto (1874ndash1958) In einem vor den Schwarzen Heften in
2009 veroumlffentlichen Aufsatz schildert der franzoumlsische Germanist Daniel Meyer
von diesem Bezug und untersucht Heideggers Verbindung der Kehre34 und des
Mythos Die Entdeckung des griechischen Mythos Heideggers geschichtsphilo-
sophische Wendelsquo35 Wie es der Titel verraumlt markiert Meyer Heideggers Kehre
zur Seinsgeschichte mit dessen bdquoEntdeckungldquo des Mythologisierens36
33 Rudolph Enno Heideggers Schwarze Hefte im Echo In Philosophische Rundschau Bd 62Heft 2 (2015) S 141-154 hier S 145f
34 Die bdquoKehreldquo ist multifaktoriell mit Bedeutungen besetzt Darauf kann hier nicht eingeangenwerden Im Uumlblichen ist die Kehre zur bdquoSeinsgeschichteldquo gemeint
35 Meyer Daniel Die Entdeckung des griechischen Mythos Heideggers geschichtsphilosophi-sche Wende Germanica 45 (2009) S 13-26
36 Diese Entdeckung ist wie bei Peter Trawny (su) gebunden an Heidegger Topos des AnfangsDen Anfang dieser Rede des Anfangs will auchMeyer erkannt haben Insgesamt koumlnnen nochmehrere starke Aumlhnlichkeiten des Artikels von Meyer mit Trawnys Buch uumlber die Schwar-zen Hefte nachgewiesen werden womit Trawny ohne jegliche Nennung Meyers unter denAnfangsverdacht des Plagierens faumlllt
11
Ottos 1929 erschienenes Werk Die Goumltter Griechenlandslsquo37 sei laut Meyer
der fuumlr Heideggers mythologische Strategie unentbehrliche Einfluss Somit sei
der griechische Goumltterbegriff nicht mehr bdquochristlich antithetisch zu Welt und
Mensch sondern in Einheit damit zu denkenldquo38 Diese Einheit wuumlrde gestif-
tet durch bdquoOttos Formel vom Geheimnis der Beruumlhrung von Goumlttlichem und
Menschlichenlsquoldquo39 Da Meyer das Mythologisieren im Zusammenhang mit der ge-
schichtsphilosophischen Kehre auch im Sinne einer bdquoVorrangstellung des primi-
tiven archaischen von ihm [Heidegger DS] als mythisch verstandenen Den-
kensldquo40 als Weg zum Nationalsozialismus ndash der Traum Heideggers eines neuen
(deutschenabendlaumlndischen) Anfangs ndash versteht liegt dem bdquogriechischen Goumltter-
begriffldquo hier eine besondere Wertlegung zugrunde41
Die Beschwoumlrung des Anfangs des griechischen Ursprungs ermoumlglicht ei-nen genuinen Neuanfang im Sinne einer Annullierung des Vorhergekom-menen Der Ausweg aus der Moderne aus der Welt der Uneigentlichkeitist moumlglich durch einen Bruumlckenschlag zum griechischen Denken [] DieMoumlglichkeit diese Krise zu uumlberwinden ist fuumlr Heidegger 1933 durch dienationalsozialistische Machtergreifung gestellt doch reiht er diesen Prozessin eine legitimierende geschichtsphilosophische Perspektive die auf einengriechischen Ursprungsmythos zuruumlckverweist42
Meyer findet kernige Passagen die er aus Heideggers Schriften und Vorle-
sungen bis 1935 durchaus uumlberzeugend zur Unterstuumltzung seiner These anfuumlhrt
Diese Zitate Heideggers sind der Mythologie der Schwarzen Hefte sehr aumlhnlich als
tentatives Entwerfen
37 Otto Walter F Die Goumltter Griechenlands Das Bild des Goumlttlichen im Spiegel des griechi-schen Geistes Frankfurt am Main 2013Meyer verweist in einer Fuszlignote auf das Buch Heideggerrsquos Roots Nietzsche National So-
cialism and the Greekslsquo von Charles Bambach (2005) das ihm fuumlr diese Aussage Pate stand38 Meyer Die Entdeckung des griechischen Mythos S 439 Ebd Durch eine solche Formel der Einheit von Menschen und Goumlttern ist ein nahtloser
Anschluss an die Goumltter Heraklits und anderer antiker Philosophen geebnet Heidegger hatdiese Moumlglichkeit erstaunlich ernst genommen und ausgearbeitet
40 Meyer Die Entdeckung des griechischen Mythos S 341 Meyer stolperte mit der Begruumlndung dass bdquoDieser erstaunlich unkritische Gottesbegriff []
sich nur im Kontext von Ottos Goumltter Griechenlands verstehenldquo (Meyer Die Entdeckungdes Griechischen Mythos S 4) lieszlige uumlber Heideggers SoSe Vorlesung 1930 Vom Wesender menschlichen Freiheitlsquo (GA 31 S 7f) Ferner vollzieht er Ottos Einfluszlig uumlber die ersteHoumllderlin-Vorlesung von 193435 und weitere Schriften Heideggers nach Es geht Meyerauch stark um das Verhaumlltnis von Heideggers Denken bis und nach Sein und Zeit was indieser Arbeit nicht tiefer behandelt werden kann
42 Meyer Die Entdeckung des griechischen Mythos S 4f
12
Das legt nahe dass Heidegger sein mythopoetisches Texten als Code vor allem
in den Nachkriegsveroumlffentlichungen einsetzt ndash ein Nachruf aus dem gescheiter-
ten Anfang43 Ab 1935 jedenfalls haumltte sich Heidegger von der Vorstellung des
neuen Anfangs verabschiedet44
Das Mythologisieren konstruiert Meyer als Anschluss an die Houmllderlin-Vor-
lesung (193435) Die Houmllderlinsche Lyrik haumltte fuumlr Heideggers bdquophilosophisches
Sprachmaterialldquo Vorbildcharakter da bdquomit Houmllderlin die griechische Mytholo-
gie in ihrer sprachlichen Verbildlichung zum tragenldquo45 kaumlme Die dann staumlndige
Wiederauferstehung der bdquogriechischen Goumltter- und Heldenwelt in seinen Vorle-
sungenldquo schluumlge dem zu Buche In der Vorlesung 193435 Houmllderlins Hymnen
Germanienlsquo und Der Rheinldquo klingt insofern bereits eine Figur an die Heidegger
uumlber zehn Jahre spaumlter in seinen technikphilosophischen Bremer Vortraumlgen mit
seinem Aletheia-Prinzip verbinden wird ndash der bdquoBlitzldquo (su)
43 Eine genaue Untersuchung laumlszligt die Form dieser Arbeit nicht zu sie bezoumlge sich wie gesagtauf die drei Darstellungsebenen der GA mit den Schwarzen Heften (GA 94ndash97) als (Entwurfs-phase) Besinnung (GA 66) Das Ereignis (GA 71) ua als (Konzeptionsphase) und den BremerVortraumlgen (GA79) als (Praumlsentation) die Uumlbergaumlnge sind freilich flieszligend und gerade in denvon Meyer zitierten Vorlesungen erscheinen alle drei Stufen mitunter gleichzeitig Gerade imfolgenden zitierten Doppelband in dem es ua um die bdquoWahrheit der Spracheldquo geht scheintes tatsaumlchlich genau wie Meyer es identifiziert um die Grundlegung Heideggers Mythologiezu gehen die in den Schwarzen Heften vielmehr lemmaartig und sporadisch entworfen wirdMit Heraklits Spruch des Kampfes als Wesen des Seienden zieht Heidegger einen Paten seinerMythos-Logos-Aletheia Kombination heran und versucht seiner eigenwilligen Philologie ei-ne verpflichtende Bedeutungstiefe einzulegenMeyers Zitate Heideggers mit groszliger Relevanz fuumlr diese Arbeit sind die folgenden bdquoDa-
mals als das Volk der Griechen deren Stammesart und Sprache mit uns dieselbe Herkunfthat in seinen groszligen Dichtern und Denkern sich aufmachte eine einzigartige Weise desmenschlichen volklichen Daseins zu schaffen Was da anfing ist bis heute nicht eingeloumlstAber dieser Anfang ist noch nicht und er verschwand nicht und verschwindet nicht dadurchdaszlig die nachkommende Geschichte immer weniger seiner Herr blieb Der Anfang ist nochund besteht als ferne Verfuumlgung die unserem abendlaumlndischen Schicksal weit vorausgreift unddas deutsche Geschick an sich kettetldquo (GA 3637 S 6 Die Grundfrage der PhilosophielsquoSommersemester 1933)bdquoAls μυθος ist das Wort das uumlber den Menschen kommt jenes worin ihm dieses und
jenes seines Gesamtdaseins gedeutet wird nicht das Wort in dem er von sich her Rede stehtsondern das Wort das Weisung gibt [] Aber der urspruumlngliche λογος der Philosophiebleibt dem μυθος verbunden erst die Sprache der Wissenschaft vollzieht die Abloumlsungldquo(Ebd S 116)
44 In den Schwarzen Heften houmlrt die Sehnsucht nach dem neuen Anfang nicht auf also bis ein-schlieszliglich 1948
45 Meyer Die Entdeckung des griechischen Mythos S 6
13
Gewitter und Blitz sind die Sprache der Goumltter und der Dichter ist derder diese Sprache ohne Ausweichen auszuhalten hat aufzufangen und in dasDasein des Volkes zu stellen hat [] Die Dichtung ist ein Weiterwinkendieser Winke in das Volk oder von diesem her gesehen Dichtung ist []ein Zeigen ein Weisen in welcher Weisung die Goumltter offenbar werden46
Die Rede von bdquoWinkenldquo ist bereits ein Selbstbezug benannte der Autor der
Schwarzen Hefte seine ersten beiden Abteilungen des heutigen 94ten Bandes der
GA als Winke x uumlberlegungen (II) und Anweisungenlsquo und uumlberlegungen und
Winke IIIlsquo47 Diese setzen ein im Jahr 1931 und duumlrften moumlglicherweise bis 1933
oder vielleicht auch 1935 gereicht haben Heideggers Selbstuumlberhoumlhung als mys-
tagogisch bdquodichterisch-denkenden Schaffenden ndash also ihm selbstldquo48 erkennt auch
Meyer bereits ohne die eindeutigen Zeugnisse dieses Wunsches in den Schwarzen
Heften Es ist Heideggers Begehren das Volk seiner Fuumlhrung zu unterstellen bdquoso
dass sich das Wesen dieses Landes selbst findet und vollendetldquolsquo49
Meyer spricht in Folge daran davon was Heideggers Ursprungsmythos den
er in die griechische Altertum legt fuumlr diesen leistet Es ist eben das antiwis-
senschaftliche bdquoWissenldquo von einer bdquoUr-geschichteldquo Welche abgruumlndigen Motive
auch immer da hineinzuprojizieren sind (Bodenhaftigkeit arische Reinbluumltigkeit
abendlaumlndische Groumlszlige etc so wie es sich aus den Schwarzen Heften offenbart)
der Mythos verschraumlnkt Heideggers Streben nach Fuumlhrung als Denker und eine
Begruumlndung fuumlr die vermeintliche rassische uumlberlegenheit des deutschen Volkes
Meyer zitiert den Dichter-Denker mit bdquoMythologielsquo ist Wissen von einer Ur-
geschichteldquolsquo Es ginge um
Wissen nicht im archaumlologisch-musealen Sinn sondern als Prozess [] auchim Sinne dass Heidegger im Moment des Aussprechens gerade das leistetwovon er spricht Mythologie50
Augenscheinlich sieht Meyer keinen Grund dafuumlr von einer mythopoetischen
Textform in der Verschraumlnkung von Heideggers Denkerprophetie und der abend-
46 GA 39 S 31f (zitiert nach Meyer Die Entdeckung des griechischen Mythos S 6)47 Aus dem beigefuumlgten Nachwort des Herausgebers Peter Trawny geht nicht genauer hervor
weshalb zuerst bdquoWinke x uumlberlegungen (II)ldquo und dann bdquouumlberlegungen und Winke IIIldquo signi-fiziert sind Es wird hier davon ausgegangen dass es sich schlicht um das Gleiche handeltwobei der erste Teil sich in den bislang verschollenen Schwarzen Heften befinden muss
48 Meyer Die Entdeckung des griechischen Mythos S 749 Ebd Darin zitiert ist die GA 39 S 28950 Ebd Darin zitiert ist die GA 40 S 165
14
laumlndischen uumlberhoumlhung zu sprechen Die Paarung von Dichtung und Denken al-
lerdings ist fuumlr den Husserlnachfolger erst der Zweck und die Mythologisierung
das Mittel dazu In seiner Schrift uumlber die Religionsphilosophie und ontologi-
sches Wahrheitsverstaumlndnis bei Walter F Ottolsquo schildert der Altersforscher und
Sozialwissenschaftler Schulz-Nieswandt aus Koumlln uumlber die menschliche Existenz
die bdquoMythopoetik als Seins-Vergewisserungldquo51
In jenem Kapitel seines Otto-Traktats von 2014 schreibt Schulz-Nieswandt
wie ein echter Epigone Heideggers von der Wappnung gegen die bdquoKrise der Mo-
derne ndash Entfremdung Einsamkeit Angst Verzweiflungldquo52 An fruumlherer Stelle
seines Buchs stellt sich dar dass Schulz-Nieswandt sich geradezu mit Heideggers
Linie vereint anstatt sich ihr nur anzunaumlhern
Es geht um das wahre Sein aus der Sicht des zu seinem Wesen gelangendenMenschen in dessen Daseinsfuumlhrung was hermeneutisch erschlossen wer-den soll nicht um Wissenschaft als hermeneutische Methode im Kriterien-spektrum zwischen Verifikation und Falsifikation von Hypothesen mittelsProtokollsaumltzen uumlber die Realitaumlt53
51 Schulz-Nieswandt Frank Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis beiWalter F Otto (1874-1958) Eine strukturalistische und psychodynamische RezeptionBaden-Baden 2014 S 58-60
52 Ebd S 58 Dabei spielt Schulz-Nieswandt die Begriffe Epistemologie gegen Ontologie ausund bezeichnet sich selbst als post-strukturalistisch im Sinne der Kritischen Theorie schrei-bend Jedoch erscheinen diese philosophischen Kontraste nur wie bdquoEdelsubstantiveldquo des vonAdorno gemuumlnzten bdquoJargon der Eigentlichkeitldquo Und in genau diesem Jargon laumlszligt der So-zialwissenschaftler Heideggers Urmythos des Goumlttlichen der griechischen Antike (so) inaktueller Praumlsenz wieder auferstehen Es ist erstaunlich dass jemand der die Kritische Theo-rie fuumlr sich reklamieren will Epigone des bdquoJargons der Eigentlichkeitldquo ist So zeigt es sichauch auf S 28 wenn er in Ottos Dionysos bdquodie ganze Tiefe des Menschen zum Ausdruck[bringt DS] die Todeserfahrung des sterblichen Menschen Dionysos ist Hadesldquo Um nocheinmal zu bestaumltigen wie sich Schulz-Nieswandt als Akteur des Jargons gebiert sei hier Ador-no zitiert (dies gilt allerdings nur der Gegenuumlberstellung zum Vorsatz jener wuumlrde sich ander Kritischen Theorie orientieren ohne fuumlr diese zu advozieren) bdquoDer Heideggerschen Phi-losophie schloszlig sich was einmal Pforte zum ewigen Leben war zu sie betet statt dessenWucht und Groumlszlige des Tores an [] Sein wuumlrdevolles Gehabe ist Reaktionsbildung auf dieSaumlkularisierung des Todes [] Darum wird Sinn in den Tod geworfenldquo (Adorno Jargonder Eigentlichkeit S 134)
53 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei WalterF Otto S 15
15
Beiden gemeinsam ist auch die Faszination an Houmllderlin die sie ebenso mit Otto
teilen
Die ganze Eigenart des Denkens von Otto kommt in dem komplett innerenVerhaumlltnis zu Heidegger und Houmllderlin zum Ausdruck54
Nur noch ein Gott kann uns rettenlsquo so das Zitat des Spiegelinterviews das Ja-
kob Augstein zum Titel machte ist die kodierte Mythopoetik auf die sich die
Spiegelleser keinen Reim machen konnten Fuumlr Heidegger fuumlr den das Sein in der
Sprache wohnen sollte55 ging es um den Mythos der Naumlhe zur Antike als Naumlhe
zu den Goumlttern
Fuumlr Houmllderlin war die Theologie der Abwesenheit Gottes als uumlberweltlichePraumlsenz der Verlust der Gotteserfahrung des diesseitig verankerten Men-schen [] Die Antike wird als eine von Goumltternaumlhe charakterisierte Zeitvon Houmllderlin verstanden und erneuert (der kommendelsquo Gott) ersehnt56
Dies ist eine der Leit-Mythen Heideggers insbesondere wenn man sich die Nach-
kriegsvortraumlge ansieht (eben die Bremer Vortraumlgelsquo)
Die Aufhebung der Trennungsangst durch die bdquoAbwesenheit der Goumltterldquo uumlber-
winde der in existenzieller Angst befindliche bdquohomo abyssusldquo mittels bdquoder lie-
bevollen Gestaltung als Sich-Einrichten des Menschen [] als apriorischer Mo-
dus des In-der-Welt-Seinsldquo durch die bdquoEwigkeit der Mythopoetikldquo57 Fuumlr Schulz-
Nieswandt ist Mythopoetik eben nur dieses ein peganistischer Goumltterdienst der
den Kanon der Ottoschen Antike mit Houmllderlin interpretiert Insofern versteht
dieser versuchte Religionsphilosoph der eigentlich Sozialforscher ist Heideggers
Mythologie als schoumlpfend aus geteilter Quelle mit Mythen als Gemeinplaumltzen
derer sich der Denker-Dichter philologisch sicher bediene
Dabei geht es Schulz-Nieswandt umHeideggers Aletheia-Prinzip das er bdquoWahr-
heitsbegriffldquo nennt ndash welches bdquoDie Differenz der Technik als Herrschaft uumlber
54 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei WalterF Otto S 20
55 Vgl GA 7 S56 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei Walter
F Otto S 2157 Vgl Ebd S 59
16
Dinge von der Kunst als Schoumlpfung als Lichtung des Seins zur Wahrheit unter-
scheidetldquo58 Houmllderlins Goumlttliches waumlre darin vermisst und von Bedarf fuumlr den
Menschen Mit der Nomenklatur der griechischen Goumltter Houmllderlins und Ottos
ginge es beim Wahrheitsprinzip um bdquodie Erinnerung an Dionysos als der wie-
der kommende Gott []ldquo sie bdquofuumlhrt zur Lichtung des Seins als Wahrheitldquo59 Der
Mensch waumlre also Hirte seines Seins nicht Herr der Technik zum Sein bdquoDas Sein
ist den Menschen nicht technisch verfuumlgbar Die notwendige Einkehr wird zu
Heimkehrldquo60
Insofern zeichnet Schulz-Nieswandt ganz in Heideggers Sinne nach wie Hei-
mat und Irrationalitaumlt des Mythos zusammenfallen im Kanon der Goumltter-Mytho-
poetik Zum einen ist allerdings Heideggers Mythologie nicht so sehr an diese
Mythopoetik uumlber die Goumltter gebunden sondern bewegt sich frei im eigenwil-
ligen Auslegen von altgriechischen und deutschen Begriffen Zum anderen ist es
erstaunlich dass Schulz-Nieswand 2014 die Bedeutung der Mythopoetik fuumlr Hei-
deggers Ursprungsmythos des neuen Anfangs ignoriert und damit auch die gan-
ze voumllkisch-nationale Aura und damit die Abgrenzungspolitik Vor allem aber
richtet sich Heidegger nicht in einer bdquoliebevollen Gestaltungldquo menschlich ein
wie Schulz-Nieswandt es schon pathetisch darstellt sondern befeinded sich mit
allem ihm Zuhandenen als bdquoRaprochementldquo61 in alle Richtungen und pocht auf
bdquogeschichtliche Besinnungldquo als bdquoAuftrag des Deutschenldquo62
221 Formen der Mythologie
Mit den zwei oben herangezogenen Arbeiten uumlber Mythologisieren und Mytho-
poetik Heideggers sollte in dieser Arbeit das Verstaumlndnis seines Projekts der an-
tirationalen und antitechnischen Ausrichtung in den aktuellen Forschungsstand
gestellt werden Um welche Mythologie es sich in den Schwarzen Heften handelt
wird im Folgenden aufgedeckt werden Bereits in dem ersten Heft der Denktage-
58 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei WalterF Otto S 58
59 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei WalterF Otto S 59
60 Ebd61 Wolin Richard Heideggers bdquoSchwarze Hefteldquo Nationalsozialismus Weltjudentum und Seins-
geschichte In Vierteljahrsheft fuumlr Zeitgeschichte Bd 63 Heft 3 S 379-41062 GA 94 S 66
17
buumlcher verschmilzt Heidegger seine Vision von Dichten und Denken stellt sich
unter dieses Ideal
Dichten undDenken ineinander geschlungen und so waumlre ihrWas im verbindend-trennenden Bestimmen gewonnen63
Als bdquoAusgriff in den Begriffldquo versteht Heidegger dies als bdquovorschreibend-bildenden
Entwurfldquo der hinfuumlhrend zum Ereignis des Aletheia-Prinzips waumlre ndash
(Dichtung als Mythos
Dichtung als Dichtung im engeren Sinne gtgtGedichtltlt
Dichtung als Philosophie)64
Grundsaumltzlich ist die lose wirkende Legion von Lemmata nicht mit einer
Ruumlckfuumlhrung seiner Gedanken auf bestimmte griechische Goumltter und antike (ech-
te) Mythen besetzt Heidegger fetischisiert Begriffe und mythologisiert die von
ihm aufgepfropfte Bedeutung durch ein staumlndiges Wiederholen und Weiterden-
ken als bdquoWissenldquo wie Meyer es herausgearbeitet hat In dieser philosophischen
Alchemie sieht sich Heidegger als Denker als Bewahrer einer uralten Lehre die
eben neu widererstarken muumlsse Das hat Meyer auch schon klar gemacht Die My-
thopoetik erscheint aber hauptsaumlchlich nicht in den Schwarzen Heften sondern in
den Vortragspublikationen sich auf seine private Mythologie beziehend die in
den Schwarzen Heften zu Grunde gelegt wird
Die Mythen Heideggers drehen sich wie Meyer zurecht behauptet um den
Ursprung bei den Griechen den bdquoGrund der Geschichte des Abendlandesldquo65
Aber auch um die vielen Binaritaumlten die sich entgegengesetzt werden und tat-
saumlchlich wie der Heidegger-Herausgeber und Initiator und Leiter des Wupper-
taler Heidegger Instituts Peter Trawny es benannt hat auf einen Manichaumlismus
zulaufen66 Die Abgrenzungspolitik im Sinne des schuumltzenswerten abendlaumlndisch-
heimatlichen Deutschlands richtet sich gegen den inneren Feind vorangetrieben
63 GA 94 S 6564 GA 94 S 6665 GA 96 S 20566 Trawny Peter Heidegger und der Mythos der juumldischen Weltverschwoumlrung Frankfurt am
Main 2015 S 22Das hier aufgefuumlhrte Buch birgt einige problematische Umformungen zum Verhaumlltnis von
Heideggers Antisemititsmus Allem voran versucht es eine Begriffsbildung zu formen nach
18
von der Rechenhaftigkeit des juumldischen Wesens und die aumluszligeren Feinde wie Ameri-
kanismus franzoumlsische Kultur russischer Bolschewismus usw Heideggers Urmythos
vom neuen Anfang ist verquickt mit einem selbstangedichteten Personenmythos
was ebenfalls Meyer schon erkannt hat Dieses Schema ist die Grundstruktur
Immer deutlicher wird in mir die Ahnung daszlig unsere Heimat der Kerndes suumldwestdeutschen Landes [er selbst DS] der geschichtliche Geburtsortdes abendlaumlndischenWesens sein wird [] es ist das Geistvolle und zugleichdas erdenhafte schoumlne Land Es birgt unsichtbaren Reichtum dem Gemuumltbewahret tiefstes Dichten und houmlchste Gestalt der Sage67
Die mitunter wichtigste Dichotomie die Heidegger in den Denktagebuumlchern
aufwirft ist die zwischen Historie und Geschichte Es ist insofern nicht nur der
Mythos des neuen Anfangs der Heideggers Denken uumlber fast zwei Dekaden be-
stimmt sondern umso mehr die doppelte Projektion ndash des Verfalls (Machenschaft)
in eine Konstruktion von Historie und des Bestehens (Sein) in die konstruierte
Geschichte68 Geschichte faumlllt dann schlieszliglich mit der Schaffung des neuen An-
fangs so zusammen wie Historie mit Technik verschraumlnkt wird Geschichtlichkeit
muss durch das Prinzip des Ereignisses der Aletheia prozessiert werden waumlhrend
die verrationalisierte wissenschaftliche technische Historisierung des Lebens und
der Lebenswelt dem widerstrebt
Die Bindung von Heideggers Vorstellung des richtigen Lebens im Sein mit
demAbendland und einer voumllkisch-nationalen Groumlszlige undUumlberlegenheit Deutsch-
lands ist dabei ausschlaggebend Denn mit der Charakterisierung des Guten auf
derer Heideggers Antisemitismus mittels Heideggers Denkmethode behandelt aufgehobenwerden koumlnnte Die Hauptbegriffe darin sind bdquoSeinsgeschichtlicher Antisemitismusldquo undbdquoKontamination des Denkensldquo Von einer tieferen Auseinandersetzung muss an dieser Stelleabgesehen werden
67 GA 97 S 5468 In Band 66 der GA gibt es bereits einen kleinen Abriss der Historie und Techniklsquo die der Ge-
schichte gegenuumlbergestellt werden Das dies eine Uumlbertragung der Gedanken aus den Schwar-zen Heften ist ist ohne Zweifel Ein ansatzweise philosophisches Vorgehen vermengt sichdort mit dem poeto-mythologischen Denken Heideggers In Sachen mythopoetischer Figu-ren undMetaphernreichtum haumllt sich dieser dort aber noch zuruumlck (auch wenn er hier bereitsoumlffentlich vom bdquohistorischen Tierldquo redet) Die Absicht Technik und Historie als Verstellungdes abendlaumlndischen Menschen zu brandmarken stehen dabei im Vordergrund Weiterhinsoll in dieser Arbeit allerdings der Fokus auf den Schwarzen Heften und der Mythopoetik inden Technikvortraumlgen der Nachkriegszeit liegenDer Duden sieht Geschichte und Historie als Synonyme Von einer Ethymologie und der
Spekulation von Heideggers Gruumlnden der Auseinanderhaltung der zwei Synonyme soll hierabgesehen werden
19
der Seite des Seins sind die Feinde dessen eine Notwendigkeit seines Erklaumlrungs-
schemas Dabei sind es vor allem die Juden denen die Wurzel des Antiseien-
den von Heidegger in ihr vermeintliches Wesen geschrieben wird Exemplarisch
spricht dafuumlr dieses Zitat aus Band 96
Die zweite Machtsteigerung des Judentums aber hat darin ihren Grund daszligdie Metaphysik des Abendlandes zumal in ihrer neuzeitlichen Entfaltungdie Ansatzstelle bot fuumlr das Sichbreitmachen einer sonst leeren Rationalitaumltund Rechenfaumlhigkeit die sich auf solchem Wege eine Unterkunft im Geistlsquovarschaffte ohne die verborgenen Entscheidungsbezirke von sich aus je zufassen zu koumlnnen69
Diese Vorstellung ist eine Konkretisierung dessen was Heidegger mit den Uumlber-
begriffen Historie vs Geschichte einige Jahre vorher begann zu topografieren
Wir sind durch die Historie geschwaumlcht [] ndash wir koumlnnen nur durch das ge-rettet werden was uns in seiner Verfaumllschung widert ndash durch die Geschich-te70
Dieses bdquoWirldquo sind die glorifizierten Deutschen vor allem nach der Ableitung von
den Griechen uumlber Houmllderlin (und dessen Griechen) und Nietzsche zu ihm und
seinem kleinen Kreis von ihm anerkannter Intellektuellen-Kollegen wie etwa
Carl Schmitt Oswald Spengler Walther F Otto und Ernst Juumlnger Die Luft auf
Heideggers Denker-Olymp ist duumlnn und bekommt nur Wenigen
Die Geschichte in Heideggers solipsistisch-immanenten Nachdenken erklaumlrt
sich wie gesagt immer zusammen mit der Hoffnung auf den neuen Anfang und
als Besinnung auf das Denken als Akt gegen die Historie Die Paarung der zwei
Woumlrter bdquoGeschichteldquo und bdquoBesinnungldquo durchzieht in deutlicher Haumlufigkeit alle
vier Baumlnde der Schwarzen Hefte ndash bdquogeschichtliche Besinnung [] ist die Uumlberwin-
dung der Historie und des Historismusldquo und sie bdquobedarf der houmlchsten Strenge
hinter der die historische Exaktheitlsquo weit zuruumlckbleibtldquo ndash somit ferner bdquonur wer
Geschichtemacht vermag sie auch zu errettenldquo71 Das oben mit Meyer und Schulz-
69 GA 96 S 4670 GA 94 S 26771 GA 94 S 358f
Dass die Besinnung eine militante Perspektive hat laumlszligt sich auch in Heideggers Vereh-rung Heraklits ldquoDer Krieg ist der Vater aller Dingerdquo finden Heidegger sah sich selbst alsDenker als Propheten des Seins Aus dieser Warte betrachetete er zuerst den Nationalsozia-
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Nieswandt bereits aufgezeigte Bereiten des Goumlttlichen legt Heidegger in seinen
Begriff der Geschichte
Geschichte ndash das Gewagtwerden der Goumltter nur Groszlig als Untergang oderSieg ndash nicht Dauerlsquo wesentlich ndash sondern die Abgruumlndigkeit der Erstrei-tung ndash Opfer und Weile
Historie ist bei Heidegger bdquogeschichtliche Entwurzelungldquo die bdquoTyrannei der
Technikldquo bdquoSelbstvergoumltterungldquo und bdquoAbgoumltterei der Technikldquo72 In einer skizzen-
haften Emanationsfolge wird dieHistorie als Modus der Technik auf sich selbst zu-
ruumlckgefuumlhrt bdquoDas Riesige ndash [] Historie die Technik der Geschichtelsquo Technik
Die Historie der Naturldquolsquo73 Es ist vage annehmbar dass Heidegger hier die Tech-
nik als rechenhafte machenschaftliche Historisierung der Natur versteht die vor
dem Geschichtsbegriff stattgefunden haumltte Diese wiederum haumltte die Geschichte
in die rechenhafte Machenschaft verfremdet Wie ein Apparat erscheint Heidegger
der Gegenstand seiner Historie zu sein die sich automatisch durchsetzen wuumlrde
Die Historie stellt zunaumlchst das Nacheinander der Begebenheiten dessenwas vorbeizieht (passiertlsquo) her [] Sie erklaumlrt dann Spaumlteres aus dem Fruuml-heren sie findet sogar dass Ideen die Geschichtelsquo bestimmen74
Den historisierend narrativen Umgang mit Geschichte als Wissenschaft emp-
findet Heidegger als Technisierung derGeschichte Diese wiederum basiert auf den
statischen Topoi seiner Mythen von Vaterland Bauerntum Houmllderlin alten Grie-
chen den Goumlttern etc und der Anwendung des Aletheia-Prinzips im Ereignis
Das ist ein Tugendenkatalog der Deutschtuumlmelei mit einer paumldagogischen Kom-
ponente seine Mythologie im Aletheia-Prinzip zu praktizieren Er nennt dieses
Geschaumlft auch Denken und ahnt dessen Feinde bdquodie Forscher die in der Technik
ihres Arbeitens keine Reibung dulden und ihr Wissen fuumlr den Geist haltenldquo75
lismus und nach dem Krieg den real existierenden Sozialismus des Ostblocks im Zuge deratomaren Aufruumlstung als Vollstrecker Macher der Geschichte die den neuen Anfang ebnensollten Dass Heidegger diese bdquoklaumlrendeldquo Wirkung tatsaumlchlich spaumlter den Russen zuschreibtlaumlszligt sich in Band 97 der GA zweifelsohne nachvollziehen Hier kann aus Gattungsgruumlnden(BA-Thesis) nicht naumlher auf dieses Faible fuumlr absolutistische Regime eingegangen werden Je-denfalls ist die geschichtliche Besinnung und der Kriegsakt ein Widerspruch den Heideggerjedoch gleichsam adressiert Auch dies kann hier nicht weiter untersucht werden
72 GA 9473 GA 95 S 35174 GA 96 S 6275 GA 97 S 509
21
Insofern verschraumlnkt Heidegger das bdquohistorisch-technischeldquo zum Antagonis-
ten der bdquogeschichtlichen Besinnungldquo Es ist die Entwicklung einer historisch-
geschichtlichen Differenz unter dem Zeichen der Besinnung gegen die techni-
sche Machenschaft ndash es geht um zwei unterschiedliche Wissenssysteme76 In den
Schwarzen Heftenwird Technikmeistens als eine Seite der Muumlnze mit der anderen
der Historie genannt Sie haumltten eine schon angedeutete dualistische Dynamik
Wo beide Historie und Technik in solcher scheinbaren Gegensaumltzlichkeitverkoppelt sind koumlnnen sie sich zur Foumlrderung dessen zusammenschlieszligenwas einstmals wesentliche die Geschichte des Menschen mitbegruumlndet undwas wir die Kunstlsquo nennen Die Historie verschafft [] Anregungen undVorbilder der Nachahmung die Technik erleichtert [] die Zustellung vonDarstellungsmitteln und Wirkungsformen [] Gleichwohl ist alles wurzel-los [] berechnet und als Erlebnislsquo ausgegeben77
Diese vermeintliche Gefahr muumlnde als bdquoZuumlgellosigkeit des Historismusldquolsquo in der
bdquoBodenlosigkeit [] (das Judentum)ldquo78 Heideggers Mythos ist hier dieser bdquoWir
muumlssen zuvor geschichtlich sein [] Ohne diese uumlberlieferung verfaumlllt alles der
historisch-technischen Machenschaftldquo79
Heidegger mythologisiert uumlber den bdquoAuftrag des Deutschenldquo80 will in bdquoge-
schichtlicher Besinnung sehr weit zuruumlckgehen ndash auf den Zusammenhang von
τέχνη ἀλήθεια und οὐσίαldquo81 um Technik auf ihr Wesen im antiken Ursprung
zuruumlckzufuumlhren bdquoDie techne hat [] den Sieg uumlber die [] aletheia errungenldquo82
Heidegger will sie zuruumlckgewinnen Er will der Technik aus dem bdquoEreignisldquo83
wieder uumlbermaumlchtig werden und sieht das bdquoWesen des Vaterlandesldquo84 im Abend-
land Dabei ist es ihm unentbehrlich zu wissen bdquodaszlig das Griechentum [] und
76 Heideggers noch immer vorhande Rezeption in Puncto seiner Technikphilosophie erstauntdamit dass sein Prinzip der aletheiologischen Besinnung als alternatives Wissenssystem undTechnikkritik ob der eigenwilligen Konstruktion den Entwicklungen der Zeit standhaumllt
77 GA 95 S 21278 GA 95 S 9779 GA 96 S 10480 GA 94 S 6681 GA 94 S 35782 GA 95 S 13283 Ebd84 GA 96 S 52
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nicht das Roumlmertum der Grund der Geschichte des Abendlandes istldquo85 Sein My-
thos von Heimat verknuumlpft sich uumlber Dichtung und Ereignis zu einem fuumlr die
Technikphilosophie essentiellen Bezugs-Topos
Wir brauchen keine Technik [] Das Wesen des Vaterlandes ist das Abend-land In ihm werden die Deutschen erst deutsch und erkennen die Muttervon Allem die unversehrte Erde [] Die Wahrheit erfahren wir im Ge-daumlchtnis Das Gedaumlchtnis ist die Dichtung Die Dichtung sagen der Denkerund Saumlnger in ihrem Gespraumlch Dieses Gespraumlch erst ereignet dichterisch dieDichtung in die Sprache (die Dichtung das Ereignis und das Ereignis dasAbendland) [] Wohnt in seiner Sprache [] seyd dem Seyn im Seyn Soist Sein das Seyn86
Eine weitere mythologische Form haben seine Fuumlgungen von Jahreszahlen
womit er bereits in den Bereich des Okkulten Mystischen abzurutschen droht
Houmllderlin wurde [] 1770 geboren [] 1870 aber Lenin Waumlhrend der []Lebenszeit Houmllderlins vollzogen sich die entscheidenden technischen Entde-ckungen und Erfindungen der neuzeitlichen Technik (1774ndash1806)87
Und ferner bdquo1807 Phaumlnomenologie des Geistes 1867 Das Kapital 1927 Sein
und Zeitldquo88
Als letzter Mythos sei hier sein Aufgriff der Spenglerschen Metapher des
Raubtiers89 aufgezeigt Uumlber weite Strecken philosophiert Heidegger uumlber das his-
torische Tier Das historische Tier muumlsse vernichtet werden die bdquodeutsche Zukunft
wirdlsquo nicht erst seinlsquo sie istlsquo schon seit Houmllderlin sie stifteteldquo90 Der Homo
faber ist fuumlr Heidegger das historisch-technische Tier qua der bdquoAngewiesenheit auf
das Tierhafte als Wesensgrundldquo91 Es fehle ihm was bdquodie Griechen als Anfangen-
deldquo mit der bdquoZugewiesenheit des Menschen zum Sein gewagt habenldquo92 wodurch
85 GA 96 S 20586 GA 97 S 52f Hierbei handelt es sich um eine Nachkriegsnotiz Heidegger aumlnderte den die
Adressierung in eine direkte Ansprache richtet sich an seine imaginierte Volksgemeinschaft87 GA 96 S 17488 GA 97 S 131 Womoumlglich ist es eine Uumlbung per Jahreszahlen das Aletheia-Prinzip zu prakti-
zieren eine Kontemplationshilfe Andererseits koumlnnte er auch der Regelmaumlszligigkeit der Zah-lenfolgen eine uumlbernatuumlrliche bdquoWahrheitldquo beimessen Dies bleibt an dieser Stelle unerforscht
89 VGl Spengler Oswald Der Mensch und die Technik Muumlnchen 1931 S 1090 GA 95 S 19791 GA 95 S 32092 GA 95 S 321
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er den bdquoGoumlttern unertraumlglich gewordenldquo93 waumlre Das bdquoRaubtierldquo dem gegenuumlber
bdquoist die Urform des Heldenlsquoldquo94 Dann behauptet Heidegger dass das Raubtier das
historisch-technische Tier durch Anwendung seiner eigenen Waffen schlagen koumlnn-
te Es ist dabei die bdquoUumlberwindung der Metaphysikldquo mitgedacht die erfolge sobald
sich das metaphysische Fragen durch den Wille zum Willen verfestigt95 Auch
Spengler dachte an dieses Derivat des Nietzsche Topos vomWillen zur Macht das
er seiner antropomorphen Chimaumlre vom Raubtiermenschen eingibt Wieder ist
von der Gewalt die Rede die ein Tabula rasa schaffen sollte zur Wiederauferste-
hung des griechisch-abendlaumlndischen Anfangs in Deutschland bdquoDas Raubtier aber
mit denMitteln der houmlchsten Technik ausgestattet ndash vollendet die Verwirklichung
der brutalitas des Seinsldquo96
Es scheint so als haumltte Heidegger auf jeden Begriff einen Gegenbegriff (selbst
zum historisch-technischen Tier das Raubtier)97 Aber es geht hier nicht um die
Analyse ausgewogener Formprinzipien oder die Kritisierung seiner linguistischen
philologischen Faumlhigkeiten Die Zitierung der Heideggerschen Mythologie soll
seine Verbindung von voumllkisch-nationaler und antisemitischer Haltung mit den
Bedingungen und Anspruumlchen seines Philosophierens aufzeigen Da die Schwar-
zen Hefte wie alle sonstigen Werke seines philosophischen Schaffens in der GA
erschienen sind muumlssen sie insofern als Teil derer gelten Das bedeutet dass sie
ausreichend Relevanz fuumlr die Arbeiten uumlber die Technik haben98
93 GA 95 S 23694 GA 95 S 39795 Vgl GA 7 Uumlberwindung der Metaphysik S 7896 GA 95 S 39797 Vgl Rudolph Heideggers Schwarze Hefte im Echo S 151 bdquoKeiner hat Nietzsche so konse-
quent und wahnwitzig zumNazi avant la lettre verformt wie Heidegger und keiner hat einenzuvor gewaltsam gefuumlgig gemachten Nietzsche so konsequent instrumentalisiert um damitdie vulgaumlr- nationalistische Dekadenz im Sandwich zu geiszligeln wie Heidegger Die Philolo-gie ndash auch die klassische ndash (Colli Cancik Montinari) hat Nietzsche inzwischen laumlngst mitnachhaltigem Erfolg rehabilitiert Wer jetzt noch einen roten Faden von Nietzsche zu Hitlerzieht hat nur noch Heidegger auf seiner Seiteldquo
98 Zum Abschluss dieses Kapitels sei hinzugesagt dass der Veranschlagung der Beispiele vonHeideggers Mythologie ein Exzerpt von 13 Seiten aus 1700 Seiten Text der vier Baumlnde derSchwarzen Hefte zugrunde liegt Beim Studium dieser fielen die staumlndigen Repetitionen derimmer gleichen Figuren und Metaphern auf Daraus wurde geschlossen dass es sich um eineMythologie handeln kann was ein weiteres Forschen bestaumltigte Die hier zitierten Stellensind Topoi die sich in Huumllle und Fuumllle in jedem der vier Baumlnde finden lassen was ihrenmythischen Charakter unterstreicht Die Auswahl versucht ein besonders charakteristischesBild wiederzugeben
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3 Heideggers mythopoetische
Technik
War Heidegger von seinem neuen Anfang nur zu traumlumen vergoumlnnt so gelang
ihm selbst aber die Wiederauferstehung aus der Asche des ZweitenWeltkriegs mit
der Vortragsreihe in Bremen (1949) uumlber die Technik Der Phoumlnix erweist sich
mittlerweile als Ikarus Anstatt sich selbst zu revidieren fordert Heidegger eine
Kehre ein die auf sein Programm der geschichtlichen Besinnung zum Ursprung ab-
zielt Rezipienten seiner Technikphilosophie taten zumeist seine voumllkischen und
nationalsozialistischen Verstrickungen mit der Niederlegung des Rektorats ab99
Sie glaubten an einen inneren Wandel Heideggers eine Laumluterung und sogar an
seinen geistigen Widerstand uumlber die Naziherrschaft hinweg100 Heute ist erwie-
sen wie Heidegger es aus seinem posthumen Gestaumlndnis in die Welt lecken laumlsst
dass er auf seine private Weise eine Form Nationalsozialismus hegte der die NS-
DAP und Hitler zwar als Vulgaumlrnazis kulturell degradierte aber sich selbst als
Denker-Nazi gerierte
Wie damit umzugehen ist steht aktuell in der Verhandlung Wie Rudolph es
behauptet stuumlnden die Heideggerianer bdquonun mit wertlosen Aktienldquo101 da Der
Kommunikationswissenschaftler Christian Fuchs sieht den Antisemitismus den
die Schwarzen Hefte zutage treten lassen als Notwendigkeit einer rigorosen Ver-
bannung Heideggers aus der technikphilosophischen Theorie102
99 Vgl Luckner Andreas Heidegger und das Denken der Technik Bielefeld 2008 S 64-69100 Vgl Babich Babette Nietzsche Heideggers Widerstand In Alfred Denker u Holger Zabo-
rowski (Hg) Heidegger-Jahrbuch 5 Heidegger und der Nationalsozialismus II Interpreta-tionen S 397-416
101 Rudolph Heideggers Schwarze Hefte im Echo S 146102 Vgl Fuchs Christian Martin-Heideggerrsquos anti-Semitism Philosophy of technology and the
media in the light of the ldquoBlack Notebooksldquo Implications for the reception of Heidegger inmedia and communication studies In tripleC Communication Capitalism amp Critique 13(1) (2015) S 55-78 hier S 74 Anstatt dessen pocht Fuchs auf die alternative Verwendungder Kritischen Theorie uumlber Fragestellungen zur Technik
25
It seems to me that Heideggerrsquos fetishism is often lrsquoart pour lrsquoart Heideg-ger pour Heidegger a tactic that aims at creating an aura of complexity byevoking Heidegger although the same content could be expressed withouthim103
Fuumlr Trawny waumlre dies ein bdquoperformativer Widerspruch [] stets daran zu erin-
nern Heidegger vergessen zu sollenldquo104 Quo vadis Heidegger
Die objektive Antwort Rudolphs der an den Commonsense und die Beweis-
last der Anklage glaubt wie auch der subjektive Appell Fuchs der es zur mora-
lischen Entscheidung des Einzelnen macht Heidegger zu vernachlaumlssigen setzen
aktuell die Jahrzehnte alte Tradition der Heidegger-Kontroverse fort Ein im Sep-
tember 2016 erscheinender Sammelband wird zusaumltzlich die Debatte mit neuen
Bewertungen anreichern105
In diesem Kapitel soll es nicht um die direkte Einreihung in eine der bestehen-
den Polemiken gehen sondern um den Versuch der Betrachtung der spaumlten Tech-
nikphilosophie Heideggers als mythopoetische Dichtung in seinem Sinne des
Philosophierens Als exemplarisches Werk ruumlckt damit das Vortrags-Geviert der
Bremer Vortraumlge ins Zentrum der Anschauung106 Hier wird davon ausgegangen
103 Ebd S 73104 Trawny Heidegger und der Mythos der juumldischen Weltverschwoumlrung S 141105 Heinz Marion und Kellerer Sidonie (Hg) Martin Heideggers raquoSchwarze Heftelaquo Eine
philosophisch-politische Debatte Berlin 2016 (im Druck) Aus dem Klappentext diesesTitelsbdquoOffene antisemitische Aumluszligerungen in diesen Denktagebuumlchern haben in der nichtakade-
mischen Oumlffentlichkeit fuumlr Empoumlrung gesorgt Die entscheidende Frage ist jedoch welcheVeraumlnderungen der Perspektive auf Heideggers Denken insgesamt sich dadurch ergebenund ob damit zugleich eine Neubewertung des Gesamtwerks eines der einflussreichstenPhilosophen des 20 Jahrhunderts noumltig istldquoEine der Herausgeberinnen des Bandes Sidonie Kellerer ist zudem an einem anlaufenden
fuumlnf jaumlhrigen Forschungsprojekt an der Universitaumlt Stuttgart im Rahmen des StuttgartResearch Centre for Text Studies beteiligt Heidegger und die Postmoderne Geschichteeiner Irrefuumlhrungiquest Sie und der Stuttgarter Literaturwissenschaftler Claus Zittel werden Hei-deggers ideologische Verstrickungen in den Nationalsozialismus untersuchen die textlichrekonstruierbar aber nachtraumlglich geklittet worden waumlren bdquoSo konnte die Wissenschaft-lerin Dr Sidonie Kellerer anhand des Vortrages Die Zeit des Weltbildeslsquo erstmals 1950veroumlffentlicht [sic] dass zahlreiche Passagen nachtraumlglich so modifiziert wurden dass dieurspruumlngliche Apologie des Nationalsozialismus nunmehr als Kritik am Regime gedeutetwerden konnte Die 2014 erschienenen Schwarzen Heftersquo mit persoumlnlichen AufzeichnungenHeideggers bestaumltigen zudem wie tief verankert in seiner Philosophie Rassismus undNationalsozialismus waren und bliebenldquo(httpwwwuni-stuttgartdehkompresseservicepressemitteilungen201567_kellererhtmlzuletzt abgerufen am 1442016)
106 Von einer umfassenderen Analyse der Schriften Heideggers zur Technik muss aus Platzgruumln-den abgesehen werden Die Voumlrtraumlge vom Ge-stell der Technik der Kehre und dem Dingsind vor allem wegen ihres Publikationszeitraums interessant da sie direkt an die Dokumen-
26
dass Heidegger den Versuch der abgrenzungspolitischen Einflussnahmemacht ge-
maumlszlig der oben dargelegten Ressentiments die sich in einer Mythologisierung des
Abendlandes niederschlagen Um seinem Ideal des dichtenden Denkens als Philo-
sophieren nachzukommen will Heidegger diese Einschreibung des Abendlandes
mythopoetisch vollfuumlhren
Grundsaumltzlich ist Verbindung und Trennung Heideggers boumlser Schwarzer Hef-
te mit und von seiner guten Technikphilosophie das Schlachtfeld aktueller De-
batten Wie bereits darauf hingewiesen werden hier Schwarze Hefte und Veroumlf-
fentlichungen wie eben in Form der Bremer Vortraumlge als ein kontinuierlicher
Arbeitsprozess gesehen Es gibt insofern nur einen Heidegger und keine gespal-
tene Persoumlnlichkeit Die Siegener Philosophin Sodonie Kellerer stellt dies anhand
Heideggers Selbstsicht luzide dar
Seine immer wiederkehrende Beschwoumlrung des Werkeslsquo und seine an diver-sen Stellen der bislang vorliegenden Briefkorrespondenz artikulierten Be-muumlhungen dieses Werklsquo fuumlr die Nachwelt zu sichern [Kellerer bezieht sichhier ua auf Heideggers Briefwechsel mit seiner Frau der 2007 veroumlffentlichtwurde DS] verdeutlichen wie sehr er seine Texte als ein Ganzes verstandin dem keines der Teile entbehrliche Wiederholung geschweige denn irrele-vante Eroumlrterung ist107
Dabei allerdings wird die Frage offen bleiben mit welchem Maszlig er sich selbst ge-
faumlhrdet sah seine Ansichten oumlffentlich zu vertreten und welche Konsequenzen er
dabei fuumlrchtete Denn er musste die Vortraumlge kodieren ndash was er im Sinne der My-
thopoetik auch macht ndash und mit Einigem hinterm Berg halten108 Dass es dabei
verschiedene Offenbarungsebenen gibt wird hier erst einmal hingenommen Es
interessieren staumlrker nachweisbare Bezuumlge des Entwurfsdenkens Heideggers zur
Oumlffentlichkeitsarbeit von ihm109
te der Schwarzen Hefte anschlieszligen (1948 der letzte Band der Schwarzen Hefte umfasst denZeitraum 1942-1948)
107 Kellerer Sidonie Kampf der Besinnung In Deutsche Zeitschrift fuumlr Philosophie Band 63Heft 5 Seiten 941ndash957 hier S 942
108 Weshalb die Veroumlffentlichung der Schwarzen Hefte auch weitestmoumlglich nach hinten verlegtwurde
109 Wuumlrde man dem entgegenhalten dass Heideggers vermeintliches Genie aus Formalisierun-gen seiner Gedanken ableitbar eine wichtige Quelle an sich bliebe scheitert dieses damitdass nun die Formalisierungen nicht personenneutral sozial-epistemologisch bestehen koumln-nen Als Vergleich wuumlrde man aus Hitlers und Goumlbbels Reden Formalisierungen isolierenlieszlige sich bestimmt die eine oder andere plausible Idee entwenden (wenn sie voumlllig dekon-
27
Hierzu wird der Text der gesamten vier Vortraumlge unter dem Titel Einblick
in das was ist Bremer Vortraumlge 1949lsquo110 aus dem 1994 veroumlffentlichten 79 Band
der GA zugrunde gelegt Das hat den Grund dass davon ausgegangen wird dass
der Text somit am naumlchsten an den 1949 tatsaumlchlich vorgetragenen Manuskripten
liegt Insofern ist eine realistische Annaumlherung an eine mythopoetische Uumlbertra-
gung der Schwarzen Hefte in die Bremer Vortraumlge 1949 das Ziel Demgegenuumlber
gibt es ob der virulenten Publikationspraxis von Heideggers Schriften111 noch
andere Auskopplungen der vier Vortraumlgsteile mit den Titeln Das Dinglsquo Das Ge-
Stelllsquo Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo
31 Zur Publikationsgeschichte von den
Bremer Vortraumlgen 1949
Zuerst erschien 1954 im Neske-Verlag (Pfullingen) ein Sammelband der lediglich
den ersten Vortrag Das Dinglsquo enthaumllt allerdings in leicht erweiterter Fassung
so wie er ein halbes Jahr nach dem Bremer Auftritt in Muumlnchen (1950) an der
Akademie der Schoumlnen Kuumlnste gehalten wurde112 Dem Band hinzugefuumlgt ist aber
zudem ein Vortrag der vornehmlich die Kernaussagen von Das Ge-Stelllsquo und
Die Gefahrlsquo verbindet allerdings in modifizierter Form Dieser wurde unter dem
textualisiert wuumlrde) Ist aber die wahre Verbindung zu Hitler und Goumlbbels hergestellt hatman selbstverstaumldlich die Verantwortung zu tragen an dem ganzen Tross von unmoumlglichenVerfehlungen dieser Menschen die sie fuumlr uns zu Personae non gratae stempeln muumlssen
110 GA 79111 Hierauf macht auch der Darmstaumldter Philosoph Gernot Boumlhme aufmerksam als Akt ei-
ner bdquoposthumen Selbstinszenierungldquo in Boumlhme Gernot Selbstinszenierung uumlber Ruhmin der Philosophie In Information Philosophie (Online Ausgabe 12015) URL=lthttpwwwinformation-philosophiedea=1ampt=8232ampn=2ampy=5ampc=29gt zuletzt ab-gerufen am 2442016)
112 Heidegger Martin Das Ding In Ders Vortraumlge und Aufsaumltze Pfullingen 1954 S 163ff
28
Titel Die Frage nach der Techniklsquo113 am 18 November 1953 an der TUMuumlnchen
gehalten
Eine weitere Auskopplung diesmal des letzten Vortragsteils Die Kehrelsquo fin-
det sich in einem broschuumlrenformatigen Band wiederum im Zusammenspiel mit
dem Vortrag Die Frage nach der Techniklsquo in Die Technik und die Kehrelsquo114 von
1962 wieder Somit wurden die Vortraumlge Das Ge-Stelllsquo und Die Gefahrlsquo lange
Zeit nicht veroumlffentlicht sondern als vermischter und modifizierter Text eben
Die Frage nach der Techniklsquo jeweils zusammen mit Das Dinglsquo (1954) und Die
Kehrelsquo (1962) angeboten115 In der Vorbemerkung zu Die Technik und die Keh-
relsquo wird diese kleine Chronologie leicht verfaumllscht auch aufgezeigt Darin heiszligt
es ferner dass Die Frage nach der Techniklsquo eine erweiterte Fassung von Das Ge-
Stelllsquo waumlre Dem ist wie schon gesagt nicht so Sondern es ist eine modifizierte
Vermischung von Das Ge-Stelllsquo und Die Gefahrlsquo was unschwer zB am Begriff
vom bdquoHer-vor-bringenldquo116 zu erkennen ist der in Die Gefahrlsquo eingefuumlhrt wird
und in Die Frage nach der Techniklsquo die gleiche Bedeutungskonstituente bildet
Mit der Veroumlffentlichung des 79 Bandes der GA 1994 wurden alle vier Bremer
Vortraumlge von 1949 publiziert In Band 11 der GA erschien 2006 auszligerdem Die
Kehrelsquo in ihrer urspruumlnglichen Fassung Die Frage nach der Techniklsquo enthaumllt
weniger mythopoetische Teile als Das Dinglsquo und operiert demgegenuumlber staumlrker
anhand klassisch philosophischer Allgemeinplaumltze Derer sind vor allem zu nen-
113 Heidegger Martin Die Frage nach der Technik In Ders Vortraumlge und Aufsaumltze Pfullingen1954 S 9ff (Der Aufsatz erschien ebenfalls 1954 im Sammelband der Vortragsreihe DieKuumlnste im technischen Zeitalter Heidegger Martin Die Frage nach der Technik In DieKuumlnste im technischen Zeitalter Dritte Folge des Jahrbuchs Gestalt und Gedanke Hg v dBayrischen Akademie der Schoumlnen Kuumlnste Muumlnchen 1954 S 70ff)
114 Heidegger Martin Die Technik und die Kehre Pfullingen 1962115 Beide Baumlnde Votraumlge und Aufsaumltzersquo sowie Die Technik und die Kehrersquo haben hohe Aufla-
genzahlen (Uumlbersetzungen wurden hier nicht recherchiert wobei es aber eine internationa-le Heidegger-Rezeption gibt) 1993 wurde der Pfullinger Neske-Verlag von dem StuttgarterHaus Klett-Cotta uumlbernommen was die Buumlcher aber unveraumlndert belaumlsst Vortraumlge und Auf-saumltzelsquo zaumlhlt seit 2009 die 11 Auflage Die Technik und die Kehrelsquo seit 2014 die 13 BeideBaumlnde sind vergriffen Es mutet unverstaumlndig an weshalb eine fehlerhafte Jahresangabe ausder ersten Veroumlffentlichung von Die Technik und die Kehrelsquo bis 2014 kolportiert wurdeDort steht der Vortrag Die Frage nach der Techniklsquo waumlre am 18 November 1955 gehaltenworden Der Vortragstermin war aber am 18 November 1953
116 Vgl GA 79 S 64 Und Heidegger Die Technik und die Kehre S 11
29
nen die Auflistung der bdquovier Ursachenldquo117 nach Aristoteles und die Kritik an der
Technik als bdquoein Mittel zu Zweckenldquo118 (Kausalitaumlt)119
Der Vortrag Das Dinglsquo galt Heidegger bei der Darbietung seiner Technikphi-
losophie nach dem Zweiten Weltkrieg allerdings als unentbehrlich ndash und damit
seine groszligflaumlchige Aufblaumltterung der Mythopoetik wie im folgenden Kapitel hier
gezeigt wird Denn im Vortrag Die Frage nach der Techniklsquo benutzt Heideg-
ger noch immer seinen mythopoetischen Topos vom Versammeln des Gebirges
der mit dem Versammeln eine Konstituente des Gevierts ist (bdquoErde und Himmel
die Goumlttlichen und die Sterblichenldquo120) (su)121 Fuumlr die Kaumlufer und Leser von
der spaumlteren Veroumlffentlichung Die Technik und die Kehrelsquo wird zudem in Die
Kehrelsquo extra auf den Vortrag Das Dinglsquo in der 1954er Ausgabe in Vortraumlge und
Aufsaumltzelsquo verwiesen122 Das zeigt wie wichtig und unerlaumlsslich Heidegger seine
mythopoetische Denkweise der Technik ist Auch wenn er in Die Frage nach der
Techniklsquo einen allgemeineren und offeneren Ansatz entwickelt hat der dadurch
auch leichter zu erschlieszligen ist
32 Die mythopoetische Spiegelung der Schwarzen
Hefte in den Bremer Vortraumlgen von 1949
321 Das Dinglsquo
In dem Vortrag Das Dinglsquo der 1949 vor dem privaten Club zu Bremen dort im
Neuen Rathaus das Vortragsquartett einleitete fuumlgt Heidegger mythopoetisch
zusammen was folgenden Topoi seiner Schwarzen Hefte aus Kap 221 entspricht
117 Heidegger Die Technik und die Kehre S 6118 Ebd S 6119 Diese Topoi versucht Heidegger in dem Text zu zersetzen und ihnen ein aletheisches Prin-
zip des Entbergens der Technik entgegenzusetzen Dies erfolgt wiederum auch anhand derVerwendung von mythopoetischen Teilen Darauf kann hier aber nicht weiter eingegangenwerdenAls weitere Gemeinsplaumltze (die er teils unterstuumltzend teils zur Zersetzung einfuumlgt) handelt
der Text auch mit Zitaten von Platon Heisenberg J P Hebel und Goethe120 Ebd S 12121 Vgl GA 79 S 11 Und Heidegger Die Technik und die Kehre S 19122 Vgl Heidegger Die Technik und die Kehre S 42f
30
1 die antirationale Wissenschaftsfeindlichkeit 2 der Mythos des Goumlttlichen 3
das Griechentum uumlber dem Roumlmertum 4 die Zahlenmystik (anhand des Spiegel-
Spiels des Gevierts ndash su) 5 das geschichtsbesinnliche Prinzip der Aletheia
Heidegger stellt zuerst die Frage nach dem Ding und will sie daraufhin ver-
anschaulichen mittels der Metapher des Kruges dh mit dem Krug als ein exem-
plarisches Ding Er fuumlhrt dann vor (was der Geste eines Zauberkuumlnstlers aumlhnelt)
wie der leere Krug gefuumlllt wird ndash Luft weicht der Fluumlssigkeit Dieses Sachverhaumllt-
nis aber ist fuumlr ihn Halbpoesie und eine Angabe aus der Physik sie verfehle das
vermeintliche Wesen des Kruges
Die Wissenschaft stellt durch sie [die Angabe der Physik DS] etwas Wirk-liches vor wonach sie sich objektiv richtet Aber ndash ist dieses Wirkliche derKrug Nein DieWissenschaft trifft immer nur auf das was ihre Art des Vor-stellens im vorhinein als den fuumlr sie moumlglichen Gegenstand zugelassen hat[] Die Wissenschaft macht das Krug-Ding zu etwas Nichtigem insofernsie Dinge nicht als das Maszliggebende zulaumlszligt123
Als ein wirkmaumlchtiges Beispiel das ihm sicherlich viel Beachtung uumlber die
Jahrzehnte seit ihrer Zuumlndung in Japan hinweg einbrachte fuumlhrt Heidegger die
Atombombe an Diese sei zu verstehen als verdinglichte Wissenschaft die das
Ding vernichten wuumlrde
Deren Explosion ist nur die groumlbste aller groben Bestaumltigungen der langherschon geschehenen Vernichtung des Dinges dessen daszlig das Ding als Dingnichtig bleibt124
Er buumlndelt damit Wissenschaft und Verkennung des Wesens als maszliggebend mit
dem Ding als sein machenschaftliches Prinzip der zerrechnenden Zerstoumlrung Drei
Jahre nach Kriegsende war der buumlrgerlich-elitaumlre Kreis in Bremen sicherlich be-
wegt von dieser Wortgewalt Diese jedoch suchte ja ihr Heim Harmonie Ruhe
in dem Haus als Wesen der Sprache
Und so faumlhrt Heidegger fort und ersetzt das physikalische Prinzip des Inhalts-
wechsels von Luft zu Wein in ein bdquoGeschenk des Gussesldquo als Spende und Opfer
den Goumlttern (2)125
123 GA 79 S 8124 Ebd S 9125 Vgl Ebd S 11f
31
Der Guszlig ist der den unsterblichen Goumlttern gespendete Trank [] Der ge-weihte Trank ist das was das Wort Guszliglsquo eigentlich nennt Spende und Op-fer Guszliglsquo gieszligenlsquo lautet griechisch χέειν indogermanisch ghu Das bedeu-tet opfern
Hier spielt bereits der Ursprungsmythos der Griechenmit ein (3) es ist aber auch
ein Bezug auf das Geviert Dieses waumlre ein System ein zusammen Gestelltes aus
bdquoErde und Himmel die Goumlttlichen und die Sterblichenldquo126 Im Guszlig des Trunkes
weilten gemeinsam diese Vier als emblematische Verbindung
Das im Geschenk Versammelte sammelt sich selbst darin das Geviert ereig-net zu verweilen Dieses vielfaumlltig einfache Versammeln ist das Wesen desKruges Unsere Sprache nennt was Versammlung ist in einem alten WortDies lautet thing127
Das Geviert zehrt von der Zahlenmystik zum einen als die Versammlung der
vier Begriffe an sich zum anderen da Heidegger ihnen eine Spiegel-Funktion
zuschreibt bdquoJedes der Vier spiegelt in seiner Weise das Wesen der uumlbrigen wie-
derldquo128 und ferner weil er damit auf sich selbst dh auf sein Vortrags-Geviert
verweist (4) Wie in Kap 21 schon gesagt lebt der Mythos von seiner Verbind-
lichkeit Diese legt Heidegger allen nah die sie verinnerlichen wollen bdquoSagen wir
die Sterblichen dann denken wir falls wir denken die anderen Drei mit aus der
Einfalt der Vierldquo129
Sollte der Vollzug der Praxis des sukzessiven Mitdenkens aller vier Geviert-
Entitaumlten gelingen koumlnnte das Ereignis der Aletheia begriffen werden (5) bdquoDas
Spiegel-Spiel von Welt ist der Reigen des Ereignensldquo130 Diese wird aber auch be-
griffen in Abgrenzung von dem Roumlmertum (3) denn in der bdquorealitas der resldquo
haumltten die Roumlmer bdquoihr Erfahrenes niemals eigens in seinem Wesen gedachtldquo131
Das waumlre den Griechen vorzubehalten und vom verstaumlndig denkenden Deutschen
wiederzubeleben
126 Ebd S 12127 Ebd S 13128 Ebd S 18129 Ebd130 Ebd S 19131 Ebd S 15
32
Der Krug ist ein Ding weder im Sinne der roumlmisch gemeinten res noch imSinne des mittelalterlich vorgestellten ens noch gar im Sinne des neuzeitlichvorgestellten Gegenstandes [] Der Krug ist Ding insofern er dingt132
Die Bindung an das deutsche Wort bdquoDingldquo das er spielerisch auch ins Englische
Romanische und Franzoumlsische uumlbersetzt ist unerlaumlsslich fuumlr seine ethymologi-
sche Argumentation In der ist der bdquoGuszligldquo ruumlckgefuumlhrt auf indogermanisch bdquoghuldquo
und das bdquoDingldquo auf das mittelhochdeutsche bdquothingldquo So konnten antik die Roumlmer
von den Griechen abgrenzt werden und modern die anderen drei Sprachen vom
Deutschen Das englische sich sehr nah am bdquothingldquo befindliche bdquothingldquo wird mit
dem Roumlmischen ausgespielt
Im Englischen hat thing noch die erfuumlllte Nennkraft des roumlmischen Wor-tes res bewahrt [] dh ein aus sich kommendes den Menschen Angehen-des133
Fuumlr Heidegger geht es beim bdquothingldquo aber um die mittelhochdeutsche Uumlbersetzung
der Versammlung Darauf beruht sein gesamter Systemansatz mit Geviert und
Ge-stell
Schulz-Nieswandt fuumlhrt diese Zusammenstellung zum Bejubeln von Heideg-
gers Mythopoetik
So fundamental sieht Heidegger die Welt Die Quelle des Wassers wird zurHochzeit von Himmel und Erde das Gieszligen des Wassers aus dem Krugzum Geschenk Auch Sprache ist daher kein Instrument sondern Ort desWohnens des Menschen Sprache wird zum Haus des Seinslsquo134
Hier bestaumltigt die Untersuchung des Ding-Vortrags die These von einer mytho-
poetischen Einschreibung der nationalistischen voumllkischen Abgrenzungs-Mythologie
aus den Schwarzen Heften
322 Das Ge-Stelllsquo
Der zweite Vortrag des Reden-Gevierts setzt ein mit der Metapher des fehlen-
den Abstands Wo kein Abstand sei da waumlre auch keine Naumlhe so Heidegger Er
132 Ebd S 16133 Ebd S 14134 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei Walter
F Otto S 59
33
verbindet die Abstandslosigkeit mit Urbanitaumlt und Verkehr alles fluktuiere Es
waumlre der Bestand der sich bestelle in dem das Abstandlose herrsche Das sind
neue Metaphern fuumlr die Machenschaft In seiner Erzaumlhlung vom Ge-Stell gibt es
bedeutend weniger mythopoetische Passagen als in dem vorangegangenen Vor-
trag Allerdings uumlbertraumlgt er den mythopoetischen Gehalt der Rede vom Ding
bereits im ersten Absatz von Das Ge-Stelllsquo mit dem Credo bdquoNaumlhe west insofern
das Ding dingtldquo135 Mit dieser Verbindung wird klar unter welchem Zeichen Hei-
degger die Rede vom Ge-Stell verstanden wissen will ndash als verlorenes Verhaumlltnis
des voumllkisch-traditionell verwurzelten Menschen mit den vermeintlichen Wesen
all seiner Gebrauchsobjekte in der mythopoetischen Formel des sich spiegelnden
Gevierts
Nahezu nuumlchtern erzaumlhlt Heidegger dann von dem Gefaumlngnis des Menschen
im Wesen der zirkulierenden sich immer neu bestellenden Bestandstechnik des
Ge-Stells Dabei scheinen folgende Mythen aus den Schwarzen Heften hindurch ndash
1 bdquoHistorie die Technik der Geschichtelsquo Technik die Historie der Naturlsquoldquo136
2 das historische Tier 3 der Appell an den Auftrag des Deutschen 4 der geschicht-
liche Mensch muss die Historie und damit die Technik uumlberwinden und 5 die
alles zernichtende Machenschaft des juumldischen Wesens
Den Topos der seinsvergessenen Groszligstadt jedenfalls kontrastiert er mit der
Bauerndorfidylle Da aber bdquodas Abstandlose herrschtldquo137 waumlre das Vorruumlcken der
Maschinentechnik bereits universell So in Form des Traktors Schon in Band
96 der Schwarzen Hefte beklagt er dieses bdquozum elektrischen Pflug [] gehoumlrt
das amerikanisch aufgemachte Magazinlsquoldquo Insofern erfolge die bdquoAngleichung der
Sitten der Bergbewohner an diejenigen des groszligstaumldtischen Sport- und Barbe-
triebsldquo138
Sein erster Land-Stadtvergleich betrifft den Bauern dessen Totenruhe tradi-
tionell in einem sg bdquoTotenbaumldquo (Sarg) stattgefunden haumltte ndash bdquoIn ihm gedeiht
der Tod des Totenldquo139 Dem gegenuumlber klingt in der bdquomotorisierten Bestattungs-
135 GA 79 S 24136 GA 95 S 351137 GA 79 S 24138 GA 96 S 54139 GA 79 S 26
34
industrie der Groszligstadtldquo140 bereits Heideggers pietaumltsloser Gaskammernvergleich
an
Ackerbau ist jetzt motorisierte Ernaumlhrungsindustrie im Wesen das Selbewie die Fabrikation von Leichen in Gaskammern und Vernichtungslagerndas Selbe wie die Blockade und Aushungerung von Laumlndern das Selbe wiedie Fabrikation von Wasserstoffbomben141
Hier wird davon ausgegangen dass es eine Uumlbertragung der Notizen uumlber
das deutsche Land als bdquoeinziges KZldquo ist die Unterdruumlckung des deutschen Vol-
kes durch die bdquoWeltdemokratieldquo die schlimmer sei als die Graumlueltaten der bdquoGas-
kammernlsquoldquo142 In die mythopoetische Formel von dem dingenden Ding aus dem
ersten Vortrag sind alle Valenzen eingeschrieben die es zur Aufgabe des abendlaumln-
dischen Deutschen (also als Nachfolger der alten Griechen) machen das Wesen
des Dings und somit der Technik zu huumlten Die Verantwortung fuumlr Genozid
Massenvernichtungswaffen und den Mangel im Nachkriegsdeutschland schreibt
Heidegger gleichfoumlrmig dem Prinzip der Abstandslosigkeit zu
Auch die Rede von der Habgier des Berechnenden ist ein bereits bekannter
Vorbehalt Heideggers anhand der Rede vom raffgierigen Juden Denn er sagt von
der bdquoHerrschaft des Abstandlosenldquo dass sie bdquodie Hab-gier des vorstellenden Be-
rechnensldquo waumlre143 Das entspricht seinem Mythos von der alles zernichtenden
Machenschaft des juumldischen Wesens144
Dann folgt eine lange Elegie uumlber das Bestellen des Bestands des Ge-Stells
bdquo[d]ie Kette des Bestellens laumluft auf nichts hinaus sie geht vielmehr nur in ihren
Kreisgang hineinldquo145 uumlber 19 Seiten des 21 seitigen Vortragsexts hinweg entwirft
Heidegger diverse Bilder wie das Ge-Stell die Natur das Hergestellte den Men-
schen und das Verstandesmaumlszligige vereinnahme und das Wesen desDings gleichsam
zur Veruntreuung bringen wuumlrde Wiederum poetisch orientiert kontrastiert also
140 Ebd141 Ebd S 27142 GA 97 S 99f143 Vgl GA 79 S 25144 Vgl Machenschaft hier S 29 und Geraff hier S 33145 GA 79 S 29
35
Heidegger Houmllderlins Hymne Der Rheinlsquo mit dem Rhein dessen Stroumlmung fuumlr
ein Stromkraftwerk genutzt wird
Achten wir um das Ungeheure das hier waltet zu ermessen nur auf einenAugenblick auf den Gegensatz der sich in den beiden Titeln ausspricht DerRhein verbaut in das Kraftwerk ndash der Rheinlsquo gesagt in der gleichnamigenHymne Houmllderlins146
Die Differenz also waumlre das Ungeheure147 Dabei waumlre der Rhein verbaut in das
Kraftwerk Aumlhnlich wie Kohle Erze und Rohoumll waumlren sie Bestand der bdquobesteht
im Bestellenldquo ndash bdquoDas Bestellen waumlre demnach lediglich eine Machenschaft des
Menschen vollzogen in der Weise der Ausbeutungldquo148
Das Bild des Wasserkraftwerks wird erweitert um den Begriff des Menschen
Elektrizitaumlt mit Wasserkraft erzeugen bdquokoumlnnen die Menschen [] nur insofern
sie selber schon in dieses Bestellen bestellt sindldquo149 Mit diesem Bild versucht Hei-
degger praktisch zu veranschaulichen dass Entwurf Umsetzung und Einsatz ei-
ner technischen Anlage den Menschen in ein entruumlcktes Verhaumlltnis zum Wesen
des dingenden Dings setze ndash bdquoDer Mensch ist darum der Angestellte des Bestel-
146 Ebd147 Das ist zusaumltzlich zu dem gemeinten Gegensatz ein Vergleich mit dem Heidegger dem Wort
bdquoRheinldquo in die Hymne Der Rheinlsquo gesprochen eine Energie erzeugende Wirkung zu-schreibt eben so wie das Kraftwerk Strom erzeugen wuumlrde Das wird klar dadurch dassHeidegger metaphorisch vom Stellen des Wortes bdquoRheinldquo in die Hymne spricht Es handeltsich um einen Appell zur denkerischen Besinnung Dass Heidegger dafuumlr eine technischeAnlage zur Veranschaulichung inspirierend wirken laumlsst spielt bereits in die Richtung derBegriffe bdquoHer-vor-bringenldquo bdquoEntbergenldquo und spielt auf das Alteheia-Prinzip an Darauf wirdweiter unten anhand Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo eingegangen werden Es handelt sich umdas Angebot eines mythopoetischen Umgangs mit Technik insbesondere wenn sie sich inheimische Gefilde einfuumlgtHeute koumlnnte man mit Windraumldern ebenso verfahren Somit koumlnnte aber auch Heidegger
als ein gewisser Quijana aus Mancha verstanden werden eben der Protagonist aus Miguel deCervantes Roman Don Quichote von der Manchalsquo der mit seinem von ihm flux auch um-benannten Klepper (weil er zuvor sich selbst in Don Quichote umtaufte) Rocinante Riesenbezwingen will um mit dieser Heldentat unsterblichen ritterlichen Ruhm zu erstreitenAuch Don Quichote fand seine Riesen in Windmuumlhlen und auch Don Quichote war uumlber
eine uumlbertriebene Auseinandersetzung mit einer verschuumltteten Kultur dieser verfallen undsuchte diese in seiner Aventuumlre zu reaktualisieren Martin Heideggers mythopoetisches Pro-gramm ist tatsaumlchlich stark mit Don Quichotes Motiv vergleichbarFerner waumlre eine Auseinandersetzung mit Heideggers Werk unter Beruumlcksichtigung sei-
ner Gewichtung der Vorsokratiker und Houmllderlin als mythopoetischen Autor eine moumlglicheForschung zum Thema Anachronismen in Konzepten von Moral und gesellschaftlicher An-gemessenheit (Vgl Cervantes Miguel de Don Quichote von der Mancha Herausgeben unduumlbersetzt v Susanne Lange Muumlnchen 2008 S 33f)
148 GA 79 S 29149 GA 79 S 30
36
lensldquo150 Schon vorher wies Heidegger darauf hin bdquo[d]ie Herrschaft des Gegen-
staumlndigen sichert nicht den Abstandldquo151 Jetzt heiszligt es
Das Bestellen befaumlllt nicht nur die Stoffe und Kraumlfte der Natur mit Gestel-lung Das Bestellen befaumlllt zugleich das Geschick des Menschen Das Wesendes Menschen wird daraufhin gestellt das Bestellen in menschlicher Weisemitzuvollziehen152
Der Begriff des Ge-Stells wird daraufhin so konstruiert dass es im Bestellen
um ein Stellen (Herausfordern) alles bdquoAnwesenden als Bestandldquo als bdquoversus unumldquo
gegen bdquodas Eine Ganzeldquo gehe153 In wiederum mythopoetischer Formulierung ge-
baumlre die bdquoVersammlung des Stellens worin alles Bestellbare in seinem Bestand
west das Ge-Stellldquo154 Der Begriff bdquoVersammlungldquo wird einen Absatz zuvor my-
thopoetisch wieder an die Versammlung also das thing eben das wesenhafteDing
angelehnt und somit wie zu Das Dinglsquo bereits oben erlaumlutert in einen deutsch-
abendlaumlndischen Kontext gestellt (3)
Wir nennen die Versammlung der Berge die von sich her einig und nienachtraumlglich schon gesammelt ist das Gebirge Wir nennen die Versamm-lung der Weisen nach denen uns so zumute ist und sein kann das Gemuumlt155
Allerdings ist obiges Versammlungsmodell hier als Kontrast zu sehen zu dem
bdquoGeraff des Getriebesldquo das das Ge-Stell darstellt als bdquoWesen der Technikldquo156 Hei-
degger sieht in der Gleichfoumlrmigkeit die zum Wesen des Technik als Ge-Stell
150 GA 79 S 30151 GA 79 S 25152 GA 79 S 31153 Vgl GA 79 S 32154 GA 79 S 32155 Ebd
Das Wort ldquoGemuumltrdquo hat ferner eine ausschlieszliglich deutsche Praumlgung gibt es doch keinedirekte Uumlbersetzungen Gemuumlth ist ferner ein nicht eindeutig umrissener Begriff (Vgl Kra-mer Cheryce A Foolrsquos Paradise The Psychiatry ofGemuumlth in a Biedermeier Asylum Chica-go 1998 S 19) Die Bedeutung im Deutschen selbst ist zudem sehr variabel hat aber zumeistmit Seelen- oder Geistkonzepten zu tun ndash Cheryce von Xylander (geb Kramer) uumlbersetztGemuumlth mit bdquosoul-organldquo (ebd S 43) das von diversen Autoren unterschiedlich konstru-riert wird (zB von Kant geistigkoumlrperlich und von Kleist individuellkollektiv (vgl ebdS 41)) In Heideggers emblematischem Duktus scheint eine Vermischung von allen vier Di-mensionen geistigkoumlrperlich wie auch individuellkollektiv stattzufinden Es ist auf jedenFall dem Mythos geschuldet den Auftrag des Deutschen anzunehmen (3)
156 GA 79 S 33
37
gehoumlre die planetarische Abloumlsung und Aufhebung des traditionellen und damit
wesenhaft ans Ding gebundenen Verhaumlltnisses vom Menschen zur Erde (das von
ihm idealisierte voumllkische Bauerntum das Bestellen des Ackers) bdquoDie Bestand-
Stuumlcke sind Stuumlck fuumlr Stuumlck die Gleichenldquo157 So kontrastiert er alte Handwerks-
techniken mit Maschinentechnik und schreibt der Maschinentechnik die machen-
schaftliche Verdraumlngung als Geraff zu
Das Ge-Stell hat auch wenn das nicht unmittelbar und nicht sogleich ver-nehmlich wird im vorhinein schon alle diejenigen Stellen beseitigt an denenvormals Spinnrad und Wassermuumlhle standen Das Ge-Stell bestellt durch sei-ne Maschinerie zum voraus eine andere Art und Ordnung von Stellen Andiesen kommt nur zu Stand was als Bestellbares auf der Stelle gleichfoumlrmigzur Stelle steht
Darum ist auch die Art wie die Maschine selbst etwas herstellt einewesentlich andere als das handwerkliche Tun gesetzt daszlig es innerhalb desGe-Stells uumlberhaupt noch so etwas wie ein Herstellen gibt
Die Traktoren und Kraftwagen werden herausgebracht ausgeworfen se-rienweise Stuumlck fuumlr Stuumlck Wo drauszligen steht dieses so Herausgestellte Wo-hin in welchen Stand ist es gebracht158
In dieser Klage uumlber den technischen Wandel der durch den Fortschritt in
alle Lebensbereiche Einzug haumllt versucht Heidegger zu veranschaulichen wel-
chen Verlust es zu erkennen gelte Ein Versuch diesem entgegen zu treten ist die
von ihm vorgetragene Mythopoetik die er in diesem Vortragsteil seines Vortrags-
Gevierts allerdings auffaumlllig zuruumlckgestellt sein laumlszligt War der Einleitungsteil Das
Dinglsquo schlieszliglich eine nahezu einzige mythopoetische Darbietung Dramatur-
gisch wird Heidegger in Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo die mythopoetischen For-
mulierung als Loumlsungswege wieder Bedeutung geben In Das Ge-Stelllsquo versucht
Heidegger hingegen Vorstellungen aus seinen Schwarzen Heften aumlhnlich der fol-
genden mitzuteilen die das Uniforme Gleichfoumlrmige betreffen
Die Macht der Machenschaft ndash die Vernichtung sogar der Gottlosigkeit dieVermenschung des Menschen in das Tier die Vernutzung der Erde die Ver-rechnung der Welt ndash ist in den Zustand der Endguumlltigkeit uumlbergegangenUnterschiede der Voumllker Staaten Kulturen sind nur noch Fassade159
157 GA 79 S 36158 GA 79 S 35159 GA 96 S 52f
38
Was Heidegger unter dieser Gleichfoumlrmigkeit versteht schreibt er in den Schwar-
zen Heften zumeist den Amerikanern zu Er nennt es auch haumlufig Planetarismus
Der Amerikanismus [ist DS] die Zusammenraffung von Allem welcheZusammenraffung immer zugleich die Entwurzelung des Gerafften bedeu-tet160
Der Planetarismus ist die historisch gedachte Bestimmung der uumlberall glei-chen die ganze Erde uumlberdeckenden Seinsverlassenheit des Seienden161
Die Gegenuumlberstellung von natuumlrlicher und traditioneller Handwerkstechnik
gegen maschinenhafte Gleichfoumlrmigkeit exemplifiziert Heidegger dann im Vor-
trag Das Ge-Stelllsquo vielfach wie zum Beispiel hier
Der Forstwart zB der im Wald das geschlagene Holz vermiszligt und demAnschein nach noch wie sein Groszligvater in der gleichen Weise die selbenWege geht ist heute von der Holzverwertungsindustrie gestellt Er ist ober es weiszlig oder nicht in seiner Weise Bestand-Stuumlck des Zellulosebestandesund dessen Bestellbarkeit fuumlr das Papier das den Zeitungen und illustrier-ten Magazinen zugestellt wird die uumlber die Oumlffentlichkeit daraufhin stellenverschlungen werden162
160 GA 96 S 257161 GA 96 S 261162 GA 79 S 37f
Die renommierte Theaterautorin Elfriede Jelinek karikiert in ihrem Stuumlck Totenaubergvon 1991 Heideggers Konstrukt von Heimat und Fortschrittsfeindlichkeit verbunden miteiner Auseinandersetzung mit dessen Liebschaft zu Hannah Arend Mit philologischer Prauml-zision polemisiert sie Teile aus Heideggers Elegie uumlber die Technik und laumlszligt ihn dabei alsbeschraumlnktes und eingezwaumlngtes Wesen in einem Gestell gefangen sein Aus diesem heraussoll er Arend Rede und Antwort stehen uumlber sein Verhaumlltnis zum Nationalsozialismus unddie Shoa Doch dieser redet nur naturtrunken von Heimat und berauscht sich daran Derprophetische Denker wird banalisert ndash diese Worte legt Jelinek ihm (im Stuumlck der alte Mann)in den MundbdquoDie Angst vor dem Fragen liegt uumlber dem Abendland Sie bannt die Kandidaten auf ein
Team-Leibchen verbannt sie auf altgewordene Wege und jagt sie zuruumlck ins morsch geworde-ne Gehaumluse ihrer Tore wo es um ihre Ausscheidungen geht Es wird ihnen alles weggenom-men werden auch der Weg selbst Keine Spur kein Lichtschein aus den Ritzen Aber ruf ichin die Huumltte um nach einem zu fragen den ich gekannt hab sehe ich grad noch eine Tuumlrsich schlieszligen Der Wald kommt nicht zur rechten Geltung alles ist entflohen was mir liebwar und woran ich geglaubt hab Was kommt ist noch nicht da Nichts war Ich habe nichtsgehoumlrt Ich erinnere mich nicht aber ich stelle dem Kommenden das mich den lupenreinenAmateur schon vor Beginn des Rennens erlahmen laumlszligt vorsorglich die Hausschuhe vor dieTuumlr Sie sind das Einzige was die Profis des Profits von mir dann vorfinden werden wennsie anklopfen Die Haumlrte des Urgesteins sollte sie nicht entmutigen Die Jahreszeiten machendie Landschaft auf und zu Ich sage nur In dieser scheinbaren Leere will ich vom Denkenmuumld nur schlafen Von der Huumltte aus lassen sich Wanderungen unternehmen Aber auchsonst wird Ihnen alles wie ich sagte genommen werden Auch Ihre Fotos und Namen Unddas Gewesene wird wesenlosldquo ( Jelinek Elfriede Totenauberg Hamburg 1991 S 86f)
39
Die Oumlffentlichkeit ist fuumlr Heidegger ein Topos der dem Denken und Besinnen
entgegenstuumlnde Somit meint er damit zum Einen die Medien wie er es anhand
der Rede von den Bestandstuumlcken in Das Ge-Stelllsquo erklaumlrt wo der Mensch als
Urheber des Ge-Stells als Wesen der Technik nicht gelten soll Vielmehr wuumlrde er
in Ratlosigkeit und Langeweile verfallen weil er in der Bestellung des Bestandes in
Form von Bestandstuumlcken vom Rundfunk keine Besinnung mehr faumlnde dh das
Ganze also wiederum daswesentliche Ding nicht mehr zu fassen vermoumlge163 Und
so toumlnt es bereits aus den Schwarzen Heften von 19391940()
Die Bildlsquo und Tonlsquo ndash Reportagenlsquo der Machenschaft ist der planetari-sche Mythuslsquo des Vollendungsabschnittes der Neuzeit Die Welt des abge-legensten deutschen Bauernhofes wird nicht mehr durch [] die Naturlsquobestimmt in der noch die Erde waltet sondern durch das illustrierte Blattmit der Darstellung von ausgezogenen Tanzweibern von Boxern und Renn-fahrern und sonstigen Heldenlsquo des Tages164
Und ferner notierte Heidegger 1946 in seinen Schwarzen Heften
Uumlberall zerrt es aus dem Oumlffentlichen ins Oumlffentliche mit vielen Strickenund jeder sieht das kaum versuchte Denken des Seyns am Leitband seinesStrickes165
Dabei waumlre eben ein bdquoLiterat [] ein in die Oumlffentlichkeit verliebter Mensch der
Angst vor dem Denker hatldquo166 Dieses liefe dann darauf hinaus dass beim Rund-
funk bdquoein Bestellen und Stellen waltet das in dasWesen des Menschen eingegriffen
hatldquo167
Abermals nach dem Wesen der Technik also nach dem Ge-Stell gefragt geht
Heidegger auf seine Unterscheidung vonNatur undNaturwissenschaft ein bdquo[w]elches
ist das Verhaumlltnis zwischen der Technik und der Naturldquo168 Natur wuumlrde in wis-
senschaftlicher Hinsicht unter das Berechnete fallen sie wuumlrde bdquoals das in Maszlig
und Zahl gestellte Wirkliche vorgestellt das in seinem Gewirkten staumlndig an-
westldquo169 Wenn Heidegger dann Natur aus technischer Sicht bdquoals ein System des
163 Vgl GA 79 S 38f164 GA 96 S 54165 GA 97 S 100166 GA 97 S 126167 GA 79 S 39168 GA 79 S 41169 Ebd
40
Bestellens von Erfolgen aus dem gestellten Wirksamenldquo170 charakterisiert spricht
er von seiner Rede der Verschraumlnkung von Historie und Technik ndash bdquoTechnik die
Historie der Naturldquolsquo171 Dieses ist bekanntlich das seinsvernichtende Gegenstuumlck
zur geschichtlichen Besinnung Denn geschichtliches Walten der Technik ist fuumlr
Heidegger technische Geschichte dh verwissenschaftlichte Geschichte die da-
durch ihr Wesen verloren haumltte (Seynsvergessenheit)172 So heiszligt es in den Schwar-
zen Heften von 1947
Ein Zeitalter das historisch geworden ist dh technisch planend sich selberberechnet und alles in diesen Sog zieht muszlig jede Besinnung nur als eine dervielen Formen der Intellektualitaumlt registrieren173
Heidegger schlieszligt den Vortrag mit dem Aufgriff der Anfangsbehauptung
bdquo[d]er Bestand bestellt das Abstandsloseldquo174 Somit liegt das Problem der ausblei-
benden Naumlhe durch die Technik deren Wesen das Ge-Stell waumlre das den Bestand
bestelle in der Luft Dass dabei der Mensch sogleich Teil des Bestandes und nicht
Teil der Maschine wird laumlsst ihn das historische Tier sein (2)
Der Mensch ist auswechselbar innerhalb des Bestellens von Bestand []Gleichwohl gehoumlrt der Mensch in einer voumlllig anderen Weise in das Ge-Stellals die Maschine DieseWeise kann unmenschlich werden DasUnmenschlicheist jedoch immer noch unmenschlich Der Mensch wird nie zur MaschineDas Unmenschliche und noch Menschentuumlmliche ist freilich unheimlicherweil boumlsartige und verhaumlngnisvoller denn der Mensch der nur Maschine wauml-re175
Wen Heidegger hier ersinnt ist der neuzeitliche Mensch der den bdquoGoumlttern uner-
traumlglich gewordenldquo176 waumlre
170 Ebd171 GA 95 S 351172 In Heidegger Die Technik und die Kehre S 21 stellt er Geschichte und Historie einander
gegenuumlber was er in Das Ge-Stelllsquo nicht vollzieht bdquoDie moderne Technik kam doch erst inden Gang als sie sich auf die exakte Naturwissenschaft stuumltzen konnte Historisch gerechnetbleibt dies richtig Geschichtlich gedacht trifft es nicht das Wahreldquo Signifikant fuumlr Heideg-gers Attributierung so wie sie oben schon geschildert ist steht Historie fuumlrs Rechnen undGeschichte fuumlr das Denken
173 GA 97 S 508174 GA 79 S 44175 GA 79 S 37176 GA 94 S 236
41
323 Die Gefahrlsquo
Aus Heideggers Darlegung uumlber das Ge-Stell erschlieszligen sich seine diversen Fa-
cetten der Vorstellung einer Abstandslosigkeit schaffenden Technik Dass die Ab-
standslosigkeit dem Prinzip des Gevierts des Zusammengestellten entgegensteht
bekommt im Vortrag Die Gefahrlsquo Nachdruck Die mythopoetische Erzaumlhlung
knuumlpft an den Vortrag Das Dinglsquo an mit den Mythologemene 1 Der Mythos
des geschichtlich sein muumlssens 2 der Mythos des Goumlttlichen 3 das geschichtsbe-
sinnliche Prinzip der Aletheia Zudem wird im Prozess des Vortrags das Ge-Stell
zur Gefahr stilisiert was einen eigenen Mythos erschafft
Durch das bdquouniversale Bestellen des Ge-Stellsldquo177 werde die naumlhernde Naumlhe des
Dings verwehrt Wie im Vortrag Das Dinglsquo fuumlhrt Heidegger das Wesentliche sei-
ner Theorie auf die deutsche und altgriechische Sprache zuruumlck Die so vollzoge-
ne Annaumlherung von Schwarzwaumllderischem Dialekt und Altgriechisch entspricht
Heideggers Traum von dem bdquogeschichtliche[n] Geburtsort des abendlaumlndischen
Wesensldquo178 den seine Heimat von Todtnauberg bis Freiburg stiften sollte (1)
es ist das Geistvolle und zugleich das erdenhafte schoumlne Land Es birgt un-sichtbaren Reichtum dem Gemuumlt bewahret tiefstes Dichten und houmlchsteGestalt der Sage179
Unter diesem Vorzeichen also sagt Heidegger
Das Ge-Stellwesen laumlszligt das Ding ohne die Wahr Das Wort die Wahrlsquo be-deutet in unserer Sprache dort wo sie noch urspruumlnglich spricht die HutIn unserer schwaumlbischen Mundart meint das Wort die Wahrlsquo die der muumlt-terlichen Hut anvertrauten Kinder Das Ge-Stell laumlszligt in seinem Stellen dasDing ohne die Hut ndash ohne die Wahr seines Dingwesens180
Diese in Bremen vorgetragene Heimatkunde ist auch Heideggers Sorge ge-
schuldet durch die Besatzermaumlchte und deren kulturellen Einfluss auch durch
die nun moumlgliche Oumlffnung Deutschlands zu einem Austausch mit der Welt das
eigene Wesen zu verlieren So schreibt er 1945-1947() in seine Schwarzen Hefte
177 GA 79 S 46178 GA 97 S 54179 Ebd180 GA 79 S 46
42
Das Schwerste und Fragwuumlrdigste unseres Geschickes ndash beruht darin ob wirdas Eigene finden und huumlten [] unter den anderen Voumllkernlsquo [] Scheinund Vorwand der Macht daszlig man unsere eigene Aufgabe bringen will []als Entmachtete aufgenommen zu sein in den Weltmachenschaftsbetrieb181
Es gaumlbe nach Heidegger also das Welten von Welt und die Verweigerung von
Welt aus derVerwahrlosung des Dings durch das Ge-Stell bzw die Technik182 Welt
ist nach dem Konzept des schwaumlbischen Denkers nichts weniger als das Geviert
Bei der folgenden mythopoetischen Zusammenstellung von dem Geviert mit alt-
griechischen Vokabeln um den Seins-Begriff wird das Aletheia-Prinzip eingefuumlhrt
Somit fuumlhrt uumlber den Mythos des Goumlttlichen (2) der Weg zur Wahrheit eben als
geschichtsbesinnlich erfahrene Aletheia (3)
Welt ist das Geviert von Erde und Himmel Goumlttlichen und SterblichenDas Spiegel-Spiel der Vierung wahrt alles was in ihm dingend zwischenden Vier anwest und abwest in das einende Ganze seines Anwesens Vonaltersher heiszligt das Anwesen des Anwesenden τὸ ὲόν das Seiend [sic] τὸεἶναι das Sein naumlmlich der ὲόντα des Seinenden das esse entium183
Diese Welt waumlre nun bdquoWahrnis des Wesens von Sein Statt Wahrnis sagen wir auch
Wahrheitldquo184 Die Welt mythopoetisch als Spiegel-Spiel des Gevierts und durch
eine altgriechische Brille betrachtet waumlre die wahre Welt Somit wird die Wahr-
heitsschau gebunden einen antiken Goumltterglauben und abendlaumlndische Sprachkas-
kaden vom Dialekt zum Altgriechisch
Das Problem mit der wahren Welt waumlre allerdings dass sie sich in die Ver-
borgenheit entziehe Naumlher betrachtet ist aber die Verborgenheit Bedingung des
Entbergens was Heidegger notwendig macht zu einem wuumlrdigen Lebensvollzug
in Harmonie mit dem Sein Durch solche Wesensschau waumlre der Mensch befaumlhigt
jederzeit die verstellenden Maumlchte des Ge-Stells (der Technik) zu uumlberwinden und
teilhaftig am Wesen der Welt zu werden
181 GA 97 S 99182 Vgl GA 79 S 47183 GA 79 S 48 (Die griechischen Vokabeln werden hier keiner Uumlbersetzung unterzogen Da
Heidegger ohnehin keine philologische Schaumlrfe anwenden will ist es fuumlr die Zwecke hierausreichend sie mit seiner Uumlbersetzung zu betrachten Heidegger spricht von bdquoAchten aufdas Griechischeldquo was schwieriger waumlre als klassische Philologie (vgl GA 79 S 63)
184 Ebd
43
Welt bleibt in der Verborgenheit (Αήθη) auf die Weise daszlig diese ihre Ver-borgenheit gerade eine Unverborgenheit gewaumlhrt die Αλήθεια185
Die Αλήθεια haumltte allerdings auch eine Rolle uumlber die subjektive hinaus da nur
durch ihren Vollzug Seinsgeschichte gewaumlhrt wuumlrde Das ist der Anspruch den
Heidegger an sein Auditorium stellt gemeinsam geschichtlich sein zu muumlssen (1)
Die Αλήθεια ist das Geschick des Seins als welches Geschick sich die Fuumllleder Seinsgeschichte in ihre Epochen fuumlgt186
Mit dem Ge-Stell als Wesen der modernen Technik waumlre die Aletheia aller-
dings hochgradig gefaumlhrdet Denn ohnehin waumlre die Aletheia prinzipiell der Ge-
fahr der Vergessenheit ausgesetzt Doch das Ge-Stell haumltte die Kraft die bdquovollende-
te Vergessenheit der Wahrheit des Seinsldquo187 zu vollrichten
Indem das Ge-Stell alles Anwesende in den Bestand bestellt setzt das Ge-Stell das Anwesen des Anwesenden heraus aus seiner Wesensherkunft ausder Αλήθεια188
Diese Versetzung des beteiligten Wesens aus der Moumlglichkeit des Wahrheitsprin-
zips heraus markiert Heidegger dann mit der Schreibweise Seyn (mit bdquoyldquo) Wie
bei dem Vortrag Das Dinglsquo koumlnnen ethymologische Abstammungen sein Sys-
tem anreichern Da wo es um das Wortfeld des Stellens geht Ge-Stell Bestellen
Verstellen ist auch das NachstellenMitglied der Familie
Im Althochdeutschen heiszligt nachstellen fara Das in sich gesammelte Stellenals Nachstellen ist die Gefahr Der Grundzug des Wesens der Gefahr ist dasNachstellen Insofern das Sein als das Ge-Stell sich selbst mit der Vergessen-heit seines Wesens nachstellt ist das Seyn als Seyn die Gefahr seines eigenenWesens189
Damit wuumlrde sich durch die Verringerung der Selbstreflexion im Seyns-Bestand
eine Schwachstelle auftun in die der denkbegabte und aletheiafaumlhige Mensch ei-
ne Moumlglichkeit haben das Seyn zum Sein zuruumlckzuwandeln ndash also wieder in ein
185 GA 79 S 49186 Ebd187 GA 79 S 53188 GA 79 S 52189 GA 79 S 53
44
wesentliches Verhaumlltnis zum bdquoDingldquo zu gelangen in dem das Geviert wieder die
Harmonie herstellt Allerdings faumlnde bis zu solch einer Nachstellung eine Ver-
sieglung des Seynsbestandes statt Und Heidegger beklagt dass die Erreichung der
Ruumlckeroberung des Seins uumlber die Nachstellung nicht stattfaumlnde und stattdessen
die Irre regieren wuumlrde190
In dieser Irre stuumlnde dem Menschen nicht einmal mehr zu zu sterben Denn
bdquoSterben [] heiszligt den Tod in sein Wesen austragenldquo191 Somit waumlren die Opfer
die in den KZs umkamen wie er sie in Das Dinglsquo bereits schildert nicht vermouml-
gend gewesen zu sterben bdquoSie werden Bestandstuumlcke eines Bestandes der Fabrika-
tion von Leichen [] Sie werden in Vernichtungslagern unauffaumlllig liquidiertldquo192
Das vermoumlge die Gefahr zu bewirken Der Mensch wuumlrde des eigenen Sterbens
beraubt da er keine Verbindung mehr zur Wahrheit der Welt haumltte Um den rich-
tigen Tod zu sterben muumlsse der Mensch die Aletheia schauen koumlnnen Insofern ist
Heideggers Prinzip ein religioumls anmutendes Wie in der christlichen Vorstellung
der Mensch im Jenseits an seinen Taten gemessen wird um Paradies oder Fege-
feuer zu besuchen soll nach Heidegger der Mensch waumlhrend des Sterbens mit
sich selbst ins Gericht gehen Er soll sich rein machen vom Ge-Stell der Technik
und dem Seyn um nicht die einmalge Gelegenheit des richtigen Sterbevollzugs
zu versaumlumen Es winken gemaumlszlig des Gevierts die himmlischen Goumlttlichen den
irdischen Sterblichen zu wobei annehmbar ist dass Heidegger Sterblichen die
die Aletheia erkennen einen Goumlttlichkeitsstatus beimessen moumlchte ndash eine Erlouml-
sungsphantasie
Genau diese Erloumlsung waumlre die Technik nicht
Ohne den Schritt des Denkens zu wagen der unser Menschenwesen demWesen der Technik [] aussetzt wuumlrgt man sich von Fall zu Fall von Lagezu Lage durch die Zwiespaumlltigkeiten hindurch Und genau durch dieses Ge-wuumlrge versaumlumt man die Moumlglichkeit dessen was man im Grunde erstrebtdie Technik durch menschliches Tun zu meistern und menschenwuumlrdig zulenken193
190 Vgl GA 79 S 55191 GA 79 S 55192 GA 79 S 56 Weil Heidegger im Judentum die Verantwortlichen fuumlr das Geraffe des Ge-Stells
sieht macht er sie gleichsam verantwortlich fuumlr die bdquoSelbstvernichtungldquo Die Seinsverges-senheit im Tode wird dadurch zum Spin-off der vermeintlich juumldisch erzeugten da machen-schaftlichen KZ-Maschinerie (Vgl GA 97 S 20f)
193 GA 79 S 59
45
Trost und Richtung findet Heidegger schlieszliglich abermals bei den alten Griechen
Das Wort stellenlsquo entspricht dem griechischen ϑέσις vorausgesetzt daszlig wirϑέσις griechisch denken Was heiszligt in diesem Falle griechisch denkenlsquo Esheiszligt darauf achten welche Lichtung desWesens des Seyns in welcherWeisedas Dasein der alten Griechen in den Anspruch genommen hat heiszligt imvoraus bedenken in welchem Geschick welcher Unverborgenheit des Seinsdie Griechen standenldquo194
Das sind Vorstellungen des Neuen Anfangs eine Reminiszenz der griechisch anti-
ken Welt Ein Eintrag aus den Schwarzen Heften von etwa 1945-47 () verdichtet
wie oben bereits aufgezeigt die Phantasie griechisch zu sein zu einem gelingenden
Lebensvollzug
Das reine Wesen des Griechentums dh das Seiende inmitten dessen dieGriechen als seiende fremd gewesen dieses und sie selbst und der Bezug desSeins zu ihnen ndash in der einfachen Wesung von der ἀλήθεια her zeigen underfahren Den μῦθος und λόγος ndash jedes Wort und Gebild rein aber nichterzwungen und schematisch-pedant ndash aus ἀλήθεια erfahren195
Hier zeigt sich auch dass Heidegger per se das Aletheia-Prinzip fuumlr notwendig
hielt um ins Licht der Wahrheit zu blicken Die Griechen sind ihm hier deshalb
Vorbild und rein da sie keiner modernen Technik und dem Ge-Stell ausgesetzt
waren sondern lediglich eine mythopoetische Verbindung zum Sein herstellen
mussten um wesentlich zu sein und Seinsgeschichte zu schreiben Die Dinge und
das Spiegel-Spiel des Gevierts waumlren ihnen geschickt zuhanden gewesen196 Hei-
degger macht schlieszliglich sehr deutlich dass das Griechische zu denken ein bei
weitem anderes Geschaumlft sei als philologische Praumlzision
Ein Echo zu sein naumlmlich dem Anspruch des Seins verlangt eine Sorgfaltder Sprache von der freilich der technisch-terminologische Sprachstil derWissenschaften uumlberhaupt nichts wissen kann Die Intentionalitaumlt der wis-senschaftlichen Sprache ist der staumlrkste Beweis fuumlr ihre Boden- und Heimat-losigkeit [] Das Heimische einer hohen Sprache gedeiht nur im Bereichdes unheimlichen Anspruchs der wesenhaften Stille im Wesen des Seyns197
194 GA 79 S 62f195 GA 97 S 20196 Hingegen waumlre das Judentum verantwortlich fuumlr das Ge-Stell fuumlr das Prinzip der Zerstoumlrung
wie es auf der selben Seite der Schwarzen Hefte darunter heiszligt (vgl ebd)197 GA 79 S 66 Die Bedeutung von Seyn als verstelltes Sein oder Bedingung zum Schauen
des wahren Seins ist verwirrend Einer genaueren Analyse wird aus Platzgruumlnden hier nichtnachgegangen
46
324 Die Kehrelsquo
Der letzte Vortrag ist mit nur neun Seiten der Kuumlrzeste des Vortragsgevierts
Nach dem Verlust des Dinges als Ding und der damit einsetzenden Abstandslosig-
keit als Wesen des Ge-Stells wobei die Gefahr zudem der Vergessenheit des Seyns
nachstellt bietet Heidegger eine Perspektive an
Im Wesen der Gefahr verbirgt sich [] die Moumlglichkeit einer Kehre in derdie Vergessenheit des Wesens des Seins sich so wendet daszlig mit dieser Kehredie Wahrheit des Wesens des Seyns in das Seiende eigens einkehrt198
Diese Moumlglichkeit bedeute nicht dass der Mensch sich der Gefahr selbst stellen
koumlnnte sie waumlre passiv ndash bdquoverbirgt sichldquo Die Kehre werde sich ereignen aumlhnlich
einer Erwartung an den Messias
Die Anwesenheit der Gefahr wuumlrde automatisch die Rettung bergen Denn
Houmllderlin haumltte geschrieben bdquoWo aber Gefahr ist waumlchst [d]as Rettende auchlsquoldquo199
Etwa 1945 notiert Heidegger in seine Schwarzen Hefte bdquoDie Wahrheit erfahren
wir im Gedaumlchtnis Das Gedaumlchtnis ist die Dichtungldquo200 (so) Von dieser War-
te aus ausgestattet mit Erinnerungen an das abendlaumlndische Dichten mit dem
Wissen um das Aletheia-Prinzip und passiv als denkender Huumlter des Seyns solle
der Mensch das Ereignis erwarten das ihn bdquoloumlsen freimachen freyen schonen
bergen in die Hut nehmen wahrenldquo201 wuumlrde (siehe S 43)
Dieses Ereignis waumlre der Blitz Ein unvermittelter jaumlher ploumltzlicher Moment
von kurzer Dauer der bloszlig einen ebenso kurzen Blick auf das wahre Wesen er-
lauben wuumlrde Abschlieszligend ist dies das Rezept gegen die Bestands bestellende
Technik in mythopoetischer Formulierung
So entsprechend ist der Mensch geeignet daszlig er im gewahrten Element vonWelt als der Sterbliche dem Goumlttlichen entgegenblickt Anders nicht dennauch der Gott ist wenn er ist ein Seiender steht als Seiender im Seyn unddessen Wesen das sich aus dem Welten von Welt ereignet202
198 GA 79 S 71199 GA 79 S 72200 GA 97 S 52f201 GA 79 S 72202 GA 79 S 76
47
Wenn Heidegger im Anschluss von der bdquohistorisch-technischen Darstellungldquo re-
det so ist dies die Abwehr der Wissenschaften (auch der Philosophie203) und ein
Appell an die Antirationalitaumlt des Mythos bdquokein historisches Vorstellen der Ge-
schichte als Geschehen bringt in den schicklichen Bezug zum Geschickldquo204
Damit das Blitzen erfahren werde als kurze Wesensschau der Aletheia muumlsse
dem wahren abendlaumlndischen und heimatlichen Ereignis stattgegeben werden Es
sollte nicht wie er 1939 schon in den Schwarzen Heften beschreibt das
kuumlnstliche Licht von Historie und Technik in der weder Mensch noch dieGoumltter weder eineWelt noch die Erde sichtbar werden koumlnnen wo aber dasLebenlsquo von allen den immer noch zu wenigen Meistenlsquo erlebtlsquo wird205
Damit schlieszligt der letzte Vortrag mit einer Erwartung an das Ereignis des Blit-
zens nicht das Erleben der Besinnungslosigkeit (vgl Das Ge-Stelllsquo) Schon 1947
traumlumt Heidegger von solcher Umkehr
Aus der Kehre der Seynsvergessenheit aber ereignet sich das Unumgaumlnglicheden Acker der Welt erst zu pfluumlgen und saatbereit der Sonne und dem Regenund den Voumlgeln des Himmels uumlberlassen206
203 Denn ldquo[e]igentlich denken heiszligt [] die Philosophie verlassen [] beim Sagen des Seinslsquoldquo(GA 97 S 60)
204 Ebd205 GA 95 S 427 Gegen das Erlebnis und Erleben straumlubt sich Heidegger besonders So notiert
er etwa 1939 bdquoZeitalter der Techniklsquo macht gerade die Techniklsquo nicht zum Ziel sondernimmer mehr zum Mittel der besinnungslosen Berechnung [] der Mensch [] das Erleb-nislsquo [] Erleben als der Gefuumlhlsgenuszligldquo (GA 95 S 149) Wie auch bdquoWo beide Historie undTechnik in solcher scheinbaren Gegensaumltzlichkeit verkoppelt sind koumlnnen sie sich zur Foumlr-derung dessen zusammenschlieszligen was einstmals wesentlich die Geschichte des Menschenmitbegruumlndete und was wir die Kunstlsquo nennen Die Historie verschafft [] Anregungenund Vorbilder der Nachahmung die Technik erleichtert [] die Zustellung von Darstel-lungsmitteln und Wirkungsformen [] Gleichwohl ist alles wurzellos [] berechnet und alsErlebnislsquo ausgegebenldquo (GA 95 S 212)
206 GA 97 S 511
48
4 Konklusion
Der umstrittene Philosoph Martin Heidegger hat uumlber die 1930erndash40er Jahre
hinweg eine ausgepraumlgte voumllkisch-nationale und bisweilen radikal-antisemitische
Denkweise entwickelt Dieses Denken fasste er auch auf als Besinnung und stellt
es der Philosophie und Wissenschaft diametral entgegen In Kapitel 2 wird aufge-
zeigt dass sowohl Heideggers Mythologie bereits kritisiert wurde (Adorno Cassi-
rer Meyer) als auch seine Mythopoetik bewundert (Schulz-Nieswandt) Kapitel
3 will daruumlber hinaus aufzeigen wie Heidegger eine eigene Mythologie mytho-
poetisch fruchtbar macht was sich von beiden vorigen Ansaumltzen unterscheidet
und erst mit der Veroumlffentlichung der Schwarzen Hefte ab 2014 nachvollziehbar
wurde
Umso mehr bietet die mythopoetische Verbindung von bdquoDichten und Den-
kenldquo (so) einen antitechnischen Gegenpol Denn Heidegger fasst wie oben ge-
schildert alles Rationale auf als berechnende Bestellung des Bestands im Sinne
der Technik Daruumlber hinaus fordert er mit dem Aletheia-Prinzip (als metapho-
risch gefasstes Ereignis des Blitzens) einen Mitvollzug seiner mythopoetischen
Kontemplation in dem religioumlse voumllkische antike und sprachliche Motive zu-
sammenfallen
Obwohl schon von Heidegger selbst nicht mehr als Philosophie betrachtet
hat seine Rede vom Ding dem Ge-Stell dem Wesen der Technik und der Kehre
noch immer einen bedeutenden Einfluss auf die Technikphilosophie So betont
Alfred Nordmann in bdquoWerkwissen oder How to express things in worksldquo (2008)
dass Heidegger mit Das Dinglsquo eine Art Dingwissen geschaffen haumltte In seinem
2012 erschienenen Aufsatz Another parting of the ways Intersubjectivity and the
objectivity of sciencersquo207 geht Nordmann ein weiteres Mal auf Heideggers Ding
ein Dieses waumlre eine Abarbeitung an dem Ding Kants womit auch Nordmann
Heidegger als einen Interpreten Kants versteht208 Anschlieszligend anMichael Fried-
207 Nordmann Alfred Another parting of the ways Intersubjectivity and the objectivity ofscience In Studies in History and Philosophy of Science 43 (2012) 38ndash46
208 Die Auseinandersetzung mit dem Ding wuumlrde nach Nordmann in Heideggers GA mit demText Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalen Grundsaumltzenlsquoeinsetzen (GA 41 Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalenGrundsaumltzen)
49
man spricht sich Nordmann ebenso dafuumlr aus dass Heidegger neben Rudolf Car-
nap und Ernst Cassirer eine neokantianische Philosophie verfolgt haumltte (siehe
Kap 1)209
Nach Nordmann haumltte Heidegger in seinen anschlieszligenden Gedanken uumlber
das Ding als Fortfuumlhrung Kants als erster Wissenschaft als angewandte Techno-
logie verstanden210 Diese Interpretation stuumltzt sich auf die gleichen Symbole
Metaphern und Mythen die die vorliegende Arbeit analysiert Das Ge-Stell ist
insofern aumlquivok mit dem Begriff techno-science Jedoch sind in dieser Fruchtbar-
machung von Heideggers Denken der Technik dessen nationalistischen rassisti-
schen und antisemitischen Implikationen die die vorliegende Arbeit als Zentrum
dessen Philosophie ermitteln konnte noch nicht beachtet worden koumlnnen211
Andreas Luckner webt Heideggers Ding-Entwurf weiter als verantwortliches
Sorgen um die Dinge212 Er geht dabei mit Heidegger voumlllig konform und tritt
eher als eine Art Bote der Ding-Botschaft auf als diese moumlglicherweise zu kriti-
sieren was sich diesen Artikel wie ein Kapitel aus einem Studienbuch lesen laumlsst
Der Darmstaumldter Technikphilosoph Christoph Hubig ist vor allem Kritiker Hei-
deggers Argumentationen laumlsst aber zuweilen diverse Topoi aus dem Werk des
Technik-Denkers durchscheinen ohne sie weiter zu reflektieren
So konstatiert Hubig Heidegger verfehle in dessen Auseinandersetzung mit
Aristoteles Lehre von der Poiesis zum Punkt der Sicherung wie sie in Die Frage
nach der Techniklsquo behandelt wird bdquodie operative Seite des Technischenldquo bei Aris-
totels213 In einem spaumlteren Aufsatz allerdings stuumltzt er sich ohne weitere Erlaumlute-
rungen auf Heideggers Begriff der Sicherung aus Die Frage nach der Techniklsquo214
209 Diese Befriedung paradigmatischer Umstaumlnde wird hier nicht geteilt Eine weitere Bearbeitunglaumlsst der Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht zu
210 Vgl Nordmann Another parting of the ways S 45211 Der Aussage dass Heideggers Ding-Begriff kantianisch waumlre muumlsste einer gezielten Untersu-
chung unterzogen werden genau wie die Behauptung insgesamt dass Heidegger oder inwie-weit dieser noch der suumlddeutschen Kantschule des 1920 Jahrhunderts angehoumlrte
212 Vgl Luckner Andreas Ding und Bestand Heidegger und das Wesen neuzeitlicher TechnikIn Gamm G Gehring P Hubig C Kaminski A und Nordmann A Ding und SystemS 15-30 hier S 29
213 Hubig Christoph Die Kunst des Moumlglichen Technikphilosophie als Reflexion der MedialitaumltBielefeld 2006 S 103
214 Vgl Hubig Christoph Technik als Medium In Grundwald Armin (Hg) Handbuch Tech-nikethik Stuttgart 2013 S 118-123 hier S 118
50
Dabei versteht Hubig Heideggers Betrachtungen zum Umgang mit der Technik
als gelassen
Fuumlr Heidegger liegt die Andersheit im Entbergen einer Wahrheit des Seinseines Geschicks von dem die Entwicklung der Technik hin zum Gestellkuumlnde Er verbindet dies mit dem Appell jenseits des rechnenden und si-chernden Vorstellens technischer Vollzuumlge als handlungsleitender Program-me sich gelassenlsquo dieser Entwicklung zu uumlberantworten und ein Seinlsquo zuhuumlten das sich als solches eben entbirgt Das Rettendelsquo dieser Einsicht lie-ge darin dass unsere individuelle Endlichkeit insofern transzendiert wirdals sie sich dem sie uumlbersteigenden Prozess aufschlieszligt und sich selbst relati-viert215
Wovon in diesem Zitat nicht die Rede ist ist der Mitvollzug der mythopoe-
tischen Rahmenbedinungen die Heidegger einfordert und an dem die Konzep-
te Abendland und voumllkische Tradition haumlngen In dieser Arbeit wird davon aus-
gegangen dass Heideggers Technikphilosophie-erzaumlhlung sich nicht von seinen
Absichten der Bekaumlmpfung des Technischen loumlsen laumlsst Die Relativierung ist in-
sofern nicht an den Prozess gebunden und damit emergent auf alles hin ausge-
richtet was kommen mag sondern houmlchst konvergent in einer Besinnung auf
Mythen von dem Ding und dem Geviert mit all deren Valenzen aus dem vorlie-
genden Heideggerschen Textkorpus Die individuelle Endlichkeit ist genoumltigt die
Heimat und das Abendland zu kennen und im Aletheia-Prinzip umzusetzen
Die Neubewertung der bislang bekannten Heideggerschen Technikphiloso-
phie von vor den SchwarzenHeften ist ein dringendes Desiderat Voumllkisch-nationale
Gruppierungen erstarken momentan in ganz Europa und es koumlnnte sehr hilfreich
sein aumlhnliche Denkstrukturen aufzudecken so wie sie zwischen den 1930er und
40er Jahren entwickelt wurden Zusaumltzlich muss das Werk Heideggers einer kriti-
schen Revision schon aufgrund der niemals von ihm behandelten Antisemitismen
unterzogen werden Heidegger hat nie zu diesen Stellung bezogen
Daruumlber hinaus ist das Thema Mythos und Philosophie ein weiterhin not-
wendiger Bereich der philosophischen Forschung In einem Bereich auszligerhalb
der exakten Wissenschaften und ohne klare theologische Tradition ist die Philo-
215 Hubig Die Kunst des Moumlglichen S 140
51
sophie beides sowohl Aufklaumlrer und antimythisch als auch Quelle fuumlr mythisches
Denken und affektierende Motive
52
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wwwdewikipediaorgwiki Martin_Heidegger_und_der_Nationalsozialismus
Die_Heidegger-Kontroverse ndash zuletzt abgerufen am 24042016)
56
Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
Der Unterzeichner versichert dass er die vorliegende Bachelorarbeit selbststaumlndig
verfasst und keine anderen als die von ihm angegebenen Hilfsmittel benutzt hat
Die Stellen der Arbeit die anderen Werken dem Wortlaut oder dem Sinne nach
entnommen sind wurden in jedem Fall unter Angabe der Quellen (einschlieszliglich
des World Wide Web und anderer elektronischer Text- und Datensammlungen)
kenntlich gemacht Dies gilt auch fuumlr beigegebene Zeichnungen bildliche Dar-
stellungen Skizzen und dergleichen
Darmstadt 25 April 2016
__________________________
(Eigenhaumlndige Unterschrift)
- Abkuumlrzungsverzeichnis
- Danksagung
- Einleitung
- Heideggers mythopoetisches Programm
-
- Zu den Begriffen Mythos Mythologie und Mythopoetik
-
- Ein Beispiel fuumlr ein Mythologem
-
- Heideggers Mythen
-
- Formen der Mythologie
-
- Heideggers mythopoetische Technik
-
- Zur Publikationsgeschichte von den Bremer Vortraumlgen 1949
- Die mythopoetische Spiegelung der Schwarzen Hefte
-
- Das Dinglsquo
- Das Ge-Stelllsquo
- Die Gefahrlsquo
- Die Kehrelsquo
-
- Konklusion
- Literaturverzeichnis
- Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
-
6
met ist Was Adorno als Abwehr gegen Heidegger und die deutschen Ideologen
der Moderne anfuumlhrt kann nicht in gleicher Weise auf die Romantiker fallen
Im 19 Jahrhundert fanden bei denen auch Bestrebungen statt Mythologie als
wissenschaftliche Wahrheitsfindung zu betreiben Mythologie ist dort bdquoSprache
der Phantasielsquo die jedoch auch Spuren der aumlltesten Geschichte enthalte und da-
durch deren Allegorisierung verhindereldquo17 Der Unterschied zwischen beliebiger
Allegorie und verbindlicher Mythologisierung liegt demzufolge im Rekurs auf die
bdquoaumllteste Geschichteldquo Der Antikestoff befluumlgelte Schriftsteller wie Philosophen zu
poetologischen und philosophischen Doktrinen die die bloszlige Zusammenstellung
von tradiertenMythen sprengten und ein progressives Mythologisieren forderten
Dieses Zusammenspiel fand seinen Houmlhepunkt im bdquoSystemprogrammldquo
[E]ine neue Mythologie der Vernunftlsquo welche den Gegensatz zwischendem Volk und einer philosophischen Elite aufloumlsen und eine allgemeineFreiheit und Gleichheit der Geisterlsquo verwirklichen sollte18
Daran beteiligt waren Friedrich Schlegel Hegel und Houmllderlin Bei den aus-
gepraumlgten Houmllderlinkenntnissen Heideggers kann von dessen Kenntnis des bdquoSys-
temprogrammsldquo ausgegangen werden auch wenn er dessen noblen Ziele nicht zu
beerben gedachte Gerade fuumlr Schelling jedoch bdquoist Mythologie das Mittelglied der
Ruumlckkehr der Wissenschaft zur Poesieldquo19 Es ist genau diese Aufwertung des Au-
tors aus einer Synthese von Kunst und dem Prozess ihrer archaischen Ruumlckfuumlh-
rung die Heidegger als Wahrheitsquelle vorphantasiert Er geht bei dieser My-
thologisierung so weit von der Errettung durch die Goumltter zu traumlumen wobei
er auf Houmllderlin als Mittlerfigur rekuriert der sich wiederum auf die Vorstellung
von Goumlttern der griechischen Antike bezieht Das ist ein Teil von Heideggers
voumllkischer Mythologie die eine reine Linie des Denkadels nachzeichnen will
Werden wir einen wirklichen geistigen Adel schaffen der stark genug ist dieUumlberlieferung des Deutschen aus einer groszligen Zukunft zu gestalten20
17 RDL 66218 RDL S 66319 Ebd20 GA 94 S 121
7
bdquoAus einer groszligen Zukunftldquo ist hierbei bezeichnend fuumlr die Vorstellung eines
Versprechens aus der Vergangenheit Das macht diesen Mythos aus Heideggers
Mythologie
Mythopoetische Texte schlieszliglich werden definiert als
Literarische Werke die Mythen aufnehmen und auf eine fuumlr die Textaussagekonstitutive Weise dichterisch bearbeiten21
Die Besonderheit von der bei der vorliegenden Arbeit ausgegangen wird ist dass
Heidegger in seinen echten Publikationen wobei hier besonders die Vortraumlge von
1949 von Interesse sind nicht bloszlig mythologisierte im Sinne eines bdquoerweiterten
Mythosldquo Sondern er schreibt als Mythopoet schoumlpfend aus seiner privaten My-
thologie Diese legte er sich selbst zu Grunde in den Schwarzen Heften Es sind die
Manifestationen seines Glaubens an romantisierte Antikeideale und seine Uumlber-
houmlhungen von Fantasien von einem deutschen Volk
Wie das Metzler Literaturlexikon es bereits aufweist bdquoDie weitere Explikation
des M-Begriffs ist komplex und faumlllt in die Zustaumlndigkeit verschiedener Diszipli-
nenldquo22 Die Begriffseingrenzung hier hat allerdings in Bezug auf das RDL einen
deutlich literaturwissenschaftlichen Bezug da Heidegger eine bdquoPartnerschaft zwi-
schen Denken u Dichtenldquo23 anstrebte ndash bdquoDas Dichterischelsquo sollte rettende Wege
im Zeitalter des universalen technolog Zugriffs findenldquo24 Damit ist auch zum
wiederholten Male das Kontrastierende in dieser Haltung genannt ob sich der
Mythos nun gegen das TechnischeWissenschaftliche richtet (Heidegger) oder ge-
21 RDL S 66522 Metzler Lexikon der Literatur S 524 Ferner deutet ein Eintrag im Neuen Pauly dar-
auf hin bdquoEine alle Disziplinen befriedigende Definition von M (μῦθοςmyacutethos latmythos) zu finden erweist sich trotz vieler Versuche als unmoumlglichldquo (Graf Fritz(Princeton) Zgoll Annette (Leipzig) Hazenbos Joost (Leipzig) Niehr Herbert (Tuuml-bingen) Mythoslsquo Der Neue Pauly Hg v Cancik Hubert (Antike) und Schnei-der Helmuth Landfester Manfred (Rezeptions- und Wissenschaftsgeschichte) Brill On-line 2015 Reference Universitaumlts- und Landesbibliothek Darmstadt 06 December2015 httpreferenceworksbrillonlinecomentriesder-neue-paulymythos-e815160 Firstappeared on-line 2006)
23 Poumlggeler Otto Heidegger In Killy Literaturlexikon Autoren und Werke des deutschspra-chigen Kulturraums 15 Bde 1988-93 Bd 5 S 142-146 hier S 144
24 Ebd S 142
8
gen die Rationalitaumlt (Cassirer) er hat stets bdquodas erklaumlrte Andere des logischen
Erkennensldquo25 inne26
211 Ein Beispiel fuumlr ein Mythologem
bdquoDen μῦθος und λόγος [] aus ἀλήθεια erfahrenldquo27 Dieses System entruumlckt
Wort und Rede dem zwischenmenschlichen Sprachgebrauch und uumlberlaumlsst es dem
Prinzip eines eigenwillig ausgelegten Begriffs der ἀλήθεια ob etwas als Ereignis
zum Sein gereicht oder als Dasein hinfaumlllig ist Die erstrebenswerte Identifikation
mit dem bdquoLeben der Gemeinschaft und mit dem Leben der Naturldquo28 die der ge-
meinsame Austausch uumlber Mythen bieten soll zB im Raumlsonieren daruumlber (etwa
im Sinne des Logos) untersteht hier dem regelnden Prinzip einer Aletheia Mys-
thagogisch will Heidegger den archetypischen Akt dieser Wesensschau beim anti-
ken Griechenvolk enthuumlllen (vgl Kapitel 323) Damit ist die Zusammenstellung
von bdquoμῦθος und λόγος [] aus ἀλήθεια erfahrenldquo bereits ein Mythos seiner
Mythologie
Die Eigenwilligkeit mit der Heidegger einen Mix aus philologischer Hinwen-
dung zu den Vorsokratikern der Dichtung Houmllderlins und einem Pathos seiner
Heimatverbundenheit verquickt ist Adorno schon in den 1960ern als Mythologie
aufgefallen bdquoAntisophistik im Endstadium aufbereiteter Mythologie ist verhaumlrte-
tes Ursprungsdenkenldquo29 Adorno konnte nicht ahnen wie tief Heidegger seinen
Wunsch nach Ursprung in sein Denken verschlossen hat Der Bestand bdquoaufbe-
25 Erdbeer Robert Matthias Graf Fritz Mythoslsquo Der Neue Pauly Herausgegeben vonHubert Cancik Helmuth Schneider (Antike) Manfred Landfester (Rezeptions- und Wis-senschaftsgeschichte) Brill Online 2015 Reference Universitaumlts- und LandesbibliothekDarmstadt 06 December 2015 lthttpreferenceworksbrillonlinecomentriesder-neue-paulymythos-rwg-e1505640gt First appeared online 2006
26 Ernst Cassirer interpretiert in diesem Bezug ferner nachdem er den Konflikt zwischen ra-tionalem und mythischem Denken als Machtkonflikt aufwies Kants Annahme von zweibdquoGruppen von Gelehrten und Forschern die eine befolgt das Prinzip der Homogenitaumltlsquo dieandere das der Spezifikationlsquo [] Nach den Prinzipien der Kantischen Philosophie selbststehen beide Haltungen nicht wirklich im Widerstreit miteinander Denn sie druumlcken keinefundamentale ontologische Differenz aus keine Differenz in der Natur und dem Wesen derDinge an sichlsquo Sie repraumlsentieren eher ein doppeltes Interesse des menschlichen Verstandesldquo(Cassirer S 12) Allerdings ist Heidegger anti-wissenschaftlich Sein Ringen um das Mythi-sieren verfolgt das Ziel einer gegenwissenschaftlichen bdquoBesinnungldquo wie er es nennt
27 GA 97 S2028 Cassirer Der Mythus des Staates S 5329 Adorno Jargon der Eigentlichkeit S 41
9
reiteter Mythologieldquo liegt erst seit 2014 mit der Veroumlffentlichung der Schwarzen
Hefte vor
22 Heideggers Mythen
Heideggers Mythen sind weder eine Fortsetzung antiker Uumlberlieferungen noch
ein von ihm entwickeltes Fabulieren uumlber anthropomorphe Goumltter und ihre Ent-
stehungsgeschichten Es ist in erster Linie eine eigenwillige Philologie des Alt-
griechischen wenn er zB in bdquogeschichtlicher Besinnungldquo zum Zuruumlckgehen bdquoauf
den Zusammenhang von τέχνη ἀλήθεια und οὐσίαldquo30 auffordert Adorno cha-
rakterisiert seinen Begriff vom Jargon der Eigentlichkeitlsquo mit dem Zug der sta-
tischen Inbeschlagnahme einzelner Woumlrter die sich bdquodurch die Konstellation die
sie verleugnenldquo aus demDiskurs sprengten und als Apotheosen eine uumlbertriebene
Eigenbedeutung erhalten wuumlrden Diese guerrillaartige Umdeutung von Sprache
versteht Adorno als Asyl des Faschismus31
Was das singulaumlre Wort an Magie verlor wird ihm gleichwie durch Maszlignah-men dirigistisch angeschafft [] Bestandstuumlcke der empirischen Sprachewerden in ihrer Starrheit manipuliert als waumlren sie solche einer wahren undgeoffenbarten [] Der Jargon objektiv ein System benutzt als Organisati-onsprinzip die Desorganisation den Zerfall der Sprache in Worte an sich32
Die bdquoDesorganisationldquo die Adorno Heideggers Sprachzerfall zuweist ist viel-
mehr eine Neukonstellation im Sinne des Mythos So erscheint es zumindest
anhand der Leese die Heidegger in den Schwarzen Heften zusammentraumlgt Der
deutsch-schweizerische Philosoph Enno Rudolph fuumlhrt in diesem Zusammen-
hang einige Militaumlrmetaphern an die Heideggers Zielsetzung unterstreichen sol-
len mit seinem Sprachsystem voumllkisch-nationale und eben auch antisemitische
Abgrenzungspolitik zu betreiben
30 GA 94 S 336f31 Vgl Adorno Jargon der Eigentlichkeit S 8f bdquoAsyl des Faschismusldquo ist eine treffende Parodie
auf Heideggers Rede von der Sprache als Haus des Seins (su)32 Ebd S 10
10
Am Ende koumlnnten sich Text und Sache moumlglicherweise so darstellen lassen[] dass sich das Gesamtwerk als die labyrinthisch konstruierte letzte Basti-on eines philosophischen Stellungskrieges positioniert in dessen Verlauf derAntisemitismus ndash neben den anderen programmatischen Feindseligkeiten ndasheine strategische Funktion nach Analogie mehrerer einander koordinierterWaffengattungen erfuumlllt [] dass es sich bei den vier Baumlnden um Bausteinefuumlr eine Kampfschrift handelt33
Mit dem Schluumlssel des Verstaumlndnisses der altgriechischen Sprache seiner Liebe
zum Klassikautor Houmllderlin und als selbsterklaumlrter Feind der Metaphysik ver-
stand sich Heidegger als Prophet des Denkens das als Dichtung veredelt An-
athema zur Rationalitaumlt und Wissenschaft (worunter er auch die Philosophie ver-
stand) sein sollte Die strenge Bindung an seine Pseudotradition des Abendlandes
sollte mythologisch festgezurrt sein aber seine Veroumlffentlichungen in Form von
Vortraumlgen und Aufsaumltzen und schlieszliglich in Buchform sollten selbst nicht bloszlig
mythologisch sein ImModus von verhaumlrtetem solipsistischen Narzissmus ging er
daruumlber sogar noch hinaus und wollte sich verstehen als mythopoetischen Autor
seiner eigenen Mythologie
Eine katalysierende Wirkung auf dieses Vorgehen Heideggers hatte der Alt-
philologe Walter F Otto (1874ndash1958) In einem vor den Schwarzen Heften in
2009 veroumlffentlichen Aufsatz schildert der franzoumlsische Germanist Daniel Meyer
von diesem Bezug und untersucht Heideggers Verbindung der Kehre34 und des
Mythos Die Entdeckung des griechischen Mythos Heideggers geschichtsphilo-
sophische Wendelsquo35 Wie es der Titel verraumlt markiert Meyer Heideggers Kehre
zur Seinsgeschichte mit dessen bdquoEntdeckungldquo des Mythologisierens36
33 Rudolph Enno Heideggers Schwarze Hefte im Echo In Philosophische Rundschau Bd 62Heft 2 (2015) S 141-154 hier S 145f
34 Die bdquoKehreldquo ist multifaktoriell mit Bedeutungen besetzt Darauf kann hier nicht eingeangenwerden Im Uumlblichen ist die Kehre zur bdquoSeinsgeschichteldquo gemeint
35 Meyer Daniel Die Entdeckung des griechischen Mythos Heideggers geschichtsphilosophi-sche Wende Germanica 45 (2009) S 13-26
36 Diese Entdeckung ist wie bei Peter Trawny (su) gebunden an Heidegger Topos des AnfangsDen Anfang dieser Rede des Anfangs will auchMeyer erkannt haben Insgesamt koumlnnen nochmehrere starke Aumlhnlichkeiten des Artikels von Meyer mit Trawnys Buch uumlber die Schwar-zen Hefte nachgewiesen werden womit Trawny ohne jegliche Nennung Meyers unter denAnfangsverdacht des Plagierens faumlllt
11
Ottos 1929 erschienenes Werk Die Goumltter Griechenlandslsquo37 sei laut Meyer
der fuumlr Heideggers mythologische Strategie unentbehrliche Einfluss Somit sei
der griechische Goumltterbegriff nicht mehr bdquochristlich antithetisch zu Welt und
Mensch sondern in Einheit damit zu denkenldquo38 Diese Einheit wuumlrde gestif-
tet durch bdquoOttos Formel vom Geheimnis der Beruumlhrung von Goumlttlichem und
Menschlichenlsquoldquo39 Da Meyer das Mythologisieren im Zusammenhang mit der ge-
schichtsphilosophischen Kehre auch im Sinne einer bdquoVorrangstellung des primi-
tiven archaischen von ihm [Heidegger DS] als mythisch verstandenen Den-
kensldquo40 als Weg zum Nationalsozialismus ndash der Traum Heideggers eines neuen
(deutschenabendlaumlndischen) Anfangs ndash versteht liegt dem bdquogriechischen Goumltter-
begriffldquo hier eine besondere Wertlegung zugrunde41
Die Beschwoumlrung des Anfangs des griechischen Ursprungs ermoumlglicht ei-nen genuinen Neuanfang im Sinne einer Annullierung des Vorhergekom-menen Der Ausweg aus der Moderne aus der Welt der Uneigentlichkeitist moumlglich durch einen Bruumlckenschlag zum griechischen Denken [] DieMoumlglichkeit diese Krise zu uumlberwinden ist fuumlr Heidegger 1933 durch dienationalsozialistische Machtergreifung gestellt doch reiht er diesen Prozessin eine legitimierende geschichtsphilosophische Perspektive die auf einengriechischen Ursprungsmythos zuruumlckverweist42
Meyer findet kernige Passagen die er aus Heideggers Schriften und Vorle-
sungen bis 1935 durchaus uumlberzeugend zur Unterstuumltzung seiner These anfuumlhrt
Diese Zitate Heideggers sind der Mythologie der Schwarzen Hefte sehr aumlhnlich als
tentatives Entwerfen
37 Otto Walter F Die Goumltter Griechenlands Das Bild des Goumlttlichen im Spiegel des griechi-schen Geistes Frankfurt am Main 2013Meyer verweist in einer Fuszlignote auf das Buch Heideggerrsquos Roots Nietzsche National So-
cialism and the Greekslsquo von Charles Bambach (2005) das ihm fuumlr diese Aussage Pate stand38 Meyer Die Entdeckung des griechischen Mythos S 439 Ebd Durch eine solche Formel der Einheit von Menschen und Goumlttern ist ein nahtloser
Anschluss an die Goumltter Heraklits und anderer antiker Philosophen geebnet Heidegger hatdiese Moumlglichkeit erstaunlich ernst genommen und ausgearbeitet
40 Meyer Die Entdeckung des griechischen Mythos S 341 Meyer stolperte mit der Begruumlndung dass bdquoDieser erstaunlich unkritische Gottesbegriff []
sich nur im Kontext von Ottos Goumltter Griechenlands verstehenldquo (Meyer Die Entdeckungdes Griechischen Mythos S 4) lieszlige uumlber Heideggers SoSe Vorlesung 1930 Vom Wesender menschlichen Freiheitlsquo (GA 31 S 7f) Ferner vollzieht er Ottos Einfluszlig uumlber die ersteHoumllderlin-Vorlesung von 193435 und weitere Schriften Heideggers nach Es geht Meyerauch stark um das Verhaumlltnis von Heideggers Denken bis und nach Sein und Zeit was indieser Arbeit nicht tiefer behandelt werden kann
42 Meyer Die Entdeckung des griechischen Mythos S 4f
12
Das legt nahe dass Heidegger sein mythopoetisches Texten als Code vor allem
in den Nachkriegsveroumlffentlichungen einsetzt ndash ein Nachruf aus dem gescheiter-
ten Anfang43 Ab 1935 jedenfalls haumltte sich Heidegger von der Vorstellung des
neuen Anfangs verabschiedet44
Das Mythologisieren konstruiert Meyer als Anschluss an die Houmllderlin-Vor-
lesung (193435) Die Houmllderlinsche Lyrik haumltte fuumlr Heideggers bdquophilosophisches
Sprachmaterialldquo Vorbildcharakter da bdquomit Houmllderlin die griechische Mytholo-
gie in ihrer sprachlichen Verbildlichung zum tragenldquo45 kaumlme Die dann staumlndige
Wiederauferstehung der bdquogriechischen Goumltter- und Heldenwelt in seinen Vorle-
sungenldquo schluumlge dem zu Buche In der Vorlesung 193435 Houmllderlins Hymnen
Germanienlsquo und Der Rheinldquo klingt insofern bereits eine Figur an die Heidegger
uumlber zehn Jahre spaumlter in seinen technikphilosophischen Bremer Vortraumlgen mit
seinem Aletheia-Prinzip verbinden wird ndash der bdquoBlitzldquo (su)
43 Eine genaue Untersuchung laumlszligt die Form dieser Arbeit nicht zu sie bezoumlge sich wie gesagtauf die drei Darstellungsebenen der GA mit den Schwarzen Heften (GA 94ndash97) als (Entwurfs-phase) Besinnung (GA 66) Das Ereignis (GA 71) ua als (Konzeptionsphase) und den BremerVortraumlgen (GA79) als (Praumlsentation) die Uumlbergaumlnge sind freilich flieszligend und gerade in denvon Meyer zitierten Vorlesungen erscheinen alle drei Stufen mitunter gleichzeitig Gerade imfolgenden zitierten Doppelband in dem es ua um die bdquoWahrheit der Spracheldquo geht scheintes tatsaumlchlich genau wie Meyer es identifiziert um die Grundlegung Heideggers Mythologiezu gehen die in den Schwarzen Heften vielmehr lemmaartig und sporadisch entworfen wirdMit Heraklits Spruch des Kampfes als Wesen des Seienden zieht Heidegger einen Paten seinerMythos-Logos-Aletheia Kombination heran und versucht seiner eigenwilligen Philologie ei-ne verpflichtende Bedeutungstiefe einzulegenMeyers Zitate Heideggers mit groszliger Relevanz fuumlr diese Arbeit sind die folgenden bdquoDa-
mals als das Volk der Griechen deren Stammesart und Sprache mit uns dieselbe Herkunfthat in seinen groszligen Dichtern und Denkern sich aufmachte eine einzigartige Weise desmenschlichen volklichen Daseins zu schaffen Was da anfing ist bis heute nicht eingeloumlstAber dieser Anfang ist noch nicht und er verschwand nicht und verschwindet nicht dadurchdaszlig die nachkommende Geschichte immer weniger seiner Herr blieb Der Anfang ist nochund besteht als ferne Verfuumlgung die unserem abendlaumlndischen Schicksal weit vorausgreift unddas deutsche Geschick an sich kettetldquo (GA 3637 S 6 Die Grundfrage der PhilosophielsquoSommersemester 1933)bdquoAls μυθος ist das Wort das uumlber den Menschen kommt jenes worin ihm dieses und
jenes seines Gesamtdaseins gedeutet wird nicht das Wort in dem er von sich her Rede stehtsondern das Wort das Weisung gibt [] Aber der urspruumlngliche λογος der Philosophiebleibt dem μυθος verbunden erst die Sprache der Wissenschaft vollzieht die Abloumlsungldquo(Ebd S 116)
44 In den Schwarzen Heften houmlrt die Sehnsucht nach dem neuen Anfang nicht auf also bis ein-schlieszliglich 1948
45 Meyer Die Entdeckung des griechischen Mythos S 6
13
Gewitter und Blitz sind die Sprache der Goumltter und der Dichter ist derder diese Sprache ohne Ausweichen auszuhalten hat aufzufangen und in dasDasein des Volkes zu stellen hat [] Die Dichtung ist ein Weiterwinkendieser Winke in das Volk oder von diesem her gesehen Dichtung ist []ein Zeigen ein Weisen in welcher Weisung die Goumltter offenbar werden46
Die Rede von bdquoWinkenldquo ist bereits ein Selbstbezug benannte der Autor der
Schwarzen Hefte seine ersten beiden Abteilungen des heutigen 94ten Bandes der
GA als Winke x uumlberlegungen (II) und Anweisungenlsquo und uumlberlegungen und
Winke IIIlsquo47 Diese setzen ein im Jahr 1931 und duumlrften moumlglicherweise bis 1933
oder vielleicht auch 1935 gereicht haben Heideggers Selbstuumlberhoumlhung als mys-
tagogisch bdquodichterisch-denkenden Schaffenden ndash also ihm selbstldquo48 erkennt auch
Meyer bereits ohne die eindeutigen Zeugnisse dieses Wunsches in den Schwarzen
Heften Es ist Heideggers Begehren das Volk seiner Fuumlhrung zu unterstellen bdquoso
dass sich das Wesen dieses Landes selbst findet und vollendetldquolsquo49
Meyer spricht in Folge daran davon was Heideggers Ursprungsmythos den
er in die griechische Altertum legt fuumlr diesen leistet Es ist eben das antiwis-
senschaftliche bdquoWissenldquo von einer bdquoUr-geschichteldquo Welche abgruumlndigen Motive
auch immer da hineinzuprojizieren sind (Bodenhaftigkeit arische Reinbluumltigkeit
abendlaumlndische Groumlszlige etc so wie es sich aus den Schwarzen Heften offenbart)
der Mythos verschraumlnkt Heideggers Streben nach Fuumlhrung als Denker und eine
Begruumlndung fuumlr die vermeintliche rassische uumlberlegenheit des deutschen Volkes
Meyer zitiert den Dichter-Denker mit bdquoMythologielsquo ist Wissen von einer Ur-
geschichteldquolsquo Es ginge um
Wissen nicht im archaumlologisch-musealen Sinn sondern als Prozess [] auchim Sinne dass Heidegger im Moment des Aussprechens gerade das leistetwovon er spricht Mythologie50
Augenscheinlich sieht Meyer keinen Grund dafuumlr von einer mythopoetischen
Textform in der Verschraumlnkung von Heideggers Denkerprophetie und der abend-
46 GA 39 S 31f (zitiert nach Meyer Die Entdeckung des griechischen Mythos S 6)47 Aus dem beigefuumlgten Nachwort des Herausgebers Peter Trawny geht nicht genauer hervor
weshalb zuerst bdquoWinke x uumlberlegungen (II)ldquo und dann bdquouumlberlegungen und Winke IIIldquo signi-fiziert sind Es wird hier davon ausgegangen dass es sich schlicht um das Gleiche handeltwobei der erste Teil sich in den bislang verschollenen Schwarzen Heften befinden muss
48 Meyer Die Entdeckung des griechischen Mythos S 749 Ebd Darin zitiert ist die GA 39 S 28950 Ebd Darin zitiert ist die GA 40 S 165
14
laumlndischen uumlberhoumlhung zu sprechen Die Paarung von Dichtung und Denken al-
lerdings ist fuumlr den Husserlnachfolger erst der Zweck und die Mythologisierung
das Mittel dazu In seiner Schrift uumlber die Religionsphilosophie und ontologi-
sches Wahrheitsverstaumlndnis bei Walter F Ottolsquo schildert der Altersforscher und
Sozialwissenschaftler Schulz-Nieswandt aus Koumlln uumlber die menschliche Existenz
die bdquoMythopoetik als Seins-Vergewisserungldquo51
In jenem Kapitel seines Otto-Traktats von 2014 schreibt Schulz-Nieswandt
wie ein echter Epigone Heideggers von der Wappnung gegen die bdquoKrise der Mo-
derne ndash Entfremdung Einsamkeit Angst Verzweiflungldquo52 An fruumlherer Stelle
seines Buchs stellt sich dar dass Schulz-Nieswandt sich geradezu mit Heideggers
Linie vereint anstatt sich ihr nur anzunaumlhern
Es geht um das wahre Sein aus der Sicht des zu seinem Wesen gelangendenMenschen in dessen Daseinsfuumlhrung was hermeneutisch erschlossen wer-den soll nicht um Wissenschaft als hermeneutische Methode im Kriterien-spektrum zwischen Verifikation und Falsifikation von Hypothesen mittelsProtokollsaumltzen uumlber die Realitaumlt53
51 Schulz-Nieswandt Frank Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis beiWalter F Otto (1874-1958) Eine strukturalistische und psychodynamische RezeptionBaden-Baden 2014 S 58-60
52 Ebd S 58 Dabei spielt Schulz-Nieswandt die Begriffe Epistemologie gegen Ontologie ausund bezeichnet sich selbst als post-strukturalistisch im Sinne der Kritischen Theorie schrei-bend Jedoch erscheinen diese philosophischen Kontraste nur wie bdquoEdelsubstantiveldquo des vonAdorno gemuumlnzten bdquoJargon der Eigentlichkeitldquo Und in genau diesem Jargon laumlszligt der So-zialwissenschaftler Heideggers Urmythos des Goumlttlichen der griechischen Antike (so) inaktueller Praumlsenz wieder auferstehen Es ist erstaunlich dass jemand der die Kritische Theo-rie fuumlr sich reklamieren will Epigone des bdquoJargons der Eigentlichkeitldquo ist So zeigt es sichauch auf S 28 wenn er in Ottos Dionysos bdquodie ganze Tiefe des Menschen zum Ausdruck[bringt DS] die Todeserfahrung des sterblichen Menschen Dionysos ist Hadesldquo Um nocheinmal zu bestaumltigen wie sich Schulz-Nieswandt als Akteur des Jargons gebiert sei hier Ador-no zitiert (dies gilt allerdings nur der Gegenuumlberstellung zum Vorsatz jener wuumlrde sich ander Kritischen Theorie orientieren ohne fuumlr diese zu advozieren) bdquoDer Heideggerschen Phi-losophie schloszlig sich was einmal Pforte zum ewigen Leben war zu sie betet statt dessenWucht und Groumlszlige des Tores an [] Sein wuumlrdevolles Gehabe ist Reaktionsbildung auf dieSaumlkularisierung des Todes [] Darum wird Sinn in den Tod geworfenldquo (Adorno Jargonder Eigentlichkeit S 134)
53 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei WalterF Otto S 15
15
Beiden gemeinsam ist auch die Faszination an Houmllderlin die sie ebenso mit Otto
teilen
Die ganze Eigenart des Denkens von Otto kommt in dem komplett innerenVerhaumlltnis zu Heidegger und Houmllderlin zum Ausdruck54
Nur noch ein Gott kann uns rettenlsquo so das Zitat des Spiegelinterviews das Ja-
kob Augstein zum Titel machte ist die kodierte Mythopoetik auf die sich die
Spiegelleser keinen Reim machen konnten Fuumlr Heidegger fuumlr den das Sein in der
Sprache wohnen sollte55 ging es um den Mythos der Naumlhe zur Antike als Naumlhe
zu den Goumlttern
Fuumlr Houmllderlin war die Theologie der Abwesenheit Gottes als uumlberweltlichePraumlsenz der Verlust der Gotteserfahrung des diesseitig verankerten Men-schen [] Die Antike wird als eine von Goumltternaumlhe charakterisierte Zeitvon Houmllderlin verstanden und erneuert (der kommendelsquo Gott) ersehnt56
Dies ist eine der Leit-Mythen Heideggers insbesondere wenn man sich die Nach-
kriegsvortraumlge ansieht (eben die Bremer Vortraumlgelsquo)
Die Aufhebung der Trennungsangst durch die bdquoAbwesenheit der Goumltterldquo uumlber-
winde der in existenzieller Angst befindliche bdquohomo abyssusldquo mittels bdquoder lie-
bevollen Gestaltung als Sich-Einrichten des Menschen [] als apriorischer Mo-
dus des In-der-Welt-Seinsldquo durch die bdquoEwigkeit der Mythopoetikldquo57 Fuumlr Schulz-
Nieswandt ist Mythopoetik eben nur dieses ein peganistischer Goumltterdienst der
den Kanon der Ottoschen Antike mit Houmllderlin interpretiert Insofern versteht
dieser versuchte Religionsphilosoph der eigentlich Sozialforscher ist Heideggers
Mythologie als schoumlpfend aus geteilter Quelle mit Mythen als Gemeinplaumltzen
derer sich der Denker-Dichter philologisch sicher bediene
Dabei geht es Schulz-Nieswandt umHeideggers Aletheia-Prinzip das er bdquoWahr-
heitsbegriffldquo nennt ndash welches bdquoDie Differenz der Technik als Herrschaft uumlber
54 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei WalterF Otto S 20
55 Vgl GA 7 S56 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei Walter
F Otto S 2157 Vgl Ebd S 59
16
Dinge von der Kunst als Schoumlpfung als Lichtung des Seins zur Wahrheit unter-
scheidetldquo58 Houmllderlins Goumlttliches waumlre darin vermisst und von Bedarf fuumlr den
Menschen Mit der Nomenklatur der griechischen Goumltter Houmllderlins und Ottos
ginge es beim Wahrheitsprinzip um bdquodie Erinnerung an Dionysos als der wie-
der kommende Gott []ldquo sie bdquofuumlhrt zur Lichtung des Seins als Wahrheitldquo59 Der
Mensch waumlre also Hirte seines Seins nicht Herr der Technik zum Sein bdquoDas Sein
ist den Menschen nicht technisch verfuumlgbar Die notwendige Einkehr wird zu
Heimkehrldquo60
Insofern zeichnet Schulz-Nieswandt ganz in Heideggers Sinne nach wie Hei-
mat und Irrationalitaumlt des Mythos zusammenfallen im Kanon der Goumltter-Mytho-
poetik Zum einen ist allerdings Heideggers Mythologie nicht so sehr an diese
Mythopoetik uumlber die Goumltter gebunden sondern bewegt sich frei im eigenwil-
ligen Auslegen von altgriechischen und deutschen Begriffen Zum anderen ist es
erstaunlich dass Schulz-Nieswand 2014 die Bedeutung der Mythopoetik fuumlr Hei-
deggers Ursprungsmythos des neuen Anfangs ignoriert und damit auch die gan-
ze voumllkisch-nationale Aura und damit die Abgrenzungspolitik Vor allem aber
richtet sich Heidegger nicht in einer bdquoliebevollen Gestaltungldquo menschlich ein
wie Schulz-Nieswandt es schon pathetisch darstellt sondern befeinded sich mit
allem ihm Zuhandenen als bdquoRaprochementldquo61 in alle Richtungen und pocht auf
bdquogeschichtliche Besinnungldquo als bdquoAuftrag des Deutschenldquo62
221 Formen der Mythologie
Mit den zwei oben herangezogenen Arbeiten uumlber Mythologisieren und Mytho-
poetik Heideggers sollte in dieser Arbeit das Verstaumlndnis seines Projekts der an-
tirationalen und antitechnischen Ausrichtung in den aktuellen Forschungsstand
gestellt werden Um welche Mythologie es sich in den Schwarzen Heften handelt
wird im Folgenden aufgedeckt werden Bereits in dem ersten Heft der Denktage-
58 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei WalterF Otto S 58
59 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei WalterF Otto S 59
60 Ebd61 Wolin Richard Heideggers bdquoSchwarze Hefteldquo Nationalsozialismus Weltjudentum und Seins-
geschichte In Vierteljahrsheft fuumlr Zeitgeschichte Bd 63 Heft 3 S 379-41062 GA 94 S 66
17
buumlcher verschmilzt Heidegger seine Vision von Dichten und Denken stellt sich
unter dieses Ideal
Dichten undDenken ineinander geschlungen und so waumlre ihrWas im verbindend-trennenden Bestimmen gewonnen63
Als bdquoAusgriff in den Begriffldquo versteht Heidegger dies als bdquovorschreibend-bildenden
Entwurfldquo der hinfuumlhrend zum Ereignis des Aletheia-Prinzips waumlre ndash
(Dichtung als Mythos
Dichtung als Dichtung im engeren Sinne gtgtGedichtltlt
Dichtung als Philosophie)64
Grundsaumltzlich ist die lose wirkende Legion von Lemmata nicht mit einer
Ruumlckfuumlhrung seiner Gedanken auf bestimmte griechische Goumltter und antike (ech-
te) Mythen besetzt Heidegger fetischisiert Begriffe und mythologisiert die von
ihm aufgepfropfte Bedeutung durch ein staumlndiges Wiederholen und Weiterden-
ken als bdquoWissenldquo wie Meyer es herausgearbeitet hat In dieser philosophischen
Alchemie sieht sich Heidegger als Denker als Bewahrer einer uralten Lehre die
eben neu widererstarken muumlsse Das hat Meyer auch schon klar gemacht Die My-
thopoetik erscheint aber hauptsaumlchlich nicht in den Schwarzen Heften sondern in
den Vortragspublikationen sich auf seine private Mythologie beziehend die in
den Schwarzen Heften zu Grunde gelegt wird
Die Mythen Heideggers drehen sich wie Meyer zurecht behauptet um den
Ursprung bei den Griechen den bdquoGrund der Geschichte des Abendlandesldquo65
Aber auch um die vielen Binaritaumlten die sich entgegengesetzt werden und tat-
saumlchlich wie der Heidegger-Herausgeber und Initiator und Leiter des Wupper-
taler Heidegger Instituts Peter Trawny es benannt hat auf einen Manichaumlismus
zulaufen66 Die Abgrenzungspolitik im Sinne des schuumltzenswerten abendlaumlndisch-
heimatlichen Deutschlands richtet sich gegen den inneren Feind vorangetrieben
63 GA 94 S 6564 GA 94 S 6665 GA 96 S 20566 Trawny Peter Heidegger und der Mythos der juumldischen Weltverschwoumlrung Frankfurt am
Main 2015 S 22Das hier aufgefuumlhrte Buch birgt einige problematische Umformungen zum Verhaumlltnis von
Heideggers Antisemititsmus Allem voran versucht es eine Begriffsbildung zu formen nach
18
von der Rechenhaftigkeit des juumldischen Wesens und die aumluszligeren Feinde wie Ameri-
kanismus franzoumlsische Kultur russischer Bolschewismus usw Heideggers Urmythos
vom neuen Anfang ist verquickt mit einem selbstangedichteten Personenmythos
was ebenfalls Meyer schon erkannt hat Dieses Schema ist die Grundstruktur
Immer deutlicher wird in mir die Ahnung daszlig unsere Heimat der Kerndes suumldwestdeutschen Landes [er selbst DS] der geschichtliche Geburtsortdes abendlaumlndischenWesens sein wird [] es ist das Geistvolle und zugleichdas erdenhafte schoumlne Land Es birgt unsichtbaren Reichtum dem Gemuumltbewahret tiefstes Dichten und houmlchste Gestalt der Sage67
Die mitunter wichtigste Dichotomie die Heidegger in den Denktagebuumlchern
aufwirft ist die zwischen Historie und Geschichte Es ist insofern nicht nur der
Mythos des neuen Anfangs der Heideggers Denken uumlber fast zwei Dekaden be-
stimmt sondern umso mehr die doppelte Projektion ndash des Verfalls (Machenschaft)
in eine Konstruktion von Historie und des Bestehens (Sein) in die konstruierte
Geschichte68 Geschichte faumlllt dann schlieszliglich mit der Schaffung des neuen An-
fangs so zusammen wie Historie mit Technik verschraumlnkt wird Geschichtlichkeit
muss durch das Prinzip des Ereignisses der Aletheia prozessiert werden waumlhrend
die verrationalisierte wissenschaftliche technische Historisierung des Lebens und
der Lebenswelt dem widerstrebt
Die Bindung von Heideggers Vorstellung des richtigen Lebens im Sein mit
demAbendland und einer voumllkisch-nationalen Groumlszlige undUumlberlegenheit Deutsch-
lands ist dabei ausschlaggebend Denn mit der Charakterisierung des Guten auf
derer Heideggers Antisemitismus mittels Heideggers Denkmethode behandelt aufgehobenwerden koumlnnte Die Hauptbegriffe darin sind bdquoSeinsgeschichtlicher Antisemitismusldquo undbdquoKontamination des Denkensldquo Von einer tieferen Auseinandersetzung muss an dieser Stelleabgesehen werden
67 GA 97 S 5468 In Band 66 der GA gibt es bereits einen kleinen Abriss der Historie und Techniklsquo die der Ge-
schichte gegenuumlbergestellt werden Das dies eine Uumlbertragung der Gedanken aus den Schwar-zen Heften ist ist ohne Zweifel Ein ansatzweise philosophisches Vorgehen vermengt sichdort mit dem poeto-mythologischen Denken Heideggers In Sachen mythopoetischer Figu-ren undMetaphernreichtum haumllt sich dieser dort aber noch zuruumlck (auch wenn er hier bereitsoumlffentlich vom bdquohistorischen Tierldquo redet) Die Absicht Technik und Historie als Verstellungdes abendlaumlndischen Menschen zu brandmarken stehen dabei im Vordergrund Weiterhinsoll in dieser Arbeit allerdings der Fokus auf den Schwarzen Heften und der Mythopoetik inden Technikvortraumlgen der Nachkriegszeit liegenDer Duden sieht Geschichte und Historie als Synonyme Von einer Ethymologie und der
Spekulation von Heideggers Gruumlnden der Auseinanderhaltung der zwei Synonyme soll hierabgesehen werden
19
der Seite des Seins sind die Feinde dessen eine Notwendigkeit seines Erklaumlrungs-
schemas Dabei sind es vor allem die Juden denen die Wurzel des Antiseien-
den von Heidegger in ihr vermeintliches Wesen geschrieben wird Exemplarisch
spricht dafuumlr dieses Zitat aus Band 96
Die zweite Machtsteigerung des Judentums aber hat darin ihren Grund daszligdie Metaphysik des Abendlandes zumal in ihrer neuzeitlichen Entfaltungdie Ansatzstelle bot fuumlr das Sichbreitmachen einer sonst leeren Rationalitaumltund Rechenfaumlhigkeit die sich auf solchem Wege eine Unterkunft im Geistlsquovarschaffte ohne die verborgenen Entscheidungsbezirke von sich aus je zufassen zu koumlnnen69
Diese Vorstellung ist eine Konkretisierung dessen was Heidegger mit den Uumlber-
begriffen Historie vs Geschichte einige Jahre vorher begann zu topografieren
Wir sind durch die Historie geschwaumlcht [] ndash wir koumlnnen nur durch das ge-rettet werden was uns in seiner Verfaumllschung widert ndash durch die Geschich-te70
Dieses bdquoWirldquo sind die glorifizierten Deutschen vor allem nach der Ableitung von
den Griechen uumlber Houmllderlin (und dessen Griechen) und Nietzsche zu ihm und
seinem kleinen Kreis von ihm anerkannter Intellektuellen-Kollegen wie etwa
Carl Schmitt Oswald Spengler Walther F Otto und Ernst Juumlnger Die Luft auf
Heideggers Denker-Olymp ist duumlnn und bekommt nur Wenigen
Die Geschichte in Heideggers solipsistisch-immanenten Nachdenken erklaumlrt
sich wie gesagt immer zusammen mit der Hoffnung auf den neuen Anfang und
als Besinnung auf das Denken als Akt gegen die Historie Die Paarung der zwei
Woumlrter bdquoGeschichteldquo und bdquoBesinnungldquo durchzieht in deutlicher Haumlufigkeit alle
vier Baumlnde der Schwarzen Hefte ndash bdquogeschichtliche Besinnung [] ist die Uumlberwin-
dung der Historie und des Historismusldquo und sie bdquobedarf der houmlchsten Strenge
hinter der die historische Exaktheitlsquo weit zuruumlckbleibtldquo ndash somit ferner bdquonur wer
Geschichtemacht vermag sie auch zu errettenldquo71 Das oben mit Meyer und Schulz-
69 GA 96 S 4670 GA 94 S 26771 GA 94 S 358f
Dass die Besinnung eine militante Perspektive hat laumlszligt sich auch in Heideggers Vereh-rung Heraklits ldquoDer Krieg ist der Vater aller Dingerdquo finden Heidegger sah sich selbst alsDenker als Propheten des Seins Aus dieser Warte betrachetete er zuerst den Nationalsozia-
20
Nieswandt bereits aufgezeigte Bereiten des Goumlttlichen legt Heidegger in seinen
Begriff der Geschichte
Geschichte ndash das Gewagtwerden der Goumltter nur Groszlig als Untergang oderSieg ndash nicht Dauerlsquo wesentlich ndash sondern die Abgruumlndigkeit der Erstrei-tung ndash Opfer und Weile
Historie ist bei Heidegger bdquogeschichtliche Entwurzelungldquo die bdquoTyrannei der
Technikldquo bdquoSelbstvergoumltterungldquo und bdquoAbgoumltterei der Technikldquo72 In einer skizzen-
haften Emanationsfolge wird dieHistorie als Modus der Technik auf sich selbst zu-
ruumlckgefuumlhrt bdquoDas Riesige ndash [] Historie die Technik der Geschichtelsquo Technik
Die Historie der Naturldquolsquo73 Es ist vage annehmbar dass Heidegger hier die Tech-
nik als rechenhafte machenschaftliche Historisierung der Natur versteht die vor
dem Geschichtsbegriff stattgefunden haumltte Diese wiederum haumltte die Geschichte
in die rechenhafte Machenschaft verfremdet Wie ein Apparat erscheint Heidegger
der Gegenstand seiner Historie zu sein die sich automatisch durchsetzen wuumlrde
Die Historie stellt zunaumlchst das Nacheinander der Begebenheiten dessenwas vorbeizieht (passiertlsquo) her [] Sie erklaumlrt dann Spaumlteres aus dem Fruuml-heren sie findet sogar dass Ideen die Geschichtelsquo bestimmen74
Den historisierend narrativen Umgang mit Geschichte als Wissenschaft emp-
findet Heidegger als Technisierung derGeschichte Diese wiederum basiert auf den
statischen Topoi seiner Mythen von Vaterland Bauerntum Houmllderlin alten Grie-
chen den Goumlttern etc und der Anwendung des Aletheia-Prinzips im Ereignis
Das ist ein Tugendenkatalog der Deutschtuumlmelei mit einer paumldagogischen Kom-
ponente seine Mythologie im Aletheia-Prinzip zu praktizieren Er nennt dieses
Geschaumlft auch Denken und ahnt dessen Feinde bdquodie Forscher die in der Technik
ihres Arbeitens keine Reibung dulden und ihr Wissen fuumlr den Geist haltenldquo75
lismus und nach dem Krieg den real existierenden Sozialismus des Ostblocks im Zuge deratomaren Aufruumlstung als Vollstrecker Macher der Geschichte die den neuen Anfang ebnensollten Dass Heidegger diese bdquoklaumlrendeldquo Wirkung tatsaumlchlich spaumlter den Russen zuschreibtlaumlszligt sich in Band 97 der GA zweifelsohne nachvollziehen Hier kann aus Gattungsgruumlnden(BA-Thesis) nicht naumlher auf dieses Faible fuumlr absolutistische Regime eingegangen werden Je-denfalls ist die geschichtliche Besinnung und der Kriegsakt ein Widerspruch den Heideggerjedoch gleichsam adressiert Auch dies kann hier nicht weiter untersucht werden
72 GA 9473 GA 95 S 35174 GA 96 S 6275 GA 97 S 509
21
Insofern verschraumlnkt Heidegger das bdquohistorisch-technischeldquo zum Antagonis-
ten der bdquogeschichtlichen Besinnungldquo Es ist die Entwicklung einer historisch-
geschichtlichen Differenz unter dem Zeichen der Besinnung gegen die techni-
sche Machenschaft ndash es geht um zwei unterschiedliche Wissenssysteme76 In den
Schwarzen Heftenwird Technikmeistens als eine Seite der Muumlnze mit der anderen
der Historie genannt Sie haumltten eine schon angedeutete dualistische Dynamik
Wo beide Historie und Technik in solcher scheinbaren Gegensaumltzlichkeitverkoppelt sind koumlnnen sie sich zur Foumlrderung dessen zusammenschlieszligenwas einstmals wesentliche die Geschichte des Menschen mitbegruumlndet undwas wir die Kunstlsquo nennen Die Historie verschafft [] Anregungen undVorbilder der Nachahmung die Technik erleichtert [] die Zustellung vonDarstellungsmitteln und Wirkungsformen [] Gleichwohl ist alles wurzel-los [] berechnet und als Erlebnislsquo ausgegeben77
Diese vermeintliche Gefahr muumlnde als bdquoZuumlgellosigkeit des Historismusldquolsquo in der
bdquoBodenlosigkeit [] (das Judentum)ldquo78 Heideggers Mythos ist hier dieser bdquoWir
muumlssen zuvor geschichtlich sein [] Ohne diese uumlberlieferung verfaumlllt alles der
historisch-technischen Machenschaftldquo79
Heidegger mythologisiert uumlber den bdquoAuftrag des Deutschenldquo80 will in bdquoge-
schichtlicher Besinnung sehr weit zuruumlckgehen ndash auf den Zusammenhang von
τέχνη ἀλήθεια und οὐσίαldquo81 um Technik auf ihr Wesen im antiken Ursprung
zuruumlckzufuumlhren bdquoDie techne hat [] den Sieg uumlber die [] aletheia errungenldquo82
Heidegger will sie zuruumlckgewinnen Er will der Technik aus dem bdquoEreignisldquo83
wieder uumlbermaumlchtig werden und sieht das bdquoWesen des Vaterlandesldquo84 im Abend-
land Dabei ist es ihm unentbehrlich zu wissen bdquodaszlig das Griechentum [] und
76 Heideggers noch immer vorhande Rezeption in Puncto seiner Technikphilosophie erstauntdamit dass sein Prinzip der aletheiologischen Besinnung als alternatives Wissenssystem undTechnikkritik ob der eigenwilligen Konstruktion den Entwicklungen der Zeit standhaumllt
77 GA 95 S 21278 GA 95 S 9779 GA 96 S 10480 GA 94 S 6681 GA 94 S 35782 GA 95 S 13283 Ebd84 GA 96 S 52
22
nicht das Roumlmertum der Grund der Geschichte des Abendlandes istldquo85 Sein My-
thos von Heimat verknuumlpft sich uumlber Dichtung und Ereignis zu einem fuumlr die
Technikphilosophie essentiellen Bezugs-Topos
Wir brauchen keine Technik [] Das Wesen des Vaterlandes ist das Abend-land In ihm werden die Deutschen erst deutsch und erkennen die Muttervon Allem die unversehrte Erde [] Die Wahrheit erfahren wir im Ge-daumlchtnis Das Gedaumlchtnis ist die Dichtung Die Dichtung sagen der Denkerund Saumlnger in ihrem Gespraumlch Dieses Gespraumlch erst ereignet dichterisch dieDichtung in die Sprache (die Dichtung das Ereignis und das Ereignis dasAbendland) [] Wohnt in seiner Sprache [] seyd dem Seyn im Seyn Soist Sein das Seyn86
Eine weitere mythologische Form haben seine Fuumlgungen von Jahreszahlen
womit er bereits in den Bereich des Okkulten Mystischen abzurutschen droht
Houmllderlin wurde [] 1770 geboren [] 1870 aber Lenin Waumlhrend der []Lebenszeit Houmllderlins vollzogen sich die entscheidenden technischen Entde-ckungen und Erfindungen der neuzeitlichen Technik (1774ndash1806)87
Und ferner bdquo1807 Phaumlnomenologie des Geistes 1867 Das Kapital 1927 Sein
und Zeitldquo88
Als letzter Mythos sei hier sein Aufgriff der Spenglerschen Metapher des
Raubtiers89 aufgezeigt Uumlber weite Strecken philosophiert Heidegger uumlber das his-
torische Tier Das historische Tier muumlsse vernichtet werden die bdquodeutsche Zukunft
wirdlsquo nicht erst seinlsquo sie istlsquo schon seit Houmllderlin sie stifteteldquo90 Der Homo
faber ist fuumlr Heidegger das historisch-technische Tier qua der bdquoAngewiesenheit auf
das Tierhafte als Wesensgrundldquo91 Es fehle ihm was bdquodie Griechen als Anfangen-
deldquo mit der bdquoZugewiesenheit des Menschen zum Sein gewagt habenldquo92 wodurch
85 GA 96 S 20586 GA 97 S 52f Hierbei handelt es sich um eine Nachkriegsnotiz Heidegger aumlnderte den die
Adressierung in eine direkte Ansprache richtet sich an seine imaginierte Volksgemeinschaft87 GA 96 S 17488 GA 97 S 131 Womoumlglich ist es eine Uumlbung per Jahreszahlen das Aletheia-Prinzip zu prakti-
zieren eine Kontemplationshilfe Andererseits koumlnnte er auch der Regelmaumlszligigkeit der Zah-lenfolgen eine uumlbernatuumlrliche bdquoWahrheitldquo beimessen Dies bleibt an dieser Stelle unerforscht
89 VGl Spengler Oswald Der Mensch und die Technik Muumlnchen 1931 S 1090 GA 95 S 19791 GA 95 S 32092 GA 95 S 321
23
er den bdquoGoumlttern unertraumlglich gewordenldquo93 waumlre Das bdquoRaubtierldquo dem gegenuumlber
bdquoist die Urform des Heldenlsquoldquo94 Dann behauptet Heidegger dass das Raubtier das
historisch-technische Tier durch Anwendung seiner eigenen Waffen schlagen koumlnn-
te Es ist dabei die bdquoUumlberwindung der Metaphysikldquo mitgedacht die erfolge sobald
sich das metaphysische Fragen durch den Wille zum Willen verfestigt95 Auch
Spengler dachte an dieses Derivat des Nietzsche Topos vomWillen zur Macht das
er seiner antropomorphen Chimaumlre vom Raubtiermenschen eingibt Wieder ist
von der Gewalt die Rede die ein Tabula rasa schaffen sollte zur Wiederauferste-
hung des griechisch-abendlaumlndischen Anfangs in Deutschland bdquoDas Raubtier aber
mit denMitteln der houmlchsten Technik ausgestattet ndash vollendet die Verwirklichung
der brutalitas des Seinsldquo96
Es scheint so als haumltte Heidegger auf jeden Begriff einen Gegenbegriff (selbst
zum historisch-technischen Tier das Raubtier)97 Aber es geht hier nicht um die
Analyse ausgewogener Formprinzipien oder die Kritisierung seiner linguistischen
philologischen Faumlhigkeiten Die Zitierung der Heideggerschen Mythologie soll
seine Verbindung von voumllkisch-nationaler und antisemitischer Haltung mit den
Bedingungen und Anspruumlchen seines Philosophierens aufzeigen Da die Schwar-
zen Hefte wie alle sonstigen Werke seines philosophischen Schaffens in der GA
erschienen sind muumlssen sie insofern als Teil derer gelten Das bedeutet dass sie
ausreichend Relevanz fuumlr die Arbeiten uumlber die Technik haben98
93 GA 95 S 23694 GA 95 S 39795 Vgl GA 7 Uumlberwindung der Metaphysik S 7896 GA 95 S 39797 Vgl Rudolph Heideggers Schwarze Hefte im Echo S 151 bdquoKeiner hat Nietzsche so konse-
quent und wahnwitzig zumNazi avant la lettre verformt wie Heidegger und keiner hat einenzuvor gewaltsam gefuumlgig gemachten Nietzsche so konsequent instrumentalisiert um damitdie vulgaumlr- nationalistische Dekadenz im Sandwich zu geiszligeln wie Heidegger Die Philolo-gie ndash auch die klassische ndash (Colli Cancik Montinari) hat Nietzsche inzwischen laumlngst mitnachhaltigem Erfolg rehabilitiert Wer jetzt noch einen roten Faden von Nietzsche zu Hitlerzieht hat nur noch Heidegger auf seiner Seiteldquo
98 Zum Abschluss dieses Kapitels sei hinzugesagt dass der Veranschlagung der Beispiele vonHeideggers Mythologie ein Exzerpt von 13 Seiten aus 1700 Seiten Text der vier Baumlnde derSchwarzen Hefte zugrunde liegt Beim Studium dieser fielen die staumlndigen Repetitionen derimmer gleichen Figuren und Metaphern auf Daraus wurde geschlossen dass es sich um eineMythologie handeln kann was ein weiteres Forschen bestaumltigte Die hier zitierten Stellensind Topoi die sich in Huumllle und Fuumllle in jedem der vier Baumlnde finden lassen was ihrenmythischen Charakter unterstreicht Die Auswahl versucht ein besonders charakteristischesBild wiederzugeben
24
3 Heideggers mythopoetische
Technik
War Heidegger von seinem neuen Anfang nur zu traumlumen vergoumlnnt so gelang
ihm selbst aber die Wiederauferstehung aus der Asche des ZweitenWeltkriegs mit
der Vortragsreihe in Bremen (1949) uumlber die Technik Der Phoumlnix erweist sich
mittlerweile als Ikarus Anstatt sich selbst zu revidieren fordert Heidegger eine
Kehre ein die auf sein Programm der geschichtlichen Besinnung zum Ursprung ab-
zielt Rezipienten seiner Technikphilosophie taten zumeist seine voumllkischen und
nationalsozialistischen Verstrickungen mit der Niederlegung des Rektorats ab99
Sie glaubten an einen inneren Wandel Heideggers eine Laumluterung und sogar an
seinen geistigen Widerstand uumlber die Naziherrschaft hinweg100 Heute ist erwie-
sen wie Heidegger es aus seinem posthumen Gestaumlndnis in die Welt lecken laumlsst
dass er auf seine private Weise eine Form Nationalsozialismus hegte der die NS-
DAP und Hitler zwar als Vulgaumlrnazis kulturell degradierte aber sich selbst als
Denker-Nazi gerierte
Wie damit umzugehen ist steht aktuell in der Verhandlung Wie Rudolph es
behauptet stuumlnden die Heideggerianer bdquonun mit wertlosen Aktienldquo101 da Der
Kommunikationswissenschaftler Christian Fuchs sieht den Antisemitismus den
die Schwarzen Hefte zutage treten lassen als Notwendigkeit einer rigorosen Ver-
bannung Heideggers aus der technikphilosophischen Theorie102
99 Vgl Luckner Andreas Heidegger und das Denken der Technik Bielefeld 2008 S 64-69100 Vgl Babich Babette Nietzsche Heideggers Widerstand In Alfred Denker u Holger Zabo-
rowski (Hg) Heidegger-Jahrbuch 5 Heidegger und der Nationalsozialismus II Interpreta-tionen S 397-416
101 Rudolph Heideggers Schwarze Hefte im Echo S 146102 Vgl Fuchs Christian Martin-Heideggerrsquos anti-Semitism Philosophy of technology and the
media in the light of the ldquoBlack Notebooksldquo Implications for the reception of Heidegger inmedia and communication studies In tripleC Communication Capitalism amp Critique 13(1) (2015) S 55-78 hier S 74 Anstatt dessen pocht Fuchs auf die alternative Verwendungder Kritischen Theorie uumlber Fragestellungen zur Technik
25
It seems to me that Heideggerrsquos fetishism is often lrsquoart pour lrsquoart Heideg-ger pour Heidegger a tactic that aims at creating an aura of complexity byevoking Heidegger although the same content could be expressed withouthim103
Fuumlr Trawny waumlre dies ein bdquoperformativer Widerspruch [] stets daran zu erin-
nern Heidegger vergessen zu sollenldquo104 Quo vadis Heidegger
Die objektive Antwort Rudolphs der an den Commonsense und die Beweis-
last der Anklage glaubt wie auch der subjektive Appell Fuchs der es zur mora-
lischen Entscheidung des Einzelnen macht Heidegger zu vernachlaumlssigen setzen
aktuell die Jahrzehnte alte Tradition der Heidegger-Kontroverse fort Ein im Sep-
tember 2016 erscheinender Sammelband wird zusaumltzlich die Debatte mit neuen
Bewertungen anreichern105
In diesem Kapitel soll es nicht um die direkte Einreihung in eine der bestehen-
den Polemiken gehen sondern um den Versuch der Betrachtung der spaumlten Tech-
nikphilosophie Heideggers als mythopoetische Dichtung in seinem Sinne des
Philosophierens Als exemplarisches Werk ruumlckt damit das Vortrags-Geviert der
Bremer Vortraumlge ins Zentrum der Anschauung106 Hier wird davon ausgegangen
103 Ebd S 73104 Trawny Heidegger und der Mythos der juumldischen Weltverschwoumlrung S 141105 Heinz Marion und Kellerer Sidonie (Hg) Martin Heideggers raquoSchwarze Heftelaquo Eine
philosophisch-politische Debatte Berlin 2016 (im Druck) Aus dem Klappentext diesesTitelsbdquoOffene antisemitische Aumluszligerungen in diesen Denktagebuumlchern haben in der nichtakade-
mischen Oumlffentlichkeit fuumlr Empoumlrung gesorgt Die entscheidende Frage ist jedoch welcheVeraumlnderungen der Perspektive auf Heideggers Denken insgesamt sich dadurch ergebenund ob damit zugleich eine Neubewertung des Gesamtwerks eines der einflussreichstenPhilosophen des 20 Jahrhunderts noumltig istldquoEine der Herausgeberinnen des Bandes Sidonie Kellerer ist zudem an einem anlaufenden
fuumlnf jaumlhrigen Forschungsprojekt an der Universitaumlt Stuttgart im Rahmen des StuttgartResearch Centre for Text Studies beteiligt Heidegger und die Postmoderne Geschichteeiner Irrefuumlhrungiquest Sie und der Stuttgarter Literaturwissenschaftler Claus Zittel werden Hei-deggers ideologische Verstrickungen in den Nationalsozialismus untersuchen die textlichrekonstruierbar aber nachtraumlglich geklittet worden waumlren bdquoSo konnte die Wissenschaft-lerin Dr Sidonie Kellerer anhand des Vortrages Die Zeit des Weltbildeslsquo erstmals 1950veroumlffentlicht [sic] dass zahlreiche Passagen nachtraumlglich so modifiziert wurden dass dieurspruumlngliche Apologie des Nationalsozialismus nunmehr als Kritik am Regime gedeutetwerden konnte Die 2014 erschienenen Schwarzen Heftersquo mit persoumlnlichen AufzeichnungenHeideggers bestaumltigen zudem wie tief verankert in seiner Philosophie Rassismus undNationalsozialismus waren und bliebenldquo(httpwwwuni-stuttgartdehkompresseservicepressemitteilungen201567_kellererhtmlzuletzt abgerufen am 1442016)
106 Von einer umfassenderen Analyse der Schriften Heideggers zur Technik muss aus Platzgruumln-den abgesehen werden Die Voumlrtraumlge vom Ge-stell der Technik der Kehre und dem Dingsind vor allem wegen ihres Publikationszeitraums interessant da sie direkt an die Dokumen-
26
dass Heidegger den Versuch der abgrenzungspolitischen Einflussnahmemacht ge-
maumlszlig der oben dargelegten Ressentiments die sich in einer Mythologisierung des
Abendlandes niederschlagen Um seinem Ideal des dichtenden Denkens als Philo-
sophieren nachzukommen will Heidegger diese Einschreibung des Abendlandes
mythopoetisch vollfuumlhren
Grundsaumltzlich ist Verbindung und Trennung Heideggers boumlser Schwarzer Hef-
te mit und von seiner guten Technikphilosophie das Schlachtfeld aktueller De-
batten Wie bereits darauf hingewiesen werden hier Schwarze Hefte und Veroumlf-
fentlichungen wie eben in Form der Bremer Vortraumlge als ein kontinuierlicher
Arbeitsprozess gesehen Es gibt insofern nur einen Heidegger und keine gespal-
tene Persoumlnlichkeit Die Siegener Philosophin Sodonie Kellerer stellt dies anhand
Heideggers Selbstsicht luzide dar
Seine immer wiederkehrende Beschwoumlrung des Werkeslsquo und seine an diver-sen Stellen der bislang vorliegenden Briefkorrespondenz artikulierten Be-muumlhungen dieses Werklsquo fuumlr die Nachwelt zu sichern [Kellerer bezieht sichhier ua auf Heideggers Briefwechsel mit seiner Frau der 2007 veroumlffentlichtwurde DS] verdeutlichen wie sehr er seine Texte als ein Ganzes verstandin dem keines der Teile entbehrliche Wiederholung geschweige denn irrele-vante Eroumlrterung ist107
Dabei allerdings wird die Frage offen bleiben mit welchem Maszlig er sich selbst ge-
faumlhrdet sah seine Ansichten oumlffentlich zu vertreten und welche Konsequenzen er
dabei fuumlrchtete Denn er musste die Vortraumlge kodieren ndash was er im Sinne der My-
thopoetik auch macht ndash und mit Einigem hinterm Berg halten108 Dass es dabei
verschiedene Offenbarungsebenen gibt wird hier erst einmal hingenommen Es
interessieren staumlrker nachweisbare Bezuumlge des Entwurfsdenkens Heideggers zur
Oumlffentlichkeitsarbeit von ihm109
te der Schwarzen Hefte anschlieszligen (1948 der letzte Band der Schwarzen Hefte umfasst denZeitraum 1942-1948)
107 Kellerer Sidonie Kampf der Besinnung In Deutsche Zeitschrift fuumlr Philosophie Band 63Heft 5 Seiten 941ndash957 hier S 942
108 Weshalb die Veroumlffentlichung der Schwarzen Hefte auch weitestmoumlglich nach hinten verlegtwurde
109 Wuumlrde man dem entgegenhalten dass Heideggers vermeintliches Genie aus Formalisierun-gen seiner Gedanken ableitbar eine wichtige Quelle an sich bliebe scheitert dieses damitdass nun die Formalisierungen nicht personenneutral sozial-epistemologisch bestehen koumln-nen Als Vergleich wuumlrde man aus Hitlers und Goumlbbels Reden Formalisierungen isolierenlieszlige sich bestimmt die eine oder andere plausible Idee entwenden (wenn sie voumlllig dekon-
27
Hierzu wird der Text der gesamten vier Vortraumlge unter dem Titel Einblick
in das was ist Bremer Vortraumlge 1949lsquo110 aus dem 1994 veroumlffentlichten 79 Band
der GA zugrunde gelegt Das hat den Grund dass davon ausgegangen wird dass
der Text somit am naumlchsten an den 1949 tatsaumlchlich vorgetragenen Manuskripten
liegt Insofern ist eine realistische Annaumlherung an eine mythopoetische Uumlbertra-
gung der Schwarzen Hefte in die Bremer Vortraumlge 1949 das Ziel Demgegenuumlber
gibt es ob der virulenten Publikationspraxis von Heideggers Schriften111 noch
andere Auskopplungen der vier Vortraumlgsteile mit den Titeln Das Dinglsquo Das Ge-
Stelllsquo Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo
31 Zur Publikationsgeschichte von den
Bremer Vortraumlgen 1949
Zuerst erschien 1954 im Neske-Verlag (Pfullingen) ein Sammelband der lediglich
den ersten Vortrag Das Dinglsquo enthaumllt allerdings in leicht erweiterter Fassung
so wie er ein halbes Jahr nach dem Bremer Auftritt in Muumlnchen (1950) an der
Akademie der Schoumlnen Kuumlnste gehalten wurde112 Dem Band hinzugefuumlgt ist aber
zudem ein Vortrag der vornehmlich die Kernaussagen von Das Ge-Stelllsquo und
Die Gefahrlsquo verbindet allerdings in modifizierter Form Dieser wurde unter dem
textualisiert wuumlrde) Ist aber die wahre Verbindung zu Hitler und Goumlbbels hergestellt hatman selbstverstaumldlich die Verantwortung zu tragen an dem ganzen Tross von unmoumlglichenVerfehlungen dieser Menschen die sie fuumlr uns zu Personae non gratae stempeln muumlssen
110 GA 79111 Hierauf macht auch der Darmstaumldter Philosoph Gernot Boumlhme aufmerksam als Akt ei-
ner bdquoposthumen Selbstinszenierungldquo in Boumlhme Gernot Selbstinszenierung uumlber Ruhmin der Philosophie In Information Philosophie (Online Ausgabe 12015) URL=lthttpwwwinformation-philosophiedea=1ampt=8232ampn=2ampy=5ampc=29gt zuletzt ab-gerufen am 2442016)
112 Heidegger Martin Das Ding In Ders Vortraumlge und Aufsaumltze Pfullingen 1954 S 163ff
28
Titel Die Frage nach der Techniklsquo113 am 18 November 1953 an der TUMuumlnchen
gehalten
Eine weitere Auskopplung diesmal des letzten Vortragsteils Die Kehrelsquo fin-
det sich in einem broschuumlrenformatigen Band wiederum im Zusammenspiel mit
dem Vortrag Die Frage nach der Techniklsquo in Die Technik und die Kehrelsquo114 von
1962 wieder Somit wurden die Vortraumlge Das Ge-Stelllsquo und Die Gefahrlsquo lange
Zeit nicht veroumlffentlicht sondern als vermischter und modifizierter Text eben
Die Frage nach der Techniklsquo jeweils zusammen mit Das Dinglsquo (1954) und Die
Kehrelsquo (1962) angeboten115 In der Vorbemerkung zu Die Technik und die Keh-
relsquo wird diese kleine Chronologie leicht verfaumllscht auch aufgezeigt Darin heiszligt
es ferner dass Die Frage nach der Techniklsquo eine erweiterte Fassung von Das Ge-
Stelllsquo waumlre Dem ist wie schon gesagt nicht so Sondern es ist eine modifizierte
Vermischung von Das Ge-Stelllsquo und Die Gefahrlsquo was unschwer zB am Begriff
vom bdquoHer-vor-bringenldquo116 zu erkennen ist der in Die Gefahrlsquo eingefuumlhrt wird
und in Die Frage nach der Techniklsquo die gleiche Bedeutungskonstituente bildet
Mit der Veroumlffentlichung des 79 Bandes der GA 1994 wurden alle vier Bremer
Vortraumlge von 1949 publiziert In Band 11 der GA erschien 2006 auszligerdem Die
Kehrelsquo in ihrer urspruumlnglichen Fassung Die Frage nach der Techniklsquo enthaumllt
weniger mythopoetische Teile als Das Dinglsquo und operiert demgegenuumlber staumlrker
anhand klassisch philosophischer Allgemeinplaumltze Derer sind vor allem zu nen-
113 Heidegger Martin Die Frage nach der Technik In Ders Vortraumlge und Aufsaumltze Pfullingen1954 S 9ff (Der Aufsatz erschien ebenfalls 1954 im Sammelband der Vortragsreihe DieKuumlnste im technischen Zeitalter Heidegger Martin Die Frage nach der Technik In DieKuumlnste im technischen Zeitalter Dritte Folge des Jahrbuchs Gestalt und Gedanke Hg v dBayrischen Akademie der Schoumlnen Kuumlnste Muumlnchen 1954 S 70ff)
114 Heidegger Martin Die Technik und die Kehre Pfullingen 1962115 Beide Baumlnde Votraumlge und Aufsaumltzersquo sowie Die Technik und die Kehrersquo haben hohe Aufla-
genzahlen (Uumlbersetzungen wurden hier nicht recherchiert wobei es aber eine internationa-le Heidegger-Rezeption gibt) 1993 wurde der Pfullinger Neske-Verlag von dem StuttgarterHaus Klett-Cotta uumlbernommen was die Buumlcher aber unveraumlndert belaumlsst Vortraumlge und Auf-saumltzelsquo zaumlhlt seit 2009 die 11 Auflage Die Technik und die Kehrelsquo seit 2014 die 13 BeideBaumlnde sind vergriffen Es mutet unverstaumlndig an weshalb eine fehlerhafte Jahresangabe ausder ersten Veroumlffentlichung von Die Technik und die Kehrelsquo bis 2014 kolportiert wurdeDort steht der Vortrag Die Frage nach der Techniklsquo waumlre am 18 November 1955 gehaltenworden Der Vortragstermin war aber am 18 November 1953
116 Vgl GA 79 S 64 Und Heidegger Die Technik und die Kehre S 11
29
nen die Auflistung der bdquovier Ursachenldquo117 nach Aristoteles und die Kritik an der
Technik als bdquoein Mittel zu Zweckenldquo118 (Kausalitaumlt)119
Der Vortrag Das Dinglsquo galt Heidegger bei der Darbietung seiner Technikphi-
losophie nach dem Zweiten Weltkrieg allerdings als unentbehrlich ndash und damit
seine groszligflaumlchige Aufblaumltterung der Mythopoetik wie im folgenden Kapitel hier
gezeigt wird Denn im Vortrag Die Frage nach der Techniklsquo benutzt Heideg-
ger noch immer seinen mythopoetischen Topos vom Versammeln des Gebirges
der mit dem Versammeln eine Konstituente des Gevierts ist (bdquoErde und Himmel
die Goumlttlichen und die Sterblichenldquo120) (su)121 Fuumlr die Kaumlufer und Leser von
der spaumlteren Veroumlffentlichung Die Technik und die Kehrelsquo wird zudem in Die
Kehrelsquo extra auf den Vortrag Das Dinglsquo in der 1954er Ausgabe in Vortraumlge und
Aufsaumltzelsquo verwiesen122 Das zeigt wie wichtig und unerlaumlsslich Heidegger seine
mythopoetische Denkweise der Technik ist Auch wenn er in Die Frage nach der
Techniklsquo einen allgemeineren und offeneren Ansatz entwickelt hat der dadurch
auch leichter zu erschlieszligen ist
32 Die mythopoetische Spiegelung der Schwarzen
Hefte in den Bremer Vortraumlgen von 1949
321 Das Dinglsquo
In dem Vortrag Das Dinglsquo der 1949 vor dem privaten Club zu Bremen dort im
Neuen Rathaus das Vortragsquartett einleitete fuumlgt Heidegger mythopoetisch
zusammen was folgenden Topoi seiner Schwarzen Hefte aus Kap 221 entspricht
117 Heidegger Die Technik und die Kehre S 6118 Ebd S 6119 Diese Topoi versucht Heidegger in dem Text zu zersetzen und ihnen ein aletheisches Prin-
zip des Entbergens der Technik entgegenzusetzen Dies erfolgt wiederum auch anhand derVerwendung von mythopoetischen Teilen Darauf kann hier aber nicht weiter eingegangenwerdenAls weitere Gemeinsplaumltze (die er teils unterstuumltzend teils zur Zersetzung einfuumlgt) handelt
der Text auch mit Zitaten von Platon Heisenberg J P Hebel und Goethe120 Ebd S 12121 Vgl GA 79 S 11 Und Heidegger Die Technik und die Kehre S 19122 Vgl Heidegger Die Technik und die Kehre S 42f
30
1 die antirationale Wissenschaftsfeindlichkeit 2 der Mythos des Goumlttlichen 3
das Griechentum uumlber dem Roumlmertum 4 die Zahlenmystik (anhand des Spiegel-
Spiels des Gevierts ndash su) 5 das geschichtsbesinnliche Prinzip der Aletheia
Heidegger stellt zuerst die Frage nach dem Ding und will sie daraufhin ver-
anschaulichen mittels der Metapher des Kruges dh mit dem Krug als ein exem-
plarisches Ding Er fuumlhrt dann vor (was der Geste eines Zauberkuumlnstlers aumlhnelt)
wie der leere Krug gefuumlllt wird ndash Luft weicht der Fluumlssigkeit Dieses Sachverhaumllt-
nis aber ist fuumlr ihn Halbpoesie und eine Angabe aus der Physik sie verfehle das
vermeintliche Wesen des Kruges
Die Wissenschaft stellt durch sie [die Angabe der Physik DS] etwas Wirk-liches vor wonach sie sich objektiv richtet Aber ndash ist dieses Wirkliche derKrug Nein DieWissenschaft trifft immer nur auf das was ihre Art des Vor-stellens im vorhinein als den fuumlr sie moumlglichen Gegenstand zugelassen hat[] Die Wissenschaft macht das Krug-Ding zu etwas Nichtigem insofernsie Dinge nicht als das Maszliggebende zulaumlszligt123
Als ein wirkmaumlchtiges Beispiel das ihm sicherlich viel Beachtung uumlber die
Jahrzehnte seit ihrer Zuumlndung in Japan hinweg einbrachte fuumlhrt Heidegger die
Atombombe an Diese sei zu verstehen als verdinglichte Wissenschaft die das
Ding vernichten wuumlrde
Deren Explosion ist nur die groumlbste aller groben Bestaumltigungen der langherschon geschehenen Vernichtung des Dinges dessen daszlig das Ding als Dingnichtig bleibt124
Er buumlndelt damit Wissenschaft und Verkennung des Wesens als maszliggebend mit
dem Ding als sein machenschaftliches Prinzip der zerrechnenden Zerstoumlrung Drei
Jahre nach Kriegsende war der buumlrgerlich-elitaumlre Kreis in Bremen sicherlich be-
wegt von dieser Wortgewalt Diese jedoch suchte ja ihr Heim Harmonie Ruhe
in dem Haus als Wesen der Sprache
Und so faumlhrt Heidegger fort und ersetzt das physikalische Prinzip des Inhalts-
wechsels von Luft zu Wein in ein bdquoGeschenk des Gussesldquo als Spende und Opfer
den Goumlttern (2)125
123 GA 79 S 8124 Ebd S 9125 Vgl Ebd S 11f
31
Der Guszlig ist der den unsterblichen Goumlttern gespendete Trank [] Der ge-weihte Trank ist das was das Wort Guszliglsquo eigentlich nennt Spende und Op-fer Guszliglsquo gieszligenlsquo lautet griechisch χέειν indogermanisch ghu Das bedeu-tet opfern
Hier spielt bereits der Ursprungsmythos der Griechenmit ein (3) es ist aber auch
ein Bezug auf das Geviert Dieses waumlre ein System ein zusammen Gestelltes aus
bdquoErde und Himmel die Goumlttlichen und die Sterblichenldquo126 Im Guszlig des Trunkes
weilten gemeinsam diese Vier als emblematische Verbindung
Das im Geschenk Versammelte sammelt sich selbst darin das Geviert ereig-net zu verweilen Dieses vielfaumlltig einfache Versammeln ist das Wesen desKruges Unsere Sprache nennt was Versammlung ist in einem alten WortDies lautet thing127
Das Geviert zehrt von der Zahlenmystik zum einen als die Versammlung der
vier Begriffe an sich zum anderen da Heidegger ihnen eine Spiegel-Funktion
zuschreibt bdquoJedes der Vier spiegelt in seiner Weise das Wesen der uumlbrigen wie-
derldquo128 und ferner weil er damit auf sich selbst dh auf sein Vortrags-Geviert
verweist (4) Wie in Kap 21 schon gesagt lebt der Mythos von seiner Verbind-
lichkeit Diese legt Heidegger allen nah die sie verinnerlichen wollen bdquoSagen wir
die Sterblichen dann denken wir falls wir denken die anderen Drei mit aus der
Einfalt der Vierldquo129
Sollte der Vollzug der Praxis des sukzessiven Mitdenkens aller vier Geviert-
Entitaumlten gelingen koumlnnte das Ereignis der Aletheia begriffen werden (5) bdquoDas
Spiegel-Spiel von Welt ist der Reigen des Ereignensldquo130 Diese wird aber auch be-
griffen in Abgrenzung von dem Roumlmertum (3) denn in der bdquorealitas der resldquo
haumltten die Roumlmer bdquoihr Erfahrenes niemals eigens in seinem Wesen gedachtldquo131
Das waumlre den Griechen vorzubehalten und vom verstaumlndig denkenden Deutschen
wiederzubeleben
126 Ebd S 12127 Ebd S 13128 Ebd S 18129 Ebd130 Ebd S 19131 Ebd S 15
32
Der Krug ist ein Ding weder im Sinne der roumlmisch gemeinten res noch imSinne des mittelalterlich vorgestellten ens noch gar im Sinne des neuzeitlichvorgestellten Gegenstandes [] Der Krug ist Ding insofern er dingt132
Die Bindung an das deutsche Wort bdquoDingldquo das er spielerisch auch ins Englische
Romanische und Franzoumlsische uumlbersetzt ist unerlaumlsslich fuumlr seine ethymologi-
sche Argumentation In der ist der bdquoGuszligldquo ruumlckgefuumlhrt auf indogermanisch bdquoghuldquo
und das bdquoDingldquo auf das mittelhochdeutsche bdquothingldquo So konnten antik die Roumlmer
von den Griechen abgrenzt werden und modern die anderen drei Sprachen vom
Deutschen Das englische sich sehr nah am bdquothingldquo befindliche bdquothingldquo wird mit
dem Roumlmischen ausgespielt
Im Englischen hat thing noch die erfuumlllte Nennkraft des roumlmischen Wor-tes res bewahrt [] dh ein aus sich kommendes den Menschen Angehen-des133
Fuumlr Heidegger geht es beim bdquothingldquo aber um die mittelhochdeutsche Uumlbersetzung
der Versammlung Darauf beruht sein gesamter Systemansatz mit Geviert und
Ge-stell
Schulz-Nieswandt fuumlhrt diese Zusammenstellung zum Bejubeln von Heideg-
gers Mythopoetik
So fundamental sieht Heidegger die Welt Die Quelle des Wassers wird zurHochzeit von Himmel und Erde das Gieszligen des Wassers aus dem Krugzum Geschenk Auch Sprache ist daher kein Instrument sondern Ort desWohnens des Menschen Sprache wird zum Haus des Seinslsquo134
Hier bestaumltigt die Untersuchung des Ding-Vortrags die These von einer mytho-
poetischen Einschreibung der nationalistischen voumllkischen Abgrenzungs-Mythologie
aus den Schwarzen Heften
322 Das Ge-Stelllsquo
Der zweite Vortrag des Reden-Gevierts setzt ein mit der Metapher des fehlen-
den Abstands Wo kein Abstand sei da waumlre auch keine Naumlhe so Heidegger Er
132 Ebd S 16133 Ebd S 14134 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei Walter
F Otto S 59
33
verbindet die Abstandslosigkeit mit Urbanitaumlt und Verkehr alles fluktuiere Es
waumlre der Bestand der sich bestelle in dem das Abstandlose herrsche Das sind
neue Metaphern fuumlr die Machenschaft In seiner Erzaumlhlung vom Ge-Stell gibt es
bedeutend weniger mythopoetische Passagen als in dem vorangegangenen Vor-
trag Allerdings uumlbertraumlgt er den mythopoetischen Gehalt der Rede vom Ding
bereits im ersten Absatz von Das Ge-Stelllsquo mit dem Credo bdquoNaumlhe west insofern
das Ding dingtldquo135 Mit dieser Verbindung wird klar unter welchem Zeichen Hei-
degger die Rede vom Ge-Stell verstanden wissen will ndash als verlorenes Verhaumlltnis
des voumllkisch-traditionell verwurzelten Menschen mit den vermeintlichen Wesen
all seiner Gebrauchsobjekte in der mythopoetischen Formel des sich spiegelnden
Gevierts
Nahezu nuumlchtern erzaumlhlt Heidegger dann von dem Gefaumlngnis des Menschen
im Wesen der zirkulierenden sich immer neu bestellenden Bestandstechnik des
Ge-Stells Dabei scheinen folgende Mythen aus den Schwarzen Heften hindurch ndash
1 bdquoHistorie die Technik der Geschichtelsquo Technik die Historie der Naturlsquoldquo136
2 das historische Tier 3 der Appell an den Auftrag des Deutschen 4 der geschicht-
liche Mensch muss die Historie und damit die Technik uumlberwinden und 5 die
alles zernichtende Machenschaft des juumldischen Wesens
Den Topos der seinsvergessenen Groszligstadt jedenfalls kontrastiert er mit der
Bauerndorfidylle Da aber bdquodas Abstandlose herrschtldquo137 waumlre das Vorruumlcken der
Maschinentechnik bereits universell So in Form des Traktors Schon in Band
96 der Schwarzen Hefte beklagt er dieses bdquozum elektrischen Pflug [] gehoumlrt
das amerikanisch aufgemachte Magazinlsquoldquo Insofern erfolge die bdquoAngleichung der
Sitten der Bergbewohner an diejenigen des groszligstaumldtischen Sport- und Barbe-
triebsldquo138
Sein erster Land-Stadtvergleich betrifft den Bauern dessen Totenruhe tradi-
tionell in einem sg bdquoTotenbaumldquo (Sarg) stattgefunden haumltte ndash bdquoIn ihm gedeiht
der Tod des Totenldquo139 Dem gegenuumlber klingt in der bdquomotorisierten Bestattungs-
135 GA 79 S 24136 GA 95 S 351137 GA 79 S 24138 GA 96 S 54139 GA 79 S 26
34
industrie der Groszligstadtldquo140 bereits Heideggers pietaumltsloser Gaskammernvergleich
an
Ackerbau ist jetzt motorisierte Ernaumlhrungsindustrie im Wesen das Selbewie die Fabrikation von Leichen in Gaskammern und Vernichtungslagerndas Selbe wie die Blockade und Aushungerung von Laumlndern das Selbe wiedie Fabrikation von Wasserstoffbomben141
Hier wird davon ausgegangen dass es eine Uumlbertragung der Notizen uumlber
das deutsche Land als bdquoeinziges KZldquo ist die Unterdruumlckung des deutschen Vol-
kes durch die bdquoWeltdemokratieldquo die schlimmer sei als die Graumlueltaten der bdquoGas-
kammernlsquoldquo142 In die mythopoetische Formel von dem dingenden Ding aus dem
ersten Vortrag sind alle Valenzen eingeschrieben die es zur Aufgabe des abendlaumln-
dischen Deutschen (also als Nachfolger der alten Griechen) machen das Wesen
des Dings und somit der Technik zu huumlten Die Verantwortung fuumlr Genozid
Massenvernichtungswaffen und den Mangel im Nachkriegsdeutschland schreibt
Heidegger gleichfoumlrmig dem Prinzip der Abstandslosigkeit zu
Auch die Rede von der Habgier des Berechnenden ist ein bereits bekannter
Vorbehalt Heideggers anhand der Rede vom raffgierigen Juden Denn er sagt von
der bdquoHerrschaft des Abstandlosenldquo dass sie bdquodie Hab-gier des vorstellenden Be-
rechnensldquo waumlre143 Das entspricht seinem Mythos von der alles zernichtenden
Machenschaft des juumldischen Wesens144
Dann folgt eine lange Elegie uumlber das Bestellen des Bestands des Ge-Stells
bdquo[d]ie Kette des Bestellens laumluft auf nichts hinaus sie geht vielmehr nur in ihren
Kreisgang hineinldquo145 uumlber 19 Seiten des 21 seitigen Vortragsexts hinweg entwirft
Heidegger diverse Bilder wie das Ge-Stell die Natur das Hergestellte den Men-
schen und das Verstandesmaumlszligige vereinnahme und das Wesen desDings gleichsam
zur Veruntreuung bringen wuumlrde Wiederum poetisch orientiert kontrastiert also
140 Ebd141 Ebd S 27142 GA 97 S 99f143 Vgl GA 79 S 25144 Vgl Machenschaft hier S 29 und Geraff hier S 33145 GA 79 S 29
35
Heidegger Houmllderlins Hymne Der Rheinlsquo mit dem Rhein dessen Stroumlmung fuumlr
ein Stromkraftwerk genutzt wird
Achten wir um das Ungeheure das hier waltet zu ermessen nur auf einenAugenblick auf den Gegensatz der sich in den beiden Titeln ausspricht DerRhein verbaut in das Kraftwerk ndash der Rheinlsquo gesagt in der gleichnamigenHymne Houmllderlins146
Die Differenz also waumlre das Ungeheure147 Dabei waumlre der Rhein verbaut in das
Kraftwerk Aumlhnlich wie Kohle Erze und Rohoumll waumlren sie Bestand der bdquobesteht
im Bestellenldquo ndash bdquoDas Bestellen waumlre demnach lediglich eine Machenschaft des
Menschen vollzogen in der Weise der Ausbeutungldquo148
Das Bild des Wasserkraftwerks wird erweitert um den Begriff des Menschen
Elektrizitaumlt mit Wasserkraft erzeugen bdquokoumlnnen die Menschen [] nur insofern
sie selber schon in dieses Bestellen bestellt sindldquo149 Mit diesem Bild versucht Hei-
degger praktisch zu veranschaulichen dass Entwurf Umsetzung und Einsatz ei-
ner technischen Anlage den Menschen in ein entruumlcktes Verhaumlltnis zum Wesen
des dingenden Dings setze ndash bdquoDer Mensch ist darum der Angestellte des Bestel-
146 Ebd147 Das ist zusaumltzlich zu dem gemeinten Gegensatz ein Vergleich mit dem Heidegger dem Wort
bdquoRheinldquo in die Hymne Der Rheinlsquo gesprochen eine Energie erzeugende Wirkung zu-schreibt eben so wie das Kraftwerk Strom erzeugen wuumlrde Das wird klar dadurch dassHeidegger metaphorisch vom Stellen des Wortes bdquoRheinldquo in die Hymne spricht Es handeltsich um einen Appell zur denkerischen Besinnung Dass Heidegger dafuumlr eine technischeAnlage zur Veranschaulichung inspirierend wirken laumlsst spielt bereits in die Richtung derBegriffe bdquoHer-vor-bringenldquo bdquoEntbergenldquo und spielt auf das Alteheia-Prinzip an Darauf wirdweiter unten anhand Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo eingegangen werden Es handelt sich umdas Angebot eines mythopoetischen Umgangs mit Technik insbesondere wenn sie sich inheimische Gefilde einfuumlgtHeute koumlnnte man mit Windraumldern ebenso verfahren Somit koumlnnte aber auch Heidegger
als ein gewisser Quijana aus Mancha verstanden werden eben der Protagonist aus Miguel deCervantes Roman Don Quichote von der Manchalsquo der mit seinem von ihm flux auch um-benannten Klepper (weil er zuvor sich selbst in Don Quichote umtaufte) Rocinante Riesenbezwingen will um mit dieser Heldentat unsterblichen ritterlichen Ruhm zu erstreitenAuch Don Quichote fand seine Riesen in Windmuumlhlen und auch Don Quichote war uumlber
eine uumlbertriebene Auseinandersetzung mit einer verschuumltteten Kultur dieser verfallen undsuchte diese in seiner Aventuumlre zu reaktualisieren Martin Heideggers mythopoetisches Pro-gramm ist tatsaumlchlich stark mit Don Quichotes Motiv vergleichbarFerner waumlre eine Auseinandersetzung mit Heideggers Werk unter Beruumlcksichtigung sei-
ner Gewichtung der Vorsokratiker und Houmllderlin als mythopoetischen Autor eine moumlglicheForschung zum Thema Anachronismen in Konzepten von Moral und gesellschaftlicher An-gemessenheit (Vgl Cervantes Miguel de Don Quichote von der Mancha Herausgeben unduumlbersetzt v Susanne Lange Muumlnchen 2008 S 33f)
148 GA 79 S 29149 GA 79 S 30
36
lensldquo150 Schon vorher wies Heidegger darauf hin bdquo[d]ie Herrschaft des Gegen-
staumlndigen sichert nicht den Abstandldquo151 Jetzt heiszligt es
Das Bestellen befaumlllt nicht nur die Stoffe und Kraumlfte der Natur mit Gestel-lung Das Bestellen befaumlllt zugleich das Geschick des Menschen Das Wesendes Menschen wird daraufhin gestellt das Bestellen in menschlicher Weisemitzuvollziehen152
Der Begriff des Ge-Stells wird daraufhin so konstruiert dass es im Bestellen
um ein Stellen (Herausfordern) alles bdquoAnwesenden als Bestandldquo als bdquoversus unumldquo
gegen bdquodas Eine Ganzeldquo gehe153 In wiederum mythopoetischer Formulierung ge-
baumlre die bdquoVersammlung des Stellens worin alles Bestellbare in seinem Bestand
west das Ge-Stellldquo154 Der Begriff bdquoVersammlungldquo wird einen Absatz zuvor my-
thopoetisch wieder an die Versammlung also das thing eben das wesenhafteDing
angelehnt und somit wie zu Das Dinglsquo bereits oben erlaumlutert in einen deutsch-
abendlaumlndischen Kontext gestellt (3)
Wir nennen die Versammlung der Berge die von sich her einig und nienachtraumlglich schon gesammelt ist das Gebirge Wir nennen die Versamm-lung der Weisen nach denen uns so zumute ist und sein kann das Gemuumlt155
Allerdings ist obiges Versammlungsmodell hier als Kontrast zu sehen zu dem
bdquoGeraff des Getriebesldquo das das Ge-Stell darstellt als bdquoWesen der Technikldquo156 Hei-
degger sieht in der Gleichfoumlrmigkeit die zum Wesen des Technik als Ge-Stell
150 GA 79 S 30151 GA 79 S 25152 GA 79 S 31153 Vgl GA 79 S 32154 GA 79 S 32155 Ebd
Das Wort ldquoGemuumltrdquo hat ferner eine ausschlieszliglich deutsche Praumlgung gibt es doch keinedirekte Uumlbersetzungen Gemuumlth ist ferner ein nicht eindeutig umrissener Begriff (Vgl Kra-mer Cheryce A Foolrsquos Paradise The Psychiatry ofGemuumlth in a Biedermeier Asylum Chica-go 1998 S 19) Die Bedeutung im Deutschen selbst ist zudem sehr variabel hat aber zumeistmit Seelen- oder Geistkonzepten zu tun ndash Cheryce von Xylander (geb Kramer) uumlbersetztGemuumlth mit bdquosoul-organldquo (ebd S 43) das von diversen Autoren unterschiedlich konstru-riert wird (zB von Kant geistigkoumlrperlich und von Kleist individuellkollektiv (vgl ebdS 41)) In Heideggers emblematischem Duktus scheint eine Vermischung von allen vier Di-mensionen geistigkoumlrperlich wie auch individuellkollektiv stattzufinden Es ist auf jedenFall dem Mythos geschuldet den Auftrag des Deutschen anzunehmen (3)
156 GA 79 S 33
37
gehoumlre die planetarische Abloumlsung und Aufhebung des traditionellen und damit
wesenhaft ans Ding gebundenen Verhaumlltnisses vom Menschen zur Erde (das von
ihm idealisierte voumllkische Bauerntum das Bestellen des Ackers) bdquoDie Bestand-
Stuumlcke sind Stuumlck fuumlr Stuumlck die Gleichenldquo157 So kontrastiert er alte Handwerks-
techniken mit Maschinentechnik und schreibt der Maschinentechnik die machen-
schaftliche Verdraumlngung als Geraff zu
Das Ge-Stell hat auch wenn das nicht unmittelbar und nicht sogleich ver-nehmlich wird im vorhinein schon alle diejenigen Stellen beseitigt an denenvormals Spinnrad und Wassermuumlhle standen Das Ge-Stell bestellt durch sei-ne Maschinerie zum voraus eine andere Art und Ordnung von Stellen Andiesen kommt nur zu Stand was als Bestellbares auf der Stelle gleichfoumlrmigzur Stelle steht
Darum ist auch die Art wie die Maschine selbst etwas herstellt einewesentlich andere als das handwerkliche Tun gesetzt daszlig es innerhalb desGe-Stells uumlberhaupt noch so etwas wie ein Herstellen gibt
Die Traktoren und Kraftwagen werden herausgebracht ausgeworfen se-rienweise Stuumlck fuumlr Stuumlck Wo drauszligen steht dieses so Herausgestellte Wo-hin in welchen Stand ist es gebracht158
In dieser Klage uumlber den technischen Wandel der durch den Fortschritt in
alle Lebensbereiche Einzug haumllt versucht Heidegger zu veranschaulichen wel-
chen Verlust es zu erkennen gelte Ein Versuch diesem entgegen zu treten ist die
von ihm vorgetragene Mythopoetik die er in diesem Vortragsteil seines Vortrags-
Gevierts allerdings auffaumlllig zuruumlckgestellt sein laumlszligt War der Einleitungsteil Das
Dinglsquo schlieszliglich eine nahezu einzige mythopoetische Darbietung Dramatur-
gisch wird Heidegger in Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo die mythopoetischen For-
mulierung als Loumlsungswege wieder Bedeutung geben In Das Ge-Stelllsquo versucht
Heidegger hingegen Vorstellungen aus seinen Schwarzen Heften aumlhnlich der fol-
genden mitzuteilen die das Uniforme Gleichfoumlrmige betreffen
Die Macht der Machenschaft ndash die Vernichtung sogar der Gottlosigkeit dieVermenschung des Menschen in das Tier die Vernutzung der Erde die Ver-rechnung der Welt ndash ist in den Zustand der Endguumlltigkeit uumlbergegangenUnterschiede der Voumllker Staaten Kulturen sind nur noch Fassade159
157 GA 79 S 36158 GA 79 S 35159 GA 96 S 52f
38
Was Heidegger unter dieser Gleichfoumlrmigkeit versteht schreibt er in den Schwar-
zen Heften zumeist den Amerikanern zu Er nennt es auch haumlufig Planetarismus
Der Amerikanismus [ist DS] die Zusammenraffung von Allem welcheZusammenraffung immer zugleich die Entwurzelung des Gerafften bedeu-tet160
Der Planetarismus ist die historisch gedachte Bestimmung der uumlberall glei-chen die ganze Erde uumlberdeckenden Seinsverlassenheit des Seienden161
Die Gegenuumlberstellung von natuumlrlicher und traditioneller Handwerkstechnik
gegen maschinenhafte Gleichfoumlrmigkeit exemplifiziert Heidegger dann im Vor-
trag Das Ge-Stelllsquo vielfach wie zum Beispiel hier
Der Forstwart zB der im Wald das geschlagene Holz vermiszligt und demAnschein nach noch wie sein Groszligvater in der gleichen Weise die selbenWege geht ist heute von der Holzverwertungsindustrie gestellt Er ist ober es weiszlig oder nicht in seiner Weise Bestand-Stuumlck des Zellulosebestandesund dessen Bestellbarkeit fuumlr das Papier das den Zeitungen und illustrier-ten Magazinen zugestellt wird die uumlber die Oumlffentlichkeit daraufhin stellenverschlungen werden162
160 GA 96 S 257161 GA 96 S 261162 GA 79 S 37f
Die renommierte Theaterautorin Elfriede Jelinek karikiert in ihrem Stuumlck Totenaubergvon 1991 Heideggers Konstrukt von Heimat und Fortschrittsfeindlichkeit verbunden miteiner Auseinandersetzung mit dessen Liebschaft zu Hannah Arend Mit philologischer Prauml-zision polemisiert sie Teile aus Heideggers Elegie uumlber die Technik und laumlszligt ihn dabei alsbeschraumlnktes und eingezwaumlngtes Wesen in einem Gestell gefangen sein Aus diesem heraussoll er Arend Rede und Antwort stehen uumlber sein Verhaumlltnis zum Nationalsozialismus unddie Shoa Doch dieser redet nur naturtrunken von Heimat und berauscht sich daran Derprophetische Denker wird banalisert ndash diese Worte legt Jelinek ihm (im Stuumlck der alte Mann)in den MundbdquoDie Angst vor dem Fragen liegt uumlber dem Abendland Sie bannt die Kandidaten auf ein
Team-Leibchen verbannt sie auf altgewordene Wege und jagt sie zuruumlck ins morsch geworde-ne Gehaumluse ihrer Tore wo es um ihre Ausscheidungen geht Es wird ihnen alles weggenom-men werden auch der Weg selbst Keine Spur kein Lichtschein aus den Ritzen Aber ruf ichin die Huumltte um nach einem zu fragen den ich gekannt hab sehe ich grad noch eine Tuumlrsich schlieszligen Der Wald kommt nicht zur rechten Geltung alles ist entflohen was mir liebwar und woran ich geglaubt hab Was kommt ist noch nicht da Nichts war Ich habe nichtsgehoumlrt Ich erinnere mich nicht aber ich stelle dem Kommenden das mich den lupenreinenAmateur schon vor Beginn des Rennens erlahmen laumlszligt vorsorglich die Hausschuhe vor dieTuumlr Sie sind das Einzige was die Profis des Profits von mir dann vorfinden werden wennsie anklopfen Die Haumlrte des Urgesteins sollte sie nicht entmutigen Die Jahreszeiten machendie Landschaft auf und zu Ich sage nur In dieser scheinbaren Leere will ich vom Denkenmuumld nur schlafen Von der Huumltte aus lassen sich Wanderungen unternehmen Aber auchsonst wird Ihnen alles wie ich sagte genommen werden Auch Ihre Fotos und Namen Unddas Gewesene wird wesenlosldquo ( Jelinek Elfriede Totenauberg Hamburg 1991 S 86f)
39
Die Oumlffentlichkeit ist fuumlr Heidegger ein Topos der dem Denken und Besinnen
entgegenstuumlnde Somit meint er damit zum Einen die Medien wie er es anhand
der Rede von den Bestandstuumlcken in Das Ge-Stelllsquo erklaumlrt wo der Mensch als
Urheber des Ge-Stells als Wesen der Technik nicht gelten soll Vielmehr wuumlrde er
in Ratlosigkeit und Langeweile verfallen weil er in der Bestellung des Bestandes in
Form von Bestandstuumlcken vom Rundfunk keine Besinnung mehr faumlnde dh das
Ganze also wiederum daswesentliche Ding nicht mehr zu fassen vermoumlge163 Und
so toumlnt es bereits aus den Schwarzen Heften von 19391940()
Die Bildlsquo und Tonlsquo ndash Reportagenlsquo der Machenschaft ist der planetari-sche Mythuslsquo des Vollendungsabschnittes der Neuzeit Die Welt des abge-legensten deutschen Bauernhofes wird nicht mehr durch [] die Naturlsquobestimmt in der noch die Erde waltet sondern durch das illustrierte Blattmit der Darstellung von ausgezogenen Tanzweibern von Boxern und Renn-fahrern und sonstigen Heldenlsquo des Tages164
Und ferner notierte Heidegger 1946 in seinen Schwarzen Heften
Uumlberall zerrt es aus dem Oumlffentlichen ins Oumlffentliche mit vielen Strickenund jeder sieht das kaum versuchte Denken des Seyns am Leitband seinesStrickes165
Dabei waumlre eben ein bdquoLiterat [] ein in die Oumlffentlichkeit verliebter Mensch der
Angst vor dem Denker hatldquo166 Dieses liefe dann darauf hinaus dass beim Rund-
funk bdquoein Bestellen und Stellen waltet das in dasWesen des Menschen eingegriffen
hatldquo167
Abermals nach dem Wesen der Technik also nach dem Ge-Stell gefragt geht
Heidegger auf seine Unterscheidung vonNatur undNaturwissenschaft ein bdquo[w]elches
ist das Verhaumlltnis zwischen der Technik und der Naturldquo168 Natur wuumlrde in wis-
senschaftlicher Hinsicht unter das Berechnete fallen sie wuumlrde bdquoals das in Maszlig
und Zahl gestellte Wirkliche vorgestellt das in seinem Gewirkten staumlndig an-
westldquo169 Wenn Heidegger dann Natur aus technischer Sicht bdquoals ein System des
163 Vgl GA 79 S 38f164 GA 96 S 54165 GA 97 S 100166 GA 97 S 126167 GA 79 S 39168 GA 79 S 41169 Ebd
40
Bestellens von Erfolgen aus dem gestellten Wirksamenldquo170 charakterisiert spricht
er von seiner Rede der Verschraumlnkung von Historie und Technik ndash bdquoTechnik die
Historie der Naturldquolsquo171 Dieses ist bekanntlich das seinsvernichtende Gegenstuumlck
zur geschichtlichen Besinnung Denn geschichtliches Walten der Technik ist fuumlr
Heidegger technische Geschichte dh verwissenschaftlichte Geschichte die da-
durch ihr Wesen verloren haumltte (Seynsvergessenheit)172 So heiszligt es in den Schwar-
zen Heften von 1947
Ein Zeitalter das historisch geworden ist dh technisch planend sich selberberechnet und alles in diesen Sog zieht muszlig jede Besinnung nur als eine dervielen Formen der Intellektualitaumlt registrieren173
Heidegger schlieszligt den Vortrag mit dem Aufgriff der Anfangsbehauptung
bdquo[d]er Bestand bestellt das Abstandsloseldquo174 Somit liegt das Problem der ausblei-
benden Naumlhe durch die Technik deren Wesen das Ge-Stell waumlre das den Bestand
bestelle in der Luft Dass dabei der Mensch sogleich Teil des Bestandes und nicht
Teil der Maschine wird laumlsst ihn das historische Tier sein (2)
Der Mensch ist auswechselbar innerhalb des Bestellens von Bestand []Gleichwohl gehoumlrt der Mensch in einer voumlllig anderen Weise in das Ge-Stellals die Maschine DieseWeise kann unmenschlich werden DasUnmenschlicheist jedoch immer noch unmenschlich Der Mensch wird nie zur MaschineDas Unmenschliche und noch Menschentuumlmliche ist freilich unheimlicherweil boumlsartige und verhaumlngnisvoller denn der Mensch der nur Maschine wauml-re175
Wen Heidegger hier ersinnt ist der neuzeitliche Mensch der den bdquoGoumlttern uner-
traumlglich gewordenldquo176 waumlre
170 Ebd171 GA 95 S 351172 In Heidegger Die Technik und die Kehre S 21 stellt er Geschichte und Historie einander
gegenuumlber was er in Das Ge-Stelllsquo nicht vollzieht bdquoDie moderne Technik kam doch erst inden Gang als sie sich auf die exakte Naturwissenschaft stuumltzen konnte Historisch gerechnetbleibt dies richtig Geschichtlich gedacht trifft es nicht das Wahreldquo Signifikant fuumlr Heideg-gers Attributierung so wie sie oben schon geschildert ist steht Historie fuumlrs Rechnen undGeschichte fuumlr das Denken
173 GA 97 S 508174 GA 79 S 44175 GA 79 S 37176 GA 94 S 236
41
323 Die Gefahrlsquo
Aus Heideggers Darlegung uumlber das Ge-Stell erschlieszligen sich seine diversen Fa-
cetten der Vorstellung einer Abstandslosigkeit schaffenden Technik Dass die Ab-
standslosigkeit dem Prinzip des Gevierts des Zusammengestellten entgegensteht
bekommt im Vortrag Die Gefahrlsquo Nachdruck Die mythopoetische Erzaumlhlung
knuumlpft an den Vortrag Das Dinglsquo an mit den Mythologemene 1 Der Mythos
des geschichtlich sein muumlssens 2 der Mythos des Goumlttlichen 3 das geschichtsbe-
sinnliche Prinzip der Aletheia Zudem wird im Prozess des Vortrags das Ge-Stell
zur Gefahr stilisiert was einen eigenen Mythos erschafft
Durch das bdquouniversale Bestellen des Ge-Stellsldquo177 werde die naumlhernde Naumlhe des
Dings verwehrt Wie im Vortrag Das Dinglsquo fuumlhrt Heidegger das Wesentliche sei-
ner Theorie auf die deutsche und altgriechische Sprache zuruumlck Die so vollzoge-
ne Annaumlherung von Schwarzwaumllderischem Dialekt und Altgriechisch entspricht
Heideggers Traum von dem bdquogeschichtliche[n] Geburtsort des abendlaumlndischen
Wesensldquo178 den seine Heimat von Todtnauberg bis Freiburg stiften sollte (1)
es ist das Geistvolle und zugleich das erdenhafte schoumlne Land Es birgt un-sichtbaren Reichtum dem Gemuumlt bewahret tiefstes Dichten und houmlchsteGestalt der Sage179
Unter diesem Vorzeichen also sagt Heidegger
Das Ge-Stellwesen laumlszligt das Ding ohne die Wahr Das Wort die Wahrlsquo be-deutet in unserer Sprache dort wo sie noch urspruumlnglich spricht die HutIn unserer schwaumlbischen Mundart meint das Wort die Wahrlsquo die der muumlt-terlichen Hut anvertrauten Kinder Das Ge-Stell laumlszligt in seinem Stellen dasDing ohne die Hut ndash ohne die Wahr seines Dingwesens180
Diese in Bremen vorgetragene Heimatkunde ist auch Heideggers Sorge ge-
schuldet durch die Besatzermaumlchte und deren kulturellen Einfluss auch durch
die nun moumlgliche Oumlffnung Deutschlands zu einem Austausch mit der Welt das
eigene Wesen zu verlieren So schreibt er 1945-1947() in seine Schwarzen Hefte
177 GA 79 S 46178 GA 97 S 54179 Ebd180 GA 79 S 46
42
Das Schwerste und Fragwuumlrdigste unseres Geschickes ndash beruht darin ob wirdas Eigene finden und huumlten [] unter den anderen Voumllkernlsquo [] Scheinund Vorwand der Macht daszlig man unsere eigene Aufgabe bringen will []als Entmachtete aufgenommen zu sein in den Weltmachenschaftsbetrieb181
Es gaumlbe nach Heidegger also das Welten von Welt und die Verweigerung von
Welt aus derVerwahrlosung des Dings durch das Ge-Stell bzw die Technik182 Welt
ist nach dem Konzept des schwaumlbischen Denkers nichts weniger als das Geviert
Bei der folgenden mythopoetischen Zusammenstellung von dem Geviert mit alt-
griechischen Vokabeln um den Seins-Begriff wird das Aletheia-Prinzip eingefuumlhrt
Somit fuumlhrt uumlber den Mythos des Goumlttlichen (2) der Weg zur Wahrheit eben als
geschichtsbesinnlich erfahrene Aletheia (3)
Welt ist das Geviert von Erde und Himmel Goumlttlichen und SterblichenDas Spiegel-Spiel der Vierung wahrt alles was in ihm dingend zwischenden Vier anwest und abwest in das einende Ganze seines Anwesens Vonaltersher heiszligt das Anwesen des Anwesenden τὸ ὲόν das Seiend [sic] τὸεἶναι das Sein naumlmlich der ὲόντα des Seinenden das esse entium183
Diese Welt waumlre nun bdquoWahrnis des Wesens von Sein Statt Wahrnis sagen wir auch
Wahrheitldquo184 Die Welt mythopoetisch als Spiegel-Spiel des Gevierts und durch
eine altgriechische Brille betrachtet waumlre die wahre Welt Somit wird die Wahr-
heitsschau gebunden einen antiken Goumltterglauben und abendlaumlndische Sprachkas-
kaden vom Dialekt zum Altgriechisch
Das Problem mit der wahren Welt waumlre allerdings dass sie sich in die Ver-
borgenheit entziehe Naumlher betrachtet ist aber die Verborgenheit Bedingung des
Entbergens was Heidegger notwendig macht zu einem wuumlrdigen Lebensvollzug
in Harmonie mit dem Sein Durch solche Wesensschau waumlre der Mensch befaumlhigt
jederzeit die verstellenden Maumlchte des Ge-Stells (der Technik) zu uumlberwinden und
teilhaftig am Wesen der Welt zu werden
181 GA 97 S 99182 Vgl GA 79 S 47183 GA 79 S 48 (Die griechischen Vokabeln werden hier keiner Uumlbersetzung unterzogen Da
Heidegger ohnehin keine philologische Schaumlrfe anwenden will ist es fuumlr die Zwecke hierausreichend sie mit seiner Uumlbersetzung zu betrachten Heidegger spricht von bdquoAchten aufdas Griechischeldquo was schwieriger waumlre als klassische Philologie (vgl GA 79 S 63)
184 Ebd
43
Welt bleibt in der Verborgenheit (Αήθη) auf die Weise daszlig diese ihre Ver-borgenheit gerade eine Unverborgenheit gewaumlhrt die Αλήθεια185
Die Αλήθεια haumltte allerdings auch eine Rolle uumlber die subjektive hinaus da nur
durch ihren Vollzug Seinsgeschichte gewaumlhrt wuumlrde Das ist der Anspruch den
Heidegger an sein Auditorium stellt gemeinsam geschichtlich sein zu muumlssen (1)
Die Αλήθεια ist das Geschick des Seins als welches Geschick sich die Fuumllleder Seinsgeschichte in ihre Epochen fuumlgt186
Mit dem Ge-Stell als Wesen der modernen Technik waumlre die Aletheia aller-
dings hochgradig gefaumlhrdet Denn ohnehin waumlre die Aletheia prinzipiell der Ge-
fahr der Vergessenheit ausgesetzt Doch das Ge-Stell haumltte die Kraft die bdquovollende-
te Vergessenheit der Wahrheit des Seinsldquo187 zu vollrichten
Indem das Ge-Stell alles Anwesende in den Bestand bestellt setzt das Ge-Stell das Anwesen des Anwesenden heraus aus seiner Wesensherkunft ausder Αλήθεια188
Diese Versetzung des beteiligten Wesens aus der Moumlglichkeit des Wahrheitsprin-
zips heraus markiert Heidegger dann mit der Schreibweise Seyn (mit bdquoyldquo) Wie
bei dem Vortrag Das Dinglsquo koumlnnen ethymologische Abstammungen sein Sys-
tem anreichern Da wo es um das Wortfeld des Stellens geht Ge-Stell Bestellen
Verstellen ist auch das NachstellenMitglied der Familie
Im Althochdeutschen heiszligt nachstellen fara Das in sich gesammelte Stellenals Nachstellen ist die Gefahr Der Grundzug des Wesens der Gefahr ist dasNachstellen Insofern das Sein als das Ge-Stell sich selbst mit der Vergessen-heit seines Wesens nachstellt ist das Seyn als Seyn die Gefahr seines eigenenWesens189
Damit wuumlrde sich durch die Verringerung der Selbstreflexion im Seyns-Bestand
eine Schwachstelle auftun in die der denkbegabte und aletheiafaumlhige Mensch ei-
ne Moumlglichkeit haben das Seyn zum Sein zuruumlckzuwandeln ndash also wieder in ein
185 GA 79 S 49186 Ebd187 GA 79 S 53188 GA 79 S 52189 GA 79 S 53
44
wesentliches Verhaumlltnis zum bdquoDingldquo zu gelangen in dem das Geviert wieder die
Harmonie herstellt Allerdings faumlnde bis zu solch einer Nachstellung eine Ver-
sieglung des Seynsbestandes statt Und Heidegger beklagt dass die Erreichung der
Ruumlckeroberung des Seins uumlber die Nachstellung nicht stattfaumlnde und stattdessen
die Irre regieren wuumlrde190
In dieser Irre stuumlnde dem Menschen nicht einmal mehr zu zu sterben Denn
bdquoSterben [] heiszligt den Tod in sein Wesen austragenldquo191 Somit waumlren die Opfer
die in den KZs umkamen wie er sie in Das Dinglsquo bereits schildert nicht vermouml-
gend gewesen zu sterben bdquoSie werden Bestandstuumlcke eines Bestandes der Fabrika-
tion von Leichen [] Sie werden in Vernichtungslagern unauffaumlllig liquidiertldquo192
Das vermoumlge die Gefahr zu bewirken Der Mensch wuumlrde des eigenen Sterbens
beraubt da er keine Verbindung mehr zur Wahrheit der Welt haumltte Um den rich-
tigen Tod zu sterben muumlsse der Mensch die Aletheia schauen koumlnnen Insofern ist
Heideggers Prinzip ein religioumls anmutendes Wie in der christlichen Vorstellung
der Mensch im Jenseits an seinen Taten gemessen wird um Paradies oder Fege-
feuer zu besuchen soll nach Heidegger der Mensch waumlhrend des Sterbens mit
sich selbst ins Gericht gehen Er soll sich rein machen vom Ge-Stell der Technik
und dem Seyn um nicht die einmalge Gelegenheit des richtigen Sterbevollzugs
zu versaumlumen Es winken gemaumlszlig des Gevierts die himmlischen Goumlttlichen den
irdischen Sterblichen zu wobei annehmbar ist dass Heidegger Sterblichen die
die Aletheia erkennen einen Goumlttlichkeitsstatus beimessen moumlchte ndash eine Erlouml-
sungsphantasie
Genau diese Erloumlsung waumlre die Technik nicht
Ohne den Schritt des Denkens zu wagen der unser Menschenwesen demWesen der Technik [] aussetzt wuumlrgt man sich von Fall zu Fall von Lagezu Lage durch die Zwiespaumlltigkeiten hindurch Und genau durch dieses Ge-wuumlrge versaumlumt man die Moumlglichkeit dessen was man im Grunde erstrebtdie Technik durch menschliches Tun zu meistern und menschenwuumlrdig zulenken193
190 Vgl GA 79 S 55191 GA 79 S 55192 GA 79 S 56 Weil Heidegger im Judentum die Verantwortlichen fuumlr das Geraffe des Ge-Stells
sieht macht er sie gleichsam verantwortlich fuumlr die bdquoSelbstvernichtungldquo Die Seinsverges-senheit im Tode wird dadurch zum Spin-off der vermeintlich juumldisch erzeugten da machen-schaftlichen KZ-Maschinerie (Vgl GA 97 S 20f)
193 GA 79 S 59
45
Trost und Richtung findet Heidegger schlieszliglich abermals bei den alten Griechen
Das Wort stellenlsquo entspricht dem griechischen ϑέσις vorausgesetzt daszlig wirϑέσις griechisch denken Was heiszligt in diesem Falle griechisch denkenlsquo Esheiszligt darauf achten welche Lichtung desWesens des Seyns in welcherWeisedas Dasein der alten Griechen in den Anspruch genommen hat heiszligt imvoraus bedenken in welchem Geschick welcher Unverborgenheit des Seinsdie Griechen standenldquo194
Das sind Vorstellungen des Neuen Anfangs eine Reminiszenz der griechisch anti-
ken Welt Ein Eintrag aus den Schwarzen Heften von etwa 1945-47 () verdichtet
wie oben bereits aufgezeigt die Phantasie griechisch zu sein zu einem gelingenden
Lebensvollzug
Das reine Wesen des Griechentums dh das Seiende inmitten dessen dieGriechen als seiende fremd gewesen dieses und sie selbst und der Bezug desSeins zu ihnen ndash in der einfachen Wesung von der ἀλήθεια her zeigen underfahren Den μῦθος und λόγος ndash jedes Wort und Gebild rein aber nichterzwungen und schematisch-pedant ndash aus ἀλήθεια erfahren195
Hier zeigt sich auch dass Heidegger per se das Aletheia-Prinzip fuumlr notwendig
hielt um ins Licht der Wahrheit zu blicken Die Griechen sind ihm hier deshalb
Vorbild und rein da sie keiner modernen Technik und dem Ge-Stell ausgesetzt
waren sondern lediglich eine mythopoetische Verbindung zum Sein herstellen
mussten um wesentlich zu sein und Seinsgeschichte zu schreiben Die Dinge und
das Spiegel-Spiel des Gevierts waumlren ihnen geschickt zuhanden gewesen196 Hei-
degger macht schlieszliglich sehr deutlich dass das Griechische zu denken ein bei
weitem anderes Geschaumlft sei als philologische Praumlzision
Ein Echo zu sein naumlmlich dem Anspruch des Seins verlangt eine Sorgfaltder Sprache von der freilich der technisch-terminologische Sprachstil derWissenschaften uumlberhaupt nichts wissen kann Die Intentionalitaumlt der wis-senschaftlichen Sprache ist der staumlrkste Beweis fuumlr ihre Boden- und Heimat-losigkeit [] Das Heimische einer hohen Sprache gedeiht nur im Bereichdes unheimlichen Anspruchs der wesenhaften Stille im Wesen des Seyns197
194 GA 79 S 62f195 GA 97 S 20196 Hingegen waumlre das Judentum verantwortlich fuumlr das Ge-Stell fuumlr das Prinzip der Zerstoumlrung
wie es auf der selben Seite der Schwarzen Hefte darunter heiszligt (vgl ebd)197 GA 79 S 66 Die Bedeutung von Seyn als verstelltes Sein oder Bedingung zum Schauen
des wahren Seins ist verwirrend Einer genaueren Analyse wird aus Platzgruumlnden hier nichtnachgegangen
46
324 Die Kehrelsquo
Der letzte Vortrag ist mit nur neun Seiten der Kuumlrzeste des Vortragsgevierts
Nach dem Verlust des Dinges als Ding und der damit einsetzenden Abstandslosig-
keit als Wesen des Ge-Stells wobei die Gefahr zudem der Vergessenheit des Seyns
nachstellt bietet Heidegger eine Perspektive an
Im Wesen der Gefahr verbirgt sich [] die Moumlglichkeit einer Kehre in derdie Vergessenheit des Wesens des Seins sich so wendet daszlig mit dieser Kehredie Wahrheit des Wesens des Seyns in das Seiende eigens einkehrt198
Diese Moumlglichkeit bedeute nicht dass der Mensch sich der Gefahr selbst stellen
koumlnnte sie waumlre passiv ndash bdquoverbirgt sichldquo Die Kehre werde sich ereignen aumlhnlich
einer Erwartung an den Messias
Die Anwesenheit der Gefahr wuumlrde automatisch die Rettung bergen Denn
Houmllderlin haumltte geschrieben bdquoWo aber Gefahr ist waumlchst [d]as Rettende auchlsquoldquo199
Etwa 1945 notiert Heidegger in seine Schwarzen Hefte bdquoDie Wahrheit erfahren
wir im Gedaumlchtnis Das Gedaumlchtnis ist die Dichtungldquo200 (so) Von dieser War-
te aus ausgestattet mit Erinnerungen an das abendlaumlndische Dichten mit dem
Wissen um das Aletheia-Prinzip und passiv als denkender Huumlter des Seyns solle
der Mensch das Ereignis erwarten das ihn bdquoloumlsen freimachen freyen schonen
bergen in die Hut nehmen wahrenldquo201 wuumlrde (siehe S 43)
Dieses Ereignis waumlre der Blitz Ein unvermittelter jaumlher ploumltzlicher Moment
von kurzer Dauer der bloszlig einen ebenso kurzen Blick auf das wahre Wesen er-
lauben wuumlrde Abschlieszligend ist dies das Rezept gegen die Bestands bestellende
Technik in mythopoetischer Formulierung
So entsprechend ist der Mensch geeignet daszlig er im gewahrten Element vonWelt als der Sterbliche dem Goumlttlichen entgegenblickt Anders nicht dennauch der Gott ist wenn er ist ein Seiender steht als Seiender im Seyn unddessen Wesen das sich aus dem Welten von Welt ereignet202
198 GA 79 S 71199 GA 79 S 72200 GA 97 S 52f201 GA 79 S 72202 GA 79 S 76
47
Wenn Heidegger im Anschluss von der bdquohistorisch-technischen Darstellungldquo re-
det so ist dies die Abwehr der Wissenschaften (auch der Philosophie203) und ein
Appell an die Antirationalitaumlt des Mythos bdquokein historisches Vorstellen der Ge-
schichte als Geschehen bringt in den schicklichen Bezug zum Geschickldquo204
Damit das Blitzen erfahren werde als kurze Wesensschau der Aletheia muumlsse
dem wahren abendlaumlndischen und heimatlichen Ereignis stattgegeben werden Es
sollte nicht wie er 1939 schon in den Schwarzen Heften beschreibt das
kuumlnstliche Licht von Historie und Technik in der weder Mensch noch dieGoumltter weder eineWelt noch die Erde sichtbar werden koumlnnen wo aber dasLebenlsquo von allen den immer noch zu wenigen Meistenlsquo erlebtlsquo wird205
Damit schlieszligt der letzte Vortrag mit einer Erwartung an das Ereignis des Blit-
zens nicht das Erleben der Besinnungslosigkeit (vgl Das Ge-Stelllsquo) Schon 1947
traumlumt Heidegger von solcher Umkehr
Aus der Kehre der Seynsvergessenheit aber ereignet sich das Unumgaumlnglicheden Acker der Welt erst zu pfluumlgen und saatbereit der Sonne und dem Regenund den Voumlgeln des Himmels uumlberlassen206
203 Denn ldquo[e]igentlich denken heiszligt [] die Philosophie verlassen [] beim Sagen des Seinslsquoldquo(GA 97 S 60)
204 Ebd205 GA 95 S 427 Gegen das Erlebnis und Erleben straumlubt sich Heidegger besonders So notiert
er etwa 1939 bdquoZeitalter der Techniklsquo macht gerade die Techniklsquo nicht zum Ziel sondernimmer mehr zum Mittel der besinnungslosen Berechnung [] der Mensch [] das Erleb-nislsquo [] Erleben als der Gefuumlhlsgenuszligldquo (GA 95 S 149) Wie auch bdquoWo beide Historie undTechnik in solcher scheinbaren Gegensaumltzlichkeit verkoppelt sind koumlnnen sie sich zur Foumlr-derung dessen zusammenschlieszligen was einstmals wesentlich die Geschichte des Menschenmitbegruumlndete und was wir die Kunstlsquo nennen Die Historie verschafft [] Anregungenund Vorbilder der Nachahmung die Technik erleichtert [] die Zustellung von Darstel-lungsmitteln und Wirkungsformen [] Gleichwohl ist alles wurzellos [] berechnet und alsErlebnislsquo ausgegebenldquo (GA 95 S 212)
206 GA 97 S 511
48
4 Konklusion
Der umstrittene Philosoph Martin Heidegger hat uumlber die 1930erndash40er Jahre
hinweg eine ausgepraumlgte voumllkisch-nationale und bisweilen radikal-antisemitische
Denkweise entwickelt Dieses Denken fasste er auch auf als Besinnung und stellt
es der Philosophie und Wissenschaft diametral entgegen In Kapitel 2 wird aufge-
zeigt dass sowohl Heideggers Mythologie bereits kritisiert wurde (Adorno Cassi-
rer Meyer) als auch seine Mythopoetik bewundert (Schulz-Nieswandt) Kapitel
3 will daruumlber hinaus aufzeigen wie Heidegger eine eigene Mythologie mytho-
poetisch fruchtbar macht was sich von beiden vorigen Ansaumltzen unterscheidet
und erst mit der Veroumlffentlichung der Schwarzen Hefte ab 2014 nachvollziehbar
wurde
Umso mehr bietet die mythopoetische Verbindung von bdquoDichten und Den-
kenldquo (so) einen antitechnischen Gegenpol Denn Heidegger fasst wie oben ge-
schildert alles Rationale auf als berechnende Bestellung des Bestands im Sinne
der Technik Daruumlber hinaus fordert er mit dem Aletheia-Prinzip (als metapho-
risch gefasstes Ereignis des Blitzens) einen Mitvollzug seiner mythopoetischen
Kontemplation in dem religioumlse voumllkische antike und sprachliche Motive zu-
sammenfallen
Obwohl schon von Heidegger selbst nicht mehr als Philosophie betrachtet
hat seine Rede vom Ding dem Ge-Stell dem Wesen der Technik und der Kehre
noch immer einen bedeutenden Einfluss auf die Technikphilosophie So betont
Alfred Nordmann in bdquoWerkwissen oder How to express things in worksldquo (2008)
dass Heidegger mit Das Dinglsquo eine Art Dingwissen geschaffen haumltte In seinem
2012 erschienenen Aufsatz Another parting of the ways Intersubjectivity and the
objectivity of sciencersquo207 geht Nordmann ein weiteres Mal auf Heideggers Ding
ein Dieses waumlre eine Abarbeitung an dem Ding Kants womit auch Nordmann
Heidegger als einen Interpreten Kants versteht208 Anschlieszligend anMichael Fried-
207 Nordmann Alfred Another parting of the ways Intersubjectivity and the objectivity ofscience In Studies in History and Philosophy of Science 43 (2012) 38ndash46
208 Die Auseinandersetzung mit dem Ding wuumlrde nach Nordmann in Heideggers GA mit demText Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalen Grundsaumltzenlsquoeinsetzen (GA 41 Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalenGrundsaumltzen)
49
man spricht sich Nordmann ebenso dafuumlr aus dass Heidegger neben Rudolf Car-
nap und Ernst Cassirer eine neokantianische Philosophie verfolgt haumltte (siehe
Kap 1)209
Nach Nordmann haumltte Heidegger in seinen anschlieszligenden Gedanken uumlber
das Ding als Fortfuumlhrung Kants als erster Wissenschaft als angewandte Techno-
logie verstanden210 Diese Interpretation stuumltzt sich auf die gleichen Symbole
Metaphern und Mythen die die vorliegende Arbeit analysiert Das Ge-Stell ist
insofern aumlquivok mit dem Begriff techno-science Jedoch sind in dieser Fruchtbar-
machung von Heideggers Denken der Technik dessen nationalistischen rassisti-
schen und antisemitischen Implikationen die die vorliegende Arbeit als Zentrum
dessen Philosophie ermitteln konnte noch nicht beachtet worden koumlnnen211
Andreas Luckner webt Heideggers Ding-Entwurf weiter als verantwortliches
Sorgen um die Dinge212 Er geht dabei mit Heidegger voumlllig konform und tritt
eher als eine Art Bote der Ding-Botschaft auf als diese moumlglicherweise zu kriti-
sieren was sich diesen Artikel wie ein Kapitel aus einem Studienbuch lesen laumlsst
Der Darmstaumldter Technikphilosoph Christoph Hubig ist vor allem Kritiker Hei-
deggers Argumentationen laumlsst aber zuweilen diverse Topoi aus dem Werk des
Technik-Denkers durchscheinen ohne sie weiter zu reflektieren
So konstatiert Hubig Heidegger verfehle in dessen Auseinandersetzung mit
Aristoteles Lehre von der Poiesis zum Punkt der Sicherung wie sie in Die Frage
nach der Techniklsquo behandelt wird bdquodie operative Seite des Technischenldquo bei Aris-
totels213 In einem spaumlteren Aufsatz allerdings stuumltzt er sich ohne weitere Erlaumlute-
rungen auf Heideggers Begriff der Sicherung aus Die Frage nach der Techniklsquo214
209 Diese Befriedung paradigmatischer Umstaumlnde wird hier nicht geteilt Eine weitere Bearbeitunglaumlsst der Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht zu
210 Vgl Nordmann Another parting of the ways S 45211 Der Aussage dass Heideggers Ding-Begriff kantianisch waumlre muumlsste einer gezielten Untersu-
chung unterzogen werden genau wie die Behauptung insgesamt dass Heidegger oder inwie-weit dieser noch der suumlddeutschen Kantschule des 1920 Jahrhunderts angehoumlrte
212 Vgl Luckner Andreas Ding und Bestand Heidegger und das Wesen neuzeitlicher TechnikIn Gamm G Gehring P Hubig C Kaminski A und Nordmann A Ding und SystemS 15-30 hier S 29
213 Hubig Christoph Die Kunst des Moumlglichen Technikphilosophie als Reflexion der MedialitaumltBielefeld 2006 S 103
214 Vgl Hubig Christoph Technik als Medium In Grundwald Armin (Hg) Handbuch Tech-nikethik Stuttgart 2013 S 118-123 hier S 118
50
Dabei versteht Hubig Heideggers Betrachtungen zum Umgang mit der Technik
als gelassen
Fuumlr Heidegger liegt die Andersheit im Entbergen einer Wahrheit des Seinseines Geschicks von dem die Entwicklung der Technik hin zum Gestellkuumlnde Er verbindet dies mit dem Appell jenseits des rechnenden und si-chernden Vorstellens technischer Vollzuumlge als handlungsleitender Program-me sich gelassenlsquo dieser Entwicklung zu uumlberantworten und ein Seinlsquo zuhuumlten das sich als solches eben entbirgt Das Rettendelsquo dieser Einsicht lie-ge darin dass unsere individuelle Endlichkeit insofern transzendiert wirdals sie sich dem sie uumlbersteigenden Prozess aufschlieszligt und sich selbst relati-viert215
Wovon in diesem Zitat nicht die Rede ist ist der Mitvollzug der mythopoe-
tischen Rahmenbedinungen die Heidegger einfordert und an dem die Konzep-
te Abendland und voumllkische Tradition haumlngen In dieser Arbeit wird davon aus-
gegangen dass Heideggers Technikphilosophie-erzaumlhlung sich nicht von seinen
Absichten der Bekaumlmpfung des Technischen loumlsen laumlsst Die Relativierung ist in-
sofern nicht an den Prozess gebunden und damit emergent auf alles hin ausge-
richtet was kommen mag sondern houmlchst konvergent in einer Besinnung auf
Mythen von dem Ding und dem Geviert mit all deren Valenzen aus dem vorlie-
genden Heideggerschen Textkorpus Die individuelle Endlichkeit ist genoumltigt die
Heimat und das Abendland zu kennen und im Aletheia-Prinzip umzusetzen
Die Neubewertung der bislang bekannten Heideggerschen Technikphiloso-
phie von vor den SchwarzenHeften ist ein dringendes Desiderat Voumllkisch-nationale
Gruppierungen erstarken momentan in ganz Europa und es koumlnnte sehr hilfreich
sein aumlhnliche Denkstrukturen aufzudecken so wie sie zwischen den 1930er und
40er Jahren entwickelt wurden Zusaumltzlich muss das Werk Heideggers einer kriti-
schen Revision schon aufgrund der niemals von ihm behandelten Antisemitismen
unterzogen werden Heidegger hat nie zu diesen Stellung bezogen
Daruumlber hinaus ist das Thema Mythos und Philosophie ein weiterhin not-
wendiger Bereich der philosophischen Forschung In einem Bereich auszligerhalb
der exakten Wissenschaften und ohne klare theologische Tradition ist die Philo-
215 Hubig Die Kunst des Moumlglichen S 140
51
sophie beides sowohl Aufklaumlrer und antimythisch als auch Quelle fuumlr mythisches
Denken und affektierende Motive
52
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Die_Heidegger-Kontroverse ndash zuletzt abgerufen am 24042016)
56
Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
Der Unterzeichner versichert dass er die vorliegende Bachelorarbeit selbststaumlndig
verfasst und keine anderen als die von ihm angegebenen Hilfsmittel benutzt hat
Die Stellen der Arbeit die anderen Werken dem Wortlaut oder dem Sinne nach
entnommen sind wurden in jedem Fall unter Angabe der Quellen (einschlieszliglich
des World Wide Web und anderer elektronischer Text- und Datensammlungen)
kenntlich gemacht Dies gilt auch fuumlr beigegebene Zeichnungen bildliche Dar-
stellungen Skizzen und dergleichen
Darmstadt 25 April 2016
__________________________
(Eigenhaumlndige Unterschrift)
- Abkuumlrzungsverzeichnis
- Danksagung
- Einleitung
- Heideggers mythopoetisches Programm
-
- Zu den Begriffen Mythos Mythologie und Mythopoetik
-
- Ein Beispiel fuumlr ein Mythologem
-
- Heideggers Mythen
-
- Formen der Mythologie
-
- Heideggers mythopoetische Technik
-
- Zur Publikationsgeschichte von den Bremer Vortraumlgen 1949
- Die mythopoetische Spiegelung der Schwarzen Hefte
-
- Das Dinglsquo
- Das Ge-Stelllsquo
- Die Gefahrlsquo
- Die Kehrelsquo
-
- Konklusion
- Literaturverzeichnis
- Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
-
7
bdquoAus einer groszligen Zukunftldquo ist hierbei bezeichnend fuumlr die Vorstellung eines
Versprechens aus der Vergangenheit Das macht diesen Mythos aus Heideggers
Mythologie
Mythopoetische Texte schlieszliglich werden definiert als
Literarische Werke die Mythen aufnehmen und auf eine fuumlr die Textaussagekonstitutive Weise dichterisch bearbeiten21
Die Besonderheit von der bei der vorliegenden Arbeit ausgegangen wird ist dass
Heidegger in seinen echten Publikationen wobei hier besonders die Vortraumlge von
1949 von Interesse sind nicht bloszlig mythologisierte im Sinne eines bdquoerweiterten
Mythosldquo Sondern er schreibt als Mythopoet schoumlpfend aus seiner privaten My-
thologie Diese legte er sich selbst zu Grunde in den Schwarzen Heften Es sind die
Manifestationen seines Glaubens an romantisierte Antikeideale und seine Uumlber-
houmlhungen von Fantasien von einem deutschen Volk
Wie das Metzler Literaturlexikon es bereits aufweist bdquoDie weitere Explikation
des M-Begriffs ist komplex und faumlllt in die Zustaumlndigkeit verschiedener Diszipli-
nenldquo22 Die Begriffseingrenzung hier hat allerdings in Bezug auf das RDL einen
deutlich literaturwissenschaftlichen Bezug da Heidegger eine bdquoPartnerschaft zwi-
schen Denken u Dichtenldquo23 anstrebte ndash bdquoDas Dichterischelsquo sollte rettende Wege
im Zeitalter des universalen technolog Zugriffs findenldquo24 Damit ist auch zum
wiederholten Male das Kontrastierende in dieser Haltung genannt ob sich der
Mythos nun gegen das TechnischeWissenschaftliche richtet (Heidegger) oder ge-
21 RDL S 66522 Metzler Lexikon der Literatur S 524 Ferner deutet ein Eintrag im Neuen Pauly dar-
auf hin bdquoEine alle Disziplinen befriedigende Definition von M (μῦθοςmyacutethos latmythos) zu finden erweist sich trotz vieler Versuche als unmoumlglichldquo (Graf Fritz(Princeton) Zgoll Annette (Leipzig) Hazenbos Joost (Leipzig) Niehr Herbert (Tuuml-bingen) Mythoslsquo Der Neue Pauly Hg v Cancik Hubert (Antike) und Schnei-der Helmuth Landfester Manfred (Rezeptions- und Wissenschaftsgeschichte) Brill On-line 2015 Reference Universitaumlts- und Landesbibliothek Darmstadt 06 December2015 httpreferenceworksbrillonlinecomentriesder-neue-paulymythos-e815160 Firstappeared on-line 2006)
23 Poumlggeler Otto Heidegger In Killy Literaturlexikon Autoren und Werke des deutschspra-chigen Kulturraums 15 Bde 1988-93 Bd 5 S 142-146 hier S 144
24 Ebd S 142
8
gen die Rationalitaumlt (Cassirer) er hat stets bdquodas erklaumlrte Andere des logischen
Erkennensldquo25 inne26
211 Ein Beispiel fuumlr ein Mythologem
bdquoDen μῦθος und λόγος [] aus ἀλήθεια erfahrenldquo27 Dieses System entruumlckt
Wort und Rede dem zwischenmenschlichen Sprachgebrauch und uumlberlaumlsst es dem
Prinzip eines eigenwillig ausgelegten Begriffs der ἀλήθεια ob etwas als Ereignis
zum Sein gereicht oder als Dasein hinfaumlllig ist Die erstrebenswerte Identifikation
mit dem bdquoLeben der Gemeinschaft und mit dem Leben der Naturldquo28 die der ge-
meinsame Austausch uumlber Mythen bieten soll zB im Raumlsonieren daruumlber (etwa
im Sinne des Logos) untersteht hier dem regelnden Prinzip einer Aletheia Mys-
thagogisch will Heidegger den archetypischen Akt dieser Wesensschau beim anti-
ken Griechenvolk enthuumlllen (vgl Kapitel 323) Damit ist die Zusammenstellung
von bdquoμῦθος und λόγος [] aus ἀλήθεια erfahrenldquo bereits ein Mythos seiner
Mythologie
Die Eigenwilligkeit mit der Heidegger einen Mix aus philologischer Hinwen-
dung zu den Vorsokratikern der Dichtung Houmllderlins und einem Pathos seiner
Heimatverbundenheit verquickt ist Adorno schon in den 1960ern als Mythologie
aufgefallen bdquoAntisophistik im Endstadium aufbereiteter Mythologie ist verhaumlrte-
tes Ursprungsdenkenldquo29 Adorno konnte nicht ahnen wie tief Heidegger seinen
Wunsch nach Ursprung in sein Denken verschlossen hat Der Bestand bdquoaufbe-
25 Erdbeer Robert Matthias Graf Fritz Mythoslsquo Der Neue Pauly Herausgegeben vonHubert Cancik Helmuth Schneider (Antike) Manfred Landfester (Rezeptions- und Wis-senschaftsgeschichte) Brill Online 2015 Reference Universitaumlts- und LandesbibliothekDarmstadt 06 December 2015 lthttpreferenceworksbrillonlinecomentriesder-neue-paulymythos-rwg-e1505640gt First appeared online 2006
26 Ernst Cassirer interpretiert in diesem Bezug ferner nachdem er den Konflikt zwischen ra-tionalem und mythischem Denken als Machtkonflikt aufwies Kants Annahme von zweibdquoGruppen von Gelehrten und Forschern die eine befolgt das Prinzip der Homogenitaumltlsquo dieandere das der Spezifikationlsquo [] Nach den Prinzipien der Kantischen Philosophie selbststehen beide Haltungen nicht wirklich im Widerstreit miteinander Denn sie druumlcken keinefundamentale ontologische Differenz aus keine Differenz in der Natur und dem Wesen derDinge an sichlsquo Sie repraumlsentieren eher ein doppeltes Interesse des menschlichen Verstandesldquo(Cassirer S 12) Allerdings ist Heidegger anti-wissenschaftlich Sein Ringen um das Mythi-sieren verfolgt das Ziel einer gegenwissenschaftlichen bdquoBesinnungldquo wie er es nennt
27 GA 97 S2028 Cassirer Der Mythus des Staates S 5329 Adorno Jargon der Eigentlichkeit S 41
9
reiteter Mythologieldquo liegt erst seit 2014 mit der Veroumlffentlichung der Schwarzen
Hefte vor
22 Heideggers Mythen
Heideggers Mythen sind weder eine Fortsetzung antiker Uumlberlieferungen noch
ein von ihm entwickeltes Fabulieren uumlber anthropomorphe Goumltter und ihre Ent-
stehungsgeschichten Es ist in erster Linie eine eigenwillige Philologie des Alt-
griechischen wenn er zB in bdquogeschichtlicher Besinnungldquo zum Zuruumlckgehen bdquoauf
den Zusammenhang von τέχνη ἀλήθεια und οὐσίαldquo30 auffordert Adorno cha-
rakterisiert seinen Begriff vom Jargon der Eigentlichkeitlsquo mit dem Zug der sta-
tischen Inbeschlagnahme einzelner Woumlrter die sich bdquodurch die Konstellation die
sie verleugnenldquo aus demDiskurs sprengten und als Apotheosen eine uumlbertriebene
Eigenbedeutung erhalten wuumlrden Diese guerrillaartige Umdeutung von Sprache
versteht Adorno als Asyl des Faschismus31
Was das singulaumlre Wort an Magie verlor wird ihm gleichwie durch Maszlignah-men dirigistisch angeschafft [] Bestandstuumlcke der empirischen Sprachewerden in ihrer Starrheit manipuliert als waumlren sie solche einer wahren undgeoffenbarten [] Der Jargon objektiv ein System benutzt als Organisati-onsprinzip die Desorganisation den Zerfall der Sprache in Worte an sich32
Die bdquoDesorganisationldquo die Adorno Heideggers Sprachzerfall zuweist ist viel-
mehr eine Neukonstellation im Sinne des Mythos So erscheint es zumindest
anhand der Leese die Heidegger in den Schwarzen Heften zusammentraumlgt Der
deutsch-schweizerische Philosoph Enno Rudolph fuumlhrt in diesem Zusammen-
hang einige Militaumlrmetaphern an die Heideggers Zielsetzung unterstreichen sol-
len mit seinem Sprachsystem voumllkisch-nationale und eben auch antisemitische
Abgrenzungspolitik zu betreiben
30 GA 94 S 336f31 Vgl Adorno Jargon der Eigentlichkeit S 8f bdquoAsyl des Faschismusldquo ist eine treffende Parodie
auf Heideggers Rede von der Sprache als Haus des Seins (su)32 Ebd S 10
10
Am Ende koumlnnten sich Text und Sache moumlglicherweise so darstellen lassen[] dass sich das Gesamtwerk als die labyrinthisch konstruierte letzte Basti-on eines philosophischen Stellungskrieges positioniert in dessen Verlauf derAntisemitismus ndash neben den anderen programmatischen Feindseligkeiten ndasheine strategische Funktion nach Analogie mehrerer einander koordinierterWaffengattungen erfuumlllt [] dass es sich bei den vier Baumlnden um Bausteinefuumlr eine Kampfschrift handelt33
Mit dem Schluumlssel des Verstaumlndnisses der altgriechischen Sprache seiner Liebe
zum Klassikautor Houmllderlin und als selbsterklaumlrter Feind der Metaphysik ver-
stand sich Heidegger als Prophet des Denkens das als Dichtung veredelt An-
athema zur Rationalitaumlt und Wissenschaft (worunter er auch die Philosophie ver-
stand) sein sollte Die strenge Bindung an seine Pseudotradition des Abendlandes
sollte mythologisch festgezurrt sein aber seine Veroumlffentlichungen in Form von
Vortraumlgen und Aufsaumltzen und schlieszliglich in Buchform sollten selbst nicht bloszlig
mythologisch sein ImModus von verhaumlrtetem solipsistischen Narzissmus ging er
daruumlber sogar noch hinaus und wollte sich verstehen als mythopoetischen Autor
seiner eigenen Mythologie
Eine katalysierende Wirkung auf dieses Vorgehen Heideggers hatte der Alt-
philologe Walter F Otto (1874ndash1958) In einem vor den Schwarzen Heften in
2009 veroumlffentlichen Aufsatz schildert der franzoumlsische Germanist Daniel Meyer
von diesem Bezug und untersucht Heideggers Verbindung der Kehre34 und des
Mythos Die Entdeckung des griechischen Mythos Heideggers geschichtsphilo-
sophische Wendelsquo35 Wie es der Titel verraumlt markiert Meyer Heideggers Kehre
zur Seinsgeschichte mit dessen bdquoEntdeckungldquo des Mythologisierens36
33 Rudolph Enno Heideggers Schwarze Hefte im Echo In Philosophische Rundschau Bd 62Heft 2 (2015) S 141-154 hier S 145f
34 Die bdquoKehreldquo ist multifaktoriell mit Bedeutungen besetzt Darauf kann hier nicht eingeangenwerden Im Uumlblichen ist die Kehre zur bdquoSeinsgeschichteldquo gemeint
35 Meyer Daniel Die Entdeckung des griechischen Mythos Heideggers geschichtsphilosophi-sche Wende Germanica 45 (2009) S 13-26
36 Diese Entdeckung ist wie bei Peter Trawny (su) gebunden an Heidegger Topos des AnfangsDen Anfang dieser Rede des Anfangs will auchMeyer erkannt haben Insgesamt koumlnnen nochmehrere starke Aumlhnlichkeiten des Artikels von Meyer mit Trawnys Buch uumlber die Schwar-zen Hefte nachgewiesen werden womit Trawny ohne jegliche Nennung Meyers unter denAnfangsverdacht des Plagierens faumlllt
11
Ottos 1929 erschienenes Werk Die Goumltter Griechenlandslsquo37 sei laut Meyer
der fuumlr Heideggers mythologische Strategie unentbehrliche Einfluss Somit sei
der griechische Goumltterbegriff nicht mehr bdquochristlich antithetisch zu Welt und
Mensch sondern in Einheit damit zu denkenldquo38 Diese Einheit wuumlrde gestif-
tet durch bdquoOttos Formel vom Geheimnis der Beruumlhrung von Goumlttlichem und
Menschlichenlsquoldquo39 Da Meyer das Mythologisieren im Zusammenhang mit der ge-
schichtsphilosophischen Kehre auch im Sinne einer bdquoVorrangstellung des primi-
tiven archaischen von ihm [Heidegger DS] als mythisch verstandenen Den-
kensldquo40 als Weg zum Nationalsozialismus ndash der Traum Heideggers eines neuen
(deutschenabendlaumlndischen) Anfangs ndash versteht liegt dem bdquogriechischen Goumltter-
begriffldquo hier eine besondere Wertlegung zugrunde41
Die Beschwoumlrung des Anfangs des griechischen Ursprungs ermoumlglicht ei-nen genuinen Neuanfang im Sinne einer Annullierung des Vorhergekom-menen Der Ausweg aus der Moderne aus der Welt der Uneigentlichkeitist moumlglich durch einen Bruumlckenschlag zum griechischen Denken [] DieMoumlglichkeit diese Krise zu uumlberwinden ist fuumlr Heidegger 1933 durch dienationalsozialistische Machtergreifung gestellt doch reiht er diesen Prozessin eine legitimierende geschichtsphilosophische Perspektive die auf einengriechischen Ursprungsmythos zuruumlckverweist42
Meyer findet kernige Passagen die er aus Heideggers Schriften und Vorle-
sungen bis 1935 durchaus uumlberzeugend zur Unterstuumltzung seiner These anfuumlhrt
Diese Zitate Heideggers sind der Mythologie der Schwarzen Hefte sehr aumlhnlich als
tentatives Entwerfen
37 Otto Walter F Die Goumltter Griechenlands Das Bild des Goumlttlichen im Spiegel des griechi-schen Geistes Frankfurt am Main 2013Meyer verweist in einer Fuszlignote auf das Buch Heideggerrsquos Roots Nietzsche National So-
cialism and the Greekslsquo von Charles Bambach (2005) das ihm fuumlr diese Aussage Pate stand38 Meyer Die Entdeckung des griechischen Mythos S 439 Ebd Durch eine solche Formel der Einheit von Menschen und Goumlttern ist ein nahtloser
Anschluss an die Goumltter Heraklits und anderer antiker Philosophen geebnet Heidegger hatdiese Moumlglichkeit erstaunlich ernst genommen und ausgearbeitet
40 Meyer Die Entdeckung des griechischen Mythos S 341 Meyer stolperte mit der Begruumlndung dass bdquoDieser erstaunlich unkritische Gottesbegriff []
sich nur im Kontext von Ottos Goumltter Griechenlands verstehenldquo (Meyer Die Entdeckungdes Griechischen Mythos S 4) lieszlige uumlber Heideggers SoSe Vorlesung 1930 Vom Wesender menschlichen Freiheitlsquo (GA 31 S 7f) Ferner vollzieht er Ottos Einfluszlig uumlber die ersteHoumllderlin-Vorlesung von 193435 und weitere Schriften Heideggers nach Es geht Meyerauch stark um das Verhaumlltnis von Heideggers Denken bis und nach Sein und Zeit was indieser Arbeit nicht tiefer behandelt werden kann
42 Meyer Die Entdeckung des griechischen Mythos S 4f
12
Das legt nahe dass Heidegger sein mythopoetisches Texten als Code vor allem
in den Nachkriegsveroumlffentlichungen einsetzt ndash ein Nachruf aus dem gescheiter-
ten Anfang43 Ab 1935 jedenfalls haumltte sich Heidegger von der Vorstellung des
neuen Anfangs verabschiedet44
Das Mythologisieren konstruiert Meyer als Anschluss an die Houmllderlin-Vor-
lesung (193435) Die Houmllderlinsche Lyrik haumltte fuumlr Heideggers bdquophilosophisches
Sprachmaterialldquo Vorbildcharakter da bdquomit Houmllderlin die griechische Mytholo-
gie in ihrer sprachlichen Verbildlichung zum tragenldquo45 kaumlme Die dann staumlndige
Wiederauferstehung der bdquogriechischen Goumltter- und Heldenwelt in seinen Vorle-
sungenldquo schluumlge dem zu Buche In der Vorlesung 193435 Houmllderlins Hymnen
Germanienlsquo und Der Rheinldquo klingt insofern bereits eine Figur an die Heidegger
uumlber zehn Jahre spaumlter in seinen technikphilosophischen Bremer Vortraumlgen mit
seinem Aletheia-Prinzip verbinden wird ndash der bdquoBlitzldquo (su)
43 Eine genaue Untersuchung laumlszligt die Form dieser Arbeit nicht zu sie bezoumlge sich wie gesagtauf die drei Darstellungsebenen der GA mit den Schwarzen Heften (GA 94ndash97) als (Entwurfs-phase) Besinnung (GA 66) Das Ereignis (GA 71) ua als (Konzeptionsphase) und den BremerVortraumlgen (GA79) als (Praumlsentation) die Uumlbergaumlnge sind freilich flieszligend und gerade in denvon Meyer zitierten Vorlesungen erscheinen alle drei Stufen mitunter gleichzeitig Gerade imfolgenden zitierten Doppelband in dem es ua um die bdquoWahrheit der Spracheldquo geht scheintes tatsaumlchlich genau wie Meyer es identifiziert um die Grundlegung Heideggers Mythologiezu gehen die in den Schwarzen Heften vielmehr lemmaartig und sporadisch entworfen wirdMit Heraklits Spruch des Kampfes als Wesen des Seienden zieht Heidegger einen Paten seinerMythos-Logos-Aletheia Kombination heran und versucht seiner eigenwilligen Philologie ei-ne verpflichtende Bedeutungstiefe einzulegenMeyers Zitate Heideggers mit groszliger Relevanz fuumlr diese Arbeit sind die folgenden bdquoDa-
mals als das Volk der Griechen deren Stammesart und Sprache mit uns dieselbe Herkunfthat in seinen groszligen Dichtern und Denkern sich aufmachte eine einzigartige Weise desmenschlichen volklichen Daseins zu schaffen Was da anfing ist bis heute nicht eingeloumlstAber dieser Anfang ist noch nicht und er verschwand nicht und verschwindet nicht dadurchdaszlig die nachkommende Geschichte immer weniger seiner Herr blieb Der Anfang ist nochund besteht als ferne Verfuumlgung die unserem abendlaumlndischen Schicksal weit vorausgreift unddas deutsche Geschick an sich kettetldquo (GA 3637 S 6 Die Grundfrage der PhilosophielsquoSommersemester 1933)bdquoAls μυθος ist das Wort das uumlber den Menschen kommt jenes worin ihm dieses und
jenes seines Gesamtdaseins gedeutet wird nicht das Wort in dem er von sich her Rede stehtsondern das Wort das Weisung gibt [] Aber der urspruumlngliche λογος der Philosophiebleibt dem μυθος verbunden erst die Sprache der Wissenschaft vollzieht die Abloumlsungldquo(Ebd S 116)
44 In den Schwarzen Heften houmlrt die Sehnsucht nach dem neuen Anfang nicht auf also bis ein-schlieszliglich 1948
45 Meyer Die Entdeckung des griechischen Mythos S 6
13
Gewitter und Blitz sind die Sprache der Goumltter und der Dichter ist derder diese Sprache ohne Ausweichen auszuhalten hat aufzufangen und in dasDasein des Volkes zu stellen hat [] Die Dichtung ist ein Weiterwinkendieser Winke in das Volk oder von diesem her gesehen Dichtung ist []ein Zeigen ein Weisen in welcher Weisung die Goumltter offenbar werden46
Die Rede von bdquoWinkenldquo ist bereits ein Selbstbezug benannte der Autor der
Schwarzen Hefte seine ersten beiden Abteilungen des heutigen 94ten Bandes der
GA als Winke x uumlberlegungen (II) und Anweisungenlsquo und uumlberlegungen und
Winke IIIlsquo47 Diese setzen ein im Jahr 1931 und duumlrften moumlglicherweise bis 1933
oder vielleicht auch 1935 gereicht haben Heideggers Selbstuumlberhoumlhung als mys-
tagogisch bdquodichterisch-denkenden Schaffenden ndash also ihm selbstldquo48 erkennt auch
Meyer bereits ohne die eindeutigen Zeugnisse dieses Wunsches in den Schwarzen
Heften Es ist Heideggers Begehren das Volk seiner Fuumlhrung zu unterstellen bdquoso
dass sich das Wesen dieses Landes selbst findet und vollendetldquolsquo49
Meyer spricht in Folge daran davon was Heideggers Ursprungsmythos den
er in die griechische Altertum legt fuumlr diesen leistet Es ist eben das antiwis-
senschaftliche bdquoWissenldquo von einer bdquoUr-geschichteldquo Welche abgruumlndigen Motive
auch immer da hineinzuprojizieren sind (Bodenhaftigkeit arische Reinbluumltigkeit
abendlaumlndische Groumlszlige etc so wie es sich aus den Schwarzen Heften offenbart)
der Mythos verschraumlnkt Heideggers Streben nach Fuumlhrung als Denker und eine
Begruumlndung fuumlr die vermeintliche rassische uumlberlegenheit des deutschen Volkes
Meyer zitiert den Dichter-Denker mit bdquoMythologielsquo ist Wissen von einer Ur-
geschichteldquolsquo Es ginge um
Wissen nicht im archaumlologisch-musealen Sinn sondern als Prozess [] auchim Sinne dass Heidegger im Moment des Aussprechens gerade das leistetwovon er spricht Mythologie50
Augenscheinlich sieht Meyer keinen Grund dafuumlr von einer mythopoetischen
Textform in der Verschraumlnkung von Heideggers Denkerprophetie und der abend-
46 GA 39 S 31f (zitiert nach Meyer Die Entdeckung des griechischen Mythos S 6)47 Aus dem beigefuumlgten Nachwort des Herausgebers Peter Trawny geht nicht genauer hervor
weshalb zuerst bdquoWinke x uumlberlegungen (II)ldquo und dann bdquouumlberlegungen und Winke IIIldquo signi-fiziert sind Es wird hier davon ausgegangen dass es sich schlicht um das Gleiche handeltwobei der erste Teil sich in den bislang verschollenen Schwarzen Heften befinden muss
48 Meyer Die Entdeckung des griechischen Mythos S 749 Ebd Darin zitiert ist die GA 39 S 28950 Ebd Darin zitiert ist die GA 40 S 165
14
laumlndischen uumlberhoumlhung zu sprechen Die Paarung von Dichtung und Denken al-
lerdings ist fuumlr den Husserlnachfolger erst der Zweck und die Mythologisierung
das Mittel dazu In seiner Schrift uumlber die Religionsphilosophie und ontologi-
sches Wahrheitsverstaumlndnis bei Walter F Ottolsquo schildert der Altersforscher und
Sozialwissenschaftler Schulz-Nieswandt aus Koumlln uumlber die menschliche Existenz
die bdquoMythopoetik als Seins-Vergewisserungldquo51
In jenem Kapitel seines Otto-Traktats von 2014 schreibt Schulz-Nieswandt
wie ein echter Epigone Heideggers von der Wappnung gegen die bdquoKrise der Mo-
derne ndash Entfremdung Einsamkeit Angst Verzweiflungldquo52 An fruumlherer Stelle
seines Buchs stellt sich dar dass Schulz-Nieswandt sich geradezu mit Heideggers
Linie vereint anstatt sich ihr nur anzunaumlhern
Es geht um das wahre Sein aus der Sicht des zu seinem Wesen gelangendenMenschen in dessen Daseinsfuumlhrung was hermeneutisch erschlossen wer-den soll nicht um Wissenschaft als hermeneutische Methode im Kriterien-spektrum zwischen Verifikation und Falsifikation von Hypothesen mittelsProtokollsaumltzen uumlber die Realitaumlt53
51 Schulz-Nieswandt Frank Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis beiWalter F Otto (1874-1958) Eine strukturalistische und psychodynamische RezeptionBaden-Baden 2014 S 58-60
52 Ebd S 58 Dabei spielt Schulz-Nieswandt die Begriffe Epistemologie gegen Ontologie ausund bezeichnet sich selbst als post-strukturalistisch im Sinne der Kritischen Theorie schrei-bend Jedoch erscheinen diese philosophischen Kontraste nur wie bdquoEdelsubstantiveldquo des vonAdorno gemuumlnzten bdquoJargon der Eigentlichkeitldquo Und in genau diesem Jargon laumlszligt der So-zialwissenschaftler Heideggers Urmythos des Goumlttlichen der griechischen Antike (so) inaktueller Praumlsenz wieder auferstehen Es ist erstaunlich dass jemand der die Kritische Theo-rie fuumlr sich reklamieren will Epigone des bdquoJargons der Eigentlichkeitldquo ist So zeigt es sichauch auf S 28 wenn er in Ottos Dionysos bdquodie ganze Tiefe des Menschen zum Ausdruck[bringt DS] die Todeserfahrung des sterblichen Menschen Dionysos ist Hadesldquo Um nocheinmal zu bestaumltigen wie sich Schulz-Nieswandt als Akteur des Jargons gebiert sei hier Ador-no zitiert (dies gilt allerdings nur der Gegenuumlberstellung zum Vorsatz jener wuumlrde sich ander Kritischen Theorie orientieren ohne fuumlr diese zu advozieren) bdquoDer Heideggerschen Phi-losophie schloszlig sich was einmal Pforte zum ewigen Leben war zu sie betet statt dessenWucht und Groumlszlige des Tores an [] Sein wuumlrdevolles Gehabe ist Reaktionsbildung auf dieSaumlkularisierung des Todes [] Darum wird Sinn in den Tod geworfenldquo (Adorno Jargonder Eigentlichkeit S 134)
53 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei WalterF Otto S 15
15
Beiden gemeinsam ist auch die Faszination an Houmllderlin die sie ebenso mit Otto
teilen
Die ganze Eigenart des Denkens von Otto kommt in dem komplett innerenVerhaumlltnis zu Heidegger und Houmllderlin zum Ausdruck54
Nur noch ein Gott kann uns rettenlsquo so das Zitat des Spiegelinterviews das Ja-
kob Augstein zum Titel machte ist die kodierte Mythopoetik auf die sich die
Spiegelleser keinen Reim machen konnten Fuumlr Heidegger fuumlr den das Sein in der
Sprache wohnen sollte55 ging es um den Mythos der Naumlhe zur Antike als Naumlhe
zu den Goumlttern
Fuumlr Houmllderlin war die Theologie der Abwesenheit Gottes als uumlberweltlichePraumlsenz der Verlust der Gotteserfahrung des diesseitig verankerten Men-schen [] Die Antike wird als eine von Goumltternaumlhe charakterisierte Zeitvon Houmllderlin verstanden und erneuert (der kommendelsquo Gott) ersehnt56
Dies ist eine der Leit-Mythen Heideggers insbesondere wenn man sich die Nach-
kriegsvortraumlge ansieht (eben die Bremer Vortraumlgelsquo)
Die Aufhebung der Trennungsangst durch die bdquoAbwesenheit der Goumltterldquo uumlber-
winde der in existenzieller Angst befindliche bdquohomo abyssusldquo mittels bdquoder lie-
bevollen Gestaltung als Sich-Einrichten des Menschen [] als apriorischer Mo-
dus des In-der-Welt-Seinsldquo durch die bdquoEwigkeit der Mythopoetikldquo57 Fuumlr Schulz-
Nieswandt ist Mythopoetik eben nur dieses ein peganistischer Goumltterdienst der
den Kanon der Ottoschen Antike mit Houmllderlin interpretiert Insofern versteht
dieser versuchte Religionsphilosoph der eigentlich Sozialforscher ist Heideggers
Mythologie als schoumlpfend aus geteilter Quelle mit Mythen als Gemeinplaumltzen
derer sich der Denker-Dichter philologisch sicher bediene
Dabei geht es Schulz-Nieswandt umHeideggers Aletheia-Prinzip das er bdquoWahr-
heitsbegriffldquo nennt ndash welches bdquoDie Differenz der Technik als Herrschaft uumlber
54 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei WalterF Otto S 20
55 Vgl GA 7 S56 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei Walter
F Otto S 2157 Vgl Ebd S 59
16
Dinge von der Kunst als Schoumlpfung als Lichtung des Seins zur Wahrheit unter-
scheidetldquo58 Houmllderlins Goumlttliches waumlre darin vermisst und von Bedarf fuumlr den
Menschen Mit der Nomenklatur der griechischen Goumltter Houmllderlins und Ottos
ginge es beim Wahrheitsprinzip um bdquodie Erinnerung an Dionysos als der wie-
der kommende Gott []ldquo sie bdquofuumlhrt zur Lichtung des Seins als Wahrheitldquo59 Der
Mensch waumlre also Hirte seines Seins nicht Herr der Technik zum Sein bdquoDas Sein
ist den Menschen nicht technisch verfuumlgbar Die notwendige Einkehr wird zu
Heimkehrldquo60
Insofern zeichnet Schulz-Nieswandt ganz in Heideggers Sinne nach wie Hei-
mat und Irrationalitaumlt des Mythos zusammenfallen im Kanon der Goumltter-Mytho-
poetik Zum einen ist allerdings Heideggers Mythologie nicht so sehr an diese
Mythopoetik uumlber die Goumltter gebunden sondern bewegt sich frei im eigenwil-
ligen Auslegen von altgriechischen und deutschen Begriffen Zum anderen ist es
erstaunlich dass Schulz-Nieswand 2014 die Bedeutung der Mythopoetik fuumlr Hei-
deggers Ursprungsmythos des neuen Anfangs ignoriert und damit auch die gan-
ze voumllkisch-nationale Aura und damit die Abgrenzungspolitik Vor allem aber
richtet sich Heidegger nicht in einer bdquoliebevollen Gestaltungldquo menschlich ein
wie Schulz-Nieswandt es schon pathetisch darstellt sondern befeinded sich mit
allem ihm Zuhandenen als bdquoRaprochementldquo61 in alle Richtungen und pocht auf
bdquogeschichtliche Besinnungldquo als bdquoAuftrag des Deutschenldquo62
221 Formen der Mythologie
Mit den zwei oben herangezogenen Arbeiten uumlber Mythologisieren und Mytho-
poetik Heideggers sollte in dieser Arbeit das Verstaumlndnis seines Projekts der an-
tirationalen und antitechnischen Ausrichtung in den aktuellen Forschungsstand
gestellt werden Um welche Mythologie es sich in den Schwarzen Heften handelt
wird im Folgenden aufgedeckt werden Bereits in dem ersten Heft der Denktage-
58 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei WalterF Otto S 58
59 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei WalterF Otto S 59
60 Ebd61 Wolin Richard Heideggers bdquoSchwarze Hefteldquo Nationalsozialismus Weltjudentum und Seins-
geschichte In Vierteljahrsheft fuumlr Zeitgeschichte Bd 63 Heft 3 S 379-41062 GA 94 S 66
17
buumlcher verschmilzt Heidegger seine Vision von Dichten und Denken stellt sich
unter dieses Ideal
Dichten undDenken ineinander geschlungen und so waumlre ihrWas im verbindend-trennenden Bestimmen gewonnen63
Als bdquoAusgriff in den Begriffldquo versteht Heidegger dies als bdquovorschreibend-bildenden
Entwurfldquo der hinfuumlhrend zum Ereignis des Aletheia-Prinzips waumlre ndash
(Dichtung als Mythos
Dichtung als Dichtung im engeren Sinne gtgtGedichtltlt
Dichtung als Philosophie)64
Grundsaumltzlich ist die lose wirkende Legion von Lemmata nicht mit einer
Ruumlckfuumlhrung seiner Gedanken auf bestimmte griechische Goumltter und antike (ech-
te) Mythen besetzt Heidegger fetischisiert Begriffe und mythologisiert die von
ihm aufgepfropfte Bedeutung durch ein staumlndiges Wiederholen und Weiterden-
ken als bdquoWissenldquo wie Meyer es herausgearbeitet hat In dieser philosophischen
Alchemie sieht sich Heidegger als Denker als Bewahrer einer uralten Lehre die
eben neu widererstarken muumlsse Das hat Meyer auch schon klar gemacht Die My-
thopoetik erscheint aber hauptsaumlchlich nicht in den Schwarzen Heften sondern in
den Vortragspublikationen sich auf seine private Mythologie beziehend die in
den Schwarzen Heften zu Grunde gelegt wird
Die Mythen Heideggers drehen sich wie Meyer zurecht behauptet um den
Ursprung bei den Griechen den bdquoGrund der Geschichte des Abendlandesldquo65
Aber auch um die vielen Binaritaumlten die sich entgegengesetzt werden und tat-
saumlchlich wie der Heidegger-Herausgeber und Initiator und Leiter des Wupper-
taler Heidegger Instituts Peter Trawny es benannt hat auf einen Manichaumlismus
zulaufen66 Die Abgrenzungspolitik im Sinne des schuumltzenswerten abendlaumlndisch-
heimatlichen Deutschlands richtet sich gegen den inneren Feind vorangetrieben
63 GA 94 S 6564 GA 94 S 6665 GA 96 S 20566 Trawny Peter Heidegger und der Mythos der juumldischen Weltverschwoumlrung Frankfurt am
Main 2015 S 22Das hier aufgefuumlhrte Buch birgt einige problematische Umformungen zum Verhaumlltnis von
Heideggers Antisemititsmus Allem voran versucht es eine Begriffsbildung zu formen nach
18
von der Rechenhaftigkeit des juumldischen Wesens und die aumluszligeren Feinde wie Ameri-
kanismus franzoumlsische Kultur russischer Bolschewismus usw Heideggers Urmythos
vom neuen Anfang ist verquickt mit einem selbstangedichteten Personenmythos
was ebenfalls Meyer schon erkannt hat Dieses Schema ist die Grundstruktur
Immer deutlicher wird in mir die Ahnung daszlig unsere Heimat der Kerndes suumldwestdeutschen Landes [er selbst DS] der geschichtliche Geburtsortdes abendlaumlndischenWesens sein wird [] es ist das Geistvolle und zugleichdas erdenhafte schoumlne Land Es birgt unsichtbaren Reichtum dem Gemuumltbewahret tiefstes Dichten und houmlchste Gestalt der Sage67
Die mitunter wichtigste Dichotomie die Heidegger in den Denktagebuumlchern
aufwirft ist die zwischen Historie und Geschichte Es ist insofern nicht nur der
Mythos des neuen Anfangs der Heideggers Denken uumlber fast zwei Dekaden be-
stimmt sondern umso mehr die doppelte Projektion ndash des Verfalls (Machenschaft)
in eine Konstruktion von Historie und des Bestehens (Sein) in die konstruierte
Geschichte68 Geschichte faumlllt dann schlieszliglich mit der Schaffung des neuen An-
fangs so zusammen wie Historie mit Technik verschraumlnkt wird Geschichtlichkeit
muss durch das Prinzip des Ereignisses der Aletheia prozessiert werden waumlhrend
die verrationalisierte wissenschaftliche technische Historisierung des Lebens und
der Lebenswelt dem widerstrebt
Die Bindung von Heideggers Vorstellung des richtigen Lebens im Sein mit
demAbendland und einer voumllkisch-nationalen Groumlszlige undUumlberlegenheit Deutsch-
lands ist dabei ausschlaggebend Denn mit der Charakterisierung des Guten auf
derer Heideggers Antisemitismus mittels Heideggers Denkmethode behandelt aufgehobenwerden koumlnnte Die Hauptbegriffe darin sind bdquoSeinsgeschichtlicher Antisemitismusldquo undbdquoKontamination des Denkensldquo Von einer tieferen Auseinandersetzung muss an dieser Stelleabgesehen werden
67 GA 97 S 5468 In Band 66 der GA gibt es bereits einen kleinen Abriss der Historie und Techniklsquo die der Ge-
schichte gegenuumlbergestellt werden Das dies eine Uumlbertragung der Gedanken aus den Schwar-zen Heften ist ist ohne Zweifel Ein ansatzweise philosophisches Vorgehen vermengt sichdort mit dem poeto-mythologischen Denken Heideggers In Sachen mythopoetischer Figu-ren undMetaphernreichtum haumllt sich dieser dort aber noch zuruumlck (auch wenn er hier bereitsoumlffentlich vom bdquohistorischen Tierldquo redet) Die Absicht Technik und Historie als Verstellungdes abendlaumlndischen Menschen zu brandmarken stehen dabei im Vordergrund Weiterhinsoll in dieser Arbeit allerdings der Fokus auf den Schwarzen Heften und der Mythopoetik inden Technikvortraumlgen der Nachkriegszeit liegenDer Duden sieht Geschichte und Historie als Synonyme Von einer Ethymologie und der
Spekulation von Heideggers Gruumlnden der Auseinanderhaltung der zwei Synonyme soll hierabgesehen werden
19
der Seite des Seins sind die Feinde dessen eine Notwendigkeit seines Erklaumlrungs-
schemas Dabei sind es vor allem die Juden denen die Wurzel des Antiseien-
den von Heidegger in ihr vermeintliches Wesen geschrieben wird Exemplarisch
spricht dafuumlr dieses Zitat aus Band 96
Die zweite Machtsteigerung des Judentums aber hat darin ihren Grund daszligdie Metaphysik des Abendlandes zumal in ihrer neuzeitlichen Entfaltungdie Ansatzstelle bot fuumlr das Sichbreitmachen einer sonst leeren Rationalitaumltund Rechenfaumlhigkeit die sich auf solchem Wege eine Unterkunft im Geistlsquovarschaffte ohne die verborgenen Entscheidungsbezirke von sich aus je zufassen zu koumlnnen69
Diese Vorstellung ist eine Konkretisierung dessen was Heidegger mit den Uumlber-
begriffen Historie vs Geschichte einige Jahre vorher begann zu topografieren
Wir sind durch die Historie geschwaumlcht [] ndash wir koumlnnen nur durch das ge-rettet werden was uns in seiner Verfaumllschung widert ndash durch die Geschich-te70
Dieses bdquoWirldquo sind die glorifizierten Deutschen vor allem nach der Ableitung von
den Griechen uumlber Houmllderlin (und dessen Griechen) und Nietzsche zu ihm und
seinem kleinen Kreis von ihm anerkannter Intellektuellen-Kollegen wie etwa
Carl Schmitt Oswald Spengler Walther F Otto und Ernst Juumlnger Die Luft auf
Heideggers Denker-Olymp ist duumlnn und bekommt nur Wenigen
Die Geschichte in Heideggers solipsistisch-immanenten Nachdenken erklaumlrt
sich wie gesagt immer zusammen mit der Hoffnung auf den neuen Anfang und
als Besinnung auf das Denken als Akt gegen die Historie Die Paarung der zwei
Woumlrter bdquoGeschichteldquo und bdquoBesinnungldquo durchzieht in deutlicher Haumlufigkeit alle
vier Baumlnde der Schwarzen Hefte ndash bdquogeschichtliche Besinnung [] ist die Uumlberwin-
dung der Historie und des Historismusldquo und sie bdquobedarf der houmlchsten Strenge
hinter der die historische Exaktheitlsquo weit zuruumlckbleibtldquo ndash somit ferner bdquonur wer
Geschichtemacht vermag sie auch zu errettenldquo71 Das oben mit Meyer und Schulz-
69 GA 96 S 4670 GA 94 S 26771 GA 94 S 358f
Dass die Besinnung eine militante Perspektive hat laumlszligt sich auch in Heideggers Vereh-rung Heraklits ldquoDer Krieg ist der Vater aller Dingerdquo finden Heidegger sah sich selbst alsDenker als Propheten des Seins Aus dieser Warte betrachetete er zuerst den Nationalsozia-
20
Nieswandt bereits aufgezeigte Bereiten des Goumlttlichen legt Heidegger in seinen
Begriff der Geschichte
Geschichte ndash das Gewagtwerden der Goumltter nur Groszlig als Untergang oderSieg ndash nicht Dauerlsquo wesentlich ndash sondern die Abgruumlndigkeit der Erstrei-tung ndash Opfer und Weile
Historie ist bei Heidegger bdquogeschichtliche Entwurzelungldquo die bdquoTyrannei der
Technikldquo bdquoSelbstvergoumltterungldquo und bdquoAbgoumltterei der Technikldquo72 In einer skizzen-
haften Emanationsfolge wird dieHistorie als Modus der Technik auf sich selbst zu-
ruumlckgefuumlhrt bdquoDas Riesige ndash [] Historie die Technik der Geschichtelsquo Technik
Die Historie der Naturldquolsquo73 Es ist vage annehmbar dass Heidegger hier die Tech-
nik als rechenhafte machenschaftliche Historisierung der Natur versteht die vor
dem Geschichtsbegriff stattgefunden haumltte Diese wiederum haumltte die Geschichte
in die rechenhafte Machenschaft verfremdet Wie ein Apparat erscheint Heidegger
der Gegenstand seiner Historie zu sein die sich automatisch durchsetzen wuumlrde
Die Historie stellt zunaumlchst das Nacheinander der Begebenheiten dessenwas vorbeizieht (passiertlsquo) her [] Sie erklaumlrt dann Spaumlteres aus dem Fruuml-heren sie findet sogar dass Ideen die Geschichtelsquo bestimmen74
Den historisierend narrativen Umgang mit Geschichte als Wissenschaft emp-
findet Heidegger als Technisierung derGeschichte Diese wiederum basiert auf den
statischen Topoi seiner Mythen von Vaterland Bauerntum Houmllderlin alten Grie-
chen den Goumlttern etc und der Anwendung des Aletheia-Prinzips im Ereignis
Das ist ein Tugendenkatalog der Deutschtuumlmelei mit einer paumldagogischen Kom-
ponente seine Mythologie im Aletheia-Prinzip zu praktizieren Er nennt dieses
Geschaumlft auch Denken und ahnt dessen Feinde bdquodie Forscher die in der Technik
ihres Arbeitens keine Reibung dulden und ihr Wissen fuumlr den Geist haltenldquo75
lismus und nach dem Krieg den real existierenden Sozialismus des Ostblocks im Zuge deratomaren Aufruumlstung als Vollstrecker Macher der Geschichte die den neuen Anfang ebnensollten Dass Heidegger diese bdquoklaumlrendeldquo Wirkung tatsaumlchlich spaumlter den Russen zuschreibtlaumlszligt sich in Band 97 der GA zweifelsohne nachvollziehen Hier kann aus Gattungsgruumlnden(BA-Thesis) nicht naumlher auf dieses Faible fuumlr absolutistische Regime eingegangen werden Je-denfalls ist die geschichtliche Besinnung und der Kriegsakt ein Widerspruch den Heideggerjedoch gleichsam adressiert Auch dies kann hier nicht weiter untersucht werden
72 GA 9473 GA 95 S 35174 GA 96 S 6275 GA 97 S 509
21
Insofern verschraumlnkt Heidegger das bdquohistorisch-technischeldquo zum Antagonis-
ten der bdquogeschichtlichen Besinnungldquo Es ist die Entwicklung einer historisch-
geschichtlichen Differenz unter dem Zeichen der Besinnung gegen die techni-
sche Machenschaft ndash es geht um zwei unterschiedliche Wissenssysteme76 In den
Schwarzen Heftenwird Technikmeistens als eine Seite der Muumlnze mit der anderen
der Historie genannt Sie haumltten eine schon angedeutete dualistische Dynamik
Wo beide Historie und Technik in solcher scheinbaren Gegensaumltzlichkeitverkoppelt sind koumlnnen sie sich zur Foumlrderung dessen zusammenschlieszligenwas einstmals wesentliche die Geschichte des Menschen mitbegruumlndet undwas wir die Kunstlsquo nennen Die Historie verschafft [] Anregungen undVorbilder der Nachahmung die Technik erleichtert [] die Zustellung vonDarstellungsmitteln und Wirkungsformen [] Gleichwohl ist alles wurzel-los [] berechnet und als Erlebnislsquo ausgegeben77
Diese vermeintliche Gefahr muumlnde als bdquoZuumlgellosigkeit des Historismusldquolsquo in der
bdquoBodenlosigkeit [] (das Judentum)ldquo78 Heideggers Mythos ist hier dieser bdquoWir
muumlssen zuvor geschichtlich sein [] Ohne diese uumlberlieferung verfaumlllt alles der
historisch-technischen Machenschaftldquo79
Heidegger mythologisiert uumlber den bdquoAuftrag des Deutschenldquo80 will in bdquoge-
schichtlicher Besinnung sehr weit zuruumlckgehen ndash auf den Zusammenhang von
τέχνη ἀλήθεια und οὐσίαldquo81 um Technik auf ihr Wesen im antiken Ursprung
zuruumlckzufuumlhren bdquoDie techne hat [] den Sieg uumlber die [] aletheia errungenldquo82
Heidegger will sie zuruumlckgewinnen Er will der Technik aus dem bdquoEreignisldquo83
wieder uumlbermaumlchtig werden und sieht das bdquoWesen des Vaterlandesldquo84 im Abend-
land Dabei ist es ihm unentbehrlich zu wissen bdquodaszlig das Griechentum [] und
76 Heideggers noch immer vorhande Rezeption in Puncto seiner Technikphilosophie erstauntdamit dass sein Prinzip der aletheiologischen Besinnung als alternatives Wissenssystem undTechnikkritik ob der eigenwilligen Konstruktion den Entwicklungen der Zeit standhaumllt
77 GA 95 S 21278 GA 95 S 9779 GA 96 S 10480 GA 94 S 6681 GA 94 S 35782 GA 95 S 13283 Ebd84 GA 96 S 52
22
nicht das Roumlmertum der Grund der Geschichte des Abendlandes istldquo85 Sein My-
thos von Heimat verknuumlpft sich uumlber Dichtung und Ereignis zu einem fuumlr die
Technikphilosophie essentiellen Bezugs-Topos
Wir brauchen keine Technik [] Das Wesen des Vaterlandes ist das Abend-land In ihm werden die Deutschen erst deutsch und erkennen die Muttervon Allem die unversehrte Erde [] Die Wahrheit erfahren wir im Ge-daumlchtnis Das Gedaumlchtnis ist die Dichtung Die Dichtung sagen der Denkerund Saumlnger in ihrem Gespraumlch Dieses Gespraumlch erst ereignet dichterisch dieDichtung in die Sprache (die Dichtung das Ereignis und das Ereignis dasAbendland) [] Wohnt in seiner Sprache [] seyd dem Seyn im Seyn Soist Sein das Seyn86
Eine weitere mythologische Form haben seine Fuumlgungen von Jahreszahlen
womit er bereits in den Bereich des Okkulten Mystischen abzurutschen droht
Houmllderlin wurde [] 1770 geboren [] 1870 aber Lenin Waumlhrend der []Lebenszeit Houmllderlins vollzogen sich die entscheidenden technischen Entde-ckungen und Erfindungen der neuzeitlichen Technik (1774ndash1806)87
Und ferner bdquo1807 Phaumlnomenologie des Geistes 1867 Das Kapital 1927 Sein
und Zeitldquo88
Als letzter Mythos sei hier sein Aufgriff der Spenglerschen Metapher des
Raubtiers89 aufgezeigt Uumlber weite Strecken philosophiert Heidegger uumlber das his-
torische Tier Das historische Tier muumlsse vernichtet werden die bdquodeutsche Zukunft
wirdlsquo nicht erst seinlsquo sie istlsquo schon seit Houmllderlin sie stifteteldquo90 Der Homo
faber ist fuumlr Heidegger das historisch-technische Tier qua der bdquoAngewiesenheit auf
das Tierhafte als Wesensgrundldquo91 Es fehle ihm was bdquodie Griechen als Anfangen-
deldquo mit der bdquoZugewiesenheit des Menschen zum Sein gewagt habenldquo92 wodurch
85 GA 96 S 20586 GA 97 S 52f Hierbei handelt es sich um eine Nachkriegsnotiz Heidegger aumlnderte den die
Adressierung in eine direkte Ansprache richtet sich an seine imaginierte Volksgemeinschaft87 GA 96 S 17488 GA 97 S 131 Womoumlglich ist es eine Uumlbung per Jahreszahlen das Aletheia-Prinzip zu prakti-
zieren eine Kontemplationshilfe Andererseits koumlnnte er auch der Regelmaumlszligigkeit der Zah-lenfolgen eine uumlbernatuumlrliche bdquoWahrheitldquo beimessen Dies bleibt an dieser Stelle unerforscht
89 VGl Spengler Oswald Der Mensch und die Technik Muumlnchen 1931 S 1090 GA 95 S 19791 GA 95 S 32092 GA 95 S 321
23
er den bdquoGoumlttern unertraumlglich gewordenldquo93 waumlre Das bdquoRaubtierldquo dem gegenuumlber
bdquoist die Urform des Heldenlsquoldquo94 Dann behauptet Heidegger dass das Raubtier das
historisch-technische Tier durch Anwendung seiner eigenen Waffen schlagen koumlnn-
te Es ist dabei die bdquoUumlberwindung der Metaphysikldquo mitgedacht die erfolge sobald
sich das metaphysische Fragen durch den Wille zum Willen verfestigt95 Auch
Spengler dachte an dieses Derivat des Nietzsche Topos vomWillen zur Macht das
er seiner antropomorphen Chimaumlre vom Raubtiermenschen eingibt Wieder ist
von der Gewalt die Rede die ein Tabula rasa schaffen sollte zur Wiederauferste-
hung des griechisch-abendlaumlndischen Anfangs in Deutschland bdquoDas Raubtier aber
mit denMitteln der houmlchsten Technik ausgestattet ndash vollendet die Verwirklichung
der brutalitas des Seinsldquo96
Es scheint so als haumltte Heidegger auf jeden Begriff einen Gegenbegriff (selbst
zum historisch-technischen Tier das Raubtier)97 Aber es geht hier nicht um die
Analyse ausgewogener Formprinzipien oder die Kritisierung seiner linguistischen
philologischen Faumlhigkeiten Die Zitierung der Heideggerschen Mythologie soll
seine Verbindung von voumllkisch-nationaler und antisemitischer Haltung mit den
Bedingungen und Anspruumlchen seines Philosophierens aufzeigen Da die Schwar-
zen Hefte wie alle sonstigen Werke seines philosophischen Schaffens in der GA
erschienen sind muumlssen sie insofern als Teil derer gelten Das bedeutet dass sie
ausreichend Relevanz fuumlr die Arbeiten uumlber die Technik haben98
93 GA 95 S 23694 GA 95 S 39795 Vgl GA 7 Uumlberwindung der Metaphysik S 7896 GA 95 S 39797 Vgl Rudolph Heideggers Schwarze Hefte im Echo S 151 bdquoKeiner hat Nietzsche so konse-
quent und wahnwitzig zumNazi avant la lettre verformt wie Heidegger und keiner hat einenzuvor gewaltsam gefuumlgig gemachten Nietzsche so konsequent instrumentalisiert um damitdie vulgaumlr- nationalistische Dekadenz im Sandwich zu geiszligeln wie Heidegger Die Philolo-gie ndash auch die klassische ndash (Colli Cancik Montinari) hat Nietzsche inzwischen laumlngst mitnachhaltigem Erfolg rehabilitiert Wer jetzt noch einen roten Faden von Nietzsche zu Hitlerzieht hat nur noch Heidegger auf seiner Seiteldquo
98 Zum Abschluss dieses Kapitels sei hinzugesagt dass der Veranschlagung der Beispiele vonHeideggers Mythologie ein Exzerpt von 13 Seiten aus 1700 Seiten Text der vier Baumlnde derSchwarzen Hefte zugrunde liegt Beim Studium dieser fielen die staumlndigen Repetitionen derimmer gleichen Figuren und Metaphern auf Daraus wurde geschlossen dass es sich um eineMythologie handeln kann was ein weiteres Forschen bestaumltigte Die hier zitierten Stellensind Topoi die sich in Huumllle und Fuumllle in jedem der vier Baumlnde finden lassen was ihrenmythischen Charakter unterstreicht Die Auswahl versucht ein besonders charakteristischesBild wiederzugeben
24
3 Heideggers mythopoetische
Technik
War Heidegger von seinem neuen Anfang nur zu traumlumen vergoumlnnt so gelang
ihm selbst aber die Wiederauferstehung aus der Asche des ZweitenWeltkriegs mit
der Vortragsreihe in Bremen (1949) uumlber die Technik Der Phoumlnix erweist sich
mittlerweile als Ikarus Anstatt sich selbst zu revidieren fordert Heidegger eine
Kehre ein die auf sein Programm der geschichtlichen Besinnung zum Ursprung ab-
zielt Rezipienten seiner Technikphilosophie taten zumeist seine voumllkischen und
nationalsozialistischen Verstrickungen mit der Niederlegung des Rektorats ab99
Sie glaubten an einen inneren Wandel Heideggers eine Laumluterung und sogar an
seinen geistigen Widerstand uumlber die Naziherrschaft hinweg100 Heute ist erwie-
sen wie Heidegger es aus seinem posthumen Gestaumlndnis in die Welt lecken laumlsst
dass er auf seine private Weise eine Form Nationalsozialismus hegte der die NS-
DAP und Hitler zwar als Vulgaumlrnazis kulturell degradierte aber sich selbst als
Denker-Nazi gerierte
Wie damit umzugehen ist steht aktuell in der Verhandlung Wie Rudolph es
behauptet stuumlnden die Heideggerianer bdquonun mit wertlosen Aktienldquo101 da Der
Kommunikationswissenschaftler Christian Fuchs sieht den Antisemitismus den
die Schwarzen Hefte zutage treten lassen als Notwendigkeit einer rigorosen Ver-
bannung Heideggers aus der technikphilosophischen Theorie102
99 Vgl Luckner Andreas Heidegger und das Denken der Technik Bielefeld 2008 S 64-69100 Vgl Babich Babette Nietzsche Heideggers Widerstand In Alfred Denker u Holger Zabo-
rowski (Hg) Heidegger-Jahrbuch 5 Heidegger und der Nationalsozialismus II Interpreta-tionen S 397-416
101 Rudolph Heideggers Schwarze Hefte im Echo S 146102 Vgl Fuchs Christian Martin-Heideggerrsquos anti-Semitism Philosophy of technology and the
media in the light of the ldquoBlack Notebooksldquo Implications for the reception of Heidegger inmedia and communication studies In tripleC Communication Capitalism amp Critique 13(1) (2015) S 55-78 hier S 74 Anstatt dessen pocht Fuchs auf die alternative Verwendungder Kritischen Theorie uumlber Fragestellungen zur Technik
25
It seems to me that Heideggerrsquos fetishism is often lrsquoart pour lrsquoart Heideg-ger pour Heidegger a tactic that aims at creating an aura of complexity byevoking Heidegger although the same content could be expressed withouthim103
Fuumlr Trawny waumlre dies ein bdquoperformativer Widerspruch [] stets daran zu erin-
nern Heidegger vergessen zu sollenldquo104 Quo vadis Heidegger
Die objektive Antwort Rudolphs der an den Commonsense und die Beweis-
last der Anklage glaubt wie auch der subjektive Appell Fuchs der es zur mora-
lischen Entscheidung des Einzelnen macht Heidegger zu vernachlaumlssigen setzen
aktuell die Jahrzehnte alte Tradition der Heidegger-Kontroverse fort Ein im Sep-
tember 2016 erscheinender Sammelband wird zusaumltzlich die Debatte mit neuen
Bewertungen anreichern105
In diesem Kapitel soll es nicht um die direkte Einreihung in eine der bestehen-
den Polemiken gehen sondern um den Versuch der Betrachtung der spaumlten Tech-
nikphilosophie Heideggers als mythopoetische Dichtung in seinem Sinne des
Philosophierens Als exemplarisches Werk ruumlckt damit das Vortrags-Geviert der
Bremer Vortraumlge ins Zentrum der Anschauung106 Hier wird davon ausgegangen
103 Ebd S 73104 Trawny Heidegger und der Mythos der juumldischen Weltverschwoumlrung S 141105 Heinz Marion und Kellerer Sidonie (Hg) Martin Heideggers raquoSchwarze Heftelaquo Eine
philosophisch-politische Debatte Berlin 2016 (im Druck) Aus dem Klappentext diesesTitelsbdquoOffene antisemitische Aumluszligerungen in diesen Denktagebuumlchern haben in der nichtakade-
mischen Oumlffentlichkeit fuumlr Empoumlrung gesorgt Die entscheidende Frage ist jedoch welcheVeraumlnderungen der Perspektive auf Heideggers Denken insgesamt sich dadurch ergebenund ob damit zugleich eine Neubewertung des Gesamtwerks eines der einflussreichstenPhilosophen des 20 Jahrhunderts noumltig istldquoEine der Herausgeberinnen des Bandes Sidonie Kellerer ist zudem an einem anlaufenden
fuumlnf jaumlhrigen Forschungsprojekt an der Universitaumlt Stuttgart im Rahmen des StuttgartResearch Centre for Text Studies beteiligt Heidegger und die Postmoderne Geschichteeiner Irrefuumlhrungiquest Sie und der Stuttgarter Literaturwissenschaftler Claus Zittel werden Hei-deggers ideologische Verstrickungen in den Nationalsozialismus untersuchen die textlichrekonstruierbar aber nachtraumlglich geklittet worden waumlren bdquoSo konnte die Wissenschaft-lerin Dr Sidonie Kellerer anhand des Vortrages Die Zeit des Weltbildeslsquo erstmals 1950veroumlffentlicht [sic] dass zahlreiche Passagen nachtraumlglich so modifiziert wurden dass dieurspruumlngliche Apologie des Nationalsozialismus nunmehr als Kritik am Regime gedeutetwerden konnte Die 2014 erschienenen Schwarzen Heftersquo mit persoumlnlichen AufzeichnungenHeideggers bestaumltigen zudem wie tief verankert in seiner Philosophie Rassismus undNationalsozialismus waren und bliebenldquo(httpwwwuni-stuttgartdehkompresseservicepressemitteilungen201567_kellererhtmlzuletzt abgerufen am 1442016)
106 Von einer umfassenderen Analyse der Schriften Heideggers zur Technik muss aus Platzgruumln-den abgesehen werden Die Voumlrtraumlge vom Ge-stell der Technik der Kehre und dem Dingsind vor allem wegen ihres Publikationszeitraums interessant da sie direkt an die Dokumen-
26
dass Heidegger den Versuch der abgrenzungspolitischen Einflussnahmemacht ge-
maumlszlig der oben dargelegten Ressentiments die sich in einer Mythologisierung des
Abendlandes niederschlagen Um seinem Ideal des dichtenden Denkens als Philo-
sophieren nachzukommen will Heidegger diese Einschreibung des Abendlandes
mythopoetisch vollfuumlhren
Grundsaumltzlich ist Verbindung und Trennung Heideggers boumlser Schwarzer Hef-
te mit und von seiner guten Technikphilosophie das Schlachtfeld aktueller De-
batten Wie bereits darauf hingewiesen werden hier Schwarze Hefte und Veroumlf-
fentlichungen wie eben in Form der Bremer Vortraumlge als ein kontinuierlicher
Arbeitsprozess gesehen Es gibt insofern nur einen Heidegger und keine gespal-
tene Persoumlnlichkeit Die Siegener Philosophin Sodonie Kellerer stellt dies anhand
Heideggers Selbstsicht luzide dar
Seine immer wiederkehrende Beschwoumlrung des Werkeslsquo und seine an diver-sen Stellen der bislang vorliegenden Briefkorrespondenz artikulierten Be-muumlhungen dieses Werklsquo fuumlr die Nachwelt zu sichern [Kellerer bezieht sichhier ua auf Heideggers Briefwechsel mit seiner Frau der 2007 veroumlffentlichtwurde DS] verdeutlichen wie sehr er seine Texte als ein Ganzes verstandin dem keines der Teile entbehrliche Wiederholung geschweige denn irrele-vante Eroumlrterung ist107
Dabei allerdings wird die Frage offen bleiben mit welchem Maszlig er sich selbst ge-
faumlhrdet sah seine Ansichten oumlffentlich zu vertreten und welche Konsequenzen er
dabei fuumlrchtete Denn er musste die Vortraumlge kodieren ndash was er im Sinne der My-
thopoetik auch macht ndash und mit Einigem hinterm Berg halten108 Dass es dabei
verschiedene Offenbarungsebenen gibt wird hier erst einmal hingenommen Es
interessieren staumlrker nachweisbare Bezuumlge des Entwurfsdenkens Heideggers zur
Oumlffentlichkeitsarbeit von ihm109
te der Schwarzen Hefte anschlieszligen (1948 der letzte Band der Schwarzen Hefte umfasst denZeitraum 1942-1948)
107 Kellerer Sidonie Kampf der Besinnung In Deutsche Zeitschrift fuumlr Philosophie Band 63Heft 5 Seiten 941ndash957 hier S 942
108 Weshalb die Veroumlffentlichung der Schwarzen Hefte auch weitestmoumlglich nach hinten verlegtwurde
109 Wuumlrde man dem entgegenhalten dass Heideggers vermeintliches Genie aus Formalisierun-gen seiner Gedanken ableitbar eine wichtige Quelle an sich bliebe scheitert dieses damitdass nun die Formalisierungen nicht personenneutral sozial-epistemologisch bestehen koumln-nen Als Vergleich wuumlrde man aus Hitlers und Goumlbbels Reden Formalisierungen isolierenlieszlige sich bestimmt die eine oder andere plausible Idee entwenden (wenn sie voumlllig dekon-
27
Hierzu wird der Text der gesamten vier Vortraumlge unter dem Titel Einblick
in das was ist Bremer Vortraumlge 1949lsquo110 aus dem 1994 veroumlffentlichten 79 Band
der GA zugrunde gelegt Das hat den Grund dass davon ausgegangen wird dass
der Text somit am naumlchsten an den 1949 tatsaumlchlich vorgetragenen Manuskripten
liegt Insofern ist eine realistische Annaumlherung an eine mythopoetische Uumlbertra-
gung der Schwarzen Hefte in die Bremer Vortraumlge 1949 das Ziel Demgegenuumlber
gibt es ob der virulenten Publikationspraxis von Heideggers Schriften111 noch
andere Auskopplungen der vier Vortraumlgsteile mit den Titeln Das Dinglsquo Das Ge-
Stelllsquo Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo
31 Zur Publikationsgeschichte von den
Bremer Vortraumlgen 1949
Zuerst erschien 1954 im Neske-Verlag (Pfullingen) ein Sammelband der lediglich
den ersten Vortrag Das Dinglsquo enthaumllt allerdings in leicht erweiterter Fassung
so wie er ein halbes Jahr nach dem Bremer Auftritt in Muumlnchen (1950) an der
Akademie der Schoumlnen Kuumlnste gehalten wurde112 Dem Band hinzugefuumlgt ist aber
zudem ein Vortrag der vornehmlich die Kernaussagen von Das Ge-Stelllsquo und
Die Gefahrlsquo verbindet allerdings in modifizierter Form Dieser wurde unter dem
textualisiert wuumlrde) Ist aber die wahre Verbindung zu Hitler und Goumlbbels hergestellt hatman selbstverstaumldlich die Verantwortung zu tragen an dem ganzen Tross von unmoumlglichenVerfehlungen dieser Menschen die sie fuumlr uns zu Personae non gratae stempeln muumlssen
110 GA 79111 Hierauf macht auch der Darmstaumldter Philosoph Gernot Boumlhme aufmerksam als Akt ei-
ner bdquoposthumen Selbstinszenierungldquo in Boumlhme Gernot Selbstinszenierung uumlber Ruhmin der Philosophie In Information Philosophie (Online Ausgabe 12015) URL=lthttpwwwinformation-philosophiedea=1ampt=8232ampn=2ampy=5ampc=29gt zuletzt ab-gerufen am 2442016)
112 Heidegger Martin Das Ding In Ders Vortraumlge und Aufsaumltze Pfullingen 1954 S 163ff
28
Titel Die Frage nach der Techniklsquo113 am 18 November 1953 an der TUMuumlnchen
gehalten
Eine weitere Auskopplung diesmal des letzten Vortragsteils Die Kehrelsquo fin-
det sich in einem broschuumlrenformatigen Band wiederum im Zusammenspiel mit
dem Vortrag Die Frage nach der Techniklsquo in Die Technik und die Kehrelsquo114 von
1962 wieder Somit wurden die Vortraumlge Das Ge-Stelllsquo und Die Gefahrlsquo lange
Zeit nicht veroumlffentlicht sondern als vermischter und modifizierter Text eben
Die Frage nach der Techniklsquo jeweils zusammen mit Das Dinglsquo (1954) und Die
Kehrelsquo (1962) angeboten115 In der Vorbemerkung zu Die Technik und die Keh-
relsquo wird diese kleine Chronologie leicht verfaumllscht auch aufgezeigt Darin heiszligt
es ferner dass Die Frage nach der Techniklsquo eine erweiterte Fassung von Das Ge-
Stelllsquo waumlre Dem ist wie schon gesagt nicht so Sondern es ist eine modifizierte
Vermischung von Das Ge-Stelllsquo und Die Gefahrlsquo was unschwer zB am Begriff
vom bdquoHer-vor-bringenldquo116 zu erkennen ist der in Die Gefahrlsquo eingefuumlhrt wird
und in Die Frage nach der Techniklsquo die gleiche Bedeutungskonstituente bildet
Mit der Veroumlffentlichung des 79 Bandes der GA 1994 wurden alle vier Bremer
Vortraumlge von 1949 publiziert In Band 11 der GA erschien 2006 auszligerdem Die
Kehrelsquo in ihrer urspruumlnglichen Fassung Die Frage nach der Techniklsquo enthaumllt
weniger mythopoetische Teile als Das Dinglsquo und operiert demgegenuumlber staumlrker
anhand klassisch philosophischer Allgemeinplaumltze Derer sind vor allem zu nen-
113 Heidegger Martin Die Frage nach der Technik In Ders Vortraumlge und Aufsaumltze Pfullingen1954 S 9ff (Der Aufsatz erschien ebenfalls 1954 im Sammelband der Vortragsreihe DieKuumlnste im technischen Zeitalter Heidegger Martin Die Frage nach der Technik In DieKuumlnste im technischen Zeitalter Dritte Folge des Jahrbuchs Gestalt und Gedanke Hg v dBayrischen Akademie der Schoumlnen Kuumlnste Muumlnchen 1954 S 70ff)
114 Heidegger Martin Die Technik und die Kehre Pfullingen 1962115 Beide Baumlnde Votraumlge und Aufsaumltzersquo sowie Die Technik und die Kehrersquo haben hohe Aufla-
genzahlen (Uumlbersetzungen wurden hier nicht recherchiert wobei es aber eine internationa-le Heidegger-Rezeption gibt) 1993 wurde der Pfullinger Neske-Verlag von dem StuttgarterHaus Klett-Cotta uumlbernommen was die Buumlcher aber unveraumlndert belaumlsst Vortraumlge und Auf-saumltzelsquo zaumlhlt seit 2009 die 11 Auflage Die Technik und die Kehrelsquo seit 2014 die 13 BeideBaumlnde sind vergriffen Es mutet unverstaumlndig an weshalb eine fehlerhafte Jahresangabe ausder ersten Veroumlffentlichung von Die Technik und die Kehrelsquo bis 2014 kolportiert wurdeDort steht der Vortrag Die Frage nach der Techniklsquo waumlre am 18 November 1955 gehaltenworden Der Vortragstermin war aber am 18 November 1953
116 Vgl GA 79 S 64 Und Heidegger Die Technik und die Kehre S 11
29
nen die Auflistung der bdquovier Ursachenldquo117 nach Aristoteles und die Kritik an der
Technik als bdquoein Mittel zu Zweckenldquo118 (Kausalitaumlt)119
Der Vortrag Das Dinglsquo galt Heidegger bei der Darbietung seiner Technikphi-
losophie nach dem Zweiten Weltkrieg allerdings als unentbehrlich ndash und damit
seine groszligflaumlchige Aufblaumltterung der Mythopoetik wie im folgenden Kapitel hier
gezeigt wird Denn im Vortrag Die Frage nach der Techniklsquo benutzt Heideg-
ger noch immer seinen mythopoetischen Topos vom Versammeln des Gebirges
der mit dem Versammeln eine Konstituente des Gevierts ist (bdquoErde und Himmel
die Goumlttlichen und die Sterblichenldquo120) (su)121 Fuumlr die Kaumlufer und Leser von
der spaumlteren Veroumlffentlichung Die Technik und die Kehrelsquo wird zudem in Die
Kehrelsquo extra auf den Vortrag Das Dinglsquo in der 1954er Ausgabe in Vortraumlge und
Aufsaumltzelsquo verwiesen122 Das zeigt wie wichtig und unerlaumlsslich Heidegger seine
mythopoetische Denkweise der Technik ist Auch wenn er in Die Frage nach der
Techniklsquo einen allgemeineren und offeneren Ansatz entwickelt hat der dadurch
auch leichter zu erschlieszligen ist
32 Die mythopoetische Spiegelung der Schwarzen
Hefte in den Bremer Vortraumlgen von 1949
321 Das Dinglsquo
In dem Vortrag Das Dinglsquo der 1949 vor dem privaten Club zu Bremen dort im
Neuen Rathaus das Vortragsquartett einleitete fuumlgt Heidegger mythopoetisch
zusammen was folgenden Topoi seiner Schwarzen Hefte aus Kap 221 entspricht
117 Heidegger Die Technik und die Kehre S 6118 Ebd S 6119 Diese Topoi versucht Heidegger in dem Text zu zersetzen und ihnen ein aletheisches Prin-
zip des Entbergens der Technik entgegenzusetzen Dies erfolgt wiederum auch anhand derVerwendung von mythopoetischen Teilen Darauf kann hier aber nicht weiter eingegangenwerdenAls weitere Gemeinsplaumltze (die er teils unterstuumltzend teils zur Zersetzung einfuumlgt) handelt
der Text auch mit Zitaten von Platon Heisenberg J P Hebel und Goethe120 Ebd S 12121 Vgl GA 79 S 11 Und Heidegger Die Technik und die Kehre S 19122 Vgl Heidegger Die Technik und die Kehre S 42f
30
1 die antirationale Wissenschaftsfeindlichkeit 2 der Mythos des Goumlttlichen 3
das Griechentum uumlber dem Roumlmertum 4 die Zahlenmystik (anhand des Spiegel-
Spiels des Gevierts ndash su) 5 das geschichtsbesinnliche Prinzip der Aletheia
Heidegger stellt zuerst die Frage nach dem Ding und will sie daraufhin ver-
anschaulichen mittels der Metapher des Kruges dh mit dem Krug als ein exem-
plarisches Ding Er fuumlhrt dann vor (was der Geste eines Zauberkuumlnstlers aumlhnelt)
wie der leere Krug gefuumlllt wird ndash Luft weicht der Fluumlssigkeit Dieses Sachverhaumllt-
nis aber ist fuumlr ihn Halbpoesie und eine Angabe aus der Physik sie verfehle das
vermeintliche Wesen des Kruges
Die Wissenschaft stellt durch sie [die Angabe der Physik DS] etwas Wirk-liches vor wonach sie sich objektiv richtet Aber ndash ist dieses Wirkliche derKrug Nein DieWissenschaft trifft immer nur auf das was ihre Art des Vor-stellens im vorhinein als den fuumlr sie moumlglichen Gegenstand zugelassen hat[] Die Wissenschaft macht das Krug-Ding zu etwas Nichtigem insofernsie Dinge nicht als das Maszliggebende zulaumlszligt123
Als ein wirkmaumlchtiges Beispiel das ihm sicherlich viel Beachtung uumlber die
Jahrzehnte seit ihrer Zuumlndung in Japan hinweg einbrachte fuumlhrt Heidegger die
Atombombe an Diese sei zu verstehen als verdinglichte Wissenschaft die das
Ding vernichten wuumlrde
Deren Explosion ist nur die groumlbste aller groben Bestaumltigungen der langherschon geschehenen Vernichtung des Dinges dessen daszlig das Ding als Dingnichtig bleibt124
Er buumlndelt damit Wissenschaft und Verkennung des Wesens als maszliggebend mit
dem Ding als sein machenschaftliches Prinzip der zerrechnenden Zerstoumlrung Drei
Jahre nach Kriegsende war der buumlrgerlich-elitaumlre Kreis in Bremen sicherlich be-
wegt von dieser Wortgewalt Diese jedoch suchte ja ihr Heim Harmonie Ruhe
in dem Haus als Wesen der Sprache
Und so faumlhrt Heidegger fort und ersetzt das physikalische Prinzip des Inhalts-
wechsels von Luft zu Wein in ein bdquoGeschenk des Gussesldquo als Spende und Opfer
den Goumlttern (2)125
123 GA 79 S 8124 Ebd S 9125 Vgl Ebd S 11f
31
Der Guszlig ist der den unsterblichen Goumlttern gespendete Trank [] Der ge-weihte Trank ist das was das Wort Guszliglsquo eigentlich nennt Spende und Op-fer Guszliglsquo gieszligenlsquo lautet griechisch χέειν indogermanisch ghu Das bedeu-tet opfern
Hier spielt bereits der Ursprungsmythos der Griechenmit ein (3) es ist aber auch
ein Bezug auf das Geviert Dieses waumlre ein System ein zusammen Gestelltes aus
bdquoErde und Himmel die Goumlttlichen und die Sterblichenldquo126 Im Guszlig des Trunkes
weilten gemeinsam diese Vier als emblematische Verbindung
Das im Geschenk Versammelte sammelt sich selbst darin das Geviert ereig-net zu verweilen Dieses vielfaumlltig einfache Versammeln ist das Wesen desKruges Unsere Sprache nennt was Versammlung ist in einem alten WortDies lautet thing127
Das Geviert zehrt von der Zahlenmystik zum einen als die Versammlung der
vier Begriffe an sich zum anderen da Heidegger ihnen eine Spiegel-Funktion
zuschreibt bdquoJedes der Vier spiegelt in seiner Weise das Wesen der uumlbrigen wie-
derldquo128 und ferner weil er damit auf sich selbst dh auf sein Vortrags-Geviert
verweist (4) Wie in Kap 21 schon gesagt lebt der Mythos von seiner Verbind-
lichkeit Diese legt Heidegger allen nah die sie verinnerlichen wollen bdquoSagen wir
die Sterblichen dann denken wir falls wir denken die anderen Drei mit aus der
Einfalt der Vierldquo129
Sollte der Vollzug der Praxis des sukzessiven Mitdenkens aller vier Geviert-
Entitaumlten gelingen koumlnnte das Ereignis der Aletheia begriffen werden (5) bdquoDas
Spiegel-Spiel von Welt ist der Reigen des Ereignensldquo130 Diese wird aber auch be-
griffen in Abgrenzung von dem Roumlmertum (3) denn in der bdquorealitas der resldquo
haumltten die Roumlmer bdquoihr Erfahrenes niemals eigens in seinem Wesen gedachtldquo131
Das waumlre den Griechen vorzubehalten und vom verstaumlndig denkenden Deutschen
wiederzubeleben
126 Ebd S 12127 Ebd S 13128 Ebd S 18129 Ebd130 Ebd S 19131 Ebd S 15
32
Der Krug ist ein Ding weder im Sinne der roumlmisch gemeinten res noch imSinne des mittelalterlich vorgestellten ens noch gar im Sinne des neuzeitlichvorgestellten Gegenstandes [] Der Krug ist Ding insofern er dingt132
Die Bindung an das deutsche Wort bdquoDingldquo das er spielerisch auch ins Englische
Romanische und Franzoumlsische uumlbersetzt ist unerlaumlsslich fuumlr seine ethymologi-
sche Argumentation In der ist der bdquoGuszligldquo ruumlckgefuumlhrt auf indogermanisch bdquoghuldquo
und das bdquoDingldquo auf das mittelhochdeutsche bdquothingldquo So konnten antik die Roumlmer
von den Griechen abgrenzt werden und modern die anderen drei Sprachen vom
Deutschen Das englische sich sehr nah am bdquothingldquo befindliche bdquothingldquo wird mit
dem Roumlmischen ausgespielt
Im Englischen hat thing noch die erfuumlllte Nennkraft des roumlmischen Wor-tes res bewahrt [] dh ein aus sich kommendes den Menschen Angehen-des133
Fuumlr Heidegger geht es beim bdquothingldquo aber um die mittelhochdeutsche Uumlbersetzung
der Versammlung Darauf beruht sein gesamter Systemansatz mit Geviert und
Ge-stell
Schulz-Nieswandt fuumlhrt diese Zusammenstellung zum Bejubeln von Heideg-
gers Mythopoetik
So fundamental sieht Heidegger die Welt Die Quelle des Wassers wird zurHochzeit von Himmel und Erde das Gieszligen des Wassers aus dem Krugzum Geschenk Auch Sprache ist daher kein Instrument sondern Ort desWohnens des Menschen Sprache wird zum Haus des Seinslsquo134
Hier bestaumltigt die Untersuchung des Ding-Vortrags die These von einer mytho-
poetischen Einschreibung der nationalistischen voumllkischen Abgrenzungs-Mythologie
aus den Schwarzen Heften
322 Das Ge-Stelllsquo
Der zweite Vortrag des Reden-Gevierts setzt ein mit der Metapher des fehlen-
den Abstands Wo kein Abstand sei da waumlre auch keine Naumlhe so Heidegger Er
132 Ebd S 16133 Ebd S 14134 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei Walter
F Otto S 59
33
verbindet die Abstandslosigkeit mit Urbanitaumlt und Verkehr alles fluktuiere Es
waumlre der Bestand der sich bestelle in dem das Abstandlose herrsche Das sind
neue Metaphern fuumlr die Machenschaft In seiner Erzaumlhlung vom Ge-Stell gibt es
bedeutend weniger mythopoetische Passagen als in dem vorangegangenen Vor-
trag Allerdings uumlbertraumlgt er den mythopoetischen Gehalt der Rede vom Ding
bereits im ersten Absatz von Das Ge-Stelllsquo mit dem Credo bdquoNaumlhe west insofern
das Ding dingtldquo135 Mit dieser Verbindung wird klar unter welchem Zeichen Hei-
degger die Rede vom Ge-Stell verstanden wissen will ndash als verlorenes Verhaumlltnis
des voumllkisch-traditionell verwurzelten Menschen mit den vermeintlichen Wesen
all seiner Gebrauchsobjekte in der mythopoetischen Formel des sich spiegelnden
Gevierts
Nahezu nuumlchtern erzaumlhlt Heidegger dann von dem Gefaumlngnis des Menschen
im Wesen der zirkulierenden sich immer neu bestellenden Bestandstechnik des
Ge-Stells Dabei scheinen folgende Mythen aus den Schwarzen Heften hindurch ndash
1 bdquoHistorie die Technik der Geschichtelsquo Technik die Historie der Naturlsquoldquo136
2 das historische Tier 3 der Appell an den Auftrag des Deutschen 4 der geschicht-
liche Mensch muss die Historie und damit die Technik uumlberwinden und 5 die
alles zernichtende Machenschaft des juumldischen Wesens
Den Topos der seinsvergessenen Groszligstadt jedenfalls kontrastiert er mit der
Bauerndorfidylle Da aber bdquodas Abstandlose herrschtldquo137 waumlre das Vorruumlcken der
Maschinentechnik bereits universell So in Form des Traktors Schon in Band
96 der Schwarzen Hefte beklagt er dieses bdquozum elektrischen Pflug [] gehoumlrt
das amerikanisch aufgemachte Magazinlsquoldquo Insofern erfolge die bdquoAngleichung der
Sitten der Bergbewohner an diejenigen des groszligstaumldtischen Sport- und Barbe-
triebsldquo138
Sein erster Land-Stadtvergleich betrifft den Bauern dessen Totenruhe tradi-
tionell in einem sg bdquoTotenbaumldquo (Sarg) stattgefunden haumltte ndash bdquoIn ihm gedeiht
der Tod des Totenldquo139 Dem gegenuumlber klingt in der bdquomotorisierten Bestattungs-
135 GA 79 S 24136 GA 95 S 351137 GA 79 S 24138 GA 96 S 54139 GA 79 S 26
34
industrie der Groszligstadtldquo140 bereits Heideggers pietaumltsloser Gaskammernvergleich
an
Ackerbau ist jetzt motorisierte Ernaumlhrungsindustrie im Wesen das Selbewie die Fabrikation von Leichen in Gaskammern und Vernichtungslagerndas Selbe wie die Blockade und Aushungerung von Laumlndern das Selbe wiedie Fabrikation von Wasserstoffbomben141
Hier wird davon ausgegangen dass es eine Uumlbertragung der Notizen uumlber
das deutsche Land als bdquoeinziges KZldquo ist die Unterdruumlckung des deutschen Vol-
kes durch die bdquoWeltdemokratieldquo die schlimmer sei als die Graumlueltaten der bdquoGas-
kammernlsquoldquo142 In die mythopoetische Formel von dem dingenden Ding aus dem
ersten Vortrag sind alle Valenzen eingeschrieben die es zur Aufgabe des abendlaumln-
dischen Deutschen (also als Nachfolger der alten Griechen) machen das Wesen
des Dings und somit der Technik zu huumlten Die Verantwortung fuumlr Genozid
Massenvernichtungswaffen und den Mangel im Nachkriegsdeutschland schreibt
Heidegger gleichfoumlrmig dem Prinzip der Abstandslosigkeit zu
Auch die Rede von der Habgier des Berechnenden ist ein bereits bekannter
Vorbehalt Heideggers anhand der Rede vom raffgierigen Juden Denn er sagt von
der bdquoHerrschaft des Abstandlosenldquo dass sie bdquodie Hab-gier des vorstellenden Be-
rechnensldquo waumlre143 Das entspricht seinem Mythos von der alles zernichtenden
Machenschaft des juumldischen Wesens144
Dann folgt eine lange Elegie uumlber das Bestellen des Bestands des Ge-Stells
bdquo[d]ie Kette des Bestellens laumluft auf nichts hinaus sie geht vielmehr nur in ihren
Kreisgang hineinldquo145 uumlber 19 Seiten des 21 seitigen Vortragsexts hinweg entwirft
Heidegger diverse Bilder wie das Ge-Stell die Natur das Hergestellte den Men-
schen und das Verstandesmaumlszligige vereinnahme und das Wesen desDings gleichsam
zur Veruntreuung bringen wuumlrde Wiederum poetisch orientiert kontrastiert also
140 Ebd141 Ebd S 27142 GA 97 S 99f143 Vgl GA 79 S 25144 Vgl Machenschaft hier S 29 und Geraff hier S 33145 GA 79 S 29
35
Heidegger Houmllderlins Hymne Der Rheinlsquo mit dem Rhein dessen Stroumlmung fuumlr
ein Stromkraftwerk genutzt wird
Achten wir um das Ungeheure das hier waltet zu ermessen nur auf einenAugenblick auf den Gegensatz der sich in den beiden Titeln ausspricht DerRhein verbaut in das Kraftwerk ndash der Rheinlsquo gesagt in der gleichnamigenHymne Houmllderlins146
Die Differenz also waumlre das Ungeheure147 Dabei waumlre der Rhein verbaut in das
Kraftwerk Aumlhnlich wie Kohle Erze und Rohoumll waumlren sie Bestand der bdquobesteht
im Bestellenldquo ndash bdquoDas Bestellen waumlre demnach lediglich eine Machenschaft des
Menschen vollzogen in der Weise der Ausbeutungldquo148
Das Bild des Wasserkraftwerks wird erweitert um den Begriff des Menschen
Elektrizitaumlt mit Wasserkraft erzeugen bdquokoumlnnen die Menschen [] nur insofern
sie selber schon in dieses Bestellen bestellt sindldquo149 Mit diesem Bild versucht Hei-
degger praktisch zu veranschaulichen dass Entwurf Umsetzung und Einsatz ei-
ner technischen Anlage den Menschen in ein entruumlcktes Verhaumlltnis zum Wesen
des dingenden Dings setze ndash bdquoDer Mensch ist darum der Angestellte des Bestel-
146 Ebd147 Das ist zusaumltzlich zu dem gemeinten Gegensatz ein Vergleich mit dem Heidegger dem Wort
bdquoRheinldquo in die Hymne Der Rheinlsquo gesprochen eine Energie erzeugende Wirkung zu-schreibt eben so wie das Kraftwerk Strom erzeugen wuumlrde Das wird klar dadurch dassHeidegger metaphorisch vom Stellen des Wortes bdquoRheinldquo in die Hymne spricht Es handeltsich um einen Appell zur denkerischen Besinnung Dass Heidegger dafuumlr eine technischeAnlage zur Veranschaulichung inspirierend wirken laumlsst spielt bereits in die Richtung derBegriffe bdquoHer-vor-bringenldquo bdquoEntbergenldquo und spielt auf das Alteheia-Prinzip an Darauf wirdweiter unten anhand Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo eingegangen werden Es handelt sich umdas Angebot eines mythopoetischen Umgangs mit Technik insbesondere wenn sie sich inheimische Gefilde einfuumlgtHeute koumlnnte man mit Windraumldern ebenso verfahren Somit koumlnnte aber auch Heidegger
als ein gewisser Quijana aus Mancha verstanden werden eben der Protagonist aus Miguel deCervantes Roman Don Quichote von der Manchalsquo der mit seinem von ihm flux auch um-benannten Klepper (weil er zuvor sich selbst in Don Quichote umtaufte) Rocinante Riesenbezwingen will um mit dieser Heldentat unsterblichen ritterlichen Ruhm zu erstreitenAuch Don Quichote fand seine Riesen in Windmuumlhlen und auch Don Quichote war uumlber
eine uumlbertriebene Auseinandersetzung mit einer verschuumltteten Kultur dieser verfallen undsuchte diese in seiner Aventuumlre zu reaktualisieren Martin Heideggers mythopoetisches Pro-gramm ist tatsaumlchlich stark mit Don Quichotes Motiv vergleichbarFerner waumlre eine Auseinandersetzung mit Heideggers Werk unter Beruumlcksichtigung sei-
ner Gewichtung der Vorsokratiker und Houmllderlin als mythopoetischen Autor eine moumlglicheForschung zum Thema Anachronismen in Konzepten von Moral und gesellschaftlicher An-gemessenheit (Vgl Cervantes Miguel de Don Quichote von der Mancha Herausgeben unduumlbersetzt v Susanne Lange Muumlnchen 2008 S 33f)
148 GA 79 S 29149 GA 79 S 30
36
lensldquo150 Schon vorher wies Heidegger darauf hin bdquo[d]ie Herrschaft des Gegen-
staumlndigen sichert nicht den Abstandldquo151 Jetzt heiszligt es
Das Bestellen befaumlllt nicht nur die Stoffe und Kraumlfte der Natur mit Gestel-lung Das Bestellen befaumlllt zugleich das Geschick des Menschen Das Wesendes Menschen wird daraufhin gestellt das Bestellen in menschlicher Weisemitzuvollziehen152
Der Begriff des Ge-Stells wird daraufhin so konstruiert dass es im Bestellen
um ein Stellen (Herausfordern) alles bdquoAnwesenden als Bestandldquo als bdquoversus unumldquo
gegen bdquodas Eine Ganzeldquo gehe153 In wiederum mythopoetischer Formulierung ge-
baumlre die bdquoVersammlung des Stellens worin alles Bestellbare in seinem Bestand
west das Ge-Stellldquo154 Der Begriff bdquoVersammlungldquo wird einen Absatz zuvor my-
thopoetisch wieder an die Versammlung also das thing eben das wesenhafteDing
angelehnt und somit wie zu Das Dinglsquo bereits oben erlaumlutert in einen deutsch-
abendlaumlndischen Kontext gestellt (3)
Wir nennen die Versammlung der Berge die von sich her einig und nienachtraumlglich schon gesammelt ist das Gebirge Wir nennen die Versamm-lung der Weisen nach denen uns so zumute ist und sein kann das Gemuumlt155
Allerdings ist obiges Versammlungsmodell hier als Kontrast zu sehen zu dem
bdquoGeraff des Getriebesldquo das das Ge-Stell darstellt als bdquoWesen der Technikldquo156 Hei-
degger sieht in der Gleichfoumlrmigkeit die zum Wesen des Technik als Ge-Stell
150 GA 79 S 30151 GA 79 S 25152 GA 79 S 31153 Vgl GA 79 S 32154 GA 79 S 32155 Ebd
Das Wort ldquoGemuumltrdquo hat ferner eine ausschlieszliglich deutsche Praumlgung gibt es doch keinedirekte Uumlbersetzungen Gemuumlth ist ferner ein nicht eindeutig umrissener Begriff (Vgl Kra-mer Cheryce A Foolrsquos Paradise The Psychiatry ofGemuumlth in a Biedermeier Asylum Chica-go 1998 S 19) Die Bedeutung im Deutschen selbst ist zudem sehr variabel hat aber zumeistmit Seelen- oder Geistkonzepten zu tun ndash Cheryce von Xylander (geb Kramer) uumlbersetztGemuumlth mit bdquosoul-organldquo (ebd S 43) das von diversen Autoren unterschiedlich konstru-riert wird (zB von Kant geistigkoumlrperlich und von Kleist individuellkollektiv (vgl ebdS 41)) In Heideggers emblematischem Duktus scheint eine Vermischung von allen vier Di-mensionen geistigkoumlrperlich wie auch individuellkollektiv stattzufinden Es ist auf jedenFall dem Mythos geschuldet den Auftrag des Deutschen anzunehmen (3)
156 GA 79 S 33
37
gehoumlre die planetarische Abloumlsung und Aufhebung des traditionellen und damit
wesenhaft ans Ding gebundenen Verhaumlltnisses vom Menschen zur Erde (das von
ihm idealisierte voumllkische Bauerntum das Bestellen des Ackers) bdquoDie Bestand-
Stuumlcke sind Stuumlck fuumlr Stuumlck die Gleichenldquo157 So kontrastiert er alte Handwerks-
techniken mit Maschinentechnik und schreibt der Maschinentechnik die machen-
schaftliche Verdraumlngung als Geraff zu
Das Ge-Stell hat auch wenn das nicht unmittelbar und nicht sogleich ver-nehmlich wird im vorhinein schon alle diejenigen Stellen beseitigt an denenvormals Spinnrad und Wassermuumlhle standen Das Ge-Stell bestellt durch sei-ne Maschinerie zum voraus eine andere Art und Ordnung von Stellen Andiesen kommt nur zu Stand was als Bestellbares auf der Stelle gleichfoumlrmigzur Stelle steht
Darum ist auch die Art wie die Maschine selbst etwas herstellt einewesentlich andere als das handwerkliche Tun gesetzt daszlig es innerhalb desGe-Stells uumlberhaupt noch so etwas wie ein Herstellen gibt
Die Traktoren und Kraftwagen werden herausgebracht ausgeworfen se-rienweise Stuumlck fuumlr Stuumlck Wo drauszligen steht dieses so Herausgestellte Wo-hin in welchen Stand ist es gebracht158
In dieser Klage uumlber den technischen Wandel der durch den Fortschritt in
alle Lebensbereiche Einzug haumllt versucht Heidegger zu veranschaulichen wel-
chen Verlust es zu erkennen gelte Ein Versuch diesem entgegen zu treten ist die
von ihm vorgetragene Mythopoetik die er in diesem Vortragsteil seines Vortrags-
Gevierts allerdings auffaumlllig zuruumlckgestellt sein laumlszligt War der Einleitungsteil Das
Dinglsquo schlieszliglich eine nahezu einzige mythopoetische Darbietung Dramatur-
gisch wird Heidegger in Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo die mythopoetischen For-
mulierung als Loumlsungswege wieder Bedeutung geben In Das Ge-Stelllsquo versucht
Heidegger hingegen Vorstellungen aus seinen Schwarzen Heften aumlhnlich der fol-
genden mitzuteilen die das Uniforme Gleichfoumlrmige betreffen
Die Macht der Machenschaft ndash die Vernichtung sogar der Gottlosigkeit dieVermenschung des Menschen in das Tier die Vernutzung der Erde die Ver-rechnung der Welt ndash ist in den Zustand der Endguumlltigkeit uumlbergegangenUnterschiede der Voumllker Staaten Kulturen sind nur noch Fassade159
157 GA 79 S 36158 GA 79 S 35159 GA 96 S 52f
38
Was Heidegger unter dieser Gleichfoumlrmigkeit versteht schreibt er in den Schwar-
zen Heften zumeist den Amerikanern zu Er nennt es auch haumlufig Planetarismus
Der Amerikanismus [ist DS] die Zusammenraffung von Allem welcheZusammenraffung immer zugleich die Entwurzelung des Gerafften bedeu-tet160
Der Planetarismus ist die historisch gedachte Bestimmung der uumlberall glei-chen die ganze Erde uumlberdeckenden Seinsverlassenheit des Seienden161
Die Gegenuumlberstellung von natuumlrlicher und traditioneller Handwerkstechnik
gegen maschinenhafte Gleichfoumlrmigkeit exemplifiziert Heidegger dann im Vor-
trag Das Ge-Stelllsquo vielfach wie zum Beispiel hier
Der Forstwart zB der im Wald das geschlagene Holz vermiszligt und demAnschein nach noch wie sein Groszligvater in der gleichen Weise die selbenWege geht ist heute von der Holzverwertungsindustrie gestellt Er ist ober es weiszlig oder nicht in seiner Weise Bestand-Stuumlck des Zellulosebestandesund dessen Bestellbarkeit fuumlr das Papier das den Zeitungen und illustrier-ten Magazinen zugestellt wird die uumlber die Oumlffentlichkeit daraufhin stellenverschlungen werden162
160 GA 96 S 257161 GA 96 S 261162 GA 79 S 37f
Die renommierte Theaterautorin Elfriede Jelinek karikiert in ihrem Stuumlck Totenaubergvon 1991 Heideggers Konstrukt von Heimat und Fortschrittsfeindlichkeit verbunden miteiner Auseinandersetzung mit dessen Liebschaft zu Hannah Arend Mit philologischer Prauml-zision polemisiert sie Teile aus Heideggers Elegie uumlber die Technik und laumlszligt ihn dabei alsbeschraumlnktes und eingezwaumlngtes Wesen in einem Gestell gefangen sein Aus diesem heraussoll er Arend Rede und Antwort stehen uumlber sein Verhaumlltnis zum Nationalsozialismus unddie Shoa Doch dieser redet nur naturtrunken von Heimat und berauscht sich daran Derprophetische Denker wird banalisert ndash diese Worte legt Jelinek ihm (im Stuumlck der alte Mann)in den MundbdquoDie Angst vor dem Fragen liegt uumlber dem Abendland Sie bannt die Kandidaten auf ein
Team-Leibchen verbannt sie auf altgewordene Wege und jagt sie zuruumlck ins morsch geworde-ne Gehaumluse ihrer Tore wo es um ihre Ausscheidungen geht Es wird ihnen alles weggenom-men werden auch der Weg selbst Keine Spur kein Lichtschein aus den Ritzen Aber ruf ichin die Huumltte um nach einem zu fragen den ich gekannt hab sehe ich grad noch eine Tuumlrsich schlieszligen Der Wald kommt nicht zur rechten Geltung alles ist entflohen was mir liebwar und woran ich geglaubt hab Was kommt ist noch nicht da Nichts war Ich habe nichtsgehoumlrt Ich erinnere mich nicht aber ich stelle dem Kommenden das mich den lupenreinenAmateur schon vor Beginn des Rennens erlahmen laumlszligt vorsorglich die Hausschuhe vor dieTuumlr Sie sind das Einzige was die Profis des Profits von mir dann vorfinden werden wennsie anklopfen Die Haumlrte des Urgesteins sollte sie nicht entmutigen Die Jahreszeiten machendie Landschaft auf und zu Ich sage nur In dieser scheinbaren Leere will ich vom Denkenmuumld nur schlafen Von der Huumltte aus lassen sich Wanderungen unternehmen Aber auchsonst wird Ihnen alles wie ich sagte genommen werden Auch Ihre Fotos und Namen Unddas Gewesene wird wesenlosldquo ( Jelinek Elfriede Totenauberg Hamburg 1991 S 86f)
39
Die Oumlffentlichkeit ist fuumlr Heidegger ein Topos der dem Denken und Besinnen
entgegenstuumlnde Somit meint er damit zum Einen die Medien wie er es anhand
der Rede von den Bestandstuumlcken in Das Ge-Stelllsquo erklaumlrt wo der Mensch als
Urheber des Ge-Stells als Wesen der Technik nicht gelten soll Vielmehr wuumlrde er
in Ratlosigkeit und Langeweile verfallen weil er in der Bestellung des Bestandes in
Form von Bestandstuumlcken vom Rundfunk keine Besinnung mehr faumlnde dh das
Ganze also wiederum daswesentliche Ding nicht mehr zu fassen vermoumlge163 Und
so toumlnt es bereits aus den Schwarzen Heften von 19391940()
Die Bildlsquo und Tonlsquo ndash Reportagenlsquo der Machenschaft ist der planetari-sche Mythuslsquo des Vollendungsabschnittes der Neuzeit Die Welt des abge-legensten deutschen Bauernhofes wird nicht mehr durch [] die Naturlsquobestimmt in der noch die Erde waltet sondern durch das illustrierte Blattmit der Darstellung von ausgezogenen Tanzweibern von Boxern und Renn-fahrern und sonstigen Heldenlsquo des Tages164
Und ferner notierte Heidegger 1946 in seinen Schwarzen Heften
Uumlberall zerrt es aus dem Oumlffentlichen ins Oumlffentliche mit vielen Strickenund jeder sieht das kaum versuchte Denken des Seyns am Leitband seinesStrickes165
Dabei waumlre eben ein bdquoLiterat [] ein in die Oumlffentlichkeit verliebter Mensch der
Angst vor dem Denker hatldquo166 Dieses liefe dann darauf hinaus dass beim Rund-
funk bdquoein Bestellen und Stellen waltet das in dasWesen des Menschen eingegriffen
hatldquo167
Abermals nach dem Wesen der Technik also nach dem Ge-Stell gefragt geht
Heidegger auf seine Unterscheidung vonNatur undNaturwissenschaft ein bdquo[w]elches
ist das Verhaumlltnis zwischen der Technik und der Naturldquo168 Natur wuumlrde in wis-
senschaftlicher Hinsicht unter das Berechnete fallen sie wuumlrde bdquoals das in Maszlig
und Zahl gestellte Wirkliche vorgestellt das in seinem Gewirkten staumlndig an-
westldquo169 Wenn Heidegger dann Natur aus technischer Sicht bdquoals ein System des
163 Vgl GA 79 S 38f164 GA 96 S 54165 GA 97 S 100166 GA 97 S 126167 GA 79 S 39168 GA 79 S 41169 Ebd
40
Bestellens von Erfolgen aus dem gestellten Wirksamenldquo170 charakterisiert spricht
er von seiner Rede der Verschraumlnkung von Historie und Technik ndash bdquoTechnik die
Historie der Naturldquolsquo171 Dieses ist bekanntlich das seinsvernichtende Gegenstuumlck
zur geschichtlichen Besinnung Denn geschichtliches Walten der Technik ist fuumlr
Heidegger technische Geschichte dh verwissenschaftlichte Geschichte die da-
durch ihr Wesen verloren haumltte (Seynsvergessenheit)172 So heiszligt es in den Schwar-
zen Heften von 1947
Ein Zeitalter das historisch geworden ist dh technisch planend sich selberberechnet und alles in diesen Sog zieht muszlig jede Besinnung nur als eine dervielen Formen der Intellektualitaumlt registrieren173
Heidegger schlieszligt den Vortrag mit dem Aufgriff der Anfangsbehauptung
bdquo[d]er Bestand bestellt das Abstandsloseldquo174 Somit liegt das Problem der ausblei-
benden Naumlhe durch die Technik deren Wesen das Ge-Stell waumlre das den Bestand
bestelle in der Luft Dass dabei der Mensch sogleich Teil des Bestandes und nicht
Teil der Maschine wird laumlsst ihn das historische Tier sein (2)
Der Mensch ist auswechselbar innerhalb des Bestellens von Bestand []Gleichwohl gehoumlrt der Mensch in einer voumlllig anderen Weise in das Ge-Stellals die Maschine DieseWeise kann unmenschlich werden DasUnmenschlicheist jedoch immer noch unmenschlich Der Mensch wird nie zur MaschineDas Unmenschliche und noch Menschentuumlmliche ist freilich unheimlicherweil boumlsartige und verhaumlngnisvoller denn der Mensch der nur Maschine wauml-re175
Wen Heidegger hier ersinnt ist der neuzeitliche Mensch der den bdquoGoumlttern uner-
traumlglich gewordenldquo176 waumlre
170 Ebd171 GA 95 S 351172 In Heidegger Die Technik und die Kehre S 21 stellt er Geschichte und Historie einander
gegenuumlber was er in Das Ge-Stelllsquo nicht vollzieht bdquoDie moderne Technik kam doch erst inden Gang als sie sich auf die exakte Naturwissenschaft stuumltzen konnte Historisch gerechnetbleibt dies richtig Geschichtlich gedacht trifft es nicht das Wahreldquo Signifikant fuumlr Heideg-gers Attributierung so wie sie oben schon geschildert ist steht Historie fuumlrs Rechnen undGeschichte fuumlr das Denken
173 GA 97 S 508174 GA 79 S 44175 GA 79 S 37176 GA 94 S 236
41
323 Die Gefahrlsquo
Aus Heideggers Darlegung uumlber das Ge-Stell erschlieszligen sich seine diversen Fa-
cetten der Vorstellung einer Abstandslosigkeit schaffenden Technik Dass die Ab-
standslosigkeit dem Prinzip des Gevierts des Zusammengestellten entgegensteht
bekommt im Vortrag Die Gefahrlsquo Nachdruck Die mythopoetische Erzaumlhlung
knuumlpft an den Vortrag Das Dinglsquo an mit den Mythologemene 1 Der Mythos
des geschichtlich sein muumlssens 2 der Mythos des Goumlttlichen 3 das geschichtsbe-
sinnliche Prinzip der Aletheia Zudem wird im Prozess des Vortrags das Ge-Stell
zur Gefahr stilisiert was einen eigenen Mythos erschafft
Durch das bdquouniversale Bestellen des Ge-Stellsldquo177 werde die naumlhernde Naumlhe des
Dings verwehrt Wie im Vortrag Das Dinglsquo fuumlhrt Heidegger das Wesentliche sei-
ner Theorie auf die deutsche und altgriechische Sprache zuruumlck Die so vollzoge-
ne Annaumlherung von Schwarzwaumllderischem Dialekt und Altgriechisch entspricht
Heideggers Traum von dem bdquogeschichtliche[n] Geburtsort des abendlaumlndischen
Wesensldquo178 den seine Heimat von Todtnauberg bis Freiburg stiften sollte (1)
es ist das Geistvolle und zugleich das erdenhafte schoumlne Land Es birgt un-sichtbaren Reichtum dem Gemuumlt bewahret tiefstes Dichten und houmlchsteGestalt der Sage179
Unter diesem Vorzeichen also sagt Heidegger
Das Ge-Stellwesen laumlszligt das Ding ohne die Wahr Das Wort die Wahrlsquo be-deutet in unserer Sprache dort wo sie noch urspruumlnglich spricht die HutIn unserer schwaumlbischen Mundart meint das Wort die Wahrlsquo die der muumlt-terlichen Hut anvertrauten Kinder Das Ge-Stell laumlszligt in seinem Stellen dasDing ohne die Hut ndash ohne die Wahr seines Dingwesens180
Diese in Bremen vorgetragene Heimatkunde ist auch Heideggers Sorge ge-
schuldet durch die Besatzermaumlchte und deren kulturellen Einfluss auch durch
die nun moumlgliche Oumlffnung Deutschlands zu einem Austausch mit der Welt das
eigene Wesen zu verlieren So schreibt er 1945-1947() in seine Schwarzen Hefte
177 GA 79 S 46178 GA 97 S 54179 Ebd180 GA 79 S 46
42
Das Schwerste und Fragwuumlrdigste unseres Geschickes ndash beruht darin ob wirdas Eigene finden und huumlten [] unter den anderen Voumllkernlsquo [] Scheinund Vorwand der Macht daszlig man unsere eigene Aufgabe bringen will []als Entmachtete aufgenommen zu sein in den Weltmachenschaftsbetrieb181
Es gaumlbe nach Heidegger also das Welten von Welt und die Verweigerung von
Welt aus derVerwahrlosung des Dings durch das Ge-Stell bzw die Technik182 Welt
ist nach dem Konzept des schwaumlbischen Denkers nichts weniger als das Geviert
Bei der folgenden mythopoetischen Zusammenstellung von dem Geviert mit alt-
griechischen Vokabeln um den Seins-Begriff wird das Aletheia-Prinzip eingefuumlhrt
Somit fuumlhrt uumlber den Mythos des Goumlttlichen (2) der Weg zur Wahrheit eben als
geschichtsbesinnlich erfahrene Aletheia (3)
Welt ist das Geviert von Erde und Himmel Goumlttlichen und SterblichenDas Spiegel-Spiel der Vierung wahrt alles was in ihm dingend zwischenden Vier anwest und abwest in das einende Ganze seines Anwesens Vonaltersher heiszligt das Anwesen des Anwesenden τὸ ὲόν das Seiend [sic] τὸεἶναι das Sein naumlmlich der ὲόντα des Seinenden das esse entium183
Diese Welt waumlre nun bdquoWahrnis des Wesens von Sein Statt Wahrnis sagen wir auch
Wahrheitldquo184 Die Welt mythopoetisch als Spiegel-Spiel des Gevierts und durch
eine altgriechische Brille betrachtet waumlre die wahre Welt Somit wird die Wahr-
heitsschau gebunden einen antiken Goumltterglauben und abendlaumlndische Sprachkas-
kaden vom Dialekt zum Altgriechisch
Das Problem mit der wahren Welt waumlre allerdings dass sie sich in die Ver-
borgenheit entziehe Naumlher betrachtet ist aber die Verborgenheit Bedingung des
Entbergens was Heidegger notwendig macht zu einem wuumlrdigen Lebensvollzug
in Harmonie mit dem Sein Durch solche Wesensschau waumlre der Mensch befaumlhigt
jederzeit die verstellenden Maumlchte des Ge-Stells (der Technik) zu uumlberwinden und
teilhaftig am Wesen der Welt zu werden
181 GA 97 S 99182 Vgl GA 79 S 47183 GA 79 S 48 (Die griechischen Vokabeln werden hier keiner Uumlbersetzung unterzogen Da
Heidegger ohnehin keine philologische Schaumlrfe anwenden will ist es fuumlr die Zwecke hierausreichend sie mit seiner Uumlbersetzung zu betrachten Heidegger spricht von bdquoAchten aufdas Griechischeldquo was schwieriger waumlre als klassische Philologie (vgl GA 79 S 63)
184 Ebd
43
Welt bleibt in der Verborgenheit (Αήθη) auf die Weise daszlig diese ihre Ver-borgenheit gerade eine Unverborgenheit gewaumlhrt die Αλήθεια185
Die Αλήθεια haumltte allerdings auch eine Rolle uumlber die subjektive hinaus da nur
durch ihren Vollzug Seinsgeschichte gewaumlhrt wuumlrde Das ist der Anspruch den
Heidegger an sein Auditorium stellt gemeinsam geschichtlich sein zu muumlssen (1)
Die Αλήθεια ist das Geschick des Seins als welches Geschick sich die Fuumllleder Seinsgeschichte in ihre Epochen fuumlgt186
Mit dem Ge-Stell als Wesen der modernen Technik waumlre die Aletheia aller-
dings hochgradig gefaumlhrdet Denn ohnehin waumlre die Aletheia prinzipiell der Ge-
fahr der Vergessenheit ausgesetzt Doch das Ge-Stell haumltte die Kraft die bdquovollende-
te Vergessenheit der Wahrheit des Seinsldquo187 zu vollrichten
Indem das Ge-Stell alles Anwesende in den Bestand bestellt setzt das Ge-Stell das Anwesen des Anwesenden heraus aus seiner Wesensherkunft ausder Αλήθεια188
Diese Versetzung des beteiligten Wesens aus der Moumlglichkeit des Wahrheitsprin-
zips heraus markiert Heidegger dann mit der Schreibweise Seyn (mit bdquoyldquo) Wie
bei dem Vortrag Das Dinglsquo koumlnnen ethymologische Abstammungen sein Sys-
tem anreichern Da wo es um das Wortfeld des Stellens geht Ge-Stell Bestellen
Verstellen ist auch das NachstellenMitglied der Familie
Im Althochdeutschen heiszligt nachstellen fara Das in sich gesammelte Stellenals Nachstellen ist die Gefahr Der Grundzug des Wesens der Gefahr ist dasNachstellen Insofern das Sein als das Ge-Stell sich selbst mit der Vergessen-heit seines Wesens nachstellt ist das Seyn als Seyn die Gefahr seines eigenenWesens189
Damit wuumlrde sich durch die Verringerung der Selbstreflexion im Seyns-Bestand
eine Schwachstelle auftun in die der denkbegabte und aletheiafaumlhige Mensch ei-
ne Moumlglichkeit haben das Seyn zum Sein zuruumlckzuwandeln ndash also wieder in ein
185 GA 79 S 49186 Ebd187 GA 79 S 53188 GA 79 S 52189 GA 79 S 53
44
wesentliches Verhaumlltnis zum bdquoDingldquo zu gelangen in dem das Geviert wieder die
Harmonie herstellt Allerdings faumlnde bis zu solch einer Nachstellung eine Ver-
sieglung des Seynsbestandes statt Und Heidegger beklagt dass die Erreichung der
Ruumlckeroberung des Seins uumlber die Nachstellung nicht stattfaumlnde und stattdessen
die Irre regieren wuumlrde190
In dieser Irre stuumlnde dem Menschen nicht einmal mehr zu zu sterben Denn
bdquoSterben [] heiszligt den Tod in sein Wesen austragenldquo191 Somit waumlren die Opfer
die in den KZs umkamen wie er sie in Das Dinglsquo bereits schildert nicht vermouml-
gend gewesen zu sterben bdquoSie werden Bestandstuumlcke eines Bestandes der Fabrika-
tion von Leichen [] Sie werden in Vernichtungslagern unauffaumlllig liquidiertldquo192
Das vermoumlge die Gefahr zu bewirken Der Mensch wuumlrde des eigenen Sterbens
beraubt da er keine Verbindung mehr zur Wahrheit der Welt haumltte Um den rich-
tigen Tod zu sterben muumlsse der Mensch die Aletheia schauen koumlnnen Insofern ist
Heideggers Prinzip ein religioumls anmutendes Wie in der christlichen Vorstellung
der Mensch im Jenseits an seinen Taten gemessen wird um Paradies oder Fege-
feuer zu besuchen soll nach Heidegger der Mensch waumlhrend des Sterbens mit
sich selbst ins Gericht gehen Er soll sich rein machen vom Ge-Stell der Technik
und dem Seyn um nicht die einmalge Gelegenheit des richtigen Sterbevollzugs
zu versaumlumen Es winken gemaumlszlig des Gevierts die himmlischen Goumlttlichen den
irdischen Sterblichen zu wobei annehmbar ist dass Heidegger Sterblichen die
die Aletheia erkennen einen Goumlttlichkeitsstatus beimessen moumlchte ndash eine Erlouml-
sungsphantasie
Genau diese Erloumlsung waumlre die Technik nicht
Ohne den Schritt des Denkens zu wagen der unser Menschenwesen demWesen der Technik [] aussetzt wuumlrgt man sich von Fall zu Fall von Lagezu Lage durch die Zwiespaumlltigkeiten hindurch Und genau durch dieses Ge-wuumlrge versaumlumt man die Moumlglichkeit dessen was man im Grunde erstrebtdie Technik durch menschliches Tun zu meistern und menschenwuumlrdig zulenken193
190 Vgl GA 79 S 55191 GA 79 S 55192 GA 79 S 56 Weil Heidegger im Judentum die Verantwortlichen fuumlr das Geraffe des Ge-Stells
sieht macht er sie gleichsam verantwortlich fuumlr die bdquoSelbstvernichtungldquo Die Seinsverges-senheit im Tode wird dadurch zum Spin-off der vermeintlich juumldisch erzeugten da machen-schaftlichen KZ-Maschinerie (Vgl GA 97 S 20f)
193 GA 79 S 59
45
Trost und Richtung findet Heidegger schlieszliglich abermals bei den alten Griechen
Das Wort stellenlsquo entspricht dem griechischen ϑέσις vorausgesetzt daszlig wirϑέσις griechisch denken Was heiszligt in diesem Falle griechisch denkenlsquo Esheiszligt darauf achten welche Lichtung desWesens des Seyns in welcherWeisedas Dasein der alten Griechen in den Anspruch genommen hat heiszligt imvoraus bedenken in welchem Geschick welcher Unverborgenheit des Seinsdie Griechen standenldquo194
Das sind Vorstellungen des Neuen Anfangs eine Reminiszenz der griechisch anti-
ken Welt Ein Eintrag aus den Schwarzen Heften von etwa 1945-47 () verdichtet
wie oben bereits aufgezeigt die Phantasie griechisch zu sein zu einem gelingenden
Lebensvollzug
Das reine Wesen des Griechentums dh das Seiende inmitten dessen dieGriechen als seiende fremd gewesen dieses und sie selbst und der Bezug desSeins zu ihnen ndash in der einfachen Wesung von der ἀλήθεια her zeigen underfahren Den μῦθος und λόγος ndash jedes Wort und Gebild rein aber nichterzwungen und schematisch-pedant ndash aus ἀλήθεια erfahren195
Hier zeigt sich auch dass Heidegger per se das Aletheia-Prinzip fuumlr notwendig
hielt um ins Licht der Wahrheit zu blicken Die Griechen sind ihm hier deshalb
Vorbild und rein da sie keiner modernen Technik und dem Ge-Stell ausgesetzt
waren sondern lediglich eine mythopoetische Verbindung zum Sein herstellen
mussten um wesentlich zu sein und Seinsgeschichte zu schreiben Die Dinge und
das Spiegel-Spiel des Gevierts waumlren ihnen geschickt zuhanden gewesen196 Hei-
degger macht schlieszliglich sehr deutlich dass das Griechische zu denken ein bei
weitem anderes Geschaumlft sei als philologische Praumlzision
Ein Echo zu sein naumlmlich dem Anspruch des Seins verlangt eine Sorgfaltder Sprache von der freilich der technisch-terminologische Sprachstil derWissenschaften uumlberhaupt nichts wissen kann Die Intentionalitaumlt der wis-senschaftlichen Sprache ist der staumlrkste Beweis fuumlr ihre Boden- und Heimat-losigkeit [] Das Heimische einer hohen Sprache gedeiht nur im Bereichdes unheimlichen Anspruchs der wesenhaften Stille im Wesen des Seyns197
194 GA 79 S 62f195 GA 97 S 20196 Hingegen waumlre das Judentum verantwortlich fuumlr das Ge-Stell fuumlr das Prinzip der Zerstoumlrung
wie es auf der selben Seite der Schwarzen Hefte darunter heiszligt (vgl ebd)197 GA 79 S 66 Die Bedeutung von Seyn als verstelltes Sein oder Bedingung zum Schauen
des wahren Seins ist verwirrend Einer genaueren Analyse wird aus Platzgruumlnden hier nichtnachgegangen
46
324 Die Kehrelsquo
Der letzte Vortrag ist mit nur neun Seiten der Kuumlrzeste des Vortragsgevierts
Nach dem Verlust des Dinges als Ding und der damit einsetzenden Abstandslosig-
keit als Wesen des Ge-Stells wobei die Gefahr zudem der Vergessenheit des Seyns
nachstellt bietet Heidegger eine Perspektive an
Im Wesen der Gefahr verbirgt sich [] die Moumlglichkeit einer Kehre in derdie Vergessenheit des Wesens des Seins sich so wendet daszlig mit dieser Kehredie Wahrheit des Wesens des Seyns in das Seiende eigens einkehrt198
Diese Moumlglichkeit bedeute nicht dass der Mensch sich der Gefahr selbst stellen
koumlnnte sie waumlre passiv ndash bdquoverbirgt sichldquo Die Kehre werde sich ereignen aumlhnlich
einer Erwartung an den Messias
Die Anwesenheit der Gefahr wuumlrde automatisch die Rettung bergen Denn
Houmllderlin haumltte geschrieben bdquoWo aber Gefahr ist waumlchst [d]as Rettende auchlsquoldquo199
Etwa 1945 notiert Heidegger in seine Schwarzen Hefte bdquoDie Wahrheit erfahren
wir im Gedaumlchtnis Das Gedaumlchtnis ist die Dichtungldquo200 (so) Von dieser War-
te aus ausgestattet mit Erinnerungen an das abendlaumlndische Dichten mit dem
Wissen um das Aletheia-Prinzip und passiv als denkender Huumlter des Seyns solle
der Mensch das Ereignis erwarten das ihn bdquoloumlsen freimachen freyen schonen
bergen in die Hut nehmen wahrenldquo201 wuumlrde (siehe S 43)
Dieses Ereignis waumlre der Blitz Ein unvermittelter jaumlher ploumltzlicher Moment
von kurzer Dauer der bloszlig einen ebenso kurzen Blick auf das wahre Wesen er-
lauben wuumlrde Abschlieszligend ist dies das Rezept gegen die Bestands bestellende
Technik in mythopoetischer Formulierung
So entsprechend ist der Mensch geeignet daszlig er im gewahrten Element vonWelt als der Sterbliche dem Goumlttlichen entgegenblickt Anders nicht dennauch der Gott ist wenn er ist ein Seiender steht als Seiender im Seyn unddessen Wesen das sich aus dem Welten von Welt ereignet202
198 GA 79 S 71199 GA 79 S 72200 GA 97 S 52f201 GA 79 S 72202 GA 79 S 76
47
Wenn Heidegger im Anschluss von der bdquohistorisch-technischen Darstellungldquo re-
det so ist dies die Abwehr der Wissenschaften (auch der Philosophie203) und ein
Appell an die Antirationalitaumlt des Mythos bdquokein historisches Vorstellen der Ge-
schichte als Geschehen bringt in den schicklichen Bezug zum Geschickldquo204
Damit das Blitzen erfahren werde als kurze Wesensschau der Aletheia muumlsse
dem wahren abendlaumlndischen und heimatlichen Ereignis stattgegeben werden Es
sollte nicht wie er 1939 schon in den Schwarzen Heften beschreibt das
kuumlnstliche Licht von Historie und Technik in der weder Mensch noch dieGoumltter weder eineWelt noch die Erde sichtbar werden koumlnnen wo aber dasLebenlsquo von allen den immer noch zu wenigen Meistenlsquo erlebtlsquo wird205
Damit schlieszligt der letzte Vortrag mit einer Erwartung an das Ereignis des Blit-
zens nicht das Erleben der Besinnungslosigkeit (vgl Das Ge-Stelllsquo) Schon 1947
traumlumt Heidegger von solcher Umkehr
Aus der Kehre der Seynsvergessenheit aber ereignet sich das Unumgaumlnglicheden Acker der Welt erst zu pfluumlgen und saatbereit der Sonne und dem Regenund den Voumlgeln des Himmels uumlberlassen206
203 Denn ldquo[e]igentlich denken heiszligt [] die Philosophie verlassen [] beim Sagen des Seinslsquoldquo(GA 97 S 60)
204 Ebd205 GA 95 S 427 Gegen das Erlebnis und Erleben straumlubt sich Heidegger besonders So notiert
er etwa 1939 bdquoZeitalter der Techniklsquo macht gerade die Techniklsquo nicht zum Ziel sondernimmer mehr zum Mittel der besinnungslosen Berechnung [] der Mensch [] das Erleb-nislsquo [] Erleben als der Gefuumlhlsgenuszligldquo (GA 95 S 149) Wie auch bdquoWo beide Historie undTechnik in solcher scheinbaren Gegensaumltzlichkeit verkoppelt sind koumlnnen sie sich zur Foumlr-derung dessen zusammenschlieszligen was einstmals wesentlich die Geschichte des Menschenmitbegruumlndete und was wir die Kunstlsquo nennen Die Historie verschafft [] Anregungenund Vorbilder der Nachahmung die Technik erleichtert [] die Zustellung von Darstel-lungsmitteln und Wirkungsformen [] Gleichwohl ist alles wurzellos [] berechnet und alsErlebnislsquo ausgegebenldquo (GA 95 S 212)
206 GA 97 S 511
48
4 Konklusion
Der umstrittene Philosoph Martin Heidegger hat uumlber die 1930erndash40er Jahre
hinweg eine ausgepraumlgte voumllkisch-nationale und bisweilen radikal-antisemitische
Denkweise entwickelt Dieses Denken fasste er auch auf als Besinnung und stellt
es der Philosophie und Wissenschaft diametral entgegen In Kapitel 2 wird aufge-
zeigt dass sowohl Heideggers Mythologie bereits kritisiert wurde (Adorno Cassi-
rer Meyer) als auch seine Mythopoetik bewundert (Schulz-Nieswandt) Kapitel
3 will daruumlber hinaus aufzeigen wie Heidegger eine eigene Mythologie mytho-
poetisch fruchtbar macht was sich von beiden vorigen Ansaumltzen unterscheidet
und erst mit der Veroumlffentlichung der Schwarzen Hefte ab 2014 nachvollziehbar
wurde
Umso mehr bietet die mythopoetische Verbindung von bdquoDichten und Den-
kenldquo (so) einen antitechnischen Gegenpol Denn Heidegger fasst wie oben ge-
schildert alles Rationale auf als berechnende Bestellung des Bestands im Sinne
der Technik Daruumlber hinaus fordert er mit dem Aletheia-Prinzip (als metapho-
risch gefasstes Ereignis des Blitzens) einen Mitvollzug seiner mythopoetischen
Kontemplation in dem religioumlse voumllkische antike und sprachliche Motive zu-
sammenfallen
Obwohl schon von Heidegger selbst nicht mehr als Philosophie betrachtet
hat seine Rede vom Ding dem Ge-Stell dem Wesen der Technik und der Kehre
noch immer einen bedeutenden Einfluss auf die Technikphilosophie So betont
Alfred Nordmann in bdquoWerkwissen oder How to express things in worksldquo (2008)
dass Heidegger mit Das Dinglsquo eine Art Dingwissen geschaffen haumltte In seinem
2012 erschienenen Aufsatz Another parting of the ways Intersubjectivity and the
objectivity of sciencersquo207 geht Nordmann ein weiteres Mal auf Heideggers Ding
ein Dieses waumlre eine Abarbeitung an dem Ding Kants womit auch Nordmann
Heidegger als einen Interpreten Kants versteht208 Anschlieszligend anMichael Fried-
207 Nordmann Alfred Another parting of the ways Intersubjectivity and the objectivity ofscience In Studies in History and Philosophy of Science 43 (2012) 38ndash46
208 Die Auseinandersetzung mit dem Ding wuumlrde nach Nordmann in Heideggers GA mit demText Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalen Grundsaumltzenlsquoeinsetzen (GA 41 Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalenGrundsaumltzen)
49
man spricht sich Nordmann ebenso dafuumlr aus dass Heidegger neben Rudolf Car-
nap und Ernst Cassirer eine neokantianische Philosophie verfolgt haumltte (siehe
Kap 1)209
Nach Nordmann haumltte Heidegger in seinen anschlieszligenden Gedanken uumlber
das Ding als Fortfuumlhrung Kants als erster Wissenschaft als angewandte Techno-
logie verstanden210 Diese Interpretation stuumltzt sich auf die gleichen Symbole
Metaphern und Mythen die die vorliegende Arbeit analysiert Das Ge-Stell ist
insofern aumlquivok mit dem Begriff techno-science Jedoch sind in dieser Fruchtbar-
machung von Heideggers Denken der Technik dessen nationalistischen rassisti-
schen und antisemitischen Implikationen die die vorliegende Arbeit als Zentrum
dessen Philosophie ermitteln konnte noch nicht beachtet worden koumlnnen211
Andreas Luckner webt Heideggers Ding-Entwurf weiter als verantwortliches
Sorgen um die Dinge212 Er geht dabei mit Heidegger voumlllig konform und tritt
eher als eine Art Bote der Ding-Botschaft auf als diese moumlglicherweise zu kriti-
sieren was sich diesen Artikel wie ein Kapitel aus einem Studienbuch lesen laumlsst
Der Darmstaumldter Technikphilosoph Christoph Hubig ist vor allem Kritiker Hei-
deggers Argumentationen laumlsst aber zuweilen diverse Topoi aus dem Werk des
Technik-Denkers durchscheinen ohne sie weiter zu reflektieren
So konstatiert Hubig Heidegger verfehle in dessen Auseinandersetzung mit
Aristoteles Lehre von der Poiesis zum Punkt der Sicherung wie sie in Die Frage
nach der Techniklsquo behandelt wird bdquodie operative Seite des Technischenldquo bei Aris-
totels213 In einem spaumlteren Aufsatz allerdings stuumltzt er sich ohne weitere Erlaumlute-
rungen auf Heideggers Begriff der Sicherung aus Die Frage nach der Techniklsquo214
209 Diese Befriedung paradigmatischer Umstaumlnde wird hier nicht geteilt Eine weitere Bearbeitunglaumlsst der Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht zu
210 Vgl Nordmann Another parting of the ways S 45211 Der Aussage dass Heideggers Ding-Begriff kantianisch waumlre muumlsste einer gezielten Untersu-
chung unterzogen werden genau wie die Behauptung insgesamt dass Heidegger oder inwie-weit dieser noch der suumlddeutschen Kantschule des 1920 Jahrhunderts angehoumlrte
212 Vgl Luckner Andreas Ding und Bestand Heidegger und das Wesen neuzeitlicher TechnikIn Gamm G Gehring P Hubig C Kaminski A und Nordmann A Ding und SystemS 15-30 hier S 29
213 Hubig Christoph Die Kunst des Moumlglichen Technikphilosophie als Reflexion der MedialitaumltBielefeld 2006 S 103
214 Vgl Hubig Christoph Technik als Medium In Grundwald Armin (Hg) Handbuch Tech-nikethik Stuttgart 2013 S 118-123 hier S 118
50
Dabei versteht Hubig Heideggers Betrachtungen zum Umgang mit der Technik
als gelassen
Fuumlr Heidegger liegt die Andersheit im Entbergen einer Wahrheit des Seinseines Geschicks von dem die Entwicklung der Technik hin zum Gestellkuumlnde Er verbindet dies mit dem Appell jenseits des rechnenden und si-chernden Vorstellens technischer Vollzuumlge als handlungsleitender Program-me sich gelassenlsquo dieser Entwicklung zu uumlberantworten und ein Seinlsquo zuhuumlten das sich als solches eben entbirgt Das Rettendelsquo dieser Einsicht lie-ge darin dass unsere individuelle Endlichkeit insofern transzendiert wirdals sie sich dem sie uumlbersteigenden Prozess aufschlieszligt und sich selbst relati-viert215
Wovon in diesem Zitat nicht die Rede ist ist der Mitvollzug der mythopoe-
tischen Rahmenbedinungen die Heidegger einfordert und an dem die Konzep-
te Abendland und voumllkische Tradition haumlngen In dieser Arbeit wird davon aus-
gegangen dass Heideggers Technikphilosophie-erzaumlhlung sich nicht von seinen
Absichten der Bekaumlmpfung des Technischen loumlsen laumlsst Die Relativierung ist in-
sofern nicht an den Prozess gebunden und damit emergent auf alles hin ausge-
richtet was kommen mag sondern houmlchst konvergent in einer Besinnung auf
Mythen von dem Ding und dem Geviert mit all deren Valenzen aus dem vorlie-
genden Heideggerschen Textkorpus Die individuelle Endlichkeit ist genoumltigt die
Heimat und das Abendland zu kennen und im Aletheia-Prinzip umzusetzen
Die Neubewertung der bislang bekannten Heideggerschen Technikphiloso-
phie von vor den SchwarzenHeften ist ein dringendes Desiderat Voumllkisch-nationale
Gruppierungen erstarken momentan in ganz Europa und es koumlnnte sehr hilfreich
sein aumlhnliche Denkstrukturen aufzudecken so wie sie zwischen den 1930er und
40er Jahren entwickelt wurden Zusaumltzlich muss das Werk Heideggers einer kriti-
schen Revision schon aufgrund der niemals von ihm behandelten Antisemitismen
unterzogen werden Heidegger hat nie zu diesen Stellung bezogen
Daruumlber hinaus ist das Thema Mythos und Philosophie ein weiterhin not-
wendiger Bereich der philosophischen Forschung In einem Bereich auszligerhalb
der exakten Wissenschaften und ohne klare theologische Tradition ist die Philo-
215 Hubig Die Kunst des Moumlglichen S 140
51
sophie beides sowohl Aufklaumlrer und antimythisch als auch Quelle fuumlr mythisches
Denken und affektierende Motive
52
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Die_Heidegger-Kontroverse ndash zuletzt abgerufen am 24042016)
56
Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
Der Unterzeichner versichert dass er die vorliegende Bachelorarbeit selbststaumlndig
verfasst und keine anderen als die von ihm angegebenen Hilfsmittel benutzt hat
Die Stellen der Arbeit die anderen Werken dem Wortlaut oder dem Sinne nach
entnommen sind wurden in jedem Fall unter Angabe der Quellen (einschlieszliglich
des World Wide Web und anderer elektronischer Text- und Datensammlungen)
kenntlich gemacht Dies gilt auch fuumlr beigegebene Zeichnungen bildliche Dar-
stellungen Skizzen und dergleichen
Darmstadt 25 April 2016
__________________________
(Eigenhaumlndige Unterschrift)
- Abkuumlrzungsverzeichnis
- Danksagung
- Einleitung
- Heideggers mythopoetisches Programm
-
- Zu den Begriffen Mythos Mythologie und Mythopoetik
-
- Ein Beispiel fuumlr ein Mythologem
-
- Heideggers Mythen
-
- Formen der Mythologie
-
- Heideggers mythopoetische Technik
-
- Zur Publikationsgeschichte von den Bremer Vortraumlgen 1949
- Die mythopoetische Spiegelung der Schwarzen Hefte
-
- Das Dinglsquo
- Das Ge-Stelllsquo
- Die Gefahrlsquo
- Die Kehrelsquo
-
- Konklusion
- Literaturverzeichnis
- Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
-
8
gen die Rationalitaumlt (Cassirer) er hat stets bdquodas erklaumlrte Andere des logischen
Erkennensldquo25 inne26
211 Ein Beispiel fuumlr ein Mythologem
bdquoDen μῦθος und λόγος [] aus ἀλήθεια erfahrenldquo27 Dieses System entruumlckt
Wort und Rede dem zwischenmenschlichen Sprachgebrauch und uumlberlaumlsst es dem
Prinzip eines eigenwillig ausgelegten Begriffs der ἀλήθεια ob etwas als Ereignis
zum Sein gereicht oder als Dasein hinfaumlllig ist Die erstrebenswerte Identifikation
mit dem bdquoLeben der Gemeinschaft und mit dem Leben der Naturldquo28 die der ge-
meinsame Austausch uumlber Mythen bieten soll zB im Raumlsonieren daruumlber (etwa
im Sinne des Logos) untersteht hier dem regelnden Prinzip einer Aletheia Mys-
thagogisch will Heidegger den archetypischen Akt dieser Wesensschau beim anti-
ken Griechenvolk enthuumlllen (vgl Kapitel 323) Damit ist die Zusammenstellung
von bdquoμῦθος und λόγος [] aus ἀλήθεια erfahrenldquo bereits ein Mythos seiner
Mythologie
Die Eigenwilligkeit mit der Heidegger einen Mix aus philologischer Hinwen-
dung zu den Vorsokratikern der Dichtung Houmllderlins und einem Pathos seiner
Heimatverbundenheit verquickt ist Adorno schon in den 1960ern als Mythologie
aufgefallen bdquoAntisophistik im Endstadium aufbereiteter Mythologie ist verhaumlrte-
tes Ursprungsdenkenldquo29 Adorno konnte nicht ahnen wie tief Heidegger seinen
Wunsch nach Ursprung in sein Denken verschlossen hat Der Bestand bdquoaufbe-
25 Erdbeer Robert Matthias Graf Fritz Mythoslsquo Der Neue Pauly Herausgegeben vonHubert Cancik Helmuth Schneider (Antike) Manfred Landfester (Rezeptions- und Wis-senschaftsgeschichte) Brill Online 2015 Reference Universitaumlts- und LandesbibliothekDarmstadt 06 December 2015 lthttpreferenceworksbrillonlinecomentriesder-neue-paulymythos-rwg-e1505640gt First appeared online 2006
26 Ernst Cassirer interpretiert in diesem Bezug ferner nachdem er den Konflikt zwischen ra-tionalem und mythischem Denken als Machtkonflikt aufwies Kants Annahme von zweibdquoGruppen von Gelehrten und Forschern die eine befolgt das Prinzip der Homogenitaumltlsquo dieandere das der Spezifikationlsquo [] Nach den Prinzipien der Kantischen Philosophie selbststehen beide Haltungen nicht wirklich im Widerstreit miteinander Denn sie druumlcken keinefundamentale ontologische Differenz aus keine Differenz in der Natur und dem Wesen derDinge an sichlsquo Sie repraumlsentieren eher ein doppeltes Interesse des menschlichen Verstandesldquo(Cassirer S 12) Allerdings ist Heidegger anti-wissenschaftlich Sein Ringen um das Mythi-sieren verfolgt das Ziel einer gegenwissenschaftlichen bdquoBesinnungldquo wie er es nennt
27 GA 97 S2028 Cassirer Der Mythus des Staates S 5329 Adorno Jargon der Eigentlichkeit S 41
9
reiteter Mythologieldquo liegt erst seit 2014 mit der Veroumlffentlichung der Schwarzen
Hefte vor
22 Heideggers Mythen
Heideggers Mythen sind weder eine Fortsetzung antiker Uumlberlieferungen noch
ein von ihm entwickeltes Fabulieren uumlber anthropomorphe Goumltter und ihre Ent-
stehungsgeschichten Es ist in erster Linie eine eigenwillige Philologie des Alt-
griechischen wenn er zB in bdquogeschichtlicher Besinnungldquo zum Zuruumlckgehen bdquoauf
den Zusammenhang von τέχνη ἀλήθεια und οὐσίαldquo30 auffordert Adorno cha-
rakterisiert seinen Begriff vom Jargon der Eigentlichkeitlsquo mit dem Zug der sta-
tischen Inbeschlagnahme einzelner Woumlrter die sich bdquodurch die Konstellation die
sie verleugnenldquo aus demDiskurs sprengten und als Apotheosen eine uumlbertriebene
Eigenbedeutung erhalten wuumlrden Diese guerrillaartige Umdeutung von Sprache
versteht Adorno als Asyl des Faschismus31
Was das singulaumlre Wort an Magie verlor wird ihm gleichwie durch Maszlignah-men dirigistisch angeschafft [] Bestandstuumlcke der empirischen Sprachewerden in ihrer Starrheit manipuliert als waumlren sie solche einer wahren undgeoffenbarten [] Der Jargon objektiv ein System benutzt als Organisati-onsprinzip die Desorganisation den Zerfall der Sprache in Worte an sich32
Die bdquoDesorganisationldquo die Adorno Heideggers Sprachzerfall zuweist ist viel-
mehr eine Neukonstellation im Sinne des Mythos So erscheint es zumindest
anhand der Leese die Heidegger in den Schwarzen Heften zusammentraumlgt Der
deutsch-schweizerische Philosoph Enno Rudolph fuumlhrt in diesem Zusammen-
hang einige Militaumlrmetaphern an die Heideggers Zielsetzung unterstreichen sol-
len mit seinem Sprachsystem voumllkisch-nationale und eben auch antisemitische
Abgrenzungspolitik zu betreiben
30 GA 94 S 336f31 Vgl Adorno Jargon der Eigentlichkeit S 8f bdquoAsyl des Faschismusldquo ist eine treffende Parodie
auf Heideggers Rede von der Sprache als Haus des Seins (su)32 Ebd S 10
10
Am Ende koumlnnten sich Text und Sache moumlglicherweise so darstellen lassen[] dass sich das Gesamtwerk als die labyrinthisch konstruierte letzte Basti-on eines philosophischen Stellungskrieges positioniert in dessen Verlauf derAntisemitismus ndash neben den anderen programmatischen Feindseligkeiten ndasheine strategische Funktion nach Analogie mehrerer einander koordinierterWaffengattungen erfuumlllt [] dass es sich bei den vier Baumlnden um Bausteinefuumlr eine Kampfschrift handelt33
Mit dem Schluumlssel des Verstaumlndnisses der altgriechischen Sprache seiner Liebe
zum Klassikautor Houmllderlin und als selbsterklaumlrter Feind der Metaphysik ver-
stand sich Heidegger als Prophet des Denkens das als Dichtung veredelt An-
athema zur Rationalitaumlt und Wissenschaft (worunter er auch die Philosophie ver-
stand) sein sollte Die strenge Bindung an seine Pseudotradition des Abendlandes
sollte mythologisch festgezurrt sein aber seine Veroumlffentlichungen in Form von
Vortraumlgen und Aufsaumltzen und schlieszliglich in Buchform sollten selbst nicht bloszlig
mythologisch sein ImModus von verhaumlrtetem solipsistischen Narzissmus ging er
daruumlber sogar noch hinaus und wollte sich verstehen als mythopoetischen Autor
seiner eigenen Mythologie
Eine katalysierende Wirkung auf dieses Vorgehen Heideggers hatte der Alt-
philologe Walter F Otto (1874ndash1958) In einem vor den Schwarzen Heften in
2009 veroumlffentlichen Aufsatz schildert der franzoumlsische Germanist Daniel Meyer
von diesem Bezug und untersucht Heideggers Verbindung der Kehre34 und des
Mythos Die Entdeckung des griechischen Mythos Heideggers geschichtsphilo-
sophische Wendelsquo35 Wie es der Titel verraumlt markiert Meyer Heideggers Kehre
zur Seinsgeschichte mit dessen bdquoEntdeckungldquo des Mythologisierens36
33 Rudolph Enno Heideggers Schwarze Hefte im Echo In Philosophische Rundschau Bd 62Heft 2 (2015) S 141-154 hier S 145f
34 Die bdquoKehreldquo ist multifaktoriell mit Bedeutungen besetzt Darauf kann hier nicht eingeangenwerden Im Uumlblichen ist die Kehre zur bdquoSeinsgeschichteldquo gemeint
35 Meyer Daniel Die Entdeckung des griechischen Mythos Heideggers geschichtsphilosophi-sche Wende Germanica 45 (2009) S 13-26
36 Diese Entdeckung ist wie bei Peter Trawny (su) gebunden an Heidegger Topos des AnfangsDen Anfang dieser Rede des Anfangs will auchMeyer erkannt haben Insgesamt koumlnnen nochmehrere starke Aumlhnlichkeiten des Artikels von Meyer mit Trawnys Buch uumlber die Schwar-zen Hefte nachgewiesen werden womit Trawny ohne jegliche Nennung Meyers unter denAnfangsverdacht des Plagierens faumlllt
11
Ottos 1929 erschienenes Werk Die Goumltter Griechenlandslsquo37 sei laut Meyer
der fuumlr Heideggers mythologische Strategie unentbehrliche Einfluss Somit sei
der griechische Goumltterbegriff nicht mehr bdquochristlich antithetisch zu Welt und
Mensch sondern in Einheit damit zu denkenldquo38 Diese Einheit wuumlrde gestif-
tet durch bdquoOttos Formel vom Geheimnis der Beruumlhrung von Goumlttlichem und
Menschlichenlsquoldquo39 Da Meyer das Mythologisieren im Zusammenhang mit der ge-
schichtsphilosophischen Kehre auch im Sinne einer bdquoVorrangstellung des primi-
tiven archaischen von ihm [Heidegger DS] als mythisch verstandenen Den-
kensldquo40 als Weg zum Nationalsozialismus ndash der Traum Heideggers eines neuen
(deutschenabendlaumlndischen) Anfangs ndash versteht liegt dem bdquogriechischen Goumltter-
begriffldquo hier eine besondere Wertlegung zugrunde41
Die Beschwoumlrung des Anfangs des griechischen Ursprungs ermoumlglicht ei-nen genuinen Neuanfang im Sinne einer Annullierung des Vorhergekom-menen Der Ausweg aus der Moderne aus der Welt der Uneigentlichkeitist moumlglich durch einen Bruumlckenschlag zum griechischen Denken [] DieMoumlglichkeit diese Krise zu uumlberwinden ist fuumlr Heidegger 1933 durch dienationalsozialistische Machtergreifung gestellt doch reiht er diesen Prozessin eine legitimierende geschichtsphilosophische Perspektive die auf einengriechischen Ursprungsmythos zuruumlckverweist42
Meyer findet kernige Passagen die er aus Heideggers Schriften und Vorle-
sungen bis 1935 durchaus uumlberzeugend zur Unterstuumltzung seiner These anfuumlhrt
Diese Zitate Heideggers sind der Mythologie der Schwarzen Hefte sehr aumlhnlich als
tentatives Entwerfen
37 Otto Walter F Die Goumltter Griechenlands Das Bild des Goumlttlichen im Spiegel des griechi-schen Geistes Frankfurt am Main 2013Meyer verweist in einer Fuszlignote auf das Buch Heideggerrsquos Roots Nietzsche National So-
cialism and the Greekslsquo von Charles Bambach (2005) das ihm fuumlr diese Aussage Pate stand38 Meyer Die Entdeckung des griechischen Mythos S 439 Ebd Durch eine solche Formel der Einheit von Menschen und Goumlttern ist ein nahtloser
Anschluss an die Goumltter Heraklits und anderer antiker Philosophen geebnet Heidegger hatdiese Moumlglichkeit erstaunlich ernst genommen und ausgearbeitet
40 Meyer Die Entdeckung des griechischen Mythos S 341 Meyer stolperte mit der Begruumlndung dass bdquoDieser erstaunlich unkritische Gottesbegriff []
sich nur im Kontext von Ottos Goumltter Griechenlands verstehenldquo (Meyer Die Entdeckungdes Griechischen Mythos S 4) lieszlige uumlber Heideggers SoSe Vorlesung 1930 Vom Wesender menschlichen Freiheitlsquo (GA 31 S 7f) Ferner vollzieht er Ottos Einfluszlig uumlber die ersteHoumllderlin-Vorlesung von 193435 und weitere Schriften Heideggers nach Es geht Meyerauch stark um das Verhaumlltnis von Heideggers Denken bis und nach Sein und Zeit was indieser Arbeit nicht tiefer behandelt werden kann
42 Meyer Die Entdeckung des griechischen Mythos S 4f
12
Das legt nahe dass Heidegger sein mythopoetisches Texten als Code vor allem
in den Nachkriegsveroumlffentlichungen einsetzt ndash ein Nachruf aus dem gescheiter-
ten Anfang43 Ab 1935 jedenfalls haumltte sich Heidegger von der Vorstellung des
neuen Anfangs verabschiedet44
Das Mythologisieren konstruiert Meyer als Anschluss an die Houmllderlin-Vor-
lesung (193435) Die Houmllderlinsche Lyrik haumltte fuumlr Heideggers bdquophilosophisches
Sprachmaterialldquo Vorbildcharakter da bdquomit Houmllderlin die griechische Mytholo-
gie in ihrer sprachlichen Verbildlichung zum tragenldquo45 kaumlme Die dann staumlndige
Wiederauferstehung der bdquogriechischen Goumltter- und Heldenwelt in seinen Vorle-
sungenldquo schluumlge dem zu Buche In der Vorlesung 193435 Houmllderlins Hymnen
Germanienlsquo und Der Rheinldquo klingt insofern bereits eine Figur an die Heidegger
uumlber zehn Jahre spaumlter in seinen technikphilosophischen Bremer Vortraumlgen mit
seinem Aletheia-Prinzip verbinden wird ndash der bdquoBlitzldquo (su)
43 Eine genaue Untersuchung laumlszligt die Form dieser Arbeit nicht zu sie bezoumlge sich wie gesagtauf die drei Darstellungsebenen der GA mit den Schwarzen Heften (GA 94ndash97) als (Entwurfs-phase) Besinnung (GA 66) Das Ereignis (GA 71) ua als (Konzeptionsphase) und den BremerVortraumlgen (GA79) als (Praumlsentation) die Uumlbergaumlnge sind freilich flieszligend und gerade in denvon Meyer zitierten Vorlesungen erscheinen alle drei Stufen mitunter gleichzeitig Gerade imfolgenden zitierten Doppelband in dem es ua um die bdquoWahrheit der Spracheldquo geht scheintes tatsaumlchlich genau wie Meyer es identifiziert um die Grundlegung Heideggers Mythologiezu gehen die in den Schwarzen Heften vielmehr lemmaartig und sporadisch entworfen wirdMit Heraklits Spruch des Kampfes als Wesen des Seienden zieht Heidegger einen Paten seinerMythos-Logos-Aletheia Kombination heran und versucht seiner eigenwilligen Philologie ei-ne verpflichtende Bedeutungstiefe einzulegenMeyers Zitate Heideggers mit groszliger Relevanz fuumlr diese Arbeit sind die folgenden bdquoDa-
mals als das Volk der Griechen deren Stammesart und Sprache mit uns dieselbe Herkunfthat in seinen groszligen Dichtern und Denkern sich aufmachte eine einzigartige Weise desmenschlichen volklichen Daseins zu schaffen Was da anfing ist bis heute nicht eingeloumlstAber dieser Anfang ist noch nicht und er verschwand nicht und verschwindet nicht dadurchdaszlig die nachkommende Geschichte immer weniger seiner Herr blieb Der Anfang ist nochund besteht als ferne Verfuumlgung die unserem abendlaumlndischen Schicksal weit vorausgreift unddas deutsche Geschick an sich kettetldquo (GA 3637 S 6 Die Grundfrage der PhilosophielsquoSommersemester 1933)bdquoAls μυθος ist das Wort das uumlber den Menschen kommt jenes worin ihm dieses und
jenes seines Gesamtdaseins gedeutet wird nicht das Wort in dem er von sich her Rede stehtsondern das Wort das Weisung gibt [] Aber der urspruumlngliche λογος der Philosophiebleibt dem μυθος verbunden erst die Sprache der Wissenschaft vollzieht die Abloumlsungldquo(Ebd S 116)
44 In den Schwarzen Heften houmlrt die Sehnsucht nach dem neuen Anfang nicht auf also bis ein-schlieszliglich 1948
45 Meyer Die Entdeckung des griechischen Mythos S 6
13
Gewitter und Blitz sind die Sprache der Goumltter und der Dichter ist derder diese Sprache ohne Ausweichen auszuhalten hat aufzufangen und in dasDasein des Volkes zu stellen hat [] Die Dichtung ist ein Weiterwinkendieser Winke in das Volk oder von diesem her gesehen Dichtung ist []ein Zeigen ein Weisen in welcher Weisung die Goumltter offenbar werden46
Die Rede von bdquoWinkenldquo ist bereits ein Selbstbezug benannte der Autor der
Schwarzen Hefte seine ersten beiden Abteilungen des heutigen 94ten Bandes der
GA als Winke x uumlberlegungen (II) und Anweisungenlsquo und uumlberlegungen und
Winke IIIlsquo47 Diese setzen ein im Jahr 1931 und duumlrften moumlglicherweise bis 1933
oder vielleicht auch 1935 gereicht haben Heideggers Selbstuumlberhoumlhung als mys-
tagogisch bdquodichterisch-denkenden Schaffenden ndash also ihm selbstldquo48 erkennt auch
Meyer bereits ohne die eindeutigen Zeugnisse dieses Wunsches in den Schwarzen
Heften Es ist Heideggers Begehren das Volk seiner Fuumlhrung zu unterstellen bdquoso
dass sich das Wesen dieses Landes selbst findet und vollendetldquolsquo49
Meyer spricht in Folge daran davon was Heideggers Ursprungsmythos den
er in die griechische Altertum legt fuumlr diesen leistet Es ist eben das antiwis-
senschaftliche bdquoWissenldquo von einer bdquoUr-geschichteldquo Welche abgruumlndigen Motive
auch immer da hineinzuprojizieren sind (Bodenhaftigkeit arische Reinbluumltigkeit
abendlaumlndische Groumlszlige etc so wie es sich aus den Schwarzen Heften offenbart)
der Mythos verschraumlnkt Heideggers Streben nach Fuumlhrung als Denker und eine
Begruumlndung fuumlr die vermeintliche rassische uumlberlegenheit des deutschen Volkes
Meyer zitiert den Dichter-Denker mit bdquoMythologielsquo ist Wissen von einer Ur-
geschichteldquolsquo Es ginge um
Wissen nicht im archaumlologisch-musealen Sinn sondern als Prozess [] auchim Sinne dass Heidegger im Moment des Aussprechens gerade das leistetwovon er spricht Mythologie50
Augenscheinlich sieht Meyer keinen Grund dafuumlr von einer mythopoetischen
Textform in der Verschraumlnkung von Heideggers Denkerprophetie und der abend-
46 GA 39 S 31f (zitiert nach Meyer Die Entdeckung des griechischen Mythos S 6)47 Aus dem beigefuumlgten Nachwort des Herausgebers Peter Trawny geht nicht genauer hervor
weshalb zuerst bdquoWinke x uumlberlegungen (II)ldquo und dann bdquouumlberlegungen und Winke IIIldquo signi-fiziert sind Es wird hier davon ausgegangen dass es sich schlicht um das Gleiche handeltwobei der erste Teil sich in den bislang verschollenen Schwarzen Heften befinden muss
48 Meyer Die Entdeckung des griechischen Mythos S 749 Ebd Darin zitiert ist die GA 39 S 28950 Ebd Darin zitiert ist die GA 40 S 165
14
laumlndischen uumlberhoumlhung zu sprechen Die Paarung von Dichtung und Denken al-
lerdings ist fuumlr den Husserlnachfolger erst der Zweck und die Mythologisierung
das Mittel dazu In seiner Schrift uumlber die Religionsphilosophie und ontologi-
sches Wahrheitsverstaumlndnis bei Walter F Ottolsquo schildert der Altersforscher und
Sozialwissenschaftler Schulz-Nieswandt aus Koumlln uumlber die menschliche Existenz
die bdquoMythopoetik als Seins-Vergewisserungldquo51
In jenem Kapitel seines Otto-Traktats von 2014 schreibt Schulz-Nieswandt
wie ein echter Epigone Heideggers von der Wappnung gegen die bdquoKrise der Mo-
derne ndash Entfremdung Einsamkeit Angst Verzweiflungldquo52 An fruumlherer Stelle
seines Buchs stellt sich dar dass Schulz-Nieswandt sich geradezu mit Heideggers
Linie vereint anstatt sich ihr nur anzunaumlhern
Es geht um das wahre Sein aus der Sicht des zu seinem Wesen gelangendenMenschen in dessen Daseinsfuumlhrung was hermeneutisch erschlossen wer-den soll nicht um Wissenschaft als hermeneutische Methode im Kriterien-spektrum zwischen Verifikation und Falsifikation von Hypothesen mittelsProtokollsaumltzen uumlber die Realitaumlt53
51 Schulz-Nieswandt Frank Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis beiWalter F Otto (1874-1958) Eine strukturalistische und psychodynamische RezeptionBaden-Baden 2014 S 58-60
52 Ebd S 58 Dabei spielt Schulz-Nieswandt die Begriffe Epistemologie gegen Ontologie ausund bezeichnet sich selbst als post-strukturalistisch im Sinne der Kritischen Theorie schrei-bend Jedoch erscheinen diese philosophischen Kontraste nur wie bdquoEdelsubstantiveldquo des vonAdorno gemuumlnzten bdquoJargon der Eigentlichkeitldquo Und in genau diesem Jargon laumlszligt der So-zialwissenschaftler Heideggers Urmythos des Goumlttlichen der griechischen Antike (so) inaktueller Praumlsenz wieder auferstehen Es ist erstaunlich dass jemand der die Kritische Theo-rie fuumlr sich reklamieren will Epigone des bdquoJargons der Eigentlichkeitldquo ist So zeigt es sichauch auf S 28 wenn er in Ottos Dionysos bdquodie ganze Tiefe des Menschen zum Ausdruck[bringt DS] die Todeserfahrung des sterblichen Menschen Dionysos ist Hadesldquo Um nocheinmal zu bestaumltigen wie sich Schulz-Nieswandt als Akteur des Jargons gebiert sei hier Ador-no zitiert (dies gilt allerdings nur der Gegenuumlberstellung zum Vorsatz jener wuumlrde sich ander Kritischen Theorie orientieren ohne fuumlr diese zu advozieren) bdquoDer Heideggerschen Phi-losophie schloszlig sich was einmal Pforte zum ewigen Leben war zu sie betet statt dessenWucht und Groumlszlige des Tores an [] Sein wuumlrdevolles Gehabe ist Reaktionsbildung auf dieSaumlkularisierung des Todes [] Darum wird Sinn in den Tod geworfenldquo (Adorno Jargonder Eigentlichkeit S 134)
53 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei WalterF Otto S 15
15
Beiden gemeinsam ist auch die Faszination an Houmllderlin die sie ebenso mit Otto
teilen
Die ganze Eigenart des Denkens von Otto kommt in dem komplett innerenVerhaumlltnis zu Heidegger und Houmllderlin zum Ausdruck54
Nur noch ein Gott kann uns rettenlsquo so das Zitat des Spiegelinterviews das Ja-
kob Augstein zum Titel machte ist die kodierte Mythopoetik auf die sich die
Spiegelleser keinen Reim machen konnten Fuumlr Heidegger fuumlr den das Sein in der
Sprache wohnen sollte55 ging es um den Mythos der Naumlhe zur Antike als Naumlhe
zu den Goumlttern
Fuumlr Houmllderlin war die Theologie der Abwesenheit Gottes als uumlberweltlichePraumlsenz der Verlust der Gotteserfahrung des diesseitig verankerten Men-schen [] Die Antike wird als eine von Goumltternaumlhe charakterisierte Zeitvon Houmllderlin verstanden und erneuert (der kommendelsquo Gott) ersehnt56
Dies ist eine der Leit-Mythen Heideggers insbesondere wenn man sich die Nach-
kriegsvortraumlge ansieht (eben die Bremer Vortraumlgelsquo)
Die Aufhebung der Trennungsangst durch die bdquoAbwesenheit der Goumltterldquo uumlber-
winde der in existenzieller Angst befindliche bdquohomo abyssusldquo mittels bdquoder lie-
bevollen Gestaltung als Sich-Einrichten des Menschen [] als apriorischer Mo-
dus des In-der-Welt-Seinsldquo durch die bdquoEwigkeit der Mythopoetikldquo57 Fuumlr Schulz-
Nieswandt ist Mythopoetik eben nur dieses ein peganistischer Goumltterdienst der
den Kanon der Ottoschen Antike mit Houmllderlin interpretiert Insofern versteht
dieser versuchte Religionsphilosoph der eigentlich Sozialforscher ist Heideggers
Mythologie als schoumlpfend aus geteilter Quelle mit Mythen als Gemeinplaumltzen
derer sich der Denker-Dichter philologisch sicher bediene
Dabei geht es Schulz-Nieswandt umHeideggers Aletheia-Prinzip das er bdquoWahr-
heitsbegriffldquo nennt ndash welches bdquoDie Differenz der Technik als Herrschaft uumlber
54 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei WalterF Otto S 20
55 Vgl GA 7 S56 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei Walter
F Otto S 2157 Vgl Ebd S 59
16
Dinge von der Kunst als Schoumlpfung als Lichtung des Seins zur Wahrheit unter-
scheidetldquo58 Houmllderlins Goumlttliches waumlre darin vermisst und von Bedarf fuumlr den
Menschen Mit der Nomenklatur der griechischen Goumltter Houmllderlins und Ottos
ginge es beim Wahrheitsprinzip um bdquodie Erinnerung an Dionysos als der wie-
der kommende Gott []ldquo sie bdquofuumlhrt zur Lichtung des Seins als Wahrheitldquo59 Der
Mensch waumlre also Hirte seines Seins nicht Herr der Technik zum Sein bdquoDas Sein
ist den Menschen nicht technisch verfuumlgbar Die notwendige Einkehr wird zu
Heimkehrldquo60
Insofern zeichnet Schulz-Nieswandt ganz in Heideggers Sinne nach wie Hei-
mat und Irrationalitaumlt des Mythos zusammenfallen im Kanon der Goumltter-Mytho-
poetik Zum einen ist allerdings Heideggers Mythologie nicht so sehr an diese
Mythopoetik uumlber die Goumltter gebunden sondern bewegt sich frei im eigenwil-
ligen Auslegen von altgriechischen und deutschen Begriffen Zum anderen ist es
erstaunlich dass Schulz-Nieswand 2014 die Bedeutung der Mythopoetik fuumlr Hei-
deggers Ursprungsmythos des neuen Anfangs ignoriert und damit auch die gan-
ze voumllkisch-nationale Aura und damit die Abgrenzungspolitik Vor allem aber
richtet sich Heidegger nicht in einer bdquoliebevollen Gestaltungldquo menschlich ein
wie Schulz-Nieswandt es schon pathetisch darstellt sondern befeinded sich mit
allem ihm Zuhandenen als bdquoRaprochementldquo61 in alle Richtungen und pocht auf
bdquogeschichtliche Besinnungldquo als bdquoAuftrag des Deutschenldquo62
221 Formen der Mythologie
Mit den zwei oben herangezogenen Arbeiten uumlber Mythologisieren und Mytho-
poetik Heideggers sollte in dieser Arbeit das Verstaumlndnis seines Projekts der an-
tirationalen und antitechnischen Ausrichtung in den aktuellen Forschungsstand
gestellt werden Um welche Mythologie es sich in den Schwarzen Heften handelt
wird im Folgenden aufgedeckt werden Bereits in dem ersten Heft der Denktage-
58 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei WalterF Otto S 58
59 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei WalterF Otto S 59
60 Ebd61 Wolin Richard Heideggers bdquoSchwarze Hefteldquo Nationalsozialismus Weltjudentum und Seins-
geschichte In Vierteljahrsheft fuumlr Zeitgeschichte Bd 63 Heft 3 S 379-41062 GA 94 S 66
17
buumlcher verschmilzt Heidegger seine Vision von Dichten und Denken stellt sich
unter dieses Ideal
Dichten undDenken ineinander geschlungen und so waumlre ihrWas im verbindend-trennenden Bestimmen gewonnen63
Als bdquoAusgriff in den Begriffldquo versteht Heidegger dies als bdquovorschreibend-bildenden
Entwurfldquo der hinfuumlhrend zum Ereignis des Aletheia-Prinzips waumlre ndash
(Dichtung als Mythos
Dichtung als Dichtung im engeren Sinne gtgtGedichtltlt
Dichtung als Philosophie)64
Grundsaumltzlich ist die lose wirkende Legion von Lemmata nicht mit einer
Ruumlckfuumlhrung seiner Gedanken auf bestimmte griechische Goumltter und antike (ech-
te) Mythen besetzt Heidegger fetischisiert Begriffe und mythologisiert die von
ihm aufgepfropfte Bedeutung durch ein staumlndiges Wiederholen und Weiterden-
ken als bdquoWissenldquo wie Meyer es herausgearbeitet hat In dieser philosophischen
Alchemie sieht sich Heidegger als Denker als Bewahrer einer uralten Lehre die
eben neu widererstarken muumlsse Das hat Meyer auch schon klar gemacht Die My-
thopoetik erscheint aber hauptsaumlchlich nicht in den Schwarzen Heften sondern in
den Vortragspublikationen sich auf seine private Mythologie beziehend die in
den Schwarzen Heften zu Grunde gelegt wird
Die Mythen Heideggers drehen sich wie Meyer zurecht behauptet um den
Ursprung bei den Griechen den bdquoGrund der Geschichte des Abendlandesldquo65
Aber auch um die vielen Binaritaumlten die sich entgegengesetzt werden und tat-
saumlchlich wie der Heidegger-Herausgeber und Initiator und Leiter des Wupper-
taler Heidegger Instituts Peter Trawny es benannt hat auf einen Manichaumlismus
zulaufen66 Die Abgrenzungspolitik im Sinne des schuumltzenswerten abendlaumlndisch-
heimatlichen Deutschlands richtet sich gegen den inneren Feind vorangetrieben
63 GA 94 S 6564 GA 94 S 6665 GA 96 S 20566 Trawny Peter Heidegger und der Mythos der juumldischen Weltverschwoumlrung Frankfurt am
Main 2015 S 22Das hier aufgefuumlhrte Buch birgt einige problematische Umformungen zum Verhaumlltnis von
Heideggers Antisemititsmus Allem voran versucht es eine Begriffsbildung zu formen nach
18
von der Rechenhaftigkeit des juumldischen Wesens und die aumluszligeren Feinde wie Ameri-
kanismus franzoumlsische Kultur russischer Bolschewismus usw Heideggers Urmythos
vom neuen Anfang ist verquickt mit einem selbstangedichteten Personenmythos
was ebenfalls Meyer schon erkannt hat Dieses Schema ist die Grundstruktur
Immer deutlicher wird in mir die Ahnung daszlig unsere Heimat der Kerndes suumldwestdeutschen Landes [er selbst DS] der geschichtliche Geburtsortdes abendlaumlndischenWesens sein wird [] es ist das Geistvolle und zugleichdas erdenhafte schoumlne Land Es birgt unsichtbaren Reichtum dem Gemuumltbewahret tiefstes Dichten und houmlchste Gestalt der Sage67
Die mitunter wichtigste Dichotomie die Heidegger in den Denktagebuumlchern
aufwirft ist die zwischen Historie und Geschichte Es ist insofern nicht nur der
Mythos des neuen Anfangs der Heideggers Denken uumlber fast zwei Dekaden be-
stimmt sondern umso mehr die doppelte Projektion ndash des Verfalls (Machenschaft)
in eine Konstruktion von Historie und des Bestehens (Sein) in die konstruierte
Geschichte68 Geschichte faumlllt dann schlieszliglich mit der Schaffung des neuen An-
fangs so zusammen wie Historie mit Technik verschraumlnkt wird Geschichtlichkeit
muss durch das Prinzip des Ereignisses der Aletheia prozessiert werden waumlhrend
die verrationalisierte wissenschaftliche technische Historisierung des Lebens und
der Lebenswelt dem widerstrebt
Die Bindung von Heideggers Vorstellung des richtigen Lebens im Sein mit
demAbendland und einer voumllkisch-nationalen Groumlszlige undUumlberlegenheit Deutsch-
lands ist dabei ausschlaggebend Denn mit der Charakterisierung des Guten auf
derer Heideggers Antisemitismus mittels Heideggers Denkmethode behandelt aufgehobenwerden koumlnnte Die Hauptbegriffe darin sind bdquoSeinsgeschichtlicher Antisemitismusldquo undbdquoKontamination des Denkensldquo Von einer tieferen Auseinandersetzung muss an dieser Stelleabgesehen werden
67 GA 97 S 5468 In Band 66 der GA gibt es bereits einen kleinen Abriss der Historie und Techniklsquo die der Ge-
schichte gegenuumlbergestellt werden Das dies eine Uumlbertragung der Gedanken aus den Schwar-zen Heften ist ist ohne Zweifel Ein ansatzweise philosophisches Vorgehen vermengt sichdort mit dem poeto-mythologischen Denken Heideggers In Sachen mythopoetischer Figu-ren undMetaphernreichtum haumllt sich dieser dort aber noch zuruumlck (auch wenn er hier bereitsoumlffentlich vom bdquohistorischen Tierldquo redet) Die Absicht Technik und Historie als Verstellungdes abendlaumlndischen Menschen zu brandmarken stehen dabei im Vordergrund Weiterhinsoll in dieser Arbeit allerdings der Fokus auf den Schwarzen Heften und der Mythopoetik inden Technikvortraumlgen der Nachkriegszeit liegenDer Duden sieht Geschichte und Historie als Synonyme Von einer Ethymologie und der
Spekulation von Heideggers Gruumlnden der Auseinanderhaltung der zwei Synonyme soll hierabgesehen werden
19
der Seite des Seins sind die Feinde dessen eine Notwendigkeit seines Erklaumlrungs-
schemas Dabei sind es vor allem die Juden denen die Wurzel des Antiseien-
den von Heidegger in ihr vermeintliches Wesen geschrieben wird Exemplarisch
spricht dafuumlr dieses Zitat aus Band 96
Die zweite Machtsteigerung des Judentums aber hat darin ihren Grund daszligdie Metaphysik des Abendlandes zumal in ihrer neuzeitlichen Entfaltungdie Ansatzstelle bot fuumlr das Sichbreitmachen einer sonst leeren Rationalitaumltund Rechenfaumlhigkeit die sich auf solchem Wege eine Unterkunft im Geistlsquovarschaffte ohne die verborgenen Entscheidungsbezirke von sich aus je zufassen zu koumlnnen69
Diese Vorstellung ist eine Konkretisierung dessen was Heidegger mit den Uumlber-
begriffen Historie vs Geschichte einige Jahre vorher begann zu topografieren
Wir sind durch die Historie geschwaumlcht [] ndash wir koumlnnen nur durch das ge-rettet werden was uns in seiner Verfaumllschung widert ndash durch die Geschich-te70
Dieses bdquoWirldquo sind die glorifizierten Deutschen vor allem nach der Ableitung von
den Griechen uumlber Houmllderlin (und dessen Griechen) und Nietzsche zu ihm und
seinem kleinen Kreis von ihm anerkannter Intellektuellen-Kollegen wie etwa
Carl Schmitt Oswald Spengler Walther F Otto und Ernst Juumlnger Die Luft auf
Heideggers Denker-Olymp ist duumlnn und bekommt nur Wenigen
Die Geschichte in Heideggers solipsistisch-immanenten Nachdenken erklaumlrt
sich wie gesagt immer zusammen mit der Hoffnung auf den neuen Anfang und
als Besinnung auf das Denken als Akt gegen die Historie Die Paarung der zwei
Woumlrter bdquoGeschichteldquo und bdquoBesinnungldquo durchzieht in deutlicher Haumlufigkeit alle
vier Baumlnde der Schwarzen Hefte ndash bdquogeschichtliche Besinnung [] ist die Uumlberwin-
dung der Historie und des Historismusldquo und sie bdquobedarf der houmlchsten Strenge
hinter der die historische Exaktheitlsquo weit zuruumlckbleibtldquo ndash somit ferner bdquonur wer
Geschichtemacht vermag sie auch zu errettenldquo71 Das oben mit Meyer und Schulz-
69 GA 96 S 4670 GA 94 S 26771 GA 94 S 358f
Dass die Besinnung eine militante Perspektive hat laumlszligt sich auch in Heideggers Vereh-rung Heraklits ldquoDer Krieg ist der Vater aller Dingerdquo finden Heidegger sah sich selbst alsDenker als Propheten des Seins Aus dieser Warte betrachetete er zuerst den Nationalsozia-
20
Nieswandt bereits aufgezeigte Bereiten des Goumlttlichen legt Heidegger in seinen
Begriff der Geschichte
Geschichte ndash das Gewagtwerden der Goumltter nur Groszlig als Untergang oderSieg ndash nicht Dauerlsquo wesentlich ndash sondern die Abgruumlndigkeit der Erstrei-tung ndash Opfer und Weile
Historie ist bei Heidegger bdquogeschichtliche Entwurzelungldquo die bdquoTyrannei der
Technikldquo bdquoSelbstvergoumltterungldquo und bdquoAbgoumltterei der Technikldquo72 In einer skizzen-
haften Emanationsfolge wird dieHistorie als Modus der Technik auf sich selbst zu-
ruumlckgefuumlhrt bdquoDas Riesige ndash [] Historie die Technik der Geschichtelsquo Technik
Die Historie der Naturldquolsquo73 Es ist vage annehmbar dass Heidegger hier die Tech-
nik als rechenhafte machenschaftliche Historisierung der Natur versteht die vor
dem Geschichtsbegriff stattgefunden haumltte Diese wiederum haumltte die Geschichte
in die rechenhafte Machenschaft verfremdet Wie ein Apparat erscheint Heidegger
der Gegenstand seiner Historie zu sein die sich automatisch durchsetzen wuumlrde
Die Historie stellt zunaumlchst das Nacheinander der Begebenheiten dessenwas vorbeizieht (passiertlsquo) her [] Sie erklaumlrt dann Spaumlteres aus dem Fruuml-heren sie findet sogar dass Ideen die Geschichtelsquo bestimmen74
Den historisierend narrativen Umgang mit Geschichte als Wissenschaft emp-
findet Heidegger als Technisierung derGeschichte Diese wiederum basiert auf den
statischen Topoi seiner Mythen von Vaterland Bauerntum Houmllderlin alten Grie-
chen den Goumlttern etc und der Anwendung des Aletheia-Prinzips im Ereignis
Das ist ein Tugendenkatalog der Deutschtuumlmelei mit einer paumldagogischen Kom-
ponente seine Mythologie im Aletheia-Prinzip zu praktizieren Er nennt dieses
Geschaumlft auch Denken und ahnt dessen Feinde bdquodie Forscher die in der Technik
ihres Arbeitens keine Reibung dulden und ihr Wissen fuumlr den Geist haltenldquo75
lismus und nach dem Krieg den real existierenden Sozialismus des Ostblocks im Zuge deratomaren Aufruumlstung als Vollstrecker Macher der Geschichte die den neuen Anfang ebnensollten Dass Heidegger diese bdquoklaumlrendeldquo Wirkung tatsaumlchlich spaumlter den Russen zuschreibtlaumlszligt sich in Band 97 der GA zweifelsohne nachvollziehen Hier kann aus Gattungsgruumlnden(BA-Thesis) nicht naumlher auf dieses Faible fuumlr absolutistische Regime eingegangen werden Je-denfalls ist die geschichtliche Besinnung und der Kriegsakt ein Widerspruch den Heideggerjedoch gleichsam adressiert Auch dies kann hier nicht weiter untersucht werden
72 GA 9473 GA 95 S 35174 GA 96 S 6275 GA 97 S 509
21
Insofern verschraumlnkt Heidegger das bdquohistorisch-technischeldquo zum Antagonis-
ten der bdquogeschichtlichen Besinnungldquo Es ist die Entwicklung einer historisch-
geschichtlichen Differenz unter dem Zeichen der Besinnung gegen die techni-
sche Machenschaft ndash es geht um zwei unterschiedliche Wissenssysteme76 In den
Schwarzen Heftenwird Technikmeistens als eine Seite der Muumlnze mit der anderen
der Historie genannt Sie haumltten eine schon angedeutete dualistische Dynamik
Wo beide Historie und Technik in solcher scheinbaren Gegensaumltzlichkeitverkoppelt sind koumlnnen sie sich zur Foumlrderung dessen zusammenschlieszligenwas einstmals wesentliche die Geschichte des Menschen mitbegruumlndet undwas wir die Kunstlsquo nennen Die Historie verschafft [] Anregungen undVorbilder der Nachahmung die Technik erleichtert [] die Zustellung vonDarstellungsmitteln und Wirkungsformen [] Gleichwohl ist alles wurzel-los [] berechnet und als Erlebnislsquo ausgegeben77
Diese vermeintliche Gefahr muumlnde als bdquoZuumlgellosigkeit des Historismusldquolsquo in der
bdquoBodenlosigkeit [] (das Judentum)ldquo78 Heideggers Mythos ist hier dieser bdquoWir
muumlssen zuvor geschichtlich sein [] Ohne diese uumlberlieferung verfaumlllt alles der
historisch-technischen Machenschaftldquo79
Heidegger mythologisiert uumlber den bdquoAuftrag des Deutschenldquo80 will in bdquoge-
schichtlicher Besinnung sehr weit zuruumlckgehen ndash auf den Zusammenhang von
τέχνη ἀλήθεια und οὐσίαldquo81 um Technik auf ihr Wesen im antiken Ursprung
zuruumlckzufuumlhren bdquoDie techne hat [] den Sieg uumlber die [] aletheia errungenldquo82
Heidegger will sie zuruumlckgewinnen Er will der Technik aus dem bdquoEreignisldquo83
wieder uumlbermaumlchtig werden und sieht das bdquoWesen des Vaterlandesldquo84 im Abend-
land Dabei ist es ihm unentbehrlich zu wissen bdquodaszlig das Griechentum [] und
76 Heideggers noch immer vorhande Rezeption in Puncto seiner Technikphilosophie erstauntdamit dass sein Prinzip der aletheiologischen Besinnung als alternatives Wissenssystem undTechnikkritik ob der eigenwilligen Konstruktion den Entwicklungen der Zeit standhaumllt
77 GA 95 S 21278 GA 95 S 9779 GA 96 S 10480 GA 94 S 6681 GA 94 S 35782 GA 95 S 13283 Ebd84 GA 96 S 52
22
nicht das Roumlmertum der Grund der Geschichte des Abendlandes istldquo85 Sein My-
thos von Heimat verknuumlpft sich uumlber Dichtung und Ereignis zu einem fuumlr die
Technikphilosophie essentiellen Bezugs-Topos
Wir brauchen keine Technik [] Das Wesen des Vaterlandes ist das Abend-land In ihm werden die Deutschen erst deutsch und erkennen die Muttervon Allem die unversehrte Erde [] Die Wahrheit erfahren wir im Ge-daumlchtnis Das Gedaumlchtnis ist die Dichtung Die Dichtung sagen der Denkerund Saumlnger in ihrem Gespraumlch Dieses Gespraumlch erst ereignet dichterisch dieDichtung in die Sprache (die Dichtung das Ereignis und das Ereignis dasAbendland) [] Wohnt in seiner Sprache [] seyd dem Seyn im Seyn Soist Sein das Seyn86
Eine weitere mythologische Form haben seine Fuumlgungen von Jahreszahlen
womit er bereits in den Bereich des Okkulten Mystischen abzurutschen droht
Houmllderlin wurde [] 1770 geboren [] 1870 aber Lenin Waumlhrend der []Lebenszeit Houmllderlins vollzogen sich die entscheidenden technischen Entde-ckungen und Erfindungen der neuzeitlichen Technik (1774ndash1806)87
Und ferner bdquo1807 Phaumlnomenologie des Geistes 1867 Das Kapital 1927 Sein
und Zeitldquo88
Als letzter Mythos sei hier sein Aufgriff der Spenglerschen Metapher des
Raubtiers89 aufgezeigt Uumlber weite Strecken philosophiert Heidegger uumlber das his-
torische Tier Das historische Tier muumlsse vernichtet werden die bdquodeutsche Zukunft
wirdlsquo nicht erst seinlsquo sie istlsquo schon seit Houmllderlin sie stifteteldquo90 Der Homo
faber ist fuumlr Heidegger das historisch-technische Tier qua der bdquoAngewiesenheit auf
das Tierhafte als Wesensgrundldquo91 Es fehle ihm was bdquodie Griechen als Anfangen-
deldquo mit der bdquoZugewiesenheit des Menschen zum Sein gewagt habenldquo92 wodurch
85 GA 96 S 20586 GA 97 S 52f Hierbei handelt es sich um eine Nachkriegsnotiz Heidegger aumlnderte den die
Adressierung in eine direkte Ansprache richtet sich an seine imaginierte Volksgemeinschaft87 GA 96 S 17488 GA 97 S 131 Womoumlglich ist es eine Uumlbung per Jahreszahlen das Aletheia-Prinzip zu prakti-
zieren eine Kontemplationshilfe Andererseits koumlnnte er auch der Regelmaumlszligigkeit der Zah-lenfolgen eine uumlbernatuumlrliche bdquoWahrheitldquo beimessen Dies bleibt an dieser Stelle unerforscht
89 VGl Spengler Oswald Der Mensch und die Technik Muumlnchen 1931 S 1090 GA 95 S 19791 GA 95 S 32092 GA 95 S 321
23
er den bdquoGoumlttern unertraumlglich gewordenldquo93 waumlre Das bdquoRaubtierldquo dem gegenuumlber
bdquoist die Urform des Heldenlsquoldquo94 Dann behauptet Heidegger dass das Raubtier das
historisch-technische Tier durch Anwendung seiner eigenen Waffen schlagen koumlnn-
te Es ist dabei die bdquoUumlberwindung der Metaphysikldquo mitgedacht die erfolge sobald
sich das metaphysische Fragen durch den Wille zum Willen verfestigt95 Auch
Spengler dachte an dieses Derivat des Nietzsche Topos vomWillen zur Macht das
er seiner antropomorphen Chimaumlre vom Raubtiermenschen eingibt Wieder ist
von der Gewalt die Rede die ein Tabula rasa schaffen sollte zur Wiederauferste-
hung des griechisch-abendlaumlndischen Anfangs in Deutschland bdquoDas Raubtier aber
mit denMitteln der houmlchsten Technik ausgestattet ndash vollendet die Verwirklichung
der brutalitas des Seinsldquo96
Es scheint so als haumltte Heidegger auf jeden Begriff einen Gegenbegriff (selbst
zum historisch-technischen Tier das Raubtier)97 Aber es geht hier nicht um die
Analyse ausgewogener Formprinzipien oder die Kritisierung seiner linguistischen
philologischen Faumlhigkeiten Die Zitierung der Heideggerschen Mythologie soll
seine Verbindung von voumllkisch-nationaler und antisemitischer Haltung mit den
Bedingungen und Anspruumlchen seines Philosophierens aufzeigen Da die Schwar-
zen Hefte wie alle sonstigen Werke seines philosophischen Schaffens in der GA
erschienen sind muumlssen sie insofern als Teil derer gelten Das bedeutet dass sie
ausreichend Relevanz fuumlr die Arbeiten uumlber die Technik haben98
93 GA 95 S 23694 GA 95 S 39795 Vgl GA 7 Uumlberwindung der Metaphysik S 7896 GA 95 S 39797 Vgl Rudolph Heideggers Schwarze Hefte im Echo S 151 bdquoKeiner hat Nietzsche so konse-
quent und wahnwitzig zumNazi avant la lettre verformt wie Heidegger und keiner hat einenzuvor gewaltsam gefuumlgig gemachten Nietzsche so konsequent instrumentalisiert um damitdie vulgaumlr- nationalistische Dekadenz im Sandwich zu geiszligeln wie Heidegger Die Philolo-gie ndash auch die klassische ndash (Colli Cancik Montinari) hat Nietzsche inzwischen laumlngst mitnachhaltigem Erfolg rehabilitiert Wer jetzt noch einen roten Faden von Nietzsche zu Hitlerzieht hat nur noch Heidegger auf seiner Seiteldquo
98 Zum Abschluss dieses Kapitels sei hinzugesagt dass der Veranschlagung der Beispiele vonHeideggers Mythologie ein Exzerpt von 13 Seiten aus 1700 Seiten Text der vier Baumlnde derSchwarzen Hefte zugrunde liegt Beim Studium dieser fielen die staumlndigen Repetitionen derimmer gleichen Figuren und Metaphern auf Daraus wurde geschlossen dass es sich um eineMythologie handeln kann was ein weiteres Forschen bestaumltigte Die hier zitierten Stellensind Topoi die sich in Huumllle und Fuumllle in jedem der vier Baumlnde finden lassen was ihrenmythischen Charakter unterstreicht Die Auswahl versucht ein besonders charakteristischesBild wiederzugeben
24
3 Heideggers mythopoetische
Technik
War Heidegger von seinem neuen Anfang nur zu traumlumen vergoumlnnt so gelang
ihm selbst aber die Wiederauferstehung aus der Asche des ZweitenWeltkriegs mit
der Vortragsreihe in Bremen (1949) uumlber die Technik Der Phoumlnix erweist sich
mittlerweile als Ikarus Anstatt sich selbst zu revidieren fordert Heidegger eine
Kehre ein die auf sein Programm der geschichtlichen Besinnung zum Ursprung ab-
zielt Rezipienten seiner Technikphilosophie taten zumeist seine voumllkischen und
nationalsozialistischen Verstrickungen mit der Niederlegung des Rektorats ab99
Sie glaubten an einen inneren Wandel Heideggers eine Laumluterung und sogar an
seinen geistigen Widerstand uumlber die Naziherrschaft hinweg100 Heute ist erwie-
sen wie Heidegger es aus seinem posthumen Gestaumlndnis in die Welt lecken laumlsst
dass er auf seine private Weise eine Form Nationalsozialismus hegte der die NS-
DAP und Hitler zwar als Vulgaumlrnazis kulturell degradierte aber sich selbst als
Denker-Nazi gerierte
Wie damit umzugehen ist steht aktuell in der Verhandlung Wie Rudolph es
behauptet stuumlnden die Heideggerianer bdquonun mit wertlosen Aktienldquo101 da Der
Kommunikationswissenschaftler Christian Fuchs sieht den Antisemitismus den
die Schwarzen Hefte zutage treten lassen als Notwendigkeit einer rigorosen Ver-
bannung Heideggers aus der technikphilosophischen Theorie102
99 Vgl Luckner Andreas Heidegger und das Denken der Technik Bielefeld 2008 S 64-69100 Vgl Babich Babette Nietzsche Heideggers Widerstand In Alfred Denker u Holger Zabo-
rowski (Hg) Heidegger-Jahrbuch 5 Heidegger und der Nationalsozialismus II Interpreta-tionen S 397-416
101 Rudolph Heideggers Schwarze Hefte im Echo S 146102 Vgl Fuchs Christian Martin-Heideggerrsquos anti-Semitism Philosophy of technology and the
media in the light of the ldquoBlack Notebooksldquo Implications for the reception of Heidegger inmedia and communication studies In tripleC Communication Capitalism amp Critique 13(1) (2015) S 55-78 hier S 74 Anstatt dessen pocht Fuchs auf die alternative Verwendungder Kritischen Theorie uumlber Fragestellungen zur Technik
25
It seems to me that Heideggerrsquos fetishism is often lrsquoart pour lrsquoart Heideg-ger pour Heidegger a tactic that aims at creating an aura of complexity byevoking Heidegger although the same content could be expressed withouthim103
Fuumlr Trawny waumlre dies ein bdquoperformativer Widerspruch [] stets daran zu erin-
nern Heidegger vergessen zu sollenldquo104 Quo vadis Heidegger
Die objektive Antwort Rudolphs der an den Commonsense und die Beweis-
last der Anklage glaubt wie auch der subjektive Appell Fuchs der es zur mora-
lischen Entscheidung des Einzelnen macht Heidegger zu vernachlaumlssigen setzen
aktuell die Jahrzehnte alte Tradition der Heidegger-Kontroverse fort Ein im Sep-
tember 2016 erscheinender Sammelband wird zusaumltzlich die Debatte mit neuen
Bewertungen anreichern105
In diesem Kapitel soll es nicht um die direkte Einreihung in eine der bestehen-
den Polemiken gehen sondern um den Versuch der Betrachtung der spaumlten Tech-
nikphilosophie Heideggers als mythopoetische Dichtung in seinem Sinne des
Philosophierens Als exemplarisches Werk ruumlckt damit das Vortrags-Geviert der
Bremer Vortraumlge ins Zentrum der Anschauung106 Hier wird davon ausgegangen
103 Ebd S 73104 Trawny Heidegger und der Mythos der juumldischen Weltverschwoumlrung S 141105 Heinz Marion und Kellerer Sidonie (Hg) Martin Heideggers raquoSchwarze Heftelaquo Eine
philosophisch-politische Debatte Berlin 2016 (im Druck) Aus dem Klappentext diesesTitelsbdquoOffene antisemitische Aumluszligerungen in diesen Denktagebuumlchern haben in der nichtakade-
mischen Oumlffentlichkeit fuumlr Empoumlrung gesorgt Die entscheidende Frage ist jedoch welcheVeraumlnderungen der Perspektive auf Heideggers Denken insgesamt sich dadurch ergebenund ob damit zugleich eine Neubewertung des Gesamtwerks eines der einflussreichstenPhilosophen des 20 Jahrhunderts noumltig istldquoEine der Herausgeberinnen des Bandes Sidonie Kellerer ist zudem an einem anlaufenden
fuumlnf jaumlhrigen Forschungsprojekt an der Universitaumlt Stuttgart im Rahmen des StuttgartResearch Centre for Text Studies beteiligt Heidegger und die Postmoderne Geschichteeiner Irrefuumlhrungiquest Sie und der Stuttgarter Literaturwissenschaftler Claus Zittel werden Hei-deggers ideologische Verstrickungen in den Nationalsozialismus untersuchen die textlichrekonstruierbar aber nachtraumlglich geklittet worden waumlren bdquoSo konnte die Wissenschaft-lerin Dr Sidonie Kellerer anhand des Vortrages Die Zeit des Weltbildeslsquo erstmals 1950veroumlffentlicht [sic] dass zahlreiche Passagen nachtraumlglich so modifiziert wurden dass dieurspruumlngliche Apologie des Nationalsozialismus nunmehr als Kritik am Regime gedeutetwerden konnte Die 2014 erschienenen Schwarzen Heftersquo mit persoumlnlichen AufzeichnungenHeideggers bestaumltigen zudem wie tief verankert in seiner Philosophie Rassismus undNationalsozialismus waren und bliebenldquo(httpwwwuni-stuttgartdehkompresseservicepressemitteilungen201567_kellererhtmlzuletzt abgerufen am 1442016)
106 Von einer umfassenderen Analyse der Schriften Heideggers zur Technik muss aus Platzgruumln-den abgesehen werden Die Voumlrtraumlge vom Ge-stell der Technik der Kehre und dem Dingsind vor allem wegen ihres Publikationszeitraums interessant da sie direkt an die Dokumen-
26
dass Heidegger den Versuch der abgrenzungspolitischen Einflussnahmemacht ge-
maumlszlig der oben dargelegten Ressentiments die sich in einer Mythologisierung des
Abendlandes niederschlagen Um seinem Ideal des dichtenden Denkens als Philo-
sophieren nachzukommen will Heidegger diese Einschreibung des Abendlandes
mythopoetisch vollfuumlhren
Grundsaumltzlich ist Verbindung und Trennung Heideggers boumlser Schwarzer Hef-
te mit und von seiner guten Technikphilosophie das Schlachtfeld aktueller De-
batten Wie bereits darauf hingewiesen werden hier Schwarze Hefte und Veroumlf-
fentlichungen wie eben in Form der Bremer Vortraumlge als ein kontinuierlicher
Arbeitsprozess gesehen Es gibt insofern nur einen Heidegger und keine gespal-
tene Persoumlnlichkeit Die Siegener Philosophin Sodonie Kellerer stellt dies anhand
Heideggers Selbstsicht luzide dar
Seine immer wiederkehrende Beschwoumlrung des Werkeslsquo und seine an diver-sen Stellen der bislang vorliegenden Briefkorrespondenz artikulierten Be-muumlhungen dieses Werklsquo fuumlr die Nachwelt zu sichern [Kellerer bezieht sichhier ua auf Heideggers Briefwechsel mit seiner Frau der 2007 veroumlffentlichtwurde DS] verdeutlichen wie sehr er seine Texte als ein Ganzes verstandin dem keines der Teile entbehrliche Wiederholung geschweige denn irrele-vante Eroumlrterung ist107
Dabei allerdings wird die Frage offen bleiben mit welchem Maszlig er sich selbst ge-
faumlhrdet sah seine Ansichten oumlffentlich zu vertreten und welche Konsequenzen er
dabei fuumlrchtete Denn er musste die Vortraumlge kodieren ndash was er im Sinne der My-
thopoetik auch macht ndash und mit Einigem hinterm Berg halten108 Dass es dabei
verschiedene Offenbarungsebenen gibt wird hier erst einmal hingenommen Es
interessieren staumlrker nachweisbare Bezuumlge des Entwurfsdenkens Heideggers zur
Oumlffentlichkeitsarbeit von ihm109
te der Schwarzen Hefte anschlieszligen (1948 der letzte Band der Schwarzen Hefte umfasst denZeitraum 1942-1948)
107 Kellerer Sidonie Kampf der Besinnung In Deutsche Zeitschrift fuumlr Philosophie Band 63Heft 5 Seiten 941ndash957 hier S 942
108 Weshalb die Veroumlffentlichung der Schwarzen Hefte auch weitestmoumlglich nach hinten verlegtwurde
109 Wuumlrde man dem entgegenhalten dass Heideggers vermeintliches Genie aus Formalisierun-gen seiner Gedanken ableitbar eine wichtige Quelle an sich bliebe scheitert dieses damitdass nun die Formalisierungen nicht personenneutral sozial-epistemologisch bestehen koumln-nen Als Vergleich wuumlrde man aus Hitlers und Goumlbbels Reden Formalisierungen isolierenlieszlige sich bestimmt die eine oder andere plausible Idee entwenden (wenn sie voumlllig dekon-
27
Hierzu wird der Text der gesamten vier Vortraumlge unter dem Titel Einblick
in das was ist Bremer Vortraumlge 1949lsquo110 aus dem 1994 veroumlffentlichten 79 Band
der GA zugrunde gelegt Das hat den Grund dass davon ausgegangen wird dass
der Text somit am naumlchsten an den 1949 tatsaumlchlich vorgetragenen Manuskripten
liegt Insofern ist eine realistische Annaumlherung an eine mythopoetische Uumlbertra-
gung der Schwarzen Hefte in die Bremer Vortraumlge 1949 das Ziel Demgegenuumlber
gibt es ob der virulenten Publikationspraxis von Heideggers Schriften111 noch
andere Auskopplungen der vier Vortraumlgsteile mit den Titeln Das Dinglsquo Das Ge-
Stelllsquo Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo
31 Zur Publikationsgeschichte von den
Bremer Vortraumlgen 1949
Zuerst erschien 1954 im Neske-Verlag (Pfullingen) ein Sammelband der lediglich
den ersten Vortrag Das Dinglsquo enthaumllt allerdings in leicht erweiterter Fassung
so wie er ein halbes Jahr nach dem Bremer Auftritt in Muumlnchen (1950) an der
Akademie der Schoumlnen Kuumlnste gehalten wurde112 Dem Band hinzugefuumlgt ist aber
zudem ein Vortrag der vornehmlich die Kernaussagen von Das Ge-Stelllsquo und
Die Gefahrlsquo verbindet allerdings in modifizierter Form Dieser wurde unter dem
textualisiert wuumlrde) Ist aber die wahre Verbindung zu Hitler und Goumlbbels hergestellt hatman selbstverstaumldlich die Verantwortung zu tragen an dem ganzen Tross von unmoumlglichenVerfehlungen dieser Menschen die sie fuumlr uns zu Personae non gratae stempeln muumlssen
110 GA 79111 Hierauf macht auch der Darmstaumldter Philosoph Gernot Boumlhme aufmerksam als Akt ei-
ner bdquoposthumen Selbstinszenierungldquo in Boumlhme Gernot Selbstinszenierung uumlber Ruhmin der Philosophie In Information Philosophie (Online Ausgabe 12015) URL=lthttpwwwinformation-philosophiedea=1ampt=8232ampn=2ampy=5ampc=29gt zuletzt ab-gerufen am 2442016)
112 Heidegger Martin Das Ding In Ders Vortraumlge und Aufsaumltze Pfullingen 1954 S 163ff
28
Titel Die Frage nach der Techniklsquo113 am 18 November 1953 an der TUMuumlnchen
gehalten
Eine weitere Auskopplung diesmal des letzten Vortragsteils Die Kehrelsquo fin-
det sich in einem broschuumlrenformatigen Band wiederum im Zusammenspiel mit
dem Vortrag Die Frage nach der Techniklsquo in Die Technik und die Kehrelsquo114 von
1962 wieder Somit wurden die Vortraumlge Das Ge-Stelllsquo und Die Gefahrlsquo lange
Zeit nicht veroumlffentlicht sondern als vermischter und modifizierter Text eben
Die Frage nach der Techniklsquo jeweils zusammen mit Das Dinglsquo (1954) und Die
Kehrelsquo (1962) angeboten115 In der Vorbemerkung zu Die Technik und die Keh-
relsquo wird diese kleine Chronologie leicht verfaumllscht auch aufgezeigt Darin heiszligt
es ferner dass Die Frage nach der Techniklsquo eine erweiterte Fassung von Das Ge-
Stelllsquo waumlre Dem ist wie schon gesagt nicht so Sondern es ist eine modifizierte
Vermischung von Das Ge-Stelllsquo und Die Gefahrlsquo was unschwer zB am Begriff
vom bdquoHer-vor-bringenldquo116 zu erkennen ist der in Die Gefahrlsquo eingefuumlhrt wird
und in Die Frage nach der Techniklsquo die gleiche Bedeutungskonstituente bildet
Mit der Veroumlffentlichung des 79 Bandes der GA 1994 wurden alle vier Bremer
Vortraumlge von 1949 publiziert In Band 11 der GA erschien 2006 auszligerdem Die
Kehrelsquo in ihrer urspruumlnglichen Fassung Die Frage nach der Techniklsquo enthaumllt
weniger mythopoetische Teile als Das Dinglsquo und operiert demgegenuumlber staumlrker
anhand klassisch philosophischer Allgemeinplaumltze Derer sind vor allem zu nen-
113 Heidegger Martin Die Frage nach der Technik In Ders Vortraumlge und Aufsaumltze Pfullingen1954 S 9ff (Der Aufsatz erschien ebenfalls 1954 im Sammelband der Vortragsreihe DieKuumlnste im technischen Zeitalter Heidegger Martin Die Frage nach der Technik In DieKuumlnste im technischen Zeitalter Dritte Folge des Jahrbuchs Gestalt und Gedanke Hg v dBayrischen Akademie der Schoumlnen Kuumlnste Muumlnchen 1954 S 70ff)
114 Heidegger Martin Die Technik und die Kehre Pfullingen 1962115 Beide Baumlnde Votraumlge und Aufsaumltzersquo sowie Die Technik und die Kehrersquo haben hohe Aufla-
genzahlen (Uumlbersetzungen wurden hier nicht recherchiert wobei es aber eine internationa-le Heidegger-Rezeption gibt) 1993 wurde der Pfullinger Neske-Verlag von dem StuttgarterHaus Klett-Cotta uumlbernommen was die Buumlcher aber unveraumlndert belaumlsst Vortraumlge und Auf-saumltzelsquo zaumlhlt seit 2009 die 11 Auflage Die Technik und die Kehrelsquo seit 2014 die 13 BeideBaumlnde sind vergriffen Es mutet unverstaumlndig an weshalb eine fehlerhafte Jahresangabe ausder ersten Veroumlffentlichung von Die Technik und die Kehrelsquo bis 2014 kolportiert wurdeDort steht der Vortrag Die Frage nach der Techniklsquo waumlre am 18 November 1955 gehaltenworden Der Vortragstermin war aber am 18 November 1953
116 Vgl GA 79 S 64 Und Heidegger Die Technik und die Kehre S 11
29
nen die Auflistung der bdquovier Ursachenldquo117 nach Aristoteles und die Kritik an der
Technik als bdquoein Mittel zu Zweckenldquo118 (Kausalitaumlt)119
Der Vortrag Das Dinglsquo galt Heidegger bei der Darbietung seiner Technikphi-
losophie nach dem Zweiten Weltkrieg allerdings als unentbehrlich ndash und damit
seine groszligflaumlchige Aufblaumltterung der Mythopoetik wie im folgenden Kapitel hier
gezeigt wird Denn im Vortrag Die Frage nach der Techniklsquo benutzt Heideg-
ger noch immer seinen mythopoetischen Topos vom Versammeln des Gebirges
der mit dem Versammeln eine Konstituente des Gevierts ist (bdquoErde und Himmel
die Goumlttlichen und die Sterblichenldquo120) (su)121 Fuumlr die Kaumlufer und Leser von
der spaumlteren Veroumlffentlichung Die Technik und die Kehrelsquo wird zudem in Die
Kehrelsquo extra auf den Vortrag Das Dinglsquo in der 1954er Ausgabe in Vortraumlge und
Aufsaumltzelsquo verwiesen122 Das zeigt wie wichtig und unerlaumlsslich Heidegger seine
mythopoetische Denkweise der Technik ist Auch wenn er in Die Frage nach der
Techniklsquo einen allgemeineren und offeneren Ansatz entwickelt hat der dadurch
auch leichter zu erschlieszligen ist
32 Die mythopoetische Spiegelung der Schwarzen
Hefte in den Bremer Vortraumlgen von 1949
321 Das Dinglsquo
In dem Vortrag Das Dinglsquo der 1949 vor dem privaten Club zu Bremen dort im
Neuen Rathaus das Vortragsquartett einleitete fuumlgt Heidegger mythopoetisch
zusammen was folgenden Topoi seiner Schwarzen Hefte aus Kap 221 entspricht
117 Heidegger Die Technik und die Kehre S 6118 Ebd S 6119 Diese Topoi versucht Heidegger in dem Text zu zersetzen und ihnen ein aletheisches Prin-
zip des Entbergens der Technik entgegenzusetzen Dies erfolgt wiederum auch anhand derVerwendung von mythopoetischen Teilen Darauf kann hier aber nicht weiter eingegangenwerdenAls weitere Gemeinsplaumltze (die er teils unterstuumltzend teils zur Zersetzung einfuumlgt) handelt
der Text auch mit Zitaten von Platon Heisenberg J P Hebel und Goethe120 Ebd S 12121 Vgl GA 79 S 11 Und Heidegger Die Technik und die Kehre S 19122 Vgl Heidegger Die Technik und die Kehre S 42f
30
1 die antirationale Wissenschaftsfeindlichkeit 2 der Mythos des Goumlttlichen 3
das Griechentum uumlber dem Roumlmertum 4 die Zahlenmystik (anhand des Spiegel-
Spiels des Gevierts ndash su) 5 das geschichtsbesinnliche Prinzip der Aletheia
Heidegger stellt zuerst die Frage nach dem Ding und will sie daraufhin ver-
anschaulichen mittels der Metapher des Kruges dh mit dem Krug als ein exem-
plarisches Ding Er fuumlhrt dann vor (was der Geste eines Zauberkuumlnstlers aumlhnelt)
wie der leere Krug gefuumlllt wird ndash Luft weicht der Fluumlssigkeit Dieses Sachverhaumllt-
nis aber ist fuumlr ihn Halbpoesie und eine Angabe aus der Physik sie verfehle das
vermeintliche Wesen des Kruges
Die Wissenschaft stellt durch sie [die Angabe der Physik DS] etwas Wirk-liches vor wonach sie sich objektiv richtet Aber ndash ist dieses Wirkliche derKrug Nein DieWissenschaft trifft immer nur auf das was ihre Art des Vor-stellens im vorhinein als den fuumlr sie moumlglichen Gegenstand zugelassen hat[] Die Wissenschaft macht das Krug-Ding zu etwas Nichtigem insofernsie Dinge nicht als das Maszliggebende zulaumlszligt123
Als ein wirkmaumlchtiges Beispiel das ihm sicherlich viel Beachtung uumlber die
Jahrzehnte seit ihrer Zuumlndung in Japan hinweg einbrachte fuumlhrt Heidegger die
Atombombe an Diese sei zu verstehen als verdinglichte Wissenschaft die das
Ding vernichten wuumlrde
Deren Explosion ist nur die groumlbste aller groben Bestaumltigungen der langherschon geschehenen Vernichtung des Dinges dessen daszlig das Ding als Dingnichtig bleibt124
Er buumlndelt damit Wissenschaft und Verkennung des Wesens als maszliggebend mit
dem Ding als sein machenschaftliches Prinzip der zerrechnenden Zerstoumlrung Drei
Jahre nach Kriegsende war der buumlrgerlich-elitaumlre Kreis in Bremen sicherlich be-
wegt von dieser Wortgewalt Diese jedoch suchte ja ihr Heim Harmonie Ruhe
in dem Haus als Wesen der Sprache
Und so faumlhrt Heidegger fort und ersetzt das physikalische Prinzip des Inhalts-
wechsels von Luft zu Wein in ein bdquoGeschenk des Gussesldquo als Spende und Opfer
den Goumlttern (2)125
123 GA 79 S 8124 Ebd S 9125 Vgl Ebd S 11f
31
Der Guszlig ist der den unsterblichen Goumlttern gespendete Trank [] Der ge-weihte Trank ist das was das Wort Guszliglsquo eigentlich nennt Spende und Op-fer Guszliglsquo gieszligenlsquo lautet griechisch χέειν indogermanisch ghu Das bedeu-tet opfern
Hier spielt bereits der Ursprungsmythos der Griechenmit ein (3) es ist aber auch
ein Bezug auf das Geviert Dieses waumlre ein System ein zusammen Gestelltes aus
bdquoErde und Himmel die Goumlttlichen und die Sterblichenldquo126 Im Guszlig des Trunkes
weilten gemeinsam diese Vier als emblematische Verbindung
Das im Geschenk Versammelte sammelt sich selbst darin das Geviert ereig-net zu verweilen Dieses vielfaumlltig einfache Versammeln ist das Wesen desKruges Unsere Sprache nennt was Versammlung ist in einem alten WortDies lautet thing127
Das Geviert zehrt von der Zahlenmystik zum einen als die Versammlung der
vier Begriffe an sich zum anderen da Heidegger ihnen eine Spiegel-Funktion
zuschreibt bdquoJedes der Vier spiegelt in seiner Weise das Wesen der uumlbrigen wie-
derldquo128 und ferner weil er damit auf sich selbst dh auf sein Vortrags-Geviert
verweist (4) Wie in Kap 21 schon gesagt lebt der Mythos von seiner Verbind-
lichkeit Diese legt Heidegger allen nah die sie verinnerlichen wollen bdquoSagen wir
die Sterblichen dann denken wir falls wir denken die anderen Drei mit aus der
Einfalt der Vierldquo129
Sollte der Vollzug der Praxis des sukzessiven Mitdenkens aller vier Geviert-
Entitaumlten gelingen koumlnnte das Ereignis der Aletheia begriffen werden (5) bdquoDas
Spiegel-Spiel von Welt ist der Reigen des Ereignensldquo130 Diese wird aber auch be-
griffen in Abgrenzung von dem Roumlmertum (3) denn in der bdquorealitas der resldquo
haumltten die Roumlmer bdquoihr Erfahrenes niemals eigens in seinem Wesen gedachtldquo131
Das waumlre den Griechen vorzubehalten und vom verstaumlndig denkenden Deutschen
wiederzubeleben
126 Ebd S 12127 Ebd S 13128 Ebd S 18129 Ebd130 Ebd S 19131 Ebd S 15
32
Der Krug ist ein Ding weder im Sinne der roumlmisch gemeinten res noch imSinne des mittelalterlich vorgestellten ens noch gar im Sinne des neuzeitlichvorgestellten Gegenstandes [] Der Krug ist Ding insofern er dingt132
Die Bindung an das deutsche Wort bdquoDingldquo das er spielerisch auch ins Englische
Romanische und Franzoumlsische uumlbersetzt ist unerlaumlsslich fuumlr seine ethymologi-
sche Argumentation In der ist der bdquoGuszligldquo ruumlckgefuumlhrt auf indogermanisch bdquoghuldquo
und das bdquoDingldquo auf das mittelhochdeutsche bdquothingldquo So konnten antik die Roumlmer
von den Griechen abgrenzt werden und modern die anderen drei Sprachen vom
Deutschen Das englische sich sehr nah am bdquothingldquo befindliche bdquothingldquo wird mit
dem Roumlmischen ausgespielt
Im Englischen hat thing noch die erfuumlllte Nennkraft des roumlmischen Wor-tes res bewahrt [] dh ein aus sich kommendes den Menschen Angehen-des133
Fuumlr Heidegger geht es beim bdquothingldquo aber um die mittelhochdeutsche Uumlbersetzung
der Versammlung Darauf beruht sein gesamter Systemansatz mit Geviert und
Ge-stell
Schulz-Nieswandt fuumlhrt diese Zusammenstellung zum Bejubeln von Heideg-
gers Mythopoetik
So fundamental sieht Heidegger die Welt Die Quelle des Wassers wird zurHochzeit von Himmel und Erde das Gieszligen des Wassers aus dem Krugzum Geschenk Auch Sprache ist daher kein Instrument sondern Ort desWohnens des Menschen Sprache wird zum Haus des Seinslsquo134
Hier bestaumltigt die Untersuchung des Ding-Vortrags die These von einer mytho-
poetischen Einschreibung der nationalistischen voumllkischen Abgrenzungs-Mythologie
aus den Schwarzen Heften
322 Das Ge-Stelllsquo
Der zweite Vortrag des Reden-Gevierts setzt ein mit der Metapher des fehlen-
den Abstands Wo kein Abstand sei da waumlre auch keine Naumlhe so Heidegger Er
132 Ebd S 16133 Ebd S 14134 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei Walter
F Otto S 59
33
verbindet die Abstandslosigkeit mit Urbanitaumlt und Verkehr alles fluktuiere Es
waumlre der Bestand der sich bestelle in dem das Abstandlose herrsche Das sind
neue Metaphern fuumlr die Machenschaft In seiner Erzaumlhlung vom Ge-Stell gibt es
bedeutend weniger mythopoetische Passagen als in dem vorangegangenen Vor-
trag Allerdings uumlbertraumlgt er den mythopoetischen Gehalt der Rede vom Ding
bereits im ersten Absatz von Das Ge-Stelllsquo mit dem Credo bdquoNaumlhe west insofern
das Ding dingtldquo135 Mit dieser Verbindung wird klar unter welchem Zeichen Hei-
degger die Rede vom Ge-Stell verstanden wissen will ndash als verlorenes Verhaumlltnis
des voumllkisch-traditionell verwurzelten Menschen mit den vermeintlichen Wesen
all seiner Gebrauchsobjekte in der mythopoetischen Formel des sich spiegelnden
Gevierts
Nahezu nuumlchtern erzaumlhlt Heidegger dann von dem Gefaumlngnis des Menschen
im Wesen der zirkulierenden sich immer neu bestellenden Bestandstechnik des
Ge-Stells Dabei scheinen folgende Mythen aus den Schwarzen Heften hindurch ndash
1 bdquoHistorie die Technik der Geschichtelsquo Technik die Historie der Naturlsquoldquo136
2 das historische Tier 3 der Appell an den Auftrag des Deutschen 4 der geschicht-
liche Mensch muss die Historie und damit die Technik uumlberwinden und 5 die
alles zernichtende Machenschaft des juumldischen Wesens
Den Topos der seinsvergessenen Groszligstadt jedenfalls kontrastiert er mit der
Bauerndorfidylle Da aber bdquodas Abstandlose herrschtldquo137 waumlre das Vorruumlcken der
Maschinentechnik bereits universell So in Form des Traktors Schon in Band
96 der Schwarzen Hefte beklagt er dieses bdquozum elektrischen Pflug [] gehoumlrt
das amerikanisch aufgemachte Magazinlsquoldquo Insofern erfolge die bdquoAngleichung der
Sitten der Bergbewohner an diejenigen des groszligstaumldtischen Sport- und Barbe-
triebsldquo138
Sein erster Land-Stadtvergleich betrifft den Bauern dessen Totenruhe tradi-
tionell in einem sg bdquoTotenbaumldquo (Sarg) stattgefunden haumltte ndash bdquoIn ihm gedeiht
der Tod des Totenldquo139 Dem gegenuumlber klingt in der bdquomotorisierten Bestattungs-
135 GA 79 S 24136 GA 95 S 351137 GA 79 S 24138 GA 96 S 54139 GA 79 S 26
34
industrie der Groszligstadtldquo140 bereits Heideggers pietaumltsloser Gaskammernvergleich
an
Ackerbau ist jetzt motorisierte Ernaumlhrungsindustrie im Wesen das Selbewie die Fabrikation von Leichen in Gaskammern und Vernichtungslagerndas Selbe wie die Blockade und Aushungerung von Laumlndern das Selbe wiedie Fabrikation von Wasserstoffbomben141
Hier wird davon ausgegangen dass es eine Uumlbertragung der Notizen uumlber
das deutsche Land als bdquoeinziges KZldquo ist die Unterdruumlckung des deutschen Vol-
kes durch die bdquoWeltdemokratieldquo die schlimmer sei als die Graumlueltaten der bdquoGas-
kammernlsquoldquo142 In die mythopoetische Formel von dem dingenden Ding aus dem
ersten Vortrag sind alle Valenzen eingeschrieben die es zur Aufgabe des abendlaumln-
dischen Deutschen (also als Nachfolger der alten Griechen) machen das Wesen
des Dings und somit der Technik zu huumlten Die Verantwortung fuumlr Genozid
Massenvernichtungswaffen und den Mangel im Nachkriegsdeutschland schreibt
Heidegger gleichfoumlrmig dem Prinzip der Abstandslosigkeit zu
Auch die Rede von der Habgier des Berechnenden ist ein bereits bekannter
Vorbehalt Heideggers anhand der Rede vom raffgierigen Juden Denn er sagt von
der bdquoHerrschaft des Abstandlosenldquo dass sie bdquodie Hab-gier des vorstellenden Be-
rechnensldquo waumlre143 Das entspricht seinem Mythos von der alles zernichtenden
Machenschaft des juumldischen Wesens144
Dann folgt eine lange Elegie uumlber das Bestellen des Bestands des Ge-Stells
bdquo[d]ie Kette des Bestellens laumluft auf nichts hinaus sie geht vielmehr nur in ihren
Kreisgang hineinldquo145 uumlber 19 Seiten des 21 seitigen Vortragsexts hinweg entwirft
Heidegger diverse Bilder wie das Ge-Stell die Natur das Hergestellte den Men-
schen und das Verstandesmaumlszligige vereinnahme und das Wesen desDings gleichsam
zur Veruntreuung bringen wuumlrde Wiederum poetisch orientiert kontrastiert also
140 Ebd141 Ebd S 27142 GA 97 S 99f143 Vgl GA 79 S 25144 Vgl Machenschaft hier S 29 und Geraff hier S 33145 GA 79 S 29
35
Heidegger Houmllderlins Hymne Der Rheinlsquo mit dem Rhein dessen Stroumlmung fuumlr
ein Stromkraftwerk genutzt wird
Achten wir um das Ungeheure das hier waltet zu ermessen nur auf einenAugenblick auf den Gegensatz der sich in den beiden Titeln ausspricht DerRhein verbaut in das Kraftwerk ndash der Rheinlsquo gesagt in der gleichnamigenHymne Houmllderlins146
Die Differenz also waumlre das Ungeheure147 Dabei waumlre der Rhein verbaut in das
Kraftwerk Aumlhnlich wie Kohle Erze und Rohoumll waumlren sie Bestand der bdquobesteht
im Bestellenldquo ndash bdquoDas Bestellen waumlre demnach lediglich eine Machenschaft des
Menschen vollzogen in der Weise der Ausbeutungldquo148
Das Bild des Wasserkraftwerks wird erweitert um den Begriff des Menschen
Elektrizitaumlt mit Wasserkraft erzeugen bdquokoumlnnen die Menschen [] nur insofern
sie selber schon in dieses Bestellen bestellt sindldquo149 Mit diesem Bild versucht Hei-
degger praktisch zu veranschaulichen dass Entwurf Umsetzung und Einsatz ei-
ner technischen Anlage den Menschen in ein entruumlcktes Verhaumlltnis zum Wesen
des dingenden Dings setze ndash bdquoDer Mensch ist darum der Angestellte des Bestel-
146 Ebd147 Das ist zusaumltzlich zu dem gemeinten Gegensatz ein Vergleich mit dem Heidegger dem Wort
bdquoRheinldquo in die Hymne Der Rheinlsquo gesprochen eine Energie erzeugende Wirkung zu-schreibt eben so wie das Kraftwerk Strom erzeugen wuumlrde Das wird klar dadurch dassHeidegger metaphorisch vom Stellen des Wortes bdquoRheinldquo in die Hymne spricht Es handeltsich um einen Appell zur denkerischen Besinnung Dass Heidegger dafuumlr eine technischeAnlage zur Veranschaulichung inspirierend wirken laumlsst spielt bereits in die Richtung derBegriffe bdquoHer-vor-bringenldquo bdquoEntbergenldquo und spielt auf das Alteheia-Prinzip an Darauf wirdweiter unten anhand Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo eingegangen werden Es handelt sich umdas Angebot eines mythopoetischen Umgangs mit Technik insbesondere wenn sie sich inheimische Gefilde einfuumlgtHeute koumlnnte man mit Windraumldern ebenso verfahren Somit koumlnnte aber auch Heidegger
als ein gewisser Quijana aus Mancha verstanden werden eben der Protagonist aus Miguel deCervantes Roman Don Quichote von der Manchalsquo der mit seinem von ihm flux auch um-benannten Klepper (weil er zuvor sich selbst in Don Quichote umtaufte) Rocinante Riesenbezwingen will um mit dieser Heldentat unsterblichen ritterlichen Ruhm zu erstreitenAuch Don Quichote fand seine Riesen in Windmuumlhlen und auch Don Quichote war uumlber
eine uumlbertriebene Auseinandersetzung mit einer verschuumltteten Kultur dieser verfallen undsuchte diese in seiner Aventuumlre zu reaktualisieren Martin Heideggers mythopoetisches Pro-gramm ist tatsaumlchlich stark mit Don Quichotes Motiv vergleichbarFerner waumlre eine Auseinandersetzung mit Heideggers Werk unter Beruumlcksichtigung sei-
ner Gewichtung der Vorsokratiker und Houmllderlin als mythopoetischen Autor eine moumlglicheForschung zum Thema Anachronismen in Konzepten von Moral und gesellschaftlicher An-gemessenheit (Vgl Cervantes Miguel de Don Quichote von der Mancha Herausgeben unduumlbersetzt v Susanne Lange Muumlnchen 2008 S 33f)
148 GA 79 S 29149 GA 79 S 30
36
lensldquo150 Schon vorher wies Heidegger darauf hin bdquo[d]ie Herrschaft des Gegen-
staumlndigen sichert nicht den Abstandldquo151 Jetzt heiszligt es
Das Bestellen befaumlllt nicht nur die Stoffe und Kraumlfte der Natur mit Gestel-lung Das Bestellen befaumlllt zugleich das Geschick des Menschen Das Wesendes Menschen wird daraufhin gestellt das Bestellen in menschlicher Weisemitzuvollziehen152
Der Begriff des Ge-Stells wird daraufhin so konstruiert dass es im Bestellen
um ein Stellen (Herausfordern) alles bdquoAnwesenden als Bestandldquo als bdquoversus unumldquo
gegen bdquodas Eine Ganzeldquo gehe153 In wiederum mythopoetischer Formulierung ge-
baumlre die bdquoVersammlung des Stellens worin alles Bestellbare in seinem Bestand
west das Ge-Stellldquo154 Der Begriff bdquoVersammlungldquo wird einen Absatz zuvor my-
thopoetisch wieder an die Versammlung also das thing eben das wesenhafteDing
angelehnt und somit wie zu Das Dinglsquo bereits oben erlaumlutert in einen deutsch-
abendlaumlndischen Kontext gestellt (3)
Wir nennen die Versammlung der Berge die von sich her einig und nienachtraumlglich schon gesammelt ist das Gebirge Wir nennen die Versamm-lung der Weisen nach denen uns so zumute ist und sein kann das Gemuumlt155
Allerdings ist obiges Versammlungsmodell hier als Kontrast zu sehen zu dem
bdquoGeraff des Getriebesldquo das das Ge-Stell darstellt als bdquoWesen der Technikldquo156 Hei-
degger sieht in der Gleichfoumlrmigkeit die zum Wesen des Technik als Ge-Stell
150 GA 79 S 30151 GA 79 S 25152 GA 79 S 31153 Vgl GA 79 S 32154 GA 79 S 32155 Ebd
Das Wort ldquoGemuumltrdquo hat ferner eine ausschlieszliglich deutsche Praumlgung gibt es doch keinedirekte Uumlbersetzungen Gemuumlth ist ferner ein nicht eindeutig umrissener Begriff (Vgl Kra-mer Cheryce A Foolrsquos Paradise The Psychiatry ofGemuumlth in a Biedermeier Asylum Chica-go 1998 S 19) Die Bedeutung im Deutschen selbst ist zudem sehr variabel hat aber zumeistmit Seelen- oder Geistkonzepten zu tun ndash Cheryce von Xylander (geb Kramer) uumlbersetztGemuumlth mit bdquosoul-organldquo (ebd S 43) das von diversen Autoren unterschiedlich konstru-riert wird (zB von Kant geistigkoumlrperlich und von Kleist individuellkollektiv (vgl ebdS 41)) In Heideggers emblematischem Duktus scheint eine Vermischung von allen vier Di-mensionen geistigkoumlrperlich wie auch individuellkollektiv stattzufinden Es ist auf jedenFall dem Mythos geschuldet den Auftrag des Deutschen anzunehmen (3)
156 GA 79 S 33
37
gehoumlre die planetarische Abloumlsung und Aufhebung des traditionellen und damit
wesenhaft ans Ding gebundenen Verhaumlltnisses vom Menschen zur Erde (das von
ihm idealisierte voumllkische Bauerntum das Bestellen des Ackers) bdquoDie Bestand-
Stuumlcke sind Stuumlck fuumlr Stuumlck die Gleichenldquo157 So kontrastiert er alte Handwerks-
techniken mit Maschinentechnik und schreibt der Maschinentechnik die machen-
schaftliche Verdraumlngung als Geraff zu
Das Ge-Stell hat auch wenn das nicht unmittelbar und nicht sogleich ver-nehmlich wird im vorhinein schon alle diejenigen Stellen beseitigt an denenvormals Spinnrad und Wassermuumlhle standen Das Ge-Stell bestellt durch sei-ne Maschinerie zum voraus eine andere Art und Ordnung von Stellen Andiesen kommt nur zu Stand was als Bestellbares auf der Stelle gleichfoumlrmigzur Stelle steht
Darum ist auch die Art wie die Maschine selbst etwas herstellt einewesentlich andere als das handwerkliche Tun gesetzt daszlig es innerhalb desGe-Stells uumlberhaupt noch so etwas wie ein Herstellen gibt
Die Traktoren und Kraftwagen werden herausgebracht ausgeworfen se-rienweise Stuumlck fuumlr Stuumlck Wo drauszligen steht dieses so Herausgestellte Wo-hin in welchen Stand ist es gebracht158
In dieser Klage uumlber den technischen Wandel der durch den Fortschritt in
alle Lebensbereiche Einzug haumllt versucht Heidegger zu veranschaulichen wel-
chen Verlust es zu erkennen gelte Ein Versuch diesem entgegen zu treten ist die
von ihm vorgetragene Mythopoetik die er in diesem Vortragsteil seines Vortrags-
Gevierts allerdings auffaumlllig zuruumlckgestellt sein laumlszligt War der Einleitungsteil Das
Dinglsquo schlieszliglich eine nahezu einzige mythopoetische Darbietung Dramatur-
gisch wird Heidegger in Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo die mythopoetischen For-
mulierung als Loumlsungswege wieder Bedeutung geben In Das Ge-Stelllsquo versucht
Heidegger hingegen Vorstellungen aus seinen Schwarzen Heften aumlhnlich der fol-
genden mitzuteilen die das Uniforme Gleichfoumlrmige betreffen
Die Macht der Machenschaft ndash die Vernichtung sogar der Gottlosigkeit dieVermenschung des Menschen in das Tier die Vernutzung der Erde die Ver-rechnung der Welt ndash ist in den Zustand der Endguumlltigkeit uumlbergegangenUnterschiede der Voumllker Staaten Kulturen sind nur noch Fassade159
157 GA 79 S 36158 GA 79 S 35159 GA 96 S 52f
38
Was Heidegger unter dieser Gleichfoumlrmigkeit versteht schreibt er in den Schwar-
zen Heften zumeist den Amerikanern zu Er nennt es auch haumlufig Planetarismus
Der Amerikanismus [ist DS] die Zusammenraffung von Allem welcheZusammenraffung immer zugleich die Entwurzelung des Gerafften bedeu-tet160
Der Planetarismus ist die historisch gedachte Bestimmung der uumlberall glei-chen die ganze Erde uumlberdeckenden Seinsverlassenheit des Seienden161
Die Gegenuumlberstellung von natuumlrlicher und traditioneller Handwerkstechnik
gegen maschinenhafte Gleichfoumlrmigkeit exemplifiziert Heidegger dann im Vor-
trag Das Ge-Stelllsquo vielfach wie zum Beispiel hier
Der Forstwart zB der im Wald das geschlagene Holz vermiszligt und demAnschein nach noch wie sein Groszligvater in der gleichen Weise die selbenWege geht ist heute von der Holzverwertungsindustrie gestellt Er ist ober es weiszlig oder nicht in seiner Weise Bestand-Stuumlck des Zellulosebestandesund dessen Bestellbarkeit fuumlr das Papier das den Zeitungen und illustrier-ten Magazinen zugestellt wird die uumlber die Oumlffentlichkeit daraufhin stellenverschlungen werden162
160 GA 96 S 257161 GA 96 S 261162 GA 79 S 37f
Die renommierte Theaterautorin Elfriede Jelinek karikiert in ihrem Stuumlck Totenaubergvon 1991 Heideggers Konstrukt von Heimat und Fortschrittsfeindlichkeit verbunden miteiner Auseinandersetzung mit dessen Liebschaft zu Hannah Arend Mit philologischer Prauml-zision polemisiert sie Teile aus Heideggers Elegie uumlber die Technik und laumlszligt ihn dabei alsbeschraumlnktes und eingezwaumlngtes Wesen in einem Gestell gefangen sein Aus diesem heraussoll er Arend Rede und Antwort stehen uumlber sein Verhaumlltnis zum Nationalsozialismus unddie Shoa Doch dieser redet nur naturtrunken von Heimat und berauscht sich daran Derprophetische Denker wird banalisert ndash diese Worte legt Jelinek ihm (im Stuumlck der alte Mann)in den MundbdquoDie Angst vor dem Fragen liegt uumlber dem Abendland Sie bannt die Kandidaten auf ein
Team-Leibchen verbannt sie auf altgewordene Wege und jagt sie zuruumlck ins morsch geworde-ne Gehaumluse ihrer Tore wo es um ihre Ausscheidungen geht Es wird ihnen alles weggenom-men werden auch der Weg selbst Keine Spur kein Lichtschein aus den Ritzen Aber ruf ichin die Huumltte um nach einem zu fragen den ich gekannt hab sehe ich grad noch eine Tuumlrsich schlieszligen Der Wald kommt nicht zur rechten Geltung alles ist entflohen was mir liebwar und woran ich geglaubt hab Was kommt ist noch nicht da Nichts war Ich habe nichtsgehoumlrt Ich erinnere mich nicht aber ich stelle dem Kommenden das mich den lupenreinenAmateur schon vor Beginn des Rennens erlahmen laumlszligt vorsorglich die Hausschuhe vor dieTuumlr Sie sind das Einzige was die Profis des Profits von mir dann vorfinden werden wennsie anklopfen Die Haumlrte des Urgesteins sollte sie nicht entmutigen Die Jahreszeiten machendie Landschaft auf und zu Ich sage nur In dieser scheinbaren Leere will ich vom Denkenmuumld nur schlafen Von der Huumltte aus lassen sich Wanderungen unternehmen Aber auchsonst wird Ihnen alles wie ich sagte genommen werden Auch Ihre Fotos und Namen Unddas Gewesene wird wesenlosldquo ( Jelinek Elfriede Totenauberg Hamburg 1991 S 86f)
39
Die Oumlffentlichkeit ist fuumlr Heidegger ein Topos der dem Denken und Besinnen
entgegenstuumlnde Somit meint er damit zum Einen die Medien wie er es anhand
der Rede von den Bestandstuumlcken in Das Ge-Stelllsquo erklaumlrt wo der Mensch als
Urheber des Ge-Stells als Wesen der Technik nicht gelten soll Vielmehr wuumlrde er
in Ratlosigkeit und Langeweile verfallen weil er in der Bestellung des Bestandes in
Form von Bestandstuumlcken vom Rundfunk keine Besinnung mehr faumlnde dh das
Ganze also wiederum daswesentliche Ding nicht mehr zu fassen vermoumlge163 Und
so toumlnt es bereits aus den Schwarzen Heften von 19391940()
Die Bildlsquo und Tonlsquo ndash Reportagenlsquo der Machenschaft ist der planetari-sche Mythuslsquo des Vollendungsabschnittes der Neuzeit Die Welt des abge-legensten deutschen Bauernhofes wird nicht mehr durch [] die Naturlsquobestimmt in der noch die Erde waltet sondern durch das illustrierte Blattmit der Darstellung von ausgezogenen Tanzweibern von Boxern und Renn-fahrern und sonstigen Heldenlsquo des Tages164
Und ferner notierte Heidegger 1946 in seinen Schwarzen Heften
Uumlberall zerrt es aus dem Oumlffentlichen ins Oumlffentliche mit vielen Strickenund jeder sieht das kaum versuchte Denken des Seyns am Leitband seinesStrickes165
Dabei waumlre eben ein bdquoLiterat [] ein in die Oumlffentlichkeit verliebter Mensch der
Angst vor dem Denker hatldquo166 Dieses liefe dann darauf hinaus dass beim Rund-
funk bdquoein Bestellen und Stellen waltet das in dasWesen des Menschen eingegriffen
hatldquo167
Abermals nach dem Wesen der Technik also nach dem Ge-Stell gefragt geht
Heidegger auf seine Unterscheidung vonNatur undNaturwissenschaft ein bdquo[w]elches
ist das Verhaumlltnis zwischen der Technik und der Naturldquo168 Natur wuumlrde in wis-
senschaftlicher Hinsicht unter das Berechnete fallen sie wuumlrde bdquoals das in Maszlig
und Zahl gestellte Wirkliche vorgestellt das in seinem Gewirkten staumlndig an-
westldquo169 Wenn Heidegger dann Natur aus technischer Sicht bdquoals ein System des
163 Vgl GA 79 S 38f164 GA 96 S 54165 GA 97 S 100166 GA 97 S 126167 GA 79 S 39168 GA 79 S 41169 Ebd
40
Bestellens von Erfolgen aus dem gestellten Wirksamenldquo170 charakterisiert spricht
er von seiner Rede der Verschraumlnkung von Historie und Technik ndash bdquoTechnik die
Historie der Naturldquolsquo171 Dieses ist bekanntlich das seinsvernichtende Gegenstuumlck
zur geschichtlichen Besinnung Denn geschichtliches Walten der Technik ist fuumlr
Heidegger technische Geschichte dh verwissenschaftlichte Geschichte die da-
durch ihr Wesen verloren haumltte (Seynsvergessenheit)172 So heiszligt es in den Schwar-
zen Heften von 1947
Ein Zeitalter das historisch geworden ist dh technisch planend sich selberberechnet und alles in diesen Sog zieht muszlig jede Besinnung nur als eine dervielen Formen der Intellektualitaumlt registrieren173
Heidegger schlieszligt den Vortrag mit dem Aufgriff der Anfangsbehauptung
bdquo[d]er Bestand bestellt das Abstandsloseldquo174 Somit liegt das Problem der ausblei-
benden Naumlhe durch die Technik deren Wesen das Ge-Stell waumlre das den Bestand
bestelle in der Luft Dass dabei der Mensch sogleich Teil des Bestandes und nicht
Teil der Maschine wird laumlsst ihn das historische Tier sein (2)
Der Mensch ist auswechselbar innerhalb des Bestellens von Bestand []Gleichwohl gehoumlrt der Mensch in einer voumlllig anderen Weise in das Ge-Stellals die Maschine DieseWeise kann unmenschlich werden DasUnmenschlicheist jedoch immer noch unmenschlich Der Mensch wird nie zur MaschineDas Unmenschliche und noch Menschentuumlmliche ist freilich unheimlicherweil boumlsartige und verhaumlngnisvoller denn der Mensch der nur Maschine wauml-re175
Wen Heidegger hier ersinnt ist der neuzeitliche Mensch der den bdquoGoumlttern uner-
traumlglich gewordenldquo176 waumlre
170 Ebd171 GA 95 S 351172 In Heidegger Die Technik und die Kehre S 21 stellt er Geschichte und Historie einander
gegenuumlber was er in Das Ge-Stelllsquo nicht vollzieht bdquoDie moderne Technik kam doch erst inden Gang als sie sich auf die exakte Naturwissenschaft stuumltzen konnte Historisch gerechnetbleibt dies richtig Geschichtlich gedacht trifft es nicht das Wahreldquo Signifikant fuumlr Heideg-gers Attributierung so wie sie oben schon geschildert ist steht Historie fuumlrs Rechnen undGeschichte fuumlr das Denken
173 GA 97 S 508174 GA 79 S 44175 GA 79 S 37176 GA 94 S 236
41
323 Die Gefahrlsquo
Aus Heideggers Darlegung uumlber das Ge-Stell erschlieszligen sich seine diversen Fa-
cetten der Vorstellung einer Abstandslosigkeit schaffenden Technik Dass die Ab-
standslosigkeit dem Prinzip des Gevierts des Zusammengestellten entgegensteht
bekommt im Vortrag Die Gefahrlsquo Nachdruck Die mythopoetische Erzaumlhlung
knuumlpft an den Vortrag Das Dinglsquo an mit den Mythologemene 1 Der Mythos
des geschichtlich sein muumlssens 2 der Mythos des Goumlttlichen 3 das geschichtsbe-
sinnliche Prinzip der Aletheia Zudem wird im Prozess des Vortrags das Ge-Stell
zur Gefahr stilisiert was einen eigenen Mythos erschafft
Durch das bdquouniversale Bestellen des Ge-Stellsldquo177 werde die naumlhernde Naumlhe des
Dings verwehrt Wie im Vortrag Das Dinglsquo fuumlhrt Heidegger das Wesentliche sei-
ner Theorie auf die deutsche und altgriechische Sprache zuruumlck Die so vollzoge-
ne Annaumlherung von Schwarzwaumllderischem Dialekt und Altgriechisch entspricht
Heideggers Traum von dem bdquogeschichtliche[n] Geburtsort des abendlaumlndischen
Wesensldquo178 den seine Heimat von Todtnauberg bis Freiburg stiften sollte (1)
es ist das Geistvolle und zugleich das erdenhafte schoumlne Land Es birgt un-sichtbaren Reichtum dem Gemuumlt bewahret tiefstes Dichten und houmlchsteGestalt der Sage179
Unter diesem Vorzeichen also sagt Heidegger
Das Ge-Stellwesen laumlszligt das Ding ohne die Wahr Das Wort die Wahrlsquo be-deutet in unserer Sprache dort wo sie noch urspruumlnglich spricht die HutIn unserer schwaumlbischen Mundart meint das Wort die Wahrlsquo die der muumlt-terlichen Hut anvertrauten Kinder Das Ge-Stell laumlszligt in seinem Stellen dasDing ohne die Hut ndash ohne die Wahr seines Dingwesens180
Diese in Bremen vorgetragene Heimatkunde ist auch Heideggers Sorge ge-
schuldet durch die Besatzermaumlchte und deren kulturellen Einfluss auch durch
die nun moumlgliche Oumlffnung Deutschlands zu einem Austausch mit der Welt das
eigene Wesen zu verlieren So schreibt er 1945-1947() in seine Schwarzen Hefte
177 GA 79 S 46178 GA 97 S 54179 Ebd180 GA 79 S 46
42
Das Schwerste und Fragwuumlrdigste unseres Geschickes ndash beruht darin ob wirdas Eigene finden und huumlten [] unter den anderen Voumllkernlsquo [] Scheinund Vorwand der Macht daszlig man unsere eigene Aufgabe bringen will []als Entmachtete aufgenommen zu sein in den Weltmachenschaftsbetrieb181
Es gaumlbe nach Heidegger also das Welten von Welt und die Verweigerung von
Welt aus derVerwahrlosung des Dings durch das Ge-Stell bzw die Technik182 Welt
ist nach dem Konzept des schwaumlbischen Denkers nichts weniger als das Geviert
Bei der folgenden mythopoetischen Zusammenstellung von dem Geviert mit alt-
griechischen Vokabeln um den Seins-Begriff wird das Aletheia-Prinzip eingefuumlhrt
Somit fuumlhrt uumlber den Mythos des Goumlttlichen (2) der Weg zur Wahrheit eben als
geschichtsbesinnlich erfahrene Aletheia (3)
Welt ist das Geviert von Erde und Himmel Goumlttlichen und SterblichenDas Spiegel-Spiel der Vierung wahrt alles was in ihm dingend zwischenden Vier anwest und abwest in das einende Ganze seines Anwesens Vonaltersher heiszligt das Anwesen des Anwesenden τὸ ὲόν das Seiend [sic] τὸεἶναι das Sein naumlmlich der ὲόντα des Seinenden das esse entium183
Diese Welt waumlre nun bdquoWahrnis des Wesens von Sein Statt Wahrnis sagen wir auch
Wahrheitldquo184 Die Welt mythopoetisch als Spiegel-Spiel des Gevierts und durch
eine altgriechische Brille betrachtet waumlre die wahre Welt Somit wird die Wahr-
heitsschau gebunden einen antiken Goumltterglauben und abendlaumlndische Sprachkas-
kaden vom Dialekt zum Altgriechisch
Das Problem mit der wahren Welt waumlre allerdings dass sie sich in die Ver-
borgenheit entziehe Naumlher betrachtet ist aber die Verborgenheit Bedingung des
Entbergens was Heidegger notwendig macht zu einem wuumlrdigen Lebensvollzug
in Harmonie mit dem Sein Durch solche Wesensschau waumlre der Mensch befaumlhigt
jederzeit die verstellenden Maumlchte des Ge-Stells (der Technik) zu uumlberwinden und
teilhaftig am Wesen der Welt zu werden
181 GA 97 S 99182 Vgl GA 79 S 47183 GA 79 S 48 (Die griechischen Vokabeln werden hier keiner Uumlbersetzung unterzogen Da
Heidegger ohnehin keine philologische Schaumlrfe anwenden will ist es fuumlr die Zwecke hierausreichend sie mit seiner Uumlbersetzung zu betrachten Heidegger spricht von bdquoAchten aufdas Griechischeldquo was schwieriger waumlre als klassische Philologie (vgl GA 79 S 63)
184 Ebd
43
Welt bleibt in der Verborgenheit (Αήθη) auf die Weise daszlig diese ihre Ver-borgenheit gerade eine Unverborgenheit gewaumlhrt die Αλήθεια185
Die Αλήθεια haumltte allerdings auch eine Rolle uumlber die subjektive hinaus da nur
durch ihren Vollzug Seinsgeschichte gewaumlhrt wuumlrde Das ist der Anspruch den
Heidegger an sein Auditorium stellt gemeinsam geschichtlich sein zu muumlssen (1)
Die Αλήθεια ist das Geschick des Seins als welches Geschick sich die Fuumllleder Seinsgeschichte in ihre Epochen fuumlgt186
Mit dem Ge-Stell als Wesen der modernen Technik waumlre die Aletheia aller-
dings hochgradig gefaumlhrdet Denn ohnehin waumlre die Aletheia prinzipiell der Ge-
fahr der Vergessenheit ausgesetzt Doch das Ge-Stell haumltte die Kraft die bdquovollende-
te Vergessenheit der Wahrheit des Seinsldquo187 zu vollrichten
Indem das Ge-Stell alles Anwesende in den Bestand bestellt setzt das Ge-Stell das Anwesen des Anwesenden heraus aus seiner Wesensherkunft ausder Αλήθεια188
Diese Versetzung des beteiligten Wesens aus der Moumlglichkeit des Wahrheitsprin-
zips heraus markiert Heidegger dann mit der Schreibweise Seyn (mit bdquoyldquo) Wie
bei dem Vortrag Das Dinglsquo koumlnnen ethymologische Abstammungen sein Sys-
tem anreichern Da wo es um das Wortfeld des Stellens geht Ge-Stell Bestellen
Verstellen ist auch das NachstellenMitglied der Familie
Im Althochdeutschen heiszligt nachstellen fara Das in sich gesammelte Stellenals Nachstellen ist die Gefahr Der Grundzug des Wesens der Gefahr ist dasNachstellen Insofern das Sein als das Ge-Stell sich selbst mit der Vergessen-heit seines Wesens nachstellt ist das Seyn als Seyn die Gefahr seines eigenenWesens189
Damit wuumlrde sich durch die Verringerung der Selbstreflexion im Seyns-Bestand
eine Schwachstelle auftun in die der denkbegabte und aletheiafaumlhige Mensch ei-
ne Moumlglichkeit haben das Seyn zum Sein zuruumlckzuwandeln ndash also wieder in ein
185 GA 79 S 49186 Ebd187 GA 79 S 53188 GA 79 S 52189 GA 79 S 53
44
wesentliches Verhaumlltnis zum bdquoDingldquo zu gelangen in dem das Geviert wieder die
Harmonie herstellt Allerdings faumlnde bis zu solch einer Nachstellung eine Ver-
sieglung des Seynsbestandes statt Und Heidegger beklagt dass die Erreichung der
Ruumlckeroberung des Seins uumlber die Nachstellung nicht stattfaumlnde und stattdessen
die Irre regieren wuumlrde190
In dieser Irre stuumlnde dem Menschen nicht einmal mehr zu zu sterben Denn
bdquoSterben [] heiszligt den Tod in sein Wesen austragenldquo191 Somit waumlren die Opfer
die in den KZs umkamen wie er sie in Das Dinglsquo bereits schildert nicht vermouml-
gend gewesen zu sterben bdquoSie werden Bestandstuumlcke eines Bestandes der Fabrika-
tion von Leichen [] Sie werden in Vernichtungslagern unauffaumlllig liquidiertldquo192
Das vermoumlge die Gefahr zu bewirken Der Mensch wuumlrde des eigenen Sterbens
beraubt da er keine Verbindung mehr zur Wahrheit der Welt haumltte Um den rich-
tigen Tod zu sterben muumlsse der Mensch die Aletheia schauen koumlnnen Insofern ist
Heideggers Prinzip ein religioumls anmutendes Wie in der christlichen Vorstellung
der Mensch im Jenseits an seinen Taten gemessen wird um Paradies oder Fege-
feuer zu besuchen soll nach Heidegger der Mensch waumlhrend des Sterbens mit
sich selbst ins Gericht gehen Er soll sich rein machen vom Ge-Stell der Technik
und dem Seyn um nicht die einmalge Gelegenheit des richtigen Sterbevollzugs
zu versaumlumen Es winken gemaumlszlig des Gevierts die himmlischen Goumlttlichen den
irdischen Sterblichen zu wobei annehmbar ist dass Heidegger Sterblichen die
die Aletheia erkennen einen Goumlttlichkeitsstatus beimessen moumlchte ndash eine Erlouml-
sungsphantasie
Genau diese Erloumlsung waumlre die Technik nicht
Ohne den Schritt des Denkens zu wagen der unser Menschenwesen demWesen der Technik [] aussetzt wuumlrgt man sich von Fall zu Fall von Lagezu Lage durch die Zwiespaumlltigkeiten hindurch Und genau durch dieses Ge-wuumlrge versaumlumt man die Moumlglichkeit dessen was man im Grunde erstrebtdie Technik durch menschliches Tun zu meistern und menschenwuumlrdig zulenken193
190 Vgl GA 79 S 55191 GA 79 S 55192 GA 79 S 56 Weil Heidegger im Judentum die Verantwortlichen fuumlr das Geraffe des Ge-Stells
sieht macht er sie gleichsam verantwortlich fuumlr die bdquoSelbstvernichtungldquo Die Seinsverges-senheit im Tode wird dadurch zum Spin-off der vermeintlich juumldisch erzeugten da machen-schaftlichen KZ-Maschinerie (Vgl GA 97 S 20f)
193 GA 79 S 59
45
Trost und Richtung findet Heidegger schlieszliglich abermals bei den alten Griechen
Das Wort stellenlsquo entspricht dem griechischen ϑέσις vorausgesetzt daszlig wirϑέσις griechisch denken Was heiszligt in diesem Falle griechisch denkenlsquo Esheiszligt darauf achten welche Lichtung desWesens des Seyns in welcherWeisedas Dasein der alten Griechen in den Anspruch genommen hat heiszligt imvoraus bedenken in welchem Geschick welcher Unverborgenheit des Seinsdie Griechen standenldquo194
Das sind Vorstellungen des Neuen Anfangs eine Reminiszenz der griechisch anti-
ken Welt Ein Eintrag aus den Schwarzen Heften von etwa 1945-47 () verdichtet
wie oben bereits aufgezeigt die Phantasie griechisch zu sein zu einem gelingenden
Lebensvollzug
Das reine Wesen des Griechentums dh das Seiende inmitten dessen dieGriechen als seiende fremd gewesen dieses und sie selbst und der Bezug desSeins zu ihnen ndash in der einfachen Wesung von der ἀλήθεια her zeigen underfahren Den μῦθος und λόγος ndash jedes Wort und Gebild rein aber nichterzwungen und schematisch-pedant ndash aus ἀλήθεια erfahren195
Hier zeigt sich auch dass Heidegger per se das Aletheia-Prinzip fuumlr notwendig
hielt um ins Licht der Wahrheit zu blicken Die Griechen sind ihm hier deshalb
Vorbild und rein da sie keiner modernen Technik und dem Ge-Stell ausgesetzt
waren sondern lediglich eine mythopoetische Verbindung zum Sein herstellen
mussten um wesentlich zu sein und Seinsgeschichte zu schreiben Die Dinge und
das Spiegel-Spiel des Gevierts waumlren ihnen geschickt zuhanden gewesen196 Hei-
degger macht schlieszliglich sehr deutlich dass das Griechische zu denken ein bei
weitem anderes Geschaumlft sei als philologische Praumlzision
Ein Echo zu sein naumlmlich dem Anspruch des Seins verlangt eine Sorgfaltder Sprache von der freilich der technisch-terminologische Sprachstil derWissenschaften uumlberhaupt nichts wissen kann Die Intentionalitaumlt der wis-senschaftlichen Sprache ist der staumlrkste Beweis fuumlr ihre Boden- und Heimat-losigkeit [] Das Heimische einer hohen Sprache gedeiht nur im Bereichdes unheimlichen Anspruchs der wesenhaften Stille im Wesen des Seyns197
194 GA 79 S 62f195 GA 97 S 20196 Hingegen waumlre das Judentum verantwortlich fuumlr das Ge-Stell fuumlr das Prinzip der Zerstoumlrung
wie es auf der selben Seite der Schwarzen Hefte darunter heiszligt (vgl ebd)197 GA 79 S 66 Die Bedeutung von Seyn als verstelltes Sein oder Bedingung zum Schauen
des wahren Seins ist verwirrend Einer genaueren Analyse wird aus Platzgruumlnden hier nichtnachgegangen
46
324 Die Kehrelsquo
Der letzte Vortrag ist mit nur neun Seiten der Kuumlrzeste des Vortragsgevierts
Nach dem Verlust des Dinges als Ding und der damit einsetzenden Abstandslosig-
keit als Wesen des Ge-Stells wobei die Gefahr zudem der Vergessenheit des Seyns
nachstellt bietet Heidegger eine Perspektive an
Im Wesen der Gefahr verbirgt sich [] die Moumlglichkeit einer Kehre in derdie Vergessenheit des Wesens des Seins sich so wendet daszlig mit dieser Kehredie Wahrheit des Wesens des Seyns in das Seiende eigens einkehrt198
Diese Moumlglichkeit bedeute nicht dass der Mensch sich der Gefahr selbst stellen
koumlnnte sie waumlre passiv ndash bdquoverbirgt sichldquo Die Kehre werde sich ereignen aumlhnlich
einer Erwartung an den Messias
Die Anwesenheit der Gefahr wuumlrde automatisch die Rettung bergen Denn
Houmllderlin haumltte geschrieben bdquoWo aber Gefahr ist waumlchst [d]as Rettende auchlsquoldquo199
Etwa 1945 notiert Heidegger in seine Schwarzen Hefte bdquoDie Wahrheit erfahren
wir im Gedaumlchtnis Das Gedaumlchtnis ist die Dichtungldquo200 (so) Von dieser War-
te aus ausgestattet mit Erinnerungen an das abendlaumlndische Dichten mit dem
Wissen um das Aletheia-Prinzip und passiv als denkender Huumlter des Seyns solle
der Mensch das Ereignis erwarten das ihn bdquoloumlsen freimachen freyen schonen
bergen in die Hut nehmen wahrenldquo201 wuumlrde (siehe S 43)
Dieses Ereignis waumlre der Blitz Ein unvermittelter jaumlher ploumltzlicher Moment
von kurzer Dauer der bloszlig einen ebenso kurzen Blick auf das wahre Wesen er-
lauben wuumlrde Abschlieszligend ist dies das Rezept gegen die Bestands bestellende
Technik in mythopoetischer Formulierung
So entsprechend ist der Mensch geeignet daszlig er im gewahrten Element vonWelt als der Sterbliche dem Goumlttlichen entgegenblickt Anders nicht dennauch der Gott ist wenn er ist ein Seiender steht als Seiender im Seyn unddessen Wesen das sich aus dem Welten von Welt ereignet202
198 GA 79 S 71199 GA 79 S 72200 GA 97 S 52f201 GA 79 S 72202 GA 79 S 76
47
Wenn Heidegger im Anschluss von der bdquohistorisch-technischen Darstellungldquo re-
det so ist dies die Abwehr der Wissenschaften (auch der Philosophie203) und ein
Appell an die Antirationalitaumlt des Mythos bdquokein historisches Vorstellen der Ge-
schichte als Geschehen bringt in den schicklichen Bezug zum Geschickldquo204
Damit das Blitzen erfahren werde als kurze Wesensschau der Aletheia muumlsse
dem wahren abendlaumlndischen und heimatlichen Ereignis stattgegeben werden Es
sollte nicht wie er 1939 schon in den Schwarzen Heften beschreibt das
kuumlnstliche Licht von Historie und Technik in der weder Mensch noch dieGoumltter weder eineWelt noch die Erde sichtbar werden koumlnnen wo aber dasLebenlsquo von allen den immer noch zu wenigen Meistenlsquo erlebtlsquo wird205
Damit schlieszligt der letzte Vortrag mit einer Erwartung an das Ereignis des Blit-
zens nicht das Erleben der Besinnungslosigkeit (vgl Das Ge-Stelllsquo) Schon 1947
traumlumt Heidegger von solcher Umkehr
Aus der Kehre der Seynsvergessenheit aber ereignet sich das Unumgaumlnglicheden Acker der Welt erst zu pfluumlgen und saatbereit der Sonne und dem Regenund den Voumlgeln des Himmels uumlberlassen206
203 Denn ldquo[e]igentlich denken heiszligt [] die Philosophie verlassen [] beim Sagen des Seinslsquoldquo(GA 97 S 60)
204 Ebd205 GA 95 S 427 Gegen das Erlebnis und Erleben straumlubt sich Heidegger besonders So notiert
er etwa 1939 bdquoZeitalter der Techniklsquo macht gerade die Techniklsquo nicht zum Ziel sondernimmer mehr zum Mittel der besinnungslosen Berechnung [] der Mensch [] das Erleb-nislsquo [] Erleben als der Gefuumlhlsgenuszligldquo (GA 95 S 149) Wie auch bdquoWo beide Historie undTechnik in solcher scheinbaren Gegensaumltzlichkeit verkoppelt sind koumlnnen sie sich zur Foumlr-derung dessen zusammenschlieszligen was einstmals wesentlich die Geschichte des Menschenmitbegruumlndete und was wir die Kunstlsquo nennen Die Historie verschafft [] Anregungenund Vorbilder der Nachahmung die Technik erleichtert [] die Zustellung von Darstel-lungsmitteln und Wirkungsformen [] Gleichwohl ist alles wurzellos [] berechnet und alsErlebnislsquo ausgegebenldquo (GA 95 S 212)
206 GA 97 S 511
48
4 Konklusion
Der umstrittene Philosoph Martin Heidegger hat uumlber die 1930erndash40er Jahre
hinweg eine ausgepraumlgte voumllkisch-nationale und bisweilen radikal-antisemitische
Denkweise entwickelt Dieses Denken fasste er auch auf als Besinnung und stellt
es der Philosophie und Wissenschaft diametral entgegen In Kapitel 2 wird aufge-
zeigt dass sowohl Heideggers Mythologie bereits kritisiert wurde (Adorno Cassi-
rer Meyer) als auch seine Mythopoetik bewundert (Schulz-Nieswandt) Kapitel
3 will daruumlber hinaus aufzeigen wie Heidegger eine eigene Mythologie mytho-
poetisch fruchtbar macht was sich von beiden vorigen Ansaumltzen unterscheidet
und erst mit der Veroumlffentlichung der Schwarzen Hefte ab 2014 nachvollziehbar
wurde
Umso mehr bietet die mythopoetische Verbindung von bdquoDichten und Den-
kenldquo (so) einen antitechnischen Gegenpol Denn Heidegger fasst wie oben ge-
schildert alles Rationale auf als berechnende Bestellung des Bestands im Sinne
der Technik Daruumlber hinaus fordert er mit dem Aletheia-Prinzip (als metapho-
risch gefasstes Ereignis des Blitzens) einen Mitvollzug seiner mythopoetischen
Kontemplation in dem religioumlse voumllkische antike und sprachliche Motive zu-
sammenfallen
Obwohl schon von Heidegger selbst nicht mehr als Philosophie betrachtet
hat seine Rede vom Ding dem Ge-Stell dem Wesen der Technik und der Kehre
noch immer einen bedeutenden Einfluss auf die Technikphilosophie So betont
Alfred Nordmann in bdquoWerkwissen oder How to express things in worksldquo (2008)
dass Heidegger mit Das Dinglsquo eine Art Dingwissen geschaffen haumltte In seinem
2012 erschienenen Aufsatz Another parting of the ways Intersubjectivity and the
objectivity of sciencersquo207 geht Nordmann ein weiteres Mal auf Heideggers Ding
ein Dieses waumlre eine Abarbeitung an dem Ding Kants womit auch Nordmann
Heidegger als einen Interpreten Kants versteht208 Anschlieszligend anMichael Fried-
207 Nordmann Alfred Another parting of the ways Intersubjectivity and the objectivity ofscience In Studies in History and Philosophy of Science 43 (2012) 38ndash46
208 Die Auseinandersetzung mit dem Ding wuumlrde nach Nordmann in Heideggers GA mit demText Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalen Grundsaumltzenlsquoeinsetzen (GA 41 Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalenGrundsaumltzen)
49
man spricht sich Nordmann ebenso dafuumlr aus dass Heidegger neben Rudolf Car-
nap und Ernst Cassirer eine neokantianische Philosophie verfolgt haumltte (siehe
Kap 1)209
Nach Nordmann haumltte Heidegger in seinen anschlieszligenden Gedanken uumlber
das Ding als Fortfuumlhrung Kants als erster Wissenschaft als angewandte Techno-
logie verstanden210 Diese Interpretation stuumltzt sich auf die gleichen Symbole
Metaphern und Mythen die die vorliegende Arbeit analysiert Das Ge-Stell ist
insofern aumlquivok mit dem Begriff techno-science Jedoch sind in dieser Fruchtbar-
machung von Heideggers Denken der Technik dessen nationalistischen rassisti-
schen und antisemitischen Implikationen die die vorliegende Arbeit als Zentrum
dessen Philosophie ermitteln konnte noch nicht beachtet worden koumlnnen211
Andreas Luckner webt Heideggers Ding-Entwurf weiter als verantwortliches
Sorgen um die Dinge212 Er geht dabei mit Heidegger voumlllig konform und tritt
eher als eine Art Bote der Ding-Botschaft auf als diese moumlglicherweise zu kriti-
sieren was sich diesen Artikel wie ein Kapitel aus einem Studienbuch lesen laumlsst
Der Darmstaumldter Technikphilosoph Christoph Hubig ist vor allem Kritiker Hei-
deggers Argumentationen laumlsst aber zuweilen diverse Topoi aus dem Werk des
Technik-Denkers durchscheinen ohne sie weiter zu reflektieren
So konstatiert Hubig Heidegger verfehle in dessen Auseinandersetzung mit
Aristoteles Lehre von der Poiesis zum Punkt der Sicherung wie sie in Die Frage
nach der Techniklsquo behandelt wird bdquodie operative Seite des Technischenldquo bei Aris-
totels213 In einem spaumlteren Aufsatz allerdings stuumltzt er sich ohne weitere Erlaumlute-
rungen auf Heideggers Begriff der Sicherung aus Die Frage nach der Techniklsquo214
209 Diese Befriedung paradigmatischer Umstaumlnde wird hier nicht geteilt Eine weitere Bearbeitunglaumlsst der Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht zu
210 Vgl Nordmann Another parting of the ways S 45211 Der Aussage dass Heideggers Ding-Begriff kantianisch waumlre muumlsste einer gezielten Untersu-
chung unterzogen werden genau wie die Behauptung insgesamt dass Heidegger oder inwie-weit dieser noch der suumlddeutschen Kantschule des 1920 Jahrhunderts angehoumlrte
212 Vgl Luckner Andreas Ding und Bestand Heidegger und das Wesen neuzeitlicher TechnikIn Gamm G Gehring P Hubig C Kaminski A und Nordmann A Ding und SystemS 15-30 hier S 29
213 Hubig Christoph Die Kunst des Moumlglichen Technikphilosophie als Reflexion der MedialitaumltBielefeld 2006 S 103
214 Vgl Hubig Christoph Technik als Medium In Grundwald Armin (Hg) Handbuch Tech-nikethik Stuttgart 2013 S 118-123 hier S 118
50
Dabei versteht Hubig Heideggers Betrachtungen zum Umgang mit der Technik
als gelassen
Fuumlr Heidegger liegt die Andersheit im Entbergen einer Wahrheit des Seinseines Geschicks von dem die Entwicklung der Technik hin zum Gestellkuumlnde Er verbindet dies mit dem Appell jenseits des rechnenden und si-chernden Vorstellens technischer Vollzuumlge als handlungsleitender Program-me sich gelassenlsquo dieser Entwicklung zu uumlberantworten und ein Seinlsquo zuhuumlten das sich als solches eben entbirgt Das Rettendelsquo dieser Einsicht lie-ge darin dass unsere individuelle Endlichkeit insofern transzendiert wirdals sie sich dem sie uumlbersteigenden Prozess aufschlieszligt und sich selbst relati-viert215
Wovon in diesem Zitat nicht die Rede ist ist der Mitvollzug der mythopoe-
tischen Rahmenbedinungen die Heidegger einfordert und an dem die Konzep-
te Abendland und voumllkische Tradition haumlngen In dieser Arbeit wird davon aus-
gegangen dass Heideggers Technikphilosophie-erzaumlhlung sich nicht von seinen
Absichten der Bekaumlmpfung des Technischen loumlsen laumlsst Die Relativierung ist in-
sofern nicht an den Prozess gebunden und damit emergent auf alles hin ausge-
richtet was kommen mag sondern houmlchst konvergent in einer Besinnung auf
Mythen von dem Ding und dem Geviert mit all deren Valenzen aus dem vorlie-
genden Heideggerschen Textkorpus Die individuelle Endlichkeit ist genoumltigt die
Heimat und das Abendland zu kennen und im Aletheia-Prinzip umzusetzen
Die Neubewertung der bislang bekannten Heideggerschen Technikphiloso-
phie von vor den SchwarzenHeften ist ein dringendes Desiderat Voumllkisch-nationale
Gruppierungen erstarken momentan in ganz Europa und es koumlnnte sehr hilfreich
sein aumlhnliche Denkstrukturen aufzudecken so wie sie zwischen den 1930er und
40er Jahren entwickelt wurden Zusaumltzlich muss das Werk Heideggers einer kriti-
schen Revision schon aufgrund der niemals von ihm behandelten Antisemitismen
unterzogen werden Heidegger hat nie zu diesen Stellung bezogen
Daruumlber hinaus ist das Thema Mythos und Philosophie ein weiterhin not-
wendiger Bereich der philosophischen Forschung In einem Bereich auszligerhalb
der exakten Wissenschaften und ohne klare theologische Tradition ist die Philo-
215 Hubig Die Kunst des Moumlglichen S 140
51
sophie beides sowohl Aufklaumlrer und antimythisch als auch Quelle fuumlr mythisches
Denken und affektierende Motive
52
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Die_Heidegger-Kontroverse ndash zuletzt abgerufen am 24042016)
56
Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
Der Unterzeichner versichert dass er die vorliegende Bachelorarbeit selbststaumlndig
verfasst und keine anderen als die von ihm angegebenen Hilfsmittel benutzt hat
Die Stellen der Arbeit die anderen Werken dem Wortlaut oder dem Sinne nach
entnommen sind wurden in jedem Fall unter Angabe der Quellen (einschlieszliglich
des World Wide Web und anderer elektronischer Text- und Datensammlungen)
kenntlich gemacht Dies gilt auch fuumlr beigegebene Zeichnungen bildliche Dar-
stellungen Skizzen und dergleichen
Darmstadt 25 April 2016
__________________________
(Eigenhaumlndige Unterschrift)
- Abkuumlrzungsverzeichnis
- Danksagung
- Einleitung
- Heideggers mythopoetisches Programm
-
- Zu den Begriffen Mythos Mythologie und Mythopoetik
-
- Ein Beispiel fuumlr ein Mythologem
-
- Heideggers Mythen
-
- Formen der Mythologie
-
- Heideggers mythopoetische Technik
-
- Zur Publikationsgeschichte von den Bremer Vortraumlgen 1949
- Die mythopoetische Spiegelung der Schwarzen Hefte
-
- Das Dinglsquo
- Das Ge-Stelllsquo
- Die Gefahrlsquo
- Die Kehrelsquo
-
- Konklusion
- Literaturverzeichnis
- Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
-
9
reiteter Mythologieldquo liegt erst seit 2014 mit der Veroumlffentlichung der Schwarzen
Hefte vor
22 Heideggers Mythen
Heideggers Mythen sind weder eine Fortsetzung antiker Uumlberlieferungen noch
ein von ihm entwickeltes Fabulieren uumlber anthropomorphe Goumltter und ihre Ent-
stehungsgeschichten Es ist in erster Linie eine eigenwillige Philologie des Alt-
griechischen wenn er zB in bdquogeschichtlicher Besinnungldquo zum Zuruumlckgehen bdquoauf
den Zusammenhang von τέχνη ἀλήθεια und οὐσίαldquo30 auffordert Adorno cha-
rakterisiert seinen Begriff vom Jargon der Eigentlichkeitlsquo mit dem Zug der sta-
tischen Inbeschlagnahme einzelner Woumlrter die sich bdquodurch die Konstellation die
sie verleugnenldquo aus demDiskurs sprengten und als Apotheosen eine uumlbertriebene
Eigenbedeutung erhalten wuumlrden Diese guerrillaartige Umdeutung von Sprache
versteht Adorno als Asyl des Faschismus31
Was das singulaumlre Wort an Magie verlor wird ihm gleichwie durch Maszlignah-men dirigistisch angeschafft [] Bestandstuumlcke der empirischen Sprachewerden in ihrer Starrheit manipuliert als waumlren sie solche einer wahren undgeoffenbarten [] Der Jargon objektiv ein System benutzt als Organisati-onsprinzip die Desorganisation den Zerfall der Sprache in Worte an sich32
Die bdquoDesorganisationldquo die Adorno Heideggers Sprachzerfall zuweist ist viel-
mehr eine Neukonstellation im Sinne des Mythos So erscheint es zumindest
anhand der Leese die Heidegger in den Schwarzen Heften zusammentraumlgt Der
deutsch-schweizerische Philosoph Enno Rudolph fuumlhrt in diesem Zusammen-
hang einige Militaumlrmetaphern an die Heideggers Zielsetzung unterstreichen sol-
len mit seinem Sprachsystem voumllkisch-nationale und eben auch antisemitische
Abgrenzungspolitik zu betreiben
30 GA 94 S 336f31 Vgl Adorno Jargon der Eigentlichkeit S 8f bdquoAsyl des Faschismusldquo ist eine treffende Parodie
auf Heideggers Rede von der Sprache als Haus des Seins (su)32 Ebd S 10
10
Am Ende koumlnnten sich Text und Sache moumlglicherweise so darstellen lassen[] dass sich das Gesamtwerk als die labyrinthisch konstruierte letzte Basti-on eines philosophischen Stellungskrieges positioniert in dessen Verlauf derAntisemitismus ndash neben den anderen programmatischen Feindseligkeiten ndasheine strategische Funktion nach Analogie mehrerer einander koordinierterWaffengattungen erfuumlllt [] dass es sich bei den vier Baumlnden um Bausteinefuumlr eine Kampfschrift handelt33
Mit dem Schluumlssel des Verstaumlndnisses der altgriechischen Sprache seiner Liebe
zum Klassikautor Houmllderlin und als selbsterklaumlrter Feind der Metaphysik ver-
stand sich Heidegger als Prophet des Denkens das als Dichtung veredelt An-
athema zur Rationalitaumlt und Wissenschaft (worunter er auch die Philosophie ver-
stand) sein sollte Die strenge Bindung an seine Pseudotradition des Abendlandes
sollte mythologisch festgezurrt sein aber seine Veroumlffentlichungen in Form von
Vortraumlgen und Aufsaumltzen und schlieszliglich in Buchform sollten selbst nicht bloszlig
mythologisch sein ImModus von verhaumlrtetem solipsistischen Narzissmus ging er
daruumlber sogar noch hinaus und wollte sich verstehen als mythopoetischen Autor
seiner eigenen Mythologie
Eine katalysierende Wirkung auf dieses Vorgehen Heideggers hatte der Alt-
philologe Walter F Otto (1874ndash1958) In einem vor den Schwarzen Heften in
2009 veroumlffentlichen Aufsatz schildert der franzoumlsische Germanist Daniel Meyer
von diesem Bezug und untersucht Heideggers Verbindung der Kehre34 und des
Mythos Die Entdeckung des griechischen Mythos Heideggers geschichtsphilo-
sophische Wendelsquo35 Wie es der Titel verraumlt markiert Meyer Heideggers Kehre
zur Seinsgeschichte mit dessen bdquoEntdeckungldquo des Mythologisierens36
33 Rudolph Enno Heideggers Schwarze Hefte im Echo In Philosophische Rundschau Bd 62Heft 2 (2015) S 141-154 hier S 145f
34 Die bdquoKehreldquo ist multifaktoriell mit Bedeutungen besetzt Darauf kann hier nicht eingeangenwerden Im Uumlblichen ist die Kehre zur bdquoSeinsgeschichteldquo gemeint
35 Meyer Daniel Die Entdeckung des griechischen Mythos Heideggers geschichtsphilosophi-sche Wende Germanica 45 (2009) S 13-26
36 Diese Entdeckung ist wie bei Peter Trawny (su) gebunden an Heidegger Topos des AnfangsDen Anfang dieser Rede des Anfangs will auchMeyer erkannt haben Insgesamt koumlnnen nochmehrere starke Aumlhnlichkeiten des Artikels von Meyer mit Trawnys Buch uumlber die Schwar-zen Hefte nachgewiesen werden womit Trawny ohne jegliche Nennung Meyers unter denAnfangsverdacht des Plagierens faumlllt
11
Ottos 1929 erschienenes Werk Die Goumltter Griechenlandslsquo37 sei laut Meyer
der fuumlr Heideggers mythologische Strategie unentbehrliche Einfluss Somit sei
der griechische Goumltterbegriff nicht mehr bdquochristlich antithetisch zu Welt und
Mensch sondern in Einheit damit zu denkenldquo38 Diese Einheit wuumlrde gestif-
tet durch bdquoOttos Formel vom Geheimnis der Beruumlhrung von Goumlttlichem und
Menschlichenlsquoldquo39 Da Meyer das Mythologisieren im Zusammenhang mit der ge-
schichtsphilosophischen Kehre auch im Sinne einer bdquoVorrangstellung des primi-
tiven archaischen von ihm [Heidegger DS] als mythisch verstandenen Den-
kensldquo40 als Weg zum Nationalsozialismus ndash der Traum Heideggers eines neuen
(deutschenabendlaumlndischen) Anfangs ndash versteht liegt dem bdquogriechischen Goumltter-
begriffldquo hier eine besondere Wertlegung zugrunde41
Die Beschwoumlrung des Anfangs des griechischen Ursprungs ermoumlglicht ei-nen genuinen Neuanfang im Sinne einer Annullierung des Vorhergekom-menen Der Ausweg aus der Moderne aus der Welt der Uneigentlichkeitist moumlglich durch einen Bruumlckenschlag zum griechischen Denken [] DieMoumlglichkeit diese Krise zu uumlberwinden ist fuumlr Heidegger 1933 durch dienationalsozialistische Machtergreifung gestellt doch reiht er diesen Prozessin eine legitimierende geschichtsphilosophische Perspektive die auf einengriechischen Ursprungsmythos zuruumlckverweist42
Meyer findet kernige Passagen die er aus Heideggers Schriften und Vorle-
sungen bis 1935 durchaus uumlberzeugend zur Unterstuumltzung seiner These anfuumlhrt
Diese Zitate Heideggers sind der Mythologie der Schwarzen Hefte sehr aumlhnlich als
tentatives Entwerfen
37 Otto Walter F Die Goumltter Griechenlands Das Bild des Goumlttlichen im Spiegel des griechi-schen Geistes Frankfurt am Main 2013Meyer verweist in einer Fuszlignote auf das Buch Heideggerrsquos Roots Nietzsche National So-
cialism and the Greekslsquo von Charles Bambach (2005) das ihm fuumlr diese Aussage Pate stand38 Meyer Die Entdeckung des griechischen Mythos S 439 Ebd Durch eine solche Formel der Einheit von Menschen und Goumlttern ist ein nahtloser
Anschluss an die Goumltter Heraklits und anderer antiker Philosophen geebnet Heidegger hatdiese Moumlglichkeit erstaunlich ernst genommen und ausgearbeitet
40 Meyer Die Entdeckung des griechischen Mythos S 341 Meyer stolperte mit der Begruumlndung dass bdquoDieser erstaunlich unkritische Gottesbegriff []
sich nur im Kontext von Ottos Goumltter Griechenlands verstehenldquo (Meyer Die Entdeckungdes Griechischen Mythos S 4) lieszlige uumlber Heideggers SoSe Vorlesung 1930 Vom Wesender menschlichen Freiheitlsquo (GA 31 S 7f) Ferner vollzieht er Ottos Einfluszlig uumlber die ersteHoumllderlin-Vorlesung von 193435 und weitere Schriften Heideggers nach Es geht Meyerauch stark um das Verhaumlltnis von Heideggers Denken bis und nach Sein und Zeit was indieser Arbeit nicht tiefer behandelt werden kann
42 Meyer Die Entdeckung des griechischen Mythos S 4f
12
Das legt nahe dass Heidegger sein mythopoetisches Texten als Code vor allem
in den Nachkriegsveroumlffentlichungen einsetzt ndash ein Nachruf aus dem gescheiter-
ten Anfang43 Ab 1935 jedenfalls haumltte sich Heidegger von der Vorstellung des
neuen Anfangs verabschiedet44
Das Mythologisieren konstruiert Meyer als Anschluss an die Houmllderlin-Vor-
lesung (193435) Die Houmllderlinsche Lyrik haumltte fuumlr Heideggers bdquophilosophisches
Sprachmaterialldquo Vorbildcharakter da bdquomit Houmllderlin die griechische Mytholo-
gie in ihrer sprachlichen Verbildlichung zum tragenldquo45 kaumlme Die dann staumlndige
Wiederauferstehung der bdquogriechischen Goumltter- und Heldenwelt in seinen Vorle-
sungenldquo schluumlge dem zu Buche In der Vorlesung 193435 Houmllderlins Hymnen
Germanienlsquo und Der Rheinldquo klingt insofern bereits eine Figur an die Heidegger
uumlber zehn Jahre spaumlter in seinen technikphilosophischen Bremer Vortraumlgen mit
seinem Aletheia-Prinzip verbinden wird ndash der bdquoBlitzldquo (su)
43 Eine genaue Untersuchung laumlszligt die Form dieser Arbeit nicht zu sie bezoumlge sich wie gesagtauf die drei Darstellungsebenen der GA mit den Schwarzen Heften (GA 94ndash97) als (Entwurfs-phase) Besinnung (GA 66) Das Ereignis (GA 71) ua als (Konzeptionsphase) und den BremerVortraumlgen (GA79) als (Praumlsentation) die Uumlbergaumlnge sind freilich flieszligend und gerade in denvon Meyer zitierten Vorlesungen erscheinen alle drei Stufen mitunter gleichzeitig Gerade imfolgenden zitierten Doppelband in dem es ua um die bdquoWahrheit der Spracheldquo geht scheintes tatsaumlchlich genau wie Meyer es identifiziert um die Grundlegung Heideggers Mythologiezu gehen die in den Schwarzen Heften vielmehr lemmaartig und sporadisch entworfen wirdMit Heraklits Spruch des Kampfes als Wesen des Seienden zieht Heidegger einen Paten seinerMythos-Logos-Aletheia Kombination heran und versucht seiner eigenwilligen Philologie ei-ne verpflichtende Bedeutungstiefe einzulegenMeyers Zitate Heideggers mit groszliger Relevanz fuumlr diese Arbeit sind die folgenden bdquoDa-
mals als das Volk der Griechen deren Stammesart und Sprache mit uns dieselbe Herkunfthat in seinen groszligen Dichtern und Denkern sich aufmachte eine einzigartige Weise desmenschlichen volklichen Daseins zu schaffen Was da anfing ist bis heute nicht eingeloumlstAber dieser Anfang ist noch nicht und er verschwand nicht und verschwindet nicht dadurchdaszlig die nachkommende Geschichte immer weniger seiner Herr blieb Der Anfang ist nochund besteht als ferne Verfuumlgung die unserem abendlaumlndischen Schicksal weit vorausgreift unddas deutsche Geschick an sich kettetldquo (GA 3637 S 6 Die Grundfrage der PhilosophielsquoSommersemester 1933)bdquoAls μυθος ist das Wort das uumlber den Menschen kommt jenes worin ihm dieses und
jenes seines Gesamtdaseins gedeutet wird nicht das Wort in dem er von sich her Rede stehtsondern das Wort das Weisung gibt [] Aber der urspruumlngliche λογος der Philosophiebleibt dem μυθος verbunden erst die Sprache der Wissenschaft vollzieht die Abloumlsungldquo(Ebd S 116)
44 In den Schwarzen Heften houmlrt die Sehnsucht nach dem neuen Anfang nicht auf also bis ein-schlieszliglich 1948
45 Meyer Die Entdeckung des griechischen Mythos S 6
13
Gewitter und Blitz sind die Sprache der Goumltter und der Dichter ist derder diese Sprache ohne Ausweichen auszuhalten hat aufzufangen und in dasDasein des Volkes zu stellen hat [] Die Dichtung ist ein Weiterwinkendieser Winke in das Volk oder von diesem her gesehen Dichtung ist []ein Zeigen ein Weisen in welcher Weisung die Goumltter offenbar werden46
Die Rede von bdquoWinkenldquo ist bereits ein Selbstbezug benannte der Autor der
Schwarzen Hefte seine ersten beiden Abteilungen des heutigen 94ten Bandes der
GA als Winke x uumlberlegungen (II) und Anweisungenlsquo und uumlberlegungen und
Winke IIIlsquo47 Diese setzen ein im Jahr 1931 und duumlrften moumlglicherweise bis 1933
oder vielleicht auch 1935 gereicht haben Heideggers Selbstuumlberhoumlhung als mys-
tagogisch bdquodichterisch-denkenden Schaffenden ndash also ihm selbstldquo48 erkennt auch
Meyer bereits ohne die eindeutigen Zeugnisse dieses Wunsches in den Schwarzen
Heften Es ist Heideggers Begehren das Volk seiner Fuumlhrung zu unterstellen bdquoso
dass sich das Wesen dieses Landes selbst findet und vollendetldquolsquo49
Meyer spricht in Folge daran davon was Heideggers Ursprungsmythos den
er in die griechische Altertum legt fuumlr diesen leistet Es ist eben das antiwis-
senschaftliche bdquoWissenldquo von einer bdquoUr-geschichteldquo Welche abgruumlndigen Motive
auch immer da hineinzuprojizieren sind (Bodenhaftigkeit arische Reinbluumltigkeit
abendlaumlndische Groumlszlige etc so wie es sich aus den Schwarzen Heften offenbart)
der Mythos verschraumlnkt Heideggers Streben nach Fuumlhrung als Denker und eine
Begruumlndung fuumlr die vermeintliche rassische uumlberlegenheit des deutschen Volkes
Meyer zitiert den Dichter-Denker mit bdquoMythologielsquo ist Wissen von einer Ur-
geschichteldquolsquo Es ginge um
Wissen nicht im archaumlologisch-musealen Sinn sondern als Prozess [] auchim Sinne dass Heidegger im Moment des Aussprechens gerade das leistetwovon er spricht Mythologie50
Augenscheinlich sieht Meyer keinen Grund dafuumlr von einer mythopoetischen
Textform in der Verschraumlnkung von Heideggers Denkerprophetie und der abend-
46 GA 39 S 31f (zitiert nach Meyer Die Entdeckung des griechischen Mythos S 6)47 Aus dem beigefuumlgten Nachwort des Herausgebers Peter Trawny geht nicht genauer hervor
weshalb zuerst bdquoWinke x uumlberlegungen (II)ldquo und dann bdquouumlberlegungen und Winke IIIldquo signi-fiziert sind Es wird hier davon ausgegangen dass es sich schlicht um das Gleiche handeltwobei der erste Teil sich in den bislang verschollenen Schwarzen Heften befinden muss
48 Meyer Die Entdeckung des griechischen Mythos S 749 Ebd Darin zitiert ist die GA 39 S 28950 Ebd Darin zitiert ist die GA 40 S 165
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laumlndischen uumlberhoumlhung zu sprechen Die Paarung von Dichtung und Denken al-
lerdings ist fuumlr den Husserlnachfolger erst der Zweck und die Mythologisierung
das Mittel dazu In seiner Schrift uumlber die Religionsphilosophie und ontologi-
sches Wahrheitsverstaumlndnis bei Walter F Ottolsquo schildert der Altersforscher und
Sozialwissenschaftler Schulz-Nieswandt aus Koumlln uumlber die menschliche Existenz
die bdquoMythopoetik als Seins-Vergewisserungldquo51
In jenem Kapitel seines Otto-Traktats von 2014 schreibt Schulz-Nieswandt
wie ein echter Epigone Heideggers von der Wappnung gegen die bdquoKrise der Mo-
derne ndash Entfremdung Einsamkeit Angst Verzweiflungldquo52 An fruumlherer Stelle
seines Buchs stellt sich dar dass Schulz-Nieswandt sich geradezu mit Heideggers
Linie vereint anstatt sich ihr nur anzunaumlhern
Es geht um das wahre Sein aus der Sicht des zu seinem Wesen gelangendenMenschen in dessen Daseinsfuumlhrung was hermeneutisch erschlossen wer-den soll nicht um Wissenschaft als hermeneutische Methode im Kriterien-spektrum zwischen Verifikation und Falsifikation von Hypothesen mittelsProtokollsaumltzen uumlber die Realitaumlt53
51 Schulz-Nieswandt Frank Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis beiWalter F Otto (1874-1958) Eine strukturalistische und psychodynamische RezeptionBaden-Baden 2014 S 58-60
52 Ebd S 58 Dabei spielt Schulz-Nieswandt die Begriffe Epistemologie gegen Ontologie ausund bezeichnet sich selbst als post-strukturalistisch im Sinne der Kritischen Theorie schrei-bend Jedoch erscheinen diese philosophischen Kontraste nur wie bdquoEdelsubstantiveldquo des vonAdorno gemuumlnzten bdquoJargon der Eigentlichkeitldquo Und in genau diesem Jargon laumlszligt der So-zialwissenschaftler Heideggers Urmythos des Goumlttlichen der griechischen Antike (so) inaktueller Praumlsenz wieder auferstehen Es ist erstaunlich dass jemand der die Kritische Theo-rie fuumlr sich reklamieren will Epigone des bdquoJargons der Eigentlichkeitldquo ist So zeigt es sichauch auf S 28 wenn er in Ottos Dionysos bdquodie ganze Tiefe des Menschen zum Ausdruck[bringt DS] die Todeserfahrung des sterblichen Menschen Dionysos ist Hadesldquo Um nocheinmal zu bestaumltigen wie sich Schulz-Nieswandt als Akteur des Jargons gebiert sei hier Ador-no zitiert (dies gilt allerdings nur der Gegenuumlberstellung zum Vorsatz jener wuumlrde sich ander Kritischen Theorie orientieren ohne fuumlr diese zu advozieren) bdquoDer Heideggerschen Phi-losophie schloszlig sich was einmal Pforte zum ewigen Leben war zu sie betet statt dessenWucht und Groumlszlige des Tores an [] Sein wuumlrdevolles Gehabe ist Reaktionsbildung auf dieSaumlkularisierung des Todes [] Darum wird Sinn in den Tod geworfenldquo (Adorno Jargonder Eigentlichkeit S 134)
53 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei WalterF Otto S 15
15
Beiden gemeinsam ist auch die Faszination an Houmllderlin die sie ebenso mit Otto
teilen
Die ganze Eigenart des Denkens von Otto kommt in dem komplett innerenVerhaumlltnis zu Heidegger und Houmllderlin zum Ausdruck54
Nur noch ein Gott kann uns rettenlsquo so das Zitat des Spiegelinterviews das Ja-
kob Augstein zum Titel machte ist die kodierte Mythopoetik auf die sich die
Spiegelleser keinen Reim machen konnten Fuumlr Heidegger fuumlr den das Sein in der
Sprache wohnen sollte55 ging es um den Mythos der Naumlhe zur Antike als Naumlhe
zu den Goumlttern
Fuumlr Houmllderlin war die Theologie der Abwesenheit Gottes als uumlberweltlichePraumlsenz der Verlust der Gotteserfahrung des diesseitig verankerten Men-schen [] Die Antike wird als eine von Goumltternaumlhe charakterisierte Zeitvon Houmllderlin verstanden und erneuert (der kommendelsquo Gott) ersehnt56
Dies ist eine der Leit-Mythen Heideggers insbesondere wenn man sich die Nach-
kriegsvortraumlge ansieht (eben die Bremer Vortraumlgelsquo)
Die Aufhebung der Trennungsangst durch die bdquoAbwesenheit der Goumltterldquo uumlber-
winde der in existenzieller Angst befindliche bdquohomo abyssusldquo mittels bdquoder lie-
bevollen Gestaltung als Sich-Einrichten des Menschen [] als apriorischer Mo-
dus des In-der-Welt-Seinsldquo durch die bdquoEwigkeit der Mythopoetikldquo57 Fuumlr Schulz-
Nieswandt ist Mythopoetik eben nur dieses ein peganistischer Goumltterdienst der
den Kanon der Ottoschen Antike mit Houmllderlin interpretiert Insofern versteht
dieser versuchte Religionsphilosoph der eigentlich Sozialforscher ist Heideggers
Mythologie als schoumlpfend aus geteilter Quelle mit Mythen als Gemeinplaumltzen
derer sich der Denker-Dichter philologisch sicher bediene
Dabei geht es Schulz-Nieswandt umHeideggers Aletheia-Prinzip das er bdquoWahr-
heitsbegriffldquo nennt ndash welches bdquoDie Differenz der Technik als Herrschaft uumlber
54 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei WalterF Otto S 20
55 Vgl GA 7 S56 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei Walter
F Otto S 2157 Vgl Ebd S 59
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Dinge von der Kunst als Schoumlpfung als Lichtung des Seins zur Wahrheit unter-
scheidetldquo58 Houmllderlins Goumlttliches waumlre darin vermisst und von Bedarf fuumlr den
Menschen Mit der Nomenklatur der griechischen Goumltter Houmllderlins und Ottos
ginge es beim Wahrheitsprinzip um bdquodie Erinnerung an Dionysos als der wie-
der kommende Gott []ldquo sie bdquofuumlhrt zur Lichtung des Seins als Wahrheitldquo59 Der
Mensch waumlre also Hirte seines Seins nicht Herr der Technik zum Sein bdquoDas Sein
ist den Menschen nicht technisch verfuumlgbar Die notwendige Einkehr wird zu
Heimkehrldquo60
Insofern zeichnet Schulz-Nieswandt ganz in Heideggers Sinne nach wie Hei-
mat und Irrationalitaumlt des Mythos zusammenfallen im Kanon der Goumltter-Mytho-
poetik Zum einen ist allerdings Heideggers Mythologie nicht so sehr an diese
Mythopoetik uumlber die Goumltter gebunden sondern bewegt sich frei im eigenwil-
ligen Auslegen von altgriechischen und deutschen Begriffen Zum anderen ist es
erstaunlich dass Schulz-Nieswand 2014 die Bedeutung der Mythopoetik fuumlr Hei-
deggers Ursprungsmythos des neuen Anfangs ignoriert und damit auch die gan-
ze voumllkisch-nationale Aura und damit die Abgrenzungspolitik Vor allem aber
richtet sich Heidegger nicht in einer bdquoliebevollen Gestaltungldquo menschlich ein
wie Schulz-Nieswandt es schon pathetisch darstellt sondern befeinded sich mit
allem ihm Zuhandenen als bdquoRaprochementldquo61 in alle Richtungen und pocht auf
bdquogeschichtliche Besinnungldquo als bdquoAuftrag des Deutschenldquo62
221 Formen der Mythologie
Mit den zwei oben herangezogenen Arbeiten uumlber Mythologisieren und Mytho-
poetik Heideggers sollte in dieser Arbeit das Verstaumlndnis seines Projekts der an-
tirationalen und antitechnischen Ausrichtung in den aktuellen Forschungsstand
gestellt werden Um welche Mythologie es sich in den Schwarzen Heften handelt
wird im Folgenden aufgedeckt werden Bereits in dem ersten Heft der Denktage-
58 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei WalterF Otto S 58
59 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei WalterF Otto S 59
60 Ebd61 Wolin Richard Heideggers bdquoSchwarze Hefteldquo Nationalsozialismus Weltjudentum und Seins-
geschichte In Vierteljahrsheft fuumlr Zeitgeschichte Bd 63 Heft 3 S 379-41062 GA 94 S 66
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buumlcher verschmilzt Heidegger seine Vision von Dichten und Denken stellt sich
unter dieses Ideal
Dichten undDenken ineinander geschlungen und so waumlre ihrWas im verbindend-trennenden Bestimmen gewonnen63
Als bdquoAusgriff in den Begriffldquo versteht Heidegger dies als bdquovorschreibend-bildenden
Entwurfldquo der hinfuumlhrend zum Ereignis des Aletheia-Prinzips waumlre ndash
(Dichtung als Mythos
Dichtung als Dichtung im engeren Sinne gtgtGedichtltlt
Dichtung als Philosophie)64
Grundsaumltzlich ist die lose wirkende Legion von Lemmata nicht mit einer
Ruumlckfuumlhrung seiner Gedanken auf bestimmte griechische Goumltter und antike (ech-
te) Mythen besetzt Heidegger fetischisiert Begriffe und mythologisiert die von
ihm aufgepfropfte Bedeutung durch ein staumlndiges Wiederholen und Weiterden-
ken als bdquoWissenldquo wie Meyer es herausgearbeitet hat In dieser philosophischen
Alchemie sieht sich Heidegger als Denker als Bewahrer einer uralten Lehre die
eben neu widererstarken muumlsse Das hat Meyer auch schon klar gemacht Die My-
thopoetik erscheint aber hauptsaumlchlich nicht in den Schwarzen Heften sondern in
den Vortragspublikationen sich auf seine private Mythologie beziehend die in
den Schwarzen Heften zu Grunde gelegt wird
Die Mythen Heideggers drehen sich wie Meyer zurecht behauptet um den
Ursprung bei den Griechen den bdquoGrund der Geschichte des Abendlandesldquo65
Aber auch um die vielen Binaritaumlten die sich entgegengesetzt werden und tat-
saumlchlich wie der Heidegger-Herausgeber und Initiator und Leiter des Wupper-
taler Heidegger Instituts Peter Trawny es benannt hat auf einen Manichaumlismus
zulaufen66 Die Abgrenzungspolitik im Sinne des schuumltzenswerten abendlaumlndisch-
heimatlichen Deutschlands richtet sich gegen den inneren Feind vorangetrieben
63 GA 94 S 6564 GA 94 S 6665 GA 96 S 20566 Trawny Peter Heidegger und der Mythos der juumldischen Weltverschwoumlrung Frankfurt am
Main 2015 S 22Das hier aufgefuumlhrte Buch birgt einige problematische Umformungen zum Verhaumlltnis von
Heideggers Antisemititsmus Allem voran versucht es eine Begriffsbildung zu formen nach
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von der Rechenhaftigkeit des juumldischen Wesens und die aumluszligeren Feinde wie Ameri-
kanismus franzoumlsische Kultur russischer Bolschewismus usw Heideggers Urmythos
vom neuen Anfang ist verquickt mit einem selbstangedichteten Personenmythos
was ebenfalls Meyer schon erkannt hat Dieses Schema ist die Grundstruktur
Immer deutlicher wird in mir die Ahnung daszlig unsere Heimat der Kerndes suumldwestdeutschen Landes [er selbst DS] der geschichtliche Geburtsortdes abendlaumlndischenWesens sein wird [] es ist das Geistvolle und zugleichdas erdenhafte schoumlne Land Es birgt unsichtbaren Reichtum dem Gemuumltbewahret tiefstes Dichten und houmlchste Gestalt der Sage67
Die mitunter wichtigste Dichotomie die Heidegger in den Denktagebuumlchern
aufwirft ist die zwischen Historie und Geschichte Es ist insofern nicht nur der
Mythos des neuen Anfangs der Heideggers Denken uumlber fast zwei Dekaden be-
stimmt sondern umso mehr die doppelte Projektion ndash des Verfalls (Machenschaft)
in eine Konstruktion von Historie und des Bestehens (Sein) in die konstruierte
Geschichte68 Geschichte faumlllt dann schlieszliglich mit der Schaffung des neuen An-
fangs so zusammen wie Historie mit Technik verschraumlnkt wird Geschichtlichkeit
muss durch das Prinzip des Ereignisses der Aletheia prozessiert werden waumlhrend
die verrationalisierte wissenschaftliche technische Historisierung des Lebens und
der Lebenswelt dem widerstrebt
Die Bindung von Heideggers Vorstellung des richtigen Lebens im Sein mit
demAbendland und einer voumllkisch-nationalen Groumlszlige undUumlberlegenheit Deutsch-
lands ist dabei ausschlaggebend Denn mit der Charakterisierung des Guten auf
derer Heideggers Antisemitismus mittels Heideggers Denkmethode behandelt aufgehobenwerden koumlnnte Die Hauptbegriffe darin sind bdquoSeinsgeschichtlicher Antisemitismusldquo undbdquoKontamination des Denkensldquo Von einer tieferen Auseinandersetzung muss an dieser Stelleabgesehen werden
67 GA 97 S 5468 In Band 66 der GA gibt es bereits einen kleinen Abriss der Historie und Techniklsquo die der Ge-
schichte gegenuumlbergestellt werden Das dies eine Uumlbertragung der Gedanken aus den Schwar-zen Heften ist ist ohne Zweifel Ein ansatzweise philosophisches Vorgehen vermengt sichdort mit dem poeto-mythologischen Denken Heideggers In Sachen mythopoetischer Figu-ren undMetaphernreichtum haumllt sich dieser dort aber noch zuruumlck (auch wenn er hier bereitsoumlffentlich vom bdquohistorischen Tierldquo redet) Die Absicht Technik und Historie als Verstellungdes abendlaumlndischen Menschen zu brandmarken stehen dabei im Vordergrund Weiterhinsoll in dieser Arbeit allerdings der Fokus auf den Schwarzen Heften und der Mythopoetik inden Technikvortraumlgen der Nachkriegszeit liegenDer Duden sieht Geschichte und Historie als Synonyme Von einer Ethymologie und der
Spekulation von Heideggers Gruumlnden der Auseinanderhaltung der zwei Synonyme soll hierabgesehen werden
19
der Seite des Seins sind die Feinde dessen eine Notwendigkeit seines Erklaumlrungs-
schemas Dabei sind es vor allem die Juden denen die Wurzel des Antiseien-
den von Heidegger in ihr vermeintliches Wesen geschrieben wird Exemplarisch
spricht dafuumlr dieses Zitat aus Band 96
Die zweite Machtsteigerung des Judentums aber hat darin ihren Grund daszligdie Metaphysik des Abendlandes zumal in ihrer neuzeitlichen Entfaltungdie Ansatzstelle bot fuumlr das Sichbreitmachen einer sonst leeren Rationalitaumltund Rechenfaumlhigkeit die sich auf solchem Wege eine Unterkunft im Geistlsquovarschaffte ohne die verborgenen Entscheidungsbezirke von sich aus je zufassen zu koumlnnen69
Diese Vorstellung ist eine Konkretisierung dessen was Heidegger mit den Uumlber-
begriffen Historie vs Geschichte einige Jahre vorher begann zu topografieren
Wir sind durch die Historie geschwaumlcht [] ndash wir koumlnnen nur durch das ge-rettet werden was uns in seiner Verfaumllschung widert ndash durch die Geschich-te70
Dieses bdquoWirldquo sind die glorifizierten Deutschen vor allem nach der Ableitung von
den Griechen uumlber Houmllderlin (und dessen Griechen) und Nietzsche zu ihm und
seinem kleinen Kreis von ihm anerkannter Intellektuellen-Kollegen wie etwa
Carl Schmitt Oswald Spengler Walther F Otto und Ernst Juumlnger Die Luft auf
Heideggers Denker-Olymp ist duumlnn und bekommt nur Wenigen
Die Geschichte in Heideggers solipsistisch-immanenten Nachdenken erklaumlrt
sich wie gesagt immer zusammen mit der Hoffnung auf den neuen Anfang und
als Besinnung auf das Denken als Akt gegen die Historie Die Paarung der zwei
Woumlrter bdquoGeschichteldquo und bdquoBesinnungldquo durchzieht in deutlicher Haumlufigkeit alle
vier Baumlnde der Schwarzen Hefte ndash bdquogeschichtliche Besinnung [] ist die Uumlberwin-
dung der Historie und des Historismusldquo und sie bdquobedarf der houmlchsten Strenge
hinter der die historische Exaktheitlsquo weit zuruumlckbleibtldquo ndash somit ferner bdquonur wer
Geschichtemacht vermag sie auch zu errettenldquo71 Das oben mit Meyer und Schulz-
69 GA 96 S 4670 GA 94 S 26771 GA 94 S 358f
Dass die Besinnung eine militante Perspektive hat laumlszligt sich auch in Heideggers Vereh-rung Heraklits ldquoDer Krieg ist der Vater aller Dingerdquo finden Heidegger sah sich selbst alsDenker als Propheten des Seins Aus dieser Warte betrachetete er zuerst den Nationalsozia-
20
Nieswandt bereits aufgezeigte Bereiten des Goumlttlichen legt Heidegger in seinen
Begriff der Geschichte
Geschichte ndash das Gewagtwerden der Goumltter nur Groszlig als Untergang oderSieg ndash nicht Dauerlsquo wesentlich ndash sondern die Abgruumlndigkeit der Erstrei-tung ndash Opfer und Weile
Historie ist bei Heidegger bdquogeschichtliche Entwurzelungldquo die bdquoTyrannei der
Technikldquo bdquoSelbstvergoumltterungldquo und bdquoAbgoumltterei der Technikldquo72 In einer skizzen-
haften Emanationsfolge wird dieHistorie als Modus der Technik auf sich selbst zu-
ruumlckgefuumlhrt bdquoDas Riesige ndash [] Historie die Technik der Geschichtelsquo Technik
Die Historie der Naturldquolsquo73 Es ist vage annehmbar dass Heidegger hier die Tech-
nik als rechenhafte machenschaftliche Historisierung der Natur versteht die vor
dem Geschichtsbegriff stattgefunden haumltte Diese wiederum haumltte die Geschichte
in die rechenhafte Machenschaft verfremdet Wie ein Apparat erscheint Heidegger
der Gegenstand seiner Historie zu sein die sich automatisch durchsetzen wuumlrde
Die Historie stellt zunaumlchst das Nacheinander der Begebenheiten dessenwas vorbeizieht (passiertlsquo) her [] Sie erklaumlrt dann Spaumlteres aus dem Fruuml-heren sie findet sogar dass Ideen die Geschichtelsquo bestimmen74
Den historisierend narrativen Umgang mit Geschichte als Wissenschaft emp-
findet Heidegger als Technisierung derGeschichte Diese wiederum basiert auf den
statischen Topoi seiner Mythen von Vaterland Bauerntum Houmllderlin alten Grie-
chen den Goumlttern etc und der Anwendung des Aletheia-Prinzips im Ereignis
Das ist ein Tugendenkatalog der Deutschtuumlmelei mit einer paumldagogischen Kom-
ponente seine Mythologie im Aletheia-Prinzip zu praktizieren Er nennt dieses
Geschaumlft auch Denken und ahnt dessen Feinde bdquodie Forscher die in der Technik
ihres Arbeitens keine Reibung dulden und ihr Wissen fuumlr den Geist haltenldquo75
lismus und nach dem Krieg den real existierenden Sozialismus des Ostblocks im Zuge deratomaren Aufruumlstung als Vollstrecker Macher der Geschichte die den neuen Anfang ebnensollten Dass Heidegger diese bdquoklaumlrendeldquo Wirkung tatsaumlchlich spaumlter den Russen zuschreibtlaumlszligt sich in Band 97 der GA zweifelsohne nachvollziehen Hier kann aus Gattungsgruumlnden(BA-Thesis) nicht naumlher auf dieses Faible fuumlr absolutistische Regime eingegangen werden Je-denfalls ist die geschichtliche Besinnung und der Kriegsakt ein Widerspruch den Heideggerjedoch gleichsam adressiert Auch dies kann hier nicht weiter untersucht werden
72 GA 9473 GA 95 S 35174 GA 96 S 6275 GA 97 S 509
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Insofern verschraumlnkt Heidegger das bdquohistorisch-technischeldquo zum Antagonis-
ten der bdquogeschichtlichen Besinnungldquo Es ist die Entwicklung einer historisch-
geschichtlichen Differenz unter dem Zeichen der Besinnung gegen die techni-
sche Machenschaft ndash es geht um zwei unterschiedliche Wissenssysteme76 In den
Schwarzen Heftenwird Technikmeistens als eine Seite der Muumlnze mit der anderen
der Historie genannt Sie haumltten eine schon angedeutete dualistische Dynamik
Wo beide Historie und Technik in solcher scheinbaren Gegensaumltzlichkeitverkoppelt sind koumlnnen sie sich zur Foumlrderung dessen zusammenschlieszligenwas einstmals wesentliche die Geschichte des Menschen mitbegruumlndet undwas wir die Kunstlsquo nennen Die Historie verschafft [] Anregungen undVorbilder der Nachahmung die Technik erleichtert [] die Zustellung vonDarstellungsmitteln und Wirkungsformen [] Gleichwohl ist alles wurzel-los [] berechnet und als Erlebnislsquo ausgegeben77
Diese vermeintliche Gefahr muumlnde als bdquoZuumlgellosigkeit des Historismusldquolsquo in der
bdquoBodenlosigkeit [] (das Judentum)ldquo78 Heideggers Mythos ist hier dieser bdquoWir
muumlssen zuvor geschichtlich sein [] Ohne diese uumlberlieferung verfaumlllt alles der
historisch-technischen Machenschaftldquo79
Heidegger mythologisiert uumlber den bdquoAuftrag des Deutschenldquo80 will in bdquoge-
schichtlicher Besinnung sehr weit zuruumlckgehen ndash auf den Zusammenhang von
τέχνη ἀλήθεια und οὐσίαldquo81 um Technik auf ihr Wesen im antiken Ursprung
zuruumlckzufuumlhren bdquoDie techne hat [] den Sieg uumlber die [] aletheia errungenldquo82
Heidegger will sie zuruumlckgewinnen Er will der Technik aus dem bdquoEreignisldquo83
wieder uumlbermaumlchtig werden und sieht das bdquoWesen des Vaterlandesldquo84 im Abend-
land Dabei ist es ihm unentbehrlich zu wissen bdquodaszlig das Griechentum [] und
76 Heideggers noch immer vorhande Rezeption in Puncto seiner Technikphilosophie erstauntdamit dass sein Prinzip der aletheiologischen Besinnung als alternatives Wissenssystem undTechnikkritik ob der eigenwilligen Konstruktion den Entwicklungen der Zeit standhaumllt
77 GA 95 S 21278 GA 95 S 9779 GA 96 S 10480 GA 94 S 6681 GA 94 S 35782 GA 95 S 13283 Ebd84 GA 96 S 52
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nicht das Roumlmertum der Grund der Geschichte des Abendlandes istldquo85 Sein My-
thos von Heimat verknuumlpft sich uumlber Dichtung und Ereignis zu einem fuumlr die
Technikphilosophie essentiellen Bezugs-Topos
Wir brauchen keine Technik [] Das Wesen des Vaterlandes ist das Abend-land In ihm werden die Deutschen erst deutsch und erkennen die Muttervon Allem die unversehrte Erde [] Die Wahrheit erfahren wir im Ge-daumlchtnis Das Gedaumlchtnis ist die Dichtung Die Dichtung sagen der Denkerund Saumlnger in ihrem Gespraumlch Dieses Gespraumlch erst ereignet dichterisch dieDichtung in die Sprache (die Dichtung das Ereignis und das Ereignis dasAbendland) [] Wohnt in seiner Sprache [] seyd dem Seyn im Seyn Soist Sein das Seyn86
Eine weitere mythologische Form haben seine Fuumlgungen von Jahreszahlen
womit er bereits in den Bereich des Okkulten Mystischen abzurutschen droht
Houmllderlin wurde [] 1770 geboren [] 1870 aber Lenin Waumlhrend der []Lebenszeit Houmllderlins vollzogen sich die entscheidenden technischen Entde-ckungen und Erfindungen der neuzeitlichen Technik (1774ndash1806)87
Und ferner bdquo1807 Phaumlnomenologie des Geistes 1867 Das Kapital 1927 Sein
und Zeitldquo88
Als letzter Mythos sei hier sein Aufgriff der Spenglerschen Metapher des
Raubtiers89 aufgezeigt Uumlber weite Strecken philosophiert Heidegger uumlber das his-
torische Tier Das historische Tier muumlsse vernichtet werden die bdquodeutsche Zukunft
wirdlsquo nicht erst seinlsquo sie istlsquo schon seit Houmllderlin sie stifteteldquo90 Der Homo
faber ist fuumlr Heidegger das historisch-technische Tier qua der bdquoAngewiesenheit auf
das Tierhafte als Wesensgrundldquo91 Es fehle ihm was bdquodie Griechen als Anfangen-
deldquo mit der bdquoZugewiesenheit des Menschen zum Sein gewagt habenldquo92 wodurch
85 GA 96 S 20586 GA 97 S 52f Hierbei handelt es sich um eine Nachkriegsnotiz Heidegger aumlnderte den die
Adressierung in eine direkte Ansprache richtet sich an seine imaginierte Volksgemeinschaft87 GA 96 S 17488 GA 97 S 131 Womoumlglich ist es eine Uumlbung per Jahreszahlen das Aletheia-Prinzip zu prakti-
zieren eine Kontemplationshilfe Andererseits koumlnnte er auch der Regelmaumlszligigkeit der Zah-lenfolgen eine uumlbernatuumlrliche bdquoWahrheitldquo beimessen Dies bleibt an dieser Stelle unerforscht
89 VGl Spengler Oswald Der Mensch und die Technik Muumlnchen 1931 S 1090 GA 95 S 19791 GA 95 S 32092 GA 95 S 321
23
er den bdquoGoumlttern unertraumlglich gewordenldquo93 waumlre Das bdquoRaubtierldquo dem gegenuumlber
bdquoist die Urform des Heldenlsquoldquo94 Dann behauptet Heidegger dass das Raubtier das
historisch-technische Tier durch Anwendung seiner eigenen Waffen schlagen koumlnn-
te Es ist dabei die bdquoUumlberwindung der Metaphysikldquo mitgedacht die erfolge sobald
sich das metaphysische Fragen durch den Wille zum Willen verfestigt95 Auch
Spengler dachte an dieses Derivat des Nietzsche Topos vomWillen zur Macht das
er seiner antropomorphen Chimaumlre vom Raubtiermenschen eingibt Wieder ist
von der Gewalt die Rede die ein Tabula rasa schaffen sollte zur Wiederauferste-
hung des griechisch-abendlaumlndischen Anfangs in Deutschland bdquoDas Raubtier aber
mit denMitteln der houmlchsten Technik ausgestattet ndash vollendet die Verwirklichung
der brutalitas des Seinsldquo96
Es scheint so als haumltte Heidegger auf jeden Begriff einen Gegenbegriff (selbst
zum historisch-technischen Tier das Raubtier)97 Aber es geht hier nicht um die
Analyse ausgewogener Formprinzipien oder die Kritisierung seiner linguistischen
philologischen Faumlhigkeiten Die Zitierung der Heideggerschen Mythologie soll
seine Verbindung von voumllkisch-nationaler und antisemitischer Haltung mit den
Bedingungen und Anspruumlchen seines Philosophierens aufzeigen Da die Schwar-
zen Hefte wie alle sonstigen Werke seines philosophischen Schaffens in der GA
erschienen sind muumlssen sie insofern als Teil derer gelten Das bedeutet dass sie
ausreichend Relevanz fuumlr die Arbeiten uumlber die Technik haben98
93 GA 95 S 23694 GA 95 S 39795 Vgl GA 7 Uumlberwindung der Metaphysik S 7896 GA 95 S 39797 Vgl Rudolph Heideggers Schwarze Hefte im Echo S 151 bdquoKeiner hat Nietzsche so konse-
quent und wahnwitzig zumNazi avant la lettre verformt wie Heidegger und keiner hat einenzuvor gewaltsam gefuumlgig gemachten Nietzsche so konsequent instrumentalisiert um damitdie vulgaumlr- nationalistische Dekadenz im Sandwich zu geiszligeln wie Heidegger Die Philolo-gie ndash auch die klassische ndash (Colli Cancik Montinari) hat Nietzsche inzwischen laumlngst mitnachhaltigem Erfolg rehabilitiert Wer jetzt noch einen roten Faden von Nietzsche zu Hitlerzieht hat nur noch Heidegger auf seiner Seiteldquo
98 Zum Abschluss dieses Kapitels sei hinzugesagt dass der Veranschlagung der Beispiele vonHeideggers Mythologie ein Exzerpt von 13 Seiten aus 1700 Seiten Text der vier Baumlnde derSchwarzen Hefte zugrunde liegt Beim Studium dieser fielen die staumlndigen Repetitionen derimmer gleichen Figuren und Metaphern auf Daraus wurde geschlossen dass es sich um eineMythologie handeln kann was ein weiteres Forschen bestaumltigte Die hier zitierten Stellensind Topoi die sich in Huumllle und Fuumllle in jedem der vier Baumlnde finden lassen was ihrenmythischen Charakter unterstreicht Die Auswahl versucht ein besonders charakteristischesBild wiederzugeben
24
3 Heideggers mythopoetische
Technik
War Heidegger von seinem neuen Anfang nur zu traumlumen vergoumlnnt so gelang
ihm selbst aber die Wiederauferstehung aus der Asche des ZweitenWeltkriegs mit
der Vortragsreihe in Bremen (1949) uumlber die Technik Der Phoumlnix erweist sich
mittlerweile als Ikarus Anstatt sich selbst zu revidieren fordert Heidegger eine
Kehre ein die auf sein Programm der geschichtlichen Besinnung zum Ursprung ab-
zielt Rezipienten seiner Technikphilosophie taten zumeist seine voumllkischen und
nationalsozialistischen Verstrickungen mit der Niederlegung des Rektorats ab99
Sie glaubten an einen inneren Wandel Heideggers eine Laumluterung und sogar an
seinen geistigen Widerstand uumlber die Naziherrschaft hinweg100 Heute ist erwie-
sen wie Heidegger es aus seinem posthumen Gestaumlndnis in die Welt lecken laumlsst
dass er auf seine private Weise eine Form Nationalsozialismus hegte der die NS-
DAP und Hitler zwar als Vulgaumlrnazis kulturell degradierte aber sich selbst als
Denker-Nazi gerierte
Wie damit umzugehen ist steht aktuell in der Verhandlung Wie Rudolph es
behauptet stuumlnden die Heideggerianer bdquonun mit wertlosen Aktienldquo101 da Der
Kommunikationswissenschaftler Christian Fuchs sieht den Antisemitismus den
die Schwarzen Hefte zutage treten lassen als Notwendigkeit einer rigorosen Ver-
bannung Heideggers aus der technikphilosophischen Theorie102
99 Vgl Luckner Andreas Heidegger und das Denken der Technik Bielefeld 2008 S 64-69100 Vgl Babich Babette Nietzsche Heideggers Widerstand In Alfred Denker u Holger Zabo-
rowski (Hg) Heidegger-Jahrbuch 5 Heidegger und der Nationalsozialismus II Interpreta-tionen S 397-416
101 Rudolph Heideggers Schwarze Hefte im Echo S 146102 Vgl Fuchs Christian Martin-Heideggerrsquos anti-Semitism Philosophy of technology and the
media in the light of the ldquoBlack Notebooksldquo Implications for the reception of Heidegger inmedia and communication studies In tripleC Communication Capitalism amp Critique 13(1) (2015) S 55-78 hier S 74 Anstatt dessen pocht Fuchs auf die alternative Verwendungder Kritischen Theorie uumlber Fragestellungen zur Technik
25
It seems to me that Heideggerrsquos fetishism is often lrsquoart pour lrsquoart Heideg-ger pour Heidegger a tactic that aims at creating an aura of complexity byevoking Heidegger although the same content could be expressed withouthim103
Fuumlr Trawny waumlre dies ein bdquoperformativer Widerspruch [] stets daran zu erin-
nern Heidegger vergessen zu sollenldquo104 Quo vadis Heidegger
Die objektive Antwort Rudolphs der an den Commonsense und die Beweis-
last der Anklage glaubt wie auch der subjektive Appell Fuchs der es zur mora-
lischen Entscheidung des Einzelnen macht Heidegger zu vernachlaumlssigen setzen
aktuell die Jahrzehnte alte Tradition der Heidegger-Kontroverse fort Ein im Sep-
tember 2016 erscheinender Sammelband wird zusaumltzlich die Debatte mit neuen
Bewertungen anreichern105
In diesem Kapitel soll es nicht um die direkte Einreihung in eine der bestehen-
den Polemiken gehen sondern um den Versuch der Betrachtung der spaumlten Tech-
nikphilosophie Heideggers als mythopoetische Dichtung in seinem Sinne des
Philosophierens Als exemplarisches Werk ruumlckt damit das Vortrags-Geviert der
Bremer Vortraumlge ins Zentrum der Anschauung106 Hier wird davon ausgegangen
103 Ebd S 73104 Trawny Heidegger und der Mythos der juumldischen Weltverschwoumlrung S 141105 Heinz Marion und Kellerer Sidonie (Hg) Martin Heideggers raquoSchwarze Heftelaquo Eine
philosophisch-politische Debatte Berlin 2016 (im Druck) Aus dem Klappentext diesesTitelsbdquoOffene antisemitische Aumluszligerungen in diesen Denktagebuumlchern haben in der nichtakade-
mischen Oumlffentlichkeit fuumlr Empoumlrung gesorgt Die entscheidende Frage ist jedoch welcheVeraumlnderungen der Perspektive auf Heideggers Denken insgesamt sich dadurch ergebenund ob damit zugleich eine Neubewertung des Gesamtwerks eines der einflussreichstenPhilosophen des 20 Jahrhunderts noumltig istldquoEine der Herausgeberinnen des Bandes Sidonie Kellerer ist zudem an einem anlaufenden
fuumlnf jaumlhrigen Forschungsprojekt an der Universitaumlt Stuttgart im Rahmen des StuttgartResearch Centre for Text Studies beteiligt Heidegger und die Postmoderne Geschichteeiner Irrefuumlhrungiquest Sie und der Stuttgarter Literaturwissenschaftler Claus Zittel werden Hei-deggers ideologische Verstrickungen in den Nationalsozialismus untersuchen die textlichrekonstruierbar aber nachtraumlglich geklittet worden waumlren bdquoSo konnte die Wissenschaft-lerin Dr Sidonie Kellerer anhand des Vortrages Die Zeit des Weltbildeslsquo erstmals 1950veroumlffentlicht [sic] dass zahlreiche Passagen nachtraumlglich so modifiziert wurden dass dieurspruumlngliche Apologie des Nationalsozialismus nunmehr als Kritik am Regime gedeutetwerden konnte Die 2014 erschienenen Schwarzen Heftersquo mit persoumlnlichen AufzeichnungenHeideggers bestaumltigen zudem wie tief verankert in seiner Philosophie Rassismus undNationalsozialismus waren und bliebenldquo(httpwwwuni-stuttgartdehkompresseservicepressemitteilungen201567_kellererhtmlzuletzt abgerufen am 1442016)
106 Von einer umfassenderen Analyse der Schriften Heideggers zur Technik muss aus Platzgruumln-den abgesehen werden Die Voumlrtraumlge vom Ge-stell der Technik der Kehre und dem Dingsind vor allem wegen ihres Publikationszeitraums interessant da sie direkt an die Dokumen-
26
dass Heidegger den Versuch der abgrenzungspolitischen Einflussnahmemacht ge-
maumlszlig der oben dargelegten Ressentiments die sich in einer Mythologisierung des
Abendlandes niederschlagen Um seinem Ideal des dichtenden Denkens als Philo-
sophieren nachzukommen will Heidegger diese Einschreibung des Abendlandes
mythopoetisch vollfuumlhren
Grundsaumltzlich ist Verbindung und Trennung Heideggers boumlser Schwarzer Hef-
te mit und von seiner guten Technikphilosophie das Schlachtfeld aktueller De-
batten Wie bereits darauf hingewiesen werden hier Schwarze Hefte und Veroumlf-
fentlichungen wie eben in Form der Bremer Vortraumlge als ein kontinuierlicher
Arbeitsprozess gesehen Es gibt insofern nur einen Heidegger und keine gespal-
tene Persoumlnlichkeit Die Siegener Philosophin Sodonie Kellerer stellt dies anhand
Heideggers Selbstsicht luzide dar
Seine immer wiederkehrende Beschwoumlrung des Werkeslsquo und seine an diver-sen Stellen der bislang vorliegenden Briefkorrespondenz artikulierten Be-muumlhungen dieses Werklsquo fuumlr die Nachwelt zu sichern [Kellerer bezieht sichhier ua auf Heideggers Briefwechsel mit seiner Frau der 2007 veroumlffentlichtwurde DS] verdeutlichen wie sehr er seine Texte als ein Ganzes verstandin dem keines der Teile entbehrliche Wiederholung geschweige denn irrele-vante Eroumlrterung ist107
Dabei allerdings wird die Frage offen bleiben mit welchem Maszlig er sich selbst ge-
faumlhrdet sah seine Ansichten oumlffentlich zu vertreten und welche Konsequenzen er
dabei fuumlrchtete Denn er musste die Vortraumlge kodieren ndash was er im Sinne der My-
thopoetik auch macht ndash und mit Einigem hinterm Berg halten108 Dass es dabei
verschiedene Offenbarungsebenen gibt wird hier erst einmal hingenommen Es
interessieren staumlrker nachweisbare Bezuumlge des Entwurfsdenkens Heideggers zur
Oumlffentlichkeitsarbeit von ihm109
te der Schwarzen Hefte anschlieszligen (1948 der letzte Band der Schwarzen Hefte umfasst denZeitraum 1942-1948)
107 Kellerer Sidonie Kampf der Besinnung In Deutsche Zeitschrift fuumlr Philosophie Band 63Heft 5 Seiten 941ndash957 hier S 942
108 Weshalb die Veroumlffentlichung der Schwarzen Hefte auch weitestmoumlglich nach hinten verlegtwurde
109 Wuumlrde man dem entgegenhalten dass Heideggers vermeintliches Genie aus Formalisierun-gen seiner Gedanken ableitbar eine wichtige Quelle an sich bliebe scheitert dieses damitdass nun die Formalisierungen nicht personenneutral sozial-epistemologisch bestehen koumln-nen Als Vergleich wuumlrde man aus Hitlers und Goumlbbels Reden Formalisierungen isolierenlieszlige sich bestimmt die eine oder andere plausible Idee entwenden (wenn sie voumlllig dekon-
27
Hierzu wird der Text der gesamten vier Vortraumlge unter dem Titel Einblick
in das was ist Bremer Vortraumlge 1949lsquo110 aus dem 1994 veroumlffentlichten 79 Band
der GA zugrunde gelegt Das hat den Grund dass davon ausgegangen wird dass
der Text somit am naumlchsten an den 1949 tatsaumlchlich vorgetragenen Manuskripten
liegt Insofern ist eine realistische Annaumlherung an eine mythopoetische Uumlbertra-
gung der Schwarzen Hefte in die Bremer Vortraumlge 1949 das Ziel Demgegenuumlber
gibt es ob der virulenten Publikationspraxis von Heideggers Schriften111 noch
andere Auskopplungen der vier Vortraumlgsteile mit den Titeln Das Dinglsquo Das Ge-
Stelllsquo Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo
31 Zur Publikationsgeschichte von den
Bremer Vortraumlgen 1949
Zuerst erschien 1954 im Neske-Verlag (Pfullingen) ein Sammelband der lediglich
den ersten Vortrag Das Dinglsquo enthaumllt allerdings in leicht erweiterter Fassung
so wie er ein halbes Jahr nach dem Bremer Auftritt in Muumlnchen (1950) an der
Akademie der Schoumlnen Kuumlnste gehalten wurde112 Dem Band hinzugefuumlgt ist aber
zudem ein Vortrag der vornehmlich die Kernaussagen von Das Ge-Stelllsquo und
Die Gefahrlsquo verbindet allerdings in modifizierter Form Dieser wurde unter dem
textualisiert wuumlrde) Ist aber die wahre Verbindung zu Hitler und Goumlbbels hergestellt hatman selbstverstaumldlich die Verantwortung zu tragen an dem ganzen Tross von unmoumlglichenVerfehlungen dieser Menschen die sie fuumlr uns zu Personae non gratae stempeln muumlssen
110 GA 79111 Hierauf macht auch der Darmstaumldter Philosoph Gernot Boumlhme aufmerksam als Akt ei-
ner bdquoposthumen Selbstinszenierungldquo in Boumlhme Gernot Selbstinszenierung uumlber Ruhmin der Philosophie In Information Philosophie (Online Ausgabe 12015) URL=lthttpwwwinformation-philosophiedea=1ampt=8232ampn=2ampy=5ampc=29gt zuletzt ab-gerufen am 2442016)
112 Heidegger Martin Das Ding In Ders Vortraumlge und Aufsaumltze Pfullingen 1954 S 163ff
28
Titel Die Frage nach der Techniklsquo113 am 18 November 1953 an der TUMuumlnchen
gehalten
Eine weitere Auskopplung diesmal des letzten Vortragsteils Die Kehrelsquo fin-
det sich in einem broschuumlrenformatigen Band wiederum im Zusammenspiel mit
dem Vortrag Die Frage nach der Techniklsquo in Die Technik und die Kehrelsquo114 von
1962 wieder Somit wurden die Vortraumlge Das Ge-Stelllsquo und Die Gefahrlsquo lange
Zeit nicht veroumlffentlicht sondern als vermischter und modifizierter Text eben
Die Frage nach der Techniklsquo jeweils zusammen mit Das Dinglsquo (1954) und Die
Kehrelsquo (1962) angeboten115 In der Vorbemerkung zu Die Technik und die Keh-
relsquo wird diese kleine Chronologie leicht verfaumllscht auch aufgezeigt Darin heiszligt
es ferner dass Die Frage nach der Techniklsquo eine erweiterte Fassung von Das Ge-
Stelllsquo waumlre Dem ist wie schon gesagt nicht so Sondern es ist eine modifizierte
Vermischung von Das Ge-Stelllsquo und Die Gefahrlsquo was unschwer zB am Begriff
vom bdquoHer-vor-bringenldquo116 zu erkennen ist der in Die Gefahrlsquo eingefuumlhrt wird
und in Die Frage nach der Techniklsquo die gleiche Bedeutungskonstituente bildet
Mit der Veroumlffentlichung des 79 Bandes der GA 1994 wurden alle vier Bremer
Vortraumlge von 1949 publiziert In Band 11 der GA erschien 2006 auszligerdem Die
Kehrelsquo in ihrer urspruumlnglichen Fassung Die Frage nach der Techniklsquo enthaumllt
weniger mythopoetische Teile als Das Dinglsquo und operiert demgegenuumlber staumlrker
anhand klassisch philosophischer Allgemeinplaumltze Derer sind vor allem zu nen-
113 Heidegger Martin Die Frage nach der Technik In Ders Vortraumlge und Aufsaumltze Pfullingen1954 S 9ff (Der Aufsatz erschien ebenfalls 1954 im Sammelband der Vortragsreihe DieKuumlnste im technischen Zeitalter Heidegger Martin Die Frage nach der Technik In DieKuumlnste im technischen Zeitalter Dritte Folge des Jahrbuchs Gestalt und Gedanke Hg v dBayrischen Akademie der Schoumlnen Kuumlnste Muumlnchen 1954 S 70ff)
114 Heidegger Martin Die Technik und die Kehre Pfullingen 1962115 Beide Baumlnde Votraumlge und Aufsaumltzersquo sowie Die Technik und die Kehrersquo haben hohe Aufla-
genzahlen (Uumlbersetzungen wurden hier nicht recherchiert wobei es aber eine internationa-le Heidegger-Rezeption gibt) 1993 wurde der Pfullinger Neske-Verlag von dem StuttgarterHaus Klett-Cotta uumlbernommen was die Buumlcher aber unveraumlndert belaumlsst Vortraumlge und Auf-saumltzelsquo zaumlhlt seit 2009 die 11 Auflage Die Technik und die Kehrelsquo seit 2014 die 13 BeideBaumlnde sind vergriffen Es mutet unverstaumlndig an weshalb eine fehlerhafte Jahresangabe ausder ersten Veroumlffentlichung von Die Technik und die Kehrelsquo bis 2014 kolportiert wurdeDort steht der Vortrag Die Frage nach der Techniklsquo waumlre am 18 November 1955 gehaltenworden Der Vortragstermin war aber am 18 November 1953
116 Vgl GA 79 S 64 Und Heidegger Die Technik und die Kehre S 11
29
nen die Auflistung der bdquovier Ursachenldquo117 nach Aristoteles und die Kritik an der
Technik als bdquoein Mittel zu Zweckenldquo118 (Kausalitaumlt)119
Der Vortrag Das Dinglsquo galt Heidegger bei der Darbietung seiner Technikphi-
losophie nach dem Zweiten Weltkrieg allerdings als unentbehrlich ndash und damit
seine groszligflaumlchige Aufblaumltterung der Mythopoetik wie im folgenden Kapitel hier
gezeigt wird Denn im Vortrag Die Frage nach der Techniklsquo benutzt Heideg-
ger noch immer seinen mythopoetischen Topos vom Versammeln des Gebirges
der mit dem Versammeln eine Konstituente des Gevierts ist (bdquoErde und Himmel
die Goumlttlichen und die Sterblichenldquo120) (su)121 Fuumlr die Kaumlufer und Leser von
der spaumlteren Veroumlffentlichung Die Technik und die Kehrelsquo wird zudem in Die
Kehrelsquo extra auf den Vortrag Das Dinglsquo in der 1954er Ausgabe in Vortraumlge und
Aufsaumltzelsquo verwiesen122 Das zeigt wie wichtig und unerlaumlsslich Heidegger seine
mythopoetische Denkweise der Technik ist Auch wenn er in Die Frage nach der
Techniklsquo einen allgemeineren und offeneren Ansatz entwickelt hat der dadurch
auch leichter zu erschlieszligen ist
32 Die mythopoetische Spiegelung der Schwarzen
Hefte in den Bremer Vortraumlgen von 1949
321 Das Dinglsquo
In dem Vortrag Das Dinglsquo der 1949 vor dem privaten Club zu Bremen dort im
Neuen Rathaus das Vortragsquartett einleitete fuumlgt Heidegger mythopoetisch
zusammen was folgenden Topoi seiner Schwarzen Hefte aus Kap 221 entspricht
117 Heidegger Die Technik und die Kehre S 6118 Ebd S 6119 Diese Topoi versucht Heidegger in dem Text zu zersetzen und ihnen ein aletheisches Prin-
zip des Entbergens der Technik entgegenzusetzen Dies erfolgt wiederum auch anhand derVerwendung von mythopoetischen Teilen Darauf kann hier aber nicht weiter eingegangenwerdenAls weitere Gemeinsplaumltze (die er teils unterstuumltzend teils zur Zersetzung einfuumlgt) handelt
der Text auch mit Zitaten von Platon Heisenberg J P Hebel und Goethe120 Ebd S 12121 Vgl GA 79 S 11 Und Heidegger Die Technik und die Kehre S 19122 Vgl Heidegger Die Technik und die Kehre S 42f
30
1 die antirationale Wissenschaftsfeindlichkeit 2 der Mythos des Goumlttlichen 3
das Griechentum uumlber dem Roumlmertum 4 die Zahlenmystik (anhand des Spiegel-
Spiels des Gevierts ndash su) 5 das geschichtsbesinnliche Prinzip der Aletheia
Heidegger stellt zuerst die Frage nach dem Ding und will sie daraufhin ver-
anschaulichen mittels der Metapher des Kruges dh mit dem Krug als ein exem-
plarisches Ding Er fuumlhrt dann vor (was der Geste eines Zauberkuumlnstlers aumlhnelt)
wie der leere Krug gefuumlllt wird ndash Luft weicht der Fluumlssigkeit Dieses Sachverhaumllt-
nis aber ist fuumlr ihn Halbpoesie und eine Angabe aus der Physik sie verfehle das
vermeintliche Wesen des Kruges
Die Wissenschaft stellt durch sie [die Angabe der Physik DS] etwas Wirk-liches vor wonach sie sich objektiv richtet Aber ndash ist dieses Wirkliche derKrug Nein DieWissenschaft trifft immer nur auf das was ihre Art des Vor-stellens im vorhinein als den fuumlr sie moumlglichen Gegenstand zugelassen hat[] Die Wissenschaft macht das Krug-Ding zu etwas Nichtigem insofernsie Dinge nicht als das Maszliggebende zulaumlszligt123
Als ein wirkmaumlchtiges Beispiel das ihm sicherlich viel Beachtung uumlber die
Jahrzehnte seit ihrer Zuumlndung in Japan hinweg einbrachte fuumlhrt Heidegger die
Atombombe an Diese sei zu verstehen als verdinglichte Wissenschaft die das
Ding vernichten wuumlrde
Deren Explosion ist nur die groumlbste aller groben Bestaumltigungen der langherschon geschehenen Vernichtung des Dinges dessen daszlig das Ding als Dingnichtig bleibt124
Er buumlndelt damit Wissenschaft und Verkennung des Wesens als maszliggebend mit
dem Ding als sein machenschaftliches Prinzip der zerrechnenden Zerstoumlrung Drei
Jahre nach Kriegsende war der buumlrgerlich-elitaumlre Kreis in Bremen sicherlich be-
wegt von dieser Wortgewalt Diese jedoch suchte ja ihr Heim Harmonie Ruhe
in dem Haus als Wesen der Sprache
Und so faumlhrt Heidegger fort und ersetzt das physikalische Prinzip des Inhalts-
wechsels von Luft zu Wein in ein bdquoGeschenk des Gussesldquo als Spende und Opfer
den Goumlttern (2)125
123 GA 79 S 8124 Ebd S 9125 Vgl Ebd S 11f
31
Der Guszlig ist der den unsterblichen Goumlttern gespendete Trank [] Der ge-weihte Trank ist das was das Wort Guszliglsquo eigentlich nennt Spende und Op-fer Guszliglsquo gieszligenlsquo lautet griechisch χέειν indogermanisch ghu Das bedeu-tet opfern
Hier spielt bereits der Ursprungsmythos der Griechenmit ein (3) es ist aber auch
ein Bezug auf das Geviert Dieses waumlre ein System ein zusammen Gestelltes aus
bdquoErde und Himmel die Goumlttlichen und die Sterblichenldquo126 Im Guszlig des Trunkes
weilten gemeinsam diese Vier als emblematische Verbindung
Das im Geschenk Versammelte sammelt sich selbst darin das Geviert ereig-net zu verweilen Dieses vielfaumlltig einfache Versammeln ist das Wesen desKruges Unsere Sprache nennt was Versammlung ist in einem alten WortDies lautet thing127
Das Geviert zehrt von der Zahlenmystik zum einen als die Versammlung der
vier Begriffe an sich zum anderen da Heidegger ihnen eine Spiegel-Funktion
zuschreibt bdquoJedes der Vier spiegelt in seiner Weise das Wesen der uumlbrigen wie-
derldquo128 und ferner weil er damit auf sich selbst dh auf sein Vortrags-Geviert
verweist (4) Wie in Kap 21 schon gesagt lebt der Mythos von seiner Verbind-
lichkeit Diese legt Heidegger allen nah die sie verinnerlichen wollen bdquoSagen wir
die Sterblichen dann denken wir falls wir denken die anderen Drei mit aus der
Einfalt der Vierldquo129
Sollte der Vollzug der Praxis des sukzessiven Mitdenkens aller vier Geviert-
Entitaumlten gelingen koumlnnte das Ereignis der Aletheia begriffen werden (5) bdquoDas
Spiegel-Spiel von Welt ist der Reigen des Ereignensldquo130 Diese wird aber auch be-
griffen in Abgrenzung von dem Roumlmertum (3) denn in der bdquorealitas der resldquo
haumltten die Roumlmer bdquoihr Erfahrenes niemals eigens in seinem Wesen gedachtldquo131
Das waumlre den Griechen vorzubehalten und vom verstaumlndig denkenden Deutschen
wiederzubeleben
126 Ebd S 12127 Ebd S 13128 Ebd S 18129 Ebd130 Ebd S 19131 Ebd S 15
32
Der Krug ist ein Ding weder im Sinne der roumlmisch gemeinten res noch imSinne des mittelalterlich vorgestellten ens noch gar im Sinne des neuzeitlichvorgestellten Gegenstandes [] Der Krug ist Ding insofern er dingt132
Die Bindung an das deutsche Wort bdquoDingldquo das er spielerisch auch ins Englische
Romanische und Franzoumlsische uumlbersetzt ist unerlaumlsslich fuumlr seine ethymologi-
sche Argumentation In der ist der bdquoGuszligldquo ruumlckgefuumlhrt auf indogermanisch bdquoghuldquo
und das bdquoDingldquo auf das mittelhochdeutsche bdquothingldquo So konnten antik die Roumlmer
von den Griechen abgrenzt werden und modern die anderen drei Sprachen vom
Deutschen Das englische sich sehr nah am bdquothingldquo befindliche bdquothingldquo wird mit
dem Roumlmischen ausgespielt
Im Englischen hat thing noch die erfuumlllte Nennkraft des roumlmischen Wor-tes res bewahrt [] dh ein aus sich kommendes den Menschen Angehen-des133
Fuumlr Heidegger geht es beim bdquothingldquo aber um die mittelhochdeutsche Uumlbersetzung
der Versammlung Darauf beruht sein gesamter Systemansatz mit Geviert und
Ge-stell
Schulz-Nieswandt fuumlhrt diese Zusammenstellung zum Bejubeln von Heideg-
gers Mythopoetik
So fundamental sieht Heidegger die Welt Die Quelle des Wassers wird zurHochzeit von Himmel und Erde das Gieszligen des Wassers aus dem Krugzum Geschenk Auch Sprache ist daher kein Instrument sondern Ort desWohnens des Menschen Sprache wird zum Haus des Seinslsquo134
Hier bestaumltigt die Untersuchung des Ding-Vortrags die These von einer mytho-
poetischen Einschreibung der nationalistischen voumllkischen Abgrenzungs-Mythologie
aus den Schwarzen Heften
322 Das Ge-Stelllsquo
Der zweite Vortrag des Reden-Gevierts setzt ein mit der Metapher des fehlen-
den Abstands Wo kein Abstand sei da waumlre auch keine Naumlhe so Heidegger Er
132 Ebd S 16133 Ebd S 14134 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei Walter
F Otto S 59
33
verbindet die Abstandslosigkeit mit Urbanitaumlt und Verkehr alles fluktuiere Es
waumlre der Bestand der sich bestelle in dem das Abstandlose herrsche Das sind
neue Metaphern fuumlr die Machenschaft In seiner Erzaumlhlung vom Ge-Stell gibt es
bedeutend weniger mythopoetische Passagen als in dem vorangegangenen Vor-
trag Allerdings uumlbertraumlgt er den mythopoetischen Gehalt der Rede vom Ding
bereits im ersten Absatz von Das Ge-Stelllsquo mit dem Credo bdquoNaumlhe west insofern
das Ding dingtldquo135 Mit dieser Verbindung wird klar unter welchem Zeichen Hei-
degger die Rede vom Ge-Stell verstanden wissen will ndash als verlorenes Verhaumlltnis
des voumllkisch-traditionell verwurzelten Menschen mit den vermeintlichen Wesen
all seiner Gebrauchsobjekte in der mythopoetischen Formel des sich spiegelnden
Gevierts
Nahezu nuumlchtern erzaumlhlt Heidegger dann von dem Gefaumlngnis des Menschen
im Wesen der zirkulierenden sich immer neu bestellenden Bestandstechnik des
Ge-Stells Dabei scheinen folgende Mythen aus den Schwarzen Heften hindurch ndash
1 bdquoHistorie die Technik der Geschichtelsquo Technik die Historie der Naturlsquoldquo136
2 das historische Tier 3 der Appell an den Auftrag des Deutschen 4 der geschicht-
liche Mensch muss die Historie und damit die Technik uumlberwinden und 5 die
alles zernichtende Machenschaft des juumldischen Wesens
Den Topos der seinsvergessenen Groszligstadt jedenfalls kontrastiert er mit der
Bauerndorfidylle Da aber bdquodas Abstandlose herrschtldquo137 waumlre das Vorruumlcken der
Maschinentechnik bereits universell So in Form des Traktors Schon in Band
96 der Schwarzen Hefte beklagt er dieses bdquozum elektrischen Pflug [] gehoumlrt
das amerikanisch aufgemachte Magazinlsquoldquo Insofern erfolge die bdquoAngleichung der
Sitten der Bergbewohner an diejenigen des groszligstaumldtischen Sport- und Barbe-
triebsldquo138
Sein erster Land-Stadtvergleich betrifft den Bauern dessen Totenruhe tradi-
tionell in einem sg bdquoTotenbaumldquo (Sarg) stattgefunden haumltte ndash bdquoIn ihm gedeiht
der Tod des Totenldquo139 Dem gegenuumlber klingt in der bdquomotorisierten Bestattungs-
135 GA 79 S 24136 GA 95 S 351137 GA 79 S 24138 GA 96 S 54139 GA 79 S 26
34
industrie der Groszligstadtldquo140 bereits Heideggers pietaumltsloser Gaskammernvergleich
an
Ackerbau ist jetzt motorisierte Ernaumlhrungsindustrie im Wesen das Selbewie die Fabrikation von Leichen in Gaskammern und Vernichtungslagerndas Selbe wie die Blockade und Aushungerung von Laumlndern das Selbe wiedie Fabrikation von Wasserstoffbomben141
Hier wird davon ausgegangen dass es eine Uumlbertragung der Notizen uumlber
das deutsche Land als bdquoeinziges KZldquo ist die Unterdruumlckung des deutschen Vol-
kes durch die bdquoWeltdemokratieldquo die schlimmer sei als die Graumlueltaten der bdquoGas-
kammernlsquoldquo142 In die mythopoetische Formel von dem dingenden Ding aus dem
ersten Vortrag sind alle Valenzen eingeschrieben die es zur Aufgabe des abendlaumln-
dischen Deutschen (also als Nachfolger der alten Griechen) machen das Wesen
des Dings und somit der Technik zu huumlten Die Verantwortung fuumlr Genozid
Massenvernichtungswaffen und den Mangel im Nachkriegsdeutschland schreibt
Heidegger gleichfoumlrmig dem Prinzip der Abstandslosigkeit zu
Auch die Rede von der Habgier des Berechnenden ist ein bereits bekannter
Vorbehalt Heideggers anhand der Rede vom raffgierigen Juden Denn er sagt von
der bdquoHerrschaft des Abstandlosenldquo dass sie bdquodie Hab-gier des vorstellenden Be-
rechnensldquo waumlre143 Das entspricht seinem Mythos von der alles zernichtenden
Machenschaft des juumldischen Wesens144
Dann folgt eine lange Elegie uumlber das Bestellen des Bestands des Ge-Stells
bdquo[d]ie Kette des Bestellens laumluft auf nichts hinaus sie geht vielmehr nur in ihren
Kreisgang hineinldquo145 uumlber 19 Seiten des 21 seitigen Vortragsexts hinweg entwirft
Heidegger diverse Bilder wie das Ge-Stell die Natur das Hergestellte den Men-
schen und das Verstandesmaumlszligige vereinnahme und das Wesen desDings gleichsam
zur Veruntreuung bringen wuumlrde Wiederum poetisch orientiert kontrastiert also
140 Ebd141 Ebd S 27142 GA 97 S 99f143 Vgl GA 79 S 25144 Vgl Machenschaft hier S 29 und Geraff hier S 33145 GA 79 S 29
35
Heidegger Houmllderlins Hymne Der Rheinlsquo mit dem Rhein dessen Stroumlmung fuumlr
ein Stromkraftwerk genutzt wird
Achten wir um das Ungeheure das hier waltet zu ermessen nur auf einenAugenblick auf den Gegensatz der sich in den beiden Titeln ausspricht DerRhein verbaut in das Kraftwerk ndash der Rheinlsquo gesagt in der gleichnamigenHymne Houmllderlins146
Die Differenz also waumlre das Ungeheure147 Dabei waumlre der Rhein verbaut in das
Kraftwerk Aumlhnlich wie Kohle Erze und Rohoumll waumlren sie Bestand der bdquobesteht
im Bestellenldquo ndash bdquoDas Bestellen waumlre demnach lediglich eine Machenschaft des
Menschen vollzogen in der Weise der Ausbeutungldquo148
Das Bild des Wasserkraftwerks wird erweitert um den Begriff des Menschen
Elektrizitaumlt mit Wasserkraft erzeugen bdquokoumlnnen die Menschen [] nur insofern
sie selber schon in dieses Bestellen bestellt sindldquo149 Mit diesem Bild versucht Hei-
degger praktisch zu veranschaulichen dass Entwurf Umsetzung und Einsatz ei-
ner technischen Anlage den Menschen in ein entruumlcktes Verhaumlltnis zum Wesen
des dingenden Dings setze ndash bdquoDer Mensch ist darum der Angestellte des Bestel-
146 Ebd147 Das ist zusaumltzlich zu dem gemeinten Gegensatz ein Vergleich mit dem Heidegger dem Wort
bdquoRheinldquo in die Hymne Der Rheinlsquo gesprochen eine Energie erzeugende Wirkung zu-schreibt eben so wie das Kraftwerk Strom erzeugen wuumlrde Das wird klar dadurch dassHeidegger metaphorisch vom Stellen des Wortes bdquoRheinldquo in die Hymne spricht Es handeltsich um einen Appell zur denkerischen Besinnung Dass Heidegger dafuumlr eine technischeAnlage zur Veranschaulichung inspirierend wirken laumlsst spielt bereits in die Richtung derBegriffe bdquoHer-vor-bringenldquo bdquoEntbergenldquo und spielt auf das Alteheia-Prinzip an Darauf wirdweiter unten anhand Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo eingegangen werden Es handelt sich umdas Angebot eines mythopoetischen Umgangs mit Technik insbesondere wenn sie sich inheimische Gefilde einfuumlgtHeute koumlnnte man mit Windraumldern ebenso verfahren Somit koumlnnte aber auch Heidegger
als ein gewisser Quijana aus Mancha verstanden werden eben der Protagonist aus Miguel deCervantes Roman Don Quichote von der Manchalsquo der mit seinem von ihm flux auch um-benannten Klepper (weil er zuvor sich selbst in Don Quichote umtaufte) Rocinante Riesenbezwingen will um mit dieser Heldentat unsterblichen ritterlichen Ruhm zu erstreitenAuch Don Quichote fand seine Riesen in Windmuumlhlen und auch Don Quichote war uumlber
eine uumlbertriebene Auseinandersetzung mit einer verschuumltteten Kultur dieser verfallen undsuchte diese in seiner Aventuumlre zu reaktualisieren Martin Heideggers mythopoetisches Pro-gramm ist tatsaumlchlich stark mit Don Quichotes Motiv vergleichbarFerner waumlre eine Auseinandersetzung mit Heideggers Werk unter Beruumlcksichtigung sei-
ner Gewichtung der Vorsokratiker und Houmllderlin als mythopoetischen Autor eine moumlglicheForschung zum Thema Anachronismen in Konzepten von Moral und gesellschaftlicher An-gemessenheit (Vgl Cervantes Miguel de Don Quichote von der Mancha Herausgeben unduumlbersetzt v Susanne Lange Muumlnchen 2008 S 33f)
148 GA 79 S 29149 GA 79 S 30
36
lensldquo150 Schon vorher wies Heidegger darauf hin bdquo[d]ie Herrschaft des Gegen-
staumlndigen sichert nicht den Abstandldquo151 Jetzt heiszligt es
Das Bestellen befaumlllt nicht nur die Stoffe und Kraumlfte der Natur mit Gestel-lung Das Bestellen befaumlllt zugleich das Geschick des Menschen Das Wesendes Menschen wird daraufhin gestellt das Bestellen in menschlicher Weisemitzuvollziehen152
Der Begriff des Ge-Stells wird daraufhin so konstruiert dass es im Bestellen
um ein Stellen (Herausfordern) alles bdquoAnwesenden als Bestandldquo als bdquoversus unumldquo
gegen bdquodas Eine Ganzeldquo gehe153 In wiederum mythopoetischer Formulierung ge-
baumlre die bdquoVersammlung des Stellens worin alles Bestellbare in seinem Bestand
west das Ge-Stellldquo154 Der Begriff bdquoVersammlungldquo wird einen Absatz zuvor my-
thopoetisch wieder an die Versammlung also das thing eben das wesenhafteDing
angelehnt und somit wie zu Das Dinglsquo bereits oben erlaumlutert in einen deutsch-
abendlaumlndischen Kontext gestellt (3)
Wir nennen die Versammlung der Berge die von sich her einig und nienachtraumlglich schon gesammelt ist das Gebirge Wir nennen die Versamm-lung der Weisen nach denen uns so zumute ist und sein kann das Gemuumlt155
Allerdings ist obiges Versammlungsmodell hier als Kontrast zu sehen zu dem
bdquoGeraff des Getriebesldquo das das Ge-Stell darstellt als bdquoWesen der Technikldquo156 Hei-
degger sieht in der Gleichfoumlrmigkeit die zum Wesen des Technik als Ge-Stell
150 GA 79 S 30151 GA 79 S 25152 GA 79 S 31153 Vgl GA 79 S 32154 GA 79 S 32155 Ebd
Das Wort ldquoGemuumltrdquo hat ferner eine ausschlieszliglich deutsche Praumlgung gibt es doch keinedirekte Uumlbersetzungen Gemuumlth ist ferner ein nicht eindeutig umrissener Begriff (Vgl Kra-mer Cheryce A Foolrsquos Paradise The Psychiatry ofGemuumlth in a Biedermeier Asylum Chica-go 1998 S 19) Die Bedeutung im Deutschen selbst ist zudem sehr variabel hat aber zumeistmit Seelen- oder Geistkonzepten zu tun ndash Cheryce von Xylander (geb Kramer) uumlbersetztGemuumlth mit bdquosoul-organldquo (ebd S 43) das von diversen Autoren unterschiedlich konstru-riert wird (zB von Kant geistigkoumlrperlich und von Kleist individuellkollektiv (vgl ebdS 41)) In Heideggers emblematischem Duktus scheint eine Vermischung von allen vier Di-mensionen geistigkoumlrperlich wie auch individuellkollektiv stattzufinden Es ist auf jedenFall dem Mythos geschuldet den Auftrag des Deutschen anzunehmen (3)
156 GA 79 S 33
37
gehoumlre die planetarische Abloumlsung und Aufhebung des traditionellen und damit
wesenhaft ans Ding gebundenen Verhaumlltnisses vom Menschen zur Erde (das von
ihm idealisierte voumllkische Bauerntum das Bestellen des Ackers) bdquoDie Bestand-
Stuumlcke sind Stuumlck fuumlr Stuumlck die Gleichenldquo157 So kontrastiert er alte Handwerks-
techniken mit Maschinentechnik und schreibt der Maschinentechnik die machen-
schaftliche Verdraumlngung als Geraff zu
Das Ge-Stell hat auch wenn das nicht unmittelbar und nicht sogleich ver-nehmlich wird im vorhinein schon alle diejenigen Stellen beseitigt an denenvormals Spinnrad und Wassermuumlhle standen Das Ge-Stell bestellt durch sei-ne Maschinerie zum voraus eine andere Art und Ordnung von Stellen Andiesen kommt nur zu Stand was als Bestellbares auf der Stelle gleichfoumlrmigzur Stelle steht
Darum ist auch die Art wie die Maschine selbst etwas herstellt einewesentlich andere als das handwerkliche Tun gesetzt daszlig es innerhalb desGe-Stells uumlberhaupt noch so etwas wie ein Herstellen gibt
Die Traktoren und Kraftwagen werden herausgebracht ausgeworfen se-rienweise Stuumlck fuumlr Stuumlck Wo drauszligen steht dieses so Herausgestellte Wo-hin in welchen Stand ist es gebracht158
In dieser Klage uumlber den technischen Wandel der durch den Fortschritt in
alle Lebensbereiche Einzug haumllt versucht Heidegger zu veranschaulichen wel-
chen Verlust es zu erkennen gelte Ein Versuch diesem entgegen zu treten ist die
von ihm vorgetragene Mythopoetik die er in diesem Vortragsteil seines Vortrags-
Gevierts allerdings auffaumlllig zuruumlckgestellt sein laumlszligt War der Einleitungsteil Das
Dinglsquo schlieszliglich eine nahezu einzige mythopoetische Darbietung Dramatur-
gisch wird Heidegger in Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo die mythopoetischen For-
mulierung als Loumlsungswege wieder Bedeutung geben In Das Ge-Stelllsquo versucht
Heidegger hingegen Vorstellungen aus seinen Schwarzen Heften aumlhnlich der fol-
genden mitzuteilen die das Uniforme Gleichfoumlrmige betreffen
Die Macht der Machenschaft ndash die Vernichtung sogar der Gottlosigkeit dieVermenschung des Menschen in das Tier die Vernutzung der Erde die Ver-rechnung der Welt ndash ist in den Zustand der Endguumlltigkeit uumlbergegangenUnterschiede der Voumllker Staaten Kulturen sind nur noch Fassade159
157 GA 79 S 36158 GA 79 S 35159 GA 96 S 52f
38
Was Heidegger unter dieser Gleichfoumlrmigkeit versteht schreibt er in den Schwar-
zen Heften zumeist den Amerikanern zu Er nennt es auch haumlufig Planetarismus
Der Amerikanismus [ist DS] die Zusammenraffung von Allem welcheZusammenraffung immer zugleich die Entwurzelung des Gerafften bedeu-tet160
Der Planetarismus ist die historisch gedachte Bestimmung der uumlberall glei-chen die ganze Erde uumlberdeckenden Seinsverlassenheit des Seienden161
Die Gegenuumlberstellung von natuumlrlicher und traditioneller Handwerkstechnik
gegen maschinenhafte Gleichfoumlrmigkeit exemplifiziert Heidegger dann im Vor-
trag Das Ge-Stelllsquo vielfach wie zum Beispiel hier
Der Forstwart zB der im Wald das geschlagene Holz vermiszligt und demAnschein nach noch wie sein Groszligvater in der gleichen Weise die selbenWege geht ist heute von der Holzverwertungsindustrie gestellt Er ist ober es weiszlig oder nicht in seiner Weise Bestand-Stuumlck des Zellulosebestandesund dessen Bestellbarkeit fuumlr das Papier das den Zeitungen und illustrier-ten Magazinen zugestellt wird die uumlber die Oumlffentlichkeit daraufhin stellenverschlungen werden162
160 GA 96 S 257161 GA 96 S 261162 GA 79 S 37f
Die renommierte Theaterautorin Elfriede Jelinek karikiert in ihrem Stuumlck Totenaubergvon 1991 Heideggers Konstrukt von Heimat und Fortschrittsfeindlichkeit verbunden miteiner Auseinandersetzung mit dessen Liebschaft zu Hannah Arend Mit philologischer Prauml-zision polemisiert sie Teile aus Heideggers Elegie uumlber die Technik und laumlszligt ihn dabei alsbeschraumlnktes und eingezwaumlngtes Wesen in einem Gestell gefangen sein Aus diesem heraussoll er Arend Rede und Antwort stehen uumlber sein Verhaumlltnis zum Nationalsozialismus unddie Shoa Doch dieser redet nur naturtrunken von Heimat und berauscht sich daran Derprophetische Denker wird banalisert ndash diese Worte legt Jelinek ihm (im Stuumlck der alte Mann)in den MundbdquoDie Angst vor dem Fragen liegt uumlber dem Abendland Sie bannt die Kandidaten auf ein
Team-Leibchen verbannt sie auf altgewordene Wege und jagt sie zuruumlck ins morsch geworde-ne Gehaumluse ihrer Tore wo es um ihre Ausscheidungen geht Es wird ihnen alles weggenom-men werden auch der Weg selbst Keine Spur kein Lichtschein aus den Ritzen Aber ruf ichin die Huumltte um nach einem zu fragen den ich gekannt hab sehe ich grad noch eine Tuumlrsich schlieszligen Der Wald kommt nicht zur rechten Geltung alles ist entflohen was mir liebwar und woran ich geglaubt hab Was kommt ist noch nicht da Nichts war Ich habe nichtsgehoumlrt Ich erinnere mich nicht aber ich stelle dem Kommenden das mich den lupenreinenAmateur schon vor Beginn des Rennens erlahmen laumlszligt vorsorglich die Hausschuhe vor dieTuumlr Sie sind das Einzige was die Profis des Profits von mir dann vorfinden werden wennsie anklopfen Die Haumlrte des Urgesteins sollte sie nicht entmutigen Die Jahreszeiten machendie Landschaft auf und zu Ich sage nur In dieser scheinbaren Leere will ich vom Denkenmuumld nur schlafen Von der Huumltte aus lassen sich Wanderungen unternehmen Aber auchsonst wird Ihnen alles wie ich sagte genommen werden Auch Ihre Fotos und Namen Unddas Gewesene wird wesenlosldquo ( Jelinek Elfriede Totenauberg Hamburg 1991 S 86f)
39
Die Oumlffentlichkeit ist fuumlr Heidegger ein Topos der dem Denken und Besinnen
entgegenstuumlnde Somit meint er damit zum Einen die Medien wie er es anhand
der Rede von den Bestandstuumlcken in Das Ge-Stelllsquo erklaumlrt wo der Mensch als
Urheber des Ge-Stells als Wesen der Technik nicht gelten soll Vielmehr wuumlrde er
in Ratlosigkeit und Langeweile verfallen weil er in der Bestellung des Bestandes in
Form von Bestandstuumlcken vom Rundfunk keine Besinnung mehr faumlnde dh das
Ganze also wiederum daswesentliche Ding nicht mehr zu fassen vermoumlge163 Und
so toumlnt es bereits aus den Schwarzen Heften von 19391940()
Die Bildlsquo und Tonlsquo ndash Reportagenlsquo der Machenschaft ist der planetari-sche Mythuslsquo des Vollendungsabschnittes der Neuzeit Die Welt des abge-legensten deutschen Bauernhofes wird nicht mehr durch [] die Naturlsquobestimmt in der noch die Erde waltet sondern durch das illustrierte Blattmit der Darstellung von ausgezogenen Tanzweibern von Boxern und Renn-fahrern und sonstigen Heldenlsquo des Tages164
Und ferner notierte Heidegger 1946 in seinen Schwarzen Heften
Uumlberall zerrt es aus dem Oumlffentlichen ins Oumlffentliche mit vielen Strickenund jeder sieht das kaum versuchte Denken des Seyns am Leitband seinesStrickes165
Dabei waumlre eben ein bdquoLiterat [] ein in die Oumlffentlichkeit verliebter Mensch der
Angst vor dem Denker hatldquo166 Dieses liefe dann darauf hinaus dass beim Rund-
funk bdquoein Bestellen und Stellen waltet das in dasWesen des Menschen eingegriffen
hatldquo167
Abermals nach dem Wesen der Technik also nach dem Ge-Stell gefragt geht
Heidegger auf seine Unterscheidung vonNatur undNaturwissenschaft ein bdquo[w]elches
ist das Verhaumlltnis zwischen der Technik und der Naturldquo168 Natur wuumlrde in wis-
senschaftlicher Hinsicht unter das Berechnete fallen sie wuumlrde bdquoals das in Maszlig
und Zahl gestellte Wirkliche vorgestellt das in seinem Gewirkten staumlndig an-
westldquo169 Wenn Heidegger dann Natur aus technischer Sicht bdquoals ein System des
163 Vgl GA 79 S 38f164 GA 96 S 54165 GA 97 S 100166 GA 97 S 126167 GA 79 S 39168 GA 79 S 41169 Ebd
40
Bestellens von Erfolgen aus dem gestellten Wirksamenldquo170 charakterisiert spricht
er von seiner Rede der Verschraumlnkung von Historie und Technik ndash bdquoTechnik die
Historie der Naturldquolsquo171 Dieses ist bekanntlich das seinsvernichtende Gegenstuumlck
zur geschichtlichen Besinnung Denn geschichtliches Walten der Technik ist fuumlr
Heidegger technische Geschichte dh verwissenschaftlichte Geschichte die da-
durch ihr Wesen verloren haumltte (Seynsvergessenheit)172 So heiszligt es in den Schwar-
zen Heften von 1947
Ein Zeitalter das historisch geworden ist dh technisch planend sich selberberechnet und alles in diesen Sog zieht muszlig jede Besinnung nur als eine dervielen Formen der Intellektualitaumlt registrieren173
Heidegger schlieszligt den Vortrag mit dem Aufgriff der Anfangsbehauptung
bdquo[d]er Bestand bestellt das Abstandsloseldquo174 Somit liegt das Problem der ausblei-
benden Naumlhe durch die Technik deren Wesen das Ge-Stell waumlre das den Bestand
bestelle in der Luft Dass dabei der Mensch sogleich Teil des Bestandes und nicht
Teil der Maschine wird laumlsst ihn das historische Tier sein (2)
Der Mensch ist auswechselbar innerhalb des Bestellens von Bestand []Gleichwohl gehoumlrt der Mensch in einer voumlllig anderen Weise in das Ge-Stellals die Maschine DieseWeise kann unmenschlich werden DasUnmenschlicheist jedoch immer noch unmenschlich Der Mensch wird nie zur MaschineDas Unmenschliche und noch Menschentuumlmliche ist freilich unheimlicherweil boumlsartige und verhaumlngnisvoller denn der Mensch der nur Maschine wauml-re175
Wen Heidegger hier ersinnt ist der neuzeitliche Mensch der den bdquoGoumlttern uner-
traumlglich gewordenldquo176 waumlre
170 Ebd171 GA 95 S 351172 In Heidegger Die Technik und die Kehre S 21 stellt er Geschichte und Historie einander
gegenuumlber was er in Das Ge-Stelllsquo nicht vollzieht bdquoDie moderne Technik kam doch erst inden Gang als sie sich auf die exakte Naturwissenschaft stuumltzen konnte Historisch gerechnetbleibt dies richtig Geschichtlich gedacht trifft es nicht das Wahreldquo Signifikant fuumlr Heideg-gers Attributierung so wie sie oben schon geschildert ist steht Historie fuumlrs Rechnen undGeschichte fuumlr das Denken
173 GA 97 S 508174 GA 79 S 44175 GA 79 S 37176 GA 94 S 236
41
323 Die Gefahrlsquo
Aus Heideggers Darlegung uumlber das Ge-Stell erschlieszligen sich seine diversen Fa-
cetten der Vorstellung einer Abstandslosigkeit schaffenden Technik Dass die Ab-
standslosigkeit dem Prinzip des Gevierts des Zusammengestellten entgegensteht
bekommt im Vortrag Die Gefahrlsquo Nachdruck Die mythopoetische Erzaumlhlung
knuumlpft an den Vortrag Das Dinglsquo an mit den Mythologemene 1 Der Mythos
des geschichtlich sein muumlssens 2 der Mythos des Goumlttlichen 3 das geschichtsbe-
sinnliche Prinzip der Aletheia Zudem wird im Prozess des Vortrags das Ge-Stell
zur Gefahr stilisiert was einen eigenen Mythos erschafft
Durch das bdquouniversale Bestellen des Ge-Stellsldquo177 werde die naumlhernde Naumlhe des
Dings verwehrt Wie im Vortrag Das Dinglsquo fuumlhrt Heidegger das Wesentliche sei-
ner Theorie auf die deutsche und altgriechische Sprache zuruumlck Die so vollzoge-
ne Annaumlherung von Schwarzwaumllderischem Dialekt und Altgriechisch entspricht
Heideggers Traum von dem bdquogeschichtliche[n] Geburtsort des abendlaumlndischen
Wesensldquo178 den seine Heimat von Todtnauberg bis Freiburg stiften sollte (1)
es ist das Geistvolle und zugleich das erdenhafte schoumlne Land Es birgt un-sichtbaren Reichtum dem Gemuumlt bewahret tiefstes Dichten und houmlchsteGestalt der Sage179
Unter diesem Vorzeichen also sagt Heidegger
Das Ge-Stellwesen laumlszligt das Ding ohne die Wahr Das Wort die Wahrlsquo be-deutet in unserer Sprache dort wo sie noch urspruumlnglich spricht die HutIn unserer schwaumlbischen Mundart meint das Wort die Wahrlsquo die der muumlt-terlichen Hut anvertrauten Kinder Das Ge-Stell laumlszligt in seinem Stellen dasDing ohne die Hut ndash ohne die Wahr seines Dingwesens180
Diese in Bremen vorgetragene Heimatkunde ist auch Heideggers Sorge ge-
schuldet durch die Besatzermaumlchte und deren kulturellen Einfluss auch durch
die nun moumlgliche Oumlffnung Deutschlands zu einem Austausch mit der Welt das
eigene Wesen zu verlieren So schreibt er 1945-1947() in seine Schwarzen Hefte
177 GA 79 S 46178 GA 97 S 54179 Ebd180 GA 79 S 46
42
Das Schwerste und Fragwuumlrdigste unseres Geschickes ndash beruht darin ob wirdas Eigene finden und huumlten [] unter den anderen Voumllkernlsquo [] Scheinund Vorwand der Macht daszlig man unsere eigene Aufgabe bringen will []als Entmachtete aufgenommen zu sein in den Weltmachenschaftsbetrieb181
Es gaumlbe nach Heidegger also das Welten von Welt und die Verweigerung von
Welt aus derVerwahrlosung des Dings durch das Ge-Stell bzw die Technik182 Welt
ist nach dem Konzept des schwaumlbischen Denkers nichts weniger als das Geviert
Bei der folgenden mythopoetischen Zusammenstellung von dem Geviert mit alt-
griechischen Vokabeln um den Seins-Begriff wird das Aletheia-Prinzip eingefuumlhrt
Somit fuumlhrt uumlber den Mythos des Goumlttlichen (2) der Weg zur Wahrheit eben als
geschichtsbesinnlich erfahrene Aletheia (3)
Welt ist das Geviert von Erde und Himmel Goumlttlichen und SterblichenDas Spiegel-Spiel der Vierung wahrt alles was in ihm dingend zwischenden Vier anwest und abwest in das einende Ganze seines Anwesens Vonaltersher heiszligt das Anwesen des Anwesenden τὸ ὲόν das Seiend [sic] τὸεἶναι das Sein naumlmlich der ὲόντα des Seinenden das esse entium183
Diese Welt waumlre nun bdquoWahrnis des Wesens von Sein Statt Wahrnis sagen wir auch
Wahrheitldquo184 Die Welt mythopoetisch als Spiegel-Spiel des Gevierts und durch
eine altgriechische Brille betrachtet waumlre die wahre Welt Somit wird die Wahr-
heitsschau gebunden einen antiken Goumltterglauben und abendlaumlndische Sprachkas-
kaden vom Dialekt zum Altgriechisch
Das Problem mit der wahren Welt waumlre allerdings dass sie sich in die Ver-
borgenheit entziehe Naumlher betrachtet ist aber die Verborgenheit Bedingung des
Entbergens was Heidegger notwendig macht zu einem wuumlrdigen Lebensvollzug
in Harmonie mit dem Sein Durch solche Wesensschau waumlre der Mensch befaumlhigt
jederzeit die verstellenden Maumlchte des Ge-Stells (der Technik) zu uumlberwinden und
teilhaftig am Wesen der Welt zu werden
181 GA 97 S 99182 Vgl GA 79 S 47183 GA 79 S 48 (Die griechischen Vokabeln werden hier keiner Uumlbersetzung unterzogen Da
Heidegger ohnehin keine philologische Schaumlrfe anwenden will ist es fuumlr die Zwecke hierausreichend sie mit seiner Uumlbersetzung zu betrachten Heidegger spricht von bdquoAchten aufdas Griechischeldquo was schwieriger waumlre als klassische Philologie (vgl GA 79 S 63)
184 Ebd
43
Welt bleibt in der Verborgenheit (Αήθη) auf die Weise daszlig diese ihre Ver-borgenheit gerade eine Unverborgenheit gewaumlhrt die Αλήθεια185
Die Αλήθεια haumltte allerdings auch eine Rolle uumlber die subjektive hinaus da nur
durch ihren Vollzug Seinsgeschichte gewaumlhrt wuumlrde Das ist der Anspruch den
Heidegger an sein Auditorium stellt gemeinsam geschichtlich sein zu muumlssen (1)
Die Αλήθεια ist das Geschick des Seins als welches Geschick sich die Fuumllleder Seinsgeschichte in ihre Epochen fuumlgt186
Mit dem Ge-Stell als Wesen der modernen Technik waumlre die Aletheia aller-
dings hochgradig gefaumlhrdet Denn ohnehin waumlre die Aletheia prinzipiell der Ge-
fahr der Vergessenheit ausgesetzt Doch das Ge-Stell haumltte die Kraft die bdquovollende-
te Vergessenheit der Wahrheit des Seinsldquo187 zu vollrichten
Indem das Ge-Stell alles Anwesende in den Bestand bestellt setzt das Ge-Stell das Anwesen des Anwesenden heraus aus seiner Wesensherkunft ausder Αλήθεια188
Diese Versetzung des beteiligten Wesens aus der Moumlglichkeit des Wahrheitsprin-
zips heraus markiert Heidegger dann mit der Schreibweise Seyn (mit bdquoyldquo) Wie
bei dem Vortrag Das Dinglsquo koumlnnen ethymologische Abstammungen sein Sys-
tem anreichern Da wo es um das Wortfeld des Stellens geht Ge-Stell Bestellen
Verstellen ist auch das NachstellenMitglied der Familie
Im Althochdeutschen heiszligt nachstellen fara Das in sich gesammelte Stellenals Nachstellen ist die Gefahr Der Grundzug des Wesens der Gefahr ist dasNachstellen Insofern das Sein als das Ge-Stell sich selbst mit der Vergessen-heit seines Wesens nachstellt ist das Seyn als Seyn die Gefahr seines eigenenWesens189
Damit wuumlrde sich durch die Verringerung der Selbstreflexion im Seyns-Bestand
eine Schwachstelle auftun in die der denkbegabte und aletheiafaumlhige Mensch ei-
ne Moumlglichkeit haben das Seyn zum Sein zuruumlckzuwandeln ndash also wieder in ein
185 GA 79 S 49186 Ebd187 GA 79 S 53188 GA 79 S 52189 GA 79 S 53
44
wesentliches Verhaumlltnis zum bdquoDingldquo zu gelangen in dem das Geviert wieder die
Harmonie herstellt Allerdings faumlnde bis zu solch einer Nachstellung eine Ver-
sieglung des Seynsbestandes statt Und Heidegger beklagt dass die Erreichung der
Ruumlckeroberung des Seins uumlber die Nachstellung nicht stattfaumlnde und stattdessen
die Irre regieren wuumlrde190
In dieser Irre stuumlnde dem Menschen nicht einmal mehr zu zu sterben Denn
bdquoSterben [] heiszligt den Tod in sein Wesen austragenldquo191 Somit waumlren die Opfer
die in den KZs umkamen wie er sie in Das Dinglsquo bereits schildert nicht vermouml-
gend gewesen zu sterben bdquoSie werden Bestandstuumlcke eines Bestandes der Fabrika-
tion von Leichen [] Sie werden in Vernichtungslagern unauffaumlllig liquidiertldquo192
Das vermoumlge die Gefahr zu bewirken Der Mensch wuumlrde des eigenen Sterbens
beraubt da er keine Verbindung mehr zur Wahrheit der Welt haumltte Um den rich-
tigen Tod zu sterben muumlsse der Mensch die Aletheia schauen koumlnnen Insofern ist
Heideggers Prinzip ein religioumls anmutendes Wie in der christlichen Vorstellung
der Mensch im Jenseits an seinen Taten gemessen wird um Paradies oder Fege-
feuer zu besuchen soll nach Heidegger der Mensch waumlhrend des Sterbens mit
sich selbst ins Gericht gehen Er soll sich rein machen vom Ge-Stell der Technik
und dem Seyn um nicht die einmalge Gelegenheit des richtigen Sterbevollzugs
zu versaumlumen Es winken gemaumlszlig des Gevierts die himmlischen Goumlttlichen den
irdischen Sterblichen zu wobei annehmbar ist dass Heidegger Sterblichen die
die Aletheia erkennen einen Goumlttlichkeitsstatus beimessen moumlchte ndash eine Erlouml-
sungsphantasie
Genau diese Erloumlsung waumlre die Technik nicht
Ohne den Schritt des Denkens zu wagen der unser Menschenwesen demWesen der Technik [] aussetzt wuumlrgt man sich von Fall zu Fall von Lagezu Lage durch die Zwiespaumlltigkeiten hindurch Und genau durch dieses Ge-wuumlrge versaumlumt man die Moumlglichkeit dessen was man im Grunde erstrebtdie Technik durch menschliches Tun zu meistern und menschenwuumlrdig zulenken193
190 Vgl GA 79 S 55191 GA 79 S 55192 GA 79 S 56 Weil Heidegger im Judentum die Verantwortlichen fuumlr das Geraffe des Ge-Stells
sieht macht er sie gleichsam verantwortlich fuumlr die bdquoSelbstvernichtungldquo Die Seinsverges-senheit im Tode wird dadurch zum Spin-off der vermeintlich juumldisch erzeugten da machen-schaftlichen KZ-Maschinerie (Vgl GA 97 S 20f)
193 GA 79 S 59
45
Trost und Richtung findet Heidegger schlieszliglich abermals bei den alten Griechen
Das Wort stellenlsquo entspricht dem griechischen ϑέσις vorausgesetzt daszlig wirϑέσις griechisch denken Was heiszligt in diesem Falle griechisch denkenlsquo Esheiszligt darauf achten welche Lichtung desWesens des Seyns in welcherWeisedas Dasein der alten Griechen in den Anspruch genommen hat heiszligt imvoraus bedenken in welchem Geschick welcher Unverborgenheit des Seinsdie Griechen standenldquo194
Das sind Vorstellungen des Neuen Anfangs eine Reminiszenz der griechisch anti-
ken Welt Ein Eintrag aus den Schwarzen Heften von etwa 1945-47 () verdichtet
wie oben bereits aufgezeigt die Phantasie griechisch zu sein zu einem gelingenden
Lebensvollzug
Das reine Wesen des Griechentums dh das Seiende inmitten dessen dieGriechen als seiende fremd gewesen dieses und sie selbst und der Bezug desSeins zu ihnen ndash in der einfachen Wesung von der ἀλήθεια her zeigen underfahren Den μῦθος und λόγος ndash jedes Wort und Gebild rein aber nichterzwungen und schematisch-pedant ndash aus ἀλήθεια erfahren195
Hier zeigt sich auch dass Heidegger per se das Aletheia-Prinzip fuumlr notwendig
hielt um ins Licht der Wahrheit zu blicken Die Griechen sind ihm hier deshalb
Vorbild und rein da sie keiner modernen Technik und dem Ge-Stell ausgesetzt
waren sondern lediglich eine mythopoetische Verbindung zum Sein herstellen
mussten um wesentlich zu sein und Seinsgeschichte zu schreiben Die Dinge und
das Spiegel-Spiel des Gevierts waumlren ihnen geschickt zuhanden gewesen196 Hei-
degger macht schlieszliglich sehr deutlich dass das Griechische zu denken ein bei
weitem anderes Geschaumlft sei als philologische Praumlzision
Ein Echo zu sein naumlmlich dem Anspruch des Seins verlangt eine Sorgfaltder Sprache von der freilich der technisch-terminologische Sprachstil derWissenschaften uumlberhaupt nichts wissen kann Die Intentionalitaumlt der wis-senschaftlichen Sprache ist der staumlrkste Beweis fuumlr ihre Boden- und Heimat-losigkeit [] Das Heimische einer hohen Sprache gedeiht nur im Bereichdes unheimlichen Anspruchs der wesenhaften Stille im Wesen des Seyns197
194 GA 79 S 62f195 GA 97 S 20196 Hingegen waumlre das Judentum verantwortlich fuumlr das Ge-Stell fuumlr das Prinzip der Zerstoumlrung
wie es auf der selben Seite der Schwarzen Hefte darunter heiszligt (vgl ebd)197 GA 79 S 66 Die Bedeutung von Seyn als verstelltes Sein oder Bedingung zum Schauen
des wahren Seins ist verwirrend Einer genaueren Analyse wird aus Platzgruumlnden hier nichtnachgegangen
46
324 Die Kehrelsquo
Der letzte Vortrag ist mit nur neun Seiten der Kuumlrzeste des Vortragsgevierts
Nach dem Verlust des Dinges als Ding und der damit einsetzenden Abstandslosig-
keit als Wesen des Ge-Stells wobei die Gefahr zudem der Vergessenheit des Seyns
nachstellt bietet Heidegger eine Perspektive an
Im Wesen der Gefahr verbirgt sich [] die Moumlglichkeit einer Kehre in derdie Vergessenheit des Wesens des Seins sich so wendet daszlig mit dieser Kehredie Wahrheit des Wesens des Seyns in das Seiende eigens einkehrt198
Diese Moumlglichkeit bedeute nicht dass der Mensch sich der Gefahr selbst stellen
koumlnnte sie waumlre passiv ndash bdquoverbirgt sichldquo Die Kehre werde sich ereignen aumlhnlich
einer Erwartung an den Messias
Die Anwesenheit der Gefahr wuumlrde automatisch die Rettung bergen Denn
Houmllderlin haumltte geschrieben bdquoWo aber Gefahr ist waumlchst [d]as Rettende auchlsquoldquo199
Etwa 1945 notiert Heidegger in seine Schwarzen Hefte bdquoDie Wahrheit erfahren
wir im Gedaumlchtnis Das Gedaumlchtnis ist die Dichtungldquo200 (so) Von dieser War-
te aus ausgestattet mit Erinnerungen an das abendlaumlndische Dichten mit dem
Wissen um das Aletheia-Prinzip und passiv als denkender Huumlter des Seyns solle
der Mensch das Ereignis erwarten das ihn bdquoloumlsen freimachen freyen schonen
bergen in die Hut nehmen wahrenldquo201 wuumlrde (siehe S 43)
Dieses Ereignis waumlre der Blitz Ein unvermittelter jaumlher ploumltzlicher Moment
von kurzer Dauer der bloszlig einen ebenso kurzen Blick auf das wahre Wesen er-
lauben wuumlrde Abschlieszligend ist dies das Rezept gegen die Bestands bestellende
Technik in mythopoetischer Formulierung
So entsprechend ist der Mensch geeignet daszlig er im gewahrten Element vonWelt als der Sterbliche dem Goumlttlichen entgegenblickt Anders nicht dennauch der Gott ist wenn er ist ein Seiender steht als Seiender im Seyn unddessen Wesen das sich aus dem Welten von Welt ereignet202
198 GA 79 S 71199 GA 79 S 72200 GA 97 S 52f201 GA 79 S 72202 GA 79 S 76
47
Wenn Heidegger im Anschluss von der bdquohistorisch-technischen Darstellungldquo re-
det so ist dies die Abwehr der Wissenschaften (auch der Philosophie203) und ein
Appell an die Antirationalitaumlt des Mythos bdquokein historisches Vorstellen der Ge-
schichte als Geschehen bringt in den schicklichen Bezug zum Geschickldquo204
Damit das Blitzen erfahren werde als kurze Wesensschau der Aletheia muumlsse
dem wahren abendlaumlndischen und heimatlichen Ereignis stattgegeben werden Es
sollte nicht wie er 1939 schon in den Schwarzen Heften beschreibt das
kuumlnstliche Licht von Historie und Technik in der weder Mensch noch dieGoumltter weder eineWelt noch die Erde sichtbar werden koumlnnen wo aber dasLebenlsquo von allen den immer noch zu wenigen Meistenlsquo erlebtlsquo wird205
Damit schlieszligt der letzte Vortrag mit einer Erwartung an das Ereignis des Blit-
zens nicht das Erleben der Besinnungslosigkeit (vgl Das Ge-Stelllsquo) Schon 1947
traumlumt Heidegger von solcher Umkehr
Aus der Kehre der Seynsvergessenheit aber ereignet sich das Unumgaumlnglicheden Acker der Welt erst zu pfluumlgen und saatbereit der Sonne und dem Regenund den Voumlgeln des Himmels uumlberlassen206
203 Denn ldquo[e]igentlich denken heiszligt [] die Philosophie verlassen [] beim Sagen des Seinslsquoldquo(GA 97 S 60)
204 Ebd205 GA 95 S 427 Gegen das Erlebnis und Erleben straumlubt sich Heidegger besonders So notiert
er etwa 1939 bdquoZeitalter der Techniklsquo macht gerade die Techniklsquo nicht zum Ziel sondernimmer mehr zum Mittel der besinnungslosen Berechnung [] der Mensch [] das Erleb-nislsquo [] Erleben als der Gefuumlhlsgenuszligldquo (GA 95 S 149) Wie auch bdquoWo beide Historie undTechnik in solcher scheinbaren Gegensaumltzlichkeit verkoppelt sind koumlnnen sie sich zur Foumlr-derung dessen zusammenschlieszligen was einstmals wesentlich die Geschichte des Menschenmitbegruumlndete und was wir die Kunstlsquo nennen Die Historie verschafft [] Anregungenund Vorbilder der Nachahmung die Technik erleichtert [] die Zustellung von Darstel-lungsmitteln und Wirkungsformen [] Gleichwohl ist alles wurzellos [] berechnet und alsErlebnislsquo ausgegebenldquo (GA 95 S 212)
206 GA 97 S 511
48
4 Konklusion
Der umstrittene Philosoph Martin Heidegger hat uumlber die 1930erndash40er Jahre
hinweg eine ausgepraumlgte voumllkisch-nationale und bisweilen radikal-antisemitische
Denkweise entwickelt Dieses Denken fasste er auch auf als Besinnung und stellt
es der Philosophie und Wissenschaft diametral entgegen In Kapitel 2 wird aufge-
zeigt dass sowohl Heideggers Mythologie bereits kritisiert wurde (Adorno Cassi-
rer Meyer) als auch seine Mythopoetik bewundert (Schulz-Nieswandt) Kapitel
3 will daruumlber hinaus aufzeigen wie Heidegger eine eigene Mythologie mytho-
poetisch fruchtbar macht was sich von beiden vorigen Ansaumltzen unterscheidet
und erst mit der Veroumlffentlichung der Schwarzen Hefte ab 2014 nachvollziehbar
wurde
Umso mehr bietet die mythopoetische Verbindung von bdquoDichten und Den-
kenldquo (so) einen antitechnischen Gegenpol Denn Heidegger fasst wie oben ge-
schildert alles Rationale auf als berechnende Bestellung des Bestands im Sinne
der Technik Daruumlber hinaus fordert er mit dem Aletheia-Prinzip (als metapho-
risch gefasstes Ereignis des Blitzens) einen Mitvollzug seiner mythopoetischen
Kontemplation in dem religioumlse voumllkische antike und sprachliche Motive zu-
sammenfallen
Obwohl schon von Heidegger selbst nicht mehr als Philosophie betrachtet
hat seine Rede vom Ding dem Ge-Stell dem Wesen der Technik und der Kehre
noch immer einen bedeutenden Einfluss auf die Technikphilosophie So betont
Alfred Nordmann in bdquoWerkwissen oder How to express things in worksldquo (2008)
dass Heidegger mit Das Dinglsquo eine Art Dingwissen geschaffen haumltte In seinem
2012 erschienenen Aufsatz Another parting of the ways Intersubjectivity and the
objectivity of sciencersquo207 geht Nordmann ein weiteres Mal auf Heideggers Ding
ein Dieses waumlre eine Abarbeitung an dem Ding Kants womit auch Nordmann
Heidegger als einen Interpreten Kants versteht208 Anschlieszligend anMichael Fried-
207 Nordmann Alfred Another parting of the ways Intersubjectivity and the objectivity ofscience In Studies in History and Philosophy of Science 43 (2012) 38ndash46
208 Die Auseinandersetzung mit dem Ding wuumlrde nach Nordmann in Heideggers GA mit demText Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalen Grundsaumltzenlsquoeinsetzen (GA 41 Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalenGrundsaumltzen)
49
man spricht sich Nordmann ebenso dafuumlr aus dass Heidegger neben Rudolf Car-
nap und Ernst Cassirer eine neokantianische Philosophie verfolgt haumltte (siehe
Kap 1)209
Nach Nordmann haumltte Heidegger in seinen anschlieszligenden Gedanken uumlber
das Ding als Fortfuumlhrung Kants als erster Wissenschaft als angewandte Techno-
logie verstanden210 Diese Interpretation stuumltzt sich auf die gleichen Symbole
Metaphern und Mythen die die vorliegende Arbeit analysiert Das Ge-Stell ist
insofern aumlquivok mit dem Begriff techno-science Jedoch sind in dieser Fruchtbar-
machung von Heideggers Denken der Technik dessen nationalistischen rassisti-
schen und antisemitischen Implikationen die die vorliegende Arbeit als Zentrum
dessen Philosophie ermitteln konnte noch nicht beachtet worden koumlnnen211
Andreas Luckner webt Heideggers Ding-Entwurf weiter als verantwortliches
Sorgen um die Dinge212 Er geht dabei mit Heidegger voumlllig konform und tritt
eher als eine Art Bote der Ding-Botschaft auf als diese moumlglicherweise zu kriti-
sieren was sich diesen Artikel wie ein Kapitel aus einem Studienbuch lesen laumlsst
Der Darmstaumldter Technikphilosoph Christoph Hubig ist vor allem Kritiker Hei-
deggers Argumentationen laumlsst aber zuweilen diverse Topoi aus dem Werk des
Technik-Denkers durchscheinen ohne sie weiter zu reflektieren
So konstatiert Hubig Heidegger verfehle in dessen Auseinandersetzung mit
Aristoteles Lehre von der Poiesis zum Punkt der Sicherung wie sie in Die Frage
nach der Techniklsquo behandelt wird bdquodie operative Seite des Technischenldquo bei Aris-
totels213 In einem spaumlteren Aufsatz allerdings stuumltzt er sich ohne weitere Erlaumlute-
rungen auf Heideggers Begriff der Sicherung aus Die Frage nach der Techniklsquo214
209 Diese Befriedung paradigmatischer Umstaumlnde wird hier nicht geteilt Eine weitere Bearbeitunglaumlsst der Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht zu
210 Vgl Nordmann Another parting of the ways S 45211 Der Aussage dass Heideggers Ding-Begriff kantianisch waumlre muumlsste einer gezielten Untersu-
chung unterzogen werden genau wie die Behauptung insgesamt dass Heidegger oder inwie-weit dieser noch der suumlddeutschen Kantschule des 1920 Jahrhunderts angehoumlrte
212 Vgl Luckner Andreas Ding und Bestand Heidegger und das Wesen neuzeitlicher TechnikIn Gamm G Gehring P Hubig C Kaminski A und Nordmann A Ding und SystemS 15-30 hier S 29
213 Hubig Christoph Die Kunst des Moumlglichen Technikphilosophie als Reflexion der MedialitaumltBielefeld 2006 S 103
214 Vgl Hubig Christoph Technik als Medium In Grundwald Armin (Hg) Handbuch Tech-nikethik Stuttgart 2013 S 118-123 hier S 118
50
Dabei versteht Hubig Heideggers Betrachtungen zum Umgang mit der Technik
als gelassen
Fuumlr Heidegger liegt die Andersheit im Entbergen einer Wahrheit des Seinseines Geschicks von dem die Entwicklung der Technik hin zum Gestellkuumlnde Er verbindet dies mit dem Appell jenseits des rechnenden und si-chernden Vorstellens technischer Vollzuumlge als handlungsleitender Program-me sich gelassenlsquo dieser Entwicklung zu uumlberantworten und ein Seinlsquo zuhuumlten das sich als solches eben entbirgt Das Rettendelsquo dieser Einsicht lie-ge darin dass unsere individuelle Endlichkeit insofern transzendiert wirdals sie sich dem sie uumlbersteigenden Prozess aufschlieszligt und sich selbst relati-viert215
Wovon in diesem Zitat nicht die Rede ist ist der Mitvollzug der mythopoe-
tischen Rahmenbedinungen die Heidegger einfordert und an dem die Konzep-
te Abendland und voumllkische Tradition haumlngen In dieser Arbeit wird davon aus-
gegangen dass Heideggers Technikphilosophie-erzaumlhlung sich nicht von seinen
Absichten der Bekaumlmpfung des Technischen loumlsen laumlsst Die Relativierung ist in-
sofern nicht an den Prozess gebunden und damit emergent auf alles hin ausge-
richtet was kommen mag sondern houmlchst konvergent in einer Besinnung auf
Mythen von dem Ding und dem Geviert mit all deren Valenzen aus dem vorlie-
genden Heideggerschen Textkorpus Die individuelle Endlichkeit ist genoumltigt die
Heimat und das Abendland zu kennen und im Aletheia-Prinzip umzusetzen
Die Neubewertung der bislang bekannten Heideggerschen Technikphiloso-
phie von vor den SchwarzenHeften ist ein dringendes Desiderat Voumllkisch-nationale
Gruppierungen erstarken momentan in ganz Europa und es koumlnnte sehr hilfreich
sein aumlhnliche Denkstrukturen aufzudecken so wie sie zwischen den 1930er und
40er Jahren entwickelt wurden Zusaumltzlich muss das Werk Heideggers einer kriti-
schen Revision schon aufgrund der niemals von ihm behandelten Antisemitismen
unterzogen werden Heidegger hat nie zu diesen Stellung bezogen
Daruumlber hinaus ist das Thema Mythos und Philosophie ein weiterhin not-
wendiger Bereich der philosophischen Forschung In einem Bereich auszligerhalb
der exakten Wissenschaften und ohne klare theologische Tradition ist die Philo-
215 Hubig Die Kunst des Moumlglichen S 140
51
sophie beides sowohl Aufklaumlrer und antimythisch als auch Quelle fuumlr mythisches
Denken und affektierende Motive
52
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56
Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
Der Unterzeichner versichert dass er die vorliegende Bachelorarbeit selbststaumlndig
verfasst und keine anderen als die von ihm angegebenen Hilfsmittel benutzt hat
Die Stellen der Arbeit die anderen Werken dem Wortlaut oder dem Sinne nach
entnommen sind wurden in jedem Fall unter Angabe der Quellen (einschlieszliglich
des World Wide Web und anderer elektronischer Text- und Datensammlungen)
kenntlich gemacht Dies gilt auch fuumlr beigegebene Zeichnungen bildliche Dar-
stellungen Skizzen und dergleichen
Darmstadt 25 April 2016
__________________________
(Eigenhaumlndige Unterschrift)
- Abkuumlrzungsverzeichnis
- Danksagung
- Einleitung
- Heideggers mythopoetisches Programm
-
- Zu den Begriffen Mythos Mythologie und Mythopoetik
-
- Ein Beispiel fuumlr ein Mythologem
-
- Heideggers Mythen
-
- Formen der Mythologie
-
- Heideggers mythopoetische Technik
-
- Zur Publikationsgeschichte von den Bremer Vortraumlgen 1949
- Die mythopoetische Spiegelung der Schwarzen Hefte
-
- Das Dinglsquo
- Das Ge-Stelllsquo
- Die Gefahrlsquo
- Die Kehrelsquo
-
- Konklusion
- Literaturverzeichnis
- Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
-
10
Am Ende koumlnnten sich Text und Sache moumlglicherweise so darstellen lassen[] dass sich das Gesamtwerk als die labyrinthisch konstruierte letzte Basti-on eines philosophischen Stellungskrieges positioniert in dessen Verlauf derAntisemitismus ndash neben den anderen programmatischen Feindseligkeiten ndasheine strategische Funktion nach Analogie mehrerer einander koordinierterWaffengattungen erfuumlllt [] dass es sich bei den vier Baumlnden um Bausteinefuumlr eine Kampfschrift handelt33
Mit dem Schluumlssel des Verstaumlndnisses der altgriechischen Sprache seiner Liebe
zum Klassikautor Houmllderlin und als selbsterklaumlrter Feind der Metaphysik ver-
stand sich Heidegger als Prophet des Denkens das als Dichtung veredelt An-
athema zur Rationalitaumlt und Wissenschaft (worunter er auch die Philosophie ver-
stand) sein sollte Die strenge Bindung an seine Pseudotradition des Abendlandes
sollte mythologisch festgezurrt sein aber seine Veroumlffentlichungen in Form von
Vortraumlgen und Aufsaumltzen und schlieszliglich in Buchform sollten selbst nicht bloszlig
mythologisch sein ImModus von verhaumlrtetem solipsistischen Narzissmus ging er
daruumlber sogar noch hinaus und wollte sich verstehen als mythopoetischen Autor
seiner eigenen Mythologie
Eine katalysierende Wirkung auf dieses Vorgehen Heideggers hatte der Alt-
philologe Walter F Otto (1874ndash1958) In einem vor den Schwarzen Heften in
2009 veroumlffentlichen Aufsatz schildert der franzoumlsische Germanist Daniel Meyer
von diesem Bezug und untersucht Heideggers Verbindung der Kehre34 und des
Mythos Die Entdeckung des griechischen Mythos Heideggers geschichtsphilo-
sophische Wendelsquo35 Wie es der Titel verraumlt markiert Meyer Heideggers Kehre
zur Seinsgeschichte mit dessen bdquoEntdeckungldquo des Mythologisierens36
33 Rudolph Enno Heideggers Schwarze Hefte im Echo In Philosophische Rundschau Bd 62Heft 2 (2015) S 141-154 hier S 145f
34 Die bdquoKehreldquo ist multifaktoriell mit Bedeutungen besetzt Darauf kann hier nicht eingeangenwerden Im Uumlblichen ist die Kehre zur bdquoSeinsgeschichteldquo gemeint
35 Meyer Daniel Die Entdeckung des griechischen Mythos Heideggers geschichtsphilosophi-sche Wende Germanica 45 (2009) S 13-26
36 Diese Entdeckung ist wie bei Peter Trawny (su) gebunden an Heidegger Topos des AnfangsDen Anfang dieser Rede des Anfangs will auchMeyer erkannt haben Insgesamt koumlnnen nochmehrere starke Aumlhnlichkeiten des Artikels von Meyer mit Trawnys Buch uumlber die Schwar-zen Hefte nachgewiesen werden womit Trawny ohne jegliche Nennung Meyers unter denAnfangsverdacht des Plagierens faumlllt
11
Ottos 1929 erschienenes Werk Die Goumltter Griechenlandslsquo37 sei laut Meyer
der fuumlr Heideggers mythologische Strategie unentbehrliche Einfluss Somit sei
der griechische Goumltterbegriff nicht mehr bdquochristlich antithetisch zu Welt und
Mensch sondern in Einheit damit zu denkenldquo38 Diese Einheit wuumlrde gestif-
tet durch bdquoOttos Formel vom Geheimnis der Beruumlhrung von Goumlttlichem und
Menschlichenlsquoldquo39 Da Meyer das Mythologisieren im Zusammenhang mit der ge-
schichtsphilosophischen Kehre auch im Sinne einer bdquoVorrangstellung des primi-
tiven archaischen von ihm [Heidegger DS] als mythisch verstandenen Den-
kensldquo40 als Weg zum Nationalsozialismus ndash der Traum Heideggers eines neuen
(deutschenabendlaumlndischen) Anfangs ndash versteht liegt dem bdquogriechischen Goumltter-
begriffldquo hier eine besondere Wertlegung zugrunde41
Die Beschwoumlrung des Anfangs des griechischen Ursprungs ermoumlglicht ei-nen genuinen Neuanfang im Sinne einer Annullierung des Vorhergekom-menen Der Ausweg aus der Moderne aus der Welt der Uneigentlichkeitist moumlglich durch einen Bruumlckenschlag zum griechischen Denken [] DieMoumlglichkeit diese Krise zu uumlberwinden ist fuumlr Heidegger 1933 durch dienationalsozialistische Machtergreifung gestellt doch reiht er diesen Prozessin eine legitimierende geschichtsphilosophische Perspektive die auf einengriechischen Ursprungsmythos zuruumlckverweist42
Meyer findet kernige Passagen die er aus Heideggers Schriften und Vorle-
sungen bis 1935 durchaus uumlberzeugend zur Unterstuumltzung seiner These anfuumlhrt
Diese Zitate Heideggers sind der Mythologie der Schwarzen Hefte sehr aumlhnlich als
tentatives Entwerfen
37 Otto Walter F Die Goumltter Griechenlands Das Bild des Goumlttlichen im Spiegel des griechi-schen Geistes Frankfurt am Main 2013Meyer verweist in einer Fuszlignote auf das Buch Heideggerrsquos Roots Nietzsche National So-
cialism and the Greekslsquo von Charles Bambach (2005) das ihm fuumlr diese Aussage Pate stand38 Meyer Die Entdeckung des griechischen Mythos S 439 Ebd Durch eine solche Formel der Einheit von Menschen und Goumlttern ist ein nahtloser
Anschluss an die Goumltter Heraklits und anderer antiker Philosophen geebnet Heidegger hatdiese Moumlglichkeit erstaunlich ernst genommen und ausgearbeitet
40 Meyer Die Entdeckung des griechischen Mythos S 341 Meyer stolperte mit der Begruumlndung dass bdquoDieser erstaunlich unkritische Gottesbegriff []
sich nur im Kontext von Ottos Goumltter Griechenlands verstehenldquo (Meyer Die Entdeckungdes Griechischen Mythos S 4) lieszlige uumlber Heideggers SoSe Vorlesung 1930 Vom Wesender menschlichen Freiheitlsquo (GA 31 S 7f) Ferner vollzieht er Ottos Einfluszlig uumlber die ersteHoumllderlin-Vorlesung von 193435 und weitere Schriften Heideggers nach Es geht Meyerauch stark um das Verhaumlltnis von Heideggers Denken bis und nach Sein und Zeit was indieser Arbeit nicht tiefer behandelt werden kann
42 Meyer Die Entdeckung des griechischen Mythos S 4f
12
Das legt nahe dass Heidegger sein mythopoetisches Texten als Code vor allem
in den Nachkriegsveroumlffentlichungen einsetzt ndash ein Nachruf aus dem gescheiter-
ten Anfang43 Ab 1935 jedenfalls haumltte sich Heidegger von der Vorstellung des
neuen Anfangs verabschiedet44
Das Mythologisieren konstruiert Meyer als Anschluss an die Houmllderlin-Vor-
lesung (193435) Die Houmllderlinsche Lyrik haumltte fuumlr Heideggers bdquophilosophisches
Sprachmaterialldquo Vorbildcharakter da bdquomit Houmllderlin die griechische Mytholo-
gie in ihrer sprachlichen Verbildlichung zum tragenldquo45 kaumlme Die dann staumlndige
Wiederauferstehung der bdquogriechischen Goumltter- und Heldenwelt in seinen Vorle-
sungenldquo schluumlge dem zu Buche In der Vorlesung 193435 Houmllderlins Hymnen
Germanienlsquo und Der Rheinldquo klingt insofern bereits eine Figur an die Heidegger
uumlber zehn Jahre spaumlter in seinen technikphilosophischen Bremer Vortraumlgen mit
seinem Aletheia-Prinzip verbinden wird ndash der bdquoBlitzldquo (su)
43 Eine genaue Untersuchung laumlszligt die Form dieser Arbeit nicht zu sie bezoumlge sich wie gesagtauf die drei Darstellungsebenen der GA mit den Schwarzen Heften (GA 94ndash97) als (Entwurfs-phase) Besinnung (GA 66) Das Ereignis (GA 71) ua als (Konzeptionsphase) und den BremerVortraumlgen (GA79) als (Praumlsentation) die Uumlbergaumlnge sind freilich flieszligend und gerade in denvon Meyer zitierten Vorlesungen erscheinen alle drei Stufen mitunter gleichzeitig Gerade imfolgenden zitierten Doppelband in dem es ua um die bdquoWahrheit der Spracheldquo geht scheintes tatsaumlchlich genau wie Meyer es identifiziert um die Grundlegung Heideggers Mythologiezu gehen die in den Schwarzen Heften vielmehr lemmaartig und sporadisch entworfen wirdMit Heraklits Spruch des Kampfes als Wesen des Seienden zieht Heidegger einen Paten seinerMythos-Logos-Aletheia Kombination heran und versucht seiner eigenwilligen Philologie ei-ne verpflichtende Bedeutungstiefe einzulegenMeyers Zitate Heideggers mit groszliger Relevanz fuumlr diese Arbeit sind die folgenden bdquoDa-
mals als das Volk der Griechen deren Stammesart und Sprache mit uns dieselbe Herkunfthat in seinen groszligen Dichtern und Denkern sich aufmachte eine einzigartige Weise desmenschlichen volklichen Daseins zu schaffen Was da anfing ist bis heute nicht eingeloumlstAber dieser Anfang ist noch nicht und er verschwand nicht und verschwindet nicht dadurchdaszlig die nachkommende Geschichte immer weniger seiner Herr blieb Der Anfang ist nochund besteht als ferne Verfuumlgung die unserem abendlaumlndischen Schicksal weit vorausgreift unddas deutsche Geschick an sich kettetldquo (GA 3637 S 6 Die Grundfrage der PhilosophielsquoSommersemester 1933)bdquoAls μυθος ist das Wort das uumlber den Menschen kommt jenes worin ihm dieses und
jenes seines Gesamtdaseins gedeutet wird nicht das Wort in dem er von sich her Rede stehtsondern das Wort das Weisung gibt [] Aber der urspruumlngliche λογος der Philosophiebleibt dem μυθος verbunden erst die Sprache der Wissenschaft vollzieht die Abloumlsungldquo(Ebd S 116)
44 In den Schwarzen Heften houmlrt die Sehnsucht nach dem neuen Anfang nicht auf also bis ein-schlieszliglich 1948
45 Meyer Die Entdeckung des griechischen Mythos S 6
13
Gewitter und Blitz sind die Sprache der Goumltter und der Dichter ist derder diese Sprache ohne Ausweichen auszuhalten hat aufzufangen und in dasDasein des Volkes zu stellen hat [] Die Dichtung ist ein Weiterwinkendieser Winke in das Volk oder von diesem her gesehen Dichtung ist []ein Zeigen ein Weisen in welcher Weisung die Goumltter offenbar werden46
Die Rede von bdquoWinkenldquo ist bereits ein Selbstbezug benannte der Autor der
Schwarzen Hefte seine ersten beiden Abteilungen des heutigen 94ten Bandes der
GA als Winke x uumlberlegungen (II) und Anweisungenlsquo und uumlberlegungen und
Winke IIIlsquo47 Diese setzen ein im Jahr 1931 und duumlrften moumlglicherweise bis 1933
oder vielleicht auch 1935 gereicht haben Heideggers Selbstuumlberhoumlhung als mys-
tagogisch bdquodichterisch-denkenden Schaffenden ndash also ihm selbstldquo48 erkennt auch
Meyer bereits ohne die eindeutigen Zeugnisse dieses Wunsches in den Schwarzen
Heften Es ist Heideggers Begehren das Volk seiner Fuumlhrung zu unterstellen bdquoso
dass sich das Wesen dieses Landes selbst findet und vollendetldquolsquo49
Meyer spricht in Folge daran davon was Heideggers Ursprungsmythos den
er in die griechische Altertum legt fuumlr diesen leistet Es ist eben das antiwis-
senschaftliche bdquoWissenldquo von einer bdquoUr-geschichteldquo Welche abgruumlndigen Motive
auch immer da hineinzuprojizieren sind (Bodenhaftigkeit arische Reinbluumltigkeit
abendlaumlndische Groumlszlige etc so wie es sich aus den Schwarzen Heften offenbart)
der Mythos verschraumlnkt Heideggers Streben nach Fuumlhrung als Denker und eine
Begruumlndung fuumlr die vermeintliche rassische uumlberlegenheit des deutschen Volkes
Meyer zitiert den Dichter-Denker mit bdquoMythologielsquo ist Wissen von einer Ur-
geschichteldquolsquo Es ginge um
Wissen nicht im archaumlologisch-musealen Sinn sondern als Prozess [] auchim Sinne dass Heidegger im Moment des Aussprechens gerade das leistetwovon er spricht Mythologie50
Augenscheinlich sieht Meyer keinen Grund dafuumlr von einer mythopoetischen
Textform in der Verschraumlnkung von Heideggers Denkerprophetie und der abend-
46 GA 39 S 31f (zitiert nach Meyer Die Entdeckung des griechischen Mythos S 6)47 Aus dem beigefuumlgten Nachwort des Herausgebers Peter Trawny geht nicht genauer hervor
weshalb zuerst bdquoWinke x uumlberlegungen (II)ldquo und dann bdquouumlberlegungen und Winke IIIldquo signi-fiziert sind Es wird hier davon ausgegangen dass es sich schlicht um das Gleiche handeltwobei der erste Teil sich in den bislang verschollenen Schwarzen Heften befinden muss
48 Meyer Die Entdeckung des griechischen Mythos S 749 Ebd Darin zitiert ist die GA 39 S 28950 Ebd Darin zitiert ist die GA 40 S 165
14
laumlndischen uumlberhoumlhung zu sprechen Die Paarung von Dichtung und Denken al-
lerdings ist fuumlr den Husserlnachfolger erst der Zweck und die Mythologisierung
das Mittel dazu In seiner Schrift uumlber die Religionsphilosophie und ontologi-
sches Wahrheitsverstaumlndnis bei Walter F Ottolsquo schildert der Altersforscher und
Sozialwissenschaftler Schulz-Nieswandt aus Koumlln uumlber die menschliche Existenz
die bdquoMythopoetik als Seins-Vergewisserungldquo51
In jenem Kapitel seines Otto-Traktats von 2014 schreibt Schulz-Nieswandt
wie ein echter Epigone Heideggers von der Wappnung gegen die bdquoKrise der Mo-
derne ndash Entfremdung Einsamkeit Angst Verzweiflungldquo52 An fruumlherer Stelle
seines Buchs stellt sich dar dass Schulz-Nieswandt sich geradezu mit Heideggers
Linie vereint anstatt sich ihr nur anzunaumlhern
Es geht um das wahre Sein aus der Sicht des zu seinem Wesen gelangendenMenschen in dessen Daseinsfuumlhrung was hermeneutisch erschlossen wer-den soll nicht um Wissenschaft als hermeneutische Methode im Kriterien-spektrum zwischen Verifikation und Falsifikation von Hypothesen mittelsProtokollsaumltzen uumlber die Realitaumlt53
51 Schulz-Nieswandt Frank Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis beiWalter F Otto (1874-1958) Eine strukturalistische und psychodynamische RezeptionBaden-Baden 2014 S 58-60
52 Ebd S 58 Dabei spielt Schulz-Nieswandt die Begriffe Epistemologie gegen Ontologie ausund bezeichnet sich selbst als post-strukturalistisch im Sinne der Kritischen Theorie schrei-bend Jedoch erscheinen diese philosophischen Kontraste nur wie bdquoEdelsubstantiveldquo des vonAdorno gemuumlnzten bdquoJargon der Eigentlichkeitldquo Und in genau diesem Jargon laumlszligt der So-zialwissenschaftler Heideggers Urmythos des Goumlttlichen der griechischen Antike (so) inaktueller Praumlsenz wieder auferstehen Es ist erstaunlich dass jemand der die Kritische Theo-rie fuumlr sich reklamieren will Epigone des bdquoJargons der Eigentlichkeitldquo ist So zeigt es sichauch auf S 28 wenn er in Ottos Dionysos bdquodie ganze Tiefe des Menschen zum Ausdruck[bringt DS] die Todeserfahrung des sterblichen Menschen Dionysos ist Hadesldquo Um nocheinmal zu bestaumltigen wie sich Schulz-Nieswandt als Akteur des Jargons gebiert sei hier Ador-no zitiert (dies gilt allerdings nur der Gegenuumlberstellung zum Vorsatz jener wuumlrde sich ander Kritischen Theorie orientieren ohne fuumlr diese zu advozieren) bdquoDer Heideggerschen Phi-losophie schloszlig sich was einmal Pforte zum ewigen Leben war zu sie betet statt dessenWucht und Groumlszlige des Tores an [] Sein wuumlrdevolles Gehabe ist Reaktionsbildung auf dieSaumlkularisierung des Todes [] Darum wird Sinn in den Tod geworfenldquo (Adorno Jargonder Eigentlichkeit S 134)
53 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei WalterF Otto S 15
15
Beiden gemeinsam ist auch die Faszination an Houmllderlin die sie ebenso mit Otto
teilen
Die ganze Eigenart des Denkens von Otto kommt in dem komplett innerenVerhaumlltnis zu Heidegger und Houmllderlin zum Ausdruck54
Nur noch ein Gott kann uns rettenlsquo so das Zitat des Spiegelinterviews das Ja-
kob Augstein zum Titel machte ist die kodierte Mythopoetik auf die sich die
Spiegelleser keinen Reim machen konnten Fuumlr Heidegger fuumlr den das Sein in der
Sprache wohnen sollte55 ging es um den Mythos der Naumlhe zur Antike als Naumlhe
zu den Goumlttern
Fuumlr Houmllderlin war die Theologie der Abwesenheit Gottes als uumlberweltlichePraumlsenz der Verlust der Gotteserfahrung des diesseitig verankerten Men-schen [] Die Antike wird als eine von Goumltternaumlhe charakterisierte Zeitvon Houmllderlin verstanden und erneuert (der kommendelsquo Gott) ersehnt56
Dies ist eine der Leit-Mythen Heideggers insbesondere wenn man sich die Nach-
kriegsvortraumlge ansieht (eben die Bremer Vortraumlgelsquo)
Die Aufhebung der Trennungsangst durch die bdquoAbwesenheit der Goumltterldquo uumlber-
winde der in existenzieller Angst befindliche bdquohomo abyssusldquo mittels bdquoder lie-
bevollen Gestaltung als Sich-Einrichten des Menschen [] als apriorischer Mo-
dus des In-der-Welt-Seinsldquo durch die bdquoEwigkeit der Mythopoetikldquo57 Fuumlr Schulz-
Nieswandt ist Mythopoetik eben nur dieses ein peganistischer Goumltterdienst der
den Kanon der Ottoschen Antike mit Houmllderlin interpretiert Insofern versteht
dieser versuchte Religionsphilosoph der eigentlich Sozialforscher ist Heideggers
Mythologie als schoumlpfend aus geteilter Quelle mit Mythen als Gemeinplaumltzen
derer sich der Denker-Dichter philologisch sicher bediene
Dabei geht es Schulz-Nieswandt umHeideggers Aletheia-Prinzip das er bdquoWahr-
heitsbegriffldquo nennt ndash welches bdquoDie Differenz der Technik als Herrschaft uumlber
54 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei WalterF Otto S 20
55 Vgl GA 7 S56 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei Walter
F Otto S 2157 Vgl Ebd S 59
16
Dinge von der Kunst als Schoumlpfung als Lichtung des Seins zur Wahrheit unter-
scheidetldquo58 Houmllderlins Goumlttliches waumlre darin vermisst und von Bedarf fuumlr den
Menschen Mit der Nomenklatur der griechischen Goumltter Houmllderlins und Ottos
ginge es beim Wahrheitsprinzip um bdquodie Erinnerung an Dionysos als der wie-
der kommende Gott []ldquo sie bdquofuumlhrt zur Lichtung des Seins als Wahrheitldquo59 Der
Mensch waumlre also Hirte seines Seins nicht Herr der Technik zum Sein bdquoDas Sein
ist den Menschen nicht technisch verfuumlgbar Die notwendige Einkehr wird zu
Heimkehrldquo60
Insofern zeichnet Schulz-Nieswandt ganz in Heideggers Sinne nach wie Hei-
mat und Irrationalitaumlt des Mythos zusammenfallen im Kanon der Goumltter-Mytho-
poetik Zum einen ist allerdings Heideggers Mythologie nicht so sehr an diese
Mythopoetik uumlber die Goumltter gebunden sondern bewegt sich frei im eigenwil-
ligen Auslegen von altgriechischen und deutschen Begriffen Zum anderen ist es
erstaunlich dass Schulz-Nieswand 2014 die Bedeutung der Mythopoetik fuumlr Hei-
deggers Ursprungsmythos des neuen Anfangs ignoriert und damit auch die gan-
ze voumllkisch-nationale Aura und damit die Abgrenzungspolitik Vor allem aber
richtet sich Heidegger nicht in einer bdquoliebevollen Gestaltungldquo menschlich ein
wie Schulz-Nieswandt es schon pathetisch darstellt sondern befeinded sich mit
allem ihm Zuhandenen als bdquoRaprochementldquo61 in alle Richtungen und pocht auf
bdquogeschichtliche Besinnungldquo als bdquoAuftrag des Deutschenldquo62
221 Formen der Mythologie
Mit den zwei oben herangezogenen Arbeiten uumlber Mythologisieren und Mytho-
poetik Heideggers sollte in dieser Arbeit das Verstaumlndnis seines Projekts der an-
tirationalen und antitechnischen Ausrichtung in den aktuellen Forschungsstand
gestellt werden Um welche Mythologie es sich in den Schwarzen Heften handelt
wird im Folgenden aufgedeckt werden Bereits in dem ersten Heft der Denktage-
58 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei WalterF Otto S 58
59 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei WalterF Otto S 59
60 Ebd61 Wolin Richard Heideggers bdquoSchwarze Hefteldquo Nationalsozialismus Weltjudentum und Seins-
geschichte In Vierteljahrsheft fuumlr Zeitgeschichte Bd 63 Heft 3 S 379-41062 GA 94 S 66
17
buumlcher verschmilzt Heidegger seine Vision von Dichten und Denken stellt sich
unter dieses Ideal
Dichten undDenken ineinander geschlungen und so waumlre ihrWas im verbindend-trennenden Bestimmen gewonnen63
Als bdquoAusgriff in den Begriffldquo versteht Heidegger dies als bdquovorschreibend-bildenden
Entwurfldquo der hinfuumlhrend zum Ereignis des Aletheia-Prinzips waumlre ndash
(Dichtung als Mythos
Dichtung als Dichtung im engeren Sinne gtgtGedichtltlt
Dichtung als Philosophie)64
Grundsaumltzlich ist die lose wirkende Legion von Lemmata nicht mit einer
Ruumlckfuumlhrung seiner Gedanken auf bestimmte griechische Goumltter und antike (ech-
te) Mythen besetzt Heidegger fetischisiert Begriffe und mythologisiert die von
ihm aufgepfropfte Bedeutung durch ein staumlndiges Wiederholen und Weiterden-
ken als bdquoWissenldquo wie Meyer es herausgearbeitet hat In dieser philosophischen
Alchemie sieht sich Heidegger als Denker als Bewahrer einer uralten Lehre die
eben neu widererstarken muumlsse Das hat Meyer auch schon klar gemacht Die My-
thopoetik erscheint aber hauptsaumlchlich nicht in den Schwarzen Heften sondern in
den Vortragspublikationen sich auf seine private Mythologie beziehend die in
den Schwarzen Heften zu Grunde gelegt wird
Die Mythen Heideggers drehen sich wie Meyer zurecht behauptet um den
Ursprung bei den Griechen den bdquoGrund der Geschichte des Abendlandesldquo65
Aber auch um die vielen Binaritaumlten die sich entgegengesetzt werden und tat-
saumlchlich wie der Heidegger-Herausgeber und Initiator und Leiter des Wupper-
taler Heidegger Instituts Peter Trawny es benannt hat auf einen Manichaumlismus
zulaufen66 Die Abgrenzungspolitik im Sinne des schuumltzenswerten abendlaumlndisch-
heimatlichen Deutschlands richtet sich gegen den inneren Feind vorangetrieben
63 GA 94 S 6564 GA 94 S 6665 GA 96 S 20566 Trawny Peter Heidegger und der Mythos der juumldischen Weltverschwoumlrung Frankfurt am
Main 2015 S 22Das hier aufgefuumlhrte Buch birgt einige problematische Umformungen zum Verhaumlltnis von
Heideggers Antisemititsmus Allem voran versucht es eine Begriffsbildung zu formen nach
18
von der Rechenhaftigkeit des juumldischen Wesens und die aumluszligeren Feinde wie Ameri-
kanismus franzoumlsische Kultur russischer Bolschewismus usw Heideggers Urmythos
vom neuen Anfang ist verquickt mit einem selbstangedichteten Personenmythos
was ebenfalls Meyer schon erkannt hat Dieses Schema ist die Grundstruktur
Immer deutlicher wird in mir die Ahnung daszlig unsere Heimat der Kerndes suumldwestdeutschen Landes [er selbst DS] der geschichtliche Geburtsortdes abendlaumlndischenWesens sein wird [] es ist das Geistvolle und zugleichdas erdenhafte schoumlne Land Es birgt unsichtbaren Reichtum dem Gemuumltbewahret tiefstes Dichten und houmlchste Gestalt der Sage67
Die mitunter wichtigste Dichotomie die Heidegger in den Denktagebuumlchern
aufwirft ist die zwischen Historie und Geschichte Es ist insofern nicht nur der
Mythos des neuen Anfangs der Heideggers Denken uumlber fast zwei Dekaden be-
stimmt sondern umso mehr die doppelte Projektion ndash des Verfalls (Machenschaft)
in eine Konstruktion von Historie und des Bestehens (Sein) in die konstruierte
Geschichte68 Geschichte faumlllt dann schlieszliglich mit der Schaffung des neuen An-
fangs so zusammen wie Historie mit Technik verschraumlnkt wird Geschichtlichkeit
muss durch das Prinzip des Ereignisses der Aletheia prozessiert werden waumlhrend
die verrationalisierte wissenschaftliche technische Historisierung des Lebens und
der Lebenswelt dem widerstrebt
Die Bindung von Heideggers Vorstellung des richtigen Lebens im Sein mit
demAbendland und einer voumllkisch-nationalen Groumlszlige undUumlberlegenheit Deutsch-
lands ist dabei ausschlaggebend Denn mit der Charakterisierung des Guten auf
derer Heideggers Antisemitismus mittels Heideggers Denkmethode behandelt aufgehobenwerden koumlnnte Die Hauptbegriffe darin sind bdquoSeinsgeschichtlicher Antisemitismusldquo undbdquoKontamination des Denkensldquo Von einer tieferen Auseinandersetzung muss an dieser Stelleabgesehen werden
67 GA 97 S 5468 In Band 66 der GA gibt es bereits einen kleinen Abriss der Historie und Techniklsquo die der Ge-
schichte gegenuumlbergestellt werden Das dies eine Uumlbertragung der Gedanken aus den Schwar-zen Heften ist ist ohne Zweifel Ein ansatzweise philosophisches Vorgehen vermengt sichdort mit dem poeto-mythologischen Denken Heideggers In Sachen mythopoetischer Figu-ren undMetaphernreichtum haumllt sich dieser dort aber noch zuruumlck (auch wenn er hier bereitsoumlffentlich vom bdquohistorischen Tierldquo redet) Die Absicht Technik und Historie als Verstellungdes abendlaumlndischen Menschen zu brandmarken stehen dabei im Vordergrund Weiterhinsoll in dieser Arbeit allerdings der Fokus auf den Schwarzen Heften und der Mythopoetik inden Technikvortraumlgen der Nachkriegszeit liegenDer Duden sieht Geschichte und Historie als Synonyme Von einer Ethymologie und der
Spekulation von Heideggers Gruumlnden der Auseinanderhaltung der zwei Synonyme soll hierabgesehen werden
19
der Seite des Seins sind die Feinde dessen eine Notwendigkeit seines Erklaumlrungs-
schemas Dabei sind es vor allem die Juden denen die Wurzel des Antiseien-
den von Heidegger in ihr vermeintliches Wesen geschrieben wird Exemplarisch
spricht dafuumlr dieses Zitat aus Band 96
Die zweite Machtsteigerung des Judentums aber hat darin ihren Grund daszligdie Metaphysik des Abendlandes zumal in ihrer neuzeitlichen Entfaltungdie Ansatzstelle bot fuumlr das Sichbreitmachen einer sonst leeren Rationalitaumltund Rechenfaumlhigkeit die sich auf solchem Wege eine Unterkunft im Geistlsquovarschaffte ohne die verborgenen Entscheidungsbezirke von sich aus je zufassen zu koumlnnen69
Diese Vorstellung ist eine Konkretisierung dessen was Heidegger mit den Uumlber-
begriffen Historie vs Geschichte einige Jahre vorher begann zu topografieren
Wir sind durch die Historie geschwaumlcht [] ndash wir koumlnnen nur durch das ge-rettet werden was uns in seiner Verfaumllschung widert ndash durch die Geschich-te70
Dieses bdquoWirldquo sind die glorifizierten Deutschen vor allem nach der Ableitung von
den Griechen uumlber Houmllderlin (und dessen Griechen) und Nietzsche zu ihm und
seinem kleinen Kreis von ihm anerkannter Intellektuellen-Kollegen wie etwa
Carl Schmitt Oswald Spengler Walther F Otto und Ernst Juumlnger Die Luft auf
Heideggers Denker-Olymp ist duumlnn und bekommt nur Wenigen
Die Geschichte in Heideggers solipsistisch-immanenten Nachdenken erklaumlrt
sich wie gesagt immer zusammen mit der Hoffnung auf den neuen Anfang und
als Besinnung auf das Denken als Akt gegen die Historie Die Paarung der zwei
Woumlrter bdquoGeschichteldquo und bdquoBesinnungldquo durchzieht in deutlicher Haumlufigkeit alle
vier Baumlnde der Schwarzen Hefte ndash bdquogeschichtliche Besinnung [] ist die Uumlberwin-
dung der Historie und des Historismusldquo und sie bdquobedarf der houmlchsten Strenge
hinter der die historische Exaktheitlsquo weit zuruumlckbleibtldquo ndash somit ferner bdquonur wer
Geschichtemacht vermag sie auch zu errettenldquo71 Das oben mit Meyer und Schulz-
69 GA 96 S 4670 GA 94 S 26771 GA 94 S 358f
Dass die Besinnung eine militante Perspektive hat laumlszligt sich auch in Heideggers Vereh-rung Heraklits ldquoDer Krieg ist der Vater aller Dingerdquo finden Heidegger sah sich selbst alsDenker als Propheten des Seins Aus dieser Warte betrachetete er zuerst den Nationalsozia-
20
Nieswandt bereits aufgezeigte Bereiten des Goumlttlichen legt Heidegger in seinen
Begriff der Geschichte
Geschichte ndash das Gewagtwerden der Goumltter nur Groszlig als Untergang oderSieg ndash nicht Dauerlsquo wesentlich ndash sondern die Abgruumlndigkeit der Erstrei-tung ndash Opfer und Weile
Historie ist bei Heidegger bdquogeschichtliche Entwurzelungldquo die bdquoTyrannei der
Technikldquo bdquoSelbstvergoumltterungldquo und bdquoAbgoumltterei der Technikldquo72 In einer skizzen-
haften Emanationsfolge wird dieHistorie als Modus der Technik auf sich selbst zu-
ruumlckgefuumlhrt bdquoDas Riesige ndash [] Historie die Technik der Geschichtelsquo Technik
Die Historie der Naturldquolsquo73 Es ist vage annehmbar dass Heidegger hier die Tech-
nik als rechenhafte machenschaftliche Historisierung der Natur versteht die vor
dem Geschichtsbegriff stattgefunden haumltte Diese wiederum haumltte die Geschichte
in die rechenhafte Machenschaft verfremdet Wie ein Apparat erscheint Heidegger
der Gegenstand seiner Historie zu sein die sich automatisch durchsetzen wuumlrde
Die Historie stellt zunaumlchst das Nacheinander der Begebenheiten dessenwas vorbeizieht (passiertlsquo) her [] Sie erklaumlrt dann Spaumlteres aus dem Fruuml-heren sie findet sogar dass Ideen die Geschichtelsquo bestimmen74
Den historisierend narrativen Umgang mit Geschichte als Wissenschaft emp-
findet Heidegger als Technisierung derGeschichte Diese wiederum basiert auf den
statischen Topoi seiner Mythen von Vaterland Bauerntum Houmllderlin alten Grie-
chen den Goumlttern etc und der Anwendung des Aletheia-Prinzips im Ereignis
Das ist ein Tugendenkatalog der Deutschtuumlmelei mit einer paumldagogischen Kom-
ponente seine Mythologie im Aletheia-Prinzip zu praktizieren Er nennt dieses
Geschaumlft auch Denken und ahnt dessen Feinde bdquodie Forscher die in der Technik
ihres Arbeitens keine Reibung dulden und ihr Wissen fuumlr den Geist haltenldquo75
lismus und nach dem Krieg den real existierenden Sozialismus des Ostblocks im Zuge deratomaren Aufruumlstung als Vollstrecker Macher der Geschichte die den neuen Anfang ebnensollten Dass Heidegger diese bdquoklaumlrendeldquo Wirkung tatsaumlchlich spaumlter den Russen zuschreibtlaumlszligt sich in Band 97 der GA zweifelsohne nachvollziehen Hier kann aus Gattungsgruumlnden(BA-Thesis) nicht naumlher auf dieses Faible fuumlr absolutistische Regime eingegangen werden Je-denfalls ist die geschichtliche Besinnung und der Kriegsakt ein Widerspruch den Heideggerjedoch gleichsam adressiert Auch dies kann hier nicht weiter untersucht werden
72 GA 9473 GA 95 S 35174 GA 96 S 6275 GA 97 S 509
21
Insofern verschraumlnkt Heidegger das bdquohistorisch-technischeldquo zum Antagonis-
ten der bdquogeschichtlichen Besinnungldquo Es ist die Entwicklung einer historisch-
geschichtlichen Differenz unter dem Zeichen der Besinnung gegen die techni-
sche Machenschaft ndash es geht um zwei unterschiedliche Wissenssysteme76 In den
Schwarzen Heftenwird Technikmeistens als eine Seite der Muumlnze mit der anderen
der Historie genannt Sie haumltten eine schon angedeutete dualistische Dynamik
Wo beide Historie und Technik in solcher scheinbaren Gegensaumltzlichkeitverkoppelt sind koumlnnen sie sich zur Foumlrderung dessen zusammenschlieszligenwas einstmals wesentliche die Geschichte des Menschen mitbegruumlndet undwas wir die Kunstlsquo nennen Die Historie verschafft [] Anregungen undVorbilder der Nachahmung die Technik erleichtert [] die Zustellung vonDarstellungsmitteln und Wirkungsformen [] Gleichwohl ist alles wurzel-los [] berechnet und als Erlebnislsquo ausgegeben77
Diese vermeintliche Gefahr muumlnde als bdquoZuumlgellosigkeit des Historismusldquolsquo in der
bdquoBodenlosigkeit [] (das Judentum)ldquo78 Heideggers Mythos ist hier dieser bdquoWir
muumlssen zuvor geschichtlich sein [] Ohne diese uumlberlieferung verfaumlllt alles der
historisch-technischen Machenschaftldquo79
Heidegger mythologisiert uumlber den bdquoAuftrag des Deutschenldquo80 will in bdquoge-
schichtlicher Besinnung sehr weit zuruumlckgehen ndash auf den Zusammenhang von
τέχνη ἀλήθεια und οὐσίαldquo81 um Technik auf ihr Wesen im antiken Ursprung
zuruumlckzufuumlhren bdquoDie techne hat [] den Sieg uumlber die [] aletheia errungenldquo82
Heidegger will sie zuruumlckgewinnen Er will der Technik aus dem bdquoEreignisldquo83
wieder uumlbermaumlchtig werden und sieht das bdquoWesen des Vaterlandesldquo84 im Abend-
land Dabei ist es ihm unentbehrlich zu wissen bdquodaszlig das Griechentum [] und
76 Heideggers noch immer vorhande Rezeption in Puncto seiner Technikphilosophie erstauntdamit dass sein Prinzip der aletheiologischen Besinnung als alternatives Wissenssystem undTechnikkritik ob der eigenwilligen Konstruktion den Entwicklungen der Zeit standhaumllt
77 GA 95 S 21278 GA 95 S 9779 GA 96 S 10480 GA 94 S 6681 GA 94 S 35782 GA 95 S 13283 Ebd84 GA 96 S 52
22
nicht das Roumlmertum der Grund der Geschichte des Abendlandes istldquo85 Sein My-
thos von Heimat verknuumlpft sich uumlber Dichtung und Ereignis zu einem fuumlr die
Technikphilosophie essentiellen Bezugs-Topos
Wir brauchen keine Technik [] Das Wesen des Vaterlandes ist das Abend-land In ihm werden die Deutschen erst deutsch und erkennen die Muttervon Allem die unversehrte Erde [] Die Wahrheit erfahren wir im Ge-daumlchtnis Das Gedaumlchtnis ist die Dichtung Die Dichtung sagen der Denkerund Saumlnger in ihrem Gespraumlch Dieses Gespraumlch erst ereignet dichterisch dieDichtung in die Sprache (die Dichtung das Ereignis und das Ereignis dasAbendland) [] Wohnt in seiner Sprache [] seyd dem Seyn im Seyn Soist Sein das Seyn86
Eine weitere mythologische Form haben seine Fuumlgungen von Jahreszahlen
womit er bereits in den Bereich des Okkulten Mystischen abzurutschen droht
Houmllderlin wurde [] 1770 geboren [] 1870 aber Lenin Waumlhrend der []Lebenszeit Houmllderlins vollzogen sich die entscheidenden technischen Entde-ckungen und Erfindungen der neuzeitlichen Technik (1774ndash1806)87
Und ferner bdquo1807 Phaumlnomenologie des Geistes 1867 Das Kapital 1927 Sein
und Zeitldquo88
Als letzter Mythos sei hier sein Aufgriff der Spenglerschen Metapher des
Raubtiers89 aufgezeigt Uumlber weite Strecken philosophiert Heidegger uumlber das his-
torische Tier Das historische Tier muumlsse vernichtet werden die bdquodeutsche Zukunft
wirdlsquo nicht erst seinlsquo sie istlsquo schon seit Houmllderlin sie stifteteldquo90 Der Homo
faber ist fuumlr Heidegger das historisch-technische Tier qua der bdquoAngewiesenheit auf
das Tierhafte als Wesensgrundldquo91 Es fehle ihm was bdquodie Griechen als Anfangen-
deldquo mit der bdquoZugewiesenheit des Menschen zum Sein gewagt habenldquo92 wodurch
85 GA 96 S 20586 GA 97 S 52f Hierbei handelt es sich um eine Nachkriegsnotiz Heidegger aumlnderte den die
Adressierung in eine direkte Ansprache richtet sich an seine imaginierte Volksgemeinschaft87 GA 96 S 17488 GA 97 S 131 Womoumlglich ist es eine Uumlbung per Jahreszahlen das Aletheia-Prinzip zu prakti-
zieren eine Kontemplationshilfe Andererseits koumlnnte er auch der Regelmaumlszligigkeit der Zah-lenfolgen eine uumlbernatuumlrliche bdquoWahrheitldquo beimessen Dies bleibt an dieser Stelle unerforscht
89 VGl Spengler Oswald Der Mensch und die Technik Muumlnchen 1931 S 1090 GA 95 S 19791 GA 95 S 32092 GA 95 S 321
23
er den bdquoGoumlttern unertraumlglich gewordenldquo93 waumlre Das bdquoRaubtierldquo dem gegenuumlber
bdquoist die Urform des Heldenlsquoldquo94 Dann behauptet Heidegger dass das Raubtier das
historisch-technische Tier durch Anwendung seiner eigenen Waffen schlagen koumlnn-
te Es ist dabei die bdquoUumlberwindung der Metaphysikldquo mitgedacht die erfolge sobald
sich das metaphysische Fragen durch den Wille zum Willen verfestigt95 Auch
Spengler dachte an dieses Derivat des Nietzsche Topos vomWillen zur Macht das
er seiner antropomorphen Chimaumlre vom Raubtiermenschen eingibt Wieder ist
von der Gewalt die Rede die ein Tabula rasa schaffen sollte zur Wiederauferste-
hung des griechisch-abendlaumlndischen Anfangs in Deutschland bdquoDas Raubtier aber
mit denMitteln der houmlchsten Technik ausgestattet ndash vollendet die Verwirklichung
der brutalitas des Seinsldquo96
Es scheint so als haumltte Heidegger auf jeden Begriff einen Gegenbegriff (selbst
zum historisch-technischen Tier das Raubtier)97 Aber es geht hier nicht um die
Analyse ausgewogener Formprinzipien oder die Kritisierung seiner linguistischen
philologischen Faumlhigkeiten Die Zitierung der Heideggerschen Mythologie soll
seine Verbindung von voumllkisch-nationaler und antisemitischer Haltung mit den
Bedingungen und Anspruumlchen seines Philosophierens aufzeigen Da die Schwar-
zen Hefte wie alle sonstigen Werke seines philosophischen Schaffens in der GA
erschienen sind muumlssen sie insofern als Teil derer gelten Das bedeutet dass sie
ausreichend Relevanz fuumlr die Arbeiten uumlber die Technik haben98
93 GA 95 S 23694 GA 95 S 39795 Vgl GA 7 Uumlberwindung der Metaphysik S 7896 GA 95 S 39797 Vgl Rudolph Heideggers Schwarze Hefte im Echo S 151 bdquoKeiner hat Nietzsche so konse-
quent und wahnwitzig zumNazi avant la lettre verformt wie Heidegger und keiner hat einenzuvor gewaltsam gefuumlgig gemachten Nietzsche so konsequent instrumentalisiert um damitdie vulgaumlr- nationalistische Dekadenz im Sandwich zu geiszligeln wie Heidegger Die Philolo-gie ndash auch die klassische ndash (Colli Cancik Montinari) hat Nietzsche inzwischen laumlngst mitnachhaltigem Erfolg rehabilitiert Wer jetzt noch einen roten Faden von Nietzsche zu Hitlerzieht hat nur noch Heidegger auf seiner Seiteldquo
98 Zum Abschluss dieses Kapitels sei hinzugesagt dass der Veranschlagung der Beispiele vonHeideggers Mythologie ein Exzerpt von 13 Seiten aus 1700 Seiten Text der vier Baumlnde derSchwarzen Hefte zugrunde liegt Beim Studium dieser fielen die staumlndigen Repetitionen derimmer gleichen Figuren und Metaphern auf Daraus wurde geschlossen dass es sich um eineMythologie handeln kann was ein weiteres Forschen bestaumltigte Die hier zitierten Stellensind Topoi die sich in Huumllle und Fuumllle in jedem der vier Baumlnde finden lassen was ihrenmythischen Charakter unterstreicht Die Auswahl versucht ein besonders charakteristischesBild wiederzugeben
24
3 Heideggers mythopoetische
Technik
War Heidegger von seinem neuen Anfang nur zu traumlumen vergoumlnnt so gelang
ihm selbst aber die Wiederauferstehung aus der Asche des ZweitenWeltkriegs mit
der Vortragsreihe in Bremen (1949) uumlber die Technik Der Phoumlnix erweist sich
mittlerweile als Ikarus Anstatt sich selbst zu revidieren fordert Heidegger eine
Kehre ein die auf sein Programm der geschichtlichen Besinnung zum Ursprung ab-
zielt Rezipienten seiner Technikphilosophie taten zumeist seine voumllkischen und
nationalsozialistischen Verstrickungen mit der Niederlegung des Rektorats ab99
Sie glaubten an einen inneren Wandel Heideggers eine Laumluterung und sogar an
seinen geistigen Widerstand uumlber die Naziherrschaft hinweg100 Heute ist erwie-
sen wie Heidegger es aus seinem posthumen Gestaumlndnis in die Welt lecken laumlsst
dass er auf seine private Weise eine Form Nationalsozialismus hegte der die NS-
DAP und Hitler zwar als Vulgaumlrnazis kulturell degradierte aber sich selbst als
Denker-Nazi gerierte
Wie damit umzugehen ist steht aktuell in der Verhandlung Wie Rudolph es
behauptet stuumlnden die Heideggerianer bdquonun mit wertlosen Aktienldquo101 da Der
Kommunikationswissenschaftler Christian Fuchs sieht den Antisemitismus den
die Schwarzen Hefte zutage treten lassen als Notwendigkeit einer rigorosen Ver-
bannung Heideggers aus der technikphilosophischen Theorie102
99 Vgl Luckner Andreas Heidegger und das Denken der Technik Bielefeld 2008 S 64-69100 Vgl Babich Babette Nietzsche Heideggers Widerstand In Alfred Denker u Holger Zabo-
rowski (Hg) Heidegger-Jahrbuch 5 Heidegger und der Nationalsozialismus II Interpreta-tionen S 397-416
101 Rudolph Heideggers Schwarze Hefte im Echo S 146102 Vgl Fuchs Christian Martin-Heideggerrsquos anti-Semitism Philosophy of technology and the
media in the light of the ldquoBlack Notebooksldquo Implications for the reception of Heidegger inmedia and communication studies In tripleC Communication Capitalism amp Critique 13(1) (2015) S 55-78 hier S 74 Anstatt dessen pocht Fuchs auf die alternative Verwendungder Kritischen Theorie uumlber Fragestellungen zur Technik
25
It seems to me that Heideggerrsquos fetishism is often lrsquoart pour lrsquoart Heideg-ger pour Heidegger a tactic that aims at creating an aura of complexity byevoking Heidegger although the same content could be expressed withouthim103
Fuumlr Trawny waumlre dies ein bdquoperformativer Widerspruch [] stets daran zu erin-
nern Heidegger vergessen zu sollenldquo104 Quo vadis Heidegger
Die objektive Antwort Rudolphs der an den Commonsense und die Beweis-
last der Anklage glaubt wie auch der subjektive Appell Fuchs der es zur mora-
lischen Entscheidung des Einzelnen macht Heidegger zu vernachlaumlssigen setzen
aktuell die Jahrzehnte alte Tradition der Heidegger-Kontroverse fort Ein im Sep-
tember 2016 erscheinender Sammelband wird zusaumltzlich die Debatte mit neuen
Bewertungen anreichern105
In diesem Kapitel soll es nicht um die direkte Einreihung in eine der bestehen-
den Polemiken gehen sondern um den Versuch der Betrachtung der spaumlten Tech-
nikphilosophie Heideggers als mythopoetische Dichtung in seinem Sinne des
Philosophierens Als exemplarisches Werk ruumlckt damit das Vortrags-Geviert der
Bremer Vortraumlge ins Zentrum der Anschauung106 Hier wird davon ausgegangen
103 Ebd S 73104 Trawny Heidegger und der Mythos der juumldischen Weltverschwoumlrung S 141105 Heinz Marion und Kellerer Sidonie (Hg) Martin Heideggers raquoSchwarze Heftelaquo Eine
philosophisch-politische Debatte Berlin 2016 (im Druck) Aus dem Klappentext diesesTitelsbdquoOffene antisemitische Aumluszligerungen in diesen Denktagebuumlchern haben in der nichtakade-
mischen Oumlffentlichkeit fuumlr Empoumlrung gesorgt Die entscheidende Frage ist jedoch welcheVeraumlnderungen der Perspektive auf Heideggers Denken insgesamt sich dadurch ergebenund ob damit zugleich eine Neubewertung des Gesamtwerks eines der einflussreichstenPhilosophen des 20 Jahrhunderts noumltig istldquoEine der Herausgeberinnen des Bandes Sidonie Kellerer ist zudem an einem anlaufenden
fuumlnf jaumlhrigen Forschungsprojekt an der Universitaumlt Stuttgart im Rahmen des StuttgartResearch Centre for Text Studies beteiligt Heidegger und die Postmoderne Geschichteeiner Irrefuumlhrungiquest Sie und der Stuttgarter Literaturwissenschaftler Claus Zittel werden Hei-deggers ideologische Verstrickungen in den Nationalsozialismus untersuchen die textlichrekonstruierbar aber nachtraumlglich geklittet worden waumlren bdquoSo konnte die Wissenschaft-lerin Dr Sidonie Kellerer anhand des Vortrages Die Zeit des Weltbildeslsquo erstmals 1950veroumlffentlicht [sic] dass zahlreiche Passagen nachtraumlglich so modifiziert wurden dass dieurspruumlngliche Apologie des Nationalsozialismus nunmehr als Kritik am Regime gedeutetwerden konnte Die 2014 erschienenen Schwarzen Heftersquo mit persoumlnlichen AufzeichnungenHeideggers bestaumltigen zudem wie tief verankert in seiner Philosophie Rassismus undNationalsozialismus waren und bliebenldquo(httpwwwuni-stuttgartdehkompresseservicepressemitteilungen201567_kellererhtmlzuletzt abgerufen am 1442016)
106 Von einer umfassenderen Analyse der Schriften Heideggers zur Technik muss aus Platzgruumln-den abgesehen werden Die Voumlrtraumlge vom Ge-stell der Technik der Kehre und dem Dingsind vor allem wegen ihres Publikationszeitraums interessant da sie direkt an die Dokumen-
26
dass Heidegger den Versuch der abgrenzungspolitischen Einflussnahmemacht ge-
maumlszlig der oben dargelegten Ressentiments die sich in einer Mythologisierung des
Abendlandes niederschlagen Um seinem Ideal des dichtenden Denkens als Philo-
sophieren nachzukommen will Heidegger diese Einschreibung des Abendlandes
mythopoetisch vollfuumlhren
Grundsaumltzlich ist Verbindung und Trennung Heideggers boumlser Schwarzer Hef-
te mit und von seiner guten Technikphilosophie das Schlachtfeld aktueller De-
batten Wie bereits darauf hingewiesen werden hier Schwarze Hefte und Veroumlf-
fentlichungen wie eben in Form der Bremer Vortraumlge als ein kontinuierlicher
Arbeitsprozess gesehen Es gibt insofern nur einen Heidegger und keine gespal-
tene Persoumlnlichkeit Die Siegener Philosophin Sodonie Kellerer stellt dies anhand
Heideggers Selbstsicht luzide dar
Seine immer wiederkehrende Beschwoumlrung des Werkeslsquo und seine an diver-sen Stellen der bislang vorliegenden Briefkorrespondenz artikulierten Be-muumlhungen dieses Werklsquo fuumlr die Nachwelt zu sichern [Kellerer bezieht sichhier ua auf Heideggers Briefwechsel mit seiner Frau der 2007 veroumlffentlichtwurde DS] verdeutlichen wie sehr er seine Texte als ein Ganzes verstandin dem keines der Teile entbehrliche Wiederholung geschweige denn irrele-vante Eroumlrterung ist107
Dabei allerdings wird die Frage offen bleiben mit welchem Maszlig er sich selbst ge-
faumlhrdet sah seine Ansichten oumlffentlich zu vertreten und welche Konsequenzen er
dabei fuumlrchtete Denn er musste die Vortraumlge kodieren ndash was er im Sinne der My-
thopoetik auch macht ndash und mit Einigem hinterm Berg halten108 Dass es dabei
verschiedene Offenbarungsebenen gibt wird hier erst einmal hingenommen Es
interessieren staumlrker nachweisbare Bezuumlge des Entwurfsdenkens Heideggers zur
Oumlffentlichkeitsarbeit von ihm109
te der Schwarzen Hefte anschlieszligen (1948 der letzte Band der Schwarzen Hefte umfasst denZeitraum 1942-1948)
107 Kellerer Sidonie Kampf der Besinnung In Deutsche Zeitschrift fuumlr Philosophie Band 63Heft 5 Seiten 941ndash957 hier S 942
108 Weshalb die Veroumlffentlichung der Schwarzen Hefte auch weitestmoumlglich nach hinten verlegtwurde
109 Wuumlrde man dem entgegenhalten dass Heideggers vermeintliches Genie aus Formalisierun-gen seiner Gedanken ableitbar eine wichtige Quelle an sich bliebe scheitert dieses damitdass nun die Formalisierungen nicht personenneutral sozial-epistemologisch bestehen koumln-nen Als Vergleich wuumlrde man aus Hitlers und Goumlbbels Reden Formalisierungen isolierenlieszlige sich bestimmt die eine oder andere plausible Idee entwenden (wenn sie voumlllig dekon-
27
Hierzu wird der Text der gesamten vier Vortraumlge unter dem Titel Einblick
in das was ist Bremer Vortraumlge 1949lsquo110 aus dem 1994 veroumlffentlichten 79 Band
der GA zugrunde gelegt Das hat den Grund dass davon ausgegangen wird dass
der Text somit am naumlchsten an den 1949 tatsaumlchlich vorgetragenen Manuskripten
liegt Insofern ist eine realistische Annaumlherung an eine mythopoetische Uumlbertra-
gung der Schwarzen Hefte in die Bremer Vortraumlge 1949 das Ziel Demgegenuumlber
gibt es ob der virulenten Publikationspraxis von Heideggers Schriften111 noch
andere Auskopplungen der vier Vortraumlgsteile mit den Titeln Das Dinglsquo Das Ge-
Stelllsquo Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo
31 Zur Publikationsgeschichte von den
Bremer Vortraumlgen 1949
Zuerst erschien 1954 im Neske-Verlag (Pfullingen) ein Sammelband der lediglich
den ersten Vortrag Das Dinglsquo enthaumllt allerdings in leicht erweiterter Fassung
so wie er ein halbes Jahr nach dem Bremer Auftritt in Muumlnchen (1950) an der
Akademie der Schoumlnen Kuumlnste gehalten wurde112 Dem Band hinzugefuumlgt ist aber
zudem ein Vortrag der vornehmlich die Kernaussagen von Das Ge-Stelllsquo und
Die Gefahrlsquo verbindet allerdings in modifizierter Form Dieser wurde unter dem
textualisiert wuumlrde) Ist aber die wahre Verbindung zu Hitler und Goumlbbels hergestellt hatman selbstverstaumldlich die Verantwortung zu tragen an dem ganzen Tross von unmoumlglichenVerfehlungen dieser Menschen die sie fuumlr uns zu Personae non gratae stempeln muumlssen
110 GA 79111 Hierauf macht auch der Darmstaumldter Philosoph Gernot Boumlhme aufmerksam als Akt ei-
ner bdquoposthumen Selbstinszenierungldquo in Boumlhme Gernot Selbstinszenierung uumlber Ruhmin der Philosophie In Information Philosophie (Online Ausgabe 12015) URL=lthttpwwwinformation-philosophiedea=1ampt=8232ampn=2ampy=5ampc=29gt zuletzt ab-gerufen am 2442016)
112 Heidegger Martin Das Ding In Ders Vortraumlge und Aufsaumltze Pfullingen 1954 S 163ff
28
Titel Die Frage nach der Techniklsquo113 am 18 November 1953 an der TUMuumlnchen
gehalten
Eine weitere Auskopplung diesmal des letzten Vortragsteils Die Kehrelsquo fin-
det sich in einem broschuumlrenformatigen Band wiederum im Zusammenspiel mit
dem Vortrag Die Frage nach der Techniklsquo in Die Technik und die Kehrelsquo114 von
1962 wieder Somit wurden die Vortraumlge Das Ge-Stelllsquo und Die Gefahrlsquo lange
Zeit nicht veroumlffentlicht sondern als vermischter und modifizierter Text eben
Die Frage nach der Techniklsquo jeweils zusammen mit Das Dinglsquo (1954) und Die
Kehrelsquo (1962) angeboten115 In der Vorbemerkung zu Die Technik und die Keh-
relsquo wird diese kleine Chronologie leicht verfaumllscht auch aufgezeigt Darin heiszligt
es ferner dass Die Frage nach der Techniklsquo eine erweiterte Fassung von Das Ge-
Stelllsquo waumlre Dem ist wie schon gesagt nicht so Sondern es ist eine modifizierte
Vermischung von Das Ge-Stelllsquo und Die Gefahrlsquo was unschwer zB am Begriff
vom bdquoHer-vor-bringenldquo116 zu erkennen ist der in Die Gefahrlsquo eingefuumlhrt wird
und in Die Frage nach der Techniklsquo die gleiche Bedeutungskonstituente bildet
Mit der Veroumlffentlichung des 79 Bandes der GA 1994 wurden alle vier Bremer
Vortraumlge von 1949 publiziert In Band 11 der GA erschien 2006 auszligerdem Die
Kehrelsquo in ihrer urspruumlnglichen Fassung Die Frage nach der Techniklsquo enthaumllt
weniger mythopoetische Teile als Das Dinglsquo und operiert demgegenuumlber staumlrker
anhand klassisch philosophischer Allgemeinplaumltze Derer sind vor allem zu nen-
113 Heidegger Martin Die Frage nach der Technik In Ders Vortraumlge und Aufsaumltze Pfullingen1954 S 9ff (Der Aufsatz erschien ebenfalls 1954 im Sammelband der Vortragsreihe DieKuumlnste im technischen Zeitalter Heidegger Martin Die Frage nach der Technik In DieKuumlnste im technischen Zeitalter Dritte Folge des Jahrbuchs Gestalt und Gedanke Hg v dBayrischen Akademie der Schoumlnen Kuumlnste Muumlnchen 1954 S 70ff)
114 Heidegger Martin Die Technik und die Kehre Pfullingen 1962115 Beide Baumlnde Votraumlge und Aufsaumltzersquo sowie Die Technik und die Kehrersquo haben hohe Aufla-
genzahlen (Uumlbersetzungen wurden hier nicht recherchiert wobei es aber eine internationa-le Heidegger-Rezeption gibt) 1993 wurde der Pfullinger Neske-Verlag von dem StuttgarterHaus Klett-Cotta uumlbernommen was die Buumlcher aber unveraumlndert belaumlsst Vortraumlge und Auf-saumltzelsquo zaumlhlt seit 2009 die 11 Auflage Die Technik und die Kehrelsquo seit 2014 die 13 BeideBaumlnde sind vergriffen Es mutet unverstaumlndig an weshalb eine fehlerhafte Jahresangabe ausder ersten Veroumlffentlichung von Die Technik und die Kehrelsquo bis 2014 kolportiert wurdeDort steht der Vortrag Die Frage nach der Techniklsquo waumlre am 18 November 1955 gehaltenworden Der Vortragstermin war aber am 18 November 1953
116 Vgl GA 79 S 64 Und Heidegger Die Technik und die Kehre S 11
29
nen die Auflistung der bdquovier Ursachenldquo117 nach Aristoteles und die Kritik an der
Technik als bdquoein Mittel zu Zweckenldquo118 (Kausalitaumlt)119
Der Vortrag Das Dinglsquo galt Heidegger bei der Darbietung seiner Technikphi-
losophie nach dem Zweiten Weltkrieg allerdings als unentbehrlich ndash und damit
seine groszligflaumlchige Aufblaumltterung der Mythopoetik wie im folgenden Kapitel hier
gezeigt wird Denn im Vortrag Die Frage nach der Techniklsquo benutzt Heideg-
ger noch immer seinen mythopoetischen Topos vom Versammeln des Gebirges
der mit dem Versammeln eine Konstituente des Gevierts ist (bdquoErde und Himmel
die Goumlttlichen und die Sterblichenldquo120) (su)121 Fuumlr die Kaumlufer und Leser von
der spaumlteren Veroumlffentlichung Die Technik und die Kehrelsquo wird zudem in Die
Kehrelsquo extra auf den Vortrag Das Dinglsquo in der 1954er Ausgabe in Vortraumlge und
Aufsaumltzelsquo verwiesen122 Das zeigt wie wichtig und unerlaumlsslich Heidegger seine
mythopoetische Denkweise der Technik ist Auch wenn er in Die Frage nach der
Techniklsquo einen allgemeineren und offeneren Ansatz entwickelt hat der dadurch
auch leichter zu erschlieszligen ist
32 Die mythopoetische Spiegelung der Schwarzen
Hefte in den Bremer Vortraumlgen von 1949
321 Das Dinglsquo
In dem Vortrag Das Dinglsquo der 1949 vor dem privaten Club zu Bremen dort im
Neuen Rathaus das Vortragsquartett einleitete fuumlgt Heidegger mythopoetisch
zusammen was folgenden Topoi seiner Schwarzen Hefte aus Kap 221 entspricht
117 Heidegger Die Technik und die Kehre S 6118 Ebd S 6119 Diese Topoi versucht Heidegger in dem Text zu zersetzen und ihnen ein aletheisches Prin-
zip des Entbergens der Technik entgegenzusetzen Dies erfolgt wiederum auch anhand derVerwendung von mythopoetischen Teilen Darauf kann hier aber nicht weiter eingegangenwerdenAls weitere Gemeinsplaumltze (die er teils unterstuumltzend teils zur Zersetzung einfuumlgt) handelt
der Text auch mit Zitaten von Platon Heisenberg J P Hebel und Goethe120 Ebd S 12121 Vgl GA 79 S 11 Und Heidegger Die Technik und die Kehre S 19122 Vgl Heidegger Die Technik und die Kehre S 42f
30
1 die antirationale Wissenschaftsfeindlichkeit 2 der Mythos des Goumlttlichen 3
das Griechentum uumlber dem Roumlmertum 4 die Zahlenmystik (anhand des Spiegel-
Spiels des Gevierts ndash su) 5 das geschichtsbesinnliche Prinzip der Aletheia
Heidegger stellt zuerst die Frage nach dem Ding und will sie daraufhin ver-
anschaulichen mittels der Metapher des Kruges dh mit dem Krug als ein exem-
plarisches Ding Er fuumlhrt dann vor (was der Geste eines Zauberkuumlnstlers aumlhnelt)
wie der leere Krug gefuumlllt wird ndash Luft weicht der Fluumlssigkeit Dieses Sachverhaumllt-
nis aber ist fuumlr ihn Halbpoesie und eine Angabe aus der Physik sie verfehle das
vermeintliche Wesen des Kruges
Die Wissenschaft stellt durch sie [die Angabe der Physik DS] etwas Wirk-liches vor wonach sie sich objektiv richtet Aber ndash ist dieses Wirkliche derKrug Nein DieWissenschaft trifft immer nur auf das was ihre Art des Vor-stellens im vorhinein als den fuumlr sie moumlglichen Gegenstand zugelassen hat[] Die Wissenschaft macht das Krug-Ding zu etwas Nichtigem insofernsie Dinge nicht als das Maszliggebende zulaumlszligt123
Als ein wirkmaumlchtiges Beispiel das ihm sicherlich viel Beachtung uumlber die
Jahrzehnte seit ihrer Zuumlndung in Japan hinweg einbrachte fuumlhrt Heidegger die
Atombombe an Diese sei zu verstehen als verdinglichte Wissenschaft die das
Ding vernichten wuumlrde
Deren Explosion ist nur die groumlbste aller groben Bestaumltigungen der langherschon geschehenen Vernichtung des Dinges dessen daszlig das Ding als Dingnichtig bleibt124
Er buumlndelt damit Wissenschaft und Verkennung des Wesens als maszliggebend mit
dem Ding als sein machenschaftliches Prinzip der zerrechnenden Zerstoumlrung Drei
Jahre nach Kriegsende war der buumlrgerlich-elitaumlre Kreis in Bremen sicherlich be-
wegt von dieser Wortgewalt Diese jedoch suchte ja ihr Heim Harmonie Ruhe
in dem Haus als Wesen der Sprache
Und so faumlhrt Heidegger fort und ersetzt das physikalische Prinzip des Inhalts-
wechsels von Luft zu Wein in ein bdquoGeschenk des Gussesldquo als Spende und Opfer
den Goumlttern (2)125
123 GA 79 S 8124 Ebd S 9125 Vgl Ebd S 11f
31
Der Guszlig ist der den unsterblichen Goumlttern gespendete Trank [] Der ge-weihte Trank ist das was das Wort Guszliglsquo eigentlich nennt Spende und Op-fer Guszliglsquo gieszligenlsquo lautet griechisch χέειν indogermanisch ghu Das bedeu-tet opfern
Hier spielt bereits der Ursprungsmythos der Griechenmit ein (3) es ist aber auch
ein Bezug auf das Geviert Dieses waumlre ein System ein zusammen Gestelltes aus
bdquoErde und Himmel die Goumlttlichen und die Sterblichenldquo126 Im Guszlig des Trunkes
weilten gemeinsam diese Vier als emblematische Verbindung
Das im Geschenk Versammelte sammelt sich selbst darin das Geviert ereig-net zu verweilen Dieses vielfaumlltig einfache Versammeln ist das Wesen desKruges Unsere Sprache nennt was Versammlung ist in einem alten WortDies lautet thing127
Das Geviert zehrt von der Zahlenmystik zum einen als die Versammlung der
vier Begriffe an sich zum anderen da Heidegger ihnen eine Spiegel-Funktion
zuschreibt bdquoJedes der Vier spiegelt in seiner Weise das Wesen der uumlbrigen wie-
derldquo128 und ferner weil er damit auf sich selbst dh auf sein Vortrags-Geviert
verweist (4) Wie in Kap 21 schon gesagt lebt der Mythos von seiner Verbind-
lichkeit Diese legt Heidegger allen nah die sie verinnerlichen wollen bdquoSagen wir
die Sterblichen dann denken wir falls wir denken die anderen Drei mit aus der
Einfalt der Vierldquo129
Sollte der Vollzug der Praxis des sukzessiven Mitdenkens aller vier Geviert-
Entitaumlten gelingen koumlnnte das Ereignis der Aletheia begriffen werden (5) bdquoDas
Spiegel-Spiel von Welt ist der Reigen des Ereignensldquo130 Diese wird aber auch be-
griffen in Abgrenzung von dem Roumlmertum (3) denn in der bdquorealitas der resldquo
haumltten die Roumlmer bdquoihr Erfahrenes niemals eigens in seinem Wesen gedachtldquo131
Das waumlre den Griechen vorzubehalten und vom verstaumlndig denkenden Deutschen
wiederzubeleben
126 Ebd S 12127 Ebd S 13128 Ebd S 18129 Ebd130 Ebd S 19131 Ebd S 15
32
Der Krug ist ein Ding weder im Sinne der roumlmisch gemeinten res noch imSinne des mittelalterlich vorgestellten ens noch gar im Sinne des neuzeitlichvorgestellten Gegenstandes [] Der Krug ist Ding insofern er dingt132
Die Bindung an das deutsche Wort bdquoDingldquo das er spielerisch auch ins Englische
Romanische und Franzoumlsische uumlbersetzt ist unerlaumlsslich fuumlr seine ethymologi-
sche Argumentation In der ist der bdquoGuszligldquo ruumlckgefuumlhrt auf indogermanisch bdquoghuldquo
und das bdquoDingldquo auf das mittelhochdeutsche bdquothingldquo So konnten antik die Roumlmer
von den Griechen abgrenzt werden und modern die anderen drei Sprachen vom
Deutschen Das englische sich sehr nah am bdquothingldquo befindliche bdquothingldquo wird mit
dem Roumlmischen ausgespielt
Im Englischen hat thing noch die erfuumlllte Nennkraft des roumlmischen Wor-tes res bewahrt [] dh ein aus sich kommendes den Menschen Angehen-des133
Fuumlr Heidegger geht es beim bdquothingldquo aber um die mittelhochdeutsche Uumlbersetzung
der Versammlung Darauf beruht sein gesamter Systemansatz mit Geviert und
Ge-stell
Schulz-Nieswandt fuumlhrt diese Zusammenstellung zum Bejubeln von Heideg-
gers Mythopoetik
So fundamental sieht Heidegger die Welt Die Quelle des Wassers wird zurHochzeit von Himmel und Erde das Gieszligen des Wassers aus dem Krugzum Geschenk Auch Sprache ist daher kein Instrument sondern Ort desWohnens des Menschen Sprache wird zum Haus des Seinslsquo134
Hier bestaumltigt die Untersuchung des Ding-Vortrags die These von einer mytho-
poetischen Einschreibung der nationalistischen voumllkischen Abgrenzungs-Mythologie
aus den Schwarzen Heften
322 Das Ge-Stelllsquo
Der zweite Vortrag des Reden-Gevierts setzt ein mit der Metapher des fehlen-
den Abstands Wo kein Abstand sei da waumlre auch keine Naumlhe so Heidegger Er
132 Ebd S 16133 Ebd S 14134 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei Walter
F Otto S 59
33
verbindet die Abstandslosigkeit mit Urbanitaumlt und Verkehr alles fluktuiere Es
waumlre der Bestand der sich bestelle in dem das Abstandlose herrsche Das sind
neue Metaphern fuumlr die Machenschaft In seiner Erzaumlhlung vom Ge-Stell gibt es
bedeutend weniger mythopoetische Passagen als in dem vorangegangenen Vor-
trag Allerdings uumlbertraumlgt er den mythopoetischen Gehalt der Rede vom Ding
bereits im ersten Absatz von Das Ge-Stelllsquo mit dem Credo bdquoNaumlhe west insofern
das Ding dingtldquo135 Mit dieser Verbindung wird klar unter welchem Zeichen Hei-
degger die Rede vom Ge-Stell verstanden wissen will ndash als verlorenes Verhaumlltnis
des voumllkisch-traditionell verwurzelten Menschen mit den vermeintlichen Wesen
all seiner Gebrauchsobjekte in der mythopoetischen Formel des sich spiegelnden
Gevierts
Nahezu nuumlchtern erzaumlhlt Heidegger dann von dem Gefaumlngnis des Menschen
im Wesen der zirkulierenden sich immer neu bestellenden Bestandstechnik des
Ge-Stells Dabei scheinen folgende Mythen aus den Schwarzen Heften hindurch ndash
1 bdquoHistorie die Technik der Geschichtelsquo Technik die Historie der Naturlsquoldquo136
2 das historische Tier 3 der Appell an den Auftrag des Deutschen 4 der geschicht-
liche Mensch muss die Historie und damit die Technik uumlberwinden und 5 die
alles zernichtende Machenschaft des juumldischen Wesens
Den Topos der seinsvergessenen Groszligstadt jedenfalls kontrastiert er mit der
Bauerndorfidylle Da aber bdquodas Abstandlose herrschtldquo137 waumlre das Vorruumlcken der
Maschinentechnik bereits universell So in Form des Traktors Schon in Band
96 der Schwarzen Hefte beklagt er dieses bdquozum elektrischen Pflug [] gehoumlrt
das amerikanisch aufgemachte Magazinlsquoldquo Insofern erfolge die bdquoAngleichung der
Sitten der Bergbewohner an diejenigen des groszligstaumldtischen Sport- und Barbe-
triebsldquo138
Sein erster Land-Stadtvergleich betrifft den Bauern dessen Totenruhe tradi-
tionell in einem sg bdquoTotenbaumldquo (Sarg) stattgefunden haumltte ndash bdquoIn ihm gedeiht
der Tod des Totenldquo139 Dem gegenuumlber klingt in der bdquomotorisierten Bestattungs-
135 GA 79 S 24136 GA 95 S 351137 GA 79 S 24138 GA 96 S 54139 GA 79 S 26
34
industrie der Groszligstadtldquo140 bereits Heideggers pietaumltsloser Gaskammernvergleich
an
Ackerbau ist jetzt motorisierte Ernaumlhrungsindustrie im Wesen das Selbewie die Fabrikation von Leichen in Gaskammern und Vernichtungslagerndas Selbe wie die Blockade und Aushungerung von Laumlndern das Selbe wiedie Fabrikation von Wasserstoffbomben141
Hier wird davon ausgegangen dass es eine Uumlbertragung der Notizen uumlber
das deutsche Land als bdquoeinziges KZldquo ist die Unterdruumlckung des deutschen Vol-
kes durch die bdquoWeltdemokratieldquo die schlimmer sei als die Graumlueltaten der bdquoGas-
kammernlsquoldquo142 In die mythopoetische Formel von dem dingenden Ding aus dem
ersten Vortrag sind alle Valenzen eingeschrieben die es zur Aufgabe des abendlaumln-
dischen Deutschen (also als Nachfolger der alten Griechen) machen das Wesen
des Dings und somit der Technik zu huumlten Die Verantwortung fuumlr Genozid
Massenvernichtungswaffen und den Mangel im Nachkriegsdeutschland schreibt
Heidegger gleichfoumlrmig dem Prinzip der Abstandslosigkeit zu
Auch die Rede von der Habgier des Berechnenden ist ein bereits bekannter
Vorbehalt Heideggers anhand der Rede vom raffgierigen Juden Denn er sagt von
der bdquoHerrschaft des Abstandlosenldquo dass sie bdquodie Hab-gier des vorstellenden Be-
rechnensldquo waumlre143 Das entspricht seinem Mythos von der alles zernichtenden
Machenschaft des juumldischen Wesens144
Dann folgt eine lange Elegie uumlber das Bestellen des Bestands des Ge-Stells
bdquo[d]ie Kette des Bestellens laumluft auf nichts hinaus sie geht vielmehr nur in ihren
Kreisgang hineinldquo145 uumlber 19 Seiten des 21 seitigen Vortragsexts hinweg entwirft
Heidegger diverse Bilder wie das Ge-Stell die Natur das Hergestellte den Men-
schen und das Verstandesmaumlszligige vereinnahme und das Wesen desDings gleichsam
zur Veruntreuung bringen wuumlrde Wiederum poetisch orientiert kontrastiert also
140 Ebd141 Ebd S 27142 GA 97 S 99f143 Vgl GA 79 S 25144 Vgl Machenschaft hier S 29 und Geraff hier S 33145 GA 79 S 29
35
Heidegger Houmllderlins Hymne Der Rheinlsquo mit dem Rhein dessen Stroumlmung fuumlr
ein Stromkraftwerk genutzt wird
Achten wir um das Ungeheure das hier waltet zu ermessen nur auf einenAugenblick auf den Gegensatz der sich in den beiden Titeln ausspricht DerRhein verbaut in das Kraftwerk ndash der Rheinlsquo gesagt in der gleichnamigenHymne Houmllderlins146
Die Differenz also waumlre das Ungeheure147 Dabei waumlre der Rhein verbaut in das
Kraftwerk Aumlhnlich wie Kohle Erze und Rohoumll waumlren sie Bestand der bdquobesteht
im Bestellenldquo ndash bdquoDas Bestellen waumlre demnach lediglich eine Machenschaft des
Menschen vollzogen in der Weise der Ausbeutungldquo148
Das Bild des Wasserkraftwerks wird erweitert um den Begriff des Menschen
Elektrizitaumlt mit Wasserkraft erzeugen bdquokoumlnnen die Menschen [] nur insofern
sie selber schon in dieses Bestellen bestellt sindldquo149 Mit diesem Bild versucht Hei-
degger praktisch zu veranschaulichen dass Entwurf Umsetzung und Einsatz ei-
ner technischen Anlage den Menschen in ein entruumlcktes Verhaumlltnis zum Wesen
des dingenden Dings setze ndash bdquoDer Mensch ist darum der Angestellte des Bestel-
146 Ebd147 Das ist zusaumltzlich zu dem gemeinten Gegensatz ein Vergleich mit dem Heidegger dem Wort
bdquoRheinldquo in die Hymne Der Rheinlsquo gesprochen eine Energie erzeugende Wirkung zu-schreibt eben so wie das Kraftwerk Strom erzeugen wuumlrde Das wird klar dadurch dassHeidegger metaphorisch vom Stellen des Wortes bdquoRheinldquo in die Hymne spricht Es handeltsich um einen Appell zur denkerischen Besinnung Dass Heidegger dafuumlr eine technischeAnlage zur Veranschaulichung inspirierend wirken laumlsst spielt bereits in die Richtung derBegriffe bdquoHer-vor-bringenldquo bdquoEntbergenldquo und spielt auf das Alteheia-Prinzip an Darauf wirdweiter unten anhand Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo eingegangen werden Es handelt sich umdas Angebot eines mythopoetischen Umgangs mit Technik insbesondere wenn sie sich inheimische Gefilde einfuumlgtHeute koumlnnte man mit Windraumldern ebenso verfahren Somit koumlnnte aber auch Heidegger
als ein gewisser Quijana aus Mancha verstanden werden eben der Protagonist aus Miguel deCervantes Roman Don Quichote von der Manchalsquo der mit seinem von ihm flux auch um-benannten Klepper (weil er zuvor sich selbst in Don Quichote umtaufte) Rocinante Riesenbezwingen will um mit dieser Heldentat unsterblichen ritterlichen Ruhm zu erstreitenAuch Don Quichote fand seine Riesen in Windmuumlhlen und auch Don Quichote war uumlber
eine uumlbertriebene Auseinandersetzung mit einer verschuumltteten Kultur dieser verfallen undsuchte diese in seiner Aventuumlre zu reaktualisieren Martin Heideggers mythopoetisches Pro-gramm ist tatsaumlchlich stark mit Don Quichotes Motiv vergleichbarFerner waumlre eine Auseinandersetzung mit Heideggers Werk unter Beruumlcksichtigung sei-
ner Gewichtung der Vorsokratiker und Houmllderlin als mythopoetischen Autor eine moumlglicheForschung zum Thema Anachronismen in Konzepten von Moral und gesellschaftlicher An-gemessenheit (Vgl Cervantes Miguel de Don Quichote von der Mancha Herausgeben unduumlbersetzt v Susanne Lange Muumlnchen 2008 S 33f)
148 GA 79 S 29149 GA 79 S 30
36
lensldquo150 Schon vorher wies Heidegger darauf hin bdquo[d]ie Herrschaft des Gegen-
staumlndigen sichert nicht den Abstandldquo151 Jetzt heiszligt es
Das Bestellen befaumlllt nicht nur die Stoffe und Kraumlfte der Natur mit Gestel-lung Das Bestellen befaumlllt zugleich das Geschick des Menschen Das Wesendes Menschen wird daraufhin gestellt das Bestellen in menschlicher Weisemitzuvollziehen152
Der Begriff des Ge-Stells wird daraufhin so konstruiert dass es im Bestellen
um ein Stellen (Herausfordern) alles bdquoAnwesenden als Bestandldquo als bdquoversus unumldquo
gegen bdquodas Eine Ganzeldquo gehe153 In wiederum mythopoetischer Formulierung ge-
baumlre die bdquoVersammlung des Stellens worin alles Bestellbare in seinem Bestand
west das Ge-Stellldquo154 Der Begriff bdquoVersammlungldquo wird einen Absatz zuvor my-
thopoetisch wieder an die Versammlung also das thing eben das wesenhafteDing
angelehnt und somit wie zu Das Dinglsquo bereits oben erlaumlutert in einen deutsch-
abendlaumlndischen Kontext gestellt (3)
Wir nennen die Versammlung der Berge die von sich her einig und nienachtraumlglich schon gesammelt ist das Gebirge Wir nennen die Versamm-lung der Weisen nach denen uns so zumute ist und sein kann das Gemuumlt155
Allerdings ist obiges Versammlungsmodell hier als Kontrast zu sehen zu dem
bdquoGeraff des Getriebesldquo das das Ge-Stell darstellt als bdquoWesen der Technikldquo156 Hei-
degger sieht in der Gleichfoumlrmigkeit die zum Wesen des Technik als Ge-Stell
150 GA 79 S 30151 GA 79 S 25152 GA 79 S 31153 Vgl GA 79 S 32154 GA 79 S 32155 Ebd
Das Wort ldquoGemuumltrdquo hat ferner eine ausschlieszliglich deutsche Praumlgung gibt es doch keinedirekte Uumlbersetzungen Gemuumlth ist ferner ein nicht eindeutig umrissener Begriff (Vgl Kra-mer Cheryce A Foolrsquos Paradise The Psychiatry ofGemuumlth in a Biedermeier Asylum Chica-go 1998 S 19) Die Bedeutung im Deutschen selbst ist zudem sehr variabel hat aber zumeistmit Seelen- oder Geistkonzepten zu tun ndash Cheryce von Xylander (geb Kramer) uumlbersetztGemuumlth mit bdquosoul-organldquo (ebd S 43) das von diversen Autoren unterschiedlich konstru-riert wird (zB von Kant geistigkoumlrperlich und von Kleist individuellkollektiv (vgl ebdS 41)) In Heideggers emblematischem Duktus scheint eine Vermischung von allen vier Di-mensionen geistigkoumlrperlich wie auch individuellkollektiv stattzufinden Es ist auf jedenFall dem Mythos geschuldet den Auftrag des Deutschen anzunehmen (3)
156 GA 79 S 33
37
gehoumlre die planetarische Abloumlsung und Aufhebung des traditionellen und damit
wesenhaft ans Ding gebundenen Verhaumlltnisses vom Menschen zur Erde (das von
ihm idealisierte voumllkische Bauerntum das Bestellen des Ackers) bdquoDie Bestand-
Stuumlcke sind Stuumlck fuumlr Stuumlck die Gleichenldquo157 So kontrastiert er alte Handwerks-
techniken mit Maschinentechnik und schreibt der Maschinentechnik die machen-
schaftliche Verdraumlngung als Geraff zu
Das Ge-Stell hat auch wenn das nicht unmittelbar und nicht sogleich ver-nehmlich wird im vorhinein schon alle diejenigen Stellen beseitigt an denenvormals Spinnrad und Wassermuumlhle standen Das Ge-Stell bestellt durch sei-ne Maschinerie zum voraus eine andere Art und Ordnung von Stellen Andiesen kommt nur zu Stand was als Bestellbares auf der Stelle gleichfoumlrmigzur Stelle steht
Darum ist auch die Art wie die Maschine selbst etwas herstellt einewesentlich andere als das handwerkliche Tun gesetzt daszlig es innerhalb desGe-Stells uumlberhaupt noch so etwas wie ein Herstellen gibt
Die Traktoren und Kraftwagen werden herausgebracht ausgeworfen se-rienweise Stuumlck fuumlr Stuumlck Wo drauszligen steht dieses so Herausgestellte Wo-hin in welchen Stand ist es gebracht158
In dieser Klage uumlber den technischen Wandel der durch den Fortschritt in
alle Lebensbereiche Einzug haumllt versucht Heidegger zu veranschaulichen wel-
chen Verlust es zu erkennen gelte Ein Versuch diesem entgegen zu treten ist die
von ihm vorgetragene Mythopoetik die er in diesem Vortragsteil seines Vortrags-
Gevierts allerdings auffaumlllig zuruumlckgestellt sein laumlszligt War der Einleitungsteil Das
Dinglsquo schlieszliglich eine nahezu einzige mythopoetische Darbietung Dramatur-
gisch wird Heidegger in Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo die mythopoetischen For-
mulierung als Loumlsungswege wieder Bedeutung geben In Das Ge-Stelllsquo versucht
Heidegger hingegen Vorstellungen aus seinen Schwarzen Heften aumlhnlich der fol-
genden mitzuteilen die das Uniforme Gleichfoumlrmige betreffen
Die Macht der Machenschaft ndash die Vernichtung sogar der Gottlosigkeit dieVermenschung des Menschen in das Tier die Vernutzung der Erde die Ver-rechnung der Welt ndash ist in den Zustand der Endguumlltigkeit uumlbergegangenUnterschiede der Voumllker Staaten Kulturen sind nur noch Fassade159
157 GA 79 S 36158 GA 79 S 35159 GA 96 S 52f
38
Was Heidegger unter dieser Gleichfoumlrmigkeit versteht schreibt er in den Schwar-
zen Heften zumeist den Amerikanern zu Er nennt es auch haumlufig Planetarismus
Der Amerikanismus [ist DS] die Zusammenraffung von Allem welcheZusammenraffung immer zugleich die Entwurzelung des Gerafften bedeu-tet160
Der Planetarismus ist die historisch gedachte Bestimmung der uumlberall glei-chen die ganze Erde uumlberdeckenden Seinsverlassenheit des Seienden161
Die Gegenuumlberstellung von natuumlrlicher und traditioneller Handwerkstechnik
gegen maschinenhafte Gleichfoumlrmigkeit exemplifiziert Heidegger dann im Vor-
trag Das Ge-Stelllsquo vielfach wie zum Beispiel hier
Der Forstwart zB der im Wald das geschlagene Holz vermiszligt und demAnschein nach noch wie sein Groszligvater in der gleichen Weise die selbenWege geht ist heute von der Holzverwertungsindustrie gestellt Er ist ober es weiszlig oder nicht in seiner Weise Bestand-Stuumlck des Zellulosebestandesund dessen Bestellbarkeit fuumlr das Papier das den Zeitungen und illustrier-ten Magazinen zugestellt wird die uumlber die Oumlffentlichkeit daraufhin stellenverschlungen werden162
160 GA 96 S 257161 GA 96 S 261162 GA 79 S 37f
Die renommierte Theaterautorin Elfriede Jelinek karikiert in ihrem Stuumlck Totenaubergvon 1991 Heideggers Konstrukt von Heimat und Fortschrittsfeindlichkeit verbunden miteiner Auseinandersetzung mit dessen Liebschaft zu Hannah Arend Mit philologischer Prauml-zision polemisiert sie Teile aus Heideggers Elegie uumlber die Technik und laumlszligt ihn dabei alsbeschraumlnktes und eingezwaumlngtes Wesen in einem Gestell gefangen sein Aus diesem heraussoll er Arend Rede und Antwort stehen uumlber sein Verhaumlltnis zum Nationalsozialismus unddie Shoa Doch dieser redet nur naturtrunken von Heimat und berauscht sich daran Derprophetische Denker wird banalisert ndash diese Worte legt Jelinek ihm (im Stuumlck der alte Mann)in den MundbdquoDie Angst vor dem Fragen liegt uumlber dem Abendland Sie bannt die Kandidaten auf ein
Team-Leibchen verbannt sie auf altgewordene Wege und jagt sie zuruumlck ins morsch geworde-ne Gehaumluse ihrer Tore wo es um ihre Ausscheidungen geht Es wird ihnen alles weggenom-men werden auch der Weg selbst Keine Spur kein Lichtschein aus den Ritzen Aber ruf ichin die Huumltte um nach einem zu fragen den ich gekannt hab sehe ich grad noch eine Tuumlrsich schlieszligen Der Wald kommt nicht zur rechten Geltung alles ist entflohen was mir liebwar und woran ich geglaubt hab Was kommt ist noch nicht da Nichts war Ich habe nichtsgehoumlrt Ich erinnere mich nicht aber ich stelle dem Kommenden das mich den lupenreinenAmateur schon vor Beginn des Rennens erlahmen laumlszligt vorsorglich die Hausschuhe vor dieTuumlr Sie sind das Einzige was die Profis des Profits von mir dann vorfinden werden wennsie anklopfen Die Haumlrte des Urgesteins sollte sie nicht entmutigen Die Jahreszeiten machendie Landschaft auf und zu Ich sage nur In dieser scheinbaren Leere will ich vom Denkenmuumld nur schlafen Von der Huumltte aus lassen sich Wanderungen unternehmen Aber auchsonst wird Ihnen alles wie ich sagte genommen werden Auch Ihre Fotos und Namen Unddas Gewesene wird wesenlosldquo ( Jelinek Elfriede Totenauberg Hamburg 1991 S 86f)
39
Die Oumlffentlichkeit ist fuumlr Heidegger ein Topos der dem Denken und Besinnen
entgegenstuumlnde Somit meint er damit zum Einen die Medien wie er es anhand
der Rede von den Bestandstuumlcken in Das Ge-Stelllsquo erklaumlrt wo der Mensch als
Urheber des Ge-Stells als Wesen der Technik nicht gelten soll Vielmehr wuumlrde er
in Ratlosigkeit und Langeweile verfallen weil er in der Bestellung des Bestandes in
Form von Bestandstuumlcken vom Rundfunk keine Besinnung mehr faumlnde dh das
Ganze also wiederum daswesentliche Ding nicht mehr zu fassen vermoumlge163 Und
so toumlnt es bereits aus den Schwarzen Heften von 19391940()
Die Bildlsquo und Tonlsquo ndash Reportagenlsquo der Machenschaft ist der planetari-sche Mythuslsquo des Vollendungsabschnittes der Neuzeit Die Welt des abge-legensten deutschen Bauernhofes wird nicht mehr durch [] die Naturlsquobestimmt in der noch die Erde waltet sondern durch das illustrierte Blattmit der Darstellung von ausgezogenen Tanzweibern von Boxern und Renn-fahrern und sonstigen Heldenlsquo des Tages164
Und ferner notierte Heidegger 1946 in seinen Schwarzen Heften
Uumlberall zerrt es aus dem Oumlffentlichen ins Oumlffentliche mit vielen Strickenund jeder sieht das kaum versuchte Denken des Seyns am Leitband seinesStrickes165
Dabei waumlre eben ein bdquoLiterat [] ein in die Oumlffentlichkeit verliebter Mensch der
Angst vor dem Denker hatldquo166 Dieses liefe dann darauf hinaus dass beim Rund-
funk bdquoein Bestellen und Stellen waltet das in dasWesen des Menschen eingegriffen
hatldquo167
Abermals nach dem Wesen der Technik also nach dem Ge-Stell gefragt geht
Heidegger auf seine Unterscheidung vonNatur undNaturwissenschaft ein bdquo[w]elches
ist das Verhaumlltnis zwischen der Technik und der Naturldquo168 Natur wuumlrde in wis-
senschaftlicher Hinsicht unter das Berechnete fallen sie wuumlrde bdquoals das in Maszlig
und Zahl gestellte Wirkliche vorgestellt das in seinem Gewirkten staumlndig an-
westldquo169 Wenn Heidegger dann Natur aus technischer Sicht bdquoals ein System des
163 Vgl GA 79 S 38f164 GA 96 S 54165 GA 97 S 100166 GA 97 S 126167 GA 79 S 39168 GA 79 S 41169 Ebd
40
Bestellens von Erfolgen aus dem gestellten Wirksamenldquo170 charakterisiert spricht
er von seiner Rede der Verschraumlnkung von Historie und Technik ndash bdquoTechnik die
Historie der Naturldquolsquo171 Dieses ist bekanntlich das seinsvernichtende Gegenstuumlck
zur geschichtlichen Besinnung Denn geschichtliches Walten der Technik ist fuumlr
Heidegger technische Geschichte dh verwissenschaftlichte Geschichte die da-
durch ihr Wesen verloren haumltte (Seynsvergessenheit)172 So heiszligt es in den Schwar-
zen Heften von 1947
Ein Zeitalter das historisch geworden ist dh technisch planend sich selberberechnet und alles in diesen Sog zieht muszlig jede Besinnung nur als eine dervielen Formen der Intellektualitaumlt registrieren173
Heidegger schlieszligt den Vortrag mit dem Aufgriff der Anfangsbehauptung
bdquo[d]er Bestand bestellt das Abstandsloseldquo174 Somit liegt das Problem der ausblei-
benden Naumlhe durch die Technik deren Wesen das Ge-Stell waumlre das den Bestand
bestelle in der Luft Dass dabei der Mensch sogleich Teil des Bestandes und nicht
Teil der Maschine wird laumlsst ihn das historische Tier sein (2)
Der Mensch ist auswechselbar innerhalb des Bestellens von Bestand []Gleichwohl gehoumlrt der Mensch in einer voumlllig anderen Weise in das Ge-Stellals die Maschine DieseWeise kann unmenschlich werden DasUnmenschlicheist jedoch immer noch unmenschlich Der Mensch wird nie zur MaschineDas Unmenschliche und noch Menschentuumlmliche ist freilich unheimlicherweil boumlsartige und verhaumlngnisvoller denn der Mensch der nur Maschine wauml-re175
Wen Heidegger hier ersinnt ist der neuzeitliche Mensch der den bdquoGoumlttern uner-
traumlglich gewordenldquo176 waumlre
170 Ebd171 GA 95 S 351172 In Heidegger Die Technik und die Kehre S 21 stellt er Geschichte und Historie einander
gegenuumlber was er in Das Ge-Stelllsquo nicht vollzieht bdquoDie moderne Technik kam doch erst inden Gang als sie sich auf die exakte Naturwissenschaft stuumltzen konnte Historisch gerechnetbleibt dies richtig Geschichtlich gedacht trifft es nicht das Wahreldquo Signifikant fuumlr Heideg-gers Attributierung so wie sie oben schon geschildert ist steht Historie fuumlrs Rechnen undGeschichte fuumlr das Denken
173 GA 97 S 508174 GA 79 S 44175 GA 79 S 37176 GA 94 S 236
41
323 Die Gefahrlsquo
Aus Heideggers Darlegung uumlber das Ge-Stell erschlieszligen sich seine diversen Fa-
cetten der Vorstellung einer Abstandslosigkeit schaffenden Technik Dass die Ab-
standslosigkeit dem Prinzip des Gevierts des Zusammengestellten entgegensteht
bekommt im Vortrag Die Gefahrlsquo Nachdruck Die mythopoetische Erzaumlhlung
knuumlpft an den Vortrag Das Dinglsquo an mit den Mythologemene 1 Der Mythos
des geschichtlich sein muumlssens 2 der Mythos des Goumlttlichen 3 das geschichtsbe-
sinnliche Prinzip der Aletheia Zudem wird im Prozess des Vortrags das Ge-Stell
zur Gefahr stilisiert was einen eigenen Mythos erschafft
Durch das bdquouniversale Bestellen des Ge-Stellsldquo177 werde die naumlhernde Naumlhe des
Dings verwehrt Wie im Vortrag Das Dinglsquo fuumlhrt Heidegger das Wesentliche sei-
ner Theorie auf die deutsche und altgriechische Sprache zuruumlck Die so vollzoge-
ne Annaumlherung von Schwarzwaumllderischem Dialekt und Altgriechisch entspricht
Heideggers Traum von dem bdquogeschichtliche[n] Geburtsort des abendlaumlndischen
Wesensldquo178 den seine Heimat von Todtnauberg bis Freiburg stiften sollte (1)
es ist das Geistvolle und zugleich das erdenhafte schoumlne Land Es birgt un-sichtbaren Reichtum dem Gemuumlt bewahret tiefstes Dichten und houmlchsteGestalt der Sage179
Unter diesem Vorzeichen also sagt Heidegger
Das Ge-Stellwesen laumlszligt das Ding ohne die Wahr Das Wort die Wahrlsquo be-deutet in unserer Sprache dort wo sie noch urspruumlnglich spricht die HutIn unserer schwaumlbischen Mundart meint das Wort die Wahrlsquo die der muumlt-terlichen Hut anvertrauten Kinder Das Ge-Stell laumlszligt in seinem Stellen dasDing ohne die Hut ndash ohne die Wahr seines Dingwesens180
Diese in Bremen vorgetragene Heimatkunde ist auch Heideggers Sorge ge-
schuldet durch die Besatzermaumlchte und deren kulturellen Einfluss auch durch
die nun moumlgliche Oumlffnung Deutschlands zu einem Austausch mit der Welt das
eigene Wesen zu verlieren So schreibt er 1945-1947() in seine Schwarzen Hefte
177 GA 79 S 46178 GA 97 S 54179 Ebd180 GA 79 S 46
42
Das Schwerste und Fragwuumlrdigste unseres Geschickes ndash beruht darin ob wirdas Eigene finden und huumlten [] unter den anderen Voumllkernlsquo [] Scheinund Vorwand der Macht daszlig man unsere eigene Aufgabe bringen will []als Entmachtete aufgenommen zu sein in den Weltmachenschaftsbetrieb181
Es gaumlbe nach Heidegger also das Welten von Welt und die Verweigerung von
Welt aus derVerwahrlosung des Dings durch das Ge-Stell bzw die Technik182 Welt
ist nach dem Konzept des schwaumlbischen Denkers nichts weniger als das Geviert
Bei der folgenden mythopoetischen Zusammenstellung von dem Geviert mit alt-
griechischen Vokabeln um den Seins-Begriff wird das Aletheia-Prinzip eingefuumlhrt
Somit fuumlhrt uumlber den Mythos des Goumlttlichen (2) der Weg zur Wahrheit eben als
geschichtsbesinnlich erfahrene Aletheia (3)
Welt ist das Geviert von Erde und Himmel Goumlttlichen und SterblichenDas Spiegel-Spiel der Vierung wahrt alles was in ihm dingend zwischenden Vier anwest und abwest in das einende Ganze seines Anwesens Vonaltersher heiszligt das Anwesen des Anwesenden τὸ ὲόν das Seiend [sic] τὸεἶναι das Sein naumlmlich der ὲόντα des Seinenden das esse entium183
Diese Welt waumlre nun bdquoWahrnis des Wesens von Sein Statt Wahrnis sagen wir auch
Wahrheitldquo184 Die Welt mythopoetisch als Spiegel-Spiel des Gevierts und durch
eine altgriechische Brille betrachtet waumlre die wahre Welt Somit wird die Wahr-
heitsschau gebunden einen antiken Goumltterglauben und abendlaumlndische Sprachkas-
kaden vom Dialekt zum Altgriechisch
Das Problem mit der wahren Welt waumlre allerdings dass sie sich in die Ver-
borgenheit entziehe Naumlher betrachtet ist aber die Verborgenheit Bedingung des
Entbergens was Heidegger notwendig macht zu einem wuumlrdigen Lebensvollzug
in Harmonie mit dem Sein Durch solche Wesensschau waumlre der Mensch befaumlhigt
jederzeit die verstellenden Maumlchte des Ge-Stells (der Technik) zu uumlberwinden und
teilhaftig am Wesen der Welt zu werden
181 GA 97 S 99182 Vgl GA 79 S 47183 GA 79 S 48 (Die griechischen Vokabeln werden hier keiner Uumlbersetzung unterzogen Da
Heidegger ohnehin keine philologische Schaumlrfe anwenden will ist es fuumlr die Zwecke hierausreichend sie mit seiner Uumlbersetzung zu betrachten Heidegger spricht von bdquoAchten aufdas Griechischeldquo was schwieriger waumlre als klassische Philologie (vgl GA 79 S 63)
184 Ebd
43
Welt bleibt in der Verborgenheit (Αήθη) auf die Weise daszlig diese ihre Ver-borgenheit gerade eine Unverborgenheit gewaumlhrt die Αλήθεια185
Die Αλήθεια haumltte allerdings auch eine Rolle uumlber die subjektive hinaus da nur
durch ihren Vollzug Seinsgeschichte gewaumlhrt wuumlrde Das ist der Anspruch den
Heidegger an sein Auditorium stellt gemeinsam geschichtlich sein zu muumlssen (1)
Die Αλήθεια ist das Geschick des Seins als welches Geschick sich die Fuumllleder Seinsgeschichte in ihre Epochen fuumlgt186
Mit dem Ge-Stell als Wesen der modernen Technik waumlre die Aletheia aller-
dings hochgradig gefaumlhrdet Denn ohnehin waumlre die Aletheia prinzipiell der Ge-
fahr der Vergessenheit ausgesetzt Doch das Ge-Stell haumltte die Kraft die bdquovollende-
te Vergessenheit der Wahrheit des Seinsldquo187 zu vollrichten
Indem das Ge-Stell alles Anwesende in den Bestand bestellt setzt das Ge-Stell das Anwesen des Anwesenden heraus aus seiner Wesensherkunft ausder Αλήθεια188
Diese Versetzung des beteiligten Wesens aus der Moumlglichkeit des Wahrheitsprin-
zips heraus markiert Heidegger dann mit der Schreibweise Seyn (mit bdquoyldquo) Wie
bei dem Vortrag Das Dinglsquo koumlnnen ethymologische Abstammungen sein Sys-
tem anreichern Da wo es um das Wortfeld des Stellens geht Ge-Stell Bestellen
Verstellen ist auch das NachstellenMitglied der Familie
Im Althochdeutschen heiszligt nachstellen fara Das in sich gesammelte Stellenals Nachstellen ist die Gefahr Der Grundzug des Wesens der Gefahr ist dasNachstellen Insofern das Sein als das Ge-Stell sich selbst mit der Vergessen-heit seines Wesens nachstellt ist das Seyn als Seyn die Gefahr seines eigenenWesens189
Damit wuumlrde sich durch die Verringerung der Selbstreflexion im Seyns-Bestand
eine Schwachstelle auftun in die der denkbegabte und aletheiafaumlhige Mensch ei-
ne Moumlglichkeit haben das Seyn zum Sein zuruumlckzuwandeln ndash also wieder in ein
185 GA 79 S 49186 Ebd187 GA 79 S 53188 GA 79 S 52189 GA 79 S 53
44
wesentliches Verhaumlltnis zum bdquoDingldquo zu gelangen in dem das Geviert wieder die
Harmonie herstellt Allerdings faumlnde bis zu solch einer Nachstellung eine Ver-
sieglung des Seynsbestandes statt Und Heidegger beklagt dass die Erreichung der
Ruumlckeroberung des Seins uumlber die Nachstellung nicht stattfaumlnde und stattdessen
die Irre regieren wuumlrde190
In dieser Irre stuumlnde dem Menschen nicht einmal mehr zu zu sterben Denn
bdquoSterben [] heiszligt den Tod in sein Wesen austragenldquo191 Somit waumlren die Opfer
die in den KZs umkamen wie er sie in Das Dinglsquo bereits schildert nicht vermouml-
gend gewesen zu sterben bdquoSie werden Bestandstuumlcke eines Bestandes der Fabrika-
tion von Leichen [] Sie werden in Vernichtungslagern unauffaumlllig liquidiertldquo192
Das vermoumlge die Gefahr zu bewirken Der Mensch wuumlrde des eigenen Sterbens
beraubt da er keine Verbindung mehr zur Wahrheit der Welt haumltte Um den rich-
tigen Tod zu sterben muumlsse der Mensch die Aletheia schauen koumlnnen Insofern ist
Heideggers Prinzip ein religioumls anmutendes Wie in der christlichen Vorstellung
der Mensch im Jenseits an seinen Taten gemessen wird um Paradies oder Fege-
feuer zu besuchen soll nach Heidegger der Mensch waumlhrend des Sterbens mit
sich selbst ins Gericht gehen Er soll sich rein machen vom Ge-Stell der Technik
und dem Seyn um nicht die einmalge Gelegenheit des richtigen Sterbevollzugs
zu versaumlumen Es winken gemaumlszlig des Gevierts die himmlischen Goumlttlichen den
irdischen Sterblichen zu wobei annehmbar ist dass Heidegger Sterblichen die
die Aletheia erkennen einen Goumlttlichkeitsstatus beimessen moumlchte ndash eine Erlouml-
sungsphantasie
Genau diese Erloumlsung waumlre die Technik nicht
Ohne den Schritt des Denkens zu wagen der unser Menschenwesen demWesen der Technik [] aussetzt wuumlrgt man sich von Fall zu Fall von Lagezu Lage durch die Zwiespaumlltigkeiten hindurch Und genau durch dieses Ge-wuumlrge versaumlumt man die Moumlglichkeit dessen was man im Grunde erstrebtdie Technik durch menschliches Tun zu meistern und menschenwuumlrdig zulenken193
190 Vgl GA 79 S 55191 GA 79 S 55192 GA 79 S 56 Weil Heidegger im Judentum die Verantwortlichen fuumlr das Geraffe des Ge-Stells
sieht macht er sie gleichsam verantwortlich fuumlr die bdquoSelbstvernichtungldquo Die Seinsverges-senheit im Tode wird dadurch zum Spin-off der vermeintlich juumldisch erzeugten da machen-schaftlichen KZ-Maschinerie (Vgl GA 97 S 20f)
193 GA 79 S 59
45
Trost und Richtung findet Heidegger schlieszliglich abermals bei den alten Griechen
Das Wort stellenlsquo entspricht dem griechischen ϑέσις vorausgesetzt daszlig wirϑέσις griechisch denken Was heiszligt in diesem Falle griechisch denkenlsquo Esheiszligt darauf achten welche Lichtung desWesens des Seyns in welcherWeisedas Dasein der alten Griechen in den Anspruch genommen hat heiszligt imvoraus bedenken in welchem Geschick welcher Unverborgenheit des Seinsdie Griechen standenldquo194
Das sind Vorstellungen des Neuen Anfangs eine Reminiszenz der griechisch anti-
ken Welt Ein Eintrag aus den Schwarzen Heften von etwa 1945-47 () verdichtet
wie oben bereits aufgezeigt die Phantasie griechisch zu sein zu einem gelingenden
Lebensvollzug
Das reine Wesen des Griechentums dh das Seiende inmitten dessen dieGriechen als seiende fremd gewesen dieses und sie selbst und der Bezug desSeins zu ihnen ndash in der einfachen Wesung von der ἀλήθεια her zeigen underfahren Den μῦθος und λόγος ndash jedes Wort und Gebild rein aber nichterzwungen und schematisch-pedant ndash aus ἀλήθεια erfahren195
Hier zeigt sich auch dass Heidegger per se das Aletheia-Prinzip fuumlr notwendig
hielt um ins Licht der Wahrheit zu blicken Die Griechen sind ihm hier deshalb
Vorbild und rein da sie keiner modernen Technik und dem Ge-Stell ausgesetzt
waren sondern lediglich eine mythopoetische Verbindung zum Sein herstellen
mussten um wesentlich zu sein und Seinsgeschichte zu schreiben Die Dinge und
das Spiegel-Spiel des Gevierts waumlren ihnen geschickt zuhanden gewesen196 Hei-
degger macht schlieszliglich sehr deutlich dass das Griechische zu denken ein bei
weitem anderes Geschaumlft sei als philologische Praumlzision
Ein Echo zu sein naumlmlich dem Anspruch des Seins verlangt eine Sorgfaltder Sprache von der freilich der technisch-terminologische Sprachstil derWissenschaften uumlberhaupt nichts wissen kann Die Intentionalitaumlt der wis-senschaftlichen Sprache ist der staumlrkste Beweis fuumlr ihre Boden- und Heimat-losigkeit [] Das Heimische einer hohen Sprache gedeiht nur im Bereichdes unheimlichen Anspruchs der wesenhaften Stille im Wesen des Seyns197
194 GA 79 S 62f195 GA 97 S 20196 Hingegen waumlre das Judentum verantwortlich fuumlr das Ge-Stell fuumlr das Prinzip der Zerstoumlrung
wie es auf der selben Seite der Schwarzen Hefte darunter heiszligt (vgl ebd)197 GA 79 S 66 Die Bedeutung von Seyn als verstelltes Sein oder Bedingung zum Schauen
des wahren Seins ist verwirrend Einer genaueren Analyse wird aus Platzgruumlnden hier nichtnachgegangen
46
324 Die Kehrelsquo
Der letzte Vortrag ist mit nur neun Seiten der Kuumlrzeste des Vortragsgevierts
Nach dem Verlust des Dinges als Ding und der damit einsetzenden Abstandslosig-
keit als Wesen des Ge-Stells wobei die Gefahr zudem der Vergessenheit des Seyns
nachstellt bietet Heidegger eine Perspektive an
Im Wesen der Gefahr verbirgt sich [] die Moumlglichkeit einer Kehre in derdie Vergessenheit des Wesens des Seins sich so wendet daszlig mit dieser Kehredie Wahrheit des Wesens des Seyns in das Seiende eigens einkehrt198
Diese Moumlglichkeit bedeute nicht dass der Mensch sich der Gefahr selbst stellen
koumlnnte sie waumlre passiv ndash bdquoverbirgt sichldquo Die Kehre werde sich ereignen aumlhnlich
einer Erwartung an den Messias
Die Anwesenheit der Gefahr wuumlrde automatisch die Rettung bergen Denn
Houmllderlin haumltte geschrieben bdquoWo aber Gefahr ist waumlchst [d]as Rettende auchlsquoldquo199
Etwa 1945 notiert Heidegger in seine Schwarzen Hefte bdquoDie Wahrheit erfahren
wir im Gedaumlchtnis Das Gedaumlchtnis ist die Dichtungldquo200 (so) Von dieser War-
te aus ausgestattet mit Erinnerungen an das abendlaumlndische Dichten mit dem
Wissen um das Aletheia-Prinzip und passiv als denkender Huumlter des Seyns solle
der Mensch das Ereignis erwarten das ihn bdquoloumlsen freimachen freyen schonen
bergen in die Hut nehmen wahrenldquo201 wuumlrde (siehe S 43)
Dieses Ereignis waumlre der Blitz Ein unvermittelter jaumlher ploumltzlicher Moment
von kurzer Dauer der bloszlig einen ebenso kurzen Blick auf das wahre Wesen er-
lauben wuumlrde Abschlieszligend ist dies das Rezept gegen die Bestands bestellende
Technik in mythopoetischer Formulierung
So entsprechend ist der Mensch geeignet daszlig er im gewahrten Element vonWelt als der Sterbliche dem Goumlttlichen entgegenblickt Anders nicht dennauch der Gott ist wenn er ist ein Seiender steht als Seiender im Seyn unddessen Wesen das sich aus dem Welten von Welt ereignet202
198 GA 79 S 71199 GA 79 S 72200 GA 97 S 52f201 GA 79 S 72202 GA 79 S 76
47
Wenn Heidegger im Anschluss von der bdquohistorisch-technischen Darstellungldquo re-
det so ist dies die Abwehr der Wissenschaften (auch der Philosophie203) und ein
Appell an die Antirationalitaumlt des Mythos bdquokein historisches Vorstellen der Ge-
schichte als Geschehen bringt in den schicklichen Bezug zum Geschickldquo204
Damit das Blitzen erfahren werde als kurze Wesensschau der Aletheia muumlsse
dem wahren abendlaumlndischen und heimatlichen Ereignis stattgegeben werden Es
sollte nicht wie er 1939 schon in den Schwarzen Heften beschreibt das
kuumlnstliche Licht von Historie und Technik in der weder Mensch noch dieGoumltter weder eineWelt noch die Erde sichtbar werden koumlnnen wo aber dasLebenlsquo von allen den immer noch zu wenigen Meistenlsquo erlebtlsquo wird205
Damit schlieszligt der letzte Vortrag mit einer Erwartung an das Ereignis des Blit-
zens nicht das Erleben der Besinnungslosigkeit (vgl Das Ge-Stelllsquo) Schon 1947
traumlumt Heidegger von solcher Umkehr
Aus der Kehre der Seynsvergessenheit aber ereignet sich das Unumgaumlnglicheden Acker der Welt erst zu pfluumlgen und saatbereit der Sonne und dem Regenund den Voumlgeln des Himmels uumlberlassen206
203 Denn ldquo[e]igentlich denken heiszligt [] die Philosophie verlassen [] beim Sagen des Seinslsquoldquo(GA 97 S 60)
204 Ebd205 GA 95 S 427 Gegen das Erlebnis und Erleben straumlubt sich Heidegger besonders So notiert
er etwa 1939 bdquoZeitalter der Techniklsquo macht gerade die Techniklsquo nicht zum Ziel sondernimmer mehr zum Mittel der besinnungslosen Berechnung [] der Mensch [] das Erleb-nislsquo [] Erleben als der Gefuumlhlsgenuszligldquo (GA 95 S 149) Wie auch bdquoWo beide Historie undTechnik in solcher scheinbaren Gegensaumltzlichkeit verkoppelt sind koumlnnen sie sich zur Foumlr-derung dessen zusammenschlieszligen was einstmals wesentlich die Geschichte des Menschenmitbegruumlndete und was wir die Kunstlsquo nennen Die Historie verschafft [] Anregungenund Vorbilder der Nachahmung die Technik erleichtert [] die Zustellung von Darstel-lungsmitteln und Wirkungsformen [] Gleichwohl ist alles wurzellos [] berechnet und alsErlebnislsquo ausgegebenldquo (GA 95 S 212)
206 GA 97 S 511
48
4 Konklusion
Der umstrittene Philosoph Martin Heidegger hat uumlber die 1930erndash40er Jahre
hinweg eine ausgepraumlgte voumllkisch-nationale und bisweilen radikal-antisemitische
Denkweise entwickelt Dieses Denken fasste er auch auf als Besinnung und stellt
es der Philosophie und Wissenschaft diametral entgegen In Kapitel 2 wird aufge-
zeigt dass sowohl Heideggers Mythologie bereits kritisiert wurde (Adorno Cassi-
rer Meyer) als auch seine Mythopoetik bewundert (Schulz-Nieswandt) Kapitel
3 will daruumlber hinaus aufzeigen wie Heidegger eine eigene Mythologie mytho-
poetisch fruchtbar macht was sich von beiden vorigen Ansaumltzen unterscheidet
und erst mit der Veroumlffentlichung der Schwarzen Hefte ab 2014 nachvollziehbar
wurde
Umso mehr bietet die mythopoetische Verbindung von bdquoDichten und Den-
kenldquo (so) einen antitechnischen Gegenpol Denn Heidegger fasst wie oben ge-
schildert alles Rationale auf als berechnende Bestellung des Bestands im Sinne
der Technik Daruumlber hinaus fordert er mit dem Aletheia-Prinzip (als metapho-
risch gefasstes Ereignis des Blitzens) einen Mitvollzug seiner mythopoetischen
Kontemplation in dem religioumlse voumllkische antike und sprachliche Motive zu-
sammenfallen
Obwohl schon von Heidegger selbst nicht mehr als Philosophie betrachtet
hat seine Rede vom Ding dem Ge-Stell dem Wesen der Technik und der Kehre
noch immer einen bedeutenden Einfluss auf die Technikphilosophie So betont
Alfred Nordmann in bdquoWerkwissen oder How to express things in worksldquo (2008)
dass Heidegger mit Das Dinglsquo eine Art Dingwissen geschaffen haumltte In seinem
2012 erschienenen Aufsatz Another parting of the ways Intersubjectivity and the
objectivity of sciencersquo207 geht Nordmann ein weiteres Mal auf Heideggers Ding
ein Dieses waumlre eine Abarbeitung an dem Ding Kants womit auch Nordmann
Heidegger als einen Interpreten Kants versteht208 Anschlieszligend anMichael Fried-
207 Nordmann Alfred Another parting of the ways Intersubjectivity and the objectivity ofscience In Studies in History and Philosophy of Science 43 (2012) 38ndash46
208 Die Auseinandersetzung mit dem Ding wuumlrde nach Nordmann in Heideggers GA mit demText Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalen Grundsaumltzenlsquoeinsetzen (GA 41 Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalenGrundsaumltzen)
49
man spricht sich Nordmann ebenso dafuumlr aus dass Heidegger neben Rudolf Car-
nap und Ernst Cassirer eine neokantianische Philosophie verfolgt haumltte (siehe
Kap 1)209
Nach Nordmann haumltte Heidegger in seinen anschlieszligenden Gedanken uumlber
das Ding als Fortfuumlhrung Kants als erster Wissenschaft als angewandte Techno-
logie verstanden210 Diese Interpretation stuumltzt sich auf die gleichen Symbole
Metaphern und Mythen die die vorliegende Arbeit analysiert Das Ge-Stell ist
insofern aumlquivok mit dem Begriff techno-science Jedoch sind in dieser Fruchtbar-
machung von Heideggers Denken der Technik dessen nationalistischen rassisti-
schen und antisemitischen Implikationen die die vorliegende Arbeit als Zentrum
dessen Philosophie ermitteln konnte noch nicht beachtet worden koumlnnen211
Andreas Luckner webt Heideggers Ding-Entwurf weiter als verantwortliches
Sorgen um die Dinge212 Er geht dabei mit Heidegger voumlllig konform und tritt
eher als eine Art Bote der Ding-Botschaft auf als diese moumlglicherweise zu kriti-
sieren was sich diesen Artikel wie ein Kapitel aus einem Studienbuch lesen laumlsst
Der Darmstaumldter Technikphilosoph Christoph Hubig ist vor allem Kritiker Hei-
deggers Argumentationen laumlsst aber zuweilen diverse Topoi aus dem Werk des
Technik-Denkers durchscheinen ohne sie weiter zu reflektieren
So konstatiert Hubig Heidegger verfehle in dessen Auseinandersetzung mit
Aristoteles Lehre von der Poiesis zum Punkt der Sicherung wie sie in Die Frage
nach der Techniklsquo behandelt wird bdquodie operative Seite des Technischenldquo bei Aris-
totels213 In einem spaumlteren Aufsatz allerdings stuumltzt er sich ohne weitere Erlaumlute-
rungen auf Heideggers Begriff der Sicherung aus Die Frage nach der Techniklsquo214
209 Diese Befriedung paradigmatischer Umstaumlnde wird hier nicht geteilt Eine weitere Bearbeitunglaumlsst der Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht zu
210 Vgl Nordmann Another parting of the ways S 45211 Der Aussage dass Heideggers Ding-Begriff kantianisch waumlre muumlsste einer gezielten Untersu-
chung unterzogen werden genau wie die Behauptung insgesamt dass Heidegger oder inwie-weit dieser noch der suumlddeutschen Kantschule des 1920 Jahrhunderts angehoumlrte
212 Vgl Luckner Andreas Ding und Bestand Heidegger und das Wesen neuzeitlicher TechnikIn Gamm G Gehring P Hubig C Kaminski A und Nordmann A Ding und SystemS 15-30 hier S 29
213 Hubig Christoph Die Kunst des Moumlglichen Technikphilosophie als Reflexion der MedialitaumltBielefeld 2006 S 103
214 Vgl Hubig Christoph Technik als Medium In Grundwald Armin (Hg) Handbuch Tech-nikethik Stuttgart 2013 S 118-123 hier S 118
50
Dabei versteht Hubig Heideggers Betrachtungen zum Umgang mit der Technik
als gelassen
Fuumlr Heidegger liegt die Andersheit im Entbergen einer Wahrheit des Seinseines Geschicks von dem die Entwicklung der Technik hin zum Gestellkuumlnde Er verbindet dies mit dem Appell jenseits des rechnenden und si-chernden Vorstellens technischer Vollzuumlge als handlungsleitender Program-me sich gelassenlsquo dieser Entwicklung zu uumlberantworten und ein Seinlsquo zuhuumlten das sich als solches eben entbirgt Das Rettendelsquo dieser Einsicht lie-ge darin dass unsere individuelle Endlichkeit insofern transzendiert wirdals sie sich dem sie uumlbersteigenden Prozess aufschlieszligt und sich selbst relati-viert215
Wovon in diesem Zitat nicht die Rede ist ist der Mitvollzug der mythopoe-
tischen Rahmenbedinungen die Heidegger einfordert und an dem die Konzep-
te Abendland und voumllkische Tradition haumlngen In dieser Arbeit wird davon aus-
gegangen dass Heideggers Technikphilosophie-erzaumlhlung sich nicht von seinen
Absichten der Bekaumlmpfung des Technischen loumlsen laumlsst Die Relativierung ist in-
sofern nicht an den Prozess gebunden und damit emergent auf alles hin ausge-
richtet was kommen mag sondern houmlchst konvergent in einer Besinnung auf
Mythen von dem Ding und dem Geviert mit all deren Valenzen aus dem vorlie-
genden Heideggerschen Textkorpus Die individuelle Endlichkeit ist genoumltigt die
Heimat und das Abendland zu kennen und im Aletheia-Prinzip umzusetzen
Die Neubewertung der bislang bekannten Heideggerschen Technikphiloso-
phie von vor den SchwarzenHeften ist ein dringendes Desiderat Voumllkisch-nationale
Gruppierungen erstarken momentan in ganz Europa und es koumlnnte sehr hilfreich
sein aumlhnliche Denkstrukturen aufzudecken so wie sie zwischen den 1930er und
40er Jahren entwickelt wurden Zusaumltzlich muss das Werk Heideggers einer kriti-
schen Revision schon aufgrund der niemals von ihm behandelten Antisemitismen
unterzogen werden Heidegger hat nie zu diesen Stellung bezogen
Daruumlber hinaus ist das Thema Mythos und Philosophie ein weiterhin not-
wendiger Bereich der philosophischen Forschung In einem Bereich auszligerhalb
der exakten Wissenschaften und ohne klare theologische Tradition ist die Philo-
215 Hubig Die Kunst des Moumlglichen S 140
51
sophie beides sowohl Aufklaumlrer und antimythisch als auch Quelle fuumlr mythisches
Denken und affektierende Motive
52
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56
Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
Der Unterzeichner versichert dass er die vorliegende Bachelorarbeit selbststaumlndig
verfasst und keine anderen als die von ihm angegebenen Hilfsmittel benutzt hat
Die Stellen der Arbeit die anderen Werken dem Wortlaut oder dem Sinne nach
entnommen sind wurden in jedem Fall unter Angabe der Quellen (einschlieszliglich
des World Wide Web und anderer elektronischer Text- und Datensammlungen)
kenntlich gemacht Dies gilt auch fuumlr beigegebene Zeichnungen bildliche Dar-
stellungen Skizzen und dergleichen
Darmstadt 25 April 2016
__________________________
(Eigenhaumlndige Unterschrift)
- Abkuumlrzungsverzeichnis
- Danksagung
- Einleitung
- Heideggers mythopoetisches Programm
-
- Zu den Begriffen Mythos Mythologie und Mythopoetik
-
- Ein Beispiel fuumlr ein Mythologem
-
- Heideggers Mythen
-
- Formen der Mythologie
-
- Heideggers mythopoetische Technik
-
- Zur Publikationsgeschichte von den Bremer Vortraumlgen 1949
- Die mythopoetische Spiegelung der Schwarzen Hefte
-
- Das Dinglsquo
- Das Ge-Stelllsquo
- Die Gefahrlsquo
- Die Kehrelsquo
-
- Konklusion
- Literaturverzeichnis
- Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
-
11
Ottos 1929 erschienenes Werk Die Goumltter Griechenlandslsquo37 sei laut Meyer
der fuumlr Heideggers mythologische Strategie unentbehrliche Einfluss Somit sei
der griechische Goumltterbegriff nicht mehr bdquochristlich antithetisch zu Welt und
Mensch sondern in Einheit damit zu denkenldquo38 Diese Einheit wuumlrde gestif-
tet durch bdquoOttos Formel vom Geheimnis der Beruumlhrung von Goumlttlichem und
Menschlichenlsquoldquo39 Da Meyer das Mythologisieren im Zusammenhang mit der ge-
schichtsphilosophischen Kehre auch im Sinne einer bdquoVorrangstellung des primi-
tiven archaischen von ihm [Heidegger DS] als mythisch verstandenen Den-
kensldquo40 als Weg zum Nationalsozialismus ndash der Traum Heideggers eines neuen
(deutschenabendlaumlndischen) Anfangs ndash versteht liegt dem bdquogriechischen Goumltter-
begriffldquo hier eine besondere Wertlegung zugrunde41
Die Beschwoumlrung des Anfangs des griechischen Ursprungs ermoumlglicht ei-nen genuinen Neuanfang im Sinne einer Annullierung des Vorhergekom-menen Der Ausweg aus der Moderne aus der Welt der Uneigentlichkeitist moumlglich durch einen Bruumlckenschlag zum griechischen Denken [] DieMoumlglichkeit diese Krise zu uumlberwinden ist fuumlr Heidegger 1933 durch dienationalsozialistische Machtergreifung gestellt doch reiht er diesen Prozessin eine legitimierende geschichtsphilosophische Perspektive die auf einengriechischen Ursprungsmythos zuruumlckverweist42
Meyer findet kernige Passagen die er aus Heideggers Schriften und Vorle-
sungen bis 1935 durchaus uumlberzeugend zur Unterstuumltzung seiner These anfuumlhrt
Diese Zitate Heideggers sind der Mythologie der Schwarzen Hefte sehr aumlhnlich als
tentatives Entwerfen
37 Otto Walter F Die Goumltter Griechenlands Das Bild des Goumlttlichen im Spiegel des griechi-schen Geistes Frankfurt am Main 2013Meyer verweist in einer Fuszlignote auf das Buch Heideggerrsquos Roots Nietzsche National So-
cialism and the Greekslsquo von Charles Bambach (2005) das ihm fuumlr diese Aussage Pate stand38 Meyer Die Entdeckung des griechischen Mythos S 439 Ebd Durch eine solche Formel der Einheit von Menschen und Goumlttern ist ein nahtloser
Anschluss an die Goumltter Heraklits und anderer antiker Philosophen geebnet Heidegger hatdiese Moumlglichkeit erstaunlich ernst genommen und ausgearbeitet
40 Meyer Die Entdeckung des griechischen Mythos S 341 Meyer stolperte mit der Begruumlndung dass bdquoDieser erstaunlich unkritische Gottesbegriff []
sich nur im Kontext von Ottos Goumltter Griechenlands verstehenldquo (Meyer Die Entdeckungdes Griechischen Mythos S 4) lieszlige uumlber Heideggers SoSe Vorlesung 1930 Vom Wesender menschlichen Freiheitlsquo (GA 31 S 7f) Ferner vollzieht er Ottos Einfluszlig uumlber die ersteHoumllderlin-Vorlesung von 193435 und weitere Schriften Heideggers nach Es geht Meyerauch stark um das Verhaumlltnis von Heideggers Denken bis und nach Sein und Zeit was indieser Arbeit nicht tiefer behandelt werden kann
42 Meyer Die Entdeckung des griechischen Mythos S 4f
12
Das legt nahe dass Heidegger sein mythopoetisches Texten als Code vor allem
in den Nachkriegsveroumlffentlichungen einsetzt ndash ein Nachruf aus dem gescheiter-
ten Anfang43 Ab 1935 jedenfalls haumltte sich Heidegger von der Vorstellung des
neuen Anfangs verabschiedet44
Das Mythologisieren konstruiert Meyer als Anschluss an die Houmllderlin-Vor-
lesung (193435) Die Houmllderlinsche Lyrik haumltte fuumlr Heideggers bdquophilosophisches
Sprachmaterialldquo Vorbildcharakter da bdquomit Houmllderlin die griechische Mytholo-
gie in ihrer sprachlichen Verbildlichung zum tragenldquo45 kaumlme Die dann staumlndige
Wiederauferstehung der bdquogriechischen Goumltter- und Heldenwelt in seinen Vorle-
sungenldquo schluumlge dem zu Buche In der Vorlesung 193435 Houmllderlins Hymnen
Germanienlsquo und Der Rheinldquo klingt insofern bereits eine Figur an die Heidegger
uumlber zehn Jahre spaumlter in seinen technikphilosophischen Bremer Vortraumlgen mit
seinem Aletheia-Prinzip verbinden wird ndash der bdquoBlitzldquo (su)
43 Eine genaue Untersuchung laumlszligt die Form dieser Arbeit nicht zu sie bezoumlge sich wie gesagtauf die drei Darstellungsebenen der GA mit den Schwarzen Heften (GA 94ndash97) als (Entwurfs-phase) Besinnung (GA 66) Das Ereignis (GA 71) ua als (Konzeptionsphase) und den BremerVortraumlgen (GA79) als (Praumlsentation) die Uumlbergaumlnge sind freilich flieszligend und gerade in denvon Meyer zitierten Vorlesungen erscheinen alle drei Stufen mitunter gleichzeitig Gerade imfolgenden zitierten Doppelband in dem es ua um die bdquoWahrheit der Spracheldquo geht scheintes tatsaumlchlich genau wie Meyer es identifiziert um die Grundlegung Heideggers Mythologiezu gehen die in den Schwarzen Heften vielmehr lemmaartig und sporadisch entworfen wirdMit Heraklits Spruch des Kampfes als Wesen des Seienden zieht Heidegger einen Paten seinerMythos-Logos-Aletheia Kombination heran und versucht seiner eigenwilligen Philologie ei-ne verpflichtende Bedeutungstiefe einzulegenMeyers Zitate Heideggers mit groszliger Relevanz fuumlr diese Arbeit sind die folgenden bdquoDa-
mals als das Volk der Griechen deren Stammesart und Sprache mit uns dieselbe Herkunfthat in seinen groszligen Dichtern und Denkern sich aufmachte eine einzigartige Weise desmenschlichen volklichen Daseins zu schaffen Was da anfing ist bis heute nicht eingeloumlstAber dieser Anfang ist noch nicht und er verschwand nicht und verschwindet nicht dadurchdaszlig die nachkommende Geschichte immer weniger seiner Herr blieb Der Anfang ist nochund besteht als ferne Verfuumlgung die unserem abendlaumlndischen Schicksal weit vorausgreift unddas deutsche Geschick an sich kettetldquo (GA 3637 S 6 Die Grundfrage der PhilosophielsquoSommersemester 1933)bdquoAls μυθος ist das Wort das uumlber den Menschen kommt jenes worin ihm dieses und
jenes seines Gesamtdaseins gedeutet wird nicht das Wort in dem er von sich her Rede stehtsondern das Wort das Weisung gibt [] Aber der urspruumlngliche λογος der Philosophiebleibt dem μυθος verbunden erst die Sprache der Wissenschaft vollzieht die Abloumlsungldquo(Ebd S 116)
44 In den Schwarzen Heften houmlrt die Sehnsucht nach dem neuen Anfang nicht auf also bis ein-schlieszliglich 1948
45 Meyer Die Entdeckung des griechischen Mythos S 6
13
Gewitter und Blitz sind die Sprache der Goumltter und der Dichter ist derder diese Sprache ohne Ausweichen auszuhalten hat aufzufangen und in dasDasein des Volkes zu stellen hat [] Die Dichtung ist ein Weiterwinkendieser Winke in das Volk oder von diesem her gesehen Dichtung ist []ein Zeigen ein Weisen in welcher Weisung die Goumltter offenbar werden46
Die Rede von bdquoWinkenldquo ist bereits ein Selbstbezug benannte der Autor der
Schwarzen Hefte seine ersten beiden Abteilungen des heutigen 94ten Bandes der
GA als Winke x uumlberlegungen (II) und Anweisungenlsquo und uumlberlegungen und
Winke IIIlsquo47 Diese setzen ein im Jahr 1931 und duumlrften moumlglicherweise bis 1933
oder vielleicht auch 1935 gereicht haben Heideggers Selbstuumlberhoumlhung als mys-
tagogisch bdquodichterisch-denkenden Schaffenden ndash also ihm selbstldquo48 erkennt auch
Meyer bereits ohne die eindeutigen Zeugnisse dieses Wunsches in den Schwarzen
Heften Es ist Heideggers Begehren das Volk seiner Fuumlhrung zu unterstellen bdquoso
dass sich das Wesen dieses Landes selbst findet und vollendetldquolsquo49
Meyer spricht in Folge daran davon was Heideggers Ursprungsmythos den
er in die griechische Altertum legt fuumlr diesen leistet Es ist eben das antiwis-
senschaftliche bdquoWissenldquo von einer bdquoUr-geschichteldquo Welche abgruumlndigen Motive
auch immer da hineinzuprojizieren sind (Bodenhaftigkeit arische Reinbluumltigkeit
abendlaumlndische Groumlszlige etc so wie es sich aus den Schwarzen Heften offenbart)
der Mythos verschraumlnkt Heideggers Streben nach Fuumlhrung als Denker und eine
Begruumlndung fuumlr die vermeintliche rassische uumlberlegenheit des deutschen Volkes
Meyer zitiert den Dichter-Denker mit bdquoMythologielsquo ist Wissen von einer Ur-
geschichteldquolsquo Es ginge um
Wissen nicht im archaumlologisch-musealen Sinn sondern als Prozess [] auchim Sinne dass Heidegger im Moment des Aussprechens gerade das leistetwovon er spricht Mythologie50
Augenscheinlich sieht Meyer keinen Grund dafuumlr von einer mythopoetischen
Textform in der Verschraumlnkung von Heideggers Denkerprophetie und der abend-
46 GA 39 S 31f (zitiert nach Meyer Die Entdeckung des griechischen Mythos S 6)47 Aus dem beigefuumlgten Nachwort des Herausgebers Peter Trawny geht nicht genauer hervor
weshalb zuerst bdquoWinke x uumlberlegungen (II)ldquo und dann bdquouumlberlegungen und Winke IIIldquo signi-fiziert sind Es wird hier davon ausgegangen dass es sich schlicht um das Gleiche handeltwobei der erste Teil sich in den bislang verschollenen Schwarzen Heften befinden muss
48 Meyer Die Entdeckung des griechischen Mythos S 749 Ebd Darin zitiert ist die GA 39 S 28950 Ebd Darin zitiert ist die GA 40 S 165
14
laumlndischen uumlberhoumlhung zu sprechen Die Paarung von Dichtung und Denken al-
lerdings ist fuumlr den Husserlnachfolger erst der Zweck und die Mythologisierung
das Mittel dazu In seiner Schrift uumlber die Religionsphilosophie und ontologi-
sches Wahrheitsverstaumlndnis bei Walter F Ottolsquo schildert der Altersforscher und
Sozialwissenschaftler Schulz-Nieswandt aus Koumlln uumlber die menschliche Existenz
die bdquoMythopoetik als Seins-Vergewisserungldquo51
In jenem Kapitel seines Otto-Traktats von 2014 schreibt Schulz-Nieswandt
wie ein echter Epigone Heideggers von der Wappnung gegen die bdquoKrise der Mo-
derne ndash Entfremdung Einsamkeit Angst Verzweiflungldquo52 An fruumlherer Stelle
seines Buchs stellt sich dar dass Schulz-Nieswandt sich geradezu mit Heideggers
Linie vereint anstatt sich ihr nur anzunaumlhern
Es geht um das wahre Sein aus der Sicht des zu seinem Wesen gelangendenMenschen in dessen Daseinsfuumlhrung was hermeneutisch erschlossen wer-den soll nicht um Wissenschaft als hermeneutische Methode im Kriterien-spektrum zwischen Verifikation und Falsifikation von Hypothesen mittelsProtokollsaumltzen uumlber die Realitaumlt53
51 Schulz-Nieswandt Frank Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis beiWalter F Otto (1874-1958) Eine strukturalistische und psychodynamische RezeptionBaden-Baden 2014 S 58-60
52 Ebd S 58 Dabei spielt Schulz-Nieswandt die Begriffe Epistemologie gegen Ontologie ausund bezeichnet sich selbst als post-strukturalistisch im Sinne der Kritischen Theorie schrei-bend Jedoch erscheinen diese philosophischen Kontraste nur wie bdquoEdelsubstantiveldquo des vonAdorno gemuumlnzten bdquoJargon der Eigentlichkeitldquo Und in genau diesem Jargon laumlszligt der So-zialwissenschaftler Heideggers Urmythos des Goumlttlichen der griechischen Antike (so) inaktueller Praumlsenz wieder auferstehen Es ist erstaunlich dass jemand der die Kritische Theo-rie fuumlr sich reklamieren will Epigone des bdquoJargons der Eigentlichkeitldquo ist So zeigt es sichauch auf S 28 wenn er in Ottos Dionysos bdquodie ganze Tiefe des Menschen zum Ausdruck[bringt DS] die Todeserfahrung des sterblichen Menschen Dionysos ist Hadesldquo Um nocheinmal zu bestaumltigen wie sich Schulz-Nieswandt als Akteur des Jargons gebiert sei hier Ador-no zitiert (dies gilt allerdings nur der Gegenuumlberstellung zum Vorsatz jener wuumlrde sich ander Kritischen Theorie orientieren ohne fuumlr diese zu advozieren) bdquoDer Heideggerschen Phi-losophie schloszlig sich was einmal Pforte zum ewigen Leben war zu sie betet statt dessenWucht und Groumlszlige des Tores an [] Sein wuumlrdevolles Gehabe ist Reaktionsbildung auf dieSaumlkularisierung des Todes [] Darum wird Sinn in den Tod geworfenldquo (Adorno Jargonder Eigentlichkeit S 134)
53 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei WalterF Otto S 15
15
Beiden gemeinsam ist auch die Faszination an Houmllderlin die sie ebenso mit Otto
teilen
Die ganze Eigenart des Denkens von Otto kommt in dem komplett innerenVerhaumlltnis zu Heidegger und Houmllderlin zum Ausdruck54
Nur noch ein Gott kann uns rettenlsquo so das Zitat des Spiegelinterviews das Ja-
kob Augstein zum Titel machte ist die kodierte Mythopoetik auf die sich die
Spiegelleser keinen Reim machen konnten Fuumlr Heidegger fuumlr den das Sein in der
Sprache wohnen sollte55 ging es um den Mythos der Naumlhe zur Antike als Naumlhe
zu den Goumlttern
Fuumlr Houmllderlin war die Theologie der Abwesenheit Gottes als uumlberweltlichePraumlsenz der Verlust der Gotteserfahrung des diesseitig verankerten Men-schen [] Die Antike wird als eine von Goumltternaumlhe charakterisierte Zeitvon Houmllderlin verstanden und erneuert (der kommendelsquo Gott) ersehnt56
Dies ist eine der Leit-Mythen Heideggers insbesondere wenn man sich die Nach-
kriegsvortraumlge ansieht (eben die Bremer Vortraumlgelsquo)
Die Aufhebung der Trennungsangst durch die bdquoAbwesenheit der Goumltterldquo uumlber-
winde der in existenzieller Angst befindliche bdquohomo abyssusldquo mittels bdquoder lie-
bevollen Gestaltung als Sich-Einrichten des Menschen [] als apriorischer Mo-
dus des In-der-Welt-Seinsldquo durch die bdquoEwigkeit der Mythopoetikldquo57 Fuumlr Schulz-
Nieswandt ist Mythopoetik eben nur dieses ein peganistischer Goumltterdienst der
den Kanon der Ottoschen Antike mit Houmllderlin interpretiert Insofern versteht
dieser versuchte Religionsphilosoph der eigentlich Sozialforscher ist Heideggers
Mythologie als schoumlpfend aus geteilter Quelle mit Mythen als Gemeinplaumltzen
derer sich der Denker-Dichter philologisch sicher bediene
Dabei geht es Schulz-Nieswandt umHeideggers Aletheia-Prinzip das er bdquoWahr-
heitsbegriffldquo nennt ndash welches bdquoDie Differenz der Technik als Herrschaft uumlber
54 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei WalterF Otto S 20
55 Vgl GA 7 S56 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei Walter
F Otto S 2157 Vgl Ebd S 59
16
Dinge von der Kunst als Schoumlpfung als Lichtung des Seins zur Wahrheit unter-
scheidetldquo58 Houmllderlins Goumlttliches waumlre darin vermisst und von Bedarf fuumlr den
Menschen Mit der Nomenklatur der griechischen Goumltter Houmllderlins und Ottos
ginge es beim Wahrheitsprinzip um bdquodie Erinnerung an Dionysos als der wie-
der kommende Gott []ldquo sie bdquofuumlhrt zur Lichtung des Seins als Wahrheitldquo59 Der
Mensch waumlre also Hirte seines Seins nicht Herr der Technik zum Sein bdquoDas Sein
ist den Menschen nicht technisch verfuumlgbar Die notwendige Einkehr wird zu
Heimkehrldquo60
Insofern zeichnet Schulz-Nieswandt ganz in Heideggers Sinne nach wie Hei-
mat und Irrationalitaumlt des Mythos zusammenfallen im Kanon der Goumltter-Mytho-
poetik Zum einen ist allerdings Heideggers Mythologie nicht so sehr an diese
Mythopoetik uumlber die Goumltter gebunden sondern bewegt sich frei im eigenwil-
ligen Auslegen von altgriechischen und deutschen Begriffen Zum anderen ist es
erstaunlich dass Schulz-Nieswand 2014 die Bedeutung der Mythopoetik fuumlr Hei-
deggers Ursprungsmythos des neuen Anfangs ignoriert und damit auch die gan-
ze voumllkisch-nationale Aura und damit die Abgrenzungspolitik Vor allem aber
richtet sich Heidegger nicht in einer bdquoliebevollen Gestaltungldquo menschlich ein
wie Schulz-Nieswandt es schon pathetisch darstellt sondern befeinded sich mit
allem ihm Zuhandenen als bdquoRaprochementldquo61 in alle Richtungen und pocht auf
bdquogeschichtliche Besinnungldquo als bdquoAuftrag des Deutschenldquo62
221 Formen der Mythologie
Mit den zwei oben herangezogenen Arbeiten uumlber Mythologisieren und Mytho-
poetik Heideggers sollte in dieser Arbeit das Verstaumlndnis seines Projekts der an-
tirationalen und antitechnischen Ausrichtung in den aktuellen Forschungsstand
gestellt werden Um welche Mythologie es sich in den Schwarzen Heften handelt
wird im Folgenden aufgedeckt werden Bereits in dem ersten Heft der Denktage-
58 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei WalterF Otto S 58
59 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei WalterF Otto S 59
60 Ebd61 Wolin Richard Heideggers bdquoSchwarze Hefteldquo Nationalsozialismus Weltjudentum und Seins-
geschichte In Vierteljahrsheft fuumlr Zeitgeschichte Bd 63 Heft 3 S 379-41062 GA 94 S 66
17
buumlcher verschmilzt Heidegger seine Vision von Dichten und Denken stellt sich
unter dieses Ideal
Dichten undDenken ineinander geschlungen und so waumlre ihrWas im verbindend-trennenden Bestimmen gewonnen63
Als bdquoAusgriff in den Begriffldquo versteht Heidegger dies als bdquovorschreibend-bildenden
Entwurfldquo der hinfuumlhrend zum Ereignis des Aletheia-Prinzips waumlre ndash
(Dichtung als Mythos
Dichtung als Dichtung im engeren Sinne gtgtGedichtltlt
Dichtung als Philosophie)64
Grundsaumltzlich ist die lose wirkende Legion von Lemmata nicht mit einer
Ruumlckfuumlhrung seiner Gedanken auf bestimmte griechische Goumltter und antike (ech-
te) Mythen besetzt Heidegger fetischisiert Begriffe und mythologisiert die von
ihm aufgepfropfte Bedeutung durch ein staumlndiges Wiederholen und Weiterden-
ken als bdquoWissenldquo wie Meyer es herausgearbeitet hat In dieser philosophischen
Alchemie sieht sich Heidegger als Denker als Bewahrer einer uralten Lehre die
eben neu widererstarken muumlsse Das hat Meyer auch schon klar gemacht Die My-
thopoetik erscheint aber hauptsaumlchlich nicht in den Schwarzen Heften sondern in
den Vortragspublikationen sich auf seine private Mythologie beziehend die in
den Schwarzen Heften zu Grunde gelegt wird
Die Mythen Heideggers drehen sich wie Meyer zurecht behauptet um den
Ursprung bei den Griechen den bdquoGrund der Geschichte des Abendlandesldquo65
Aber auch um die vielen Binaritaumlten die sich entgegengesetzt werden und tat-
saumlchlich wie der Heidegger-Herausgeber und Initiator und Leiter des Wupper-
taler Heidegger Instituts Peter Trawny es benannt hat auf einen Manichaumlismus
zulaufen66 Die Abgrenzungspolitik im Sinne des schuumltzenswerten abendlaumlndisch-
heimatlichen Deutschlands richtet sich gegen den inneren Feind vorangetrieben
63 GA 94 S 6564 GA 94 S 6665 GA 96 S 20566 Trawny Peter Heidegger und der Mythos der juumldischen Weltverschwoumlrung Frankfurt am
Main 2015 S 22Das hier aufgefuumlhrte Buch birgt einige problematische Umformungen zum Verhaumlltnis von
Heideggers Antisemititsmus Allem voran versucht es eine Begriffsbildung zu formen nach
18
von der Rechenhaftigkeit des juumldischen Wesens und die aumluszligeren Feinde wie Ameri-
kanismus franzoumlsische Kultur russischer Bolschewismus usw Heideggers Urmythos
vom neuen Anfang ist verquickt mit einem selbstangedichteten Personenmythos
was ebenfalls Meyer schon erkannt hat Dieses Schema ist die Grundstruktur
Immer deutlicher wird in mir die Ahnung daszlig unsere Heimat der Kerndes suumldwestdeutschen Landes [er selbst DS] der geschichtliche Geburtsortdes abendlaumlndischenWesens sein wird [] es ist das Geistvolle und zugleichdas erdenhafte schoumlne Land Es birgt unsichtbaren Reichtum dem Gemuumltbewahret tiefstes Dichten und houmlchste Gestalt der Sage67
Die mitunter wichtigste Dichotomie die Heidegger in den Denktagebuumlchern
aufwirft ist die zwischen Historie und Geschichte Es ist insofern nicht nur der
Mythos des neuen Anfangs der Heideggers Denken uumlber fast zwei Dekaden be-
stimmt sondern umso mehr die doppelte Projektion ndash des Verfalls (Machenschaft)
in eine Konstruktion von Historie und des Bestehens (Sein) in die konstruierte
Geschichte68 Geschichte faumlllt dann schlieszliglich mit der Schaffung des neuen An-
fangs so zusammen wie Historie mit Technik verschraumlnkt wird Geschichtlichkeit
muss durch das Prinzip des Ereignisses der Aletheia prozessiert werden waumlhrend
die verrationalisierte wissenschaftliche technische Historisierung des Lebens und
der Lebenswelt dem widerstrebt
Die Bindung von Heideggers Vorstellung des richtigen Lebens im Sein mit
demAbendland und einer voumllkisch-nationalen Groumlszlige undUumlberlegenheit Deutsch-
lands ist dabei ausschlaggebend Denn mit der Charakterisierung des Guten auf
derer Heideggers Antisemitismus mittels Heideggers Denkmethode behandelt aufgehobenwerden koumlnnte Die Hauptbegriffe darin sind bdquoSeinsgeschichtlicher Antisemitismusldquo undbdquoKontamination des Denkensldquo Von einer tieferen Auseinandersetzung muss an dieser Stelleabgesehen werden
67 GA 97 S 5468 In Band 66 der GA gibt es bereits einen kleinen Abriss der Historie und Techniklsquo die der Ge-
schichte gegenuumlbergestellt werden Das dies eine Uumlbertragung der Gedanken aus den Schwar-zen Heften ist ist ohne Zweifel Ein ansatzweise philosophisches Vorgehen vermengt sichdort mit dem poeto-mythologischen Denken Heideggers In Sachen mythopoetischer Figu-ren undMetaphernreichtum haumllt sich dieser dort aber noch zuruumlck (auch wenn er hier bereitsoumlffentlich vom bdquohistorischen Tierldquo redet) Die Absicht Technik und Historie als Verstellungdes abendlaumlndischen Menschen zu brandmarken stehen dabei im Vordergrund Weiterhinsoll in dieser Arbeit allerdings der Fokus auf den Schwarzen Heften und der Mythopoetik inden Technikvortraumlgen der Nachkriegszeit liegenDer Duden sieht Geschichte und Historie als Synonyme Von einer Ethymologie und der
Spekulation von Heideggers Gruumlnden der Auseinanderhaltung der zwei Synonyme soll hierabgesehen werden
19
der Seite des Seins sind die Feinde dessen eine Notwendigkeit seines Erklaumlrungs-
schemas Dabei sind es vor allem die Juden denen die Wurzel des Antiseien-
den von Heidegger in ihr vermeintliches Wesen geschrieben wird Exemplarisch
spricht dafuumlr dieses Zitat aus Band 96
Die zweite Machtsteigerung des Judentums aber hat darin ihren Grund daszligdie Metaphysik des Abendlandes zumal in ihrer neuzeitlichen Entfaltungdie Ansatzstelle bot fuumlr das Sichbreitmachen einer sonst leeren Rationalitaumltund Rechenfaumlhigkeit die sich auf solchem Wege eine Unterkunft im Geistlsquovarschaffte ohne die verborgenen Entscheidungsbezirke von sich aus je zufassen zu koumlnnen69
Diese Vorstellung ist eine Konkretisierung dessen was Heidegger mit den Uumlber-
begriffen Historie vs Geschichte einige Jahre vorher begann zu topografieren
Wir sind durch die Historie geschwaumlcht [] ndash wir koumlnnen nur durch das ge-rettet werden was uns in seiner Verfaumllschung widert ndash durch die Geschich-te70
Dieses bdquoWirldquo sind die glorifizierten Deutschen vor allem nach der Ableitung von
den Griechen uumlber Houmllderlin (und dessen Griechen) und Nietzsche zu ihm und
seinem kleinen Kreis von ihm anerkannter Intellektuellen-Kollegen wie etwa
Carl Schmitt Oswald Spengler Walther F Otto und Ernst Juumlnger Die Luft auf
Heideggers Denker-Olymp ist duumlnn und bekommt nur Wenigen
Die Geschichte in Heideggers solipsistisch-immanenten Nachdenken erklaumlrt
sich wie gesagt immer zusammen mit der Hoffnung auf den neuen Anfang und
als Besinnung auf das Denken als Akt gegen die Historie Die Paarung der zwei
Woumlrter bdquoGeschichteldquo und bdquoBesinnungldquo durchzieht in deutlicher Haumlufigkeit alle
vier Baumlnde der Schwarzen Hefte ndash bdquogeschichtliche Besinnung [] ist die Uumlberwin-
dung der Historie und des Historismusldquo und sie bdquobedarf der houmlchsten Strenge
hinter der die historische Exaktheitlsquo weit zuruumlckbleibtldquo ndash somit ferner bdquonur wer
Geschichtemacht vermag sie auch zu errettenldquo71 Das oben mit Meyer und Schulz-
69 GA 96 S 4670 GA 94 S 26771 GA 94 S 358f
Dass die Besinnung eine militante Perspektive hat laumlszligt sich auch in Heideggers Vereh-rung Heraklits ldquoDer Krieg ist der Vater aller Dingerdquo finden Heidegger sah sich selbst alsDenker als Propheten des Seins Aus dieser Warte betrachetete er zuerst den Nationalsozia-
20
Nieswandt bereits aufgezeigte Bereiten des Goumlttlichen legt Heidegger in seinen
Begriff der Geschichte
Geschichte ndash das Gewagtwerden der Goumltter nur Groszlig als Untergang oderSieg ndash nicht Dauerlsquo wesentlich ndash sondern die Abgruumlndigkeit der Erstrei-tung ndash Opfer und Weile
Historie ist bei Heidegger bdquogeschichtliche Entwurzelungldquo die bdquoTyrannei der
Technikldquo bdquoSelbstvergoumltterungldquo und bdquoAbgoumltterei der Technikldquo72 In einer skizzen-
haften Emanationsfolge wird dieHistorie als Modus der Technik auf sich selbst zu-
ruumlckgefuumlhrt bdquoDas Riesige ndash [] Historie die Technik der Geschichtelsquo Technik
Die Historie der Naturldquolsquo73 Es ist vage annehmbar dass Heidegger hier die Tech-
nik als rechenhafte machenschaftliche Historisierung der Natur versteht die vor
dem Geschichtsbegriff stattgefunden haumltte Diese wiederum haumltte die Geschichte
in die rechenhafte Machenschaft verfremdet Wie ein Apparat erscheint Heidegger
der Gegenstand seiner Historie zu sein die sich automatisch durchsetzen wuumlrde
Die Historie stellt zunaumlchst das Nacheinander der Begebenheiten dessenwas vorbeizieht (passiertlsquo) her [] Sie erklaumlrt dann Spaumlteres aus dem Fruuml-heren sie findet sogar dass Ideen die Geschichtelsquo bestimmen74
Den historisierend narrativen Umgang mit Geschichte als Wissenschaft emp-
findet Heidegger als Technisierung derGeschichte Diese wiederum basiert auf den
statischen Topoi seiner Mythen von Vaterland Bauerntum Houmllderlin alten Grie-
chen den Goumlttern etc und der Anwendung des Aletheia-Prinzips im Ereignis
Das ist ein Tugendenkatalog der Deutschtuumlmelei mit einer paumldagogischen Kom-
ponente seine Mythologie im Aletheia-Prinzip zu praktizieren Er nennt dieses
Geschaumlft auch Denken und ahnt dessen Feinde bdquodie Forscher die in der Technik
ihres Arbeitens keine Reibung dulden und ihr Wissen fuumlr den Geist haltenldquo75
lismus und nach dem Krieg den real existierenden Sozialismus des Ostblocks im Zuge deratomaren Aufruumlstung als Vollstrecker Macher der Geschichte die den neuen Anfang ebnensollten Dass Heidegger diese bdquoklaumlrendeldquo Wirkung tatsaumlchlich spaumlter den Russen zuschreibtlaumlszligt sich in Band 97 der GA zweifelsohne nachvollziehen Hier kann aus Gattungsgruumlnden(BA-Thesis) nicht naumlher auf dieses Faible fuumlr absolutistische Regime eingegangen werden Je-denfalls ist die geschichtliche Besinnung und der Kriegsakt ein Widerspruch den Heideggerjedoch gleichsam adressiert Auch dies kann hier nicht weiter untersucht werden
72 GA 9473 GA 95 S 35174 GA 96 S 6275 GA 97 S 509
21
Insofern verschraumlnkt Heidegger das bdquohistorisch-technischeldquo zum Antagonis-
ten der bdquogeschichtlichen Besinnungldquo Es ist die Entwicklung einer historisch-
geschichtlichen Differenz unter dem Zeichen der Besinnung gegen die techni-
sche Machenschaft ndash es geht um zwei unterschiedliche Wissenssysteme76 In den
Schwarzen Heftenwird Technikmeistens als eine Seite der Muumlnze mit der anderen
der Historie genannt Sie haumltten eine schon angedeutete dualistische Dynamik
Wo beide Historie und Technik in solcher scheinbaren Gegensaumltzlichkeitverkoppelt sind koumlnnen sie sich zur Foumlrderung dessen zusammenschlieszligenwas einstmals wesentliche die Geschichte des Menschen mitbegruumlndet undwas wir die Kunstlsquo nennen Die Historie verschafft [] Anregungen undVorbilder der Nachahmung die Technik erleichtert [] die Zustellung vonDarstellungsmitteln und Wirkungsformen [] Gleichwohl ist alles wurzel-los [] berechnet und als Erlebnislsquo ausgegeben77
Diese vermeintliche Gefahr muumlnde als bdquoZuumlgellosigkeit des Historismusldquolsquo in der
bdquoBodenlosigkeit [] (das Judentum)ldquo78 Heideggers Mythos ist hier dieser bdquoWir
muumlssen zuvor geschichtlich sein [] Ohne diese uumlberlieferung verfaumlllt alles der
historisch-technischen Machenschaftldquo79
Heidegger mythologisiert uumlber den bdquoAuftrag des Deutschenldquo80 will in bdquoge-
schichtlicher Besinnung sehr weit zuruumlckgehen ndash auf den Zusammenhang von
τέχνη ἀλήθεια und οὐσίαldquo81 um Technik auf ihr Wesen im antiken Ursprung
zuruumlckzufuumlhren bdquoDie techne hat [] den Sieg uumlber die [] aletheia errungenldquo82
Heidegger will sie zuruumlckgewinnen Er will der Technik aus dem bdquoEreignisldquo83
wieder uumlbermaumlchtig werden und sieht das bdquoWesen des Vaterlandesldquo84 im Abend-
land Dabei ist es ihm unentbehrlich zu wissen bdquodaszlig das Griechentum [] und
76 Heideggers noch immer vorhande Rezeption in Puncto seiner Technikphilosophie erstauntdamit dass sein Prinzip der aletheiologischen Besinnung als alternatives Wissenssystem undTechnikkritik ob der eigenwilligen Konstruktion den Entwicklungen der Zeit standhaumllt
77 GA 95 S 21278 GA 95 S 9779 GA 96 S 10480 GA 94 S 6681 GA 94 S 35782 GA 95 S 13283 Ebd84 GA 96 S 52
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nicht das Roumlmertum der Grund der Geschichte des Abendlandes istldquo85 Sein My-
thos von Heimat verknuumlpft sich uumlber Dichtung und Ereignis zu einem fuumlr die
Technikphilosophie essentiellen Bezugs-Topos
Wir brauchen keine Technik [] Das Wesen des Vaterlandes ist das Abend-land In ihm werden die Deutschen erst deutsch und erkennen die Muttervon Allem die unversehrte Erde [] Die Wahrheit erfahren wir im Ge-daumlchtnis Das Gedaumlchtnis ist die Dichtung Die Dichtung sagen der Denkerund Saumlnger in ihrem Gespraumlch Dieses Gespraumlch erst ereignet dichterisch dieDichtung in die Sprache (die Dichtung das Ereignis und das Ereignis dasAbendland) [] Wohnt in seiner Sprache [] seyd dem Seyn im Seyn Soist Sein das Seyn86
Eine weitere mythologische Form haben seine Fuumlgungen von Jahreszahlen
womit er bereits in den Bereich des Okkulten Mystischen abzurutschen droht
Houmllderlin wurde [] 1770 geboren [] 1870 aber Lenin Waumlhrend der []Lebenszeit Houmllderlins vollzogen sich die entscheidenden technischen Entde-ckungen und Erfindungen der neuzeitlichen Technik (1774ndash1806)87
Und ferner bdquo1807 Phaumlnomenologie des Geistes 1867 Das Kapital 1927 Sein
und Zeitldquo88
Als letzter Mythos sei hier sein Aufgriff der Spenglerschen Metapher des
Raubtiers89 aufgezeigt Uumlber weite Strecken philosophiert Heidegger uumlber das his-
torische Tier Das historische Tier muumlsse vernichtet werden die bdquodeutsche Zukunft
wirdlsquo nicht erst seinlsquo sie istlsquo schon seit Houmllderlin sie stifteteldquo90 Der Homo
faber ist fuumlr Heidegger das historisch-technische Tier qua der bdquoAngewiesenheit auf
das Tierhafte als Wesensgrundldquo91 Es fehle ihm was bdquodie Griechen als Anfangen-
deldquo mit der bdquoZugewiesenheit des Menschen zum Sein gewagt habenldquo92 wodurch
85 GA 96 S 20586 GA 97 S 52f Hierbei handelt es sich um eine Nachkriegsnotiz Heidegger aumlnderte den die
Adressierung in eine direkte Ansprache richtet sich an seine imaginierte Volksgemeinschaft87 GA 96 S 17488 GA 97 S 131 Womoumlglich ist es eine Uumlbung per Jahreszahlen das Aletheia-Prinzip zu prakti-
zieren eine Kontemplationshilfe Andererseits koumlnnte er auch der Regelmaumlszligigkeit der Zah-lenfolgen eine uumlbernatuumlrliche bdquoWahrheitldquo beimessen Dies bleibt an dieser Stelle unerforscht
89 VGl Spengler Oswald Der Mensch und die Technik Muumlnchen 1931 S 1090 GA 95 S 19791 GA 95 S 32092 GA 95 S 321
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er den bdquoGoumlttern unertraumlglich gewordenldquo93 waumlre Das bdquoRaubtierldquo dem gegenuumlber
bdquoist die Urform des Heldenlsquoldquo94 Dann behauptet Heidegger dass das Raubtier das
historisch-technische Tier durch Anwendung seiner eigenen Waffen schlagen koumlnn-
te Es ist dabei die bdquoUumlberwindung der Metaphysikldquo mitgedacht die erfolge sobald
sich das metaphysische Fragen durch den Wille zum Willen verfestigt95 Auch
Spengler dachte an dieses Derivat des Nietzsche Topos vomWillen zur Macht das
er seiner antropomorphen Chimaumlre vom Raubtiermenschen eingibt Wieder ist
von der Gewalt die Rede die ein Tabula rasa schaffen sollte zur Wiederauferste-
hung des griechisch-abendlaumlndischen Anfangs in Deutschland bdquoDas Raubtier aber
mit denMitteln der houmlchsten Technik ausgestattet ndash vollendet die Verwirklichung
der brutalitas des Seinsldquo96
Es scheint so als haumltte Heidegger auf jeden Begriff einen Gegenbegriff (selbst
zum historisch-technischen Tier das Raubtier)97 Aber es geht hier nicht um die
Analyse ausgewogener Formprinzipien oder die Kritisierung seiner linguistischen
philologischen Faumlhigkeiten Die Zitierung der Heideggerschen Mythologie soll
seine Verbindung von voumllkisch-nationaler und antisemitischer Haltung mit den
Bedingungen und Anspruumlchen seines Philosophierens aufzeigen Da die Schwar-
zen Hefte wie alle sonstigen Werke seines philosophischen Schaffens in der GA
erschienen sind muumlssen sie insofern als Teil derer gelten Das bedeutet dass sie
ausreichend Relevanz fuumlr die Arbeiten uumlber die Technik haben98
93 GA 95 S 23694 GA 95 S 39795 Vgl GA 7 Uumlberwindung der Metaphysik S 7896 GA 95 S 39797 Vgl Rudolph Heideggers Schwarze Hefte im Echo S 151 bdquoKeiner hat Nietzsche so konse-
quent und wahnwitzig zumNazi avant la lettre verformt wie Heidegger und keiner hat einenzuvor gewaltsam gefuumlgig gemachten Nietzsche so konsequent instrumentalisiert um damitdie vulgaumlr- nationalistische Dekadenz im Sandwich zu geiszligeln wie Heidegger Die Philolo-gie ndash auch die klassische ndash (Colli Cancik Montinari) hat Nietzsche inzwischen laumlngst mitnachhaltigem Erfolg rehabilitiert Wer jetzt noch einen roten Faden von Nietzsche zu Hitlerzieht hat nur noch Heidegger auf seiner Seiteldquo
98 Zum Abschluss dieses Kapitels sei hinzugesagt dass der Veranschlagung der Beispiele vonHeideggers Mythologie ein Exzerpt von 13 Seiten aus 1700 Seiten Text der vier Baumlnde derSchwarzen Hefte zugrunde liegt Beim Studium dieser fielen die staumlndigen Repetitionen derimmer gleichen Figuren und Metaphern auf Daraus wurde geschlossen dass es sich um eineMythologie handeln kann was ein weiteres Forschen bestaumltigte Die hier zitierten Stellensind Topoi die sich in Huumllle und Fuumllle in jedem der vier Baumlnde finden lassen was ihrenmythischen Charakter unterstreicht Die Auswahl versucht ein besonders charakteristischesBild wiederzugeben
24
3 Heideggers mythopoetische
Technik
War Heidegger von seinem neuen Anfang nur zu traumlumen vergoumlnnt so gelang
ihm selbst aber die Wiederauferstehung aus der Asche des ZweitenWeltkriegs mit
der Vortragsreihe in Bremen (1949) uumlber die Technik Der Phoumlnix erweist sich
mittlerweile als Ikarus Anstatt sich selbst zu revidieren fordert Heidegger eine
Kehre ein die auf sein Programm der geschichtlichen Besinnung zum Ursprung ab-
zielt Rezipienten seiner Technikphilosophie taten zumeist seine voumllkischen und
nationalsozialistischen Verstrickungen mit der Niederlegung des Rektorats ab99
Sie glaubten an einen inneren Wandel Heideggers eine Laumluterung und sogar an
seinen geistigen Widerstand uumlber die Naziherrschaft hinweg100 Heute ist erwie-
sen wie Heidegger es aus seinem posthumen Gestaumlndnis in die Welt lecken laumlsst
dass er auf seine private Weise eine Form Nationalsozialismus hegte der die NS-
DAP und Hitler zwar als Vulgaumlrnazis kulturell degradierte aber sich selbst als
Denker-Nazi gerierte
Wie damit umzugehen ist steht aktuell in der Verhandlung Wie Rudolph es
behauptet stuumlnden die Heideggerianer bdquonun mit wertlosen Aktienldquo101 da Der
Kommunikationswissenschaftler Christian Fuchs sieht den Antisemitismus den
die Schwarzen Hefte zutage treten lassen als Notwendigkeit einer rigorosen Ver-
bannung Heideggers aus der technikphilosophischen Theorie102
99 Vgl Luckner Andreas Heidegger und das Denken der Technik Bielefeld 2008 S 64-69100 Vgl Babich Babette Nietzsche Heideggers Widerstand In Alfred Denker u Holger Zabo-
rowski (Hg) Heidegger-Jahrbuch 5 Heidegger und der Nationalsozialismus II Interpreta-tionen S 397-416
101 Rudolph Heideggers Schwarze Hefte im Echo S 146102 Vgl Fuchs Christian Martin-Heideggerrsquos anti-Semitism Philosophy of technology and the
media in the light of the ldquoBlack Notebooksldquo Implications for the reception of Heidegger inmedia and communication studies In tripleC Communication Capitalism amp Critique 13(1) (2015) S 55-78 hier S 74 Anstatt dessen pocht Fuchs auf die alternative Verwendungder Kritischen Theorie uumlber Fragestellungen zur Technik
25
It seems to me that Heideggerrsquos fetishism is often lrsquoart pour lrsquoart Heideg-ger pour Heidegger a tactic that aims at creating an aura of complexity byevoking Heidegger although the same content could be expressed withouthim103
Fuumlr Trawny waumlre dies ein bdquoperformativer Widerspruch [] stets daran zu erin-
nern Heidegger vergessen zu sollenldquo104 Quo vadis Heidegger
Die objektive Antwort Rudolphs der an den Commonsense und die Beweis-
last der Anklage glaubt wie auch der subjektive Appell Fuchs der es zur mora-
lischen Entscheidung des Einzelnen macht Heidegger zu vernachlaumlssigen setzen
aktuell die Jahrzehnte alte Tradition der Heidegger-Kontroverse fort Ein im Sep-
tember 2016 erscheinender Sammelband wird zusaumltzlich die Debatte mit neuen
Bewertungen anreichern105
In diesem Kapitel soll es nicht um die direkte Einreihung in eine der bestehen-
den Polemiken gehen sondern um den Versuch der Betrachtung der spaumlten Tech-
nikphilosophie Heideggers als mythopoetische Dichtung in seinem Sinne des
Philosophierens Als exemplarisches Werk ruumlckt damit das Vortrags-Geviert der
Bremer Vortraumlge ins Zentrum der Anschauung106 Hier wird davon ausgegangen
103 Ebd S 73104 Trawny Heidegger und der Mythos der juumldischen Weltverschwoumlrung S 141105 Heinz Marion und Kellerer Sidonie (Hg) Martin Heideggers raquoSchwarze Heftelaquo Eine
philosophisch-politische Debatte Berlin 2016 (im Druck) Aus dem Klappentext diesesTitelsbdquoOffene antisemitische Aumluszligerungen in diesen Denktagebuumlchern haben in der nichtakade-
mischen Oumlffentlichkeit fuumlr Empoumlrung gesorgt Die entscheidende Frage ist jedoch welcheVeraumlnderungen der Perspektive auf Heideggers Denken insgesamt sich dadurch ergebenund ob damit zugleich eine Neubewertung des Gesamtwerks eines der einflussreichstenPhilosophen des 20 Jahrhunderts noumltig istldquoEine der Herausgeberinnen des Bandes Sidonie Kellerer ist zudem an einem anlaufenden
fuumlnf jaumlhrigen Forschungsprojekt an der Universitaumlt Stuttgart im Rahmen des StuttgartResearch Centre for Text Studies beteiligt Heidegger und die Postmoderne Geschichteeiner Irrefuumlhrungiquest Sie und der Stuttgarter Literaturwissenschaftler Claus Zittel werden Hei-deggers ideologische Verstrickungen in den Nationalsozialismus untersuchen die textlichrekonstruierbar aber nachtraumlglich geklittet worden waumlren bdquoSo konnte die Wissenschaft-lerin Dr Sidonie Kellerer anhand des Vortrages Die Zeit des Weltbildeslsquo erstmals 1950veroumlffentlicht [sic] dass zahlreiche Passagen nachtraumlglich so modifiziert wurden dass dieurspruumlngliche Apologie des Nationalsozialismus nunmehr als Kritik am Regime gedeutetwerden konnte Die 2014 erschienenen Schwarzen Heftersquo mit persoumlnlichen AufzeichnungenHeideggers bestaumltigen zudem wie tief verankert in seiner Philosophie Rassismus undNationalsozialismus waren und bliebenldquo(httpwwwuni-stuttgartdehkompresseservicepressemitteilungen201567_kellererhtmlzuletzt abgerufen am 1442016)
106 Von einer umfassenderen Analyse der Schriften Heideggers zur Technik muss aus Platzgruumln-den abgesehen werden Die Voumlrtraumlge vom Ge-stell der Technik der Kehre und dem Dingsind vor allem wegen ihres Publikationszeitraums interessant da sie direkt an die Dokumen-
26
dass Heidegger den Versuch der abgrenzungspolitischen Einflussnahmemacht ge-
maumlszlig der oben dargelegten Ressentiments die sich in einer Mythologisierung des
Abendlandes niederschlagen Um seinem Ideal des dichtenden Denkens als Philo-
sophieren nachzukommen will Heidegger diese Einschreibung des Abendlandes
mythopoetisch vollfuumlhren
Grundsaumltzlich ist Verbindung und Trennung Heideggers boumlser Schwarzer Hef-
te mit und von seiner guten Technikphilosophie das Schlachtfeld aktueller De-
batten Wie bereits darauf hingewiesen werden hier Schwarze Hefte und Veroumlf-
fentlichungen wie eben in Form der Bremer Vortraumlge als ein kontinuierlicher
Arbeitsprozess gesehen Es gibt insofern nur einen Heidegger und keine gespal-
tene Persoumlnlichkeit Die Siegener Philosophin Sodonie Kellerer stellt dies anhand
Heideggers Selbstsicht luzide dar
Seine immer wiederkehrende Beschwoumlrung des Werkeslsquo und seine an diver-sen Stellen der bislang vorliegenden Briefkorrespondenz artikulierten Be-muumlhungen dieses Werklsquo fuumlr die Nachwelt zu sichern [Kellerer bezieht sichhier ua auf Heideggers Briefwechsel mit seiner Frau der 2007 veroumlffentlichtwurde DS] verdeutlichen wie sehr er seine Texte als ein Ganzes verstandin dem keines der Teile entbehrliche Wiederholung geschweige denn irrele-vante Eroumlrterung ist107
Dabei allerdings wird die Frage offen bleiben mit welchem Maszlig er sich selbst ge-
faumlhrdet sah seine Ansichten oumlffentlich zu vertreten und welche Konsequenzen er
dabei fuumlrchtete Denn er musste die Vortraumlge kodieren ndash was er im Sinne der My-
thopoetik auch macht ndash und mit Einigem hinterm Berg halten108 Dass es dabei
verschiedene Offenbarungsebenen gibt wird hier erst einmal hingenommen Es
interessieren staumlrker nachweisbare Bezuumlge des Entwurfsdenkens Heideggers zur
Oumlffentlichkeitsarbeit von ihm109
te der Schwarzen Hefte anschlieszligen (1948 der letzte Band der Schwarzen Hefte umfasst denZeitraum 1942-1948)
107 Kellerer Sidonie Kampf der Besinnung In Deutsche Zeitschrift fuumlr Philosophie Band 63Heft 5 Seiten 941ndash957 hier S 942
108 Weshalb die Veroumlffentlichung der Schwarzen Hefte auch weitestmoumlglich nach hinten verlegtwurde
109 Wuumlrde man dem entgegenhalten dass Heideggers vermeintliches Genie aus Formalisierun-gen seiner Gedanken ableitbar eine wichtige Quelle an sich bliebe scheitert dieses damitdass nun die Formalisierungen nicht personenneutral sozial-epistemologisch bestehen koumln-nen Als Vergleich wuumlrde man aus Hitlers und Goumlbbels Reden Formalisierungen isolierenlieszlige sich bestimmt die eine oder andere plausible Idee entwenden (wenn sie voumlllig dekon-
27
Hierzu wird der Text der gesamten vier Vortraumlge unter dem Titel Einblick
in das was ist Bremer Vortraumlge 1949lsquo110 aus dem 1994 veroumlffentlichten 79 Band
der GA zugrunde gelegt Das hat den Grund dass davon ausgegangen wird dass
der Text somit am naumlchsten an den 1949 tatsaumlchlich vorgetragenen Manuskripten
liegt Insofern ist eine realistische Annaumlherung an eine mythopoetische Uumlbertra-
gung der Schwarzen Hefte in die Bremer Vortraumlge 1949 das Ziel Demgegenuumlber
gibt es ob der virulenten Publikationspraxis von Heideggers Schriften111 noch
andere Auskopplungen der vier Vortraumlgsteile mit den Titeln Das Dinglsquo Das Ge-
Stelllsquo Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo
31 Zur Publikationsgeschichte von den
Bremer Vortraumlgen 1949
Zuerst erschien 1954 im Neske-Verlag (Pfullingen) ein Sammelband der lediglich
den ersten Vortrag Das Dinglsquo enthaumllt allerdings in leicht erweiterter Fassung
so wie er ein halbes Jahr nach dem Bremer Auftritt in Muumlnchen (1950) an der
Akademie der Schoumlnen Kuumlnste gehalten wurde112 Dem Band hinzugefuumlgt ist aber
zudem ein Vortrag der vornehmlich die Kernaussagen von Das Ge-Stelllsquo und
Die Gefahrlsquo verbindet allerdings in modifizierter Form Dieser wurde unter dem
textualisiert wuumlrde) Ist aber die wahre Verbindung zu Hitler und Goumlbbels hergestellt hatman selbstverstaumldlich die Verantwortung zu tragen an dem ganzen Tross von unmoumlglichenVerfehlungen dieser Menschen die sie fuumlr uns zu Personae non gratae stempeln muumlssen
110 GA 79111 Hierauf macht auch der Darmstaumldter Philosoph Gernot Boumlhme aufmerksam als Akt ei-
ner bdquoposthumen Selbstinszenierungldquo in Boumlhme Gernot Selbstinszenierung uumlber Ruhmin der Philosophie In Information Philosophie (Online Ausgabe 12015) URL=lthttpwwwinformation-philosophiedea=1ampt=8232ampn=2ampy=5ampc=29gt zuletzt ab-gerufen am 2442016)
112 Heidegger Martin Das Ding In Ders Vortraumlge und Aufsaumltze Pfullingen 1954 S 163ff
28
Titel Die Frage nach der Techniklsquo113 am 18 November 1953 an der TUMuumlnchen
gehalten
Eine weitere Auskopplung diesmal des letzten Vortragsteils Die Kehrelsquo fin-
det sich in einem broschuumlrenformatigen Band wiederum im Zusammenspiel mit
dem Vortrag Die Frage nach der Techniklsquo in Die Technik und die Kehrelsquo114 von
1962 wieder Somit wurden die Vortraumlge Das Ge-Stelllsquo und Die Gefahrlsquo lange
Zeit nicht veroumlffentlicht sondern als vermischter und modifizierter Text eben
Die Frage nach der Techniklsquo jeweils zusammen mit Das Dinglsquo (1954) und Die
Kehrelsquo (1962) angeboten115 In der Vorbemerkung zu Die Technik und die Keh-
relsquo wird diese kleine Chronologie leicht verfaumllscht auch aufgezeigt Darin heiszligt
es ferner dass Die Frage nach der Techniklsquo eine erweiterte Fassung von Das Ge-
Stelllsquo waumlre Dem ist wie schon gesagt nicht so Sondern es ist eine modifizierte
Vermischung von Das Ge-Stelllsquo und Die Gefahrlsquo was unschwer zB am Begriff
vom bdquoHer-vor-bringenldquo116 zu erkennen ist der in Die Gefahrlsquo eingefuumlhrt wird
und in Die Frage nach der Techniklsquo die gleiche Bedeutungskonstituente bildet
Mit der Veroumlffentlichung des 79 Bandes der GA 1994 wurden alle vier Bremer
Vortraumlge von 1949 publiziert In Band 11 der GA erschien 2006 auszligerdem Die
Kehrelsquo in ihrer urspruumlnglichen Fassung Die Frage nach der Techniklsquo enthaumllt
weniger mythopoetische Teile als Das Dinglsquo und operiert demgegenuumlber staumlrker
anhand klassisch philosophischer Allgemeinplaumltze Derer sind vor allem zu nen-
113 Heidegger Martin Die Frage nach der Technik In Ders Vortraumlge und Aufsaumltze Pfullingen1954 S 9ff (Der Aufsatz erschien ebenfalls 1954 im Sammelband der Vortragsreihe DieKuumlnste im technischen Zeitalter Heidegger Martin Die Frage nach der Technik In DieKuumlnste im technischen Zeitalter Dritte Folge des Jahrbuchs Gestalt und Gedanke Hg v dBayrischen Akademie der Schoumlnen Kuumlnste Muumlnchen 1954 S 70ff)
114 Heidegger Martin Die Technik und die Kehre Pfullingen 1962115 Beide Baumlnde Votraumlge und Aufsaumltzersquo sowie Die Technik und die Kehrersquo haben hohe Aufla-
genzahlen (Uumlbersetzungen wurden hier nicht recherchiert wobei es aber eine internationa-le Heidegger-Rezeption gibt) 1993 wurde der Pfullinger Neske-Verlag von dem StuttgarterHaus Klett-Cotta uumlbernommen was die Buumlcher aber unveraumlndert belaumlsst Vortraumlge und Auf-saumltzelsquo zaumlhlt seit 2009 die 11 Auflage Die Technik und die Kehrelsquo seit 2014 die 13 BeideBaumlnde sind vergriffen Es mutet unverstaumlndig an weshalb eine fehlerhafte Jahresangabe ausder ersten Veroumlffentlichung von Die Technik und die Kehrelsquo bis 2014 kolportiert wurdeDort steht der Vortrag Die Frage nach der Techniklsquo waumlre am 18 November 1955 gehaltenworden Der Vortragstermin war aber am 18 November 1953
116 Vgl GA 79 S 64 Und Heidegger Die Technik und die Kehre S 11
29
nen die Auflistung der bdquovier Ursachenldquo117 nach Aristoteles und die Kritik an der
Technik als bdquoein Mittel zu Zweckenldquo118 (Kausalitaumlt)119
Der Vortrag Das Dinglsquo galt Heidegger bei der Darbietung seiner Technikphi-
losophie nach dem Zweiten Weltkrieg allerdings als unentbehrlich ndash und damit
seine groszligflaumlchige Aufblaumltterung der Mythopoetik wie im folgenden Kapitel hier
gezeigt wird Denn im Vortrag Die Frage nach der Techniklsquo benutzt Heideg-
ger noch immer seinen mythopoetischen Topos vom Versammeln des Gebirges
der mit dem Versammeln eine Konstituente des Gevierts ist (bdquoErde und Himmel
die Goumlttlichen und die Sterblichenldquo120) (su)121 Fuumlr die Kaumlufer und Leser von
der spaumlteren Veroumlffentlichung Die Technik und die Kehrelsquo wird zudem in Die
Kehrelsquo extra auf den Vortrag Das Dinglsquo in der 1954er Ausgabe in Vortraumlge und
Aufsaumltzelsquo verwiesen122 Das zeigt wie wichtig und unerlaumlsslich Heidegger seine
mythopoetische Denkweise der Technik ist Auch wenn er in Die Frage nach der
Techniklsquo einen allgemeineren und offeneren Ansatz entwickelt hat der dadurch
auch leichter zu erschlieszligen ist
32 Die mythopoetische Spiegelung der Schwarzen
Hefte in den Bremer Vortraumlgen von 1949
321 Das Dinglsquo
In dem Vortrag Das Dinglsquo der 1949 vor dem privaten Club zu Bremen dort im
Neuen Rathaus das Vortragsquartett einleitete fuumlgt Heidegger mythopoetisch
zusammen was folgenden Topoi seiner Schwarzen Hefte aus Kap 221 entspricht
117 Heidegger Die Technik und die Kehre S 6118 Ebd S 6119 Diese Topoi versucht Heidegger in dem Text zu zersetzen und ihnen ein aletheisches Prin-
zip des Entbergens der Technik entgegenzusetzen Dies erfolgt wiederum auch anhand derVerwendung von mythopoetischen Teilen Darauf kann hier aber nicht weiter eingegangenwerdenAls weitere Gemeinsplaumltze (die er teils unterstuumltzend teils zur Zersetzung einfuumlgt) handelt
der Text auch mit Zitaten von Platon Heisenberg J P Hebel und Goethe120 Ebd S 12121 Vgl GA 79 S 11 Und Heidegger Die Technik und die Kehre S 19122 Vgl Heidegger Die Technik und die Kehre S 42f
30
1 die antirationale Wissenschaftsfeindlichkeit 2 der Mythos des Goumlttlichen 3
das Griechentum uumlber dem Roumlmertum 4 die Zahlenmystik (anhand des Spiegel-
Spiels des Gevierts ndash su) 5 das geschichtsbesinnliche Prinzip der Aletheia
Heidegger stellt zuerst die Frage nach dem Ding und will sie daraufhin ver-
anschaulichen mittels der Metapher des Kruges dh mit dem Krug als ein exem-
plarisches Ding Er fuumlhrt dann vor (was der Geste eines Zauberkuumlnstlers aumlhnelt)
wie der leere Krug gefuumlllt wird ndash Luft weicht der Fluumlssigkeit Dieses Sachverhaumllt-
nis aber ist fuumlr ihn Halbpoesie und eine Angabe aus der Physik sie verfehle das
vermeintliche Wesen des Kruges
Die Wissenschaft stellt durch sie [die Angabe der Physik DS] etwas Wirk-liches vor wonach sie sich objektiv richtet Aber ndash ist dieses Wirkliche derKrug Nein DieWissenschaft trifft immer nur auf das was ihre Art des Vor-stellens im vorhinein als den fuumlr sie moumlglichen Gegenstand zugelassen hat[] Die Wissenschaft macht das Krug-Ding zu etwas Nichtigem insofernsie Dinge nicht als das Maszliggebende zulaumlszligt123
Als ein wirkmaumlchtiges Beispiel das ihm sicherlich viel Beachtung uumlber die
Jahrzehnte seit ihrer Zuumlndung in Japan hinweg einbrachte fuumlhrt Heidegger die
Atombombe an Diese sei zu verstehen als verdinglichte Wissenschaft die das
Ding vernichten wuumlrde
Deren Explosion ist nur die groumlbste aller groben Bestaumltigungen der langherschon geschehenen Vernichtung des Dinges dessen daszlig das Ding als Dingnichtig bleibt124
Er buumlndelt damit Wissenschaft und Verkennung des Wesens als maszliggebend mit
dem Ding als sein machenschaftliches Prinzip der zerrechnenden Zerstoumlrung Drei
Jahre nach Kriegsende war der buumlrgerlich-elitaumlre Kreis in Bremen sicherlich be-
wegt von dieser Wortgewalt Diese jedoch suchte ja ihr Heim Harmonie Ruhe
in dem Haus als Wesen der Sprache
Und so faumlhrt Heidegger fort und ersetzt das physikalische Prinzip des Inhalts-
wechsels von Luft zu Wein in ein bdquoGeschenk des Gussesldquo als Spende und Opfer
den Goumlttern (2)125
123 GA 79 S 8124 Ebd S 9125 Vgl Ebd S 11f
31
Der Guszlig ist der den unsterblichen Goumlttern gespendete Trank [] Der ge-weihte Trank ist das was das Wort Guszliglsquo eigentlich nennt Spende und Op-fer Guszliglsquo gieszligenlsquo lautet griechisch χέειν indogermanisch ghu Das bedeu-tet opfern
Hier spielt bereits der Ursprungsmythos der Griechenmit ein (3) es ist aber auch
ein Bezug auf das Geviert Dieses waumlre ein System ein zusammen Gestelltes aus
bdquoErde und Himmel die Goumlttlichen und die Sterblichenldquo126 Im Guszlig des Trunkes
weilten gemeinsam diese Vier als emblematische Verbindung
Das im Geschenk Versammelte sammelt sich selbst darin das Geviert ereig-net zu verweilen Dieses vielfaumlltig einfache Versammeln ist das Wesen desKruges Unsere Sprache nennt was Versammlung ist in einem alten WortDies lautet thing127
Das Geviert zehrt von der Zahlenmystik zum einen als die Versammlung der
vier Begriffe an sich zum anderen da Heidegger ihnen eine Spiegel-Funktion
zuschreibt bdquoJedes der Vier spiegelt in seiner Weise das Wesen der uumlbrigen wie-
derldquo128 und ferner weil er damit auf sich selbst dh auf sein Vortrags-Geviert
verweist (4) Wie in Kap 21 schon gesagt lebt der Mythos von seiner Verbind-
lichkeit Diese legt Heidegger allen nah die sie verinnerlichen wollen bdquoSagen wir
die Sterblichen dann denken wir falls wir denken die anderen Drei mit aus der
Einfalt der Vierldquo129
Sollte der Vollzug der Praxis des sukzessiven Mitdenkens aller vier Geviert-
Entitaumlten gelingen koumlnnte das Ereignis der Aletheia begriffen werden (5) bdquoDas
Spiegel-Spiel von Welt ist der Reigen des Ereignensldquo130 Diese wird aber auch be-
griffen in Abgrenzung von dem Roumlmertum (3) denn in der bdquorealitas der resldquo
haumltten die Roumlmer bdquoihr Erfahrenes niemals eigens in seinem Wesen gedachtldquo131
Das waumlre den Griechen vorzubehalten und vom verstaumlndig denkenden Deutschen
wiederzubeleben
126 Ebd S 12127 Ebd S 13128 Ebd S 18129 Ebd130 Ebd S 19131 Ebd S 15
32
Der Krug ist ein Ding weder im Sinne der roumlmisch gemeinten res noch imSinne des mittelalterlich vorgestellten ens noch gar im Sinne des neuzeitlichvorgestellten Gegenstandes [] Der Krug ist Ding insofern er dingt132
Die Bindung an das deutsche Wort bdquoDingldquo das er spielerisch auch ins Englische
Romanische und Franzoumlsische uumlbersetzt ist unerlaumlsslich fuumlr seine ethymologi-
sche Argumentation In der ist der bdquoGuszligldquo ruumlckgefuumlhrt auf indogermanisch bdquoghuldquo
und das bdquoDingldquo auf das mittelhochdeutsche bdquothingldquo So konnten antik die Roumlmer
von den Griechen abgrenzt werden und modern die anderen drei Sprachen vom
Deutschen Das englische sich sehr nah am bdquothingldquo befindliche bdquothingldquo wird mit
dem Roumlmischen ausgespielt
Im Englischen hat thing noch die erfuumlllte Nennkraft des roumlmischen Wor-tes res bewahrt [] dh ein aus sich kommendes den Menschen Angehen-des133
Fuumlr Heidegger geht es beim bdquothingldquo aber um die mittelhochdeutsche Uumlbersetzung
der Versammlung Darauf beruht sein gesamter Systemansatz mit Geviert und
Ge-stell
Schulz-Nieswandt fuumlhrt diese Zusammenstellung zum Bejubeln von Heideg-
gers Mythopoetik
So fundamental sieht Heidegger die Welt Die Quelle des Wassers wird zurHochzeit von Himmel und Erde das Gieszligen des Wassers aus dem Krugzum Geschenk Auch Sprache ist daher kein Instrument sondern Ort desWohnens des Menschen Sprache wird zum Haus des Seinslsquo134
Hier bestaumltigt die Untersuchung des Ding-Vortrags die These von einer mytho-
poetischen Einschreibung der nationalistischen voumllkischen Abgrenzungs-Mythologie
aus den Schwarzen Heften
322 Das Ge-Stelllsquo
Der zweite Vortrag des Reden-Gevierts setzt ein mit der Metapher des fehlen-
den Abstands Wo kein Abstand sei da waumlre auch keine Naumlhe so Heidegger Er
132 Ebd S 16133 Ebd S 14134 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei Walter
F Otto S 59
33
verbindet die Abstandslosigkeit mit Urbanitaumlt und Verkehr alles fluktuiere Es
waumlre der Bestand der sich bestelle in dem das Abstandlose herrsche Das sind
neue Metaphern fuumlr die Machenschaft In seiner Erzaumlhlung vom Ge-Stell gibt es
bedeutend weniger mythopoetische Passagen als in dem vorangegangenen Vor-
trag Allerdings uumlbertraumlgt er den mythopoetischen Gehalt der Rede vom Ding
bereits im ersten Absatz von Das Ge-Stelllsquo mit dem Credo bdquoNaumlhe west insofern
das Ding dingtldquo135 Mit dieser Verbindung wird klar unter welchem Zeichen Hei-
degger die Rede vom Ge-Stell verstanden wissen will ndash als verlorenes Verhaumlltnis
des voumllkisch-traditionell verwurzelten Menschen mit den vermeintlichen Wesen
all seiner Gebrauchsobjekte in der mythopoetischen Formel des sich spiegelnden
Gevierts
Nahezu nuumlchtern erzaumlhlt Heidegger dann von dem Gefaumlngnis des Menschen
im Wesen der zirkulierenden sich immer neu bestellenden Bestandstechnik des
Ge-Stells Dabei scheinen folgende Mythen aus den Schwarzen Heften hindurch ndash
1 bdquoHistorie die Technik der Geschichtelsquo Technik die Historie der Naturlsquoldquo136
2 das historische Tier 3 der Appell an den Auftrag des Deutschen 4 der geschicht-
liche Mensch muss die Historie und damit die Technik uumlberwinden und 5 die
alles zernichtende Machenschaft des juumldischen Wesens
Den Topos der seinsvergessenen Groszligstadt jedenfalls kontrastiert er mit der
Bauerndorfidylle Da aber bdquodas Abstandlose herrschtldquo137 waumlre das Vorruumlcken der
Maschinentechnik bereits universell So in Form des Traktors Schon in Band
96 der Schwarzen Hefte beklagt er dieses bdquozum elektrischen Pflug [] gehoumlrt
das amerikanisch aufgemachte Magazinlsquoldquo Insofern erfolge die bdquoAngleichung der
Sitten der Bergbewohner an diejenigen des groszligstaumldtischen Sport- und Barbe-
triebsldquo138
Sein erster Land-Stadtvergleich betrifft den Bauern dessen Totenruhe tradi-
tionell in einem sg bdquoTotenbaumldquo (Sarg) stattgefunden haumltte ndash bdquoIn ihm gedeiht
der Tod des Totenldquo139 Dem gegenuumlber klingt in der bdquomotorisierten Bestattungs-
135 GA 79 S 24136 GA 95 S 351137 GA 79 S 24138 GA 96 S 54139 GA 79 S 26
34
industrie der Groszligstadtldquo140 bereits Heideggers pietaumltsloser Gaskammernvergleich
an
Ackerbau ist jetzt motorisierte Ernaumlhrungsindustrie im Wesen das Selbewie die Fabrikation von Leichen in Gaskammern und Vernichtungslagerndas Selbe wie die Blockade und Aushungerung von Laumlndern das Selbe wiedie Fabrikation von Wasserstoffbomben141
Hier wird davon ausgegangen dass es eine Uumlbertragung der Notizen uumlber
das deutsche Land als bdquoeinziges KZldquo ist die Unterdruumlckung des deutschen Vol-
kes durch die bdquoWeltdemokratieldquo die schlimmer sei als die Graumlueltaten der bdquoGas-
kammernlsquoldquo142 In die mythopoetische Formel von dem dingenden Ding aus dem
ersten Vortrag sind alle Valenzen eingeschrieben die es zur Aufgabe des abendlaumln-
dischen Deutschen (also als Nachfolger der alten Griechen) machen das Wesen
des Dings und somit der Technik zu huumlten Die Verantwortung fuumlr Genozid
Massenvernichtungswaffen und den Mangel im Nachkriegsdeutschland schreibt
Heidegger gleichfoumlrmig dem Prinzip der Abstandslosigkeit zu
Auch die Rede von der Habgier des Berechnenden ist ein bereits bekannter
Vorbehalt Heideggers anhand der Rede vom raffgierigen Juden Denn er sagt von
der bdquoHerrschaft des Abstandlosenldquo dass sie bdquodie Hab-gier des vorstellenden Be-
rechnensldquo waumlre143 Das entspricht seinem Mythos von der alles zernichtenden
Machenschaft des juumldischen Wesens144
Dann folgt eine lange Elegie uumlber das Bestellen des Bestands des Ge-Stells
bdquo[d]ie Kette des Bestellens laumluft auf nichts hinaus sie geht vielmehr nur in ihren
Kreisgang hineinldquo145 uumlber 19 Seiten des 21 seitigen Vortragsexts hinweg entwirft
Heidegger diverse Bilder wie das Ge-Stell die Natur das Hergestellte den Men-
schen und das Verstandesmaumlszligige vereinnahme und das Wesen desDings gleichsam
zur Veruntreuung bringen wuumlrde Wiederum poetisch orientiert kontrastiert also
140 Ebd141 Ebd S 27142 GA 97 S 99f143 Vgl GA 79 S 25144 Vgl Machenschaft hier S 29 und Geraff hier S 33145 GA 79 S 29
35
Heidegger Houmllderlins Hymne Der Rheinlsquo mit dem Rhein dessen Stroumlmung fuumlr
ein Stromkraftwerk genutzt wird
Achten wir um das Ungeheure das hier waltet zu ermessen nur auf einenAugenblick auf den Gegensatz der sich in den beiden Titeln ausspricht DerRhein verbaut in das Kraftwerk ndash der Rheinlsquo gesagt in der gleichnamigenHymne Houmllderlins146
Die Differenz also waumlre das Ungeheure147 Dabei waumlre der Rhein verbaut in das
Kraftwerk Aumlhnlich wie Kohle Erze und Rohoumll waumlren sie Bestand der bdquobesteht
im Bestellenldquo ndash bdquoDas Bestellen waumlre demnach lediglich eine Machenschaft des
Menschen vollzogen in der Weise der Ausbeutungldquo148
Das Bild des Wasserkraftwerks wird erweitert um den Begriff des Menschen
Elektrizitaumlt mit Wasserkraft erzeugen bdquokoumlnnen die Menschen [] nur insofern
sie selber schon in dieses Bestellen bestellt sindldquo149 Mit diesem Bild versucht Hei-
degger praktisch zu veranschaulichen dass Entwurf Umsetzung und Einsatz ei-
ner technischen Anlage den Menschen in ein entruumlcktes Verhaumlltnis zum Wesen
des dingenden Dings setze ndash bdquoDer Mensch ist darum der Angestellte des Bestel-
146 Ebd147 Das ist zusaumltzlich zu dem gemeinten Gegensatz ein Vergleich mit dem Heidegger dem Wort
bdquoRheinldquo in die Hymne Der Rheinlsquo gesprochen eine Energie erzeugende Wirkung zu-schreibt eben so wie das Kraftwerk Strom erzeugen wuumlrde Das wird klar dadurch dassHeidegger metaphorisch vom Stellen des Wortes bdquoRheinldquo in die Hymne spricht Es handeltsich um einen Appell zur denkerischen Besinnung Dass Heidegger dafuumlr eine technischeAnlage zur Veranschaulichung inspirierend wirken laumlsst spielt bereits in die Richtung derBegriffe bdquoHer-vor-bringenldquo bdquoEntbergenldquo und spielt auf das Alteheia-Prinzip an Darauf wirdweiter unten anhand Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo eingegangen werden Es handelt sich umdas Angebot eines mythopoetischen Umgangs mit Technik insbesondere wenn sie sich inheimische Gefilde einfuumlgtHeute koumlnnte man mit Windraumldern ebenso verfahren Somit koumlnnte aber auch Heidegger
als ein gewisser Quijana aus Mancha verstanden werden eben der Protagonist aus Miguel deCervantes Roman Don Quichote von der Manchalsquo der mit seinem von ihm flux auch um-benannten Klepper (weil er zuvor sich selbst in Don Quichote umtaufte) Rocinante Riesenbezwingen will um mit dieser Heldentat unsterblichen ritterlichen Ruhm zu erstreitenAuch Don Quichote fand seine Riesen in Windmuumlhlen und auch Don Quichote war uumlber
eine uumlbertriebene Auseinandersetzung mit einer verschuumltteten Kultur dieser verfallen undsuchte diese in seiner Aventuumlre zu reaktualisieren Martin Heideggers mythopoetisches Pro-gramm ist tatsaumlchlich stark mit Don Quichotes Motiv vergleichbarFerner waumlre eine Auseinandersetzung mit Heideggers Werk unter Beruumlcksichtigung sei-
ner Gewichtung der Vorsokratiker und Houmllderlin als mythopoetischen Autor eine moumlglicheForschung zum Thema Anachronismen in Konzepten von Moral und gesellschaftlicher An-gemessenheit (Vgl Cervantes Miguel de Don Quichote von der Mancha Herausgeben unduumlbersetzt v Susanne Lange Muumlnchen 2008 S 33f)
148 GA 79 S 29149 GA 79 S 30
36
lensldquo150 Schon vorher wies Heidegger darauf hin bdquo[d]ie Herrschaft des Gegen-
staumlndigen sichert nicht den Abstandldquo151 Jetzt heiszligt es
Das Bestellen befaumlllt nicht nur die Stoffe und Kraumlfte der Natur mit Gestel-lung Das Bestellen befaumlllt zugleich das Geschick des Menschen Das Wesendes Menschen wird daraufhin gestellt das Bestellen in menschlicher Weisemitzuvollziehen152
Der Begriff des Ge-Stells wird daraufhin so konstruiert dass es im Bestellen
um ein Stellen (Herausfordern) alles bdquoAnwesenden als Bestandldquo als bdquoversus unumldquo
gegen bdquodas Eine Ganzeldquo gehe153 In wiederum mythopoetischer Formulierung ge-
baumlre die bdquoVersammlung des Stellens worin alles Bestellbare in seinem Bestand
west das Ge-Stellldquo154 Der Begriff bdquoVersammlungldquo wird einen Absatz zuvor my-
thopoetisch wieder an die Versammlung also das thing eben das wesenhafteDing
angelehnt und somit wie zu Das Dinglsquo bereits oben erlaumlutert in einen deutsch-
abendlaumlndischen Kontext gestellt (3)
Wir nennen die Versammlung der Berge die von sich her einig und nienachtraumlglich schon gesammelt ist das Gebirge Wir nennen die Versamm-lung der Weisen nach denen uns so zumute ist und sein kann das Gemuumlt155
Allerdings ist obiges Versammlungsmodell hier als Kontrast zu sehen zu dem
bdquoGeraff des Getriebesldquo das das Ge-Stell darstellt als bdquoWesen der Technikldquo156 Hei-
degger sieht in der Gleichfoumlrmigkeit die zum Wesen des Technik als Ge-Stell
150 GA 79 S 30151 GA 79 S 25152 GA 79 S 31153 Vgl GA 79 S 32154 GA 79 S 32155 Ebd
Das Wort ldquoGemuumltrdquo hat ferner eine ausschlieszliglich deutsche Praumlgung gibt es doch keinedirekte Uumlbersetzungen Gemuumlth ist ferner ein nicht eindeutig umrissener Begriff (Vgl Kra-mer Cheryce A Foolrsquos Paradise The Psychiatry ofGemuumlth in a Biedermeier Asylum Chica-go 1998 S 19) Die Bedeutung im Deutschen selbst ist zudem sehr variabel hat aber zumeistmit Seelen- oder Geistkonzepten zu tun ndash Cheryce von Xylander (geb Kramer) uumlbersetztGemuumlth mit bdquosoul-organldquo (ebd S 43) das von diversen Autoren unterschiedlich konstru-riert wird (zB von Kant geistigkoumlrperlich und von Kleist individuellkollektiv (vgl ebdS 41)) In Heideggers emblematischem Duktus scheint eine Vermischung von allen vier Di-mensionen geistigkoumlrperlich wie auch individuellkollektiv stattzufinden Es ist auf jedenFall dem Mythos geschuldet den Auftrag des Deutschen anzunehmen (3)
156 GA 79 S 33
37
gehoumlre die planetarische Abloumlsung und Aufhebung des traditionellen und damit
wesenhaft ans Ding gebundenen Verhaumlltnisses vom Menschen zur Erde (das von
ihm idealisierte voumllkische Bauerntum das Bestellen des Ackers) bdquoDie Bestand-
Stuumlcke sind Stuumlck fuumlr Stuumlck die Gleichenldquo157 So kontrastiert er alte Handwerks-
techniken mit Maschinentechnik und schreibt der Maschinentechnik die machen-
schaftliche Verdraumlngung als Geraff zu
Das Ge-Stell hat auch wenn das nicht unmittelbar und nicht sogleich ver-nehmlich wird im vorhinein schon alle diejenigen Stellen beseitigt an denenvormals Spinnrad und Wassermuumlhle standen Das Ge-Stell bestellt durch sei-ne Maschinerie zum voraus eine andere Art und Ordnung von Stellen Andiesen kommt nur zu Stand was als Bestellbares auf der Stelle gleichfoumlrmigzur Stelle steht
Darum ist auch die Art wie die Maschine selbst etwas herstellt einewesentlich andere als das handwerkliche Tun gesetzt daszlig es innerhalb desGe-Stells uumlberhaupt noch so etwas wie ein Herstellen gibt
Die Traktoren und Kraftwagen werden herausgebracht ausgeworfen se-rienweise Stuumlck fuumlr Stuumlck Wo drauszligen steht dieses so Herausgestellte Wo-hin in welchen Stand ist es gebracht158
In dieser Klage uumlber den technischen Wandel der durch den Fortschritt in
alle Lebensbereiche Einzug haumllt versucht Heidegger zu veranschaulichen wel-
chen Verlust es zu erkennen gelte Ein Versuch diesem entgegen zu treten ist die
von ihm vorgetragene Mythopoetik die er in diesem Vortragsteil seines Vortrags-
Gevierts allerdings auffaumlllig zuruumlckgestellt sein laumlszligt War der Einleitungsteil Das
Dinglsquo schlieszliglich eine nahezu einzige mythopoetische Darbietung Dramatur-
gisch wird Heidegger in Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo die mythopoetischen For-
mulierung als Loumlsungswege wieder Bedeutung geben In Das Ge-Stelllsquo versucht
Heidegger hingegen Vorstellungen aus seinen Schwarzen Heften aumlhnlich der fol-
genden mitzuteilen die das Uniforme Gleichfoumlrmige betreffen
Die Macht der Machenschaft ndash die Vernichtung sogar der Gottlosigkeit dieVermenschung des Menschen in das Tier die Vernutzung der Erde die Ver-rechnung der Welt ndash ist in den Zustand der Endguumlltigkeit uumlbergegangenUnterschiede der Voumllker Staaten Kulturen sind nur noch Fassade159
157 GA 79 S 36158 GA 79 S 35159 GA 96 S 52f
38
Was Heidegger unter dieser Gleichfoumlrmigkeit versteht schreibt er in den Schwar-
zen Heften zumeist den Amerikanern zu Er nennt es auch haumlufig Planetarismus
Der Amerikanismus [ist DS] die Zusammenraffung von Allem welcheZusammenraffung immer zugleich die Entwurzelung des Gerafften bedeu-tet160
Der Planetarismus ist die historisch gedachte Bestimmung der uumlberall glei-chen die ganze Erde uumlberdeckenden Seinsverlassenheit des Seienden161
Die Gegenuumlberstellung von natuumlrlicher und traditioneller Handwerkstechnik
gegen maschinenhafte Gleichfoumlrmigkeit exemplifiziert Heidegger dann im Vor-
trag Das Ge-Stelllsquo vielfach wie zum Beispiel hier
Der Forstwart zB der im Wald das geschlagene Holz vermiszligt und demAnschein nach noch wie sein Groszligvater in der gleichen Weise die selbenWege geht ist heute von der Holzverwertungsindustrie gestellt Er ist ober es weiszlig oder nicht in seiner Weise Bestand-Stuumlck des Zellulosebestandesund dessen Bestellbarkeit fuumlr das Papier das den Zeitungen und illustrier-ten Magazinen zugestellt wird die uumlber die Oumlffentlichkeit daraufhin stellenverschlungen werden162
160 GA 96 S 257161 GA 96 S 261162 GA 79 S 37f
Die renommierte Theaterautorin Elfriede Jelinek karikiert in ihrem Stuumlck Totenaubergvon 1991 Heideggers Konstrukt von Heimat und Fortschrittsfeindlichkeit verbunden miteiner Auseinandersetzung mit dessen Liebschaft zu Hannah Arend Mit philologischer Prauml-zision polemisiert sie Teile aus Heideggers Elegie uumlber die Technik und laumlszligt ihn dabei alsbeschraumlnktes und eingezwaumlngtes Wesen in einem Gestell gefangen sein Aus diesem heraussoll er Arend Rede und Antwort stehen uumlber sein Verhaumlltnis zum Nationalsozialismus unddie Shoa Doch dieser redet nur naturtrunken von Heimat und berauscht sich daran Derprophetische Denker wird banalisert ndash diese Worte legt Jelinek ihm (im Stuumlck der alte Mann)in den MundbdquoDie Angst vor dem Fragen liegt uumlber dem Abendland Sie bannt die Kandidaten auf ein
Team-Leibchen verbannt sie auf altgewordene Wege und jagt sie zuruumlck ins morsch geworde-ne Gehaumluse ihrer Tore wo es um ihre Ausscheidungen geht Es wird ihnen alles weggenom-men werden auch der Weg selbst Keine Spur kein Lichtschein aus den Ritzen Aber ruf ichin die Huumltte um nach einem zu fragen den ich gekannt hab sehe ich grad noch eine Tuumlrsich schlieszligen Der Wald kommt nicht zur rechten Geltung alles ist entflohen was mir liebwar und woran ich geglaubt hab Was kommt ist noch nicht da Nichts war Ich habe nichtsgehoumlrt Ich erinnere mich nicht aber ich stelle dem Kommenden das mich den lupenreinenAmateur schon vor Beginn des Rennens erlahmen laumlszligt vorsorglich die Hausschuhe vor dieTuumlr Sie sind das Einzige was die Profis des Profits von mir dann vorfinden werden wennsie anklopfen Die Haumlrte des Urgesteins sollte sie nicht entmutigen Die Jahreszeiten machendie Landschaft auf und zu Ich sage nur In dieser scheinbaren Leere will ich vom Denkenmuumld nur schlafen Von der Huumltte aus lassen sich Wanderungen unternehmen Aber auchsonst wird Ihnen alles wie ich sagte genommen werden Auch Ihre Fotos und Namen Unddas Gewesene wird wesenlosldquo ( Jelinek Elfriede Totenauberg Hamburg 1991 S 86f)
39
Die Oumlffentlichkeit ist fuumlr Heidegger ein Topos der dem Denken und Besinnen
entgegenstuumlnde Somit meint er damit zum Einen die Medien wie er es anhand
der Rede von den Bestandstuumlcken in Das Ge-Stelllsquo erklaumlrt wo der Mensch als
Urheber des Ge-Stells als Wesen der Technik nicht gelten soll Vielmehr wuumlrde er
in Ratlosigkeit und Langeweile verfallen weil er in der Bestellung des Bestandes in
Form von Bestandstuumlcken vom Rundfunk keine Besinnung mehr faumlnde dh das
Ganze also wiederum daswesentliche Ding nicht mehr zu fassen vermoumlge163 Und
so toumlnt es bereits aus den Schwarzen Heften von 19391940()
Die Bildlsquo und Tonlsquo ndash Reportagenlsquo der Machenschaft ist der planetari-sche Mythuslsquo des Vollendungsabschnittes der Neuzeit Die Welt des abge-legensten deutschen Bauernhofes wird nicht mehr durch [] die Naturlsquobestimmt in der noch die Erde waltet sondern durch das illustrierte Blattmit der Darstellung von ausgezogenen Tanzweibern von Boxern und Renn-fahrern und sonstigen Heldenlsquo des Tages164
Und ferner notierte Heidegger 1946 in seinen Schwarzen Heften
Uumlberall zerrt es aus dem Oumlffentlichen ins Oumlffentliche mit vielen Strickenund jeder sieht das kaum versuchte Denken des Seyns am Leitband seinesStrickes165
Dabei waumlre eben ein bdquoLiterat [] ein in die Oumlffentlichkeit verliebter Mensch der
Angst vor dem Denker hatldquo166 Dieses liefe dann darauf hinaus dass beim Rund-
funk bdquoein Bestellen und Stellen waltet das in dasWesen des Menschen eingegriffen
hatldquo167
Abermals nach dem Wesen der Technik also nach dem Ge-Stell gefragt geht
Heidegger auf seine Unterscheidung vonNatur undNaturwissenschaft ein bdquo[w]elches
ist das Verhaumlltnis zwischen der Technik und der Naturldquo168 Natur wuumlrde in wis-
senschaftlicher Hinsicht unter das Berechnete fallen sie wuumlrde bdquoals das in Maszlig
und Zahl gestellte Wirkliche vorgestellt das in seinem Gewirkten staumlndig an-
westldquo169 Wenn Heidegger dann Natur aus technischer Sicht bdquoals ein System des
163 Vgl GA 79 S 38f164 GA 96 S 54165 GA 97 S 100166 GA 97 S 126167 GA 79 S 39168 GA 79 S 41169 Ebd
40
Bestellens von Erfolgen aus dem gestellten Wirksamenldquo170 charakterisiert spricht
er von seiner Rede der Verschraumlnkung von Historie und Technik ndash bdquoTechnik die
Historie der Naturldquolsquo171 Dieses ist bekanntlich das seinsvernichtende Gegenstuumlck
zur geschichtlichen Besinnung Denn geschichtliches Walten der Technik ist fuumlr
Heidegger technische Geschichte dh verwissenschaftlichte Geschichte die da-
durch ihr Wesen verloren haumltte (Seynsvergessenheit)172 So heiszligt es in den Schwar-
zen Heften von 1947
Ein Zeitalter das historisch geworden ist dh technisch planend sich selberberechnet und alles in diesen Sog zieht muszlig jede Besinnung nur als eine dervielen Formen der Intellektualitaumlt registrieren173
Heidegger schlieszligt den Vortrag mit dem Aufgriff der Anfangsbehauptung
bdquo[d]er Bestand bestellt das Abstandsloseldquo174 Somit liegt das Problem der ausblei-
benden Naumlhe durch die Technik deren Wesen das Ge-Stell waumlre das den Bestand
bestelle in der Luft Dass dabei der Mensch sogleich Teil des Bestandes und nicht
Teil der Maschine wird laumlsst ihn das historische Tier sein (2)
Der Mensch ist auswechselbar innerhalb des Bestellens von Bestand []Gleichwohl gehoumlrt der Mensch in einer voumlllig anderen Weise in das Ge-Stellals die Maschine DieseWeise kann unmenschlich werden DasUnmenschlicheist jedoch immer noch unmenschlich Der Mensch wird nie zur MaschineDas Unmenschliche und noch Menschentuumlmliche ist freilich unheimlicherweil boumlsartige und verhaumlngnisvoller denn der Mensch der nur Maschine wauml-re175
Wen Heidegger hier ersinnt ist der neuzeitliche Mensch der den bdquoGoumlttern uner-
traumlglich gewordenldquo176 waumlre
170 Ebd171 GA 95 S 351172 In Heidegger Die Technik und die Kehre S 21 stellt er Geschichte und Historie einander
gegenuumlber was er in Das Ge-Stelllsquo nicht vollzieht bdquoDie moderne Technik kam doch erst inden Gang als sie sich auf die exakte Naturwissenschaft stuumltzen konnte Historisch gerechnetbleibt dies richtig Geschichtlich gedacht trifft es nicht das Wahreldquo Signifikant fuumlr Heideg-gers Attributierung so wie sie oben schon geschildert ist steht Historie fuumlrs Rechnen undGeschichte fuumlr das Denken
173 GA 97 S 508174 GA 79 S 44175 GA 79 S 37176 GA 94 S 236
41
323 Die Gefahrlsquo
Aus Heideggers Darlegung uumlber das Ge-Stell erschlieszligen sich seine diversen Fa-
cetten der Vorstellung einer Abstandslosigkeit schaffenden Technik Dass die Ab-
standslosigkeit dem Prinzip des Gevierts des Zusammengestellten entgegensteht
bekommt im Vortrag Die Gefahrlsquo Nachdruck Die mythopoetische Erzaumlhlung
knuumlpft an den Vortrag Das Dinglsquo an mit den Mythologemene 1 Der Mythos
des geschichtlich sein muumlssens 2 der Mythos des Goumlttlichen 3 das geschichtsbe-
sinnliche Prinzip der Aletheia Zudem wird im Prozess des Vortrags das Ge-Stell
zur Gefahr stilisiert was einen eigenen Mythos erschafft
Durch das bdquouniversale Bestellen des Ge-Stellsldquo177 werde die naumlhernde Naumlhe des
Dings verwehrt Wie im Vortrag Das Dinglsquo fuumlhrt Heidegger das Wesentliche sei-
ner Theorie auf die deutsche und altgriechische Sprache zuruumlck Die so vollzoge-
ne Annaumlherung von Schwarzwaumllderischem Dialekt und Altgriechisch entspricht
Heideggers Traum von dem bdquogeschichtliche[n] Geburtsort des abendlaumlndischen
Wesensldquo178 den seine Heimat von Todtnauberg bis Freiburg stiften sollte (1)
es ist das Geistvolle und zugleich das erdenhafte schoumlne Land Es birgt un-sichtbaren Reichtum dem Gemuumlt bewahret tiefstes Dichten und houmlchsteGestalt der Sage179
Unter diesem Vorzeichen also sagt Heidegger
Das Ge-Stellwesen laumlszligt das Ding ohne die Wahr Das Wort die Wahrlsquo be-deutet in unserer Sprache dort wo sie noch urspruumlnglich spricht die HutIn unserer schwaumlbischen Mundart meint das Wort die Wahrlsquo die der muumlt-terlichen Hut anvertrauten Kinder Das Ge-Stell laumlszligt in seinem Stellen dasDing ohne die Hut ndash ohne die Wahr seines Dingwesens180
Diese in Bremen vorgetragene Heimatkunde ist auch Heideggers Sorge ge-
schuldet durch die Besatzermaumlchte und deren kulturellen Einfluss auch durch
die nun moumlgliche Oumlffnung Deutschlands zu einem Austausch mit der Welt das
eigene Wesen zu verlieren So schreibt er 1945-1947() in seine Schwarzen Hefte
177 GA 79 S 46178 GA 97 S 54179 Ebd180 GA 79 S 46
42
Das Schwerste und Fragwuumlrdigste unseres Geschickes ndash beruht darin ob wirdas Eigene finden und huumlten [] unter den anderen Voumllkernlsquo [] Scheinund Vorwand der Macht daszlig man unsere eigene Aufgabe bringen will []als Entmachtete aufgenommen zu sein in den Weltmachenschaftsbetrieb181
Es gaumlbe nach Heidegger also das Welten von Welt und die Verweigerung von
Welt aus derVerwahrlosung des Dings durch das Ge-Stell bzw die Technik182 Welt
ist nach dem Konzept des schwaumlbischen Denkers nichts weniger als das Geviert
Bei der folgenden mythopoetischen Zusammenstellung von dem Geviert mit alt-
griechischen Vokabeln um den Seins-Begriff wird das Aletheia-Prinzip eingefuumlhrt
Somit fuumlhrt uumlber den Mythos des Goumlttlichen (2) der Weg zur Wahrheit eben als
geschichtsbesinnlich erfahrene Aletheia (3)
Welt ist das Geviert von Erde und Himmel Goumlttlichen und SterblichenDas Spiegel-Spiel der Vierung wahrt alles was in ihm dingend zwischenden Vier anwest und abwest in das einende Ganze seines Anwesens Vonaltersher heiszligt das Anwesen des Anwesenden τὸ ὲόν das Seiend [sic] τὸεἶναι das Sein naumlmlich der ὲόντα des Seinenden das esse entium183
Diese Welt waumlre nun bdquoWahrnis des Wesens von Sein Statt Wahrnis sagen wir auch
Wahrheitldquo184 Die Welt mythopoetisch als Spiegel-Spiel des Gevierts und durch
eine altgriechische Brille betrachtet waumlre die wahre Welt Somit wird die Wahr-
heitsschau gebunden einen antiken Goumltterglauben und abendlaumlndische Sprachkas-
kaden vom Dialekt zum Altgriechisch
Das Problem mit der wahren Welt waumlre allerdings dass sie sich in die Ver-
borgenheit entziehe Naumlher betrachtet ist aber die Verborgenheit Bedingung des
Entbergens was Heidegger notwendig macht zu einem wuumlrdigen Lebensvollzug
in Harmonie mit dem Sein Durch solche Wesensschau waumlre der Mensch befaumlhigt
jederzeit die verstellenden Maumlchte des Ge-Stells (der Technik) zu uumlberwinden und
teilhaftig am Wesen der Welt zu werden
181 GA 97 S 99182 Vgl GA 79 S 47183 GA 79 S 48 (Die griechischen Vokabeln werden hier keiner Uumlbersetzung unterzogen Da
Heidegger ohnehin keine philologische Schaumlrfe anwenden will ist es fuumlr die Zwecke hierausreichend sie mit seiner Uumlbersetzung zu betrachten Heidegger spricht von bdquoAchten aufdas Griechischeldquo was schwieriger waumlre als klassische Philologie (vgl GA 79 S 63)
184 Ebd
43
Welt bleibt in der Verborgenheit (Αήθη) auf die Weise daszlig diese ihre Ver-borgenheit gerade eine Unverborgenheit gewaumlhrt die Αλήθεια185
Die Αλήθεια haumltte allerdings auch eine Rolle uumlber die subjektive hinaus da nur
durch ihren Vollzug Seinsgeschichte gewaumlhrt wuumlrde Das ist der Anspruch den
Heidegger an sein Auditorium stellt gemeinsam geschichtlich sein zu muumlssen (1)
Die Αλήθεια ist das Geschick des Seins als welches Geschick sich die Fuumllleder Seinsgeschichte in ihre Epochen fuumlgt186
Mit dem Ge-Stell als Wesen der modernen Technik waumlre die Aletheia aller-
dings hochgradig gefaumlhrdet Denn ohnehin waumlre die Aletheia prinzipiell der Ge-
fahr der Vergessenheit ausgesetzt Doch das Ge-Stell haumltte die Kraft die bdquovollende-
te Vergessenheit der Wahrheit des Seinsldquo187 zu vollrichten
Indem das Ge-Stell alles Anwesende in den Bestand bestellt setzt das Ge-Stell das Anwesen des Anwesenden heraus aus seiner Wesensherkunft ausder Αλήθεια188
Diese Versetzung des beteiligten Wesens aus der Moumlglichkeit des Wahrheitsprin-
zips heraus markiert Heidegger dann mit der Schreibweise Seyn (mit bdquoyldquo) Wie
bei dem Vortrag Das Dinglsquo koumlnnen ethymologische Abstammungen sein Sys-
tem anreichern Da wo es um das Wortfeld des Stellens geht Ge-Stell Bestellen
Verstellen ist auch das NachstellenMitglied der Familie
Im Althochdeutschen heiszligt nachstellen fara Das in sich gesammelte Stellenals Nachstellen ist die Gefahr Der Grundzug des Wesens der Gefahr ist dasNachstellen Insofern das Sein als das Ge-Stell sich selbst mit der Vergessen-heit seines Wesens nachstellt ist das Seyn als Seyn die Gefahr seines eigenenWesens189
Damit wuumlrde sich durch die Verringerung der Selbstreflexion im Seyns-Bestand
eine Schwachstelle auftun in die der denkbegabte und aletheiafaumlhige Mensch ei-
ne Moumlglichkeit haben das Seyn zum Sein zuruumlckzuwandeln ndash also wieder in ein
185 GA 79 S 49186 Ebd187 GA 79 S 53188 GA 79 S 52189 GA 79 S 53
44
wesentliches Verhaumlltnis zum bdquoDingldquo zu gelangen in dem das Geviert wieder die
Harmonie herstellt Allerdings faumlnde bis zu solch einer Nachstellung eine Ver-
sieglung des Seynsbestandes statt Und Heidegger beklagt dass die Erreichung der
Ruumlckeroberung des Seins uumlber die Nachstellung nicht stattfaumlnde und stattdessen
die Irre regieren wuumlrde190
In dieser Irre stuumlnde dem Menschen nicht einmal mehr zu zu sterben Denn
bdquoSterben [] heiszligt den Tod in sein Wesen austragenldquo191 Somit waumlren die Opfer
die in den KZs umkamen wie er sie in Das Dinglsquo bereits schildert nicht vermouml-
gend gewesen zu sterben bdquoSie werden Bestandstuumlcke eines Bestandes der Fabrika-
tion von Leichen [] Sie werden in Vernichtungslagern unauffaumlllig liquidiertldquo192
Das vermoumlge die Gefahr zu bewirken Der Mensch wuumlrde des eigenen Sterbens
beraubt da er keine Verbindung mehr zur Wahrheit der Welt haumltte Um den rich-
tigen Tod zu sterben muumlsse der Mensch die Aletheia schauen koumlnnen Insofern ist
Heideggers Prinzip ein religioumls anmutendes Wie in der christlichen Vorstellung
der Mensch im Jenseits an seinen Taten gemessen wird um Paradies oder Fege-
feuer zu besuchen soll nach Heidegger der Mensch waumlhrend des Sterbens mit
sich selbst ins Gericht gehen Er soll sich rein machen vom Ge-Stell der Technik
und dem Seyn um nicht die einmalge Gelegenheit des richtigen Sterbevollzugs
zu versaumlumen Es winken gemaumlszlig des Gevierts die himmlischen Goumlttlichen den
irdischen Sterblichen zu wobei annehmbar ist dass Heidegger Sterblichen die
die Aletheia erkennen einen Goumlttlichkeitsstatus beimessen moumlchte ndash eine Erlouml-
sungsphantasie
Genau diese Erloumlsung waumlre die Technik nicht
Ohne den Schritt des Denkens zu wagen der unser Menschenwesen demWesen der Technik [] aussetzt wuumlrgt man sich von Fall zu Fall von Lagezu Lage durch die Zwiespaumlltigkeiten hindurch Und genau durch dieses Ge-wuumlrge versaumlumt man die Moumlglichkeit dessen was man im Grunde erstrebtdie Technik durch menschliches Tun zu meistern und menschenwuumlrdig zulenken193
190 Vgl GA 79 S 55191 GA 79 S 55192 GA 79 S 56 Weil Heidegger im Judentum die Verantwortlichen fuumlr das Geraffe des Ge-Stells
sieht macht er sie gleichsam verantwortlich fuumlr die bdquoSelbstvernichtungldquo Die Seinsverges-senheit im Tode wird dadurch zum Spin-off der vermeintlich juumldisch erzeugten da machen-schaftlichen KZ-Maschinerie (Vgl GA 97 S 20f)
193 GA 79 S 59
45
Trost und Richtung findet Heidegger schlieszliglich abermals bei den alten Griechen
Das Wort stellenlsquo entspricht dem griechischen ϑέσις vorausgesetzt daszlig wirϑέσις griechisch denken Was heiszligt in diesem Falle griechisch denkenlsquo Esheiszligt darauf achten welche Lichtung desWesens des Seyns in welcherWeisedas Dasein der alten Griechen in den Anspruch genommen hat heiszligt imvoraus bedenken in welchem Geschick welcher Unverborgenheit des Seinsdie Griechen standenldquo194
Das sind Vorstellungen des Neuen Anfangs eine Reminiszenz der griechisch anti-
ken Welt Ein Eintrag aus den Schwarzen Heften von etwa 1945-47 () verdichtet
wie oben bereits aufgezeigt die Phantasie griechisch zu sein zu einem gelingenden
Lebensvollzug
Das reine Wesen des Griechentums dh das Seiende inmitten dessen dieGriechen als seiende fremd gewesen dieses und sie selbst und der Bezug desSeins zu ihnen ndash in der einfachen Wesung von der ἀλήθεια her zeigen underfahren Den μῦθος und λόγος ndash jedes Wort und Gebild rein aber nichterzwungen und schematisch-pedant ndash aus ἀλήθεια erfahren195
Hier zeigt sich auch dass Heidegger per se das Aletheia-Prinzip fuumlr notwendig
hielt um ins Licht der Wahrheit zu blicken Die Griechen sind ihm hier deshalb
Vorbild und rein da sie keiner modernen Technik und dem Ge-Stell ausgesetzt
waren sondern lediglich eine mythopoetische Verbindung zum Sein herstellen
mussten um wesentlich zu sein und Seinsgeschichte zu schreiben Die Dinge und
das Spiegel-Spiel des Gevierts waumlren ihnen geschickt zuhanden gewesen196 Hei-
degger macht schlieszliglich sehr deutlich dass das Griechische zu denken ein bei
weitem anderes Geschaumlft sei als philologische Praumlzision
Ein Echo zu sein naumlmlich dem Anspruch des Seins verlangt eine Sorgfaltder Sprache von der freilich der technisch-terminologische Sprachstil derWissenschaften uumlberhaupt nichts wissen kann Die Intentionalitaumlt der wis-senschaftlichen Sprache ist der staumlrkste Beweis fuumlr ihre Boden- und Heimat-losigkeit [] Das Heimische einer hohen Sprache gedeiht nur im Bereichdes unheimlichen Anspruchs der wesenhaften Stille im Wesen des Seyns197
194 GA 79 S 62f195 GA 97 S 20196 Hingegen waumlre das Judentum verantwortlich fuumlr das Ge-Stell fuumlr das Prinzip der Zerstoumlrung
wie es auf der selben Seite der Schwarzen Hefte darunter heiszligt (vgl ebd)197 GA 79 S 66 Die Bedeutung von Seyn als verstelltes Sein oder Bedingung zum Schauen
des wahren Seins ist verwirrend Einer genaueren Analyse wird aus Platzgruumlnden hier nichtnachgegangen
46
324 Die Kehrelsquo
Der letzte Vortrag ist mit nur neun Seiten der Kuumlrzeste des Vortragsgevierts
Nach dem Verlust des Dinges als Ding und der damit einsetzenden Abstandslosig-
keit als Wesen des Ge-Stells wobei die Gefahr zudem der Vergessenheit des Seyns
nachstellt bietet Heidegger eine Perspektive an
Im Wesen der Gefahr verbirgt sich [] die Moumlglichkeit einer Kehre in derdie Vergessenheit des Wesens des Seins sich so wendet daszlig mit dieser Kehredie Wahrheit des Wesens des Seyns in das Seiende eigens einkehrt198
Diese Moumlglichkeit bedeute nicht dass der Mensch sich der Gefahr selbst stellen
koumlnnte sie waumlre passiv ndash bdquoverbirgt sichldquo Die Kehre werde sich ereignen aumlhnlich
einer Erwartung an den Messias
Die Anwesenheit der Gefahr wuumlrde automatisch die Rettung bergen Denn
Houmllderlin haumltte geschrieben bdquoWo aber Gefahr ist waumlchst [d]as Rettende auchlsquoldquo199
Etwa 1945 notiert Heidegger in seine Schwarzen Hefte bdquoDie Wahrheit erfahren
wir im Gedaumlchtnis Das Gedaumlchtnis ist die Dichtungldquo200 (so) Von dieser War-
te aus ausgestattet mit Erinnerungen an das abendlaumlndische Dichten mit dem
Wissen um das Aletheia-Prinzip und passiv als denkender Huumlter des Seyns solle
der Mensch das Ereignis erwarten das ihn bdquoloumlsen freimachen freyen schonen
bergen in die Hut nehmen wahrenldquo201 wuumlrde (siehe S 43)
Dieses Ereignis waumlre der Blitz Ein unvermittelter jaumlher ploumltzlicher Moment
von kurzer Dauer der bloszlig einen ebenso kurzen Blick auf das wahre Wesen er-
lauben wuumlrde Abschlieszligend ist dies das Rezept gegen die Bestands bestellende
Technik in mythopoetischer Formulierung
So entsprechend ist der Mensch geeignet daszlig er im gewahrten Element vonWelt als der Sterbliche dem Goumlttlichen entgegenblickt Anders nicht dennauch der Gott ist wenn er ist ein Seiender steht als Seiender im Seyn unddessen Wesen das sich aus dem Welten von Welt ereignet202
198 GA 79 S 71199 GA 79 S 72200 GA 97 S 52f201 GA 79 S 72202 GA 79 S 76
47
Wenn Heidegger im Anschluss von der bdquohistorisch-technischen Darstellungldquo re-
det so ist dies die Abwehr der Wissenschaften (auch der Philosophie203) und ein
Appell an die Antirationalitaumlt des Mythos bdquokein historisches Vorstellen der Ge-
schichte als Geschehen bringt in den schicklichen Bezug zum Geschickldquo204
Damit das Blitzen erfahren werde als kurze Wesensschau der Aletheia muumlsse
dem wahren abendlaumlndischen und heimatlichen Ereignis stattgegeben werden Es
sollte nicht wie er 1939 schon in den Schwarzen Heften beschreibt das
kuumlnstliche Licht von Historie und Technik in der weder Mensch noch dieGoumltter weder eineWelt noch die Erde sichtbar werden koumlnnen wo aber dasLebenlsquo von allen den immer noch zu wenigen Meistenlsquo erlebtlsquo wird205
Damit schlieszligt der letzte Vortrag mit einer Erwartung an das Ereignis des Blit-
zens nicht das Erleben der Besinnungslosigkeit (vgl Das Ge-Stelllsquo) Schon 1947
traumlumt Heidegger von solcher Umkehr
Aus der Kehre der Seynsvergessenheit aber ereignet sich das Unumgaumlnglicheden Acker der Welt erst zu pfluumlgen und saatbereit der Sonne und dem Regenund den Voumlgeln des Himmels uumlberlassen206
203 Denn ldquo[e]igentlich denken heiszligt [] die Philosophie verlassen [] beim Sagen des Seinslsquoldquo(GA 97 S 60)
204 Ebd205 GA 95 S 427 Gegen das Erlebnis und Erleben straumlubt sich Heidegger besonders So notiert
er etwa 1939 bdquoZeitalter der Techniklsquo macht gerade die Techniklsquo nicht zum Ziel sondernimmer mehr zum Mittel der besinnungslosen Berechnung [] der Mensch [] das Erleb-nislsquo [] Erleben als der Gefuumlhlsgenuszligldquo (GA 95 S 149) Wie auch bdquoWo beide Historie undTechnik in solcher scheinbaren Gegensaumltzlichkeit verkoppelt sind koumlnnen sie sich zur Foumlr-derung dessen zusammenschlieszligen was einstmals wesentlich die Geschichte des Menschenmitbegruumlndete und was wir die Kunstlsquo nennen Die Historie verschafft [] Anregungenund Vorbilder der Nachahmung die Technik erleichtert [] die Zustellung von Darstel-lungsmitteln und Wirkungsformen [] Gleichwohl ist alles wurzellos [] berechnet und alsErlebnislsquo ausgegebenldquo (GA 95 S 212)
206 GA 97 S 511
48
4 Konklusion
Der umstrittene Philosoph Martin Heidegger hat uumlber die 1930erndash40er Jahre
hinweg eine ausgepraumlgte voumllkisch-nationale und bisweilen radikal-antisemitische
Denkweise entwickelt Dieses Denken fasste er auch auf als Besinnung und stellt
es der Philosophie und Wissenschaft diametral entgegen In Kapitel 2 wird aufge-
zeigt dass sowohl Heideggers Mythologie bereits kritisiert wurde (Adorno Cassi-
rer Meyer) als auch seine Mythopoetik bewundert (Schulz-Nieswandt) Kapitel
3 will daruumlber hinaus aufzeigen wie Heidegger eine eigene Mythologie mytho-
poetisch fruchtbar macht was sich von beiden vorigen Ansaumltzen unterscheidet
und erst mit der Veroumlffentlichung der Schwarzen Hefte ab 2014 nachvollziehbar
wurde
Umso mehr bietet die mythopoetische Verbindung von bdquoDichten und Den-
kenldquo (so) einen antitechnischen Gegenpol Denn Heidegger fasst wie oben ge-
schildert alles Rationale auf als berechnende Bestellung des Bestands im Sinne
der Technik Daruumlber hinaus fordert er mit dem Aletheia-Prinzip (als metapho-
risch gefasstes Ereignis des Blitzens) einen Mitvollzug seiner mythopoetischen
Kontemplation in dem religioumlse voumllkische antike und sprachliche Motive zu-
sammenfallen
Obwohl schon von Heidegger selbst nicht mehr als Philosophie betrachtet
hat seine Rede vom Ding dem Ge-Stell dem Wesen der Technik und der Kehre
noch immer einen bedeutenden Einfluss auf die Technikphilosophie So betont
Alfred Nordmann in bdquoWerkwissen oder How to express things in worksldquo (2008)
dass Heidegger mit Das Dinglsquo eine Art Dingwissen geschaffen haumltte In seinem
2012 erschienenen Aufsatz Another parting of the ways Intersubjectivity and the
objectivity of sciencersquo207 geht Nordmann ein weiteres Mal auf Heideggers Ding
ein Dieses waumlre eine Abarbeitung an dem Ding Kants womit auch Nordmann
Heidegger als einen Interpreten Kants versteht208 Anschlieszligend anMichael Fried-
207 Nordmann Alfred Another parting of the ways Intersubjectivity and the objectivity ofscience In Studies in History and Philosophy of Science 43 (2012) 38ndash46
208 Die Auseinandersetzung mit dem Ding wuumlrde nach Nordmann in Heideggers GA mit demText Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalen Grundsaumltzenlsquoeinsetzen (GA 41 Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalenGrundsaumltzen)
49
man spricht sich Nordmann ebenso dafuumlr aus dass Heidegger neben Rudolf Car-
nap und Ernst Cassirer eine neokantianische Philosophie verfolgt haumltte (siehe
Kap 1)209
Nach Nordmann haumltte Heidegger in seinen anschlieszligenden Gedanken uumlber
das Ding als Fortfuumlhrung Kants als erster Wissenschaft als angewandte Techno-
logie verstanden210 Diese Interpretation stuumltzt sich auf die gleichen Symbole
Metaphern und Mythen die die vorliegende Arbeit analysiert Das Ge-Stell ist
insofern aumlquivok mit dem Begriff techno-science Jedoch sind in dieser Fruchtbar-
machung von Heideggers Denken der Technik dessen nationalistischen rassisti-
schen und antisemitischen Implikationen die die vorliegende Arbeit als Zentrum
dessen Philosophie ermitteln konnte noch nicht beachtet worden koumlnnen211
Andreas Luckner webt Heideggers Ding-Entwurf weiter als verantwortliches
Sorgen um die Dinge212 Er geht dabei mit Heidegger voumlllig konform und tritt
eher als eine Art Bote der Ding-Botschaft auf als diese moumlglicherweise zu kriti-
sieren was sich diesen Artikel wie ein Kapitel aus einem Studienbuch lesen laumlsst
Der Darmstaumldter Technikphilosoph Christoph Hubig ist vor allem Kritiker Hei-
deggers Argumentationen laumlsst aber zuweilen diverse Topoi aus dem Werk des
Technik-Denkers durchscheinen ohne sie weiter zu reflektieren
So konstatiert Hubig Heidegger verfehle in dessen Auseinandersetzung mit
Aristoteles Lehre von der Poiesis zum Punkt der Sicherung wie sie in Die Frage
nach der Techniklsquo behandelt wird bdquodie operative Seite des Technischenldquo bei Aris-
totels213 In einem spaumlteren Aufsatz allerdings stuumltzt er sich ohne weitere Erlaumlute-
rungen auf Heideggers Begriff der Sicherung aus Die Frage nach der Techniklsquo214
209 Diese Befriedung paradigmatischer Umstaumlnde wird hier nicht geteilt Eine weitere Bearbeitunglaumlsst der Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht zu
210 Vgl Nordmann Another parting of the ways S 45211 Der Aussage dass Heideggers Ding-Begriff kantianisch waumlre muumlsste einer gezielten Untersu-
chung unterzogen werden genau wie die Behauptung insgesamt dass Heidegger oder inwie-weit dieser noch der suumlddeutschen Kantschule des 1920 Jahrhunderts angehoumlrte
212 Vgl Luckner Andreas Ding und Bestand Heidegger und das Wesen neuzeitlicher TechnikIn Gamm G Gehring P Hubig C Kaminski A und Nordmann A Ding und SystemS 15-30 hier S 29
213 Hubig Christoph Die Kunst des Moumlglichen Technikphilosophie als Reflexion der MedialitaumltBielefeld 2006 S 103
214 Vgl Hubig Christoph Technik als Medium In Grundwald Armin (Hg) Handbuch Tech-nikethik Stuttgart 2013 S 118-123 hier S 118
50
Dabei versteht Hubig Heideggers Betrachtungen zum Umgang mit der Technik
als gelassen
Fuumlr Heidegger liegt die Andersheit im Entbergen einer Wahrheit des Seinseines Geschicks von dem die Entwicklung der Technik hin zum Gestellkuumlnde Er verbindet dies mit dem Appell jenseits des rechnenden und si-chernden Vorstellens technischer Vollzuumlge als handlungsleitender Program-me sich gelassenlsquo dieser Entwicklung zu uumlberantworten und ein Seinlsquo zuhuumlten das sich als solches eben entbirgt Das Rettendelsquo dieser Einsicht lie-ge darin dass unsere individuelle Endlichkeit insofern transzendiert wirdals sie sich dem sie uumlbersteigenden Prozess aufschlieszligt und sich selbst relati-viert215
Wovon in diesem Zitat nicht die Rede ist ist der Mitvollzug der mythopoe-
tischen Rahmenbedinungen die Heidegger einfordert und an dem die Konzep-
te Abendland und voumllkische Tradition haumlngen In dieser Arbeit wird davon aus-
gegangen dass Heideggers Technikphilosophie-erzaumlhlung sich nicht von seinen
Absichten der Bekaumlmpfung des Technischen loumlsen laumlsst Die Relativierung ist in-
sofern nicht an den Prozess gebunden und damit emergent auf alles hin ausge-
richtet was kommen mag sondern houmlchst konvergent in einer Besinnung auf
Mythen von dem Ding und dem Geviert mit all deren Valenzen aus dem vorlie-
genden Heideggerschen Textkorpus Die individuelle Endlichkeit ist genoumltigt die
Heimat und das Abendland zu kennen und im Aletheia-Prinzip umzusetzen
Die Neubewertung der bislang bekannten Heideggerschen Technikphiloso-
phie von vor den SchwarzenHeften ist ein dringendes Desiderat Voumllkisch-nationale
Gruppierungen erstarken momentan in ganz Europa und es koumlnnte sehr hilfreich
sein aumlhnliche Denkstrukturen aufzudecken so wie sie zwischen den 1930er und
40er Jahren entwickelt wurden Zusaumltzlich muss das Werk Heideggers einer kriti-
schen Revision schon aufgrund der niemals von ihm behandelten Antisemitismen
unterzogen werden Heidegger hat nie zu diesen Stellung bezogen
Daruumlber hinaus ist das Thema Mythos und Philosophie ein weiterhin not-
wendiger Bereich der philosophischen Forschung In einem Bereich auszligerhalb
der exakten Wissenschaften und ohne klare theologische Tradition ist die Philo-
215 Hubig Die Kunst des Moumlglichen S 140
51
sophie beides sowohl Aufklaumlrer und antimythisch als auch Quelle fuumlr mythisches
Denken und affektierende Motive
52
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Die_Heidegger-Kontroverse ndash zuletzt abgerufen am 24042016)
56
Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
Der Unterzeichner versichert dass er die vorliegende Bachelorarbeit selbststaumlndig
verfasst und keine anderen als die von ihm angegebenen Hilfsmittel benutzt hat
Die Stellen der Arbeit die anderen Werken dem Wortlaut oder dem Sinne nach
entnommen sind wurden in jedem Fall unter Angabe der Quellen (einschlieszliglich
des World Wide Web und anderer elektronischer Text- und Datensammlungen)
kenntlich gemacht Dies gilt auch fuumlr beigegebene Zeichnungen bildliche Dar-
stellungen Skizzen und dergleichen
Darmstadt 25 April 2016
__________________________
(Eigenhaumlndige Unterschrift)
- Abkuumlrzungsverzeichnis
- Danksagung
- Einleitung
- Heideggers mythopoetisches Programm
-
- Zu den Begriffen Mythos Mythologie und Mythopoetik
-
- Ein Beispiel fuumlr ein Mythologem
-
- Heideggers Mythen
-
- Formen der Mythologie
-
- Heideggers mythopoetische Technik
-
- Zur Publikationsgeschichte von den Bremer Vortraumlgen 1949
- Die mythopoetische Spiegelung der Schwarzen Hefte
-
- Das Dinglsquo
- Das Ge-Stelllsquo
- Die Gefahrlsquo
- Die Kehrelsquo
-
- Konklusion
- Literaturverzeichnis
- Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
-
12
Das legt nahe dass Heidegger sein mythopoetisches Texten als Code vor allem
in den Nachkriegsveroumlffentlichungen einsetzt ndash ein Nachruf aus dem gescheiter-
ten Anfang43 Ab 1935 jedenfalls haumltte sich Heidegger von der Vorstellung des
neuen Anfangs verabschiedet44
Das Mythologisieren konstruiert Meyer als Anschluss an die Houmllderlin-Vor-
lesung (193435) Die Houmllderlinsche Lyrik haumltte fuumlr Heideggers bdquophilosophisches
Sprachmaterialldquo Vorbildcharakter da bdquomit Houmllderlin die griechische Mytholo-
gie in ihrer sprachlichen Verbildlichung zum tragenldquo45 kaumlme Die dann staumlndige
Wiederauferstehung der bdquogriechischen Goumltter- und Heldenwelt in seinen Vorle-
sungenldquo schluumlge dem zu Buche In der Vorlesung 193435 Houmllderlins Hymnen
Germanienlsquo und Der Rheinldquo klingt insofern bereits eine Figur an die Heidegger
uumlber zehn Jahre spaumlter in seinen technikphilosophischen Bremer Vortraumlgen mit
seinem Aletheia-Prinzip verbinden wird ndash der bdquoBlitzldquo (su)
43 Eine genaue Untersuchung laumlszligt die Form dieser Arbeit nicht zu sie bezoumlge sich wie gesagtauf die drei Darstellungsebenen der GA mit den Schwarzen Heften (GA 94ndash97) als (Entwurfs-phase) Besinnung (GA 66) Das Ereignis (GA 71) ua als (Konzeptionsphase) und den BremerVortraumlgen (GA79) als (Praumlsentation) die Uumlbergaumlnge sind freilich flieszligend und gerade in denvon Meyer zitierten Vorlesungen erscheinen alle drei Stufen mitunter gleichzeitig Gerade imfolgenden zitierten Doppelband in dem es ua um die bdquoWahrheit der Spracheldquo geht scheintes tatsaumlchlich genau wie Meyer es identifiziert um die Grundlegung Heideggers Mythologiezu gehen die in den Schwarzen Heften vielmehr lemmaartig und sporadisch entworfen wirdMit Heraklits Spruch des Kampfes als Wesen des Seienden zieht Heidegger einen Paten seinerMythos-Logos-Aletheia Kombination heran und versucht seiner eigenwilligen Philologie ei-ne verpflichtende Bedeutungstiefe einzulegenMeyers Zitate Heideggers mit groszliger Relevanz fuumlr diese Arbeit sind die folgenden bdquoDa-
mals als das Volk der Griechen deren Stammesart und Sprache mit uns dieselbe Herkunfthat in seinen groszligen Dichtern und Denkern sich aufmachte eine einzigartige Weise desmenschlichen volklichen Daseins zu schaffen Was da anfing ist bis heute nicht eingeloumlstAber dieser Anfang ist noch nicht und er verschwand nicht und verschwindet nicht dadurchdaszlig die nachkommende Geschichte immer weniger seiner Herr blieb Der Anfang ist nochund besteht als ferne Verfuumlgung die unserem abendlaumlndischen Schicksal weit vorausgreift unddas deutsche Geschick an sich kettetldquo (GA 3637 S 6 Die Grundfrage der PhilosophielsquoSommersemester 1933)bdquoAls μυθος ist das Wort das uumlber den Menschen kommt jenes worin ihm dieses und
jenes seines Gesamtdaseins gedeutet wird nicht das Wort in dem er von sich her Rede stehtsondern das Wort das Weisung gibt [] Aber der urspruumlngliche λογος der Philosophiebleibt dem μυθος verbunden erst die Sprache der Wissenschaft vollzieht die Abloumlsungldquo(Ebd S 116)
44 In den Schwarzen Heften houmlrt die Sehnsucht nach dem neuen Anfang nicht auf also bis ein-schlieszliglich 1948
45 Meyer Die Entdeckung des griechischen Mythos S 6
13
Gewitter und Blitz sind die Sprache der Goumltter und der Dichter ist derder diese Sprache ohne Ausweichen auszuhalten hat aufzufangen und in dasDasein des Volkes zu stellen hat [] Die Dichtung ist ein Weiterwinkendieser Winke in das Volk oder von diesem her gesehen Dichtung ist []ein Zeigen ein Weisen in welcher Weisung die Goumltter offenbar werden46
Die Rede von bdquoWinkenldquo ist bereits ein Selbstbezug benannte der Autor der
Schwarzen Hefte seine ersten beiden Abteilungen des heutigen 94ten Bandes der
GA als Winke x uumlberlegungen (II) und Anweisungenlsquo und uumlberlegungen und
Winke IIIlsquo47 Diese setzen ein im Jahr 1931 und duumlrften moumlglicherweise bis 1933
oder vielleicht auch 1935 gereicht haben Heideggers Selbstuumlberhoumlhung als mys-
tagogisch bdquodichterisch-denkenden Schaffenden ndash also ihm selbstldquo48 erkennt auch
Meyer bereits ohne die eindeutigen Zeugnisse dieses Wunsches in den Schwarzen
Heften Es ist Heideggers Begehren das Volk seiner Fuumlhrung zu unterstellen bdquoso
dass sich das Wesen dieses Landes selbst findet und vollendetldquolsquo49
Meyer spricht in Folge daran davon was Heideggers Ursprungsmythos den
er in die griechische Altertum legt fuumlr diesen leistet Es ist eben das antiwis-
senschaftliche bdquoWissenldquo von einer bdquoUr-geschichteldquo Welche abgruumlndigen Motive
auch immer da hineinzuprojizieren sind (Bodenhaftigkeit arische Reinbluumltigkeit
abendlaumlndische Groumlszlige etc so wie es sich aus den Schwarzen Heften offenbart)
der Mythos verschraumlnkt Heideggers Streben nach Fuumlhrung als Denker und eine
Begruumlndung fuumlr die vermeintliche rassische uumlberlegenheit des deutschen Volkes
Meyer zitiert den Dichter-Denker mit bdquoMythologielsquo ist Wissen von einer Ur-
geschichteldquolsquo Es ginge um
Wissen nicht im archaumlologisch-musealen Sinn sondern als Prozess [] auchim Sinne dass Heidegger im Moment des Aussprechens gerade das leistetwovon er spricht Mythologie50
Augenscheinlich sieht Meyer keinen Grund dafuumlr von einer mythopoetischen
Textform in der Verschraumlnkung von Heideggers Denkerprophetie und der abend-
46 GA 39 S 31f (zitiert nach Meyer Die Entdeckung des griechischen Mythos S 6)47 Aus dem beigefuumlgten Nachwort des Herausgebers Peter Trawny geht nicht genauer hervor
weshalb zuerst bdquoWinke x uumlberlegungen (II)ldquo und dann bdquouumlberlegungen und Winke IIIldquo signi-fiziert sind Es wird hier davon ausgegangen dass es sich schlicht um das Gleiche handeltwobei der erste Teil sich in den bislang verschollenen Schwarzen Heften befinden muss
48 Meyer Die Entdeckung des griechischen Mythos S 749 Ebd Darin zitiert ist die GA 39 S 28950 Ebd Darin zitiert ist die GA 40 S 165
14
laumlndischen uumlberhoumlhung zu sprechen Die Paarung von Dichtung und Denken al-
lerdings ist fuumlr den Husserlnachfolger erst der Zweck und die Mythologisierung
das Mittel dazu In seiner Schrift uumlber die Religionsphilosophie und ontologi-
sches Wahrheitsverstaumlndnis bei Walter F Ottolsquo schildert der Altersforscher und
Sozialwissenschaftler Schulz-Nieswandt aus Koumlln uumlber die menschliche Existenz
die bdquoMythopoetik als Seins-Vergewisserungldquo51
In jenem Kapitel seines Otto-Traktats von 2014 schreibt Schulz-Nieswandt
wie ein echter Epigone Heideggers von der Wappnung gegen die bdquoKrise der Mo-
derne ndash Entfremdung Einsamkeit Angst Verzweiflungldquo52 An fruumlherer Stelle
seines Buchs stellt sich dar dass Schulz-Nieswandt sich geradezu mit Heideggers
Linie vereint anstatt sich ihr nur anzunaumlhern
Es geht um das wahre Sein aus der Sicht des zu seinem Wesen gelangendenMenschen in dessen Daseinsfuumlhrung was hermeneutisch erschlossen wer-den soll nicht um Wissenschaft als hermeneutische Methode im Kriterien-spektrum zwischen Verifikation und Falsifikation von Hypothesen mittelsProtokollsaumltzen uumlber die Realitaumlt53
51 Schulz-Nieswandt Frank Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis beiWalter F Otto (1874-1958) Eine strukturalistische und psychodynamische RezeptionBaden-Baden 2014 S 58-60
52 Ebd S 58 Dabei spielt Schulz-Nieswandt die Begriffe Epistemologie gegen Ontologie ausund bezeichnet sich selbst als post-strukturalistisch im Sinne der Kritischen Theorie schrei-bend Jedoch erscheinen diese philosophischen Kontraste nur wie bdquoEdelsubstantiveldquo des vonAdorno gemuumlnzten bdquoJargon der Eigentlichkeitldquo Und in genau diesem Jargon laumlszligt der So-zialwissenschaftler Heideggers Urmythos des Goumlttlichen der griechischen Antike (so) inaktueller Praumlsenz wieder auferstehen Es ist erstaunlich dass jemand der die Kritische Theo-rie fuumlr sich reklamieren will Epigone des bdquoJargons der Eigentlichkeitldquo ist So zeigt es sichauch auf S 28 wenn er in Ottos Dionysos bdquodie ganze Tiefe des Menschen zum Ausdruck[bringt DS] die Todeserfahrung des sterblichen Menschen Dionysos ist Hadesldquo Um nocheinmal zu bestaumltigen wie sich Schulz-Nieswandt als Akteur des Jargons gebiert sei hier Ador-no zitiert (dies gilt allerdings nur der Gegenuumlberstellung zum Vorsatz jener wuumlrde sich ander Kritischen Theorie orientieren ohne fuumlr diese zu advozieren) bdquoDer Heideggerschen Phi-losophie schloszlig sich was einmal Pforte zum ewigen Leben war zu sie betet statt dessenWucht und Groumlszlige des Tores an [] Sein wuumlrdevolles Gehabe ist Reaktionsbildung auf dieSaumlkularisierung des Todes [] Darum wird Sinn in den Tod geworfenldquo (Adorno Jargonder Eigentlichkeit S 134)
53 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei WalterF Otto S 15
15
Beiden gemeinsam ist auch die Faszination an Houmllderlin die sie ebenso mit Otto
teilen
Die ganze Eigenart des Denkens von Otto kommt in dem komplett innerenVerhaumlltnis zu Heidegger und Houmllderlin zum Ausdruck54
Nur noch ein Gott kann uns rettenlsquo so das Zitat des Spiegelinterviews das Ja-
kob Augstein zum Titel machte ist die kodierte Mythopoetik auf die sich die
Spiegelleser keinen Reim machen konnten Fuumlr Heidegger fuumlr den das Sein in der
Sprache wohnen sollte55 ging es um den Mythos der Naumlhe zur Antike als Naumlhe
zu den Goumlttern
Fuumlr Houmllderlin war die Theologie der Abwesenheit Gottes als uumlberweltlichePraumlsenz der Verlust der Gotteserfahrung des diesseitig verankerten Men-schen [] Die Antike wird als eine von Goumltternaumlhe charakterisierte Zeitvon Houmllderlin verstanden und erneuert (der kommendelsquo Gott) ersehnt56
Dies ist eine der Leit-Mythen Heideggers insbesondere wenn man sich die Nach-
kriegsvortraumlge ansieht (eben die Bremer Vortraumlgelsquo)
Die Aufhebung der Trennungsangst durch die bdquoAbwesenheit der Goumltterldquo uumlber-
winde der in existenzieller Angst befindliche bdquohomo abyssusldquo mittels bdquoder lie-
bevollen Gestaltung als Sich-Einrichten des Menschen [] als apriorischer Mo-
dus des In-der-Welt-Seinsldquo durch die bdquoEwigkeit der Mythopoetikldquo57 Fuumlr Schulz-
Nieswandt ist Mythopoetik eben nur dieses ein peganistischer Goumltterdienst der
den Kanon der Ottoschen Antike mit Houmllderlin interpretiert Insofern versteht
dieser versuchte Religionsphilosoph der eigentlich Sozialforscher ist Heideggers
Mythologie als schoumlpfend aus geteilter Quelle mit Mythen als Gemeinplaumltzen
derer sich der Denker-Dichter philologisch sicher bediene
Dabei geht es Schulz-Nieswandt umHeideggers Aletheia-Prinzip das er bdquoWahr-
heitsbegriffldquo nennt ndash welches bdquoDie Differenz der Technik als Herrschaft uumlber
54 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei WalterF Otto S 20
55 Vgl GA 7 S56 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei Walter
F Otto S 2157 Vgl Ebd S 59
16
Dinge von der Kunst als Schoumlpfung als Lichtung des Seins zur Wahrheit unter-
scheidetldquo58 Houmllderlins Goumlttliches waumlre darin vermisst und von Bedarf fuumlr den
Menschen Mit der Nomenklatur der griechischen Goumltter Houmllderlins und Ottos
ginge es beim Wahrheitsprinzip um bdquodie Erinnerung an Dionysos als der wie-
der kommende Gott []ldquo sie bdquofuumlhrt zur Lichtung des Seins als Wahrheitldquo59 Der
Mensch waumlre also Hirte seines Seins nicht Herr der Technik zum Sein bdquoDas Sein
ist den Menschen nicht technisch verfuumlgbar Die notwendige Einkehr wird zu
Heimkehrldquo60
Insofern zeichnet Schulz-Nieswandt ganz in Heideggers Sinne nach wie Hei-
mat und Irrationalitaumlt des Mythos zusammenfallen im Kanon der Goumltter-Mytho-
poetik Zum einen ist allerdings Heideggers Mythologie nicht so sehr an diese
Mythopoetik uumlber die Goumltter gebunden sondern bewegt sich frei im eigenwil-
ligen Auslegen von altgriechischen und deutschen Begriffen Zum anderen ist es
erstaunlich dass Schulz-Nieswand 2014 die Bedeutung der Mythopoetik fuumlr Hei-
deggers Ursprungsmythos des neuen Anfangs ignoriert und damit auch die gan-
ze voumllkisch-nationale Aura und damit die Abgrenzungspolitik Vor allem aber
richtet sich Heidegger nicht in einer bdquoliebevollen Gestaltungldquo menschlich ein
wie Schulz-Nieswandt es schon pathetisch darstellt sondern befeinded sich mit
allem ihm Zuhandenen als bdquoRaprochementldquo61 in alle Richtungen und pocht auf
bdquogeschichtliche Besinnungldquo als bdquoAuftrag des Deutschenldquo62
221 Formen der Mythologie
Mit den zwei oben herangezogenen Arbeiten uumlber Mythologisieren und Mytho-
poetik Heideggers sollte in dieser Arbeit das Verstaumlndnis seines Projekts der an-
tirationalen und antitechnischen Ausrichtung in den aktuellen Forschungsstand
gestellt werden Um welche Mythologie es sich in den Schwarzen Heften handelt
wird im Folgenden aufgedeckt werden Bereits in dem ersten Heft der Denktage-
58 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei WalterF Otto S 58
59 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei WalterF Otto S 59
60 Ebd61 Wolin Richard Heideggers bdquoSchwarze Hefteldquo Nationalsozialismus Weltjudentum und Seins-
geschichte In Vierteljahrsheft fuumlr Zeitgeschichte Bd 63 Heft 3 S 379-41062 GA 94 S 66
17
buumlcher verschmilzt Heidegger seine Vision von Dichten und Denken stellt sich
unter dieses Ideal
Dichten undDenken ineinander geschlungen und so waumlre ihrWas im verbindend-trennenden Bestimmen gewonnen63
Als bdquoAusgriff in den Begriffldquo versteht Heidegger dies als bdquovorschreibend-bildenden
Entwurfldquo der hinfuumlhrend zum Ereignis des Aletheia-Prinzips waumlre ndash
(Dichtung als Mythos
Dichtung als Dichtung im engeren Sinne gtgtGedichtltlt
Dichtung als Philosophie)64
Grundsaumltzlich ist die lose wirkende Legion von Lemmata nicht mit einer
Ruumlckfuumlhrung seiner Gedanken auf bestimmte griechische Goumltter und antike (ech-
te) Mythen besetzt Heidegger fetischisiert Begriffe und mythologisiert die von
ihm aufgepfropfte Bedeutung durch ein staumlndiges Wiederholen und Weiterden-
ken als bdquoWissenldquo wie Meyer es herausgearbeitet hat In dieser philosophischen
Alchemie sieht sich Heidegger als Denker als Bewahrer einer uralten Lehre die
eben neu widererstarken muumlsse Das hat Meyer auch schon klar gemacht Die My-
thopoetik erscheint aber hauptsaumlchlich nicht in den Schwarzen Heften sondern in
den Vortragspublikationen sich auf seine private Mythologie beziehend die in
den Schwarzen Heften zu Grunde gelegt wird
Die Mythen Heideggers drehen sich wie Meyer zurecht behauptet um den
Ursprung bei den Griechen den bdquoGrund der Geschichte des Abendlandesldquo65
Aber auch um die vielen Binaritaumlten die sich entgegengesetzt werden und tat-
saumlchlich wie der Heidegger-Herausgeber und Initiator und Leiter des Wupper-
taler Heidegger Instituts Peter Trawny es benannt hat auf einen Manichaumlismus
zulaufen66 Die Abgrenzungspolitik im Sinne des schuumltzenswerten abendlaumlndisch-
heimatlichen Deutschlands richtet sich gegen den inneren Feind vorangetrieben
63 GA 94 S 6564 GA 94 S 6665 GA 96 S 20566 Trawny Peter Heidegger und der Mythos der juumldischen Weltverschwoumlrung Frankfurt am
Main 2015 S 22Das hier aufgefuumlhrte Buch birgt einige problematische Umformungen zum Verhaumlltnis von
Heideggers Antisemititsmus Allem voran versucht es eine Begriffsbildung zu formen nach
18
von der Rechenhaftigkeit des juumldischen Wesens und die aumluszligeren Feinde wie Ameri-
kanismus franzoumlsische Kultur russischer Bolschewismus usw Heideggers Urmythos
vom neuen Anfang ist verquickt mit einem selbstangedichteten Personenmythos
was ebenfalls Meyer schon erkannt hat Dieses Schema ist die Grundstruktur
Immer deutlicher wird in mir die Ahnung daszlig unsere Heimat der Kerndes suumldwestdeutschen Landes [er selbst DS] der geschichtliche Geburtsortdes abendlaumlndischenWesens sein wird [] es ist das Geistvolle und zugleichdas erdenhafte schoumlne Land Es birgt unsichtbaren Reichtum dem Gemuumltbewahret tiefstes Dichten und houmlchste Gestalt der Sage67
Die mitunter wichtigste Dichotomie die Heidegger in den Denktagebuumlchern
aufwirft ist die zwischen Historie und Geschichte Es ist insofern nicht nur der
Mythos des neuen Anfangs der Heideggers Denken uumlber fast zwei Dekaden be-
stimmt sondern umso mehr die doppelte Projektion ndash des Verfalls (Machenschaft)
in eine Konstruktion von Historie und des Bestehens (Sein) in die konstruierte
Geschichte68 Geschichte faumlllt dann schlieszliglich mit der Schaffung des neuen An-
fangs so zusammen wie Historie mit Technik verschraumlnkt wird Geschichtlichkeit
muss durch das Prinzip des Ereignisses der Aletheia prozessiert werden waumlhrend
die verrationalisierte wissenschaftliche technische Historisierung des Lebens und
der Lebenswelt dem widerstrebt
Die Bindung von Heideggers Vorstellung des richtigen Lebens im Sein mit
demAbendland und einer voumllkisch-nationalen Groumlszlige undUumlberlegenheit Deutsch-
lands ist dabei ausschlaggebend Denn mit der Charakterisierung des Guten auf
derer Heideggers Antisemitismus mittels Heideggers Denkmethode behandelt aufgehobenwerden koumlnnte Die Hauptbegriffe darin sind bdquoSeinsgeschichtlicher Antisemitismusldquo undbdquoKontamination des Denkensldquo Von einer tieferen Auseinandersetzung muss an dieser Stelleabgesehen werden
67 GA 97 S 5468 In Band 66 der GA gibt es bereits einen kleinen Abriss der Historie und Techniklsquo die der Ge-
schichte gegenuumlbergestellt werden Das dies eine Uumlbertragung der Gedanken aus den Schwar-zen Heften ist ist ohne Zweifel Ein ansatzweise philosophisches Vorgehen vermengt sichdort mit dem poeto-mythologischen Denken Heideggers In Sachen mythopoetischer Figu-ren undMetaphernreichtum haumllt sich dieser dort aber noch zuruumlck (auch wenn er hier bereitsoumlffentlich vom bdquohistorischen Tierldquo redet) Die Absicht Technik und Historie als Verstellungdes abendlaumlndischen Menschen zu brandmarken stehen dabei im Vordergrund Weiterhinsoll in dieser Arbeit allerdings der Fokus auf den Schwarzen Heften und der Mythopoetik inden Technikvortraumlgen der Nachkriegszeit liegenDer Duden sieht Geschichte und Historie als Synonyme Von einer Ethymologie und der
Spekulation von Heideggers Gruumlnden der Auseinanderhaltung der zwei Synonyme soll hierabgesehen werden
19
der Seite des Seins sind die Feinde dessen eine Notwendigkeit seines Erklaumlrungs-
schemas Dabei sind es vor allem die Juden denen die Wurzel des Antiseien-
den von Heidegger in ihr vermeintliches Wesen geschrieben wird Exemplarisch
spricht dafuumlr dieses Zitat aus Band 96
Die zweite Machtsteigerung des Judentums aber hat darin ihren Grund daszligdie Metaphysik des Abendlandes zumal in ihrer neuzeitlichen Entfaltungdie Ansatzstelle bot fuumlr das Sichbreitmachen einer sonst leeren Rationalitaumltund Rechenfaumlhigkeit die sich auf solchem Wege eine Unterkunft im Geistlsquovarschaffte ohne die verborgenen Entscheidungsbezirke von sich aus je zufassen zu koumlnnen69
Diese Vorstellung ist eine Konkretisierung dessen was Heidegger mit den Uumlber-
begriffen Historie vs Geschichte einige Jahre vorher begann zu topografieren
Wir sind durch die Historie geschwaumlcht [] ndash wir koumlnnen nur durch das ge-rettet werden was uns in seiner Verfaumllschung widert ndash durch die Geschich-te70
Dieses bdquoWirldquo sind die glorifizierten Deutschen vor allem nach der Ableitung von
den Griechen uumlber Houmllderlin (und dessen Griechen) und Nietzsche zu ihm und
seinem kleinen Kreis von ihm anerkannter Intellektuellen-Kollegen wie etwa
Carl Schmitt Oswald Spengler Walther F Otto und Ernst Juumlnger Die Luft auf
Heideggers Denker-Olymp ist duumlnn und bekommt nur Wenigen
Die Geschichte in Heideggers solipsistisch-immanenten Nachdenken erklaumlrt
sich wie gesagt immer zusammen mit der Hoffnung auf den neuen Anfang und
als Besinnung auf das Denken als Akt gegen die Historie Die Paarung der zwei
Woumlrter bdquoGeschichteldquo und bdquoBesinnungldquo durchzieht in deutlicher Haumlufigkeit alle
vier Baumlnde der Schwarzen Hefte ndash bdquogeschichtliche Besinnung [] ist die Uumlberwin-
dung der Historie und des Historismusldquo und sie bdquobedarf der houmlchsten Strenge
hinter der die historische Exaktheitlsquo weit zuruumlckbleibtldquo ndash somit ferner bdquonur wer
Geschichtemacht vermag sie auch zu errettenldquo71 Das oben mit Meyer und Schulz-
69 GA 96 S 4670 GA 94 S 26771 GA 94 S 358f
Dass die Besinnung eine militante Perspektive hat laumlszligt sich auch in Heideggers Vereh-rung Heraklits ldquoDer Krieg ist der Vater aller Dingerdquo finden Heidegger sah sich selbst alsDenker als Propheten des Seins Aus dieser Warte betrachetete er zuerst den Nationalsozia-
20
Nieswandt bereits aufgezeigte Bereiten des Goumlttlichen legt Heidegger in seinen
Begriff der Geschichte
Geschichte ndash das Gewagtwerden der Goumltter nur Groszlig als Untergang oderSieg ndash nicht Dauerlsquo wesentlich ndash sondern die Abgruumlndigkeit der Erstrei-tung ndash Opfer und Weile
Historie ist bei Heidegger bdquogeschichtliche Entwurzelungldquo die bdquoTyrannei der
Technikldquo bdquoSelbstvergoumltterungldquo und bdquoAbgoumltterei der Technikldquo72 In einer skizzen-
haften Emanationsfolge wird dieHistorie als Modus der Technik auf sich selbst zu-
ruumlckgefuumlhrt bdquoDas Riesige ndash [] Historie die Technik der Geschichtelsquo Technik
Die Historie der Naturldquolsquo73 Es ist vage annehmbar dass Heidegger hier die Tech-
nik als rechenhafte machenschaftliche Historisierung der Natur versteht die vor
dem Geschichtsbegriff stattgefunden haumltte Diese wiederum haumltte die Geschichte
in die rechenhafte Machenschaft verfremdet Wie ein Apparat erscheint Heidegger
der Gegenstand seiner Historie zu sein die sich automatisch durchsetzen wuumlrde
Die Historie stellt zunaumlchst das Nacheinander der Begebenheiten dessenwas vorbeizieht (passiertlsquo) her [] Sie erklaumlrt dann Spaumlteres aus dem Fruuml-heren sie findet sogar dass Ideen die Geschichtelsquo bestimmen74
Den historisierend narrativen Umgang mit Geschichte als Wissenschaft emp-
findet Heidegger als Technisierung derGeschichte Diese wiederum basiert auf den
statischen Topoi seiner Mythen von Vaterland Bauerntum Houmllderlin alten Grie-
chen den Goumlttern etc und der Anwendung des Aletheia-Prinzips im Ereignis
Das ist ein Tugendenkatalog der Deutschtuumlmelei mit einer paumldagogischen Kom-
ponente seine Mythologie im Aletheia-Prinzip zu praktizieren Er nennt dieses
Geschaumlft auch Denken und ahnt dessen Feinde bdquodie Forscher die in der Technik
ihres Arbeitens keine Reibung dulden und ihr Wissen fuumlr den Geist haltenldquo75
lismus und nach dem Krieg den real existierenden Sozialismus des Ostblocks im Zuge deratomaren Aufruumlstung als Vollstrecker Macher der Geschichte die den neuen Anfang ebnensollten Dass Heidegger diese bdquoklaumlrendeldquo Wirkung tatsaumlchlich spaumlter den Russen zuschreibtlaumlszligt sich in Band 97 der GA zweifelsohne nachvollziehen Hier kann aus Gattungsgruumlnden(BA-Thesis) nicht naumlher auf dieses Faible fuumlr absolutistische Regime eingegangen werden Je-denfalls ist die geschichtliche Besinnung und der Kriegsakt ein Widerspruch den Heideggerjedoch gleichsam adressiert Auch dies kann hier nicht weiter untersucht werden
72 GA 9473 GA 95 S 35174 GA 96 S 6275 GA 97 S 509
21
Insofern verschraumlnkt Heidegger das bdquohistorisch-technischeldquo zum Antagonis-
ten der bdquogeschichtlichen Besinnungldquo Es ist die Entwicklung einer historisch-
geschichtlichen Differenz unter dem Zeichen der Besinnung gegen die techni-
sche Machenschaft ndash es geht um zwei unterschiedliche Wissenssysteme76 In den
Schwarzen Heftenwird Technikmeistens als eine Seite der Muumlnze mit der anderen
der Historie genannt Sie haumltten eine schon angedeutete dualistische Dynamik
Wo beide Historie und Technik in solcher scheinbaren Gegensaumltzlichkeitverkoppelt sind koumlnnen sie sich zur Foumlrderung dessen zusammenschlieszligenwas einstmals wesentliche die Geschichte des Menschen mitbegruumlndet undwas wir die Kunstlsquo nennen Die Historie verschafft [] Anregungen undVorbilder der Nachahmung die Technik erleichtert [] die Zustellung vonDarstellungsmitteln und Wirkungsformen [] Gleichwohl ist alles wurzel-los [] berechnet und als Erlebnislsquo ausgegeben77
Diese vermeintliche Gefahr muumlnde als bdquoZuumlgellosigkeit des Historismusldquolsquo in der
bdquoBodenlosigkeit [] (das Judentum)ldquo78 Heideggers Mythos ist hier dieser bdquoWir
muumlssen zuvor geschichtlich sein [] Ohne diese uumlberlieferung verfaumlllt alles der
historisch-technischen Machenschaftldquo79
Heidegger mythologisiert uumlber den bdquoAuftrag des Deutschenldquo80 will in bdquoge-
schichtlicher Besinnung sehr weit zuruumlckgehen ndash auf den Zusammenhang von
τέχνη ἀλήθεια und οὐσίαldquo81 um Technik auf ihr Wesen im antiken Ursprung
zuruumlckzufuumlhren bdquoDie techne hat [] den Sieg uumlber die [] aletheia errungenldquo82
Heidegger will sie zuruumlckgewinnen Er will der Technik aus dem bdquoEreignisldquo83
wieder uumlbermaumlchtig werden und sieht das bdquoWesen des Vaterlandesldquo84 im Abend-
land Dabei ist es ihm unentbehrlich zu wissen bdquodaszlig das Griechentum [] und
76 Heideggers noch immer vorhande Rezeption in Puncto seiner Technikphilosophie erstauntdamit dass sein Prinzip der aletheiologischen Besinnung als alternatives Wissenssystem undTechnikkritik ob der eigenwilligen Konstruktion den Entwicklungen der Zeit standhaumllt
77 GA 95 S 21278 GA 95 S 9779 GA 96 S 10480 GA 94 S 6681 GA 94 S 35782 GA 95 S 13283 Ebd84 GA 96 S 52
22
nicht das Roumlmertum der Grund der Geschichte des Abendlandes istldquo85 Sein My-
thos von Heimat verknuumlpft sich uumlber Dichtung und Ereignis zu einem fuumlr die
Technikphilosophie essentiellen Bezugs-Topos
Wir brauchen keine Technik [] Das Wesen des Vaterlandes ist das Abend-land In ihm werden die Deutschen erst deutsch und erkennen die Muttervon Allem die unversehrte Erde [] Die Wahrheit erfahren wir im Ge-daumlchtnis Das Gedaumlchtnis ist die Dichtung Die Dichtung sagen der Denkerund Saumlnger in ihrem Gespraumlch Dieses Gespraumlch erst ereignet dichterisch dieDichtung in die Sprache (die Dichtung das Ereignis und das Ereignis dasAbendland) [] Wohnt in seiner Sprache [] seyd dem Seyn im Seyn Soist Sein das Seyn86
Eine weitere mythologische Form haben seine Fuumlgungen von Jahreszahlen
womit er bereits in den Bereich des Okkulten Mystischen abzurutschen droht
Houmllderlin wurde [] 1770 geboren [] 1870 aber Lenin Waumlhrend der []Lebenszeit Houmllderlins vollzogen sich die entscheidenden technischen Entde-ckungen und Erfindungen der neuzeitlichen Technik (1774ndash1806)87
Und ferner bdquo1807 Phaumlnomenologie des Geistes 1867 Das Kapital 1927 Sein
und Zeitldquo88
Als letzter Mythos sei hier sein Aufgriff der Spenglerschen Metapher des
Raubtiers89 aufgezeigt Uumlber weite Strecken philosophiert Heidegger uumlber das his-
torische Tier Das historische Tier muumlsse vernichtet werden die bdquodeutsche Zukunft
wirdlsquo nicht erst seinlsquo sie istlsquo schon seit Houmllderlin sie stifteteldquo90 Der Homo
faber ist fuumlr Heidegger das historisch-technische Tier qua der bdquoAngewiesenheit auf
das Tierhafte als Wesensgrundldquo91 Es fehle ihm was bdquodie Griechen als Anfangen-
deldquo mit der bdquoZugewiesenheit des Menschen zum Sein gewagt habenldquo92 wodurch
85 GA 96 S 20586 GA 97 S 52f Hierbei handelt es sich um eine Nachkriegsnotiz Heidegger aumlnderte den die
Adressierung in eine direkte Ansprache richtet sich an seine imaginierte Volksgemeinschaft87 GA 96 S 17488 GA 97 S 131 Womoumlglich ist es eine Uumlbung per Jahreszahlen das Aletheia-Prinzip zu prakti-
zieren eine Kontemplationshilfe Andererseits koumlnnte er auch der Regelmaumlszligigkeit der Zah-lenfolgen eine uumlbernatuumlrliche bdquoWahrheitldquo beimessen Dies bleibt an dieser Stelle unerforscht
89 VGl Spengler Oswald Der Mensch und die Technik Muumlnchen 1931 S 1090 GA 95 S 19791 GA 95 S 32092 GA 95 S 321
23
er den bdquoGoumlttern unertraumlglich gewordenldquo93 waumlre Das bdquoRaubtierldquo dem gegenuumlber
bdquoist die Urform des Heldenlsquoldquo94 Dann behauptet Heidegger dass das Raubtier das
historisch-technische Tier durch Anwendung seiner eigenen Waffen schlagen koumlnn-
te Es ist dabei die bdquoUumlberwindung der Metaphysikldquo mitgedacht die erfolge sobald
sich das metaphysische Fragen durch den Wille zum Willen verfestigt95 Auch
Spengler dachte an dieses Derivat des Nietzsche Topos vomWillen zur Macht das
er seiner antropomorphen Chimaumlre vom Raubtiermenschen eingibt Wieder ist
von der Gewalt die Rede die ein Tabula rasa schaffen sollte zur Wiederauferste-
hung des griechisch-abendlaumlndischen Anfangs in Deutschland bdquoDas Raubtier aber
mit denMitteln der houmlchsten Technik ausgestattet ndash vollendet die Verwirklichung
der brutalitas des Seinsldquo96
Es scheint so als haumltte Heidegger auf jeden Begriff einen Gegenbegriff (selbst
zum historisch-technischen Tier das Raubtier)97 Aber es geht hier nicht um die
Analyse ausgewogener Formprinzipien oder die Kritisierung seiner linguistischen
philologischen Faumlhigkeiten Die Zitierung der Heideggerschen Mythologie soll
seine Verbindung von voumllkisch-nationaler und antisemitischer Haltung mit den
Bedingungen und Anspruumlchen seines Philosophierens aufzeigen Da die Schwar-
zen Hefte wie alle sonstigen Werke seines philosophischen Schaffens in der GA
erschienen sind muumlssen sie insofern als Teil derer gelten Das bedeutet dass sie
ausreichend Relevanz fuumlr die Arbeiten uumlber die Technik haben98
93 GA 95 S 23694 GA 95 S 39795 Vgl GA 7 Uumlberwindung der Metaphysik S 7896 GA 95 S 39797 Vgl Rudolph Heideggers Schwarze Hefte im Echo S 151 bdquoKeiner hat Nietzsche so konse-
quent und wahnwitzig zumNazi avant la lettre verformt wie Heidegger und keiner hat einenzuvor gewaltsam gefuumlgig gemachten Nietzsche so konsequent instrumentalisiert um damitdie vulgaumlr- nationalistische Dekadenz im Sandwich zu geiszligeln wie Heidegger Die Philolo-gie ndash auch die klassische ndash (Colli Cancik Montinari) hat Nietzsche inzwischen laumlngst mitnachhaltigem Erfolg rehabilitiert Wer jetzt noch einen roten Faden von Nietzsche zu Hitlerzieht hat nur noch Heidegger auf seiner Seiteldquo
98 Zum Abschluss dieses Kapitels sei hinzugesagt dass der Veranschlagung der Beispiele vonHeideggers Mythologie ein Exzerpt von 13 Seiten aus 1700 Seiten Text der vier Baumlnde derSchwarzen Hefte zugrunde liegt Beim Studium dieser fielen die staumlndigen Repetitionen derimmer gleichen Figuren und Metaphern auf Daraus wurde geschlossen dass es sich um eineMythologie handeln kann was ein weiteres Forschen bestaumltigte Die hier zitierten Stellensind Topoi die sich in Huumllle und Fuumllle in jedem der vier Baumlnde finden lassen was ihrenmythischen Charakter unterstreicht Die Auswahl versucht ein besonders charakteristischesBild wiederzugeben
24
3 Heideggers mythopoetische
Technik
War Heidegger von seinem neuen Anfang nur zu traumlumen vergoumlnnt so gelang
ihm selbst aber die Wiederauferstehung aus der Asche des ZweitenWeltkriegs mit
der Vortragsreihe in Bremen (1949) uumlber die Technik Der Phoumlnix erweist sich
mittlerweile als Ikarus Anstatt sich selbst zu revidieren fordert Heidegger eine
Kehre ein die auf sein Programm der geschichtlichen Besinnung zum Ursprung ab-
zielt Rezipienten seiner Technikphilosophie taten zumeist seine voumllkischen und
nationalsozialistischen Verstrickungen mit der Niederlegung des Rektorats ab99
Sie glaubten an einen inneren Wandel Heideggers eine Laumluterung und sogar an
seinen geistigen Widerstand uumlber die Naziherrschaft hinweg100 Heute ist erwie-
sen wie Heidegger es aus seinem posthumen Gestaumlndnis in die Welt lecken laumlsst
dass er auf seine private Weise eine Form Nationalsozialismus hegte der die NS-
DAP und Hitler zwar als Vulgaumlrnazis kulturell degradierte aber sich selbst als
Denker-Nazi gerierte
Wie damit umzugehen ist steht aktuell in der Verhandlung Wie Rudolph es
behauptet stuumlnden die Heideggerianer bdquonun mit wertlosen Aktienldquo101 da Der
Kommunikationswissenschaftler Christian Fuchs sieht den Antisemitismus den
die Schwarzen Hefte zutage treten lassen als Notwendigkeit einer rigorosen Ver-
bannung Heideggers aus der technikphilosophischen Theorie102
99 Vgl Luckner Andreas Heidegger und das Denken der Technik Bielefeld 2008 S 64-69100 Vgl Babich Babette Nietzsche Heideggers Widerstand In Alfred Denker u Holger Zabo-
rowski (Hg) Heidegger-Jahrbuch 5 Heidegger und der Nationalsozialismus II Interpreta-tionen S 397-416
101 Rudolph Heideggers Schwarze Hefte im Echo S 146102 Vgl Fuchs Christian Martin-Heideggerrsquos anti-Semitism Philosophy of technology and the
media in the light of the ldquoBlack Notebooksldquo Implications for the reception of Heidegger inmedia and communication studies In tripleC Communication Capitalism amp Critique 13(1) (2015) S 55-78 hier S 74 Anstatt dessen pocht Fuchs auf die alternative Verwendungder Kritischen Theorie uumlber Fragestellungen zur Technik
25
It seems to me that Heideggerrsquos fetishism is often lrsquoart pour lrsquoart Heideg-ger pour Heidegger a tactic that aims at creating an aura of complexity byevoking Heidegger although the same content could be expressed withouthim103
Fuumlr Trawny waumlre dies ein bdquoperformativer Widerspruch [] stets daran zu erin-
nern Heidegger vergessen zu sollenldquo104 Quo vadis Heidegger
Die objektive Antwort Rudolphs der an den Commonsense und die Beweis-
last der Anklage glaubt wie auch der subjektive Appell Fuchs der es zur mora-
lischen Entscheidung des Einzelnen macht Heidegger zu vernachlaumlssigen setzen
aktuell die Jahrzehnte alte Tradition der Heidegger-Kontroverse fort Ein im Sep-
tember 2016 erscheinender Sammelband wird zusaumltzlich die Debatte mit neuen
Bewertungen anreichern105
In diesem Kapitel soll es nicht um die direkte Einreihung in eine der bestehen-
den Polemiken gehen sondern um den Versuch der Betrachtung der spaumlten Tech-
nikphilosophie Heideggers als mythopoetische Dichtung in seinem Sinne des
Philosophierens Als exemplarisches Werk ruumlckt damit das Vortrags-Geviert der
Bremer Vortraumlge ins Zentrum der Anschauung106 Hier wird davon ausgegangen
103 Ebd S 73104 Trawny Heidegger und der Mythos der juumldischen Weltverschwoumlrung S 141105 Heinz Marion und Kellerer Sidonie (Hg) Martin Heideggers raquoSchwarze Heftelaquo Eine
philosophisch-politische Debatte Berlin 2016 (im Druck) Aus dem Klappentext diesesTitelsbdquoOffene antisemitische Aumluszligerungen in diesen Denktagebuumlchern haben in der nichtakade-
mischen Oumlffentlichkeit fuumlr Empoumlrung gesorgt Die entscheidende Frage ist jedoch welcheVeraumlnderungen der Perspektive auf Heideggers Denken insgesamt sich dadurch ergebenund ob damit zugleich eine Neubewertung des Gesamtwerks eines der einflussreichstenPhilosophen des 20 Jahrhunderts noumltig istldquoEine der Herausgeberinnen des Bandes Sidonie Kellerer ist zudem an einem anlaufenden
fuumlnf jaumlhrigen Forschungsprojekt an der Universitaumlt Stuttgart im Rahmen des StuttgartResearch Centre for Text Studies beteiligt Heidegger und die Postmoderne Geschichteeiner Irrefuumlhrungiquest Sie und der Stuttgarter Literaturwissenschaftler Claus Zittel werden Hei-deggers ideologische Verstrickungen in den Nationalsozialismus untersuchen die textlichrekonstruierbar aber nachtraumlglich geklittet worden waumlren bdquoSo konnte die Wissenschaft-lerin Dr Sidonie Kellerer anhand des Vortrages Die Zeit des Weltbildeslsquo erstmals 1950veroumlffentlicht [sic] dass zahlreiche Passagen nachtraumlglich so modifiziert wurden dass dieurspruumlngliche Apologie des Nationalsozialismus nunmehr als Kritik am Regime gedeutetwerden konnte Die 2014 erschienenen Schwarzen Heftersquo mit persoumlnlichen AufzeichnungenHeideggers bestaumltigen zudem wie tief verankert in seiner Philosophie Rassismus undNationalsozialismus waren und bliebenldquo(httpwwwuni-stuttgartdehkompresseservicepressemitteilungen201567_kellererhtmlzuletzt abgerufen am 1442016)
106 Von einer umfassenderen Analyse der Schriften Heideggers zur Technik muss aus Platzgruumln-den abgesehen werden Die Voumlrtraumlge vom Ge-stell der Technik der Kehre und dem Dingsind vor allem wegen ihres Publikationszeitraums interessant da sie direkt an die Dokumen-
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dass Heidegger den Versuch der abgrenzungspolitischen Einflussnahmemacht ge-
maumlszlig der oben dargelegten Ressentiments die sich in einer Mythologisierung des
Abendlandes niederschlagen Um seinem Ideal des dichtenden Denkens als Philo-
sophieren nachzukommen will Heidegger diese Einschreibung des Abendlandes
mythopoetisch vollfuumlhren
Grundsaumltzlich ist Verbindung und Trennung Heideggers boumlser Schwarzer Hef-
te mit und von seiner guten Technikphilosophie das Schlachtfeld aktueller De-
batten Wie bereits darauf hingewiesen werden hier Schwarze Hefte und Veroumlf-
fentlichungen wie eben in Form der Bremer Vortraumlge als ein kontinuierlicher
Arbeitsprozess gesehen Es gibt insofern nur einen Heidegger und keine gespal-
tene Persoumlnlichkeit Die Siegener Philosophin Sodonie Kellerer stellt dies anhand
Heideggers Selbstsicht luzide dar
Seine immer wiederkehrende Beschwoumlrung des Werkeslsquo und seine an diver-sen Stellen der bislang vorliegenden Briefkorrespondenz artikulierten Be-muumlhungen dieses Werklsquo fuumlr die Nachwelt zu sichern [Kellerer bezieht sichhier ua auf Heideggers Briefwechsel mit seiner Frau der 2007 veroumlffentlichtwurde DS] verdeutlichen wie sehr er seine Texte als ein Ganzes verstandin dem keines der Teile entbehrliche Wiederholung geschweige denn irrele-vante Eroumlrterung ist107
Dabei allerdings wird die Frage offen bleiben mit welchem Maszlig er sich selbst ge-
faumlhrdet sah seine Ansichten oumlffentlich zu vertreten und welche Konsequenzen er
dabei fuumlrchtete Denn er musste die Vortraumlge kodieren ndash was er im Sinne der My-
thopoetik auch macht ndash und mit Einigem hinterm Berg halten108 Dass es dabei
verschiedene Offenbarungsebenen gibt wird hier erst einmal hingenommen Es
interessieren staumlrker nachweisbare Bezuumlge des Entwurfsdenkens Heideggers zur
Oumlffentlichkeitsarbeit von ihm109
te der Schwarzen Hefte anschlieszligen (1948 der letzte Band der Schwarzen Hefte umfasst denZeitraum 1942-1948)
107 Kellerer Sidonie Kampf der Besinnung In Deutsche Zeitschrift fuumlr Philosophie Band 63Heft 5 Seiten 941ndash957 hier S 942
108 Weshalb die Veroumlffentlichung der Schwarzen Hefte auch weitestmoumlglich nach hinten verlegtwurde
109 Wuumlrde man dem entgegenhalten dass Heideggers vermeintliches Genie aus Formalisierun-gen seiner Gedanken ableitbar eine wichtige Quelle an sich bliebe scheitert dieses damitdass nun die Formalisierungen nicht personenneutral sozial-epistemologisch bestehen koumln-nen Als Vergleich wuumlrde man aus Hitlers und Goumlbbels Reden Formalisierungen isolierenlieszlige sich bestimmt die eine oder andere plausible Idee entwenden (wenn sie voumlllig dekon-
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Hierzu wird der Text der gesamten vier Vortraumlge unter dem Titel Einblick
in das was ist Bremer Vortraumlge 1949lsquo110 aus dem 1994 veroumlffentlichten 79 Band
der GA zugrunde gelegt Das hat den Grund dass davon ausgegangen wird dass
der Text somit am naumlchsten an den 1949 tatsaumlchlich vorgetragenen Manuskripten
liegt Insofern ist eine realistische Annaumlherung an eine mythopoetische Uumlbertra-
gung der Schwarzen Hefte in die Bremer Vortraumlge 1949 das Ziel Demgegenuumlber
gibt es ob der virulenten Publikationspraxis von Heideggers Schriften111 noch
andere Auskopplungen der vier Vortraumlgsteile mit den Titeln Das Dinglsquo Das Ge-
Stelllsquo Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo
31 Zur Publikationsgeschichte von den
Bremer Vortraumlgen 1949
Zuerst erschien 1954 im Neske-Verlag (Pfullingen) ein Sammelband der lediglich
den ersten Vortrag Das Dinglsquo enthaumllt allerdings in leicht erweiterter Fassung
so wie er ein halbes Jahr nach dem Bremer Auftritt in Muumlnchen (1950) an der
Akademie der Schoumlnen Kuumlnste gehalten wurde112 Dem Band hinzugefuumlgt ist aber
zudem ein Vortrag der vornehmlich die Kernaussagen von Das Ge-Stelllsquo und
Die Gefahrlsquo verbindet allerdings in modifizierter Form Dieser wurde unter dem
textualisiert wuumlrde) Ist aber die wahre Verbindung zu Hitler und Goumlbbels hergestellt hatman selbstverstaumldlich die Verantwortung zu tragen an dem ganzen Tross von unmoumlglichenVerfehlungen dieser Menschen die sie fuumlr uns zu Personae non gratae stempeln muumlssen
110 GA 79111 Hierauf macht auch der Darmstaumldter Philosoph Gernot Boumlhme aufmerksam als Akt ei-
ner bdquoposthumen Selbstinszenierungldquo in Boumlhme Gernot Selbstinszenierung uumlber Ruhmin der Philosophie In Information Philosophie (Online Ausgabe 12015) URL=lthttpwwwinformation-philosophiedea=1ampt=8232ampn=2ampy=5ampc=29gt zuletzt ab-gerufen am 2442016)
112 Heidegger Martin Das Ding In Ders Vortraumlge und Aufsaumltze Pfullingen 1954 S 163ff
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Titel Die Frage nach der Techniklsquo113 am 18 November 1953 an der TUMuumlnchen
gehalten
Eine weitere Auskopplung diesmal des letzten Vortragsteils Die Kehrelsquo fin-
det sich in einem broschuumlrenformatigen Band wiederum im Zusammenspiel mit
dem Vortrag Die Frage nach der Techniklsquo in Die Technik und die Kehrelsquo114 von
1962 wieder Somit wurden die Vortraumlge Das Ge-Stelllsquo und Die Gefahrlsquo lange
Zeit nicht veroumlffentlicht sondern als vermischter und modifizierter Text eben
Die Frage nach der Techniklsquo jeweils zusammen mit Das Dinglsquo (1954) und Die
Kehrelsquo (1962) angeboten115 In der Vorbemerkung zu Die Technik und die Keh-
relsquo wird diese kleine Chronologie leicht verfaumllscht auch aufgezeigt Darin heiszligt
es ferner dass Die Frage nach der Techniklsquo eine erweiterte Fassung von Das Ge-
Stelllsquo waumlre Dem ist wie schon gesagt nicht so Sondern es ist eine modifizierte
Vermischung von Das Ge-Stelllsquo und Die Gefahrlsquo was unschwer zB am Begriff
vom bdquoHer-vor-bringenldquo116 zu erkennen ist der in Die Gefahrlsquo eingefuumlhrt wird
und in Die Frage nach der Techniklsquo die gleiche Bedeutungskonstituente bildet
Mit der Veroumlffentlichung des 79 Bandes der GA 1994 wurden alle vier Bremer
Vortraumlge von 1949 publiziert In Band 11 der GA erschien 2006 auszligerdem Die
Kehrelsquo in ihrer urspruumlnglichen Fassung Die Frage nach der Techniklsquo enthaumllt
weniger mythopoetische Teile als Das Dinglsquo und operiert demgegenuumlber staumlrker
anhand klassisch philosophischer Allgemeinplaumltze Derer sind vor allem zu nen-
113 Heidegger Martin Die Frage nach der Technik In Ders Vortraumlge und Aufsaumltze Pfullingen1954 S 9ff (Der Aufsatz erschien ebenfalls 1954 im Sammelband der Vortragsreihe DieKuumlnste im technischen Zeitalter Heidegger Martin Die Frage nach der Technik In DieKuumlnste im technischen Zeitalter Dritte Folge des Jahrbuchs Gestalt und Gedanke Hg v dBayrischen Akademie der Schoumlnen Kuumlnste Muumlnchen 1954 S 70ff)
114 Heidegger Martin Die Technik und die Kehre Pfullingen 1962115 Beide Baumlnde Votraumlge und Aufsaumltzersquo sowie Die Technik und die Kehrersquo haben hohe Aufla-
genzahlen (Uumlbersetzungen wurden hier nicht recherchiert wobei es aber eine internationa-le Heidegger-Rezeption gibt) 1993 wurde der Pfullinger Neske-Verlag von dem StuttgarterHaus Klett-Cotta uumlbernommen was die Buumlcher aber unveraumlndert belaumlsst Vortraumlge und Auf-saumltzelsquo zaumlhlt seit 2009 die 11 Auflage Die Technik und die Kehrelsquo seit 2014 die 13 BeideBaumlnde sind vergriffen Es mutet unverstaumlndig an weshalb eine fehlerhafte Jahresangabe ausder ersten Veroumlffentlichung von Die Technik und die Kehrelsquo bis 2014 kolportiert wurdeDort steht der Vortrag Die Frage nach der Techniklsquo waumlre am 18 November 1955 gehaltenworden Der Vortragstermin war aber am 18 November 1953
116 Vgl GA 79 S 64 Und Heidegger Die Technik und die Kehre S 11
29
nen die Auflistung der bdquovier Ursachenldquo117 nach Aristoteles und die Kritik an der
Technik als bdquoein Mittel zu Zweckenldquo118 (Kausalitaumlt)119
Der Vortrag Das Dinglsquo galt Heidegger bei der Darbietung seiner Technikphi-
losophie nach dem Zweiten Weltkrieg allerdings als unentbehrlich ndash und damit
seine groszligflaumlchige Aufblaumltterung der Mythopoetik wie im folgenden Kapitel hier
gezeigt wird Denn im Vortrag Die Frage nach der Techniklsquo benutzt Heideg-
ger noch immer seinen mythopoetischen Topos vom Versammeln des Gebirges
der mit dem Versammeln eine Konstituente des Gevierts ist (bdquoErde und Himmel
die Goumlttlichen und die Sterblichenldquo120) (su)121 Fuumlr die Kaumlufer und Leser von
der spaumlteren Veroumlffentlichung Die Technik und die Kehrelsquo wird zudem in Die
Kehrelsquo extra auf den Vortrag Das Dinglsquo in der 1954er Ausgabe in Vortraumlge und
Aufsaumltzelsquo verwiesen122 Das zeigt wie wichtig und unerlaumlsslich Heidegger seine
mythopoetische Denkweise der Technik ist Auch wenn er in Die Frage nach der
Techniklsquo einen allgemeineren und offeneren Ansatz entwickelt hat der dadurch
auch leichter zu erschlieszligen ist
32 Die mythopoetische Spiegelung der Schwarzen
Hefte in den Bremer Vortraumlgen von 1949
321 Das Dinglsquo
In dem Vortrag Das Dinglsquo der 1949 vor dem privaten Club zu Bremen dort im
Neuen Rathaus das Vortragsquartett einleitete fuumlgt Heidegger mythopoetisch
zusammen was folgenden Topoi seiner Schwarzen Hefte aus Kap 221 entspricht
117 Heidegger Die Technik und die Kehre S 6118 Ebd S 6119 Diese Topoi versucht Heidegger in dem Text zu zersetzen und ihnen ein aletheisches Prin-
zip des Entbergens der Technik entgegenzusetzen Dies erfolgt wiederum auch anhand derVerwendung von mythopoetischen Teilen Darauf kann hier aber nicht weiter eingegangenwerdenAls weitere Gemeinsplaumltze (die er teils unterstuumltzend teils zur Zersetzung einfuumlgt) handelt
der Text auch mit Zitaten von Platon Heisenberg J P Hebel und Goethe120 Ebd S 12121 Vgl GA 79 S 11 Und Heidegger Die Technik und die Kehre S 19122 Vgl Heidegger Die Technik und die Kehre S 42f
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1 die antirationale Wissenschaftsfeindlichkeit 2 der Mythos des Goumlttlichen 3
das Griechentum uumlber dem Roumlmertum 4 die Zahlenmystik (anhand des Spiegel-
Spiels des Gevierts ndash su) 5 das geschichtsbesinnliche Prinzip der Aletheia
Heidegger stellt zuerst die Frage nach dem Ding und will sie daraufhin ver-
anschaulichen mittels der Metapher des Kruges dh mit dem Krug als ein exem-
plarisches Ding Er fuumlhrt dann vor (was der Geste eines Zauberkuumlnstlers aumlhnelt)
wie der leere Krug gefuumlllt wird ndash Luft weicht der Fluumlssigkeit Dieses Sachverhaumllt-
nis aber ist fuumlr ihn Halbpoesie und eine Angabe aus der Physik sie verfehle das
vermeintliche Wesen des Kruges
Die Wissenschaft stellt durch sie [die Angabe der Physik DS] etwas Wirk-liches vor wonach sie sich objektiv richtet Aber ndash ist dieses Wirkliche derKrug Nein DieWissenschaft trifft immer nur auf das was ihre Art des Vor-stellens im vorhinein als den fuumlr sie moumlglichen Gegenstand zugelassen hat[] Die Wissenschaft macht das Krug-Ding zu etwas Nichtigem insofernsie Dinge nicht als das Maszliggebende zulaumlszligt123
Als ein wirkmaumlchtiges Beispiel das ihm sicherlich viel Beachtung uumlber die
Jahrzehnte seit ihrer Zuumlndung in Japan hinweg einbrachte fuumlhrt Heidegger die
Atombombe an Diese sei zu verstehen als verdinglichte Wissenschaft die das
Ding vernichten wuumlrde
Deren Explosion ist nur die groumlbste aller groben Bestaumltigungen der langherschon geschehenen Vernichtung des Dinges dessen daszlig das Ding als Dingnichtig bleibt124
Er buumlndelt damit Wissenschaft und Verkennung des Wesens als maszliggebend mit
dem Ding als sein machenschaftliches Prinzip der zerrechnenden Zerstoumlrung Drei
Jahre nach Kriegsende war der buumlrgerlich-elitaumlre Kreis in Bremen sicherlich be-
wegt von dieser Wortgewalt Diese jedoch suchte ja ihr Heim Harmonie Ruhe
in dem Haus als Wesen der Sprache
Und so faumlhrt Heidegger fort und ersetzt das physikalische Prinzip des Inhalts-
wechsels von Luft zu Wein in ein bdquoGeschenk des Gussesldquo als Spende und Opfer
den Goumlttern (2)125
123 GA 79 S 8124 Ebd S 9125 Vgl Ebd S 11f
31
Der Guszlig ist der den unsterblichen Goumlttern gespendete Trank [] Der ge-weihte Trank ist das was das Wort Guszliglsquo eigentlich nennt Spende und Op-fer Guszliglsquo gieszligenlsquo lautet griechisch χέειν indogermanisch ghu Das bedeu-tet opfern
Hier spielt bereits der Ursprungsmythos der Griechenmit ein (3) es ist aber auch
ein Bezug auf das Geviert Dieses waumlre ein System ein zusammen Gestelltes aus
bdquoErde und Himmel die Goumlttlichen und die Sterblichenldquo126 Im Guszlig des Trunkes
weilten gemeinsam diese Vier als emblematische Verbindung
Das im Geschenk Versammelte sammelt sich selbst darin das Geviert ereig-net zu verweilen Dieses vielfaumlltig einfache Versammeln ist das Wesen desKruges Unsere Sprache nennt was Versammlung ist in einem alten WortDies lautet thing127
Das Geviert zehrt von der Zahlenmystik zum einen als die Versammlung der
vier Begriffe an sich zum anderen da Heidegger ihnen eine Spiegel-Funktion
zuschreibt bdquoJedes der Vier spiegelt in seiner Weise das Wesen der uumlbrigen wie-
derldquo128 und ferner weil er damit auf sich selbst dh auf sein Vortrags-Geviert
verweist (4) Wie in Kap 21 schon gesagt lebt der Mythos von seiner Verbind-
lichkeit Diese legt Heidegger allen nah die sie verinnerlichen wollen bdquoSagen wir
die Sterblichen dann denken wir falls wir denken die anderen Drei mit aus der
Einfalt der Vierldquo129
Sollte der Vollzug der Praxis des sukzessiven Mitdenkens aller vier Geviert-
Entitaumlten gelingen koumlnnte das Ereignis der Aletheia begriffen werden (5) bdquoDas
Spiegel-Spiel von Welt ist der Reigen des Ereignensldquo130 Diese wird aber auch be-
griffen in Abgrenzung von dem Roumlmertum (3) denn in der bdquorealitas der resldquo
haumltten die Roumlmer bdquoihr Erfahrenes niemals eigens in seinem Wesen gedachtldquo131
Das waumlre den Griechen vorzubehalten und vom verstaumlndig denkenden Deutschen
wiederzubeleben
126 Ebd S 12127 Ebd S 13128 Ebd S 18129 Ebd130 Ebd S 19131 Ebd S 15
32
Der Krug ist ein Ding weder im Sinne der roumlmisch gemeinten res noch imSinne des mittelalterlich vorgestellten ens noch gar im Sinne des neuzeitlichvorgestellten Gegenstandes [] Der Krug ist Ding insofern er dingt132
Die Bindung an das deutsche Wort bdquoDingldquo das er spielerisch auch ins Englische
Romanische und Franzoumlsische uumlbersetzt ist unerlaumlsslich fuumlr seine ethymologi-
sche Argumentation In der ist der bdquoGuszligldquo ruumlckgefuumlhrt auf indogermanisch bdquoghuldquo
und das bdquoDingldquo auf das mittelhochdeutsche bdquothingldquo So konnten antik die Roumlmer
von den Griechen abgrenzt werden und modern die anderen drei Sprachen vom
Deutschen Das englische sich sehr nah am bdquothingldquo befindliche bdquothingldquo wird mit
dem Roumlmischen ausgespielt
Im Englischen hat thing noch die erfuumlllte Nennkraft des roumlmischen Wor-tes res bewahrt [] dh ein aus sich kommendes den Menschen Angehen-des133
Fuumlr Heidegger geht es beim bdquothingldquo aber um die mittelhochdeutsche Uumlbersetzung
der Versammlung Darauf beruht sein gesamter Systemansatz mit Geviert und
Ge-stell
Schulz-Nieswandt fuumlhrt diese Zusammenstellung zum Bejubeln von Heideg-
gers Mythopoetik
So fundamental sieht Heidegger die Welt Die Quelle des Wassers wird zurHochzeit von Himmel und Erde das Gieszligen des Wassers aus dem Krugzum Geschenk Auch Sprache ist daher kein Instrument sondern Ort desWohnens des Menschen Sprache wird zum Haus des Seinslsquo134
Hier bestaumltigt die Untersuchung des Ding-Vortrags die These von einer mytho-
poetischen Einschreibung der nationalistischen voumllkischen Abgrenzungs-Mythologie
aus den Schwarzen Heften
322 Das Ge-Stelllsquo
Der zweite Vortrag des Reden-Gevierts setzt ein mit der Metapher des fehlen-
den Abstands Wo kein Abstand sei da waumlre auch keine Naumlhe so Heidegger Er
132 Ebd S 16133 Ebd S 14134 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei Walter
F Otto S 59
33
verbindet die Abstandslosigkeit mit Urbanitaumlt und Verkehr alles fluktuiere Es
waumlre der Bestand der sich bestelle in dem das Abstandlose herrsche Das sind
neue Metaphern fuumlr die Machenschaft In seiner Erzaumlhlung vom Ge-Stell gibt es
bedeutend weniger mythopoetische Passagen als in dem vorangegangenen Vor-
trag Allerdings uumlbertraumlgt er den mythopoetischen Gehalt der Rede vom Ding
bereits im ersten Absatz von Das Ge-Stelllsquo mit dem Credo bdquoNaumlhe west insofern
das Ding dingtldquo135 Mit dieser Verbindung wird klar unter welchem Zeichen Hei-
degger die Rede vom Ge-Stell verstanden wissen will ndash als verlorenes Verhaumlltnis
des voumllkisch-traditionell verwurzelten Menschen mit den vermeintlichen Wesen
all seiner Gebrauchsobjekte in der mythopoetischen Formel des sich spiegelnden
Gevierts
Nahezu nuumlchtern erzaumlhlt Heidegger dann von dem Gefaumlngnis des Menschen
im Wesen der zirkulierenden sich immer neu bestellenden Bestandstechnik des
Ge-Stells Dabei scheinen folgende Mythen aus den Schwarzen Heften hindurch ndash
1 bdquoHistorie die Technik der Geschichtelsquo Technik die Historie der Naturlsquoldquo136
2 das historische Tier 3 der Appell an den Auftrag des Deutschen 4 der geschicht-
liche Mensch muss die Historie und damit die Technik uumlberwinden und 5 die
alles zernichtende Machenschaft des juumldischen Wesens
Den Topos der seinsvergessenen Groszligstadt jedenfalls kontrastiert er mit der
Bauerndorfidylle Da aber bdquodas Abstandlose herrschtldquo137 waumlre das Vorruumlcken der
Maschinentechnik bereits universell So in Form des Traktors Schon in Band
96 der Schwarzen Hefte beklagt er dieses bdquozum elektrischen Pflug [] gehoumlrt
das amerikanisch aufgemachte Magazinlsquoldquo Insofern erfolge die bdquoAngleichung der
Sitten der Bergbewohner an diejenigen des groszligstaumldtischen Sport- und Barbe-
triebsldquo138
Sein erster Land-Stadtvergleich betrifft den Bauern dessen Totenruhe tradi-
tionell in einem sg bdquoTotenbaumldquo (Sarg) stattgefunden haumltte ndash bdquoIn ihm gedeiht
der Tod des Totenldquo139 Dem gegenuumlber klingt in der bdquomotorisierten Bestattungs-
135 GA 79 S 24136 GA 95 S 351137 GA 79 S 24138 GA 96 S 54139 GA 79 S 26
34
industrie der Groszligstadtldquo140 bereits Heideggers pietaumltsloser Gaskammernvergleich
an
Ackerbau ist jetzt motorisierte Ernaumlhrungsindustrie im Wesen das Selbewie die Fabrikation von Leichen in Gaskammern und Vernichtungslagerndas Selbe wie die Blockade und Aushungerung von Laumlndern das Selbe wiedie Fabrikation von Wasserstoffbomben141
Hier wird davon ausgegangen dass es eine Uumlbertragung der Notizen uumlber
das deutsche Land als bdquoeinziges KZldquo ist die Unterdruumlckung des deutschen Vol-
kes durch die bdquoWeltdemokratieldquo die schlimmer sei als die Graumlueltaten der bdquoGas-
kammernlsquoldquo142 In die mythopoetische Formel von dem dingenden Ding aus dem
ersten Vortrag sind alle Valenzen eingeschrieben die es zur Aufgabe des abendlaumln-
dischen Deutschen (also als Nachfolger der alten Griechen) machen das Wesen
des Dings und somit der Technik zu huumlten Die Verantwortung fuumlr Genozid
Massenvernichtungswaffen und den Mangel im Nachkriegsdeutschland schreibt
Heidegger gleichfoumlrmig dem Prinzip der Abstandslosigkeit zu
Auch die Rede von der Habgier des Berechnenden ist ein bereits bekannter
Vorbehalt Heideggers anhand der Rede vom raffgierigen Juden Denn er sagt von
der bdquoHerrschaft des Abstandlosenldquo dass sie bdquodie Hab-gier des vorstellenden Be-
rechnensldquo waumlre143 Das entspricht seinem Mythos von der alles zernichtenden
Machenschaft des juumldischen Wesens144
Dann folgt eine lange Elegie uumlber das Bestellen des Bestands des Ge-Stells
bdquo[d]ie Kette des Bestellens laumluft auf nichts hinaus sie geht vielmehr nur in ihren
Kreisgang hineinldquo145 uumlber 19 Seiten des 21 seitigen Vortragsexts hinweg entwirft
Heidegger diverse Bilder wie das Ge-Stell die Natur das Hergestellte den Men-
schen und das Verstandesmaumlszligige vereinnahme und das Wesen desDings gleichsam
zur Veruntreuung bringen wuumlrde Wiederum poetisch orientiert kontrastiert also
140 Ebd141 Ebd S 27142 GA 97 S 99f143 Vgl GA 79 S 25144 Vgl Machenschaft hier S 29 und Geraff hier S 33145 GA 79 S 29
35
Heidegger Houmllderlins Hymne Der Rheinlsquo mit dem Rhein dessen Stroumlmung fuumlr
ein Stromkraftwerk genutzt wird
Achten wir um das Ungeheure das hier waltet zu ermessen nur auf einenAugenblick auf den Gegensatz der sich in den beiden Titeln ausspricht DerRhein verbaut in das Kraftwerk ndash der Rheinlsquo gesagt in der gleichnamigenHymne Houmllderlins146
Die Differenz also waumlre das Ungeheure147 Dabei waumlre der Rhein verbaut in das
Kraftwerk Aumlhnlich wie Kohle Erze und Rohoumll waumlren sie Bestand der bdquobesteht
im Bestellenldquo ndash bdquoDas Bestellen waumlre demnach lediglich eine Machenschaft des
Menschen vollzogen in der Weise der Ausbeutungldquo148
Das Bild des Wasserkraftwerks wird erweitert um den Begriff des Menschen
Elektrizitaumlt mit Wasserkraft erzeugen bdquokoumlnnen die Menschen [] nur insofern
sie selber schon in dieses Bestellen bestellt sindldquo149 Mit diesem Bild versucht Hei-
degger praktisch zu veranschaulichen dass Entwurf Umsetzung und Einsatz ei-
ner technischen Anlage den Menschen in ein entruumlcktes Verhaumlltnis zum Wesen
des dingenden Dings setze ndash bdquoDer Mensch ist darum der Angestellte des Bestel-
146 Ebd147 Das ist zusaumltzlich zu dem gemeinten Gegensatz ein Vergleich mit dem Heidegger dem Wort
bdquoRheinldquo in die Hymne Der Rheinlsquo gesprochen eine Energie erzeugende Wirkung zu-schreibt eben so wie das Kraftwerk Strom erzeugen wuumlrde Das wird klar dadurch dassHeidegger metaphorisch vom Stellen des Wortes bdquoRheinldquo in die Hymne spricht Es handeltsich um einen Appell zur denkerischen Besinnung Dass Heidegger dafuumlr eine technischeAnlage zur Veranschaulichung inspirierend wirken laumlsst spielt bereits in die Richtung derBegriffe bdquoHer-vor-bringenldquo bdquoEntbergenldquo und spielt auf das Alteheia-Prinzip an Darauf wirdweiter unten anhand Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo eingegangen werden Es handelt sich umdas Angebot eines mythopoetischen Umgangs mit Technik insbesondere wenn sie sich inheimische Gefilde einfuumlgtHeute koumlnnte man mit Windraumldern ebenso verfahren Somit koumlnnte aber auch Heidegger
als ein gewisser Quijana aus Mancha verstanden werden eben der Protagonist aus Miguel deCervantes Roman Don Quichote von der Manchalsquo der mit seinem von ihm flux auch um-benannten Klepper (weil er zuvor sich selbst in Don Quichote umtaufte) Rocinante Riesenbezwingen will um mit dieser Heldentat unsterblichen ritterlichen Ruhm zu erstreitenAuch Don Quichote fand seine Riesen in Windmuumlhlen und auch Don Quichote war uumlber
eine uumlbertriebene Auseinandersetzung mit einer verschuumltteten Kultur dieser verfallen undsuchte diese in seiner Aventuumlre zu reaktualisieren Martin Heideggers mythopoetisches Pro-gramm ist tatsaumlchlich stark mit Don Quichotes Motiv vergleichbarFerner waumlre eine Auseinandersetzung mit Heideggers Werk unter Beruumlcksichtigung sei-
ner Gewichtung der Vorsokratiker und Houmllderlin als mythopoetischen Autor eine moumlglicheForschung zum Thema Anachronismen in Konzepten von Moral und gesellschaftlicher An-gemessenheit (Vgl Cervantes Miguel de Don Quichote von der Mancha Herausgeben unduumlbersetzt v Susanne Lange Muumlnchen 2008 S 33f)
148 GA 79 S 29149 GA 79 S 30
36
lensldquo150 Schon vorher wies Heidegger darauf hin bdquo[d]ie Herrschaft des Gegen-
staumlndigen sichert nicht den Abstandldquo151 Jetzt heiszligt es
Das Bestellen befaumlllt nicht nur die Stoffe und Kraumlfte der Natur mit Gestel-lung Das Bestellen befaumlllt zugleich das Geschick des Menschen Das Wesendes Menschen wird daraufhin gestellt das Bestellen in menschlicher Weisemitzuvollziehen152
Der Begriff des Ge-Stells wird daraufhin so konstruiert dass es im Bestellen
um ein Stellen (Herausfordern) alles bdquoAnwesenden als Bestandldquo als bdquoversus unumldquo
gegen bdquodas Eine Ganzeldquo gehe153 In wiederum mythopoetischer Formulierung ge-
baumlre die bdquoVersammlung des Stellens worin alles Bestellbare in seinem Bestand
west das Ge-Stellldquo154 Der Begriff bdquoVersammlungldquo wird einen Absatz zuvor my-
thopoetisch wieder an die Versammlung also das thing eben das wesenhafteDing
angelehnt und somit wie zu Das Dinglsquo bereits oben erlaumlutert in einen deutsch-
abendlaumlndischen Kontext gestellt (3)
Wir nennen die Versammlung der Berge die von sich her einig und nienachtraumlglich schon gesammelt ist das Gebirge Wir nennen die Versamm-lung der Weisen nach denen uns so zumute ist und sein kann das Gemuumlt155
Allerdings ist obiges Versammlungsmodell hier als Kontrast zu sehen zu dem
bdquoGeraff des Getriebesldquo das das Ge-Stell darstellt als bdquoWesen der Technikldquo156 Hei-
degger sieht in der Gleichfoumlrmigkeit die zum Wesen des Technik als Ge-Stell
150 GA 79 S 30151 GA 79 S 25152 GA 79 S 31153 Vgl GA 79 S 32154 GA 79 S 32155 Ebd
Das Wort ldquoGemuumltrdquo hat ferner eine ausschlieszliglich deutsche Praumlgung gibt es doch keinedirekte Uumlbersetzungen Gemuumlth ist ferner ein nicht eindeutig umrissener Begriff (Vgl Kra-mer Cheryce A Foolrsquos Paradise The Psychiatry ofGemuumlth in a Biedermeier Asylum Chica-go 1998 S 19) Die Bedeutung im Deutschen selbst ist zudem sehr variabel hat aber zumeistmit Seelen- oder Geistkonzepten zu tun ndash Cheryce von Xylander (geb Kramer) uumlbersetztGemuumlth mit bdquosoul-organldquo (ebd S 43) das von diversen Autoren unterschiedlich konstru-riert wird (zB von Kant geistigkoumlrperlich und von Kleist individuellkollektiv (vgl ebdS 41)) In Heideggers emblematischem Duktus scheint eine Vermischung von allen vier Di-mensionen geistigkoumlrperlich wie auch individuellkollektiv stattzufinden Es ist auf jedenFall dem Mythos geschuldet den Auftrag des Deutschen anzunehmen (3)
156 GA 79 S 33
37
gehoumlre die planetarische Abloumlsung und Aufhebung des traditionellen und damit
wesenhaft ans Ding gebundenen Verhaumlltnisses vom Menschen zur Erde (das von
ihm idealisierte voumllkische Bauerntum das Bestellen des Ackers) bdquoDie Bestand-
Stuumlcke sind Stuumlck fuumlr Stuumlck die Gleichenldquo157 So kontrastiert er alte Handwerks-
techniken mit Maschinentechnik und schreibt der Maschinentechnik die machen-
schaftliche Verdraumlngung als Geraff zu
Das Ge-Stell hat auch wenn das nicht unmittelbar und nicht sogleich ver-nehmlich wird im vorhinein schon alle diejenigen Stellen beseitigt an denenvormals Spinnrad und Wassermuumlhle standen Das Ge-Stell bestellt durch sei-ne Maschinerie zum voraus eine andere Art und Ordnung von Stellen Andiesen kommt nur zu Stand was als Bestellbares auf der Stelle gleichfoumlrmigzur Stelle steht
Darum ist auch die Art wie die Maschine selbst etwas herstellt einewesentlich andere als das handwerkliche Tun gesetzt daszlig es innerhalb desGe-Stells uumlberhaupt noch so etwas wie ein Herstellen gibt
Die Traktoren und Kraftwagen werden herausgebracht ausgeworfen se-rienweise Stuumlck fuumlr Stuumlck Wo drauszligen steht dieses so Herausgestellte Wo-hin in welchen Stand ist es gebracht158
In dieser Klage uumlber den technischen Wandel der durch den Fortschritt in
alle Lebensbereiche Einzug haumllt versucht Heidegger zu veranschaulichen wel-
chen Verlust es zu erkennen gelte Ein Versuch diesem entgegen zu treten ist die
von ihm vorgetragene Mythopoetik die er in diesem Vortragsteil seines Vortrags-
Gevierts allerdings auffaumlllig zuruumlckgestellt sein laumlszligt War der Einleitungsteil Das
Dinglsquo schlieszliglich eine nahezu einzige mythopoetische Darbietung Dramatur-
gisch wird Heidegger in Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo die mythopoetischen For-
mulierung als Loumlsungswege wieder Bedeutung geben In Das Ge-Stelllsquo versucht
Heidegger hingegen Vorstellungen aus seinen Schwarzen Heften aumlhnlich der fol-
genden mitzuteilen die das Uniforme Gleichfoumlrmige betreffen
Die Macht der Machenschaft ndash die Vernichtung sogar der Gottlosigkeit dieVermenschung des Menschen in das Tier die Vernutzung der Erde die Ver-rechnung der Welt ndash ist in den Zustand der Endguumlltigkeit uumlbergegangenUnterschiede der Voumllker Staaten Kulturen sind nur noch Fassade159
157 GA 79 S 36158 GA 79 S 35159 GA 96 S 52f
38
Was Heidegger unter dieser Gleichfoumlrmigkeit versteht schreibt er in den Schwar-
zen Heften zumeist den Amerikanern zu Er nennt es auch haumlufig Planetarismus
Der Amerikanismus [ist DS] die Zusammenraffung von Allem welcheZusammenraffung immer zugleich die Entwurzelung des Gerafften bedeu-tet160
Der Planetarismus ist die historisch gedachte Bestimmung der uumlberall glei-chen die ganze Erde uumlberdeckenden Seinsverlassenheit des Seienden161
Die Gegenuumlberstellung von natuumlrlicher und traditioneller Handwerkstechnik
gegen maschinenhafte Gleichfoumlrmigkeit exemplifiziert Heidegger dann im Vor-
trag Das Ge-Stelllsquo vielfach wie zum Beispiel hier
Der Forstwart zB der im Wald das geschlagene Holz vermiszligt und demAnschein nach noch wie sein Groszligvater in der gleichen Weise die selbenWege geht ist heute von der Holzverwertungsindustrie gestellt Er ist ober es weiszlig oder nicht in seiner Weise Bestand-Stuumlck des Zellulosebestandesund dessen Bestellbarkeit fuumlr das Papier das den Zeitungen und illustrier-ten Magazinen zugestellt wird die uumlber die Oumlffentlichkeit daraufhin stellenverschlungen werden162
160 GA 96 S 257161 GA 96 S 261162 GA 79 S 37f
Die renommierte Theaterautorin Elfriede Jelinek karikiert in ihrem Stuumlck Totenaubergvon 1991 Heideggers Konstrukt von Heimat und Fortschrittsfeindlichkeit verbunden miteiner Auseinandersetzung mit dessen Liebschaft zu Hannah Arend Mit philologischer Prauml-zision polemisiert sie Teile aus Heideggers Elegie uumlber die Technik und laumlszligt ihn dabei alsbeschraumlnktes und eingezwaumlngtes Wesen in einem Gestell gefangen sein Aus diesem heraussoll er Arend Rede und Antwort stehen uumlber sein Verhaumlltnis zum Nationalsozialismus unddie Shoa Doch dieser redet nur naturtrunken von Heimat und berauscht sich daran Derprophetische Denker wird banalisert ndash diese Worte legt Jelinek ihm (im Stuumlck der alte Mann)in den MundbdquoDie Angst vor dem Fragen liegt uumlber dem Abendland Sie bannt die Kandidaten auf ein
Team-Leibchen verbannt sie auf altgewordene Wege und jagt sie zuruumlck ins morsch geworde-ne Gehaumluse ihrer Tore wo es um ihre Ausscheidungen geht Es wird ihnen alles weggenom-men werden auch der Weg selbst Keine Spur kein Lichtschein aus den Ritzen Aber ruf ichin die Huumltte um nach einem zu fragen den ich gekannt hab sehe ich grad noch eine Tuumlrsich schlieszligen Der Wald kommt nicht zur rechten Geltung alles ist entflohen was mir liebwar und woran ich geglaubt hab Was kommt ist noch nicht da Nichts war Ich habe nichtsgehoumlrt Ich erinnere mich nicht aber ich stelle dem Kommenden das mich den lupenreinenAmateur schon vor Beginn des Rennens erlahmen laumlszligt vorsorglich die Hausschuhe vor dieTuumlr Sie sind das Einzige was die Profis des Profits von mir dann vorfinden werden wennsie anklopfen Die Haumlrte des Urgesteins sollte sie nicht entmutigen Die Jahreszeiten machendie Landschaft auf und zu Ich sage nur In dieser scheinbaren Leere will ich vom Denkenmuumld nur schlafen Von der Huumltte aus lassen sich Wanderungen unternehmen Aber auchsonst wird Ihnen alles wie ich sagte genommen werden Auch Ihre Fotos und Namen Unddas Gewesene wird wesenlosldquo ( Jelinek Elfriede Totenauberg Hamburg 1991 S 86f)
39
Die Oumlffentlichkeit ist fuumlr Heidegger ein Topos der dem Denken und Besinnen
entgegenstuumlnde Somit meint er damit zum Einen die Medien wie er es anhand
der Rede von den Bestandstuumlcken in Das Ge-Stelllsquo erklaumlrt wo der Mensch als
Urheber des Ge-Stells als Wesen der Technik nicht gelten soll Vielmehr wuumlrde er
in Ratlosigkeit und Langeweile verfallen weil er in der Bestellung des Bestandes in
Form von Bestandstuumlcken vom Rundfunk keine Besinnung mehr faumlnde dh das
Ganze also wiederum daswesentliche Ding nicht mehr zu fassen vermoumlge163 Und
so toumlnt es bereits aus den Schwarzen Heften von 19391940()
Die Bildlsquo und Tonlsquo ndash Reportagenlsquo der Machenschaft ist der planetari-sche Mythuslsquo des Vollendungsabschnittes der Neuzeit Die Welt des abge-legensten deutschen Bauernhofes wird nicht mehr durch [] die Naturlsquobestimmt in der noch die Erde waltet sondern durch das illustrierte Blattmit der Darstellung von ausgezogenen Tanzweibern von Boxern und Renn-fahrern und sonstigen Heldenlsquo des Tages164
Und ferner notierte Heidegger 1946 in seinen Schwarzen Heften
Uumlberall zerrt es aus dem Oumlffentlichen ins Oumlffentliche mit vielen Strickenund jeder sieht das kaum versuchte Denken des Seyns am Leitband seinesStrickes165
Dabei waumlre eben ein bdquoLiterat [] ein in die Oumlffentlichkeit verliebter Mensch der
Angst vor dem Denker hatldquo166 Dieses liefe dann darauf hinaus dass beim Rund-
funk bdquoein Bestellen und Stellen waltet das in dasWesen des Menschen eingegriffen
hatldquo167
Abermals nach dem Wesen der Technik also nach dem Ge-Stell gefragt geht
Heidegger auf seine Unterscheidung vonNatur undNaturwissenschaft ein bdquo[w]elches
ist das Verhaumlltnis zwischen der Technik und der Naturldquo168 Natur wuumlrde in wis-
senschaftlicher Hinsicht unter das Berechnete fallen sie wuumlrde bdquoals das in Maszlig
und Zahl gestellte Wirkliche vorgestellt das in seinem Gewirkten staumlndig an-
westldquo169 Wenn Heidegger dann Natur aus technischer Sicht bdquoals ein System des
163 Vgl GA 79 S 38f164 GA 96 S 54165 GA 97 S 100166 GA 97 S 126167 GA 79 S 39168 GA 79 S 41169 Ebd
40
Bestellens von Erfolgen aus dem gestellten Wirksamenldquo170 charakterisiert spricht
er von seiner Rede der Verschraumlnkung von Historie und Technik ndash bdquoTechnik die
Historie der Naturldquolsquo171 Dieses ist bekanntlich das seinsvernichtende Gegenstuumlck
zur geschichtlichen Besinnung Denn geschichtliches Walten der Technik ist fuumlr
Heidegger technische Geschichte dh verwissenschaftlichte Geschichte die da-
durch ihr Wesen verloren haumltte (Seynsvergessenheit)172 So heiszligt es in den Schwar-
zen Heften von 1947
Ein Zeitalter das historisch geworden ist dh technisch planend sich selberberechnet und alles in diesen Sog zieht muszlig jede Besinnung nur als eine dervielen Formen der Intellektualitaumlt registrieren173
Heidegger schlieszligt den Vortrag mit dem Aufgriff der Anfangsbehauptung
bdquo[d]er Bestand bestellt das Abstandsloseldquo174 Somit liegt das Problem der ausblei-
benden Naumlhe durch die Technik deren Wesen das Ge-Stell waumlre das den Bestand
bestelle in der Luft Dass dabei der Mensch sogleich Teil des Bestandes und nicht
Teil der Maschine wird laumlsst ihn das historische Tier sein (2)
Der Mensch ist auswechselbar innerhalb des Bestellens von Bestand []Gleichwohl gehoumlrt der Mensch in einer voumlllig anderen Weise in das Ge-Stellals die Maschine DieseWeise kann unmenschlich werden DasUnmenschlicheist jedoch immer noch unmenschlich Der Mensch wird nie zur MaschineDas Unmenschliche und noch Menschentuumlmliche ist freilich unheimlicherweil boumlsartige und verhaumlngnisvoller denn der Mensch der nur Maschine wauml-re175
Wen Heidegger hier ersinnt ist der neuzeitliche Mensch der den bdquoGoumlttern uner-
traumlglich gewordenldquo176 waumlre
170 Ebd171 GA 95 S 351172 In Heidegger Die Technik und die Kehre S 21 stellt er Geschichte und Historie einander
gegenuumlber was er in Das Ge-Stelllsquo nicht vollzieht bdquoDie moderne Technik kam doch erst inden Gang als sie sich auf die exakte Naturwissenschaft stuumltzen konnte Historisch gerechnetbleibt dies richtig Geschichtlich gedacht trifft es nicht das Wahreldquo Signifikant fuumlr Heideg-gers Attributierung so wie sie oben schon geschildert ist steht Historie fuumlrs Rechnen undGeschichte fuumlr das Denken
173 GA 97 S 508174 GA 79 S 44175 GA 79 S 37176 GA 94 S 236
41
323 Die Gefahrlsquo
Aus Heideggers Darlegung uumlber das Ge-Stell erschlieszligen sich seine diversen Fa-
cetten der Vorstellung einer Abstandslosigkeit schaffenden Technik Dass die Ab-
standslosigkeit dem Prinzip des Gevierts des Zusammengestellten entgegensteht
bekommt im Vortrag Die Gefahrlsquo Nachdruck Die mythopoetische Erzaumlhlung
knuumlpft an den Vortrag Das Dinglsquo an mit den Mythologemene 1 Der Mythos
des geschichtlich sein muumlssens 2 der Mythos des Goumlttlichen 3 das geschichtsbe-
sinnliche Prinzip der Aletheia Zudem wird im Prozess des Vortrags das Ge-Stell
zur Gefahr stilisiert was einen eigenen Mythos erschafft
Durch das bdquouniversale Bestellen des Ge-Stellsldquo177 werde die naumlhernde Naumlhe des
Dings verwehrt Wie im Vortrag Das Dinglsquo fuumlhrt Heidegger das Wesentliche sei-
ner Theorie auf die deutsche und altgriechische Sprache zuruumlck Die so vollzoge-
ne Annaumlherung von Schwarzwaumllderischem Dialekt und Altgriechisch entspricht
Heideggers Traum von dem bdquogeschichtliche[n] Geburtsort des abendlaumlndischen
Wesensldquo178 den seine Heimat von Todtnauberg bis Freiburg stiften sollte (1)
es ist das Geistvolle und zugleich das erdenhafte schoumlne Land Es birgt un-sichtbaren Reichtum dem Gemuumlt bewahret tiefstes Dichten und houmlchsteGestalt der Sage179
Unter diesem Vorzeichen also sagt Heidegger
Das Ge-Stellwesen laumlszligt das Ding ohne die Wahr Das Wort die Wahrlsquo be-deutet in unserer Sprache dort wo sie noch urspruumlnglich spricht die HutIn unserer schwaumlbischen Mundart meint das Wort die Wahrlsquo die der muumlt-terlichen Hut anvertrauten Kinder Das Ge-Stell laumlszligt in seinem Stellen dasDing ohne die Hut ndash ohne die Wahr seines Dingwesens180
Diese in Bremen vorgetragene Heimatkunde ist auch Heideggers Sorge ge-
schuldet durch die Besatzermaumlchte und deren kulturellen Einfluss auch durch
die nun moumlgliche Oumlffnung Deutschlands zu einem Austausch mit der Welt das
eigene Wesen zu verlieren So schreibt er 1945-1947() in seine Schwarzen Hefte
177 GA 79 S 46178 GA 97 S 54179 Ebd180 GA 79 S 46
42
Das Schwerste und Fragwuumlrdigste unseres Geschickes ndash beruht darin ob wirdas Eigene finden und huumlten [] unter den anderen Voumllkernlsquo [] Scheinund Vorwand der Macht daszlig man unsere eigene Aufgabe bringen will []als Entmachtete aufgenommen zu sein in den Weltmachenschaftsbetrieb181
Es gaumlbe nach Heidegger also das Welten von Welt und die Verweigerung von
Welt aus derVerwahrlosung des Dings durch das Ge-Stell bzw die Technik182 Welt
ist nach dem Konzept des schwaumlbischen Denkers nichts weniger als das Geviert
Bei der folgenden mythopoetischen Zusammenstellung von dem Geviert mit alt-
griechischen Vokabeln um den Seins-Begriff wird das Aletheia-Prinzip eingefuumlhrt
Somit fuumlhrt uumlber den Mythos des Goumlttlichen (2) der Weg zur Wahrheit eben als
geschichtsbesinnlich erfahrene Aletheia (3)
Welt ist das Geviert von Erde und Himmel Goumlttlichen und SterblichenDas Spiegel-Spiel der Vierung wahrt alles was in ihm dingend zwischenden Vier anwest und abwest in das einende Ganze seines Anwesens Vonaltersher heiszligt das Anwesen des Anwesenden τὸ ὲόν das Seiend [sic] τὸεἶναι das Sein naumlmlich der ὲόντα des Seinenden das esse entium183
Diese Welt waumlre nun bdquoWahrnis des Wesens von Sein Statt Wahrnis sagen wir auch
Wahrheitldquo184 Die Welt mythopoetisch als Spiegel-Spiel des Gevierts und durch
eine altgriechische Brille betrachtet waumlre die wahre Welt Somit wird die Wahr-
heitsschau gebunden einen antiken Goumltterglauben und abendlaumlndische Sprachkas-
kaden vom Dialekt zum Altgriechisch
Das Problem mit der wahren Welt waumlre allerdings dass sie sich in die Ver-
borgenheit entziehe Naumlher betrachtet ist aber die Verborgenheit Bedingung des
Entbergens was Heidegger notwendig macht zu einem wuumlrdigen Lebensvollzug
in Harmonie mit dem Sein Durch solche Wesensschau waumlre der Mensch befaumlhigt
jederzeit die verstellenden Maumlchte des Ge-Stells (der Technik) zu uumlberwinden und
teilhaftig am Wesen der Welt zu werden
181 GA 97 S 99182 Vgl GA 79 S 47183 GA 79 S 48 (Die griechischen Vokabeln werden hier keiner Uumlbersetzung unterzogen Da
Heidegger ohnehin keine philologische Schaumlrfe anwenden will ist es fuumlr die Zwecke hierausreichend sie mit seiner Uumlbersetzung zu betrachten Heidegger spricht von bdquoAchten aufdas Griechischeldquo was schwieriger waumlre als klassische Philologie (vgl GA 79 S 63)
184 Ebd
43
Welt bleibt in der Verborgenheit (Αήθη) auf die Weise daszlig diese ihre Ver-borgenheit gerade eine Unverborgenheit gewaumlhrt die Αλήθεια185
Die Αλήθεια haumltte allerdings auch eine Rolle uumlber die subjektive hinaus da nur
durch ihren Vollzug Seinsgeschichte gewaumlhrt wuumlrde Das ist der Anspruch den
Heidegger an sein Auditorium stellt gemeinsam geschichtlich sein zu muumlssen (1)
Die Αλήθεια ist das Geschick des Seins als welches Geschick sich die Fuumllleder Seinsgeschichte in ihre Epochen fuumlgt186
Mit dem Ge-Stell als Wesen der modernen Technik waumlre die Aletheia aller-
dings hochgradig gefaumlhrdet Denn ohnehin waumlre die Aletheia prinzipiell der Ge-
fahr der Vergessenheit ausgesetzt Doch das Ge-Stell haumltte die Kraft die bdquovollende-
te Vergessenheit der Wahrheit des Seinsldquo187 zu vollrichten
Indem das Ge-Stell alles Anwesende in den Bestand bestellt setzt das Ge-Stell das Anwesen des Anwesenden heraus aus seiner Wesensherkunft ausder Αλήθεια188
Diese Versetzung des beteiligten Wesens aus der Moumlglichkeit des Wahrheitsprin-
zips heraus markiert Heidegger dann mit der Schreibweise Seyn (mit bdquoyldquo) Wie
bei dem Vortrag Das Dinglsquo koumlnnen ethymologische Abstammungen sein Sys-
tem anreichern Da wo es um das Wortfeld des Stellens geht Ge-Stell Bestellen
Verstellen ist auch das NachstellenMitglied der Familie
Im Althochdeutschen heiszligt nachstellen fara Das in sich gesammelte Stellenals Nachstellen ist die Gefahr Der Grundzug des Wesens der Gefahr ist dasNachstellen Insofern das Sein als das Ge-Stell sich selbst mit der Vergessen-heit seines Wesens nachstellt ist das Seyn als Seyn die Gefahr seines eigenenWesens189
Damit wuumlrde sich durch die Verringerung der Selbstreflexion im Seyns-Bestand
eine Schwachstelle auftun in die der denkbegabte und aletheiafaumlhige Mensch ei-
ne Moumlglichkeit haben das Seyn zum Sein zuruumlckzuwandeln ndash also wieder in ein
185 GA 79 S 49186 Ebd187 GA 79 S 53188 GA 79 S 52189 GA 79 S 53
44
wesentliches Verhaumlltnis zum bdquoDingldquo zu gelangen in dem das Geviert wieder die
Harmonie herstellt Allerdings faumlnde bis zu solch einer Nachstellung eine Ver-
sieglung des Seynsbestandes statt Und Heidegger beklagt dass die Erreichung der
Ruumlckeroberung des Seins uumlber die Nachstellung nicht stattfaumlnde und stattdessen
die Irre regieren wuumlrde190
In dieser Irre stuumlnde dem Menschen nicht einmal mehr zu zu sterben Denn
bdquoSterben [] heiszligt den Tod in sein Wesen austragenldquo191 Somit waumlren die Opfer
die in den KZs umkamen wie er sie in Das Dinglsquo bereits schildert nicht vermouml-
gend gewesen zu sterben bdquoSie werden Bestandstuumlcke eines Bestandes der Fabrika-
tion von Leichen [] Sie werden in Vernichtungslagern unauffaumlllig liquidiertldquo192
Das vermoumlge die Gefahr zu bewirken Der Mensch wuumlrde des eigenen Sterbens
beraubt da er keine Verbindung mehr zur Wahrheit der Welt haumltte Um den rich-
tigen Tod zu sterben muumlsse der Mensch die Aletheia schauen koumlnnen Insofern ist
Heideggers Prinzip ein religioumls anmutendes Wie in der christlichen Vorstellung
der Mensch im Jenseits an seinen Taten gemessen wird um Paradies oder Fege-
feuer zu besuchen soll nach Heidegger der Mensch waumlhrend des Sterbens mit
sich selbst ins Gericht gehen Er soll sich rein machen vom Ge-Stell der Technik
und dem Seyn um nicht die einmalge Gelegenheit des richtigen Sterbevollzugs
zu versaumlumen Es winken gemaumlszlig des Gevierts die himmlischen Goumlttlichen den
irdischen Sterblichen zu wobei annehmbar ist dass Heidegger Sterblichen die
die Aletheia erkennen einen Goumlttlichkeitsstatus beimessen moumlchte ndash eine Erlouml-
sungsphantasie
Genau diese Erloumlsung waumlre die Technik nicht
Ohne den Schritt des Denkens zu wagen der unser Menschenwesen demWesen der Technik [] aussetzt wuumlrgt man sich von Fall zu Fall von Lagezu Lage durch die Zwiespaumlltigkeiten hindurch Und genau durch dieses Ge-wuumlrge versaumlumt man die Moumlglichkeit dessen was man im Grunde erstrebtdie Technik durch menschliches Tun zu meistern und menschenwuumlrdig zulenken193
190 Vgl GA 79 S 55191 GA 79 S 55192 GA 79 S 56 Weil Heidegger im Judentum die Verantwortlichen fuumlr das Geraffe des Ge-Stells
sieht macht er sie gleichsam verantwortlich fuumlr die bdquoSelbstvernichtungldquo Die Seinsverges-senheit im Tode wird dadurch zum Spin-off der vermeintlich juumldisch erzeugten da machen-schaftlichen KZ-Maschinerie (Vgl GA 97 S 20f)
193 GA 79 S 59
45
Trost und Richtung findet Heidegger schlieszliglich abermals bei den alten Griechen
Das Wort stellenlsquo entspricht dem griechischen ϑέσις vorausgesetzt daszlig wirϑέσις griechisch denken Was heiszligt in diesem Falle griechisch denkenlsquo Esheiszligt darauf achten welche Lichtung desWesens des Seyns in welcherWeisedas Dasein der alten Griechen in den Anspruch genommen hat heiszligt imvoraus bedenken in welchem Geschick welcher Unverborgenheit des Seinsdie Griechen standenldquo194
Das sind Vorstellungen des Neuen Anfangs eine Reminiszenz der griechisch anti-
ken Welt Ein Eintrag aus den Schwarzen Heften von etwa 1945-47 () verdichtet
wie oben bereits aufgezeigt die Phantasie griechisch zu sein zu einem gelingenden
Lebensvollzug
Das reine Wesen des Griechentums dh das Seiende inmitten dessen dieGriechen als seiende fremd gewesen dieses und sie selbst und der Bezug desSeins zu ihnen ndash in der einfachen Wesung von der ἀλήθεια her zeigen underfahren Den μῦθος und λόγος ndash jedes Wort und Gebild rein aber nichterzwungen und schematisch-pedant ndash aus ἀλήθεια erfahren195
Hier zeigt sich auch dass Heidegger per se das Aletheia-Prinzip fuumlr notwendig
hielt um ins Licht der Wahrheit zu blicken Die Griechen sind ihm hier deshalb
Vorbild und rein da sie keiner modernen Technik und dem Ge-Stell ausgesetzt
waren sondern lediglich eine mythopoetische Verbindung zum Sein herstellen
mussten um wesentlich zu sein und Seinsgeschichte zu schreiben Die Dinge und
das Spiegel-Spiel des Gevierts waumlren ihnen geschickt zuhanden gewesen196 Hei-
degger macht schlieszliglich sehr deutlich dass das Griechische zu denken ein bei
weitem anderes Geschaumlft sei als philologische Praumlzision
Ein Echo zu sein naumlmlich dem Anspruch des Seins verlangt eine Sorgfaltder Sprache von der freilich der technisch-terminologische Sprachstil derWissenschaften uumlberhaupt nichts wissen kann Die Intentionalitaumlt der wis-senschaftlichen Sprache ist der staumlrkste Beweis fuumlr ihre Boden- und Heimat-losigkeit [] Das Heimische einer hohen Sprache gedeiht nur im Bereichdes unheimlichen Anspruchs der wesenhaften Stille im Wesen des Seyns197
194 GA 79 S 62f195 GA 97 S 20196 Hingegen waumlre das Judentum verantwortlich fuumlr das Ge-Stell fuumlr das Prinzip der Zerstoumlrung
wie es auf der selben Seite der Schwarzen Hefte darunter heiszligt (vgl ebd)197 GA 79 S 66 Die Bedeutung von Seyn als verstelltes Sein oder Bedingung zum Schauen
des wahren Seins ist verwirrend Einer genaueren Analyse wird aus Platzgruumlnden hier nichtnachgegangen
46
324 Die Kehrelsquo
Der letzte Vortrag ist mit nur neun Seiten der Kuumlrzeste des Vortragsgevierts
Nach dem Verlust des Dinges als Ding und der damit einsetzenden Abstandslosig-
keit als Wesen des Ge-Stells wobei die Gefahr zudem der Vergessenheit des Seyns
nachstellt bietet Heidegger eine Perspektive an
Im Wesen der Gefahr verbirgt sich [] die Moumlglichkeit einer Kehre in derdie Vergessenheit des Wesens des Seins sich so wendet daszlig mit dieser Kehredie Wahrheit des Wesens des Seyns in das Seiende eigens einkehrt198
Diese Moumlglichkeit bedeute nicht dass der Mensch sich der Gefahr selbst stellen
koumlnnte sie waumlre passiv ndash bdquoverbirgt sichldquo Die Kehre werde sich ereignen aumlhnlich
einer Erwartung an den Messias
Die Anwesenheit der Gefahr wuumlrde automatisch die Rettung bergen Denn
Houmllderlin haumltte geschrieben bdquoWo aber Gefahr ist waumlchst [d]as Rettende auchlsquoldquo199
Etwa 1945 notiert Heidegger in seine Schwarzen Hefte bdquoDie Wahrheit erfahren
wir im Gedaumlchtnis Das Gedaumlchtnis ist die Dichtungldquo200 (so) Von dieser War-
te aus ausgestattet mit Erinnerungen an das abendlaumlndische Dichten mit dem
Wissen um das Aletheia-Prinzip und passiv als denkender Huumlter des Seyns solle
der Mensch das Ereignis erwarten das ihn bdquoloumlsen freimachen freyen schonen
bergen in die Hut nehmen wahrenldquo201 wuumlrde (siehe S 43)
Dieses Ereignis waumlre der Blitz Ein unvermittelter jaumlher ploumltzlicher Moment
von kurzer Dauer der bloszlig einen ebenso kurzen Blick auf das wahre Wesen er-
lauben wuumlrde Abschlieszligend ist dies das Rezept gegen die Bestands bestellende
Technik in mythopoetischer Formulierung
So entsprechend ist der Mensch geeignet daszlig er im gewahrten Element vonWelt als der Sterbliche dem Goumlttlichen entgegenblickt Anders nicht dennauch der Gott ist wenn er ist ein Seiender steht als Seiender im Seyn unddessen Wesen das sich aus dem Welten von Welt ereignet202
198 GA 79 S 71199 GA 79 S 72200 GA 97 S 52f201 GA 79 S 72202 GA 79 S 76
47
Wenn Heidegger im Anschluss von der bdquohistorisch-technischen Darstellungldquo re-
det so ist dies die Abwehr der Wissenschaften (auch der Philosophie203) und ein
Appell an die Antirationalitaumlt des Mythos bdquokein historisches Vorstellen der Ge-
schichte als Geschehen bringt in den schicklichen Bezug zum Geschickldquo204
Damit das Blitzen erfahren werde als kurze Wesensschau der Aletheia muumlsse
dem wahren abendlaumlndischen und heimatlichen Ereignis stattgegeben werden Es
sollte nicht wie er 1939 schon in den Schwarzen Heften beschreibt das
kuumlnstliche Licht von Historie und Technik in der weder Mensch noch dieGoumltter weder eineWelt noch die Erde sichtbar werden koumlnnen wo aber dasLebenlsquo von allen den immer noch zu wenigen Meistenlsquo erlebtlsquo wird205
Damit schlieszligt der letzte Vortrag mit einer Erwartung an das Ereignis des Blit-
zens nicht das Erleben der Besinnungslosigkeit (vgl Das Ge-Stelllsquo) Schon 1947
traumlumt Heidegger von solcher Umkehr
Aus der Kehre der Seynsvergessenheit aber ereignet sich das Unumgaumlnglicheden Acker der Welt erst zu pfluumlgen und saatbereit der Sonne und dem Regenund den Voumlgeln des Himmels uumlberlassen206
203 Denn ldquo[e]igentlich denken heiszligt [] die Philosophie verlassen [] beim Sagen des Seinslsquoldquo(GA 97 S 60)
204 Ebd205 GA 95 S 427 Gegen das Erlebnis und Erleben straumlubt sich Heidegger besonders So notiert
er etwa 1939 bdquoZeitalter der Techniklsquo macht gerade die Techniklsquo nicht zum Ziel sondernimmer mehr zum Mittel der besinnungslosen Berechnung [] der Mensch [] das Erleb-nislsquo [] Erleben als der Gefuumlhlsgenuszligldquo (GA 95 S 149) Wie auch bdquoWo beide Historie undTechnik in solcher scheinbaren Gegensaumltzlichkeit verkoppelt sind koumlnnen sie sich zur Foumlr-derung dessen zusammenschlieszligen was einstmals wesentlich die Geschichte des Menschenmitbegruumlndete und was wir die Kunstlsquo nennen Die Historie verschafft [] Anregungenund Vorbilder der Nachahmung die Technik erleichtert [] die Zustellung von Darstel-lungsmitteln und Wirkungsformen [] Gleichwohl ist alles wurzellos [] berechnet und alsErlebnislsquo ausgegebenldquo (GA 95 S 212)
206 GA 97 S 511
48
4 Konklusion
Der umstrittene Philosoph Martin Heidegger hat uumlber die 1930erndash40er Jahre
hinweg eine ausgepraumlgte voumllkisch-nationale und bisweilen radikal-antisemitische
Denkweise entwickelt Dieses Denken fasste er auch auf als Besinnung und stellt
es der Philosophie und Wissenschaft diametral entgegen In Kapitel 2 wird aufge-
zeigt dass sowohl Heideggers Mythologie bereits kritisiert wurde (Adorno Cassi-
rer Meyer) als auch seine Mythopoetik bewundert (Schulz-Nieswandt) Kapitel
3 will daruumlber hinaus aufzeigen wie Heidegger eine eigene Mythologie mytho-
poetisch fruchtbar macht was sich von beiden vorigen Ansaumltzen unterscheidet
und erst mit der Veroumlffentlichung der Schwarzen Hefte ab 2014 nachvollziehbar
wurde
Umso mehr bietet die mythopoetische Verbindung von bdquoDichten und Den-
kenldquo (so) einen antitechnischen Gegenpol Denn Heidegger fasst wie oben ge-
schildert alles Rationale auf als berechnende Bestellung des Bestands im Sinne
der Technik Daruumlber hinaus fordert er mit dem Aletheia-Prinzip (als metapho-
risch gefasstes Ereignis des Blitzens) einen Mitvollzug seiner mythopoetischen
Kontemplation in dem religioumlse voumllkische antike und sprachliche Motive zu-
sammenfallen
Obwohl schon von Heidegger selbst nicht mehr als Philosophie betrachtet
hat seine Rede vom Ding dem Ge-Stell dem Wesen der Technik und der Kehre
noch immer einen bedeutenden Einfluss auf die Technikphilosophie So betont
Alfred Nordmann in bdquoWerkwissen oder How to express things in worksldquo (2008)
dass Heidegger mit Das Dinglsquo eine Art Dingwissen geschaffen haumltte In seinem
2012 erschienenen Aufsatz Another parting of the ways Intersubjectivity and the
objectivity of sciencersquo207 geht Nordmann ein weiteres Mal auf Heideggers Ding
ein Dieses waumlre eine Abarbeitung an dem Ding Kants womit auch Nordmann
Heidegger als einen Interpreten Kants versteht208 Anschlieszligend anMichael Fried-
207 Nordmann Alfred Another parting of the ways Intersubjectivity and the objectivity ofscience In Studies in History and Philosophy of Science 43 (2012) 38ndash46
208 Die Auseinandersetzung mit dem Ding wuumlrde nach Nordmann in Heideggers GA mit demText Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalen Grundsaumltzenlsquoeinsetzen (GA 41 Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalenGrundsaumltzen)
49
man spricht sich Nordmann ebenso dafuumlr aus dass Heidegger neben Rudolf Car-
nap und Ernst Cassirer eine neokantianische Philosophie verfolgt haumltte (siehe
Kap 1)209
Nach Nordmann haumltte Heidegger in seinen anschlieszligenden Gedanken uumlber
das Ding als Fortfuumlhrung Kants als erster Wissenschaft als angewandte Techno-
logie verstanden210 Diese Interpretation stuumltzt sich auf die gleichen Symbole
Metaphern und Mythen die die vorliegende Arbeit analysiert Das Ge-Stell ist
insofern aumlquivok mit dem Begriff techno-science Jedoch sind in dieser Fruchtbar-
machung von Heideggers Denken der Technik dessen nationalistischen rassisti-
schen und antisemitischen Implikationen die die vorliegende Arbeit als Zentrum
dessen Philosophie ermitteln konnte noch nicht beachtet worden koumlnnen211
Andreas Luckner webt Heideggers Ding-Entwurf weiter als verantwortliches
Sorgen um die Dinge212 Er geht dabei mit Heidegger voumlllig konform und tritt
eher als eine Art Bote der Ding-Botschaft auf als diese moumlglicherweise zu kriti-
sieren was sich diesen Artikel wie ein Kapitel aus einem Studienbuch lesen laumlsst
Der Darmstaumldter Technikphilosoph Christoph Hubig ist vor allem Kritiker Hei-
deggers Argumentationen laumlsst aber zuweilen diverse Topoi aus dem Werk des
Technik-Denkers durchscheinen ohne sie weiter zu reflektieren
So konstatiert Hubig Heidegger verfehle in dessen Auseinandersetzung mit
Aristoteles Lehre von der Poiesis zum Punkt der Sicherung wie sie in Die Frage
nach der Techniklsquo behandelt wird bdquodie operative Seite des Technischenldquo bei Aris-
totels213 In einem spaumlteren Aufsatz allerdings stuumltzt er sich ohne weitere Erlaumlute-
rungen auf Heideggers Begriff der Sicherung aus Die Frage nach der Techniklsquo214
209 Diese Befriedung paradigmatischer Umstaumlnde wird hier nicht geteilt Eine weitere Bearbeitunglaumlsst der Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht zu
210 Vgl Nordmann Another parting of the ways S 45211 Der Aussage dass Heideggers Ding-Begriff kantianisch waumlre muumlsste einer gezielten Untersu-
chung unterzogen werden genau wie die Behauptung insgesamt dass Heidegger oder inwie-weit dieser noch der suumlddeutschen Kantschule des 1920 Jahrhunderts angehoumlrte
212 Vgl Luckner Andreas Ding und Bestand Heidegger und das Wesen neuzeitlicher TechnikIn Gamm G Gehring P Hubig C Kaminski A und Nordmann A Ding und SystemS 15-30 hier S 29
213 Hubig Christoph Die Kunst des Moumlglichen Technikphilosophie als Reflexion der MedialitaumltBielefeld 2006 S 103
214 Vgl Hubig Christoph Technik als Medium In Grundwald Armin (Hg) Handbuch Tech-nikethik Stuttgart 2013 S 118-123 hier S 118
50
Dabei versteht Hubig Heideggers Betrachtungen zum Umgang mit der Technik
als gelassen
Fuumlr Heidegger liegt die Andersheit im Entbergen einer Wahrheit des Seinseines Geschicks von dem die Entwicklung der Technik hin zum Gestellkuumlnde Er verbindet dies mit dem Appell jenseits des rechnenden und si-chernden Vorstellens technischer Vollzuumlge als handlungsleitender Program-me sich gelassenlsquo dieser Entwicklung zu uumlberantworten und ein Seinlsquo zuhuumlten das sich als solches eben entbirgt Das Rettendelsquo dieser Einsicht lie-ge darin dass unsere individuelle Endlichkeit insofern transzendiert wirdals sie sich dem sie uumlbersteigenden Prozess aufschlieszligt und sich selbst relati-viert215
Wovon in diesem Zitat nicht die Rede ist ist der Mitvollzug der mythopoe-
tischen Rahmenbedinungen die Heidegger einfordert und an dem die Konzep-
te Abendland und voumllkische Tradition haumlngen In dieser Arbeit wird davon aus-
gegangen dass Heideggers Technikphilosophie-erzaumlhlung sich nicht von seinen
Absichten der Bekaumlmpfung des Technischen loumlsen laumlsst Die Relativierung ist in-
sofern nicht an den Prozess gebunden und damit emergent auf alles hin ausge-
richtet was kommen mag sondern houmlchst konvergent in einer Besinnung auf
Mythen von dem Ding und dem Geviert mit all deren Valenzen aus dem vorlie-
genden Heideggerschen Textkorpus Die individuelle Endlichkeit ist genoumltigt die
Heimat und das Abendland zu kennen und im Aletheia-Prinzip umzusetzen
Die Neubewertung der bislang bekannten Heideggerschen Technikphiloso-
phie von vor den SchwarzenHeften ist ein dringendes Desiderat Voumllkisch-nationale
Gruppierungen erstarken momentan in ganz Europa und es koumlnnte sehr hilfreich
sein aumlhnliche Denkstrukturen aufzudecken so wie sie zwischen den 1930er und
40er Jahren entwickelt wurden Zusaumltzlich muss das Werk Heideggers einer kriti-
schen Revision schon aufgrund der niemals von ihm behandelten Antisemitismen
unterzogen werden Heidegger hat nie zu diesen Stellung bezogen
Daruumlber hinaus ist das Thema Mythos und Philosophie ein weiterhin not-
wendiger Bereich der philosophischen Forschung In einem Bereich auszligerhalb
der exakten Wissenschaften und ohne klare theologische Tradition ist die Philo-
215 Hubig Die Kunst des Moumlglichen S 140
51
sophie beides sowohl Aufklaumlrer und antimythisch als auch Quelle fuumlr mythisches
Denken und affektierende Motive
52
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56
Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
Der Unterzeichner versichert dass er die vorliegende Bachelorarbeit selbststaumlndig
verfasst und keine anderen als die von ihm angegebenen Hilfsmittel benutzt hat
Die Stellen der Arbeit die anderen Werken dem Wortlaut oder dem Sinne nach
entnommen sind wurden in jedem Fall unter Angabe der Quellen (einschlieszliglich
des World Wide Web und anderer elektronischer Text- und Datensammlungen)
kenntlich gemacht Dies gilt auch fuumlr beigegebene Zeichnungen bildliche Dar-
stellungen Skizzen und dergleichen
Darmstadt 25 April 2016
__________________________
(Eigenhaumlndige Unterschrift)
- Abkuumlrzungsverzeichnis
- Danksagung
- Einleitung
- Heideggers mythopoetisches Programm
-
- Zu den Begriffen Mythos Mythologie und Mythopoetik
-
- Ein Beispiel fuumlr ein Mythologem
-
- Heideggers Mythen
-
- Formen der Mythologie
-
- Heideggers mythopoetische Technik
-
- Zur Publikationsgeschichte von den Bremer Vortraumlgen 1949
- Die mythopoetische Spiegelung der Schwarzen Hefte
-
- Das Dinglsquo
- Das Ge-Stelllsquo
- Die Gefahrlsquo
- Die Kehrelsquo
-
- Konklusion
- Literaturverzeichnis
- Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
-
13
Gewitter und Blitz sind die Sprache der Goumltter und der Dichter ist derder diese Sprache ohne Ausweichen auszuhalten hat aufzufangen und in dasDasein des Volkes zu stellen hat [] Die Dichtung ist ein Weiterwinkendieser Winke in das Volk oder von diesem her gesehen Dichtung ist []ein Zeigen ein Weisen in welcher Weisung die Goumltter offenbar werden46
Die Rede von bdquoWinkenldquo ist bereits ein Selbstbezug benannte der Autor der
Schwarzen Hefte seine ersten beiden Abteilungen des heutigen 94ten Bandes der
GA als Winke x uumlberlegungen (II) und Anweisungenlsquo und uumlberlegungen und
Winke IIIlsquo47 Diese setzen ein im Jahr 1931 und duumlrften moumlglicherweise bis 1933
oder vielleicht auch 1935 gereicht haben Heideggers Selbstuumlberhoumlhung als mys-
tagogisch bdquodichterisch-denkenden Schaffenden ndash also ihm selbstldquo48 erkennt auch
Meyer bereits ohne die eindeutigen Zeugnisse dieses Wunsches in den Schwarzen
Heften Es ist Heideggers Begehren das Volk seiner Fuumlhrung zu unterstellen bdquoso
dass sich das Wesen dieses Landes selbst findet und vollendetldquolsquo49
Meyer spricht in Folge daran davon was Heideggers Ursprungsmythos den
er in die griechische Altertum legt fuumlr diesen leistet Es ist eben das antiwis-
senschaftliche bdquoWissenldquo von einer bdquoUr-geschichteldquo Welche abgruumlndigen Motive
auch immer da hineinzuprojizieren sind (Bodenhaftigkeit arische Reinbluumltigkeit
abendlaumlndische Groumlszlige etc so wie es sich aus den Schwarzen Heften offenbart)
der Mythos verschraumlnkt Heideggers Streben nach Fuumlhrung als Denker und eine
Begruumlndung fuumlr die vermeintliche rassische uumlberlegenheit des deutschen Volkes
Meyer zitiert den Dichter-Denker mit bdquoMythologielsquo ist Wissen von einer Ur-
geschichteldquolsquo Es ginge um
Wissen nicht im archaumlologisch-musealen Sinn sondern als Prozess [] auchim Sinne dass Heidegger im Moment des Aussprechens gerade das leistetwovon er spricht Mythologie50
Augenscheinlich sieht Meyer keinen Grund dafuumlr von einer mythopoetischen
Textform in der Verschraumlnkung von Heideggers Denkerprophetie und der abend-
46 GA 39 S 31f (zitiert nach Meyer Die Entdeckung des griechischen Mythos S 6)47 Aus dem beigefuumlgten Nachwort des Herausgebers Peter Trawny geht nicht genauer hervor
weshalb zuerst bdquoWinke x uumlberlegungen (II)ldquo und dann bdquouumlberlegungen und Winke IIIldquo signi-fiziert sind Es wird hier davon ausgegangen dass es sich schlicht um das Gleiche handeltwobei der erste Teil sich in den bislang verschollenen Schwarzen Heften befinden muss
48 Meyer Die Entdeckung des griechischen Mythos S 749 Ebd Darin zitiert ist die GA 39 S 28950 Ebd Darin zitiert ist die GA 40 S 165
14
laumlndischen uumlberhoumlhung zu sprechen Die Paarung von Dichtung und Denken al-
lerdings ist fuumlr den Husserlnachfolger erst der Zweck und die Mythologisierung
das Mittel dazu In seiner Schrift uumlber die Religionsphilosophie und ontologi-
sches Wahrheitsverstaumlndnis bei Walter F Ottolsquo schildert der Altersforscher und
Sozialwissenschaftler Schulz-Nieswandt aus Koumlln uumlber die menschliche Existenz
die bdquoMythopoetik als Seins-Vergewisserungldquo51
In jenem Kapitel seines Otto-Traktats von 2014 schreibt Schulz-Nieswandt
wie ein echter Epigone Heideggers von der Wappnung gegen die bdquoKrise der Mo-
derne ndash Entfremdung Einsamkeit Angst Verzweiflungldquo52 An fruumlherer Stelle
seines Buchs stellt sich dar dass Schulz-Nieswandt sich geradezu mit Heideggers
Linie vereint anstatt sich ihr nur anzunaumlhern
Es geht um das wahre Sein aus der Sicht des zu seinem Wesen gelangendenMenschen in dessen Daseinsfuumlhrung was hermeneutisch erschlossen wer-den soll nicht um Wissenschaft als hermeneutische Methode im Kriterien-spektrum zwischen Verifikation und Falsifikation von Hypothesen mittelsProtokollsaumltzen uumlber die Realitaumlt53
51 Schulz-Nieswandt Frank Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis beiWalter F Otto (1874-1958) Eine strukturalistische und psychodynamische RezeptionBaden-Baden 2014 S 58-60
52 Ebd S 58 Dabei spielt Schulz-Nieswandt die Begriffe Epistemologie gegen Ontologie ausund bezeichnet sich selbst als post-strukturalistisch im Sinne der Kritischen Theorie schrei-bend Jedoch erscheinen diese philosophischen Kontraste nur wie bdquoEdelsubstantiveldquo des vonAdorno gemuumlnzten bdquoJargon der Eigentlichkeitldquo Und in genau diesem Jargon laumlszligt der So-zialwissenschaftler Heideggers Urmythos des Goumlttlichen der griechischen Antike (so) inaktueller Praumlsenz wieder auferstehen Es ist erstaunlich dass jemand der die Kritische Theo-rie fuumlr sich reklamieren will Epigone des bdquoJargons der Eigentlichkeitldquo ist So zeigt es sichauch auf S 28 wenn er in Ottos Dionysos bdquodie ganze Tiefe des Menschen zum Ausdruck[bringt DS] die Todeserfahrung des sterblichen Menschen Dionysos ist Hadesldquo Um nocheinmal zu bestaumltigen wie sich Schulz-Nieswandt als Akteur des Jargons gebiert sei hier Ador-no zitiert (dies gilt allerdings nur der Gegenuumlberstellung zum Vorsatz jener wuumlrde sich ander Kritischen Theorie orientieren ohne fuumlr diese zu advozieren) bdquoDer Heideggerschen Phi-losophie schloszlig sich was einmal Pforte zum ewigen Leben war zu sie betet statt dessenWucht und Groumlszlige des Tores an [] Sein wuumlrdevolles Gehabe ist Reaktionsbildung auf dieSaumlkularisierung des Todes [] Darum wird Sinn in den Tod geworfenldquo (Adorno Jargonder Eigentlichkeit S 134)
53 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei WalterF Otto S 15
15
Beiden gemeinsam ist auch die Faszination an Houmllderlin die sie ebenso mit Otto
teilen
Die ganze Eigenart des Denkens von Otto kommt in dem komplett innerenVerhaumlltnis zu Heidegger und Houmllderlin zum Ausdruck54
Nur noch ein Gott kann uns rettenlsquo so das Zitat des Spiegelinterviews das Ja-
kob Augstein zum Titel machte ist die kodierte Mythopoetik auf die sich die
Spiegelleser keinen Reim machen konnten Fuumlr Heidegger fuumlr den das Sein in der
Sprache wohnen sollte55 ging es um den Mythos der Naumlhe zur Antike als Naumlhe
zu den Goumlttern
Fuumlr Houmllderlin war die Theologie der Abwesenheit Gottes als uumlberweltlichePraumlsenz der Verlust der Gotteserfahrung des diesseitig verankerten Men-schen [] Die Antike wird als eine von Goumltternaumlhe charakterisierte Zeitvon Houmllderlin verstanden und erneuert (der kommendelsquo Gott) ersehnt56
Dies ist eine der Leit-Mythen Heideggers insbesondere wenn man sich die Nach-
kriegsvortraumlge ansieht (eben die Bremer Vortraumlgelsquo)
Die Aufhebung der Trennungsangst durch die bdquoAbwesenheit der Goumltterldquo uumlber-
winde der in existenzieller Angst befindliche bdquohomo abyssusldquo mittels bdquoder lie-
bevollen Gestaltung als Sich-Einrichten des Menschen [] als apriorischer Mo-
dus des In-der-Welt-Seinsldquo durch die bdquoEwigkeit der Mythopoetikldquo57 Fuumlr Schulz-
Nieswandt ist Mythopoetik eben nur dieses ein peganistischer Goumltterdienst der
den Kanon der Ottoschen Antike mit Houmllderlin interpretiert Insofern versteht
dieser versuchte Religionsphilosoph der eigentlich Sozialforscher ist Heideggers
Mythologie als schoumlpfend aus geteilter Quelle mit Mythen als Gemeinplaumltzen
derer sich der Denker-Dichter philologisch sicher bediene
Dabei geht es Schulz-Nieswandt umHeideggers Aletheia-Prinzip das er bdquoWahr-
heitsbegriffldquo nennt ndash welches bdquoDie Differenz der Technik als Herrschaft uumlber
54 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei WalterF Otto S 20
55 Vgl GA 7 S56 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei Walter
F Otto S 2157 Vgl Ebd S 59
16
Dinge von der Kunst als Schoumlpfung als Lichtung des Seins zur Wahrheit unter-
scheidetldquo58 Houmllderlins Goumlttliches waumlre darin vermisst und von Bedarf fuumlr den
Menschen Mit der Nomenklatur der griechischen Goumltter Houmllderlins und Ottos
ginge es beim Wahrheitsprinzip um bdquodie Erinnerung an Dionysos als der wie-
der kommende Gott []ldquo sie bdquofuumlhrt zur Lichtung des Seins als Wahrheitldquo59 Der
Mensch waumlre also Hirte seines Seins nicht Herr der Technik zum Sein bdquoDas Sein
ist den Menschen nicht technisch verfuumlgbar Die notwendige Einkehr wird zu
Heimkehrldquo60
Insofern zeichnet Schulz-Nieswandt ganz in Heideggers Sinne nach wie Hei-
mat und Irrationalitaumlt des Mythos zusammenfallen im Kanon der Goumltter-Mytho-
poetik Zum einen ist allerdings Heideggers Mythologie nicht so sehr an diese
Mythopoetik uumlber die Goumltter gebunden sondern bewegt sich frei im eigenwil-
ligen Auslegen von altgriechischen und deutschen Begriffen Zum anderen ist es
erstaunlich dass Schulz-Nieswand 2014 die Bedeutung der Mythopoetik fuumlr Hei-
deggers Ursprungsmythos des neuen Anfangs ignoriert und damit auch die gan-
ze voumllkisch-nationale Aura und damit die Abgrenzungspolitik Vor allem aber
richtet sich Heidegger nicht in einer bdquoliebevollen Gestaltungldquo menschlich ein
wie Schulz-Nieswandt es schon pathetisch darstellt sondern befeinded sich mit
allem ihm Zuhandenen als bdquoRaprochementldquo61 in alle Richtungen und pocht auf
bdquogeschichtliche Besinnungldquo als bdquoAuftrag des Deutschenldquo62
221 Formen der Mythologie
Mit den zwei oben herangezogenen Arbeiten uumlber Mythologisieren und Mytho-
poetik Heideggers sollte in dieser Arbeit das Verstaumlndnis seines Projekts der an-
tirationalen und antitechnischen Ausrichtung in den aktuellen Forschungsstand
gestellt werden Um welche Mythologie es sich in den Schwarzen Heften handelt
wird im Folgenden aufgedeckt werden Bereits in dem ersten Heft der Denktage-
58 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei WalterF Otto S 58
59 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei WalterF Otto S 59
60 Ebd61 Wolin Richard Heideggers bdquoSchwarze Hefteldquo Nationalsozialismus Weltjudentum und Seins-
geschichte In Vierteljahrsheft fuumlr Zeitgeschichte Bd 63 Heft 3 S 379-41062 GA 94 S 66
17
buumlcher verschmilzt Heidegger seine Vision von Dichten und Denken stellt sich
unter dieses Ideal
Dichten undDenken ineinander geschlungen und so waumlre ihrWas im verbindend-trennenden Bestimmen gewonnen63
Als bdquoAusgriff in den Begriffldquo versteht Heidegger dies als bdquovorschreibend-bildenden
Entwurfldquo der hinfuumlhrend zum Ereignis des Aletheia-Prinzips waumlre ndash
(Dichtung als Mythos
Dichtung als Dichtung im engeren Sinne gtgtGedichtltlt
Dichtung als Philosophie)64
Grundsaumltzlich ist die lose wirkende Legion von Lemmata nicht mit einer
Ruumlckfuumlhrung seiner Gedanken auf bestimmte griechische Goumltter und antike (ech-
te) Mythen besetzt Heidegger fetischisiert Begriffe und mythologisiert die von
ihm aufgepfropfte Bedeutung durch ein staumlndiges Wiederholen und Weiterden-
ken als bdquoWissenldquo wie Meyer es herausgearbeitet hat In dieser philosophischen
Alchemie sieht sich Heidegger als Denker als Bewahrer einer uralten Lehre die
eben neu widererstarken muumlsse Das hat Meyer auch schon klar gemacht Die My-
thopoetik erscheint aber hauptsaumlchlich nicht in den Schwarzen Heften sondern in
den Vortragspublikationen sich auf seine private Mythologie beziehend die in
den Schwarzen Heften zu Grunde gelegt wird
Die Mythen Heideggers drehen sich wie Meyer zurecht behauptet um den
Ursprung bei den Griechen den bdquoGrund der Geschichte des Abendlandesldquo65
Aber auch um die vielen Binaritaumlten die sich entgegengesetzt werden und tat-
saumlchlich wie der Heidegger-Herausgeber und Initiator und Leiter des Wupper-
taler Heidegger Instituts Peter Trawny es benannt hat auf einen Manichaumlismus
zulaufen66 Die Abgrenzungspolitik im Sinne des schuumltzenswerten abendlaumlndisch-
heimatlichen Deutschlands richtet sich gegen den inneren Feind vorangetrieben
63 GA 94 S 6564 GA 94 S 6665 GA 96 S 20566 Trawny Peter Heidegger und der Mythos der juumldischen Weltverschwoumlrung Frankfurt am
Main 2015 S 22Das hier aufgefuumlhrte Buch birgt einige problematische Umformungen zum Verhaumlltnis von
Heideggers Antisemititsmus Allem voran versucht es eine Begriffsbildung zu formen nach
18
von der Rechenhaftigkeit des juumldischen Wesens und die aumluszligeren Feinde wie Ameri-
kanismus franzoumlsische Kultur russischer Bolschewismus usw Heideggers Urmythos
vom neuen Anfang ist verquickt mit einem selbstangedichteten Personenmythos
was ebenfalls Meyer schon erkannt hat Dieses Schema ist die Grundstruktur
Immer deutlicher wird in mir die Ahnung daszlig unsere Heimat der Kerndes suumldwestdeutschen Landes [er selbst DS] der geschichtliche Geburtsortdes abendlaumlndischenWesens sein wird [] es ist das Geistvolle und zugleichdas erdenhafte schoumlne Land Es birgt unsichtbaren Reichtum dem Gemuumltbewahret tiefstes Dichten und houmlchste Gestalt der Sage67
Die mitunter wichtigste Dichotomie die Heidegger in den Denktagebuumlchern
aufwirft ist die zwischen Historie und Geschichte Es ist insofern nicht nur der
Mythos des neuen Anfangs der Heideggers Denken uumlber fast zwei Dekaden be-
stimmt sondern umso mehr die doppelte Projektion ndash des Verfalls (Machenschaft)
in eine Konstruktion von Historie und des Bestehens (Sein) in die konstruierte
Geschichte68 Geschichte faumlllt dann schlieszliglich mit der Schaffung des neuen An-
fangs so zusammen wie Historie mit Technik verschraumlnkt wird Geschichtlichkeit
muss durch das Prinzip des Ereignisses der Aletheia prozessiert werden waumlhrend
die verrationalisierte wissenschaftliche technische Historisierung des Lebens und
der Lebenswelt dem widerstrebt
Die Bindung von Heideggers Vorstellung des richtigen Lebens im Sein mit
demAbendland und einer voumllkisch-nationalen Groumlszlige undUumlberlegenheit Deutsch-
lands ist dabei ausschlaggebend Denn mit der Charakterisierung des Guten auf
derer Heideggers Antisemitismus mittels Heideggers Denkmethode behandelt aufgehobenwerden koumlnnte Die Hauptbegriffe darin sind bdquoSeinsgeschichtlicher Antisemitismusldquo undbdquoKontamination des Denkensldquo Von einer tieferen Auseinandersetzung muss an dieser Stelleabgesehen werden
67 GA 97 S 5468 In Band 66 der GA gibt es bereits einen kleinen Abriss der Historie und Techniklsquo die der Ge-
schichte gegenuumlbergestellt werden Das dies eine Uumlbertragung der Gedanken aus den Schwar-zen Heften ist ist ohne Zweifel Ein ansatzweise philosophisches Vorgehen vermengt sichdort mit dem poeto-mythologischen Denken Heideggers In Sachen mythopoetischer Figu-ren undMetaphernreichtum haumllt sich dieser dort aber noch zuruumlck (auch wenn er hier bereitsoumlffentlich vom bdquohistorischen Tierldquo redet) Die Absicht Technik und Historie als Verstellungdes abendlaumlndischen Menschen zu brandmarken stehen dabei im Vordergrund Weiterhinsoll in dieser Arbeit allerdings der Fokus auf den Schwarzen Heften und der Mythopoetik inden Technikvortraumlgen der Nachkriegszeit liegenDer Duden sieht Geschichte und Historie als Synonyme Von einer Ethymologie und der
Spekulation von Heideggers Gruumlnden der Auseinanderhaltung der zwei Synonyme soll hierabgesehen werden
19
der Seite des Seins sind die Feinde dessen eine Notwendigkeit seines Erklaumlrungs-
schemas Dabei sind es vor allem die Juden denen die Wurzel des Antiseien-
den von Heidegger in ihr vermeintliches Wesen geschrieben wird Exemplarisch
spricht dafuumlr dieses Zitat aus Band 96
Die zweite Machtsteigerung des Judentums aber hat darin ihren Grund daszligdie Metaphysik des Abendlandes zumal in ihrer neuzeitlichen Entfaltungdie Ansatzstelle bot fuumlr das Sichbreitmachen einer sonst leeren Rationalitaumltund Rechenfaumlhigkeit die sich auf solchem Wege eine Unterkunft im Geistlsquovarschaffte ohne die verborgenen Entscheidungsbezirke von sich aus je zufassen zu koumlnnen69
Diese Vorstellung ist eine Konkretisierung dessen was Heidegger mit den Uumlber-
begriffen Historie vs Geschichte einige Jahre vorher begann zu topografieren
Wir sind durch die Historie geschwaumlcht [] ndash wir koumlnnen nur durch das ge-rettet werden was uns in seiner Verfaumllschung widert ndash durch die Geschich-te70
Dieses bdquoWirldquo sind die glorifizierten Deutschen vor allem nach der Ableitung von
den Griechen uumlber Houmllderlin (und dessen Griechen) und Nietzsche zu ihm und
seinem kleinen Kreis von ihm anerkannter Intellektuellen-Kollegen wie etwa
Carl Schmitt Oswald Spengler Walther F Otto und Ernst Juumlnger Die Luft auf
Heideggers Denker-Olymp ist duumlnn und bekommt nur Wenigen
Die Geschichte in Heideggers solipsistisch-immanenten Nachdenken erklaumlrt
sich wie gesagt immer zusammen mit der Hoffnung auf den neuen Anfang und
als Besinnung auf das Denken als Akt gegen die Historie Die Paarung der zwei
Woumlrter bdquoGeschichteldquo und bdquoBesinnungldquo durchzieht in deutlicher Haumlufigkeit alle
vier Baumlnde der Schwarzen Hefte ndash bdquogeschichtliche Besinnung [] ist die Uumlberwin-
dung der Historie und des Historismusldquo und sie bdquobedarf der houmlchsten Strenge
hinter der die historische Exaktheitlsquo weit zuruumlckbleibtldquo ndash somit ferner bdquonur wer
Geschichtemacht vermag sie auch zu errettenldquo71 Das oben mit Meyer und Schulz-
69 GA 96 S 4670 GA 94 S 26771 GA 94 S 358f
Dass die Besinnung eine militante Perspektive hat laumlszligt sich auch in Heideggers Vereh-rung Heraklits ldquoDer Krieg ist der Vater aller Dingerdquo finden Heidegger sah sich selbst alsDenker als Propheten des Seins Aus dieser Warte betrachetete er zuerst den Nationalsozia-
20
Nieswandt bereits aufgezeigte Bereiten des Goumlttlichen legt Heidegger in seinen
Begriff der Geschichte
Geschichte ndash das Gewagtwerden der Goumltter nur Groszlig als Untergang oderSieg ndash nicht Dauerlsquo wesentlich ndash sondern die Abgruumlndigkeit der Erstrei-tung ndash Opfer und Weile
Historie ist bei Heidegger bdquogeschichtliche Entwurzelungldquo die bdquoTyrannei der
Technikldquo bdquoSelbstvergoumltterungldquo und bdquoAbgoumltterei der Technikldquo72 In einer skizzen-
haften Emanationsfolge wird dieHistorie als Modus der Technik auf sich selbst zu-
ruumlckgefuumlhrt bdquoDas Riesige ndash [] Historie die Technik der Geschichtelsquo Technik
Die Historie der Naturldquolsquo73 Es ist vage annehmbar dass Heidegger hier die Tech-
nik als rechenhafte machenschaftliche Historisierung der Natur versteht die vor
dem Geschichtsbegriff stattgefunden haumltte Diese wiederum haumltte die Geschichte
in die rechenhafte Machenschaft verfremdet Wie ein Apparat erscheint Heidegger
der Gegenstand seiner Historie zu sein die sich automatisch durchsetzen wuumlrde
Die Historie stellt zunaumlchst das Nacheinander der Begebenheiten dessenwas vorbeizieht (passiertlsquo) her [] Sie erklaumlrt dann Spaumlteres aus dem Fruuml-heren sie findet sogar dass Ideen die Geschichtelsquo bestimmen74
Den historisierend narrativen Umgang mit Geschichte als Wissenschaft emp-
findet Heidegger als Technisierung derGeschichte Diese wiederum basiert auf den
statischen Topoi seiner Mythen von Vaterland Bauerntum Houmllderlin alten Grie-
chen den Goumlttern etc und der Anwendung des Aletheia-Prinzips im Ereignis
Das ist ein Tugendenkatalog der Deutschtuumlmelei mit einer paumldagogischen Kom-
ponente seine Mythologie im Aletheia-Prinzip zu praktizieren Er nennt dieses
Geschaumlft auch Denken und ahnt dessen Feinde bdquodie Forscher die in der Technik
ihres Arbeitens keine Reibung dulden und ihr Wissen fuumlr den Geist haltenldquo75
lismus und nach dem Krieg den real existierenden Sozialismus des Ostblocks im Zuge deratomaren Aufruumlstung als Vollstrecker Macher der Geschichte die den neuen Anfang ebnensollten Dass Heidegger diese bdquoklaumlrendeldquo Wirkung tatsaumlchlich spaumlter den Russen zuschreibtlaumlszligt sich in Band 97 der GA zweifelsohne nachvollziehen Hier kann aus Gattungsgruumlnden(BA-Thesis) nicht naumlher auf dieses Faible fuumlr absolutistische Regime eingegangen werden Je-denfalls ist die geschichtliche Besinnung und der Kriegsakt ein Widerspruch den Heideggerjedoch gleichsam adressiert Auch dies kann hier nicht weiter untersucht werden
72 GA 9473 GA 95 S 35174 GA 96 S 6275 GA 97 S 509
21
Insofern verschraumlnkt Heidegger das bdquohistorisch-technischeldquo zum Antagonis-
ten der bdquogeschichtlichen Besinnungldquo Es ist die Entwicklung einer historisch-
geschichtlichen Differenz unter dem Zeichen der Besinnung gegen die techni-
sche Machenschaft ndash es geht um zwei unterschiedliche Wissenssysteme76 In den
Schwarzen Heftenwird Technikmeistens als eine Seite der Muumlnze mit der anderen
der Historie genannt Sie haumltten eine schon angedeutete dualistische Dynamik
Wo beide Historie und Technik in solcher scheinbaren Gegensaumltzlichkeitverkoppelt sind koumlnnen sie sich zur Foumlrderung dessen zusammenschlieszligenwas einstmals wesentliche die Geschichte des Menschen mitbegruumlndet undwas wir die Kunstlsquo nennen Die Historie verschafft [] Anregungen undVorbilder der Nachahmung die Technik erleichtert [] die Zustellung vonDarstellungsmitteln und Wirkungsformen [] Gleichwohl ist alles wurzel-los [] berechnet und als Erlebnislsquo ausgegeben77
Diese vermeintliche Gefahr muumlnde als bdquoZuumlgellosigkeit des Historismusldquolsquo in der
bdquoBodenlosigkeit [] (das Judentum)ldquo78 Heideggers Mythos ist hier dieser bdquoWir
muumlssen zuvor geschichtlich sein [] Ohne diese uumlberlieferung verfaumlllt alles der
historisch-technischen Machenschaftldquo79
Heidegger mythologisiert uumlber den bdquoAuftrag des Deutschenldquo80 will in bdquoge-
schichtlicher Besinnung sehr weit zuruumlckgehen ndash auf den Zusammenhang von
τέχνη ἀλήθεια und οὐσίαldquo81 um Technik auf ihr Wesen im antiken Ursprung
zuruumlckzufuumlhren bdquoDie techne hat [] den Sieg uumlber die [] aletheia errungenldquo82
Heidegger will sie zuruumlckgewinnen Er will der Technik aus dem bdquoEreignisldquo83
wieder uumlbermaumlchtig werden und sieht das bdquoWesen des Vaterlandesldquo84 im Abend-
land Dabei ist es ihm unentbehrlich zu wissen bdquodaszlig das Griechentum [] und
76 Heideggers noch immer vorhande Rezeption in Puncto seiner Technikphilosophie erstauntdamit dass sein Prinzip der aletheiologischen Besinnung als alternatives Wissenssystem undTechnikkritik ob der eigenwilligen Konstruktion den Entwicklungen der Zeit standhaumllt
77 GA 95 S 21278 GA 95 S 9779 GA 96 S 10480 GA 94 S 6681 GA 94 S 35782 GA 95 S 13283 Ebd84 GA 96 S 52
22
nicht das Roumlmertum der Grund der Geschichte des Abendlandes istldquo85 Sein My-
thos von Heimat verknuumlpft sich uumlber Dichtung und Ereignis zu einem fuumlr die
Technikphilosophie essentiellen Bezugs-Topos
Wir brauchen keine Technik [] Das Wesen des Vaterlandes ist das Abend-land In ihm werden die Deutschen erst deutsch und erkennen die Muttervon Allem die unversehrte Erde [] Die Wahrheit erfahren wir im Ge-daumlchtnis Das Gedaumlchtnis ist die Dichtung Die Dichtung sagen der Denkerund Saumlnger in ihrem Gespraumlch Dieses Gespraumlch erst ereignet dichterisch dieDichtung in die Sprache (die Dichtung das Ereignis und das Ereignis dasAbendland) [] Wohnt in seiner Sprache [] seyd dem Seyn im Seyn Soist Sein das Seyn86
Eine weitere mythologische Form haben seine Fuumlgungen von Jahreszahlen
womit er bereits in den Bereich des Okkulten Mystischen abzurutschen droht
Houmllderlin wurde [] 1770 geboren [] 1870 aber Lenin Waumlhrend der []Lebenszeit Houmllderlins vollzogen sich die entscheidenden technischen Entde-ckungen und Erfindungen der neuzeitlichen Technik (1774ndash1806)87
Und ferner bdquo1807 Phaumlnomenologie des Geistes 1867 Das Kapital 1927 Sein
und Zeitldquo88
Als letzter Mythos sei hier sein Aufgriff der Spenglerschen Metapher des
Raubtiers89 aufgezeigt Uumlber weite Strecken philosophiert Heidegger uumlber das his-
torische Tier Das historische Tier muumlsse vernichtet werden die bdquodeutsche Zukunft
wirdlsquo nicht erst seinlsquo sie istlsquo schon seit Houmllderlin sie stifteteldquo90 Der Homo
faber ist fuumlr Heidegger das historisch-technische Tier qua der bdquoAngewiesenheit auf
das Tierhafte als Wesensgrundldquo91 Es fehle ihm was bdquodie Griechen als Anfangen-
deldquo mit der bdquoZugewiesenheit des Menschen zum Sein gewagt habenldquo92 wodurch
85 GA 96 S 20586 GA 97 S 52f Hierbei handelt es sich um eine Nachkriegsnotiz Heidegger aumlnderte den die
Adressierung in eine direkte Ansprache richtet sich an seine imaginierte Volksgemeinschaft87 GA 96 S 17488 GA 97 S 131 Womoumlglich ist es eine Uumlbung per Jahreszahlen das Aletheia-Prinzip zu prakti-
zieren eine Kontemplationshilfe Andererseits koumlnnte er auch der Regelmaumlszligigkeit der Zah-lenfolgen eine uumlbernatuumlrliche bdquoWahrheitldquo beimessen Dies bleibt an dieser Stelle unerforscht
89 VGl Spengler Oswald Der Mensch und die Technik Muumlnchen 1931 S 1090 GA 95 S 19791 GA 95 S 32092 GA 95 S 321
23
er den bdquoGoumlttern unertraumlglich gewordenldquo93 waumlre Das bdquoRaubtierldquo dem gegenuumlber
bdquoist die Urform des Heldenlsquoldquo94 Dann behauptet Heidegger dass das Raubtier das
historisch-technische Tier durch Anwendung seiner eigenen Waffen schlagen koumlnn-
te Es ist dabei die bdquoUumlberwindung der Metaphysikldquo mitgedacht die erfolge sobald
sich das metaphysische Fragen durch den Wille zum Willen verfestigt95 Auch
Spengler dachte an dieses Derivat des Nietzsche Topos vomWillen zur Macht das
er seiner antropomorphen Chimaumlre vom Raubtiermenschen eingibt Wieder ist
von der Gewalt die Rede die ein Tabula rasa schaffen sollte zur Wiederauferste-
hung des griechisch-abendlaumlndischen Anfangs in Deutschland bdquoDas Raubtier aber
mit denMitteln der houmlchsten Technik ausgestattet ndash vollendet die Verwirklichung
der brutalitas des Seinsldquo96
Es scheint so als haumltte Heidegger auf jeden Begriff einen Gegenbegriff (selbst
zum historisch-technischen Tier das Raubtier)97 Aber es geht hier nicht um die
Analyse ausgewogener Formprinzipien oder die Kritisierung seiner linguistischen
philologischen Faumlhigkeiten Die Zitierung der Heideggerschen Mythologie soll
seine Verbindung von voumllkisch-nationaler und antisemitischer Haltung mit den
Bedingungen und Anspruumlchen seines Philosophierens aufzeigen Da die Schwar-
zen Hefte wie alle sonstigen Werke seines philosophischen Schaffens in der GA
erschienen sind muumlssen sie insofern als Teil derer gelten Das bedeutet dass sie
ausreichend Relevanz fuumlr die Arbeiten uumlber die Technik haben98
93 GA 95 S 23694 GA 95 S 39795 Vgl GA 7 Uumlberwindung der Metaphysik S 7896 GA 95 S 39797 Vgl Rudolph Heideggers Schwarze Hefte im Echo S 151 bdquoKeiner hat Nietzsche so konse-
quent und wahnwitzig zumNazi avant la lettre verformt wie Heidegger und keiner hat einenzuvor gewaltsam gefuumlgig gemachten Nietzsche so konsequent instrumentalisiert um damitdie vulgaumlr- nationalistische Dekadenz im Sandwich zu geiszligeln wie Heidegger Die Philolo-gie ndash auch die klassische ndash (Colli Cancik Montinari) hat Nietzsche inzwischen laumlngst mitnachhaltigem Erfolg rehabilitiert Wer jetzt noch einen roten Faden von Nietzsche zu Hitlerzieht hat nur noch Heidegger auf seiner Seiteldquo
98 Zum Abschluss dieses Kapitels sei hinzugesagt dass der Veranschlagung der Beispiele vonHeideggers Mythologie ein Exzerpt von 13 Seiten aus 1700 Seiten Text der vier Baumlnde derSchwarzen Hefte zugrunde liegt Beim Studium dieser fielen die staumlndigen Repetitionen derimmer gleichen Figuren und Metaphern auf Daraus wurde geschlossen dass es sich um eineMythologie handeln kann was ein weiteres Forschen bestaumltigte Die hier zitierten Stellensind Topoi die sich in Huumllle und Fuumllle in jedem der vier Baumlnde finden lassen was ihrenmythischen Charakter unterstreicht Die Auswahl versucht ein besonders charakteristischesBild wiederzugeben
24
3 Heideggers mythopoetische
Technik
War Heidegger von seinem neuen Anfang nur zu traumlumen vergoumlnnt so gelang
ihm selbst aber die Wiederauferstehung aus der Asche des ZweitenWeltkriegs mit
der Vortragsreihe in Bremen (1949) uumlber die Technik Der Phoumlnix erweist sich
mittlerweile als Ikarus Anstatt sich selbst zu revidieren fordert Heidegger eine
Kehre ein die auf sein Programm der geschichtlichen Besinnung zum Ursprung ab-
zielt Rezipienten seiner Technikphilosophie taten zumeist seine voumllkischen und
nationalsozialistischen Verstrickungen mit der Niederlegung des Rektorats ab99
Sie glaubten an einen inneren Wandel Heideggers eine Laumluterung und sogar an
seinen geistigen Widerstand uumlber die Naziherrschaft hinweg100 Heute ist erwie-
sen wie Heidegger es aus seinem posthumen Gestaumlndnis in die Welt lecken laumlsst
dass er auf seine private Weise eine Form Nationalsozialismus hegte der die NS-
DAP und Hitler zwar als Vulgaumlrnazis kulturell degradierte aber sich selbst als
Denker-Nazi gerierte
Wie damit umzugehen ist steht aktuell in der Verhandlung Wie Rudolph es
behauptet stuumlnden die Heideggerianer bdquonun mit wertlosen Aktienldquo101 da Der
Kommunikationswissenschaftler Christian Fuchs sieht den Antisemitismus den
die Schwarzen Hefte zutage treten lassen als Notwendigkeit einer rigorosen Ver-
bannung Heideggers aus der technikphilosophischen Theorie102
99 Vgl Luckner Andreas Heidegger und das Denken der Technik Bielefeld 2008 S 64-69100 Vgl Babich Babette Nietzsche Heideggers Widerstand In Alfred Denker u Holger Zabo-
rowski (Hg) Heidegger-Jahrbuch 5 Heidegger und der Nationalsozialismus II Interpreta-tionen S 397-416
101 Rudolph Heideggers Schwarze Hefte im Echo S 146102 Vgl Fuchs Christian Martin-Heideggerrsquos anti-Semitism Philosophy of technology and the
media in the light of the ldquoBlack Notebooksldquo Implications for the reception of Heidegger inmedia and communication studies In tripleC Communication Capitalism amp Critique 13(1) (2015) S 55-78 hier S 74 Anstatt dessen pocht Fuchs auf die alternative Verwendungder Kritischen Theorie uumlber Fragestellungen zur Technik
25
It seems to me that Heideggerrsquos fetishism is often lrsquoart pour lrsquoart Heideg-ger pour Heidegger a tactic that aims at creating an aura of complexity byevoking Heidegger although the same content could be expressed withouthim103
Fuumlr Trawny waumlre dies ein bdquoperformativer Widerspruch [] stets daran zu erin-
nern Heidegger vergessen zu sollenldquo104 Quo vadis Heidegger
Die objektive Antwort Rudolphs der an den Commonsense und die Beweis-
last der Anklage glaubt wie auch der subjektive Appell Fuchs der es zur mora-
lischen Entscheidung des Einzelnen macht Heidegger zu vernachlaumlssigen setzen
aktuell die Jahrzehnte alte Tradition der Heidegger-Kontroverse fort Ein im Sep-
tember 2016 erscheinender Sammelband wird zusaumltzlich die Debatte mit neuen
Bewertungen anreichern105
In diesem Kapitel soll es nicht um die direkte Einreihung in eine der bestehen-
den Polemiken gehen sondern um den Versuch der Betrachtung der spaumlten Tech-
nikphilosophie Heideggers als mythopoetische Dichtung in seinem Sinne des
Philosophierens Als exemplarisches Werk ruumlckt damit das Vortrags-Geviert der
Bremer Vortraumlge ins Zentrum der Anschauung106 Hier wird davon ausgegangen
103 Ebd S 73104 Trawny Heidegger und der Mythos der juumldischen Weltverschwoumlrung S 141105 Heinz Marion und Kellerer Sidonie (Hg) Martin Heideggers raquoSchwarze Heftelaquo Eine
philosophisch-politische Debatte Berlin 2016 (im Druck) Aus dem Klappentext diesesTitelsbdquoOffene antisemitische Aumluszligerungen in diesen Denktagebuumlchern haben in der nichtakade-
mischen Oumlffentlichkeit fuumlr Empoumlrung gesorgt Die entscheidende Frage ist jedoch welcheVeraumlnderungen der Perspektive auf Heideggers Denken insgesamt sich dadurch ergebenund ob damit zugleich eine Neubewertung des Gesamtwerks eines der einflussreichstenPhilosophen des 20 Jahrhunderts noumltig istldquoEine der Herausgeberinnen des Bandes Sidonie Kellerer ist zudem an einem anlaufenden
fuumlnf jaumlhrigen Forschungsprojekt an der Universitaumlt Stuttgart im Rahmen des StuttgartResearch Centre for Text Studies beteiligt Heidegger und die Postmoderne Geschichteeiner Irrefuumlhrungiquest Sie und der Stuttgarter Literaturwissenschaftler Claus Zittel werden Hei-deggers ideologische Verstrickungen in den Nationalsozialismus untersuchen die textlichrekonstruierbar aber nachtraumlglich geklittet worden waumlren bdquoSo konnte die Wissenschaft-lerin Dr Sidonie Kellerer anhand des Vortrages Die Zeit des Weltbildeslsquo erstmals 1950veroumlffentlicht [sic] dass zahlreiche Passagen nachtraumlglich so modifiziert wurden dass dieurspruumlngliche Apologie des Nationalsozialismus nunmehr als Kritik am Regime gedeutetwerden konnte Die 2014 erschienenen Schwarzen Heftersquo mit persoumlnlichen AufzeichnungenHeideggers bestaumltigen zudem wie tief verankert in seiner Philosophie Rassismus undNationalsozialismus waren und bliebenldquo(httpwwwuni-stuttgartdehkompresseservicepressemitteilungen201567_kellererhtmlzuletzt abgerufen am 1442016)
106 Von einer umfassenderen Analyse der Schriften Heideggers zur Technik muss aus Platzgruumln-den abgesehen werden Die Voumlrtraumlge vom Ge-stell der Technik der Kehre und dem Dingsind vor allem wegen ihres Publikationszeitraums interessant da sie direkt an die Dokumen-
26
dass Heidegger den Versuch der abgrenzungspolitischen Einflussnahmemacht ge-
maumlszlig der oben dargelegten Ressentiments die sich in einer Mythologisierung des
Abendlandes niederschlagen Um seinem Ideal des dichtenden Denkens als Philo-
sophieren nachzukommen will Heidegger diese Einschreibung des Abendlandes
mythopoetisch vollfuumlhren
Grundsaumltzlich ist Verbindung und Trennung Heideggers boumlser Schwarzer Hef-
te mit und von seiner guten Technikphilosophie das Schlachtfeld aktueller De-
batten Wie bereits darauf hingewiesen werden hier Schwarze Hefte und Veroumlf-
fentlichungen wie eben in Form der Bremer Vortraumlge als ein kontinuierlicher
Arbeitsprozess gesehen Es gibt insofern nur einen Heidegger und keine gespal-
tene Persoumlnlichkeit Die Siegener Philosophin Sodonie Kellerer stellt dies anhand
Heideggers Selbstsicht luzide dar
Seine immer wiederkehrende Beschwoumlrung des Werkeslsquo und seine an diver-sen Stellen der bislang vorliegenden Briefkorrespondenz artikulierten Be-muumlhungen dieses Werklsquo fuumlr die Nachwelt zu sichern [Kellerer bezieht sichhier ua auf Heideggers Briefwechsel mit seiner Frau der 2007 veroumlffentlichtwurde DS] verdeutlichen wie sehr er seine Texte als ein Ganzes verstandin dem keines der Teile entbehrliche Wiederholung geschweige denn irrele-vante Eroumlrterung ist107
Dabei allerdings wird die Frage offen bleiben mit welchem Maszlig er sich selbst ge-
faumlhrdet sah seine Ansichten oumlffentlich zu vertreten und welche Konsequenzen er
dabei fuumlrchtete Denn er musste die Vortraumlge kodieren ndash was er im Sinne der My-
thopoetik auch macht ndash und mit Einigem hinterm Berg halten108 Dass es dabei
verschiedene Offenbarungsebenen gibt wird hier erst einmal hingenommen Es
interessieren staumlrker nachweisbare Bezuumlge des Entwurfsdenkens Heideggers zur
Oumlffentlichkeitsarbeit von ihm109
te der Schwarzen Hefte anschlieszligen (1948 der letzte Band der Schwarzen Hefte umfasst denZeitraum 1942-1948)
107 Kellerer Sidonie Kampf der Besinnung In Deutsche Zeitschrift fuumlr Philosophie Band 63Heft 5 Seiten 941ndash957 hier S 942
108 Weshalb die Veroumlffentlichung der Schwarzen Hefte auch weitestmoumlglich nach hinten verlegtwurde
109 Wuumlrde man dem entgegenhalten dass Heideggers vermeintliches Genie aus Formalisierun-gen seiner Gedanken ableitbar eine wichtige Quelle an sich bliebe scheitert dieses damitdass nun die Formalisierungen nicht personenneutral sozial-epistemologisch bestehen koumln-nen Als Vergleich wuumlrde man aus Hitlers und Goumlbbels Reden Formalisierungen isolierenlieszlige sich bestimmt die eine oder andere plausible Idee entwenden (wenn sie voumlllig dekon-
27
Hierzu wird der Text der gesamten vier Vortraumlge unter dem Titel Einblick
in das was ist Bremer Vortraumlge 1949lsquo110 aus dem 1994 veroumlffentlichten 79 Band
der GA zugrunde gelegt Das hat den Grund dass davon ausgegangen wird dass
der Text somit am naumlchsten an den 1949 tatsaumlchlich vorgetragenen Manuskripten
liegt Insofern ist eine realistische Annaumlherung an eine mythopoetische Uumlbertra-
gung der Schwarzen Hefte in die Bremer Vortraumlge 1949 das Ziel Demgegenuumlber
gibt es ob der virulenten Publikationspraxis von Heideggers Schriften111 noch
andere Auskopplungen der vier Vortraumlgsteile mit den Titeln Das Dinglsquo Das Ge-
Stelllsquo Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo
31 Zur Publikationsgeschichte von den
Bremer Vortraumlgen 1949
Zuerst erschien 1954 im Neske-Verlag (Pfullingen) ein Sammelband der lediglich
den ersten Vortrag Das Dinglsquo enthaumllt allerdings in leicht erweiterter Fassung
so wie er ein halbes Jahr nach dem Bremer Auftritt in Muumlnchen (1950) an der
Akademie der Schoumlnen Kuumlnste gehalten wurde112 Dem Band hinzugefuumlgt ist aber
zudem ein Vortrag der vornehmlich die Kernaussagen von Das Ge-Stelllsquo und
Die Gefahrlsquo verbindet allerdings in modifizierter Form Dieser wurde unter dem
textualisiert wuumlrde) Ist aber die wahre Verbindung zu Hitler und Goumlbbels hergestellt hatman selbstverstaumldlich die Verantwortung zu tragen an dem ganzen Tross von unmoumlglichenVerfehlungen dieser Menschen die sie fuumlr uns zu Personae non gratae stempeln muumlssen
110 GA 79111 Hierauf macht auch der Darmstaumldter Philosoph Gernot Boumlhme aufmerksam als Akt ei-
ner bdquoposthumen Selbstinszenierungldquo in Boumlhme Gernot Selbstinszenierung uumlber Ruhmin der Philosophie In Information Philosophie (Online Ausgabe 12015) URL=lthttpwwwinformation-philosophiedea=1ampt=8232ampn=2ampy=5ampc=29gt zuletzt ab-gerufen am 2442016)
112 Heidegger Martin Das Ding In Ders Vortraumlge und Aufsaumltze Pfullingen 1954 S 163ff
28
Titel Die Frage nach der Techniklsquo113 am 18 November 1953 an der TUMuumlnchen
gehalten
Eine weitere Auskopplung diesmal des letzten Vortragsteils Die Kehrelsquo fin-
det sich in einem broschuumlrenformatigen Band wiederum im Zusammenspiel mit
dem Vortrag Die Frage nach der Techniklsquo in Die Technik und die Kehrelsquo114 von
1962 wieder Somit wurden die Vortraumlge Das Ge-Stelllsquo und Die Gefahrlsquo lange
Zeit nicht veroumlffentlicht sondern als vermischter und modifizierter Text eben
Die Frage nach der Techniklsquo jeweils zusammen mit Das Dinglsquo (1954) und Die
Kehrelsquo (1962) angeboten115 In der Vorbemerkung zu Die Technik und die Keh-
relsquo wird diese kleine Chronologie leicht verfaumllscht auch aufgezeigt Darin heiszligt
es ferner dass Die Frage nach der Techniklsquo eine erweiterte Fassung von Das Ge-
Stelllsquo waumlre Dem ist wie schon gesagt nicht so Sondern es ist eine modifizierte
Vermischung von Das Ge-Stelllsquo und Die Gefahrlsquo was unschwer zB am Begriff
vom bdquoHer-vor-bringenldquo116 zu erkennen ist der in Die Gefahrlsquo eingefuumlhrt wird
und in Die Frage nach der Techniklsquo die gleiche Bedeutungskonstituente bildet
Mit der Veroumlffentlichung des 79 Bandes der GA 1994 wurden alle vier Bremer
Vortraumlge von 1949 publiziert In Band 11 der GA erschien 2006 auszligerdem Die
Kehrelsquo in ihrer urspruumlnglichen Fassung Die Frage nach der Techniklsquo enthaumllt
weniger mythopoetische Teile als Das Dinglsquo und operiert demgegenuumlber staumlrker
anhand klassisch philosophischer Allgemeinplaumltze Derer sind vor allem zu nen-
113 Heidegger Martin Die Frage nach der Technik In Ders Vortraumlge und Aufsaumltze Pfullingen1954 S 9ff (Der Aufsatz erschien ebenfalls 1954 im Sammelband der Vortragsreihe DieKuumlnste im technischen Zeitalter Heidegger Martin Die Frage nach der Technik In DieKuumlnste im technischen Zeitalter Dritte Folge des Jahrbuchs Gestalt und Gedanke Hg v dBayrischen Akademie der Schoumlnen Kuumlnste Muumlnchen 1954 S 70ff)
114 Heidegger Martin Die Technik und die Kehre Pfullingen 1962115 Beide Baumlnde Votraumlge und Aufsaumltzersquo sowie Die Technik und die Kehrersquo haben hohe Aufla-
genzahlen (Uumlbersetzungen wurden hier nicht recherchiert wobei es aber eine internationa-le Heidegger-Rezeption gibt) 1993 wurde der Pfullinger Neske-Verlag von dem StuttgarterHaus Klett-Cotta uumlbernommen was die Buumlcher aber unveraumlndert belaumlsst Vortraumlge und Auf-saumltzelsquo zaumlhlt seit 2009 die 11 Auflage Die Technik und die Kehrelsquo seit 2014 die 13 BeideBaumlnde sind vergriffen Es mutet unverstaumlndig an weshalb eine fehlerhafte Jahresangabe ausder ersten Veroumlffentlichung von Die Technik und die Kehrelsquo bis 2014 kolportiert wurdeDort steht der Vortrag Die Frage nach der Techniklsquo waumlre am 18 November 1955 gehaltenworden Der Vortragstermin war aber am 18 November 1953
116 Vgl GA 79 S 64 Und Heidegger Die Technik und die Kehre S 11
29
nen die Auflistung der bdquovier Ursachenldquo117 nach Aristoteles und die Kritik an der
Technik als bdquoein Mittel zu Zweckenldquo118 (Kausalitaumlt)119
Der Vortrag Das Dinglsquo galt Heidegger bei der Darbietung seiner Technikphi-
losophie nach dem Zweiten Weltkrieg allerdings als unentbehrlich ndash und damit
seine groszligflaumlchige Aufblaumltterung der Mythopoetik wie im folgenden Kapitel hier
gezeigt wird Denn im Vortrag Die Frage nach der Techniklsquo benutzt Heideg-
ger noch immer seinen mythopoetischen Topos vom Versammeln des Gebirges
der mit dem Versammeln eine Konstituente des Gevierts ist (bdquoErde und Himmel
die Goumlttlichen und die Sterblichenldquo120) (su)121 Fuumlr die Kaumlufer und Leser von
der spaumlteren Veroumlffentlichung Die Technik und die Kehrelsquo wird zudem in Die
Kehrelsquo extra auf den Vortrag Das Dinglsquo in der 1954er Ausgabe in Vortraumlge und
Aufsaumltzelsquo verwiesen122 Das zeigt wie wichtig und unerlaumlsslich Heidegger seine
mythopoetische Denkweise der Technik ist Auch wenn er in Die Frage nach der
Techniklsquo einen allgemeineren und offeneren Ansatz entwickelt hat der dadurch
auch leichter zu erschlieszligen ist
32 Die mythopoetische Spiegelung der Schwarzen
Hefte in den Bremer Vortraumlgen von 1949
321 Das Dinglsquo
In dem Vortrag Das Dinglsquo der 1949 vor dem privaten Club zu Bremen dort im
Neuen Rathaus das Vortragsquartett einleitete fuumlgt Heidegger mythopoetisch
zusammen was folgenden Topoi seiner Schwarzen Hefte aus Kap 221 entspricht
117 Heidegger Die Technik und die Kehre S 6118 Ebd S 6119 Diese Topoi versucht Heidegger in dem Text zu zersetzen und ihnen ein aletheisches Prin-
zip des Entbergens der Technik entgegenzusetzen Dies erfolgt wiederum auch anhand derVerwendung von mythopoetischen Teilen Darauf kann hier aber nicht weiter eingegangenwerdenAls weitere Gemeinsplaumltze (die er teils unterstuumltzend teils zur Zersetzung einfuumlgt) handelt
der Text auch mit Zitaten von Platon Heisenberg J P Hebel und Goethe120 Ebd S 12121 Vgl GA 79 S 11 Und Heidegger Die Technik und die Kehre S 19122 Vgl Heidegger Die Technik und die Kehre S 42f
30
1 die antirationale Wissenschaftsfeindlichkeit 2 der Mythos des Goumlttlichen 3
das Griechentum uumlber dem Roumlmertum 4 die Zahlenmystik (anhand des Spiegel-
Spiels des Gevierts ndash su) 5 das geschichtsbesinnliche Prinzip der Aletheia
Heidegger stellt zuerst die Frage nach dem Ding und will sie daraufhin ver-
anschaulichen mittels der Metapher des Kruges dh mit dem Krug als ein exem-
plarisches Ding Er fuumlhrt dann vor (was der Geste eines Zauberkuumlnstlers aumlhnelt)
wie der leere Krug gefuumlllt wird ndash Luft weicht der Fluumlssigkeit Dieses Sachverhaumllt-
nis aber ist fuumlr ihn Halbpoesie und eine Angabe aus der Physik sie verfehle das
vermeintliche Wesen des Kruges
Die Wissenschaft stellt durch sie [die Angabe der Physik DS] etwas Wirk-liches vor wonach sie sich objektiv richtet Aber ndash ist dieses Wirkliche derKrug Nein DieWissenschaft trifft immer nur auf das was ihre Art des Vor-stellens im vorhinein als den fuumlr sie moumlglichen Gegenstand zugelassen hat[] Die Wissenschaft macht das Krug-Ding zu etwas Nichtigem insofernsie Dinge nicht als das Maszliggebende zulaumlszligt123
Als ein wirkmaumlchtiges Beispiel das ihm sicherlich viel Beachtung uumlber die
Jahrzehnte seit ihrer Zuumlndung in Japan hinweg einbrachte fuumlhrt Heidegger die
Atombombe an Diese sei zu verstehen als verdinglichte Wissenschaft die das
Ding vernichten wuumlrde
Deren Explosion ist nur die groumlbste aller groben Bestaumltigungen der langherschon geschehenen Vernichtung des Dinges dessen daszlig das Ding als Dingnichtig bleibt124
Er buumlndelt damit Wissenschaft und Verkennung des Wesens als maszliggebend mit
dem Ding als sein machenschaftliches Prinzip der zerrechnenden Zerstoumlrung Drei
Jahre nach Kriegsende war der buumlrgerlich-elitaumlre Kreis in Bremen sicherlich be-
wegt von dieser Wortgewalt Diese jedoch suchte ja ihr Heim Harmonie Ruhe
in dem Haus als Wesen der Sprache
Und so faumlhrt Heidegger fort und ersetzt das physikalische Prinzip des Inhalts-
wechsels von Luft zu Wein in ein bdquoGeschenk des Gussesldquo als Spende und Opfer
den Goumlttern (2)125
123 GA 79 S 8124 Ebd S 9125 Vgl Ebd S 11f
31
Der Guszlig ist der den unsterblichen Goumlttern gespendete Trank [] Der ge-weihte Trank ist das was das Wort Guszliglsquo eigentlich nennt Spende und Op-fer Guszliglsquo gieszligenlsquo lautet griechisch χέειν indogermanisch ghu Das bedeu-tet opfern
Hier spielt bereits der Ursprungsmythos der Griechenmit ein (3) es ist aber auch
ein Bezug auf das Geviert Dieses waumlre ein System ein zusammen Gestelltes aus
bdquoErde und Himmel die Goumlttlichen und die Sterblichenldquo126 Im Guszlig des Trunkes
weilten gemeinsam diese Vier als emblematische Verbindung
Das im Geschenk Versammelte sammelt sich selbst darin das Geviert ereig-net zu verweilen Dieses vielfaumlltig einfache Versammeln ist das Wesen desKruges Unsere Sprache nennt was Versammlung ist in einem alten WortDies lautet thing127
Das Geviert zehrt von der Zahlenmystik zum einen als die Versammlung der
vier Begriffe an sich zum anderen da Heidegger ihnen eine Spiegel-Funktion
zuschreibt bdquoJedes der Vier spiegelt in seiner Weise das Wesen der uumlbrigen wie-
derldquo128 und ferner weil er damit auf sich selbst dh auf sein Vortrags-Geviert
verweist (4) Wie in Kap 21 schon gesagt lebt der Mythos von seiner Verbind-
lichkeit Diese legt Heidegger allen nah die sie verinnerlichen wollen bdquoSagen wir
die Sterblichen dann denken wir falls wir denken die anderen Drei mit aus der
Einfalt der Vierldquo129
Sollte der Vollzug der Praxis des sukzessiven Mitdenkens aller vier Geviert-
Entitaumlten gelingen koumlnnte das Ereignis der Aletheia begriffen werden (5) bdquoDas
Spiegel-Spiel von Welt ist der Reigen des Ereignensldquo130 Diese wird aber auch be-
griffen in Abgrenzung von dem Roumlmertum (3) denn in der bdquorealitas der resldquo
haumltten die Roumlmer bdquoihr Erfahrenes niemals eigens in seinem Wesen gedachtldquo131
Das waumlre den Griechen vorzubehalten und vom verstaumlndig denkenden Deutschen
wiederzubeleben
126 Ebd S 12127 Ebd S 13128 Ebd S 18129 Ebd130 Ebd S 19131 Ebd S 15
32
Der Krug ist ein Ding weder im Sinne der roumlmisch gemeinten res noch imSinne des mittelalterlich vorgestellten ens noch gar im Sinne des neuzeitlichvorgestellten Gegenstandes [] Der Krug ist Ding insofern er dingt132
Die Bindung an das deutsche Wort bdquoDingldquo das er spielerisch auch ins Englische
Romanische und Franzoumlsische uumlbersetzt ist unerlaumlsslich fuumlr seine ethymologi-
sche Argumentation In der ist der bdquoGuszligldquo ruumlckgefuumlhrt auf indogermanisch bdquoghuldquo
und das bdquoDingldquo auf das mittelhochdeutsche bdquothingldquo So konnten antik die Roumlmer
von den Griechen abgrenzt werden und modern die anderen drei Sprachen vom
Deutschen Das englische sich sehr nah am bdquothingldquo befindliche bdquothingldquo wird mit
dem Roumlmischen ausgespielt
Im Englischen hat thing noch die erfuumlllte Nennkraft des roumlmischen Wor-tes res bewahrt [] dh ein aus sich kommendes den Menschen Angehen-des133
Fuumlr Heidegger geht es beim bdquothingldquo aber um die mittelhochdeutsche Uumlbersetzung
der Versammlung Darauf beruht sein gesamter Systemansatz mit Geviert und
Ge-stell
Schulz-Nieswandt fuumlhrt diese Zusammenstellung zum Bejubeln von Heideg-
gers Mythopoetik
So fundamental sieht Heidegger die Welt Die Quelle des Wassers wird zurHochzeit von Himmel und Erde das Gieszligen des Wassers aus dem Krugzum Geschenk Auch Sprache ist daher kein Instrument sondern Ort desWohnens des Menschen Sprache wird zum Haus des Seinslsquo134
Hier bestaumltigt die Untersuchung des Ding-Vortrags die These von einer mytho-
poetischen Einschreibung der nationalistischen voumllkischen Abgrenzungs-Mythologie
aus den Schwarzen Heften
322 Das Ge-Stelllsquo
Der zweite Vortrag des Reden-Gevierts setzt ein mit der Metapher des fehlen-
den Abstands Wo kein Abstand sei da waumlre auch keine Naumlhe so Heidegger Er
132 Ebd S 16133 Ebd S 14134 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei Walter
F Otto S 59
33
verbindet die Abstandslosigkeit mit Urbanitaumlt und Verkehr alles fluktuiere Es
waumlre der Bestand der sich bestelle in dem das Abstandlose herrsche Das sind
neue Metaphern fuumlr die Machenschaft In seiner Erzaumlhlung vom Ge-Stell gibt es
bedeutend weniger mythopoetische Passagen als in dem vorangegangenen Vor-
trag Allerdings uumlbertraumlgt er den mythopoetischen Gehalt der Rede vom Ding
bereits im ersten Absatz von Das Ge-Stelllsquo mit dem Credo bdquoNaumlhe west insofern
das Ding dingtldquo135 Mit dieser Verbindung wird klar unter welchem Zeichen Hei-
degger die Rede vom Ge-Stell verstanden wissen will ndash als verlorenes Verhaumlltnis
des voumllkisch-traditionell verwurzelten Menschen mit den vermeintlichen Wesen
all seiner Gebrauchsobjekte in der mythopoetischen Formel des sich spiegelnden
Gevierts
Nahezu nuumlchtern erzaumlhlt Heidegger dann von dem Gefaumlngnis des Menschen
im Wesen der zirkulierenden sich immer neu bestellenden Bestandstechnik des
Ge-Stells Dabei scheinen folgende Mythen aus den Schwarzen Heften hindurch ndash
1 bdquoHistorie die Technik der Geschichtelsquo Technik die Historie der Naturlsquoldquo136
2 das historische Tier 3 der Appell an den Auftrag des Deutschen 4 der geschicht-
liche Mensch muss die Historie und damit die Technik uumlberwinden und 5 die
alles zernichtende Machenschaft des juumldischen Wesens
Den Topos der seinsvergessenen Groszligstadt jedenfalls kontrastiert er mit der
Bauerndorfidylle Da aber bdquodas Abstandlose herrschtldquo137 waumlre das Vorruumlcken der
Maschinentechnik bereits universell So in Form des Traktors Schon in Band
96 der Schwarzen Hefte beklagt er dieses bdquozum elektrischen Pflug [] gehoumlrt
das amerikanisch aufgemachte Magazinlsquoldquo Insofern erfolge die bdquoAngleichung der
Sitten der Bergbewohner an diejenigen des groszligstaumldtischen Sport- und Barbe-
triebsldquo138
Sein erster Land-Stadtvergleich betrifft den Bauern dessen Totenruhe tradi-
tionell in einem sg bdquoTotenbaumldquo (Sarg) stattgefunden haumltte ndash bdquoIn ihm gedeiht
der Tod des Totenldquo139 Dem gegenuumlber klingt in der bdquomotorisierten Bestattungs-
135 GA 79 S 24136 GA 95 S 351137 GA 79 S 24138 GA 96 S 54139 GA 79 S 26
34
industrie der Groszligstadtldquo140 bereits Heideggers pietaumltsloser Gaskammernvergleich
an
Ackerbau ist jetzt motorisierte Ernaumlhrungsindustrie im Wesen das Selbewie die Fabrikation von Leichen in Gaskammern und Vernichtungslagerndas Selbe wie die Blockade und Aushungerung von Laumlndern das Selbe wiedie Fabrikation von Wasserstoffbomben141
Hier wird davon ausgegangen dass es eine Uumlbertragung der Notizen uumlber
das deutsche Land als bdquoeinziges KZldquo ist die Unterdruumlckung des deutschen Vol-
kes durch die bdquoWeltdemokratieldquo die schlimmer sei als die Graumlueltaten der bdquoGas-
kammernlsquoldquo142 In die mythopoetische Formel von dem dingenden Ding aus dem
ersten Vortrag sind alle Valenzen eingeschrieben die es zur Aufgabe des abendlaumln-
dischen Deutschen (also als Nachfolger der alten Griechen) machen das Wesen
des Dings und somit der Technik zu huumlten Die Verantwortung fuumlr Genozid
Massenvernichtungswaffen und den Mangel im Nachkriegsdeutschland schreibt
Heidegger gleichfoumlrmig dem Prinzip der Abstandslosigkeit zu
Auch die Rede von der Habgier des Berechnenden ist ein bereits bekannter
Vorbehalt Heideggers anhand der Rede vom raffgierigen Juden Denn er sagt von
der bdquoHerrschaft des Abstandlosenldquo dass sie bdquodie Hab-gier des vorstellenden Be-
rechnensldquo waumlre143 Das entspricht seinem Mythos von der alles zernichtenden
Machenschaft des juumldischen Wesens144
Dann folgt eine lange Elegie uumlber das Bestellen des Bestands des Ge-Stells
bdquo[d]ie Kette des Bestellens laumluft auf nichts hinaus sie geht vielmehr nur in ihren
Kreisgang hineinldquo145 uumlber 19 Seiten des 21 seitigen Vortragsexts hinweg entwirft
Heidegger diverse Bilder wie das Ge-Stell die Natur das Hergestellte den Men-
schen und das Verstandesmaumlszligige vereinnahme und das Wesen desDings gleichsam
zur Veruntreuung bringen wuumlrde Wiederum poetisch orientiert kontrastiert also
140 Ebd141 Ebd S 27142 GA 97 S 99f143 Vgl GA 79 S 25144 Vgl Machenschaft hier S 29 und Geraff hier S 33145 GA 79 S 29
35
Heidegger Houmllderlins Hymne Der Rheinlsquo mit dem Rhein dessen Stroumlmung fuumlr
ein Stromkraftwerk genutzt wird
Achten wir um das Ungeheure das hier waltet zu ermessen nur auf einenAugenblick auf den Gegensatz der sich in den beiden Titeln ausspricht DerRhein verbaut in das Kraftwerk ndash der Rheinlsquo gesagt in der gleichnamigenHymne Houmllderlins146
Die Differenz also waumlre das Ungeheure147 Dabei waumlre der Rhein verbaut in das
Kraftwerk Aumlhnlich wie Kohle Erze und Rohoumll waumlren sie Bestand der bdquobesteht
im Bestellenldquo ndash bdquoDas Bestellen waumlre demnach lediglich eine Machenschaft des
Menschen vollzogen in der Weise der Ausbeutungldquo148
Das Bild des Wasserkraftwerks wird erweitert um den Begriff des Menschen
Elektrizitaumlt mit Wasserkraft erzeugen bdquokoumlnnen die Menschen [] nur insofern
sie selber schon in dieses Bestellen bestellt sindldquo149 Mit diesem Bild versucht Hei-
degger praktisch zu veranschaulichen dass Entwurf Umsetzung und Einsatz ei-
ner technischen Anlage den Menschen in ein entruumlcktes Verhaumlltnis zum Wesen
des dingenden Dings setze ndash bdquoDer Mensch ist darum der Angestellte des Bestel-
146 Ebd147 Das ist zusaumltzlich zu dem gemeinten Gegensatz ein Vergleich mit dem Heidegger dem Wort
bdquoRheinldquo in die Hymne Der Rheinlsquo gesprochen eine Energie erzeugende Wirkung zu-schreibt eben so wie das Kraftwerk Strom erzeugen wuumlrde Das wird klar dadurch dassHeidegger metaphorisch vom Stellen des Wortes bdquoRheinldquo in die Hymne spricht Es handeltsich um einen Appell zur denkerischen Besinnung Dass Heidegger dafuumlr eine technischeAnlage zur Veranschaulichung inspirierend wirken laumlsst spielt bereits in die Richtung derBegriffe bdquoHer-vor-bringenldquo bdquoEntbergenldquo und spielt auf das Alteheia-Prinzip an Darauf wirdweiter unten anhand Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo eingegangen werden Es handelt sich umdas Angebot eines mythopoetischen Umgangs mit Technik insbesondere wenn sie sich inheimische Gefilde einfuumlgtHeute koumlnnte man mit Windraumldern ebenso verfahren Somit koumlnnte aber auch Heidegger
als ein gewisser Quijana aus Mancha verstanden werden eben der Protagonist aus Miguel deCervantes Roman Don Quichote von der Manchalsquo der mit seinem von ihm flux auch um-benannten Klepper (weil er zuvor sich selbst in Don Quichote umtaufte) Rocinante Riesenbezwingen will um mit dieser Heldentat unsterblichen ritterlichen Ruhm zu erstreitenAuch Don Quichote fand seine Riesen in Windmuumlhlen und auch Don Quichote war uumlber
eine uumlbertriebene Auseinandersetzung mit einer verschuumltteten Kultur dieser verfallen undsuchte diese in seiner Aventuumlre zu reaktualisieren Martin Heideggers mythopoetisches Pro-gramm ist tatsaumlchlich stark mit Don Quichotes Motiv vergleichbarFerner waumlre eine Auseinandersetzung mit Heideggers Werk unter Beruumlcksichtigung sei-
ner Gewichtung der Vorsokratiker und Houmllderlin als mythopoetischen Autor eine moumlglicheForschung zum Thema Anachronismen in Konzepten von Moral und gesellschaftlicher An-gemessenheit (Vgl Cervantes Miguel de Don Quichote von der Mancha Herausgeben unduumlbersetzt v Susanne Lange Muumlnchen 2008 S 33f)
148 GA 79 S 29149 GA 79 S 30
36
lensldquo150 Schon vorher wies Heidegger darauf hin bdquo[d]ie Herrschaft des Gegen-
staumlndigen sichert nicht den Abstandldquo151 Jetzt heiszligt es
Das Bestellen befaumlllt nicht nur die Stoffe und Kraumlfte der Natur mit Gestel-lung Das Bestellen befaumlllt zugleich das Geschick des Menschen Das Wesendes Menschen wird daraufhin gestellt das Bestellen in menschlicher Weisemitzuvollziehen152
Der Begriff des Ge-Stells wird daraufhin so konstruiert dass es im Bestellen
um ein Stellen (Herausfordern) alles bdquoAnwesenden als Bestandldquo als bdquoversus unumldquo
gegen bdquodas Eine Ganzeldquo gehe153 In wiederum mythopoetischer Formulierung ge-
baumlre die bdquoVersammlung des Stellens worin alles Bestellbare in seinem Bestand
west das Ge-Stellldquo154 Der Begriff bdquoVersammlungldquo wird einen Absatz zuvor my-
thopoetisch wieder an die Versammlung also das thing eben das wesenhafteDing
angelehnt und somit wie zu Das Dinglsquo bereits oben erlaumlutert in einen deutsch-
abendlaumlndischen Kontext gestellt (3)
Wir nennen die Versammlung der Berge die von sich her einig und nienachtraumlglich schon gesammelt ist das Gebirge Wir nennen die Versamm-lung der Weisen nach denen uns so zumute ist und sein kann das Gemuumlt155
Allerdings ist obiges Versammlungsmodell hier als Kontrast zu sehen zu dem
bdquoGeraff des Getriebesldquo das das Ge-Stell darstellt als bdquoWesen der Technikldquo156 Hei-
degger sieht in der Gleichfoumlrmigkeit die zum Wesen des Technik als Ge-Stell
150 GA 79 S 30151 GA 79 S 25152 GA 79 S 31153 Vgl GA 79 S 32154 GA 79 S 32155 Ebd
Das Wort ldquoGemuumltrdquo hat ferner eine ausschlieszliglich deutsche Praumlgung gibt es doch keinedirekte Uumlbersetzungen Gemuumlth ist ferner ein nicht eindeutig umrissener Begriff (Vgl Kra-mer Cheryce A Foolrsquos Paradise The Psychiatry ofGemuumlth in a Biedermeier Asylum Chica-go 1998 S 19) Die Bedeutung im Deutschen selbst ist zudem sehr variabel hat aber zumeistmit Seelen- oder Geistkonzepten zu tun ndash Cheryce von Xylander (geb Kramer) uumlbersetztGemuumlth mit bdquosoul-organldquo (ebd S 43) das von diversen Autoren unterschiedlich konstru-riert wird (zB von Kant geistigkoumlrperlich und von Kleist individuellkollektiv (vgl ebdS 41)) In Heideggers emblematischem Duktus scheint eine Vermischung von allen vier Di-mensionen geistigkoumlrperlich wie auch individuellkollektiv stattzufinden Es ist auf jedenFall dem Mythos geschuldet den Auftrag des Deutschen anzunehmen (3)
156 GA 79 S 33
37
gehoumlre die planetarische Abloumlsung und Aufhebung des traditionellen und damit
wesenhaft ans Ding gebundenen Verhaumlltnisses vom Menschen zur Erde (das von
ihm idealisierte voumllkische Bauerntum das Bestellen des Ackers) bdquoDie Bestand-
Stuumlcke sind Stuumlck fuumlr Stuumlck die Gleichenldquo157 So kontrastiert er alte Handwerks-
techniken mit Maschinentechnik und schreibt der Maschinentechnik die machen-
schaftliche Verdraumlngung als Geraff zu
Das Ge-Stell hat auch wenn das nicht unmittelbar und nicht sogleich ver-nehmlich wird im vorhinein schon alle diejenigen Stellen beseitigt an denenvormals Spinnrad und Wassermuumlhle standen Das Ge-Stell bestellt durch sei-ne Maschinerie zum voraus eine andere Art und Ordnung von Stellen Andiesen kommt nur zu Stand was als Bestellbares auf der Stelle gleichfoumlrmigzur Stelle steht
Darum ist auch die Art wie die Maschine selbst etwas herstellt einewesentlich andere als das handwerkliche Tun gesetzt daszlig es innerhalb desGe-Stells uumlberhaupt noch so etwas wie ein Herstellen gibt
Die Traktoren und Kraftwagen werden herausgebracht ausgeworfen se-rienweise Stuumlck fuumlr Stuumlck Wo drauszligen steht dieses so Herausgestellte Wo-hin in welchen Stand ist es gebracht158
In dieser Klage uumlber den technischen Wandel der durch den Fortschritt in
alle Lebensbereiche Einzug haumllt versucht Heidegger zu veranschaulichen wel-
chen Verlust es zu erkennen gelte Ein Versuch diesem entgegen zu treten ist die
von ihm vorgetragene Mythopoetik die er in diesem Vortragsteil seines Vortrags-
Gevierts allerdings auffaumlllig zuruumlckgestellt sein laumlszligt War der Einleitungsteil Das
Dinglsquo schlieszliglich eine nahezu einzige mythopoetische Darbietung Dramatur-
gisch wird Heidegger in Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo die mythopoetischen For-
mulierung als Loumlsungswege wieder Bedeutung geben In Das Ge-Stelllsquo versucht
Heidegger hingegen Vorstellungen aus seinen Schwarzen Heften aumlhnlich der fol-
genden mitzuteilen die das Uniforme Gleichfoumlrmige betreffen
Die Macht der Machenschaft ndash die Vernichtung sogar der Gottlosigkeit dieVermenschung des Menschen in das Tier die Vernutzung der Erde die Ver-rechnung der Welt ndash ist in den Zustand der Endguumlltigkeit uumlbergegangenUnterschiede der Voumllker Staaten Kulturen sind nur noch Fassade159
157 GA 79 S 36158 GA 79 S 35159 GA 96 S 52f
38
Was Heidegger unter dieser Gleichfoumlrmigkeit versteht schreibt er in den Schwar-
zen Heften zumeist den Amerikanern zu Er nennt es auch haumlufig Planetarismus
Der Amerikanismus [ist DS] die Zusammenraffung von Allem welcheZusammenraffung immer zugleich die Entwurzelung des Gerafften bedeu-tet160
Der Planetarismus ist die historisch gedachte Bestimmung der uumlberall glei-chen die ganze Erde uumlberdeckenden Seinsverlassenheit des Seienden161
Die Gegenuumlberstellung von natuumlrlicher und traditioneller Handwerkstechnik
gegen maschinenhafte Gleichfoumlrmigkeit exemplifiziert Heidegger dann im Vor-
trag Das Ge-Stelllsquo vielfach wie zum Beispiel hier
Der Forstwart zB der im Wald das geschlagene Holz vermiszligt und demAnschein nach noch wie sein Groszligvater in der gleichen Weise die selbenWege geht ist heute von der Holzverwertungsindustrie gestellt Er ist ober es weiszlig oder nicht in seiner Weise Bestand-Stuumlck des Zellulosebestandesund dessen Bestellbarkeit fuumlr das Papier das den Zeitungen und illustrier-ten Magazinen zugestellt wird die uumlber die Oumlffentlichkeit daraufhin stellenverschlungen werden162
160 GA 96 S 257161 GA 96 S 261162 GA 79 S 37f
Die renommierte Theaterautorin Elfriede Jelinek karikiert in ihrem Stuumlck Totenaubergvon 1991 Heideggers Konstrukt von Heimat und Fortschrittsfeindlichkeit verbunden miteiner Auseinandersetzung mit dessen Liebschaft zu Hannah Arend Mit philologischer Prauml-zision polemisiert sie Teile aus Heideggers Elegie uumlber die Technik und laumlszligt ihn dabei alsbeschraumlnktes und eingezwaumlngtes Wesen in einem Gestell gefangen sein Aus diesem heraussoll er Arend Rede und Antwort stehen uumlber sein Verhaumlltnis zum Nationalsozialismus unddie Shoa Doch dieser redet nur naturtrunken von Heimat und berauscht sich daran Derprophetische Denker wird banalisert ndash diese Worte legt Jelinek ihm (im Stuumlck der alte Mann)in den MundbdquoDie Angst vor dem Fragen liegt uumlber dem Abendland Sie bannt die Kandidaten auf ein
Team-Leibchen verbannt sie auf altgewordene Wege und jagt sie zuruumlck ins morsch geworde-ne Gehaumluse ihrer Tore wo es um ihre Ausscheidungen geht Es wird ihnen alles weggenom-men werden auch der Weg selbst Keine Spur kein Lichtschein aus den Ritzen Aber ruf ichin die Huumltte um nach einem zu fragen den ich gekannt hab sehe ich grad noch eine Tuumlrsich schlieszligen Der Wald kommt nicht zur rechten Geltung alles ist entflohen was mir liebwar und woran ich geglaubt hab Was kommt ist noch nicht da Nichts war Ich habe nichtsgehoumlrt Ich erinnere mich nicht aber ich stelle dem Kommenden das mich den lupenreinenAmateur schon vor Beginn des Rennens erlahmen laumlszligt vorsorglich die Hausschuhe vor dieTuumlr Sie sind das Einzige was die Profis des Profits von mir dann vorfinden werden wennsie anklopfen Die Haumlrte des Urgesteins sollte sie nicht entmutigen Die Jahreszeiten machendie Landschaft auf und zu Ich sage nur In dieser scheinbaren Leere will ich vom Denkenmuumld nur schlafen Von der Huumltte aus lassen sich Wanderungen unternehmen Aber auchsonst wird Ihnen alles wie ich sagte genommen werden Auch Ihre Fotos und Namen Unddas Gewesene wird wesenlosldquo ( Jelinek Elfriede Totenauberg Hamburg 1991 S 86f)
39
Die Oumlffentlichkeit ist fuumlr Heidegger ein Topos der dem Denken und Besinnen
entgegenstuumlnde Somit meint er damit zum Einen die Medien wie er es anhand
der Rede von den Bestandstuumlcken in Das Ge-Stelllsquo erklaumlrt wo der Mensch als
Urheber des Ge-Stells als Wesen der Technik nicht gelten soll Vielmehr wuumlrde er
in Ratlosigkeit und Langeweile verfallen weil er in der Bestellung des Bestandes in
Form von Bestandstuumlcken vom Rundfunk keine Besinnung mehr faumlnde dh das
Ganze also wiederum daswesentliche Ding nicht mehr zu fassen vermoumlge163 Und
so toumlnt es bereits aus den Schwarzen Heften von 19391940()
Die Bildlsquo und Tonlsquo ndash Reportagenlsquo der Machenschaft ist der planetari-sche Mythuslsquo des Vollendungsabschnittes der Neuzeit Die Welt des abge-legensten deutschen Bauernhofes wird nicht mehr durch [] die Naturlsquobestimmt in der noch die Erde waltet sondern durch das illustrierte Blattmit der Darstellung von ausgezogenen Tanzweibern von Boxern und Renn-fahrern und sonstigen Heldenlsquo des Tages164
Und ferner notierte Heidegger 1946 in seinen Schwarzen Heften
Uumlberall zerrt es aus dem Oumlffentlichen ins Oumlffentliche mit vielen Strickenund jeder sieht das kaum versuchte Denken des Seyns am Leitband seinesStrickes165
Dabei waumlre eben ein bdquoLiterat [] ein in die Oumlffentlichkeit verliebter Mensch der
Angst vor dem Denker hatldquo166 Dieses liefe dann darauf hinaus dass beim Rund-
funk bdquoein Bestellen und Stellen waltet das in dasWesen des Menschen eingegriffen
hatldquo167
Abermals nach dem Wesen der Technik also nach dem Ge-Stell gefragt geht
Heidegger auf seine Unterscheidung vonNatur undNaturwissenschaft ein bdquo[w]elches
ist das Verhaumlltnis zwischen der Technik und der Naturldquo168 Natur wuumlrde in wis-
senschaftlicher Hinsicht unter das Berechnete fallen sie wuumlrde bdquoals das in Maszlig
und Zahl gestellte Wirkliche vorgestellt das in seinem Gewirkten staumlndig an-
westldquo169 Wenn Heidegger dann Natur aus technischer Sicht bdquoals ein System des
163 Vgl GA 79 S 38f164 GA 96 S 54165 GA 97 S 100166 GA 97 S 126167 GA 79 S 39168 GA 79 S 41169 Ebd
40
Bestellens von Erfolgen aus dem gestellten Wirksamenldquo170 charakterisiert spricht
er von seiner Rede der Verschraumlnkung von Historie und Technik ndash bdquoTechnik die
Historie der Naturldquolsquo171 Dieses ist bekanntlich das seinsvernichtende Gegenstuumlck
zur geschichtlichen Besinnung Denn geschichtliches Walten der Technik ist fuumlr
Heidegger technische Geschichte dh verwissenschaftlichte Geschichte die da-
durch ihr Wesen verloren haumltte (Seynsvergessenheit)172 So heiszligt es in den Schwar-
zen Heften von 1947
Ein Zeitalter das historisch geworden ist dh technisch planend sich selberberechnet und alles in diesen Sog zieht muszlig jede Besinnung nur als eine dervielen Formen der Intellektualitaumlt registrieren173
Heidegger schlieszligt den Vortrag mit dem Aufgriff der Anfangsbehauptung
bdquo[d]er Bestand bestellt das Abstandsloseldquo174 Somit liegt das Problem der ausblei-
benden Naumlhe durch die Technik deren Wesen das Ge-Stell waumlre das den Bestand
bestelle in der Luft Dass dabei der Mensch sogleich Teil des Bestandes und nicht
Teil der Maschine wird laumlsst ihn das historische Tier sein (2)
Der Mensch ist auswechselbar innerhalb des Bestellens von Bestand []Gleichwohl gehoumlrt der Mensch in einer voumlllig anderen Weise in das Ge-Stellals die Maschine DieseWeise kann unmenschlich werden DasUnmenschlicheist jedoch immer noch unmenschlich Der Mensch wird nie zur MaschineDas Unmenschliche und noch Menschentuumlmliche ist freilich unheimlicherweil boumlsartige und verhaumlngnisvoller denn der Mensch der nur Maschine wauml-re175
Wen Heidegger hier ersinnt ist der neuzeitliche Mensch der den bdquoGoumlttern uner-
traumlglich gewordenldquo176 waumlre
170 Ebd171 GA 95 S 351172 In Heidegger Die Technik und die Kehre S 21 stellt er Geschichte und Historie einander
gegenuumlber was er in Das Ge-Stelllsquo nicht vollzieht bdquoDie moderne Technik kam doch erst inden Gang als sie sich auf die exakte Naturwissenschaft stuumltzen konnte Historisch gerechnetbleibt dies richtig Geschichtlich gedacht trifft es nicht das Wahreldquo Signifikant fuumlr Heideg-gers Attributierung so wie sie oben schon geschildert ist steht Historie fuumlrs Rechnen undGeschichte fuumlr das Denken
173 GA 97 S 508174 GA 79 S 44175 GA 79 S 37176 GA 94 S 236
41
323 Die Gefahrlsquo
Aus Heideggers Darlegung uumlber das Ge-Stell erschlieszligen sich seine diversen Fa-
cetten der Vorstellung einer Abstandslosigkeit schaffenden Technik Dass die Ab-
standslosigkeit dem Prinzip des Gevierts des Zusammengestellten entgegensteht
bekommt im Vortrag Die Gefahrlsquo Nachdruck Die mythopoetische Erzaumlhlung
knuumlpft an den Vortrag Das Dinglsquo an mit den Mythologemene 1 Der Mythos
des geschichtlich sein muumlssens 2 der Mythos des Goumlttlichen 3 das geschichtsbe-
sinnliche Prinzip der Aletheia Zudem wird im Prozess des Vortrags das Ge-Stell
zur Gefahr stilisiert was einen eigenen Mythos erschafft
Durch das bdquouniversale Bestellen des Ge-Stellsldquo177 werde die naumlhernde Naumlhe des
Dings verwehrt Wie im Vortrag Das Dinglsquo fuumlhrt Heidegger das Wesentliche sei-
ner Theorie auf die deutsche und altgriechische Sprache zuruumlck Die so vollzoge-
ne Annaumlherung von Schwarzwaumllderischem Dialekt und Altgriechisch entspricht
Heideggers Traum von dem bdquogeschichtliche[n] Geburtsort des abendlaumlndischen
Wesensldquo178 den seine Heimat von Todtnauberg bis Freiburg stiften sollte (1)
es ist das Geistvolle und zugleich das erdenhafte schoumlne Land Es birgt un-sichtbaren Reichtum dem Gemuumlt bewahret tiefstes Dichten und houmlchsteGestalt der Sage179
Unter diesem Vorzeichen also sagt Heidegger
Das Ge-Stellwesen laumlszligt das Ding ohne die Wahr Das Wort die Wahrlsquo be-deutet in unserer Sprache dort wo sie noch urspruumlnglich spricht die HutIn unserer schwaumlbischen Mundart meint das Wort die Wahrlsquo die der muumlt-terlichen Hut anvertrauten Kinder Das Ge-Stell laumlszligt in seinem Stellen dasDing ohne die Hut ndash ohne die Wahr seines Dingwesens180
Diese in Bremen vorgetragene Heimatkunde ist auch Heideggers Sorge ge-
schuldet durch die Besatzermaumlchte und deren kulturellen Einfluss auch durch
die nun moumlgliche Oumlffnung Deutschlands zu einem Austausch mit der Welt das
eigene Wesen zu verlieren So schreibt er 1945-1947() in seine Schwarzen Hefte
177 GA 79 S 46178 GA 97 S 54179 Ebd180 GA 79 S 46
42
Das Schwerste und Fragwuumlrdigste unseres Geschickes ndash beruht darin ob wirdas Eigene finden und huumlten [] unter den anderen Voumllkernlsquo [] Scheinund Vorwand der Macht daszlig man unsere eigene Aufgabe bringen will []als Entmachtete aufgenommen zu sein in den Weltmachenschaftsbetrieb181
Es gaumlbe nach Heidegger also das Welten von Welt und die Verweigerung von
Welt aus derVerwahrlosung des Dings durch das Ge-Stell bzw die Technik182 Welt
ist nach dem Konzept des schwaumlbischen Denkers nichts weniger als das Geviert
Bei der folgenden mythopoetischen Zusammenstellung von dem Geviert mit alt-
griechischen Vokabeln um den Seins-Begriff wird das Aletheia-Prinzip eingefuumlhrt
Somit fuumlhrt uumlber den Mythos des Goumlttlichen (2) der Weg zur Wahrheit eben als
geschichtsbesinnlich erfahrene Aletheia (3)
Welt ist das Geviert von Erde und Himmel Goumlttlichen und SterblichenDas Spiegel-Spiel der Vierung wahrt alles was in ihm dingend zwischenden Vier anwest und abwest in das einende Ganze seines Anwesens Vonaltersher heiszligt das Anwesen des Anwesenden τὸ ὲόν das Seiend [sic] τὸεἶναι das Sein naumlmlich der ὲόντα des Seinenden das esse entium183
Diese Welt waumlre nun bdquoWahrnis des Wesens von Sein Statt Wahrnis sagen wir auch
Wahrheitldquo184 Die Welt mythopoetisch als Spiegel-Spiel des Gevierts und durch
eine altgriechische Brille betrachtet waumlre die wahre Welt Somit wird die Wahr-
heitsschau gebunden einen antiken Goumltterglauben und abendlaumlndische Sprachkas-
kaden vom Dialekt zum Altgriechisch
Das Problem mit der wahren Welt waumlre allerdings dass sie sich in die Ver-
borgenheit entziehe Naumlher betrachtet ist aber die Verborgenheit Bedingung des
Entbergens was Heidegger notwendig macht zu einem wuumlrdigen Lebensvollzug
in Harmonie mit dem Sein Durch solche Wesensschau waumlre der Mensch befaumlhigt
jederzeit die verstellenden Maumlchte des Ge-Stells (der Technik) zu uumlberwinden und
teilhaftig am Wesen der Welt zu werden
181 GA 97 S 99182 Vgl GA 79 S 47183 GA 79 S 48 (Die griechischen Vokabeln werden hier keiner Uumlbersetzung unterzogen Da
Heidegger ohnehin keine philologische Schaumlrfe anwenden will ist es fuumlr die Zwecke hierausreichend sie mit seiner Uumlbersetzung zu betrachten Heidegger spricht von bdquoAchten aufdas Griechischeldquo was schwieriger waumlre als klassische Philologie (vgl GA 79 S 63)
184 Ebd
43
Welt bleibt in der Verborgenheit (Αήθη) auf die Weise daszlig diese ihre Ver-borgenheit gerade eine Unverborgenheit gewaumlhrt die Αλήθεια185
Die Αλήθεια haumltte allerdings auch eine Rolle uumlber die subjektive hinaus da nur
durch ihren Vollzug Seinsgeschichte gewaumlhrt wuumlrde Das ist der Anspruch den
Heidegger an sein Auditorium stellt gemeinsam geschichtlich sein zu muumlssen (1)
Die Αλήθεια ist das Geschick des Seins als welches Geschick sich die Fuumllleder Seinsgeschichte in ihre Epochen fuumlgt186
Mit dem Ge-Stell als Wesen der modernen Technik waumlre die Aletheia aller-
dings hochgradig gefaumlhrdet Denn ohnehin waumlre die Aletheia prinzipiell der Ge-
fahr der Vergessenheit ausgesetzt Doch das Ge-Stell haumltte die Kraft die bdquovollende-
te Vergessenheit der Wahrheit des Seinsldquo187 zu vollrichten
Indem das Ge-Stell alles Anwesende in den Bestand bestellt setzt das Ge-Stell das Anwesen des Anwesenden heraus aus seiner Wesensherkunft ausder Αλήθεια188
Diese Versetzung des beteiligten Wesens aus der Moumlglichkeit des Wahrheitsprin-
zips heraus markiert Heidegger dann mit der Schreibweise Seyn (mit bdquoyldquo) Wie
bei dem Vortrag Das Dinglsquo koumlnnen ethymologische Abstammungen sein Sys-
tem anreichern Da wo es um das Wortfeld des Stellens geht Ge-Stell Bestellen
Verstellen ist auch das NachstellenMitglied der Familie
Im Althochdeutschen heiszligt nachstellen fara Das in sich gesammelte Stellenals Nachstellen ist die Gefahr Der Grundzug des Wesens der Gefahr ist dasNachstellen Insofern das Sein als das Ge-Stell sich selbst mit der Vergessen-heit seines Wesens nachstellt ist das Seyn als Seyn die Gefahr seines eigenenWesens189
Damit wuumlrde sich durch die Verringerung der Selbstreflexion im Seyns-Bestand
eine Schwachstelle auftun in die der denkbegabte und aletheiafaumlhige Mensch ei-
ne Moumlglichkeit haben das Seyn zum Sein zuruumlckzuwandeln ndash also wieder in ein
185 GA 79 S 49186 Ebd187 GA 79 S 53188 GA 79 S 52189 GA 79 S 53
44
wesentliches Verhaumlltnis zum bdquoDingldquo zu gelangen in dem das Geviert wieder die
Harmonie herstellt Allerdings faumlnde bis zu solch einer Nachstellung eine Ver-
sieglung des Seynsbestandes statt Und Heidegger beklagt dass die Erreichung der
Ruumlckeroberung des Seins uumlber die Nachstellung nicht stattfaumlnde und stattdessen
die Irre regieren wuumlrde190
In dieser Irre stuumlnde dem Menschen nicht einmal mehr zu zu sterben Denn
bdquoSterben [] heiszligt den Tod in sein Wesen austragenldquo191 Somit waumlren die Opfer
die in den KZs umkamen wie er sie in Das Dinglsquo bereits schildert nicht vermouml-
gend gewesen zu sterben bdquoSie werden Bestandstuumlcke eines Bestandes der Fabrika-
tion von Leichen [] Sie werden in Vernichtungslagern unauffaumlllig liquidiertldquo192
Das vermoumlge die Gefahr zu bewirken Der Mensch wuumlrde des eigenen Sterbens
beraubt da er keine Verbindung mehr zur Wahrheit der Welt haumltte Um den rich-
tigen Tod zu sterben muumlsse der Mensch die Aletheia schauen koumlnnen Insofern ist
Heideggers Prinzip ein religioumls anmutendes Wie in der christlichen Vorstellung
der Mensch im Jenseits an seinen Taten gemessen wird um Paradies oder Fege-
feuer zu besuchen soll nach Heidegger der Mensch waumlhrend des Sterbens mit
sich selbst ins Gericht gehen Er soll sich rein machen vom Ge-Stell der Technik
und dem Seyn um nicht die einmalge Gelegenheit des richtigen Sterbevollzugs
zu versaumlumen Es winken gemaumlszlig des Gevierts die himmlischen Goumlttlichen den
irdischen Sterblichen zu wobei annehmbar ist dass Heidegger Sterblichen die
die Aletheia erkennen einen Goumlttlichkeitsstatus beimessen moumlchte ndash eine Erlouml-
sungsphantasie
Genau diese Erloumlsung waumlre die Technik nicht
Ohne den Schritt des Denkens zu wagen der unser Menschenwesen demWesen der Technik [] aussetzt wuumlrgt man sich von Fall zu Fall von Lagezu Lage durch die Zwiespaumlltigkeiten hindurch Und genau durch dieses Ge-wuumlrge versaumlumt man die Moumlglichkeit dessen was man im Grunde erstrebtdie Technik durch menschliches Tun zu meistern und menschenwuumlrdig zulenken193
190 Vgl GA 79 S 55191 GA 79 S 55192 GA 79 S 56 Weil Heidegger im Judentum die Verantwortlichen fuumlr das Geraffe des Ge-Stells
sieht macht er sie gleichsam verantwortlich fuumlr die bdquoSelbstvernichtungldquo Die Seinsverges-senheit im Tode wird dadurch zum Spin-off der vermeintlich juumldisch erzeugten da machen-schaftlichen KZ-Maschinerie (Vgl GA 97 S 20f)
193 GA 79 S 59
45
Trost und Richtung findet Heidegger schlieszliglich abermals bei den alten Griechen
Das Wort stellenlsquo entspricht dem griechischen ϑέσις vorausgesetzt daszlig wirϑέσις griechisch denken Was heiszligt in diesem Falle griechisch denkenlsquo Esheiszligt darauf achten welche Lichtung desWesens des Seyns in welcherWeisedas Dasein der alten Griechen in den Anspruch genommen hat heiszligt imvoraus bedenken in welchem Geschick welcher Unverborgenheit des Seinsdie Griechen standenldquo194
Das sind Vorstellungen des Neuen Anfangs eine Reminiszenz der griechisch anti-
ken Welt Ein Eintrag aus den Schwarzen Heften von etwa 1945-47 () verdichtet
wie oben bereits aufgezeigt die Phantasie griechisch zu sein zu einem gelingenden
Lebensvollzug
Das reine Wesen des Griechentums dh das Seiende inmitten dessen dieGriechen als seiende fremd gewesen dieses und sie selbst und der Bezug desSeins zu ihnen ndash in der einfachen Wesung von der ἀλήθεια her zeigen underfahren Den μῦθος und λόγος ndash jedes Wort und Gebild rein aber nichterzwungen und schematisch-pedant ndash aus ἀλήθεια erfahren195
Hier zeigt sich auch dass Heidegger per se das Aletheia-Prinzip fuumlr notwendig
hielt um ins Licht der Wahrheit zu blicken Die Griechen sind ihm hier deshalb
Vorbild und rein da sie keiner modernen Technik und dem Ge-Stell ausgesetzt
waren sondern lediglich eine mythopoetische Verbindung zum Sein herstellen
mussten um wesentlich zu sein und Seinsgeschichte zu schreiben Die Dinge und
das Spiegel-Spiel des Gevierts waumlren ihnen geschickt zuhanden gewesen196 Hei-
degger macht schlieszliglich sehr deutlich dass das Griechische zu denken ein bei
weitem anderes Geschaumlft sei als philologische Praumlzision
Ein Echo zu sein naumlmlich dem Anspruch des Seins verlangt eine Sorgfaltder Sprache von der freilich der technisch-terminologische Sprachstil derWissenschaften uumlberhaupt nichts wissen kann Die Intentionalitaumlt der wis-senschaftlichen Sprache ist der staumlrkste Beweis fuumlr ihre Boden- und Heimat-losigkeit [] Das Heimische einer hohen Sprache gedeiht nur im Bereichdes unheimlichen Anspruchs der wesenhaften Stille im Wesen des Seyns197
194 GA 79 S 62f195 GA 97 S 20196 Hingegen waumlre das Judentum verantwortlich fuumlr das Ge-Stell fuumlr das Prinzip der Zerstoumlrung
wie es auf der selben Seite der Schwarzen Hefte darunter heiszligt (vgl ebd)197 GA 79 S 66 Die Bedeutung von Seyn als verstelltes Sein oder Bedingung zum Schauen
des wahren Seins ist verwirrend Einer genaueren Analyse wird aus Platzgruumlnden hier nichtnachgegangen
46
324 Die Kehrelsquo
Der letzte Vortrag ist mit nur neun Seiten der Kuumlrzeste des Vortragsgevierts
Nach dem Verlust des Dinges als Ding und der damit einsetzenden Abstandslosig-
keit als Wesen des Ge-Stells wobei die Gefahr zudem der Vergessenheit des Seyns
nachstellt bietet Heidegger eine Perspektive an
Im Wesen der Gefahr verbirgt sich [] die Moumlglichkeit einer Kehre in derdie Vergessenheit des Wesens des Seins sich so wendet daszlig mit dieser Kehredie Wahrheit des Wesens des Seyns in das Seiende eigens einkehrt198
Diese Moumlglichkeit bedeute nicht dass der Mensch sich der Gefahr selbst stellen
koumlnnte sie waumlre passiv ndash bdquoverbirgt sichldquo Die Kehre werde sich ereignen aumlhnlich
einer Erwartung an den Messias
Die Anwesenheit der Gefahr wuumlrde automatisch die Rettung bergen Denn
Houmllderlin haumltte geschrieben bdquoWo aber Gefahr ist waumlchst [d]as Rettende auchlsquoldquo199
Etwa 1945 notiert Heidegger in seine Schwarzen Hefte bdquoDie Wahrheit erfahren
wir im Gedaumlchtnis Das Gedaumlchtnis ist die Dichtungldquo200 (so) Von dieser War-
te aus ausgestattet mit Erinnerungen an das abendlaumlndische Dichten mit dem
Wissen um das Aletheia-Prinzip und passiv als denkender Huumlter des Seyns solle
der Mensch das Ereignis erwarten das ihn bdquoloumlsen freimachen freyen schonen
bergen in die Hut nehmen wahrenldquo201 wuumlrde (siehe S 43)
Dieses Ereignis waumlre der Blitz Ein unvermittelter jaumlher ploumltzlicher Moment
von kurzer Dauer der bloszlig einen ebenso kurzen Blick auf das wahre Wesen er-
lauben wuumlrde Abschlieszligend ist dies das Rezept gegen die Bestands bestellende
Technik in mythopoetischer Formulierung
So entsprechend ist der Mensch geeignet daszlig er im gewahrten Element vonWelt als der Sterbliche dem Goumlttlichen entgegenblickt Anders nicht dennauch der Gott ist wenn er ist ein Seiender steht als Seiender im Seyn unddessen Wesen das sich aus dem Welten von Welt ereignet202
198 GA 79 S 71199 GA 79 S 72200 GA 97 S 52f201 GA 79 S 72202 GA 79 S 76
47
Wenn Heidegger im Anschluss von der bdquohistorisch-technischen Darstellungldquo re-
det so ist dies die Abwehr der Wissenschaften (auch der Philosophie203) und ein
Appell an die Antirationalitaumlt des Mythos bdquokein historisches Vorstellen der Ge-
schichte als Geschehen bringt in den schicklichen Bezug zum Geschickldquo204
Damit das Blitzen erfahren werde als kurze Wesensschau der Aletheia muumlsse
dem wahren abendlaumlndischen und heimatlichen Ereignis stattgegeben werden Es
sollte nicht wie er 1939 schon in den Schwarzen Heften beschreibt das
kuumlnstliche Licht von Historie und Technik in der weder Mensch noch dieGoumltter weder eineWelt noch die Erde sichtbar werden koumlnnen wo aber dasLebenlsquo von allen den immer noch zu wenigen Meistenlsquo erlebtlsquo wird205
Damit schlieszligt der letzte Vortrag mit einer Erwartung an das Ereignis des Blit-
zens nicht das Erleben der Besinnungslosigkeit (vgl Das Ge-Stelllsquo) Schon 1947
traumlumt Heidegger von solcher Umkehr
Aus der Kehre der Seynsvergessenheit aber ereignet sich das Unumgaumlnglicheden Acker der Welt erst zu pfluumlgen und saatbereit der Sonne und dem Regenund den Voumlgeln des Himmels uumlberlassen206
203 Denn ldquo[e]igentlich denken heiszligt [] die Philosophie verlassen [] beim Sagen des Seinslsquoldquo(GA 97 S 60)
204 Ebd205 GA 95 S 427 Gegen das Erlebnis und Erleben straumlubt sich Heidegger besonders So notiert
er etwa 1939 bdquoZeitalter der Techniklsquo macht gerade die Techniklsquo nicht zum Ziel sondernimmer mehr zum Mittel der besinnungslosen Berechnung [] der Mensch [] das Erleb-nislsquo [] Erleben als der Gefuumlhlsgenuszligldquo (GA 95 S 149) Wie auch bdquoWo beide Historie undTechnik in solcher scheinbaren Gegensaumltzlichkeit verkoppelt sind koumlnnen sie sich zur Foumlr-derung dessen zusammenschlieszligen was einstmals wesentlich die Geschichte des Menschenmitbegruumlndete und was wir die Kunstlsquo nennen Die Historie verschafft [] Anregungenund Vorbilder der Nachahmung die Technik erleichtert [] die Zustellung von Darstel-lungsmitteln und Wirkungsformen [] Gleichwohl ist alles wurzellos [] berechnet und alsErlebnislsquo ausgegebenldquo (GA 95 S 212)
206 GA 97 S 511
48
4 Konklusion
Der umstrittene Philosoph Martin Heidegger hat uumlber die 1930erndash40er Jahre
hinweg eine ausgepraumlgte voumllkisch-nationale und bisweilen radikal-antisemitische
Denkweise entwickelt Dieses Denken fasste er auch auf als Besinnung und stellt
es der Philosophie und Wissenschaft diametral entgegen In Kapitel 2 wird aufge-
zeigt dass sowohl Heideggers Mythologie bereits kritisiert wurde (Adorno Cassi-
rer Meyer) als auch seine Mythopoetik bewundert (Schulz-Nieswandt) Kapitel
3 will daruumlber hinaus aufzeigen wie Heidegger eine eigene Mythologie mytho-
poetisch fruchtbar macht was sich von beiden vorigen Ansaumltzen unterscheidet
und erst mit der Veroumlffentlichung der Schwarzen Hefte ab 2014 nachvollziehbar
wurde
Umso mehr bietet die mythopoetische Verbindung von bdquoDichten und Den-
kenldquo (so) einen antitechnischen Gegenpol Denn Heidegger fasst wie oben ge-
schildert alles Rationale auf als berechnende Bestellung des Bestands im Sinne
der Technik Daruumlber hinaus fordert er mit dem Aletheia-Prinzip (als metapho-
risch gefasstes Ereignis des Blitzens) einen Mitvollzug seiner mythopoetischen
Kontemplation in dem religioumlse voumllkische antike und sprachliche Motive zu-
sammenfallen
Obwohl schon von Heidegger selbst nicht mehr als Philosophie betrachtet
hat seine Rede vom Ding dem Ge-Stell dem Wesen der Technik und der Kehre
noch immer einen bedeutenden Einfluss auf die Technikphilosophie So betont
Alfred Nordmann in bdquoWerkwissen oder How to express things in worksldquo (2008)
dass Heidegger mit Das Dinglsquo eine Art Dingwissen geschaffen haumltte In seinem
2012 erschienenen Aufsatz Another parting of the ways Intersubjectivity and the
objectivity of sciencersquo207 geht Nordmann ein weiteres Mal auf Heideggers Ding
ein Dieses waumlre eine Abarbeitung an dem Ding Kants womit auch Nordmann
Heidegger als einen Interpreten Kants versteht208 Anschlieszligend anMichael Fried-
207 Nordmann Alfred Another parting of the ways Intersubjectivity and the objectivity ofscience In Studies in History and Philosophy of Science 43 (2012) 38ndash46
208 Die Auseinandersetzung mit dem Ding wuumlrde nach Nordmann in Heideggers GA mit demText Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalen Grundsaumltzenlsquoeinsetzen (GA 41 Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalenGrundsaumltzen)
49
man spricht sich Nordmann ebenso dafuumlr aus dass Heidegger neben Rudolf Car-
nap und Ernst Cassirer eine neokantianische Philosophie verfolgt haumltte (siehe
Kap 1)209
Nach Nordmann haumltte Heidegger in seinen anschlieszligenden Gedanken uumlber
das Ding als Fortfuumlhrung Kants als erster Wissenschaft als angewandte Techno-
logie verstanden210 Diese Interpretation stuumltzt sich auf die gleichen Symbole
Metaphern und Mythen die die vorliegende Arbeit analysiert Das Ge-Stell ist
insofern aumlquivok mit dem Begriff techno-science Jedoch sind in dieser Fruchtbar-
machung von Heideggers Denken der Technik dessen nationalistischen rassisti-
schen und antisemitischen Implikationen die die vorliegende Arbeit als Zentrum
dessen Philosophie ermitteln konnte noch nicht beachtet worden koumlnnen211
Andreas Luckner webt Heideggers Ding-Entwurf weiter als verantwortliches
Sorgen um die Dinge212 Er geht dabei mit Heidegger voumlllig konform und tritt
eher als eine Art Bote der Ding-Botschaft auf als diese moumlglicherweise zu kriti-
sieren was sich diesen Artikel wie ein Kapitel aus einem Studienbuch lesen laumlsst
Der Darmstaumldter Technikphilosoph Christoph Hubig ist vor allem Kritiker Hei-
deggers Argumentationen laumlsst aber zuweilen diverse Topoi aus dem Werk des
Technik-Denkers durchscheinen ohne sie weiter zu reflektieren
So konstatiert Hubig Heidegger verfehle in dessen Auseinandersetzung mit
Aristoteles Lehre von der Poiesis zum Punkt der Sicherung wie sie in Die Frage
nach der Techniklsquo behandelt wird bdquodie operative Seite des Technischenldquo bei Aris-
totels213 In einem spaumlteren Aufsatz allerdings stuumltzt er sich ohne weitere Erlaumlute-
rungen auf Heideggers Begriff der Sicherung aus Die Frage nach der Techniklsquo214
209 Diese Befriedung paradigmatischer Umstaumlnde wird hier nicht geteilt Eine weitere Bearbeitunglaumlsst der Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht zu
210 Vgl Nordmann Another parting of the ways S 45211 Der Aussage dass Heideggers Ding-Begriff kantianisch waumlre muumlsste einer gezielten Untersu-
chung unterzogen werden genau wie die Behauptung insgesamt dass Heidegger oder inwie-weit dieser noch der suumlddeutschen Kantschule des 1920 Jahrhunderts angehoumlrte
212 Vgl Luckner Andreas Ding und Bestand Heidegger und das Wesen neuzeitlicher TechnikIn Gamm G Gehring P Hubig C Kaminski A und Nordmann A Ding und SystemS 15-30 hier S 29
213 Hubig Christoph Die Kunst des Moumlglichen Technikphilosophie als Reflexion der MedialitaumltBielefeld 2006 S 103
214 Vgl Hubig Christoph Technik als Medium In Grundwald Armin (Hg) Handbuch Tech-nikethik Stuttgart 2013 S 118-123 hier S 118
50
Dabei versteht Hubig Heideggers Betrachtungen zum Umgang mit der Technik
als gelassen
Fuumlr Heidegger liegt die Andersheit im Entbergen einer Wahrheit des Seinseines Geschicks von dem die Entwicklung der Technik hin zum Gestellkuumlnde Er verbindet dies mit dem Appell jenseits des rechnenden und si-chernden Vorstellens technischer Vollzuumlge als handlungsleitender Program-me sich gelassenlsquo dieser Entwicklung zu uumlberantworten und ein Seinlsquo zuhuumlten das sich als solches eben entbirgt Das Rettendelsquo dieser Einsicht lie-ge darin dass unsere individuelle Endlichkeit insofern transzendiert wirdals sie sich dem sie uumlbersteigenden Prozess aufschlieszligt und sich selbst relati-viert215
Wovon in diesem Zitat nicht die Rede ist ist der Mitvollzug der mythopoe-
tischen Rahmenbedinungen die Heidegger einfordert und an dem die Konzep-
te Abendland und voumllkische Tradition haumlngen In dieser Arbeit wird davon aus-
gegangen dass Heideggers Technikphilosophie-erzaumlhlung sich nicht von seinen
Absichten der Bekaumlmpfung des Technischen loumlsen laumlsst Die Relativierung ist in-
sofern nicht an den Prozess gebunden und damit emergent auf alles hin ausge-
richtet was kommen mag sondern houmlchst konvergent in einer Besinnung auf
Mythen von dem Ding und dem Geviert mit all deren Valenzen aus dem vorlie-
genden Heideggerschen Textkorpus Die individuelle Endlichkeit ist genoumltigt die
Heimat und das Abendland zu kennen und im Aletheia-Prinzip umzusetzen
Die Neubewertung der bislang bekannten Heideggerschen Technikphiloso-
phie von vor den SchwarzenHeften ist ein dringendes Desiderat Voumllkisch-nationale
Gruppierungen erstarken momentan in ganz Europa und es koumlnnte sehr hilfreich
sein aumlhnliche Denkstrukturen aufzudecken so wie sie zwischen den 1930er und
40er Jahren entwickelt wurden Zusaumltzlich muss das Werk Heideggers einer kriti-
schen Revision schon aufgrund der niemals von ihm behandelten Antisemitismen
unterzogen werden Heidegger hat nie zu diesen Stellung bezogen
Daruumlber hinaus ist das Thema Mythos und Philosophie ein weiterhin not-
wendiger Bereich der philosophischen Forschung In einem Bereich auszligerhalb
der exakten Wissenschaften und ohne klare theologische Tradition ist die Philo-
215 Hubig Die Kunst des Moumlglichen S 140
51
sophie beides sowohl Aufklaumlrer und antimythisch als auch Quelle fuumlr mythisches
Denken und affektierende Motive
52
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wwwdewikipediaorgwiki Martin_Heidegger_und_der_Nationalsozialismus
Die_Heidegger-Kontroverse ndash zuletzt abgerufen am 24042016)
56
Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
Der Unterzeichner versichert dass er die vorliegende Bachelorarbeit selbststaumlndig
verfasst und keine anderen als die von ihm angegebenen Hilfsmittel benutzt hat
Die Stellen der Arbeit die anderen Werken dem Wortlaut oder dem Sinne nach
entnommen sind wurden in jedem Fall unter Angabe der Quellen (einschlieszliglich
des World Wide Web und anderer elektronischer Text- und Datensammlungen)
kenntlich gemacht Dies gilt auch fuumlr beigegebene Zeichnungen bildliche Dar-
stellungen Skizzen und dergleichen
Darmstadt 25 April 2016
__________________________
(Eigenhaumlndige Unterschrift)
- Abkuumlrzungsverzeichnis
- Danksagung
- Einleitung
- Heideggers mythopoetisches Programm
-
- Zu den Begriffen Mythos Mythologie und Mythopoetik
-
- Ein Beispiel fuumlr ein Mythologem
-
- Heideggers Mythen
-
- Formen der Mythologie
-
- Heideggers mythopoetische Technik
-
- Zur Publikationsgeschichte von den Bremer Vortraumlgen 1949
- Die mythopoetische Spiegelung der Schwarzen Hefte
-
- Das Dinglsquo
- Das Ge-Stelllsquo
- Die Gefahrlsquo
- Die Kehrelsquo
-
- Konklusion
- Literaturverzeichnis
- Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
-
14
laumlndischen uumlberhoumlhung zu sprechen Die Paarung von Dichtung und Denken al-
lerdings ist fuumlr den Husserlnachfolger erst der Zweck und die Mythologisierung
das Mittel dazu In seiner Schrift uumlber die Religionsphilosophie und ontologi-
sches Wahrheitsverstaumlndnis bei Walter F Ottolsquo schildert der Altersforscher und
Sozialwissenschaftler Schulz-Nieswandt aus Koumlln uumlber die menschliche Existenz
die bdquoMythopoetik als Seins-Vergewisserungldquo51
In jenem Kapitel seines Otto-Traktats von 2014 schreibt Schulz-Nieswandt
wie ein echter Epigone Heideggers von der Wappnung gegen die bdquoKrise der Mo-
derne ndash Entfremdung Einsamkeit Angst Verzweiflungldquo52 An fruumlherer Stelle
seines Buchs stellt sich dar dass Schulz-Nieswandt sich geradezu mit Heideggers
Linie vereint anstatt sich ihr nur anzunaumlhern
Es geht um das wahre Sein aus der Sicht des zu seinem Wesen gelangendenMenschen in dessen Daseinsfuumlhrung was hermeneutisch erschlossen wer-den soll nicht um Wissenschaft als hermeneutische Methode im Kriterien-spektrum zwischen Verifikation und Falsifikation von Hypothesen mittelsProtokollsaumltzen uumlber die Realitaumlt53
51 Schulz-Nieswandt Frank Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis beiWalter F Otto (1874-1958) Eine strukturalistische und psychodynamische RezeptionBaden-Baden 2014 S 58-60
52 Ebd S 58 Dabei spielt Schulz-Nieswandt die Begriffe Epistemologie gegen Ontologie ausund bezeichnet sich selbst als post-strukturalistisch im Sinne der Kritischen Theorie schrei-bend Jedoch erscheinen diese philosophischen Kontraste nur wie bdquoEdelsubstantiveldquo des vonAdorno gemuumlnzten bdquoJargon der Eigentlichkeitldquo Und in genau diesem Jargon laumlszligt der So-zialwissenschaftler Heideggers Urmythos des Goumlttlichen der griechischen Antike (so) inaktueller Praumlsenz wieder auferstehen Es ist erstaunlich dass jemand der die Kritische Theo-rie fuumlr sich reklamieren will Epigone des bdquoJargons der Eigentlichkeitldquo ist So zeigt es sichauch auf S 28 wenn er in Ottos Dionysos bdquodie ganze Tiefe des Menschen zum Ausdruck[bringt DS] die Todeserfahrung des sterblichen Menschen Dionysos ist Hadesldquo Um nocheinmal zu bestaumltigen wie sich Schulz-Nieswandt als Akteur des Jargons gebiert sei hier Ador-no zitiert (dies gilt allerdings nur der Gegenuumlberstellung zum Vorsatz jener wuumlrde sich ander Kritischen Theorie orientieren ohne fuumlr diese zu advozieren) bdquoDer Heideggerschen Phi-losophie schloszlig sich was einmal Pforte zum ewigen Leben war zu sie betet statt dessenWucht und Groumlszlige des Tores an [] Sein wuumlrdevolles Gehabe ist Reaktionsbildung auf dieSaumlkularisierung des Todes [] Darum wird Sinn in den Tod geworfenldquo (Adorno Jargonder Eigentlichkeit S 134)
53 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei WalterF Otto S 15
15
Beiden gemeinsam ist auch die Faszination an Houmllderlin die sie ebenso mit Otto
teilen
Die ganze Eigenart des Denkens von Otto kommt in dem komplett innerenVerhaumlltnis zu Heidegger und Houmllderlin zum Ausdruck54
Nur noch ein Gott kann uns rettenlsquo so das Zitat des Spiegelinterviews das Ja-
kob Augstein zum Titel machte ist die kodierte Mythopoetik auf die sich die
Spiegelleser keinen Reim machen konnten Fuumlr Heidegger fuumlr den das Sein in der
Sprache wohnen sollte55 ging es um den Mythos der Naumlhe zur Antike als Naumlhe
zu den Goumlttern
Fuumlr Houmllderlin war die Theologie der Abwesenheit Gottes als uumlberweltlichePraumlsenz der Verlust der Gotteserfahrung des diesseitig verankerten Men-schen [] Die Antike wird als eine von Goumltternaumlhe charakterisierte Zeitvon Houmllderlin verstanden und erneuert (der kommendelsquo Gott) ersehnt56
Dies ist eine der Leit-Mythen Heideggers insbesondere wenn man sich die Nach-
kriegsvortraumlge ansieht (eben die Bremer Vortraumlgelsquo)
Die Aufhebung der Trennungsangst durch die bdquoAbwesenheit der Goumltterldquo uumlber-
winde der in existenzieller Angst befindliche bdquohomo abyssusldquo mittels bdquoder lie-
bevollen Gestaltung als Sich-Einrichten des Menschen [] als apriorischer Mo-
dus des In-der-Welt-Seinsldquo durch die bdquoEwigkeit der Mythopoetikldquo57 Fuumlr Schulz-
Nieswandt ist Mythopoetik eben nur dieses ein peganistischer Goumltterdienst der
den Kanon der Ottoschen Antike mit Houmllderlin interpretiert Insofern versteht
dieser versuchte Religionsphilosoph der eigentlich Sozialforscher ist Heideggers
Mythologie als schoumlpfend aus geteilter Quelle mit Mythen als Gemeinplaumltzen
derer sich der Denker-Dichter philologisch sicher bediene
Dabei geht es Schulz-Nieswandt umHeideggers Aletheia-Prinzip das er bdquoWahr-
heitsbegriffldquo nennt ndash welches bdquoDie Differenz der Technik als Herrschaft uumlber
54 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei WalterF Otto S 20
55 Vgl GA 7 S56 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei Walter
F Otto S 2157 Vgl Ebd S 59
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Dinge von der Kunst als Schoumlpfung als Lichtung des Seins zur Wahrheit unter-
scheidetldquo58 Houmllderlins Goumlttliches waumlre darin vermisst und von Bedarf fuumlr den
Menschen Mit der Nomenklatur der griechischen Goumltter Houmllderlins und Ottos
ginge es beim Wahrheitsprinzip um bdquodie Erinnerung an Dionysos als der wie-
der kommende Gott []ldquo sie bdquofuumlhrt zur Lichtung des Seins als Wahrheitldquo59 Der
Mensch waumlre also Hirte seines Seins nicht Herr der Technik zum Sein bdquoDas Sein
ist den Menschen nicht technisch verfuumlgbar Die notwendige Einkehr wird zu
Heimkehrldquo60
Insofern zeichnet Schulz-Nieswandt ganz in Heideggers Sinne nach wie Hei-
mat und Irrationalitaumlt des Mythos zusammenfallen im Kanon der Goumltter-Mytho-
poetik Zum einen ist allerdings Heideggers Mythologie nicht so sehr an diese
Mythopoetik uumlber die Goumltter gebunden sondern bewegt sich frei im eigenwil-
ligen Auslegen von altgriechischen und deutschen Begriffen Zum anderen ist es
erstaunlich dass Schulz-Nieswand 2014 die Bedeutung der Mythopoetik fuumlr Hei-
deggers Ursprungsmythos des neuen Anfangs ignoriert und damit auch die gan-
ze voumllkisch-nationale Aura und damit die Abgrenzungspolitik Vor allem aber
richtet sich Heidegger nicht in einer bdquoliebevollen Gestaltungldquo menschlich ein
wie Schulz-Nieswandt es schon pathetisch darstellt sondern befeinded sich mit
allem ihm Zuhandenen als bdquoRaprochementldquo61 in alle Richtungen und pocht auf
bdquogeschichtliche Besinnungldquo als bdquoAuftrag des Deutschenldquo62
221 Formen der Mythologie
Mit den zwei oben herangezogenen Arbeiten uumlber Mythologisieren und Mytho-
poetik Heideggers sollte in dieser Arbeit das Verstaumlndnis seines Projekts der an-
tirationalen und antitechnischen Ausrichtung in den aktuellen Forschungsstand
gestellt werden Um welche Mythologie es sich in den Schwarzen Heften handelt
wird im Folgenden aufgedeckt werden Bereits in dem ersten Heft der Denktage-
58 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei WalterF Otto S 58
59 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei WalterF Otto S 59
60 Ebd61 Wolin Richard Heideggers bdquoSchwarze Hefteldquo Nationalsozialismus Weltjudentum und Seins-
geschichte In Vierteljahrsheft fuumlr Zeitgeschichte Bd 63 Heft 3 S 379-41062 GA 94 S 66
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buumlcher verschmilzt Heidegger seine Vision von Dichten und Denken stellt sich
unter dieses Ideal
Dichten undDenken ineinander geschlungen und so waumlre ihrWas im verbindend-trennenden Bestimmen gewonnen63
Als bdquoAusgriff in den Begriffldquo versteht Heidegger dies als bdquovorschreibend-bildenden
Entwurfldquo der hinfuumlhrend zum Ereignis des Aletheia-Prinzips waumlre ndash
(Dichtung als Mythos
Dichtung als Dichtung im engeren Sinne gtgtGedichtltlt
Dichtung als Philosophie)64
Grundsaumltzlich ist die lose wirkende Legion von Lemmata nicht mit einer
Ruumlckfuumlhrung seiner Gedanken auf bestimmte griechische Goumltter und antike (ech-
te) Mythen besetzt Heidegger fetischisiert Begriffe und mythologisiert die von
ihm aufgepfropfte Bedeutung durch ein staumlndiges Wiederholen und Weiterden-
ken als bdquoWissenldquo wie Meyer es herausgearbeitet hat In dieser philosophischen
Alchemie sieht sich Heidegger als Denker als Bewahrer einer uralten Lehre die
eben neu widererstarken muumlsse Das hat Meyer auch schon klar gemacht Die My-
thopoetik erscheint aber hauptsaumlchlich nicht in den Schwarzen Heften sondern in
den Vortragspublikationen sich auf seine private Mythologie beziehend die in
den Schwarzen Heften zu Grunde gelegt wird
Die Mythen Heideggers drehen sich wie Meyer zurecht behauptet um den
Ursprung bei den Griechen den bdquoGrund der Geschichte des Abendlandesldquo65
Aber auch um die vielen Binaritaumlten die sich entgegengesetzt werden und tat-
saumlchlich wie der Heidegger-Herausgeber und Initiator und Leiter des Wupper-
taler Heidegger Instituts Peter Trawny es benannt hat auf einen Manichaumlismus
zulaufen66 Die Abgrenzungspolitik im Sinne des schuumltzenswerten abendlaumlndisch-
heimatlichen Deutschlands richtet sich gegen den inneren Feind vorangetrieben
63 GA 94 S 6564 GA 94 S 6665 GA 96 S 20566 Trawny Peter Heidegger und der Mythos der juumldischen Weltverschwoumlrung Frankfurt am
Main 2015 S 22Das hier aufgefuumlhrte Buch birgt einige problematische Umformungen zum Verhaumlltnis von
Heideggers Antisemititsmus Allem voran versucht es eine Begriffsbildung zu formen nach
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von der Rechenhaftigkeit des juumldischen Wesens und die aumluszligeren Feinde wie Ameri-
kanismus franzoumlsische Kultur russischer Bolschewismus usw Heideggers Urmythos
vom neuen Anfang ist verquickt mit einem selbstangedichteten Personenmythos
was ebenfalls Meyer schon erkannt hat Dieses Schema ist die Grundstruktur
Immer deutlicher wird in mir die Ahnung daszlig unsere Heimat der Kerndes suumldwestdeutschen Landes [er selbst DS] der geschichtliche Geburtsortdes abendlaumlndischenWesens sein wird [] es ist das Geistvolle und zugleichdas erdenhafte schoumlne Land Es birgt unsichtbaren Reichtum dem Gemuumltbewahret tiefstes Dichten und houmlchste Gestalt der Sage67
Die mitunter wichtigste Dichotomie die Heidegger in den Denktagebuumlchern
aufwirft ist die zwischen Historie und Geschichte Es ist insofern nicht nur der
Mythos des neuen Anfangs der Heideggers Denken uumlber fast zwei Dekaden be-
stimmt sondern umso mehr die doppelte Projektion ndash des Verfalls (Machenschaft)
in eine Konstruktion von Historie und des Bestehens (Sein) in die konstruierte
Geschichte68 Geschichte faumlllt dann schlieszliglich mit der Schaffung des neuen An-
fangs so zusammen wie Historie mit Technik verschraumlnkt wird Geschichtlichkeit
muss durch das Prinzip des Ereignisses der Aletheia prozessiert werden waumlhrend
die verrationalisierte wissenschaftliche technische Historisierung des Lebens und
der Lebenswelt dem widerstrebt
Die Bindung von Heideggers Vorstellung des richtigen Lebens im Sein mit
demAbendland und einer voumllkisch-nationalen Groumlszlige undUumlberlegenheit Deutsch-
lands ist dabei ausschlaggebend Denn mit der Charakterisierung des Guten auf
derer Heideggers Antisemitismus mittels Heideggers Denkmethode behandelt aufgehobenwerden koumlnnte Die Hauptbegriffe darin sind bdquoSeinsgeschichtlicher Antisemitismusldquo undbdquoKontamination des Denkensldquo Von einer tieferen Auseinandersetzung muss an dieser Stelleabgesehen werden
67 GA 97 S 5468 In Band 66 der GA gibt es bereits einen kleinen Abriss der Historie und Techniklsquo die der Ge-
schichte gegenuumlbergestellt werden Das dies eine Uumlbertragung der Gedanken aus den Schwar-zen Heften ist ist ohne Zweifel Ein ansatzweise philosophisches Vorgehen vermengt sichdort mit dem poeto-mythologischen Denken Heideggers In Sachen mythopoetischer Figu-ren undMetaphernreichtum haumllt sich dieser dort aber noch zuruumlck (auch wenn er hier bereitsoumlffentlich vom bdquohistorischen Tierldquo redet) Die Absicht Technik und Historie als Verstellungdes abendlaumlndischen Menschen zu brandmarken stehen dabei im Vordergrund Weiterhinsoll in dieser Arbeit allerdings der Fokus auf den Schwarzen Heften und der Mythopoetik inden Technikvortraumlgen der Nachkriegszeit liegenDer Duden sieht Geschichte und Historie als Synonyme Von einer Ethymologie und der
Spekulation von Heideggers Gruumlnden der Auseinanderhaltung der zwei Synonyme soll hierabgesehen werden
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der Seite des Seins sind die Feinde dessen eine Notwendigkeit seines Erklaumlrungs-
schemas Dabei sind es vor allem die Juden denen die Wurzel des Antiseien-
den von Heidegger in ihr vermeintliches Wesen geschrieben wird Exemplarisch
spricht dafuumlr dieses Zitat aus Band 96
Die zweite Machtsteigerung des Judentums aber hat darin ihren Grund daszligdie Metaphysik des Abendlandes zumal in ihrer neuzeitlichen Entfaltungdie Ansatzstelle bot fuumlr das Sichbreitmachen einer sonst leeren Rationalitaumltund Rechenfaumlhigkeit die sich auf solchem Wege eine Unterkunft im Geistlsquovarschaffte ohne die verborgenen Entscheidungsbezirke von sich aus je zufassen zu koumlnnen69
Diese Vorstellung ist eine Konkretisierung dessen was Heidegger mit den Uumlber-
begriffen Historie vs Geschichte einige Jahre vorher begann zu topografieren
Wir sind durch die Historie geschwaumlcht [] ndash wir koumlnnen nur durch das ge-rettet werden was uns in seiner Verfaumllschung widert ndash durch die Geschich-te70
Dieses bdquoWirldquo sind die glorifizierten Deutschen vor allem nach der Ableitung von
den Griechen uumlber Houmllderlin (und dessen Griechen) und Nietzsche zu ihm und
seinem kleinen Kreis von ihm anerkannter Intellektuellen-Kollegen wie etwa
Carl Schmitt Oswald Spengler Walther F Otto und Ernst Juumlnger Die Luft auf
Heideggers Denker-Olymp ist duumlnn und bekommt nur Wenigen
Die Geschichte in Heideggers solipsistisch-immanenten Nachdenken erklaumlrt
sich wie gesagt immer zusammen mit der Hoffnung auf den neuen Anfang und
als Besinnung auf das Denken als Akt gegen die Historie Die Paarung der zwei
Woumlrter bdquoGeschichteldquo und bdquoBesinnungldquo durchzieht in deutlicher Haumlufigkeit alle
vier Baumlnde der Schwarzen Hefte ndash bdquogeschichtliche Besinnung [] ist die Uumlberwin-
dung der Historie und des Historismusldquo und sie bdquobedarf der houmlchsten Strenge
hinter der die historische Exaktheitlsquo weit zuruumlckbleibtldquo ndash somit ferner bdquonur wer
Geschichtemacht vermag sie auch zu errettenldquo71 Das oben mit Meyer und Schulz-
69 GA 96 S 4670 GA 94 S 26771 GA 94 S 358f
Dass die Besinnung eine militante Perspektive hat laumlszligt sich auch in Heideggers Vereh-rung Heraklits ldquoDer Krieg ist der Vater aller Dingerdquo finden Heidegger sah sich selbst alsDenker als Propheten des Seins Aus dieser Warte betrachetete er zuerst den Nationalsozia-
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Nieswandt bereits aufgezeigte Bereiten des Goumlttlichen legt Heidegger in seinen
Begriff der Geschichte
Geschichte ndash das Gewagtwerden der Goumltter nur Groszlig als Untergang oderSieg ndash nicht Dauerlsquo wesentlich ndash sondern die Abgruumlndigkeit der Erstrei-tung ndash Opfer und Weile
Historie ist bei Heidegger bdquogeschichtliche Entwurzelungldquo die bdquoTyrannei der
Technikldquo bdquoSelbstvergoumltterungldquo und bdquoAbgoumltterei der Technikldquo72 In einer skizzen-
haften Emanationsfolge wird dieHistorie als Modus der Technik auf sich selbst zu-
ruumlckgefuumlhrt bdquoDas Riesige ndash [] Historie die Technik der Geschichtelsquo Technik
Die Historie der Naturldquolsquo73 Es ist vage annehmbar dass Heidegger hier die Tech-
nik als rechenhafte machenschaftliche Historisierung der Natur versteht die vor
dem Geschichtsbegriff stattgefunden haumltte Diese wiederum haumltte die Geschichte
in die rechenhafte Machenschaft verfremdet Wie ein Apparat erscheint Heidegger
der Gegenstand seiner Historie zu sein die sich automatisch durchsetzen wuumlrde
Die Historie stellt zunaumlchst das Nacheinander der Begebenheiten dessenwas vorbeizieht (passiertlsquo) her [] Sie erklaumlrt dann Spaumlteres aus dem Fruuml-heren sie findet sogar dass Ideen die Geschichtelsquo bestimmen74
Den historisierend narrativen Umgang mit Geschichte als Wissenschaft emp-
findet Heidegger als Technisierung derGeschichte Diese wiederum basiert auf den
statischen Topoi seiner Mythen von Vaterland Bauerntum Houmllderlin alten Grie-
chen den Goumlttern etc und der Anwendung des Aletheia-Prinzips im Ereignis
Das ist ein Tugendenkatalog der Deutschtuumlmelei mit einer paumldagogischen Kom-
ponente seine Mythologie im Aletheia-Prinzip zu praktizieren Er nennt dieses
Geschaumlft auch Denken und ahnt dessen Feinde bdquodie Forscher die in der Technik
ihres Arbeitens keine Reibung dulden und ihr Wissen fuumlr den Geist haltenldquo75
lismus und nach dem Krieg den real existierenden Sozialismus des Ostblocks im Zuge deratomaren Aufruumlstung als Vollstrecker Macher der Geschichte die den neuen Anfang ebnensollten Dass Heidegger diese bdquoklaumlrendeldquo Wirkung tatsaumlchlich spaumlter den Russen zuschreibtlaumlszligt sich in Band 97 der GA zweifelsohne nachvollziehen Hier kann aus Gattungsgruumlnden(BA-Thesis) nicht naumlher auf dieses Faible fuumlr absolutistische Regime eingegangen werden Je-denfalls ist die geschichtliche Besinnung und der Kriegsakt ein Widerspruch den Heideggerjedoch gleichsam adressiert Auch dies kann hier nicht weiter untersucht werden
72 GA 9473 GA 95 S 35174 GA 96 S 6275 GA 97 S 509
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Insofern verschraumlnkt Heidegger das bdquohistorisch-technischeldquo zum Antagonis-
ten der bdquogeschichtlichen Besinnungldquo Es ist die Entwicklung einer historisch-
geschichtlichen Differenz unter dem Zeichen der Besinnung gegen die techni-
sche Machenschaft ndash es geht um zwei unterschiedliche Wissenssysteme76 In den
Schwarzen Heftenwird Technikmeistens als eine Seite der Muumlnze mit der anderen
der Historie genannt Sie haumltten eine schon angedeutete dualistische Dynamik
Wo beide Historie und Technik in solcher scheinbaren Gegensaumltzlichkeitverkoppelt sind koumlnnen sie sich zur Foumlrderung dessen zusammenschlieszligenwas einstmals wesentliche die Geschichte des Menschen mitbegruumlndet undwas wir die Kunstlsquo nennen Die Historie verschafft [] Anregungen undVorbilder der Nachahmung die Technik erleichtert [] die Zustellung vonDarstellungsmitteln und Wirkungsformen [] Gleichwohl ist alles wurzel-los [] berechnet und als Erlebnislsquo ausgegeben77
Diese vermeintliche Gefahr muumlnde als bdquoZuumlgellosigkeit des Historismusldquolsquo in der
bdquoBodenlosigkeit [] (das Judentum)ldquo78 Heideggers Mythos ist hier dieser bdquoWir
muumlssen zuvor geschichtlich sein [] Ohne diese uumlberlieferung verfaumlllt alles der
historisch-technischen Machenschaftldquo79
Heidegger mythologisiert uumlber den bdquoAuftrag des Deutschenldquo80 will in bdquoge-
schichtlicher Besinnung sehr weit zuruumlckgehen ndash auf den Zusammenhang von
τέχνη ἀλήθεια und οὐσίαldquo81 um Technik auf ihr Wesen im antiken Ursprung
zuruumlckzufuumlhren bdquoDie techne hat [] den Sieg uumlber die [] aletheia errungenldquo82
Heidegger will sie zuruumlckgewinnen Er will der Technik aus dem bdquoEreignisldquo83
wieder uumlbermaumlchtig werden und sieht das bdquoWesen des Vaterlandesldquo84 im Abend-
land Dabei ist es ihm unentbehrlich zu wissen bdquodaszlig das Griechentum [] und
76 Heideggers noch immer vorhande Rezeption in Puncto seiner Technikphilosophie erstauntdamit dass sein Prinzip der aletheiologischen Besinnung als alternatives Wissenssystem undTechnikkritik ob der eigenwilligen Konstruktion den Entwicklungen der Zeit standhaumllt
77 GA 95 S 21278 GA 95 S 9779 GA 96 S 10480 GA 94 S 6681 GA 94 S 35782 GA 95 S 13283 Ebd84 GA 96 S 52
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nicht das Roumlmertum der Grund der Geschichte des Abendlandes istldquo85 Sein My-
thos von Heimat verknuumlpft sich uumlber Dichtung und Ereignis zu einem fuumlr die
Technikphilosophie essentiellen Bezugs-Topos
Wir brauchen keine Technik [] Das Wesen des Vaterlandes ist das Abend-land In ihm werden die Deutschen erst deutsch und erkennen die Muttervon Allem die unversehrte Erde [] Die Wahrheit erfahren wir im Ge-daumlchtnis Das Gedaumlchtnis ist die Dichtung Die Dichtung sagen der Denkerund Saumlnger in ihrem Gespraumlch Dieses Gespraumlch erst ereignet dichterisch dieDichtung in die Sprache (die Dichtung das Ereignis und das Ereignis dasAbendland) [] Wohnt in seiner Sprache [] seyd dem Seyn im Seyn Soist Sein das Seyn86
Eine weitere mythologische Form haben seine Fuumlgungen von Jahreszahlen
womit er bereits in den Bereich des Okkulten Mystischen abzurutschen droht
Houmllderlin wurde [] 1770 geboren [] 1870 aber Lenin Waumlhrend der []Lebenszeit Houmllderlins vollzogen sich die entscheidenden technischen Entde-ckungen und Erfindungen der neuzeitlichen Technik (1774ndash1806)87
Und ferner bdquo1807 Phaumlnomenologie des Geistes 1867 Das Kapital 1927 Sein
und Zeitldquo88
Als letzter Mythos sei hier sein Aufgriff der Spenglerschen Metapher des
Raubtiers89 aufgezeigt Uumlber weite Strecken philosophiert Heidegger uumlber das his-
torische Tier Das historische Tier muumlsse vernichtet werden die bdquodeutsche Zukunft
wirdlsquo nicht erst seinlsquo sie istlsquo schon seit Houmllderlin sie stifteteldquo90 Der Homo
faber ist fuumlr Heidegger das historisch-technische Tier qua der bdquoAngewiesenheit auf
das Tierhafte als Wesensgrundldquo91 Es fehle ihm was bdquodie Griechen als Anfangen-
deldquo mit der bdquoZugewiesenheit des Menschen zum Sein gewagt habenldquo92 wodurch
85 GA 96 S 20586 GA 97 S 52f Hierbei handelt es sich um eine Nachkriegsnotiz Heidegger aumlnderte den die
Adressierung in eine direkte Ansprache richtet sich an seine imaginierte Volksgemeinschaft87 GA 96 S 17488 GA 97 S 131 Womoumlglich ist es eine Uumlbung per Jahreszahlen das Aletheia-Prinzip zu prakti-
zieren eine Kontemplationshilfe Andererseits koumlnnte er auch der Regelmaumlszligigkeit der Zah-lenfolgen eine uumlbernatuumlrliche bdquoWahrheitldquo beimessen Dies bleibt an dieser Stelle unerforscht
89 VGl Spengler Oswald Der Mensch und die Technik Muumlnchen 1931 S 1090 GA 95 S 19791 GA 95 S 32092 GA 95 S 321
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er den bdquoGoumlttern unertraumlglich gewordenldquo93 waumlre Das bdquoRaubtierldquo dem gegenuumlber
bdquoist die Urform des Heldenlsquoldquo94 Dann behauptet Heidegger dass das Raubtier das
historisch-technische Tier durch Anwendung seiner eigenen Waffen schlagen koumlnn-
te Es ist dabei die bdquoUumlberwindung der Metaphysikldquo mitgedacht die erfolge sobald
sich das metaphysische Fragen durch den Wille zum Willen verfestigt95 Auch
Spengler dachte an dieses Derivat des Nietzsche Topos vomWillen zur Macht das
er seiner antropomorphen Chimaumlre vom Raubtiermenschen eingibt Wieder ist
von der Gewalt die Rede die ein Tabula rasa schaffen sollte zur Wiederauferste-
hung des griechisch-abendlaumlndischen Anfangs in Deutschland bdquoDas Raubtier aber
mit denMitteln der houmlchsten Technik ausgestattet ndash vollendet die Verwirklichung
der brutalitas des Seinsldquo96
Es scheint so als haumltte Heidegger auf jeden Begriff einen Gegenbegriff (selbst
zum historisch-technischen Tier das Raubtier)97 Aber es geht hier nicht um die
Analyse ausgewogener Formprinzipien oder die Kritisierung seiner linguistischen
philologischen Faumlhigkeiten Die Zitierung der Heideggerschen Mythologie soll
seine Verbindung von voumllkisch-nationaler und antisemitischer Haltung mit den
Bedingungen und Anspruumlchen seines Philosophierens aufzeigen Da die Schwar-
zen Hefte wie alle sonstigen Werke seines philosophischen Schaffens in der GA
erschienen sind muumlssen sie insofern als Teil derer gelten Das bedeutet dass sie
ausreichend Relevanz fuumlr die Arbeiten uumlber die Technik haben98
93 GA 95 S 23694 GA 95 S 39795 Vgl GA 7 Uumlberwindung der Metaphysik S 7896 GA 95 S 39797 Vgl Rudolph Heideggers Schwarze Hefte im Echo S 151 bdquoKeiner hat Nietzsche so konse-
quent und wahnwitzig zumNazi avant la lettre verformt wie Heidegger und keiner hat einenzuvor gewaltsam gefuumlgig gemachten Nietzsche so konsequent instrumentalisiert um damitdie vulgaumlr- nationalistische Dekadenz im Sandwich zu geiszligeln wie Heidegger Die Philolo-gie ndash auch die klassische ndash (Colli Cancik Montinari) hat Nietzsche inzwischen laumlngst mitnachhaltigem Erfolg rehabilitiert Wer jetzt noch einen roten Faden von Nietzsche zu Hitlerzieht hat nur noch Heidegger auf seiner Seiteldquo
98 Zum Abschluss dieses Kapitels sei hinzugesagt dass der Veranschlagung der Beispiele vonHeideggers Mythologie ein Exzerpt von 13 Seiten aus 1700 Seiten Text der vier Baumlnde derSchwarzen Hefte zugrunde liegt Beim Studium dieser fielen die staumlndigen Repetitionen derimmer gleichen Figuren und Metaphern auf Daraus wurde geschlossen dass es sich um eineMythologie handeln kann was ein weiteres Forschen bestaumltigte Die hier zitierten Stellensind Topoi die sich in Huumllle und Fuumllle in jedem der vier Baumlnde finden lassen was ihrenmythischen Charakter unterstreicht Die Auswahl versucht ein besonders charakteristischesBild wiederzugeben
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3 Heideggers mythopoetische
Technik
War Heidegger von seinem neuen Anfang nur zu traumlumen vergoumlnnt so gelang
ihm selbst aber die Wiederauferstehung aus der Asche des ZweitenWeltkriegs mit
der Vortragsreihe in Bremen (1949) uumlber die Technik Der Phoumlnix erweist sich
mittlerweile als Ikarus Anstatt sich selbst zu revidieren fordert Heidegger eine
Kehre ein die auf sein Programm der geschichtlichen Besinnung zum Ursprung ab-
zielt Rezipienten seiner Technikphilosophie taten zumeist seine voumllkischen und
nationalsozialistischen Verstrickungen mit der Niederlegung des Rektorats ab99
Sie glaubten an einen inneren Wandel Heideggers eine Laumluterung und sogar an
seinen geistigen Widerstand uumlber die Naziherrschaft hinweg100 Heute ist erwie-
sen wie Heidegger es aus seinem posthumen Gestaumlndnis in die Welt lecken laumlsst
dass er auf seine private Weise eine Form Nationalsozialismus hegte der die NS-
DAP und Hitler zwar als Vulgaumlrnazis kulturell degradierte aber sich selbst als
Denker-Nazi gerierte
Wie damit umzugehen ist steht aktuell in der Verhandlung Wie Rudolph es
behauptet stuumlnden die Heideggerianer bdquonun mit wertlosen Aktienldquo101 da Der
Kommunikationswissenschaftler Christian Fuchs sieht den Antisemitismus den
die Schwarzen Hefte zutage treten lassen als Notwendigkeit einer rigorosen Ver-
bannung Heideggers aus der technikphilosophischen Theorie102
99 Vgl Luckner Andreas Heidegger und das Denken der Technik Bielefeld 2008 S 64-69100 Vgl Babich Babette Nietzsche Heideggers Widerstand In Alfred Denker u Holger Zabo-
rowski (Hg) Heidegger-Jahrbuch 5 Heidegger und der Nationalsozialismus II Interpreta-tionen S 397-416
101 Rudolph Heideggers Schwarze Hefte im Echo S 146102 Vgl Fuchs Christian Martin-Heideggerrsquos anti-Semitism Philosophy of technology and the
media in the light of the ldquoBlack Notebooksldquo Implications for the reception of Heidegger inmedia and communication studies In tripleC Communication Capitalism amp Critique 13(1) (2015) S 55-78 hier S 74 Anstatt dessen pocht Fuchs auf die alternative Verwendungder Kritischen Theorie uumlber Fragestellungen zur Technik
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It seems to me that Heideggerrsquos fetishism is often lrsquoart pour lrsquoart Heideg-ger pour Heidegger a tactic that aims at creating an aura of complexity byevoking Heidegger although the same content could be expressed withouthim103
Fuumlr Trawny waumlre dies ein bdquoperformativer Widerspruch [] stets daran zu erin-
nern Heidegger vergessen zu sollenldquo104 Quo vadis Heidegger
Die objektive Antwort Rudolphs der an den Commonsense und die Beweis-
last der Anklage glaubt wie auch der subjektive Appell Fuchs der es zur mora-
lischen Entscheidung des Einzelnen macht Heidegger zu vernachlaumlssigen setzen
aktuell die Jahrzehnte alte Tradition der Heidegger-Kontroverse fort Ein im Sep-
tember 2016 erscheinender Sammelband wird zusaumltzlich die Debatte mit neuen
Bewertungen anreichern105
In diesem Kapitel soll es nicht um die direkte Einreihung in eine der bestehen-
den Polemiken gehen sondern um den Versuch der Betrachtung der spaumlten Tech-
nikphilosophie Heideggers als mythopoetische Dichtung in seinem Sinne des
Philosophierens Als exemplarisches Werk ruumlckt damit das Vortrags-Geviert der
Bremer Vortraumlge ins Zentrum der Anschauung106 Hier wird davon ausgegangen
103 Ebd S 73104 Trawny Heidegger und der Mythos der juumldischen Weltverschwoumlrung S 141105 Heinz Marion und Kellerer Sidonie (Hg) Martin Heideggers raquoSchwarze Heftelaquo Eine
philosophisch-politische Debatte Berlin 2016 (im Druck) Aus dem Klappentext diesesTitelsbdquoOffene antisemitische Aumluszligerungen in diesen Denktagebuumlchern haben in der nichtakade-
mischen Oumlffentlichkeit fuumlr Empoumlrung gesorgt Die entscheidende Frage ist jedoch welcheVeraumlnderungen der Perspektive auf Heideggers Denken insgesamt sich dadurch ergebenund ob damit zugleich eine Neubewertung des Gesamtwerks eines der einflussreichstenPhilosophen des 20 Jahrhunderts noumltig istldquoEine der Herausgeberinnen des Bandes Sidonie Kellerer ist zudem an einem anlaufenden
fuumlnf jaumlhrigen Forschungsprojekt an der Universitaumlt Stuttgart im Rahmen des StuttgartResearch Centre for Text Studies beteiligt Heidegger und die Postmoderne Geschichteeiner Irrefuumlhrungiquest Sie und der Stuttgarter Literaturwissenschaftler Claus Zittel werden Hei-deggers ideologische Verstrickungen in den Nationalsozialismus untersuchen die textlichrekonstruierbar aber nachtraumlglich geklittet worden waumlren bdquoSo konnte die Wissenschaft-lerin Dr Sidonie Kellerer anhand des Vortrages Die Zeit des Weltbildeslsquo erstmals 1950veroumlffentlicht [sic] dass zahlreiche Passagen nachtraumlglich so modifiziert wurden dass dieurspruumlngliche Apologie des Nationalsozialismus nunmehr als Kritik am Regime gedeutetwerden konnte Die 2014 erschienenen Schwarzen Heftersquo mit persoumlnlichen AufzeichnungenHeideggers bestaumltigen zudem wie tief verankert in seiner Philosophie Rassismus undNationalsozialismus waren und bliebenldquo(httpwwwuni-stuttgartdehkompresseservicepressemitteilungen201567_kellererhtmlzuletzt abgerufen am 1442016)
106 Von einer umfassenderen Analyse der Schriften Heideggers zur Technik muss aus Platzgruumln-den abgesehen werden Die Voumlrtraumlge vom Ge-stell der Technik der Kehre und dem Dingsind vor allem wegen ihres Publikationszeitraums interessant da sie direkt an die Dokumen-
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dass Heidegger den Versuch der abgrenzungspolitischen Einflussnahmemacht ge-
maumlszlig der oben dargelegten Ressentiments die sich in einer Mythologisierung des
Abendlandes niederschlagen Um seinem Ideal des dichtenden Denkens als Philo-
sophieren nachzukommen will Heidegger diese Einschreibung des Abendlandes
mythopoetisch vollfuumlhren
Grundsaumltzlich ist Verbindung und Trennung Heideggers boumlser Schwarzer Hef-
te mit und von seiner guten Technikphilosophie das Schlachtfeld aktueller De-
batten Wie bereits darauf hingewiesen werden hier Schwarze Hefte und Veroumlf-
fentlichungen wie eben in Form der Bremer Vortraumlge als ein kontinuierlicher
Arbeitsprozess gesehen Es gibt insofern nur einen Heidegger und keine gespal-
tene Persoumlnlichkeit Die Siegener Philosophin Sodonie Kellerer stellt dies anhand
Heideggers Selbstsicht luzide dar
Seine immer wiederkehrende Beschwoumlrung des Werkeslsquo und seine an diver-sen Stellen der bislang vorliegenden Briefkorrespondenz artikulierten Be-muumlhungen dieses Werklsquo fuumlr die Nachwelt zu sichern [Kellerer bezieht sichhier ua auf Heideggers Briefwechsel mit seiner Frau der 2007 veroumlffentlichtwurde DS] verdeutlichen wie sehr er seine Texte als ein Ganzes verstandin dem keines der Teile entbehrliche Wiederholung geschweige denn irrele-vante Eroumlrterung ist107
Dabei allerdings wird die Frage offen bleiben mit welchem Maszlig er sich selbst ge-
faumlhrdet sah seine Ansichten oumlffentlich zu vertreten und welche Konsequenzen er
dabei fuumlrchtete Denn er musste die Vortraumlge kodieren ndash was er im Sinne der My-
thopoetik auch macht ndash und mit Einigem hinterm Berg halten108 Dass es dabei
verschiedene Offenbarungsebenen gibt wird hier erst einmal hingenommen Es
interessieren staumlrker nachweisbare Bezuumlge des Entwurfsdenkens Heideggers zur
Oumlffentlichkeitsarbeit von ihm109
te der Schwarzen Hefte anschlieszligen (1948 der letzte Band der Schwarzen Hefte umfasst denZeitraum 1942-1948)
107 Kellerer Sidonie Kampf der Besinnung In Deutsche Zeitschrift fuumlr Philosophie Band 63Heft 5 Seiten 941ndash957 hier S 942
108 Weshalb die Veroumlffentlichung der Schwarzen Hefte auch weitestmoumlglich nach hinten verlegtwurde
109 Wuumlrde man dem entgegenhalten dass Heideggers vermeintliches Genie aus Formalisierun-gen seiner Gedanken ableitbar eine wichtige Quelle an sich bliebe scheitert dieses damitdass nun die Formalisierungen nicht personenneutral sozial-epistemologisch bestehen koumln-nen Als Vergleich wuumlrde man aus Hitlers und Goumlbbels Reden Formalisierungen isolierenlieszlige sich bestimmt die eine oder andere plausible Idee entwenden (wenn sie voumlllig dekon-
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Hierzu wird der Text der gesamten vier Vortraumlge unter dem Titel Einblick
in das was ist Bremer Vortraumlge 1949lsquo110 aus dem 1994 veroumlffentlichten 79 Band
der GA zugrunde gelegt Das hat den Grund dass davon ausgegangen wird dass
der Text somit am naumlchsten an den 1949 tatsaumlchlich vorgetragenen Manuskripten
liegt Insofern ist eine realistische Annaumlherung an eine mythopoetische Uumlbertra-
gung der Schwarzen Hefte in die Bremer Vortraumlge 1949 das Ziel Demgegenuumlber
gibt es ob der virulenten Publikationspraxis von Heideggers Schriften111 noch
andere Auskopplungen der vier Vortraumlgsteile mit den Titeln Das Dinglsquo Das Ge-
Stelllsquo Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo
31 Zur Publikationsgeschichte von den
Bremer Vortraumlgen 1949
Zuerst erschien 1954 im Neske-Verlag (Pfullingen) ein Sammelband der lediglich
den ersten Vortrag Das Dinglsquo enthaumllt allerdings in leicht erweiterter Fassung
so wie er ein halbes Jahr nach dem Bremer Auftritt in Muumlnchen (1950) an der
Akademie der Schoumlnen Kuumlnste gehalten wurde112 Dem Band hinzugefuumlgt ist aber
zudem ein Vortrag der vornehmlich die Kernaussagen von Das Ge-Stelllsquo und
Die Gefahrlsquo verbindet allerdings in modifizierter Form Dieser wurde unter dem
textualisiert wuumlrde) Ist aber die wahre Verbindung zu Hitler und Goumlbbels hergestellt hatman selbstverstaumldlich die Verantwortung zu tragen an dem ganzen Tross von unmoumlglichenVerfehlungen dieser Menschen die sie fuumlr uns zu Personae non gratae stempeln muumlssen
110 GA 79111 Hierauf macht auch der Darmstaumldter Philosoph Gernot Boumlhme aufmerksam als Akt ei-
ner bdquoposthumen Selbstinszenierungldquo in Boumlhme Gernot Selbstinszenierung uumlber Ruhmin der Philosophie In Information Philosophie (Online Ausgabe 12015) URL=lthttpwwwinformation-philosophiedea=1ampt=8232ampn=2ampy=5ampc=29gt zuletzt ab-gerufen am 2442016)
112 Heidegger Martin Das Ding In Ders Vortraumlge und Aufsaumltze Pfullingen 1954 S 163ff
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Titel Die Frage nach der Techniklsquo113 am 18 November 1953 an der TUMuumlnchen
gehalten
Eine weitere Auskopplung diesmal des letzten Vortragsteils Die Kehrelsquo fin-
det sich in einem broschuumlrenformatigen Band wiederum im Zusammenspiel mit
dem Vortrag Die Frage nach der Techniklsquo in Die Technik und die Kehrelsquo114 von
1962 wieder Somit wurden die Vortraumlge Das Ge-Stelllsquo und Die Gefahrlsquo lange
Zeit nicht veroumlffentlicht sondern als vermischter und modifizierter Text eben
Die Frage nach der Techniklsquo jeweils zusammen mit Das Dinglsquo (1954) und Die
Kehrelsquo (1962) angeboten115 In der Vorbemerkung zu Die Technik und die Keh-
relsquo wird diese kleine Chronologie leicht verfaumllscht auch aufgezeigt Darin heiszligt
es ferner dass Die Frage nach der Techniklsquo eine erweiterte Fassung von Das Ge-
Stelllsquo waumlre Dem ist wie schon gesagt nicht so Sondern es ist eine modifizierte
Vermischung von Das Ge-Stelllsquo und Die Gefahrlsquo was unschwer zB am Begriff
vom bdquoHer-vor-bringenldquo116 zu erkennen ist der in Die Gefahrlsquo eingefuumlhrt wird
und in Die Frage nach der Techniklsquo die gleiche Bedeutungskonstituente bildet
Mit der Veroumlffentlichung des 79 Bandes der GA 1994 wurden alle vier Bremer
Vortraumlge von 1949 publiziert In Band 11 der GA erschien 2006 auszligerdem Die
Kehrelsquo in ihrer urspruumlnglichen Fassung Die Frage nach der Techniklsquo enthaumllt
weniger mythopoetische Teile als Das Dinglsquo und operiert demgegenuumlber staumlrker
anhand klassisch philosophischer Allgemeinplaumltze Derer sind vor allem zu nen-
113 Heidegger Martin Die Frage nach der Technik In Ders Vortraumlge und Aufsaumltze Pfullingen1954 S 9ff (Der Aufsatz erschien ebenfalls 1954 im Sammelband der Vortragsreihe DieKuumlnste im technischen Zeitalter Heidegger Martin Die Frage nach der Technik In DieKuumlnste im technischen Zeitalter Dritte Folge des Jahrbuchs Gestalt und Gedanke Hg v dBayrischen Akademie der Schoumlnen Kuumlnste Muumlnchen 1954 S 70ff)
114 Heidegger Martin Die Technik und die Kehre Pfullingen 1962115 Beide Baumlnde Votraumlge und Aufsaumltzersquo sowie Die Technik und die Kehrersquo haben hohe Aufla-
genzahlen (Uumlbersetzungen wurden hier nicht recherchiert wobei es aber eine internationa-le Heidegger-Rezeption gibt) 1993 wurde der Pfullinger Neske-Verlag von dem StuttgarterHaus Klett-Cotta uumlbernommen was die Buumlcher aber unveraumlndert belaumlsst Vortraumlge und Auf-saumltzelsquo zaumlhlt seit 2009 die 11 Auflage Die Technik und die Kehrelsquo seit 2014 die 13 BeideBaumlnde sind vergriffen Es mutet unverstaumlndig an weshalb eine fehlerhafte Jahresangabe ausder ersten Veroumlffentlichung von Die Technik und die Kehrelsquo bis 2014 kolportiert wurdeDort steht der Vortrag Die Frage nach der Techniklsquo waumlre am 18 November 1955 gehaltenworden Der Vortragstermin war aber am 18 November 1953
116 Vgl GA 79 S 64 Und Heidegger Die Technik und die Kehre S 11
29
nen die Auflistung der bdquovier Ursachenldquo117 nach Aristoteles und die Kritik an der
Technik als bdquoein Mittel zu Zweckenldquo118 (Kausalitaumlt)119
Der Vortrag Das Dinglsquo galt Heidegger bei der Darbietung seiner Technikphi-
losophie nach dem Zweiten Weltkrieg allerdings als unentbehrlich ndash und damit
seine groszligflaumlchige Aufblaumltterung der Mythopoetik wie im folgenden Kapitel hier
gezeigt wird Denn im Vortrag Die Frage nach der Techniklsquo benutzt Heideg-
ger noch immer seinen mythopoetischen Topos vom Versammeln des Gebirges
der mit dem Versammeln eine Konstituente des Gevierts ist (bdquoErde und Himmel
die Goumlttlichen und die Sterblichenldquo120) (su)121 Fuumlr die Kaumlufer und Leser von
der spaumlteren Veroumlffentlichung Die Technik und die Kehrelsquo wird zudem in Die
Kehrelsquo extra auf den Vortrag Das Dinglsquo in der 1954er Ausgabe in Vortraumlge und
Aufsaumltzelsquo verwiesen122 Das zeigt wie wichtig und unerlaumlsslich Heidegger seine
mythopoetische Denkweise der Technik ist Auch wenn er in Die Frage nach der
Techniklsquo einen allgemeineren und offeneren Ansatz entwickelt hat der dadurch
auch leichter zu erschlieszligen ist
32 Die mythopoetische Spiegelung der Schwarzen
Hefte in den Bremer Vortraumlgen von 1949
321 Das Dinglsquo
In dem Vortrag Das Dinglsquo der 1949 vor dem privaten Club zu Bremen dort im
Neuen Rathaus das Vortragsquartett einleitete fuumlgt Heidegger mythopoetisch
zusammen was folgenden Topoi seiner Schwarzen Hefte aus Kap 221 entspricht
117 Heidegger Die Technik und die Kehre S 6118 Ebd S 6119 Diese Topoi versucht Heidegger in dem Text zu zersetzen und ihnen ein aletheisches Prin-
zip des Entbergens der Technik entgegenzusetzen Dies erfolgt wiederum auch anhand derVerwendung von mythopoetischen Teilen Darauf kann hier aber nicht weiter eingegangenwerdenAls weitere Gemeinsplaumltze (die er teils unterstuumltzend teils zur Zersetzung einfuumlgt) handelt
der Text auch mit Zitaten von Platon Heisenberg J P Hebel und Goethe120 Ebd S 12121 Vgl GA 79 S 11 Und Heidegger Die Technik und die Kehre S 19122 Vgl Heidegger Die Technik und die Kehre S 42f
30
1 die antirationale Wissenschaftsfeindlichkeit 2 der Mythos des Goumlttlichen 3
das Griechentum uumlber dem Roumlmertum 4 die Zahlenmystik (anhand des Spiegel-
Spiels des Gevierts ndash su) 5 das geschichtsbesinnliche Prinzip der Aletheia
Heidegger stellt zuerst die Frage nach dem Ding und will sie daraufhin ver-
anschaulichen mittels der Metapher des Kruges dh mit dem Krug als ein exem-
plarisches Ding Er fuumlhrt dann vor (was der Geste eines Zauberkuumlnstlers aumlhnelt)
wie der leere Krug gefuumlllt wird ndash Luft weicht der Fluumlssigkeit Dieses Sachverhaumllt-
nis aber ist fuumlr ihn Halbpoesie und eine Angabe aus der Physik sie verfehle das
vermeintliche Wesen des Kruges
Die Wissenschaft stellt durch sie [die Angabe der Physik DS] etwas Wirk-liches vor wonach sie sich objektiv richtet Aber ndash ist dieses Wirkliche derKrug Nein DieWissenschaft trifft immer nur auf das was ihre Art des Vor-stellens im vorhinein als den fuumlr sie moumlglichen Gegenstand zugelassen hat[] Die Wissenschaft macht das Krug-Ding zu etwas Nichtigem insofernsie Dinge nicht als das Maszliggebende zulaumlszligt123
Als ein wirkmaumlchtiges Beispiel das ihm sicherlich viel Beachtung uumlber die
Jahrzehnte seit ihrer Zuumlndung in Japan hinweg einbrachte fuumlhrt Heidegger die
Atombombe an Diese sei zu verstehen als verdinglichte Wissenschaft die das
Ding vernichten wuumlrde
Deren Explosion ist nur die groumlbste aller groben Bestaumltigungen der langherschon geschehenen Vernichtung des Dinges dessen daszlig das Ding als Dingnichtig bleibt124
Er buumlndelt damit Wissenschaft und Verkennung des Wesens als maszliggebend mit
dem Ding als sein machenschaftliches Prinzip der zerrechnenden Zerstoumlrung Drei
Jahre nach Kriegsende war der buumlrgerlich-elitaumlre Kreis in Bremen sicherlich be-
wegt von dieser Wortgewalt Diese jedoch suchte ja ihr Heim Harmonie Ruhe
in dem Haus als Wesen der Sprache
Und so faumlhrt Heidegger fort und ersetzt das physikalische Prinzip des Inhalts-
wechsels von Luft zu Wein in ein bdquoGeschenk des Gussesldquo als Spende und Opfer
den Goumlttern (2)125
123 GA 79 S 8124 Ebd S 9125 Vgl Ebd S 11f
31
Der Guszlig ist der den unsterblichen Goumlttern gespendete Trank [] Der ge-weihte Trank ist das was das Wort Guszliglsquo eigentlich nennt Spende und Op-fer Guszliglsquo gieszligenlsquo lautet griechisch χέειν indogermanisch ghu Das bedeu-tet opfern
Hier spielt bereits der Ursprungsmythos der Griechenmit ein (3) es ist aber auch
ein Bezug auf das Geviert Dieses waumlre ein System ein zusammen Gestelltes aus
bdquoErde und Himmel die Goumlttlichen und die Sterblichenldquo126 Im Guszlig des Trunkes
weilten gemeinsam diese Vier als emblematische Verbindung
Das im Geschenk Versammelte sammelt sich selbst darin das Geviert ereig-net zu verweilen Dieses vielfaumlltig einfache Versammeln ist das Wesen desKruges Unsere Sprache nennt was Versammlung ist in einem alten WortDies lautet thing127
Das Geviert zehrt von der Zahlenmystik zum einen als die Versammlung der
vier Begriffe an sich zum anderen da Heidegger ihnen eine Spiegel-Funktion
zuschreibt bdquoJedes der Vier spiegelt in seiner Weise das Wesen der uumlbrigen wie-
derldquo128 und ferner weil er damit auf sich selbst dh auf sein Vortrags-Geviert
verweist (4) Wie in Kap 21 schon gesagt lebt der Mythos von seiner Verbind-
lichkeit Diese legt Heidegger allen nah die sie verinnerlichen wollen bdquoSagen wir
die Sterblichen dann denken wir falls wir denken die anderen Drei mit aus der
Einfalt der Vierldquo129
Sollte der Vollzug der Praxis des sukzessiven Mitdenkens aller vier Geviert-
Entitaumlten gelingen koumlnnte das Ereignis der Aletheia begriffen werden (5) bdquoDas
Spiegel-Spiel von Welt ist der Reigen des Ereignensldquo130 Diese wird aber auch be-
griffen in Abgrenzung von dem Roumlmertum (3) denn in der bdquorealitas der resldquo
haumltten die Roumlmer bdquoihr Erfahrenes niemals eigens in seinem Wesen gedachtldquo131
Das waumlre den Griechen vorzubehalten und vom verstaumlndig denkenden Deutschen
wiederzubeleben
126 Ebd S 12127 Ebd S 13128 Ebd S 18129 Ebd130 Ebd S 19131 Ebd S 15
32
Der Krug ist ein Ding weder im Sinne der roumlmisch gemeinten res noch imSinne des mittelalterlich vorgestellten ens noch gar im Sinne des neuzeitlichvorgestellten Gegenstandes [] Der Krug ist Ding insofern er dingt132
Die Bindung an das deutsche Wort bdquoDingldquo das er spielerisch auch ins Englische
Romanische und Franzoumlsische uumlbersetzt ist unerlaumlsslich fuumlr seine ethymologi-
sche Argumentation In der ist der bdquoGuszligldquo ruumlckgefuumlhrt auf indogermanisch bdquoghuldquo
und das bdquoDingldquo auf das mittelhochdeutsche bdquothingldquo So konnten antik die Roumlmer
von den Griechen abgrenzt werden und modern die anderen drei Sprachen vom
Deutschen Das englische sich sehr nah am bdquothingldquo befindliche bdquothingldquo wird mit
dem Roumlmischen ausgespielt
Im Englischen hat thing noch die erfuumlllte Nennkraft des roumlmischen Wor-tes res bewahrt [] dh ein aus sich kommendes den Menschen Angehen-des133
Fuumlr Heidegger geht es beim bdquothingldquo aber um die mittelhochdeutsche Uumlbersetzung
der Versammlung Darauf beruht sein gesamter Systemansatz mit Geviert und
Ge-stell
Schulz-Nieswandt fuumlhrt diese Zusammenstellung zum Bejubeln von Heideg-
gers Mythopoetik
So fundamental sieht Heidegger die Welt Die Quelle des Wassers wird zurHochzeit von Himmel und Erde das Gieszligen des Wassers aus dem Krugzum Geschenk Auch Sprache ist daher kein Instrument sondern Ort desWohnens des Menschen Sprache wird zum Haus des Seinslsquo134
Hier bestaumltigt die Untersuchung des Ding-Vortrags die These von einer mytho-
poetischen Einschreibung der nationalistischen voumllkischen Abgrenzungs-Mythologie
aus den Schwarzen Heften
322 Das Ge-Stelllsquo
Der zweite Vortrag des Reden-Gevierts setzt ein mit der Metapher des fehlen-
den Abstands Wo kein Abstand sei da waumlre auch keine Naumlhe so Heidegger Er
132 Ebd S 16133 Ebd S 14134 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei Walter
F Otto S 59
33
verbindet die Abstandslosigkeit mit Urbanitaumlt und Verkehr alles fluktuiere Es
waumlre der Bestand der sich bestelle in dem das Abstandlose herrsche Das sind
neue Metaphern fuumlr die Machenschaft In seiner Erzaumlhlung vom Ge-Stell gibt es
bedeutend weniger mythopoetische Passagen als in dem vorangegangenen Vor-
trag Allerdings uumlbertraumlgt er den mythopoetischen Gehalt der Rede vom Ding
bereits im ersten Absatz von Das Ge-Stelllsquo mit dem Credo bdquoNaumlhe west insofern
das Ding dingtldquo135 Mit dieser Verbindung wird klar unter welchem Zeichen Hei-
degger die Rede vom Ge-Stell verstanden wissen will ndash als verlorenes Verhaumlltnis
des voumllkisch-traditionell verwurzelten Menschen mit den vermeintlichen Wesen
all seiner Gebrauchsobjekte in der mythopoetischen Formel des sich spiegelnden
Gevierts
Nahezu nuumlchtern erzaumlhlt Heidegger dann von dem Gefaumlngnis des Menschen
im Wesen der zirkulierenden sich immer neu bestellenden Bestandstechnik des
Ge-Stells Dabei scheinen folgende Mythen aus den Schwarzen Heften hindurch ndash
1 bdquoHistorie die Technik der Geschichtelsquo Technik die Historie der Naturlsquoldquo136
2 das historische Tier 3 der Appell an den Auftrag des Deutschen 4 der geschicht-
liche Mensch muss die Historie und damit die Technik uumlberwinden und 5 die
alles zernichtende Machenschaft des juumldischen Wesens
Den Topos der seinsvergessenen Groszligstadt jedenfalls kontrastiert er mit der
Bauerndorfidylle Da aber bdquodas Abstandlose herrschtldquo137 waumlre das Vorruumlcken der
Maschinentechnik bereits universell So in Form des Traktors Schon in Band
96 der Schwarzen Hefte beklagt er dieses bdquozum elektrischen Pflug [] gehoumlrt
das amerikanisch aufgemachte Magazinlsquoldquo Insofern erfolge die bdquoAngleichung der
Sitten der Bergbewohner an diejenigen des groszligstaumldtischen Sport- und Barbe-
triebsldquo138
Sein erster Land-Stadtvergleich betrifft den Bauern dessen Totenruhe tradi-
tionell in einem sg bdquoTotenbaumldquo (Sarg) stattgefunden haumltte ndash bdquoIn ihm gedeiht
der Tod des Totenldquo139 Dem gegenuumlber klingt in der bdquomotorisierten Bestattungs-
135 GA 79 S 24136 GA 95 S 351137 GA 79 S 24138 GA 96 S 54139 GA 79 S 26
34
industrie der Groszligstadtldquo140 bereits Heideggers pietaumltsloser Gaskammernvergleich
an
Ackerbau ist jetzt motorisierte Ernaumlhrungsindustrie im Wesen das Selbewie die Fabrikation von Leichen in Gaskammern und Vernichtungslagerndas Selbe wie die Blockade und Aushungerung von Laumlndern das Selbe wiedie Fabrikation von Wasserstoffbomben141
Hier wird davon ausgegangen dass es eine Uumlbertragung der Notizen uumlber
das deutsche Land als bdquoeinziges KZldquo ist die Unterdruumlckung des deutschen Vol-
kes durch die bdquoWeltdemokratieldquo die schlimmer sei als die Graumlueltaten der bdquoGas-
kammernlsquoldquo142 In die mythopoetische Formel von dem dingenden Ding aus dem
ersten Vortrag sind alle Valenzen eingeschrieben die es zur Aufgabe des abendlaumln-
dischen Deutschen (also als Nachfolger der alten Griechen) machen das Wesen
des Dings und somit der Technik zu huumlten Die Verantwortung fuumlr Genozid
Massenvernichtungswaffen und den Mangel im Nachkriegsdeutschland schreibt
Heidegger gleichfoumlrmig dem Prinzip der Abstandslosigkeit zu
Auch die Rede von der Habgier des Berechnenden ist ein bereits bekannter
Vorbehalt Heideggers anhand der Rede vom raffgierigen Juden Denn er sagt von
der bdquoHerrschaft des Abstandlosenldquo dass sie bdquodie Hab-gier des vorstellenden Be-
rechnensldquo waumlre143 Das entspricht seinem Mythos von der alles zernichtenden
Machenschaft des juumldischen Wesens144
Dann folgt eine lange Elegie uumlber das Bestellen des Bestands des Ge-Stells
bdquo[d]ie Kette des Bestellens laumluft auf nichts hinaus sie geht vielmehr nur in ihren
Kreisgang hineinldquo145 uumlber 19 Seiten des 21 seitigen Vortragsexts hinweg entwirft
Heidegger diverse Bilder wie das Ge-Stell die Natur das Hergestellte den Men-
schen und das Verstandesmaumlszligige vereinnahme und das Wesen desDings gleichsam
zur Veruntreuung bringen wuumlrde Wiederum poetisch orientiert kontrastiert also
140 Ebd141 Ebd S 27142 GA 97 S 99f143 Vgl GA 79 S 25144 Vgl Machenschaft hier S 29 und Geraff hier S 33145 GA 79 S 29
35
Heidegger Houmllderlins Hymne Der Rheinlsquo mit dem Rhein dessen Stroumlmung fuumlr
ein Stromkraftwerk genutzt wird
Achten wir um das Ungeheure das hier waltet zu ermessen nur auf einenAugenblick auf den Gegensatz der sich in den beiden Titeln ausspricht DerRhein verbaut in das Kraftwerk ndash der Rheinlsquo gesagt in der gleichnamigenHymne Houmllderlins146
Die Differenz also waumlre das Ungeheure147 Dabei waumlre der Rhein verbaut in das
Kraftwerk Aumlhnlich wie Kohle Erze und Rohoumll waumlren sie Bestand der bdquobesteht
im Bestellenldquo ndash bdquoDas Bestellen waumlre demnach lediglich eine Machenschaft des
Menschen vollzogen in der Weise der Ausbeutungldquo148
Das Bild des Wasserkraftwerks wird erweitert um den Begriff des Menschen
Elektrizitaumlt mit Wasserkraft erzeugen bdquokoumlnnen die Menschen [] nur insofern
sie selber schon in dieses Bestellen bestellt sindldquo149 Mit diesem Bild versucht Hei-
degger praktisch zu veranschaulichen dass Entwurf Umsetzung und Einsatz ei-
ner technischen Anlage den Menschen in ein entruumlcktes Verhaumlltnis zum Wesen
des dingenden Dings setze ndash bdquoDer Mensch ist darum der Angestellte des Bestel-
146 Ebd147 Das ist zusaumltzlich zu dem gemeinten Gegensatz ein Vergleich mit dem Heidegger dem Wort
bdquoRheinldquo in die Hymne Der Rheinlsquo gesprochen eine Energie erzeugende Wirkung zu-schreibt eben so wie das Kraftwerk Strom erzeugen wuumlrde Das wird klar dadurch dassHeidegger metaphorisch vom Stellen des Wortes bdquoRheinldquo in die Hymne spricht Es handeltsich um einen Appell zur denkerischen Besinnung Dass Heidegger dafuumlr eine technischeAnlage zur Veranschaulichung inspirierend wirken laumlsst spielt bereits in die Richtung derBegriffe bdquoHer-vor-bringenldquo bdquoEntbergenldquo und spielt auf das Alteheia-Prinzip an Darauf wirdweiter unten anhand Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo eingegangen werden Es handelt sich umdas Angebot eines mythopoetischen Umgangs mit Technik insbesondere wenn sie sich inheimische Gefilde einfuumlgtHeute koumlnnte man mit Windraumldern ebenso verfahren Somit koumlnnte aber auch Heidegger
als ein gewisser Quijana aus Mancha verstanden werden eben der Protagonist aus Miguel deCervantes Roman Don Quichote von der Manchalsquo der mit seinem von ihm flux auch um-benannten Klepper (weil er zuvor sich selbst in Don Quichote umtaufte) Rocinante Riesenbezwingen will um mit dieser Heldentat unsterblichen ritterlichen Ruhm zu erstreitenAuch Don Quichote fand seine Riesen in Windmuumlhlen und auch Don Quichote war uumlber
eine uumlbertriebene Auseinandersetzung mit einer verschuumltteten Kultur dieser verfallen undsuchte diese in seiner Aventuumlre zu reaktualisieren Martin Heideggers mythopoetisches Pro-gramm ist tatsaumlchlich stark mit Don Quichotes Motiv vergleichbarFerner waumlre eine Auseinandersetzung mit Heideggers Werk unter Beruumlcksichtigung sei-
ner Gewichtung der Vorsokratiker und Houmllderlin als mythopoetischen Autor eine moumlglicheForschung zum Thema Anachronismen in Konzepten von Moral und gesellschaftlicher An-gemessenheit (Vgl Cervantes Miguel de Don Quichote von der Mancha Herausgeben unduumlbersetzt v Susanne Lange Muumlnchen 2008 S 33f)
148 GA 79 S 29149 GA 79 S 30
36
lensldquo150 Schon vorher wies Heidegger darauf hin bdquo[d]ie Herrschaft des Gegen-
staumlndigen sichert nicht den Abstandldquo151 Jetzt heiszligt es
Das Bestellen befaumlllt nicht nur die Stoffe und Kraumlfte der Natur mit Gestel-lung Das Bestellen befaumlllt zugleich das Geschick des Menschen Das Wesendes Menschen wird daraufhin gestellt das Bestellen in menschlicher Weisemitzuvollziehen152
Der Begriff des Ge-Stells wird daraufhin so konstruiert dass es im Bestellen
um ein Stellen (Herausfordern) alles bdquoAnwesenden als Bestandldquo als bdquoversus unumldquo
gegen bdquodas Eine Ganzeldquo gehe153 In wiederum mythopoetischer Formulierung ge-
baumlre die bdquoVersammlung des Stellens worin alles Bestellbare in seinem Bestand
west das Ge-Stellldquo154 Der Begriff bdquoVersammlungldquo wird einen Absatz zuvor my-
thopoetisch wieder an die Versammlung also das thing eben das wesenhafteDing
angelehnt und somit wie zu Das Dinglsquo bereits oben erlaumlutert in einen deutsch-
abendlaumlndischen Kontext gestellt (3)
Wir nennen die Versammlung der Berge die von sich her einig und nienachtraumlglich schon gesammelt ist das Gebirge Wir nennen die Versamm-lung der Weisen nach denen uns so zumute ist und sein kann das Gemuumlt155
Allerdings ist obiges Versammlungsmodell hier als Kontrast zu sehen zu dem
bdquoGeraff des Getriebesldquo das das Ge-Stell darstellt als bdquoWesen der Technikldquo156 Hei-
degger sieht in der Gleichfoumlrmigkeit die zum Wesen des Technik als Ge-Stell
150 GA 79 S 30151 GA 79 S 25152 GA 79 S 31153 Vgl GA 79 S 32154 GA 79 S 32155 Ebd
Das Wort ldquoGemuumltrdquo hat ferner eine ausschlieszliglich deutsche Praumlgung gibt es doch keinedirekte Uumlbersetzungen Gemuumlth ist ferner ein nicht eindeutig umrissener Begriff (Vgl Kra-mer Cheryce A Foolrsquos Paradise The Psychiatry ofGemuumlth in a Biedermeier Asylum Chica-go 1998 S 19) Die Bedeutung im Deutschen selbst ist zudem sehr variabel hat aber zumeistmit Seelen- oder Geistkonzepten zu tun ndash Cheryce von Xylander (geb Kramer) uumlbersetztGemuumlth mit bdquosoul-organldquo (ebd S 43) das von diversen Autoren unterschiedlich konstru-riert wird (zB von Kant geistigkoumlrperlich und von Kleist individuellkollektiv (vgl ebdS 41)) In Heideggers emblematischem Duktus scheint eine Vermischung von allen vier Di-mensionen geistigkoumlrperlich wie auch individuellkollektiv stattzufinden Es ist auf jedenFall dem Mythos geschuldet den Auftrag des Deutschen anzunehmen (3)
156 GA 79 S 33
37
gehoumlre die planetarische Abloumlsung und Aufhebung des traditionellen und damit
wesenhaft ans Ding gebundenen Verhaumlltnisses vom Menschen zur Erde (das von
ihm idealisierte voumllkische Bauerntum das Bestellen des Ackers) bdquoDie Bestand-
Stuumlcke sind Stuumlck fuumlr Stuumlck die Gleichenldquo157 So kontrastiert er alte Handwerks-
techniken mit Maschinentechnik und schreibt der Maschinentechnik die machen-
schaftliche Verdraumlngung als Geraff zu
Das Ge-Stell hat auch wenn das nicht unmittelbar und nicht sogleich ver-nehmlich wird im vorhinein schon alle diejenigen Stellen beseitigt an denenvormals Spinnrad und Wassermuumlhle standen Das Ge-Stell bestellt durch sei-ne Maschinerie zum voraus eine andere Art und Ordnung von Stellen Andiesen kommt nur zu Stand was als Bestellbares auf der Stelle gleichfoumlrmigzur Stelle steht
Darum ist auch die Art wie die Maschine selbst etwas herstellt einewesentlich andere als das handwerkliche Tun gesetzt daszlig es innerhalb desGe-Stells uumlberhaupt noch so etwas wie ein Herstellen gibt
Die Traktoren und Kraftwagen werden herausgebracht ausgeworfen se-rienweise Stuumlck fuumlr Stuumlck Wo drauszligen steht dieses so Herausgestellte Wo-hin in welchen Stand ist es gebracht158
In dieser Klage uumlber den technischen Wandel der durch den Fortschritt in
alle Lebensbereiche Einzug haumllt versucht Heidegger zu veranschaulichen wel-
chen Verlust es zu erkennen gelte Ein Versuch diesem entgegen zu treten ist die
von ihm vorgetragene Mythopoetik die er in diesem Vortragsteil seines Vortrags-
Gevierts allerdings auffaumlllig zuruumlckgestellt sein laumlszligt War der Einleitungsteil Das
Dinglsquo schlieszliglich eine nahezu einzige mythopoetische Darbietung Dramatur-
gisch wird Heidegger in Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo die mythopoetischen For-
mulierung als Loumlsungswege wieder Bedeutung geben In Das Ge-Stelllsquo versucht
Heidegger hingegen Vorstellungen aus seinen Schwarzen Heften aumlhnlich der fol-
genden mitzuteilen die das Uniforme Gleichfoumlrmige betreffen
Die Macht der Machenschaft ndash die Vernichtung sogar der Gottlosigkeit dieVermenschung des Menschen in das Tier die Vernutzung der Erde die Ver-rechnung der Welt ndash ist in den Zustand der Endguumlltigkeit uumlbergegangenUnterschiede der Voumllker Staaten Kulturen sind nur noch Fassade159
157 GA 79 S 36158 GA 79 S 35159 GA 96 S 52f
38
Was Heidegger unter dieser Gleichfoumlrmigkeit versteht schreibt er in den Schwar-
zen Heften zumeist den Amerikanern zu Er nennt es auch haumlufig Planetarismus
Der Amerikanismus [ist DS] die Zusammenraffung von Allem welcheZusammenraffung immer zugleich die Entwurzelung des Gerafften bedeu-tet160
Der Planetarismus ist die historisch gedachte Bestimmung der uumlberall glei-chen die ganze Erde uumlberdeckenden Seinsverlassenheit des Seienden161
Die Gegenuumlberstellung von natuumlrlicher und traditioneller Handwerkstechnik
gegen maschinenhafte Gleichfoumlrmigkeit exemplifiziert Heidegger dann im Vor-
trag Das Ge-Stelllsquo vielfach wie zum Beispiel hier
Der Forstwart zB der im Wald das geschlagene Holz vermiszligt und demAnschein nach noch wie sein Groszligvater in der gleichen Weise die selbenWege geht ist heute von der Holzverwertungsindustrie gestellt Er ist ober es weiszlig oder nicht in seiner Weise Bestand-Stuumlck des Zellulosebestandesund dessen Bestellbarkeit fuumlr das Papier das den Zeitungen und illustrier-ten Magazinen zugestellt wird die uumlber die Oumlffentlichkeit daraufhin stellenverschlungen werden162
160 GA 96 S 257161 GA 96 S 261162 GA 79 S 37f
Die renommierte Theaterautorin Elfriede Jelinek karikiert in ihrem Stuumlck Totenaubergvon 1991 Heideggers Konstrukt von Heimat und Fortschrittsfeindlichkeit verbunden miteiner Auseinandersetzung mit dessen Liebschaft zu Hannah Arend Mit philologischer Prauml-zision polemisiert sie Teile aus Heideggers Elegie uumlber die Technik und laumlszligt ihn dabei alsbeschraumlnktes und eingezwaumlngtes Wesen in einem Gestell gefangen sein Aus diesem heraussoll er Arend Rede und Antwort stehen uumlber sein Verhaumlltnis zum Nationalsozialismus unddie Shoa Doch dieser redet nur naturtrunken von Heimat und berauscht sich daran Derprophetische Denker wird banalisert ndash diese Worte legt Jelinek ihm (im Stuumlck der alte Mann)in den MundbdquoDie Angst vor dem Fragen liegt uumlber dem Abendland Sie bannt die Kandidaten auf ein
Team-Leibchen verbannt sie auf altgewordene Wege und jagt sie zuruumlck ins morsch geworde-ne Gehaumluse ihrer Tore wo es um ihre Ausscheidungen geht Es wird ihnen alles weggenom-men werden auch der Weg selbst Keine Spur kein Lichtschein aus den Ritzen Aber ruf ichin die Huumltte um nach einem zu fragen den ich gekannt hab sehe ich grad noch eine Tuumlrsich schlieszligen Der Wald kommt nicht zur rechten Geltung alles ist entflohen was mir liebwar und woran ich geglaubt hab Was kommt ist noch nicht da Nichts war Ich habe nichtsgehoumlrt Ich erinnere mich nicht aber ich stelle dem Kommenden das mich den lupenreinenAmateur schon vor Beginn des Rennens erlahmen laumlszligt vorsorglich die Hausschuhe vor dieTuumlr Sie sind das Einzige was die Profis des Profits von mir dann vorfinden werden wennsie anklopfen Die Haumlrte des Urgesteins sollte sie nicht entmutigen Die Jahreszeiten machendie Landschaft auf und zu Ich sage nur In dieser scheinbaren Leere will ich vom Denkenmuumld nur schlafen Von der Huumltte aus lassen sich Wanderungen unternehmen Aber auchsonst wird Ihnen alles wie ich sagte genommen werden Auch Ihre Fotos und Namen Unddas Gewesene wird wesenlosldquo ( Jelinek Elfriede Totenauberg Hamburg 1991 S 86f)
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Die Oumlffentlichkeit ist fuumlr Heidegger ein Topos der dem Denken und Besinnen
entgegenstuumlnde Somit meint er damit zum Einen die Medien wie er es anhand
der Rede von den Bestandstuumlcken in Das Ge-Stelllsquo erklaumlrt wo der Mensch als
Urheber des Ge-Stells als Wesen der Technik nicht gelten soll Vielmehr wuumlrde er
in Ratlosigkeit und Langeweile verfallen weil er in der Bestellung des Bestandes in
Form von Bestandstuumlcken vom Rundfunk keine Besinnung mehr faumlnde dh das
Ganze also wiederum daswesentliche Ding nicht mehr zu fassen vermoumlge163 Und
so toumlnt es bereits aus den Schwarzen Heften von 19391940()
Die Bildlsquo und Tonlsquo ndash Reportagenlsquo der Machenschaft ist der planetari-sche Mythuslsquo des Vollendungsabschnittes der Neuzeit Die Welt des abge-legensten deutschen Bauernhofes wird nicht mehr durch [] die Naturlsquobestimmt in der noch die Erde waltet sondern durch das illustrierte Blattmit der Darstellung von ausgezogenen Tanzweibern von Boxern und Renn-fahrern und sonstigen Heldenlsquo des Tages164
Und ferner notierte Heidegger 1946 in seinen Schwarzen Heften
Uumlberall zerrt es aus dem Oumlffentlichen ins Oumlffentliche mit vielen Strickenund jeder sieht das kaum versuchte Denken des Seyns am Leitband seinesStrickes165
Dabei waumlre eben ein bdquoLiterat [] ein in die Oumlffentlichkeit verliebter Mensch der
Angst vor dem Denker hatldquo166 Dieses liefe dann darauf hinaus dass beim Rund-
funk bdquoein Bestellen und Stellen waltet das in dasWesen des Menschen eingegriffen
hatldquo167
Abermals nach dem Wesen der Technik also nach dem Ge-Stell gefragt geht
Heidegger auf seine Unterscheidung vonNatur undNaturwissenschaft ein bdquo[w]elches
ist das Verhaumlltnis zwischen der Technik und der Naturldquo168 Natur wuumlrde in wis-
senschaftlicher Hinsicht unter das Berechnete fallen sie wuumlrde bdquoals das in Maszlig
und Zahl gestellte Wirkliche vorgestellt das in seinem Gewirkten staumlndig an-
westldquo169 Wenn Heidegger dann Natur aus technischer Sicht bdquoals ein System des
163 Vgl GA 79 S 38f164 GA 96 S 54165 GA 97 S 100166 GA 97 S 126167 GA 79 S 39168 GA 79 S 41169 Ebd
40
Bestellens von Erfolgen aus dem gestellten Wirksamenldquo170 charakterisiert spricht
er von seiner Rede der Verschraumlnkung von Historie und Technik ndash bdquoTechnik die
Historie der Naturldquolsquo171 Dieses ist bekanntlich das seinsvernichtende Gegenstuumlck
zur geschichtlichen Besinnung Denn geschichtliches Walten der Technik ist fuumlr
Heidegger technische Geschichte dh verwissenschaftlichte Geschichte die da-
durch ihr Wesen verloren haumltte (Seynsvergessenheit)172 So heiszligt es in den Schwar-
zen Heften von 1947
Ein Zeitalter das historisch geworden ist dh technisch planend sich selberberechnet und alles in diesen Sog zieht muszlig jede Besinnung nur als eine dervielen Formen der Intellektualitaumlt registrieren173
Heidegger schlieszligt den Vortrag mit dem Aufgriff der Anfangsbehauptung
bdquo[d]er Bestand bestellt das Abstandsloseldquo174 Somit liegt das Problem der ausblei-
benden Naumlhe durch die Technik deren Wesen das Ge-Stell waumlre das den Bestand
bestelle in der Luft Dass dabei der Mensch sogleich Teil des Bestandes und nicht
Teil der Maschine wird laumlsst ihn das historische Tier sein (2)
Der Mensch ist auswechselbar innerhalb des Bestellens von Bestand []Gleichwohl gehoumlrt der Mensch in einer voumlllig anderen Weise in das Ge-Stellals die Maschine DieseWeise kann unmenschlich werden DasUnmenschlicheist jedoch immer noch unmenschlich Der Mensch wird nie zur MaschineDas Unmenschliche und noch Menschentuumlmliche ist freilich unheimlicherweil boumlsartige und verhaumlngnisvoller denn der Mensch der nur Maschine wauml-re175
Wen Heidegger hier ersinnt ist der neuzeitliche Mensch der den bdquoGoumlttern uner-
traumlglich gewordenldquo176 waumlre
170 Ebd171 GA 95 S 351172 In Heidegger Die Technik und die Kehre S 21 stellt er Geschichte und Historie einander
gegenuumlber was er in Das Ge-Stelllsquo nicht vollzieht bdquoDie moderne Technik kam doch erst inden Gang als sie sich auf die exakte Naturwissenschaft stuumltzen konnte Historisch gerechnetbleibt dies richtig Geschichtlich gedacht trifft es nicht das Wahreldquo Signifikant fuumlr Heideg-gers Attributierung so wie sie oben schon geschildert ist steht Historie fuumlrs Rechnen undGeschichte fuumlr das Denken
173 GA 97 S 508174 GA 79 S 44175 GA 79 S 37176 GA 94 S 236
41
323 Die Gefahrlsquo
Aus Heideggers Darlegung uumlber das Ge-Stell erschlieszligen sich seine diversen Fa-
cetten der Vorstellung einer Abstandslosigkeit schaffenden Technik Dass die Ab-
standslosigkeit dem Prinzip des Gevierts des Zusammengestellten entgegensteht
bekommt im Vortrag Die Gefahrlsquo Nachdruck Die mythopoetische Erzaumlhlung
knuumlpft an den Vortrag Das Dinglsquo an mit den Mythologemene 1 Der Mythos
des geschichtlich sein muumlssens 2 der Mythos des Goumlttlichen 3 das geschichtsbe-
sinnliche Prinzip der Aletheia Zudem wird im Prozess des Vortrags das Ge-Stell
zur Gefahr stilisiert was einen eigenen Mythos erschafft
Durch das bdquouniversale Bestellen des Ge-Stellsldquo177 werde die naumlhernde Naumlhe des
Dings verwehrt Wie im Vortrag Das Dinglsquo fuumlhrt Heidegger das Wesentliche sei-
ner Theorie auf die deutsche und altgriechische Sprache zuruumlck Die so vollzoge-
ne Annaumlherung von Schwarzwaumllderischem Dialekt und Altgriechisch entspricht
Heideggers Traum von dem bdquogeschichtliche[n] Geburtsort des abendlaumlndischen
Wesensldquo178 den seine Heimat von Todtnauberg bis Freiburg stiften sollte (1)
es ist das Geistvolle und zugleich das erdenhafte schoumlne Land Es birgt un-sichtbaren Reichtum dem Gemuumlt bewahret tiefstes Dichten und houmlchsteGestalt der Sage179
Unter diesem Vorzeichen also sagt Heidegger
Das Ge-Stellwesen laumlszligt das Ding ohne die Wahr Das Wort die Wahrlsquo be-deutet in unserer Sprache dort wo sie noch urspruumlnglich spricht die HutIn unserer schwaumlbischen Mundart meint das Wort die Wahrlsquo die der muumlt-terlichen Hut anvertrauten Kinder Das Ge-Stell laumlszligt in seinem Stellen dasDing ohne die Hut ndash ohne die Wahr seines Dingwesens180
Diese in Bremen vorgetragene Heimatkunde ist auch Heideggers Sorge ge-
schuldet durch die Besatzermaumlchte und deren kulturellen Einfluss auch durch
die nun moumlgliche Oumlffnung Deutschlands zu einem Austausch mit der Welt das
eigene Wesen zu verlieren So schreibt er 1945-1947() in seine Schwarzen Hefte
177 GA 79 S 46178 GA 97 S 54179 Ebd180 GA 79 S 46
42
Das Schwerste und Fragwuumlrdigste unseres Geschickes ndash beruht darin ob wirdas Eigene finden und huumlten [] unter den anderen Voumllkernlsquo [] Scheinund Vorwand der Macht daszlig man unsere eigene Aufgabe bringen will []als Entmachtete aufgenommen zu sein in den Weltmachenschaftsbetrieb181
Es gaumlbe nach Heidegger also das Welten von Welt und die Verweigerung von
Welt aus derVerwahrlosung des Dings durch das Ge-Stell bzw die Technik182 Welt
ist nach dem Konzept des schwaumlbischen Denkers nichts weniger als das Geviert
Bei der folgenden mythopoetischen Zusammenstellung von dem Geviert mit alt-
griechischen Vokabeln um den Seins-Begriff wird das Aletheia-Prinzip eingefuumlhrt
Somit fuumlhrt uumlber den Mythos des Goumlttlichen (2) der Weg zur Wahrheit eben als
geschichtsbesinnlich erfahrene Aletheia (3)
Welt ist das Geviert von Erde und Himmel Goumlttlichen und SterblichenDas Spiegel-Spiel der Vierung wahrt alles was in ihm dingend zwischenden Vier anwest und abwest in das einende Ganze seines Anwesens Vonaltersher heiszligt das Anwesen des Anwesenden τὸ ὲόν das Seiend [sic] τὸεἶναι das Sein naumlmlich der ὲόντα des Seinenden das esse entium183
Diese Welt waumlre nun bdquoWahrnis des Wesens von Sein Statt Wahrnis sagen wir auch
Wahrheitldquo184 Die Welt mythopoetisch als Spiegel-Spiel des Gevierts und durch
eine altgriechische Brille betrachtet waumlre die wahre Welt Somit wird die Wahr-
heitsschau gebunden einen antiken Goumltterglauben und abendlaumlndische Sprachkas-
kaden vom Dialekt zum Altgriechisch
Das Problem mit der wahren Welt waumlre allerdings dass sie sich in die Ver-
borgenheit entziehe Naumlher betrachtet ist aber die Verborgenheit Bedingung des
Entbergens was Heidegger notwendig macht zu einem wuumlrdigen Lebensvollzug
in Harmonie mit dem Sein Durch solche Wesensschau waumlre der Mensch befaumlhigt
jederzeit die verstellenden Maumlchte des Ge-Stells (der Technik) zu uumlberwinden und
teilhaftig am Wesen der Welt zu werden
181 GA 97 S 99182 Vgl GA 79 S 47183 GA 79 S 48 (Die griechischen Vokabeln werden hier keiner Uumlbersetzung unterzogen Da
Heidegger ohnehin keine philologische Schaumlrfe anwenden will ist es fuumlr die Zwecke hierausreichend sie mit seiner Uumlbersetzung zu betrachten Heidegger spricht von bdquoAchten aufdas Griechischeldquo was schwieriger waumlre als klassische Philologie (vgl GA 79 S 63)
184 Ebd
43
Welt bleibt in der Verborgenheit (Αήθη) auf die Weise daszlig diese ihre Ver-borgenheit gerade eine Unverborgenheit gewaumlhrt die Αλήθεια185
Die Αλήθεια haumltte allerdings auch eine Rolle uumlber die subjektive hinaus da nur
durch ihren Vollzug Seinsgeschichte gewaumlhrt wuumlrde Das ist der Anspruch den
Heidegger an sein Auditorium stellt gemeinsam geschichtlich sein zu muumlssen (1)
Die Αλήθεια ist das Geschick des Seins als welches Geschick sich die Fuumllleder Seinsgeschichte in ihre Epochen fuumlgt186
Mit dem Ge-Stell als Wesen der modernen Technik waumlre die Aletheia aller-
dings hochgradig gefaumlhrdet Denn ohnehin waumlre die Aletheia prinzipiell der Ge-
fahr der Vergessenheit ausgesetzt Doch das Ge-Stell haumltte die Kraft die bdquovollende-
te Vergessenheit der Wahrheit des Seinsldquo187 zu vollrichten
Indem das Ge-Stell alles Anwesende in den Bestand bestellt setzt das Ge-Stell das Anwesen des Anwesenden heraus aus seiner Wesensherkunft ausder Αλήθεια188
Diese Versetzung des beteiligten Wesens aus der Moumlglichkeit des Wahrheitsprin-
zips heraus markiert Heidegger dann mit der Schreibweise Seyn (mit bdquoyldquo) Wie
bei dem Vortrag Das Dinglsquo koumlnnen ethymologische Abstammungen sein Sys-
tem anreichern Da wo es um das Wortfeld des Stellens geht Ge-Stell Bestellen
Verstellen ist auch das NachstellenMitglied der Familie
Im Althochdeutschen heiszligt nachstellen fara Das in sich gesammelte Stellenals Nachstellen ist die Gefahr Der Grundzug des Wesens der Gefahr ist dasNachstellen Insofern das Sein als das Ge-Stell sich selbst mit der Vergessen-heit seines Wesens nachstellt ist das Seyn als Seyn die Gefahr seines eigenenWesens189
Damit wuumlrde sich durch die Verringerung der Selbstreflexion im Seyns-Bestand
eine Schwachstelle auftun in die der denkbegabte und aletheiafaumlhige Mensch ei-
ne Moumlglichkeit haben das Seyn zum Sein zuruumlckzuwandeln ndash also wieder in ein
185 GA 79 S 49186 Ebd187 GA 79 S 53188 GA 79 S 52189 GA 79 S 53
44
wesentliches Verhaumlltnis zum bdquoDingldquo zu gelangen in dem das Geviert wieder die
Harmonie herstellt Allerdings faumlnde bis zu solch einer Nachstellung eine Ver-
sieglung des Seynsbestandes statt Und Heidegger beklagt dass die Erreichung der
Ruumlckeroberung des Seins uumlber die Nachstellung nicht stattfaumlnde und stattdessen
die Irre regieren wuumlrde190
In dieser Irre stuumlnde dem Menschen nicht einmal mehr zu zu sterben Denn
bdquoSterben [] heiszligt den Tod in sein Wesen austragenldquo191 Somit waumlren die Opfer
die in den KZs umkamen wie er sie in Das Dinglsquo bereits schildert nicht vermouml-
gend gewesen zu sterben bdquoSie werden Bestandstuumlcke eines Bestandes der Fabrika-
tion von Leichen [] Sie werden in Vernichtungslagern unauffaumlllig liquidiertldquo192
Das vermoumlge die Gefahr zu bewirken Der Mensch wuumlrde des eigenen Sterbens
beraubt da er keine Verbindung mehr zur Wahrheit der Welt haumltte Um den rich-
tigen Tod zu sterben muumlsse der Mensch die Aletheia schauen koumlnnen Insofern ist
Heideggers Prinzip ein religioumls anmutendes Wie in der christlichen Vorstellung
der Mensch im Jenseits an seinen Taten gemessen wird um Paradies oder Fege-
feuer zu besuchen soll nach Heidegger der Mensch waumlhrend des Sterbens mit
sich selbst ins Gericht gehen Er soll sich rein machen vom Ge-Stell der Technik
und dem Seyn um nicht die einmalge Gelegenheit des richtigen Sterbevollzugs
zu versaumlumen Es winken gemaumlszlig des Gevierts die himmlischen Goumlttlichen den
irdischen Sterblichen zu wobei annehmbar ist dass Heidegger Sterblichen die
die Aletheia erkennen einen Goumlttlichkeitsstatus beimessen moumlchte ndash eine Erlouml-
sungsphantasie
Genau diese Erloumlsung waumlre die Technik nicht
Ohne den Schritt des Denkens zu wagen der unser Menschenwesen demWesen der Technik [] aussetzt wuumlrgt man sich von Fall zu Fall von Lagezu Lage durch die Zwiespaumlltigkeiten hindurch Und genau durch dieses Ge-wuumlrge versaumlumt man die Moumlglichkeit dessen was man im Grunde erstrebtdie Technik durch menschliches Tun zu meistern und menschenwuumlrdig zulenken193
190 Vgl GA 79 S 55191 GA 79 S 55192 GA 79 S 56 Weil Heidegger im Judentum die Verantwortlichen fuumlr das Geraffe des Ge-Stells
sieht macht er sie gleichsam verantwortlich fuumlr die bdquoSelbstvernichtungldquo Die Seinsverges-senheit im Tode wird dadurch zum Spin-off der vermeintlich juumldisch erzeugten da machen-schaftlichen KZ-Maschinerie (Vgl GA 97 S 20f)
193 GA 79 S 59
45
Trost und Richtung findet Heidegger schlieszliglich abermals bei den alten Griechen
Das Wort stellenlsquo entspricht dem griechischen ϑέσις vorausgesetzt daszlig wirϑέσις griechisch denken Was heiszligt in diesem Falle griechisch denkenlsquo Esheiszligt darauf achten welche Lichtung desWesens des Seyns in welcherWeisedas Dasein der alten Griechen in den Anspruch genommen hat heiszligt imvoraus bedenken in welchem Geschick welcher Unverborgenheit des Seinsdie Griechen standenldquo194
Das sind Vorstellungen des Neuen Anfangs eine Reminiszenz der griechisch anti-
ken Welt Ein Eintrag aus den Schwarzen Heften von etwa 1945-47 () verdichtet
wie oben bereits aufgezeigt die Phantasie griechisch zu sein zu einem gelingenden
Lebensvollzug
Das reine Wesen des Griechentums dh das Seiende inmitten dessen dieGriechen als seiende fremd gewesen dieses und sie selbst und der Bezug desSeins zu ihnen ndash in der einfachen Wesung von der ἀλήθεια her zeigen underfahren Den μῦθος und λόγος ndash jedes Wort und Gebild rein aber nichterzwungen und schematisch-pedant ndash aus ἀλήθεια erfahren195
Hier zeigt sich auch dass Heidegger per se das Aletheia-Prinzip fuumlr notwendig
hielt um ins Licht der Wahrheit zu blicken Die Griechen sind ihm hier deshalb
Vorbild und rein da sie keiner modernen Technik und dem Ge-Stell ausgesetzt
waren sondern lediglich eine mythopoetische Verbindung zum Sein herstellen
mussten um wesentlich zu sein und Seinsgeschichte zu schreiben Die Dinge und
das Spiegel-Spiel des Gevierts waumlren ihnen geschickt zuhanden gewesen196 Hei-
degger macht schlieszliglich sehr deutlich dass das Griechische zu denken ein bei
weitem anderes Geschaumlft sei als philologische Praumlzision
Ein Echo zu sein naumlmlich dem Anspruch des Seins verlangt eine Sorgfaltder Sprache von der freilich der technisch-terminologische Sprachstil derWissenschaften uumlberhaupt nichts wissen kann Die Intentionalitaumlt der wis-senschaftlichen Sprache ist der staumlrkste Beweis fuumlr ihre Boden- und Heimat-losigkeit [] Das Heimische einer hohen Sprache gedeiht nur im Bereichdes unheimlichen Anspruchs der wesenhaften Stille im Wesen des Seyns197
194 GA 79 S 62f195 GA 97 S 20196 Hingegen waumlre das Judentum verantwortlich fuumlr das Ge-Stell fuumlr das Prinzip der Zerstoumlrung
wie es auf der selben Seite der Schwarzen Hefte darunter heiszligt (vgl ebd)197 GA 79 S 66 Die Bedeutung von Seyn als verstelltes Sein oder Bedingung zum Schauen
des wahren Seins ist verwirrend Einer genaueren Analyse wird aus Platzgruumlnden hier nichtnachgegangen
46
324 Die Kehrelsquo
Der letzte Vortrag ist mit nur neun Seiten der Kuumlrzeste des Vortragsgevierts
Nach dem Verlust des Dinges als Ding und der damit einsetzenden Abstandslosig-
keit als Wesen des Ge-Stells wobei die Gefahr zudem der Vergessenheit des Seyns
nachstellt bietet Heidegger eine Perspektive an
Im Wesen der Gefahr verbirgt sich [] die Moumlglichkeit einer Kehre in derdie Vergessenheit des Wesens des Seins sich so wendet daszlig mit dieser Kehredie Wahrheit des Wesens des Seyns in das Seiende eigens einkehrt198
Diese Moumlglichkeit bedeute nicht dass der Mensch sich der Gefahr selbst stellen
koumlnnte sie waumlre passiv ndash bdquoverbirgt sichldquo Die Kehre werde sich ereignen aumlhnlich
einer Erwartung an den Messias
Die Anwesenheit der Gefahr wuumlrde automatisch die Rettung bergen Denn
Houmllderlin haumltte geschrieben bdquoWo aber Gefahr ist waumlchst [d]as Rettende auchlsquoldquo199
Etwa 1945 notiert Heidegger in seine Schwarzen Hefte bdquoDie Wahrheit erfahren
wir im Gedaumlchtnis Das Gedaumlchtnis ist die Dichtungldquo200 (so) Von dieser War-
te aus ausgestattet mit Erinnerungen an das abendlaumlndische Dichten mit dem
Wissen um das Aletheia-Prinzip und passiv als denkender Huumlter des Seyns solle
der Mensch das Ereignis erwarten das ihn bdquoloumlsen freimachen freyen schonen
bergen in die Hut nehmen wahrenldquo201 wuumlrde (siehe S 43)
Dieses Ereignis waumlre der Blitz Ein unvermittelter jaumlher ploumltzlicher Moment
von kurzer Dauer der bloszlig einen ebenso kurzen Blick auf das wahre Wesen er-
lauben wuumlrde Abschlieszligend ist dies das Rezept gegen die Bestands bestellende
Technik in mythopoetischer Formulierung
So entsprechend ist der Mensch geeignet daszlig er im gewahrten Element vonWelt als der Sterbliche dem Goumlttlichen entgegenblickt Anders nicht dennauch der Gott ist wenn er ist ein Seiender steht als Seiender im Seyn unddessen Wesen das sich aus dem Welten von Welt ereignet202
198 GA 79 S 71199 GA 79 S 72200 GA 97 S 52f201 GA 79 S 72202 GA 79 S 76
47
Wenn Heidegger im Anschluss von der bdquohistorisch-technischen Darstellungldquo re-
det so ist dies die Abwehr der Wissenschaften (auch der Philosophie203) und ein
Appell an die Antirationalitaumlt des Mythos bdquokein historisches Vorstellen der Ge-
schichte als Geschehen bringt in den schicklichen Bezug zum Geschickldquo204
Damit das Blitzen erfahren werde als kurze Wesensschau der Aletheia muumlsse
dem wahren abendlaumlndischen und heimatlichen Ereignis stattgegeben werden Es
sollte nicht wie er 1939 schon in den Schwarzen Heften beschreibt das
kuumlnstliche Licht von Historie und Technik in der weder Mensch noch dieGoumltter weder eineWelt noch die Erde sichtbar werden koumlnnen wo aber dasLebenlsquo von allen den immer noch zu wenigen Meistenlsquo erlebtlsquo wird205
Damit schlieszligt der letzte Vortrag mit einer Erwartung an das Ereignis des Blit-
zens nicht das Erleben der Besinnungslosigkeit (vgl Das Ge-Stelllsquo) Schon 1947
traumlumt Heidegger von solcher Umkehr
Aus der Kehre der Seynsvergessenheit aber ereignet sich das Unumgaumlnglicheden Acker der Welt erst zu pfluumlgen und saatbereit der Sonne und dem Regenund den Voumlgeln des Himmels uumlberlassen206
203 Denn ldquo[e]igentlich denken heiszligt [] die Philosophie verlassen [] beim Sagen des Seinslsquoldquo(GA 97 S 60)
204 Ebd205 GA 95 S 427 Gegen das Erlebnis und Erleben straumlubt sich Heidegger besonders So notiert
er etwa 1939 bdquoZeitalter der Techniklsquo macht gerade die Techniklsquo nicht zum Ziel sondernimmer mehr zum Mittel der besinnungslosen Berechnung [] der Mensch [] das Erleb-nislsquo [] Erleben als der Gefuumlhlsgenuszligldquo (GA 95 S 149) Wie auch bdquoWo beide Historie undTechnik in solcher scheinbaren Gegensaumltzlichkeit verkoppelt sind koumlnnen sie sich zur Foumlr-derung dessen zusammenschlieszligen was einstmals wesentlich die Geschichte des Menschenmitbegruumlndete und was wir die Kunstlsquo nennen Die Historie verschafft [] Anregungenund Vorbilder der Nachahmung die Technik erleichtert [] die Zustellung von Darstel-lungsmitteln und Wirkungsformen [] Gleichwohl ist alles wurzellos [] berechnet und alsErlebnislsquo ausgegebenldquo (GA 95 S 212)
206 GA 97 S 511
48
4 Konklusion
Der umstrittene Philosoph Martin Heidegger hat uumlber die 1930erndash40er Jahre
hinweg eine ausgepraumlgte voumllkisch-nationale und bisweilen radikal-antisemitische
Denkweise entwickelt Dieses Denken fasste er auch auf als Besinnung und stellt
es der Philosophie und Wissenschaft diametral entgegen In Kapitel 2 wird aufge-
zeigt dass sowohl Heideggers Mythologie bereits kritisiert wurde (Adorno Cassi-
rer Meyer) als auch seine Mythopoetik bewundert (Schulz-Nieswandt) Kapitel
3 will daruumlber hinaus aufzeigen wie Heidegger eine eigene Mythologie mytho-
poetisch fruchtbar macht was sich von beiden vorigen Ansaumltzen unterscheidet
und erst mit der Veroumlffentlichung der Schwarzen Hefte ab 2014 nachvollziehbar
wurde
Umso mehr bietet die mythopoetische Verbindung von bdquoDichten und Den-
kenldquo (so) einen antitechnischen Gegenpol Denn Heidegger fasst wie oben ge-
schildert alles Rationale auf als berechnende Bestellung des Bestands im Sinne
der Technik Daruumlber hinaus fordert er mit dem Aletheia-Prinzip (als metapho-
risch gefasstes Ereignis des Blitzens) einen Mitvollzug seiner mythopoetischen
Kontemplation in dem religioumlse voumllkische antike und sprachliche Motive zu-
sammenfallen
Obwohl schon von Heidegger selbst nicht mehr als Philosophie betrachtet
hat seine Rede vom Ding dem Ge-Stell dem Wesen der Technik und der Kehre
noch immer einen bedeutenden Einfluss auf die Technikphilosophie So betont
Alfred Nordmann in bdquoWerkwissen oder How to express things in worksldquo (2008)
dass Heidegger mit Das Dinglsquo eine Art Dingwissen geschaffen haumltte In seinem
2012 erschienenen Aufsatz Another parting of the ways Intersubjectivity and the
objectivity of sciencersquo207 geht Nordmann ein weiteres Mal auf Heideggers Ding
ein Dieses waumlre eine Abarbeitung an dem Ding Kants womit auch Nordmann
Heidegger als einen Interpreten Kants versteht208 Anschlieszligend anMichael Fried-
207 Nordmann Alfred Another parting of the ways Intersubjectivity and the objectivity ofscience In Studies in History and Philosophy of Science 43 (2012) 38ndash46
208 Die Auseinandersetzung mit dem Ding wuumlrde nach Nordmann in Heideggers GA mit demText Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalen Grundsaumltzenlsquoeinsetzen (GA 41 Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalenGrundsaumltzen)
49
man spricht sich Nordmann ebenso dafuumlr aus dass Heidegger neben Rudolf Car-
nap und Ernst Cassirer eine neokantianische Philosophie verfolgt haumltte (siehe
Kap 1)209
Nach Nordmann haumltte Heidegger in seinen anschlieszligenden Gedanken uumlber
das Ding als Fortfuumlhrung Kants als erster Wissenschaft als angewandte Techno-
logie verstanden210 Diese Interpretation stuumltzt sich auf die gleichen Symbole
Metaphern und Mythen die die vorliegende Arbeit analysiert Das Ge-Stell ist
insofern aumlquivok mit dem Begriff techno-science Jedoch sind in dieser Fruchtbar-
machung von Heideggers Denken der Technik dessen nationalistischen rassisti-
schen und antisemitischen Implikationen die die vorliegende Arbeit als Zentrum
dessen Philosophie ermitteln konnte noch nicht beachtet worden koumlnnen211
Andreas Luckner webt Heideggers Ding-Entwurf weiter als verantwortliches
Sorgen um die Dinge212 Er geht dabei mit Heidegger voumlllig konform und tritt
eher als eine Art Bote der Ding-Botschaft auf als diese moumlglicherweise zu kriti-
sieren was sich diesen Artikel wie ein Kapitel aus einem Studienbuch lesen laumlsst
Der Darmstaumldter Technikphilosoph Christoph Hubig ist vor allem Kritiker Hei-
deggers Argumentationen laumlsst aber zuweilen diverse Topoi aus dem Werk des
Technik-Denkers durchscheinen ohne sie weiter zu reflektieren
So konstatiert Hubig Heidegger verfehle in dessen Auseinandersetzung mit
Aristoteles Lehre von der Poiesis zum Punkt der Sicherung wie sie in Die Frage
nach der Techniklsquo behandelt wird bdquodie operative Seite des Technischenldquo bei Aris-
totels213 In einem spaumlteren Aufsatz allerdings stuumltzt er sich ohne weitere Erlaumlute-
rungen auf Heideggers Begriff der Sicherung aus Die Frage nach der Techniklsquo214
209 Diese Befriedung paradigmatischer Umstaumlnde wird hier nicht geteilt Eine weitere Bearbeitunglaumlsst der Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht zu
210 Vgl Nordmann Another parting of the ways S 45211 Der Aussage dass Heideggers Ding-Begriff kantianisch waumlre muumlsste einer gezielten Untersu-
chung unterzogen werden genau wie die Behauptung insgesamt dass Heidegger oder inwie-weit dieser noch der suumlddeutschen Kantschule des 1920 Jahrhunderts angehoumlrte
212 Vgl Luckner Andreas Ding und Bestand Heidegger und das Wesen neuzeitlicher TechnikIn Gamm G Gehring P Hubig C Kaminski A und Nordmann A Ding und SystemS 15-30 hier S 29
213 Hubig Christoph Die Kunst des Moumlglichen Technikphilosophie als Reflexion der MedialitaumltBielefeld 2006 S 103
214 Vgl Hubig Christoph Technik als Medium In Grundwald Armin (Hg) Handbuch Tech-nikethik Stuttgart 2013 S 118-123 hier S 118
50
Dabei versteht Hubig Heideggers Betrachtungen zum Umgang mit der Technik
als gelassen
Fuumlr Heidegger liegt die Andersheit im Entbergen einer Wahrheit des Seinseines Geschicks von dem die Entwicklung der Technik hin zum Gestellkuumlnde Er verbindet dies mit dem Appell jenseits des rechnenden und si-chernden Vorstellens technischer Vollzuumlge als handlungsleitender Program-me sich gelassenlsquo dieser Entwicklung zu uumlberantworten und ein Seinlsquo zuhuumlten das sich als solches eben entbirgt Das Rettendelsquo dieser Einsicht lie-ge darin dass unsere individuelle Endlichkeit insofern transzendiert wirdals sie sich dem sie uumlbersteigenden Prozess aufschlieszligt und sich selbst relati-viert215
Wovon in diesem Zitat nicht die Rede ist ist der Mitvollzug der mythopoe-
tischen Rahmenbedinungen die Heidegger einfordert und an dem die Konzep-
te Abendland und voumllkische Tradition haumlngen In dieser Arbeit wird davon aus-
gegangen dass Heideggers Technikphilosophie-erzaumlhlung sich nicht von seinen
Absichten der Bekaumlmpfung des Technischen loumlsen laumlsst Die Relativierung ist in-
sofern nicht an den Prozess gebunden und damit emergent auf alles hin ausge-
richtet was kommen mag sondern houmlchst konvergent in einer Besinnung auf
Mythen von dem Ding und dem Geviert mit all deren Valenzen aus dem vorlie-
genden Heideggerschen Textkorpus Die individuelle Endlichkeit ist genoumltigt die
Heimat und das Abendland zu kennen und im Aletheia-Prinzip umzusetzen
Die Neubewertung der bislang bekannten Heideggerschen Technikphiloso-
phie von vor den SchwarzenHeften ist ein dringendes Desiderat Voumllkisch-nationale
Gruppierungen erstarken momentan in ganz Europa und es koumlnnte sehr hilfreich
sein aumlhnliche Denkstrukturen aufzudecken so wie sie zwischen den 1930er und
40er Jahren entwickelt wurden Zusaumltzlich muss das Werk Heideggers einer kriti-
schen Revision schon aufgrund der niemals von ihm behandelten Antisemitismen
unterzogen werden Heidegger hat nie zu diesen Stellung bezogen
Daruumlber hinaus ist das Thema Mythos und Philosophie ein weiterhin not-
wendiger Bereich der philosophischen Forschung In einem Bereich auszligerhalb
der exakten Wissenschaften und ohne klare theologische Tradition ist die Philo-
215 Hubig Die Kunst des Moumlglichen S 140
51
sophie beides sowohl Aufklaumlrer und antimythisch als auch Quelle fuumlr mythisches
Denken und affektierende Motive
52
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Die_Heidegger-Kontroverse ndash zuletzt abgerufen am 24042016)
56
Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
Der Unterzeichner versichert dass er die vorliegende Bachelorarbeit selbststaumlndig
verfasst und keine anderen als die von ihm angegebenen Hilfsmittel benutzt hat
Die Stellen der Arbeit die anderen Werken dem Wortlaut oder dem Sinne nach
entnommen sind wurden in jedem Fall unter Angabe der Quellen (einschlieszliglich
des World Wide Web und anderer elektronischer Text- und Datensammlungen)
kenntlich gemacht Dies gilt auch fuumlr beigegebene Zeichnungen bildliche Dar-
stellungen Skizzen und dergleichen
Darmstadt 25 April 2016
__________________________
(Eigenhaumlndige Unterschrift)
- Abkuumlrzungsverzeichnis
- Danksagung
- Einleitung
- Heideggers mythopoetisches Programm
-
- Zu den Begriffen Mythos Mythologie und Mythopoetik
-
- Ein Beispiel fuumlr ein Mythologem
-
- Heideggers Mythen
-
- Formen der Mythologie
-
- Heideggers mythopoetische Technik
-
- Zur Publikationsgeschichte von den Bremer Vortraumlgen 1949
- Die mythopoetische Spiegelung der Schwarzen Hefte
-
- Das Dinglsquo
- Das Ge-Stelllsquo
- Die Gefahrlsquo
- Die Kehrelsquo
-
- Konklusion
- Literaturverzeichnis
- Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
-
15
Beiden gemeinsam ist auch die Faszination an Houmllderlin die sie ebenso mit Otto
teilen
Die ganze Eigenart des Denkens von Otto kommt in dem komplett innerenVerhaumlltnis zu Heidegger und Houmllderlin zum Ausdruck54
Nur noch ein Gott kann uns rettenlsquo so das Zitat des Spiegelinterviews das Ja-
kob Augstein zum Titel machte ist die kodierte Mythopoetik auf die sich die
Spiegelleser keinen Reim machen konnten Fuumlr Heidegger fuumlr den das Sein in der
Sprache wohnen sollte55 ging es um den Mythos der Naumlhe zur Antike als Naumlhe
zu den Goumlttern
Fuumlr Houmllderlin war die Theologie der Abwesenheit Gottes als uumlberweltlichePraumlsenz der Verlust der Gotteserfahrung des diesseitig verankerten Men-schen [] Die Antike wird als eine von Goumltternaumlhe charakterisierte Zeitvon Houmllderlin verstanden und erneuert (der kommendelsquo Gott) ersehnt56
Dies ist eine der Leit-Mythen Heideggers insbesondere wenn man sich die Nach-
kriegsvortraumlge ansieht (eben die Bremer Vortraumlgelsquo)
Die Aufhebung der Trennungsangst durch die bdquoAbwesenheit der Goumltterldquo uumlber-
winde der in existenzieller Angst befindliche bdquohomo abyssusldquo mittels bdquoder lie-
bevollen Gestaltung als Sich-Einrichten des Menschen [] als apriorischer Mo-
dus des In-der-Welt-Seinsldquo durch die bdquoEwigkeit der Mythopoetikldquo57 Fuumlr Schulz-
Nieswandt ist Mythopoetik eben nur dieses ein peganistischer Goumltterdienst der
den Kanon der Ottoschen Antike mit Houmllderlin interpretiert Insofern versteht
dieser versuchte Religionsphilosoph der eigentlich Sozialforscher ist Heideggers
Mythologie als schoumlpfend aus geteilter Quelle mit Mythen als Gemeinplaumltzen
derer sich der Denker-Dichter philologisch sicher bediene
Dabei geht es Schulz-Nieswandt umHeideggers Aletheia-Prinzip das er bdquoWahr-
heitsbegriffldquo nennt ndash welches bdquoDie Differenz der Technik als Herrschaft uumlber
54 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei WalterF Otto S 20
55 Vgl GA 7 S56 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei Walter
F Otto S 2157 Vgl Ebd S 59
16
Dinge von der Kunst als Schoumlpfung als Lichtung des Seins zur Wahrheit unter-
scheidetldquo58 Houmllderlins Goumlttliches waumlre darin vermisst und von Bedarf fuumlr den
Menschen Mit der Nomenklatur der griechischen Goumltter Houmllderlins und Ottos
ginge es beim Wahrheitsprinzip um bdquodie Erinnerung an Dionysos als der wie-
der kommende Gott []ldquo sie bdquofuumlhrt zur Lichtung des Seins als Wahrheitldquo59 Der
Mensch waumlre also Hirte seines Seins nicht Herr der Technik zum Sein bdquoDas Sein
ist den Menschen nicht technisch verfuumlgbar Die notwendige Einkehr wird zu
Heimkehrldquo60
Insofern zeichnet Schulz-Nieswandt ganz in Heideggers Sinne nach wie Hei-
mat und Irrationalitaumlt des Mythos zusammenfallen im Kanon der Goumltter-Mytho-
poetik Zum einen ist allerdings Heideggers Mythologie nicht so sehr an diese
Mythopoetik uumlber die Goumltter gebunden sondern bewegt sich frei im eigenwil-
ligen Auslegen von altgriechischen und deutschen Begriffen Zum anderen ist es
erstaunlich dass Schulz-Nieswand 2014 die Bedeutung der Mythopoetik fuumlr Hei-
deggers Ursprungsmythos des neuen Anfangs ignoriert und damit auch die gan-
ze voumllkisch-nationale Aura und damit die Abgrenzungspolitik Vor allem aber
richtet sich Heidegger nicht in einer bdquoliebevollen Gestaltungldquo menschlich ein
wie Schulz-Nieswandt es schon pathetisch darstellt sondern befeinded sich mit
allem ihm Zuhandenen als bdquoRaprochementldquo61 in alle Richtungen und pocht auf
bdquogeschichtliche Besinnungldquo als bdquoAuftrag des Deutschenldquo62
221 Formen der Mythologie
Mit den zwei oben herangezogenen Arbeiten uumlber Mythologisieren und Mytho-
poetik Heideggers sollte in dieser Arbeit das Verstaumlndnis seines Projekts der an-
tirationalen und antitechnischen Ausrichtung in den aktuellen Forschungsstand
gestellt werden Um welche Mythologie es sich in den Schwarzen Heften handelt
wird im Folgenden aufgedeckt werden Bereits in dem ersten Heft der Denktage-
58 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei WalterF Otto S 58
59 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei WalterF Otto S 59
60 Ebd61 Wolin Richard Heideggers bdquoSchwarze Hefteldquo Nationalsozialismus Weltjudentum und Seins-
geschichte In Vierteljahrsheft fuumlr Zeitgeschichte Bd 63 Heft 3 S 379-41062 GA 94 S 66
17
buumlcher verschmilzt Heidegger seine Vision von Dichten und Denken stellt sich
unter dieses Ideal
Dichten undDenken ineinander geschlungen und so waumlre ihrWas im verbindend-trennenden Bestimmen gewonnen63
Als bdquoAusgriff in den Begriffldquo versteht Heidegger dies als bdquovorschreibend-bildenden
Entwurfldquo der hinfuumlhrend zum Ereignis des Aletheia-Prinzips waumlre ndash
(Dichtung als Mythos
Dichtung als Dichtung im engeren Sinne gtgtGedichtltlt
Dichtung als Philosophie)64
Grundsaumltzlich ist die lose wirkende Legion von Lemmata nicht mit einer
Ruumlckfuumlhrung seiner Gedanken auf bestimmte griechische Goumltter und antike (ech-
te) Mythen besetzt Heidegger fetischisiert Begriffe und mythologisiert die von
ihm aufgepfropfte Bedeutung durch ein staumlndiges Wiederholen und Weiterden-
ken als bdquoWissenldquo wie Meyer es herausgearbeitet hat In dieser philosophischen
Alchemie sieht sich Heidegger als Denker als Bewahrer einer uralten Lehre die
eben neu widererstarken muumlsse Das hat Meyer auch schon klar gemacht Die My-
thopoetik erscheint aber hauptsaumlchlich nicht in den Schwarzen Heften sondern in
den Vortragspublikationen sich auf seine private Mythologie beziehend die in
den Schwarzen Heften zu Grunde gelegt wird
Die Mythen Heideggers drehen sich wie Meyer zurecht behauptet um den
Ursprung bei den Griechen den bdquoGrund der Geschichte des Abendlandesldquo65
Aber auch um die vielen Binaritaumlten die sich entgegengesetzt werden und tat-
saumlchlich wie der Heidegger-Herausgeber und Initiator und Leiter des Wupper-
taler Heidegger Instituts Peter Trawny es benannt hat auf einen Manichaumlismus
zulaufen66 Die Abgrenzungspolitik im Sinne des schuumltzenswerten abendlaumlndisch-
heimatlichen Deutschlands richtet sich gegen den inneren Feind vorangetrieben
63 GA 94 S 6564 GA 94 S 6665 GA 96 S 20566 Trawny Peter Heidegger und der Mythos der juumldischen Weltverschwoumlrung Frankfurt am
Main 2015 S 22Das hier aufgefuumlhrte Buch birgt einige problematische Umformungen zum Verhaumlltnis von
Heideggers Antisemititsmus Allem voran versucht es eine Begriffsbildung zu formen nach
18
von der Rechenhaftigkeit des juumldischen Wesens und die aumluszligeren Feinde wie Ameri-
kanismus franzoumlsische Kultur russischer Bolschewismus usw Heideggers Urmythos
vom neuen Anfang ist verquickt mit einem selbstangedichteten Personenmythos
was ebenfalls Meyer schon erkannt hat Dieses Schema ist die Grundstruktur
Immer deutlicher wird in mir die Ahnung daszlig unsere Heimat der Kerndes suumldwestdeutschen Landes [er selbst DS] der geschichtliche Geburtsortdes abendlaumlndischenWesens sein wird [] es ist das Geistvolle und zugleichdas erdenhafte schoumlne Land Es birgt unsichtbaren Reichtum dem Gemuumltbewahret tiefstes Dichten und houmlchste Gestalt der Sage67
Die mitunter wichtigste Dichotomie die Heidegger in den Denktagebuumlchern
aufwirft ist die zwischen Historie und Geschichte Es ist insofern nicht nur der
Mythos des neuen Anfangs der Heideggers Denken uumlber fast zwei Dekaden be-
stimmt sondern umso mehr die doppelte Projektion ndash des Verfalls (Machenschaft)
in eine Konstruktion von Historie und des Bestehens (Sein) in die konstruierte
Geschichte68 Geschichte faumlllt dann schlieszliglich mit der Schaffung des neuen An-
fangs so zusammen wie Historie mit Technik verschraumlnkt wird Geschichtlichkeit
muss durch das Prinzip des Ereignisses der Aletheia prozessiert werden waumlhrend
die verrationalisierte wissenschaftliche technische Historisierung des Lebens und
der Lebenswelt dem widerstrebt
Die Bindung von Heideggers Vorstellung des richtigen Lebens im Sein mit
demAbendland und einer voumllkisch-nationalen Groumlszlige undUumlberlegenheit Deutsch-
lands ist dabei ausschlaggebend Denn mit der Charakterisierung des Guten auf
derer Heideggers Antisemitismus mittels Heideggers Denkmethode behandelt aufgehobenwerden koumlnnte Die Hauptbegriffe darin sind bdquoSeinsgeschichtlicher Antisemitismusldquo undbdquoKontamination des Denkensldquo Von einer tieferen Auseinandersetzung muss an dieser Stelleabgesehen werden
67 GA 97 S 5468 In Band 66 der GA gibt es bereits einen kleinen Abriss der Historie und Techniklsquo die der Ge-
schichte gegenuumlbergestellt werden Das dies eine Uumlbertragung der Gedanken aus den Schwar-zen Heften ist ist ohne Zweifel Ein ansatzweise philosophisches Vorgehen vermengt sichdort mit dem poeto-mythologischen Denken Heideggers In Sachen mythopoetischer Figu-ren undMetaphernreichtum haumllt sich dieser dort aber noch zuruumlck (auch wenn er hier bereitsoumlffentlich vom bdquohistorischen Tierldquo redet) Die Absicht Technik und Historie als Verstellungdes abendlaumlndischen Menschen zu brandmarken stehen dabei im Vordergrund Weiterhinsoll in dieser Arbeit allerdings der Fokus auf den Schwarzen Heften und der Mythopoetik inden Technikvortraumlgen der Nachkriegszeit liegenDer Duden sieht Geschichte und Historie als Synonyme Von einer Ethymologie und der
Spekulation von Heideggers Gruumlnden der Auseinanderhaltung der zwei Synonyme soll hierabgesehen werden
19
der Seite des Seins sind die Feinde dessen eine Notwendigkeit seines Erklaumlrungs-
schemas Dabei sind es vor allem die Juden denen die Wurzel des Antiseien-
den von Heidegger in ihr vermeintliches Wesen geschrieben wird Exemplarisch
spricht dafuumlr dieses Zitat aus Band 96
Die zweite Machtsteigerung des Judentums aber hat darin ihren Grund daszligdie Metaphysik des Abendlandes zumal in ihrer neuzeitlichen Entfaltungdie Ansatzstelle bot fuumlr das Sichbreitmachen einer sonst leeren Rationalitaumltund Rechenfaumlhigkeit die sich auf solchem Wege eine Unterkunft im Geistlsquovarschaffte ohne die verborgenen Entscheidungsbezirke von sich aus je zufassen zu koumlnnen69
Diese Vorstellung ist eine Konkretisierung dessen was Heidegger mit den Uumlber-
begriffen Historie vs Geschichte einige Jahre vorher begann zu topografieren
Wir sind durch die Historie geschwaumlcht [] ndash wir koumlnnen nur durch das ge-rettet werden was uns in seiner Verfaumllschung widert ndash durch die Geschich-te70
Dieses bdquoWirldquo sind die glorifizierten Deutschen vor allem nach der Ableitung von
den Griechen uumlber Houmllderlin (und dessen Griechen) und Nietzsche zu ihm und
seinem kleinen Kreis von ihm anerkannter Intellektuellen-Kollegen wie etwa
Carl Schmitt Oswald Spengler Walther F Otto und Ernst Juumlnger Die Luft auf
Heideggers Denker-Olymp ist duumlnn und bekommt nur Wenigen
Die Geschichte in Heideggers solipsistisch-immanenten Nachdenken erklaumlrt
sich wie gesagt immer zusammen mit der Hoffnung auf den neuen Anfang und
als Besinnung auf das Denken als Akt gegen die Historie Die Paarung der zwei
Woumlrter bdquoGeschichteldquo und bdquoBesinnungldquo durchzieht in deutlicher Haumlufigkeit alle
vier Baumlnde der Schwarzen Hefte ndash bdquogeschichtliche Besinnung [] ist die Uumlberwin-
dung der Historie und des Historismusldquo und sie bdquobedarf der houmlchsten Strenge
hinter der die historische Exaktheitlsquo weit zuruumlckbleibtldquo ndash somit ferner bdquonur wer
Geschichtemacht vermag sie auch zu errettenldquo71 Das oben mit Meyer und Schulz-
69 GA 96 S 4670 GA 94 S 26771 GA 94 S 358f
Dass die Besinnung eine militante Perspektive hat laumlszligt sich auch in Heideggers Vereh-rung Heraklits ldquoDer Krieg ist der Vater aller Dingerdquo finden Heidegger sah sich selbst alsDenker als Propheten des Seins Aus dieser Warte betrachetete er zuerst den Nationalsozia-
20
Nieswandt bereits aufgezeigte Bereiten des Goumlttlichen legt Heidegger in seinen
Begriff der Geschichte
Geschichte ndash das Gewagtwerden der Goumltter nur Groszlig als Untergang oderSieg ndash nicht Dauerlsquo wesentlich ndash sondern die Abgruumlndigkeit der Erstrei-tung ndash Opfer und Weile
Historie ist bei Heidegger bdquogeschichtliche Entwurzelungldquo die bdquoTyrannei der
Technikldquo bdquoSelbstvergoumltterungldquo und bdquoAbgoumltterei der Technikldquo72 In einer skizzen-
haften Emanationsfolge wird dieHistorie als Modus der Technik auf sich selbst zu-
ruumlckgefuumlhrt bdquoDas Riesige ndash [] Historie die Technik der Geschichtelsquo Technik
Die Historie der Naturldquolsquo73 Es ist vage annehmbar dass Heidegger hier die Tech-
nik als rechenhafte machenschaftliche Historisierung der Natur versteht die vor
dem Geschichtsbegriff stattgefunden haumltte Diese wiederum haumltte die Geschichte
in die rechenhafte Machenschaft verfremdet Wie ein Apparat erscheint Heidegger
der Gegenstand seiner Historie zu sein die sich automatisch durchsetzen wuumlrde
Die Historie stellt zunaumlchst das Nacheinander der Begebenheiten dessenwas vorbeizieht (passiertlsquo) her [] Sie erklaumlrt dann Spaumlteres aus dem Fruuml-heren sie findet sogar dass Ideen die Geschichtelsquo bestimmen74
Den historisierend narrativen Umgang mit Geschichte als Wissenschaft emp-
findet Heidegger als Technisierung derGeschichte Diese wiederum basiert auf den
statischen Topoi seiner Mythen von Vaterland Bauerntum Houmllderlin alten Grie-
chen den Goumlttern etc und der Anwendung des Aletheia-Prinzips im Ereignis
Das ist ein Tugendenkatalog der Deutschtuumlmelei mit einer paumldagogischen Kom-
ponente seine Mythologie im Aletheia-Prinzip zu praktizieren Er nennt dieses
Geschaumlft auch Denken und ahnt dessen Feinde bdquodie Forscher die in der Technik
ihres Arbeitens keine Reibung dulden und ihr Wissen fuumlr den Geist haltenldquo75
lismus und nach dem Krieg den real existierenden Sozialismus des Ostblocks im Zuge deratomaren Aufruumlstung als Vollstrecker Macher der Geschichte die den neuen Anfang ebnensollten Dass Heidegger diese bdquoklaumlrendeldquo Wirkung tatsaumlchlich spaumlter den Russen zuschreibtlaumlszligt sich in Band 97 der GA zweifelsohne nachvollziehen Hier kann aus Gattungsgruumlnden(BA-Thesis) nicht naumlher auf dieses Faible fuumlr absolutistische Regime eingegangen werden Je-denfalls ist die geschichtliche Besinnung und der Kriegsakt ein Widerspruch den Heideggerjedoch gleichsam adressiert Auch dies kann hier nicht weiter untersucht werden
72 GA 9473 GA 95 S 35174 GA 96 S 6275 GA 97 S 509
21
Insofern verschraumlnkt Heidegger das bdquohistorisch-technischeldquo zum Antagonis-
ten der bdquogeschichtlichen Besinnungldquo Es ist die Entwicklung einer historisch-
geschichtlichen Differenz unter dem Zeichen der Besinnung gegen die techni-
sche Machenschaft ndash es geht um zwei unterschiedliche Wissenssysteme76 In den
Schwarzen Heftenwird Technikmeistens als eine Seite der Muumlnze mit der anderen
der Historie genannt Sie haumltten eine schon angedeutete dualistische Dynamik
Wo beide Historie und Technik in solcher scheinbaren Gegensaumltzlichkeitverkoppelt sind koumlnnen sie sich zur Foumlrderung dessen zusammenschlieszligenwas einstmals wesentliche die Geschichte des Menschen mitbegruumlndet undwas wir die Kunstlsquo nennen Die Historie verschafft [] Anregungen undVorbilder der Nachahmung die Technik erleichtert [] die Zustellung vonDarstellungsmitteln und Wirkungsformen [] Gleichwohl ist alles wurzel-los [] berechnet und als Erlebnislsquo ausgegeben77
Diese vermeintliche Gefahr muumlnde als bdquoZuumlgellosigkeit des Historismusldquolsquo in der
bdquoBodenlosigkeit [] (das Judentum)ldquo78 Heideggers Mythos ist hier dieser bdquoWir
muumlssen zuvor geschichtlich sein [] Ohne diese uumlberlieferung verfaumlllt alles der
historisch-technischen Machenschaftldquo79
Heidegger mythologisiert uumlber den bdquoAuftrag des Deutschenldquo80 will in bdquoge-
schichtlicher Besinnung sehr weit zuruumlckgehen ndash auf den Zusammenhang von
τέχνη ἀλήθεια und οὐσίαldquo81 um Technik auf ihr Wesen im antiken Ursprung
zuruumlckzufuumlhren bdquoDie techne hat [] den Sieg uumlber die [] aletheia errungenldquo82
Heidegger will sie zuruumlckgewinnen Er will der Technik aus dem bdquoEreignisldquo83
wieder uumlbermaumlchtig werden und sieht das bdquoWesen des Vaterlandesldquo84 im Abend-
land Dabei ist es ihm unentbehrlich zu wissen bdquodaszlig das Griechentum [] und
76 Heideggers noch immer vorhande Rezeption in Puncto seiner Technikphilosophie erstauntdamit dass sein Prinzip der aletheiologischen Besinnung als alternatives Wissenssystem undTechnikkritik ob der eigenwilligen Konstruktion den Entwicklungen der Zeit standhaumllt
77 GA 95 S 21278 GA 95 S 9779 GA 96 S 10480 GA 94 S 6681 GA 94 S 35782 GA 95 S 13283 Ebd84 GA 96 S 52
22
nicht das Roumlmertum der Grund der Geschichte des Abendlandes istldquo85 Sein My-
thos von Heimat verknuumlpft sich uumlber Dichtung und Ereignis zu einem fuumlr die
Technikphilosophie essentiellen Bezugs-Topos
Wir brauchen keine Technik [] Das Wesen des Vaterlandes ist das Abend-land In ihm werden die Deutschen erst deutsch und erkennen die Muttervon Allem die unversehrte Erde [] Die Wahrheit erfahren wir im Ge-daumlchtnis Das Gedaumlchtnis ist die Dichtung Die Dichtung sagen der Denkerund Saumlnger in ihrem Gespraumlch Dieses Gespraumlch erst ereignet dichterisch dieDichtung in die Sprache (die Dichtung das Ereignis und das Ereignis dasAbendland) [] Wohnt in seiner Sprache [] seyd dem Seyn im Seyn Soist Sein das Seyn86
Eine weitere mythologische Form haben seine Fuumlgungen von Jahreszahlen
womit er bereits in den Bereich des Okkulten Mystischen abzurutschen droht
Houmllderlin wurde [] 1770 geboren [] 1870 aber Lenin Waumlhrend der []Lebenszeit Houmllderlins vollzogen sich die entscheidenden technischen Entde-ckungen und Erfindungen der neuzeitlichen Technik (1774ndash1806)87
Und ferner bdquo1807 Phaumlnomenologie des Geistes 1867 Das Kapital 1927 Sein
und Zeitldquo88
Als letzter Mythos sei hier sein Aufgriff der Spenglerschen Metapher des
Raubtiers89 aufgezeigt Uumlber weite Strecken philosophiert Heidegger uumlber das his-
torische Tier Das historische Tier muumlsse vernichtet werden die bdquodeutsche Zukunft
wirdlsquo nicht erst seinlsquo sie istlsquo schon seit Houmllderlin sie stifteteldquo90 Der Homo
faber ist fuumlr Heidegger das historisch-technische Tier qua der bdquoAngewiesenheit auf
das Tierhafte als Wesensgrundldquo91 Es fehle ihm was bdquodie Griechen als Anfangen-
deldquo mit der bdquoZugewiesenheit des Menschen zum Sein gewagt habenldquo92 wodurch
85 GA 96 S 20586 GA 97 S 52f Hierbei handelt es sich um eine Nachkriegsnotiz Heidegger aumlnderte den die
Adressierung in eine direkte Ansprache richtet sich an seine imaginierte Volksgemeinschaft87 GA 96 S 17488 GA 97 S 131 Womoumlglich ist es eine Uumlbung per Jahreszahlen das Aletheia-Prinzip zu prakti-
zieren eine Kontemplationshilfe Andererseits koumlnnte er auch der Regelmaumlszligigkeit der Zah-lenfolgen eine uumlbernatuumlrliche bdquoWahrheitldquo beimessen Dies bleibt an dieser Stelle unerforscht
89 VGl Spengler Oswald Der Mensch und die Technik Muumlnchen 1931 S 1090 GA 95 S 19791 GA 95 S 32092 GA 95 S 321
23
er den bdquoGoumlttern unertraumlglich gewordenldquo93 waumlre Das bdquoRaubtierldquo dem gegenuumlber
bdquoist die Urform des Heldenlsquoldquo94 Dann behauptet Heidegger dass das Raubtier das
historisch-technische Tier durch Anwendung seiner eigenen Waffen schlagen koumlnn-
te Es ist dabei die bdquoUumlberwindung der Metaphysikldquo mitgedacht die erfolge sobald
sich das metaphysische Fragen durch den Wille zum Willen verfestigt95 Auch
Spengler dachte an dieses Derivat des Nietzsche Topos vomWillen zur Macht das
er seiner antropomorphen Chimaumlre vom Raubtiermenschen eingibt Wieder ist
von der Gewalt die Rede die ein Tabula rasa schaffen sollte zur Wiederauferste-
hung des griechisch-abendlaumlndischen Anfangs in Deutschland bdquoDas Raubtier aber
mit denMitteln der houmlchsten Technik ausgestattet ndash vollendet die Verwirklichung
der brutalitas des Seinsldquo96
Es scheint so als haumltte Heidegger auf jeden Begriff einen Gegenbegriff (selbst
zum historisch-technischen Tier das Raubtier)97 Aber es geht hier nicht um die
Analyse ausgewogener Formprinzipien oder die Kritisierung seiner linguistischen
philologischen Faumlhigkeiten Die Zitierung der Heideggerschen Mythologie soll
seine Verbindung von voumllkisch-nationaler und antisemitischer Haltung mit den
Bedingungen und Anspruumlchen seines Philosophierens aufzeigen Da die Schwar-
zen Hefte wie alle sonstigen Werke seines philosophischen Schaffens in der GA
erschienen sind muumlssen sie insofern als Teil derer gelten Das bedeutet dass sie
ausreichend Relevanz fuumlr die Arbeiten uumlber die Technik haben98
93 GA 95 S 23694 GA 95 S 39795 Vgl GA 7 Uumlberwindung der Metaphysik S 7896 GA 95 S 39797 Vgl Rudolph Heideggers Schwarze Hefte im Echo S 151 bdquoKeiner hat Nietzsche so konse-
quent und wahnwitzig zumNazi avant la lettre verformt wie Heidegger und keiner hat einenzuvor gewaltsam gefuumlgig gemachten Nietzsche so konsequent instrumentalisiert um damitdie vulgaumlr- nationalistische Dekadenz im Sandwich zu geiszligeln wie Heidegger Die Philolo-gie ndash auch die klassische ndash (Colli Cancik Montinari) hat Nietzsche inzwischen laumlngst mitnachhaltigem Erfolg rehabilitiert Wer jetzt noch einen roten Faden von Nietzsche zu Hitlerzieht hat nur noch Heidegger auf seiner Seiteldquo
98 Zum Abschluss dieses Kapitels sei hinzugesagt dass der Veranschlagung der Beispiele vonHeideggers Mythologie ein Exzerpt von 13 Seiten aus 1700 Seiten Text der vier Baumlnde derSchwarzen Hefte zugrunde liegt Beim Studium dieser fielen die staumlndigen Repetitionen derimmer gleichen Figuren und Metaphern auf Daraus wurde geschlossen dass es sich um eineMythologie handeln kann was ein weiteres Forschen bestaumltigte Die hier zitierten Stellensind Topoi die sich in Huumllle und Fuumllle in jedem der vier Baumlnde finden lassen was ihrenmythischen Charakter unterstreicht Die Auswahl versucht ein besonders charakteristischesBild wiederzugeben
24
3 Heideggers mythopoetische
Technik
War Heidegger von seinem neuen Anfang nur zu traumlumen vergoumlnnt so gelang
ihm selbst aber die Wiederauferstehung aus der Asche des ZweitenWeltkriegs mit
der Vortragsreihe in Bremen (1949) uumlber die Technik Der Phoumlnix erweist sich
mittlerweile als Ikarus Anstatt sich selbst zu revidieren fordert Heidegger eine
Kehre ein die auf sein Programm der geschichtlichen Besinnung zum Ursprung ab-
zielt Rezipienten seiner Technikphilosophie taten zumeist seine voumllkischen und
nationalsozialistischen Verstrickungen mit der Niederlegung des Rektorats ab99
Sie glaubten an einen inneren Wandel Heideggers eine Laumluterung und sogar an
seinen geistigen Widerstand uumlber die Naziherrschaft hinweg100 Heute ist erwie-
sen wie Heidegger es aus seinem posthumen Gestaumlndnis in die Welt lecken laumlsst
dass er auf seine private Weise eine Form Nationalsozialismus hegte der die NS-
DAP und Hitler zwar als Vulgaumlrnazis kulturell degradierte aber sich selbst als
Denker-Nazi gerierte
Wie damit umzugehen ist steht aktuell in der Verhandlung Wie Rudolph es
behauptet stuumlnden die Heideggerianer bdquonun mit wertlosen Aktienldquo101 da Der
Kommunikationswissenschaftler Christian Fuchs sieht den Antisemitismus den
die Schwarzen Hefte zutage treten lassen als Notwendigkeit einer rigorosen Ver-
bannung Heideggers aus der technikphilosophischen Theorie102
99 Vgl Luckner Andreas Heidegger und das Denken der Technik Bielefeld 2008 S 64-69100 Vgl Babich Babette Nietzsche Heideggers Widerstand In Alfred Denker u Holger Zabo-
rowski (Hg) Heidegger-Jahrbuch 5 Heidegger und der Nationalsozialismus II Interpreta-tionen S 397-416
101 Rudolph Heideggers Schwarze Hefte im Echo S 146102 Vgl Fuchs Christian Martin-Heideggerrsquos anti-Semitism Philosophy of technology and the
media in the light of the ldquoBlack Notebooksldquo Implications for the reception of Heidegger inmedia and communication studies In tripleC Communication Capitalism amp Critique 13(1) (2015) S 55-78 hier S 74 Anstatt dessen pocht Fuchs auf die alternative Verwendungder Kritischen Theorie uumlber Fragestellungen zur Technik
25
It seems to me that Heideggerrsquos fetishism is often lrsquoart pour lrsquoart Heideg-ger pour Heidegger a tactic that aims at creating an aura of complexity byevoking Heidegger although the same content could be expressed withouthim103
Fuumlr Trawny waumlre dies ein bdquoperformativer Widerspruch [] stets daran zu erin-
nern Heidegger vergessen zu sollenldquo104 Quo vadis Heidegger
Die objektive Antwort Rudolphs der an den Commonsense und die Beweis-
last der Anklage glaubt wie auch der subjektive Appell Fuchs der es zur mora-
lischen Entscheidung des Einzelnen macht Heidegger zu vernachlaumlssigen setzen
aktuell die Jahrzehnte alte Tradition der Heidegger-Kontroverse fort Ein im Sep-
tember 2016 erscheinender Sammelband wird zusaumltzlich die Debatte mit neuen
Bewertungen anreichern105
In diesem Kapitel soll es nicht um die direkte Einreihung in eine der bestehen-
den Polemiken gehen sondern um den Versuch der Betrachtung der spaumlten Tech-
nikphilosophie Heideggers als mythopoetische Dichtung in seinem Sinne des
Philosophierens Als exemplarisches Werk ruumlckt damit das Vortrags-Geviert der
Bremer Vortraumlge ins Zentrum der Anschauung106 Hier wird davon ausgegangen
103 Ebd S 73104 Trawny Heidegger und der Mythos der juumldischen Weltverschwoumlrung S 141105 Heinz Marion und Kellerer Sidonie (Hg) Martin Heideggers raquoSchwarze Heftelaquo Eine
philosophisch-politische Debatte Berlin 2016 (im Druck) Aus dem Klappentext diesesTitelsbdquoOffene antisemitische Aumluszligerungen in diesen Denktagebuumlchern haben in der nichtakade-
mischen Oumlffentlichkeit fuumlr Empoumlrung gesorgt Die entscheidende Frage ist jedoch welcheVeraumlnderungen der Perspektive auf Heideggers Denken insgesamt sich dadurch ergebenund ob damit zugleich eine Neubewertung des Gesamtwerks eines der einflussreichstenPhilosophen des 20 Jahrhunderts noumltig istldquoEine der Herausgeberinnen des Bandes Sidonie Kellerer ist zudem an einem anlaufenden
fuumlnf jaumlhrigen Forschungsprojekt an der Universitaumlt Stuttgart im Rahmen des StuttgartResearch Centre for Text Studies beteiligt Heidegger und die Postmoderne Geschichteeiner Irrefuumlhrungiquest Sie und der Stuttgarter Literaturwissenschaftler Claus Zittel werden Hei-deggers ideologische Verstrickungen in den Nationalsozialismus untersuchen die textlichrekonstruierbar aber nachtraumlglich geklittet worden waumlren bdquoSo konnte die Wissenschaft-lerin Dr Sidonie Kellerer anhand des Vortrages Die Zeit des Weltbildeslsquo erstmals 1950veroumlffentlicht [sic] dass zahlreiche Passagen nachtraumlglich so modifiziert wurden dass dieurspruumlngliche Apologie des Nationalsozialismus nunmehr als Kritik am Regime gedeutetwerden konnte Die 2014 erschienenen Schwarzen Heftersquo mit persoumlnlichen AufzeichnungenHeideggers bestaumltigen zudem wie tief verankert in seiner Philosophie Rassismus undNationalsozialismus waren und bliebenldquo(httpwwwuni-stuttgartdehkompresseservicepressemitteilungen201567_kellererhtmlzuletzt abgerufen am 1442016)
106 Von einer umfassenderen Analyse der Schriften Heideggers zur Technik muss aus Platzgruumln-den abgesehen werden Die Voumlrtraumlge vom Ge-stell der Technik der Kehre und dem Dingsind vor allem wegen ihres Publikationszeitraums interessant da sie direkt an die Dokumen-
26
dass Heidegger den Versuch der abgrenzungspolitischen Einflussnahmemacht ge-
maumlszlig der oben dargelegten Ressentiments die sich in einer Mythologisierung des
Abendlandes niederschlagen Um seinem Ideal des dichtenden Denkens als Philo-
sophieren nachzukommen will Heidegger diese Einschreibung des Abendlandes
mythopoetisch vollfuumlhren
Grundsaumltzlich ist Verbindung und Trennung Heideggers boumlser Schwarzer Hef-
te mit und von seiner guten Technikphilosophie das Schlachtfeld aktueller De-
batten Wie bereits darauf hingewiesen werden hier Schwarze Hefte und Veroumlf-
fentlichungen wie eben in Form der Bremer Vortraumlge als ein kontinuierlicher
Arbeitsprozess gesehen Es gibt insofern nur einen Heidegger und keine gespal-
tene Persoumlnlichkeit Die Siegener Philosophin Sodonie Kellerer stellt dies anhand
Heideggers Selbstsicht luzide dar
Seine immer wiederkehrende Beschwoumlrung des Werkeslsquo und seine an diver-sen Stellen der bislang vorliegenden Briefkorrespondenz artikulierten Be-muumlhungen dieses Werklsquo fuumlr die Nachwelt zu sichern [Kellerer bezieht sichhier ua auf Heideggers Briefwechsel mit seiner Frau der 2007 veroumlffentlichtwurde DS] verdeutlichen wie sehr er seine Texte als ein Ganzes verstandin dem keines der Teile entbehrliche Wiederholung geschweige denn irrele-vante Eroumlrterung ist107
Dabei allerdings wird die Frage offen bleiben mit welchem Maszlig er sich selbst ge-
faumlhrdet sah seine Ansichten oumlffentlich zu vertreten und welche Konsequenzen er
dabei fuumlrchtete Denn er musste die Vortraumlge kodieren ndash was er im Sinne der My-
thopoetik auch macht ndash und mit Einigem hinterm Berg halten108 Dass es dabei
verschiedene Offenbarungsebenen gibt wird hier erst einmal hingenommen Es
interessieren staumlrker nachweisbare Bezuumlge des Entwurfsdenkens Heideggers zur
Oumlffentlichkeitsarbeit von ihm109
te der Schwarzen Hefte anschlieszligen (1948 der letzte Band der Schwarzen Hefte umfasst denZeitraum 1942-1948)
107 Kellerer Sidonie Kampf der Besinnung In Deutsche Zeitschrift fuumlr Philosophie Band 63Heft 5 Seiten 941ndash957 hier S 942
108 Weshalb die Veroumlffentlichung der Schwarzen Hefte auch weitestmoumlglich nach hinten verlegtwurde
109 Wuumlrde man dem entgegenhalten dass Heideggers vermeintliches Genie aus Formalisierun-gen seiner Gedanken ableitbar eine wichtige Quelle an sich bliebe scheitert dieses damitdass nun die Formalisierungen nicht personenneutral sozial-epistemologisch bestehen koumln-nen Als Vergleich wuumlrde man aus Hitlers und Goumlbbels Reden Formalisierungen isolierenlieszlige sich bestimmt die eine oder andere plausible Idee entwenden (wenn sie voumlllig dekon-
27
Hierzu wird der Text der gesamten vier Vortraumlge unter dem Titel Einblick
in das was ist Bremer Vortraumlge 1949lsquo110 aus dem 1994 veroumlffentlichten 79 Band
der GA zugrunde gelegt Das hat den Grund dass davon ausgegangen wird dass
der Text somit am naumlchsten an den 1949 tatsaumlchlich vorgetragenen Manuskripten
liegt Insofern ist eine realistische Annaumlherung an eine mythopoetische Uumlbertra-
gung der Schwarzen Hefte in die Bremer Vortraumlge 1949 das Ziel Demgegenuumlber
gibt es ob der virulenten Publikationspraxis von Heideggers Schriften111 noch
andere Auskopplungen der vier Vortraumlgsteile mit den Titeln Das Dinglsquo Das Ge-
Stelllsquo Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo
31 Zur Publikationsgeschichte von den
Bremer Vortraumlgen 1949
Zuerst erschien 1954 im Neske-Verlag (Pfullingen) ein Sammelband der lediglich
den ersten Vortrag Das Dinglsquo enthaumllt allerdings in leicht erweiterter Fassung
so wie er ein halbes Jahr nach dem Bremer Auftritt in Muumlnchen (1950) an der
Akademie der Schoumlnen Kuumlnste gehalten wurde112 Dem Band hinzugefuumlgt ist aber
zudem ein Vortrag der vornehmlich die Kernaussagen von Das Ge-Stelllsquo und
Die Gefahrlsquo verbindet allerdings in modifizierter Form Dieser wurde unter dem
textualisiert wuumlrde) Ist aber die wahre Verbindung zu Hitler und Goumlbbels hergestellt hatman selbstverstaumldlich die Verantwortung zu tragen an dem ganzen Tross von unmoumlglichenVerfehlungen dieser Menschen die sie fuumlr uns zu Personae non gratae stempeln muumlssen
110 GA 79111 Hierauf macht auch der Darmstaumldter Philosoph Gernot Boumlhme aufmerksam als Akt ei-
ner bdquoposthumen Selbstinszenierungldquo in Boumlhme Gernot Selbstinszenierung uumlber Ruhmin der Philosophie In Information Philosophie (Online Ausgabe 12015) URL=lthttpwwwinformation-philosophiedea=1ampt=8232ampn=2ampy=5ampc=29gt zuletzt ab-gerufen am 2442016)
112 Heidegger Martin Das Ding In Ders Vortraumlge und Aufsaumltze Pfullingen 1954 S 163ff
28
Titel Die Frage nach der Techniklsquo113 am 18 November 1953 an der TUMuumlnchen
gehalten
Eine weitere Auskopplung diesmal des letzten Vortragsteils Die Kehrelsquo fin-
det sich in einem broschuumlrenformatigen Band wiederum im Zusammenspiel mit
dem Vortrag Die Frage nach der Techniklsquo in Die Technik und die Kehrelsquo114 von
1962 wieder Somit wurden die Vortraumlge Das Ge-Stelllsquo und Die Gefahrlsquo lange
Zeit nicht veroumlffentlicht sondern als vermischter und modifizierter Text eben
Die Frage nach der Techniklsquo jeweils zusammen mit Das Dinglsquo (1954) und Die
Kehrelsquo (1962) angeboten115 In der Vorbemerkung zu Die Technik und die Keh-
relsquo wird diese kleine Chronologie leicht verfaumllscht auch aufgezeigt Darin heiszligt
es ferner dass Die Frage nach der Techniklsquo eine erweiterte Fassung von Das Ge-
Stelllsquo waumlre Dem ist wie schon gesagt nicht so Sondern es ist eine modifizierte
Vermischung von Das Ge-Stelllsquo und Die Gefahrlsquo was unschwer zB am Begriff
vom bdquoHer-vor-bringenldquo116 zu erkennen ist der in Die Gefahrlsquo eingefuumlhrt wird
und in Die Frage nach der Techniklsquo die gleiche Bedeutungskonstituente bildet
Mit der Veroumlffentlichung des 79 Bandes der GA 1994 wurden alle vier Bremer
Vortraumlge von 1949 publiziert In Band 11 der GA erschien 2006 auszligerdem Die
Kehrelsquo in ihrer urspruumlnglichen Fassung Die Frage nach der Techniklsquo enthaumllt
weniger mythopoetische Teile als Das Dinglsquo und operiert demgegenuumlber staumlrker
anhand klassisch philosophischer Allgemeinplaumltze Derer sind vor allem zu nen-
113 Heidegger Martin Die Frage nach der Technik In Ders Vortraumlge und Aufsaumltze Pfullingen1954 S 9ff (Der Aufsatz erschien ebenfalls 1954 im Sammelband der Vortragsreihe DieKuumlnste im technischen Zeitalter Heidegger Martin Die Frage nach der Technik In DieKuumlnste im technischen Zeitalter Dritte Folge des Jahrbuchs Gestalt und Gedanke Hg v dBayrischen Akademie der Schoumlnen Kuumlnste Muumlnchen 1954 S 70ff)
114 Heidegger Martin Die Technik und die Kehre Pfullingen 1962115 Beide Baumlnde Votraumlge und Aufsaumltzersquo sowie Die Technik und die Kehrersquo haben hohe Aufla-
genzahlen (Uumlbersetzungen wurden hier nicht recherchiert wobei es aber eine internationa-le Heidegger-Rezeption gibt) 1993 wurde der Pfullinger Neske-Verlag von dem StuttgarterHaus Klett-Cotta uumlbernommen was die Buumlcher aber unveraumlndert belaumlsst Vortraumlge und Auf-saumltzelsquo zaumlhlt seit 2009 die 11 Auflage Die Technik und die Kehrelsquo seit 2014 die 13 BeideBaumlnde sind vergriffen Es mutet unverstaumlndig an weshalb eine fehlerhafte Jahresangabe ausder ersten Veroumlffentlichung von Die Technik und die Kehrelsquo bis 2014 kolportiert wurdeDort steht der Vortrag Die Frage nach der Techniklsquo waumlre am 18 November 1955 gehaltenworden Der Vortragstermin war aber am 18 November 1953
116 Vgl GA 79 S 64 Und Heidegger Die Technik und die Kehre S 11
29
nen die Auflistung der bdquovier Ursachenldquo117 nach Aristoteles und die Kritik an der
Technik als bdquoein Mittel zu Zweckenldquo118 (Kausalitaumlt)119
Der Vortrag Das Dinglsquo galt Heidegger bei der Darbietung seiner Technikphi-
losophie nach dem Zweiten Weltkrieg allerdings als unentbehrlich ndash und damit
seine groszligflaumlchige Aufblaumltterung der Mythopoetik wie im folgenden Kapitel hier
gezeigt wird Denn im Vortrag Die Frage nach der Techniklsquo benutzt Heideg-
ger noch immer seinen mythopoetischen Topos vom Versammeln des Gebirges
der mit dem Versammeln eine Konstituente des Gevierts ist (bdquoErde und Himmel
die Goumlttlichen und die Sterblichenldquo120) (su)121 Fuumlr die Kaumlufer und Leser von
der spaumlteren Veroumlffentlichung Die Technik und die Kehrelsquo wird zudem in Die
Kehrelsquo extra auf den Vortrag Das Dinglsquo in der 1954er Ausgabe in Vortraumlge und
Aufsaumltzelsquo verwiesen122 Das zeigt wie wichtig und unerlaumlsslich Heidegger seine
mythopoetische Denkweise der Technik ist Auch wenn er in Die Frage nach der
Techniklsquo einen allgemeineren und offeneren Ansatz entwickelt hat der dadurch
auch leichter zu erschlieszligen ist
32 Die mythopoetische Spiegelung der Schwarzen
Hefte in den Bremer Vortraumlgen von 1949
321 Das Dinglsquo
In dem Vortrag Das Dinglsquo der 1949 vor dem privaten Club zu Bremen dort im
Neuen Rathaus das Vortragsquartett einleitete fuumlgt Heidegger mythopoetisch
zusammen was folgenden Topoi seiner Schwarzen Hefte aus Kap 221 entspricht
117 Heidegger Die Technik und die Kehre S 6118 Ebd S 6119 Diese Topoi versucht Heidegger in dem Text zu zersetzen und ihnen ein aletheisches Prin-
zip des Entbergens der Technik entgegenzusetzen Dies erfolgt wiederum auch anhand derVerwendung von mythopoetischen Teilen Darauf kann hier aber nicht weiter eingegangenwerdenAls weitere Gemeinsplaumltze (die er teils unterstuumltzend teils zur Zersetzung einfuumlgt) handelt
der Text auch mit Zitaten von Platon Heisenberg J P Hebel und Goethe120 Ebd S 12121 Vgl GA 79 S 11 Und Heidegger Die Technik und die Kehre S 19122 Vgl Heidegger Die Technik und die Kehre S 42f
30
1 die antirationale Wissenschaftsfeindlichkeit 2 der Mythos des Goumlttlichen 3
das Griechentum uumlber dem Roumlmertum 4 die Zahlenmystik (anhand des Spiegel-
Spiels des Gevierts ndash su) 5 das geschichtsbesinnliche Prinzip der Aletheia
Heidegger stellt zuerst die Frage nach dem Ding und will sie daraufhin ver-
anschaulichen mittels der Metapher des Kruges dh mit dem Krug als ein exem-
plarisches Ding Er fuumlhrt dann vor (was der Geste eines Zauberkuumlnstlers aumlhnelt)
wie der leere Krug gefuumlllt wird ndash Luft weicht der Fluumlssigkeit Dieses Sachverhaumllt-
nis aber ist fuumlr ihn Halbpoesie und eine Angabe aus der Physik sie verfehle das
vermeintliche Wesen des Kruges
Die Wissenschaft stellt durch sie [die Angabe der Physik DS] etwas Wirk-liches vor wonach sie sich objektiv richtet Aber ndash ist dieses Wirkliche derKrug Nein DieWissenschaft trifft immer nur auf das was ihre Art des Vor-stellens im vorhinein als den fuumlr sie moumlglichen Gegenstand zugelassen hat[] Die Wissenschaft macht das Krug-Ding zu etwas Nichtigem insofernsie Dinge nicht als das Maszliggebende zulaumlszligt123
Als ein wirkmaumlchtiges Beispiel das ihm sicherlich viel Beachtung uumlber die
Jahrzehnte seit ihrer Zuumlndung in Japan hinweg einbrachte fuumlhrt Heidegger die
Atombombe an Diese sei zu verstehen als verdinglichte Wissenschaft die das
Ding vernichten wuumlrde
Deren Explosion ist nur die groumlbste aller groben Bestaumltigungen der langherschon geschehenen Vernichtung des Dinges dessen daszlig das Ding als Dingnichtig bleibt124
Er buumlndelt damit Wissenschaft und Verkennung des Wesens als maszliggebend mit
dem Ding als sein machenschaftliches Prinzip der zerrechnenden Zerstoumlrung Drei
Jahre nach Kriegsende war der buumlrgerlich-elitaumlre Kreis in Bremen sicherlich be-
wegt von dieser Wortgewalt Diese jedoch suchte ja ihr Heim Harmonie Ruhe
in dem Haus als Wesen der Sprache
Und so faumlhrt Heidegger fort und ersetzt das physikalische Prinzip des Inhalts-
wechsels von Luft zu Wein in ein bdquoGeschenk des Gussesldquo als Spende und Opfer
den Goumlttern (2)125
123 GA 79 S 8124 Ebd S 9125 Vgl Ebd S 11f
31
Der Guszlig ist der den unsterblichen Goumlttern gespendete Trank [] Der ge-weihte Trank ist das was das Wort Guszliglsquo eigentlich nennt Spende und Op-fer Guszliglsquo gieszligenlsquo lautet griechisch χέειν indogermanisch ghu Das bedeu-tet opfern
Hier spielt bereits der Ursprungsmythos der Griechenmit ein (3) es ist aber auch
ein Bezug auf das Geviert Dieses waumlre ein System ein zusammen Gestelltes aus
bdquoErde und Himmel die Goumlttlichen und die Sterblichenldquo126 Im Guszlig des Trunkes
weilten gemeinsam diese Vier als emblematische Verbindung
Das im Geschenk Versammelte sammelt sich selbst darin das Geviert ereig-net zu verweilen Dieses vielfaumlltig einfache Versammeln ist das Wesen desKruges Unsere Sprache nennt was Versammlung ist in einem alten WortDies lautet thing127
Das Geviert zehrt von der Zahlenmystik zum einen als die Versammlung der
vier Begriffe an sich zum anderen da Heidegger ihnen eine Spiegel-Funktion
zuschreibt bdquoJedes der Vier spiegelt in seiner Weise das Wesen der uumlbrigen wie-
derldquo128 und ferner weil er damit auf sich selbst dh auf sein Vortrags-Geviert
verweist (4) Wie in Kap 21 schon gesagt lebt der Mythos von seiner Verbind-
lichkeit Diese legt Heidegger allen nah die sie verinnerlichen wollen bdquoSagen wir
die Sterblichen dann denken wir falls wir denken die anderen Drei mit aus der
Einfalt der Vierldquo129
Sollte der Vollzug der Praxis des sukzessiven Mitdenkens aller vier Geviert-
Entitaumlten gelingen koumlnnte das Ereignis der Aletheia begriffen werden (5) bdquoDas
Spiegel-Spiel von Welt ist der Reigen des Ereignensldquo130 Diese wird aber auch be-
griffen in Abgrenzung von dem Roumlmertum (3) denn in der bdquorealitas der resldquo
haumltten die Roumlmer bdquoihr Erfahrenes niemals eigens in seinem Wesen gedachtldquo131
Das waumlre den Griechen vorzubehalten und vom verstaumlndig denkenden Deutschen
wiederzubeleben
126 Ebd S 12127 Ebd S 13128 Ebd S 18129 Ebd130 Ebd S 19131 Ebd S 15
32
Der Krug ist ein Ding weder im Sinne der roumlmisch gemeinten res noch imSinne des mittelalterlich vorgestellten ens noch gar im Sinne des neuzeitlichvorgestellten Gegenstandes [] Der Krug ist Ding insofern er dingt132
Die Bindung an das deutsche Wort bdquoDingldquo das er spielerisch auch ins Englische
Romanische und Franzoumlsische uumlbersetzt ist unerlaumlsslich fuumlr seine ethymologi-
sche Argumentation In der ist der bdquoGuszligldquo ruumlckgefuumlhrt auf indogermanisch bdquoghuldquo
und das bdquoDingldquo auf das mittelhochdeutsche bdquothingldquo So konnten antik die Roumlmer
von den Griechen abgrenzt werden und modern die anderen drei Sprachen vom
Deutschen Das englische sich sehr nah am bdquothingldquo befindliche bdquothingldquo wird mit
dem Roumlmischen ausgespielt
Im Englischen hat thing noch die erfuumlllte Nennkraft des roumlmischen Wor-tes res bewahrt [] dh ein aus sich kommendes den Menschen Angehen-des133
Fuumlr Heidegger geht es beim bdquothingldquo aber um die mittelhochdeutsche Uumlbersetzung
der Versammlung Darauf beruht sein gesamter Systemansatz mit Geviert und
Ge-stell
Schulz-Nieswandt fuumlhrt diese Zusammenstellung zum Bejubeln von Heideg-
gers Mythopoetik
So fundamental sieht Heidegger die Welt Die Quelle des Wassers wird zurHochzeit von Himmel und Erde das Gieszligen des Wassers aus dem Krugzum Geschenk Auch Sprache ist daher kein Instrument sondern Ort desWohnens des Menschen Sprache wird zum Haus des Seinslsquo134
Hier bestaumltigt die Untersuchung des Ding-Vortrags die These von einer mytho-
poetischen Einschreibung der nationalistischen voumllkischen Abgrenzungs-Mythologie
aus den Schwarzen Heften
322 Das Ge-Stelllsquo
Der zweite Vortrag des Reden-Gevierts setzt ein mit der Metapher des fehlen-
den Abstands Wo kein Abstand sei da waumlre auch keine Naumlhe so Heidegger Er
132 Ebd S 16133 Ebd S 14134 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei Walter
F Otto S 59
33
verbindet die Abstandslosigkeit mit Urbanitaumlt und Verkehr alles fluktuiere Es
waumlre der Bestand der sich bestelle in dem das Abstandlose herrsche Das sind
neue Metaphern fuumlr die Machenschaft In seiner Erzaumlhlung vom Ge-Stell gibt es
bedeutend weniger mythopoetische Passagen als in dem vorangegangenen Vor-
trag Allerdings uumlbertraumlgt er den mythopoetischen Gehalt der Rede vom Ding
bereits im ersten Absatz von Das Ge-Stelllsquo mit dem Credo bdquoNaumlhe west insofern
das Ding dingtldquo135 Mit dieser Verbindung wird klar unter welchem Zeichen Hei-
degger die Rede vom Ge-Stell verstanden wissen will ndash als verlorenes Verhaumlltnis
des voumllkisch-traditionell verwurzelten Menschen mit den vermeintlichen Wesen
all seiner Gebrauchsobjekte in der mythopoetischen Formel des sich spiegelnden
Gevierts
Nahezu nuumlchtern erzaumlhlt Heidegger dann von dem Gefaumlngnis des Menschen
im Wesen der zirkulierenden sich immer neu bestellenden Bestandstechnik des
Ge-Stells Dabei scheinen folgende Mythen aus den Schwarzen Heften hindurch ndash
1 bdquoHistorie die Technik der Geschichtelsquo Technik die Historie der Naturlsquoldquo136
2 das historische Tier 3 der Appell an den Auftrag des Deutschen 4 der geschicht-
liche Mensch muss die Historie und damit die Technik uumlberwinden und 5 die
alles zernichtende Machenschaft des juumldischen Wesens
Den Topos der seinsvergessenen Groszligstadt jedenfalls kontrastiert er mit der
Bauerndorfidylle Da aber bdquodas Abstandlose herrschtldquo137 waumlre das Vorruumlcken der
Maschinentechnik bereits universell So in Form des Traktors Schon in Band
96 der Schwarzen Hefte beklagt er dieses bdquozum elektrischen Pflug [] gehoumlrt
das amerikanisch aufgemachte Magazinlsquoldquo Insofern erfolge die bdquoAngleichung der
Sitten der Bergbewohner an diejenigen des groszligstaumldtischen Sport- und Barbe-
triebsldquo138
Sein erster Land-Stadtvergleich betrifft den Bauern dessen Totenruhe tradi-
tionell in einem sg bdquoTotenbaumldquo (Sarg) stattgefunden haumltte ndash bdquoIn ihm gedeiht
der Tod des Totenldquo139 Dem gegenuumlber klingt in der bdquomotorisierten Bestattungs-
135 GA 79 S 24136 GA 95 S 351137 GA 79 S 24138 GA 96 S 54139 GA 79 S 26
34
industrie der Groszligstadtldquo140 bereits Heideggers pietaumltsloser Gaskammernvergleich
an
Ackerbau ist jetzt motorisierte Ernaumlhrungsindustrie im Wesen das Selbewie die Fabrikation von Leichen in Gaskammern und Vernichtungslagerndas Selbe wie die Blockade und Aushungerung von Laumlndern das Selbe wiedie Fabrikation von Wasserstoffbomben141
Hier wird davon ausgegangen dass es eine Uumlbertragung der Notizen uumlber
das deutsche Land als bdquoeinziges KZldquo ist die Unterdruumlckung des deutschen Vol-
kes durch die bdquoWeltdemokratieldquo die schlimmer sei als die Graumlueltaten der bdquoGas-
kammernlsquoldquo142 In die mythopoetische Formel von dem dingenden Ding aus dem
ersten Vortrag sind alle Valenzen eingeschrieben die es zur Aufgabe des abendlaumln-
dischen Deutschen (also als Nachfolger der alten Griechen) machen das Wesen
des Dings und somit der Technik zu huumlten Die Verantwortung fuumlr Genozid
Massenvernichtungswaffen und den Mangel im Nachkriegsdeutschland schreibt
Heidegger gleichfoumlrmig dem Prinzip der Abstandslosigkeit zu
Auch die Rede von der Habgier des Berechnenden ist ein bereits bekannter
Vorbehalt Heideggers anhand der Rede vom raffgierigen Juden Denn er sagt von
der bdquoHerrschaft des Abstandlosenldquo dass sie bdquodie Hab-gier des vorstellenden Be-
rechnensldquo waumlre143 Das entspricht seinem Mythos von der alles zernichtenden
Machenschaft des juumldischen Wesens144
Dann folgt eine lange Elegie uumlber das Bestellen des Bestands des Ge-Stells
bdquo[d]ie Kette des Bestellens laumluft auf nichts hinaus sie geht vielmehr nur in ihren
Kreisgang hineinldquo145 uumlber 19 Seiten des 21 seitigen Vortragsexts hinweg entwirft
Heidegger diverse Bilder wie das Ge-Stell die Natur das Hergestellte den Men-
schen und das Verstandesmaumlszligige vereinnahme und das Wesen desDings gleichsam
zur Veruntreuung bringen wuumlrde Wiederum poetisch orientiert kontrastiert also
140 Ebd141 Ebd S 27142 GA 97 S 99f143 Vgl GA 79 S 25144 Vgl Machenschaft hier S 29 und Geraff hier S 33145 GA 79 S 29
35
Heidegger Houmllderlins Hymne Der Rheinlsquo mit dem Rhein dessen Stroumlmung fuumlr
ein Stromkraftwerk genutzt wird
Achten wir um das Ungeheure das hier waltet zu ermessen nur auf einenAugenblick auf den Gegensatz der sich in den beiden Titeln ausspricht DerRhein verbaut in das Kraftwerk ndash der Rheinlsquo gesagt in der gleichnamigenHymne Houmllderlins146
Die Differenz also waumlre das Ungeheure147 Dabei waumlre der Rhein verbaut in das
Kraftwerk Aumlhnlich wie Kohle Erze und Rohoumll waumlren sie Bestand der bdquobesteht
im Bestellenldquo ndash bdquoDas Bestellen waumlre demnach lediglich eine Machenschaft des
Menschen vollzogen in der Weise der Ausbeutungldquo148
Das Bild des Wasserkraftwerks wird erweitert um den Begriff des Menschen
Elektrizitaumlt mit Wasserkraft erzeugen bdquokoumlnnen die Menschen [] nur insofern
sie selber schon in dieses Bestellen bestellt sindldquo149 Mit diesem Bild versucht Hei-
degger praktisch zu veranschaulichen dass Entwurf Umsetzung und Einsatz ei-
ner technischen Anlage den Menschen in ein entruumlcktes Verhaumlltnis zum Wesen
des dingenden Dings setze ndash bdquoDer Mensch ist darum der Angestellte des Bestel-
146 Ebd147 Das ist zusaumltzlich zu dem gemeinten Gegensatz ein Vergleich mit dem Heidegger dem Wort
bdquoRheinldquo in die Hymne Der Rheinlsquo gesprochen eine Energie erzeugende Wirkung zu-schreibt eben so wie das Kraftwerk Strom erzeugen wuumlrde Das wird klar dadurch dassHeidegger metaphorisch vom Stellen des Wortes bdquoRheinldquo in die Hymne spricht Es handeltsich um einen Appell zur denkerischen Besinnung Dass Heidegger dafuumlr eine technischeAnlage zur Veranschaulichung inspirierend wirken laumlsst spielt bereits in die Richtung derBegriffe bdquoHer-vor-bringenldquo bdquoEntbergenldquo und spielt auf das Alteheia-Prinzip an Darauf wirdweiter unten anhand Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo eingegangen werden Es handelt sich umdas Angebot eines mythopoetischen Umgangs mit Technik insbesondere wenn sie sich inheimische Gefilde einfuumlgtHeute koumlnnte man mit Windraumldern ebenso verfahren Somit koumlnnte aber auch Heidegger
als ein gewisser Quijana aus Mancha verstanden werden eben der Protagonist aus Miguel deCervantes Roman Don Quichote von der Manchalsquo der mit seinem von ihm flux auch um-benannten Klepper (weil er zuvor sich selbst in Don Quichote umtaufte) Rocinante Riesenbezwingen will um mit dieser Heldentat unsterblichen ritterlichen Ruhm zu erstreitenAuch Don Quichote fand seine Riesen in Windmuumlhlen und auch Don Quichote war uumlber
eine uumlbertriebene Auseinandersetzung mit einer verschuumltteten Kultur dieser verfallen undsuchte diese in seiner Aventuumlre zu reaktualisieren Martin Heideggers mythopoetisches Pro-gramm ist tatsaumlchlich stark mit Don Quichotes Motiv vergleichbarFerner waumlre eine Auseinandersetzung mit Heideggers Werk unter Beruumlcksichtigung sei-
ner Gewichtung der Vorsokratiker und Houmllderlin als mythopoetischen Autor eine moumlglicheForschung zum Thema Anachronismen in Konzepten von Moral und gesellschaftlicher An-gemessenheit (Vgl Cervantes Miguel de Don Quichote von der Mancha Herausgeben unduumlbersetzt v Susanne Lange Muumlnchen 2008 S 33f)
148 GA 79 S 29149 GA 79 S 30
36
lensldquo150 Schon vorher wies Heidegger darauf hin bdquo[d]ie Herrschaft des Gegen-
staumlndigen sichert nicht den Abstandldquo151 Jetzt heiszligt es
Das Bestellen befaumlllt nicht nur die Stoffe und Kraumlfte der Natur mit Gestel-lung Das Bestellen befaumlllt zugleich das Geschick des Menschen Das Wesendes Menschen wird daraufhin gestellt das Bestellen in menschlicher Weisemitzuvollziehen152
Der Begriff des Ge-Stells wird daraufhin so konstruiert dass es im Bestellen
um ein Stellen (Herausfordern) alles bdquoAnwesenden als Bestandldquo als bdquoversus unumldquo
gegen bdquodas Eine Ganzeldquo gehe153 In wiederum mythopoetischer Formulierung ge-
baumlre die bdquoVersammlung des Stellens worin alles Bestellbare in seinem Bestand
west das Ge-Stellldquo154 Der Begriff bdquoVersammlungldquo wird einen Absatz zuvor my-
thopoetisch wieder an die Versammlung also das thing eben das wesenhafteDing
angelehnt und somit wie zu Das Dinglsquo bereits oben erlaumlutert in einen deutsch-
abendlaumlndischen Kontext gestellt (3)
Wir nennen die Versammlung der Berge die von sich her einig und nienachtraumlglich schon gesammelt ist das Gebirge Wir nennen die Versamm-lung der Weisen nach denen uns so zumute ist und sein kann das Gemuumlt155
Allerdings ist obiges Versammlungsmodell hier als Kontrast zu sehen zu dem
bdquoGeraff des Getriebesldquo das das Ge-Stell darstellt als bdquoWesen der Technikldquo156 Hei-
degger sieht in der Gleichfoumlrmigkeit die zum Wesen des Technik als Ge-Stell
150 GA 79 S 30151 GA 79 S 25152 GA 79 S 31153 Vgl GA 79 S 32154 GA 79 S 32155 Ebd
Das Wort ldquoGemuumltrdquo hat ferner eine ausschlieszliglich deutsche Praumlgung gibt es doch keinedirekte Uumlbersetzungen Gemuumlth ist ferner ein nicht eindeutig umrissener Begriff (Vgl Kra-mer Cheryce A Foolrsquos Paradise The Psychiatry ofGemuumlth in a Biedermeier Asylum Chica-go 1998 S 19) Die Bedeutung im Deutschen selbst ist zudem sehr variabel hat aber zumeistmit Seelen- oder Geistkonzepten zu tun ndash Cheryce von Xylander (geb Kramer) uumlbersetztGemuumlth mit bdquosoul-organldquo (ebd S 43) das von diversen Autoren unterschiedlich konstru-riert wird (zB von Kant geistigkoumlrperlich und von Kleist individuellkollektiv (vgl ebdS 41)) In Heideggers emblematischem Duktus scheint eine Vermischung von allen vier Di-mensionen geistigkoumlrperlich wie auch individuellkollektiv stattzufinden Es ist auf jedenFall dem Mythos geschuldet den Auftrag des Deutschen anzunehmen (3)
156 GA 79 S 33
37
gehoumlre die planetarische Abloumlsung und Aufhebung des traditionellen und damit
wesenhaft ans Ding gebundenen Verhaumlltnisses vom Menschen zur Erde (das von
ihm idealisierte voumllkische Bauerntum das Bestellen des Ackers) bdquoDie Bestand-
Stuumlcke sind Stuumlck fuumlr Stuumlck die Gleichenldquo157 So kontrastiert er alte Handwerks-
techniken mit Maschinentechnik und schreibt der Maschinentechnik die machen-
schaftliche Verdraumlngung als Geraff zu
Das Ge-Stell hat auch wenn das nicht unmittelbar und nicht sogleich ver-nehmlich wird im vorhinein schon alle diejenigen Stellen beseitigt an denenvormals Spinnrad und Wassermuumlhle standen Das Ge-Stell bestellt durch sei-ne Maschinerie zum voraus eine andere Art und Ordnung von Stellen Andiesen kommt nur zu Stand was als Bestellbares auf der Stelle gleichfoumlrmigzur Stelle steht
Darum ist auch die Art wie die Maschine selbst etwas herstellt einewesentlich andere als das handwerkliche Tun gesetzt daszlig es innerhalb desGe-Stells uumlberhaupt noch so etwas wie ein Herstellen gibt
Die Traktoren und Kraftwagen werden herausgebracht ausgeworfen se-rienweise Stuumlck fuumlr Stuumlck Wo drauszligen steht dieses so Herausgestellte Wo-hin in welchen Stand ist es gebracht158
In dieser Klage uumlber den technischen Wandel der durch den Fortschritt in
alle Lebensbereiche Einzug haumllt versucht Heidegger zu veranschaulichen wel-
chen Verlust es zu erkennen gelte Ein Versuch diesem entgegen zu treten ist die
von ihm vorgetragene Mythopoetik die er in diesem Vortragsteil seines Vortrags-
Gevierts allerdings auffaumlllig zuruumlckgestellt sein laumlszligt War der Einleitungsteil Das
Dinglsquo schlieszliglich eine nahezu einzige mythopoetische Darbietung Dramatur-
gisch wird Heidegger in Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo die mythopoetischen For-
mulierung als Loumlsungswege wieder Bedeutung geben In Das Ge-Stelllsquo versucht
Heidegger hingegen Vorstellungen aus seinen Schwarzen Heften aumlhnlich der fol-
genden mitzuteilen die das Uniforme Gleichfoumlrmige betreffen
Die Macht der Machenschaft ndash die Vernichtung sogar der Gottlosigkeit dieVermenschung des Menschen in das Tier die Vernutzung der Erde die Ver-rechnung der Welt ndash ist in den Zustand der Endguumlltigkeit uumlbergegangenUnterschiede der Voumllker Staaten Kulturen sind nur noch Fassade159
157 GA 79 S 36158 GA 79 S 35159 GA 96 S 52f
38
Was Heidegger unter dieser Gleichfoumlrmigkeit versteht schreibt er in den Schwar-
zen Heften zumeist den Amerikanern zu Er nennt es auch haumlufig Planetarismus
Der Amerikanismus [ist DS] die Zusammenraffung von Allem welcheZusammenraffung immer zugleich die Entwurzelung des Gerafften bedeu-tet160
Der Planetarismus ist die historisch gedachte Bestimmung der uumlberall glei-chen die ganze Erde uumlberdeckenden Seinsverlassenheit des Seienden161
Die Gegenuumlberstellung von natuumlrlicher und traditioneller Handwerkstechnik
gegen maschinenhafte Gleichfoumlrmigkeit exemplifiziert Heidegger dann im Vor-
trag Das Ge-Stelllsquo vielfach wie zum Beispiel hier
Der Forstwart zB der im Wald das geschlagene Holz vermiszligt und demAnschein nach noch wie sein Groszligvater in der gleichen Weise die selbenWege geht ist heute von der Holzverwertungsindustrie gestellt Er ist ober es weiszlig oder nicht in seiner Weise Bestand-Stuumlck des Zellulosebestandesund dessen Bestellbarkeit fuumlr das Papier das den Zeitungen und illustrier-ten Magazinen zugestellt wird die uumlber die Oumlffentlichkeit daraufhin stellenverschlungen werden162
160 GA 96 S 257161 GA 96 S 261162 GA 79 S 37f
Die renommierte Theaterautorin Elfriede Jelinek karikiert in ihrem Stuumlck Totenaubergvon 1991 Heideggers Konstrukt von Heimat und Fortschrittsfeindlichkeit verbunden miteiner Auseinandersetzung mit dessen Liebschaft zu Hannah Arend Mit philologischer Prauml-zision polemisiert sie Teile aus Heideggers Elegie uumlber die Technik und laumlszligt ihn dabei alsbeschraumlnktes und eingezwaumlngtes Wesen in einem Gestell gefangen sein Aus diesem heraussoll er Arend Rede und Antwort stehen uumlber sein Verhaumlltnis zum Nationalsozialismus unddie Shoa Doch dieser redet nur naturtrunken von Heimat und berauscht sich daran Derprophetische Denker wird banalisert ndash diese Worte legt Jelinek ihm (im Stuumlck der alte Mann)in den MundbdquoDie Angst vor dem Fragen liegt uumlber dem Abendland Sie bannt die Kandidaten auf ein
Team-Leibchen verbannt sie auf altgewordene Wege und jagt sie zuruumlck ins morsch geworde-ne Gehaumluse ihrer Tore wo es um ihre Ausscheidungen geht Es wird ihnen alles weggenom-men werden auch der Weg selbst Keine Spur kein Lichtschein aus den Ritzen Aber ruf ichin die Huumltte um nach einem zu fragen den ich gekannt hab sehe ich grad noch eine Tuumlrsich schlieszligen Der Wald kommt nicht zur rechten Geltung alles ist entflohen was mir liebwar und woran ich geglaubt hab Was kommt ist noch nicht da Nichts war Ich habe nichtsgehoumlrt Ich erinnere mich nicht aber ich stelle dem Kommenden das mich den lupenreinenAmateur schon vor Beginn des Rennens erlahmen laumlszligt vorsorglich die Hausschuhe vor dieTuumlr Sie sind das Einzige was die Profis des Profits von mir dann vorfinden werden wennsie anklopfen Die Haumlrte des Urgesteins sollte sie nicht entmutigen Die Jahreszeiten machendie Landschaft auf und zu Ich sage nur In dieser scheinbaren Leere will ich vom Denkenmuumld nur schlafen Von der Huumltte aus lassen sich Wanderungen unternehmen Aber auchsonst wird Ihnen alles wie ich sagte genommen werden Auch Ihre Fotos und Namen Unddas Gewesene wird wesenlosldquo ( Jelinek Elfriede Totenauberg Hamburg 1991 S 86f)
39
Die Oumlffentlichkeit ist fuumlr Heidegger ein Topos der dem Denken und Besinnen
entgegenstuumlnde Somit meint er damit zum Einen die Medien wie er es anhand
der Rede von den Bestandstuumlcken in Das Ge-Stelllsquo erklaumlrt wo der Mensch als
Urheber des Ge-Stells als Wesen der Technik nicht gelten soll Vielmehr wuumlrde er
in Ratlosigkeit und Langeweile verfallen weil er in der Bestellung des Bestandes in
Form von Bestandstuumlcken vom Rundfunk keine Besinnung mehr faumlnde dh das
Ganze also wiederum daswesentliche Ding nicht mehr zu fassen vermoumlge163 Und
so toumlnt es bereits aus den Schwarzen Heften von 19391940()
Die Bildlsquo und Tonlsquo ndash Reportagenlsquo der Machenschaft ist der planetari-sche Mythuslsquo des Vollendungsabschnittes der Neuzeit Die Welt des abge-legensten deutschen Bauernhofes wird nicht mehr durch [] die Naturlsquobestimmt in der noch die Erde waltet sondern durch das illustrierte Blattmit der Darstellung von ausgezogenen Tanzweibern von Boxern und Renn-fahrern und sonstigen Heldenlsquo des Tages164
Und ferner notierte Heidegger 1946 in seinen Schwarzen Heften
Uumlberall zerrt es aus dem Oumlffentlichen ins Oumlffentliche mit vielen Strickenund jeder sieht das kaum versuchte Denken des Seyns am Leitband seinesStrickes165
Dabei waumlre eben ein bdquoLiterat [] ein in die Oumlffentlichkeit verliebter Mensch der
Angst vor dem Denker hatldquo166 Dieses liefe dann darauf hinaus dass beim Rund-
funk bdquoein Bestellen und Stellen waltet das in dasWesen des Menschen eingegriffen
hatldquo167
Abermals nach dem Wesen der Technik also nach dem Ge-Stell gefragt geht
Heidegger auf seine Unterscheidung vonNatur undNaturwissenschaft ein bdquo[w]elches
ist das Verhaumlltnis zwischen der Technik und der Naturldquo168 Natur wuumlrde in wis-
senschaftlicher Hinsicht unter das Berechnete fallen sie wuumlrde bdquoals das in Maszlig
und Zahl gestellte Wirkliche vorgestellt das in seinem Gewirkten staumlndig an-
westldquo169 Wenn Heidegger dann Natur aus technischer Sicht bdquoals ein System des
163 Vgl GA 79 S 38f164 GA 96 S 54165 GA 97 S 100166 GA 97 S 126167 GA 79 S 39168 GA 79 S 41169 Ebd
40
Bestellens von Erfolgen aus dem gestellten Wirksamenldquo170 charakterisiert spricht
er von seiner Rede der Verschraumlnkung von Historie und Technik ndash bdquoTechnik die
Historie der Naturldquolsquo171 Dieses ist bekanntlich das seinsvernichtende Gegenstuumlck
zur geschichtlichen Besinnung Denn geschichtliches Walten der Technik ist fuumlr
Heidegger technische Geschichte dh verwissenschaftlichte Geschichte die da-
durch ihr Wesen verloren haumltte (Seynsvergessenheit)172 So heiszligt es in den Schwar-
zen Heften von 1947
Ein Zeitalter das historisch geworden ist dh technisch planend sich selberberechnet und alles in diesen Sog zieht muszlig jede Besinnung nur als eine dervielen Formen der Intellektualitaumlt registrieren173
Heidegger schlieszligt den Vortrag mit dem Aufgriff der Anfangsbehauptung
bdquo[d]er Bestand bestellt das Abstandsloseldquo174 Somit liegt das Problem der ausblei-
benden Naumlhe durch die Technik deren Wesen das Ge-Stell waumlre das den Bestand
bestelle in der Luft Dass dabei der Mensch sogleich Teil des Bestandes und nicht
Teil der Maschine wird laumlsst ihn das historische Tier sein (2)
Der Mensch ist auswechselbar innerhalb des Bestellens von Bestand []Gleichwohl gehoumlrt der Mensch in einer voumlllig anderen Weise in das Ge-Stellals die Maschine DieseWeise kann unmenschlich werden DasUnmenschlicheist jedoch immer noch unmenschlich Der Mensch wird nie zur MaschineDas Unmenschliche und noch Menschentuumlmliche ist freilich unheimlicherweil boumlsartige und verhaumlngnisvoller denn der Mensch der nur Maschine wauml-re175
Wen Heidegger hier ersinnt ist der neuzeitliche Mensch der den bdquoGoumlttern uner-
traumlglich gewordenldquo176 waumlre
170 Ebd171 GA 95 S 351172 In Heidegger Die Technik und die Kehre S 21 stellt er Geschichte und Historie einander
gegenuumlber was er in Das Ge-Stelllsquo nicht vollzieht bdquoDie moderne Technik kam doch erst inden Gang als sie sich auf die exakte Naturwissenschaft stuumltzen konnte Historisch gerechnetbleibt dies richtig Geschichtlich gedacht trifft es nicht das Wahreldquo Signifikant fuumlr Heideg-gers Attributierung so wie sie oben schon geschildert ist steht Historie fuumlrs Rechnen undGeschichte fuumlr das Denken
173 GA 97 S 508174 GA 79 S 44175 GA 79 S 37176 GA 94 S 236
41
323 Die Gefahrlsquo
Aus Heideggers Darlegung uumlber das Ge-Stell erschlieszligen sich seine diversen Fa-
cetten der Vorstellung einer Abstandslosigkeit schaffenden Technik Dass die Ab-
standslosigkeit dem Prinzip des Gevierts des Zusammengestellten entgegensteht
bekommt im Vortrag Die Gefahrlsquo Nachdruck Die mythopoetische Erzaumlhlung
knuumlpft an den Vortrag Das Dinglsquo an mit den Mythologemene 1 Der Mythos
des geschichtlich sein muumlssens 2 der Mythos des Goumlttlichen 3 das geschichtsbe-
sinnliche Prinzip der Aletheia Zudem wird im Prozess des Vortrags das Ge-Stell
zur Gefahr stilisiert was einen eigenen Mythos erschafft
Durch das bdquouniversale Bestellen des Ge-Stellsldquo177 werde die naumlhernde Naumlhe des
Dings verwehrt Wie im Vortrag Das Dinglsquo fuumlhrt Heidegger das Wesentliche sei-
ner Theorie auf die deutsche und altgriechische Sprache zuruumlck Die so vollzoge-
ne Annaumlherung von Schwarzwaumllderischem Dialekt und Altgriechisch entspricht
Heideggers Traum von dem bdquogeschichtliche[n] Geburtsort des abendlaumlndischen
Wesensldquo178 den seine Heimat von Todtnauberg bis Freiburg stiften sollte (1)
es ist das Geistvolle und zugleich das erdenhafte schoumlne Land Es birgt un-sichtbaren Reichtum dem Gemuumlt bewahret tiefstes Dichten und houmlchsteGestalt der Sage179
Unter diesem Vorzeichen also sagt Heidegger
Das Ge-Stellwesen laumlszligt das Ding ohne die Wahr Das Wort die Wahrlsquo be-deutet in unserer Sprache dort wo sie noch urspruumlnglich spricht die HutIn unserer schwaumlbischen Mundart meint das Wort die Wahrlsquo die der muumlt-terlichen Hut anvertrauten Kinder Das Ge-Stell laumlszligt in seinem Stellen dasDing ohne die Hut ndash ohne die Wahr seines Dingwesens180
Diese in Bremen vorgetragene Heimatkunde ist auch Heideggers Sorge ge-
schuldet durch die Besatzermaumlchte und deren kulturellen Einfluss auch durch
die nun moumlgliche Oumlffnung Deutschlands zu einem Austausch mit der Welt das
eigene Wesen zu verlieren So schreibt er 1945-1947() in seine Schwarzen Hefte
177 GA 79 S 46178 GA 97 S 54179 Ebd180 GA 79 S 46
42
Das Schwerste und Fragwuumlrdigste unseres Geschickes ndash beruht darin ob wirdas Eigene finden und huumlten [] unter den anderen Voumllkernlsquo [] Scheinund Vorwand der Macht daszlig man unsere eigene Aufgabe bringen will []als Entmachtete aufgenommen zu sein in den Weltmachenschaftsbetrieb181
Es gaumlbe nach Heidegger also das Welten von Welt und die Verweigerung von
Welt aus derVerwahrlosung des Dings durch das Ge-Stell bzw die Technik182 Welt
ist nach dem Konzept des schwaumlbischen Denkers nichts weniger als das Geviert
Bei der folgenden mythopoetischen Zusammenstellung von dem Geviert mit alt-
griechischen Vokabeln um den Seins-Begriff wird das Aletheia-Prinzip eingefuumlhrt
Somit fuumlhrt uumlber den Mythos des Goumlttlichen (2) der Weg zur Wahrheit eben als
geschichtsbesinnlich erfahrene Aletheia (3)
Welt ist das Geviert von Erde und Himmel Goumlttlichen und SterblichenDas Spiegel-Spiel der Vierung wahrt alles was in ihm dingend zwischenden Vier anwest und abwest in das einende Ganze seines Anwesens Vonaltersher heiszligt das Anwesen des Anwesenden τὸ ὲόν das Seiend [sic] τὸεἶναι das Sein naumlmlich der ὲόντα des Seinenden das esse entium183
Diese Welt waumlre nun bdquoWahrnis des Wesens von Sein Statt Wahrnis sagen wir auch
Wahrheitldquo184 Die Welt mythopoetisch als Spiegel-Spiel des Gevierts und durch
eine altgriechische Brille betrachtet waumlre die wahre Welt Somit wird die Wahr-
heitsschau gebunden einen antiken Goumltterglauben und abendlaumlndische Sprachkas-
kaden vom Dialekt zum Altgriechisch
Das Problem mit der wahren Welt waumlre allerdings dass sie sich in die Ver-
borgenheit entziehe Naumlher betrachtet ist aber die Verborgenheit Bedingung des
Entbergens was Heidegger notwendig macht zu einem wuumlrdigen Lebensvollzug
in Harmonie mit dem Sein Durch solche Wesensschau waumlre der Mensch befaumlhigt
jederzeit die verstellenden Maumlchte des Ge-Stells (der Technik) zu uumlberwinden und
teilhaftig am Wesen der Welt zu werden
181 GA 97 S 99182 Vgl GA 79 S 47183 GA 79 S 48 (Die griechischen Vokabeln werden hier keiner Uumlbersetzung unterzogen Da
Heidegger ohnehin keine philologische Schaumlrfe anwenden will ist es fuumlr die Zwecke hierausreichend sie mit seiner Uumlbersetzung zu betrachten Heidegger spricht von bdquoAchten aufdas Griechischeldquo was schwieriger waumlre als klassische Philologie (vgl GA 79 S 63)
184 Ebd
43
Welt bleibt in der Verborgenheit (Αήθη) auf die Weise daszlig diese ihre Ver-borgenheit gerade eine Unverborgenheit gewaumlhrt die Αλήθεια185
Die Αλήθεια haumltte allerdings auch eine Rolle uumlber die subjektive hinaus da nur
durch ihren Vollzug Seinsgeschichte gewaumlhrt wuumlrde Das ist der Anspruch den
Heidegger an sein Auditorium stellt gemeinsam geschichtlich sein zu muumlssen (1)
Die Αλήθεια ist das Geschick des Seins als welches Geschick sich die Fuumllleder Seinsgeschichte in ihre Epochen fuumlgt186
Mit dem Ge-Stell als Wesen der modernen Technik waumlre die Aletheia aller-
dings hochgradig gefaumlhrdet Denn ohnehin waumlre die Aletheia prinzipiell der Ge-
fahr der Vergessenheit ausgesetzt Doch das Ge-Stell haumltte die Kraft die bdquovollende-
te Vergessenheit der Wahrheit des Seinsldquo187 zu vollrichten
Indem das Ge-Stell alles Anwesende in den Bestand bestellt setzt das Ge-Stell das Anwesen des Anwesenden heraus aus seiner Wesensherkunft ausder Αλήθεια188
Diese Versetzung des beteiligten Wesens aus der Moumlglichkeit des Wahrheitsprin-
zips heraus markiert Heidegger dann mit der Schreibweise Seyn (mit bdquoyldquo) Wie
bei dem Vortrag Das Dinglsquo koumlnnen ethymologische Abstammungen sein Sys-
tem anreichern Da wo es um das Wortfeld des Stellens geht Ge-Stell Bestellen
Verstellen ist auch das NachstellenMitglied der Familie
Im Althochdeutschen heiszligt nachstellen fara Das in sich gesammelte Stellenals Nachstellen ist die Gefahr Der Grundzug des Wesens der Gefahr ist dasNachstellen Insofern das Sein als das Ge-Stell sich selbst mit der Vergessen-heit seines Wesens nachstellt ist das Seyn als Seyn die Gefahr seines eigenenWesens189
Damit wuumlrde sich durch die Verringerung der Selbstreflexion im Seyns-Bestand
eine Schwachstelle auftun in die der denkbegabte und aletheiafaumlhige Mensch ei-
ne Moumlglichkeit haben das Seyn zum Sein zuruumlckzuwandeln ndash also wieder in ein
185 GA 79 S 49186 Ebd187 GA 79 S 53188 GA 79 S 52189 GA 79 S 53
44
wesentliches Verhaumlltnis zum bdquoDingldquo zu gelangen in dem das Geviert wieder die
Harmonie herstellt Allerdings faumlnde bis zu solch einer Nachstellung eine Ver-
sieglung des Seynsbestandes statt Und Heidegger beklagt dass die Erreichung der
Ruumlckeroberung des Seins uumlber die Nachstellung nicht stattfaumlnde und stattdessen
die Irre regieren wuumlrde190
In dieser Irre stuumlnde dem Menschen nicht einmal mehr zu zu sterben Denn
bdquoSterben [] heiszligt den Tod in sein Wesen austragenldquo191 Somit waumlren die Opfer
die in den KZs umkamen wie er sie in Das Dinglsquo bereits schildert nicht vermouml-
gend gewesen zu sterben bdquoSie werden Bestandstuumlcke eines Bestandes der Fabrika-
tion von Leichen [] Sie werden in Vernichtungslagern unauffaumlllig liquidiertldquo192
Das vermoumlge die Gefahr zu bewirken Der Mensch wuumlrde des eigenen Sterbens
beraubt da er keine Verbindung mehr zur Wahrheit der Welt haumltte Um den rich-
tigen Tod zu sterben muumlsse der Mensch die Aletheia schauen koumlnnen Insofern ist
Heideggers Prinzip ein religioumls anmutendes Wie in der christlichen Vorstellung
der Mensch im Jenseits an seinen Taten gemessen wird um Paradies oder Fege-
feuer zu besuchen soll nach Heidegger der Mensch waumlhrend des Sterbens mit
sich selbst ins Gericht gehen Er soll sich rein machen vom Ge-Stell der Technik
und dem Seyn um nicht die einmalge Gelegenheit des richtigen Sterbevollzugs
zu versaumlumen Es winken gemaumlszlig des Gevierts die himmlischen Goumlttlichen den
irdischen Sterblichen zu wobei annehmbar ist dass Heidegger Sterblichen die
die Aletheia erkennen einen Goumlttlichkeitsstatus beimessen moumlchte ndash eine Erlouml-
sungsphantasie
Genau diese Erloumlsung waumlre die Technik nicht
Ohne den Schritt des Denkens zu wagen der unser Menschenwesen demWesen der Technik [] aussetzt wuumlrgt man sich von Fall zu Fall von Lagezu Lage durch die Zwiespaumlltigkeiten hindurch Und genau durch dieses Ge-wuumlrge versaumlumt man die Moumlglichkeit dessen was man im Grunde erstrebtdie Technik durch menschliches Tun zu meistern und menschenwuumlrdig zulenken193
190 Vgl GA 79 S 55191 GA 79 S 55192 GA 79 S 56 Weil Heidegger im Judentum die Verantwortlichen fuumlr das Geraffe des Ge-Stells
sieht macht er sie gleichsam verantwortlich fuumlr die bdquoSelbstvernichtungldquo Die Seinsverges-senheit im Tode wird dadurch zum Spin-off der vermeintlich juumldisch erzeugten da machen-schaftlichen KZ-Maschinerie (Vgl GA 97 S 20f)
193 GA 79 S 59
45
Trost und Richtung findet Heidegger schlieszliglich abermals bei den alten Griechen
Das Wort stellenlsquo entspricht dem griechischen ϑέσις vorausgesetzt daszlig wirϑέσις griechisch denken Was heiszligt in diesem Falle griechisch denkenlsquo Esheiszligt darauf achten welche Lichtung desWesens des Seyns in welcherWeisedas Dasein der alten Griechen in den Anspruch genommen hat heiszligt imvoraus bedenken in welchem Geschick welcher Unverborgenheit des Seinsdie Griechen standenldquo194
Das sind Vorstellungen des Neuen Anfangs eine Reminiszenz der griechisch anti-
ken Welt Ein Eintrag aus den Schwarzen Heften von etwa 1945-47 () verdichtet
wie oben bereits aufgezeigt die Phantasie griechisch zu sein zu einem gelingenden
Lebensvollzug
Das reine Wesen des Griechentums dh das Seiende inmitten dessen dieGriechen als seiende fremd gewesen dieses und sie selbst und der Bezug desSeins zu ihnen ndash in der einfachen Wesung von der ἀλήθεια her zeigen underfahren Den μῦθος und λόγος ndash jedes Wort und Gebild rein aber nichterzwungen und schematisch-pedant ndash aus ἀλήθεια erfahren195
Hier zeigt sich auch dass Heidegger per se das Aletheia-Prinzip fuumlr notwendig
hielt um ins Licht der Wahrheit zu blicken Die Griechen sind ihm hier deshalb
Vorbild und rein da sie keiner modernen Technik und dem Ge-Stell ausgesetzt
waren sondern lediglich eine mythopoetische Verbindung zum Sein herstellen
mussten um wesentlich zu sein und Seinsgeschichte zu schreiben Die Dinge und
das Spiegel-Spiel des Gevierts waumlren ihnen geschickt zuhanden gewesen196 Hei-
degger macht schlieszliglich sehr deutlich dass das Griechische zu denken ein bei
weitem anderes Geschaumlft sei als philologische Praumlzision
Ein Echo zu sein naumlmlich dem Anspruch des Seins verlangt eine Sorgfaltder Sprache von der freilich der technisch-terminologische Sprachstil derWissenschaften uumlberhaupt nichts wissen kann Die Intentionalitaumlt der wis-senschaftlichen Sprache ist der staumlrkste Beweis fuumlr ihre Boden- und Heimat-losigkeit [] Das Heimische einer hohen Sprache gedeiht nur im Bereichdes unheimlichen Anspruchs der wesenhaften Stille im Wesen des Seyns197
194 GA 79 S 62f195 GA 97 S 20196 Hingegen waumlre das Judentum verantwortlich fuumlr das Ge-Stell fuumlr das Prinzip der Zerstoumlrung
wie es auf der selben Seite der Schwarzen Hefte darunter heiszligt (vgl ebd)197 GA 79 S 66 Die Bedeutung von Seyn als verstelltes Sein oder Bedingung zum Schauen
des wahren Seins ist verwirrend Einer genaueren Analyse wird aus Platzgruumlnden hier nichtnachgegangen
46
324 Die Kehrelsquo
Der letzte Vortrag ist mit nur neun Seiten der Kuumlrzeste des Vortragsgevierts
Nach dem Verlust des Dinges als Ding und der damit einsetzenden Abstandslosig-
keit als Wesen des Ge-Stells wobei die Gefahr zudem der Vergessenheit des Seyns
nachstellt bietet Heidegger eine Perspektive an
Im Wesen der Gefahr verbirgt sich [] die Moumlglichkeit einer Kehre in derdie Vergessenheit des Wesens des Seins sich so wendet daszlig mit dieser Kehredie Wahrheit des Wesens des Seyns in das Seiende eigens einkehrt198
Diese Moumlglichkeit bedeute nicht dass der Mensch sich der Gefahr selbst stellen
koumlnnte sie waumlre passiv ndash bdquoverbirgt sichldquo Die Kehre werde sich ereignen aumlhnlich
einer Erwartung an den Messias
Die Anwesenheit der Gefahr wuumlrde automatisch die Rettung bergen Denn
Houmllderlin haumltte geschrieben bdquoWo aber Gefahr ist waumlchst [d]as Rettende auchlsquoldquo199
Etwa 1945 notiert Heidegger in seine Schwarzen Hefte bdquoDie Wahrheit erfahren
wir im Gedaumlchtnis Das Gedaumlchtnis ist die Dichtungldquo200 (so) Von dieser War-
te aus ausgestattet mit Erinnerungen an das abendlaumlndische Dichten mit dem
Wissen um das Aletheia-Prinzip und passiv als denkender Huumlter des Seyns solle
der Mensch das Ereignis erwarten das ihn bdquoloumlsen freimachen freyen schonen
bergen in die Hut nehmen wahrenldquo201 wuumlrde (siehe S 43)
Dieses Ereignis waumlre der Blitz Ein unvermittelter jaumlher ploumltzlicher Moment
von kurzer Dauer der bloszlig einen ebenso kurzen Blick auf das wahre Wesen er-
lauben wuumlrde Abschlieszligend ist dies das Rezept gegen die Bestands bestellende
Technik in mythopoetischer Formulierung
So entsprechend ist der Mensch geeignet daszlig er im gewahrten Element vonWelt als der Sterbliche dem Goumlttlichen entgegenblickt Anders nicht dennauch der Gott ist wenn er ist ein Seiender steht als Seiender im Seyn unddessen Wesen das sich aus dem Welten von Welt ereignet202
198 GA 79 S 71199 GA 79 S 72200 GA 97 S 52f201 GA 79 S 72202 GA 79 S 76
47
Wenn Heidegger im Anschluss von der bdquohistorisch-technischen Darstellungldquo re-
det so ist dies die Abwehr der Wissenschaften (auch der Philosophie203) und ein
Appell an die Antirationalitaumlt des Mythos bdquokein historisches Vorstellen der Ge-
schichte als Geschehen bringt in den schicklichen Bezug zum Geschickldquo204
Damit das Blitzen erfahren werde als kurze Wesensschau der Aletheia muumlsse
dem wahren abendlaumlndischen und heimatlichen Ereignis stattgegeben werden Es
sollte nicht wie er 1939 schon in den Schwarzen Heften beschreibt das
kuumlnstliche Licht von Historie und Technik in der weder Mensch noch dieGoumltter weder eineWelt noch die Erde sichtbar werden koumlnnen wo aber dasLebenlsquo von allen den immer noch zu wenigen Meistenlsquo erlebtlsquo wird205
Damit schlieszligt der letzte Vortrag mit einer Erwartung an das Ereignis des Blit-
zens nicht das Erleben der Besinnungslosigkeit (vgl Das Ge-Stelllsquo) Schon 1947
traumlumt Heidegger von solcher Umkehr
Aus der Kehre der Seynsvergessenheit aber ereignet sich das Unumgaumlnglicheden Acker der Welt erst zu pfluumlgen und saatbereit der Sonne und dem Regenund den Voumlgeln des Himmels uumlberlassen206
203 Denn ldquo[e]igentlich denken heiszligt [] die Philosophie verlassen [] beim Sagen des Seinslsquoldquo(GA 97 S 60)
204 Ebd205 GA 95 S 427 Gegen das Erlebnis und Erleben straumlubt sich Heidegger besonders So notiert
er etwa 1939 bdquoZeitalter der Techniklsquo macht gerade die Techniklsquo nicht zum Ziel sondernimmer mehr zum Mittel der besinnungslosen Berechnung [] der Mensch [] das Erleb-nislsquo [] Erleben als der Gefuumlhlsgenuszligldquo (GA 95 S 149) Wie auch bdquoWo beide Historie undTechnik in solcher scheinbaren Gegensaumltzlichkeit verkoppelt sind koumlnnen sie sich zur Foumlr-derung dessen zusammenschlieszligen was einstmals wesentlich die Geschichte des Menschenmitbegruumlndete und was wir die Kunstlsquo nennen Die Historie verschafft [] Anregungenund Vorbilder der Nachahmung die Technik erleichtert [] die Zustellung von Darstel-lungsmitteln und Wirkungsformen [] Gleichwohl ist alles wurzellos [] berechnet und alsErlebnislsquo ausgegebenldquo (GA 95 S 212)
206 GA 97 S 511
48
4 Konklusion
Der umstrittene Philosoph Martin Heidegger hat uumlber die 1930erndash40er Jahre
hinweg eine ausgepraumlgte voumllkisch-nationale und bisweilen radikal-antisemitische
Denkweise entwickelt Dieses Denken fasste er auch auf als Besinnung und stellt
es der Philosophie und Wissenschaft diametral entgegen In Kapitel 2 wird aufge-
zeigt dass sowohl Heideggers Mythologie bereits kritisiert wurde (Adorno Cassi-
rer Meyer) als auch seine Mythopoetik bewundert (Schulz-Nieswandt) Kapitel
3 will daruumlber hinaus aufzeigen wie Heidegger eine eigene Mythologie mytho-
poetisch fruchtbar macht was sich von beiden vorigen Ansaumltzen unterscheidet
und erst mit der Veroumlffentlichung der Schwarzen Hefte ab 2014 nachvollziehbar
wurde
Umso mehr bietet die mythopoetische Verbindung von bdquoDichten und Den-
kenldquo (so) einen antitechnischen Gegenpol Denn Heidegger fasst wie oben ge-
schildert alles Rationale auf als berechnende Bestellung des Bestands im Sinne
der Technik Daruumlber hinaus fordert er mit dem Aletheia-Prinzip (als metapho-
risch gefasstes Ereignis des Blitzens) einen Mitvollzug seiner mythopoetischen
Kontemplation in dem religioumlse voumllkische antike und sprachliche Motive zu-
sammenfallen
Obwohl schon von Heidegger selbst nicht mehr als Philosophie betrachtet
hat seine Rede vom Ding dem Ge-Stell dem Wesen der Technik und der Kehre
noch immer einen bedeutenden Einfluss auf die Technikphilosophie So betont
Alfred Nordmann in bdquoWerkwissen oder How to express things in worksldquo (2008)
dass Heidegger mit Das Dinglsquo eine Art Dingwissen geschaffen haumltte In seinem
2012 erschienenen Aufsatz Another parting of the ways Intersubjectivity and the
objectivity of sciencersquo207 geht Nordmann ein weiteres Mal auf Heideggers Ding
ein Dieses waumlre eine Abarbeitung an dem Ding Kants womit auch Nordmann
Heidegger als einen Interpreten Kants versteht208 Anschlieszligend anMichael Fried-
207 Nordmann Alfred Another parting of the ways Intersubjectivity and the objectivity ofscience In Studies in History and Philosophy of Science 43 (2012) 38ndash46
208 Die Auseinandersetzung mit dem Ding wuumlrde nach Nordmann in Heideggers GA mit demText Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalen Grundsaumltzenlsquoeinsetzen (GA 41 Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalenGrundsaumltzen)
49
man spricht sich Nordmann ebenso dafuumlr aus dass Heidegger neben Rudolf Car-
nap und Ernst Cassirer eine neokantianische Philosophie verfolgt haumltte (siehe
Kap 1)209
Nach Nordmann haumltte Heidegger in seinen anschlieszligenden Gedanken uumlber
das Ding als Fortfuumlhrung Kants als erster Wissenschaft als angewandte Techno-
logie verstanden210 Diese Interpretation stuumltzt sich auf die gleichen Symbole
Metaphern und Mythen die die vorliegende Arbeit analysiert Das Ge-Stell ist
insofern aumlquivok mit dem Begriff techno-science Jedoch sind in dieser Fruchtbar-
machung von Heideggers Denken der Technik dessen nationalistischen rassisti-
schen und antisemitischen Implikationen die die vorliegende Arbeit als Zentrum
dessen Philosophie ermitteln konnte noch nicht beachtet worden koumlnnen211
Andreas Luckner webt Heideggers Ding-Entwurf weiter als verantwortliches
Sorgen um die Dinge212 Er geht dabei mit Heidegger voumlllig konform und tritt
eher als eine Art Bote der Ding-Botschaft auf als diese moumlglicherweise zu kriti-
sieren was sich diesen Artikel wie ein Kapitel aus einem Studienbuch lesen laumlsst
Der Darmstaumldter Technikphilosoph Christoph Hubig ist vor allem Kritiker Hei-
deggers Argumentationen laumlsst aber zuweilen diverse Topoi aus dem Werk des
Technik-Denkers durchscheinen ohne sie weiter zu reflektieren
So konstatiert Hubig Heidegger verfehle in dessen Auseinandersetzung mit
Aristoteles Lehre von der Poiesis zum Punkt der Sicherung wie sie in Die Frage
nach der Techniklsquo behandelt wird bdquodie operative Seite des Technischenldquo bei Aris-
totels213 In einem spaumlteren Aufsatz allerdings stuumltzt er sich ohne weitere Erlaumlute-
rungen auf Heideggers Begriff der Sicherung aus Die Frage nach der Techniklsquo214
209 Diese Befriedung paradigmatischer Umstaumlnde wird hier nicht geteilt Eine weitere Bearbeitunglaumlsst der Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht zu
210 Vgl Nordmann Another parting of the ways S 45211 Der Aussage dass Heideggers Ding-Begriff kantianisch waumlre muumlsste einer gezielten Untersu-
chung unterzogen werden genau wie die Behauptung insgesamt dass Heidegger oder inwie-weit dieser noch der suumlddeutschen Kantschule des 1920 Jahrhunderts angehoumlrte
212 Vgl Luckner Andreas Ding und Bestand Heidegger und das Wesen neuzeitlicher TechnikIn Gamm G Gehring P Hubig C Kaminski A und Nordmann A Ding und SystemS 15-30 hier S 29
213 Hubig Christoph Die Kunst des Moumlglichen Technikphilosophie als Reflexion der MedialitaumltBielefeld 2006 S 103
214 Vgl Hubig Christoph Technik als Medium In Grundwald Armin (Hg) Handbuch Tech-nikethik Stuttgart 2013 S 118-123 hier S 118
50
Dabei versteht Hubig Heideggers Betrachtungen zum Umgang mit der Technik
als gelassen
Fuumlr Heidegger liegt die Andersheit im Entbergen einer Wahrheit des Seinseines Geschicks von dem die Entwicklung der Technik hin zum Gestellkuumlnde Er verbindet dies mit dem Appell jenseits des rechnenden und si-chernden Vorstellens technischer Vollzuumlge als handlungsleitender Program-me sich gelassenlsquo dieser Entwicklung zu uumlberantworten und ein Seinlsquo zuhuumlten das sich als solches eben entbirgt Das Rettendelsquo dieser Einsicht lie-ge darin dass unsere individuelle Endlichkeit insofern transzendiert wirdals sie sich dem sie uumlbersteigenden Prozess aufschlieszligt und sich selbst relati-viert215
Wovon in diesem Zitat nicht die Rede ist ist der Mitvollzug der mythopoe-
tischen Rahmenbedinungen die Heidegger einfordert und an dem die Konzep-
te Abendland und voumllkische Tradition haumlngen In dieser Arbeit wird davon aus-
gegangen dass Heideggers Technikphilosophie-erzaumlhlung sich nicht von seinen
Absichten der Bekaumlmpfung des Technischen loumlsen laumlsst Die Relativierung ist in-
sofern nicht an den Prozess gebunden und damit emergent auf alles hin ausge-
richtet was kommen mag sondern houmlchst konvergent in einer Besinnung auf
Mythen von dem Ding und dem Geviert mit all deren Valenzen aus dem vorlie-
genden Heideggerschen Textkorpus Die individuelle Endlichkeit ist genoumltigt die
Heimat und das Abendland zu kennen und im Aletheia-Prinzip umzusetzen
Die Neubewertung der bislang bekannten Heideggerschen Technikphiloso-
phie von vor den SchwarzenHeften ist ein dringendes Desiderat Voumllkisch-nationale
Gruppierungen erstarken momentan in ganz Europa und es koumlnnte sehr hilfreich
sein aumlhnliche Denkstrukturen aufzudecken so wie sie zwischen den 1930er und
40er Jahren entwickelt wurden Zusaumltzlich muss das Werk Heideggers einer kriti-
schen Revision schon aufgrund der niemals von ihm behandelten Antisemitismen
unterzogen werden Heidegger hat nie zu diesen Stellung bezogen
Daruumlber hinaus ist das Thema Mythos und Philosophie ein weiterhin not-
wendiger Bereich der philosophischen Forschung In einem Bereich auszligerhalb
der exakten Wissenschaften und ohne klare theologische Tradition ist die Philo-
215 Hubig Die Kunst des Moumlglichen S 140
51
sophie beides sowohl Aufklaumlrer und antimythisch als auch Quelle fuumlr mythisches
Denken und affektierende Motive
52
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56
Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
Der Unterzeichner versichert dass er die vorliegende Bachelorarbeit selbststaumlndig
verfasst und keine anderen als die von ihm angegebenen Hilfsmittel benutzt hat
Die Stellen der Arbeit die anderen Werken dem Wortlaut oder dem Sinne nach
entnommen sind wurden in jedem Fall unter Angabe der Quellen (einschlieszliglich
des World Wide Web und anderer elektronischer Text- und Datensammlungen)
kenntlich gemacht Dies gilt auch fuumlr beigegebene Zeichnungen bildliche Dar-
stellungen Skizzen und dergleichen
Darmstadt 25 April 2016
__________________________
(Eigenhaumlndige Unterschrift)
- Abkuumlrzungsverzeichnis
- Danksagung
- Einleitung
- Heideggers mythopoetisches Programm
-
- Zu den Begriffen Mythos Mythologie und Mythopoetik
-
- Ein Beispiel fuumlr ein Mythologem
-
- Heideggers Mythen
-
- Formen der Mythologie
-
- Heideggers mythopoetische Technik
-
- Zur Publikationsgeschichte von den Bremer Vortraumlgen 1949
- Die mythopoetische Spiegelung der Schwarzen Hefte
-
- Das Dinglsquo
- Das Ge-Stelllsquo
- Die Gefahrlsquo
- Die Kehrelsquo
-
- Konklusion
- Literaturverzeichnis
- Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
-
16
Dinge von der Kunst als Schoumlpfung als Lichtung des Seins zur Wahrheit unter-
scheidetldquo58 Houmllderlins Goumlttliches waumlre darin vermisst und von Bedarf fuumlr den
Menschen Mit der Nomenklatur der griechischen Goumltter Houmllderlins und Ottos
ginge es beim Wahrheitsprinzip um bdquodie Erinnerung an Dionysos als der wie-
der kommende Gott []ldquo sie bdquofuumlhrt zur Lichtung des Seins als Wahrheitldquo59 Der
Mensch waumlre also Hirte seines Seins nicht Herr der Technik zum Sein bdquoDas Sein
ist den Menschen nicht technisch verfuumlgbar Die notwendige Einkehr wird zu
Heimkehrldquo60
Insofern zeichnet Schulz-Nieswandt ganz in Heideggers Sinne nach wie Hei-
mat und Irrationalitaumlt des Mythos zusammenfallen im Kanon der Goumltter-Mytho-
poetik Zum einen ist allerdings Heideggers Mythologie nicht so sehr an diese
Mythopoetik uumlber die Goumltter gebunden sondern bewegt sich frei im eigenwil-
ligen Auslegen von altgriechischen und deutschen Begriffen Zum anderen ist es
erstaunlich dass Schulz-Nieswand 2014 die Bedeutung der Mythopoetik fuumlr Hei-
deggers Ursprungsmythos des neuen Anfangs ignoriert und damit auch die gan-
ze voumllkisch-nationale Aura und damit die Abgrenzungspolitik Vor allem aber
richtet sich Heidegger nicht in einer bdquoliebevollen Gestaltungldquo menschlich ein
wie Schulz-Nieswandt es schon pathetisch darstellt sondern befeinded sich mit
allem ihm Zuhandenen als bdquoRaprochementldquo61 in alle Richtungen und pocht auf
bdquogeschichtliche Besinnungldquo als bdquoAuftrag des Deutschenldquo62
221 Formen der Mythologie
Mit den zwei oben herangezogenen Arbeiten uumlber Mythologisieren und Mytho-
poetik Heideggers sollte in dieser Arbeit das Verstaumlndnis seines Projekts der an-
tirationalen und antitechnischen Ausrichtung in den aktuellen Forschungsstand
gestellt werden Um welche Mythologie es sich in den Schwarzen Heften handelt
wird im Folgenden aufgedeckt werden Bereits in dem ersten Heft der Denktage-
58 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei WalterF Otto S 58
59 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei WalterF Otto S 59
60 Ebd61 Wolin Richard Heideggers bdquoSchwarze Hefteldquo Nationalsozialismus Weltjudentum und Seins-
geschichte In Vierteljahrsheft fuumlr Zeitgeschichte Bd 63 Heft 3 S 379-41062 GA 94 S 66
17
buumlcher verschmilzt Heidegger seine Vision von Dichten und Denken stellt sich
unter dieses Ideal
Dichten undDenken ineinander geschlungen und so waumlre ihrWas im verbindend-trennenden Bestimmen gewonnen63
Als bdquoAusgriff in den Begriffldquo versteht Heidegger dies als bdquovorschreibend-bildenden
Entwurfldquo der hinfuumlhrend zum Ereignis des Aletheia-Prinzips waumlre ndash
(Dichtung als Mythos
Dichtung als Dichtung im engeren Sinne gtgtGedichtltlt
Dichtung als Philosophie)64
Grundsaumltzlich ist die lose wirkende Legion von Lemmata nicht mit einer
Ruumlckfuumlhrung seiner Gedanken auf bestimmte griechische Goumltter und antike (ech-
te) Mythen besetzt Heidegger fetischisiert Begriffe und mythologisiert die von
ihm aufgepfropfte Bedeutung durch ein staumlndiges Wiederholen und Weiterden-
ken als bdquoWissenldquo wie Meyer es herausgearbeitet hat In dieser philosophischen
Alchemie sieht sich Heidegger als Denker als Bewahrer einer uralten Lehre die
eben neu widererstarken muumlsse Das hat Meyer auch schon klar gemacht Die My-
thopoetik erscheint aber hauptsaumlchlich nicht in den Schwarzen Heften sondern in
den Vortragspublikationen sich auf seine private Mythologie beziehend die in
den Schwarzen Heften zu Grunde gelegt wird
Die Mythen Heideggers drehen sich wie Meyer zurecht behauptet um den
Ursprung bei den Griechen den bdquoGrund der Geschichte des Abendlandesldquo65
Aber auch um die vielen Binaritaumlten die sich entgegengesetzt werden und tat-
saumlchlich wie der Heidegger-Herausgeber und Initiator und Leiter des Wupper-
taler Heidegger Instituts Peter Trawny es benannt hat auf einen Manichaumlismus
zulaufen66 Die Abgrenzungspolitik im Sinne des schuumltzenswerten abendlaumlndisch-
heimatlichen Deutschlands richtet sich gegen den inneren Feind vorangetrieben
63 GA 94 S 6564 GA 94 S 6665 GA 96 S 20566 Trawny Peter Heidegger und der Mythos der juumldischen Weltverschwoumlrung Frankfurt am
Main 2015 S 22Das hier aufgefuumlhrte Buch birgt einige problematische Umformungen zum Verhaumlltnis von
Heideggers Antisemititsmus Allem voran versucht es eine Begriffsbildung zu formen nach
18
von der Rechenhaftigkeit des juumldischen Wesens und die aumluszligeren Feinde wie Ameri-
kanismus franzoumlsische Kultur russischer Bolschewismus usw Heideggers Urmythos
vom neuen Anfang ist verquickt mit einem selbstangedichteten Personenmythos
was ebenfalls Meyer schon erkannt hat Dieses Schema ist die Grundstruktur
Immer deutlicher wird in mir die Ahnung daszlig unsere Heimat der Kerndes suumldwestdeutschen Landes [er selbst DS] der geschichtliche Geburtsortdes abendlaumlndischenWesens sein wird [] es ist das Geistvolle und zugleichdas erdenhafte schoumlne Land Es birgt unsichtbaren Reichtum dem Gemuumltbewahret tiefstes Dichten und houmlchste Gestalt der Sage67
Die mitunter wichtigste Dichotomie die Heidegger in den Denktagebuumlchern
aufwirft ist die zwischen Historie und Geschichte Es ist insofern nicht nur der
Mythos des neuen Anfangs der Heideggers Denken uumlber fast zwei Dekaden be-
stimmt sondern umso mehr die doppelte Projektion ndash des Verfalls (Machenschaft)
in eine Konstruktion von Historie und des Bestehens (Sein) in die konstruierte
Geschichte68 Geschichte faumlllt dann schlieszliglich mit der Schaffung des neuen An-
fangs so zusammen wie Historie mit Technik verschraumlnkt wird Geschichtlichkeit
muss durch das Prinzip des Ereignisses der Aletheia prozessiert werden waumlhrend
die verrationalisierte wissenschaftliche technische Historisierung des Lebens und
der Lebenswelt dem widerstrebt
Die Bindung von Heideggers Vorstellung des richtigen Lebens im Sein mit
demAbendland und einer voumllkisch-nationalen Groumlszlige undUumlberlegenheit Deutsch-
lands ist dabei ausschlaggebend Denn mit der Charakterisierung des Guten auf
derer Heideggers Antisemitismus mittels Heideggers Denkmethode behandelt aufgehobenwerden koumlnnte Die Hauptbegriffe darin sind bdquoSeinsgeschichtlicher Antisemitismusldquo undbdquoKontamination des Denkensldquo Von einer tieferen Auseinandersetzung muss an dieser Stelleabgesehen werden
67 GA 97 S 5468 In Band 66 der GA gibt es bereits einen kleinen Abriss der Historie und Techniklsquo die der Ge-
schichte gegenuumlbergestellt werden Das dies eine Uumlbertragung der Gedanken aus den Schwar-zen Heften ist ist ohne Zweifel Ein ansatzweise philosophisches Vorgehen vermengt sichdort mit dem poeto-mythologischen Denken Heideggers In Sachen mythopoetischer Figu-ren undMetaphernreichtum haumllt sich dieser dort aber noch zuruumlck (auch wenn er hier bereitsoumlffentlich vom bdquohistorischen Tierldquo redet) Die Absicht Technik und Historie als Verstellungdes abendlaumlndischen Menschen zu brandmarken stehen dabei im Vordergrund Weiterhinsoll in dieser Arbeit allerdings der Fokus auf den Schwarzen Heften und der Mythopoetik inden Technikvortraumlgen der Nachkriegszeit liegenDer Duden sieht Geschichte und Historie als Synonyme Von einer Ethymologie und der
Spekulation von Heideggers Gruumlnden der Auseinanderhaltung der zwei Synonyme soll hierabgesehen werden
19
der Seite des Seins sind die Feinde dessen eine Notwendigkeit seines Erklaumlrungs-
schemas Dabei sind es vor allem die Juden denen die Wurzel des Antiseien-
den von Heidegger in ihr vermeintliches Wesen geschrieben wird Exemplarisch
spricht dafuumlr dieses Zitat aus Band 96
Die zweite Machtsteigerung des Judentums aber hat darin ihren Grund daszligdie Metaphysik des Abendlandes zumal in ihrer neuzeitlichen Entfaltungdie Ansatzstelle bot fuumlr das Sichbreitmachen einer sonst leeren Rationalitaumltund Rechenfaumlhigkeit die sich auf solchem Wege eine Unterkunft im Geistlsquovarschaffte ohne die verborgenen Entscheidungsbezirke von sich aus je zufassen zu koumlnnen69
Diese Vorstellung ist eine Konkretisierung dessen was Heidegger mit den Uumlber-
begriffen Historie vs Geschichte einige Jahre vorher begann zu topografieren
Wir sind durch die Historie geschwaumlcht [] ndash wir koumlnnen nur durch das ge-rettet werden was uns in seiner Verfaumllschung widert ndash durch die Geschich-te70
Dieses bdquoWirldquo sind die glorifizierten Deutschen vor allem nach der Ableitung von
den Griechen uumlber Houmllderlin (und dessen Griechen) und Nietzsche zu ihm und
seinem kleinen Kreis von ihm anerkannter Intellektuellen-Kollegen wie etwa
Carl Schmitt Oswald Spengler Walther F Otto und Ernst Juumlnger Die Luft auf
Heideggers Denker-Olymp ist duumlnn und bekommt nur Wenigen
Die Geschichte in Heideggers solipsistisch-immanenten Nachdenken erklaumlrt
sich wie gesagt immer zusammen mit der Hoffnung auf den neuen Anfang und
als Besinnung auf das Denken als Akt gegen die Historie Die Paarung der zwei
Woumlrter bdquoGeschichteldquo und bdquoBesinnungldquo durchzieht in deutlicher Haumlufigkeit alle
vier Baumlnde der Schwarzen Hefte ndash bdquogeschichtliche Besinnung [] ist die Uumlberwin-
dung der Historie und des Historismusldquo und sie bdquobedarf der houmlchsten Strenge
hinter der die historische Exaktheitlsquo weit zuruumlckbleibtldquo ndash somit ferner bdquonur wer
Geschichtemacht vermag sie auch zu errettenldquo71 Das oben mit Meyer und Schulz-
69 GA 96 S 4670 GA 94 S 26771 GA 94 S 358f
Dass die Besinnung eine militante Perspektive hat laumlszligt sich auch in Heideggers Vereh-rung Heraklits ldquoDer Krieg ist der Vater aller Dingerdquo finden Heidegger sah sich selbst alsDenker als Propheten des Seins Aus dieser Warte betrachetete er zuerst den Nationalsozia-
20
Nieswandt bereits aufgezeigte Bereiten des Goumlttlichen legt Heidegger in seinen
Begriff der Geschichte
Geschichte ndash das Gewagtwerden der Goumltter nur Groszlig als Untergang oderSieg ndash nicht Dauerlsquo wesentlich ndash sondern die Abgruumlndigkeit der Erstrei-tung ndash Opfer und Weile
Historie ist bei Heidegger bdquogeschichtliche Entwurzelungldquo die bdquoTyrannei der
Technikldquo bdquoSelbstvergoumltterungldquo und bdquoAbgoumltterei der Technikldquo72 In einer skizzen-
haften Emanationsfolge wird dieHistorie als Modus der Technik auf sich selbst zu-
ruumlckgefuumlhrt bdquoDas Riesige ndash [] Historie die Technik der Geschichtelsquo Technik
Die Historie der Naturldquolsquo73 Es ist vage annehmbar dass Heidegger hier die Tech-
nik als rechenhafte machenschaftliche Historisierung der Natur versteht die vor
dem Geschichtsbegriff stattgefunden haumltte Diese wiederum haumltte die Geschichte
in die rechenhafte Machenschaft verfremdet Wie ein Apparat erscheint Heidegger
der Gegenstand seiner Historie zu sein die sich automatisch durchsetzen wuumlrde
Die Historie stellt zunaumlchst das Nacheinander der Begebenheiten dessenwas vorbeizieht (passiertlsquo) her [] Sie erklaumlrt dann Spaumlteres aus dem Fruuml-heren sie findet sogar dass Ideen die Geschichtelsquo bestimmen74
Den historisierend narrativen Umgang mit Geschichte als Wissenschaft emp-
findet Heidegger als Technisierung derGeschichte Diese wiederum basiert auf den
statischen Topoi seiner Mythen von Vaterland Bauerntum Houmllderlin alten Grie-
chen den Goumlttern etc und der Anwendung des Aletheia-Prinzips im Ereignis
Das ist ein Tugendenkatalog der Deutschtuumlmelei mit einer paumldagogischen Kom-
ponente seine Mythologie im Aletheia-Prinzip zu praktizieren Er nennt dieses
Geschaumlft auch Denken und ahnt dessen Feinde bdquodie Forscher die in der Technik
ihres Arbeitens keine Reibung dulden und ihr Wissen fuumlr den Geist haltenldquo75
lismus und nach dem Krieg den real existierenden Sozialismus des Ostblocks im Zuge deratomaren Aufruumlstung als Vollstrecker Macher der Geschichte die den neuen Anfang ebnensollten Dass Heidegger diese bdquoklaumlrendeldquo Wirkung tatsaumlchlich spaumlter den Russen zuschreibtlaumlszligt sich in Band 97 der GA zweifelsohne nachvollziehen Hier kann aus Gattungsgruumlnden(BA-Thesis) nicht naumlher auf dieses Faible fuumlr absolutistische Regime eingegangen werden Je-denfalls ist die geschichtliche Besinnung und der Kriegsakt ein Widerspruch den Heideggerjedoch gleichsam adressiert Auch dies kann hier nicht weiter untersucht werden
72 GA 9473 GA 95 S 35174 GA 96 S 6275 GA 97 S 509
21
Insofern verschraumlnkt Heidegger das bdquohistorisch-technischeldquo zum Antagonis-
ten der bdquogeschichtlichen Besinnungldquo Es ist die Entwicklung einer historisch-
geschichtlichen Differenz unter dem Zeichen der Besinnung gegen die techni-
sche Machenschaft ndash es geht um zwei unterschiedliche Wissenssysteme76 In den
Schwarzen Heftenwird Technikmeistens als eine Seite der Muumlnze mit der anderen
der Historie genannt Sie haumltten eine schon angedeutete dualistische Dynamik
Wo beide Historie und Technik in solcher scheinbaren Gegensaumltzlichkeitverkoppelt sind koumlnnen sie sich zur Foumlrderung dessen zusammenschlieszligenwas einstmals wesentliche die Geschichte des Menschen mitbegruumlndet undwas wir die Kunstlsquo nennen Die Historie verschafft [] Anregungen undVorbilder der Nachahmung die Technik erleichtert [] die Zustellung vonDarstellungsmitteln und Wirkungsformen [] Gleichwohl ist alles wurzel-los [] berechnet und als Erlebnislsquo ausgegeben77
Diese vermeintliche Gefahr muumlnde als bdquoZuumlgellosigkeit des Historismusldquolsquo in der
bdquoBodenlosigkeit [] (das Judentum)ldquo78 Heideggers Mythos ist hier dieser bdquoWir
muumlssen zuvor geschichtlich sein [] Ohne diese uumlberlieferung verfaumlllt alles der
historisch-technischen Machenschaftldquo79
Heidegger mythologisiert uumlber den bdquoAuftrag des Deutschenldquo80 will in bdquoge-
schichtlicher Besinnung sehr weit zuruumlckgehen ndash auf den Zusammenhang von
τέχνη ἀλήθεια und οὐσίαldquo81 um Technik auf ihr Wesen im antiken Ursprung
zuruumlckzufuumlhren bdquoDie techne hat [] den Sieg uumlber die [] aletheia errungenldquo82
Heidegger will sie zuruumlckgewinnen Er will der Technik aus dem bdquoEreignisldquo83
wieder uumlbermaumlchtig werden und sieht das bdquoWesen des Vaterlandesldquo84 im Abend-
land Dabei ist es ihm unentbehrlich zu wissen bdquodaszlig das Griechentum [] und
76 Heideggers noch immer vorhande Rezeption in Puncto seiner Technikphilosophie erstauntdamit dass sein Prinzip der aletheiologischen Besinnung als alternatives Wissenssystem undTechnikkritik ob der eigenwilligen Konstruktion den Entwicklungen der Zeit standhaumllt
77 GA 95 S 21278 GA 95 S 9779 GA 96 S 10480 GA 94 S 6681 GA 94 S 35782 GA 95 S 13283 Ebd84 GA 96 S 52
22
nicht das Roumlmertum der Grund der Geschichte des Abendlandes istldquo85 Sein My-
thos von Heimat verknuumlpft sich uumlber Dichtung und Ereignis zu einem fuumlr die
Technikphilosophie essentiellen Bezugs-Topos
Wir brauchen keine Technik [] Das Wesen des Vaterlandes ist das Abend-land In ihm werden die Deutschen erst deutsch und erkennen die Muttervon Allem die unversehrte Erde [] Die Wahrheit erfahren wir im Ge-daumlchtnis Das Gedaumlchtnis ist die Dichtung Die Dichtung sagen der Denkerund Saumlnger in ihrem Gespraumlch Dieses Gespraumlch erst ereignet dichterisch dieDichtung in die Sprache (die Dichtung das Ereignis und das Ereignis dasAbendland) [] Wohnt in seiner Sprache [] seyd dem Seyn im Seyn Soist Sein das Seyn86
Eine weitere mythologische Form haben seine Fuumlgungen von Jahreszahlen
womit er bereits in den Bereich des Okkulten Mystischen abzurutschen droht
Houmllderlin wurde [] 1770 geboren [] 1870 aber Lenin Waumlhrend der []Lebenszeit Houmllderlins vollzogen sich die entscheidenden technischen Entde-ckungen und Erfindungen der neuzeitlichen Technik (1774ndash1806)87
Und ferner bdquo1807 Phaumlnomenologie des Geistes 1867 Das Kapital 1927 Sein
und Zeitldquo88
Als letzter Mythos sei hier sein Aufgriff der Spenglerschen Metapher des
Raubtiers89 aufgezeigt Uumlber weite Strecken philosophiert Heidegger uumlber das his-
torische Tier Das historische Tier muumlsse vernichtet werden die bdquodeutsche Zukunft
wirdlsquo nicht erst seinlsquo sie istlsquo schon seit Houmllderlin sie stifteteldquo90 Der Homo
faber ist fuumlr Heidegger das historisch-technische Tier qua der bdquoAngewiesenheit auf
das Tierhafte als Wesensgrundldquo91 Es fehle ihm was bdquodie Griechen als Anfangen-
deldquo mit der bdquoZugewiesenheit des Menschen zum Sein gewagt habenldquo92 wodurch
85 GA 96 S 20586 GA 97 S 52f Hierbei handelt es sich um eine Nachkriegsnotiz Heidegger aumlnderte den die
Adressierung in eine direkte Ansprache richtet sich an seine imaginierte Volksgemeinschaft87 GA 96 S 17488 GA 97 S 131 Womoumlglich ist es eine Uumlbung per Jahreszahlen das Aletheia-Prinzip zu prakti-
zieren eine Kontemplationshilfe Andererseits koumlnnte er auch der Regelmaumlszligigkeit der Zah-lenfolgen eine uumlbernatuumlrliche bdquoWahrheitldquo beimessen Dies bleibt an dieser Stelle unerforscht
89 VGl Spengler Oswald Der Mensch und die Technik Muumlnchen 1931 S 1090 GA 95 S 19791 GA 95 S 32092 GA 95 S 321
23
er den bdquoGoumlttern unertraumlglich gewordenldquo93 waumlre Das bdquoRaubtierldquo dem gegenuumlber
bdquoist die Urform des Heldenlsquoldquo94 Dann behauptet Heidegger dass das Raubtier das
historisch-technische Tier durch Anwendung seiner eigenen Waffen schlagen koumlnn-
te Es ist dabei die bdquoUumlberwindung der Metaphysikldquo mitgedacht die erfolge sobald
sich das metaphysische Fragen durch den Wille zum Willen verfestigt95 Auch
Spengler dachte an dieses Derivat des Nietzsche Topos vomWillen zur Macht das
er seiner antropomorphen Chimaumlre vom Raubtiermenschen eingibt Wieder ist
von der Gewalt die Rede die ein Tabula rasa schaffen sollte zur Wiederauferste-
hung des griechisch-abendlaumlndischen Anfangs in Deutschland bdquoDas Raubtier aber
mit denMitteln der houmlchsten Technik ausgestattet ndash vollendet die Verwirklichung
der brutalitas des Seinsldquo96
Es scheint so als haumltte Heidegger auf jeden Begriff einen Gegenbegriff (selbst
zum historisch-technischen Tier das Raubtier)97 Aber es geht hier nicht um die
Analyse ausgewogener Formprinzipien oder die Kritisierung seiner linguistischen
philologischen Faumlhigkeiten Die Zitierung der Heideggerschen Mythologie soll
seine Verbindung von voumllkisch-nationaler und antisemitischer Haltung mit den
Bedingungen und Anspruumlchen seines Philosophierens aufzeigen Da die Schwar-
zen Hefte wie alle sonstigen Werke seines philosophischen Schaffens in der GA
erschienen sind muumlssen sie insofern als Teil derer gelten Das bedeutet dass sie
ausreichend Relevanz fuumlr die Arbeiten uumlber die Technik haben98
93 GA 95 S 23694 GA 95 S 39795 Vgl GA 7 Uumlberwindung der Metaphysik S 7896 GA 95 S 39797 Vgl Rudolph Heideggers Schwarze Hefte im Echo S 151 bdquoKeiner hat Nietzsche so konse-
quent und wahnwitzig zumNazi avant la lettre verformt wie Heidegger und keiner hat einenzuvor gewaltsam gefuumlgig gemachten Nietzsche so konsequent instrumentalisiert um damitdie vulgaumlr- nationalistische Dekadenz im Sandwich zu geiszligeln wie Heidegger Die Philolo-gie ndash auch die klassische ndash (Colli Cancik Montinari) hat Nietzsche inzwischen laumlngst mitnachhaltigem Erfolg rehabilitiert Wer jetzt noch einen roten Faden von Nietzsche zu Hitlerzieht hat nur noch Heidegger auf seiner Seiteldquo
98 Zum Abschluss dieses Kapitels sei hinzugesagt dass der Veranschlagung der Beispiele vonHeideggers Mythologie ein Exzerpt von 13 Seiten aus 1700 Seiten Text der vier Baumlnde derSchwarzen Hefte zugrunde liegt Beim Studium dieser fielen die staumlndigen Repetitionen derimmer gleichen Figuren und Metaphern auf Daraus wurde geschlossen dass es sich um eineMythologie handeln kann was ein weiteres Forschen bestaumltigte Die hier zitierten Stellensind Topoi die sich in Huumllle und Fuumllle in jedem der vier Baumlnde finden lassen was ihrenmythischen Charakter unterstreicht Die Auswahl versucht ein besonders charakteristischesBild wiederzugeben
24
3 Heideggers mythopoetische
Technik
War Heidegger von seinem neuen Anfang nur zu traumlumen vergoumlnnt so gelang
ihm selbst aber die Wiederauferstehung aus der Asche des ZweitenWeltkriegs mit
der Vortragsreihe in Bremen (1949) uumlber die Technik Der Phoumlnix erweist sich
mittlerweile als Ikarus Anstatt sich selbst zu revidieren fordert Heidegger eine
Kehre ein die auf sein Programm der geschichtlichen Besinnung zum Ursprung ab-
zielt Rezipienten seiner Technikphilosophie taten zumeist seine voumllkischen und
nationalsozialistischen Verstrickungen mit der Niederlegung des Rektorats ab99
Sie glaubten an einen inneren Wandel Heideggers eine Laumluterung und sogar an
seinen geistigen Widerstand uumlber die Naziherrschaft hinweg100 Heute ist erwie-
sen wie Heidegger es aus seinem posthumen Gestaumlndnis in die Welt lecken laumlsst
dass er auf seine private Weise eine Form Nationalsozialismus hegte der die NS-
DAP und Hitler zwar als Vulgaumlrnazis kulturell degradierte aber sich selbst als
Denker-Nazi gerierte
Wie damit umzugehen ist steht aktuell in der Verhandlung Wie Rudolph es
behauptet stuumlnden die Heideggerianer bdquonun mit wertlosen Aktienldquo101 da Der
Kommunikationswissenschaftler Christian Fuchs sieht den Antisemitismus den
die Schwarzen Hefte zutage treten lassen als Notwendigkeit einer rigorosen Ver-
bannung Heideggers aus der technikphilosophischen Theorie102
99 Vgl Luckner Andreas Heidegger und das Denken der Technik Bielefeld 2008 S 64-69100 Vgl Babich Babette Nietzsche Heideggers Widerstand In Alfred Denker u Holger Zabo-
rowski (Hg) Heidegger-Jahrbuch 5 Heidegger und der Nationalsozialismus II Interpreta-tionen S 397-416
101 Rudolph Heideggers Schwarze Hefte im Echo S 146102 Vgl Fuchs Christian Martin-Heideggerrsquos anti-Semitism Philosophy of technology and the
media in the light of the ldquoBlack Notebooksldquo Implications for the reception of Heidegger inmedia and communication studies In tripleC Communication Capitalism amp Critique 13(1) (2015) S 55-78 hier S 74 Anstatt dessen pocht Fuchs auf die alternative Verwendungder Kritischen Theorie uumlber Fragestellungen zur Technik
25
It seems to me that Heideggerrsquos fetishism is often lrsquoart pour lrsquoart Heideg-ger pour Heidegger a tactic that aims at creating an aura of complexity byevoking Heidegger although the same content could be expressed withouthim103
Fuumlr Trawny waumlre dies ein bdquoperformativer Widerspruch [] stets daran zu erin-
nern Heidegger vergessen zu sollenldquo104 Quo vadis Heidegger
Die objektive Antwort Rudolphs der an den Commonsense und die Beweis-
last der Anklage glaubt wie auch der subjektive Appell Fuchs der es zur mora-
lischen Entscheidung des Einzelnen macht Heidegger zu vernachlaumlssigen setzen
aktuell die Jahrzehnte alte Tradition der Heidegger-Kontroverse fort Ein im Sep-
tember 2016 erscheinender Sammelband wird zusaumltzlich die Debatte mit neuen
Bewertungen anreichern105
In diesem Kapitel soll es nicht um die direkte Einreihung in eine der bestehen-
den Polemiken gehen sondern um den Versuch der Betrachtung der spaumlten Tech-
nikphilosophie Heideggers als mythopoetische Dichtung in seinem Sinne des
Philosophierens Als exemplarisches Werk ruumlckt damit das Vortrags-Geviert der
Bremer Vortraumlge ins Zentrum der Anschauung106 Hier wird davon ausgegangen
103 Ebd S 73104 Trawny Heidegger und der Mythos der juumldischen Weltverschwoumlrung S 141105 Heinz Marion und Kellerer Sidonie (Hg) Martin Heideggers raquoSchwarze Heftelaquo Eine
philosophisch-politische Debatte Berlin 2016 (im Druck) Aus dem Klappentext diesesTitelsbdquoOffene antisemitische Aumluszligerungen in diesen Denktagebuumlchern haben in der nichtakade-
mischen Oumlffentlichkeit fuumlr Empoumlrung gesorgt Die entscheidende Frage ist jedoch welcheVeraumlnderungen der Perspektive auf Heideggers Denken insgesamt sich dadurch ergebenund ob damit zugleich eine Neubewertung des Gesamtwerks eines der einflussreichstenPhilosophen des 20 Jahrhunderts noumltig istldquoEine der Herausgeberinnen des Bandes Sidonie Kellerer ist zudem an einem anlaufenden
fuumlnf jaumlhrigen Forschungsprojekt an der Universitaumlt Stuttgart im Rahmen des StuttgartResearch Centre for Text Studies beteiligt Heidegger und die Postmoderne Geschichteeiner Irrefuumlhrungiquest Sie und der Stuttgarter Literaturwissenschaftler Claus Zittel werden Hei-deggers ideologische Verstrickungen in den Nationalsozialismus untersuchen die textlichrekonstruierbar aber nachtraumlglich geklittet worden waumlren bdquoSo konnte die Wissenschaft-lerin Dr Sidonie Kellerer anhand des Vortrages Die Zeit des Weltbildeslsquo erstmals 1950veroumlffentlicht [sic] dass zahlreiche Passagen nachtraumlglich so modifiziert wurden dass dieurspruumlngliche Apologie des Nationalsozialismus nunmehr als Kritik am Regime gedeutetwerden konnte Die 2014 erschienenen Schwarzen Heftersquo mit persoumlnlichen AufzeichnungenHeideggers bestaumltigen zudem wie tief verankert in seiner Philosophie Rassismus undNationalsozialismus waren und bliebenldquo(httpwwwuni-stuttgartdehkompresseservicepressemitteilungen201567_kellererhtmlzuletzt abgerufen am 1442016)
106 Von einer umfassenderen Analyse der Schriften Heideggers zur Technik muss aus Platzgruumln-den abgesehen werden Die Voumlrtraumlge vom Ge-stell der Technik der Kehre und dem Dingsind vor allem wegen ihres Publikationszeitraums interessant da sie direkt an die Dokumen-
26
dass Heidegger den Versuch der abgrenzungspolitischen Einflussnahmemacht ge-
maumlszlig der oben dargelegten Ressentiments die sich in einer Mythologisierung des
Abendlandes niederschlagen Um seinem Ideal des dichtenden Denkens als Philo-
sophieren nachzukommen will Heidegger diese Einschreibung des Abendlandes
mythopoetisch vollfuumlhren
Grundsaumltzlich ist Verbindung und Trennung Heideggers boumlser Schwarzer Hef-
te mit und von seiner guten Technikphilosophie das Schlachtfeld aktueller De-
batten Wie bereits darauf hingewiesen werden hier Schwarze Hefte und Veroumlf-
fentlichungen wie eben in Form der Bremer Vortraumlge als ein kontinuierlicher
Arbeitsprozess gesehen Es gibt insofern nur einen Heidegger und keine gespal-
tene Persoumlnlichkeit Die Siegener Philosophin Sodonie Kellerer stellt dies anhand
Heideggers Selbstsicht luzide dar
Seine immer wiederkehrende Beschwoumlrung des Werkeslsquo und seine an diver-sen Stellen der bislang vorliegenden Briefkorrespondenz artikulierten Be-muumlhungen dieses Werklsquo fuumlr die Nachwelt zu sichern [Kellerer bezieht sichhier ua auf Heideggers Briefwechsel mit seiner Frau der 2007 veroumlffentlichtwurde DS] verdeutlichen wie sehr er seine Texte als ein Ganzes verstandin dem keines der Teile entbehrliche Wiederholung geschweige denn irrele-vante Eroumlrterung ist107
Dabei allerdings wird die Frage offen bleiben mit welchem Maszlig er sich selbst ge-
faumlhrdet sah seine Ansichten oumlffentlich zu vertreten und welche Konsequenzen er
dabei fuumlrchtete Denn er musste die Vortraumlge kodieren ndash was er im Sinne der My-
thopoetik auch macht ndash und mit Einigem hinterm Berg halten108 Dass es dabei
verschiedene Offenbarungsebenen gibt wird hier erst einmal hingenommen Es
interessieren staumlrker nachweisbare Bezuumlge des Entwurfsdenkens Heideggers zur
Oumlffentlichkeitsarbeit von ihm109
te der Schwarzen Hefte anschlieszligen (1948 der letzte Band der Schwarzen Hefte umfasst denZeitraum 1942-1948)
107 Kellerer Sidonie Kampf der Besinnung In Deutsche Zeitschrift fuumlr Philosophie Band 63Heft 5 Seiten 941ndash957 hier S 942
108 Weshalb die Veroumlffentlichung der Schwarzen Hefte auch weitestmoumlglich nach hinten verlegtwurde
109 Wuumlrde man dem entgegenhalten dass Heideggers vermeintliches Genie aus Formalisierun-gen seiner Gedanken ableitbar eine wichtige Quelle an sich bliebe scheitert dieses damitdass nun die Formalisierungen nicht personenneutral sozial-epistemologisch bestehen koumln-nen Als Vergleich wuumlrde man aus Hitlers und Goumlbbels Reden Formalisierungen isolierenlieszlige sich bestimmt die eine oder andere plausible Idee entwenden (wenn sie voumlllig dekon-
27
Hierzu wird der Text der gesamten vier Vortraumlge unter dem Titel Einblick
in das was ist Bremer Vortraumlge 1949lsquo110 aus dem 1994 veroumlffentlichten 79 Band
der GA zugrunde gelegt Das hat den Grund dass davon ausgegangen wird dass
der Text somit am naumlchsten an den 1949 tatsaumlchlich vorgetragenen Manuskripten
liegt Insofern ist eine realistische Annaumlherung an eine mythopoetische Uumlbertra-
gung der Schwarzen Hefte in die Bremer Vortraumlge 1949 das Ziel Demgegenuumlber
gibt es ob der virulenten Publikationspraxis von Heideggers Schriften111 noch
andere Auskopplungen der vier Vortraumlgsteile mit den Titeln Das Dinglsquo Das Ge-
Stelllsquo Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo
31 Zur Publikationsgeschichte von den
Bremer Vortraumlgen 1949
Zuerst erschien 1954 im Neske-Verlag (Pfullingen) ein Sammelband der lediglich
den ersten Vortrag Das Dinglsquo enthaumllt allerdings in leicht erweiterter Fassung
so wie er ein halbes Jahr nach dem Bremer Auftritt in Muumlnchen (1950) an der
Akademie der Schoumlnen Kuumlnste gehalten wurde112 Dem Band hinzugefuumlgt ist aber
zudem ein Vortrag der vornehmlich die Kernaussagen von Das Ge-Stelllsquo und
Die Gefahrlsquo verbindet allerdings in modifizierter Form Dieser wurde unter dem
textualisiert wuumlrde) Ist aber die wahre Verbindung zu Hitler und Goumlbbels hergestellt hatman selbstverstaumldlich die Verantwortung zu tragen an dem ganzen Tross von unmoumlglichenVerfehlungen dieser Menschen die sie fuumlr uns zu Personae non gratae stempeln muumlssen
110 GA 79111 Hierauf macht auch der Darmstaumldter Philosoph Gernot Boumlhme aufmerksam als Akt ei-
ner bdquoposthumen Selbstinszenierungldquo in Boumlhme Gernot Selbstinszenierung uumlber Ruhmin der Philosophie In Information Philosophie (Online Ausgabe 12015) URL=lthttpwwwinformation-philosophiedea=1ampt=8232ampn=2ampy=5ampc=29gt zuletzt ab-gerufen am 2442016)
112 Heidegger Martin Das Ding In Ders Vortraumlge und Aufsaumltze Pfullingen 1954 S 163ff
28
Titel Die Frage nach der Techniklsquo113 am 18 November 1953 an der TUMuumlnchen
gehalten
Eine weitere Auskopplung diesmal des letzten Vortragsteils Die Kehrelsquo fin-
det sich in einem broschuumlrenformatigen Band wiederum im Zusammenspiel mit
dem Vortrag Die Frage nach der Techniklsquo in Die Technik und die Kehrelsquo114 von
1962 wieder Somit wurden die Vortraumlge Das Ge-Stelllsquo und Die Gefahrlsquo lange
Zeit nicht veroumlffentlicht sondern als vermischter und modifizierter Text eben
Die Frage nach der Techniklsquo jeweils zusammen mit Das Dinglsquo (1954) und Die
Kehrelsquo (1962) angeboten115 In der Vorbemerkung zu Die Technik und die Keh-
relsquo wird diese kleine Chronologie leicht verfaumllscht auch aufgezeigt Darin heiszligt
es ferner dass Die Frage nach der Techniklsquo eine erweiterte Fassung von Das Ge-
Stelllsquo waumlre Dem ist wie schon gesagt nicht so Sondern es ist eine modifizierte
Vermischung von Das Ge-Stelllsquo und Die Gefahrlsquo was unschwer zB am Begriff
vom bdquoHer-vor-bringenldquo116 zu erkennen ist der in Die Gefahrlsquo eingefuumlhrt wird
und in Die Frage nach der Techniklsquo die gleiche Bedeutungskonstituente bildet
Mit der Veroumlffentlichung des 79 Bandes der GA 1994 wurden alle vier Bremer
Vortraumlge von 1949 publiziert In Band 11 der GA erschien 2006 auszligerdem Die
Kehrelsquo in ihrer urspruumlnglichen Fassung Die Frage nach der Techniklsquo enthaumllt
weniger mythopoetische Teile als Das Dinglsquo und operiert demgegenuumlber staumlrker
anhand klassisch philosophischer Allgemeinplaumltze Derer sind vor allem zu nen-
113 Heidegger Martin Die Frage nach der Technik In Ders Vortraumlge und Aufsaumltze Pfullingen1954 S 9ff (Der Aufsatz erschien ebenfalls 1954 im Sammelband der Vortragsreihe DieKuumlnste im technischen Zeitalter Heidegger Martin Die Frage nach der Technik In DieKuumlnste im technischen Zeitalter Dritte Folge des Jahrbuchs Gestalt und Gedanke Hg v dBayrischen Akademie der Schoumlnen Kuumlnste Muumlnchen 1954 S 70ff)
114 Heidegger Martin Die Technik und die Kehre Pfullingen 1962115 Beide Baumlnde Votraumlge und Aufsaumltzersquo sowie Die Technik und die Kehrersquo haben hohe Aufla-
genzahlen (Uumlbersetzungen wurden hier nicht recherchiert wobei es aber eine internationa-le Heidegger-Rezeption gibt) 1993 wurde der Pfullinger Neske-Verlag von dem StuttgarterHaus Klett-Cotta uumlbernommen was die Buumlcher aber unveraumlndert belaumlsst Vortraumlge und Auf-saumltzelsquo zaumlhlt seit 2009 die 11 Auflage Die Technik und die Kehrelsquo seit 2014 die 13 BeideBaumlnde sind vergriffen Es mutet unverstaumlndig an weshalb eine fehlerhafte Jahresangabe ausder ersten Veroumlffentlichung von Die Technik und die Kehrelsquo bis 2014 kolportiert wurdeDort steht der Vortrag Die Frage nach der Techniklsquo waumlre am 18 November 1955 gehaltenworden Der Vortragstermin war aber am 18 November 1953
116 Vgl GA 79 S 64 Und Heidegger Die Technik und die Kehre S 11
29
nen die Auflistung der bdquovier Ursachenldquo117 nach Aristoteles und die Kritik an der
Technik als bdquoein Mittel zu Zweckenldquo118 (Kausalitaumlt)119
Der Vortrag Das Dinglsquo galt Heidegger bei der Darbietung seiner Technikphi-
losophie nach dem Zweiten Weltkrieg allerdings als unentbehrlich ndash und damit
seine groszligflaumlchige Aufblaumltterung der Mythopoetik wie im folgenden Kapitel hier
gezeigt wird Denn im Vortrag Die Frage nach der Techniklsquo benutzt Heideg-
ger noch immer seinen mythopoetischen Topos vom Versammeln des Gebirges
der mit dem Versammeln eine Konstituente des Gevierts ist (bdquoErde und Himmel
die Goumlttlichen und die Sterblichenldquo120) (su)121 Fuumlr die Kaumlufer und Leser von
der spaumlteren Veroumlffentlichung Die Technik und die Kehrelsquo wird zudem in Die
Kehrelsquo extra auf den Vortrag Das Dinglsquo in der 1954er Ausgabe in Vortraumlge und
Aufsaumltzelsquo verwiesen122 Das zeigt wie wichtig und unerlaumlsslich Heidegger seine
mythopoetische Denkweise der Technik ist Auch wenn er in Die Frage nach der
Techniklsquo einen allgemeineren und offeneren Ansatz entwickelt hat der dadurch
auch leichter zu erschlieszligen ist
32 Die mythopoetische Spiegelung der Schwarzen
Hefte in den Bremer Vortraumlgen von 1949
321 Das Dinglsquo
In dem Vortrag Das Dinglsquo der 1949 vor dem privaten Club zu Bremen dort im
Neuen Rathaus das Vortragsquartett einleitete fuumlgt Heidegger mythopoetisch
zusammen was folgenden Topoi seiner Schwarzen Hefte aus Kap 221 entspricht
117 Heidegger Die Technik und die Kehre S 6118 Ebd S 6119 Diese Topoi versucht Heidegger in dem Text zu zersetzen und ihnen ein aletheisches Prin-
zip des Entbergens der Technik entgegenzusetzen Dies erfolgt wiederum auch anhand derVerwendung von mythopoetischen Teilen Darauf kann hier aber nicht weiter eingegangenwerdenAls weitere Gemeinsplaumltze (die er teils unterstuumltzend teils zur Zersetzung einfuumlgt) handelt
der Text auch mit Zitaten von Platon Heisenberg J P Hebel und Goethe120 Ebd S 12121 Vgl GA 79 S 11 Und Heidegger Die Technik und die Kehre S 19122 Vgl Heidegger Die Technik und die Kehre S 42f
30
1 die antirationale Wissenschaftsfeindlichkeit 2 der Mythos des Goumlttlichen 3
das Griechentum uumlber dem Roumlmertum 4 die Zahlenmystik (anhand des Spiegel-
Spiels des Gevierts ndash su) 5 das geschichtsbesinnliche Prinzip der Aletheia
Heidegger stellt zuerst die Frage nach dem Ding und will sie daraufhin ver-
anschaulichen mittels der Metapher des Kruges dh mit dem Krug als ein exem-
plarisches Ding Er fuumlhrt dann vor (was der Geste eines Zauberkuumlnstlers aumlhnelt)
wie der leere Krug gefuumlllt wird ndash Luft weicht der Fluumlssigkeit Dieses Sachverhaumllt-
nis aber ist fuumlr ihn Halbpoesie und eine Angabe aus der Physik sie verfehle das
vermeintliche Wesen des Kruges
Die Wissenschaft stellt durch sie [die Angabe der Physik DS] etwas Wirk-liches vor wonach sie sich objektiv richtet Aber ndash ist dieses Wirkliche derKrug Nein DieWissenschaft trifft immer nur auf das was ihre Art des Vor-stellens im vorhinein als den fuumlr sie moumlglichen Gegenstand zugelassen hat[] Die Wissenschaft macht das Krug-Ding zu etwas Nichtigem insofernsie Dinge nicht als das Maszliggebende zulaumlszligt123
Als ein wirkmaumlchtiges Beispiel das ihm sicherlich viel Beachtung uumlber die
Jahrzehnte seit ihrer Zuumlndung in Japan hinweg einbrachte fuumlhrt Heidegger die
Atombombe an Diese sei zu verstehen als verdinglichte Wissenschaft die das
Ding vernichten wuumlrde
Deren Explosion ist nur die groumlbste aller groben Bestaumltigungen der langherschon geschehenen Vernichtung des Dinges dessen daszlig das Ding als Dingnichtig bleibt124
Er buumlndelt damit Wissenschaft und Verkennung des Wesens als maszliggebend mit
dem Ding als sein machenschaftliches Prinzip der zerrechnenden Zerstoumlrung Drei
Jahre nach Kriegsende war der buumlrgerlich-elitaumlre Kreis in Bremen sicherlich be-
wegt von dieser Wortgewalt Diese jedoch suchte ja ihr Heim Harmonie Ruhe
in dem Haus als Wesen der Sprache
Und so faumlhrt Heidegger fort und ersetzt das physikalische Prinzip des Inhalts-
wechsels von Luft zu Wein in ein bdquoGeschenk des Gussesldquo als Spende und Opfer
den Goumlttern (2)125
123 GA 79 S 8124 Ebd S 9125 Vgl Ebd S 11f
31
Der Guszlig ist der den unsterblichen Goumlttern gespendete Trank [] Der ge-weihte Trank ist das was das Wort Guszliglsquo eigentlich nennt Spende und Op-fer Guszliglsquo gieszligenlsquo lautet griechisch χέειν indogermanisch ghu Das bedeu-tet opfern
Hier spielt bereits der Ursprungsmythos der Griechenmit ein (3) es ist aber auch
ein Bezug auf das Geviert Dieses waumlre ein System ein zusammen Gestelltes aus
bdquoErde und Himmel die Goumlttlichen und die Sterblichenldquo126 Im Guszlig des Trunkes
weilten gemeinsam diese Vier als emblematische Verbindung
Das im Geschenk Versammelte sammelt sich selbst darin das Geviert ereig-net zu verweilen Dieses vielfaumlltig einfache Versammeln ist das Wesen desKruges Unsere Sprache nennt was Versammlung ist in einem alten WortDies lautet thing127
Das Geviert zehrt von der Zahlenmystik zum einen als die Versammlung der
vier Begriffe an sich zum anderen da Heidegger ihnen eine Spiegel-Funktion
zuschreibt bdquoJedes der Vier spiegelt in seiner Weise das Wesen der uumlbrigen wie-
derldquo128 und ferner weil er damit auf sich selbst dh auf sein Vortrags-Geviert
verweist (4) Wie in Kap 21 schon gesagt lebt der Mythos von seiner Verbind-
lichkeit Diese legt Heidegger allen nah die sie verinnerlichen wollen bdquoSagen wir
die Sterblichen dann denken wir falls wir denken die anderen Drei mit aus der
Einfalt der Vierldquo129
Sollte der Vollzug der Praxis des sukzessiven Mitdenkens aller vier Geviert-
Entitaumlten gelingen koumlnnte das Ereignis der Aletheia begriffen werden (5) bdquoDas
Spiegel-Spiel von Welt ist der Reigen des Ereignensldquo130 Diese wird aber auch be-
griffen in Abgrenzung von dem Roumlmertum (3) denn in der bdquorealitas der resldquo
haumltten die Roumlmer bdquoihr Erfahrenes niemals eigens in seinem Wesen gedachtldquo131
Das waumlre den Griechen vorzubehalten und vom verstaumlndig denkenden Deutschen
wiederzubeleben
126 Ebd S 12127 Ebd S 13128 Ebd S 18129 Ebd130 Ebd S 19131 Ebd S 15
32
Der Krug ist ein Ding weder im Sinne der roumlmisch gemeinten res noch imSinne des mittelalterlich vorgestellten ens noch gar im Sinne des neuzeitlichvorgestellten Gegenstandes [] Der Krug ist Ding insofern er dingt132
Die Bindung an das deutsche Wort bdquoDingldquo das er spielerisch auch ins Englische
Romanische und Franzoumlsische uumlbersetzt ist unerlaumlsslich fuumlr seine ethymologi-
sche Argumentation In der ist der bdquoGuszligldquo ruumlckgefuumlhrt auf indogermanisch bdquoghuldquo
und das bdquoDingldquo auf das mittelhochdeutsche bdquothingldquo So konnten antik die Roumlmer
von den Griechen abgrenzt werden und modern die anderen drei Sprachen vom
Deutschen Das englische sich sehr nah am bdquothingldquo befindliche bdquothingldquo wird mit
dem Roumlmischen ausgespielt
Im Englischen hat thing noch die erfuumlllte Nennkraft des roumlmischen Wor-tes res bewahrt [] dh ein aus sich kommendes den Menschen Angehen-des133
Fuumlr Heidegger geht es beim bdquothingldquo aber um die mittelhochdeutsche Uumlbersetzung
der Versammlung Darauf beruht sein gesamter Systemansatz mit Geviert und
Ge-stell
Schulz-Nieswandt fuumlhrt diese Zusammenstellung zum Bejubeln von Heideg-
gers Mythopoetik
So fundamental sieht Heidegger die Welt Die Quelle des Wassers wird zurHochzeit von Himmel und Erde das Gieszligen des Wassers aus dem Krugzum Geschenk Auch Sprache ist daher kein Instrument sondern Ort desWohnens des Menschen Sprache wird zum Haus des Seinslsquo134
Hier bestaumltigt die Untersuchung des Ding-Vortrags die These von einer mytho-
poetischen Einschreibung der nationalistischen voumllkischen Abgrenzungs-Mythologie
aus den Schwarzen Heften
322 Das Ge-Stelllsquo
Der zweite Vortrag des Reden-Gevierts setzt ein mit der Metapher des fehlen-
den Abstands Wo kein Abstand sei da waumlre auch keine Naumlhe so Heidegger Er
132 Ebd S 16133 Ebd S 14134 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei Walter
F Otto S 59
33
verbindet die Abstandslosigkeit mit Urbanitaumlt und Verkehr alles fluktuiere Es
waumlre der Bestand der sich bestelle in dem das Abstandlose herrsche Das sind
neue Metaphern fuumlr die Machenschaft In seiner Erzaumlhlung vom Ge-Stell gibt es
bedeutend weniger mythopoetische Passagen als in dem vorangegangenen Vor-
trag Allerdings uumlbertraumlgt er den mythopoetischen Gehalt der Rede vom Ding
bereits im ersten Absatz von Das Ge-Stelllsquo mit dem Credo bdquoNaumlhe west insofern
das Ding dingtldquo135 Mit dieser Verbindung wird klar unter welchem Zeichen Hei-
degger die Rede vom Ge-Stell verstanden wissen will ndash als verlorenes Verhaumlltnis
des voumllkisch-traditionell verwurzelten Menschen mit den vermeintlichen Wesen
all seiner Gebrauchsobjekte in der mythopoetischen Formel des sich spiegelnden
Gevierts
Nahezu nuumlchtern erzaumlhlt Heidegger dann von dem Gefaumlngnis des Menschen
im Wesen der zirkulierenden sich immer neu bestellenden Bestandstechnik des
Ge-Stells Dabei scheinen folgende Mythen aus den Schwarzen Heften hindurch ndash
1 bdquoHistorie die Technik der Geschichtelsquo Technik die Historie der Naturlsquoldquo136
2 das historische Tier 3 der Appell an den Auftrag des Deutschen 4 der geschicht-
liche Mensch muss die Historie und damit die Technik uumlberwinden und 5 die
alles zernichtende Machenschaft des juumldischen Wesens
Den Topos der seinsvergessenen Groszligstadt jedenfalls kontrastiert er mit der
Bauerndorfidylle Da aber bdquodas Abstandlose herrschtldquo137 waumlre das Vorruumlcken der
Maschinentechnik bereits universell So in Form des Traktors Schon in Band
96 der Schwarzen Hefte beklagt er dieses bdquozum elektrischen Pflug [] gehoumlrt
das amerikanisch aufgemachte Magazinlsquoldquo Insofern erfolge die bdquoAngleichung der
Sitten der Bergbewohner an diejenigen des groszligstaumldtischen Sport- und Barbe-
triebsldquo138
Sein erster Land-Stadtvergleich betrifft den Bauern dessen Totenruhe tradi-
tionell in einem sg bdquoTotenbaumldquo (Sarg) stattgefunden haumltte ndash bdquoIn ihm gedeiht
der Tod des Totenldquo139 Dem gegenuumlber klingt in der bdquomotorisierten Bestattungs-
135 GA 79 S 24136 GA 95 S 351137 GA 79 S 24138 GA 96 S 54139 GA 79 S 26
34
industrie der Groszligstadtldquo140 bereits Heideggers pietaumltsloser Gaskammernvergleich
an
Ackerbau ist jetzt motorisierte Ernaumlhrungsindustrie im Wesen das Selbewie die Fabrikation von Leichen in Gaskammern und Vernichtungslagerndas Selbe wie die Blockade und Aushungerung von Laumlndern das Selbe wiedie Fabrikation von Wasserstoffbomben141
Hier wird davon ausgegangen dass es eine Uumlbertragung der Notizen uumlber
das deutsche Land als bdquoeinziges KZldquo ist die Unterdruumlckung des deutschen Vol-
kes durch die bdquoWeltdemokratieldquo die schlimmer sei als die Graumlueltaten der bdquoGas-
kammernlsquoldquo142 In die mythopoetische Formel von dem dingenden Ding aus dem
ersten Vortrag sind alle Valenzen eingeschrieben die es zur Aufgabe des abendlaumln-
dischen Deutschen (also als Nachfolger der alten Griechen) machen das Wesen
des Dings und somit der Technik zu huumlten Die Verantwortung fuumlr Genozid
Massenvernichtungswaffen und den Mangel im Nachkriegsdeutschland schreibt
Heidegger gleichfoumlrmig dem Prinzip der Abstandslosigkeit zu
Auch die Rede von der Habgier des Berechnenden ist ein bereits bekannter
Vorbehalt Heideggers anhand der Rede vom raffgierigen Juden Denn er sagt von
der bdquoHerrschaft des Abstandlosenldquo dass sie bdquodie Hab-gier des vorstellenden Be-
rechnensldquo waumlre143 Das entspricht seinem Mythos von der alles zernichtenden
Machenschaft des juumldischen Wesens144
Dann folgt eine lange Elegie uumlber das Bestellen des Bestands des Ge-Stells
bdquo[d]ie Kette des Bestellens laumluft auf nichts hinaus sie geht vielmehr nur in ihren
Kreisgang hineinldquo145 uumlber 19 Seiten des 21 seitigen Vortragsexts hinweg entwirft
Heidegger diverse Bilder wie das Ge-Stell die Natur das Hergestellte den Men-
schen und das Verstandesmaumlszligige vereinnahme und das Wesen desDings gleichsam
zur Veruntreuung bringen wuumlrde Wiederum poetisch orientiert kontrastiert also
140 Ebd141 Ebd S 27142 GA 97 S 99f143 Vgl GA 79 S 25144 Vgl Machenschaft hier S 29 und Geraff hier S 33145 GA 79 S 29
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Heidegger Houmllderlins Hymne Der Rheinlsquo mit dem Rhein dessen Stroumlmung fuumlr
ein Stromkraftwerk genutzt wird
Achten wir um das Ungeheure das hier waltet zu ermessen nur auf einenAugenblick auf den Gegensatz der sich in den beiden Titeln ausspricht DerRhein verbaut in das Kraftwerk ndash der Rheinlsquo gesagt in der gleichnamigenHymne Houmllderlins146
Die Differenz also waumlre das Ungeheure147 Dabei waumlre der Rhein verbaut in das
Kraftwerk Aumlhnlich wie Kohle Erze und Rohoumll waumlren sie Bestand der bdquobesteht
im Bestellenldquo ndash bdquoDas Bestellen waumlre demnach lediglich eine Machenschaft des
Menschen vollzogen in der Weise der Ausbeutungldquo148
Das Bild des Wasserkraftwerks wird erweitert um den Begriff des Menschen
Elektrizitaumlt mit Wasserkraft erzeugen bdquokoumlnnen die Menschen [] nur insofern
sie selber schon in dieses Bestellen bestellt sindldquo149 Mit diesem Bild versucht Hei-
degger praktisch zu veranschaulichen dass Entwurf Umsetzung und Einsatz ei-
ner technischen Anlage den Menschen in ein entruumlcktes Verhaumlltnis zum Wesen
des dingenden Dings setze ndash bdquoDer Mensch ist darum der Angestellte des Bestel-
146 Ebd147 Das ist zusaumltzlich zu dem gemeinten Gegensatz ein Vergleich mit dem Heidegger dem Wort
bdquoRheinldquo in die Hymne Der Rheinlsquo gesprochen eine Energie erzeugende Wirkung zu-schreibt eben so wie das Kraftwerk Strom erzeugen wuumlrde Das wird klar dadurch dassHeidegger metaphorisch vom Stellen des Wortes bdquoRheinldquo in die Hymne spricht Es handeltsich um einen Appell zur denkerischen Besinnung Dass Heidegger dafuumlr eine technischeAnlage zur Veranschaulichung inspirierend wirken laumlsst spielt bereits in die Richtung derBegriffe bdquoHer-vor-bringenldquo bdquoEntbergenldquo und spielt auf das Alteheia-Prinzip an Darauf wirdweiter unten anhand Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo eingegangen werden Es handelt sich umdas Angebot eines mythopoetischen Umgangs mit Technik insbesondere wenn sie sich inheimische Gefilde einfuumlgtHeute koumlnnte man mit Windraumldern ebenso verfahren Somit koumlnnte aber auch Heidegger
als ein gewisser Quijana aus Mancha verstanden werden eben der Protagonist aus Miguel deCervantes Roman Don Quichote von der Manchalsquo der mit seinem von ihm flux auch um-benannten Klepper (weil er zuvor sich selbst in Don Quichote umtaufte) Rocinante Riesenbezwingen will um mit dieser Heldentat unsterblichen ritterlichen Ruhm zu erstreitenAuch Don Quichote fand seine Riesen in Windmuumlhlen und auch Don Quichote war uumlber
eine uumlbertriebene Auseinandersetzung mit einer verschuumltteten Kultur dieser verfallen undsuchte diese in seiner Aventuumlre zu reaktualisieren Martin Heideggers mythopoetisches Pro-gramm ist tatsaumlchlich stark mit Don Quichotes Motiv vergleichbarFerner waumlre eine Auseinandersetzung mit Heideggers Werk unter Beruumlcksichtigung sei-
ner Gewichtung der Vorsokratiker und Houmllderlin als mythopoetischen Autor eine moumlglicheForschung zum Thema Anachronismen in Konzepten von Moral und gesellschaftlicher An-gemessenheit (Vgl Cervantes Miguel de Don Quichote von der Mancha Herausgeben unduumlbersetzt v Susanne Lange Muumlnchen 2008 S 33f)
148 GA 79 S 29149 GA 79 S 30
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lensldquo150 Schon vorher wies Heidegger darauf hin bdquo[d]ie Herrschaft des Gegen-
staumlndigen sichert nicht den Abstandldquo151 Jetzt heiszligt es
Das Bestellen befaumlllt nicht nur die Stoffe und Kraumlfte der Natur mit Gestel-lung Das Bestellen befaumlllt zugleich das Geschick des Menschen Das Wesendes Menschen wird daraufhin gestellt das Bestellen in menschlicher Weisemitzuvollziehen152
Der Begriff des Ge-Stells wird daraufhin so konstruiert dass es im Bestellen
um ein Stellen (Herausfordern) alles bdquoAnwesenden als Bestandldquo als bdquoversus unumldquo
gegen bdquodas Eine Ganzeldquo gehe153 In wiederum mythopoetischer Formulierung ge-
baumlre die bdquoVersammlung des Stellens worin alles Bestellbare in seinem Bestand
west das Ge-Stellldquo154 Der Begriff bdquoVersammlungldquo wird einen Absatz zuvor my-
thopoetisch wieder an die Versammlung also das thing eben das wesenhafteDing
angelehnt und somit wie zu Das Dinglsquo bereits oben erlaumlutert in einen deutsch-
abendlaumlndischen Kontext gestellt (3)
Wir nennen die Versammlung der Berge die von sich her einig und nienachtraumlglich schon gesammelt ist das Gebirge Wir nennen die Versamm-lung der Weisen nach denen uns so zumute ist und sein kann das Gemuumlt155
Allerdings ist obiges Versammlungsmodell hier als Kontrast zu sehen zu dem
bdquoGeraff des Getriebesldquo das das Ge-Stell darstellt als bdquoWesen der Technikldquo156 Hei-
degger sieht in der Gleichfoumlrmigkeit die zum Wesen des Technik als Ge-Stell
150 GA 79 S 30151 GA 79 S 25152 GA 79 S 31153 Vgl GA 79 S 32154 GA 79 S 32155 Ebd
Das Wort ldquoGemuumltrdquo hat ferner eine ausschlieszliglich deutsche Praumlgung gibt es doch keinedirekte Uumlbersetzungen Gemuumlth ist ferner ein nicht eindeutig umrissener Begriff (Vgl Kra-mer Cheryce A Foolrsquos Paradise The Psychiatry ofGemuumlth in a Biedermeier Asylum Chica-go 1998 S 19) Die Bedeutung im Deutschen selbst ist zudem sehr variabel hat aber zumeistmit Seelen- oder Geistkonzepten zu tun ndash Cheryce von Xylander (geb Kramer) uumlbersetztGemuumlth mit bdquosoul-organldquo (ebd S 43) das von diversen Autoren unterschiedlich konstru-riert wird (zB von Kant geistigkoumlrperlich und von Kleist individuellkollektiv (vgl ebdS 41)) In Heideggers emblematischem Duktus scheint eine Vermischung von allen vier Di-mensionen geistigkoumlrperlich wie auch individuellkollektiv stattzufinden Es ist auf jedenFall dem Mythos geschuldet den Auftrag des Deutschen anzunehmen (3)
156 GA 79 S 33
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gehoumlre die planetarische Abloumlsung und Aufhebung des traditionellen und damit
wesenhaft ans Ding gebundenen Verhaumlltnisses vom Menschen zur Erde (das von
ihm idealisierte voumllkische Bauerntum das Bestellen des Ackers) bdquoDie Bestand-
Stuumlcke sind Stuumlck fuumlr Stuumlck die Gleichenldquo157 So kontrastiert er alte Handwerks-
techniken mit Maschinentechnik und schreibt der Maschinentechnik die machen-
schaftliche Verdraumlngung als Geraff zu
Das Ge-Stell hat auch wenn das nicht unmittelbar und nicht sogleich ver-nehmlich wird im vorhinein schon alle diejenigen Stellen beseitigt an denenvormals Spinnrad und Wassermuumlhle standen Das Ge-Stell bestellt durch sei-ne Maschinerie zum voraus eine andere Art und Ordnung von Stellen Andiesen kommt nur zu Stand was als Bestellbares auf der Stelle gleichfoumlrmigzur Stelle steht
Darum ist auch die Art wie die Maschine selbst etwas herstellt einewesentlich andere als das handwerkliche Tun gesetzt daszlig es innerhalb desGe-Stells uumlberhaupt noch so etwas wie ein Herstellen gibt
Die Traktoren und Kraftwagen werden herausgebracht ausgeworfen se-rienweise Stuumlck fuumlr Stuumlck Wo drauszligen steht dieses so Herausgestellte Wo-hin in welchen Stand ist es gebracht158
In dieser Klage uumlber den technischen Wandel der durch den Fortschritt in
alle Lebensbereiche Einzug haumllt versucht Heidegger zu veranschaulichen wel-
chen Verlust es zu erkennen gelte Ein Versuch diesem entgegen zu treten ist die
von ihm vorgetragene Mythopoetik die er in diesem Vortragsteil seines Vortrags-
Gevierts allerdings auffaumlllig zuruumlckgestellt sein laumlszligt War der Einleitungsteil Das
Dinglsquo schlieszliglich eine nahezu einzige mythopoetische Darbietung Dramatur-
gisch wird Heidegger in Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo die mythopoetischen For-
mulierung als Loumlsungswege wieder Bedeutung geben In Das Ge-Stelllsquo versucht
Heidegger hingegen Vorstellungen aus seinen Schwarzen Heften aumlhnlich der fol-
genden mitzuteilen die das Uniforme Gleichfoumlrmige betreffen
Die Macht der Machenschaft ndash die Vernichtung sogar der Gottlosigkeit dieVermenschung des Menschen in das Tier die Vernutzung der Erde die Ver-rechnung der Welt ndash ist in den Zustand der Endguumlltigkeit uumlbergegangenUnterschiede der Voumllker Staaten Kulturen sind nur noch Fassade159
157 GA 79 S 36158 GA 79 S 35159 GA 96 S 52f
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Was Heidegger unter dieser Gleichfoumlrmigkeit versteht schreibt er in den Schwar-
zen Heften zumeist den Amerikanern zu Er nennt es auch haumlufig Planetarismus
Der Amerikanismus [ist DS] die Zusammenraffung von Allem welcheZusammenraffung immer zugleich die Entwurzelung des Gerafften bedeu-tet160
Der Planetarismus ist die historisch gedachte Bestimmung der uumlberall glei-chen die ganze Erde uumlberdeckenden Seinsverlassenheit des Seienden161
Die Gegenuumlberstellung von natuumlrlicher und traditioneller Handwerkstechnik
gegen maschinenhafte Gleichfoumlrmigkeit exemplifiziert Heidegger dann im Vor-
trag Das Ge-Stelllsquo vielfach wie zum Beispiel hier
Der Forstwart zB der im Wald das geschlagene Holz vermiszligt und demAnschein nach noch wie sein Groszligvater in der gleichen Weise die selbenWege geht ist heute von der Holzverwertungsindustrie gestellt Er ist ober es weiszlig oder nicht in seiner Weise Bestand-Stuumlck des Zellulosebestandesund dessen Bestellbarkeit fuumlr das Papier das den Zeitungen und illustrier-ten Magazinen zugestellt wird die uumlber die Oumlffentlichkeit daraufhin stellenverschlungen werden162
160 GA 96 S 257161 GA 96 S 261162 GA 79 S 37f
Die renommierte Theaterautorin Elfriede Jelinek karikiert in ihrem Stuumlck Totenaubergvon 1991 Heideggers Konstrukt von Heimat und Fortschrittsfeindlichkeit verbunden miteiner Auseinandersetzung mit dessen Liebschaft zu Hannah Arend Mit philologischer Prauml-zision polemisiert sie Teile aus Heideggers Elegie uumlber die Technik und laumlszligt ihn dabei alsbeschraumlnktes und eingezwaumlngtes Wesen in einem Gestell gefangen sein Aus diesem heraussoll er Arend Rede und Antwort stehen uumlber sein Verhaumlltnis zum Nationalsozialismus unddie Shoa Doch dieser redet nur naturtrunken von Heimat und berauscht sich daran Derprophetische Denker wird banalisert ndash diese Worte legt Jelinek ihm (im Stuumlck der alte Mann)in den MundbdquoDie Angst vor dem Fragen liegt uumlber dem Abendland Sie bannt die Kandidaten auf ein
Team-Leibchen verbannt sie auf altgewordene Wege und jagt sie zuruumlck ins morsch geworde-ne Gehaumluse ihrer Tore wo es um ihre Ausscheidungen geht Es wird ihnen alles weggenom-men werden auch der Weg selbst Keine Spur kein Lichtschein aus den Ritzen Aber ruf ichin die Huumltte um nach einem zu fragen den ich gekannt hab sehe ich grad noch eine Tuumlrsich schlieszligen Der Wald kommt nicht zur rechten Geltung alles ist entflohen was mir liebwar und woran ich geglaubt hab Was kommt ist noch nicht da Nichts war Ich habe nichtsgehoumlrt Ich erinnere mich nicht aber ich stelle dem Kommenden das mich den lupenreinenAmateur schon vor Beginn des Rennens erlahmen laumlszligt vorsorglich die Hausschuhe vor dieTuumlr Sie sind das Einzige was die Profis des Profits von mir dann vorfinden werden wennsie anklopfen Die Haumlrte des Urgesteins sollte sie nicht entmutigen Die Jahreszeiten machendie Landschaft auf und zu Ich sage nur In dieser scheinbaren Leere will ich vom Denkenmuumld nur schlafen Von der Huumltte aus lassen sich Wanderungen unternehmen Aber auchsonst wird Ihnen alles wie ich sagte genommen werden Auch Ihre Fotos und Namen Unddas Gewesene wird wesenlosldquo ( Jelinek Elfriede Totenauberg Hamburg 1991 S 86f)
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Die Oumlffentlichkeit ist fuumlr Heidegger ein Topos der dem Denken und Besinnen
entgegenstuumlnde Somit meint er damit zum Einen die Medien wie er es anhand
der Rede von den Bestandstuumlcken in Das Ge-Stelllsquo erklaumlrt wo der Mensch als
Urheber des Ge-Stells als Wesen der Technik nicht gelten soll Vielmehr wuumlrde er
in Ratlosigkeit und Langeweile verfallen weil er in der Bestellung des Bestandes in
Form von Bestandstuumlcken vom Rundfunk keine Besinnung mehr faumlnde dh das
Ganze also wiederum daswesentliche Ding nicht mehr zu fassen vermoumlge163 Und
so toumlnt es bereits aus den Schwarzen Heften von 19391940()
Die Bildlsquo und Tonlsquo ndash Reportagenlsquo der Machenschaft ist der planetari-sche Mythuslsquo des Vollendungsabschnittes der Neuzeit Die Welt des abge-legensten deutschen Bauernhofes wird nicht mehr durch [] die Naturlsquobestimmt in der noch die Erde waltet sondern durch das illustrierte Blattmit der Darstellung von ausgezogenen Tanzweibern von Boxern und Renn-fahrern und sonstigen Heldenlsquo des Tages164
Und ferner notierte Heidegger 1946 in seinen Schwarzen Heften
Uumlberall zerrt es aus dem Oumlffentlichen ins Oumlffentliche mit vielen Strickenund jeder sieht das kaum versuchte Denken des Seyns am Leitband seinesStrickes165
Dabei waumlre eben ein bdquoLiterat [] ein in die Oumlffentlichkeit verliebter Mensch der
Angst vor dem Denker hatldquo166 Dieses liefe dann darauf hinaus dass beim Rund-
funk bdquoein Bestellen und Stellen waltet das in dasWesen des Menschen eingegriffen
hatldquo167
Abermals nach dem Wesen der Technik also nach dem Ge-Stell gefragt geht
Heidegger auf seine Unterscheidung vonNatur undNaturwissenschaft ein bdquo[w]elches
ist das Verhaumlltnis zwischen der Technik und der Naturldquo168 Natur wuumlrde in wis-
senschaftlicher Hinsicht unter das Berechnete fallen sie wuumlrde bdquoals das in Maszlig
und Zahl gestellte Wirkliche vorgestellt das in seinem Gewirkten staumlndig an-
westldquo169 Wenn Heidegger dann Natur aus technischer Sicht bdquoals ein System des
163 Vgl GA 79 S 38f164 GA 96 S 54165 GA 97 S 100166 GA 97 S 126167 GA 79 S 39168 GA 79 S 41169 Ebd
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Bestellens von Erfolgen aus dem gestellten Wirksamenldquo170 charakterisiert spricht
er von seiner Rede der Verschraumlnkung von Historie und Technik ndash bdquoTechnik die
Historie der Naturldquolsquo171 Dieses ist bekanntlich das seinsvernichtende Gegenstuumlck
zur geschichtlichen Besinnung Denn geschichtliches Walten der Technik ist fuumlr
Heidegger technische Geschichte dh verwissenschaftlichte Geschichte die da-
durch ihr Wesen verloren haumltte (Seynsvergessenheit)172 So heiszligt es in den Schwar-
zen Heften von 1947
Ein Zeitalter das historisch geworden ist dh technisch planend sich selberberechnet und alles in diesen Sog zieht muszlig jede Besinnung nur als eine dervielen Formen der Intellektualitaumlt registrieren173
Heidegger schlieszligt den Vortrag mit dem Aufgriff der Anfangsbehauptung
bdquo[d]er Bestand bestellt das Abstandsloseldquo174 Somit liegt das Problem der ausblei-
benden Naumlhe durch die Technik deren Wesen das Ge-Stell waumlre das den Bestand
bestelle in der Luft Dass dabei der Mensch sogleich Teil des Bestandes und nicht
Teil der Maschine wird laumlsst ihn das historische Tier sein (2)
Der Mensch ist auswechselbar innerhalb des Bestellens von Bestand []Gleichwohl gehoumlrt der Mensch in einer voumlllig anderen Weise in das Ge-Stellals die Maschine DieseWeise kann unmenschlich werden DasUnmenschlicheist jedoch immer noch unmenschlich Der Mensch wird nie zur MaschineDas Unmenschliche und noch Menschentuumlmliche ist freilich unheimlicherweil boumlsartige und verhaumlngnisvoller denn der Mensch der nur Maschine wauml-re175
Wen Heidegger hier ersinnt ist der neuzeitliche Mensch der den bdquoGoumlttern uner-
traumlglich gewordenldquo176 waumlre
170 Ebd171 GA 95 S 351172 In Heidegger Die Technik und die Kehre S 21 stellt er Geschichte und Historie einander
gegenuumlber was er in Das Ge-Stelllsquo nicht vollzieht bdquoDie moderne Technik kam doch erst inden Gang als sie sich auf die exakte Naturwissenschaft stuumltzen konnte Historisch gerechnetbleibt dies richtig Geschichtlich gedacht trifft es nicht das Wahreldquo Signifikant fuumlr Heideg-gers Attributierung so wie sie oben schon geschildert ist steht Historie fuumlrs Rechnen undGeschichte fuumlr das Denken
173 GA 97 S 508174 GA 79 S 44175 GA 79 S 37176 GA 94 S 236
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323 Die Gefahrlsquo
Aus Heideggers Darlegung uumlber das Ge-Stell erschlieszligen sich seine diversen Fa-
cetten der Vorstellung einer Abstandslosigkeit schaffenden Technik Dass die Ab-
standslosigkeit dem Prinzip des Gevierts des Zusammengestellten entgegensteht
bekommt im Vortrag Die Gefahrlsquo Nachdruck Die mythopoetische Erzaumlhlung
knuumlpft an den Vortrag Das Dinglsquo an mit den Mythologemene 1 Der Mythos
des geschichtlich sein muumlssens 2 der Mythos des Goumlttlichen 3 das geschichtsbe-
sinnliche Prinzip der Aletheia Zudem wird im Prozess des Vortrags das Ge-Stell
zur Gefahr stilisiert was einen eigenen Mythos erschafft
Durch das bdquouniversale Bestellen des Ge-Stellsldquo177 werde die naumlhernde Naumlhe des
Dings verwehrt Wie im Vortrag Das Dinglsquo fuumlhrt Heidegger das Wesentliche sei-
ner Theorie auf die deutsche und altgriechische Sprache zuruumlck Die so vollzoge-
ne Annaumlherung von Schwarzwaumllderischem Dialekt und Altgriechisch entspricht
Heideggers Traum von dem bdquogeschichtliche[n] Geburtsort des abendlaumlndischen
Wesensldquo178 den seine Heimat von Todtnauberg bis Freiburg stiften sollte (1)
es ist das Geistvolle und zugleich das erdenhafte schoumlne Land Es birgt un-sichtbaren Reichtum dem Gemuumlt bewahret tiefstes Dichten und houmlchsteGestalt der Sage179
Unter diesem Vorzeichen also sagt Heidegger
Das Ge-Stellwesen laumlszligt das Ding ohne die Wahr Das Wort die Wahrlsquo be-deutet in unserer Sprache dort wo sie noch urspruumlnglich spricht die HutIn unserer schwaumlbischen Mundart meint das Wort die Wahrlsquo die der muumlt-terlichen Hut anvertrauten Kinder Das Ge-Stell laumlszligt in seinem Stellen dasDing ohne die Hut ndash ohne die Wahr seines Dingwesens180
Diese in Bremen vorgetragene Heimatkunde ist auch Heideggers Sorge ge-
schuldet durch die Besatzermaumlchte und deren kulturellen Einfluss auch durch
die nun moumlgliche Oumlffnung Deutschlands zu einem Austausch mit der Welt das
eigene Wesen zu verlieren So schreibt er 1945-1947() in seine Schwarzen Hefte
177 GA 79 S 46178 GA 97 S 54179 Ebd180 GA 79 S 46
42
Das Schwerste und Fragwuumlrdigste unseres Geschickes ndash beruht darin ob wirdas Eigene finden und huumlten [] unter den anderen Voumllkernlsquo [] Scheinund Vorwand der Macht daszlig man unsere eigene Aufgabe bringen will []als Entmachtete aufgenommen zu sein in den Weltmachenschaftsbetrieb181
Es gaumlbe nach Heidegger also das Welten von Welt und die Verweigerung von
Welt aus derVerwahrlosung des Dings durch das Ge-Stell bzw die Technik182 Welt
ist nach dem Konzept des schwaumlbischen Denkers nichts weniger als das Geviert
Bei der folgenden mythopoetischen Zusammenstellung von dem Geviert mit alt-
griechischen Vokabeln um den Seins-Begriff wird das Aletheia-Prinzip eingefuumlhrt
Somit fuumlhrt uumlber den Mythos des Goumlttlichen (2) der Weg zur Wahrheit eben als
geschichtsbesinnlich erfahrene Aletheia (3)
Welt ist das Geviert von Erde und Himmel Goumlttlichen und SterblichenDas Spiegel-Spiel der Vierung wahrt alles was in ihm dingend zwischenden Vier anwest und abwest in das einende Ganze seines Anwesens Vonaltersher heiszligt das Anwesen des Anwesenden τὸ ὲόν das Seiend [sic] τὸεἶναι das Sein naumlmlich der ὲόντα des Seinenden das esse entium183
Diese Welt waumlre nun bdquoWahrnis des Wesens von Sein Statt Wahrnis sagen wir auch
Wahrheitldquo184 Die Welt mythopoetisch als Spiegel-Spiel des Gevierts und durch
eine altgriechische Brille betrachtet waumlre die wahre Welt Somit wird die Wahr-
heitsschau gebunden einen antiken Goumltterglauben und abendlaumlndische Sprachkas-
kaden vom Dialekt zum Altgriechisch
Das Problem mit der wahren Welt waumlre allerdings dass sie sich in die Ver-
borgenheit entziehe Naumlher betrachtet ist aber die Verborgenheit Bedingung des
Entbergens was Heidegger notwendig macht zu einem wuumlrdigen Lebensvollzug
in Harmonie mit dem Sein Durch solche Wesensschau waumlre der Mensch befaumlhigt
jederzeit die verstellenden Maumlchte des Ge-Stells (der Technik) zu uumlberwinden und
teilhaftig am Wesen der Welt zu werden
181 GA 97 S 99182 Vgl GA 79 S 47183 GA 79 S 48 (Die griechischen Vokabeln werden hier keiner Uumlbersetzung unterzogen Da
Heidegger ohnehin keine philologische Schaumlrfe anwenden will ist es fuumlr die Zwecke hierausreichend sie mit seiner Uumlbersetzung zu betrachten Heidegger spricht von bdquoAchten aufdas Griechischeldquo was schwieriger waumlre als klassische Philologie (vgl GA 79 S 63)
184 Ebd
43
Welt bleibt in der Verborgenheit (Αήθη) auf die Weise daszlig diese ihre Ver-borgenheit gerade eine Unverborgenheit gewaumlhrt die Αλήθεια185
Die Αλήθεια haumltte allerdings auch eine Rolle uumlber die subjektive hinaus da nur
durch ihren Vollzug Seinsgeschichte gewaumlhrt wuumlrde Das ist der Anspruch den
Heidegger an sein Auditorium stellt gemeinsam geschichtlich sein zu muumlssen (1)
Die Αλήθεια ist das Geschick des Seins als welches Geschick sich die Fuumllleder Seinsgeschichte in ihre Epochen fuumlgt186
Mit dem Ge-Stell als Wesen der modernen Technik waumlre die Aletheia aller-
dings hochgradig gefaumlhrdet Denn ohnehin waumlre die Aletheia prinzipiell der Ge-
fahr der Vergessenheit ausgesetzt Doch das Ge-Stell haumltte die Kraft die bdquovollende-
te Vergessenheit der Wahrheit des Seinsldquo187 zu vollrichten
Indem das Ge-Stell alles Anwesende in den Bestand bestellt setzt das Ge-Stell das Anwesen des Anwesenden heraus aus seiner Wesensherkunft ausder Αλήθεια188
Diese Versetzung des beteiligten Wesens aus der Moumlglichkeit des Wahrheitsprin-
zips heraus markiert Heidegger dann mit der Schreibweise Seyn (mit bdquoyldquo) Wie
bei dem Vortrag Das Dinglsquo koumlnnen ethymologische Abstammungen sein Sys-
tem anreichern Da wo es um das Wortfeld des Stellens geht Ge-Stell Bestellen
Verstellen ist auch das NachstellenMitglied der Familie
Im Althochdeutschen heiszligt nachstellen fara Das in sich gesammelte Stellenals Nachstellen ist die Gefahr Der Grundzug des Wesens der Gefahr ist dasNachstellen Insofern das Sein als das Ge-Stell sich selbst mit der Vergessen-heit seines Wesens nachstellt ist das Seyn als Seyn die Gefahr seines eigenenWesens189
Damit wuumlrde sich durch die Verringerung der Selbstreflexion im Seyns-Bestand
eine Schwachstelle auftun in die der denkbegabte und aletheiafaumlhige Mensch ei-
ne Moumlglichkeit haben das Seyn zum Sein zuruumlckzuwandeln ndash also wieder in ein
185 GA 79 S 49186 Ebd187 GA 79 S 53188 GA 79 S 52189 GA 79 S 53
44
wesentliches Verhaumlltnis zum bdquoDingldquo zu gelangen in dem das Geviert wieder die
Harmonie herstellt Allerdings faumlnde bis zu solch einer Nachstellung eine Ver-
sieglung des Seynsbestandes statt Und Heidegger beklagt dass die Erreichung der
Ruumlckeroberung des Seins uumlber die Nachstellung nicht stattfaumlnde und stattdessen
die Irre regieren wuumlrde190
In dieser Irre stuumlnde dem Menschen nicht einmal mehr zu zu sterben Denn
bdquoSterben [] heiszligt den Tod in sein Wesen austragenldquo191 Somit waumlren die Opfer
die in den KZs umkamen wie er sie in Das Dinglsquo bereits schildert nicht vermouml-
gend gewesen zu sterben bdquoSie werden Bestandstuumlcke eines Bestandes der Fabrika-
tion von Leichen [] Sie werden in Vernichtungslagern unauffaumlllig liquidiertldquo192
Das vermoumlge die Gefahr zu bewirken Der Mensch wuumlrde des eigenen Sterbens
beraubt da er keine Verbindung mehr zur Wahrheit der Welt haumltte Um den rich-
tigen Tod zu sterben muumlsse der Mensch die Aletheia schauen koumlnnen Insofern ist
Heideggers Prinzip ein religioumls anmutendes Wie in der christlichen Vorstellung
der Mensch im Jenseits an seinen Taten gemessen wird um Paradies oder Fege-
feuer zu besuchen soll nach Heidegger der Mensch waumlhrend des Sterbens mit
sich selbst ins Gericht gehen Er soll sich rein machen vom Ge-Stell der Technik
und dem Seyn um nicht die einmalge Gelegenheit des richtigen Sterbevollzugs
zu versaumlumen Es winken gemaumlszlig des Gevierts die himmlischen Goumlttlichen den
irdischen Sterblichen zu wobei annehmbar ist dass Heidegger Sterblichen die
die Aletheia erkennen einen Goumlttlichkeitsstatus beimessen moumlchte ndash eine Erlouml-
sungsphantasie
Genau diese Erloumlsung waumlre die Technik nicht
Ohne den Schritt des Denkens zu wagen der unser Menschenwesen demWesen der Technik [] aussetzt wuumlrgt man sich von Fall zu Fall von Lagezu Lage durch die Zwiespaumlltigkeiten hindurch Und genau durch dieses Ge-wuumlrge versaumlumt man die Moumlglichkeit dessen was man im Grunde erstrebtdie Technik durch menschliches Tun zu meistern und menschenwuumlrdig zulenken193
190 Vgl GA 79 S 55191 GA 79 S 55192 GA 79 S 56 Weil Heidegger im Judentum die Verantwortlichen fuumlr das Geraffe des Ge-Stells
sieht macht er sie gleichsam verantwortlich fuumlr die bdquoSelbstvernichtungldquo Die Seinsverges-senheit im Tode wird dadurch zum Spin-off der vermeintlich juumldisch erzeugten da machen-schaftlichen KZ-Maschinerie (Vgl GA 97 S 20f)
193 GA 79 S 59
45
Trost und Richtung findet Heidegger schlieszliglich abermals bei den alten Griechen
Das Wort stellenlsquo entspricht dem griechischen ϑέσις vorausgesetzt daszlig wirϑέσις griechisch denken Was heiszligt in diesem Falle griechisch denkenlsquo Esheiszligt darauf achten welche Lichtung desWesens des Seyns in welcherWeisedas Dasein der alten Griechen in den Anspruch genommen hat heiszligt imvoraus bedenken in welchem Geschick welcher Unverborgenheit des Seinsdie Griechen standenldquo194
Das sind Vorstellungen des Neuen Anfangs eine Reminiszenz der griechisch anti-
ken Welt Ein Eintrag aus den Schwarzen Heften von etwa 1945-47 () verdichtet
wie oben bereits aufgezeigt die Phantasie griechisch zu sein zu einem gelingenden
Lebensvollzug
Das reine Wesen des Griechentums dh das Seiende inmitten dessen dieGriechen als seiende fremd gewesen dieses und sie selbst und der Bezug desSeins zu ihnen ndash in der einfachen Wesung von der ἀλήθεια her zeigen underfahren Den μῦθος und λόγος ndash jedes Wort und Gebild rein aber nichterzwungen und schematisch-pedant ndash aus ἀλήθεια erfahren195
Hier zeigt sich auch dass Heidegger per se das Aletheia-Prinzip fuumlr notwendig
hielt um ins Licht der Wahrheit zu blicken Die Griechen sind ihm hier deshalb
Vorbild und rein da sie keiner modernen Technik und dem Ge-Stell ausgesetzt
waren sondern lediglich eine mythopoetische Verbindung zum Sein herstellen
mussten um wesentlich zu sein und Seinsgeschichte zu schreiben Die Dinge und
das Spiegel-Spiel des Gevierts waumlren ihnen geschickt zuhanden gewesen196 Hei-
degger macht schlieszliglich sehr deutlich dass das Griechische zu denken ein bei
weitem anderes Geschaumlft sei als philologische Praumlzision
Ein Echo zu sein naumlmlich dem Anspruch des Seins verlangt eine Sorgfaltder Sprache von der freilich der technisch-terminologische Sprachstil derWissenschaften uumlberhaupt nichts wissen kann Die Intentionalitaumlt der wis-senschaftlichen Sprache ist der staumlrkste Beweis fuumlr ihre Boden- und Heimat-losigkeit [] Das Heimische einer hohen Sprache gedeiht nur im Bereichdes unheimlichen Anspruchs der wesenhaften Stille im Wesen des Seyns197
194 GA 79 S 62f195 GA 97 S 20196 Hingegen waumlre das Judentum verantwortlich fuumlr das Ge-Stell fuumlr das Prinzip der Zerstoumlrung
wie es auf der selben Seite der Schwarzen Hefte darunter heiszligt (vgl ebd)197 GA 79 S 66 Die Bedeutung von Seyn als verstelltes Sein oder Bedingung zum Schauen
des wahren Seins ist verwirrend Einer genaueren Analyse wird aus Platzgruumlnden hier nichtnachgegangen
46
324 Die Kehrelsquo
Der letzte Vortrag ist mit nur neun Seiten der Kuumlrzeste des Vortragsgevierts
Nach dem Verlust des Dinges als Ding und der damit einsetzenden Abstandslosig-
keit als Wesen des Ge-Stells wobei die Gefahr zudem der Vergessenheit des Seyns
nachstellt bietet Heidegger eine Perspektive an
Im Wesen der Gefahr verbirgt sich [] die Moumlglichkeit einer Kehre in derdie Vergessenheit des Wesens des Seins sich so wendet daszlig mit dieser Kehredie Wahrheit des Wesens des Seyns in das Seiende eigens einkehrt198
Diese Moumlglichkeit bedeute nicht dass der Mensch sich der Gefahr selbst stellen
koumlnnte sie waumlre passiv ndash bdquoverbirgt sichldquo Die Kehre werde sich ereignen aumlhnlich
einer Erwartung an den Messias
Die Anwesenheit der Gefahr wuumlrde automatisch die Rettung bergen Denn
Houmllderlin haumltte geschrieben bdquoWo aber Gefahr ist waumlchst [d]as Rettende auchlsquoldquo199
Etwa 1945 notiert Heidegger in seine Schwarzen Hefte bdquoDie Wahrheit erfahren
wir im Gedaumlchtnis Das Gedaumlchtnis ist die Dichtungldquo200 (so) Von dieser War-
te aus ausgestattet mit Erinnerungen an das abendlaumlndische Dichten mit dem
Wissen um das Aletheia-Prinzip und passiv als denkender Huumlter des Seyns solle
der Mensch das Ereignis erwarten das ihn bdquoloumlsen freimachen freyen schonen
bergen in die Hut nehmen wahrenldquo201 wuumlrde (siehe S 43)
Dieses Ereignis waumlre der Blitz Ein unvermittelter jaumlher ploumltzlicher Moment
von kurzer Dauer der bloszlig einen ebenso kurzen Blick auf das wahre Wesen er-
lauben wuumlrde Abschlieszligend ist dies das Rezept gegen die Bestands bestellende
Technik in mythopoetischer Formulierung
So entsprechend ist der Mensch geeignet daszlig er im gewahrten Element vonWelt als der Sterbliche dem Goumlttlichen entgegenblickt Anders nicht dennauch der Gott ist wenn er ist ein Seiender steht als Seiender im Seyn unddessen Wesen das sich aus dem Welten von Welt ereignet202
198 GA 79 S 71199 GA 79 S 72200 GA 97 S 52f201 GA 79 S 72202 GA 79 S 76
47
Wenn Heidegger im Anschluss von der bdquohistorisch-technischen Darstellungldquo re-
det so ist dies die Abwehr der Wissenschaften (auch der Philosophie203) und ein
Appell an die Antirationalitaumlt des Mythos bdquokein historisches Vorstellen der Ge-
schichte als Geschehen bringt in den schicklichen Bezug zum Geschickldquo204
Damit das Blitzen erfahren werde als kurze Wesensschau der Aletheia muumlsse
dem wahren abendlaumlndischen und heimatlichen Ereignis stattgegeben werden Es
sollte nicht wie er 1939 schon in den Schwarzen Heften beschreibt das
kuumlnstliche Licht von Historie und Technik in der weder Mensch noch dieGoumltter weder eineWelt noch die Erde sichtbar werden koumlnnen wo aber dasLebenlsquo von allen den immer noch zu wenigen Meistenlsquo erlebtlsquo wird205
Damit schlieszligt der letzte Vortrag mit einer Erwartung an das Ereignis des Blit-
zens nicht das Erleben der Besinnungslosigkeit (vgl Das Ge-Stelllsquo) Schon 1947
traumlumt Heidegger von solcher Umkehr
Aus der Kehre der Seynsvergessenheit aber ereignet sich das Unumgaumlnglicheden Acker der Welt erst zu pfluumlgen und saatbereit der Sonne und dem Regenund den Voumlgeln des Himmels uumlberlassen206
203 Denn ldquo[e]igentlich denken heiszligt [] die Philosophie verlassen [] beim Sagen des Seinslsquoldquo(GA 97 S 60)
204 Ebd205 GA 95 S 427 Gegen das Erlebnis und Erleben straumlubt sich Heidegger besonders So notiert
er etwa 1939 bdquoZeitalter der Techniklsquo macht gerade die Techniklsquo nicht zum Ziel sondernimmer mehr zum Mittel der besinnungslosen Berechnung [] der Mensch [] das Erleb-nislsquo [] Erleben als der Gefuumlhlsgenuszligldquo (GA 95 S 149) Wie auch bdquoWo beide Historie undTechnik in solcher scheinbaren Gegensaumltzlichkeit verkoppelt sind koumlnnen sie sich zur Foumlr-derung dessen zusammenschlieszligen was einstmals wesentlich die Geschichte des Menschenmitbegruumlndete und was wir die Kunstlsquo nennen Die Historie verschafft [] Anregungenund Vorbilder der Nachahmung die Technik erleichtert [] die Zustellung von Darstel-lungsmitteln und Wirkungsformen [] Gleichwohl ist alles wurzellos [] berechnet und alsErlebnislsquo ausgegebenldquo (GA 95 S 212)
206 GA 97 S 511
48
4 Konklusion
Der umstrittene Philosoph Martin Heidegger hat uumlber die 1930erndash40er Jahre
hinweg eine ausgepraumlgte voumllkisch-nationale und bisweilen radikal-antisemitische
Denkweise entwickelt Dieses Denken fasste er auch auf als Besinnung und stellt
es der Philosophie und Wissenschaft diametral entgegen In Kapitel 2 wird aufge-
zeigt dass sowohl Heideggers Mythologie bereits kritisiert wurde (Adorno Cassi-
rer Meyer) als auch seine Mythopoetik bewundert (Schulz-Nieswandt) Kapitel
3 will daruumlber hinaus aufzeigen wie Heidegger eine eigene Mythologie mytho-
poetisch fruchtbar macht was sich von beiden vorigen Ansaumltzen unterscheidet
und erst mit der Veroumlffentlichung der Schwarzen Hefte ab 2014 nachvollziehbar
wurde
Umso mehr bietet die mythopoetische Verbindung von bdquoDichten und Den-
kenldquo (so) einen antitechnischen Gegenpol Denn Heidegger fasst wie oben ge-
schildert alles Rationale auf als berechnende Bestellung des Bestands im Sinne
der Technik Daruumlber hinaus fordert er mit dem Aletheia-Prinzip (als metapho-
risch gefasstes Ereignis des Blitzens) einen Mitvollzug seiner mythopoetischen
Kontemplation in dem religioumlse voumllkische antike und sprachliche Motive zu-
sammenfallen
Obwohl schon von Heidegger selbst nicht mehr als Philosophie betrachtet
hat seine Rede vom Ding dem Ge-Stell dem Wesen der Technik und der Kehre
noch immer einen bedeutenden Einfluss auf die Technikphilosophie So betont
Alfred Nordmann in bdquoWerkwissen oder How to express things in worksldquo (2008)
dass Heidegger mit Das Dinglsquo eine Art Dingwissen geschaffen haumltte In seinem
2012 erschienenen Aufsatz Another parting of the ways Intersubjectivity and the
objectivity of sciencersquo207 geht Nordmann ein weiteres Mal auf Heideggers Ding
ein Dieses waumlre eine Abarbeitung an dem Ding Kants womit auch Nordmann
Heidegger als einen Interpreten Kants versteht208 Anschlieszligend anMichael Fried-
207 Nordmann Alfred Another parting of the ways Intersubjectivity and the objectivity ofscience In Studies in History and Philosophy of Science 43 (2012) 38ndash46
208 Die Auseinandersetzung mit dem Ding wuumlrde nach Nordmann in Heideggers GA mit demText Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalen Grundsaumltzenlsquoeinsetzen (GA 41 Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalenGrundsaumltzen)
49
man spricht sich Nordmann ebenso dafuumlr aus dass Heidegger neben Rudolf Car-
nap und Ernst Cassirer eine neokantianische Philosophie verfolgt haumltte (siehe
Kap 1)209
Nach Nordmann haumltte Heidegger in seinen anschlieszligenden Gedanken uumlber
das Ding als Fortfuumlhrung Kants als erster Wissenschaft als angewandte Techno-
logie verstanden210 Diese Interpretation stuumltzt sich auf die gleichen Symbole
Metaphern und Mythen die die vorliegende Arbeit analysiert Das Ge-Stell ist
insofern aumlquivok mit dem Begriff techno-science Jedoch sind in dieser Fruchtbar-
machung von Heideggers Denken der Technik dessen nationalistischen rassisti-
schen und antisemitischen Implikationen die die vorliegende Arbeit als Zentrum
dessen Philosophie ermitteln konnte noch nicht beachtet worden koumlnnen211
Andreas Luckner webt Heideggers Ding-Entwurf weiter als verantwortliches
Sorgen um die Dinge212 Er geht dabei mit Heidegger voumlllig konform und tritt
eher als eine Art Bote der Ding-Botschaft auf als diese moumlglicherweise zu kriti-
sieren was sich diesen Artikel wie ein Kapitel aus einem Studienbuch lesen laumlsst
Der Darmstaumldter Technikphilosoph Christoph Hubig ist vor allem Kritiker Hei-
deggers Argumentationen laumlsst aber zuweilen diverse Topoi aus dem Werk des
Technik-Denkers durchscheinen ohne sie weiter zu reflektieren
So konstatiert Hubig Heidegger verfehle in dessen Auseinandersetzung mit
Aristoteles Lehre von der Poiesis zum Punkt der Sicherung wie sie in Die Frage
nach der Techniklsquo behandelt wird bdquodie operative Seite des Technischenldquo bei Aris-
totels213 In einem spaumlteren Aufsatz allerdings stuumltzt er sich ohne weitere Erlaumlute-
rungen auf Heideggers Begriff der Sicherung aus Die Frage nach der Techniklsquo214
209 Diese Befriedung paradigmatischer Umstaumlnde wird hier nicht geteilt Eine weitere Bearbeitunglaumlsst der Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht zu
210 Vgl Nordmann Another parting of the ways S 45211 Der Aussage dass Heideggers Ding-Begriff kantianisch waumlre muumlsste einer gezielten Untersu-
chung unterzogen werden genau wie die Behauptung insgesamt dass Heidegger oder inwie-weit dieser noch der suumlddeutschen Kantschule des 1920 Jahrhunderts angehoumlrte
212 Vgl Luckner Andreas Ding und Bestand Heidegger und das Wesen neuzeitlicher TechnikIn Gamm G Gehring P Hubig C Kaminski A und Nordmann A Ding und SystemS 15-30 hier S 29
213 Hubig Christoph Die Kunst des Moumlglichen Technikphilosophie als Reflexion der MedialitaumltBielefeld 2006 S 103
214 Vgl Hubig Christoph Technik als Medium In Grundwald Armin (Hg) Handbuch Tech-nikethik Stuttgart 2013 S 118-123 hier S 118
50
Dabei versteht Hubig Heideggers Betrachtungen zum Umgang mit der Technik
als gelassen
Fuumlr Heidegger liegt die Andersheit im Entbergen einer Wahrheit des Seinseines Geschicks von dem die Entwicklung der Technik hin zum Gestellkuumlnde Er verbindet dies mit dem Appell jenseits des rechnenden und si-chernden Vorstellens technischer Vollzuumlge als handlungsleitender Program-me sich gelassenlsquo dieser Entwicklung zu uumlberantworten und ein Seinlsquo zuhuumlten das sich als solches eben entbirgt Das Rettendelsquo dieser Einsicht lie-ge darin dass unsere individuelle Endlichkeit insofern transzendiert wirdals sie sich dem sie uumlbersteigenden Prozess aufschlieszligt und sich selbst relati-viert215
Wovon in diesem Zitat nicht die Rede ist ist der Mitvollzug der mythopoe-
tischen Rahmenbedinungen die Heidegger einfordert und an dem die Konzep-
te Abendland und voumllkische Tradition haumlngen In dieser Arbeit wird davon aus-
gegangen dass Heideggers Technikphilosophie-erzaumlhlung sich nicht von seinen
Absichten der Bekaumlmpfung des Technischen loumlsen laumlsst Die Relativierung ist in-
sofern nicht an den Prozess gebunden und damit emergent auf alles hin ausge-
richtet was kommen mag sondern houmlchst konvergent in einer Besinnung auf
Mythen von dem Ding und dem Geviert mit all deren Valenzen aus dem vorlie-
genden Heideggerschen Textkorpus Die individuelle Endlichkeit ist genoumltigt die
Heimat und das Abendland zu kennen und im Aletheia-Prinzip umzusetzen
Die Neubewertung der bislang bekannten Heideggerschen Technikphiloso-
phie von vor den SchwarzenHeften ist ein dringendes Desiderat Voumllkisch-nationale
Gruppierungen erstarken momentan in ganz Europa und es koumlnnte sehr hilfreich
sein aumlhnliche Denkstrukturen aufzudecken so wie sie zwischen den 1930er und
40er Jahren entwickelt wurden Zusaumltzlich muss das Werk Heideggers einer kriti-
schen Revision schon aufgrund der niemals von ihm behandelten Antisemitismen
unterzogen werden Heidegger hat nie zu diesen Stellung bezogen
Daruumlber hinaus ist das Thema Mythos und Philosophie ein weiterhin not-
wendiger Bereich der philosophischen Forschung In einem Bereich auszligerhalb
der exakten Wissenschaften und ohne klare theologische Tradition ist die Philo-
215 Hubig Die Kunst des Moumlglichen S 140
51
sophie beides sowohl Aufklaumlrer und antimythisch als auch Quelle fuumlr mythisches
Denken und affektierende Motive
52
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Die_Heidegger-Kontroverse ndash zuletzt abgerufen am 24042016)
56
Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
Der Unterzeichner versichert dass er die vorliegende Bachelorarbeit selbststaumlndig
verfasst und keine anderen als die von ihm angegebenen Hilfsmittel benutzt hat
Die Stellen der Arbeit die anderen Werken dem Wortlaut oder dem Sinne nach
entnommen sind wurden in jedem Fall unter Angabe der Quellen (einschlieszliglich
des World Wide Web und anderer elektronischer Text- und Datensammlungen)
kenntlich gemacht Dies gilt auch fuumlr beigegebene Zeichnungen bildliche Dar-
stellungen Skizzen und dergleichen
Darmstadt 25 April 2016
__________________________
(Eigenhaumlndige Unterschrift)
- Abkuumlrzungsverzeichnis
- Danksagung
- Einleitung
- Heideggers mythopoetisches Programm
-
- Zu den Begriffen Mythos Mythologie und Mythopoetik
-
- Ein Beispiel fuumlr ein Mythologem
-
- Heideggers Mythen
-
- Formen der Mythologie
-
- Heideggers mythopoetische Technik
-
- Zur Publikationsgeschichte von den Bremer Vortraumlgen 1949
- Die mythopoetische Spiegelung der Schwarzen Hefte
-
- Das Dinglsquo
- Das Ge-Stelllsquo
- Die Gefahrlsquo
- Die Kehrelsquo
-
- Konklusion
- Literaturverzeichnis
- Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
-
17
buumlcher verschmilzt Heidegger seine Vision von Dichten und Denken stellt sich
unter dieses Ideal
Dichten undDenken ineinander geschlungen und so waumlre ihrWas im verbindend-trennenden Bestimmen gewonnen63
Als bdquoAusgriff in den Begriffldquo versteht Heidegger dies als bdquovorschreibend-bildenden
Entwurfldquo der hinfuumlhrend zum Ereignis des Aletheia-Prinzips waumlre ndash
(Dichtung als Mythos
Dichtung als Dichtung im engeren Sinne gtgtGedichtltlt
Dichtung als Philosophie)64
Grundsaumltzlich ist die lose wirkende Legion von Lemmata nicht mit einer
Ruumlckfuumlhrung seiner Gedanken auf bestimmte griechische Goumltter und antike (ech-
te) Mythen besetzt Heidegger fetischisiert Begriffe und mythologisiert die von
ihm aufgepfropfte Bedeutung durch ein staumlndiges Wiederholen und Weiterden-
ken als bdquoWissenldquo wie Meyer es herausgearbeitet hat In dieser philosophischen
Alchemie sieht sich Heidegger als Denker als Bewahrer einer uralten Lehre die
eben neu widererstarken muumlsse Das hat Meyer auch schon klar gemacht Die My-
thopoetik erscheint aber hauptsaumlchlich nicht in den Schwarzen Heften sondern in
den Vortragspublikationen sich auf seine private Mythologie beziehend die in
den Schwarzen Heften zu Grunde gelegt wird
Die Mythen Heideggers drehen sich wie Meyer zurecht behauptet um den
Ursprung bei den Griechen den bdquoGrund der Geschichte des Abendlandesldquo65
Aber auch um die vielen Binaritaumlten die sich entgegengesetzt werden und tat-
saumlchlich wie der Heidegger-Herausgeber und Initiator und Leiter des Wupper-
taler Heidegger Instituts Peter Trawny es benannt hat auf einen Manichaumlismus
zulaufen66 Die Abgrenzungspolitik im Sinne des schuumltzenswerten abendlaumlndisch-
heimatlichen Deutschlands richtet sich gegen den inneren Feind vorangetrieben
63 GA 94 S 6564 GA 94 S 6665 GA 96 S 20566 Trawny Peter Heidegger und der Mythos der juumldischen Weltverschwoumlrung Frankfurt am
Main 2015 S 22Das hier aufgefuumlhrte Buch birgt einige problematische Umformungen zum Verhaumlltnis von
Heideggers Antisemititsmus Allem voran versucht es eine Begriffsbildung zu formen nach
18
von der Rechenhaftigkeit des juumldischen Wesens und die aumluszligeren Feinde wie Ameri-
kanismus franzoumlsische Kultur russischer Bolschewismus usw Heideggers Urmythos
vom neuen Anfang ist verquickt mit einem selbstangedichteten Personenmythos
was ebenfalls Meyer schon erkannt hat Dieses Schema ist die Grundstruktur
Immer deutlicher wird in mir die Ahnung daszlig unsere Heimat der Kerndes suumldwestdeutschen Landes [er selbst DS] der geschichtliche Geburtsortdes abendlaumlndischenWesens sein wird [] es ist das Geistvolle und zugleichdas erdenhafte schoumlne Land Es birgt unsichtbaren Reichtum dem Gemuumltbewahret tiefstes Dichten und houmlchste Gestalt der Sage67
Die mitunter wichtigste Dichotomie die Heidegger in den Denktagebuumlchern
aufwirft ist die zwischen Historie und Geschichte Es ist insofern nicht nur der
Mythos des neuen Anfangs der Heideggers Denken uumlber fast zwei Dekaden be-
stimmt sondern umso mehr die doppelte Projektion ndash des Verfalls (Machenschaft)
in eine Konstruktion von Historie und des Bestehens (Sein) in die konstruierte
Geschichte68 Geschichte faumlllt dann schlieszliglich mit der Schaffung des neuen An-
fangs so zusammen wie Historie mit Technik verschraumlnkt wird Geschichtlichkeit
muss durch das Prinzip des Ereignisses der Aletheia prozessiert werden waumlhrend
die verrationalisierte wissenschaftliche technische Historisierung des Lebens und
der Lebenswelt dem widerstrebt
Die Bindung von Heideggers Vorstellung des richtigen Lebens im Sein mit
demAbendland und einer voumllkisch-nationalen Groumlszlige undUumlberlegenheit Deutsch-
lands ist dabei ausschlaggebend Denn mit der Charakterisierung des Guten auf
derer Heideggers Antisemitismus mittels Heideggers Denkmethode behandelt aufgehobenwerden koumlnnte Die Hauptbegriffe darin sind bdquoSeinsgeschichtlicher Antisemitismusldquo undbdquoKontamination des Denkensldquo Von einer tieferen Auseinandersetzung muss an dieser Stelleabgesehen werden
67 GA 97 S 5468 In Band 66 der GA gibt es bereits einen kleinen Abriss der Historie und Techniklsquo die der Ge-
schichte gegenuumlbergestellt werden Das dies eine Uumlbertragung der Gedanken aus den Schwar-zen Heften ist ist ohne Zweifel Ein ansatzweise philosophisches Vorgehen vermengt sichdort mit dem poeto-mythologischen Denken Heideggers In Sachen mythopoetischer Figu-ren undMetaphernreichtum haumllt sich dieser dort aber noch zuruumlck (auch wenn er hier bereitsoumlffentlich vom bdquohistorischen Tierldquo redet) Die Absicht Technik und Historie als Verstellungdes abendlaumlndischen Menschen zu brandmarken stehen dabei im Vordergrund Weiterhinsoll in dieser Arbeit allerdings der Fokus auf den Schwarzen Heften und der Mythopoetik inden Technikvortraumlgen der Nachkriegszeit liegenDer Duden sieht Geschichte und Historie als Synonyme Von einer Ethymologie und der
Spekulation von Heideggers Gruumlnden der Auseinanderhaltung der zwei Synonyme soll hierabgesehen werden
19
der Seite des Seins sind die Feinde dessen eine Notwendigkeit seines Erklaumlrungs-
schemas Dabei sind es vor allem die Juden denen die Wurzel des Antiseien-
den von Heidegger in ihr vermeintliches Wesen geschrieben wird Exemplarisch
spricht dafuumlr dieses Zitat aus Band 96
Die zweite Machtsteigerung des Judentums aber hat darin ihren Grund daszligdie Metaphysik des Abendlandes zumal in ihrer neuzeitlichen Entfaltungdie Ansatzstelle bot fuumlr das Sichbreitmachen einer sonst leeren Rationalitaumltund Rechenfaumlhigkeit die sich auf solchem Wege eine Unterkunft im Geistlsquovarschaffte ohne die verborgenen Entscheidungsbezirke von sich aus je zufassen zu koumlnnen69
Diese Vorstellung ist eine Konkretisierung dessen was Heidegger mit den Uumlber-
begriffen Historie vs Geschichte einige Jahre vorher begann zu topografieren
Wir sind durch die Historie geschwaumlcht [] ndash wir koumlnnen nur durch das ge-rettet werden was uns in seiner Verfaumllschung widert ndash durch die Geschich-te70
Dieses bdquoWirldquo sind die glorifizierten Deutschen vor allem nach der Ableitung von
den Griechen uumlber Houmllderlin (und dessen Griechen) und Nietzsche zu ihm und
seinem kleinen Kreis von ihm anerkannter Intellektuellen-Kollegen wie etwa
Carl Schmitt Oswald Spengler Walther F Otto und Ernst Juumlnger Die Luft auf
Heideggers Denker-Olymp ist duumlnn und bekommt nur Wenigen
Die Geschichte in Heideggers solipsistisch-immanenten Nachdenken erklaumlrt
sich wie gesagt immer zusammen mit der Hoffnung auf den neuen Anfang und
als Besinnung auf das Denken als Akt gegen die Historie Die Paarung der zwei
Woumlrter bdquoGeschichteldquo und bdquoBesinnungldquo durchzieht in deutlicher Haumlufigkeit alle
vier Baumlnde der Schwarzen Hefte ndash bdquogeschichtliche Besinnung [] ist die Uumlberwin-
dung der Historie und des Historismusldquo und sie bdquobedarf der houmlchsten Strenge
hinter der die historische Exaktheitlsquo weit zuruumlckbleibtldquo ndash somit ferner bdquonur wer
Geschichtemacht vermag sie auch zu errettenldquo71 Das oben mit Meyer und Schulz-
69 GA 96 S 4670 GA 94 S 26771 GA 94 S 358f
Dass die Besinnung eine militante Perspektive hat laumlszligt sich auch in Heideggers Vereh-rung Heraklits ldquoDer Krieg ist der Vater aller Dingerdquo finden Heidegger sah sich selbst alsDenker als Propheten des Seins Aus dieser Warte betrachetete er zuerst den Nationalsozia-
20
Nieswandt bereits aufgezeigte Bereiten des Goumlttlichen legt Heidegger in seinen
Begriff der Geschichte
Geschichte ndash das Gewagtwerden der Goumltter nur Groszlig als Untergang oderSieg ndash nicht Dauerlsquo wesentlich ndash sondern die Abgruumlndigkeit der Erstrei-tung ndash Opfer und Weile
Historie ist bei Heidegger bdquogeschichtliche Entwurzelungldquo die bdquoTyrannei der
Technikldquo bdquoSelbstvergoumltterungldquo und bdquoAbgoumltterei der Technikldquo72 In einer skizzen-
haften Emanationsfolge wird dieHistorie als Modus der Technik auf sich selbst zu-
ruumlckgefuumlhrt bdquoDas Riesige ndash [] Historie die Technik der Geschichtelsquo Technik
Die Historie der Naturldquolsquo73 Es ist vage annehmbar dass Heidegger hier die Tech-
nik als rechenhafte machenschaftliche Historisierung der Natur versteht die vor
dem Geschichtsbegriff stattgefunden haumltte Diese wiederum haumltte die Geschichte
in die rechenhafte Machenschaft verfremdet Wie ein Apparat erscheint Heidegger
der Gegenstand seiner Historie zu sein die sich automatisch durchsetzen wuumlrde
Die Historie stellt zunaumlchst das Nacheinander der Begebenheiten dessenwas vorbeizieht (passiertlsquo) her [] Sie erklaumlrt dann Spaumlteres aus dem Fruuml-heren sie findet sogar dass Ideen die Geschichtelsquo bestimmen74
Den historisierend narrativen Umgang mit Geschichte als Wissenschaft emp-
findet Heidegger als Technisierung derGeschichte Diese wiederum basiert auf den
statischen Topoi seiner Mythen von Vaterland Bauerntum Houmllderlin alten Grie-
chen den Goumlttern etc und der Anwendung des Aletheia-Prinzips im Ereignis
Das ist ein Tugendenkatalog der Deutschtuumlmelei mit einer paumldagogischen Kom-
ponente seine Mythologie im Aletheia-Prinzip zu praktizieren Er nennt dieses
Geschaumlft auch Denken und ahnt dessen Feinde bdquodie Forscher die in der Technik
ihres Arbeitens keine Reibung dulden und ihr Wissen fuumlr den Geist haltenldquo75
lismus und nach dem Krieg den real existierenden Sozialismus des Ostblocks im Zuge deratomaren Aufruumlstung als Vollstrecker Macher der Geschichte die den neuen Anfang ebnensollten Dass Heidegger diese bdquoklaumlrendeldquo Wirkung tatsaumlchlich spaumlter den Russen zuschreibtlaumlszligt sich in Band 97 der GA zweifelsohne nachvollziehen Hier kann aus Gattungsgruumlnden(BA-Thesis) nicht naumlher auf dieses Faible fuumlr absolutistische Regime eingegangen werden Je-denfalls ist die geschichtliche Besinnung und der Kriegsakt ein Widerspruch den Heideggerjedoch gleichsam adressiert Auch dies kann hier nicht weiter untersucht werden
72 GA 9473 GA 95 S 35174 GA 96 S 6275 GA 97 S 509
21
Insofern verschraumlnkt Heidegger das bdquohistorisch-technischeldquo zum Antagonis-
ten der bdquogeschichtlichen Besinnungldquo Es ist die Entwicklung einer historisch-
geschichtlichen Differenz unter dem Zeichen der Besinnung gegen die techni-
sche Machenschaft ndash es geht um zwei unterschiedliche Wissenssysteme76 In den
Schwarzen Heftenwird Technikmeistens als eine Seite der Muumlnze mit der anderen
der Historie genannt Sie haumltten eine schon angedeutete dualistische Dynamik
Wo beide Historie und Technik in solcher scheinbaren Gegensaumltzlichkeitverkoppelt sind koumlnnen sie sich zur Foumlrderung dessen zusammenschlieszligenwas einstmals wesentliche die Geschichte des Menschen mitbegruumlndet undwas wir die Kunstlsquo nennen Die Historie verschafft [] Anregungen undVorbilder der Nachahmung die Technik erleichtert [] die Zustellung vonDarstellungsmitteln und Wirkungsformen [] Gleichwohl ist alles wurzel-los [] berechnet und als Erlebnislsquo ausgegeben77
Diese vermeintliche Gefahr muumlnde als bdquoZuumlgellosigkeit des Historismusldquolsquo in der
bdquoBodenlosigkeit [] (das Judentum)ldquo78 Heideggers Mythos ist hier dieser bdquoWir
muumlssen zuvor geschichtlich sein [] Ohne diese uumlberlieferung verfaumlllt alles der
historisch-technischen Machenschaftldquo79
Heidegger mythologisiert uumlber den bdquoAuftrag des Deutschenldquo80 will in bdquoge-
schichtlicher Besinnung sehr weit zuruumlckgehen ndash auf den Zusammenhang von
τέχνη ἀλήθεια und οὐσίαldquo81 um Technik auf ihr Wesen im antiken Ursprung
zuruumlckzufuumlhren bdquoDie techne hat [] den Sieg uumlber die [] aletheia errungenldquo82
Heidegger will sie zuruumlckgewinnen Er will der Technik aus dem bdquoEreignisldquo83
wieder uumlbermaumlchtig werden und sieht das bdquoWesen des Vaterlandesldquo84 im Abend-
land Dabei ist es ihm unentbehrlich zu wissen bdquodaszlig das Griechentum [] und
76 Heideggers noch immer vorhande Rezeption in Puncto seiner Technikphilosophie erstauntdamit dass sein Prinzip der aletheiologischen Besinnung als alternatives Wissenssystem undTechnikkritik ob der eigenwilligen Konstruktion den Entwicklungen der Zeit standhaumllt
77 GA 95 S 21278 GA 95 S 9779 GA 96 S 10480 GA 94 S 6681 GA 94 S 35782 GA 95 S 13283 Ebd84 GA 96 S 52
22
nicht das Roumlmertum der Grund der Geschichte des Abendlandes istldquo85 Sein My-
thos von Heimat verknuumlpft sich uumlber Dichtung und Ereignis zu einem fuumlr die
Technikphilosophie essentiellen Bezugs-Topos
Wir brauchen keine Technik [] Das Wesen des Vaterlandes ist das Abend-land In ihm werden die Deutschen erst deutsch und erkennen die Muttervon Allem die unversehrte Erde [] Die Wahrheit erfahren wir im Ge-daumlchtnis Das Gedaumlchtnis ist die Dichtung Die Dichtung sagen der Denkerund Saumlnger in ihrem Gespraumlch Dieses Gespraumlch erst ereignet dichterisch dieDichtung in die Sprache (die Dichtung das Ereignis und das Ereignis dasAbendland) [] Wohnt in seiner Sprache [] seyd dem Seyn im Seyn Soist Sein das Seyn86
Eine weitere mythologische Form haben seine Fuumlgungen von Jahreszahlen
womit er bereits in den Bereich des Okkulten Mystischen abzurutschen droht
Houmllderlin wurde [] 1770 geboren [] 1870 aber Lenin Waumlhrend der []Lebenszeit Houmllderlins vollzogen sich die entscheidenden technischen Entde-ckungen und Erfindungen der neuzeitlichen Technik (1774ndash1806)87
Und ferner bdquo1807 Phaumlnomenologie des Geistes 1867 Das Kapital 1927 Sein
und Zeitldquo88
Als letzter Mythos sei hier sein Aufgriff der Spenglerschen Metapher des
Raubtiers89 aufgezeigt Uumlber weite Strecken philosophiert Heidegger uumlber das his-
torische Tier Das historische Tier muumlsse vernichtet werden die bdquodeutsche Zukunft
wirdlsquo nicht erst seinlsquo sie istlsquo schon seit Houmllderlin sie stifteteldquo90 Der Homo
faber ist fuumlr Heidegger das historisch-technische Tier qua der bdquoAngewiesenheit auf
das Tierhafte als Wesensgrundldquo91 Es fehle ihm was bdquodie Griechen als Anfangen-
deldquo mit der bdquoZugewiesenheit des Menschen zum Sein gewagt habenldquo92 wodurch
85 GA 96 S 20586 GA 97 S 52f Hierbei handelt es sich um eine Nachkriegsnotiz Heidegger aumlnderte den die
Adressierung in eine direkte Ansprache richtet sich an seine imaginierte Volksgemeinschaft87 GA 96 S 17488 GA 97 S 131 Womoumlglich ist es eine Uumlbung per Jahreszahlen das Aletheia-Prinzip zu prakti-
zieren eine Kontemplationshilfe Andererseits koumlnnte er auch der Regelmaumlszligigkeit der Zah-lenfolgen eine uumlbernatuumlrliche bdquoWahrheitldquo beimessen Dies bleibt an dieser Stelle unerforscht
89 VGl Spengler Oswald Der Mensch und die Technik Muumlnchen 1931 S 1090 GA 95 S 19791 GA 95 S 32092 GA 95 S 321
23
er den bdquoGoumlttern unertraumlglich gewordenldquo93 waumlre Das bdquoRaubtierldquo dem gegenuumlber
bdquoist die Urform des Heldenlsquoldquo94 Dann behauptet Heidegger dass das Raubtier das
historisch-technische Tier durch Anwendung seiner eigenen Waffen schlagen koumlnn-
te Es ist dabei die bdquoUumlberwindung der Metaphysikldquo mitgedacht die erfolge sobald
sich das metaphysische Fragen durch den Wille zum Willen verfestigt95 Auch
Spengler dachte an dieses Derivat des Nietzsche Topos vomWillen zur Macht das
er seiner antropomorphen Chimaumlre vom Raubtiermenschen eingibt Wieder ist
von der Gewalt die Rede die ein Tabula rasa schaffen sollte zur Wiederauferste-
hung des griechisch-abendlaumlndischen Anfangs in Deutschland bdquoDas Raubtier aber
mit denMitteln der houmlchsten Technik ausgestattet ndash vollendet die Verwirklichung
der brutalitas des Seinsldquo96
Es scheint so als haumltte Heidegger auf jeden Begriff einen Gegenbegriff (selbst
zum historisch-technischen Tier das Raubtier)97 Aber es geht hier nicht um die
Analyse ausgewogener Formprinzipien oder die Kritisierung seiner linguistischen
philologischen Faumlhigkeiten Die Zitierung der Heideggerschen Mythologie soll
seine Verbindung von voumllkisch-nationaler und antisemitischer Haltung mit den
Bedingungen und Anspruumlchen seines Philosophierens aufzeigen Da die Schwar-
zen Hefte wie alle sonstigen Werke seines philosophischen Schaffens in der GA
erschienen sind muumlssen sie insofern als Teil derer gelten Das bedeutet dass sie
ausreichend Relevanz fuumlr die Arbeiten uumlber die Technik haben98
93 GA 95 S 23694 GA 95 S 39795 Vgl GA 7 Uumlberwindung der Metaphysik S 7896 GA 95 S 39797 Vgl Rudolph Heideggers Schwarze Hefte im Echo S 151 bdquoKeiner hat Nietzsche so konse-
quent und wahnwitzig zumNazi avant la lettre verformt wie Heidegger und keiner hat einenzuvor gewaltsam gefuumlgig gemachten Nietzsche so konsequent instrumentalisiert um damitdie vulgaumlr- nationalistische Dekadenz im Sandwich zu geiszligeln wie Heidegger Die Philolo-gie ndash auch die klassische ndash (Colli Cancik Montinari) hat Nietzsche inzwischen laumlngst mitnachhaltigem Erfolg rehabilitiert Wer jetzt noch einen roten Faden von Nietzsche zu Hitlerzieht hat nur noch Heidegger auf seiner Seiteldquo
98 Zum Abschluss dieses Kapitels sei hinzugesagt dass der Veranschlagung der Beispiele vonHeideggers Mythologie ein Exzerpt von 13 Seiten aus 1700 Seiten Text der vier Baumlnde derSchwarzen Hefte zugrunde liegt Beim Studium dieser fielen die staumlndigen Repetitionen derimmer gleichen Figuren und Metaphern auf Daraus wurde geschlossen dass es sich um eineMythologie handeln kann was ein weiteres Forschen bestaumltigte Die hier zitierten Stellensind Topoi die sich in Huumllle und Fuumllle in jedem der vier Baumlnde finden lassen was ihrenmythischen Charakter unterstreicht Die Auswahl versucht ein besonders charakteristischesBild wiederzugeben
24
3 Heideggers mythopoetische
Technik
War Heidegger von seinem neuen Anfang nur zu traumlumen vergoumlnnt so gelang
ihm selbst aber die Wiederauferstehung aus der Asche des ZweitenWeltkriegs mit
der Vortragsreihe in Bremen (1949) uumlber die Technik Der Phoumlnix erweist sich
mittlerweile als Ikarus Anstatt sich selbst zu revidieren fordert Heidegger eine
Kehre ein die auf sein Programm der geschichtlichen Besinnung zum Ursprung ab-
zielt Rezipienten seiner Technikphilosophie taten zumeist seine voumllkischen und
nationalsozialistischen Verstrickungen mit der Niederlegung des Rektorats ab99
Sie glaubten an einen inneren Wandel Heideggers eine Laumluterung und sogar an
seinen geistigen Widerstand uumlber die Naziherrschaft hinweg100 Heute ist erwie-
sen wie Heidegger es aus seinem posthumen Gestaumlndnis in die Welt lecken laumlsst
dass er auf seine private Weise eine Form Nationalsozialismus hegte der die NS-
DAP und Hitler zwar als Vulgaumlrnazis kulturell degradierte aber sich selbst als
Denker-Nazi gerierte
Wie damit umzugehen ist steht aktuell in der Verhandlung Wie Rudolph es
behauptet stuumlnden die Heideggerianer bdquonun mit wertlosen Aktienldquo101 da Der
Kommunikationswissenschaftler Christian Fuchs sieht den Antisemitismus den
die Schwarzen Hefte zutage treten lassen als Notwendigkeit einer rigorosen Ver-
bannung Heideggers aus der technikphilosophischen Theorie102
99 Vgl Luckner Andreas Heidegger und das Denken der Technik Bielefeld 2008 S 64-69100 Vgl Babich Babette Nietzsche Heideggers Widerstand In Alfred Denker u Holger Zabo-
rowski (Hg) Heidegger-Jahrbuch 5 Heidegger und der Nationalsozialismus II Interpreta-tionen S 397-416
101 Rudolph Heideggers Schwarze Hefte im Echo S 146102 Vgl Fuchs Christian Martin-Heideggerrsquos anti-Semitism Philosophy of technology and the
media in the light of the ldquoBlack Notebooksldquo Implications for the reception of Heidegger inmedia and communication studies In tripleC Communication Capitalism amp Critique 13(1) (2015) S 55-78 hier S 74 Anstatt dessen pocht Fuchs auf die alternative Verwendungder Kritischen Theorie uumlber Fragestellungen zur Technik
25
It seems to me that Heideggerrsquos fetishism is often lrsquoart pour lrsquoart Heideg-ger pour Heidegger a tactic that aims at creating an aura of complexity byevoking Heidegger although the same content could be expressed withouthim103
Fuumlr Trawny waumlre dies ein bdquoperformativer Widerspruch [] stets daran zu erin-
nern Heidegger vergessen zu sollenldquo104 Quo vadis Heidegger
Die objektive Antwort Rudolphs der an den Commonsense und die Beweis-
last der Anklage glaubt wie auch der subjektive Appell Fuchs der es zur mora-
lischen Entscheidung des Einzelnen macht Heidegger zu vernachlaumlssigen setzen
aktuell die Jahrzehnte alte Tradition der Heidegger-Kontroverse fort Ein im Sep-
tember 2016 erscheinender Sammelband wird zusaumltzlich die Debatte mit neuen
Bewertungen anreichern105
In diesem Kapitel soll es nicht um die direkte Einreihung in eine der bestehen-
den Polemiken gehen sondern um den Versuch der Betrachtung der spaumlten Tech-
nikphilosophie Heideggers als mythopoetische Dichtung in seinem Sinne des
Philosophierens Als exemplarisches Werk ruumlckt damit das Vortrags-Geviert der
Bremer Vortraumlge ins Zentrum der Anschauung106 Hier wird davon ausgegangen
103 Ebd S 73104 Trawny Heidegger und der Mythos der juumldischen Weltverschwoumlrung S 141105 Heinz Marion und Kellerer Sidonie (Hg) Martin Heideggers raquoSchwarze Heftelaquo Eine
philosophisch-politische Debatte Berlin 2016 (im Druck) Aus dem Klappentext diesesTitelsbdquoOffene antisemitische Aumluszligerungen in diesen Denktagebuumlchern haben in der nichtakade-
mischen Oumlffentlichkeit fuumlr Empoumlrung gesorgt Die entscheidende Frage ist jedoch welcheVeraumlnderungen der Perspektive auf Heideggers Denken insgesamt sich dadurch ergebenund ob damit zugleich eine Neubewertung des Gesamtwerks eines der einflussreichstenPhilosophen des 20 Jahrhunderts noumltig istldquoEine der Herausgeberinnen des Bandes Sidonie Kellerer ist zudem an einem anlaufenden
fuumlnf jaumlhrigen Forschungsprojekt an der Universitaumlt Stuttgart im Rahmen des StuttgartResearch Centre for Text Studies beteiligt Heidegger und die Postmoderne Geschichteeiner Irrefuumlhrungiquest Sie und der Stuttgarter Literaturwissenschaftler Claus Zittel werden Hei-deggers ideologische Verstrickungen in den Nationalsozialismus untersuchen die textlichrekonstruierbar aber nachtraumlglich geklittet worden waumlren bdquoSo konnte die Wissenschaft-lerin Dr Sidonie Kellerer anhand des Vortrages Die Zeit des Weltbildeslsquo erstmals 1950veroumlffentlicht [sic] dass zahlreiche Passagen nachtraumlglich so modifiziert wurden dass dieurspruumlngliche Apologie des Nationalsozialismus nunmehr als Kritik am Regime gedeutetwerden konnte Die 2014 erschienenen Schwarzen Heftersquo mit persoumlnlichen AufzeichnungenHeideggers bestaumltigen zudem wie tief verankert in seiner Philosophie Rassismus undNationalsozialismus waren und bliebenldquo(httpwwwuni-stuttgartdehkompresseservicepressemitteilungen201567_kellererhtmlzuletzt abgerufen am 1442016)
106 Von einer umfassenderen Analyse der Schriften Heideggers zur Technik muss aus Platzgruumln-den abgesehen werden Die Voumlrtraumlge vom Ge-stell der Technik der Kehre und dem Dingsind vor allem wegen ihres Publikationszeitraums interessant da sie direkt an die Dokumen-
26
dass Heidegger den Versuch der abgrenzungspolitischen Einflussnahmemacht ge-
maumlszlig der oben dargelegten Ressentiments die sich in einer Mythologisierung des
Abendlandes niederschlagen Um seinem Ideal des dichtenden Denkens als Philo-
sophieren nachzukommen will Heidegger diese Einschreibung des Abendlandes
mythopoetisch vollfuumlhren
Grundsaumltzlich ist Verbindung und Trennung Heideggers boumlser Schwarzer Hef-
te mit und von seiner guten Technikphilosophie das Schlachtfeld aktueller De-
batten Wie bereits darauf hingewiesen werden hier Schwarze Hefte und Veroumlf-
fentlichungen wie eben in Form der Bremer Vortraumlge als ein kontinuierlicher
Arbeitsprozess gesehen Es gibt insofern nur einen Heidegger und keine gespal-
tene Persoumlnlichkeit Die Siegener Philosophin Sodonie Kellerer stellt dies anhand
Heideggers Selbstsicht luzide dar
Seine immer wiederkehrende Beschwoumlrung des Werkeslsquo und seine an diver-sen Stellen der bislang vorliegenden Briefkorrespondenz artikulierten Be-muumlhungen dieses Werklsquo fuumlr die Nachwelt zu sichern [Kellerer bezieht sichhier ua auf Heideggers Briefwechsel mit seiner Frau der 2007 veroumlffentlichtwurde DS] verdeutlichen wie sehr er seine Texte als ein Ganzes verstandin dem keines der Teile entbehrliche Wiederholung geschweige denn irrele-vante Eroumlrterung ist107
Dabei allerdings wird die Frage offen bleiben mit welchem Maszlig er sich selbst ge-
faumlhrdet sah seine Ansichten oumlffentlich zu vertreten und welche Konsequenzen er
dabei fuumlrchtete Denn er musste die Vortraumlge kodieren ndash was er im Sinne der My-
thopoetik auch macht ndash und mit Einigem hinterm Berg halten108 Dass es dabei
verschiedene Offenbarungsebenen gibt wird hier erst einmal hingenommen Es
interessieren staumlrker nachweisbare Bezuumlge des Entwurfsdenkens Heideggers zur
Oumlffentlichkeitsarbeit von ihm109
te der Schwarzen Hefte anschlieszligen (1948 der letzte Band der Schwarzen Hefte umfasst denZeitraum 1942-1948)
107 Kellerer Sidonie Kampf der Besinnung In Deutsche Zeitschrift fuumlr Philosophie Band 63Heft 5 Seiten 941ndash957 hier S 942
108 Weshalb die Veroumlffentlichung der Schwarzen Hefte auch weitestmoumlglich nach hinten verlegtwurde
109 Wuumlrde man dem entgegenhalten dass Heideggers vermeintliches Genie aus Formalisierun-gen seiner Gedanken ableitbar eine wichtige Quelle an sich bliebe scheitert dieses damitdass nun die Formalisierungen nicht personenneutral sozial-epistemologisch bestehen koumln-nen Als Vergleich wuumlrde man aus Hitlers und Goumlbbels Reden Formalisierungen isolierenlieszlige sich bestimmt die eine oder andere plausible Idee entwenden (wenn sie voumlllig dekon-
27
Hierzu wird der Text der gesamten vier Vortraumlge unter dem Titel Einblick
in das was ist Bremer Vortraumlge 1949lsquo110 aus dem 1994 veroumlffentlichten 79 Band
der GA zugrunde gelegt Das hat den Grund dass davon ausgegangen wird dass
der Text somit am naumlchsten an den 1949 tatsaumlchlich vorgetragenen Manuskripten
liegt Insofern ist eine realistische Annaumlherung an eine mythopoetische Uumlbertra-
gung der Schwarzen Hefte in die Bremer Vortraumlge 1949 das Ziel Demgegenuumlber
gibt es ob der virulenten Publikationspraxis von Heideggers Schriften111 noch
andere Auskopplungen der vier Vortraumlgsteile mit den Titeln Das Dinglsquo Das Ge-
Stelllsquo Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo
31 Zur Publikationsgeschichte von den
Bremer Vortraumlgen 1949
Zuerst erschien 1954 im Neske-Verlag (Pfullingen) ein Sammelband der lediglich
den ersten Vortrag Das Dinglsquo enthaumllt allerdings in leicht erweiterter Fassung
so wie er ein halbes Jahr nach dem Bremer Auftritt in Muumlnchen (1950) an der
Akademie der Schoumlnen Kuumlnste gehalten wurde112 Dem Band hinzugefuumlgt ist aber
zudem ein Vortrag der vornehmlich die Kernaussagen von Das Ge-Stelllsquo und
Die Gefahrlsquo verbindet allerdings in modifizierter Form Dieser wurde unter dem
textualisiert wuumlrde) Ist aber die wahre Verbindung zu Hitler und Goumlbbels hergestellt hatman selbstverstaumldlich die Verantwortung zu tragen an dem ganzen Tross von unmoumlglichenVerfehlungen dieser Menschen die sie fuumlr uns zu Personae non gratae stempeln muumlssen
110 GA 79111 Hierauf macht auch der Darmstaumldter Philosoph Gernot Boumlhme aufmerksam als Akt ei-
ner bdquoposthumen Selbstinszenierungldquo in Boumlhme Gernot Selbstinszenierung uumlber Ruhmin der Philosophie In Information Philosophie (Online Ausgabe 12015) URL=lthttpwwwinformation-philosophiedea=1ampt=8232ampn=2ampy=5ampc=29gt zuletzt ab-gerufen am 2442016)
112 Heidegger Martin Das Ding In Ders Vortraumlge und Aufsaumltze Pfullingen 1954 S 163ff
28
Titel Die Frage nach der Techniklsquo113 am 18 November 1953 an der TUMuumlnchen
gehalten
Eine weitere Auskopplung diesmal des letzten Vortragsteils Die Kehrelsquo fin-
det sich in einem broschuumlrenformatigen Band wiederum im Zusammenspiel mit
dem Vortrag Die Frage nach der Techniklsquo in Die Technik und die Kehrelsquo114 von
1962 wieder Somit wurden die Vortraumlge Das Ge-Stelllsquo und Die Gefahrlsquo lange
Zeit nicht veroumlffentlicht sondern als vermischter und modifizierter Text eben
Die Frage nach der Techniklsquo jeweils zusammen mit Das Dinglsquo (1954) und Die
Kehrelsquo (1962) angeboten115 In der Vorbemerkung zu Die Technik und die Keh-
relsquo wird diese kleine Chronologie leicht verfaumllscht auch aufgezeigt Darin heiszligt
es ferner dass Die Frage nach der Techniklsquo eine erweiterte Fassung von Das Ge-
Stelllsquo waumlre Dem ist wie schon gesagt nicht so Sondern es ist eine modifizierte
Vermischung von Das Ge-Stelllsquo und Die Gefahrlsquo was unschwer zB am Begriff
vom bdquoHer-vor-bringenldquo116 zu erkennen ist der in Die Gefahrlsquo eingefuumlhrt wird
und in Die Frage nach der Techniklsquo die gleiche Bedeutungskonstituente bildet
Mit der Veroumlffentlichung des 79 Bandes der GA 1994 wurden alle vier Bremer
Vortraumlge von 1949 publiziert In Band 11 der GA erschien 2006 auszligerdem Die
Kehrelsquo in ihrer urspruumlnglichen Fassung Die Frage nach der Techniklsquo enthaumllt
weniger mythopoetische Teile als Das Dinglsquo und operiert demgegenuumlber staumlrker
anhand klassisch philosophischer Allgemeinplaumltze Derer sind vor allem zu nen-
113 Heidegger Martin Die Frage nach der Technik In Ders Vortraumlge und Aufsaumltze Pfullingen1954 S 9ff (Der Aufsatz erschien ebenfalls 1954 im Sammelband der Vortragsreihe DieKuumlnste im technischen Zeitalter Heidegger Martin Die Frage nach der Technik In DieKuumlnste im technischen Zeitalter Dritte Folge des Jahrbuchs Gestalt und Gedanke Hg v dBayrischen Akademie der Schoumlnen Kuumlnste Muumlnchen 1954 S 70ff)
114 Heidegger Martin Die Technik und die Kehre Pfullingen 1962115 Beide Baumlnde Votraumlge und Aufsaumltzersquo sowie Die Technik und die Kehrersquo haben hohe Aufla-
genzahlen (Uumlbersetzungen wurden hier nicht recherchiert wobei es aber eine internationa-le Heidegger-Rezeption gibt) 1993 wurde der Pfullinger Neske-Verlag von dem StuttgarterHaus Klett-Cotta uumlbernommen was die Buumlcher aber unveraumlndert belaumlsst Vortraumlge und Auf-saumltzelsquo zaumlhlt seit 2009 die 11 Auflage Die Technik und die Kehrelsquo seit 2014 die 13 BeideBaumlnde sind vergriffen Es mutet unverstaumlndig an weshalb eine fehlerhafte Jahresangabe ausder ersten Veroumlffentlichung von Die Technik und die Kehrelsquo bis 2014 kolportiert wurdeDort steht der Vortrag Die Frage nach der Techniklsquo waumlre am 18 November 1955 gehaltenworden Der Vortragstermin war aber am 18 November 1953
116 Vgl GA 79 S 64 Und Heidegger Die Technik und die Kehre S 11
29
nen die Auflistung der bdquovier Ursachenldquo117 nach Aristoteles und die Kritik an der
Technik als bdquoein Mittel zu Zweckenldquo118 (Kausalitaumlt)119
Der Vortrag Das Dinglsquo galt Heidegger bei der Darbietung seiner Technikphi-
losophie nach dem Zweiten Weltkrieg allerdings als unentbehrlich ndash und damit
seine groszligflaumlchige Aufblaumltterung der Mythopoetik wie im folgenden Kapitel hier
gezeigt wird Denn im Vortrag Die Frage nach der Techniklsquo benutzt Heideg-
ger noch immer seinen mythopoetischen Topos vom Versammeln des Gebirges
der mit dem Versammeln eine Konstituente des Gevierts ist (bdquoErde und Himmel
die Goumlttlichen und die Sterblichenldquo120) (su)121 Fuumlr die Kaumlufer und Leser von
der spaumlteren Veroumlffentlichung Die Technik und die Kehrelsquo wird zudem in Die
Kehrelsquo extra auf den Vortrag Das Dinglsquo in der 1954er Ausgabe in Vortraumlge und
Aufsaumltzelsquo verwiesen122 Das zeigt wie wichtig und unerlaumlsslich Heidegger seine
mythopoetische Denkweise der Technik ist Auch wenn er in Die Frage nach der
Techniklsquo einen allgemeineren und offeneren Ansatz entwickelt hat der dadurch
auch leichter zu erschlieszligen ist
32 Die mythopoetische Spiegelung der Schwarzen
Hefte in den Bremer Vortraumlgen von 1949
321 Das Dinglsquo
In dem Vortrag Das Dinglsquo der 1949 vor dem privaten Club zu Bremen dort im
Neuen Rathaus das Vortragsquartett einleitete fuumlgt Heidegger mythopoetisch
zusammen was folgenden Topoi seiner Schwarzen Hefte aus Kap 221 entspricht
117 Heidegger Die Technik und die Kehre S 6118 Ebd S 6119 Diese Topoi versucht Heidegger in dem Text zu zersetzen und ihnen ein aletheisches Prin-
zip des Entbergens der Technik entgegenzusetzen Dies erfolgt wiederum auch anhand derVerwendung von mythopoetischen Teilen Darauf kann hier aber nicht weiter eingegangenwerdenAls weitere Gemeinsplaumltze (die er teils unterstuumltzend teils zur Zersetzung einfuumlgt) handelt
der Text auch mit Zitaten von Platon Heisenberg J P Hebel und Goethe120 Ebd S 12121 Vgl GA 79 S 11 Und Heidegger Die Technik und die Kehre S 19122 Vgl Heidegger Die Technik und die Kehre S 42f
30
1 die antirationale Wissenschaftsfeindlichkeit 2 der Mythos des Goumlttlichen 3
das Griechentum uumlber dem Roumlmertum 4 die Zahlenmystik (anhand des Spiegel-
Spiels des Gevierts ndash su) 5 das geschichtsbesinnliche Prinzip der Aletheia
Heidegger stellt zuerst die Frage nach dem Ding und will sie daraufhin ver-
anschaulichen mittels der Metapher des Kruges dh mit dem Krug als ein exem-
plarisches Ding Er fuumlhrt dann vor (was der Geste eines Zauberkuumlnstlers aumlhnelt)
wie der leere Krug gefuumlllt wird ndash Luft weicht der Fluumlssigkeit Dieses Sachverhaumllt-
nis aber ist fuumlr ihn Halbpoesie und eine Angabe aus der Physik sie verfehle das
vermeintliche Wesen des Kruges
Die Wissenschaft stellt durch sie [die Angabe der Physik DS] etwas Wirk-liches vor wonach sie sich objektiv richtet Aber ndash ist dieses Wirkliche derKrug Nein DieWissenschaft trifft immer nur auf das was ihre Art des Vor-stellens im vorhinein als den fuumlr sie moumlglichen Gegenstand zugelassen hat[] Die Wissenschaft macht das Krug-Ding zu etwas Nichtigem insofernsie Dinge nicht als das Maszliggebende zulaumlszligt123
Als ein wirkmaumlchtiges Beispiel das ihm sicherlich viel Beachtung uumlber die
Jahrzehnte seit ihrer Zuumlndung in Japan hinweg einbrachte fuumlhrt Heidegger die
Atombombe an Diese sei zu verstehen als verdinglichte Wissenschaft die das
Ding vernichten wuumlrde
Deren Explosion ist nur die groumlbste aller groben Bestaumltigungen der langherschon geschehenen Vernichtung des Dinges dessen daszlig das Ding als Dingnichtig bleibt124
Er buumlndelt damit Wissenschaft und Verkennung des Wesens als maszliggebend mit
dem Ding als sein machenschaftliches Prinzip der zerrechnenden Zerstoumlrung Drei
Jahre nach Kriegsende war der buumlrgerlich-elitaumlre Kreis in Bremen sicherlich be-
wegt von dieser Wortgewalt Diese jedoch suchte ja ihr Heim Harmonie Ruhe
in dem Haus als Wesen der Sprache
Und so faumlhrt Heidegger fort und ersetzt das physikalische Prinzip des Inhalts-
wechsels von Luft zu Wein in ein bdquoGeschenk des Gussesldquo als Spende und Opfer
den Goumlttern (2)125
123 GA 79 S 8124 Ebd S 9125 Vgl Ebd S 11f
31
Der Guszlig ist der den unsterblichen Goumlttern gespendete Trank [] Der ge-weihte Trank ist das was das Wort Guszliglsquo eigentlich nennt Spende und Op-fer Guszliglsquo gieszligenlsquo lautet griechisch χέειν indogermanisch ghu Das bedeu-tet opfern
Hier spielt bereits der Ursprungsmythos der Griechenmit ein (3) es ist aber auch
ein Bezug auf das Geviert Dieses waumlre ein System ein zusammen Gestelltes aus
bdquoErde und Himmel die Goumlttlichen und die Sterblichenldquo126 Im Guszlig des Trunkes
weilten gemeinsam diese Vier als emblematische Verbindung
Das im Geschenk Versammelte sammelt sich selbst darin das Geviert ereig-net zu verweilen Dieses vielfaumlltig einfache Versammeln ist das Wesen desKruges Unsere Sprache nennt was Versammlung ist in einem alten WortDies lautet thing127
Das Geviert zehrt von der Zahlenmystik zum einen als die Versammlung der
vier Begriffe an sich zum anderen da Heidegger ihnen eine Spiegel-Funktion
zuschreibt bdquoJedes der Vier spiegelt in seiner Weise das Wesen der uumlbrigen wie-
derldquo128 und ferner weil er damit auf sich selbst dh auf sein Vortrags-Geviert
verweist (4) Wie in Kap 21 schon gesagt lebt der Mythos von seiner Verbind-
lichkeit Diese legt Heidegger allen nah die sie verinnerlichen wollen bdquoSagen wir
die Sterblichen dann denken wir falls wir denken die anderen Drei mit aus der
Einfalt der Vierldquo129
Sollte der Vollzug der Praxis des sukzessiven Mitdenkens aller vier Geviert-
Entitaumlten gelingen koumlnnte das Ereignis der Aletheia begriffen werden (5) bdquoDas
Spiegel-Spiel von Welt ist der Reigen des Ereignensldquo130 Diese wird aber auch be-
griffen in Abgrenzung von dem Roumlmertum (3) denn in der bdquorealitas der resldquo
haumltten die Roumlmer bdquoihr Erfahrenes niemals eigens in seinem Wesen gedachtldquo131
Das waumlre den Griechen vorzubehalten und vom verstaumlndig denkenden Deutschen
wiederzubeleben
126 Ebd S 12127 Ebd S 13128 Ebd S 18129 Ebd130 Ebd S 19131 Ebd S 15
32
Der Krug ist ein Ding weder im Sinne der roumlmisch gemeinten res noch imSinne des mittelalterlich vorgestellten ens noch gar im Sinne des neuzeitlichvorgestellten Gegenstandes [] Der Krug ist Ding insofern er dingt132
Die Bindung an das deutsche Wort bdquoDingldquo das er spielerisch auch ins Englische
Romanische und Franzoumlsische uumlbersetzt ist unerlaumlsslich fuumlr seine ethymologi-
sche Argumentation In der ist der bdquoGuszligldquo ruumlckgefuumlhrt auf indogermanisch bdquoghuldquo
und das bdquoDingldquo auf das mittelhochdeutsche bdquothingldquo So konnten antik die Roumlmer
von den Griechen abgrenzt werden und modern die anderen drei Sprachen vom
Deutschen Das englische sich sehr nah am bdquothingldquo befindliche bdquothingldquo wird mit
dem Roumlmischen ausgespielt
Im Englischen hat thing noch die erfuumlllte Nennkraft des roumlmischen Wor-tes res bewahrt [] dh ein aus sich kommendes den Menschen Angehen-des133
Fuumlr Heidegger geht es beim bdquothingldquo aber um die mittelhochdeutsche Uumlbersetzung
der Versammlung Darauf beruht sein gesamter Systemansatz mit Geviert und
Ge-stell
Schulz-Nieswandt fuumlhrt diese Zusammenstellung zum Bejubeln von Heideg-
gers Mythopoetik
So fundamental sieht Heidegger die Welt Die Quelle des Wassers wird zurHochzeit von Himmel und Erde das Gieszligen des Wassers aus dem Krugzum Geschenk Auch Sprache ist daher kein Instrument sondern Ort desWohnens des Menschen Sprache wird zum Haus des Seinslsquo134
Hier bestaumltigt die Untersuchung des Ding-Vortrags die These von einer mytho-
poetischen Einschreibung der nationalistischen voumllkischen Abgrenzungs-Mythologie
aus den Schwarzen Heften
322 Das Ge-Stelllsquo
Der zweite Vortrag des Reden-Gevierts setzt ein mit der Metapher des fehlen-
den Abstands Wo kein Abstand sei da waumlre auch keine Naumlhe so Heidegger Er
132 Ebd S 16133 Ebd S 14134 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei Walter
F Otto S 59
33
verbindet die Abstandslosigkeit mit Urbanitaumlt und Verkehr alles fluktuiere Es
waumlre der Bestand der sich bestelle in dem das Abstandlose herrsche Das sind
neue Metaphern fuumlr die Machenschaft In seiner Erzaumlhlung vom Ge-Stell gibt es
bedeutend weniger mythopoetische Passagen als in dem vorangegangenen Vor-
trag Allerdings uumlbertraumlgt er den mythopoetischen Gehalt der Rede vom Ding
bereits im ersten Absatz von Das Ge-Stelllsquo mit dem Credo bdquoNaumlhe west insofern
das Ding dingtldquo135 Mit dieser Verbindung wird klar unter welchem Zeichen Hei-
degger die Rede vom Ge-Stell verstanden wissen will ndash als verlorenes Verhaumlltnis
des voumllkisch-traditionell verwurzelten Menschen mit den vermeintlichen Wesen
all seiner Gebrauchsobjekte in der mythopoetischen Formel des sich spiegelnden
Gevierts
Nahezu nuumlchtern erzaumlhlt Heidegger dann von dem Gefaumlngnis des Menschen
im Wesen der zirkulierenden sich immer neu bestellenden Bestandstechnik des
Ge-Stells Dabei scheinen folgende Mythen aus den Schwarzen Heften hindurch ndash
1 bdquoHistorie die Technik der Geschichtelsquo Technik die Historie der Naturlsquoldquo136
2 das historische Tier 3 der Appell an den Auftrag des Deutschen 4 der geschicht-
liche Mensch muss die Historie und damit die Technik uumlberwinden und 5 die
alles zernichtende Machenschaft des juumldischen Wesens
Den Topos der seinsvergessenen Groszligstadt jedenfalls kontrastiert er mit der
Bauerndorfidylle Da aber bdquodas Abstandlose herrschtldquo137 waumlre das Vorruumlcken der
Maschinentechnik bereits universell So in Form des Traktors Schon in Band
96 der Schwarzen Hefte beklagt er dieses bdquozum elektrischen Pflug [] gehoumlrt
das amerikanisch aufgemachte Magazinlsquoldquo Insofern erfolge die bdquoAngleichung der
Sitten der Bergbewohner an diejenigen des groszligstaumldtischen Sport- und Barbe-
triebsldquo138
Sein erster Land-Stadtvergleich betrifft den Bauern dessen Totenruhe tradi-
tionell in einem sg bdquoTotenbaumldquo (Sarg) stattgefunden haumltte ndash bdquoIn ihm gedeiht
der Tod des Totenldquo139 Dem gegenuumlber klingt in der bdquomotorisierten Bestattungs-
135 GA 79 S 24136 GA 95 S 351137 GA 79 S 24138 GA 96 S 54139 GA 79 S 26
34
industrie der Groszligstadtldquo140 bereits Heideggers pietaumltsloser Gaskammernvergleich
an
Ackerbau ist jetzt motorisierte Ernaumlhrungsindustrie im Wesen das Selbewie die Fabrikation von Leichen in Gaskammern und Vernichtungslagerndas Selbe wie die Blockade und Aushungerung von Laumlndern das Selbe wiedie Fabrikation von Wasserstoffbomben141
Hier wird davon ausgegangen dass es eine Uumlbertragung der Notizen uumlber
das deutsche Land als bdquoeinziges KZldquo ist die Unterdruumlckung des deutschen Vol-
kes durch die bdquoWeltdemokratieldquo die schlimmer sei als die Graumlueltaten der bdquoGas-
kammernlsquoldquo142 In die mythopoetische Formel von dem dingenden Ding aus dem
ersten Vortrag sind alle Valenzen eingeschrieben die es zur Aufgabe des abendlaumln-
dischen Deutschen (also als Nachfolger der alten Griechen) machen das Wesen
des Dings und somit der Technik zu huumlten Die Verantwortung fuumlr Genozid
Massenvernichtungswaffen und den Mangel im Nachkriegsdeutschland schreibt
Heidegger gleichfoumlrmig dem Prinzip der Abstandslosigkeit zu
Auch die Rede von der Habgier des Berechnenden ist ein bereits bekannter
Vorbehalt Heideggers anhand der Rede vom raffgierigen Juden Denn er sagt von
der bdquoHerrschaft des Abstandlosenldquo dass sie bdquodie Hab-gier des vorstellenden Be-
rechnensldquo waumlre143 Das entspricht seinem Mythos von der alles zernichtenden
Machenschaft des juumldischen Wesens144
Dann folgt eine lange Elegie uumlber das Bestellen des Bestands des Ge-Stells
bdquo[d]ie Kette des Bestellens laumluft auf nichts hinaus sie geht vielmehr nur in ihren
Kreisgang hineinldquo145 uumlber 19 Seiten des 21 seitigen Vortragsexts hinweg entwirft
Heidegger diverse Bilder wie das Ge-Stell die Natur das Hergestellte den Men-
schen und das Verstandesmaumlszligige vereinnahme und das Wesen desDings gleichsam
zur Veruntreuung bringen wuumlrde Wiederum poetisch orientiert kontrastiert also
140 Ebd141 Ebd S 27142 GA 97 S 99f143 Vgl GA 79 S 25144 Vgl Machenschaft hier S 29 und Geraff hier S 33145 GA 79 S 29
35
Heidegger Houmllderlins Hymne Der Rheinlsquo mit dem Rhein dessen Stroumlmung fuumlr
ein Stromkraftwerk genutzt wird
Achten wir um das Ungeheure das hier waltet zu ermessen nur auf einenAugenblick auf den Gegensatz der sich in den beiden Titeln ausspricht DerRhein verbaut in das Kraftwerk ndash der Rheinlsquo gesagt in der gleichnamigenHymne Houmllderlins146
Die Differenz also waumlre das Ungeheure147 Dabei waumlre der Rhein verbaut in das
Kraftwerk Aumlhnlich wie Kohle Erze und Rohoumll waumlren sie Bestand der bdquobesteht
im Bestellenldquo ndash bdquoDas Bestellen waumlre demnach lediglich eine Machenschaft des
Menschen vollzogen in der Weise der Ausbeutungldquo148
Das Bild des Wasserkraftwerks wird erweitert um den Begriff des Menschen
Elektrizitaumlt mit Wasserkraft erzeugen bdquokoumlnnen die Menschen [] nur insofern
sie selber schon in dieses Bestellen bestellt sindldquo149 Mit diesem Bild versucht Hei-
degger praktisch zu veranschaulichen dass Entwurf Umsetzung und Einsatz ei-
ner technischen Anlage den Menschen in ein entruumlcktes Verhaumlltnis zum Wesen
des dingenden Dings setze ndash bdquoDer Mensch ist darum der Angestellte des Bestel-
146 Ebd147 Das ist zusaumltzlich zu dem gemeinten Gegensatz ein Vergleich mit dem Heidegger dem Wort
bdquoRheinldquo in die Hymne Der Rheinlsquo gesprochen eine Energie erzeugende Wirkung zu-schreibt eben so wie das Kraftwerk Strom erzeugen wuumlrde Das wird klar dadurch dassHeidegger metaphorisch vom Stellen des Wortes bdquoRheinldquo in die Hymne spricht Es handeltsich um einen Appell zur denkerischen Besinnung Dass Heidegger dafuumlr eine technischeAnlage zur Veranschaulichung inspirierend wirken laumlsst spielt bereits in die Richtung derBegriffe bdquoHer-vor-bringenldquo bdquoEntbergenldquo und spielt auf das Alteheia-Prinzip an Darauf wirdweiter unten anhand Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo eingegangen werden Es handelt sich umdas Angebot eines mythopoetischen Umgangs mit Technik insbesondere wenn sie sich inheimische Gefilde einfuumlgtHeute koumlnnte man mit Windraumldern ebenso verfahren Somit koumlnnte aber auch Heidegger
als ein gewisser Quijana aus Mancha verstanden werden eben der Protagonist aus Miguel deCervantes Roman Don Quichote von der Manchalsquo der mit seinem von ihm flux auch um-benannten Klepper (weil er zuvor sich selbst in Don Quichote umtaufte) Rocinante Riesenbezwingen will um mit dieser Heldentat unsterblichen ritterlichen Ruhm zu erstreitenAuch Don Quichote fand seine Riesen in Windmuumlhlen und auch Don Quichote war uumlber
eine uumlbertriebene Auseinandersetzung mit einer verschuumltteten Kultur dieser verfallen undsuchte diese in seiner Aventuumlre zu reaktualisieren Martin Heideggers mythopoetisches Pro-gramm ist tatsaumlchlich stark mit Don Quichotes Motiv vergleichbarFerner waumlre eine Auseinandersetzung mit Heideggers Werk unter Beruumlcksichtigung sei-
ner Gewichtung der Vorsokratiker und Houmllderlin als mythopoetischen Autor eine moumlglicheForschung zum Thema Anachronismen in Konzepten von Moral und gesellschaftlicher An-gemessenheit (Vgl Cervantes Miguel de Don Quichote von der Mancha Herausgeben unduumlbersetzt v Susanne Lange Muumlnchen 2008 S 33f)
148 GA 79 S 29149 GA 79 S 30
36
lensldquo150 Schon vorher wies Heidegger darauf hin bdquo[d]ie Herrschaft des Gegen-
staumlndigen sichert nicht den Abstandldquo151 Jetzt heiszligt es
Das Bestellen befaumlllt nicht nur die Stoffe und Kraumlfte der Natur mit Gestel-lung Das Bestellen befaumlllt zugleich das Geschick des Menschen Das Wesendes Menschen wird daraufhin gestellt das Bestellen in menschlicher Weisemitzuvollziehen152
Der Begriff des Ge-Stells wird daraufhin so konstruiert dass es im Bestellen
um ein Stellen (Herausfordern) alles bdquoAnwesenden als Bestandldquo als bdquoversus unumldquo
gegen bdquodas Eine Ganzeldquo gehe153 In wiederum mythopoetischer Formulierung ge-
baumlre die bdquoVersammlung des Stellens worin alles Bestellbare in seinem Bestand
west das Ge-Stellldquo154 Der Begriff bdquoVersammlungldquo wird einen Absatz zuvor my-
thopoetisch wieder an die Versammlung also das thing eben das wesenhafteDing
angelehnt und somit wie zu Das Dinglsquo bereits oben erlaumlutert in einen deutsch-
abendlaumlndischen Kontext gestellt (3)
Wir nennen die Versammlung der Berge die von sich her einig und nienachtraumlglich schon gesammelt ist das Gebirge Wir nennen die Versamm-lung der Weisen nach denen uns so zumute ist und sein kann das Gemuumlt155
Allerdings ist obiges Versammlungsmodell hier als Kontrast zu sehen zu dem
bdquoGeraff des Getriebesldquo das das Ge-Stell darstellt als bdquoWesen der Technikldquo156 Hei-
degger sieht in der Gleichfoumlrmigkeit die zum Wesen des Technik als Ge-Stell
150 GA 79 S 30151 GA 79 S 25152 GA 79 S 31153 Vgl GA 79 S 32154 GA 79 S 32155 Ebd
Das Wort ldquoGemuumltrdquo hat ferner eine ausschlieszliglich deutsche Praumlgung gibt es doch keinedirekte Uumlbersetzungen Gemuumlth ist ferner ein nicht eindeutig umrissener Begriff (Vgl Kra-mer Cheryce A Foolrsquos Paradise The Psychiatry ofGemuumlth in a Biedermeier Asylum Chica-go 1998 S 19) Die Bedeutung im Deutschen selbst ist zudem sehr variabel hat aber zumeistmit Seelen- oder Geistkonzepten zu tun ndash Cheryce von Xylander (geb Kramer) uumlbersetztGemuumlth mit bdquosoul-organldquo (ebd S 43) das von diversen Autoren unterschiedlich konstru-riert wird (zB von Kant geistigkoumlrperlich und von Kleist individuellkollektiv (vgl ebdS 41)) In Heideggers emblematischem Duktus scheint eine Vermischung von allen vier Di-mensionen geistigkoumlrperlich wie auch individuellkollektiv stattzufinden Es ist auf jedenFall dem Mythos geschuldet den Auftrag des Deutschen anzunehmen (3)
156 GA 79 S 33
37
gehoumlre die planetarische Abloumlsung und Aufhebung des traditionellen und damit
wesenhaft ans Ding gebundenen Verhaumlltnisses vom Menschen zur Erde (das von
ihm idealisierte voumllkische Bauerntum das Bestellen des Ackers) bdquoDie Bestand-
Stuumlcke sind Stuumlck fuumlr Stuumlck die Gleichenldquo157 So kontrastiert er alte Handwerks-
techniken mit Maschinentechnik und schreibt der Maschinentechnik die machen-
schaftliche Verdraumlngung als Geraff zu
Das Ge-Stell hat auch wenn das nicht unmittelbar und nicht sogleich ver-nehmlich wird im vorhinein schon alle diejenigen Stellen beseitigt an denenvormals Spinnrad und Wassermuumlhle standen Das Ge-Stell bestellt durch sei-ne Maschinerie zum voraus eine andere Art und Ordnung von Stellen Andiesen kommt nur zu Stand was als Bestellbares auf der Stelle gleichfoumlrmigzur Stelle steht
Darum ist auch die Art wie die Maschine selbst etwas herstellt einewesentlich andere als das handwerkliche Tun gesetzt daszlig es innerhalb desGe-Stells uumlberhaupt noch so etwas wie ein Herstellen gibt
Die Traktoren und Kraftwagen werden herausgebracht ausgeworfen se-rienweise Stuumlck fuumlr Stuumlck Wo drauszligen steht dieses so Herausgestellte Wo-hin in welchen Stand ist es gebracht158
In dieser Klage uumlber den technischen Wandel der durch den Fortschritt in
alle Lebensbereiche Einzug haumllt versucht Heidegger zu veranschaulichen wel-
chen Verlust es zu erkennen gelte Ein Versuch diesem entgegen zu treten ist die
von ihm vorgetragene Mythopoetik die er in diesem Vortragsteil seines Vortrags-
Gevierts allerdings auffaumlllig zuruumlckgestellt sein laumlszligt War der Einleitungsteil Das
Dinglsquo schlieszliglich eine nahezu einzige mythopoetische Darbietung Dramatur-
gisch wird Heidegger in Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo die mythopoetischen For-
mulierung als Loumlsungswege wieder Bedeutung geben In Das Ge-Stelllsquo versucht
Heidegger hingegen Vorstellungen aus seinen Schwarzen Heften aumlhnlich der fol-
genden mitzuteilen die das Uniforme Gleichfoumlrmige betreffen
Die Macht der Machenschaft ndash die Vernichtung sogar der Gottlosigkeit dieVermenschung des Menschen in das Tier die Vernutzung der Erde die Ver-rechnung der Welt ndash ist in den Zustand der Endguumlltigkeit uumlbergegangenUnterschiede der Voumllker Staaten Kulturen sind nur noch Fassade159
157 GA 79 S 36158 GA 79 S 35159 GA 96 S 52f
38
Was Heidegger unter dieser Gleichfoumlrmigkeit versteht schreibt er in den Schwar-
zen Heften zumeist den Amerikanern zu Er nennt es auch haumlufig Planetarismus
Der Amerikanismus [ist DS] die Zusammenraffung von Allem welcheZusammenraffung immer zugleich die Entwurzelung des Gerafften bedeu-tet160
Der Planetarismus ist die historisch gedachte Bestimmung der uumlberall glei-chen die ganze Erde uumlberdeckenden Seinsverlassenheit des Seienden161
Die Gegenuumlberstellung von natuumlrlicher und traditioneller Handwerkstechnik
gegen maschinenhafte Gleichfoumlrmigkeit exemplifiziert Heidegger dann im Vor-
trag Das Ge-Stelllsquo vielfach wie zum Beispiel hier
Der Forstwart zB der im Wald das geschlagene Holz vermiszligt und demAnschein nach noch wie sein Groszligvater in der gleichen Weise die selbenWege geht ist heute von der Holzverwertungsindustrie gestellt Er ist ober es weiszlig oder nicht in seiner Weise Bestand-Stuumlck des Zellulosebestandesund dessen Bestellbarkeit fuumlr das Papier das den Zeitungen und illustrier-ten Magazinen zugestellt wird die uumlber die Oumlffentlichkeit daraufhin stellenverschlungen werden162
160 GA 96 S 257161 GA 96 S 261162 GA 79 S 37f
Die renommierte Theaterautorin Elfriede Jelinek karikiert in ihrem Stuumlck Totenaubergvon 1991 Heideggers Konstrukt von Heimat und Fortschrittsfeindlichkeit verbunden miteiner Auseinandersetzung mit dessen Liebschaft zu Hannah Arend Mit philologischer Prauml-zision polemisiert sie Teile aus Heideggers Elegie uumlber die Technik und laumlszligt ihn dabei alsbeschraumlnktes und eingezwaumlngtes Wesen in einem Gestell gefangen sein Aus diesem heraussoll er Arend Rede und Antwort stehen uumlber sein Verhaumlltnis zum Nationalsozialismus unddie Shoa Doch dieser redet nur naturtrunken von Heimat und berauscht sich daran Derprophetische Denker wird banalisert ndash diese Worte legt Jelinek ihm (im Stuumlck der alte Mann)in den MundbdquoDie Angst vor dem Fragen liegt uumlber dem Abendland Sie bannt die Kandidaten auf ein
Team-Leibchen verbannt sie auf altgewordene Wege und jagt sie zuruumlck ins morsch geworde-ne Gehaumluse ihrer Tore wo es um ihre Ausscheidungen geht Es wird ihnen alles weggenom-men werden auch der Weg selbst Keine Spur kein Lichtschein aus den Ritzen Aber ruf ichin die Huumltte um nach einem zu fragen den ich gekannt hab sehe ich grad noch eine Tuumlrsich schlieszligen Der Wald kommt nicht zur rechten Geltung alles ist entflohen was mir liebwar und woran ich geglaubt hab Was kommt ist noch nicht da Nichts war Ich habe nichtsgehoumlrt Ich erinnere mich nicht aber ich stelle dem Kommenden das mich den lupenreinenAmateur schon vor Beginn des Rennens erlahmen laumlszligt vorsorglich die Hausschuhe vor dieTuumlr Sie sind das Einzige was die Profis des Profits von mir dann vorfinden werden wennsie anklopfen Die Haumlrte des Urgesteins sollte sie nicht entmutigen Die Jahreszeiten machendie Landschaft auf und zu Ich sage nur In dieser scheinbaren Leere will ich vom Denkenmuumld nur schlafen Von der Huumltte aus lassen sich Wanderungen unternehmen Aber auchsonst wird Ihnen alles wie ich sagte genommen werden Auch Ihre Fotos und Namen Unddas Gewesene wird wesenlosldquo ( Jelinek Elfriede Totenauberg Hamburg 1991 S 86f)
39
Die Oumlffentlichkeit ist fuumlr Heidegger ein Topos der dem Denken und Besinnen
entgegenstuumlnde Somit meint er damit zum Einen die Medien wie er es anhand
der Rede von den Bestandstuumlcken in Das Ge-Stelllsquo erklaumlrt wo der Mensch als
Urheber des Ge-Stells als Wesen der Technik nicht gelten soll Vielmehr wuumlrde er
in Ratlosigkeit und Langeweile verfallen weil er in der Bestellung des Bestandes in
Form von Bestandstuumlcken vom Rundfunk keine Besinnung mehr faumlnde dh das
Ganze also wiederum daswesentliche Ding nicht mehr zu fassen vermoumlge163 Und
so toumlnt es bereits aus den Schwarzen Heften von 19391940()
Die Bildlsquo und Tonlsquo ndash Reportagenlsquo der Machenschaft ist der planetari-sche Mythuslsquo des Vollendungsabschnittes der Neuzeit Die Welt des abge-legensten deutschen Bauernhofes wird nicht mehr durch [] die Naturlsquobestimmt in der noch die Erde waltet sondern durch das illustrierte Blattmit der Darstellung von ausgezogenen Tanzweibern von Boxern und Renn-fahrern und sonstigen Heldenlsquo des Tages164
Und ferner notierte Heidegger 1946 in seinen Schwarzen Heften
Uumlberall zerrt es aus dem Oumlffentlichen ins Oumlffentliche mit vielen Strickenund jeder sieht das kaum versuchte Denken des Seyns am Leitband seinesStrickes165
Dabei waumlre eben ein bdquoLiterat [] ein in die Oumlffentlichkeit verliebter Mensch der
Angst vor dem Denker hatldquo166 Dieses liefe dann darauf hinaus dass beim Rund-
funk bdquoein Bestellen und Stellen waltet das in dasWesen des Menschen eingegriffen
hatldquo167
Abermals nach dem Wesen der Technik also nach dem Ge-Stell gefragt geht
Heidegger auf seine Unterscheidung vonNatur undNaturwissenschaft ein bdquo[w]elches
ist das Verhaumlltnis zwischen der Technik und der Naturldquo168 Natur wuumlrde in wis-
senschaftlicher Hinsicht unter das Berechnete fallen sie wuumlrde bdquoals das in Maszlig
und Zahl gestellte Wirkliche vorgestellt das in seinem Gewirkten staumlndig an-
westldquo169 Wenn Heidegger dann Natur aus technischer Sicht bdquoals ein System des
163 Vgl GA 79 S 38f164 GA 96 S 54165 GA 97 S 100166 GA 97 S 126167 GA 79 S 39168 GA 79 S 41169 Ebd
40
Bestellens von Erfolgen aus dem gestellten Wirksamenldquo170 charakterisiert spricht
er von seiner Rede der Verschraumlnkung von Historie und Technik ndash bdquoTechnik die
Historie der Naturldquolsquo171 Dieses ist bekanntlich das seinsvernichtende Gegenstuumlck
zur geschichtlichen Besinnung Denn geschichtliches Walten der Technik ist fuumlr
Heidegger technische Geschichte dh verwissenschaftlichte Geschichte die da-
durch ihr Wesen verloren haumltte (Seynsvergessenheit)172 So heiszligt es in den Schwar-
zen Heften von 1947
Ein Zeitalter das historisch geworden ist dh technisch planend sich selberberechnet und alles in diesen Sog zieht muszlig jede Besinnung nur als eine dervielen Formen der Intellektualitaumlt registrieren173
Heidegger schlieszligt den Vortrag mit dem Aufgriff der Anfangsbehauptung
bdquo[d]er Bestand bestellt das Abstandsloseldquo174 Somit liegt das Problem der ausblei-
benden Naumlhe durch die Technik deren Wesen das Ge-Stell waumlre das den Bestand
bestelle in der Luft Dass dabei der Mensch sogleich Teil des Bestandes und nicht
Teil der Maschine wird laumlsst ihn das historische Tier sein (2)
Der Mensch ist auswechselbar innerhalb des Bestellens von Bestand []Gleichwohl gehoumlrt der Mensch in einer voumlllig anderen Weise in das Ge-Stellals die Maschine DieseWeise kann unmenschlich werden DasUnmenschlicheist jedoch immer noch unmenschlich Der Mensch wird nie zur MaschineDas Unmenschliche und noch Menschentuumlmliche ist freilich unheimlicherweil boumlsartige und verhaumlngnisvoller denn der Mensch der nur Maschine wauml-re175
Wen Heidegger hier ersinnt ist der neuzeitliche Mensch der den bdquoGoumlttern uner-
traumlglich gewordenldquo176 waumlre
170 Ebd171 GA 95 S 351172 In Heidegger Die Technik und die Kehre S 21 stellt er Geschichte und Historie einander
gegenuumlber was er in Das Ge-Stelllsquo nicht vollzieht bdquoDie moderne Technik kam doch erst inden Gang als sie sich auf die exakte Naturwissenschaft stuumltzen konnte Historisch gerechnetbleibt dies richtig Geschichtlich gedacht trifft es nicht das Wahreldquo Signifikant fuumlr Heideg-gers Attributierung so wie sie oben schon geschildert ist steht Historie fuumlrs Rechnen undGeschichte fuumlr das Denken
173 GA 97 S 508174 GA 79 S 44175 GA 79 S 37176 GA 94 S 236
41
323 Die Gefahrlsquo
Aus Heideggers Darlegung uumlber das Ge-Stell erschlieszligen sich seine diversen Fa-
cetten der Vorstellung einer Abstandslosigkeit schaffenden Technik Dass die Ab-
standslosigkeit dem Prinzip des Gevierts des Zusammengestellten entgegensteht
bekommt im Vortrag Die Gefahrlsquo Nachdruck Die mythopoetische Erzaumlhlung
knuumlpft an den Vortrag Das Dinglsquo an mit den Mythologemene 1 Der Mythos
des geschichtlich sein muumlssens 2 der Mythos des Goumlttlichen 3 das geschichtsbe-
sinnliche Prinzip der Aletheia Zudem wird im Prozess des Vortrags das Ge-Stell
zur Gefahr stilisiert was einen eigenen Mythos erschafft
Durch das bdquouniversale Bestellen des Ge-Stellsldquo177 werde die naumlhernde Naumlhe des
Dings verwehrt Wie im Vortrag Das Dinglsquo fuumlhrt Heidegger das Wesentliche sei-
ner Theorie auf die deutsche und altgriechische Sprache zuruumlck Die so vollzoge-
ne Annaumlherung von Schwarzwaumllderischem Dialekt und Altgriechisch entspricht
Heideggers Traum von dem bdquogeschichtliche[n] Geburtsort des abendlaumlndischen
Wesensldquo178 den seine Heimat von Todtnauberg bis Freiburg stiften sollte (1)
es ist das Geistvolle und zugleich das erdenhafte schoumlne Land Es birgt un-sichtbaren Reichtum dem Gemuumlt bewahret tiefstes Dichten und houmlchsteGestalt der Sage179
Unter diesem Vorzeichen also sagt Heidegger
Das Ge-Stellwesen laumlszligt das Ding ohne die Wahr Das Wort die Wahrlsquo be-deutet in unserer Sprache dort wo sie noch urspruumlnglich spricht die HutIn unserer schwaumlbischen Mundart meint das Wort die Wahrlsquo die der muumlt-terlichen Hut anvertrauten Kinder Das Ge-Stell laumlszligt in seinem Stellen dasDing ohne die Hut ndash ohne die Wahr seines Dingwesens180
Diese in Bremen vorgetragene Heimatkunde ist auch Heideggers Sorge ge-
schuldet durch die Besatzermaumlchte und deren kulturellen Einfluss auch durch
die nun moumlgliche Oumlffnung Deutschlands zu einem Austausch mit der Welt das
eigene Wesen zu verlieren So schreibt er 1945-1947() in seine Schwarzen Hefte
177 GA 79 S 46178 GA 97 S 54179 Ebd180 GA 79 S 46
42
Das Schwerste und Fragwuumlrdigste unseres Geschickes ndash beruht darin ob wirdas Eigene finden und huumlten [] unter den anderen Voumllkernlsquo [] Scheinund Vorwand der Macht daszlig man unsere eigene Aufgabe bringen will []als Entmachtete aufgenommen zu sein in den Weltmachenschaftsbetrieb181
Es gaumlbe nach Heidegger also das Welten von Welt und die Verweigerung von
Welt aus derVerwahrlosung des Dings durch das Ge-Stell bzw die Technik182 Welt
ist nach dem Konzept des schwaumlbischen Denkers nichts weniger als das Geviert
Bei der folgenden mythopoetischen Zusammenstellung von dem Geviert mit alt-
griechischen Vokabeln um den Seins-Begriff wird das Aletheia-Prinzip eingefuumlhrt
Somit fuumlhrt uumlber den Mythos des Goumlttlichen (2) der Weg zur Wahrheit eben als
geschichtsbesinnlich erfahrene Aletheia (3)
Welt ist das Geviert von Erde und Himmel Goumlttlichen und SterblichenDas Spiegel-Spiel der Vierung wahrt alles was in ihm dingend zwischenden Vier anwest und abwest in das einende Ganze seines Anwesens Vonaltersher heiszligt das Anwesen des Anwesenden τὸ ὲόν das Seiend [sic] τὸεἶναι das Sein naumlmlich der ὲόντα des Seinenden das esse entium183
Diese Welt waumlre nun bdquoWahrnis des Wesens von Sein Statt Wahrnis sagen wir auch
Wahrheitldquo184 Die Welt mythopoetisch als Spiegel-Spiel des Gevierts und durch
eine altgriechische Brille betrachtet waumlre die wahre Welt Somit wird die Wahr-
heitsschau gebunden einen antiken Goumltterglauben und abendlaumlndische Sprachkas-
kaden vom Dialekt zum Altgriechisch
Das Problem mit der wahren Welt waumlre allerdings dass sie sich in die Ver-
borgenheit entziehe Naumlher betrachtet ist aber die Verborgenheit Bedingung des
Entbergens was Heidegger notwendig macht zu einem wuumlrdigen Lebensvollzug
in Harmonie mit dem Sein Durch solche Wesensschau waumlre der Mensch befaumlhigt
jederzeit die verstellenden Maumlchte des Ge-Stells (der Technik) zu uumlberwinden und
teilhaftig am Wesen der Welt zu werden
181 GA 97 S 99182 Vgl GA 79 S 47183 GA 79 S 48 (Die griechischen Vokabeln werden hier keiner Uumlbersetzung unterzogen Da
Heidegger ohnehin keine philologische Schaumlrfe anwenden will ist es fuumlr die Zwecke hierausreichend sie mit seiner Uumlbersetzung zu betrachten Heidegger spricht von bdquoAchten aufdas Griechischeldquo was schwieriger waumlre als klassische Philologie (vgl GA 79 S 63)
184 Ebd
43
Welt bleibt in der Verborgenheit (Αήθη) auf die Weise daszlig diese ihre Ver-borgenheit gerade eine Unverborgenheit gewaumlhrt die Αλήθεια185
Die Αλήθεια haumltte allerdings auch eine Rolle uumlber die subjektive hinaus da nur
durch ihren Vollzug Seinsgeschichte gewaumlhrt wuumlrde Das ist der Anspruch den
Heidegger an sein Auditorium stellt gemeinsam geschichtlich sein zu muumlssen (1)
Die Αλήθεια ist das Geschick des Seins als welches Geschick sich die Fuumllleder Seinsgeschichte in ihre Epochen fuumlgt186
Mit dem Ge-Stell als Wesen der modernen Technik waumlre die Aletheia aller-
dings hochgradig gefaumlhrdet Denn ohnehin waumlre die Aletheia prinzipiell der Ge-
fahr der Vergessenheit ausgesetzt Doch das Ge-Stell haumltte die Kraft die bdquovollende-
te Vergessenheit der Wahrheit des Seinsldquo187 zu vollrichten
Indem das Ge-Stell alles Anwesende in den Bestand bestellt setzt das Ge-Stell das Anwesen des Anwesenden heraus aus seiner Wesensherkunft ausder Αλήθεια188
Diese Versetzung des beteiligten Wesens aus der Moumlglichkeit des Wahrheitsprin-
zips heraus markiert Heidegger dann mit der Schreibweise Seyn (mit bdquoyldquo) Wie
bei dem Vortrag Das Dinglsquo koumlnnen ethymologische Abstammungen sein Sys-
tem anreichern Da wo es um das Wortfeld des Stellens geht Ge-Stell Bestellen
Verstellen ist auch das NachstellenMitglied der Familie
Im Althochdeutschen heiszligt nachstellen fara Das in sich gesammelte Stellenals Nachstellen ist die Gefahr Der Grundzug des Wesens der Gefahr ist dasNachstellen Insofern das Sein als das Ge-Stell sich selbst mit der Vergessen-heit seines Wesens nachstellt ist das Seyn als Seyn die Gefahr seines eigenenWesens189
Damit wuumlrde sich durch die Verringerung der Selbstreflexion im Seyns-Bestand
eine Schwachstelle auftun in die der denkbegabte und aletheiafaumlhige Mensch ei-
ne Moumlglichkeit haben das Seyn zum Sein zuruumlckzuwandeln ndash also wieder in ein
185 GA 79 S 49186 Ebd187 GA 79 S 53188 GA 79 S 52189 GA 79 S 53
44
wesentliches Verhaumlltnis zum bdquoDingldquo zu gelangen in dem das Geviert wieder die
Harmonie herstellt Allerdings faumlnde bis zu solch einer Nachstellung eine Ver-
sieglung des Seynsbestandes statt Und Heidegger beklagt dass die Erreichung der
Ruumlckeroberung des Seins uumlber die Nachstellung nicht stattfaumlnde und stattdessen
die Irre regieren wuumlrde190
In dieser Irre stuumlnde dem Menschen nicht einmal mehr zu zu sterben Denn
bdquoSterben [] heiszligt den Tod in sein Wesen austragenldquo191 Somit waumlren die Opfer
die in den KZs umkamen wie er sie in Das Dinglsquo bereits schildert nicht vermouml-
gend gewesen zu sterben bdquoSie werden Bestandstuumlcke eines Bestandes der Fabrika-
tion von Leichen [] Sie werden in Vernichtungslagern unauffaumlllig liquidiertldquo192
Das vermoumlge die Gefahr zu bewirken Der Mensch wuumlrde des eigenen Sterbens
beraubt da er keine Verbindung mehr zur Wahrheit der Welt haumltte Um den rich-
tigen Tod zu sterben muumlsse der Mensch die Aletheia schauen koumlnnen Insofern ist
Heideggers Prinzip ein religioumls anmutendes Wie in der christlichen Vorstellung
der Mensch im Jenseits an seinen Taten gemessen wird um Paradies oder Fege-
feuer zu besuchen soll nach Heidegger der Mensch waumlhrend des Sterbens mit
sich selbst ins Gericht gehen Er soll sich rein machen vom Ge-Stell der Technik
und dem Seyn um nicht die einmalge Gelegenheit des richtigen Sterbevollzugs
zu versaumlumen Es winken gemaumlszlig des Gevierts die himmlischen Goumlttlichen den
irdischen Sterblichen zu wobei annehmbar ist dass Heidegger Sterblichen die
die Aletheia erkennen einen Goumlttlichkeitsstatus beimessen moumlchte ndash eine Erlouml-
sungsphantasie
Genau diese Erloumlsung waumlre die Technik nicht
Ohne den Schritt des Denkens zu wagen der unser Menschenwesen demWesen der Technik [] aussetzt wuumlrgt man sich von Fall zu Fall von Lagezu Lage durch die Zwiespaumlltigkeiten hindurch Und genau durch dieses Ge-wuumlrge versaumlumt man die Moumlglichkeit dessen was man im Grunde erstrebtdie Technik durch menschliches Tun zu meistern und menschenwuumlrdig zulenken193
190 Vgl GA 79 S 55191 GA 79 S 55192 GA 79 S 56 Weil Heidegger im Judentum die Verantwortlichen fuumlr das Geraffe des Ge-Stells
sieht macht er sie gleichsam verantwortlich fuumlr die bdquoSelbstvernichtungldquo Die Seinsverges-senheit im Tode wird dadurch zum Spin-off der vermeintlich juumldisch erzeugten da machen-schaftlichen KZ-Maschinerie (Vgl GA 97 S 20f)
193 GA 79 S 59
45
Trost und Richtung findet Heidegger schlieszliglich abermals bei den alten Griechen
Das Wort stellenlsquo entspricht dem griechischen ϑέσις vorausgesetzt daszlig wirϑέσις griechisch denken Was heiszligt in diesem Falle griechisch denkenlsquo Esheiszligt darauf achten welche Lichtung desWesens des Seyns in welcherWeisedas Dasein der alten Griechen in den Anspruch genommen hat heiszligt imvoraus bedenken in welchem Geschick welcher Unverborgenheit des Seinsdie Griechen standenldquo194
Das sind Vorstellungen des Neuen Anfangs eine Reminiszenz der griechisch anti-
ken Welt Ein Eintrag aus den Schwarzen Heften von etwa 1945-47 () verdichtet
wie oben bereits aufgezeigt die Phantasie griechisch zu sein zu einem gelingenden
Lebensvollzug
Das reine Wesen des Griechentums dh das Seiende inmitten dessen dieGriechen als seiende fremd gewesen dieses und sie selbst und der Bezug desSeins zu ihnen ndash in der einfachen Wesung von der ἀλήθεια her zeigen underfahren Den μῦθος und λόγος ndash jedes Wort und Gebild rein aber nichterzwungen und schematisch-pedant ndash aus ἀλήθεια erfahren195
Hier zeigt sich auch dass Heidegger per se das Aletheia-Prinzip fuumlr notwendig
hielt um ins Licht der Wahrheit zu blicken Die Griechen sind ihm hier deshalb
Vorbild und rein da sie keiner modernen Technik und dem Ge-Stell ausgesetzt
waren sondern lediglich eine mythopoetische Verbindung zum Sein herstellen
mussten um wesentlich zu sein und Seinsgeschichte zu schreiben Die Dinge und
das Spiegel-Spiel des Gevierts waumlren ihnen geschickt zuhanden gewesen196 Hei-
degger macht schlieszliglich sehr deutlich dass das Griechische zu denken ein bei
weitem anderes Geschaumlft sei als philologische Praumlzision
Ein Echo zu sein naumlmlich dem Anspruch des Seins verlangt eine Sorgfaltder Sprache von der freilich der technisch-terminologische Sprachstil derWissenschaften uumlberhaupt nichts wissen kann Die Intentionalitaumlt der wis-senschaftlichen Sprache ist der staumlrkste Beweis fuumlr ihre Boden- und Heimat-losigkeit [] Das Heimische einer hohen Sprache gedeiht nur im Bereichdes unheimlichen Anspruchs der wesenhaften Stille im Wesen des Seyns197
194 GA 79 S 62f195 GA 97 S 20196 Hingegen waumlre das Judentum verantwortlich fuumlr das Ge-Stell fuumlr das Prinzip der Zerstoumlrung
wie es auf der selben Seite der Schwarzen Hefte darunter heiszligt (vgl ebd)197 GA 79 S 66 Die Bedeutung von Seyn als verstelltes Sein oder Bedingung zum Schauen
des wahren Seins ist verwirrend Einer genaueren Analyse wird aus Platzgruumlnden hier nichtnachgegangen
46
324 Die Kehrelsquo
Der letzte Vortrag ist mit nur neun Seiten der Kuumlrzeste des Vortragsgevierts
Nach dem Verlust des Dinges als Ding und der damit einsetzenden Abstandslosig-
keit als Wesen des Ge-Stells wobei die Gefahr zudem der Vergessenheit des Seyns
nachstellt bietet Heidegger eine Perspektive an
Im Wesen der Gefahr verbirgt sich [] die Moumlglichkeit einer Kehre in derdie Vergessenheit des Wesens des Seins sich so wendet daszlig mit dieser Kehredie Wahrheit des Wesens des Seyns in das Seiende eigens einkehrt198
Diese Moumlglichkeit bedeute nicht dass der Mensch sich der Gefahr selbst stellen
koumlnnte sie waumlre passiv ndash bdquoverbirgt sichldquo Die Kehre werde sich ereignen aumlhnlich
einer Erwartung an den Messias
Die Anwesenheit der Gefahr wuumlrde automatisch die Rettung bergen Denn
Houmllderlin haumltte geschrieben bdquoWo aber Gefahr ist waumlchst [d]as Rettende auchlsquoldquo199
Etwa 1945 notiert Heidegger in seine Schwarzen Hefte bdquoDie Wahrheit erfahren
wir im Gedaumlchtnis Das Gedaumlchtnis ist die Dichtungldquo200 (so) Von dieser War-
te aus ausgestattet mit Erinnerungen an das abendlaumlndische Dichten mit dem
Wissen um das Aletheia-Prinzip und passiv als denkender Huumlter des Seyns solle
der Mensch das Ereignis erwarten das ihn bdquoloumlsen freimachen freyen schonen
bergen in die Hut nehmen wahrenldquo201 wuumlrde (siehe S 43)
Dieses Ereignis waumlre der Blitz Ein unvermittelter jaumlher ploumltzlicher Moment
von kurzer Dauer der bloszlig einen ebenso kurzen Blick auf das wahre Wesen er-
lauben wuumlrde Abschlieszligend ist dies das Rezept gegen die Bestands bestellende
Technik in mythopoetischer Formulierung
So entsprechend ist der Mensch geeignet daszlig er im gewahrten Element vonWelt als der Sterbliche dem Goumlttlichen entgegenblickt Anders nicht dennauch der Gott ist wenn er ist ein Seiender steht als Seiender im Seyn unddessen Wesen das sich aus dem Welten von Welt ereignet202
198 GA 79 S 71199 GA 79 S 72200 GA 97 S 52f201 GA 79 S 72202 GA 79 S 76
47
Wenn Heidegger im Anschluss von der bdquohistorisch-technischen Darstellungldquo re-
det so ist dies die Abwehr der Wissenschaften (auch der Philosophie203) und ein
Appell an die Antirationalitaumlt des Mythos bdquokein historisches Vorstellen der Ge-
schichte als Geschehen bringt in den schicklichen Bezug zum Geschickldquo204
Damit das Blitzen erfahren werde als kurze Wesensschau der Aletheia muumlsse
dem wahren abendlaumlndischen und heimatlichen Ereignis stattgegeben werden Es
sollte nicht wie er 1939 schon in den Schwarzen Heften beschreibt das
kuumlnstliche Licht von Historie und Technik in der weder Mensch noch dieGoumltter weder eineWelt noch die Erde sichtbar werden koumlnnen wo aber dasLebenlsquo von allen den immer noch zu wenigen Meistenlsquo erlebtlsquo wird205
Damit schlieszligt der letzte Vortrag mit einer Erwartung an das Ereignis des Blit-
zens nicht das Erleben der Besinnungslosigkeit (vgl Das Ge-Stelllsquo) Schon 1947
traumlumt Heidegger von solcher Umkehr
Aus der Kehre der Seynsvergessenheit aber ereignet sich das Unumgaumlnglicheden Acker der Welt erst zu pfluumlgen und saatbereit der Sonne und dem Regenund den Voumlgeln des Himmels uumlberlassen206
203 Denn ldquo[e]igentlich denken heiszligt [] die Philosophie verlassen [] beim Sagen des Seinslsquoldquo(GA 97 S 60)
204 Ebd205 GA 95 S 427 Gegen das Erlebnis und Erleben straumlubt sich Heidegger besonders So notiert
er etwa 1939 bdquoZeitalter der Techniklsquo macht gerade die Techniklsquo nicht zum Ziel sondernimmer mehr zum Mittel der besinnungslosen Berechnung [] der Mensch [] das Erleb-nislsquo [] Erleben als der Gefuumlhlsgenuszligldquo (GA 95 S 149) Wie auch bdquoWo beide Historie undTechnik in solcher scheinbaren Gegensaumltzlichkeit verkoppelt sind koumlnnen sie sich zur Foumlr-derung dessen zusammenschlieszligen was einstmals wesentlich die Geschichte des Menschenmitbegruumlndete und was wir die Kunstlsquo nennen Die Historie verschafft [] Anregungenund Vorbilder der Nachahmung die Technik erleichtert [] die Zustellung von Darstel-lungsmitteln und Wirkungsformen [] Gleichwohl ist alles wurzellos [] berechnet und alsErlebnislsquo ausgegebenldquo (GA 95 S 212)
206 GA 97 S 511
48
4 Konklusion
Der umstrittene Philosoph Martin Heidegger hat uumlber die 1930erndash40er Jahre
hinweg eine ausgepraumlgte voumllkisch-nationale und bisweilen radikal-antisemitische
Denkweise entwickelt Dieses Denken fasste er auch auf als Besinnung und stellt
es der Philosophie und Wissenschaft diametral entgegen In Kapitel 2 wird aufge-
zeigt dass sowohl Heideggers Mythologie bereits kritisiert wurde (Adorno Cassi-
rer Meyer) als auch seine Mythopoetik bewundert (Schulz-Nieswandt) Kapitel
3 will daruumlber hinaus aufzeigen wie Heidegger eine eigene Mythologie mytho-
poetisch fruchtbar macht was sich von beiden vorigen Ansaumltzen unterscheidet
und erst mit der Veroumlffentlichung der Schwarzen Hefte ab 2014 nachvollziehbar
wurde
Umso mehr bietet die mythopoetische Verbindung von bdquoDichten und Den-
kenldquo (so) einen antitechnischen Gegenpol Denn Heidegger fasst wie oben ge-
schildert alles Rationale auf als berechnende Bestellung des Bestands im Sinne
der Technik Daruumlber hinaus fordert er mit dem Aletheia-Prinzip (als metapho-
risch gefasstes Ereignis des Blitzens) einen Mitvollzug seiner mythopoetischen
Kontemplation in dem religioumlse voumllkische antike und sprachliche Motive zu-
sammenfallen
Obwohl schon von Heidegger selbst nicht mehr als Philosophie betrachtet
hat seine Rede vom Ding dem Ge-Stell dem Wesen der Technik und der Kehre
noch immer einen bedeutenden Einfluss auf die Technikphilosophie So betont
Alfred Nordmann in bdquoWerkwissen oder How to express things in worksldquo (2008)
dass Heidegger mit Das Dinglsquo eine Art Dingwissen geschaffen haumltte In seinem
2012 erschienenen Aufsatz Another parting of the ways Intersubjectivity and the
objectivity of sciencersquo207 geht Nordmann ein weiteres Mal auf Heideggers Ding
ein Dieses waumlre eine Abarbeitung an dem Ding Kants womit auch Nordmann
Heidegger als einen Interpreten Kants versteht208 Anschlieszligend anMichael Fried-
207 Nordmann Alfred Another parting of the ways Intersubjectivity and the objectivity ofscience In Studies in History and Philosophy of Science 43 (2012) 38ndash46
208 Die Auseinandersetzung mit dem Ding wuumlrde nach Nordmann in Heideggers GA mit demText Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalen Grundsaumltzenlsquoeinsetzen (GA 41 Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalenGrundsaumltzen)
49
man spricht sich Nordmann ebenso dafuumlr aus dass Heidegger neben Rudolf Car-
nap und Ernst Cassirer eine neokantianische Philosophie verfolgt haumltte (siehe
Kap 1)209
Nach Nordmann haumltte Heidegger in seinen anschlieszligenden Gedanken uumlber
das Ding als Fortfuumlhrung Kants als erster Wissenschaft als angewandte Techno-
logie verstanden210 Diese Interpretation stuumltzt sich auf die gleichen Symbole
Metaphern und Mythen die die vorliegende Arbeit analysiert Das Ge-Stell ist
insofern aumlquivok mit dem Begriff techno-science Jedoch sind in dieser Fruchtbar-
machung von Heideggers Denken der Technik dessen nationalistischen rassisti-
schen und antisemitischen Implikationen die die vorliegende Arbeit als Zentrum
dessen Philosophie ermitteln konnte noch nicht beachtet worden koumlnnen211
Andreas Luckner webt Heideggers Ding-Entwurf weiter als verantwortliches
Sorgen um die Dinge212 Er geht dabei mit Heidegger voumlllig konform und tritt
eher als eine Art Bote der Ding-Botschaft auf als diese moumlglicherweise zu kriti-
sieren was sich diesen Artikel wie ein Kapitel aus einem Studienbuch lesen laumlsst
Der Darmstaumldter Technikphilosoph Christoph Hubig ist vor allem Kritiker Hei-
deggers Argumentationen laumlsst aber zuweilen diverse Topoi aus dem Werk des
Technik-Denkers durchscheinen ohne sie weiter zu reflektieren
So konstatiert Hubig Heidegger verfehle in dessen Auseinandersetzung mit
Aristoteles Lehre von der Poiesis zum Punkt der Sicherung wie sie in Die Frage
nach der Techniklsquo behandelt wird bdquodie operative Seite des Technischenldquo bei Aris-
totels213 In einem spaumlteren Aufsatz allerdings stuumltzt er sich ohne weitere Erlaumlute-
rungen auf Heideggers Begriff der Sicherung aus Die Frage nach der Techniklsquo214
209 Diese Befriedung paradigmatischer Umstaumlnde wird hier nicht geteilt Eine weitere Bearbeitunglaumlsst der Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht zu
210 Vgl Nordmann Another parting of the ways S 45211 Der Aussage dass Heideggers Ding-Begriff kantianisch waumlre muumlsste einer gezielten Untersu-
chung unterzogen werden genau wie die Behauptung insgesamt dass Heidegger oder inwie-weit dieser noch der suumlddeutschen Kantschule des 1920 Jahrhunderts angehoumlrte
212 Vgl Luckner Andreas Ding und Bestand Heidegger und das Wesen neuzeitlicher TechnikIn Gamm G Gehring P Hubig C Kaminski A und Nordmann A Ding und SystemS 15-30 hier S 29
213 Hubig Christoph Die Kunst des Moumlglichen Technikphilosophie als Reflexion der MedialitaumltBielefeld 2006 S 103
214 Vgl Hubig Christoph Technik als Medium In Grundwald Armin (Hg) Handbuch Tech-nikethik Stuttgart 2013 S 118-123 hier S 118
50
Dabei versteht Hubig Heideggers Betrachtungen zum Umgang mit der Technik
als gelassen
Fuumlr Heidegger liegt die Andersheit im Entbergen einer Wahrheit des Seinseines Geschicks von dem die Entwicklung der Technik hin zum Gestellkuumlnde Er verbindet dies mit dem Appell jenseits des rechnenden und si-chernden Vorstellens technischer Vollzuumlge als handlungsleitender Program-me sich gelassenlsquo dieser Entwicklung zu uumlberantworten und ein Seinlsquo zuhuumlten das sich als solches eben entbirgt Das Rettendelsquo dieser Einsicht lie-ge darin dass unsere individuelle Endlichkeit insofern transzendiert wirdals sie sich dem sie uumlbersteigenden Prozess aufschlieszligt und sich selbst relati-viert215
Wovon in diesem Zitat nicht die Rede ist ist der Mitvollzug der mythopoe-
tischen Rahmenbedinungen die Heidegger einfordert und an dem die Konzep-
te Abendland und voumllkische Tradition haumlngen In dieser Arbeit wird davon aus-
gegangen dass Heideggers Technikphilosophie-erzaumlhlung sich nicht von seinen
Absichten der Bekaumlmpfung des Technischen loumlsen laumlsst Die Relativierung ist in-
sofern nicht an den Prozess gebunden und damit emergent auf alles hin ausge-
richtet was kommen mag sondern houmlchst konvergent in einer Besinnung auf
Mythen von dem Ding und dem Geviert mit all deren Valenzen aus dem vorlie-
genden Heideggerschen Textkorpus Die individuelle Endlichkeit ist genoumltigt die
Heimat und das Abendland zu kennen und im Aletheia-Prinzip umzusetzen
Die Neubewertung der bislang bekannten Heideggerschen Technikphiloso-
phie von vor den SchwarzenHeften ist ein dringendes Desiderat Voumllkisch-nationale
Gruppierungen erstarken momentan in ganz Europa und es koumlnnte sehr hilfreich
sein aumlhnliche Denkstrukturen aufzudecken so wie sie zwischen den 1930er und
40er Jahren entwickelt wurden Zusaumltzlich muss das Werk Heideggers einer kriti-
schen Revision schon aufgrund der niemals von ihm behandelten Antisemitismen
unterzogen werden Heidegger hat nie zu diesen Stellung bezogen
Daruumlber hinaus ist das Thema Mythos und Philosophie ein weiterhin not-
wendiger Bereich der philosophischen Forschung In einem Bereich auszligerhalb
der exakten Wissenschaften und ohne klare theologische Tradition ist die Philo-
215 Hubig Die Kunst des Moumlglichen S 140
51
sophie beides sowohl Aufklaumlrer und antimythisch als auch Quelle fuumlr mythisches
Denken und affektierende Motive
52
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Die_Heidegger-Kontroverse ndash zuletzt abgerufen am 24042016)
56
Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
Der Unterzeichner versichert dass er die vorliegende Bachelorarbeit selbststaumlndig
verfasst und keine anderen als die von ihm angegebenen Hilfsmittel benutzt hat
Die Stellen der Arbeit die anderen Werken dem Wortlaut oder dem Sinne nach
entnommen sind wurden in jedem Fall unter Angabe der Quellen (einschlieszliglich
des World Wide Web und anderer elektronischer Text- und Datensammlungen)
kenntlich gemacht Dies gilt auch fuumlr beigegebene Zeichnungen bildliche Dar-
stellungen Skizzen und dergleichen
Darmstadt 25 April 2016
__________________________
(Eigenhaumlndige Unterschrift)
- Abkuumlrzungsverzeichnis
- Danksagung
- Einleitung
- Heideggers mythopoetisches Programm
-
- Zu den Begriffen Mythos Mythologie und Mythopoetik
-
- Ein Beispiel fuumlr ein Mythologem
-
- Heideggers Mythen
-
- Formen der Mythologie
-
- Heideggers mythopoetische Technik
-
- Zur Publikationsgeschichte von den Bremer Vortraumlgen 1949
- Die mythopoetische Spiegelung der Schwarzen Hefte
-
- Das Dinglsquo
- Das Ge-Stelllsquo
- Die Gefahrlsquo
- Die Kehrelsquo
-
- Konklusion
- Literaturverzeichnis
- Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
-
18
von der Rechenhaftigkeit des juumldischen Wesens und die aumluszligeren Feinde wie Ameri-
kanismus franzoumlsische Kultur russischer Bolschewismus usw Heideggers Urmythos
vom neuen Anfang ist verquickt mit einem selbstangedichteten Personenmythos
was ebenfalls Meyer schon erkannt hat Dieses Schema ist die Grundstruktur
Immer deutlicher wird in mir die Ahnung daszlig unsere Heimat der Kerndes suumldwestdeutschen Landes [er selbst DS] der geschichtliche Geburtsortdes abendlaumlndischenWesens sein wird [] es ist das Geistvolle und zugleichdas erdenhafte schoumlne Land Es birgt unsichtbaren Reichtum dem Gemuumltbewahret tiefstes Dichten und houmlchste Gestalt der Sage67
Die mitunter wichtigste Dichotomie die Heidegger in den Denktagebuumlchern
aufwirft ist die zwischen Historie und Geschichte Es ist insofern nicht nur der
Mythos des neuen Anfangs der Heideggers Denken uumlber fast zwei Dekaden be-
stimmt sondern umso mehr die doppelte Projektion ndash des Verfalls (Machenschaft)
in eine Konstruktion von Historie und des Bestehens (Sein) in die konstruierte
Geschichte68 Geschichte faumlllt dann schlieszliglich mit der Schaffung des neuen An-
fangs so zusammen wie Historie mit Technik verschraumlnkt wird Geschichtlichkeit
muss durch das Prinzip des Ereignisses der Aletheia prozessiert werden waumlhrend
die verrationalisierte wissenschaftliche technische Historisierung des Lebens und
der Lebenswelt dem widerstrebt
Die Bindung von Heideggers Vorstellung des richtigen Lebens im Sein mit
demAbendland und einer voumllkisch-nationalen Groumlszlige undUumlberlegenheit Deutsch-
lands ist dabei ausschlaggebend Denn mit der Charakterisierung des Guten auf
derer Heideggers Antisemitismus mittels Heideggers Denkmethode behandelt aufgehobenwerden koumlnnte Die Hauptbegriffe darin sind bdquoSeinsgeschichtlicher Antisemitismusldquo undbdquoKontamination des Denkensldquo Von einer tieferen Auseinandersetzung muss an dieser Stelleabgesehen werden
67 GA 97 S 5468 In Band 66 der GA gibt es bereits einen kleinen Abriss der Historie und Techniklsquo die der Ge-
schichte gegenuumlbergestellt werden Das dies eine Uumlbertragung der Gedanken aus den Schwar-zen Heften ist ist ohne Zweifel Ein ansatzweise philosophisches Vorgehen vermengt sichdort mit dem poeto-mythologischen Denken Heideggers In Sachen mythopoetischer Figu-ren undMetaphernreichtum haumllt sich dieser dort aber noch zuruumlck (auch wenn er hier bereitsoumlffentlich vom bdquohistorischen Tierldquo redet) Die Absicht Technik und Historie als Verstellungdes abendlaumlndischen Menschen zu brandmarken stehen dabei im Vordergrund Weiterhinsoll in dieser Arbeit allerdings der Fokus auf den Schwarzen Heften und der Mythopoetik inden Technikvortraumlgen der Nachkriegszeit liegenDer Duden sieht Geschichte und Historie als Synonyme Von einer Ethymologie und der
Spekulation von Heideggers Gruumlnden der Auseinanderhaltung der zwei Synonyme soll hierabgesehen werden
19
der Seite des Seins sind die Feinde dessen eine Notwendigkeit seines Erklaumlrungs-
schemas Dabei sind es vor allem die Juden denen die Wurzel des Antiseien-
den von Heidegger in ihr vermeintliches Wesen geschrieben wird Exemplarisch
spricht dafuumlr dieses Zitat aus Band 96
Die zweite Machtsteigerung des Judentums aber hat darin ihren Grund daszligdie Metaphysik des Abendlandes zumal in ihrer neuzeitlichen Entfaltungdie Ansatzstelle bot fuumlr das Sichbreitmachen einer sonst leeren Rationalitaumltund Rechenfaumlhigkeit die sich auf solchem Wege eine Unterkunft im Geistlsquovarschaffte ohne die verborgenen Entscheidungsbezirke von sich aus je zufassen zu koumlnnen69
Diese Vorstellung ist eine Konkretisierung dessen was Heidegger mit den Uumlber-
begriffen Historie vs Geschichte einige Jahre vorher begann zu topografieren
Wir sind durch die Historie geschwaumlcht [] ndash wir koumlnnen nur durch das ge-rettet werden was uns in seiner Verfaumllschung widert ndash durch die Geschich-te70
Dieses bdquoWirldquo sind die glorifizierten Deutschen vor allem nach der Ableitung von
den Griechen uumlber Houmllderlin (und dessen Griechen) und Nietzsche zu ihm und
seinem kleinen Kreis von ihm anerkannter Intellektuellen-Kollegen wie etwa
Carl Schmitt Oswald Spengler Walther F Otto und Ernst Juumlnger Die Luft auf
Heideggers Denker-Olymp ist duumlnn und bekommt nur Wenigen
Die Geschichte in Heideggers solipsistisch-immanenten Nachdenken erklaumlrt
sich wie gesagt immer zusammen mit der Hoffnung auf den neuen Anfang und
als Besinnung auf das Denken als Akt gegen die Historie Die Paarung der zwei
Woumlrter bdquoGeschichteldquo und bdquoBesinnungldquo durchzieht in deutlicher Haumlufigkeit alle
vier Baumlnde der Schwarzen Hefte ndash bdquogeschichtliche Besinnung [] ist die Uumlberwin-
dung der Historie und des Historismusldquo und sie bdquobedarf der houmlchsten Strenge
hinter der die historische Exaktheitlsquo weit zuruumlckbleibtldquo ndash somit ferner bdquonur wer
Geschichtemacht vermag sie auch zu errettenldquo71 Das oben mit Meyer und Schulz-
69 GA 96 S 4670 GA 94 S 26771 GA 94 S 358f
Dass die Besinnung eine militante Perspektive hat laumlszligt sich auch in Heideggers Vereh-rung Heraklits ldquoDer Krieg ist der Vater aller Dingerdquo finden Heidegger sah sich selbst alsDenker als Propheten des Seins Aus dieser Warte betrachetete er zuerst den Nationalsozia-
20
Nieswandt bereits aufgezeigte Bereiten des Goumlttlichen legt Heidegger in seinen
Begriff der Geschichte
Geschichte ndash das Gewagtwerden der Goumltter nur Groszlig als Untergang oderSieg ndash nicht Dauerlsquo wesentlich ndash sondern die Abgruumlndigkeit der Erstrei-tung ndash Opfer und Weile
Historie ist bei Heidegger bdquogeschichtliche Entwurzelungldquo die bdquoTyrannei der
Technikldquo bdquoSelbstvergoumltterungldquo und bdquoAbgoumltterei der Technikldquo72 In einer skizzen-
haften Emanationsfolge wird dieHistorie als Modus der Technik auf sich selbst zu-
ruumlckgefuumlhrt bdquoDas Riesige ndash [] Historie die Technik der Geschichtelsquo Technik
Die Historie der Naturldquolsquo73 Es ist vage annehmbar dass Heidegger hier die Tech-
nik als rechenhafte machenschaftliche Historisierung der Natur versteht die vor
dem Geschichtsbegriff stattgefunden haumltte Diese wiederum haumltte die Geschichte
in die rechenhafte Machenschaft verfremdet Wie ein Apparat erscheint Heidegger
der Gegenstand seiner Historie zu sein die sich automatisch durchsetzen wuumlrde
Die Historie stellt zunaumlchst das Nacheinander der Begebenheiten dessenwas vorbeizieht (passiertlsquo) her [] Sie erklaumlrt dann Spaumlteres aus dem Fruuml-heren sie findet sogar dass Ideen die Geschichtelsquo bestimmen74
Den historisierend narrativen Umgang mit Geschichte als Wissenschaft emp-
findet Heidegger als Technisierung derGeschichte Diese wiederum basiert auf den
statischen Topoi seiner Mythen von Vaterland Bauerntum Houmllderlin alten Grie-
chen den Goumlttern etc und der Anwendung des Aletheia-Prinzips im Ereignis
Das ist ein Tugendenkatalog der Deutschtuumlmelei mit einer paumldagogischen Kom-
ponente seine Mythologie im Aletheia-Prinzip zu praktizieren Er nennt dieses
Geschaumlft auch Denken und ahnt dessen Feinde bdquodie Forscher die in der Technik
ihres Arbeitens keine Reibung dulden und ihr Wissen fuumlr den Geist haltenldquo75
lismus und nach dem Krieg den real existierenden Sozialismus des Ostblocks im Zuge deratomaren Aufruumlstung als Vollstrecker Macher der Geschichte die den neuen Anfang ebnensollten Dass Heidegger diese bdquoklaumlrendeldquo Wirkung tatsaumlchlich spaumlter den Russen zuschreibtlaumlszligt sich in Band 97 der GA zweifelsohne nachvollziehen Hier kann aus Gattungsgruumlnden(BA-Thesis) nicht naumlher auf dieses Faible fuumlr absolutistische Regime eingegangen werden Je-denfalls ist die geschichtliche Besinnung und der Kriegsakt ein Widerspruch den Heideggerjedoch gleichsam adressiert Auch dies kann hier nicht weiter untersucht werden
72 GA 9473 GA 95 S 35174 GA 96 S 6275 GA 97 S 509
21
Insofern verschraumlnkt Heidegger das bdquohistorisch-technischeldquo zum Antagonis-
ten der bdquogeschichtlichen Besinnungldquo Es ist die Entwicklung einer historisch-
geschichtlichen Differenz unter dem Zeichen der Besinnung gegen die techni-
sche Machenschaft ndash es geht um zwei unterschiedliche Wissenssysteme76 In den
Schwarzen Heftenwird Technikmeistens als eine Seite der Muumlnze mit der anderen
der Historie genannt Sie haumltten eine schon angedeutete dualistische Dynamik
Wo beide Historie und Technik in solcher scheinbaren Gegensaumltzlichkeitverkoppelt sind koumlnnen sie sich zur Foumlrderung dessen zusammenschlieszligenwas einstmals wesentliche die Geschichte des Menschen mitbegruumlndet undwas wir die Kunstlsquo nennen Die Historie verschafft [] Anregungen undVorbilder der Nachahmung die Technik erleichtert [] die Zustellung vonDarstellungsmitteln und Wirkungsformen [] Gleichwohl ist alles wurzel-los [] berechnet und als Erlebnislsquo ausgegeben77
Diese vermeintliche Gefahr muumlnde als bdquoZuumlgellosigkeit des Historismusldquolsquo in der
bdquoBodenlosigkeit [] (das Judentum)ldquo78 Heideggers Mythos ist hier dieser bdquoWir
muumlssen zuvor geschichtlich sein [] Ohne diese uumlberlieferung verfaumlllt alles der
historisch-technischen Machenschaftldquo79
Heidegger mythologisiert uumlber den bdquoAuftrag des Deutschenldquo80 will in bdquoge-
schichtlicher Besinnung sehr weit zuruumlckgehen ndash auf den Zusammenhang von
τέχνη ἀλήθεια und οὐσίαldquo81 um Technik auf ihr Wesen im antiken Ursprung
zuruumlckzufuumlhren bdquoDie techne hat [] den Sieg uumlber die [] aletheia errungenldquo82
Heidegger will sie zuruumlckgewinnen Er will der Technik aus dem bdquoEreignisldquo83
wieder uumlbermaumlchtig werden und sieht das bdquoWesen des Vaterlandesldquo84 im Abend-
land Dabei ist es ihm unentbehrlich zu wissen bdquodaszlig das Griechentum [] und
76 Heideggers noch immer vorhande Rezeption in Puncto seiner Technikphilosophie erstauntdamit dass sein Prinzip der aletheiologischen Besinnung als alternatives Wissenssystem undTechnikkritik ob der eigenwilligen Konstruktion den Entwicklungen der Zeit standhaumllt
77 GA 95 S 21278 GA 95 S 9779 GA 96 S 10480 GA 94 S 6681 GA 94 S 35782 GA 95 S 13283 Ebd84 GA 96 S 52
22
nicht das Roumlmertum der Grund der Geschichte des Abendlandes istldquo85 Sein My-
thos von Heimat verknuumlpft sich uumlber Dichtung und Ereignis zu einem fuumlr die
Technikphilosophie essentiellen Bezugs-Topos
Wir brauchen keine Technik [] Das Wesen des Vaterlandes ist das Abend-land In ihm werden die Deutschen erst deutsch und erkennen die Muttervon Allem die unversehrte Erde [] Die Wahrheit erfahren wir im Ge-daumlchtnis Das Gedaumlchtnis ist die Dichtung Die Dichtung sagen der Denkerund Saumlnger in ihrem Gespraumlch Dieses Gespraumlch erst ereignet dichterisch dieDichtung in die Sprache (die Dichtung das Ereignis und das Ereignis dasAbendland) [] Wohnt in seiner Sprache [] seyd dem Seyn im Seyn Soist Sein das Seyn86
Eine weitere mythologische Form haben seine Fuumlgungen von Jahreszahlen
womit er bereits in den Bereich des Okkulten Mystischen abzurutschen droht
Houmllderlin wurde [] 1770 geboren [] 1870 aber Lenin Waumlhrend der []Lebenszeit Houmllderlins vollzogen sich die entscheidenden technischen Entde-ckungen und Erfindungen der neuzeitlichen Technik (1774ndash1806)87
Und ferner bdquo1807 Phaumlnomenologie des Geistes 1867 Das Kapital 1927 Sein
und Zeitldquo88
Als letzter Mythos sei hier sein Aufgriff der Spenglerschen Metapher des
Raubtiers89 aufgezeigt Uumlber weite Strecken philosophiert Heidegger uumlber das his-
torische Tier Das historische Tier muumlsse vernichtet werden die bdquodeutsche Zukunft
wirdlsquo nicht erst seinlsquo sie istlsquo schon seit Houmllderlin sie stifteteldquo90 Der Homo
faber ist fuumlr Heidegger das historisch-technische Tier qua der bdquoAngewiesenheit auf
das Tierhafte als Wesensgrundldquo91 Es fehle ihm was bdquodie Griechen als Anfangen-
deldquo mit der bdquoZugewiesenheit des Menschen zum Sein gewagt habenldquo92 wodurch
85 GA 96 S 20586 GA 97 S 52f Hierbei handelt es sich um eine Nachkriegsnotiz Heidegger aumlnderte den die
Adressierung in eine direkte Ansprache richtet sich an seine imaginierte Volksgemeinschaft87 GA 96 S 17488 GA 97 S 131 Womoumlglich ist es eine Uumlbung per Jahreszahlen das Aletheia-Prinzip zu prakti-
zieren eine Kontemplationshilfe Andererseits koumlnnte er auch der Regelmaumlszligigkeit der Zah-lenfolgen eine uumlbernatuumlrliche bdquoWahrheitldquo beimessen Dies bleibt an dieser Stelle unerforscht
89 VGl Spengler Oswald Der Mensch und die Technik Muumlnchen 1931 S 1090 GA 95 S 19791 GA 95 S 32092 GA 95 S 321
23
er den bdquoGoumlttern unertraumlglich gewordenldquo93 waumlre Das bdquoRaubtierldquo dem gegenuumlber
bdquoist die Urform des Heldenlsquoldquo94 Dann behauptet Heidegger dass das Raubtier das
historisch-technische Tier durch Anwendung seiner eigenen Waffen schlagen koumlnn-
te Es ist dabei die bdquoUumlberwindung der Metaphysikldquo mitgedacht die erfolge sobald
sich das metaphysische Fragen durch den Wille zum Willen verfestigt95 Auch
Spengler dachte an dieses Derivat des Nietzsche Topos vomWillen zur Macht das
er seiner antropomorphen Chimaumlre vom Raubtiermenschen eingibt Wieder ist
von der Gewalt die Rede die ein Tabula rasa schaffen sollte zur Wiederauferste-
hung des griechisch-abendlaumlndischen Anfangs in Deutschland bdquoDas Raubtier aber
mit denMitteln der houmlchsten Technik ausgestattet ndash vollendet die Verwirklichung
der brutalitas des Seinsldquo96
Es scheint so als haumltte Heidegger auf jeden Begriff einen Gegenbegriff (selbst
zum historisch-technischen Tier das Raubtier)97 Aber es geht hier nicht um die
Analyse ausgewogener Formprinzipien oder die Kritisierung seiner linguistischen
philologischen Faumlhigkeiten Die Zitierung der Heideggerschen Mythologie soll
seine Verbindung von voumllkisch-nationaler und antisemitischer Haltung mit den
Bedingungen und Anspruumlchen seines Philosophierens aufzeigen Da die Schwar-
zen Hefte wie alle sonstigen Werke seines philosophischen Schaffens in der GA
erschienen sind muumlssen sie insofern als Teil derer gelten Das bedeutet dass sie
ausreichend Relevanz fuumlr die Arbeiten uumlber die Technik haben98
93 GA 95 S 23694 GA 95 S 39795 Vgl GA 7 Uumlberwindung der Metaphysik S 7896 GA 95 S 39797 Vgl Rudolph Heideggers Schwarze Hefte im Echo S 151 bdquoKeiner hat Nietzsche so konse-
quent und wahnwitzig zumNazi avant la lettre verformt wie Heidegger und keiner hat einenzuvor gewaltsam gefuumlgig gemachten Nietzsche so konsequent instrumentalisiert um damitdie vulgaumlr- nationalistische Dekadenz im Sandwich zu geiszligeln wie Heidegger Die Philolo-gie ndash auch die klassische ndash (Colli Cancik Montinari) hat Nietzsche inzwischen laumlngst mitnachhaltigem Erfolg rehabilitiert Wer jetzt noch einen roten Faden von Nietzsche zu Hitlerzieht hat nur noch Heidegger auf seiner Seiteldquo
98 Zum Abschluss dieses Kapitels sei hinzugesagt dass der Veranschlagung der Beispiele vonHeideggers Mythologie ein Exzerpt von 13 Seiten aus 1700 Seiten Text der vier Baumlnde derSchwarzen Hefte zugrunde liegt Beim Studium dieser fielen die staumlndigen Repetitionen derimmer gleichen Figuren und Metaphern auf Daraus wurde geschlossen dass es sich um eineMythologie handeln kann was ein weiteres Forschen bestaumltigte Die hier zitierten Stellensind Topoi die sich in Huumllle und Fuumllle in jedem der vier Baumlnde finden lassen was ihrenmythischen Charakter unterstreicht Die Auswahl versucht ein besonders charakteristischesBild wiederzugeben
24
3 Heideggers mythopoetische
Technik
War Heidegger von seinem neuen Anfang nur zu traumlumen vergoumlnnt so gelang
ihm selbst aber die Wiederauferstehung aus der Asche des ZweitenWeltkriegs mit
der Vortragsreihe in Bremen (1949) uumlber die Technik Der Phoumlnix erweist sich
mittlerweile als Ikarus Anstatt sich selbst zu revidieren fordert Heidegger eine
Kehre ein die auf sein Programm der geschichtlichen Besinnung zum Ursprung ab-
zielt Rezipienten seiner Technikphilosophie taten zumeist seine voumllkischen und
nationalsozialistischen Verstrickungen mit der Niederlegung des Rektorats ab99
Sie glaubten an einen inneren Wandel Heideggers eine Laumluterung und sogar an
seinen geistigen Widerstand uumlber die Naziherrschaft hinweg100 Heute ist erwie-
sen wie Heidegger es aus seinem posthumen Gestaumlndnis in die Welt lecken laumlsst
dass er auf seine private Weise eine Form Nationalsozialismus hegte der die NS-
DAP und Hitler zwar als Vulgaumlrnazis kulturell degradierte aber sich selbst als
Denker-Nazi gerierte
Wie damit umzugehen ist steht aktuell in der Verhandlung Wie Rudolph es
behauptet stuumlnden die Heideggerianer bdquonun mit wertlosen Aktienldquo101 da Der
Kommunikationswissenschaftler Christian Fuchs sieht den Antisemitismus den
die Schwarzen Hefte zutage treten lassen als Notwendigkeit einer rigorosen Ver-
bannung Heideggers aus der technikphilosophischen Theorie102
99 Vgl Luckner Andreas Heidegger und das Denken der Technik Bielefeld 2008 S 64-69100 Vgl Babich Babette Nietzsche Heideggers Widerstand In Alfred Denker u Holger Zabo-
rowski (Hg) Heidegger-Jahrbuch 5 Heidegger und der Nationalsozialismus II Interpreta-tionen S 397-416
101 Rudolph Heideggers Schwarze Hefte im Echo S 146102 Vgl Fuchs Christian Martin-Heideggerrsquos anti-Semitism Philosophy of technology and the
media in the light of the ldquoBlack Notebooksldquo Implications for the reception of Heidegger inmedia and communication studies In tripleC Communication Capitalism amp Critique 13(1) (2015) S 55-78 hier S 74 Anstatt dessen pocht Fuchs auf die alternative Verwendungder Kritischen Theorie uumlber Fragestellungen zur Technik
25
It seems to me that Heideggerrsquos fetishism is often lrsquoart pour lrsquoart Heideg-ger pour Heidegger a tactic that aims at creating an aura of complexity byevoking Heidegger although the same content could be expressed withouthim103
Fuumlr Trawny waumlre dies ein bdquoperformativer Widerspruch [] stets daran zu erin-
nern Heidegger vergessen zu sollenldquo104 Quo vadis Heidegger
Die objektive Antwort Rudolphs der an den Commonsense und die Beweis-
last der Anklage glaubt wie auch der subjektive Appell Fuchs der es zur mora-
lischen Entscheidung des Einzelnen macht Heidegger zu vernachlaumlssigen setzen
aktuell die Jahrzehnte alte Tradition der Heidegger-Kontroverse fort Ein im Sep-
tember 2016 erscheinender Sammelband wird zusaumltzlich die Debatte mit neuen
Bewertungen anreichern105
In diesem Kapitel soll es nicht um die direkte Einreihung in eine der bestehen-
den Polemiken gehen sondern um den Versuch der Betrachtung der spaumlten Tech-
nikphilosophie Heideggers als mythopoetische Dichtung in seinem Sinne des
Philosophierens Als exemplarisches Werk ruumlckt damit das Vortrags-Geviert der
Bremer Vortraumlge ins Zentrum der Anschauung106 Hier wird davon ausgegangen
103 Ebd S 73104 Trawny Heidegger und der Mythos der juumldischen Weltverschwoumlrung S 141105 Heinz Marion und Kellerer Sidonie (Hg) Martin Heideggers raquoSchwarze Heftelaquo Eine
philosophisch-politische Debatte Berlin 2016 (im Druck) Aus dem Klappentext diesesTitelsbdquoOffene antisemitische Aumluszligerungen in diesen Denktagebuumlchern haben in der nichtakade-
mischen Oumlffentlichkeit fuumlr Empoumlrung gesorgt Die entscheidende Frage ist jedoch welcheVeraumlnderungen der Perspektive auf Heideggers Denken insgesamt sich dadurch ergebenund ob damit zugleich eine Neubewertung des Gesamtwerks eines der einflussreichstenPhilosophen des 20 Jahrhunderts noumltig istldquoEine der Herausgeberinnen des Bandes Sidonie Kellerer ist zudem an einem anlaufenden
fuumlnf jaumlhrigen Forschungsprojekt an der Universitaumlt Stuttgart im Rahmen des StuttgartResearch Centre for Text Studies beteiligt Heidegger und die Postmoderne Geschichteeiner Irrefuumlhrungiquest Sie und der Stuttgarter Literaturwissenschaftler Claus Zittel werden Hei-deggers ideologische Verstrickungen in den Nationalsozialismus untersuchen die textlichrekonstruierbar aber nachtraumlglich geklittet worden waumlren bdquoSo konnte die Wissenschaft-lerin Dr Sidonie Kellerer anhand des Vortrages Die Zeit des Weltbildeslsquo erstmals 1950veroumlffentlicht [sic] dass zahlreiche Passagen nachtraumlglich so modifiziert wurden dass dieurspruumlngliche Apologie des Nationalsozialismus nunmehr als Kritik am Regime gedeutetwerden konnte Die 2014 erschienenen Schwarzen Heftersquo mit persoumlnlichen AufzeichnungenHeideggers bestaumltigen zudem wie tief verankert in seiner Philosophie Rassismus undNationalsozialismus waren und bliebenldquo(httpwwwuni-stuttgartdehkompresseservicepressemitteilungen201567_kellererhtmlzuletzt abgerufen am 1442016)
106 Von einer umfassenderen Analyse der Schriften Heideggers zur Technik muss aus Platzgruumln-den abgesehen werden Die Voumlrtraumlge vom Ge-stell der Technik der Kehre und dem Dingsind vor allem wegen ihres Publikationszeitraums interessant da sie direkt an die Dokumen-
26
dass Heidegger den Versuch der abgrenzungspolitischen Einflussnahmemacht ge-
maumlszlig der oben dargelegten Ressentiments die sich in einer Mythologisierung des
Abendlandes niederschlagen Um seinem Ideal des dichtenden Denkens als Philo-
sophieren nachzukommen will Heidegger diese Einschreibung des Abendlandes
mythopoetisch vollfuumlhren
Grundsaumltzlich ist Verbindung und Trennung Heideggers boumlser Schwarzer Hef-
te mit und von seiner guten Technikphilosophie das Schlachtfeld aktueller De-
batten Wie bereits darauf hingewiesen werden hier Schwarze Hefte und Veroumlf-
fentlichungen wie eben in Form der Bremer Vortraumlge als ein kontinuierlicher
Arbeitsprozess gesehen Es gibt insofern nur einen Heidegger und keine gespal-
tene Persoumlnlichkeit Die Siegener Philosophin Sodonie Kellerer stellt dies anhand
Heideggers Selbstsicht luzide dar
Seine immer wiederkehrende Beschwoumlrung des Werkeslsquo und seine an diver-sen Stellen der bislang vorliegenden Briefkorrespondenz artikulierten Be-muumlhungen dieses Werklsquo fuumlr die Nachwelt zu sichern [Kellerer bezieht sichhier ua auf Heideggers Briefwechsel mit seiner Frau der 2007 veroumlffentlichtwurde DS] verdeutlichen wie sehr er seine Texte als ein Ganzes verstandin dem keines der Teile entbehrliche Wiederholung geschweige denn irrele-vante Eroumlrterung ist107
Dabei allerdings wird die Frage offen bleiben mit welchem Maszlig er sich selbst ge-
faumlhrdet sah seine Ansichten oumlffentlich zu vertreten und welche Konsequenzen er
dabei fuumlrchtete Denn er musste die Vortraumlge kodieren ndash was er im Sinne der My-
thopoetik auch macht ndash und mit Einigem hinterm Berg halten108 Dass es dabei
verschiedene Offenbarungsebenen gibt wird hier erst einmal hingenommen Es
interessieren staumlrker nachweisbare Bezuumlge des Entwurfsdenkens Heideggers zur
Oumlffentlichkeitsarbeit von ihm109
te der Schwarzen Hefte anschlieszligen (1948 der letzte Band der Schwarzen Hefte umfasst denZeitraum 1942-1948)
107 Kellerer Sidonie Kampf der Besinnung In Deutsche Zeitschrift fuumlr Philosophie Band 63Heft 5 Seiten 941ndash957 hier S 942
108 Weshalb die Veroumlffentlichung der Schwarzen Hefte auch weitestmoumlglich nach hinten verlegtwurde
109 Wuumlrde man dem entgegenhalten dass Heideggers vermeintliches Genie aus Formalisierun-gen seiner Gedanken ableitbar eine wichtige Quelle an sich bliebe scheitert dieses damitdass nun die Formalisierungen nicht personenneutral sozial-epistemologisch bestehen koumln-nen Als Vergleich wuumlrde man aus Hitlers und Goumlbbels Reden Formalisierungen isolierenlieszlige sich bestimmt die eine oder andere plausible Idee entwenden (wenn sie voumlllig dekon-
27
Hierzu wird der Text der gesamten vier Vortraumlge unter dem Titel Einblick
in das was ist Bremer Vortraumlge 1949lsquo110 aus dem 1994 veroumlffentlichten 79 Band
der GA zugrunde gelegt Das hat den Grund dass davon ausgegangen wird dass
der Text somit am naumlchsten an den 1949 tatsaumlchlich vorgetragenen Manuskripten
liegt Insofern ist eine realistische Annaumlherung an eine mythopoetische Uumlbertra-
gung der Schwarzen Hefte in die Bremer Vortraumlge 1949 das Ziel Demgegenuumlber
gibt es ob der virulenten Publikationspraxis von Heideggers Schriften111 noch
andere Auskopplungen der vier Vortraumlgsteile mit den Titeln Das Dinglsquo Das Ge-
Stelllsquo Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo
31 Zur Publikationsgeschichte von den
Bremer Vortraumlgen 1949
Zuerst erschien 1954 im Neske-Verlag (Pfullingen) ein Sammelband der lediglich
den ersten Vortrag Das Dinglsquo enthaumllt allerdings in leicht erweiterter Fassung
so wie er ein halbes Jahr nach dem Bremer Auftritt in Muumlnchen (1950) an der
Akademie der Schoumlnen Kuumlnste gehalten wurde112 Dem Band hinzugefuumlgt ist aber
zudem ein Vortrag der vornehmlich die Kernaussagen von Das Ge-Stelllsquo und
Die Gefahrlsquo verbindet allerdings in modifizierter Form Dieser wurde unter dem
textualisiert wuumlrde) Ist aber die wahre Verbindung zu Hitler und Goumlbbels hergestellt hatman selbstverstaumldlich die Verantwortung zu tragen an dem ganzen Tross von unmoumlglichenVerfehlungen dieser Menschen die sie fuumlr uns zu Personae non gratae stempeln muumlssen
110 GA 79111 Hierauf macht auch der Darmstaumldter Philosoph Gernot Boumlhme aufmerksam als Akt ei-
ner bdquoposthumen Selbstinszenierungldquo in Boumlhme Gernot Selbstinszenierung uumlber Ruhmin der Philosophie In Information Philosophie (Online Ausgabe 12015) URL=lthttpwwwinformation-philosophiedea=1ampt=8232ampn=2ampy=5ampc=29gt zuletzt ab-gerufen am 2442016)
112 Heidegger Martin Das Ding In Ders Vortraumlge und Aufsaumltze Pfullingen 1954 S 163ff
28
Titel Die Frage nach der Techniklsquo113 am 18 November 1953 an der TUMuumlnchen
gehalten
Eine weitere Auskopplung diesmal des letzten Vortragsteils Die Kehrelsquo fin-
det sich in einem broschuumlrenformatigen Band wiederum im Zusammenspiel mit
dem Vortrag Die Frage nach der Techniklsquo in Die Technik und die Kehrelsquo114 von
1962 wieder Somit wurden die Vortraumlge Das Ge-Stelllsquo und Die Gefahrlsquo lange
Zeit nicht veroumlffentlicht sondern als vermischter und modifizierter Text eben
Die Frage nach der Techniklsquo jeweils zusammen mit Das Dinglsquo (1954) und Die
Kehrelsquo (1962) angeboten115 In der Vorbemerkung zu Die Technik und die Keh-
relsquo wird diese kleine Chronologie leicht verfaumllscht auch aufgezeigt Darin heiszligt
es ferner dass Die Frage nach der Techniklsquo eine erweiterte Fassung von Das Ge-
Stelllsquo waumlre Dem ist wie schon gesagt nicht so Sondern es ist eine modifizierte
Vermischung von Das Ge-Stelllsquo und Die Gefahrlsquo was unschwer zB am Begriff
vom bdquoHer-vor-bringenldquo116 zu erkennen ist der in Die Gefahrlsquo eingefuumlhrt wird
und in Die Frage nach der Techniklsquo die gleiche Bedeutungskonstituente bildet
Mit der Veroumlffentlichung des 79 Bandes der GA 1994 wurden alle vier Bremer
Vortraumlge von 1949 publiziert In Band 11 der GA erschien 2006 auszligerdem Die
Kehrelsquo in ihrer urspruumlnglichen Fassung Die Frage nach der Techniklsquo enthaumllt
weniger mythopoetische Teile als Das Dinglsquo und operiert demgegenuumlber staumlrker
anhand klassisch philosophischer Allgemeinplaumltze Derer sind vor allem zu nen-
113 Heidegger Martin Die Frage nach der Technik In Ders Vortraumlge und Aufsaumltze Pfullingen1954 S 9ff (Der Aufsatz erschien ebenfalls 1954 im Sammelband der Vortragsreihe DieKuumlnste im technischen Zeitalter Heidegger Martin Die Frage nach der Technik In DieKuumlnste im technischen Zeitalter Dritte Folge des Jahrbuchs Gestalt und Gedanke Hg v dBayrischen Akademie der Schoumlnen Kuumlnste Muumlnchen 1954 S 70ff)
114 Heidegger Martin Die Technik und die Kehre Pfullingen 1962115 Beide Baumlnde Votraumlge und Aufsaumltzersquo sowie Die Technik und die Kehrersquo haben hohe Aufla-
genzahlen (Uumlbersetzungen wurden hier nicht recherchiert wobei es aber eine internationa-le Heidegger-Rezeption gibt) 1993 wurde der Pfullinger Neske-Verlag von dem StuttgarterHaus Klett-Cotta uumlbernommen was die Buumlcher aber unveraumlndert belaumlsst Vortraumlge und Auf-saumltzelsquo zaumlhlt seit 2009 die 11 Auflage Die Technik und die Kehrelsquo seit 2014 die 13 BeideBaumlnde sind vergriffen Es mutet unverstaumlndig an weshalb eine fehlerhafte Jahresangabe ausder ersten Veroumlffentlichung von Die Technik und die Kehrelsquo bis 2014 kolportiert wurdeDort steht der Vortrag Die Frage nach der Techniklsquo waumlre am 18 November 1955 gehaltenworden Der Vortragstermin war aber am 18 November 1953
116 Vgl GA 79 S 64 Und Heidegger Die Technik und die Kehre S 11
29
nen die Auflistung der bdquovier Ursachenldquo117 nach Aristoteles und die Kritik an der
Technik als bdquoein Mittel zu Zweckenldquo118 (Kausalitaumlt)119
Der Vortrag Das Dinglsquo galt Heidegger bei der Darbietung seiner Technikphi-
losophie nach dem Zweiten Weltkrieg allerdings als unentbehrlich ndash und damit
seine groszligflaumlchige Aufblaumltterung der Mythopoetik wie im folgenden Kapitel hier
gezeigt wird Denn im Vortrag Die Frage nach der Techniklsquo benutzt Heideg-
ger noch immer seinen mythopoetischen Topos vom Versammeln des Gebirges
der mit dem Versammeln eine Konstituente des Gevierts ist (bdquoErde und Himmel
die Goumlttlichen und die Sterblichenldquo120) (su)121 Fuumlr die Kaumlufer und Leser von
der spaumlteren Veroumlffentlichung Die Technik und die Kehrelsquo wird zudem in Die
Kehrelsquo extra auf den Vortrag Das Dinglsquo in der 1954er Ausgabe in Vortraumlge und
Aufsaumltzelsquo verwiesen122 Das zeigt wie wichtig und unerlaumlsslich Heidegger seine
mythopoetische Denkweise der Technik ist Auch wenn er in Die Frage nach der
Techniklsquo einen allgemeineren und offeneren Ansatz entwickelt hat der dadurch
auch leichter zu erschlieszligen ist
32 Die mythopoetische Spiegelung der Schwarzen
Hefte in den Bremer Vortraumlgen von 1949
321 Das Dinglsquo
In dem Vortrag Das Dinglsquo der 1949 vor dem privaten Club zu Bremen dort im
Neuen Rathaus das Vortragsquartett einleitete fuumlgt Heidegger mythopoetisch
zusammen was folgenden Topoi seiner Schwarzen Hefte aus Kap 221 entspricht
117 Heidegger Die Technik und die Kehre S 6118 Ebd S 6119 Diese Topoi versucht Heidegger in dem Text zu zersetzen und ihnen ein aletheisches Prin-
zip des Entbergens der Technik entgegenzusetzen Dies erfolgt wiederum auch anhand derVerwendung von mythopoetischen Teilen Darauf kann hier aber nicht weiter eingegangenwerdenAls weitere Gemeinsplaumltze (die er teils unterstuumltzend teils zur Zersetzung einfuumlgt) handelt
der Text auch mit Zitaten von Platon Heisenberg J P Hebel und Goethe120 Ebd S 12121 Vgl GA 79 S 11 Und Heidegger Die Technik und die Kehre S 19122 Vgl Heidegger Die Technik und die Kehre S 42f
30
1 die antirationale Wissenschaftsfeindlichkeit 2 der Mythos des Goumlttlichen 3
das Griechentum uumlber dem Roumlmertum 4 die Zahlenmystik (anhand des Spiegel-
Spiels des Gevierts ndash su) 5 das geschichtsbesinnliche Prinzip der Aletheia
Heidegger stellt zuerst die Frage nach dem Ding und will sie daraufhin ver-
anschaulichen mittels der Metapher des Kruges dh mit dem Krug als ein exem-
plarisches Ding Er fuumlhrt dann vor (was der Geste eines Zauberkuumlnstlers aumlhnelt)
wie der leere Krug gefuumlllt wird ndash Luft weicht der Fluumlssigkeit Dieses Sachverhaumllt-
nis aber ist fuumlr ihn Halbpoesie und eine Angabe aus der Physik sie verfehle das
vermeintliche Wesen des Kruges
Die Wissenschaft stellt durch sie [die Angabe der Physik DS] etwas Wirk-liches vor wonach sie sich objektiv richtet Aber ndash ist dieses Wirkliche derKrug Nein DieWissenschaft trifft immer nur auf das was ihre Art des Vor-stellens im vorhinein als den fuumlr sie moumlglichen Gegenstand zugelassen hat[] Die Wissenschaft macht das Krug-Ding zu etwas Nichtigem insofernsie Dinge nicht als das Maszliggebende zulaumlszligt123
Als ein wirkmaumlchtiges Beispiel das ihm sicherlich viel Beachtung uumlber die
Jahrzehnte seit ihrer Zuumlndung in Japan hinweg einbrachte fuumlhrt Heidegger die
Atombombe an Diese sei zu verstehen als verdinglichte Wissenschaft die das
Ding vernichten wuumlrde
Deren Explosion ist nur die groumlbste aller groben Bestaumltigungen der langherschon geschehenen Vernichtung des Dinges dessen daszlig das Ding als Dingnichtig bleibt124
Er buumlndelt damit Wissenschaft und Verkennung des Wesens als maszliggebend mit
dem Ding als sein machenschaftliches Prinzip der zerrechnenden Zerstoumlrung Drei
Jahre nach Kriegsende war der buumlrgerlich-elitaumlre Kreis in Bremen sicherlich be-
wegt von dieser Wortgewalt Diese jedoch suchte ja ihr Heim Harmonie Ruhe
in dem Haus als Wesen der Sprache
Und so faumlhrt Heidegger fort und ersetzt das physikalische Prinzip des Inhalts-
wechsels von Luft zu Wein in ein bdquoGeschenk des Gussesldquo als Spende und Opfer
den Goumlttern (2)125
123 GA 79 S 8124 Ebd S 9125 Vgl Ebd S 11f
31
Der Guszlig ist der den unsterblichen Goumlttern gespendete Trank [] Der ge-weihte Trank ist das was das Wort Guszliglsquo eigentlich nennt Spende und Op-fer Guszliglsquo gieszligenlsquo lautet griechisch χέειν indogermanisch ghu Das bedeu-tet opfern
Hier spielt bereits der Ursprungsmythos der Griechenmit ein (3) es ist aber auch
ein Bezug auf das Geviert Dieses waumlre ein System ein zusammen Gestelltes aus
bdquoErde und Himmel die Goumlttlichen und die Sterblichenldquo126 Im Guszlig des Trunkes
weilten gemeinsam diese Vier als emblematische Verbindung
Das im Geschenk Versammelte sammelt sich selbst darin das Geviert ereig-net zu verweilen Dieses vielfaumlltig einfache Versammeln ist das Wesen desKruges Unsere Sprache nennt was Versammlung ist in einem alten WortDies lautet thing127
Das Geviert zehrt von der Zahlenmystik zum einen als die Versammlung der
vier Begriffe an sich zum anderen da Heidegger ihnen eine Spiegel-Funktion
zuschreibt bdquoJedes der Vier spiegelt in seiner Weise das Wesen der uumlbrigen wie-
derldquo128 und ferner weil er damit auf sich selbst dh auf sein Vortrags-Geviert
verweist (4) Wie in Kap 21 schon gesagt lebt der Mythos von seiner Verbind-
lichkeit Diese legt Heidegger allen nah die sie verinnerlichen wollen bdquoSagen wir
die Sterblichen dann denken wir falls wir denken die anderen Drei mit aus der
Einfalt der Vierldquo129
Sollte der Vollzug der Praxis des sukzessiven Mitdenkens aller vier Geviert-
Entitaumlten gelingen koumlnnte das Ereignis der Aletheia begriffen werden (5) bdquoDas
Spiegel-Spiel von Welt ist der Reigen des Ereignensldquo130 Diese wird aber auch be-
griffen in Abgrenzung von dem Roumlmertum (3) denn in der bdquorealitas der resldquo
haumltten die Roumlmer bdquoihr Erfahrenes niemals eigens in seinem Wesen gedachtldquo131
Das waumlre den Griechen vorzubehalten und vom verstaumlndig denkenden Deutschen
wiederzubeleben
126 Ebd S 12127 Ebd S 13128 Ebd S 18129 Ebd130 Ebd S 19131 Ebd S 15
32
Der Krug ist ein Ding weder im Sinne der roumlmisch gemeinten res noch imSinne des mittelalterlich vorgestellten ens noch gar im Sinne des neuzeitlichvorgestellten Gegenstandes [] Der Krug ist Ding insofern er dingt132
Die Bindung an das deutsche Wort bdquoDingldquo das er spielerisch auch ins Englische
Romanische und Franzoumlsische uumlbersetzt ist unerlaumlsslich fuumlr seine ethymologi-
sche Argumentation In der ist der bdquoGuszligldquo ruumlckgefuumlhrt auf indogermanisch bdquoghuldquo
und das bdquoDingldquo auf das mittelhochdeutsche bdquothingldquo So konnten antik die Roumlmer
von den Griechen abgrenzt werden und modern die anderen drei Sprachen vom
Deutschen Das englische sich sehr nah am bdquothingldquo befindliche bdquothingldquo wird mit
dem Roumlmischen ausgespielt
Im Englischen hat thing noch die erfuumlllte Nennkraft des roumlmischen Wor-tes res bewahrt [] dh ein aus sich kommendes den Menschen Angehen-des133
Fuumlr Heidegger geht es beim bdquothingldquo aber um die mittelhochdeutsche Uumlbersetzung
der Versammlung Darauf beruht sein gesamter Systemansatz mit Geviert und
Ge-stell
Schulz-Nieswandt fuumlhrt diese Zusammenstellung zum Bejubeln von Heideg-
gers Mythopoetik
So fundamental sieht Heidegger die Welt Die Quelle des Wassers wird zurHochzeit von Himmel und Erde das Gieszligen des Wassers aus dem Krugzum Geschenk Auch Sprache ist daher kein Instrument sondern Ort desWohnens des Menschen Sprache wird zum Haus des Seinslsquo134
Hier bestaumltigt die Untersuchung des Ding-Vortrags die These von einer mytho-
poetischen Einschreibung der nationalistischen voumllkischen Abgrenzungs-Mythologie
aus den Schwarzen Heften
322 Das Ge-Stelllsquo
Der zweite Vortrag des Reden-Gevierts setzt ein mit der Metapher des fehlen-
den Abstands Wo kein Abstand sei da waumlre auch keine Naumlhe so Heidegger Er
132 Ebd S 16133 Ebd S 14134 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei Walter
F Otto S 59
33
verbindet die Abstandslosigkeit mit Urbanitaumlt und Verkehr alles fluktuiere Es
waumlre der Bestand der sich bestelle in dem das Abstandlose herrsche Das sind
neue Metaphern fuumlr die Machenschaft In seiner Erzaumlhlung vom Ge-Stell gibt es
bedeutend weniger mythopoetische Passagen als in dem vorangegangenen Vor-
trag Allerdings uumlbertraumlgt er den mythopoetischen Gehalt der Rede vom Ding
bereits im ersten Absatz von Das Ge-Stelllsquo mit dem Credo bdquoNaumlhe west insofern
das Ding dingtldquo135 Mit dieser Verbindung wird klar unter welchem Zeichen Hei-
degger die Rede vom Ge-Stell verstanden wissen will ndash als verlorenes Verhaumlltnis
des voumllkisch-traditionell verwurzelten Menschen mit den vermeintlichen Wesen
all seiner Gebrauchsobjekte in der mythopoetischen Formel des sich spiegelnden
Gevierts
Nahezu nuumlchtern erzaumlhlt Heidegger dann von dem Gefaumlngnis des Menschen
im Wesen der zirkulierenden sich immer neu bestellenden Bestandstechnik des
Ge-Stells Dabei scheinen folgende Mythen aus den Schwarzen Heften hindurch ndash
1 bdquoHistorie die Technik der Geschichtelsquo Technik die Historie der Naturlsquoldquo136
2 das historische Tier 3 der Appell an den Auftrag des Deutschen 4 der geschicht-
liche Mensch muss die Historie und damit die Technik uumlberwinden und 5 die
alles zernichtende Machenschaft des juumldischen Wesens
Den Topos der seinsvergessenen Groszligstadt jedenfalls kontrastiert er mit der
Bauerndorfidylle Da aber bdquodas Abstandlose herrschtldquo137 waumlre das Vorruumlcken der
Maschinentechnik bereits universell So in Form des Traktors Schon in Band
96 der Schwarzen Hefte beklagt er dieses bdquozum elektrischen Pflug [] gehoumlrt
das amerikanisch aufgemachte Magazinlsquoldquo Insofern erfolge die bdquoAngleichung der
Sitten der Bergbewohner an diejenigen des groszligstaumldtischen Sport- und Barbe-
triebsldquo138
Sein erster Land-Stadtvergleich betrifft den Bauern dessen Totenruhe tradi-
tionell in einem sg bdquoTotenbaumldquo (Sarg) stattgefunden haumltte ndash bdquoIn ihm gedeiht
der Tod des Totenldquo139 Dem gegenuumlber klingt in der bdquomotorisierten Bestattungs-
135 GA 79 S 24136 GA 95 S 351137 GA 79 S 24138 GA 96 S 54139 GA 79 S 26
34
industrie der Groszligstadtldquo140 bereits Heideggers pietaumltsloser Gaskammernvergleich
an
Ackerbau ist jetzt motorisierte Ernaumlhrungsindustrie im Wesen das Selbewie die Fabrikation von Leichen in Gaskammern und Vernichtungslagerndas Selbe wie die Blockade und Aushungerung von Laumlndern das Selbe wiedie Fabrikation von Wasserstoffbomben141
Hier wird davon ausgegangen dass es eine Uumlbertragung der Notizen uumlber
das deutsche Land als bdquoeinziges KZldquo ist die Unterdruumlckung des deutschen Vol-
kes durch die bdquoWeltdemokratieldquo die schlimmer sei als die Graumlueltaten der bdquoGas-
kammernlsquoldquo142 In die mythopoetische Formel von dem dingenden Ding aus dem
ersten Vortrag sind alle Valenzen eingeschrieben die es zur Aufgabe des abendlaumln-
dischen Deutschen (also als Nachfolger der alten Griechen) machen das Wesen
des Dings und somit der Technik zu huumlten Die Verantwortung fuumlr Genozid
Massenvernichtungswaffen und den Mangel im Nachkriegsdeutschland schreibt
Heidegger gleichfoumlrmig dem Prinzip der Abstandslosigkeit zu
Auch die Rede von der Habgier des Berechnenden ist ein bereits bekannter
Vorbehalt Heideggers anhand der Rede vom raffgierigen Juden Denn er sagt von
der bdquoHerrschaft des Abstandlosenldquo dass sie bdquodie Hab-gier des vorstellenden Be-
rechnensldquo waumlre143 Das entspricht seinem Mythos von der alles zernichtenden
Machenschaft des juumldischen Wesens144
Dann folgt eine lange Elegie uumlber das Bestellen des Bestands des Ge-Stells
bdquo[d]ie Kette des Bestellens laumluft auf nichts hinaus sie geht vielmehr nur in ihren
Kreisgang hineinldquo145 uumlber 19 Seiten des 21 seitigen Vortragsexts hinweg entwirft
Heidegger diverse Bilder wie das Ge-Stell die Natur das Hergestellte den Men-
schen und das Verstandesmaumlszligige vereinnahme und das Wesen desDings gleichsam
zur Veruntreuung bringen wuumlrde Wiederum poetisch orientiert kontrastiert also
140 Ebd141 Ebd S 27142 GA 97 S 99f143 Vgl GA 79 S 25144 Vgl Machenschaft hier S 29 und Geraff hier S 33145 GA 79 S 29
35
Heidegger Houmllderlins Hymne Der Rheinlsquo mit dem Rhein dessen Stroumlmung fuumlr
ein Stromkraftwerk genutzt wird
Achten wir um das Ungeheure das hier waltet zu ermessen nur auf einenAugenblick auf den Gegensatz der sich in den beiden Titeln ausspricht DerRhein verbaut in das Kraftwerk ndash der Rheinlsquo gesagt in der gleichnamigenHymne Houmllderlins146
Die Differenz also waumlre das Ungeheure147 Dabei waumlre der Rhein verbaut in das
Kraftwerk Aumlhnlich wie Kohle Erze und Rohoumll waumlren sie Bestand der bdquobesteht
im Bestellenldquo ndash bdquoDas Bestellen waumlre demnach lediglich eine Machenschaft des
Menschen vollzogen in der Weise der Ausbeutungldquo148
Das Bild des Wasserkraftwerks wird erweitert um den Begriff des Menschen
Elektrizitaumlt mit Wasserkraft erzeugen bdquokoumlnnen die Menschen [] nur insofern
sie selber schon in dieses Bestellen bestellt sindldquo149 Mit diesem Bild versucht Hei-
degger praktisch zu veranschaulichen dass Entwurf Umsetzung und Einsatz ei-
ner technischen Anlage den Menschen in ein entruumlcktes Verhaumlltnis zum Wesen
des dingenden Dings setze ndash bdquoDer Mensch ist darum der Angestellte des Bestel-
146 Ebd147 Das ist zusaumltzlich zu dem gemeinten Gegensatz ein Vergleich mit dem Heidegger dem Wort
bdquoRheinldquo in die Hymne Der Rheinlsquo gesprochen eine Energie erzeugende Wirkung zu-schreibt eben so wie das Kraftwerk Strom erzeugen wuumlrde Das wird klar dadurch dassHeidegger metaphorisch vom Stellen des Wortes bdquoRheinldquo in die Hymne spricht Es handeltsich um einen Appell zur denkerischen Besinnung Dass Heidegger dafuumlr eine technischeAnlage zur Veranschaulichung inspirierend wirken laumlsst spielt bereits in die Richtung derBegriffe bdquoHer-vor-bringenldquo bdquoEntbergenldquo und spielt auf das Alteheia-Prinzip an Darauf wirdweiter unten anhand Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo eingegangen werden Es handelt sich umdas Angebot eines mythopoetischen Umgangs mit Technik insbesondere wenn sie sich inheimische Gefilde einfuumlgtHeute koumlnnte man mit Windraumldern ebenso verfahren Somit koumlnnte aber auch Heidegger
als ein gewisser Quijana aus Mancha verstanden werden eben der Protagonist aus Miguel deCervantes Roman Don Quichote von der Manchalsquo der mit seinem von ihm flux auch um-benannten Klepper (weil er zuvor sich selbst in Don Quichote umtaufte) Rocinante Riesenbezwingen will um mit dieser Heldentat unsterblichen ritterlichen Ruhm zu erstreitenAuch Don Quichote fand seine Riesen in Windmuumlhlen und auch Don Quichote war uumlber
eine uumlbertriebene Auseinandersetzung mit einer verschuumltteten Kultur dieser verfallen undsuchte diese in seiner Aventuumlre zu reaktualisieren Martin Heideggers mythopoetisches Pro-gramm ist tatsaumlchlich stark mit Don Quichotes Motiv vergleichbarFerner waumlre eine Auseinandersetzung mit Heideggers Werk unter Beruumlcksichtigung sei-
ner Gewichtung der Vorsokratiker und Houmllderlin als mythopoetischen Autor eine moumlglicheForschung zum Thema Anachronismen in Konzepten von Moral und gesellschaftlicher An-gemessenheit (Vgl Cervantes Miguel de Don Quichote von der Mancha Herausgeben unduumlbersetzt v Susanne Lange Muumlnchen 2008 S 33f)
148 GA 79 S 29149 GA 79 S 30
36
lensldquo150 Schon vorher wies Heidegger darauf hin bdquo[d]ie Herrschaft des Gegen-
staumlndigen sichert nicht den Abstandldquo151 Jetzt heiszligt es
Das Bestellen befaumlllt nicht nur die Stoffe und Kraumlfte der Natur mit Gestel-lung Das Bestellen befaumlllt zugleich das Geschick des Menschen Das Wesendes Menschen wird daraufhin gestellt das Bestellen in menschlicher Weisemitzuvollziehen152
Der Begriff des Ge-Stells wird daraufhin so konstruiert dass es im Bestellen
um ein Stellen (Herausfordern) alles bdquoAnwesenden als Bestandldquo als bdquoversus unumldquo
gegen bdquodas Eine Ganzeldquo gehe153 In wiederum mythopoetischer Formulierung ge-
baumlre die bdquoVersammlung des Stellens worin alles Bestellbare in seinem Bestand
west das Ge-Stellldquo154 Der Begriff bdquoVersammlungldquo wird einen Absatz zuvor my-
thopoetisch wieder an die Versammlung also das thing eben das wesenhafteDing
angelehnt und somit wie zu Das Dinglsquo bereits oben erlaumlutert in einen deutsch-
abendlaumlndischen Kontext gestellt (3)
Wir nennen die Versammlung der Berge die von sich her einig und nienachtraumlglich schon gesammelt ist das Gebirge Wir nennen die Versamm-lung der Weisen nach denen uns so zumute ist und sein kann das Gemuumlt155
Allerdings ist obiges Versammlungsmodell hier als Kontrast zu sehen zu dem
bdquoGeraff des Getriebesldquo das das Ge-Stell darstellt als bdquoWesen der Technikldquo156 Hei-
degger sieht in der Gleichfoumlrmigkeit die zum Wesen des Technik als Ge-Stell
150 GA 79 S 30151 GA 79 S 25152 GA 79 S 31153 Vgl GA 79 S 32154 GA 79 S 32155 Ebd
Das Wort ldquoGemuumltrdquo hat ferner eine ausschlieszliglich deutsche Praumlgung gibt es doch keinedirekte Uumlbersetzungen Gemuumlth ist ferner ein nicht eindeutig umrissener Begriff (Vgl Kra-mer Cheryce A Foolrsquos Paradise The Psychiatry ofGemuumlth in a Biedermeier Asylum Chica-go 1998 S 19) Die Bedeutung im Deutschen selbst ist zudem sehr variabel hat aber zumeistmit Seelen- oder Geistkonzepten zu tun ndash Cheryce von Xylander (geb Kramer) uumlbersetztGemuumlth mit bdquosoul-organldquo (ebd S 43) das von diversen Autoren unterschiedlich konstru-riert wird (zB von Kant geistigkoumlrperlich und von Kleist individuellkollektiv (vgl ebdS 41)) In Heideggers emblematischem Duktus scheint eine Vermischung von allen vier Di-mensionen geistigkoumlrperlich wie auch individuellkollektiv stattzufinden Es ist auf jedenFall dem Mythos geschuldet den Auftrag des Deutschen anzunehmen (3)
156 GA 79 S 33
37
gehoumlre die planetarische Abloumlsung und Aufhebung des traditionellen und damit
wesenhaft ans Ding gebundenen Verhaumlltnisses vom Menschen zur Erde (das von
ihm idealisierte voumllkische Bauerntum das Bestellen des Ackers) bdquoDie Bestand-
Stuumlcke sind Stuumlck fuumlr Stuumlck die Gleichenldquo157 So kontrastiert er alte Handwerks-
techniken mit Maschinentechnik und schreibt der Maschinentechnik die machen-
schaftliche Verdraumlngung als Geraff zu
Das Ge-Stell hat auch wenn das nicht unmittelbar und nicht sogleich ver-nehmlich wird im vorhinein schon alle diejenigen Stellen beseitigt an denenvormals Spinnrad und Wassermuumlhle standen Das Ge-Stell bestellt durch sei-ne Maschinerie zum voraus eine andere Art und Ordnung von Stellen Andiesen kommt nur zu Stand was als Bestellbares auf der Stelle gleichfoumlrmigzur Stelle steht
Darum ist auch die Art wie die Maschine selbst etwas herstellt einewesentlich andere als das handwerkliche Tun gesetzt daszlig es innerhalb desGe-Stells uumlberhaupt noch so etwas wie ein Herstellen gibt
Die Traktoren und Kraftwagen werden herausgebracht ausgeworfen se-rienweise Stuumlck fuumlr Stuumlck Wo drauszligen steht dieses so Herausgestellte Wo-hin in welchen Stand ist es gebracht158
In dieser Klage uumlber den technischen Wandel der durch den Fortschritt in
alle Lebensbereiche Einzug haumllt versucht Heidegger zu veranschaulichen wel-
chen Verlust es zu erkennen gelte Ein Versuch diesem entgegen zu treten ist die
von ihm vorgetragene Mythopoetik die er in diesem Vortragsteil seines Vortrags-
Gevierts allerdings auffaumlllig zuruumlckgestellt sein laumlszligt War der Einleitungsteil Das
Dinglsquo schlieszliglich eine nahezu einzige mythopoetische Darbietung Dramatur-
gisch wird Heidegger in Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo die mythopoetischen For-
mulierung als Loumlsungswege wieder Bedeutung geben In Das Ge-Stelllsquo versucht
Heidegger hingegen Vorstellungen aus seinen Schwarzen Heften aumlhnlich der fol-
genden mitzuteilen die das Uniforme Gleichfoumlrmige betreffen
Die Macht der Machenschaft ndash die Vernichtung sogar der Gottlosigkeit dieVermenschung des Menschen in das Tier die Vernutzung der Erde die Ver-rechnung der Welt ndash ist in den Zustand der Endguumlltigkeit uumlbergegangenUnterschiede der Voumllker Staaten Kulturen sind nur noch Fassade159
157 GA 79 S 36158 GA 79 S 35159 GA 96 S 52f
38
Was Heidegger unter dieser Gleichfoumlrmigkeit versteht schreibt er in den Schwar-
zen Heften zumeist den Amerikanern zu Er nennt es auch haumlufig Planetarismus
Der Amerikanismus [ist DS] die Zusammenraffung von Allem welcheZusammenraffung immer zugleich die Entwurzelung des Gerafften bedeu-tet160
Der Planetarismus ist die historisch gedachte Bestimmung der uumlberall glei-chen die ganze Erde uumlberdeckenden Seinsverlassenheit des Seienden161
Die Gegenuumlberstellung von natuumlrlicher und traditioneller Handwerkstechnik
gegen maschinenhafte Gleichfoumlrmigkeit exemplifiziert Heidegger dann im Vor-
trag Das Ge-Stelllsquo vielfach wie zum Beispiel hier
Der Forstwart zB der im Wald das geschlagene Holz vermiszligt und demAnschein nach noch wie sein Groszligvater in der gleichen Weise die selbenWege geht ist heute von der Holzverwertungsindustrie gestellt Er ist ober es weiszlig oder nicht in seiner Weise Bestand-Stuumlck des Zellulosebestandesund dessen Bestellbarkeit fuumlr das Papier das den Zeitungen und illustrier-ten Magazinen zugestellt wird die uumlber die Oumlffentlichkeit daraufhin stellenverschlungen werden162
160 GA 96 S 257161 GA 96 S 261162 GA 79 S 37f
Die renommierte Theaterautorin Elfriede Jelinek karikiert in ihrem Stuumlck Totenaubergvon 1991 Heideggers Konstrukt von Heimat und Fortschrittsfeindlichkeit verbunden miteiner Auseinandersetzung mit dessen Liebschaft zu Hannah Arend Mit philologischer Prauml-zision polemisiert sie Teile aus Heideggers Elegie uumlber die Technik und laumlszligt ihn dabei alsbeschraumlnktes und eingezwaumlngtes Wesen in einem Gestell gefangen sein Aus diesem heraussoll er Arend Rede und Antwort stehen uumlber sein Verhaumlltnis zum Nationalsozialismus unddie Shoa Doch dieser redet nur naturtrunken von Heimat und berauscht sich daran Derprophetische Denker wird banalisert ndash diese Worte legt Jelinek ihm (im Stuumlck der alte Mann)in den MundbdquoDie Angst vor dem Fragen liegt uumlber dem Abendland Sie bannt die Kandidaten auf ein
Team-Leibchen verbannt sie auf altgewordene Wege und jagt sie zuruumlck ins morsch geworde-ne Gehaumluse ihrer Tore wo es um ihre Ausscheidungen geht Es wird ihnen alles weggenom-men werden auch der Weg selbst Keine Spur kein Lichtschein aus den Ritzen Aber ruf ichin die Huumltte um nach einem zu fragen den ich gekannt hab sehe ich grad noch eine Tuumlrsich schlieszligen Der Wald kommt nicht zur rechten Geltung alles ist entflohen was mir liebwar und woran ich geglaubt hab Was kommt ist noch nicht da Nichts war Ich habe nichtsgehoumlrt Ich erinnere mich nicht aber ich stelle dem Kommenden das mich den lupenreinenAmateur schon vor Beginn des Rennens erlahmen laumlszligt vorsorglich die Hausschuhe vor dieTuumlr Sie sind das Einzige was die Profis des Profits von mir dann vorfinden werden wennsie anklopfen Die Haumlrte des Urgesteins sollte sie nicht entmutigen Die Jahreszeiten machendie Landschaft auf und zu Ich sage nur In dieser scheinbaren Leere will ich vom Denkenmuumld nur schlafen Von der Huumltte aus lassen sich Wanderungen unternehmen Aber auchsonst wird Ihnen alles wie ich sagte genommen werden Auch Ihre Fotos und Namen Unddas Gewesene wird wesenlosldquo ( Jelinek Elfriede Totenauberg Hamburg 1991 S 86f)
39
Die Oumlffentlichkeit ist fuumlr Heidegger ein Topos der dem Denken und Besinnen
entgegenstuumlnde Somit meint er damit zum Einen die Medien wie er es anhand
der Rede von den Bestandstuumlcken in Das Ge-Stelllsquo erklaumlrt wo der Mensch als
Urheber des Ge-Stells als Wesen der Technik nicht gelten soll Vielmehr wuumlrde er
in Ratlosigkeit und Langeweile verfallen weil er in der Bestellung des Bestandes in
Form von Bestandstuumlcken vom Rundfunk keine Besinnung mehr faumlnde dh das
Ganze also wiederum daswesentliche Ding nicht mehr zu fassen vermoumlge163 Und
so toumlnt es bereits aus den Schwarzen Heften von 19391940()
Die Bildlsquo und Tonlsquo ndash Reportagenlsquo der Machenschaft ist der planetari-sche Mythuslsquo des Vollendungsabschnittes der Neuzeit Die Welt des abge-legensten deutschen Bauernhofes wird nicht mehr durch [] die Naturlsquobestimmt in der noch die Erde waltet sondern durch das illustrierte Blattmit der Darstellung von ausgezogenen Tanzweibern von Boxern und Renn-fahrern und sonstigen Heldenlsquo des Tages164
Und ferner notierte Heidegger 1946 in seinen Schwarzen Heften
Uumlberall zerrt es aus dem Oumlffentlichen ins Oumlffentliche mit vielen Strickenund jeder sieht das kaum versuchte Denken des Seyns am Leitband seinesStrickes165
Dabei waumlre eben ein bdquoLiterat [] ein in die Oumlffentlichkeit verliebter Mensch der
Angst vor dem Denker hatldquo166 Dieses liefe dann darauf hinaus dass beim Rund-
funk bdquoein Bestellen und Stellen waltet das in dasWesen des Menschen eingegriffen
hatldquo167
Abermals nach dem Wesen der Technik also nach dem Ge-Stell gefragt geht
Heidegger auf seine Unterscheidung vonNatur undNaturwissenschaft ein bdquo[w]elches
ist das Verhaumlltnis zwischen der Technik und der Naturldquo168 Natur wuumlrde in wis-
senschaftlicher Hinsicht unter das Berechnete fallen sie wuumlrde bdquoals das in Maszlig
und Zahl gestellte Wirkliche vorgestellt das in seinem Gewirkten staumlndig an-
westldquo169 Wenn Heidegger dann Natur aus technischer Sicht bdquoals ein System des
163 Vgl GA 79 S 38f164 GA 96 S 54165 GA 97 S 100166 GA 97 S 126167 GA 79 S 39168 GA 79 S 41169 Ebd
40
Bestellens von Erfolgen aus dem gestellten Wirksamenldquo170 charakterisiert spricht
er von seiner Rede der Verschraumlnkung von Historie und Technik ndash bdquoTechnik die
Historie der Naturldquolsquo171 Dieses ist bekanntlich das seinsvernichtende Gegenstuumlck
zur geschichtlichen Besinnung Denn geschichtliches Walten der Technik ist fuumlr
Heidegger technische Geschichte dh verwissenschaftlichte Geschichte die da-
durch ihr Wesen verloren haumltte (Seynsvergessenheit)172 So heiszligt es in den Schwar-
zen Heften von 1947
Ein Zeitalter das historisch geworden ist dh technisch planend sich selberberechnet und alles in diesen Sog zieht muszlig jede Besinnung nur als eine dervielen Formen der Intellektualitaumlt registrieren173
Heidegger schlieszligt den Vortrag mit dem Aufgriff der Anfangsbehauptung
bdquo[d]er Bestand bestellt das Abstandsloseldquo174 Somit liegt das Problem der ausblei-
benden Naumlhe durch die Technik deren Wesen das Ge-Stell waumlre das den Bestand
bestelle in der Luft Dass dabei der Mensch sogleich Teil des Bestandes und nicht
Teil der Maschine wird laumlsst ihn das historische Tier sein (2)
Der Mensch ist auswechselbar innerhalb des Bestellens von Bestand []Gleichwohl gehoumlrt der Mensch in einer voumlllig anderen Weise in das Ge-Stellals die Maschine DieseWeise kann unmenschlich werden DasUnmenschlicheist jedoch immer noch unmenschlich Der Mensch wird nie zur MaschineDas Unmenschliche und noch Menschentuumlmliche ist freilich unheimlicherweil boumlsartige und verhaumlngnisvoller denn der Mensch der nur Maschine wauml-re175
Wen Heidegger hier ersinnt ist der neuzeitliche Mensch der den bdquoGoumlttern uner-
traumlglich gewordenldquo176 waumlre
170 Ebd171 GA 95 S 351172 In Heidegger Die Technik und die Kehre S 21 stellt er Geschichte und Historie einander
gegenuumlber was er in Das Ge-Stelllsquo nicht vollzieht bdquoDie moderne Technik kam doch erst inden Gang als sie sich auf die exakte Naturwissenschaft stuumltzen konnte Historisch gerechnetbleibt dies richtig Geschichtlich gedacht trifft es nicht das Wahreldquo Signifikant fuumlr Heideg-gers Attributierung so wie sie oben schon geschildert ist steht Historie fuumlrs Rechnen undGeschichte fuumlr das Denken
173 GA 97 S 508174 GA 79 S 44175 GA 79 S 37176 GA 94 S 236
41
323 Die Gefahrlsquo
Aus Heideggers Darlegung uumlber das Ge-Stell erschlieszligen sich seine diversen Fa-
cetten der Vorstellung einer Abstandslosigkeit schaffenden Technik Dass die Ab-
standslosigkeit dem Prinzip des Gevierts des Zusammengestellten entgegensteht
bekommt im Vortrag Die Gefahrlsquo Nachdruck Die mythopoetische Erzaumlhlung
knuumlpft an den Vortrag Das Dinglsquo an mit den Mythologemene 1 Der Mythos
des geschichtlich sein muumlssens 2 der Mythos des Goumlttlichen 3 das geschichtsbe-
sinnliche Prinzip der Aletheia Zudem wird im Prozess des Vortrags das Ge-Stell
zur Gefahr stilisiert was einen eigenen Mythos erschafft
Durch das bdquouniversale Bestellen des Ge-Stellsldquo177 werde die naumlhernde Naumlhe des
Dings verwehrt Wie im Vortrag Das Dinglsquo fuumlhrt Heidegger das Wesentliche sei-
ner Theorie auf die deutsche und altgriechische Sprache zuruumlck Die so vollzoge-
ne Annaumlherung von Schwarzwaumllderischem Dialekt und Altgriechisch entspricht
Heideggers Traum von dem bdquogeschichtliche[n] Geburtsort des abendlaumlndischen
Wesensldquo178 den seine Heimat von Todtnauberg bis Freiburg stiften sollte (1)
es ist das Geistvolle und zugleich das erdenhafte schoumlne Land Es birgt un-sichtbaren Reichtum dem Gemuumlt bewahret tiefstes Dichten und houmlchsteGestalt der Sage179
Unter diesem Vorzeichen also sagt Heidegger
Das Ge-Stellwesen laumlszligt das Ding ohne die Wahr Das Wort die Wahrlsquo be-deutet in unserer Sprache dort wo sie noch urspruumlnglich spricht die HutIn unserer schwaumlbischen Mundart meint das Wort die Wahrlsquo die der muumlt-terlichen Hut anvertrauten Kinder Das Ge-Stell laumlszligt in seinem Stellen dasDing ohne die Hut ndash ohne die Wahr seines Dingwesens180
Diese in Bremen vorgetragene Heimatkunde ist auch Heideggers Sorge ge-
schuldet durch die Besatzermaumlchte und deren kulturellen Einfluss auch durch
die nun moumlgliche Oumlffnung Deutschlands zu einem Austausch mit der Welt das
eigene Wesen zu verlieren So schreibt er 1945-1947() in seine Schwarzen Hefte
177 GA 79 S 46178 GA 97 S 54179 Ebd180 GA 79 S 46
42
Das Schwerste und Fragwuumlrdigste unseres Geschickes ndash beruht darin ob wirdas Eigene finden und huumlten [] unter den anderen Voumllkernlsquo [] Scheinund Vorwand der Macht daszlig man unsere eigene Aufgabe bringen will []als Entmachtete aufgenommen zu sein in den Weltmachenschaftsbetrieb181
Es gaumlbe nach Heidegger also das Welten von Welt und die Verweigerung von
Welt aus derVerwahrlosung des Dings durch das Ge-Stell bzw die Technik182 Welt
ist nach dem Konzept des schwaumlbischen Denkers nichts weniger als das Geviert
Bei der folgenden mythopoetischen Zusammenstellung von dem Geviert mit alt-
griechischen Vokabeln um den Seins-Begriff wird das Aletheia-Prinzip eingefuumlhrt
Somit fuumlhrt uumlber den Mythos des Goumlttlichen (2) der Weg zur Wahrheit eben als
geschichtsbesinnlich erfahrene Aletheia (3)
Welt ist das Geviert von Erde und Himmel Goumlttlichen und SterblichenDas Spiegel-Spiel der Vierung wahrt alles was in ihm dingend zwischenden Vier anwest und abwest in das einende Ganze seines Anwesens Vonaltersher heiszligt das Anwesen des Anwesenden τὸ ὲόν das Seiend [sic] τὸεἶναι das Sein naumlmlich der ὲόντα des Seinenden das esse entium183
Diese Welt waumlre nun bdquoWahrnis des Wesens von Sein Statt Wahrnis sagen wir auch
Wahrheitldquo184 Die Welt mythopoetisch als Spiegel-Spiel des Gevierts und durch
eine altgriechische Brille betrachtet waumlre die wahre Welt Somit wird die Wahr-
heitsschau gebunden einen antiken Goumltterglauben und abendlaumlndische Sprachkas-
kaden vom Dialekt zum Altgriechisch
Das Problem mit der wahren Welt waumlre allerdings dass sie sich in die Ver-
borgenheit entziehe Naumlher betrachtet ist aber die Verborgenheit Bedingung des
Entbergens was Heidegger notwendig macht zu einem wuumlrdigen Lebensvollzug
in Harmonie mit dem Sein Durch solche Wesensschau waumlre der Mensch befaumlhigt
jederzeit die verstellenden Maumlchte des Ge-Stells (der Technik) zu uumlberwinden und
teilhaftig am Wesen der Welt zu werden
181 GA 97 S 99182 Vgl GA 79 S 47183 GA 79 S 48 (Die griechischen Vokabeln werden hier keiner Uumlbersetzung unterzogen Da
Heidegger ohnehin keine philologische Schaumlrfe anwenden will ist es fuumlr die Zwecke hierausreichend sie mit seiner Uumlbersetzung zu betrachten Heidegger spricht von bdquoAchten aufdas Griechischeldquo was schwieriger waumlre als klassische Philologie (vgl GA 79 S 63)
184 Ebd
43
Welt bleibt in der Verborgenheit (Αήθη) auf die Weise daszlig diese ihre Ver-borgenheit gerade eine Unverborgenheit gewaumlhrt die Αλήθεια185
Die Αλήθεια haumltte allerdings auch eine Rolle uumlber die subjektive hinaus da nur
durch ihren Vollzug Seinsgeschichte gewaumlhrt wuumlrde Das ist der Anspruch den
Heidegger an sein Auditorium stellt gemeinsam geschichtlich sein zu muumlssen (1)
Die Αλήθεια ist das Geschick des Seins als welches Geschick sich die Fuumllleder Seinsgeschichte in ihre Epochen fuumlgt186
Mit dem Ge-Stell als Wesen der modernen Technik waumlre die Aletheia aller-
dings hochgradig gefaumlhrdet Denn ohnehin waumlre die Aletheia prinzipiell der Ge-
fahr der Vergessenheit ausgesetzt Doch das Ge-Stell haumltte die Kraft die bdquovollende-
te Vergessenheit der Wahrheit des Seinsldquo187 zu vollrichten
Indem das Ge-Stell alles Anwesende in den Bestand bestellt setzt das Ge-Stell das Anwesen des Anwesenden heraus aus seiner Wesensherkunft ausder Αλήθεια188
Diese Versetzung des beteiligten Wesens aus der Moumlglichkeit des Wahrheitsprin-
zips heraus markiert Heidegger dann mit der Schreibweise Seyn (mit bdquoyldquo) Wie
bei dem Vortrag Das Dinglsquo koumlnnen ethymologische Abstammungen sein Sys-
tem anreichern Da wo es um das Wortfeld des Stellens geht Ge-Stell Bestellen
Verstellen ist auch das NachstellenMitglied der Familie
Im Althochdeutschen heiszligt nachstellen fara Das in sich gesammelte Stellenals Nachstellen ist die Gefahr Der Grundzug des Wesens der Gefahr ist dasNachstellen Insofern das Sein als das Ge-Stell sich selbst mit der Vergessen-heit seines Wesens nachstellt ist das Seyn als Seyn die Gefahr seines eigenenWesens189
Damit wuumlrde sich durch die Verringerung der Selbstreflexion im Seyns-Bestand
eine Schwachstelle auftun in die der denkbegabte und aletheiafaumlhige Mensch ei-
ne Moumlglichkeit haben das Seyn zum Sein zuruumlckzuwandeln ndash also wieder in ein
185 GA 79 S 49186 Ebd187 GA 79 S 53188 GA 79 S 52189 GA 79 S 53
44
wesentliches Verhaumlltnis zum bdquoDingldquo zu gelangen in dem das Geviert wieder die
Harmonie herstellt Allerdings faumlnde bis zu solch einer Nachstellung eine Ver-
sieglung des Seynsbestandes statt Und Heidegger beklagt dass die Erreichung der
Ruumlckeroberung des Seins uumlber die Nachstellung nicht stattfaumlnde und stattdessen
die Irre regieren wuumlrde190
In dieser Irre stuumlnde dem Menschen nicht einmal mehr zu zu sterben Denn
bdquoSterben [] heiszligt den Tod in sein Wesen austragenldquo191 Somit waumlren die Opfer
die in den KZs umkamen wie er sie in Das Dinglsquo bereits schildert nicht vermouml-
gend gewesen zu sterben bdquoSie werden Bestandstuumlcke eines Bestandes der Fabrika-
tion von Leichen [] Sie werden in Vernichtungslagern unauffaumlllig liquidiertldquo192
Das vermoumlge die Gefahr zu bewirken Der Mensch wuumlrde des eigenen Sterbens
beraubt da er keine Verbindung mehr zur Wahrheit der Welt haumltte Um den rich-
tigen Tod zu sterben muumlsse der Mensch die Aletheia schauen koumlnnen Insofern ist
Heideggers Prinzip ein religioumls anmutendes Wie in der christlichen Vorstellung
der Mensch im Jenseits an seinen Taten gemessen wird um Paradies oder Fege-
feuer zu besuchen soll nach Heidegger der Mensch waumlhrend des Sterbens mit
sich selbst ins Gericht gehen Er soll sich rein machen vom Ge-Stell der Technik
und dem Seyn um nicht die einmalge Gelegenheit des richtigen Sterbevollzugs
zu versaumlumen Es winken gemaumlszlig des Gevierts die himmlischen Goumlttlichen den
irdischen Sterblichen zu wobei annehmbar ist dass Heidegger Sterblichen die
die Aletheia erkennen einen Goumlttlichkeitsstatus beimessen moumlchte ndash eine Erlouml-
sungsphantasie
Genau diese Erloumlsung waumlre die Technik nicht
Ohne den Schritt des Denkens zu wagen der unser Menschenwesen demWesen der Technik [] aussetzt wuumlrgt man sich von Fall zu Fall von Lagezu Lage durch die Zwiespaumlltigkeiten hindurch Und genau durch dieses Ge-wuumlrge versaumlumt man die Moumlglichkeit dessen was man im Grunde erstrebtdie Technik durch menschliches Tun zu meistern und menschenwuumlrdig zulenken193
190 Vgl GA 79 S 55191 GA 79 S 55192 GA 79 S 56 Weil Heidegger im Judentum die Verantwortlichen fuumlr das Geraffe des Ge-Stells
sieht macht er sie gleichsam verantwortlich fuumlr die bdquoSelbstvernichtungldquo Die Seinsverges-senheit im Tode wird dadurch zum Spin-off der vermeintlich juumldisch erzeugten da machen-schaftlichen KZ-Maschinerie (Vgl GA 97 S 20f)
193 GA 79 S 59
45
Trost und Richtung findet Heidegger schlieszliglich abermals bei den alten Griechen
Das Wort stellenlsquo entspricht dem griechischen ϑέσις vorausgesetzt daszlig wirϑέσις griechisch denken Was heiszligt in diesem Falle griechisch denkenlsquo Esheiszligt darauf achten welche Lichtung desWesens des Seyns in welcherWeisedas Dasein der alten Griechen in den Anspruch genommen hat heiszligt imvoraus bedenken in welchem Geschick welcher Unverborgenheit des Seinsdie Griechen standenldquo194
Das sind Vorstellungen des Neuen Anfangs eine Reminiszenz der griechisch anti-
ken Welt Ein Eintrag aus den Schwarzen Heften von etwa 1945-47 () verdichtet
wie oben bereits aufgezeigt die Phantasie griechisch zu sein zu einem gelingenden
Lebensvollzug
Das reine Wesen des Griechentums dh das Seiende inmitten dessen dieGriechen als seiende fremd gewesen dieses und sie selbst und der Bezug desSeins zu ihnen ndash in der einfachen Wesung von der ἀλήθεια her zeigen underfahren Den μῦθος und λόγος ndash jedes Wort und Gebild rein aber nichterzwungen und schematisch-pedant ndash aus ἀλήθεια erfahren195
Hier zeigt sich auch dass Heidegger per se das Aletheia-Prinzip fuumlr notwendig
hielt um ins Licht der Wahrheit zu blicken Die Griechen sind ihm hier deshalb
Vorbild und rein da sie keiner modernen Technik und dem Ge-Stell ausgesetzt
waren sondern lediglich eine mythopoetische Verbindung zum Sein herstellen
mussten um wesentlich zu sein und Seinsgeschichte zu schreiben Die Dinge und
das Spiegel-Spiel des Gevierts waumlren ihnen geschickt zuhanden gewesen196 Hei-
degger macht schlieszliglich sehr deutlich dass das Griechische zu denken ein bei
weitem anderes Geschaumlft sei als philologische Praumlzision
Ein Echo zu sein naumlmlich dem Anspruch des Seins verlangt eine Sorgfaltder Sprache von der freilich der technisch-terminologische Sprachstil derWissenschaften uumlberhaupt nichts wissen kann Die Intentionalitaumlt der wis-senschaftlichen Sprache ist der staumlrkste Beweis fuumlr ihre Boden- und Heimat-losigkeit [] Das Heimische einer hohen Sprache gedeiht nur im Bereichdes unheimlichen Anspruchs der wesenhaften Stille im Wesen des Seyns197
194 GA 79 S 62f195 GA 97 S 20196 Hingegen waumlre das Judentum verantwortlich fuumlr das Ge-Stell fuumlr das Prinzip der Zerstoumlrung
wie es auf der selben Seite der Schwarzen Hefte darunter heiszligt (vgl ebd)197 GA 79 S 66 Die Bedeutung von Seyn als verstelltes Sein oder Bedingung zum Schauen
des wahren Seins ist verwirrend Einer genaueren Analyse wird aus Platzgruumlnden hier nichtnachgegangen
46
324 Die Kehrelsquo
Der letzte Vortrag ist mit nur neun Seiten der Kuumlrzeste des Vortragsgevierts
Nach dem Verlust des Dinges als Ding und der damit einsetzenden Abstandslosig-
keit als Wesen des Ge-Stells wobei die Gefahr zudem der Vergessenheit des Seyns
nachstellt bietet Heidegger eine Perspektive an
Im Wesen der Gefahr verbirgt sich [] die Moumlglichkeit einer Kehre in derdie Vergessenheit des Wesens des Seins sich so wendet daszlig mit dieser Kehredie Wahrheit des Wesens des Seyns in das Seiende eigens einkehrt198
Diese Moumlglichkeit bedeute nicht dass der Mensch sich der Gefahr selbst stellen
koumlnnte sie waumlre passiv ndash bdquoverbirgt sichldquo Die Kehre werde sich ereignen aumlhnlich
einer Erwartung an den Messias
Die Anwesenheit der Gefahr wuumlrde automatisch die Rettung bergen Denn
Houmllderlin haumltte geschrieben bdquoWo aber Gefahr ist waumlchst [d]as Rettende auchlsquoldquo199
Etwa 1945 notiert Heidegger in seine Schwarzen Hefte bdquoDie Wahrheit erfahren
wir im Gedaumlchtnis Das Gedaumlchtnis ist die Dichtungldquo200 (so) Von dieser War-
te aus ausgestattet mit Erinnerungen an das abendlaumlndische Dichten mit dem
Wissen um das Aletheia-Prinzip und passiv als denkender Huumlter des Seyns solle
der Mensch das Ereignis erwarten das ihn bdquoloumlsen freimachen freyen schonen
bergen in die Hut nehmen wahrenldquo201 wuumlrde (siehe S 43)
Dieses Ereignis waumlre der Blitz Ein unvermittelter jaumlher ploumltzlicher Moment
von kurzer Dauer der bloszlig einen ebenso kurzen Blick auf das wahre Wesen er-
lauben wuumlrde Abschlieszligend ist dies das Rezept gegen die Bestands bestellende
Technik in mythopoetischer Formulierung
So entsprechend ist der Mensch geeignet daszlig er im gewahrten Element vonWelt als der Sterbliche dem Goumlttlichen entgegenblickt Anders nicht dennauch der Gott ist wenn er ist ein Seiender steht als Seiender im Seyn unddessen Wesen das sich aus dem Welten von Welt ereignet202
198 GA 79 S 71199 GA 79 S 72200 GA 97 S 52f201 GA 79 S 72202 GA 79 S 76
47
Wenn Heidegger im Anschluss von der bdquohistorisch-technischen Darstellungldquo re-
det so ist dies die Abwehr der Wissenschaften (auch der Philosophie203) und ein
Appell an die Antirationalitaumlt des Mythos bdquokein historisches Vorstellen der Ge-
schichte als Geschehen bringt in den schicklichen Bezug zum Geschickldquo204
Damit das Blitzen erfahren werde als kurze Wesensschau der Aletheia muumlsse
dem wahren abendlaumlndischen und heimatlichen Ereignis stattgegeben werden Es
sollte nicht wie er 1939 schon in den Schwarzen Heften beschreibt das
kuumlnstliche Licht von Historie und Technik in der weder Mensch noch dieGoumltter weder eineWelt noch die Erde sichtbar werden koumlnnen wo aber dasLebenlsquo von allen den immer noch zu wenigen Meistenlsquo erlebtlsquo wird205
Damit schlieszligt der letzte Vortrag mit einer Erwartung an das Ereignis des Blit-
zens nicht das Erleben der Besinnungslosigkeit (vgl Das Ge-Stelllsquo) Schon 1947
traumlumt Heidegger von solcher Umkehr
Aus der Kehre der Seynsvergessenheit aber ereignet sich das Unumgaumlnglicheden Acker der Welt erst zu pfluumlgen und saatbereit der Sonne und dem Regenund den Voumlgeln des Himmels uumlberlassen206
203 Denn ldquo[e]igentlich denken heiszligt [] die Philosophie verlassen [] beim Sagen des Seinslsquoldquo(GA 97 S 60)
204 Ebd205 GA 95 S 427 Gegen das Erlebnis und Erleben straumlubt sich Heidegger besonders So notiert
er etwa 1939 bdquoZeitalter der Techniklsquo macht gerade die Techniklsquo nicht zum Ziel sondernimmer mehr zum Mittel der besinnungslosen Berechnung [] der Mensch [] das Erleb-nislsquo [] Erleben als der Gefuumlhlsgenuszligldquo (GA 95 S 149) Wie auch bdquoWo beide Historie undTechnik in solcher scheinbaren Gegensaumltzlichkeit verkoppelt sind koumlnnen sie sich zur Foumlr-derung dessen zusammenschlieszligen was einstmals wesentlich die Geschichte des Menschenmitbegruumlndete und was wir die Kunstlsquo nennen Die Historie verschafft [] Anregungenund Vorbilder der Nachahmung die Technik erleichtert [] die Zustellung von Darstel-lungsmitteln und Wirkungsformen [] Gleichwohl ist alles wurzellos [] berechnet und alsErlebnislsquo ausgegebenldquo (GA 95 S 212)
206 GA 97 S 511
48
4 Konklusion
Der umstrittene Philosoph Martin Heidegger hat uumlber die 1930erndash40er Jahre
hinweg eine ausgepraumlgte voumllkisch-nationale und bisweilen radikal-antisemitische
Denkweise entwickelt Dieses Denken fasste er auch auf als Besinnung und stellt
es der Philosophie und Wissenschaft diametral entgegen In Kapitel 2 wird aufge-
zeigt dass sowohl Heideggers Mythologie bereits kritisiert wurde (Adorno Cassi-
rer Meyer) als auch seine Mythopoetik bewundert (Schulz-Nieswandt) Kapitel
3 will daruumlber hinaus aufzeigen wie Heidegger eine eigene Mythologie mytho-
poetisch fruchtbar macht was sich von beiden vorigen Ansaumltzen unterscheidet
und erst mit der Veroumlffentlichung der Schwarzen Hefte ab 2014 nachvollziehbar
wurde
Umso mehr bietet die mythopoetische Verbindung von bdquoDichten und Den-
kenldquo (so) einen antitechnischen Gegenpol Denn Heidegger fasst wie oben ge-
schildert alles Rationale auf als berechnende Bestellung des Bestands im Sinne
der Technik Daruumlber hinaus fordert er mit dem Aletheia-Prinzip (als metapho-
risch gefasstes Ereignis des Blitzens) einen Mitvollzug seiner mythopoetischen
Kontemplation in dem religioumlse voumllkische antike und sprachliche Motive zu-
sammenfallen
Obwohl schon von Heidegger selbst nicht mehr als Philosophie betrachtet
hat seine Rede vom Ding dem Ge-Stell dem Wesen der Technik und der Kehre
noch immer einen bedeutenden Einfluss auf die Technikphilosophie So betont
Alfred Nordmann in bdquoWerkwissen oder How to express things in worksldquo (2008)
dass Heidegger mit Das Dinglsquo eine Art Dingwissen geschaffen haumltte In seinem
2012 erschienenen Aufsatz Another parting of the ways Intersubjectivity and the
objectivity of sciencersquo207 geht Nordmann ein weiteres Mal auf Heideggers Ding
ein Dieses waumlre eine Abarbeitung an dem Ding Kants womit auch Nordmann
Heidegger als einen Interpreten Kants versteht208 Anschlieszligend anMichael Fried-
207 Nordmann Alfred Another parting of the ways Intersubjectivity and the objectivity ofscience In Studies in History and Philosophy of Science 43 (2012) 38ndash46
208 Die Auseinandersetzung mit dem Ding wuumlrde nach Nordmann in Heideggers GA mit demText Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalen Grundsaumltzenlsquoeinsetzen (GA 41 Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalenGrundsaumltzen)
49
man spricht sich Nordmann ebenso dafuumlr aus dass Heidegger neben Rudolf Car-
nap und Ernst Cassirer eine neokantianische Philosophie verfolgt haumltte (siehe
Kap 1)209
Nach Nordmann haumltte Heidegger in seinen anschlieszligenden Gedanken uumlber
das Ding als Fortfuumlhrung Kants als erster Wissenschaft als angewandte Techno-
logie verstanden210 Diese Interpretation stuumltzt sich auf die gleichen Symbole
Metaphern und Mythen die die vorliegende Arbeit analysiert Das Ge-Stell ist
insofern aumlquivok mit dem Begriff techno-science Jedoch sind in dieser Fruchtbar-
machung von Heideggers Denken der Technik dessen nationalistischen rassisti-
schen und antisemitischen Implikationen die die vorliegende Arbeit als Zentrum
dessen Philosophie ermitteln konnte noch nicht beachtet worden koumlnnen211
Andreas Luckner webt Heideggers Ding-Entwurf weiter als verantwortliches
Sorgen um die Dinge212 Er geht dabei mit Heidegger voumlllig konform und tritt
eher als eine Art Bote der Ding-Botschaft auf als diese moumlglicherweise zu kriti-
sieren was sich diesen Artikel wie ein Kapitel aus einem Studienbuch lesen laumlsst
Der Darmstaumldter Technikphilosoph Christoph Hubig ist vor allem Kritiker Hei-
deggers Argumentationen laumlsst aber zuweilen diverse Topoi aus dem Werk des
Technik-Denkers durchscheinen ohne sie weiter zu reflektieren
So konstatiert Hubig Heidegger verfehle in dessen Auseinandersetzung mit
Aristoteles Lehre von der Poiesis zum Punkt der Sicherung wie sie in Die Frage
nach der Techniklsquo behandelt wird bdquodie operative Seite des Technischenldquo bei Aris-
totels213 In einem spaumlteren Aufsatz allerdings stuumltzt er sich ohne weitere Erlaumlute-
rungen auf Heideggers Begriff der Sicherung aus Die Frage nach der Techniklsquo214
209 Diese Befriedung paradigmatischer Umstaumlnde wird hier nicht geteilt Eine weitere Bearbeitunglaumlsst der Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht zu
210 Vgl Nordmann Another parting of the ways S 45211 Der Aussage dass Heideggers Ding-Begriff kantianisch waumlre muumlsste einer gezielten Untersu-
chung unterzogen werden genau wie die Behauptung insgesamt dass Heidegger oder inwie-weit dieser noch der suumlddeutschen Kantschule des 1920 Jahrhunderts angehoumlrte
212 Vgl Luckner Andreas Ding und Bestand Heidegger und das Wesen neuzeitlicher TechnikIn Gamm G Gehring P Hubig C Kaminski A und Nordmann A Ding und SystemS 15-30 hier S 29
213 Hubig Christoph Die Kunst des Moumlglichen Technikphilosophie als Reflexion der MedialitaumltBielefeld 2006 S 103
214 Vgl Hubig Christoph Technik als Medium In Grundwald Armin (Hg) Handbuch Tech-nikethik Stuttgart 2013 S 118-123 hier S 118
50
Dabei versteht Hubig Heideggers Betrachtungen zum Umgang mit der Technik
als gelassen
Fuumlr Heidegger liegt die Andersheit im Entbergen einer Wahrheit des Seinseines Geschicks von dem die Entwicklung der Technik hin zum Gestellkuumlnde Er verbindet dies mit dem Appell jenseits des rechnenden und si-chernden Vorstellens technischer Vollzuumlge als handlungsleitender Program-me sich gelassenlsquo dieser Entwicklung zu uumlberantworten und ein Seinlsquo zuhuumlten das sich als solches eben entbirgt Das Rettendelsquo dieser Einsicht lie-ge darin dass unsere individuelle Endlichkeit insofern transzendiert wirdals sie sich dem sie uumlbersteigenden Prozess aufschlieszligt und sich selbst relati-viert215
Wovon in diesem Zitat nicht die Rede ist ist der Mitvollzug der mythopoe-
tischen Rahmenbedinungen die Heidegger einfordert und an dem die Konzep-
te Abendland und voumllkische Tradition haumlngen In dieser Arbeit wird davon aus-
gegangen dass Heideggers Technikphilosophie-erzaumlhlung sich nicht von seinen
Absichten der Bekaumlmpfung des Technischen loumlsen laumlsst Die Relativierung ist in-
sofern nicht an den Prozess gebunden und damit emergent auf alles hin ausge-
richtet was kommen mag sondern houmlchst konvergent in einer Besinnung auf
Mythen von dem Ding und dem Geviert mit all deren Valenzen aus dem vorlie-
genden Heideggerschen Textkorpus Die individuelle Endlichkeit ist genoumltigt die
Heimat und das Abendland zu kennen und im Aletheia-Prinzip umzusetzen
Die Neubewertung der bislang bekannten Heideggerschen Technikphiloso-
phie von vor den SchwarzenHeften ist ein dringendes Desiderat Voumllkisch-nationale
Gruppierungen erstarken momentan in ganz Europa und es koumlnnte sehr hilfreich
sein aumlhnliche Denkstrukturen aufzudecken so wie sie zwischen den 1930er und
40er Jahren entwickelt wurden Zusaumltzlich muss das Werk Heideggers einer kriti-
schen Revision schon aufgrund der niemals von ihm behandelten Antisemitismen
unterzogen werden Heidegger hat nie zu diesen Stellung bezogen
Daruumlber hinaus ist das Thema Mythos und Philosophie ein weiterhin not-
wendiger Bereich der philosophischen Forschung In einem Bereich auszligerhalb
der exakten Wissenschaften und ohne klare theologische Tradition ist die Philo-
215 Hubig Die Kunst des Moumlglichen S 140
51
sophie beides sowohl Aufklaumlrer und antimythisch als auch Quelle fuumlr mythisches
Denken und affektierende Motive
52
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Die_Heidegger-Kontroverse ndash zuletzt abgerufen am 24042016)
56
Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
Der Unterzeichner versichert dass er die vorliegende Bachelorarbeit selbststaumlndig
verfasst und keine anderen als die von ihm angegebenen Hilfsmittel benutzt hat
Die Stellen der Arbeit die anderen Werken dem Wortlaut oder dem Sinne nach
entnommen sind wurden in jedem Fall unter Angabe der Quellen (einschlieszliglich
des World Wide Web und anderer elektronischer Text- und Datensammlungen)
kenntlich gemacht Dies gilt auch fuumlr beigegebene Zeichnungen bildliche Dar-
stellungen Skizzen und dergleichen
Darmstadt 25 April 2016
__________________________
(Eigenhaumlndige Unterschrift)
- Abkuumlrzungsverzeichnis
- Danksagung
- Einleitung
- Heideggers mythopoetisches Programm
-
- Zu den Begriffen Mythos Mythologie und Mythopoetik
-
- Ein Beispiel fuumlr ein Mythologem
-
- Heideggers Mythen
-
- Formen der Mythologie
-
- Heideggers mythopoetische Technik
-
- Zur Publikationsgeschichte von den Bremer Vortraumlgen 1949
- Die mythopoetische Spiegelung der Schwarzen Hefte
-
- Das Dinglsquo
- Das Ge-Stelllsquo
- Die Gefahrlsquo
- Die Kehrelsquo
-
- Konklusion
- Literaturverzeichnis
- Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
-
19
der Seite des Seins sind die Feinde dessen eine Notwendigkeit seines Erklaumlrungs-
schemas Dabei sind es vor allem die Juden denen die Wurzel des Antiseien-
den von Heidegger in ihr vermeintliches Wesen geschrieben wird Exemplarisch
spricht dafuumlr dieses Zitat aus Band 96
Die zweite Machtsteigerung des Judentums aber hat darin ihren Grund daszligdie Metaphysik des Abendlandes zumal in ihrer neuzeitlichen Entfaltungdie Ansatzstelle bot fuumlr das Sichbreitmachen einer sonst leeren Rationalitaumltund Rechenfaumlhigkeit die sich auf solchem Wege eine Unterkunft im Geistlsquovarschaffte ohne die verborgenen Entscheidungsbezirke von sich aus je zufassen zu koumlnnen69
Diese Vorstellung ist eine Konkretisierung dessen was Heidegger mit den Uumlber-
begriffen Historie vs Geschichte einige Jahre vorher begann zu topografieren
Wir sind durch die Historie geschwaumlcht [] ndash wir koumlnnen nur durch das ge-rettet werden was uns in seiner Verfaumllschung widert ndash durch die Geschich-te70
Dieses bdquoWirldquo sind die glorifizierten Deutschen vor allem nach der Ableitung von
den Griechen uumlber Houmllderlin (und dessen Griechen) und Nietzsche zu ihm und
seinem kleinen Kreis von ihm anerkannter Intellektuellen-Kollegen wie etwa
Carl Schmitt Oswald Spengler Walther F Otto und Ernst Juumlnger Die Luft auf
Heideggers Denker-Olymp ist duumlnn und bekommt nur Wenigen
Die Geschichte in Heideggers solipsistisch-immanenten Nachdenken erklaumlrt
sich wie gesagt immer zusammen mit der Hoffnung auf den neuen Anfang und
als Besinnung auf das Denken als Akt gegen die Historie Die Paarung der zwei
Woumlrter bdquoGeschichteldquo und bdquoBesinnungldquo durchzieht in deutlicher Haumlufigkeit alle
vier Baumlnde der Schwarzen Hefte ndash bdquogeschichtliche Besinnung [] ist die Uumlberwin-
dung der Historie und des Historismusldquo und sie bdquobedarf der houmlchsten Strenge
hinter der die historische Exaktheitlsquo weit zuruumlckbleibtldquo ndash somit ferner bdquonur wer
Geschichtemacht vermag sie auch zu errettenldquo71 Das oben mit Meyer und Schulz-
69 GA 96 S 4670 GA 94 S 26771 GA 94 S 358f
Dass die Besinnung eine militante Perspektive hat laumlszligt sich auch in Heideggers Vereh-rung Heraklits ldquoDer Krieg ist der Vater aller Dingerdquo finden Heidegger sah sich selbst alsDenker als Propheten des Seins Aus dieser Warte betrachetete er zuerst den Nationalsozia-
20
Nieswandt bereits aufgezeigte Bereiten des Goumlttlichen legt Heidegger in seinen
Begriff der Geschichte
Geschichte ndash das Gewagtwerden der Goumltter nur Groszlig als Untergang oderSieg ndash nicht Dauerlsquo wesentlich ndash sondern die Abgruumlndigkeit der Erstrei-tung ndash Opfer und Weile
Historie ist bei Heidegger bdquogeschichtliche Entwurzelungldquo die bdquoTyrannei der
Technikldquo bdquoSelbstvergoumltterungldquo und bdquoAbgoumltterei der Technikldquo72 In einer skizzen-
haften Emanationsfolge wird dieHistorie als Modus der Technik auf sich selbst zu-
ruumlckgefuumlhrt bdquoDas Riesige ndash [] Historie die Technik der Geschichtelsquo Technik
Die Historie der Naturldquolsquo73 Es ist vage annehmbar dass Heidegger hier die Tech-
nik als rechenhafte machenschaftliche Historisierung der Natur versteht die vor
dem Geschichtsbegriff stattgefunden haumltte Diese wiederum haumltte die Geschichte
in die rechenhafte Machenschaft verfremdet Wie ein Apparat erscheint Heidegger
der Gegenstand seiner Historie zu sein die sich automatisch durchsetzen wuumlrde
Die Historie stellt zunaumlchst das Nacheinander der Begebenheiten dessenwas vorbeizieht (passiertlsquo) her [] Sie erklaumlrt dann Spaumlteres aus dem Fruuml-heren sie findet sogar dass Ideen die Geschichtelsquo bestimmen74
Den historisierend narrativen Umgang mit Geschichte als Wissenschaft emp-
findet Heidegger als Technisierung derGeschichte Diese wiederum basiert auf den
statischen Topoi seiner Mythen von Vaterland Bauerntum Houmllderlin alten Grie-
chen den Goumlttern etc und der Anwendung des Aletheia-Prinzips im Ereignis
Das ist ein Tugendenkatalog der Deutschtuumlmelei mit einer paumldagogischen Kom-
ponente seine Mythologie im Aletheia-Prinzip zu praktizieren Er nennt dieses
Geschaumlft auch Denken und ahnt dessen Feinde bdquodie Forscher die in der Technik
ihres Arbeitens keine Reibung dulden und ihr Wissen fuumlr den Geist haltenldquo75
lismus und nach dem Krieg den real existierenden Sozialismus des Ostblocks im Zuge deratomaren Aufruumlstung als Vollstrecker Macher der Geschichte die den neuen Anfang ebnensollten Dass Heidegger diese bdquoklaumlrendeldquo Wirkung tatsaumlchlich spaumlter den Russen zuschreibtlaumlszligt sich in Band 97 der GA zweifelsohne nachvollziehen Hier kann aus Gattungsgruumlnden(BA-Thesis) nicht naumlher auf dieses Faible fuumlr absolutistische Regime eingegangen werden Je-denfalls ist die geschichtliche Besinnung und der Kriegsakt ein Widerspruch den Heideggerjedoch gleichsam adressiert Auch dies kann hier nicht weiter untersucht werden
72 GA 9473 GA 95 S 35174 GA 96 S 6275 GA 97 S 509
21
Insofern verschraumlnkt Heidegger das bdquohistorisch-technischeldquo zum Antagonis-
ten der bdquogeschichtlichen Besinnungldquo Es ist die Entwicklung einer historisch-
geschichtlichen Differenz unter dem Zeichen der Besinnung gegen die techni-
sche Machenschaft ndash es geht um zwei unterschiedliche Wissenssysteme76 In den
Schwarzen Heftenwird Technikmeistens als eine Seite der Muumlnze mit der anderen
der Historie genannt Sie haumltten eine schon angedeutete dualistische Dynamik
Wo beide Historie und Technik in solcher scheinbaren Gegensaumltzlichkeitverkoppelt sind koumlnnen sie sich zur Foumlrderung dessen zusammenschlieszligenwas einstmals wesentliche die Geschichte des Menschen mitbegruumlndet undwas wir die Kunstlsquo nennen Die Historie verschafft [] Anregungen undVorbilder der Nachahmung die Technik erleichtert [] die Zustellung vonDarstellungsmitteln und Wirkungsformen [] Gleichwohl ist alles wurzel-los [] berechnet und als Erlebnislsquo ausgegeben77
Diese vermeintliche Gefahr muumlnde als bdquoZuumlgellosigkeit des Historismusldquolsquo in der
bdquoBodenlosigkeit [] (das Judentum)ldquo78 Heideggers Mythos ist hier dieser bdquoWir
muumlssen zuvor geschichtlich sein [] Ohne diese uumlberlieferung verfaumlllt alles der
historisch-technischen Machenschaftldquo79
Heidegger mythologisiert uumlber den bdquoAuftrag des Deutschenldquo80 will in bdquoge-
schichtlicher Besinnung sehr weit zuruumlckgehen ndash auf den Zusammenhang von
τέχνη ἀλήθεια und οὐσίαldquo81 um Technik auf ihr Wesen im antiken Ursprung
zuruumlckzufuumlhren bdquoDie techne hat [] den Sieg uumlber die [] aletheia errungenldquo82
Heidegger will sie zuruumlckgewinnen Er will der Technik aus dem bdquoEreignisldquo83
wieder uumlbermaumlchtig werden und sieht das bdquoWesen des Vaterlandesldquo84 im Abend-
land Dabei ist es ihm unentbehrlich zu wissen bdquodaszlig das Griechentum [] und
76 Heideggers noch immer vorhande Rezeption in Puncto seiner Technikphilosophie erstauntdamit dass sein Prinzip der aletheiologischen Besinnung als alternatives Wissenssystem undTechnikkritik ob der eigenwilligen Konstruktion den Entwicklungen der Zeit standhaumllt
77 GA 95 S 21278 GA 95 S 9779 GA 96 S 10480 GA 94 S 6681 GA 94 S 35782 GA 95 S 13283 Ebd84 GA 96 S 52
22
nicht das Roumlmertum der Grund der Geschichte des Abendlandes istldquo85 Sein My-
thos von Heimat verknuumlpft sich uumlber Dichtung und Ereignis zu einem fuumlr die
Technikphilosophie essentiellen Bezugs-Topos
Wir brauchen keine Technik [] Das Wesen des Vaterlandes ist das Abend-land In ihm werden die Deutschen erst deutsch und erkennen die Muttervon Allem die unversehrte Erde [] Die Wahrheit erfahren wir im Ge-daumlchtnis Das Gedaumlchtnis ist die Dichtung Die Dichtung sagen der Denkerund Saumlnger in ihrem Gespraumlch Dieses Gespraumlch erst ereignet dichterisch dieDichtung in die Sprache (die Dichtung das Ereignis und das Ereignis dasAbendland) [] Wohnt in seiner Sprache [] seyd dem Seyn im Seyn Soist Sein das Seyn86
Eine weitere mythologische Form haben seine Fuumlgungen von Jahreszahlen
womit er bereits in den Bereich des Okkulten Mystischen abzurutschen droht
Houmllderlin wurde [] 1770 geboren [] 1870 aber Lenin Waumlhrend der []Lebenszeit Houmllderlins vollzogen sich die entscheidenden technischen Entde-ckungen und Erfindungen der neuzeitlichen Technik (1774ndash1806)87
Und ferner bdquo1807 Phaumlnomenologie des Geistes 1867 Das Kapital 1927 Sein
und Zeitldquo88
Als letzter Mythos sei hier sein Aufgriff der Spenglerschen Metapher des
Raubtiers89 aufgezeigt Uumlber weite Strecken philosophiert Heidegger uumlber das his-
torische Tier Das historische Tier muumlsse vernichtet werden die bdquodeutsche Zukunft
wirdlsquo nicht erst seinlsquo sie istlsquo schon seit Houmllderlin sie stifteteldquo90 Der Homo
faber ist fuumlr Heidegger das historisch-technische Tier qua der bdquoAngewiesenheit auf
das Tierhafte als Wesensgrundldquo91 Es fehle ihm was bdquodie Griechen als Anfangen-
deldquo mit der bdquoZugewiesenheit des Menschen zum Sein gewagt habenldquo92 wodurch
85 GA 96 S 20586 GA 97 S 52f Hierbei handelt es sich um eine Nachkriegsnotiz Heidegger aumlnderte den die
Adressierung in eine direkte Ansprache richtet sich an seine imaginierte Volksgemeinschaft87 GA 96 S 17488 GA 97 S 131 Womoumlglich ist es eine Uumlbung per Jahreszahlen das Aletheia-Prinzip zu prakti-
zieren eine Kontemplationshilfe Andererseits koumlnnte er auch der Regelmaumlszligigkeit der Zah-lenfolgen eine uumlbernatuumlrliche bdquoWahrheitldquo beimessen Dies bleibt an dieser Stelle unerforscht
89 VGl Spengler Oswald Der Mensch und die Technik Muumlnchen 1931 S 1090 GA 95 S 19791 GA 95 S 32092 GA 95 S 321
23
er den bdquoGoumlttern unertraumlglich gewordenldquo93 waumlre Das bdquoRaubtierldquo dem gegenuumlber
bdquoist die Urform des Heldenlsquoldquo94 Dann behauptet Heidegger dass das Raubtier das
historisch-technische Tier durch Anwendung seiner eigenen Waffen schlagen koumlnn-
te Es ist dabei die bdquoUumlberwindung der Metaphysikldquo mitgedacht die erfolge sobald
sich das metaphysische Fragen durch den Wille zum Willen verfestigt95 Auch
Spengler dachte an dieses Derivat des Nietzsche Topos vomWillen zur Macht das
er seiner antropomorphen Chimaumlre vom Raubtiermenschen eingibt Wieder ist
von der Gewalt die Rede die ein Tabula rasa schaffen sollte zur Wiederauferste-
hung des griechisch-abendlaumlndischen Anfangs in Deutschland bdquoDas Raubtier aber
mit denMitteln der houmlchsten Technik ausgestattet ndash vollendet die Verwirklichung
der brutalitas des Seinsldquo96
Es scheint so als haumltte Heidegger auf jeden Begriff einen Gegenbegriff (selbst
zum historisch-technischen Tier das Raubtier)97 Aber es geht hier nicht um die
Analyse ausgewogener Formprinzipien oder die Kritisierung seiner linguistischen
philologischen Faumlhigkeiten Die Zitierung der Heideggerschen Mythologie soll
seine Verbindung von voumllkisch-nationaler und antisemitischer Haltung mit den
Bedingungen und Anspruumlchen seines Philosophierens aufzeigen Da die Schwar-
zen Hefte wie alle sonstigen Werke seines philosophischen Schaffens in der GA
erschienen sind muumlssen sie insofern als Teil derer gelten Das bedeutet dass sie
ausreichend Relevanz fuumlr die Arbeiten uumlber die Technik haben98
93 GA 95 S 23694 GA 95 S 39795 Vgl GA 7 Uumlberwindung der Metaphysik S 7896 GA 95 S 39797 Vgl Rudolph Heideggers Schwarze Hefte im Echo S 151 bdquoKeiner hat Nietzsche so konse-
quent und wahnwitzig zumNazi avant la lettre verformt wie Heidegger und keiner hat einenzuvor gewaltsam gefuumlgig gemachten Nietzsche so konsequent instrumentalisiert um damitdie vulgaumlr- nationalistische Dekadenz im Sandwich zu geiszligeln wie Heidegger Die Philolo-gie ndash auch die klassische ndash (Colli Cancik Montinari) hat Nietzsche inzwischen laumlngst mitnachhaltigem Erfolg rehabilitiert Wer jetzt noch einen roten Faden von Nietzsche zu Hitlerzieht hat nur noch Heidegger auf seiner Seiteldquo
98 Zum Abschluss dieses Kapitels sei hinzugesagt dass der Veranschlagung der Beispiele vonHeideggers Mythologie ein Exzerpt von 13 Seiten aus 1700 Seiten Text der vier Baumlnde derSchwarzen Hefte zugrunde liegt Beim Studium dieser fielen die staumlndigen Repetitionen derimmer gleichen Figuren und Metaphern auf Daraus wurde geschlossen dass es sich um eineMythologie handeln kann was ein weiteres Forschen bestaumltigte Die hier zitierten Stellensind Topoi die sich in Huumllle und Fuumllle in jedem der vier Baumlnde finden lassen was ihrenmythischen Charakter unterstreicht Die Auswahl versucht ein besonders charakteristischesBild wiederzugeben
24
3 Heideggers mythopoetische
Technik
War Heidegger von seinem neuen Anfang nur zu traumlumen vergoumlnnt so gelang
ihm selbst aber die Wiederauferstehung aus der Asche des ZweitenWeltkriegs mit
der Vortragsreihe in Bremen (1949) uumlber die Technik Der Phoumlnix erweist sich
mittlerweile als Ikarus Anstatt sich selbst zu revidieren fordert Heidegger eine
Kehre ein die auf sein Programm der geschichtlichen Besinnung zum Ursprung ab-
zielt Rezipienten seiner Technikphilosophie taten zumeist seine voumllkischen und
nationalsozialistischen Verstrickungen mit der Niederlegung des Rektorats ab99
Sie glaubten an einen inneren Wandel Heideggers eine Laumluterung und sogar an
seinen geistigen Widerstand uumlber die Naziherrschaft hinweg100 Heute ist erwie-
sen wie Heidegger es aus seinem posthumen Gestaumlndnis in die Welt lecken laumlsst
dass er auf seine private Weise eine Form Nationalsozialismus hegte der die NS-
DAP und Hitler zwar als Vulgaumlrnazis kulturell degradierte aber sich selbst als
Denker-Nazi gerierte
Wie damit umzugehen ist steht aktuell in der Verhandlung Wie Rudolph es
behauptet stuumlnden die Heideggerianer bdquonun mit wertlosen Aktienldquo101 da Der
Kommunikationswissenschaftler Christian Fuchs sieht den Antisemitismus den
die Schwarzen Hefte zutage treten lassen als Notwendigkeit einer rigorosen Ver-
bannung Heideggers aus der technikphilosophischen Theorie102
99 Vgl Luckner Andreas Heidegger und das Denken der Technik Bielefeld 2008 S 64-69100 Vgl Babich Babette Nietzsche Heideggers Widerstand In Alfred Denker u Holger Zabo-
rowski (Hg) Heidegger-Jahrbuch 5 Heidegger und der Nationalsozialismus II Interpreta-tionen S 397-416
101 Rudolph Heideggers Schwarze Hefte im Echo S 146102 Vgl Fuchs Christian Martin-Heideggerrsquos anti-Semitism Philosophy of technology and the
media in the light of the ldquoBlack Notebooksldquo Implications for the reception of Heidegger inmedia and communication studies In tripleC Communication Capitalism amp Critique 13(1) (2015) S 55-78 hier S 74 Anstatt dessen pocht Fuchs auf die alternative Verwendungder Kritischen Theorie uumlber Fragestellungen zur Technik
25
It seems to me that Heideggerrsquos fetishism is often lrsquoart pour lrsquoart Heideg-ger pour Heidegger a tactic that aims at creating an aura of complexity byevoking Heidegger although the same content could be expressed withouthim103
Fuumlr Trawny waumlre dies ein bdquoperformativer Widerspruch [] stets daran zu erin-
nern Heidegger vergessen zu sollenldquo104 Quo vadis Heidegger
Die objektive Antwort Rudolphs der an den Commonsense und die Beweis-
last der Anklage glaubt wie auch der subjektive Appell Fuchs der es zur mora-
lischen Entscheidung des Einzelnen macht Heidegger zu vernachlaumlssigen setzen
aktuell die Jahrzehnte alte Tradition der Heidegger-Kontroverse fort Ein im Sep-
tember 2016 erscheinender Sammelband wird zusaumltzlich die Debatte mit neuen
Bewertungen anreichern105
In diesem Kapitel soll es nicht um die direkte Einreihung in eine der bestehen-
den Polemiken gehen sondern um den Versuch der Betrachtung der spaumlten Tech-
nikphilosophie Heideggers als mythopoetische Dichtung in seinem Sinne des
Philosophierens Als exemplarisches Werk ruumlckt damit das Vortrags-Geviert der
Bremer Vortraumlge ins Zentrum der Anschauung106 Hier wird davon ausgegangen
103 Ebd S 73104 Trawny Heidegger und der Mythos der juumldischen Weltverschwoumlrung S 141105 Heinz Marion und Kellerer Sidonie (Hg) Martin Heideggers raquoSchwarze Heftelaquo Eine
philosophisch-politische Debatte Berlin 2016 (im Druck) Aus dem Klappentext diesesTitelsbdquoOffene antisemitische Aumluszligerungen in diesen Denktagebuumlchern haben in der nichtakade-
mischen Oumlffentlichkeit fuumlr Empoumlrung gesorgt Die entscheidende Frage ist jedoch welcheVeraumlnderungen der Perspektive auf Heideggers Denken insgesamt sich dadurch ergebenund ob damit zugleich eine Neubewertung des Gesamtwerks eines der einflussreichstenPhilosophen des 20 Jahrhunderts noumltig istldquoEine der Herausgeberinnen des Bandes Sidonie Kellerer ist zudem an einem anlaufenden
fuumlnf jaumlhrigen Forschungsprojekt an der Universitaumlt Stuttgart im Rahmen des StuttgartResearch Centre for Text Studies beteiligt Heidegger und die Postmoderne Geschichteeiner Irrefuumlhrungiquest Sie und der Stuttgarter Literaturwissenschaftler Claus Zittel werden Hei-deggers ideologische Verstrickungen in den Nationalsozialismus untersuchen die textlichrekonstruierbar aber nachtraumlglich geklittet worden waumlren bdquoSo konnte die Wissenschaft-lerin Dr Sidonie Kellerer anhand des Vortrages Die Zeit des Weltbildeslsquo erstmals 1950veroumlffentlicht [sic] dass zahlreiche Passagen nachtraumlglich so modifiziert wurden dass dieurspruumlngliche Apologie des Nationalsozialismus nunmehr als Kritik am Regime gedeutetwerden konnte Die 2014 erschienenen Schwarzen Heftersquo mit persoumlnlichen AufzeichnungenHeideggers bestaumltigen zudem wie tief verankert in seiner Philosophie Rassismus undNationalsozialismus waren und bliebenldquo(httpwwwuni-stuttgartdehkompresseservicepressemitteilungen201567_kellererhtmlzuletzt abgerufen am 1442016)
106 Von einer umfassenderen Analyse der Schriften Heideggers zur Technik muss aus Platzgruumln-den abgesehen werden Die Voumlrtraumlge vom Ge-stell der Technik der Kehre und dem Dingsind vor allem wegen ihres Publikationszeitraums interessant da sie direkt an die Dokumen-
26
dass Heidegger den Versuch der abgrenzungspolitischen Einflussnahmemacht ge-
maumlszlig der oben dargelegten Ressentiments die sich in einer Mythologisierung des
Abendlandes niederschlagen Um seinem Ideal des dichtenden Denkens als Philo-
sophieren nachzukommen will Heidegger diese Einschreibung des Abendlandes
mythopoetisch vollfuumlhren
Grundsaumltzlich ist Verbindung und Trennung Heideggers boumlser Schwarzer Hef-
te mit und von seiner guten Technikphilosophie das Schlachtfeld aktueller De-
batten Wie bereits darauf hingewiesen werden hier Schwarze Hefte und Veroumlf-
fentlichungen wie eben in Form der Bremer Vortraumlge als ein kontinuierlicher
Arbeitsprozess gesehen Es gibt insofern nur einen Heidegger und keine gespal-
tene Persoumlnlichkeit Die Siegener Philosophin Sodonie Kellerer stellt dies anhand
Heideggers Selbstsicht luzide dar
Seine immer wiederkehrende Beschwoumlrung des Werkeslsquo und seine an diver-sen Stellen der bislang vorliegenden Briefkorrespondenz artikulierten Be-muumlhungen dieses Werklsquo fuumlr die Nachwelt zu sichern [Kellerer bezieht sichhier ua auf Heideggers Briefwechsel mit seiner Frau der 2007 veroumlffentlichtwurde DS] verdeutlichen wie sehr er seine Texte als ein Ganzes verstandin dem keines der Teile entbehrliche Wiederholung geschweige denn irrele-vante Eroumlrterung ist107
Dabei allerdings wird die Frage offen bleiben mit welchem Maszlig er sich selbst ge-
faumlhrdet sah seine Ansichten oumlffentlich zu vertreten und welche Konsequenzen er
dabei fuumlrchtete Denn er musste die Vortraumlge kodieren ndash was er im Sinne der My-
thopoetik auch macht ndash und mit Einigem hinterm Berg halten108 Dass es dabei
verschiedene Offenbarungsebenen gibt wird hier erst einmal hingenommen Es
interessieren staumlrker nachweisbare Bezuumlge des Entwurfsdenkens Heideggers zur
Oumlffentlichkeitsarbeit von ihm109
te der Schwarzen Hefte anschlieszligen (1948 der letzte Band der Schwarzen Hefte umfasst denZeitraum 1942-1948)
107 Kellerer Sidonie Kampf der Besinnung In Deutsche Zeitschrift fuumlr Philosophie Band 63Heft 5 Seiten 941ndash957 hier S 942
108 Weshalb die Veroumlffentlichung der Schwarzen Hefte auch weitestmoumlglich nach hinten verlegtwurde
109 Wuumlrde man dem entgegenhalten dass Heideggers vermeintliches Genie aus Formalisierun-gen seiner Gedanken ableitbar eine wichtige Quelle an sich bliebe scheitert dieses damitdass nun die Formalisierungen nicht personenneutral sozial-epistemologisch bestehen koumln-nen Als Vergleich wuumlrde man aus Hitlers und Goumlbbels Reden Formalisierungen isolierenlieszlige sich bestimmt die eine oder andere plausible Idee entwenden (wenn sie voumlllig dekon-
27
Hierzu wird der Text der gesamten vier Vortraumlge unter dem Titel Einblick
in das was ist Bremer Vortraumlge 1949lsquo110 aus dem 1994 veroumlffentlichten 79 Band
der GA zugrunde gelegt Das hat den Grund dass davon ausgegangen wird dass
der Text somit am naumlchsten an den 1949 tatsaumlchlich vorgetragenen Manuskripten
liegt Insofern ist eine realistische Annaumlherung an eine mythopoetische Uumlbertra-
gung der Schwarzen Hefte in die Bremer Vortraumlge 1949 das Ziel Demgegenuumlber
gibt es ob der virulenten Publikationspraxis von Heideggers Schriften111 noch
andere Auskopplungen der vier Vortraumlgsteile mit den Titeln Das Dinglsquo Das Ge-
Stelllsquo Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo
31 Zur Publikationsgeschichte von den
Bremer Vortraumlgen 1949
Zuerst erschien 1954 im Neske-Verlag (Pfullingen) ein Sammelband der lediglich
den ersten Vortrag Das Dinglsquo enthaumllt allerdings in leicht erweiterter Fassung
so wie er ein halbes Jahr nach dem Bremer Auftritt in Muumlnchen (1950) an der
Akademie der Schoumlnen Kuumlnste gehalten wurde112 Dem Band hinzugefuumlgt ist aber
zudem ein Vortrag der vornehmlich die Kernaussagen von Das Ge-Stelllsquo und
Die Gefahrlsquo verbindet allerdings in modifizierter Form Dieser wurde unter dem
textualisiert wuumlrde) Ist aber die wahre Verbindung zu Hitler und Goumlbbels hergestellt hatman selbstverstaumldlich die Verantwortung zu tragen an dem ganzen Tross von unmoumlglichenVerfehlungen dieser Menschen die sie fuumlr uns zu Personae non gratae stempeln muumlssen
110 GA 79111 Hierauf macht auch der Darmstaumldter Philosoph Gernot Boumlhme aufmerksam als Akt ei-
ner bdquoposthumen Selbstinszenierungldquo in Boumlhme Gernot Selbstinszenierung uumlber Ruhmin der Philosophie In Information Philosophie (Online Ausgabe 12015) URL=lthttpwwwinformation-philosophiedea=1ampt=8232ampn=2ampy=5ampc=29gt zuletzt ab-gerufen am 2442016)
112 Heidegger Martin Das Ding In Ders Vortraumlge und Aufsaumltze Pfullingen 1954 S 163ff
28
Titel Die Frage nach der Techniklsquo113 am 18 November 1953 an der TUMuumlnchen
gehalten
Eine weitere Auskopplung diesmal des letzten Vortragsteils Die Kehrelsquo fin-
det sich in einem broschuumlrenformatigen Band wiederum im Zusammenspiel mit
dem Vortrag Die Frage nach der Techniklsquo in Die Technik und die Kehrelsquo114 von
1962 wieder Somit wurden die Vortraumlge Das Ge-Stelllsquo und Die Gefahrlsquo lange
Zeit nicht veroumlffentlicht sondern als vermischter und modifizierter Text eben
Die Frage nach der Techniklsquo jeweils zusammen mit Das Dinglsquo (1954) und Die
Kehrelsquo (1962) angeboten115 In der Vorbemerkung zu Die Technik und die Keh-
relsquo wird diese kleine Chronologie leicht verfaumllscht auch aufgezeigt Darin heiszligt
es ferner dass Die Frage nach der Techniklsquo eine erweiterte Fassung von Das Ge-
Stelllsquo waumlre Dem ist wie schon gesagt nicht so Sondern es ist eine modifizierte
Vermischung von Das Ge-Stelllsquo und Die Gefahrlsquo was unschwer zB am Begriff
vom bdquoHer-vor-bringenldquo116 zu erkennen ist der in Die Gefahrlsquo eingefuumlhrt wird
und in Die Frage nach der Techniklsquo die gleiche Bedeutungskonstituente bildet
Mit der Veroumlffentlichung des 79 Bandes der GA 1994 wurden alle vier Bremer
Vortraumlge von 1949 publiziert In Band 11 der GA erschien 2006 auszligerdem Die
Kehrelsquo in ihrer urspruumlnglichen Fassung Die Frage nach der Techniklsquo enthaumllt
weniger mythopoetische Teile als Das Dinglsquo und operiert demgegenuumlber staumlrker
anhand klassisch philosophischer Allgemeinplaumltze Derer sind vor allem zu nen-
113 Heidegger Martin Die Frage nach der Technik In Ders Vortraumlge und Aufsaumltze Pfullingen1954 S 9ff (Der Aufsatz erschien ebenfalls 1954 im Sammelband der Vortragsreihe DieKuumlnste im technischen Zeitalter Heidegger Martin Die Frage nach der Technik In DieKuumlnste im technischen Zeitalter Dritte Folge des Jahrbuchs Gestalt und Gedanke Hg v dBayrischen Akademie der Schoumlnen Kuumlnste Muumlnchen 1954 S 70ff)
114 Heidegger Martin Die Technik und die Kehre Pfullingen 1962115 Beide Baumlnde Votraumlge und Aufsaumltzersquo sowie Die Technik und die Kehrersquo haben hohe Aufla-
genzahlen (Uumlbersetzungen wurden hier nicht recherchiert wobei es aber eine internationa-le Heidegger-Rezeption gibt) 1993 wurde der Pfullinger Neske-Verlag von dem StuttgarterHaus Klett-Cotta uumlbernommen was die Buumlcher aber unveraumlndert belaumlsst Vortraumlge und Auf-saumltzelsquo zaumlhlt seit 2009 die 11 Auflage Die Technik und die Kehrelsquo seit 2014 die 13 BeideBaumlnde sind vergriffen Es mutet unverstaumlndig an weshalb eine fehlerhafte Jahresangabe ausder ersten Veroumlffentlichung von Die Technik und die Kehrelsquo bis 2014 kolportiert wurdeDort steht der Vortrag Die Frage nach der Techniklsquo waumlre am 18 November 1955 gehaltenworden Der Vortragstermin war aber am 18 November 1953
116 Vgl GA 79 S 64 Und Heidegger Die Technik und die Kehre S 11
29
nen die Auflistung der bdquovier Ursachenldquo117 nach Aristoteles und die Kritik an der
Technik als bdquoein Mittel zu Zweckenldquo118 (Kausalitaumlt)119
Der Vortrag Das Dinglsquo galt Heidegger bei der Darbietung seiner Technikphi-
losophie nach dem Zweiten Weltkrieg allerdings als unentbehrlich ndash und damit
seine groszligflaumlchige Aufblaumltterung der Mythopoetik wie im folgenden Kapitel hier
gezeigt wird Denn im Vortrag Die Frage nach der Techniklsquo benutzt Heideg-
ger noch immer seinen mythopoetischen Topos vom Versammeln des Gebirges
der mit dem Versammeln eine Konstituente des Gevierts ist (bdquoErde und Himmel
die Goumlttlichen und die Sterblichenldquo120) (su)121 Fuumlr die Kaumlufer und Leser von
der spaumlteren Veroumlffentlichung Die Technik und die Kehrelsquo wird zudem in Die
Kehrelsquo extra auf den Vortrag Das Dinglsquo in der 1954er Ausgabe in Vortraumlge und
Aufsaumltzelsquo verwiesen122 Das zeigt wie wichtig und unerlaumlsslich Heidegger seine
mythopoetische Denkweise der Technik ist Auch wenn er in Die Frage nach der
Techniklsquo einen allgemeineren und offeneren Ansatz entwickelt hat der dadurch
auch leichter zu erschlieszligen ist
32 Die mythopoetische Spiegelung der Schwarzen
Hefte in den Bremer Vortraumlgen von 1949
321 Das Dinglsquo
In dem Vortrag Das Dinglsquo der 1949 vor dem privaten Club zu Bremen dort im
Neuen Rathaus das Vortragsquartett einleitete fuumlgt Heidegger mythopoetisch
zusammen was folgenden Topoi seiner Schwarzen Hefte aus Kap 221 entspricht
117 Heidegger Die Technik und die Kehre S 6118 Ebd S 6119 Diese Topoi versucht Heidegger in dem Text zu zersetzen und ihnen ein aletheisches Prin-
zip des Entbergens der Technik entgegenzusetzen Dies erfolgt wiederum auch anhand derVerwendung von mythopoetischen Teilen Darauf kann hier aber nicht weiter eingegangenwerdenAls weitere Gemeinsplaumltze (die er teils unterstuumltzend teils zur Zersetzung einfuumlgt) handelt
der Text auch mit Zitaten von Platon Heisenberg J P Hebel und Goethe120 Ebd S 12121 Vgl GA 79 S 11 Und Heidegger Die Technik und die Kehre S 19122 Vgl Heidegger Die Technik und die Kehre S 42f
30
1 die antirationale Wissenschaftsfeindlichkeit 2 der Mythos des Goumlttlichen 3
das Griechentum uumlber dem Roumlmertum 4 die Zahlenmystik (anhand des Spiegel-
Spiels des Gevierts ndash su) 5 das geschichtsbesinnliche Prinzip der Aletheia
Heidegger stellt zuerst die Frage nach dem Ding und will sie daraufhin ver-
anschaulichen mittels der Metapher des Kruges dh mit dem Krug als ein exem-
plarisches Ding Er fuumlhrt dann vor (was der Geste eines Zauberkuumlnstlers aumlhnelt)
wie der leere Krug gefuumlllt wird ndash Luft weicht der Fluumlssigkeit Dieses Sachverhaumllt-
nis aber ist fuumlr ihn Halbpoesie und eine Angabe aus der Physik sie verfehle das
vermeintliche Wesen des Kruges
Die Wissenschaft stellt durch sie [die Angabe der Physik DS] etwas Wirk-liches vor wonach sie sich objektiv richtet Aber ndash ist dieses Wirkliche derKrug Nein DieWissenschaft trifft immer nur auf das was ihre Art des Vor-stellens im vorhinein als den fuumlr sie moumlglichen Gegenstand zugelassen hat[] Die Wissenschaft macht das Krug-Ding zu etwas Nichtigem insofernsie Dinge nicht als das Maszliggebende zulaumlszligt123
Als ein wirkmaumlchtiges Beispiel das ihm sicherlich viel Beachtung uumlber die
Jahrzehnte seit ihrer Zuumlndung in Japan hinweg einbrachte fuumlhrt Heidegger die
Atombombe an Diese sei zu verstehen als verdinglichte Wissenschaft die das
Ding vernichten wuumlrde
Deren Explosion ist nur die groumlbste aller groben Bestaumltigungen der langherschon geschehenen Vernichtung des Dinges dessen daszlig das Ding als Dingnichtig bleibt124
Er buumlndelt damit Wissenschaft und Verkennung des Wesens als maszliggebend mit
dem Ding als sein machenschaftliches Prinzip der zerrechnenden Zerstoumlrung Drei
Jahre nach Kriegsende war der buumlrgerlich-elitaumlre Kreis in Bremen sicherlich be-
wegt von dieser Wortgewalt Diese jedoch suchte ja ihr Heim Harmonie Ruhe
in dem Haus als Wesen der Sprache
Und so faumlhrt Heidegger fort und ersetzt das physikalische Prinzip des Inhalts-
wechsels von Luft zu Wein in ein bdquoGeschenk des Gussesldquo als Spende und Opfer
den Goumlttern (2)125
123 GA 79 S 8124 Ebd S 9125 Vgl Ebd S 11f
31
Der Guszlig ist der den unsterblichen Goumlttern gespendete Trank [] Der ge-weihte Trank ist das was das Wort Guszliglsquo eigentlich nennt Spende und Op-fer Guszliglsquo gieszligenlsquo lautet griechisch χέειν indogermanisch ghu Das bedeu-tet opfern
Hier spielt bereits der Ursprungsmythos der Griechenmit ein (3) es ist aber auch
ein Bezug auf das Geviert Dieses waumlre ein System ein zusammen Gestelltes aus
bdquoErde und Himmel die Goumlttlichen und die Sterblichenldquo126 Im Guszlig des Trunkes
weilten gemeinsam diese Vier als emblematische Verbindung
Das im Geschenk Versammelte sammelt sich selbst darin das Geviert ereig-net zu verweilen Dieses vielfaumlltig einfache Versammeln ist das Wesen desKruges Unsere Sprache nennt was Versammlung ist in einem alten WortDies lautet thing127
Das Geviert zehrt von der Zahlenmystik zum einen als die Versammlung der
vier Begriffe an sich zum anderen da Heidegger ihnen eine Spiegel-Funktion
zuschreibt bdquoJedes der Vier spiegelt in seiner Weise das Wesen der uumlbrigen wie-
derldquo128 und ferner weil er damit auf sich selbst dh auf sein Vortrags-Geviert
verweist (4) Wie in Kap 21 schon gesagt lebt der Mythos von seiner Verbind-
lichkeit Diese legt Heidegger allen nah die sie verinnerlichen wollen bdquoSagen wir
die Sterblichen dann denken wir falls wir denken die anderen Drei mit aus der
Einfalt der Vierldquo129
Sollte der Vollzug der Praxis des sukzessiven Mitdenkens aller vier Geviert-
Entitaumlten gelingen koumlnnte das Ereignis der Aletheia begriffen werden (5) bdquoDas
Spiegel-Spiel von Welt ist der Reigen des Ereignensldquo130 Diese wird aber auch be-
griffen in Abgrenzung von dem Roumlmertum (3) denn in der bdquorealitas der resldquo
haumltten die Roumlmer bdquoihr Erfahrenes niemals eigens in seinem Wesen gedachtldquo131
Das waumlre den Griechen vorzubehalten und vom verstaumlndig denkenden Deutschen
wiederzubeleben
126 Ebd S 12127 Ebd S 13128 Ebd S 18129 Ebd130 Ebd S 19131 Ebd S 15
32
Der Krug ist ein Ding weder im Sinne der roumlmisch gemeinten res noch imSinne des mittelalterlich vorgestellten ens noch gar im Sinne des neuzeitlichvorgestellten Gegenstandes [] Der Krug ist Ding insofern er dingt132
Die Bindung an das deutsche Wort bdquoDingldquo das er spielerisch auch ins Englische
Romanische und Franzoumlsische uumlbersetzt ist unerlaumlsslich fuumlr seine ethymologi-
sche Argumentation In der ist der bdquoGuszligldquo ruumlckgefuumlhrt auf indogermanisch bdquoghuldquo
und das bdquoDingldquo auf das mittelhochdeutsche bdquothingldquo So konnten antik die Roumlmer
von den Griechen abgrenzt werden und modern die anderen drei Sprachen vom
Deutschen Das englische sich sehr nah am bdquothingldquo befindliche bdquothingldquo wird mit
dem Roumlmischen ausgespielt
Im Englischen hat thing noch die erfuumlllte Nennkraft des roumlmischen Wor-tes res bewahrt [] dh ein aus sich kommendes den Menschen Angehen-des133
Fuumlr Heidegger geht es beim bdquothingldquo aber um die mittelhochdeutsche Uumlbersetzung
der Versammlung Darauf beruht sein gesamter Systemansatz mit Geviert und
Ge-stell
Schulz-Nieswandt fuumlhrt diese Zusammenstellung zum Bejubeln von Heideg-
gers Mythopoetik
So fundamental sieht Heidegger die Welt Die Quelle des Wassers wird zurHochzeit von Himmel und Erde das Gieszligen des Wassers aus dem Krugzum Geschenk Auch Sprache ist daher kein Instrument sondern Ort desWohnens des Menschen Sprache wird zum Haus des Seinslsquo134
Hier bestaumltigt die Untersuchung des Ding-Vortrags die These von einer mytho-
poetischen Einschreibung der nationalistischen voumllkischen Abgrenzungs-Mythologie
aus den Schwarzen Heften
322 Das Ge-Stelllsquo
Der zweite Vortrag des Reden-Gevierts setzt ein mit der Metapher des fehlen-
den Abstands Wo kein Abstand sei da waumlre auch keine Naumlhe so Heidegger Er
132 Ebd S 16133 Ebd S 14134 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei Walter
F Otto S 59
33
verbindet die Abstandslosigkeit mit Urbanitaumlt und Verkehr alles fluktuiere Es
waumlre der Bestand der sich bestelle in dem das Abstandlose herrsche Das sind
neue Metaphern fuumlr die Machenschaft In seiner Erzaumlhlung vom Ge-Stell gibt es
bedeutend weniger mythopoetische Passagen als in dem vorangegangenen Vor-
trag Allerdings uumlbertraumlgt er den mythopoetischen Gehalt der Rede vom Ding
bereits im ersten Absatz von Das Ge-Stelllsquo mit dem Credo bdquoNaumlhe west insofern
das Ding dingtldquo135 Mit dieser Verbindung wird klar unter welchem Zeichen Hei-
degger die Rede vom Ge-Stell verstanden wissen will ndash als verlorenes Verhaumlltnis
des voumllkisch-traditionell verwurzelten Menschen mit den vermeintlichen Wesen
all seiner Gebrauchsobjekte in der mythopoetischen Formel des sich spiegelnden
Gevierts
Nahezu nuumlchtern erzaumlhlt Heidegger dann von dem Gefaumlngnis des Menschen
im Wesen der zirkulierenden sich immer neu bestellenden Bestandstechnik des
Ge-Stells Dabei scheinen folgende Mythen aus den Schwarzen Heften hindurch ndash
1 bdquoHistorie die Technik der Geschichtelsquo Technik die Historie der Naturlsquoldquo136
2 das historische Tier 3 der Appell an den Auftrag des Deutschen 4 der geschicht-
liche Mensch muss die Historie und damit die Technik uumlberwinden und 5 die
alles zernichtende Machenschaft des juumldischen Wesens
Den Topos der seinsvergessenen Groszligstadt jedenfalls kontrastiert er mit der
Bauerndorfidylle Da aber bdquodas Abstandlose herrschtldquo137 waumlre das Vorruumlcken der
Maschinentechnik bereits universell So in Form des Traktors Schon in Band
96 der Schwarzen Hefte beklagt er dieses bdquozum elektrischen Pflug [] gehoumlrt
das amerikanisch aufgemachte Magazinlsquoldquo Insofern erfolge die bdquoAngleichung der
Sitten der Bergbewohner an diejenigen des groszligstaumldtischen Sport- und Barbe-
triebsldquo138
Sein erster Land-Stadtvergleich betrifft den Bauern dessen Totenruhe tradi-
tionell in einem sg bdquoTotenbaumldquo (Sarg) stattgefunden haumltte ndash bdquoIn ihm gedeiht
der Tod des Totenldquo139 Dem gegenuumlber klingt in der bdquomotorisierten Bestattungs-
135 GA 79 S 24136 GA 95 S 351137 GA 79 S 24138 GA 96 S 54139 GA 79 S 26
34
industrie der Groszligstadtldquo140 bereits Heideggers pietaumltsloser Gaskammernvergleich
an
Ackerbau ist jetzt motorisierte Ernaumlhrungsindustrie im Wesen das Selbewie die Fabrikation von Leichen in Gaskammern und Vernichtungslagerndas Selbe wie die Blockade und Aushungerung von Laumlndern das Selbe wiedie Fabrikation von Wasserstoffbomben141
Hier wird davon ausgegangen dass es eine Uumlbertragung der Notizen uumlber
das deutsche Land als bdquoeinziges KZldquo ist die Unterdruumlckung des deutschen Vol-
kes durch die bdquoWeltdemokratieldquo die schlimmer sei als die Graumlueltaten der bdquoGas-
kammernlsquoldquo142 In die mythopoetische Formel von dem dingenden Ding aus dem
ersten Vortrag sind alle Valenzen eingeschrieben die es zur Aufgabe des abendlaumln-
dischen Deutschen (also als Nachfolger der alten Griechen) machen das Wesen
des Dings und somit der Technik zu huumlten Die Verantwortung fuumlr Genozid
Massenvernichtungswaffen und den Mangel im Nachkriegsdeutschland schreibt
Heidegger gleichfoumlrmig dem Prinzip der Abstandslosigkeit zu
Auch die Rede von der Habgier des Berechnenden ist ein bereits bekannter
Vorbehalt Heideggers anhand der Rede vom raffgierigen Juden Denn er sagt von
der bdquoHerrschaft des Abstandlosenldquo dass sie bdquodie Hab-gier des vorstellenden Be-
rechnensldquo waumlre143 Das entspricht seinem Mythos von der alles zernichtenden
Machenschaft des juumldischen Wesens144
Dann folgt eine lange Elegie uumlber das Bestellen des Bestands des Ge-Stells
bdquo[d]ie Kette des Bestellens laumluft auf nichts hinaus sie geht vielmehr nur in ihren
Kreisgang hineinldquo145 uumlber 19 Seiten des 21 seitigen Vortragsexts hinweg entwirft
Heidegger diverse Bilder wie das Ge-Stell die Natur das Hergestellte den Men-
schen und das Verstandesmaumlszligige vereinnahme und das Wesen desDings gleichsam
zur Veruntreuung bringen wuumlrde Wiederum poetisch orientiert kontrastiert also
140 Ebd141 Ebd S 27142 GA 97 S 99f143 Vgl GA 79 S 25144 Vgl Machenschaft hier S 29 und Geraff hier S 33145 GA 79 S 29
35
Heidegger Houmllderlins Hymne Der Rheinlsquo mit dem Rhein dessen Stroumlmung fuumlr
ein Stromkraftwerk genutzt wird
Achten wir um das Ungeheure das hier waltet zu ermessen nur auf einenAugenblick auf den Gegensatz der sich in den beiden Titeln ausspricht DerRhein verbaut in das Kraftwerk ndash der Rheinlsquo gesagt in der gleichnamigenHymne Houmllderlins146
Die Differenz also waumlre das Ungeheure147 Dabei waumlre der Rhein verbaut in das
Kraftwerk Aumlhnlich wie Kohle Erze und Rohoumll waumlren sie Bestand der bdquobesteht
im Bestellenldquo ndash bdquoDas Bestellen waumlre demnach lediglich eine Machenschaft des
Menschen vollzogen in der Weise der Ausbeutungldquo148
Das Bild des Wasserkraftwerks wird erweitert um den Begriff des Menschen
Elektrizitaumlt mit Wasserkraft erzeugen bdquokoumlnnen die Menschen [] nur insofern
sie selber schon in dieses Bestellen bestellt sindldquo149 Mit diesem Bild versucht Hei-
degger praktisch zu veranschaulichen dass Entwurf Umsetzung und Einsatz ei-
ner technischen Anlage den Menschen in ein entruumlcktes Verhaumlltnis zum Wesen
des dingenden Dings setze ndash bdquoDer Mensch ist darum der Angestellte des Bestel-
146 Ebd147 Das ist zusaumltzlich zu dem gemeinten Gegensatz ein Vergleich mit dem Heidegger dem Wort
bdquoRheinldquo in die Hymne Der Rheinlsquo gesprochen eine Energie erzeugende Wirkung zu-schreibt eben so wie das Kraftwerk Strom erzeugen wuumlrde Das wird klar dadurch dassHeidegger metaphorisch vom Stellen des Wortes bdquoRheinldquo in die Hymne spricht Es handeltsich um einen Appell zur denkerischen Besinnung Dass Heidegger dafuumlr eine technischeAnlage zur Veranschaulichung inspirierend wirken laumlsst spielt bereits in die Richtung derBegriffe bdquoHer-vor-bringenldquo bdquoEntbergenldquo und spielt auf das Alteheia-Prinzip an Darauf wirdweiter unten anhand Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo eingegangen werden Es handelt sich umdas Angebot eines mythopoetischen Umgangs mit Technik insbesondere wenn sie sich inheimische Gefilde einfuumlgtHeute koumlnnte man mit Windraumldern ebenso verfahren Somit koumlnnte aber auch Heidegger
als ein gewisser Quijana aus Mancha verstanden werden eben der Protagonist aus Miguel deCervantes Roman Don Quichote von der Manchalsquo der mit seinem von ihm flux auch um-benannten Klepper (weil er zuvor sich selbst in Don Quichote umtaufte) Rocinante Riesenbezwingen will um mit dieser Heldentat unsterblichen ritterlichen Ruhm zu erstreitenAuch Don Quichote fand seine Riesen in Windmuumlhlen und auch Don Quichote war uumlber
eine uumlbertriebene Auseinandersetzung mit einer verschuumltteten Kultur dieser verfallen undsuchte diese in seiner Aventuumlre zu reaktualisieren Martin Heideggers mythopoetisches Pro-gramm ist tatsaumlchlich stark mit Don Quichotes Motiv vergleichbarFerner waumlre eine Auseinandersetzung mit Heideggers Werk unter Beruumlcksichtigung sei-
ner Gewichtung der Vorsokratiker und Houmllderlin als mythopoetischen Autor eine moumlglicheForschung zum Thema Anachronismen in Konzepten von Moral und gesellschaftlicher An-gemessenheit (Vgl Cervantes Miguel de Don Quichote von der Mancha Herausgeben unduumlbersetzt v Susanne Lange Muumlnchen 2008 S 33f)
148 GA 79 S 29149 GA 79 S 30
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lensldquo150 Schon vorher wies Heidegger darauf hin bdquo[d]ie Herrschaft des Gegen-
staumlndigen sichert nicht den Abstandldquo151 Jetzt heiszligt es
Das Bestellen befaumlllt nicht nur die Stoffe und Kraumlfte der Natur mit Gestel-lung Das Bestellen befaumlllt zugleich das Geschick des Menschen Das Wesendes Menschen wird daraufhin gestellt das Bestellen in menschlicher Weisemitzuvollziehen152
Der Begriff des Ge-Stells wird daraufhin so konstruiert dass es im Bestellen
um ein Stellen (Herausfordern) alles bdquoAnwesenden als Bestandldquo als bdquoversus unumldquo
gegen bdquodas Eine Ganzeldquo gehe153 In wiederum mythopoetischer Formulierung ge-
baumlre die bdquoVersammlung des Stellens worin alles Bestellbare in seinem Bestand
west das Ge-Stellldquo154 Der Begriff bdquoVersammlungldquo wird einen Absatz zuvor my-
thopoetisch wieder an die Versammlung also das thing eben das wesenhafteDing
angelehnt und somit wie zu Das Dinglsquo bereits oben erlaumlutert in einen deutsch-
abendlaumlndischen Kontext gestellt (3)
Wir nennen die Versammlung der Berge die von sich her einig und nienachtraumlglich schon gesammelt ist das Gebirge Wir nennen die Versamm-lung der Weisen nach denen uns so zumute ist und sein kann das Gemuumlt155
Allerdings ist obiges Versammlungsmodell hier als Kontrast zu sehen zu dem
bdquoGeraff des Getriebesldquo das das Ge-Stell darstellt als bdquoWesen der Technikldquo156 Hei-
degger sieht in der Gleichfoumlrmigkeit die zum Wesen des Technik als Ge-Stell
150 GA 79 S 30151 GA 79 S 25152 GA 79 S 31153 Vgl GA 79 S 32154 GA 79 S 32155 Ebd
Das Wort ldquoGemuumltrdquo hat ferner eine ausschlieszliglich deutsche Praumlgung gibt es doch keinedirekte Uumlbersetzungen Gemuumlth ist ferner ein nicht eindeutig umrissener Begriff (Vgl Kra-mer Cheryce A Foolrsquos Paradise The Psychiatry ofGemuumlth in a Biedermeier Asylum Chica-go 1998 S 19) Die Bedeutung im Deutschen selbst ist zudem sehr variabel hat aber zumeistmit Seelen- oder Geistkonzepten zu tun ndash Cheryce von Xylander (geb Kramer) uumlbersetztGemuumlth mit bdquosoul-organldquo (ebd S 43) das von diversen Autoren unterschiedlich konstru-riert wird (zB von Kant geistigkoumlrperlich und von Kleist individuellkollektiv (vgl ebdS 41)) In Heideggers emblematischem Duktus scheint eine Vermischung von allen vier Di-mensionen geistigkoumlrperlich wie auch individuellkollektiv stattzufinden Es ist auf jedenFall dem Mythos geschuldet den Auftrag des Deutschen anzunehmen (3)
156 GA 79 S 33
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gehoumlre die planetarische Abloumlsung und Aufhebung des traditionellen und damit
wesenhaft ans Ding gebundenen Verhaumlltnisses vom Menschen zur Erde (das von
ihm idealisierte voumllkische Bauerntum das Bestellen des Ackers) bdquoDie Bestand-
Stuumlcke sind Stuumlck fuumlr Stuumlck die Gleichenldquo157 So kontrastiert er alte Handwerks-
techniken mit Maschinentechnik und schreibt der Maschinentechnik die machen-
schaftliche Verdraumlngung als Geraff zu
Das Ge-Stell hat auch wenn das nicht unmittelbar und nicht sogleich ver-nehmlich wird im vorhinein schon alle diejenigen Stellen beseitigt an denenvormals Spinnrad und Wassermuumlhle standen Das Ge-Stell bestellt durch sei-ne Maschinerie zum voraus eine andere Art und Ordnung von Stellen Andiesen kommt nur zu Stand was als Bestellbares auf der Stelle gleichfoumlrmigzur Stelle steht
Darum ist auch die Art wie die Maschine selbst etwas herstellt einewesentlich andere als das handwerkliche Tun gesetzt daszlig es innerhalb desGe-Stells uumlberhaupt noch so etwas wie ein Herstellen gibt
Die Traktoren und Kraftwagen werden herausgebracht ausgeworfen se-rienweise Stuumlck fuumlr Stuumlck Wo drauszligen steht dieses so Herausgestellte Wo-hin in welchen Stand ist es gebracht158
In dieser Klage uumlber den technischen Wandel der durch den Fortschritt in
alle Lebensbereiche Einzug haumllt versucht Heidegger zu veranschaulichen wel-
chen Verlust es zu erkennen gelte Ein Versuch diesem entgegen zu treten ist die
von ihm vorgetragene Mythopoetik die er in diesem Vortragsteil seines Vortrags-
Gevierts allerdings auffaumlllig zuruumlckgestellt sein laumlszligt War der Einleitungsteil Das
Dinglsquo schlieszliglich eine nahezu einzige mythopoetische Darbietung Dramatur-
gisch wird Heidegger in Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo die mythopoetischen For-
mulierung als Loumlsungswege wieder Bedeutung geben In Das Ge-Stelllsquo versucht
Heidegger hingegen Vorstellungen aus seinen Schwarzen Heften aumlhnlich der fol-
genden mitzuteilen die das Uniforme Gleichfoumlrmige betreffen
Die Macht der Machenschaft ndash die Vernichtung sogar der Gottlosigkeit dieVermenschung des Menschen in das Tier die Vernutzung der Erde die Ver-rechnung der Welt ndash ist in den Zustand der Endguumlltigkeit uumlbergegangenUnterschiede der Voumllker Staaten Kulturen sind nur noch Fassade159
157 GA 79 S 36158 GA 79 S 35159 GA 96 S 52f
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Was Heidegger unter dieser Gleichfoumlrmigkeit versteht schreibt er in den Schwar-
zen Heften zumeist den Amerikanern zu Er nennt es auch haumlufig Planetarismus
Der Amerikanismus [ist DS] die Zusammenraffung von Allem welcheZusammenraffung immer zugleich die Entwurzelung des Gerafften bedeu-tet160
Der Planetarismus ist die historisch gedachte Bestimmung der uumlberall glei-chen die ganze Erde uumlberdeckenden Seinsverlassenheit des Seienden161
Die Gegenuumlberstellung von natuumlrlicher und traditioneller Handwerkstechnik
gegen maschinenhafte Gleichfoumlrmigkeit exemplifiziert Heidegger dann im Vor-
trag Das Ge-Stelllsquo vielfach wie zum Beispiel hier
Der Forstwart zB der im Wald das geschlagene Holz vermiszligt und demAnschein nach noch wie sein Groszligvater in der gleichen Weise die selbenWege geht ist heute von der Holzverwertungsindustrie gestellt Er ist ober es weiszlig oder nicht in seiner Weise Bestand-Stuumlck des Zellulosebestandesund dessen Bestellbarkeit fuumlr das Papier das den Zeitungen und illustrier-ten Magazinen zugestellt wird die uumlber die Oumlffentlichkeit daraufhin stellenverschlungen werden162
160 GA 96 S 257161 GA 96 S 261162 GA 79 S 37f
Die renommierte Theaterautorin Elfriede Jelinek karikiert in ihrem Stuumlck Totenaubergvon 1991 Heideggers Konstrukt von Heimat und Fortschrittsfeindlichkeit verbunden miteiner Auseinandersetzung mit dessen Liebschaft zu Hannah Arend Mit philologischer Prauml-zision polemisiert sie Teile aus Heideggers Elegie uumlber die Technik und laumlszligt ihn dabei alsbeschraumlnktes und eingezwaumlngtes Wesen in einem Gestell gefangen sein Aus diesem heraussoll er Arend Rede und Antwort stehen uumlber sein Verhaumlltnis zum Nationalsozialismus unddie Shoa Doch dieser redet nur naturtrunken von Heimat und berauscht sich daran Derprophetische Denker wird banalisert ndash diese Worte legt Jelinek ihm (im Stuumlck der alte Mann)in den MundbdquoDie Angst vor dem Fragen liegt uumlber dem Abendland Sie bannt die Kandidaten auf ein
Team-Leibchen verbannt sie auf altgewordene Wege und jagt sie zuruumlck ins morsch geworde-ne Gehaumluse ihrer Tore wo es um ihre Ausscheidungen geht Es wird ihnen alles weggenom-men werden auch der Weg selbst Keine Spur kein Lichtschein aus den Ritzen Aber ruf ichin die Huumltte um nach einem zu fragen den ich gekannt hab sehe ich grad noch eine Tuumlrsich schlieszligen Der Wald kommt nicht zur rechten Geltung alles ist entflohen was mir liebwar und woran ich geglaubt hab Was kommt ist noch nicht da Nichts war Ich habe nichtsgehoumlrt Ich erinnere mich nicht aber ich stelle dem Kommenden das mich den lupenreinenAmateur schon vor Beginn des Rennens erlahmen laumlszligt vorsorglich die Hausschuhe vor dieTuumlr Sie sind das Einzige was die Profis des Profits von mir dann vorfinden werden wennsie anklopfen Die Haumlrte des Urgesteins sollte sie nicht entmutigen Die Jahreszeiten machendie Landschaft auf und zu Ich sage nur In dieser scheinbaren Leere will ich vom Denkenmuumld nur schlafen Von der Huumltte aus lassen sich Wanderungen unternehmen Aber auchsonst wird Ihnen alles wie ich sagte genommen werden Auch Ihre Fotos und Namen Unddas Gewesene wird wesenlosldquo ( Jelinek Elfriede Totenauberg Hamburg 1991 S 86f)
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Die Oumlffentlichkeit ist fuumlr Heidegger ein Topos der dem Denken und Besinnen
entgegenstuumlnde Somit meint er damit zum Einen die Medien wie er es anhand
der Rede von den Bestandstuumlcken in Das Ge-Stelllsquo erklaumlrt wo der Mensch als
Urheber des Ge-Stells als Wesen der Technik nicht gelten soll Vielmehr wuumlrde er
in Ratlosigkeit und Langeweile verfallen weil er in der Bestellung des Bestandes in
Form von Bestandstuumlcken vom Rundfunk keine Besinnung mehr faumlnde dh das
Ganze also wiederum daswesentliche Ding nicht mehr zu fassen vermoumlge163 Und
so toumlnt es bereits aus den Schwarzen Heften von 19391940()
Die Bildlsquo und Tonlsquo ndash Reportagenlsquo der Machenschaft ist der planetari-sche Mythuslsquo des Vollendungsabschnittes der Neuzeit Die Welt des abge-legensten deutschen Bauernhofes wird nicht mehr durch [] die Naturlsquobestimmt in der noch die Erde waltet sondern durch das illustrierte Blattmit der Darstellung von ausgezogenen Tanzweibern von Boxern und Renn-fahrern und sonstigen Heldenlsquo des Tages164
Und ferner notierte Heidegger 1946 in seinen Schwarzen Heften
Uumlberall zerrt es aus dem Oumlffentlichen ins Oumlffentliche mit vielen Strickenund jeder sieht das kaum versuchte Denken des Seyns am Leitband seinesStrickes165
Dabei waumlre eben ein bdquoLiterat [] ein in die Oumlffentlichkeit verliebter Mensch der
Angst vor dem Denker hatldquo166 Dieses liefe dann darauf hinaus dass beim Rund-
funk bdquoein Bestellen und Stellen waltet das in dasWesen des Menschen eingegriffen
hatldquo167
Abermals nach dem Wesen der Technik also nach dem Ge-Stell gefragt geht
Heidegger auf seine Unterscheidung vonNatur undNaturwissenschaft ein bdquo[w]elches
ist das Verhaumlltnis zwischen der Technik und der Naturldquo168 Natur wuumlrde in wis-
senschaftlicher Hinsicht unter das Berechnete fallen sie wuumlrde bdquoals das in Maszlig
und Zahl gestellte Wirkliche vorgestellt das in seinem Gewirkten staumlndig an-
westldquo169 Wenn Heidegger dann Natur aus technischer Sicht bdquoals ein System des
163 Vgl GA 79 S 38f164 GA 96 S 54165 GA 97 S 100166 GA 97 S 126167 GA 79 S 39168 GA 79 S 41169 Ebd
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Bestellens von Erfolgen aus dem gestellten Wirksamenldquo170 charakterisiert spricht
er von seiner Rede der Verschraumlnkung von Historie und Technik ndash bdquoTechnik die
Historie der Naturldquolsquo171 Dieses ist bekanntlich das seinsvernichtende Gegenstuumlck
zur geschichtlichen Besinnung Denn geschichtliches Walten der Technik ist fuumlr
Heidegger technische Geschichte dh verwissenschaftlichte Geschichte die da-
durch ihr Wesen verloren haumltte (Seynsvergessenheit)172 So heiszligt es in den Schwar-
zen Heften von 1947
Ein Zeitalter das historisch geworden ist dh technisch planend sich selberberechnet und alles in diesen Sog zieht muszlig jede Besinnung nur als eine dervielen Formen der Intellektualitaumlt registrieren173
Heidegger schlieszligt den Vortrag mit dem Aufgriff der Anfangsbehauptung
bdquo[d]er Bestand bestellt das Abstandsloseldquo174 Somit liegt das Problem der ausblei-
benden Naumlhe durch die Technik deren Wesen das Ge-Stell waumlre das den Bestand
bestelle in der Luft Dass dabei der Mensch sogleich Teil des Bestandes und nicht
Teil der Maschine wird laumlsst ihn das historische Tier sein (2)
Der Mensch ist auswechselbar innerhalb des Bestellens von Bestand []Gleichwohl gehoumlrt der Mensch in einer voumlllig anderen Weise in das Ge-Stellals die Maschine DieseWeise kann unmenschlich werden DasUnmenschlicheist jedoch immer noch unmenschlich Der Mensch wird nie zur MaschineDas Unmenschliche und noch Menschentuumlmliche ist freilich unheimlicherweil boumlsartige und verhaumlngnisvoller denn der Mensch der nur Maschine wauml-re175
Wen Heidegger hier ersinnt ist der neuzeitliche Mensch der den bdquoGoumlttern uner-
traumlglich gewordenldquo176 waumlre
170 Ebd171 GA 95 S 351172 In Heidegger Die Technik und die Kehre S 21 stellt er Geschichte und Historie einander
gegenuumlber was er in Das Ge-Stelllsquo nicht vollzieht bdquoDie moderne Technik kam doch erst inden Gang als sie sich auf die exakte Naturwissenschaft stuumltzen konnte Historisch gerechnetbleibt dies richtig Geschichtlich gedacht trifft es nicht das Wahreldquo Signifikant fuumlr Heideg-gers Attributierung so wie sie oben schon geschildert ist steht Historie fuumlrs Rechnen undGeschichte fuumlr das Denken
173 GA 97 S 508174 GA 79 S 44175 GA 79 S 37176 GA 94 S 236
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323 Die Gefahrlsquo
Aus Heideggers Darlegung uumlber das Ge-Stell erschlieszligen sich seine diversen Fa-
cetten der Vorstellung einer Abstandslosigkeit schaffenden Technik Dass die Ab-
standslosigkeit dem Prinzip des Gevierts des Zusammengestellten entgegensteht
bekommt im Vortrag Die Gefahrlsquo Nachdruck Die mythopoetische Erzaumlhlung
knuumlpft an den Vortrag Das Dinglsquo an mit den Mythologemene 1 Der Mythos
des geschichtlich sein muumlssens 2 der Mythos des Goumlttlichen 3 das geschichtsbe-
sinnliche Prinzip der Aletheia Zudem wird im Prozess des Vortrags das Ge-Stell
zur Gefahr stilisiert was einen eigenen Mythos erschafft
Durch das bdquouniversale Bestellen des Ge-Stellsldquo177 werde die naumlhernde Naumlhe des
Dings verwehrt Wie im Vortrag Das Dinglsquo fuumlhrt Heidegger das Wesentliche sei-
ner Theorie auf die deutsche und altgriechische Sprache zuruumlck Die so vollzoge-
ne Annaumlherung von Schwarzwaumllderischem Dialekt und Altgriechisch entspricht
Heideggers Traum von dem bdquogeschichtliche[n] Geburtsort des abendlaumlndischen
Wesensldquo178 den seine Heimat von Todtnauberg bis Freiburg stiften sollte (1)
es ist das Geistvolle und zugleich das erdenhafte schoumlne Land Es birgt un-sichtbaren Reichtum dem Gemuumlt bewahret tiefstes Dichten und houmlchsteGestalt der Sage179
Unter diesem Vorzeichen also sagt Heidegger
Das Ge-Stellwesen laumlszligt das Ding ohne die Wahr Das Wort die Wahrlsquo be-deutet in unserer Sprache dort wo sie noch urspruumlnglich spricht die HutIn unserer schwaumlbischen Mundart meint das Wort die Wahrlsquo die der muumlt-terlichen Hut anvertrauten Kinder Das Ge-Stell laumlszligt in seinem Stellen dasDing ohne die Hut ndash ohne die Wahr seines Dingwesens180
Diese in Bremen vorgetragene Heimatkunde ist auch Heideggers Sorge ge-
schuldet durch die Besatzermaumlchte und deren kulturellen Einfluss auch durch
die nun moumlgliche Oumlffnung Deutschlands zu einem Austausch mit der Welt das
eigene Wesen zu verlieren So schreibt er 1945-1947() in seine Schwarzen Hefte
177 GA 79 S 46178 GA 97 S 54179 Ebd180 GA 79 S 46
42
Das Schwerste und Fragwuumlrdigste unseres Geschickes ndash beruht darin ob wirdas Eigene finden und huumlten [] unter den anderen Voumllkernlsquo [] Scheinund Vorwand der Macht daszlig man unsere eigene Aufgabe bringen will []als Entmachtete aufgenommen zu sein in den Weltmachenschaftsbetrieb181
Es gaumlbe nach Heidegger also das Welten von Welt und die Verweigerung von
Welt aus derVerwahrlosung des Dings durch das Ge-Stell bzw die Technik182 Welt
ist nach dem Konzept des schwaumlbischen Denkers nichts weniger als das Geviert
Bei der folgenden mythopoetischen Zusammenstellung von dem Geviert mit alt-
griechischen Vokabeln um den Seins-Begriff wird das Aletheia-Prinzip eingefuumlhrt
Somit fuumlhrt uumlber den Mythos des Goumlttlichen (2) der Weg zur Wahrheit eben als
geschichtsbesinnlich erfahrene Aletheia (3)
Welt ist das Geviert von Erde und Himmel Goumlttlichen und SterblichenDas Spiegel-Spiel der Vierung wahrt alles was in ihm dingend zwischenden Vier anwest und abwest in das einende Ganze seines Anwesens Vonaltersher heiszligt das Anwesen des Anwesenden τὸ ὲόν das Seiend [sic] τὸεἶναι das Sein naumlmlich der ὲόντα des Seinenden das esse entium183
Diese Welt waumlre nun bdquoWahrnis des Wesens von Sein Statt Wahrnis sagen wir auch
Wahrheitldquo184 Die Welt mythopoetisch als Spiegel-Spiel des Gevierts und durch
eine altgriechische Brille betrachtet waumlre die wahre Welt Somit wird die Wahr-
heitsschau gebunden einen antiken Goumltterglauben und abendlaumlndische Sprachkas-
kaden vom Dialekt zum Altgriechisch
Das Problem mit der wahren Welt waumlre allerdings dass sie sich in die Ver-
borgenheit entziehe Naumlher betrachtet ist aber die Verborgenheit Bedingung des
Entbergens was Heidegger notwendig macht zu einem wuumlrdigen Lebensvollzug
in Harmonie mit dem Sein Durch solche Wesensschau waumlre der Mensch befaumlhigt
jederzeit die verstellenden Maumlchte des Ge-Stells (der Technik) zu uumlberwinden und
teilhaftig am Wesen der Welt zu werden
181 GA 97 S 99182 Vgl GA 79 S 47183 GA 79 S 48 (Die griechischen Vokabeln werden hier keiner Uumlbersetzung unterzogen Da
Heidegger ohnehin keine philologische Schaumlrfe anwenden will ist es fuumlr die Zwecke hierausreichend sie mit seiner Uumlbersetzung zu betrachten Heidegger spricht von bdquoAchten aufdas Griechischeldquo was schwieriger waumlre als klassische Philologie (vgl GA 79 S 63)
184 Ebd
43
Welt bleibt in der Verborgenheit (Αήθη) auf die Weise daszlig diese ihre Ver-borgenheit gerade eine Unverborgenheit gewaumlhrt die Αλήθεια185
Die Αλήθεια haumltte allerdings auch eine Rolle uumlber die subjektive hinaus da nur
durch ihren Vollzug Seinsgeschichte gewaumlhrt wuumlrde Das ist der Anspruch den
Heidegger an sein Auditorium stellt gemeinsam geschichtlich sein zu muumlssen (1)
Die Αλήθεια ist das Geschick des Seins als welches Geschick sich die Fuumllleder Seinsgeschichte in ihre Epochen fuumlgt186
Mit dem Ge-Stell als Wesen der modernen Technik waumlre die Aletheia aller-
dings hochgradig gefaumlhrdet Denn ohnehin waumlre die Aletheia prinzipiell der Ge-
fahr der Vergessenheit ausgesetzt Doch das Ge-Stell haumltte die Kraft die bdquovollende-
te Vergessenheit der Wahrheit des Seinsldquo187 zu vollrichten
Indem das Ge-Stell alles Anwesende in den Bestand bestellt setzt das Ge-Stell das Anwesen des Anwesenden heraus aus seiner Wesensherkunft ausder Αλήθεια188
Diese Versetzung des beteiligten Wesens aus der Moumlglichkeit des Wahrheitsprin-
zips heraus markiert Heidegger dann mit der Schreibweise Seyn (mit bdquoyldquo) Wie
bei dem Vortrag Das Dinglsquo koumlnnen ethymologische Abstammungen sein Sys-
tem anreichern Da wo es um das Wortfeld des Stellens geht Ge-Stell Bestellen
Verstellen ist auch das NachstellenMitglied der Familie
Im Althochdeutschen heiszligt nachstellen fara Das in sich gesammelte Stellenals Nachstellen ist die Gefahr Der Grundzug des Wesens der Gefahr ist dasNachstellen Insofern das Sein als das Ge-Stell sich selbst mit der Vergessen-heit seines Wesens nachstellt ist das Seyn als Seyn die Gefahr seines eigenenWesens189
Damit wuumlrde sich durch die Verringerung der Selbstreflexion im Seyns-Bestand
eine Schwachstelle auftun in die der denkbegabte und aletheiafaumlhige Mensch ei-
ne Moumlglichkeit haben das Seyn zum Sein zuruumlckzuwandeln ndash also wieder in ein
185 GA 79 S 49186 Ebd187 GA 79 S 53188 GA 79 S 52189 GA 79 S 53
44
wesentliches Verhaumlltnis zum bdquoDingldquo zu gelangen in dem das Geviert wieder die
Harmonie herstellt Allerdings faumlnde bis zu solch einer Nachstellung eine Ver-
sieglung des Seynsbestandes statt Und Heidegger beklagt dass die Erreichung der
Ruumlckeroberung des Seins uumlber die Nachstellung nicht stattfaumlnde und stattdessen
die Irre regieren wuumlrde190
In dieser Irre stuumlnde dem Menschen nicht einmal mehr zu zu sterben Denn
bdquoSterben [] heiszligt den Tod in sein Wesen austragenldquo191 Somit waumlren die Opfer
die in den KZs umkamen wie er sie in Das Dinglsquo bereits schildert nicht vermouml-
gend gewesen zu sterben bdquoSie werden Bestandstuumlcke eines Bestandes der Fabrika-
tion von Leichen [] Sie werden in Vernichtungslagern unauffaumlllig liquidiertldquo192
Das vermoumlge die Gefahr zu bewirken Der Mensch wuumlrde des eigenen Sterbens
beraubt da er keine Verbindung mehr zur Wahrheit der Welt haumltte Um den rich-
tigen Tod zu sterben muumlsse der Mensch die Aletheia schauen koumlnnen Insofern ist
Heideggers Prinzip ein religioumls anmutendes Wie in der christlichen Vorstellung
der Mensch im Jenseits an seinen Taten gemessen wird um Paradies oder Fege-
feuer zu besuchen soll nach Heidegger der Mensch waumlhrend des Sterbens mit
sich selbst ins Gericht gehen Er soll sich rein machen vom Ge-Stell der Technik
und dem Seyn um nicht die einmalge Gelegenheit des richtigen Sterbevollzugs
zu versaumlumen Es winken gemaumlszlig des Gevierts die himmlischen Goumlttlichen den
irdischen Sterblichen zu wobei annehmbar ist dass Heidegger Sterblichen die
die Aletheia erkennen einen Goumlttlichkeitsstatus beimessen moumlchte ndash eine Erlouml-
sungsphantasie
Genau diese Erloumlsung waumlre die Technik nicht
Ohne den Schritt des Denkens zu wagen der unser Menschenwesen demWesen der Technik [] aussetzt wuumlrgt man sich von Fall zu Fall von Lagezu Lage durch die Zwiespaumlltigkeiten hindurch Und genau durch dieses Ge-wuumlrge versaumlumt man die Moumlglichkeit dessen was man im Grunde erstrebtdie Technik durch menschliches Tun zu meistern und menschenwuumlrdig zulenken193
190 Vgl GA 79 S 55191 GA 79 S 55192 GA 79 S 56 Weil Heidegger im Judentum die Verantwortlichen fuumlr das Geraffe des Ge-Stells
sieht macht er sie gleichsam verantwortlich fuumlr die bdquoSelbstvernichtungldquo Die Seinsverges-senheit im Tode wird dadurch zum Spin-off der vermeintlich juumldisch erzeugten da machen-schaftlichen KZ-Maschinerie (Vgl GA 97 S 20f)
193 GA 79 S 59
45
Trost und Richtung findet Heidegger schlieszliglich abermals bei den alten Griechen
Das Wort stellenlsquo entspricht dem griechischen ϑέσις vorausgesetzt daszlig wirϑέσις griechisch denken Was heiszligt in diesem Falle griechisch denkenlsquo Esheiszligt darauf achten welche Lichtung desWesens des Seyns in welcherWeisedas Dasein der alten Griechen in den Anspruch genommen hat heiszligt imvoraus bedenken in welchem Geschick welcher Unverborgenheit des Seinsdie Griechen standenldquo194
Das sind Vorstellungen des Neuen Anfangs eine Reminiszenz der griechisch anti-
ken Welt Ein Eintrag aus den Schwarzen Heften von etwa 1945-47 () verdichtet
wie oben bereits aufgezeigt die Phantasie griechisch zu sein zu einem gelingenden
Lebensvollzug
Das reine Wesen des Griechentums dh das Seiende inmitten dessen dieGriechen als seiende fremd gewesen dieses und sie selbst und der Bezug desSeins zu ihnen ndash in der einfachen Wesung von der ἀλήθεια her zeigen underfahren Den μῦθος und λόγος ndash jedes Wort und Gebild rein aber nichterzwungen und schematisch-pedant ndash aus ἀλήθεια erfahren195
Hier zeigt sich auch dass Heidegger per se das Aletheia-Prinzip fuumlr notwendig
hielt um ins Licht der Wahrheit zu blicken Die Griechen sind ihm hier deshalb
Vorbild und rein da sie keiner modernen Technik und dem Ge-Stell ausgesetzt
waren sondern lediglich eine mythopoetische Verbindung zum Sein herstellen
mussten um wesentlich zu sein und Seinsgeschichte zu schreiben Die Dinge und
das Spiegel-Spiel des Gevierts waumlren ihnen geschickt zuhanden gewesen196 Hei-
degger macht schlieszliglich sehr deutlich dass das Griechische zu denken ein bei
weitem anderes Geschaumlft sei als philologische Praumlzision
Ein Echo zu sein naumlmlich dem Anspruch des Seins verlangt eine Sorgfaltder Sprache von der freilich der technisch-terminologische Sprachstil derWissenschaften uumlberhaupt nichts wissen kann Die Intentionalitaumlt der wis-senschaftlichen Sprache ist der staumlrkste Beweis fuumlr ihre Boden- und Heimat-losigkeit [] Das Heimische einer hohen Sprache gedeiht nur im Bereichdes unheimlichen Anspruchs der wesenhaften Stille im Wesen des Seyns197
194 GA 79 S 62f195 GA 97 S 20196 Hingegen waumlre das Judentum verantwortlich fuumlr das Ge-Stell fuumlr das Prinzip der Zerstoumlrung
wie es auf der selben Seite der Schwarzen Hefte darunter heiszligt (vgl ebd)197 GA 79 S 66 Die Bedeutung von Seyn als verstelltes Sein oder Bedingung zum Schauen
des wahren Seins ist verwirrend Einer genaueren Analyse wird aus Platzgruumlnden hier nichtnachgegangen
46
324 Die Kehrelsquo
Der letzte Vortrag ist mit nur neun Seiten der Kuumlrzeste des Vortragsgevierts
Nach dem Verlust des Dinges als Ding und der damit einsetzenden Abstandslosig-
keit als Wesen des Ge-Stells wobei die Gefahr zudem der Vergessenheit des Seyns
nachstellt bietet Heidegger eine Perspektive an
Im Wesen der Gefahr verbirgt sich [] die Moumlglichkeit einer Kehre in derdie Vergessenheit des Wesens des Seins sich so wendet daszlig mit dieser Kehredie Wahrheit des Wesens des Seyns in das Seiende eigens einkehrt198
Diese Moumlglichkeit bedeute nicht dass der Mensch sich der Gefahr selbst stellen
koumlnnte sie waumlre passiv ndash bdquoverbirgt sichldquo Die Kehre werde sich ereignen aumlhnlich
einer Erwartung an den Messias
Die Anwesenheit der Gefahr wuumlrde automatisch die Rettung bergen Denn
Houmllderlin haumltte geschrieben bdquoWo aber Gefahr ist waumlchst [d]as Rettende auchlsquoldquo199
Etwa 1945 notiert Heidegger in seine Schwarzen Hefte bdquoDie Wahrheit erfahren
wir im Gedaumlchtnis Das Gedaumlchtnis ist die Dichtungldquo200 (so) Von dieser War-
te aus ausgestattet mit Erinnerungen an das abendlaumlndische Dichten mit dem
Wissen um das Aletheia-Prinzip und passiv als denkender Huumlter des Seyns solle
der Mensch das Ereignis erwarten das ihn bdquoloumlsen freimachen freyen schonen
bergen in die Hut nehmen wahrenldquo201 wuumlrde (siehe S 43)
Dieses Ereignis waumlre der Blitz Ein unvermittelter jaumlher ploumltzlicher Moment
von kurzer Dauer der bloszlig einen ebenso kurzen Blick auf das wahre Wesen er-
lauben wuumlrde Abschlieszligend ist dies das Rezept gegen die Bestands bestellende
Technik in mythopoetischer Formulierung
So entsprechend ist der Mensch geeignet daszlig er im gewahrten Element vonWelt als der Sterbliche dem Goumlttlichen entgegenblickt Anders nicht dennauch der Gott ist wenn er ist ein Seiender steht als Seiender im Seyn unddessen Wesen das sich aus dem Welten von Welt ereignet202
198 GA 79 S 71199 GA 79 S 72200 GA 97 S 52f201 GA 79 S 72202 GA 79 S 76
47
Wenn Heidegger im Anschluss von der bdquohistorisch-technischen Darstellungldquo re-
det so ist dies die Abwehr der Wissenschaften (auch der Philosophie203) und ein
Appell an die Antirationalitaumlt des Mythos bdquokein historisches Vorstellen der Ge-
schichte als Geschehen bringt in den schicklichen Bezug zum Geschickldquo204
Damit das Blitzen erfahren werde als kurze Wesensschau der Aletheia muumlsse
dem wahren abendlaumlndischen und heimatlichen Ereignis stattgegeben werden Es
sollte nicht wie er 1939 schon in den Schwarzen Heften beschreibt das
kuumlnstliche Licht von Historie und Technik in der weder Mensch noch dieGoumltter weder eineWelt noch die Erde sichtbar werden koumlnnen wo aber dasLebenlsquo von allen den immer noch zu wenigen Meistenlsquo erlebtlsquo wird205
Damit schlieszligt der letzte Vortrag mit einer Erwartung an das Ereignis des Blit-
zens nicht das Erleben der Besinnungslosigkeit (vgl Das Ge-Stelllsquo) Schon 1947
traumlumt Heidegger von solcher Umkehr
Aus der Kehre der Seynsvergessenheit aber ereignet sich das Unumgaumlnglicheden Acker der Welt erst zu pfluumlgen und saatbereit der Sonne und dem Regenund den Voumlgeln des Himmels uumlberlassen206
203 Denn ldquo[e]igentlich denken heiszligt [] die Philosophie verlassen [] beim Sagen des Seinslsquoldquo(GA 97 S 60)
204 Ebd205 GA 95 S 427 Gegen das Erlebnis und Erleben straumlubt sich Heidegger besonders So notiert
er etwa 1939 bdquoZeitalter der Techniklsquo macht gerade die Techniklsquo nicht zum Ziel sondernimmer mehr zum Mittel der besinnungslosen Berechnung [] der Mensch [] das Erleb-nislsquo [] Erleben als der Gefuumlhlsgenuszligldquo (GA 95 S 149) Wie auch bdquoWo beide Historie undTechnik in solcher scheinbaren Gegensaumltzlichkeit verkoppelt sind koumlnnen sie sich zur Foumlr-derung dessen zusammenschlieszligen was einstmals wesentlich die Geschichte des Menschenmitbegruumlndete und was wir die Kunstlsquo nennen Die Historie verschafft [] Anregungenund Vorbilder der Nachahmung die Technik erleichtert [] die Zustellung von Darstel-lungsmitteln und Wirkungsformen [] Gleichwohl ist alles wurzellos [] berechnet und alsErlebnislsquo ausgegebenldquo (GA 95 S 212)
206 GA 97 S 511
48
4 Konklusion
Der umstrittene Philosoph Martin Heidegger hat uumlber die 1930erndash40er Jahre
hinweg eine ausgepraumlgte voumllkisch-nationale und bisweilen radikal-antisemitische
Denkweise entwickelt Dieses Denken fasste er auch auf als Besinnung und stellt
es der Philosophie und Wissenschaft diametral entgegen In Kapitel 2 wird aufge-
zeigt dass sowohl Heideggers Mythologie bereits kritisiert wurde (Adorno Cassi-
rer Meyer) als auch seine Mythopoetik bewundert (Schulz-Nieswandt) Kapitel
3 will daruumlber hinaus aufzeigen wie Heidegger eine eigene Mythologie mytho-
poetisch fruchtbar macht was sich von beiden vorigen Ansaumltzen unterscheidet
und erst mit der Veroumlffentlichung der Schwarzen Hefte ab 2014 nachvollziehbar
wurde
Umso mehr bietet die mythopoetische Verbindung von bdquoDichten und Den-
kenldquo (so) einen antitechnischen Gegenpol Denn Heidegger fasst wie oben ge-
schildert alles Rationale auf als berechnende Bestellung des Bestands im Sinne
der Technik Daruumlber hinaus fordert er mit dem Aletheia-Prinzip (als metapho-
risch gefasstes Ereignis des Blitzens) einen Mitvollzug seiner mythopoetischen
Kontemplation in dem religioumlse voumllkische antike und sprachliche Motive zu-
sammenfallen
Obwohl schon von Heidegger selbst nicht mehr als Philosophie betrachtet
hat seine Rede vom Ding dem Ge-Stell dem Wesen der Technik und der Kehre
noch immer einen bedeutenden Einfluss auf die Technikphilosophie So betont
Alfred Nordmann in bdquoWerkwissen oder How to express things in worksldquo (2008)
dass Heidegger mit Das Dinglsquo eine Art Dingwissen geschaffen haumltte In seinem
2012 erschienenen Aufsatz Another parting of the ways Intersubjectivity and the
objectivity of sciencersquo207 geht Nordmann ein weiteres Mal auf Heideggers Ding
ein Dieses waumlre eine Abarbeitung an dem Ding Kants womit auch Nordmann
Heidegger als einen Interpreten Kants versteht208 Anschlieszligend anMichael Fried-
207 Nordmann Alfred Another parting of the ways Intersubjectivity and the objectivity ofscience In Studies in History and Philosophy of Science 43 (2012) 38ndash46
208 Die Auseinandersetzung mit dem Ding wuumlrde nach Nordmann in Heideggers GA mit demText Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalen Grundsaumltzenlsquoeinsetzen (GA 41 Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalenGrundsaumltzen)
49
man spricht sich Nordmann ebenso dafuumlr aus dass Heidegger neben Rudolf Car-
nap und Ernst Cassirer eine neokantianische Philosophie verfolgt haumltte (siehe
Kap 1)209
Nach Nordmann haumltte Heidegger in seinen anschlieszligenden Gedanken uumlber
das Ding als Fortfuumlhrung Kants als erster Wissenschaft als angewandte Techno-
logie verstanden210 Diese Interpretation stuumltzt sich auf die gleichen Symbole
Metaphern und Mythen die die vorliegende Arbeit analysiert Das Ge-Stell ist
insofern aumlquivok mit dem Begriff techno-science Jedoch sind in dieser Fruchtbar-
machung von Heideggers Denken der Technik dessen nationalistischen rassisti-
schen und antisemitischen Implikationen die die vorliegende Arbeit als Zentrum
dessen Philosophie ermitteln konnte noch nicht beachtet worden koumlnnen211
Andreas Luckner webt Heideggers Ding-Entwurf weiter als verantwortliches
Sorgen um die Dinge212 Er geht dabei mit Heidegger voumlllig konform und tritt
eher als eine Art Bote der Ding-Botschaft auf als diese moumlglicherweise zu kriti-
sieren was sich diesen Artikel wie ein Kapitel aus einem Studienbuch lesen laumlsst
Der Darmstaumldter Technikphilosoph Christoph Hubig ist vor allem Kritiker Hei-
deggers Argumentationen laumlsst aber zuweilen diverse Topoi aus dem Werk des
Technik-Denkers durchscheinen ohne sie weiter zu reflektieren
So konstatiert Hubig Heidegger verfehle in dessen Auseinandersetzung mit
Aristoteles Lehre von der Poiesis zum Punkt der Sicherung wie sie in Die Frage
nach der Techniklsquo behandelt wird bdquodie operative Seite des Technischenldquo bei Aris-
totels213 In einem spaumlteren Aufsatz allerdings stuumltzt er sich ohne weitere Erlaumlute-
rungen auf Heideggers Begriff der Sicherung aus Die Frage nach der Techniklsquo214
209 Diese Befriedung paradigmatischer Umstaumlnde wird hier nicht geteilt Eine weitere Bearbeitunglaumlsst der Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht zu
210 Vgl Nordmann Another parting of the ways S 45211 Der Aussage dass Heideggers Ding-Begriff kantianisch waumlre muumlsste einer gezielten Untersu-
chung unterzogen werden genau wie die Behauptung insgesamt dass Heidegger oder inwie-weit dieser noch der suumlddeutschen Kantschule des 1920 Jahrhunderts angehoumlrte
212 Vgl Luckner Andreas Ding und Bestand Heidegger und das Wesen neuzeitlicher TechnikIn Gamm G Gehring P Hubig C Kaminski A und Nordmann A Ding und SystemS 15-30 hier S 29
213 Hubig Christoph Die Kunst des Moumlglichen Technikphilosophie als Reflexion der MedialitaumltBielefeld 2006 S 103
214 Vgl Hubig Christoph Technik als Medium In Grundwald Armin (Hg) Handbuch Tech-nikethik Stuttgart 2013 S 118-123 hier S 118
50
Dabei versteht Hubig Heideggers Betrachtungen zum Umgang mit der Technik
als gelassen
Fuumlr Heidegger liegt die Andersheit im Entbergen einer Wahrheit des Seinseines Geschicks von dem die Entwicklung der Technik hin zum Gestellkuumlnde Er verbindet dies mit dem Appell jenseits des rechnenden und si-chernden Vorstellens technischer Vollzuumlge als handlungsleitender Program-me sich gelassenlsquo dieser Entwicklung zu uumlberantworten und ein Seinlsquo zuhuumlten das sich als solches eben entbirgt Das Rettendelsquo dieser Einsicht lie-ge darin dass unsere individuelle Endlichkeit insofern transzendiert wirdals sie sich dem sie uumlbersteigenden Prozess aufschlieszligt und sich selbst relati-viert215
Wovon in diesem Zitat nicht die Rede ist ist der Mitvollzug der mythopoe-
tischen Rahmenbedinungen die Heidegger einfordert und an dem die Konzep-
te Abendland und voumllkische Tradition haumlngen In dieser Arbeit wird davon aus-
gegangen dass Heideggers Technikphilosophie-erzaumlhlung sich nicht von seinen
Absichten der Bekaumlmpfung des Technischen loumlsen laumlsst Die Relativierung ist in-
sofern nicht an den Prozess gebunden und damit emergent auf alles hin ausge-
richtet was kommen mag sondern houmlchst konvergent in einer Besinnung auf
Mythen von dem Ding und dem Geviert mit all deren Valenzen aus dem vorlie-
genden Heideggerschen Textkorpus Die individuelle Endlichkeit ist genoumltigt die
Heimat und das Abendland zu kennen und im Aletheia-Prinzip umzusetzen
Die Neubewertung der bislang bekannten Heideggerschen Technikphiloso-
phie von vor den SchwarzenHeften ist ein dringendes Desiderat Voumllkisch-nationale
Gruppierungen erstarken momentan in ganz Europa und es koumlnnte sehr hilfreich
sein aumlhnliche Denkstrukturen aufzudecken so wie sie zwischen den 1930er und
40er Jahren entwickelt wurden Zusaumltzlich muss das Werk Heideggers einer kriti-
schen Revision schon aufgrund der niemals von ihm behandelten Antisemitismen
unterzogen werden Heidegger hat nie zu diesen Stellung bezogen
Daruumlber hinaus ist das Thema Mythos und Philosophie ein weiterhin not-
wendiger Bereich der philosophischen Forschung In einem Bereich auszligerhalb
der exakten Wissenschaften und ohne klare theologische Tradition ist die Philo-
215 Hubig Die Kunst des Moumlglichen S 140
51
sophie beides sowohl Aufklaumlrer und antimythisch als auch Quelle fuumlr mythisches
Denken und affektierende Motive
52
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Die_Heidegger-Kontroverse ndash zuletzt abgerufen am 24042016)
56
Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
Der Unterzeichner versichert dass er die vorliegende Bachelorarbeit selbststaumlndig
verfasst und keine anderen als die von ihm angegebenen Hilfsmittel benutzt hat
Die Stellen der Arbeit die anderen Werken dem Wortlaut oder dem Sinne nach
entnommen sind wurden in jedem Fall unter Angabe der Quellen (einschlieszliglich
des World Wide Web und anderer elektronischer Text- und Datensammlungen)
kenntlich gemacht Dies gilt auch fuumlr beigegebene Zeichnungen bildliche Dar-
stellungen Skizzen und dergleichen
Darmstadt 25 April 2016
__________________________
(Eigenhaumlndige Unterschrift)
- Abkuumlrzungsverzeichnis
- Danksagung
- Einleitung
- Heideggers mythopoetisches Programm
-
- Zu den Begriffen Mythos Mythologie und Mythopoetik
-
- Ein Beispiel fuumlr ein Mythologem
-
- Heideggers Mythen
-
- Formen der Mythologie
-
- Heideggers mythopoetische Technik
-
- Zur Publikationsgeschichte von den Bremer Vortraumlgen 1949
- Die mythopoetische Spiegelung der Schwarzen Hefte
-
- Das Dinglsquo
- Das Ge-Stelllsquo
- Die Gefahrlsquo
- Die Kehrelsquo
-
- Konklusion
- Literaturverzeichnis
- Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
-
20
Nieswandt bereits aufgezeigte Bereiten des Goumlttlichen legt Heidegger in seinen
Begriff der Geschichte
Geschichte ndash das Gewagtwerden der Goumltter nur Groszlig als Untergang oderSieg ndash nicht Dauerlsquo wesentlich ndash sondern die Abgruumlndigkeit der Erstrei-tung ndash Opfer und Weile
Historie ist bei Heidegger bdquogeschichtliche Entwurzelungldquo die bdquoTyrannei der
Technikldquo bdquoSelbstvergoumltterungldquo und bdquoAbgoumltterei der Technikldquo72 In einer skizzen-
haften Emanationsfolge wird dieHistorie als Modus der Technik auf sich selbst zu-
ruumlckgefuumlhrt bdquoDas Riesige ndash [] Historie die Technik der Geschichtelsquo Technik
Die Historie der Naturldquolsquo73 Es ist vage annehmbar dass Heidegger hier die Tech-
nik als rechenhafte machenschaftliche Historisierung der Natur versteht die vor
dem Geschichtsbegriff stattgefunden haumltte Diese wiederum haumltte die Geschichte
in die rechenhafte Machenschaft verfremdet Wie ein Apparat erscheint Heidegger
der Gegenstand seiner Historie zu sein die sich automatisch durchsetzen wuumlrde
Die Historie stellt zunaumlchst das Nacheinander der Begebenheiten dessenwas vorbeizieht (passiertlsquo) her [] Sie erklaumlrt dann Spaumlteres aus dem Fruuml-heren sie findet sogar dass Ideen die Geschichtelsquo bestimmen74
Den historisierend narrativen Umgang mit Geschichte als Wissenschaft emp-
findet Heidegger als Technisierung derGeschichte Diese wiederum basiert auf den
statischen Topoi seiner Mythen von Vaterland Bauerntum Houmllderlin alten Grie-
chen den Goumlttern etc und der Anwendung des Aletheia-Prinzips im Ereignis
Das ist ein Tugendenkatalog der Deutschtuumlmelei mit einer paumldagogischen Kom-
ponente seine Mythologie im Aletheia-Prinzip zu praktizieren Er nennt dieses
Geschaumlft auch Denken und ahnt dessen Feinde bdquodie Forscher die in der Technik
ihres Arbeitens keine Reibung dulden und ihr Wissen fuumlr den Geist haltenldquo75
lismus und nach dem Krieg den real existierenden Sozialismus des Ostblocks im Zuge deratomaren Aufruumlstung als Vollstrecker Macher der Geschichte die den neuen Anfang ebnensollten Dass Heidegger diese bdquoklaumlrendeldquo Wirkung tatsaumlchlich spaumlter den Russen zuschreibtlaumlszligt sich in Band 97 der GA zweifelsohne nachvollziehen Hier kann aus Gattungsgruumlnden(BA-Thesis) nicht naumlher auf dieses Faible fuumlr absolutistische Regime eingegangen werden Je-denfalls ist die geschichtliche Besinnung und der Kriegsakt ein Widerspruch den Heideggerjedoch gleichsam adressiert Auch dies kann hier nicht weiter untersucht werden
72 GA 9473 GA 95 S 35174 GA 96 S 6275 GA 97 S 509
21
Insofern verschraumlnkt Heidegger das bdquohistorisch-technischeldquo zum Antagonis-
ten der bdquogeschichtlichen Besinnungldquo Es ist die Entwicklung einer historisch-
geschichtlichen Differenz unter dem Zeichen der Besinnung gegen die techni-
sche Machenschaft ndash es geht um zwei unterschiedliche Wissenssysteme76 In den
Schwarzen Heftenwird Technikmeistens als eine Seite der Muumlnze mit der anderen
der Historie genannt Sie haumltten eine schon angedeutete dualistische Dynamik
Wo beide Historie und Technik in solcher scheinbaren Gegensaumltzlichkeitverkoppelt sind koumlnnen sie sich zur Foumlrderung dessen zusammenschlieszligenwas einstmals wesentliche die Geschichte des Menschen mitbegruumlndet undwas wir die Kunstlsquo nennen Die Historie verschafft [] Anregungen undVorbilder der Nachahmung die Technik erleichtert [] die Zustellung vonDarstellungsmitteln und Wirkungsformen [] Gleichwohl ist alles wurzel-los [] berechnet und als Erlebnislsquo ausgegeben77
Diese vermeintliche Gefahr muumlnde als bdquoZuumlgellosigkeit des Historismusldquolsquo in der
bdquoBodenlosigkeit [] (das Judentum)ldquo78 Heideggers Mythos ist hier dieser bdquoWir
muumlssen zuvor geschichtlich sein [] Ohne diese uumlberlieferung verfaumlllt alles der
historisch-technischen Machenschaftldquo79
Heidegger mythologisiert uumlber den bdquoAuftrag des Deutschenldquo80 will in bdquoge-
schichtlicher Besinnung sehr weit zuruumlckgehen ndash auf den Zusammenhang von
τέχνη ἀλήθεια und οὐσίαldquo81 um Technik auf ihr Wesen im antiken Ursprung
zuruumlckzufuumlhren bdquoDie techne hat [] den Sieg uumlber die [] aletheia errungenldquo82
Heidegger will sie zuruumlckgewinnen Er will der Technik aus dem bdquoEreignisldquo83
wieder uumlbermaumlchtig werden und sieht das bdquoWesen des Vaterlandesldquo84 im Abend-
land Dabei ist es ihm unentbehrlich zu wissen bdquodaszlig das Griechentum [] und
76 Heideggers noch immer vorhande Rezeption in Puncto seiner Technikphilosophie erstauntdamit dass sein Prinzip der aletheiologischen Besinnung als alternatives Wissenssystem undTechnikkritik ob der eigenwilligen Konstruktion den Entwicklungen der Zeit standhaumllt
77 GA 95 S 21278 GA 95 S 9779 GA 96 S 10480 GA 94 S 6681 GA 94 S 35782 GA 95 S 13283 Ebd84 GA 96 S 52
22
nicht das Roumlmertum der Grund der Geschichte des Abendlandes istldquo85 Sein My-
thos von Heimat verknuumlpft sich uumlber Dichtung und Ereignis zu einem fuumlr die
Technikphilosophie essentiellen Bezugs-Topos
Wir brauchen keine Technik [] Das Wesen des Vaterlandes ist das Abend-land In ihm werden die Deutschen erst deutsch und erkennen die Muttervon Allem die unversehrte Erde [] Die Wahrheit erfahren wir im Ge-daumlchtnis Das Gedaumlchtnis ist die Dichtung Die Dichtung sagen der Denkerund Saumlnger in ihrem Gespraumlch Dieses Gespraumlch erst ereignet dichterisch dieDichtung in die Sprache (die Dichtung das Ereignis und das Ereignis dasAbendland) [] Wohnt in seiner Sprache [] seyd dem Seyn im Seyn Soist Sein das Seyn86
Eine weitere mythologische Form haben seine Fuumlgungen von Jahreszahlen
womit er bereits in den Bereich des Okkulten Mystischen abzurutschen droht
Houmllderlin wurde [] 1770 geboren [] 1870 aber Lenin Waumlhrend der []Lebenszeit Houmllderlins vollzogen sich die entscheidenden technischen Entde-ckungen und Erfindungen der neuzeitlichen Technik (1774ndash1806)87
Und ferner bdquo1807 Phaumlnomenologie des Geistes 1867 Das Kapital 1927 Sein
und Zeitldquo88
Als letzter Mythos sei hier sein Aufgriff der Spenglerschen Metapher des
Raubtiers89 aufgezeigt Uumlber weite Strecken philosophiert Heidegger uumlber das his-
torische Tier Das historische Tier muumlsse vernichtet werden die bdquodeutsche Zukunft
wirdlsquo nicht erst seinlsquo sie istlsquo schon seit Houmllderlin sie stifteteldquo90 Der Homo
faber ist fuumlr Heidegger das historisch-technische Tier qua der bdquoAngewiesenheit auf
das Tierhafte als Wesensgrundldquo91 Es fehle ihm was bdquodie Griechen als Anfangen-
deldquo mit der bdquoZugewiesenheit des Menschen zum Sein gewagt habenldquo92 wodurch
85 GA 96 S 20586 GA 97 S 52f Hierbei handelt es sich um eine Nachkriegsnotiz Heidegger aumlnderte den die
Adressierung in eine direkte Ansprache richtet sich an seine imaginierte Volksgemeinschaft87 GA 96 S 17488 GA 97 S 131 Womoumlglich ist es eine Uumlbung per Jahreszahlen das Aletheia-Prinzip zu prakti-
zieren eine Kontemplationshilfe Andererseits koumlnnte er auch der Regelmaumlszligigkeit der Zah-lenfolgen eine uumlbernatuumlrliche bdquoWahrheitldquo beimessen Dies bleibt an dieser Stelle unerforscht
89 VGl Spengler Oswald Der Mensch und die Technik Muumlnchen 1931 S 1090 GA 95 S 19791 GA 95 S 32092 GA 95 S 321
23
er den bdquoGoumlttern unertraumlglich gewordenldquo93 waumlre Das bdquoRaubtierldquo dem gegenuumlber
bdquoist die Urform des Heldenlsquoldquo94 Dann behauptet Heidegger dass das Raubtier das
historisch-technische Tier durch Anwendung seiner eigenen Waffen schlagen koumlnn-
te Es ist dabei die bdquoUumlberwindung der Metaphysikldquo mitgedacht die erfolge sobald
sich das metaphysische Fragen durch den Wille zum Willen verfestigt95 Auch
Spengler dachte an dieses Derivat des Nietzsche Topos vomWillen zur Macht das
er seiner antropomorphen Chimaumlre vom Raubtiermenschen eingibt Wieder ist
von der Gewalt die Rede die ein Tabula rasa schaffen sollte zur Wiederauferste-
hung des griechisch-abendlaumlndischen Anfangs in Deutschland bdquoDas Raubtier aber
mit denMitteln der houmlchsten Technik ausgestattet ndash vollendet die Verwirklichung
der brutalitas des Seinsldquo96
Es scheint so als haumltte Heidegger auf jeden Begriff einen Gegenbegriff (selbst
zum historisch-technischen Tier das Raubtier)97 Aber es geht hier nicht um die
Analyse ausgewogener Formprinzipien oder die Kritisierung seiner linguistischen
philologischen Faumlhigkeiten Die Zitierung der Heideggerschen Mythologie soll
seine Verbindung von voumllkisch-nationaler und antisemitischer Haltung mit den
Bedingungen und Anspruumlchen seines Philosophierens aufzeigen Da die Schwar-
zen Hefte wie alle sonstigen Werke seines philosophischen Schaffens in der GA
erschienen sind muumlssen sie insofern als Teil derer gelten Das bedeutet dass sie
ausreichend Relevanz fuumlr die Arbeiten uumlber die Technik haben98
93 GA 95 S 23694 GA 95 S 39795 Vgl GA 7 Uumlberwindung der Metaphysik S 7896 GA 95 S 39797 Vgl Rudolph Heideggers Schwarze Hefte im Echo S 151 bdquoKeiner hat Nietzsche so konse-
quent und wahnwitzig zumNazi avant la lettre verformt wie Heidegger und keiner hat einenzuvor gewaltsam gefuumlgig gemachten Nietzsche so konsequent instrumentalisiert um damitdie vulgaumlr- nationalistische Dekadenz im Sandwich zu geiszligeln wie Heidegger Die Philolo-gie ndash auch die klassische ndash (Colli Cancik Montinari) hat Nietzsche inzwischen laumlngst mitnachhaltigem Erfolg rehabilitiert Wer jetzt noch einen roten Faden von Nietzsche zu Hitlerzieht hat nur noch Heidegger auf seiner Seiteldquo
98 Zum Abschluss dieses Kapitels sei hinzugesagt dass der Veranschlagung der Beispiele vonHeideggers Mythologie ein Exzerpt von 13 Seiten aus 1700 Seiten Text der vier Baumlnde derSchwarzen Hefte zugrunde liegt Beim Studium dieser fielen die staumlndigen Repetitionen derimmer gleichen Figuren und Metaphern auf Daraus wurde geschlossen dass es sich um eineMythologie handeln kann was ein weiteres Forschen bestaumltigte Die hier zitierten Stellensind Topoi die sich in Huumllle und Fuumllle in jedem der vier Baumlnde finden lassen was ihrenmythischen Charakter unterstreicht Die Auswahl versucht ein besonders charakteristischesBild wiederzugeben
24
3 Heideggers mythopoetische
Technik
War Heidegger von seinem neuen Anfang nur zu traumlumen vergoumlnnt so gelang
ihm selbst aber die Wiederauferstehung aus der Asche des ZweitenWeltkriegs mit
der Vortragsreihe in Bremen (1949) uumlber die Technik Der Phoumlnix erweist sich
mittlerweile als Ikarus Anstatt sich selbst zu revidieren fordert Heidegger eine
Kehre ein die auf sein Programm der geschichtlichen Besinnung zum Ursprung ab-
zielt Rezipienten seiner Technikphilosophie taten zumeist seine voumllkischen und
nationalsozialistischen Verstrickungen mit der Niederlegung des Rektorats ab99
Sie glaubten an einen inneren Wandel Heideggers eine Laumluterung und sogar an
seinen geistigen Widerstand uumlber die Naziherrschaft hinweg100 Heute ist erwie-
sen wie Heidegger es aus seinem posthumen Gestaumlndnis in die Welt lecken laumlsst
dass er auf seine private Weise eine Form Nationalsozialismus hegte der die NS-
DAP und Hitler zwar als Vulgaumlrnazis kulturell degradierte aber sich selbst als
Denker-Nazi gerierte
Wie damit umzugehen ist steht aktuell in der Verhandlung Wie Rudolph es
behauptet stuumlnden die Heideggerianer bdquonun mit wertlosen Aktienldquo101 da Der
Kommunikationswissenschaftler Christian Fuchs sieht den Antisemitismus den
die Schwarzen Hefte zutage treten lassen als Notwendigkeit einer rigorosen Ver-
bannung Heideggers aus der technikphilosophischen Theorie102
99 Vgl Luckner Andreas Heidegger und das Denken der Technik Bielefeld 2008 S 64-69100 Vgl Babich Babette Nietzsche Heideggers Widerstand In Alfred Denker u Holger Zabo-
rowski (Hg) Heidegger-Jahrbuch 5 Heidegger und der Nationalsozialismus II Interpreta-tionen S 397-416
101 Rudolph Heideggers Schwarze Hefte im Echo S 146102 Vgl Fuchs Christian Martin-Heideggerrsquos anti-Semitism Philosophy of technology and the
media in the light of the ldquoBlack Notebooksldquo Implications for the reception of Heidegger inmedia and communication studies In tripleC Communication Capitalism amp Critique 13(1) (2015) S 55-78 hier S 74 Anstatt dessen pocht Fuchs auf die alternative Verwendungder Kritischen Theorie uumlber Fragestellungen zur Technik
25
It seems to me that Heideggerrsquos fetishism is often lrsquoart pour lrsquoart Heideg-ger pour Heidegger a tactic that aims at creating an aura of complexity byevoking Heidegger although the same content could be expressed withouthim103
Fuumlr Trawny waumlre dies ein bdquoperformativer Widerspruch [] stets daran zu erin-
nern Heidegger vergessen zu sollenldquo104 Quo vadis Heidegger
Die objektive Antwort Rudolphs der an den Commonsense und die Beweis-
last der Anklage glaubt wie auch der subjektive Appell Fuchs der es zur mora-
lischen Entscheidung des Einzelnen macht Heidegger zu vernachlaumlssigen setzen
aktuell die Jahrzehnte alte Tradition der Heidegger-Kontroverse fort Ein im Sep-
tember 2016 erscheinender Sammelband wird zusaumltzlich die Debatte mit neuen
Bewertungen anreichern105
In diesem Kapitel soll es nicht um die direkte Einreihung in eine der bestehen-
den Polemiken gehen sondern um den Versuch der Betrachtung der spaumlten Tech-
nikphilosophie Heideggers als mythopoetische Dichtung in seinem Sinne des
Philosophierens Als exemplarisches Werk ruumlckt damit das Vortrags-Geviert der
Bremer Vortraumlge ins Zentrum der Anschauung106 Hier wird davon ausgegangen
103 Ebd S 73104 Trawny Heidegger und der Mythos der juumldischen Weltverschwoumlrung S 141105 Heinz Marion und Kellerer Sidonie (Hg) Martin Heideggers raquoSchwarze Heftelaquo Eine
philosophisch-politische Debatte Berlin 2016 (im Druck) Aus dem Klappentext diesesTitelsbdquoOffene antisemitische Aumluszligerungen in diesen Denktagebuumlchern haben in der nichtakade-
mischen Oumlffentlichkeit fuumlr Empoumlrung gesorgt Die entscheidende Frage ist jedoch welcheVeraumlnderungen der Perspektive auf Heideggers Denken insgesamt sich dadurch ergebenund ob damit zugleich eine Neubewertung des Gesamtwerks eines der einflussreichstenPhilosophen des 20 Jahrhunderts noumltig istldquoEine der Herausgeberinnen des Bandes Sidonie Kellerer ist zudem an einem anlaufenden
fuumlnf jaumlhrigen Forschungsprojekt an der Universitaumlt Stuttgart im Rahmen des StuttgartResearch Centre for Text Studies beteiligt Heidegger und die Postmoderne Geschichteeiner Irrefuumlhrungiquest Sie und der Stuttgarter Literaturwissenschaftler Claus Zittel werden Hei-deggers ideologische Verstrickungen in den Nationalsozialismus untersuchen die textlichrekonstruierbar aber nachtraumlglich geklittet worden waumlren bdquoSo konnte die Wissenschaft-lerin Dr Sidonie Kellerer anhand des Vortrages Die Zeit des Weltbildeslsquo erstmals 1950veroumlffentlicht [sic] dass zahlreiche Passagen nachtraumlglich so modifiziert wurden dass dieurspruumlngliche Apologie des Nationalsozialismus nunmehr als Kritik am Regime gedeutetwerden konnte Die 2014 erschienenen Schwarzen Heftersquo mit persoumlnlichen AufzeichnungenHeideggers bestaumltigen zudem wie tief verankert in seiner Philosophie Rassismus undNationalsozialismus waren und bliebenldquo(httpwwwuni-stuttgartdehkompresseservicepressemitteilungen201567_kellererhtmlzuletzt abgerufen am 1442016)
106 Von einer umfassenderen Analyse der Schriften Heideggers zur Technik muss aus Platzgruumln-den abgesehen werden Die Voumlrtraumlge vom Ge-stell der Technik der Kehre und dem Dingsind vor allem wegen ihres Publikationszeitraums interessant da sie direkt an die Dokumen-
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dass Heidegger den Versuch der abgrenzungspolitischen Einflussnahmemacht ge-
maumlszlig der oben dargelegten Ressentiments die sich in einer Mythologisierung des
Abendlandes niederschlagen Um seinem Ideal des dichtenden Denkens als Philo-
sophieren nachzukommen will Heidegger diese Einschreibung des Abendlandes
mythopoetisch vollfuumlhren
Grundsaumltzlich ist Verbindung und Trennung Heideggers boumlser Schwarzer Hef-
te mit und von seiner guten Technikphilosophie das Schlachtfeld aktueller De-
batten Wie bereits darauf hingewiesen werden hier Schwarze Hefte und Veroumlf-
fentlichungen wie eben in Form der Bremer Vortraumlge als ein kontinuierlicher
Arbeitsprozess gesehen Es gibt insofern nur einen Heidegger und keine gespal-
tene Persoumlnlichkeit Die Siegener Philosophin Sodonie Kellerer stellt dies anhand
Heideggers Selbstsicht luzide dar
Seine immer wiederkehrende Beschwoumlrung des Werkeslsquo und seine an diver-sen Stellen der bislang vorliegenden Briefkorrespondenz artikulierten Be-muumlhungen dieses Werklsquo fuumlr die Nachwelt zu sichern [Kellerer bezieht sichhier ua auf Heideggers Briefwechsel mit seiner Frau der 2007 veroumlffentlichtwurde DS] verdeutlichen wie sehr er seine Texte als ein Ganzes verstandin dem keines der Teile entbehrliche Wiederholung geschweige denn irrele-vante Eroumlrterung ist107
Dabei allerdings wird die Frage offen bleiben mit welchem Maszlig er sich selbst ge-
faumlhrdet sah seine Ansichten oumlffentlich zu vertreten und welche Konsequenzen er
dabei fuumlrchtete Denn er musste die Vortraumlge kodieren ndash was er im Sinne der My-
thopoetik auch macht ndash und mit Einigem hinterm Berg halten108 Dass es dabei
verschiedene Offenbarungsebenen gibt wird hier erst einmal hingenommen Es
interessieren staumlrker nachweisbare Bezuumlge des Entwurfsdenkens Heideggers zur
Oumlffentlichkeitsarbeit von ihm109
te der Schwarzen Hefte anschlieszligen (1948 der letzte Band der Schwarzen Hefte umfasst denZeitraum 1942-1948)
107 Kellerer Sidonie Kampf der Besinnung In Deutsche Zeitschrift fuumlr Philosophie Band 63Heft 5 Seiten 941ndash957 hier S 942
108 Weshalb die Veroumlffentlichung der Schwarzen Hefte auch weitestmoumlglich nach hinten verlegtwurde
109 Wuumlrde man dem entgegenhalten dass Heideggers vermeintliches Genie aus Formalisierun-gen seiner Gedanken ableitbar eine wichtige Quelle an sich bliebe scheitert dieses damitdass nun die Formalisierungen nicht personenneutral sozial-epistemologisch bestehen koumln-nen Als Vergleich wuumlrde man aus Hitlers und Goumlbbels Reden Formalisierungen isolierenlieszlige sich bestimmt die eine oder andere plausible Idee entwenden (wenn sie voumlllig dekon-
27
Hierzu wird der Text der gesamten vier Vortraumlge unter dem Titel Einblick
in das was ist Bremer Vortraumlge 1949lsquo110 aus dem 1994 veroumlffentlichten 79 Band
der GA zugrunde gelegt Das hat den Grund dass davon ausgegangen wird dass
der Text somit am naumlchsten an den 1949 tatsaumlchlich vorgetragenen Manuskripten
liegt Insofern ist eine realistische Annaumlherung an eine mythopoetische Uumlbertra-
gung der Schwarzen Hefte in die Bremer Vortraumlge 1949 das Ziel Demgegenuumlber
gibt es ob der virulenten Publikationspraxis von Heideggers Schriften111 noch
andere Auskopplungen der vier Vortraumlgsteile mit den Titeln Das Dinglsquo Das Ge-
Stelllsquo Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo
31 Zur Publikationsgeschichte von den
Bremer Vortraumlgen 1949
Zuerst erschien 1954 im Neske-Verlag (Pfullingen) ein Sammelband der lediglich
den ersten Vortrag Das Dinglsquo enthaumllt allerdings in leicht erweiterter Fassung
so wie er ein halbes Jahr nach dem Bremer Auftritt in Muumlnchen (1950) an der
Akademie der Schoumlnen Kuumlnste gehalten wurde112 Dem Band hinzugefuumlgt ist aber
zudem ein Vortrag der vornehmlich die Kernaussagen von Das Ge-Stelllsquo und
Die Gefahrlsquo verbindet allerdings in modifizierter Form Dieser wurde unter dem
textualisiert wuumlrde) Ist aber die wahre Verbindung zu Hitler und Goumlbbels hergestellt hatman selbstverstaumldlich die Verantwortung zu tragen an dem ganzen Tross von unmoumlglichenVerfehlungen dieser Menschen die sie fuumlr uns zu Personae non gratae stempeln muumlssen
110 GA 79111 Hierauf macht auch der Darmstaumldter Philosoph Gernot Boumlhme aufmerksam als Akt ei-
ner bdquoposthumen Selbstinszenierungldquo in Boumlhme Gernot Selbstinszenierung uumlber Ruhmin der Philosophie In Information Philosophie (Online Ausgabe 12015) URL=lthttpwwwinformation-philosophiedea=1ampt=8232ampn=2ampy=5ampc=29gt zuletzt ab-gerufen am 2442016)
112 Heidegger Martin Das Ding In Ders Vortraumlge und Aufsaumltze Pfullingen 1954 S 163ff
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Titel Die Frage nach der Techniklsquo113 am 18 November 1953 an der TUMuumlnchen
gehalten
Eine weitere Auskopplung diesmal des letzten Vortragsteils Die Kehrelsquo fin-
det sich in einem broschuumlrenformatigen Band wiederum im Zusammenspiel mit
dem Vortrag Die Frage nach der Techniklsquo in Die Technik und die Kehrelsquo114 von
1962 wieder Somit wurden die Vortraumlge Das Ge-Stelllsquo und Die Gefahrlsquo lange
Zeit nicht veroumlffentlicht sondern als vermischter und modifizierter Text eben
Die Frage nach der Techniklsquo jeweils zusammen mit Das Dinglsquo (1954) und Die
Kehrelsquo (1962) angeboten115 In der Vorbemerkung zu Die Technik und die Keh-
relsquo wird diese kleine Chronologie leicht verfaumllscht auch aufgezeigt Darin heiszligt
es ferner dass Die Frage nach der Techniklsquo eine erweiterte Fassung von Das Ge-
Stelllsquo waumlre Dem ist wie schon gesagt nicht so Sondern es ist eine modifizierte
Vermischung von Das Ge-Stelllsquo und Die Gefahrlsquo was unschwer zB am Begriff
vom bdquoHer-vor-bringenldquo116 zu erkennen ist der in Die Gefahrlsquo eingefuumlhrt wird
und in Die Frage nach der Techniklsquo die gleiche Bedeutungskonstituente bildet
Mit der Veroumlffentlichung des 79 Bandes der GA 1994 wurden alle vier Bremer
Vortraumlge von 1949 publiziert In Band 11 der GA erschien 2006 auszligerdem Die
Kehrelsquo in ihrer urspruumlnglichen Fassung Die Frage nach der Techniklsquo enthaumllt
weniger mythopoetische Teile als Das Dinglsquo und operiert demgegenuumlber staumlrker
anhand klassisch philosophischer Allgemeinplaumltze Derer sind vor allem zu nen-
113 Heidegger Martin Die Frage nach der Technik In Ders Vortraumlge und Aufsaumltze Pfullingen1954 S 9ff (Der Aufsatz erschien ebenfalls 1954 im Sammelband der Vortragsreihe DieKuumlnste im technischen Zeitalter Heidegger Martin Die Frage nach der Technik In DieKuumlnste im technischen Zeitalter Dritte Folge des Jahrbuchs Gestalt und Gedanke Hg v dBayrischen Akademie der Schoumlnen Kuumlnste Muumlnchen 1954 S 70ff)
114 Heidegger Martin Die Technik und die Kehre Pfullingen 1962115 Beide Baumlnde Votraumlge und Aufsaumltzersquo sowie Die Technik und die Kehrersquo haben hohe Aufla-
genzahlen (Uumlbersetzungen wurden hier nicht recherchiert wobei es aber eine internationa-le Heidegger-Rezeption gibt) 1993 wurde der Pfullinger Neske-Verlag von dem StuttgarterHaus Klett-Cotta uumlbernommen was die Buumlcher aber unveraumlndert belaumlsst Vortraumlge und Auf-saumltzelsquo zaumlhlt seit 2009 die 11 Auflage Die Technik und die Kehrelsquo seit 2014 die 13 BeideBaumlnde sind vergriffen Es mutet unverstaumlndig an weshalb eine fehlerhafte Jahresangabe ausder ersten Veroumlffentlichung von Die Technik und die Kehrelsquo bis 2014 kolportiert wurdeDort steht der Vortrag Die Frage nach der Techniklsquo waumlre am 18 November 1955 gehaltenworden Der Vortragstermin war aber am 18 November 1953
116 Vgl GA 79 S 64 Und Heidegger Die Technik und die Kehre S 11
29
nen die Auflistung der bdquovier Ursachenldquo117 nach Aristoteles und die Kritik an der
Technik als bdquoein Mittel zu Zweckenldquo118 (Kausalitaumlt)119
Der Vortrag Das Dinglsquo galt Heidegger bei der Darbietung seiner Technikphi-
losophie nach dem Zweiten Weltkrieg allerdings als unentbehrlich ndash und damit
seine groszligflaumlchige Aufblaumltterung der Mythopoetik wie im folgenden Kapitel hier
gezeigt wird Denn im Vortrag Die Frage nach der Techniklsquo benutzt Heideg-
ger noch immer seinen mythopoetischen Topos vom Versammeln des Gebirges
der mit dem Versammeln eine Konstituente des Gevierts ist (bdquoErde und Himmel
die Goumlttlichen und die Sterblichenldquo120) (su)121 Fuumlr die Kaumlufer und Leser von
der spaumlteren Veroumlffentlichung Die Technik und die Kehrelsquo wird zudem in Die
Kehrelsquo extra auf den Vortrag Das Dinglsquo in der 1954er Ausgabe in Vortraumlge und
Aufsaumltzelsquo verwiesen122 Das zeigt wie wichtig und unerlaumlsslich Heidegger seine
mythopoetische Denkweise der Technik ist Auch wenn er in Die Frage nach der
Techniklsquo einen allgemeineren und offeneren Ansatz entwickelt hat der dadurch
auch leichter zu erschlieszligen ist
32 Die mythopoetische Spiegelung der Schwarzen
Hefte in den Bremer Vortraumlgen von 1949
321 Das Dinglsquo
In dem Vortrag Das Dinglsquo der 1949 vor dem privaten Club zu Bremen dort im
Neuen Rathaus das Vortragsquartett einleitete fuumlgt Heidegger mythopoetisch
zusammen was folgenden Topoi seiner Schwarzen Hefte aus Kap 221 entspricht
117 Heidegger Die Technik und die Kehre S 6118 Ebd S 6119 Diese Topoi versucht Heidegger in dem Text zu zersetzen und ihnen ein aletheisches Prin-
zip des Entbergens der Technik entgegenzusetzen Dies erfolgt wiederum auch anhand derVerwendung von mythopoetischen Teilen Darauf kann hier aber nicht weiter eingegangenwerdenAls weitere Gemeinsplaumltze (die er teils unterstuumltzend teils zur Zersetzung einfuumlgt) handelt
der Text auch mit Zitaten von Platon Heisenberg J P Hebel und Goethe120 Ebd S 12121 Vgl GA 79 S 11 Und Heidegger Die Technik und die Kehre S 19122 Vgl Heidegger Die Technik und die Kehre S 42f
30
1 die antirationale Wissenschaftsfeindlichkeit 2 der Mythos des Goumlttlichen 3
das Griechentum uumlber dem Roumlmertum 4 die Zahlenmystik (anhand des Spiegel-
Spiels des Gevierts ndash su) 5 das geschichtsbesinnliche Prinzip der Aletheia
Heidegger stellt zuerst die Frage nach dem Ding und will sie daraufhin ver-
anschaulichen mittels der Metapher des Kruges dh mit dem Krug als ein exem-
plarisches Ding Er fuumlhrt dann vor (was der Geste eines Zauberkuumlnstlers aumlhnelt)
wie der leere Krug gefuumlllt wird ndash Luft weicht der Fluumlssigkeit Dieses Sachverhaumllt-
nis aber ist fuumlr ihn Halbpoesie und eine Angabe aus der Physik sie verfehle das
vermeintliche Wesen des Kruges
Die Wissenschaft stellt durch sie [die Angabe der Physik DS] etwas Wirk-liches vor wonach sie sich objektiv richtet Aber ndash ist dieses Wirkliche derKrug Nein DieWissenschaft trifft immer nur auf das was ihre Art des Vor-stellens im vorhinein als den fuumlr sie moumlglichen Gegenstand zugelassen hat[] Die Wissenschaft macht das Krug-Ding zu etwas Nichtigem insofernsie Dinge nicht als das Maszliggebende zulaumlszligt123
Als ein wirkmaumlchtiges Beispiel das ihm sicherlich viel Beachtung uumlber die
Jahrzehnte seit ihrer Zuumlndung in Japan hinweg einbrachte fuumlhrt Heidegger die
Atombombe an Diese sei zu verstehen als verdinglichte Wissenschaft die das
Ding vernichten wuumlrde
Deren Explosion ist nur die groumlbste aller groben Bestaumltigungen der langherschon geschehenen Vernichtung des Dinges dessen daszlig das Ding als Dingnichtig bleibt124
Er buumlndelt damit Wissenschaft und Verkennung des Wesens als maszliggebend mit
dem Ding als sein machenschaftliches Prinzip der zerrechnenden Zerstoumlrung Drei
Jahre nach Kriegsende war der buumlrgerlich-elitaumlre Kreis in Bremen sicherlich be-
wegt von dieser Wortgewalt Diese jedoch suchte ja ihr Heim Harmonie Ruhe
in dem Haus als Wesen der Sprache
Und so faumlhrt Heidegger fort und ersetzt das physikalische Prinzip des Inhalts-
wechsels von Luft zu Wein in ein bdquoGeschenk des Gussesldquo als Spende und Opfer
den Goumlttern (2)125
123 GA 79 S 8124 Ebd S 9125 Vgl Ebd S 11f
31
Der Guszlig ist der den unsterblichen Goumlttern gespendete Trank [] Der ge-weihte Trank ist das was das Wort Guszliglsquo eigentlich nennt Spende und Op-fer Guszliglsquo gieszligenlsquo lautet griechisch χέειν indogermanisch ghu Das bedeu-tet opfern
Hier spielt bereits der Ursprungsmythos der Griechenmit ein (3) es ist aber auch
ein Bezug auf das Geviert Dieses waumlre ein System ein zusammen Gestelltes aus
bdquoErde und Himmel die Goumlttlichen und die Sterblichenldquo126 Im Guszlig des Trunkes
weilten gemeinsam diese Vier als emblematische Verbindung
Das im Geschenk Versammelte sammelt sich selbst darin das Geviert ereig-net zu verweilen Dieses vielfaumlltig einfache Versammeln ist das Wesen desKruges Unsere Sprache nennt was Versammlung ist in einem alten WortDies lautet thing127
Das Geviert zehrt von der Zahlenmystik zum einen als die Versammlung der
vier Begriffe an sich zum anderen da Heidegger ihnen eine Spiegel-Funktion
zuschreibt bdquoJedes der Vier spiegelt in seiner Weise das Wesen der uumlbrigen wie-
derldquo128 und ferner weil er damit auf sich selbst dh auf sein Vortrags-Geviert
verweist (4) Wie in Kap 21 schon gesagt lebt der Mythos von seiner Verbind-
lichkeit Diese legt Heidegger allen nah die sie verinnerlichen wollen bdquoSagen wir
die Sterblichen dann denken wir falls wir denken die anderen Drei mit aus der
Einfalt der Vierldquo129
Sollte der Vollzug der Praxis des sukzessiven Mitdenkens aller vier Geviert-
Entitaumlten gelingen koumlnnte das Ereignis der Aletheia begriffen werden (5) bdquoDas
Spiegel-Spiel von Welt ist der Reigen des Ereignensldquo130 Diese wird aber auch be-
griffen in Abgrenzung von dem Roumlmertum (3) denn in der bdquorealitas der resldquo
haumltten die Roumlmer bdquoihr Erfahrenes niemals eigens in seinem Wesen gedachtldquo131
Das waumlre den Griechen vorzubehalten und vom verstaumlndig denkenden Deutschen
wiederzubeleben
126 Ebd S 12127 Ebd S 13128 Ebd S 18129 Ebd130 Ebd S 19131 Ebd S 15
32
Der Krug ist ein Ding weder im Sinne der roumlmisch gemeinten res noch imSinne des mittelalterlich vorgestellten ens noch gar im Sinne des neuzeitlichvorgestellten Gegenstandes [] Der Krug ist Ding insofern er dingt132
Die Bindung an das deutsche Wort bdquoDingldquo das er spielerisch auch ins Englische
Romanische und Franzoumlsische uumlbersetzt ist unerlaumlsslich fuumlr seine ethymologi-
sche Argumentation In der ist der bdquoGuszligldquo ruumlckgefuumlhrt auf indogermanisch bdquoghuldquo
und das bdquoDingldquo auf das mittelhochdeutsche bdquothingldquo So konnten antik die Roumlmer
von den Griechen abgrenzt werden und modern die anderen drei Sprachen vom
Deutschen Das englische sich sehr nah am bdquothingldquo befindliche bdquothingldquo wird mit
dem Roumlmischen ausgespielt
Im Englischen hat thing noch die erfuumlllte Nennkraft des roumlmischen Wor-tes res bewahrt [] dh ein aus sich kommendes den Menschen Angehen-des133
Fuumlr Heidegger geht es beim bdquothingldquo aber um die mittelhochdeutsche Uumlbersetzung
der Versammlung Darauf beruht sein gesamter Systemansatz mit Geviert und
Ge-stell
Schulz-Nieswandt fuumlhrt diese Zusammenstellung zum Bejubeln von Heideg-
gers Mythopoetik
So fundamental sieht Heidegger die Welt Die Quelle des Wassers wird zurHochzeit von Himmel und Erde das Gieszligen des Wassers aus dem Krugzum Geschenk Auch Sprache ist daher kein Instrument sondern Ort desWohnens des Menschen Sprache wird zum Haus des Seinslsquo134
Hier bestaumltigt die Untersuchung des Ding-Vortrags die These von einer mytho-
poetischen Einschreibung der nationalistischen voumllkischen Abgrenzungs-Mythologie
aus den Schwarzen Heften
322 Das Ge-Stelllsquo
Der zweite Vortrag des Reden-Gevierts setzt ein mit der Metapher des fehlen-
den Abstands Wo kein Abstand sei da waumlre auch keine Naumlhe so Heidegger Er
132 Ebd S 16133 Ebd S 14134 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei Walter
F Otto S 59
33
verbindet die Abstandslosigkeit mit Urbanitaumlt und Verkehr alles fluktuiere Es
waumlre der Bestand der sich bestelle in dem das Abstandlose herrsche Das sind
neue Metaphern fuumlr die Machenschaft In seiner Erzaumlhlung vom Ge-Stell gibt es
bedeutend weniger mythopoetische Passagen als in dem vorangegangenen Vor-
trag Allerdings uumlbertraumlgt er den mythopoetischen Gehalt der Rede vom Ding
bereits im ersten Absatz von Das Ge-Stelllsquo mit dem Credo bdquoNaumlhe west insofern
das Ding dingtldquo135 Mit dieser Verbindung wird klar unter welchem Zeichen Hei-
degger die Rede vom Ge-Stell verstanden wissen will ndash als verlorenes Verhaumlltnis
des voumllkisch-traditionell verwurzelten Menschen mit den vermeintlichen Wesen
all seiner Gebrauchsobjekte in der mythopoetischen Formel des sich spiegelnden
Gevierts
Nahezu nuumlchtern erzaumlhlt Heidegger dann von dem Gefaumlngnis des Menschen
im Wesen der zirkulierenden sich immer neu bestellenden Bestandstechnik des
Ge-Stells Dabei scheinen folgende Mythen aus den Schwarzen Heften hindurch ndash
1 bdquoHistorie die Technik der Geschichtelsquo Technik die Historie der Naturlsquoldquo136
2 das historische Tier 3 der Appell an den Auftrag des Deutschen 4 der geschicht-
liche Mensch muss die Historie und damit die Technik uumlberwinden und 5 die
alles zernichtende Machenschaft des juumldischen Wesens
Den Topos der seinsvergessenen Groszligstadt jedenfalls kontrastiert er mit der
Bauerndorfidylle Da aber bdquodas Abstandlose herrschtldquo137 waumlre das Vorruumlcken der
Maschinentechnik bereits universell So in Form des Traktors Schon in Band
96 der Schwarzen Hefte beklagt er dieses bdquozum elektrischen Pflug [] gehoumlrt
das amerikanisch aufgemachte Magazinlsquoldquo Insofern erfolge die bdquoAngleichung der
Sitten der Bergbewohner an diejenigen des groszligstaumldtischen Sport- und Barbe-
triebsldquo138
Sein erster Land-Stadtvergleich betrifft den Bauern dessen Totenruhe tradi-
tionell in einem sg bdquoTotenbaumldquo (Sarg) stattgefunden haumltte ndash bdquoIn ihm gedeiht
der Tod des Totenldquo139 Dem gegenuumlber klingt in der bdquomotorisierten Bestattungs-
135 GA 79 S 24136 GA 95 S 351137 GA 79 S 24138 GA 96 S 54139 GA 79 S 26
34
industrie der Groszligstadtldquo140 bereits Heideggers pietaumltsloser Gaskammernvergleich
an
Ackerbau ist jetzt motorisierte Ernaumlhrungsindustrie im Wesen das Selbewie die Fabrikation von Leichen in Gaskammern und Vernichtungslagerndas Selbe wie die Blockade und Aushungerung von Laumlndern das Selbe wiedie Fabrikation von Wasserstoffbomben141
Hier wird davon ausgegangen dass es eine Uumlbertragung der Notizen uumlber
das deutsche Land als bdquoeinziges KZldquo ist die Unterdruumlckung des deutschen Vol-
kes durch die bdquoWeltdemokratieldquo die schlimmer sei als die Graumlueltaten der bdquoGas-
kammernlsquoldquo142 In die mythopoetische Formel von dem dingenden Ding aus dem
ersten Vortrag sind alle Valenzen eingeschrieben die es zur Aufgabe des abendlaumln-
dischen Deutschen (also als Nachfolger der alten Griechen) machen das Wesen
des Dings und somit der Technik zu huumlten Die Verantwortung fuumlr Genozid
Massenvernichtungswaffen und den Mangel im Nachkriegsdeutschland schreibt
Heidegger gleichfoumlrmig dem Prinzip der Abstandslosigkeit zu
Auch die Rede von der Habgier des Berechnenden ist ein bereits bekannter
Vorbehalt Heideggers anhand der Rede vom raffgierigen Juden Denn er sagt von
der bdquoHerrschaft des Abstandlosenldquo dass sie bdquodie Hab-gier des vorstellenden Be-
rechnensldquo waumlre143 Das entspricht seinem Mythos von der alles zernichtenden
Machenschaft des juumldischen Wesens144
Dann folgt eine lange Elegie uumlber das Bestellen des Bestands des Ge-Stells
bdquo[d]ie Kette des Bestellens laumluft auf nichts hinaus sie geht vielmehr nur in ihren
Kreisgang hineinldquo145 uumlber 19 Seiten des 21 seitigen Vortragsexts hinweg entwirft
Heidegger diverse Bilder wie das Ge-Stell die Natur das Hergestellte den Men-
schen und das Verstandesmaumlszligige vereinnahme und das Wesen desDings gleichsam
zur Veruntreuung bringen wuumlrde Wiederum poetisch orientiert kontrastiert also
140 Ebd141 Ebd S 27142 GA 97 S 99f143 Vgl GA 79 S 25144 Vgl Machenschaft hier S 29 und Geraff hier S 33145 GA 79 S 29
35
Heidegger Houmllderlins Hymne Der Rheinlsquo mit dem Rhein dessen Stroumlmung fuumlr
ein Stromkraftwerk genutzt wird
Achten wir um das Ungeheure das hier waltet zu ermessen nur auf einenAugenblick auf den Gegensatz der sich in den beiden Titeln ausspricht DerRhein verbaut in das Kraftwerk ndash der Rheinlsquo gesagt in der gleichnamigenHymne Houmllderlins146
Die Differenz also waumlre das Ungeheure147 Dabei waumlre der Rhein verbaut in das
Kraftwerk Aumlhnlich wie Kohle Erze und Rohoumll waumlren sie Bestand der bdquobesteht
im Bestellenldquo ndash bdquoDas Bestellen waumlre demnach lediglich eine Machenschaft des
Menschen vollzogen in der Weise der Ausbeutungldquo148
Das Bild des Wasserkraftwerks wird erweitert um den Begriff des Menschen
Elektrizitaumlt mit Wasserkraft erzeugen bdquokoumlnnen die Menschen [] nur insofern
sie selber schon in dieses Bestellen bestellt sindldquo149 Mit diesem Bild versucht Hei-
degger praktisch zu veranschaulichen dass Entwurf Umsetzung und Einsatz ei-
ner technischen Anlage den Menschen in ein entruumlcktes Verhaumlltnis zum Wesen
des dingenden Dings setze ndash bdquoDer Mensch ist darum der Angestellte des Bestel-
146 Ebd147 Das ist zusaumltzlich zu dem gemeinten Gegensatz ein Vergleich mit dem Heidegger dem Wort
bdquoRheinldquo in die Hymne Der Rheinlsquo gesprochen eine Energie erzeugende Wirkung zu-schreibt eben so wie das Kraftwerk Strom erzeugen wuumlrde Das wird klar dadurch dassHeidegger metaphorisch vom Stellen des Wortes bdquoRheinldquo in die Hymne spricht Es handeltsich um einen Appell zur denkerischen Besinnung Dass Heidegger dafuumlr eine technischeAnlage zur Veranschaulichung inspirierend wirken laumlsst spielt bereits in die Richtung derBegriffe bdquoHer-vor-bringenldquo bdquoEntbergenldquo und spielt auf das Alteheia-Prinzip an Darauf wirdweiter unten anhand Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo eingegangen werden Es handelt sich umdas Angebot eines mythopoetischen Umgangs mit Technik insbesondere wenn sie sich inheimische Gefilde einfuumlgtHeute koumlnnte man mit Windraumldern ebenso verfahren Somit koumlnnte aber auch Heidegger
als ein gewisser Quijana aus Mancha verstanden werden eben der Protagonist aus Miguel deCervantes Roman Don Quichote von der Manchalsquo der mit seinem von ihm flux auch um-benannten Klepper (weil er zuvor sich selbst in Don Quichote umtaufte) Rocinante Riesenbezwingen will um mit dieser Heldentat unsterblichen ritterlichen Ruhm zu erstreitenAuch Don Quichote fand seine Riesen in Windmuumlhlen und auch Don Quichote war uumlber
eine uumlbertriebene Auseinandersetzung mit einer verschuumltteten Kultur dieser verfallen undsuchte diese in seiner Aventuumlre zu reaktualisieren Martin Heideggers mythopoetisches Pro-gramm ist tatsaumlchlich stark mit Don Quichotes Motiv vergleichbarFerner waumlre eine Auseinandersetzung mit Heideggers Werk unter Beruumlcksichtigung sei-
ner Gewichtung der Vorsokratiker und Houmllderlin als mythopoetischen Autor eine moumlglicheForschung zum Thema Anachronismen in Konzepten von Moral und gesellschaftlicher An-gemessenheit (Vgl Cervantes Miguel de Don Quichote von der Mancha Herausgeben unduumlbersetzt v Susanne Lange Muumlnchen 2008 S 33f)
148 GA 79 S 29149 GA 79 S 30
36
lensldquo150 Schon vorher wies Heidegger darauf hin bdquo[d]ie Herrschaft des Gegen-
staumlndigen sichert nicht den Abstandldquo151 Jetzt heiszligt es
Das Bestellen befaumlllt nicht nur die Stoffe und Kraumlfte der Natur mit Gestel-lung Das Bestellen befaumlllt zugleich das Geschick des Menschen Das Wesendes Menschen wird daraufhin gestellt das Bestellen in menschlicher Weisemitzuvollziehen152
Der Begriff des Ge-Stells wird daraufhin so konstruiert dass es im Bestellen
um ein Stellen (Herausfordern) alles bdquoAnwesenden als Bestandldquo als bdquoversus unumldquo
gegen bdquodas Eine Ganzeldquo gehe153 In wiederum mythopoetischer Formulierung ge-
baumlre die bdquoVersammlung des Stellens worin alles Bestellbare in seinem Bestand
west das Ge-Stellldquo154 Der Begriff bdquoVersammlungldquo wird einen Absatz zuvor my-
thopoetisch wieder an die Versammlung also das thing eben das wesenhafteDing
angelehnt und somit wie zu Das Dinglsquo bereits oben erlaumlutert in einen deutsch-
abendlaumlndischen Kontext gestellt (3)
Wir nennen die Versammlung der Berge die von sich her einig und nienachtraumlglich schon gesammelt ist das Gebirge Wir nennen die Versamm-lung der Weisen nach denen uns so zumute ist und sein kann das Gemuumlt155
Allerdings ist obiges Versammlungsmodell hier als Kontrast zu sehen zu dem
bdquoGeraff des Getriebesldquo das das Ge-Stell darstellt als bdquoWesen der Technikldquo156 Hei-
degger sieht in der Gleichfoumlrmigkeit die zum Wesen des Technik als Ge-Stell
150 GA 79 S 30151 GA 79 S 25152 GA 79 S 31153 Vgl GA 79 S 32154 GA 79 S 32155 Ebd
Das Wort ldquoGemuumltrdquo hat ferner eine ausschlieszliglich deutsche Praumlgung gibt es doch keinedirekte Uumlbersetzungen Gemuumlth ist ferner ein nicht eindeutig umrissener Begriff (Vgl Kra-mer Cheryce A Foolrsquos Paradise The Psychiatry ofGemuumlth in a Biedermeier Asylum Chica-go 1998 S 19) Die Bedeutung im Deutschen selbst ist zudem sehr variabel hat aber zumeistmit Seelen- oder Geistkonzepten zu tun ndash Cheryce von Xylander (geb Kramer) uumlbersetztGemuumlth mit bdquosoul-organldquo (ebd S 43) das von diversen Autoren unterschiedlich konstru-riert wird (zB von Kant geistigkoumlrperlich und von Kleist individuellkollektiv (vgl ebdS 41)) In Heideggers emblematischem Duktus scheint eine Vermischung von allen vier Di-mensionen geistigkoumlrperlich wie auch individuellkollektiv stattzufinden Es ist auf jedenFall dem Mythos geschuldet den Auftrag des Deutschen anzunehmen (3)
156 GA 79 S 33
37
gehoumlre die planetarische Abloumlsung und Aufhebung des traditionellen und damit
wesenhaft ans Ding gebundenen Verhaumlltnisses vom Menschen zur Erde (das von
ihm idealisierte voumllkische Bauerntum das Bestellen des Ackers) bdquoDie Bestand-
Stuumlcke sind Stuumlck fuumlr Stuumlck die Gleichenldquo157 So kontrastiert er alte Handwerks-
techniken mit Maschinentechnik und schreibt der Maschinentechnik die machen-
schaftliche Verdraumlngung als Geraff zu
Das Ge-Stell hat auch wenn das nicht unmittelbar und nicht sogleich ver-nehmlich wird im vorhinein schon alle diejenigen Stellen beseitigt an denenvormals Spinnrad und Wassermuumlhle standen Das Ge-Stell bestellt durch sei-ne Maschinerie zum voraus eine andere Art und Ordnung von Stellen Andiesen kommt nur zu Stand was als Bestellbares auf der Stelle gleichfoumlrmigzur Stelle steht
Darum ist auch die Art wie die Maschine selbst etwas herstellt einewesentlich andere als das handwerkliche Tun gesetzt daszlig es innerhalb desGe-Stells uumlberhaupt noch so etwas wie ein Herstellen gibt
Die Traktoren und Kraftwagen werden herausgebracht ausgeworfen se-rienweise Stuumlck fuumlr Stuumlck Wo drauszligen steht dieses so Herausgestellte Wo-hin in welchen Stand ist es gebracht158
In dieser Klage uumlber den technischen Wandel der durch den Fortschritt in
alle Lebensbereiche Einzug haumllt versucht Heidegger zu veranschaulichen wel-
chen Verlust es zu erkennen gelte Ein Versuch diesem entgegen zu treten ist die
von ihm vorgetragene Mythopoetik die er in diesem Vortragsteil seines Vortrags-
Gevierts allerdings auffaumlllig zuruumlckgestellt sein laumlszligt War der Einleitungsteil Das
Dinglsquo schlieszliglich eine nahezu einzige mythopoetische Darbietung Dramatur-
gisch wird Heidegger in Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo die mythopoetischen For-
mulierung als Loumlsungswege wieder Bedeutung geben In Das Ge-Stelllsquo versucht
Heidegger hingegen Vorstellungen aus seinen Schwarzen Heften aumlhnlich der fol-
genden mitzuteilen die das Uniforme Gleichfoumlrmige betreffen
Die Macht der Machenschaft ndash die Vernichtung sogar der Gottlosigkeit dieVermenschung des Menschen in das Tier die Vernutzung der Erde die Ver-rechnung der Welt ndash ist in den Zustand der Endguumlltigkeit uumlbergegangenUnterschiede der Voumllker Staaten Kulturen sind nur noch Fassade159
157 GA 79 S 36158 GA 79 S 35159 GA 96 S 52f
38
Was Heidegger unter dieser Gleichfoumlrmigkeit versteht schreibt er in den Schwar-
zen Heften zumeist den Amerikanern zu Er nennt es auch haumlufig Planetarismus
Der Amerikanismus [ist DS] die Zusammenraffung von Allem welcheZusammenraffung immer zugleich die Entwurzelung des Gerafften bedeu-tet160
Der Planetarismus ist die historisch gedachte Bestimmung der uumlberall glei-chen die ganze Erde uumlberdeckenden Seinsverlassenheit des Seienden161
Die Gegenuumlberstellung von natuumlrlicher und traditioneller Handwerkstechnik
gegen maschinenhafte Gleichfoumlrmigkeit exemplifiziert Heidegger dann im Vor-
trag Das Ge-Stelllsquo vielfach wie zum Beispiel hier
Der Forstwart zB der im Wald das geschlagene Holz vermiszligt und demAnschein nach noch wie sein Groszligvater in der gleichen Weise die selbenWege geht ist heute von der Holzverwertungsindustrie gestellt Er ist ober es weiszlig oder nicht in seiner Weise Bestand-Stuumlck des Zellulosebestandesund dessen Bestellbarkeit fuumlr das Papier das den Zeitungen und illustrier-ten Magazinen zugestellt wird die uumlber die Oumlffentlichkeit daraufhin stellenverschlungen werden162
160 GA 96 S 257161 GA 96 S 261162 GA 79 S 37f
Die renommierte Theaterautorin Elfriede Jelinek karikiert in ihrem Stuumlck Totenaubergvon 1991 Heideggers Konstrukt von Heimat und Fortschrittsfeindlichkeit verbunden miteiner Auseinandersetzung mit dessen Liebschaft zu Hannah Arend Mit philologischer Prauml-zision polemisiert sie Teile aus Heideggers Elegie uumlber die Technik und laumlszligt ihn dabei alsbeschraumlnktes und eingezwaumlngtes Wesen in einem Gestell gefangen sein Aus diesem heraussoll er Arend Rede und Antwort stehen uumlber sein Verhaumlltnis zum Nationalsozialismus unddie Shoa Doch dieser redet nur naturtrunken von Heimat und berauscht sich daran Derprophetische Denker wird banalisert ndash diese Worte legt Jelinek ihm (im Stuumlck der alte Mann)in den MundbdquoDie Angst vor dem Fragen liegt uumlber dem Abendland Sie bannt die Kandidaten auf ein
Team-Leibchen verbannt sie auf altgewordene Wege und jagt sie zuruumlck ins morsch geworde-ne Gehaumluse ihrer Tore wo es um ihre Ausscheidungen geht Es wird ihnen alles weggenom-men werden auch der Weg selbst Keine Spur kein Lichtschein aus den Ritzen Aber ruf ichin die Huumltte um nach einem zu fragen den ich gekannt hab sehe ich grad noch eine Tuumlrsich schlieszligen Der Wald kommt nicht zur rechten Geltung alles ist entflohen was mir liebwar und woran ich geglaubt hab Was kommt ist noch nicht da Nichts war Ich habe nichtsgehoumlrt Ich erinnere mich nicht aber ich stelle dem Kommenden das mich den lupenreinenAmateur schon vor Beginn des Rennens erlahmen laumlszligt vorsorglich die Hausschuhe vor dieTuumlr Sie sind das Einzige was die Profis des Profits von mir dann vorfinden werden wennsie anklopfen Die Haumlrte des Urgesteins sollte sie nicht entmutigen Die Jahreszeiten machendie Landschaft auf und zu Ich sage nur In dieser scheinbaren Leere will ich vom Denkenmuumld nur schlafen Von der Huumltte aus lassen sich Wanderungen unternehmen Aber auchsonst wird Ihnen alles wie ich sagte genommen werden Auch Ihre Fotos und Namen Unddas Gewesene wird wesenlosldquo ( Jelinek Elfriede Totenauberg Hamburg 1991 S 86f)
39
Die Oumlffentlichkeit ist fuumlr Heidegger ein Topos der dem Denken und Besinnen
entgegenstuumlnde Somit meint er damit zum Einen die Medien wie er es anhand
der Rede von den Bestandstuumlcken in Das Ge-Stelllsquo erklaumlrt wo der Mensch als
Urheber des Ge-Stells als Wesen der Technik nicht gelten soll Vielmehr wuumlrde er
in Ratlosigkeit und Langeweile verfallen weil er in der Bestellung des Bestandes in
Form von Bestandstuumlcken vom Rundfunk keine Besinnung mehr faumlnde dh das
Ganze also wiederum daswesentliche Ding nicht mehr zu fassen vermoumlge163 Und
so toumlnt es bereits aus den Schwarzen Heften von 19391940()
Die Bildlsquo und Tonlsquo ndash Reportagenlsquo der Machenschaft ist der planetari-sche Mythuslsquo des Vollendungsabschnittes der Neuzeit Die Welt des abge-legensten deutschen Bauernhofes wird nicht mehr durch [] die Naturlsquobestimmt in der noch die Erde waltet sondern durch das illustrierte Blattmit der Darstellung von ausgezogenen Tanzweibern von Boxern und Renn-fahrern und sonstigen Heldenlsquo des Tages164
Und ferner notierte Heidegger 1946 in seinen Schwarzen Heften
Uumlberall zerrt es aus dem Oumlffentlichen ins Oumlffentliche mit vielen Strickenund jeder sieht das kaum versuchte Denken des Seyns am Leitband seinesStrickes165
Dabei waumlre eben ein bdquoLiterat [] ein in die Oumlffentlichkeit verliebter Mensch der
Angst vor dem Denker hatldquo166 Dieses liefe dann darauf hinaus dass beim Rund-
funk bdquoein Bestellen und Stellen waltet das in dasWesen des Menschen eingegriffen
hatldquo167
Abermals nach dem Wesen der Technik also nach dem Ge-Stell gefragt geht
Heidegger auf seine Unterscheidung vonNatur undNaturwissenschaft ein bdquo[w]elches
ist das Verhaumlltnis zwischen der Technik und der Naturldquo168 Natur wuumlrde in wis-
senschaftlicher Hinsicht unter das Berechnete fallen sie wuumlrde bdquoals das in Maszlig
und Zahl gestellte Wirkliche vorgestellt das in seinem Gewirkten staumlndig an-
westldquo169 Wenn Heidegger dann Natur aus technischer Sicht bdquoals ein System des
163 Vgl GA 79 S 38f164 GA 96 S 54165 GA 97 S 100166 GA 97 S 126167 GA 79 S 39168 GA 79 S 41169 Ebd
40
Bestellens von Erfolgen aus dem gestellten Wirksamenldquo170 charakterisiert spricht
er von seiner Rede der Verschraumlnkung von Historie und Technik ndash bdquoTechnik die
Historie der Naturldquolsquo171 Dieses ist bekanntlich das seinsvernichtende Gegenstuumlck
zur geschichtlichen Besinnung Denn geschichtliches Walten der Technik ist fuumlr
Heidegger technische Geschichte dh verwissenschaftlichte Geschichte die da-
durch ihr Wesen verloren haumltte (Seynsvergessenheit)172 So heiszligt es in den Schwar-
zen Heften von 1947
Ein Zeitalter das historisch geworden ist dh technisch planend sich selberberechnet und alles in diesen Sog zieht muszlig jede Besinnung nur als eine dervielen Formen der Intellektualitaumlt registrieren173
Heidegger schlieszligt den Vortrag mit dem Aufgriff der Anfangsbehauptung
bdquo[d]er Bestand bestellt das Abstandsloseldquo174 Somit liegt das Problem der ausblei-
benden Naumlhe durch die Technik deren Wesen das Ge-Stell waumlre das den Bestand
bestelle in der Luft Dass dabei der Mensch sogleich Teil des Bestandes und nicht
Teil der Maschine wird laumlsst ihn das historische Tier sein (2)
Der Mensch ist auswechselbar innerhalb des Bestellens von Bestand []Gleichwohl gehoumlrt der Mensch in einer voumlllig anderen Weise in das Ge-Stellals die Maschine DieseWeise kann unmenschlich werden DasUnmenschlicheist jedoch immer noch unmenschlich Der Mensch wird nie zur MaschineDas Unmenschliche und noch Menschentuumlmliche ist freilich unheimlicherweil boumlsartige und verhaumlngnisvoller denn der Mensch der nur Maschine wauml-re175
Wen Heidegger hier ersinnt ist der neuzeitliche Mensch der den bdquoGoumlttern uner-
traumlglich gewordenldquo176 waumlre
170 Ebd171 GA 95 S 351172 In Heidegger Die Technik und die Kehre S 21 stellt er Geschichte und Historie einander
gegenuumlber was er in Das Ge-Stelllsquo nicht vollzieht bdquoDie moderne Technik kam doch erst inden Gang als sie sich auf die exakte Naturwissenschaft stuumltzen konnte Historisch gerechnetbleibt dies richtig Geschichtlich gedacht trifft es nicht das Wahreldquo Signifikant fuumlr Heideg-gers Attributierung so wie sie oben schon geschildert ist steht Historie fuumlrs Rechnen undGeschichte fuumlr das Denken
173 GA 97 S 508174 GA 79 S 44175 GA 79 S 37176 GA 94 S 236
41
323 Die Gefahrlsquo
Aus Heideggers Darlegung uumlber das Ge-Stell erschlieszligen sich seine diversen Fa-
cetten der Vorstellung einer Abstandslosigkeit schaffenden Technik Dass die Ab-
standslosigkeit dem Prinzip des Gevierts des Zusammengestellten entgegensteht
bekommt im Vortrag Die Gefahrlsquo Nachdruck Die mythopoetische Erzaumlhlung
knuumlpft an den Vortrag Das Dinglsquo an mit den Mythologemene 1 Der Mythos
des geschichtlich sein muumlssens 2 der Mythos des Goumlttlichen 3 das geschichtsbe-
sinnliche Prinzip der Aletheia Zudem wird im Prozess des Vortrags das Ge-Stell
zur Gefahr stilisiert was einen eigenen Mythos erschafft
Durch das bdquouniversale Bestellen des Ge-Stellsldquo177 werde die naumlhernde Naumlhe des
Dings verwehrt Wie im Vortrag Das Dinglsquo fuumlhrt Heidegger das Wesentliche sei-
ner Theorie auf die deutsche und altgriechische Sprache zuruumlck Die so vollzoge-
ne Annaumlherung von Schwarzwaumllderischem Dialekt und Altgriechisch entspricht
Heideggers Traum von dem bdquogeschichtliche[n] Geburtsort des abendlaumlndischen
Wesensldquo178 den seine Heimat von Todtnauberg bis Freiburg stiften sollte (1)
es ist das Geistvolle und zugleich das erdenhafte schoumlne Land Es birgt un-sichtbaren Reichtum dem Gemuumlt bewahret tiefstes Dichten und houmlchsteGestalt der Sage179
Unter diesem Vorzeichen also sagt Heidegger
Das Ge-Stellwesen laumlszligt das Ding ohne die Wahr Das Wort die Wahrlsquo be-deutet in unserer Sprache dort wo sie noch urspruumlnglich spricht die HutIn unserer schwaumlbischen Mundart meint das Wort die Wahrlsquo die der muumlt-terlichen Hut anvertrauten Kinder Das Ge-Stell laumlszligt in seinem Stellen dasDing ohne die Hut ndash ohne die Wahr seines Dingwesens180
Diese in Bremen vorgetragene Heimatkunde ist auch Heideggers Sorge ge-
schuldet durch die Besatzermaumlchte und deren kulturellen Einfluss auch durch
die nun moumlgliche Oumlffnung Deutschlands zu einem Austausch mit der Welt das
eigene Wesen zu verlieren So schreibt er 1945-1947() in seine Schwarzen Hefte
177 GA 79 S 46178 GA 97 S 54179 Ebd180 GA 79 S 46
42
Das Schwerste und Fragwuumlrdigste unseres Geschickes ndash beruht darin ob wirdas Eigene finden und huumlten [] unter den anderen Voumllkernlsquo [] Scheinund Vorwand der Macht daszlig man unsere eigene Aufgabe bringen will []als Entmachtete aufgenommen zu sein in den Weltmachenschaftsbetrieb181
Es gaumlbe nach Heidegger also das Welten von Welt und die Verweigerung von
Welt aus derVerwahrlosung des Dings durch das Ge-Stell bzw die Technik182 Welt
ist nach dem Konzept des schwaumlbischen Denkers nichts weniger als das Geviert
Bei der folgenden mythopoetischen Zusammenstellung von dem Geviert mit alt-
griechischen Vokabeln um den Seins-Begriff wird das Aletheia-Prinzip eingefuumlhrt
Somit fuumlhrt uumlber den Mythos des Goumlttlichen (2) der Weg zur Wahrheit eben als
geschichtsbesinnlich erfahrene Aletheia (3)
Welt ist das Geviert von Erde und Himmel Goumlttlichen und SterblichenDas Spiegel-Spiel der Vierung wahrt alles was in ihm dingend zwischenden Vier anwest und abwest in das einende Ganze seines Anwesens Vonaltersher heiszligt das Anwesen des Anwesenden τὸ ὲόν das Seiend [sic] τὸεἶναι das Sein naumlmlich der ὲόντα des Seinenden das esse entium183
Diese Welt waumlre nun bdquoWahrnis des Wesens von Sein Statt Wahrnis sagen wir auch
Wahrheitldquo184 Die Welt mythopoetisch als Spiegel-Spiel des Gevierts und durch
eine altgriechische Brille betrachtet waumlre die wahre Welt Somit wird die Wahr-
heitsschau gebunden einen antiken Goumltterglauben und abendlaumlndische Sprachkas-
kaden vom Dialekt zum Altgriechisch
Das Problem mit der wahren Welt waumlre allerdings dass sie sich in die Ver-
borgenheit entziehe Naumlher betrachtet ist aber die Verborgenheit Bedingung des
Entbergens was Heidegger notwendig macht zu einem wuumlrdigen Lebensvollzug
in Harmonie mit dem Sein Durch solche Wesensschau waumlre der Mensch befaumlhigt
jederzeit die verstellenden Maumlchte des Ge-Stells (der Technik) zu uumlberwinden und
teilhaftig am Wesen der Welt zu werden
181 GA 97 S 99182 Vgl GA 79 S 47183 GA 79 S 48 (Die griechischen Vokabeln werden hier keiner Uumlbersetzung unterzogen Da
Heidegger ohnehin keine philologische Schaumlrfe anwenden will ist es fuumlr die Zwecke hierausreichend sie mit seiner Uumlbersetzung zu betrachten Heidegger spricht von bdquoAchten aufdas Griechischeldquo was schwieriger waumlre als klassische Philologie (vgl GA 79 S 63)
184 Ebd
43
Welt bleibt in der Verborgenheit (Αήθη) auf die Weise daszlig diese ihre Ver-borgenheit gerade eine Unverborgenheit gewaumlhrt die Αλήθεια185
Die Αλήθεια haumltte allerdings auch eine Rolle uumlber die subjektive hinaus da nur
durch ihren Vollzug Seinsgeschichte gewaumlhrt wuumlrde Das ist der Anspruch den
Heidegger an sein Auditorium stellt gemeinsam geschichtlich sein zu muumlssen (1)
Die Αλήθεια ist das Geschick des Seins als welches Geschick sich die Fuumllleder Seinsgeschichte in ihre Epochen fuumlgt186
Mit dem Ge-Stell als Wesen der modernen Technik waumlre die Aletheia aller-
dings hochgradig gefaumlhrdet Denn ohnehin waumlre die Aletheia prinzipiell der Ge-
fahr der Vergessenheit ausgesetzt Doch das Ge-Stell haumltte die Kraft die bdquovollende-
te Vergessenheit der Wahrheit des Seinsldquo187 zu vollrichten
Indem das Ge-Stell alles Anwesende in den Bestand bestellt setzt das Ge-Stell das Anwesen des Anwesenden heraus aus seiner Wesensherkunft ausder Αλήθεια188
Diese Versetzung des beteiligten Wesens aus der Moumlglichkeit des Wahrheitsprin-
zips heraus markiert Heidegger dann mit der Schreibweise Seyn (mit bdquoyldquo) Wie
bei dem Vortrag Das Dinglsquo koumlnnen ethymologische Abstammungen sein Sys-
tem anreichern Da wo es um das Wortfeld des Stellens geht Ge-Stell Bestellen
Verstellen ist auch das NachstellenMitglied der Familie
Im Althochdeutschen heiszligt nachstellen fara Das in sich gesammelte Stellenals Nachstellen ist die Gefahr Der Grundzug des Wesens der Gefahr ist dasNachstellen Insofern das Sein als das Ge-Stell sich selbst mit der Vergessen-heit seines Wesens nachstellt ist das Seyn als Seyn die Gefahr seines eigenenWesens189
Damit wuumlrde sich durch die Verringerung der Selbstreflexion im Seyns-Bestand
eine Schwachstelle auftun in die der denkbegabte und aletheiafaumlhige Mensch ei-
ne Moumlglichkeit haben das Seyn zum Sein zuruumlckzuwandeln ndash also wieder in ein
185 GA 79 S 49186 Ebd187 GA 79 S 53188 GA 79 S 52189 GA 79 S 53
44
wesentliches Verhaumlltnis zum bdquoDingldquo zu gelangen in dem das Geviert wieder die
Harmonie herstellt Allerdings faumlnde bis zu solch einer Nachstellung eine Ver-
sieglung des Seynsbestandes statt Und Heidegger beklagt dass die Erreichung der
Ruumlckeroberung des Seins uumlber die Nachstellung nicht stattfaumlnde und stattdessen
die Irre regieren wuumlrde190
In dieser Irre stuumlnde dem Menschen nicht einmal mehr zu zu sterben Denn
bdquoSterben [] heiszligt den Tod in sein Wesen austragenldquo191 Somit waumlren die Opfer
die in den KZs umkamen wie er sie in Das Dinglsquo bereits schildert nicht vermouml-
gend gewesen zu sterben bdquoSie werden Bestandstuumlcke eines Bestandes der Fabrika-
tion von Leichen [] Sie werden in Vernichtungslagern unauffaumlllig liquidiertldquo192
Das vermoumlge die Gefahr zu bewirken Der Mensch wuumlrde des eigenen Sterbens
beraubt da er keine Verbindung mehr zur Wahrheit der Welt haumltte Um den rich-
tigen Tod zu sterben muumlsse der Mensch die Aletheia schauen koumlnnen Insofern ist
Heideggers Prinzip ein religioumls anmutendes Wie in der christlichen Vorstellung
der Mensch im Jenseits an seinen Taten gemessen wird um Paradies oder Fege-
feuer zu besuchen soll nach Heidegger der Mensch waumlhrend des Sterbens mit
sich selbst ins Gericht gehen Er soll sich rein machen vom Ge-Stell der Technik
und dem Seyn um nicht die einmalge Gelegenheit des richtigen Sterbevollzugs
zu versaumlumen Es winken gemaumlszlig des Gevierts die himmlischen Goumlttlichen den
irdischen Sterblichen zu wobei annehmbar ist dass Heidegger Sterblichen die
die Aletheia erkennen einen Goumlttlichkeitsstatus beimessen moumlchte ndash eine Erlouml-
sungsphantasie
Genau diese Erloumlsung waumlre die Technik nicht
Ohne den Schritt des Denkens zu wagen der unser Menschenwesen demWesen der Technik [] aussetzt wuumlrgt man sich von Fall zu Fall von Lagezu Lage durch die Zwiespaumlltigkeiten hindurch Und genau durch dieses Ge-wuumlrge versaumlumt man die Moumlglichkeit dessen was man im Grunde erstrebtdie Technik durch menschliches Tun zu meistern und menschenwuumlrdig zulenken193
190 Vgl GA 79 S 55191 GA 79 S 55192 GA 79 S 56 Weil Heidegger im Judentum die Verantwortlichen fuumlr das Geraffe des Ge-Stells
sieht macht er sie gleichsam verantwortlich fuumlr die bdquoSelbstvernichtungldquo Die Seinsverges-senheit im Tode wird dadurch zum Spin-off der vermeintlich juumldisch erzeugten da machen-schaftlichen KZ-Maschinerie (Vgl GA 97 S 20f)
193 GA 79 S 59
45
Trost und Richtung findet Heidegger schlieszliglich abermals bei den alten Griechen
Das Wort stellenlsquo entspricht dem griechischen ϑέσις vorausgesetzt daszlig wirϑέσις griechisch denken Was heiszligt in diesem Falle griechisch denkenlsquo Esheiszligt darauf achten welche Lichtung desWesens des Seyns in welcherWeisedas Dasein der alten Griechen in den Anspruch genommen hat heiszligt imvoraus bedenken in welchem Geschick welcher Unverborgenheit des Seinsdie Griechen standenldquo194
Das sind Vorstellungen des Neuen Anfangs eine Reminiszenz der griechisch anti-
ken Welt Ein Eintrag aus den Schwarzen Heften von etwa 1945-47 () verdichtet
wie oben bereits aufgezeigt die Phantasie griechisch zu sein zu einem gelingenden
Lebensvollzug
Das reine Wesen des Griechentums dh das Seiende inmitten dessen dieGriechen als seiende fremd gewesen dieses und sie selbst und der Bezug desSeins zu ihnen ndash in der einfachen Wesung von der ἀλήθεια her zeigen underfahren Den μῦθος und λόγος ndash jedes Wort und Gebild rein aber nichterzwungen und schematisch-pedant ndash aus ἀλήθεια erfahren195
Hier zeigt sich auch dass Heidegger per se das Aletheia-Prinzip fuumlr notwendig
hielt um ins Licht der Wahrheit zu blicken Die Griechen sind ihm hier deshalb
Vorbild und rein da sie keiner modernen Technik und dem Ge-Stell ausgesetzt
waren sondern lediglich eine mythopoetische Verbindung zum Sein herstellen
mussten um wesentlich zu sein und Seinsgeschichte zu schreiben Die Dinge und
das Spiegel-Spiel des Gevierts waumlren ihnen geschickt zuhanden gewesen196 Hei-
degger macht schlieszliglich sehr deutlich dass das Griechische zu denken ein bei
weitem anderes Geschaumlft sei als philologische Praumlzision
Ein Echo zu sein naumlmlich dem Anspruch des Seins verlangt eine Sorgfaltder Sprache von der freilich der technisch-terminologische Sprachstil derWissenschaften uumlberhaupt nichts wissen kann Die Intentionalitaumlt der wis-senschaftlichen Sprache ist der staumlrkste Beweis fuumlr ihre Boden- und Heimat-losigkeit [] Das Heimische einer hohen Sprache gedeiht nur im Bereichdes unheimlichen Anspruchs der wesenhaften Stille im Wesen des Seyns197
194 GA 79 S 62f195 GA 97 S 20196 Hingegen waumlre das Judentum verantwortlich fuumlr das Ge-Stell fuumlr das Prinzip der Zerstoumlrung
wie es auf der selben Seite der Schwarzen Hefte darunter heiszligt (vgl ebd)197 GA 79 S 66 Die Bedeutung von Seyn als verstelltes Sein oder Bedingung zum Schauen
des wahren Seins ist verwirrend Einer genaueren Analyse wird aus Platzgruumlnden hier nichtnachgegangen
46
324 Die Kehrelsquo
Der letzte Vortrag ist mit nur neun Seiten der Kuumlrzeste des Vortragsgevierts
Nach dem Verlust des Dinges als Ding und der damit einsetzenden Abstandslosig-
keit als Wesen des Ge-Stells wobei die Gefahr zudem der Vergessenheit des Seyns
nachstellt bietet Heidegger eine Perspektive an
Im Wesen der Gefahr verbirgt sich [] die Moumlglichkeit einer Kehre in derdie Vergessenheit des Wesens des Seins sich so wendet daszlig mit dieser Kehredie Wahrheit des Wesens des Seyns in das Seiende eigens einkehrt198
Diese Moumlglichkeit bedeute nicht dass der Mensch sich der Gefahr selbst stellen
koumlnnte sie waumlre passiv ndash bdquoverbirgt sichldquo Die Kehre werde sich ereignen aumlhnlich
einer Erwartung an den Messias
Die Anwesenheit der Gefahr wuumlrde automatisch die Rettung bergen Denn
Houmllderlin haumltte geschrieben bdquoWo aber Gefahr ist waumlchst [d]as Rettende auchlsquoldquo199
Etwa 1945 notiert Heidegger in seine Schwarzen Hefte bdquoDie Wahrheit erfahren
wir im Gedaumlchtnis Das Gedaumlchtnis ist die Dichtungldquo200 (so) Von dieser War-
te aus ausgestattet mit Erinnerungen an das abendlaumlndische Dichten mit dem
Wissen um das Aletheia-Prinzip und passiv als denkender Huumlter des Seyns solle
der Mensch das Ereignis erwarten das ihn bdquoloumlsen freimachen freyen schonen
bergen in die Hut nehmen wahrenldquo201 wuumlrde (siehe S 43)
Dieses Ereignis waumlre der Blitz Ein unvermittelter jaumlher ploumltzlicher Moment
von kurzer Dauer der bloszlig einen ebenso kurzen Blick auf das wahre Wesen er-
lauben wuumlrde Abschlieszligend ist dies das Rezept gegen die Bestands bestellende
Technik in mythopoetischer Formulierung
So entsprechend ist der Mensch geeignet daszlig er im gewahrten Element vonWelt als der Sterbliche dem Goumlttlichen entgegenblickt Anders nicht dennauch der Gott ist wenn er ist ein Seiender steht als Seiender im Seyn unddessen Wesen das sich aus dem Welten von Welt ereignet202
198 GA 79 S 71199 GA 79 S 72200 GA 97 S 52f201 GA 79 S 72202 GA 79 S 76
47
Wenn Heidegger im Anschluss von der bdquohistorisch-technischen Darstellungldquo re-
det so ist dies die Abwehr der Wissenschaften (auch der Philosophie203) und ein
Appell an die Antirationalitaumlt des Mythos bdquokein historisches Vorstellen der Ge-
schichte als Geschehen bringt in den schicklichen Bezug zum Geschickldquo204
Damit das Blitzen erfahren werde als kurze Wesensschau der Aletheia muumlsse
dem wahren abendlaumlndischen und heimatlichen Ereignis stattgegeben werden Es
sollte nicht wie er 1939 schon in den Schwarzen Heften beschreibt das
kuumlnstliche Licht von Historie und Technik in der weder Mensch noch dieGoumltter weder eineWelt noch die Erde sichtbar werden koumlnnen wo aber dasLebenlsquo von allen den immer noch zu wenigen Meistenlsquo erlebtlsquo wird205
Damit schlieszligt der letzte Vortrag mit einer Erwartung an das Ereignis des Blit-
zens nicht das Erleben der Besinnungslosigkeit (vgl Das Ge-Stelllsquo) Schon 1947
traumlumt Heidegger von solcher Umkehr
Aus der Kehre der Seynsvergessenheit aber ereignet sich das Unumgaumlnglicheden Acker der Welt erst zu pfluumlgen und saatbereit der Sonne und dem Regenund den Voumlgeln des Himmels uumlberlassen206
203 Denn ldquo[e]igentlich denken heiszligt [] die Philosophie verlassen [] beim Sagen des Seinslsquoldquo(GA 97 S 60)
204 Ebd205 GA 95 S 427 Gegen das Erlebnis und Erleben straumlubt sich Heidegger besonders So notiert
er etwa 1939 bdquoZeitalter der Techniklsquo macht gerade die Techniklsquo nicht zum Ziel sondernimmer mehr zum Mittel der besinnungslosen Berechnung [] der Mensch [] das Erleb-nislsquo [] Erleben als der Gefuumlhlsgenuszligldquo (GA 95 S 149) Wie auch bdquoWo beide Historie undTechnik in solcher scheinbaren Gegensaumltzlichkeit verkoppelt sind koumlnnen sie sich zur Foumlr-derung dessen zusammenschlieszligen was einstmals wesentlich die Geschichte des Menschenmitbegruumlndete und was wir die Kunstlsquo nennen Die Historie verschafft [] Anregungenund Vorbilder der Nachahmung die Technik erleichtert [] die Zustellung von Darstel-lungsmitteln und Wirkungsformen [] Gleichwohl ist alles wurzellos [] berechnet und alsErlebnislsquo ausgegebenldquo (GA 95 S 212)
206 GA 97 S 511
48
4 Konklusion
Der umstrittene Philosoph Martin Heidegger hat uumlber die 1930erndash40er Jahre
hinweg eine ausgepraumlgte voumllkisch-nationale und bisweilen radikal-antisemitische
Denkweise entwickelt Dieses Denken fasste er auch auf als Besinnung und stellt
es der Philosophie und Wissenschaft diametral entgegen In Kapitel 2 wird aufge-
zeigt dass sowohl Heideggers Mythologie bereits kritisiert wurde (Adorno Cassi-
rer Meyer) als auch seine Mythopoetik bewundert (Schulz-Nieswandt) Kapitel
3 will daruumlber hinaus aufzeigen wie Heidegger eine eigene Mythologie mytho-
poetisch fruchtbar macht was sich von beiden vorigen Ansaumltzen unterscheidet
und erst mit der Veroumlffentlichung der Schwarzen Hefte ab 2014 nachvollziehbar
wurde
Umso mehr bietet die mythopoetische Verbindung von bdquoDichten und Den-
kenldquo (so) einen antitechnischen Gegenpol Denn Heidegger fasst wie oben ge-
schildert alles Rationale auf als berechnende Bestellung des Bestands im Sinne
der Technik Daruumlber hinaus fordert er mit dem Aletheia-Prinzip (als metapho-
risch gefasstes Ereignis des Blitzens) einen Mitvollzug seiner mythopoetischen
Kontemplation in dem religioumlse voumllkische antike und sprachliche Motive zu-
sammenfallen
Obwohl schon von Heidegger selbst nicht mehr als Philosophie betrachtet
hat seine Rede vom Ding dem Ge-Stell dem Wesen der Technik und der Kehre
noch immer einen bedeutenden Einfluss auf die Technikphilosophie So betont
Alfred Nordmann in bdquoWerkwissen oder How to express things in worksldquo (2008)
dass Heidegger mit Das Dinglsquo eine Art Dingwissen geschaffen haumltte In seinem
2012 erschienenen Aufsatz Another parting of the ways Intersubjectivity and the
objectivity of sciencersquo207 geht Nordmann ein weiteres Mal auf Heideggers Ding
ein Dieses waumlre eine Abarbeitung an dem Ding Kants womit auch Nordmann
Heidegger als einen Interpreten Kants versteht208 Anschlieszligend anMichael Fried-
207 Nordmann Alfred Another parting of the ways Intersubjectivity and the objectivity ofscience In Studies in History and Philosophy of Science 43 (2012) 38ndash46
208 Die Auseinandersetzung mit dem Ding wuumlrde nach Nordmann in Heideggers GA mit demText Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalen Grundsaumltzenlsquoeinsetzen (GA 41 Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalenGrundsaumltzen)
49
man spricht sich Nordmann ebenso dafuumlr aus dass Heidegger neben Rudolf Car-
nap und Ernst Cassirer eine neokantianische Philosophie verfolgt haumltte (siehe
Kap 1)209
Nach Nordmann haumltte Heidegger in seinen anschlieszligenden Gedanken uumlber
das Ding als Fortfuumlhrung Kants als erster Wissenschaft als angewandte Techno-
logie verstanden210 Diese Interpretation stuumltzt sich auf die gleichen Symbole
Metaphern und Mythen die die vorliegende Arbeit analysiert Das Ge-Stell ist
insofern aumlquivok mit dem Begriff techno-science Jedoch sind in dieser Fruchtbar-
machung von Heideggers Denken der Technik dessen nationalistischen rassisti-
schen und antisemitischen Implikationen die die vorliegende Arbeit als Zentrum
dessen Philosophie ermitteln konnte noch nicht beachtet worden koumlnnen211
Andreas Luckner webt Heideggers Ding-Entwurf weiter als verantwortliches
Sorgen um die Dinge212 Er geht dabei mit Heidegger voumlllig konform und tritt
eher als eine Art Bote der Ding-Botschaft auf als diese moumlglicherweise zu kriti-
sieren was sich diesen Artikel wie ein Kapitel aus einem Studienbuch lesen laumlsst
Der Darmstaumldter Technikphilosoph Christoph Hubig ist vor allem Kritiker Hei-
deggers Argumentationen laumlsst aber zuweilen diverse Topoi aus dem Werk des
Technik-Denkers durchscheinen ohne sie weiter zu reflektieren
So konstatiert Hubig Heidegger verfehle in dessen Auseinandersetzung mit
Aristoteles Lehre von der Poiesis zum Punkt der Sicherung wie sie in Die Frage
nach der Techniklsquo behandelt wird bdquodie operative Seite des Technischenldquo bei Aris-
totels213 In einem spaumlteren Aufsatz allerdings stuumltzt er sich ohne weitere Erlaumlute-
rungen auf Heideggers Begriff der Sicherung aus Die Frage nach der Techniklsquo214
209 Diese Befriedung paradigmatischer Umstaumlnde wird hier nicht geteilt Eine weitere Bearbeitunglaumlsst der Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht zu
210 Vgl Nordmann Another parting of the ways S 45211 Der Aussage dass Heideggers Ding-Begriff kantianisch waumlre muumlsste einer gezielten Untersu-
chung unterzogen werden genau wie die Behauptung insgesamt dass Heidegger oder inwie-weit dieser noch der suumlddeutschen Kantschule des 1920 Jahrhunderts angehoumlrte
212 Vgl Luckner Andreas Ding und Bestand Heidegger und das Wesen neuzeitlicher TechnikIn Gamm G Gehring P Hubig C Kaminski A und Nordmann A Ding und SystemS 15-30 hier S 29
213 Hubig Christoph Die Kunst des Moumlglichen Technikphilosophie als Reflexion der MedialitaumltBielefeld 2006 S 103
214 Vgl Hubig Christoph Technik als Medium In Grundwald Armin (Hg) Handbuch Tech-nikethik Stuttgart 2013 S 118-123 hier S 118
50
Dabei versteht Hubig Heideggers Betrachtungen zum Umgang mit der Technik
als gelassen
Fuumlr Heidegger liegt die Andersheit im Entbergen einer Wahrheit des Seinseines Geschicks von dem die Entwicklung der Technik hin zum Gestellkuumlnde Er verbindet dies mit dem Appell jenseits des rechnenden und si-chernden Vorstellens technischer Vollzuumlge als handlungsleitender Program-me sich gelassenlsquo dieser Entwicklung zu uumlberantworten und ein Seinlsquo zuhuumlten das sich als solches eben entbirgt Das Rettendelsquo dieser Einsicht lie-ge darin dass unsere individuelle Endlichkeit insofern transzendiert wirdals sie sich dem sie uumlbersteigenden Prozess aufschlieszligt und sich selbst relati-viert215
Wovon in diesem Zitat nicht die Rede ist ist der Mitvollzug der mythopoe-
tischen Rahmenbedinungen die Heidegger einfordert und an dem die Konzep-
te Abendland und voumllkische Tradition haumlngen In dieser Arbeit wird davon aus-
gegangen dass Heideggers Technikphilosophie-erzaumlhlung sich nicht von seinen
Absichten der Bekaumlmpfung des Technischen loumlsen laumlsst Die Relativierung ist in-
sofern nicht an den Prozess gebunden und damit emergent auf alles hin ausge-
richtet was kommen mag sondern houmlchst konvergent in einer Besinnung auf
Mythen von dem Ding und dem Geviert mit all deren Valenzen aus dem vorlie-
genden Heideggerschen Textkorpus Die individuelle Endlichkeit ist genoumltigt die
Heimat und das Abendland zu kennen und im Aletheia-Prinzip umzusetzen
Die Neubewertung der bislang bekannten Heideggerschen Technikphiloso-
phie von vor den SchwarzenHeften ist ein dringendes Desiderat Voumllkisch-nationale
Gruppierungen erstarken momentan in ganz Europa und es koumlnnte sehr hilfreich
sein aumlhnliche Denkstrukturen aufzudecken so wie sie zwischen den 1930er und
40er Jahren entwickelt wurden Zusaumltzlich muss das Werk Heideggers einer kriti-
schen Revision schon aufgrund der niemals von ihm behandelten Antisemitismen
unterzogen werden Heidegger hat nie zu diesen Stellung bezogen
Daruumlber hinaus ist das Thema Mythos und Philosophie ein weiterhin not-
wendiger Bereich der philosophischen Forschung In einem Bereich auszligerhalb
der exakten Wissenschaften und ohne klare theologische Tradition ist die Philo-
215 Hubig Die Kunst des Moumlglichen S 140
51
sophie beides sowohl Aufklaumlrer und antimythisch als auch Quelle fuumlr mythisches
Denken und affektierende Motive
52
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56
Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
Der Unterzeichner versichert dass er die vorliegende Bachelorarbeit selbststaumlndig
verfasst und keine anderen als die von ihm angegebenen Hilfsmittel benutzt hat
Die Stellen der Arbeit die anderen Werken dem Wortlaut oder dem Sinne nach
entnommen sind wurden in jedem Fall unter Angabe der Quellen (einschlieszliglich
des World Wide Web und anderer elektronischer Text- und Datensammlungen)
kenntlich gemacht Dies gilt auch fuumlr beigegebene Zeichnungen bildliche Dar-
stellungen Skizzen und dergleichen
Darmstadt 25 April 2016
__________________________
(Eigenhaumlndige Unterschrift)
- Abkuumlrzungsverzeichnis
- Danksagung
- Einleitung
- Heideggers mythopoetisches Programm
-
- Zu den Begriffen Mythos Mythologie und Mythopoetik
-
- Ein Beispiel fuumlr ein Mythologem
-
- Heideggers Mythen
-
- Formen der Mythologie
-
- Heideggers mythopoetische Technik
-
- Zur Publikationsgeschichte von den Bremer Vortraumlgen 1949
- Die mythopoetische Spiegelung der Schwarzen Hefte
-
- Das Dinglsquo
- Das Ge-Stelllsquo
- Die Gefahrlsquo
- Die Kehrelsquo
-
- Konklusion
- Literaturverzeichnis
- Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
-
21
Insofern verschraumlnkt Heidegger das bdquohistorisch-technischeldquo zum Antagonis-
ten der bdquogeschichtlichen Besinnungldquo Es ist die Entwicklung einer historisch-
geschichtlichen Differenz unter dem Zeichen der Besinnung gegen die techni-
sche Machenschaft ndash es geht um zwei unterschiedliche Wissenssysteme76 In den
Schwarzen Heftenwird Technikmeistens als eine Seite der Muumlnze mit der anderen
der Historie genannt Sie haumltten eine schon angedeutete dualistische Dynamik
Wo beide Historie und Technik in solcher scheinbaren Gegensaumltzlichkeitverkoppelt sind koumlnnen sie sich zur Foumlrderung dessen zusammenschlieszligenwas einstmals wesentliche die Geschichte des Menschen mitbegruumlndet undwas wir die Kunstlsquo nennen Die Historie verschafft [] Anregungen undVorbilder der Nachahmung die Technik erleichtert [] die Zustellung vonDarstellungsmitteln und Wirkungsformen [] Gleichwohl ist alles wurzel-los [] berechnet und als Erlebnislsquo ausgegeben77
Diese vermeintliche Gefahr muumlnde als bdquoZuumlgellosigkeit des Historismusldquolsquo in der
bdquoBodenlosigkeit [] (das Judentum)ldquo78 Heideggers Mythos ist hier dieser bdquoWir
muumlssen zuvor geschichtlich sein [] Ohne diese uumlberlieferung verfaumlllt alles der
historisch-technischen Machenschaftldquo79
Heidegger mythologisiert uumlber den bdquoAuftrag des Deutschenldquo80 will in bdquoge-
schichtlicher Besinnung sehr weit zuruumlckgehen ndash auf den Zusammenhang von
τέχνη ἀλήθεια und οὐσίαldquo81 um Technik auf ihr Wesen im antiken Ursprung
zuruumlckzufuumlhren bdquoDie techne hat [] den Sieg uumlber die [] aletheia errungenldquo82
Heidegger will sie zuruumlckgewinnen Er will der Technik aus dem bdquoEreignisldquo83
wieder uumlbermaumlchtig werden und sieht das bdquoWesen des Vaterlandesldquo84 im Abend-
land Dabei ist es ihm unentbehrlich zu wissen bdquodaszlig das Griechentum [] und
76 Heideggers noch immer vorhande Rezeption in Puncto seiner Technikphilosophie erstauntdamit dass sein Prinzip der aletheiologischen Besinnung als alternatives Wissenssystem undTechnikkritik ob der eigenwilligen Konstruktion den Entwicklungen der Zeit standhaumllt
77 GA 95 S 21278 GA 95 S 9779 GA 96 S 10480 GA 94 S 6681 GA 94 S 35782 GA 95 S 13283 Ebd84 GA 96 S 52
22
nicht das Roumlmertum der Grund der Geschichte des Abendlandes istldquo85 Sein My-
thos von Heimat verknuumlpft sich uumlber Dichtung und Ereignis zu einem fuumlr die
Technikphilosophie essentiellen Bezugs-Topos
Wir brauchen keine Technik [] Das Wesen des Vaterlandes ist das Abend-land In ihm werden die Deutschen erst deutsch und erkennen die Muttervon Allem die unversehrte Erde [] Die Wahrheit erfahren wir im Ge-daumlchtnis Das Gedaumlchtnis ist die Dichtung Die Dichtung sagen der Denkerund Saumlnger in ihrem Gespraumlch Dieses Gespraumlch erst ereignet dichterisch dieDichtung in die Sprache (die Dichtung das Ereignis und das Ereignis dasAbendland) [] Wohnt in seiner Sprache [] seyd dem Seyn im Seyn Soist Sein das Seyn86
Eine weitere mythologische Form haben seine Fuumlgungen von Jahreszahlen
womit er bereits in den Bereich des Okkulten Mystischen abzurutschen droht
Houmllderlin wurde [] 1770 geboren [] 1870 aber Lenin Waumlhrend der []Lebenszeit Houmllderlins vollzogen sich die entscheidenden technischen Entde-ckungen und Erfindungen der neuzeitlichen Technik (1774ndash1806)87
Und ferner bdquo1807 Phaumlnomenologie des Geistes 1867 Das Kapital 1927 Sein
und Zeitldquo88
Als letzter Mythos sei hier sein Aufgriff der Spenglerschen Metapher des
Raubtiers89 aufgezeigt Uumlber weite Strecken philosophiert Heidegger uumlber das his-
torische Tier Das historische Tier muumlsse vernichtet werden die bdquodeutsche Zukunft
wirdlsquo nicht erst seinlsquo sie istlsquo schon seit Houmllderlin sie stifteteldquo90 Der Homo
faber ist fuumlr Heidegger das historisch-technische Tier qua der bdquoAngewiesenheit auf
das Tierhafte als Wesensgrundldquo91 Es fehle ihm was bdquodie Griechen als Anfangen-
deldquo mit der bdquoZugewiesenheit des Menschen zum Sein gewagt habenldquo92 wodurch
85 GA 96 S 20586 GA 97 S 52f Hierbei handelt es sich um eine Nachkriegsnotiz Heidegger aumlnderte den die
Adressierung in eine direkte Ansprache richtet sich an seine imaginierte Volksgemeinschaft87 GA 96 S 17488 GA 97 S 131 Womoumlglich ist es eine Uumlbung per Jahreszahlen das Aletheia-Prinzip zu prakti-
zieren eine Kontemplationshilfe Andererseits koumlnnte er auch der Regelmaumlszligigkeit der Zah-lenfolgen eine uumlbernatuumlrliche bdquoWahrheitldquo beimessen Dies bleibt an dieser Stelle unerforscht
89 VGl Spengler Oswald Der Mensch und die Technik Muumlnchen 1931 S 1090 GA 95 S 19791 GA 95 S 32092 GA 95 S 321
23
er den bdquoGoumlttern unertraumlglich gewordenldquo93 waumlre Das bdquoRaubtierldquo dem gegenuumlber
bdquoist die Urform des Heldenlsquoldquo94 Dann behauptet Heidegger dass das Raubtier das
historisch-technische Tier durch Anwendung seiner eigenen Waffen schlagen koumlnn-
te Es ist dabei die bdquoUumlberwindung der Metaphysikldquo mitgedacht die erfolge sobald
sich das metaphysische Fragen durch den Wille zum Willen verfestigt95 Auch
Spengler dachte an dieses Derivat des Nietzsche Topos vomWillen zur Macht das
er seiner antropomorphen Chimaumlre vom Raubtiermenschen eingibt Wieder ist
von der Gewalt die Rede die ein Tabula rasa schaffen sollte zur Wiederauferste-
hung des griechisch-abendlaumlndischen Anfangs in Deutschland bdquoDas Raubtier aber
mit denMitteln der houmlchsten Technik ausgestattet ndash vollendet die Verwirklichung
der brutalitas des Seinsldquo96
Es scheint so als haumltte Heidegger auf jeden Begriff einen Gegenbegriff (selbst
zum historisch-technischen Tier das Raubtier)97 Aber es geht hier nicht um die
Analyse ausgewogener Formprinzipien oder die Kritisierung seiner linguistischen
philologischen Faumlhigkeiten Die Zitierung der Heideggerschen Mythologie soll
seine Verbindung von voumllkisch-nationaler und antisemitischer Haltung mit den
Bedingungen und Anspruumlchen seines Philosophierens aufzeigen Da die Schwar-
zen Hefte wie alle sonstigen Werke seines philosophischen Schaffens in der GA
erschienen sind muumlssen sie insofern als Teil derer gelten Das bedeutet dass sie
ausreichend Relevanz fuumlr die Arbeiten uumlber die Technik haben98
93 GA 95 S 23694 GA 95 S 39795 Vgl GA 7 Uumlberwindung der Metaphysik S 7896 GA 95 S 39797 Vgl Rudolph Heideggers Schwarze Hefte im Echo S 151 bdquoKeiner hat Nietzsche so konse-
quent und wahnwitzig zumNazi avant la lettre verformt wie Heidegger und keiner hat einenzuvor gewaltsam gefuumlgig gemachten Nietzsche so konsequent instrumentalisiert um damitdie vulgaumlr- nationalistische Dekadenz im Sandwich zu geiszligeln wie Heidegger Die Philolo-gie ndash auch die klassische ndash (Colli Cancik Montinari) hat Nietzsche inzwischen laumlngst mitnachhaltigem Erfolg rehabilitiert Wer jetzt noch einen roten Faden von Nietzsche zu Hitlerzieht hat nur noch Heidegger auf seiner Seiteldquo
98 Zum Abschluss dieses Kapitels sei hinzugesagt dass der Veranschlagung der Beispiele vonHeideggers Mythologie ein Exzerpt von 13 Seiten aus 1700 Seiten Text der vier Baumlnde derSchwarzen Hefte zugrunde liegt Beim Studium dieser fielen die staumlndigen Repetitionen derimmer gleichen Figuren und Metaphern auf Daraus wurde geschlossen dass es sich um eineMythologie handeln kann was ein weiteres Forschen bestaumltigte Die hier zitierten Stellensind Topoi die sich in Huumllle und Fuumllle in jedem der vier Baumlnde finden lassen was ihrenmythischen Charakter unterstreicht Die Auswahl versucht ein besonders charakteristischesBild wiederzugeben
24
3 Heideggers mythopoetische
Technik
War Heidegger von seinem neuen Anfang nur zu traumlumen vergoumlnnt so gelang
ihm selbst aber die Wiederauferstehung aus der Asche des ZweitenWeltkriegs mit
der Vortragsreihe in Bremen (1949) uumlber die Technik Der Phoumlnix erweist sich
mittlerweile als Ikarus Anstatt sich selbst zu revidieren fordert Heidegger eine
Kehre ein die auf sein Programm der geschichtlichen Besinnung zum Ursprung ab-
zielt Rezipienten seiner Technikphilosophie taten zumeist seine voumllkischen und
nationalsozialistischen Verstrickungen mit der Niederlegung des Rektorats ab99
Sie glaubten an einen inneren Wandel Heideggers eine Laumluterung und sogar an
seinen geistigen Widerstand uumlber die Naziherrschaft hinweg100 Heute ist erwie-
sen wie Heidegger es aus seinem posthumen Gestaumlndnis in die Welt lecken laumlsst
dass er auf seine private Weise eine Form Nationalsozialismus hegte der die NS-
DAP und Hitler zwar als Vulgaumlrnazis kulturell degradierte aber sich selbst als
Denker-Nazi gerierte
Wie damit umzugehen ist steht aktuell in der Verhandlung Wie Rudolph es
behauptet stuumlnden die Heideggerianer bdquonun mit wertlosen Aktienldquo101 da Der
Kommunikationswissenschaftler Christian Fuchs sieht den Antisemitismus den
die Schwarzen Hefte zutage treten lassen als Notwendigkeit einer rigorosen Ver-
bannung Heideggers aus der technikphilosophischen Theorie102
99 Vgl Luckner Andreas Heidegger und das Denken der Technik Bielefeld 2008 S 64-69100 Vgl Babich Babette Nietzsche Heideggers Widerstand In Alfred Denker u Holger Zabo-
rowski (Hg) Heidegger-Jahrbuch 5 Heidegger und der Nationalsozialismus II Interpreta-tionen S 397-416
101 Rudolph Heideggers Schwarze Hefte im Echo S 146102 Vgl Fuchs Christian Martin-Heideggerrsquos anti-Semitism Philosophy of technology and the
media in the light of the ldquoBlack Notebooksldquo Implications for the reception of Heidegger inmedia and communication studies In tripleC Communication Capitalism amp Critique 13(1) (2015) S 55-78 hier S 74 Anstatt dessen pocht Fuchs auf die alternative Verwendungder Kritischen Theorie uumlber Fragestellungen zur Technik
25
It seems to me that Heideggerrsquos fetishism is often lrsquoart pour lrsquoart Heideg-ger pour Heidegger a tactic that aims at creating an aura of complexity byevoking Heidegger although the same content could be expressed withouthim103
Fuumlr Trawny waumlre dies ein bdquoperformativer Widerspruch [] stets daran zu erin-
nern Heidegger vergessen zu sollenldquo104 Quo vadis Heidegger
Die objektive Antwort Rudolphs der an den Commonsense und die Beweis-
last der Anklage glaubt wie auch der subjektive Appell Fuchs der es zur mora-
lischen Entscheidung des Einzelnen macht Heidegger zu vernachlaumlssigen setzen
aktuell die Jahrzehnte alte Tradition der Heidegger-Kontroverse fort Ein im Sep-
tember 2016 erscheinender Sammelband wird zusaumltzlich die Debatte mit neuen
Bewertungen anreichern105
In diesem Kapitel soll es nicht um die direkte Einreihung in eine der bestehen-
den Polemiken gehen sondern um den Versuch der Betrachtung der spaumlten Tech-
nikphilosophie Heideggers als mythopoetische Dichtung in seinem Sinne des
Philosophierens Als exemplarisches Werk ruumlckt damit das Vortrags-Geviert der
Bremer Vortraumlge ins Zentrum der Anschauung106 Hier wird davon ausgegangen
103 Ebd S 73104 Trawny Heidegger und der Mythos der juumldischen Weltverschwoumlrung S 141105 Heinz Marion und Kellerer Sidonie (Hg) Martin Heideggers raquoSchwarze Heftelaquo Eine
philosophisch-politische Debatte Berlin 2016 (im Druck) Aus dem Klappentext diesesTitelsbdquoOffene antisemitische Aumluszligerungen in diesen Denktagebuumlchern haben in der nichtakade-
mischen Oumlffentlichkeit fuumlr Empoumlrung gesorgt Die entscheidende Frage ist jedoch welcheVeraumlnderungen der Perspektive auf Heideggers Denken insgesamt sich dadurch ergebenund ob damit zugleich eine Neubewertung des Gesamtwerks eines der einflussreichstenPhilosophen des 20 Jahrhunderts noumltig istldquoEine der Herausgeberinnen des Bandes Sidonie Kellerer ist zudem an einem anlaufenden
fuumlnf jaumlhrigen Forschungsprojekt an der Universitaumlt Stuttgart im Rahmen des StuttgartResearch Centre for Text Studies beteiligt Heidegger und die Postmoderne Geschichteeiner Irrefuumlhrungiquest Sie und der Stuttgarter Literaturwissenschaftler Claus Zittel werden Hei-deggers ideologische Verstrickungen in den Nationalsozialismus untersuchen die textlichrekonstruierbar aber nachtraumlglich geklittet worden waumlren bdquoSo konnte die Wissenschaft-lerin Dr Sidonie Kellerer anhand des Vortrages Die Zeit des Weltbildeslsquo erstmals 1950veroumlffentlicht [sic] dass zahlreiche Passagen nachtraumlglich so modifiziert wurden dass dieurspruumlngliche Apologie des Nationalsozialismus nunmehr als Kritik am Regime gedeutetwerden konnte Die 2014 erschienenen Schwarzen Heftersquo mit persoumlnlichen AufzeichnungenHeideggers bestaumltigen zudem wie tief verankert in seiner Philosophie Rassismus undNationalsozialismus waren und bliebenldquo(httpwwwuni-stuttgartdehkompresseservicepressemitteilungen201567_kellererhtmlzuletzt abgerufen am 1442016)
106 Von einer umfassenderen Analyse der Schriften Heideggers zur Technik muss aus Platzgruumln-den abgesehen werden Die Voumlrtraumlge vom Ge-stell der Technik der Kehre und dem Dingsind vor allem wegen ihres Publikationszeitraums interessant da sie direkt an die Dokumen-
26
dass Heidegger den Versuch der abgrenzungspolitischen Einflussnahmemacht ge-
maumlszlig der oben dargelegten Ressentiments die sich in einer Mythologisierung des
Abendlandes niederschlagen Um seinem Ideal des dichtenden Denkens als Philo-
sophieren nachzukommen will Heidegger diese Einschreibung des Abendlandes
mythopoetisch vollfuumlhren
Grundsaumltzlich ist Verbindung und Trennung Heideggers boumlser Schwarzer Hef-
te mit und von seiner guten Technikphilosophie das Schlachtfeld aktueller De-
batten Wie bereits darauf hingewiesen werden hier Schwarze Hefte und Veroumlf-
fentlichungen wie eben in Form der Bremer Vortraumlge als ein kontinuierlicher
Arbeitsprozess gesehen Es gibt insofern nur einen Heidegger und keine gespal-
tene Persoumlnlichkeit Die Siegener Philosophin Sodonie Kellerer stellt dies anhand
Heideggers Selbstsicht luzide dar
Seine immer wiederkehrende Beschwoumlrung des Werkeslsquo und seine an diver-sen Stellen der bislang vorliegenden Briefkorrespondenz artikulierten Be-muumlhungen dieses Werklsquo fuumlr die Nachwelt zu sichern [Kellerer bezieht sichhier ua auf Heideggers Briefwechsel mit seiner Frau der 2007 veroumlffentlichtwurde DS] verdeutlichen wie sehr er seine Texte als ein Ganzes verstandin dem keines der Teile entbehrliche Wiederholung geschweige denn irrele-vante Eroumlrterung ist107
Dabei allerdings wird die Frage offen bleiben mit welchem Maszlig er sich selbst ge-
faumlhrdet sah seine Ansichten oumlffentlich zu vertreten und welche Konsequenzen er
dabei fuumlrchtete Denn er musste die Vortraumlge kodieren ndash was er im Sinne der My-
thopoetik auch macht ndash und mit Einigem hinterm Berg halten108 Dass es dabei
verschiedene Offenbarungsebenen gibt wird hier erst einmal hingenommen Es
interessieren staumlrker nachweisbare Bezuumlge des Entwurfsdenkens Heideggers zur
Oumlffentlichkeitsarbeit von ihm109
te der Schwarzen Hefte anschlieszligen (1948 der letzte Band der Schwarzen Hefte umfasst denZeitraum 1942-1948)
107 Kellerer Sidonie Kampf der Besinnung In Deutsche Zeitschrift fuumlr Philosophie Band 63Heft 5 Seiten 941ndash957 hier S 942
108 Weshalb die Veroumlffentlichung der Schwarzen Hefte auch weitestmoumlglich nach hinten verlegtwurde
109 Wuumlrde man dem entgegenhalten dass Heideggers vermeintliches Genie aus Formalisierun-gen seiner Gedanken ableitbar eine wichtige Quelle an sich bliebe scheitert dieses damitdass nun die Formalisierungen nicht personenneutral sozial-epistemologisch bestehen koumln-nen Als Vergleich wuumlrde man aus Hitlers und Goumlbbels Reden Formalisierungen isolierenlieszlige sich bestimmt die eine oder andere plausible Idee entwenden (wenn sie voumlllig dekon-
27
Hierzu wird der Text der gesamten vier Vortraumlge unter dem Titel Einblick
in das was ist Bremer Vortraumlge 1949lsquo110 aus dem 1994 veroumlffentlichten 79 Band
der GA zugrunde gelegt Das hat den Grund dass davon ausgegangen wird dass
der Text somit am naumlchsten an den 1949 tatsaumlchlich vorgetragenen Manuskripten
liegt Insofern ist eine realistische Annaumlherung an eine mythopoetische Uumlbertra-
gung der Schwarzen Hefte in die Bremer Vortraumlge 1949 das Ziel Demgegenuumlber
gibt es ob der virulenten Publikationspraxis von Heideggers Schriften111 noch
andere Auskopplungen der vier Vortraumlgsteile mit den Titeln Das Dinglsquo Das Ge-
Stelllsquo Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo
31 Zur Publikationsgeschichte von den
Bremer Vortraumlgen 1949
Zuerst erschien 1954 im Neske-Verlag (Pfullingen) ein Sammelband der lediglich
den ersten Vortrag Das Dinglsquo enthaumllt allerdings in leicht erweiterter Fassung
so wie er ein halbes Jahr nach dem Bremer Auftritt in Muumlnchen (1950) an der
Akademie der Schoumlnen Kuumlnste gehalten wurde112 Dem Band hinzugefuumlgt ist aber
zudem ein Vortrag der vornehmlich die Kernaussagen von Das Ge-Stelllsquo und
Die Gefahrlsquo verbindet allerdings in modifizierter Form Dieser wurde unter dem
textualisiert wuumlrde) Ist aber die wahre Verbindung zu Hitler und Goumlbbels hergestellt hatman selbstverstaumldlich die Verantwortung zu tragen an dem ganzen Tross von unmoumlglichenVerfehlungen dieser Menschen die sie fuumlr uns zu Personae non gratae stempeln muumlssen
110 GA 79111 Hierauf macht auch der Darmstaumldter Philosoph Gernot Boumlhme aufmerksam als Akt ei-
ner bdquoposthumen Selbstinszenierungldquo in Boumlhme Gernot Selbstinszenierung uumlber Ruhmin der Philosophie In Information Philosophie (Online Ausgabe 12015) URL=lthttpwwwinformation-philosophiedea=1ampt=8232ampn=2ampy=5ampc=29gt zuletzt ab-gerufen am 2442016)
112 Heidegger Martin Das Ding In Ders Vortraumlge und Aufsaumltze Pfullingen 1954 S 163ff
28
Titel Die Frage nach der Techniklsquo113 am 18 November 1953 an der TUMuumlnchen
gehalten
Eine weitere Auskopplung diesmal des letzten Vortragsteils Die Kehrelsquo fin-
det sich in einem broschuumlrenformatigen Band wiederum im Zusammenspiel mit
dem Vortrag Die Frage nach der Techniklsquo in Die Technik und die Kehrelsquo114 von
1962 wieder Somit wurden die Vortraumlge Das Ge-Stelllsquo und Die Gefahrlsquo lange
Zeit nicht veroumlffentlicht sondern als vermischter und modifizierter Text eben
Die Frage nach der Techniklsquo jeweils zusammen mit Das Dinglsquo (1954) und Die
Kehrelsquo (1962) angeboten115 In der Vorbemerkung zu Die Technik und die Keh-
relsquo wird diese kleine Chronologie leicht verfaumllscht auch aufgezeigt Darin heiszligt
es ferner dass Die Frage nach der Techniklsquo eine erweiterte Fassung von Das Ge-
Stelllsquo waumlre Dem ist wie schon gesagt nicht so Sondern es ist eine modifizierte
Vermischung von Das Ge-Stelllsquo und Die Gefahrlsquo was unschwer zB am Begriff
vom bdquoHer-vor-bringenldquo116 zu erkennen ist der in Die Gefahrlsquo eingefuumlhrt wird
und in Die Frage nach der Techniklsquo die gleiche Bedeutungskonstituente bildet
Mit der Veroumlffentlichung des 79 Bandes der GA 1994 wurden alle vier Bremer
Vortraumlge von 1949 publiziert In Band 11 der GA erschien 2006 auszligerdem Die
Kehrelsquo in ihrer urspruumlnglichen Fassung Die Frage nach der Techniklsquo enthaumllt
weniger mythopoetische Teile als Das Dinglsquo und operiert demgegenuumlber staumlrker
anhand klassisch philosophischer Allgemeinplaumltze Derer sind vor allem zu nen-
113 Heidegger Martin Die Frage nach der Technik In Ders Vortraumlge und Aufsaumltze Pfullingen1954 S 9ff (Der Aufsatz erschien ebenfalls 1954 im Sammelband der Vortragsreihe DieKuumlnste im technischen Zeitalter Heidegger Martin Die Frage nach der Technik In DieKuumlnste im technischen Zeitalter Dritte Folge des Jahrbuchs Gestalt und Gedanke Hg v dBayrischen Akademie der Schoumlnen Kuumlnste Muumlnchen 1954 S 70ff)
114 Heidegger Martin Die Technik und die Kehre Pfullingen 1962115 Beide Baumlnde Votraumlge und Aufsaumltzersquo sowie Die Technik und die Kehrersquo haben hohe Aufla-
genzahlen (Uumlbersetzungen wurden hier nicht recherchiert wobei es aber eine internationa-le Heidegger-Rezeption gibt) 1993 wurde der Pfullinger Neske-Verlag von dem StuttgarterHaus Klett-Cotta uumlbernommen was die Buumlcher aber unveraumlndert belaumlsst Vortraumlge und Auf-saumltzelsquo zaumlhlt seit 2009 die 11 Auflage Die Technik und die Kehrelsquo seit 2014 die 13 BeideBaumlnde sind vergriffen Es mutet unverstaumlndig an weshalb eine fehlerhafte Jahresangabe ausder ersten Veroumlffentlichung von Die Technik und die Kehrelsquo bis 2014 kolportiert wurdeDort steht der Vortrag Die Frage nach der Techniklsquo waumlre am 18 November 1955 gehaltenworden Der Vortragstermin war aber am 18 November 1953
116 Vgl GA 79 S 64 Und Heidegger Die Technik und die Kehre S 11
29
nen die Auflistung der bdquovier Ursachenldquo117 nach Aristoteles und die Kritik an der
Technik als bdquoein Mittel zu Zweckenldquo118 (Kausalitaumlt)119
Der Vortrag Das Dinglsquo galt Heidegger bei der Darbietung seiner Technikphi-
losophie nach dem Zweiten Weltkrieg allerdings als unentbehrlich ndash und damit
seine groszligflaumlchige Aufblaumltterung der Mythopoetik wie im folgenden Kapitel hier
gezeigt wird Denn im Vortrag Die Frage nach der Techniklsquo benutzt Heideg-
ger noch immer seinen mythopoetischen Topos vom Versammeln des Gebirges
der mit dem Versammeln eine Konstituente des Gevierts ist (bdquoErde und Himmel
die Goumlttlichen und die Sterblichenldquo120) (su)121 Fuumlr die Kaumlufer und Leser von
der spaumlteren Veroumlffentlichung Die Technik und die Kehrelsquo wird zudem in Die
Kehrelsquo extra auf den Vortrag Das Dinglsquo in der 1954er Ausgabe in Vortraumlge und
Aufsaumltzelsquo verwiesen122 Das zeigt wie wichtig und unerlaumlsslich Heidegger seine
mythopoetische Denkweise der Technik ist Auch wenn er in Die Frage nach der
Techniklsquo einen allgemeineren und offeneren Ansatz entwickelt hat der dadurch
auch leichter zu erschlieszligen ist
32 Die mythopoetische Spiegelung der Schwarzen
Hefte in den Bremer Vortraumlgen von 1949
321 Das Dinglsquo
In dem Vortrag Das Dinglsquo der 1949 vor dem privaten Club zu Bremen dort im
Neuen Rathaus das Vortragsquartett einleitete fuumlgt Heidegger mythopoetisch
zusammen was folgenden Topoi seiner Schwarzen Hefte aus Kap 221 entspricht
117 Heidegger Die Technik und die Kehre S 6118 Ebd S 6119 Diese Topoi versucht Heidegger in dem Text zu zersetzen und ihnen ein aletheisches Prin-
zip des Entbergens der Technik entgegenzusetzen Dies erfolgt wiederum auch anhand derVerwendung von mythopoetischen Teilen Darauf kann hier aber nicht weiter eingegangenwerdenAls weitere Gemeinsplaumltze (die er teils unterstuumltzend teils zur Zersetzung einfuumlgt) handelt
der Text auch mit Zitaten von Platon Heisenberg J P Hebel und Goethe120 Ebd S 12121 Vgl GA 79 S 11 Und Heidegger Die Technik und die Kehre S 19122 Vgl Heidegger Die Technik und die Kehre S 42f
30
1 die antirationale Wissenschaftsfeindlichkeit 2 der Mythos des Goumlttlichen 3
das Griechentum uumlber dem Roumlmertum 4 die Zahlenmystik (anhand des Spiegel-
Spiels des Gevierts ndash su) 5 das geschichtsbesinnliche Prinzip der Aletheia
Heidegger stellt zuerst die Frage nach dem Ding und will sie daraufhin ver-
anschaulichen mittels der Metapher des Kruges dh mit dem Krug als ein exem-
plarisches Ding Er fuumlhrt dann vor (was der Geste eines Zauberkuumlnstlers aumlhnelt)
wie der leere Krug gefuumlllt wird ndash Luft weicht der Fluumlssigkeit Dieses Sachverhaumllt-
nis aber ist fuumlr ihn Halbpoesie und eine Angabe aus der Physik sie verfehle das
vermeintliche Wesen des Kruges
Die Wissenschaft stellt durch sie [die Angabe der Physik DS] etwas Wirk-liches vor wonach sie sich objektiv richtet Aber ndash ist dieses Wirkliche derKrug Nein DieWissenschaft trifft immer nur auf das was ihre Art des Vor-stellens im vorhinein als den fuumlr sie moumlglichen Gegenstand zugelassen hat[] Die Wissenschaft macht das Krug-Ding zu etwas Nichtigem insofernsie Dinge nicht als das Maszliggebende zulaumlszligt123
Als ein wirkmaumlchtiges Beispiel das ihm sicherlich viel Beachtung uumlber die
Jahrzehnte seit ihrer Zuumlndung in Japan hinweg einbrachte fuumlhrt Heidegger die
Atombombe an Diese sei zu verstehen als verdinglichte Wissenschaft die das
Ding vernichten wuumlrde
Deren Explosion ist nur die groumlbste aller groben Bestaumltigungen der langherschon geschehenen Vernichtung des Dinges dessen daszlig das Ding als Dingnichtig bleibt124
Er buumlndelt damit Wissenschaft und Verkennung des Wesens als maszliggebend mit
dem Ding als sein machenschaftliches Prinzip der zerrechnenden Zerstoumlrung Drei
Jahre nach Kriegsende war der buumlrgerlich-elitaumlre Kreis in Bremen sicherlich be-
wegt von dieser Wortgewalt Diese jedoch suchte ja ihr Heim Harmonie Ruhe
in dem Haus als Wesen der Sprache
Und so faumlhrt Heidegger fort und ersetzt das physikalische Prinzip des Inhalts-
wechsels von Luft zu Wein in ein bdquoGeschenk des Gussesldquo als Spende und Opfer
den Goumlttern (2)125
123 GA 79 S 8124 Ebd S 9125 Vgl Ebd S 11f
31
Der Guszlig ist der den unsterblichen Goumlttern gespendete Trank [] Der ge-weihte Trank ist das was das Wort Guszliglsquo eigentlich nennt Spende und Op-fer Guszliglsquo gieszligenlsquo lautet griechisch χέειν indogermanisch ghu Das bedeu-tet opfern
Hier spielt bereits der Ursprungsmythos der Griechenmit ein (3) es ist aber auch
ein Bezug auf das Geviert Dieses waumlre ein System ein zusammen Gestelltes aus
bdquoErde und Himmel die Goumlttlichen und die Sterblichenldquo126 Im Guszlig des Trunkes
weilten gemeinsam diese Vier als emblematische Verbindung
Das im Geschenk Versammelte sammelt sich selbst darin das Geviert ereig-net zu verweilen Dieses vielfaumlltig einfache Versammeln ist das Wesen desKruges Unsere Sprache nennt was Versammlung ist in einem alten WortDies lautet thing127
Das Geviert zehrt von der Zahlenmystik zum einen als die Versammlung der
vier Begriffe an sich zum anderen da Heidegger ihnen eine Spiegel-Funktion
zuschreibt bdquoJedes der Vier spiegelt in seiner Weise das Wesen der uumlbrigen wie-
derldquo128 und ferner weil er damit auf sich selbst dh auf sein Vortrags-Geviert
verweist (4) Wie in Kap 21 schon gesagt lebt der Mythos von seiner Verbind-
lichkeit Diese legt Heidegger allen nah die sie verinnerlichen wollen bdquoSagen wir
die Sterblichen dann denken wir falls wir denken die anderen Drei mit aus der
Einfalt der Vierldquo129
Sollte der Vollzug der Praxis des sukzessiven Mitdenkens aller vier Geviert-
Entitaumlten gelingen koumlnnte das Ereignis der Aletheia begriffen werden (5) bdquoDas
Spiegel-Spiel von Welt ist der Reigen des Ereignensldquo130 Diese wird aber auch be-
griffen in Abgrenzung von dem Roumlmertum (3) denn in der bdquorealitas der resldquo
haumltten die Roumlmer bdquoihr Erfahrenes niemals eigens in seinem Wesen gedachtldquo131
Das waumlre den Griechen vorzubehalten und vom verstaumlndig denkenden Deutschen
wiederzubeleben
126 Ebd S 12127 Ebd S 13128 Ebd S 18129 Ebd130 Ebd S 19131 Ebd S 15
32
Der Krug ist ein Ding weder im Sinne der roumlmisch gemeinten res noch imSinne des mittelalterlich vorgestellten ens noch gar im Sinne des neuzeitlichvorgestellten Gegenstandes [] Der Krug ist Ding insofern er dingt132
Die Bindung an das deutsche Wort bdquoDingldquo das er spielerisch auch ins Englische
Romanische und Franzoumlsische uumlbersetzt ist unerlaumlsslich fuumlr seine ethymologi-
sche Argumentation In der ist der bdquoGuszligldquo ruumlckgefuumlhrt auf indogermanisch bdquoghuldquo
und das bdquoDingldquo auf das mittelhochdeutsche bdquothingldquo So konnten antik die Roumlmer
von den Griechen abgrenzt werden und modern die anderen drei Sprachen vom
Deutschen Das englische sich sehr nah am bdquothingldquo befindliche bdquothingldquo wird mit
dem Roumlmischen ausgespielt
Im Englischen hat thing noch die erfuumlllte Nennkraft des roumlmischen Wor-tes res bewahrt [] dh ein aus sich kommendes den Menschen Angehen-des133
Fuumlr Heidegger geht es beim bdquothingldquo aber um die mittelhochdeutsche Uumlbersetzung
der Versammlung Darauf beruht sein gesamter Systemansatz mit Geviert und
Ge-stell
Schulz-Nieswandt fuumlhrt diese Zusammenstellung zum Bejubeln von Heideg-
gers Mythopoetik
So fundamental sieht Heidegger die Welt Die Quelle des Wassers wird zurHochzeit von Himmel und Erde das Gieszligen des Wassers aus dem Krugzum Geschenk Auch Sprache ist daher kein Instrument sondern Ort desWohnens des Menschen Sprache wird zum Haus des Seinslsquo134
Hier bestaumltigt die Untersuchung des Ding-Vortrags die These von einer mytho-
poetischen Einschreibung der nationalistischen voumllkischen Abgrenzungs-Mythologie
aus den Schwarzen Heften
322 Das Ge-Stelllsquo
Der zweite Vortrag des Reden-Gevierts setzt ein mit der Metapher des fehlen-
den Abstands Wo kein Abstand sei da waumlre auch keine Naumlhe so Heidegger Er
132 Ebd S 16133 Ebd S 14134 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei Walter
F Otto S 59
33
verbindet die Abstandslosigkeit mit Urbanitaumlt und Verkehr alles fluktuiere Es
waumlre der Bestand der sich bestelle in dem das Abstandlose herrsche Das sind
neue Metaphern fuumlr die Machenschaft In seiner Erzaumlhlung vom Ge-Stell gibt es
bedeutend weniger mythopoetische Passagen als in dem vorangegangenen Vor-
trag Allerdings uumlbertraumlgt er den mythopoetischen Gehalt der Rede vom Ding
bereits im ersten Absatz von Das Ge-Stelllsquo mit dem Credo bdquoNaumlhe west insofern
das Ding dingtldquo135 Mit dieser Verbindung wird klar unter welchem Zeichen Hei-
degger die Rede vom Ge-Stell verstanden wissen will ndash als verlorenes Verhaumlltnis
des voumllkisch-traditionell verwurzelten Menschen mit den vermeintlichen Wesen
all seiner Gebrauchsobjekte in der mythopoetischen Formel des sich spiegelnden
Gevierts
Nahezu nuumlchtern erzaumlhlt Heidegger dann von dem Gefaumlngnis des Menschen
im Wesen der zirkulierenden sich immer neu bestellenden Bestandstechnik des
Ge-Stells Dabei scheinen folgende Mythen aus den Schwarzen Heften hindurch ndash
1 bdquoHistorie die Technik der Geschichtelsquo Technik die Historie der Naturlsquoldquo136
2 das historische Tier 3 der Appell an den Auftrag des Deutschen 4 der geschicht-
liche Mensch muss die Historie und damit die Technik uumlberwinden und 5 die
alles zernichtende Machenschaft des juumldischen Wesens
Den Topos der seinsvergessenen Groszligstadt jedenfalls kontrastiert er mit der
Bauerndorfidylle Da aber bdquodas Abstandlose herrschtldquo137 waumlre das Vorruumlcken der
Maschinentechnik bereits universell So in Form des Traktors Schon in Band
96 der Schwarzen Hefte beklagt er dieses bdquozum elektrischen Pflug [] gehoumlrt
das amerikanisch aufgemachte Magazinlsquoldquo Insofern erfolge die bdquoAngleichung der
Sitten der Bergbewohner an diejenigen des groszligstaumldtischen Sport- und Barbe-
triebsldquo138
Sein erster Land-Stadtvergleich betrifft den Bauern dessen Totenruhe tradi-
tionell in einem sg bdquoTotenbaumldquo (Sarg) stattgefunden haumltte ndash bdquoIn ihm gedeiht
der Tod des Totenldquo139 Dem gegenuumlber klingt in der bdquomotorisierten Bestattungs-
135 GA 79 S 24136 GA 95 S 351137 GA 79 S 24138 GA 96 S 54139 GA 79 S 26
34
industrie der Groszligstadtldquo140 bereits Heideggers pietaumltsloser Gaskammernvergleich
an
Ackerbau ist jetzt motorisierte Ernaumlhrungsindustrie im Wesen das Selbewie die Fabrikation von Leichen in Gaskammern und Vernichtungslagerndas Selbe wie die Blockade und Aushungerung von Laumlndern das Selbe wiedie Fabrikation von Wasserstoffbomben141
Hier wird davon ausgegangen dass es eine Uumlbertragung der Notizen uumlber
das deutsche Land als bdquoeinziges KZldquo ist die Unterdruumlckung des deutschen Vol-
kes durch die bdquoWeltdemokratieldquo die schlimmer sei als die Graumlueltaten der bdquoGas-
kammernlsquoldquo142 In die mythopoetische Formel von dem dingenden Ding aus dem
ersten Vortrag sind alle Valenzen eingeschrieben die es zur Aufgabe des abendlaumln-
dischen Deutschen (also als Nachfolger der alten Griechen) machen das Wesen
des Dings und somit der Technik zu huumlten Die Verantwortung fuumlr Genozid
Massenvernichtungswaffen und den Mangel im Nachkriegsdeutschland schreibt
Heidegger gleichfoumlrmig dem Prinzip der Abstandslosigkeit zu
Auch die Rede von der Habgier des Berechnenden ist ein bereits bekannter
Vorbehalt Heideggers anhand der Rede vom raffgierigen Juden Denn er sagt von
der bdquoHerrschaft des Abstandlosenldquo dass sie bdquodie Hab-gier des vorstellenden Be-
rechnensldquo waumlre143 Das entspricht seinem Mythos von der alles zernichtenden
Machenschaft des juumldischen Wesens144
Dann folgt eine lange Elegie uumlber das Bestellen des Bestands des Ge-Stells
bdquo[d]ie Kette des Bestellens laumluft auf nichts hinaus sie geht vielmehr nur in ihren
Kreisgang hineinldquo145 uumlber 19 Seiten des 21 seitigen Vortragsexts hinweg entwirft
Heidegger diverse Bilder wie das Ge-Stell die Natur das Hergestellte den Men-
schen und das Verstandesmaumlszligige vereinnahme und das Wesen desDings gleichsam
zur Veruntreuung bringen wuumlrde Wiederum poetisch orientiert kontrastiert also
140 Ebd141 Ebd S 27142 GA 97 S 99f143 Vgl GA 79 S 25144 Vgl Machenschaft hier S 29 und Geraff hier S 33145 GA 79 S 29
35
Heidegger Houmllderlins Hymne Der Rheinlsquo mit dem Rhein dessen Stroumlmung fuumlr
ein Stromkraftwerk genutzt wird
Achten wir um das Ungeheure das hier waltet zu ermessen nur auf einenAugenblick auf den Gegensatz der sich in den beiden Titeln ausspricht DerRhein verbaut in das Kraftwerk ndash der Rheinlsquo gesagt in der gleichnamigenHymne Houmllderlins146
Die Differenz also waumlre das Ungeheure147 Dabei waumlre der Rhein verbaut in das
Kraftwerk Aumlhnlich wie Kohle Erze und Rohoumll waumlren sie Bestand der bdquobesteht
im Bestellenldquo ndash bdquoDas Bestellen waumlre demnach lediglich eine Machenschaft des
Menschen vollzogen in der Weise der Ausbeutungldquo148
Das Bild des Wasserkraftwerks wird erweitert um den Begriff des Menschen
Elektrizitaumlt mit Wasserkraft erzeugen bdquokoumlnnen die Menschen [] nur insofern
sie selber schon in dieses Bestellen bestellt sindldquo149 Mit diesem Bild versucht Hei-
degger praktisch zu veranschaulichen dass Entwurf Umsetzung und Einsatz ei-
ner technischen Anlage den Menschen in ein entruumlcktes Verhaumlltnis zum Wesen
des dingenden Dings setze ndash bdquoDer Mensch ist darum der Angestellte des Bestel-
146 Ebd147 Das ist zusaumltzlich zu dem gemeinten Gegensatz ein Vergleich mit dem Heidegger dem Wort
bdquoRheinldquo in die Hymne Der Rheinlsquo gesprochen eine Energie erzeugende Wirkung zu-schreibt eben so wie das Kraftwerk Strom erzeugen wuumlrde Das wird klar dadurch dassHeidegger metaphorisch vom Stellen des Wortes bdquoRheinldquo in die Hymne spricht Es handeltsich um einen Appell zur denkerischen Besinnung Dass Heidegger dafuumlr eine technischeAnlage zur Veranschaulichung inspirierend wirken laumlsst spielt bereits in die Richtung derBegriffe bdquoHer-vor-bringenldquo bdquoEntbergenldquo und spielt auf das Alteheia-Prinzip an Darauf wirdweiter unten anhand Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo eingegangen werden Es handelt sich umdas Angebot eines mythopoetischen Umgangs mit Technik insbesondere wenn sie sich inheimische Gefilde einfuumlgtHeute koumlnnte man mit Windraumldern ebenso verfahren Somit koumlnnte aber auch Heidegger
als ein gewisser Quijana aus Mancha verstanden werden eben der Protagonist aus Miguel deCervantes Roman Don Quichote von der Manchalsquo der mit seinem von ihm flux auch um-benannten Klepper (weil er zuvor sich selbst in Don Quichote umtaufte) Rocinante Riesenbezwingen will um mit dieser Heldentat unsterblichen ritterlichen Ruhm zu erstreitenAuch Don Quichote fand seine Riesen in Windmuumlhlen und auch Don Quichote war uumlber
eine uumlbertriebene Auseinandersetzung mit einer verschuumltteten Kultur dieser verfallen undsuchte diese in seiner Aventuumlre zu reaktualisieren Martin Heideggers mythopoetisches Pro-gramm ist tatsaumlchlich stark mit Don Quichotes Motiv vergleichbarFerner waumlre eine Auseinandersetzung mit Heideggers Werk unter Beruumlcksichtigung sei-
ner Gewichtung der Vorsokratiker und Houmllderlin als mythopoetischen Autor eine moumlglicheForschung zum Thema Anachronismen in Konzepten von Moral und gesellschaftlicher An-gemessenheit (Vgl Cervantes Miguel de Don Quichote von der Mancha Herausgeben unduumlbersetzt v Susanne Lange Muumlnchen 2008 S 33f)
148 GA 79 S 29149 GA 79 S 30
36
lensldquo150 Schon vorher wies Heidegger darauf hin bdquo[d]ie Herrschaft des Gegen-
staumlndigen sichert nicht den Abstandldquo151 Jetzt heiszligt es
Das Bestellen befaumlllt nicht nur die Stoffe und Kraumlfte der Natur mit Gestel-lung Das Bestellen befaumlllt zugleich das Geschick des Menschen Das Wesendes Menschen wird daraufhin gestellt das Bestellen in menschlicher Weisemitzuvollziehen152
Der Begriff des Ge-Stells wird daraufhin so konstruiert dass es im Bestellen
um ein Stellen (Herausfordern) alles bdquoAnwesenden als Bestandldquo als bdquoversus unumldquo
gegen bdquodas Eine Ganzeldquo gehe153 In wiederum mythopoetischer Formulierung ge-
baumlre die bdquoVersammlung des Stellens worin alles Bestellbare in seinem Bestand
west das Ge-Stellldquo154 Der Begriff bdquoVersammlungldquo wird einen Absatz zuvor my-
thopoetisch wieder an die Versammlung also das thing eben das wesenhafteDing
angelehnt und somit wie zu Das Dinglsquo bereits oben erlaumlutert in einen deutsch-
abendlaumlndischen Kontext gestellt (3)
Wir nennen die Versammlung der Berge die von sich her einig und nienachtraumlglich schon gesammelt ist das Gebirge Wir nennen die Versamm-lung der Weisen nach denen uns so zumute ist und sein kann das Gemuumlt155
Allerdings ist obiges Versammlungsmodell hier als Kontrast zu sehen zu dem
bdquoGeraff des Getriebesldquo das das Ge-Stell darstellt als bdquoWesen der Technikldquo156 Hei-
degger sieht in der Gleichfoumlrmigkeit die zum Wesen des Technik als Ge-Stell
150 GA 79 S 30151 GA 79 S 25152 GA 79 S 31153 Vgl GA 79 S 32154 GA 79 S 32155 Ebd
Das Wort ldquoGemuumltrdquo hat ferner eine ausschlieszliglich deutsche Praumlgung gibt es doch keinedirekte Uumlbersetzungen Gemuumlth ist ferner ein nicht eindeutig umrissener Begriff (Vgl Kra-mer Cheryce A Foolrsquos Paradise The Psychiatry ofGemuumlth in a Biedermeier Asylum Chica-go 1998 S 19) Die Bedeutung im Deutschen selbst ist zudem sehr variabel hat aber zumeistmit Seelen- oder Geistkonzepten zu tun ndash Cheryce von Xylander (geb Kramer) uumlbersetztGemuumlth mit bdquosoul-organldquo (ebd S 43) das von diversen Autoren unterschiedlich konstru-riert wird (zB von Kant geistigkoumlrperlich und von Kleist individuellkollektiv (vgl ebdS 41)) In Heideggers emblematischem Duktus scheint eine Vermischung von allen vier Di-mensionen geistigkoumlrperlich wie auch individuellkollektiv stattzufinden Es ist auf jedenFall dem Mythos geschuldet den Auftrag des Deutschen anzunehmen (3)
156 GA 79 S 33
37
gehoumlre die planetarische Abloumlsung und Aufhebung des traditionellen und damit
wesenhaft ans Ding gebundenen Verhaumlltnisses vom Menschen zur Erde (das von
ihm idealisierte voumllkische Bauerntum das Bestellen des Ackers) bdquoDie Bestand-
Stuumlcke sind Stuumlck fuumlr Stuumlck die Gleichenldquo157 So kontrastiert er alte Handwerks-
techniken mit Maschinentechnik und schreibt der Maschinentechnik die machen-
schaftliche Verdraumlngung als Geraff zu
Das Ge-Stell hat auch wenn das nicht unmittelbar und nicht sogleich ver-nehmlich wird im vorhinein schon alle diejenigen Stellen beseitigt an denenvormals Spinnrad und Wassermuumlhle standen Das Ge-Stell bestellt durch sei-ne Maschinerie zum voraus eine andere Art und Ordnung von Stellen Andiesen kommt nur zu Stand was als Bestellbares auf der Stelle gleichfoumlrmigzur Stelle steht
Darum ist auch die Art wie die Maschine selbst etwas herstellt einewesentlich andere als das handwerkliche Tun gesetzt daszlig es innerhalb desGe-Stells uumlberhaupt noch so etwas wie ein Herstellen gibt
Die Traktoren und Kraftwagen werden herausgebracht ausgeworfen se-rienweise Stuumlck fuumlr Stuumlck Wo drauszligen steht dieses so Herausgestellte Wo-hin in welchen Stand ist es gebracht158
In dieser Klage uumlber den technischen Wandel der durch den Fortschritt in
alle Lebensbereiche Einzug haumllt versucht Heidegger zu veranschaulichen wel-
chen Verlust es zu erkennen gelte Ein Versuch diesem entgegen zu treten ist die
von ihm vorgetragene Mythopoetik die er in diesem Vortragsteil seines Vortrags-
Gevierts allerdings auffaumlllig zuruumlckgestellt sein laumlszligt War der Einleitungsteil Das
Dinglsquo schlieszliglich eine nahezu einzige mythopoetische Darbietung Dramatur-
gisch wird Heidegger in Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo die mythopoetischen For-
mulierung als Loumlsungswege wieder Bedeutung geben In Das Ge-Stelllsquo versucht
Heidegger hingegen Vorstellungen aus seinen Schwarzen Heften aumlhnlich der fol-
genden mitzuteilen die das Uniforme Gleichfoumlrmige betreffen
Die Macht der Machenschaft ndash die Vernichtung sogar der Gottlosigkeit dieVermenschung des Menschen in das Tier die Vernutzung der Erde die Ver-rechnung der Welt ndash ist in den Zustand der Endguumlltigkeit uumlbergegangenUnterschiede der Voumllker Staaten Kulturen sind nur noch Fassade159
157 GA 79 S 36158 GA 79 S 35159 GA 96 S 52f
38
Was Heidegger unter dieser Gleichfoumlrmigkeit versteht schreibt er in den Schwar-
zen Heften zumeist den Amerikanern zu Er nennt es auch haumlufig Planetarismus
Der Amerikanismus [ist DS] die Zusammenraffung von Allem welcheZusammenraffung immer zugleich die Entwurzelung des Gerafften bedeu-tet160
Der Planetarismus ist die historisch gedachte Bestimmung der uumlberall glei-chen die ganze Erde uumlberdeckenden Seinsverlassenheit des Seienden161
Die Gegenuumlberstellung von natuumlrlicher und traditioneller Handwerkstechnik
gegen maschinenhafte Gleichfoumlrmigkeit exemplifiziert Heidegger dann im Vor-
trag Das Ge-Stelllsquo vielfach wie zum Beispiel hier
Der Forstwart zB der im Wald das geschlagene Holz vermiszligt und demAnschein nach noch wie sein Groszligvater in der gleichen Weise die selbenWege geht ist heute von der Holzverwertungsindustrie gestellt Er ist ober es weiszlig oder nicht in seiner Weise Bestand-Stuumlck des Zellulosebestandesund dessen Bestellbarkeit fuumlr das Papier das den Zeitungen und illustrier-ten Magazinen zugestellt wird die uumlber die Oumlffentlichkeit daraufhin stellenverschlungen werden162
160 GA 96 S 257161 GA 96 S 261162 GA 79 S 37f
Die renommierte Theaterautorin Elfriede Jelinek karikiert in ihrem Stuumlck Totenaubergvon 1991 Heideggers Konstrukt von Heimat und Fortschrittsfeindlichkeit verbunden miteiner Auseinandersetzung mit dessen Liebschaft zu Hannah Arend Mit philologischer Prauml-zision polemisiert sie Teile aus Heideggers Elegie uumlber die Technik und laumlszligt ihn dabei alsbeschraumlnktes und eingezwaumlngtes Wesen in einem Gestell gefangen sein Aus diesem heraussoll er Arend Rede und Antwort stehen uumlber sein Verhaumlltnis zum Nationalsozialismus unddie Shoa Doch dieser redet nur naturtrunken von Heimat und berauscht sich daran Derprophetische Denker wird banalisert ndash diese Worte legt Jelinek ihm (im Stuumlck der alte Mann)in den MundbdquoDie Angst vor dem Fragen liegt uumlber dem Abendland Sie bannt die Kandidaten auf ein
Team-Leibchen verbannt sie auf altgewordene Wege und jagt sie zuruumlck ins morsch geworde-ne Gehaumluse ihrer Tore wo es um ihre Ausscheidungen geht Es wird ihnen alles weggenom-men werden auch der Weg selbst Keine Spur kein Lichtschein aus den Ritzen Aber ruf ichin die Huumltte um nach einem zu fragen den ich gekannt hab sehe ich grad noch eine Tuumlrsich schlieszligen Der Wald kommt nicht zur rechten Geltung alles ist entflohen was mir liebwar und woran ich geglaubt hab Was kommt ist noch nicht da Nichts war Ich habe nichtsgehoumlrt Ich erinnere mich nicht aber ich stelle dem Kommenden das mich den lupenreinenAmateur schon vor Beginn des Rennens erlahmen laumlszligt vorsorglich die Hausschuhe vor dieTuumlr Sie sind das Einzige was die Profis des Profits von mir dann vorfinden werden wennsie anklopfen Die Haumlrte des Urgesteins sollte sie nicht entmutigen Die Jahreszeiten machendie Landschaft auf und zu Ich sage nur In dieser scheinbaren Leere will ich vom Denkenmuumld nur schlafen Von der Huumltte aus lassen sich Wanderungen unternehmen Aber auchsonst wird Ihnen alles wie ich sagte genommen werden Auch Ihre Fotos und Namen Unddas Gewesene wird wesenlosldquo ( Jelinek Elfriede Totenauberg Hamburg 1991 S 86f)
39
Die Oumlffentlichkeit ist fuumlr Heidegger ein Topos der dem Denken und Besinnen
entgegenstuumlnde Somit meint er damit zum Einen die Medien wie er es anhand
der Rede von den Bestandstuumlcken in Das Ge-Stelllsquo erklaumlrt wo der Mensch als
Urheber des Ge-Stells als Wesen der Technik nicht gelten soll Vielmehr wuumlrde er
in Ratlosigkeit und Langeweile verfallen weil er in der Bestellung des Bestandes in
Form von Bestandstuumlcken vom Rundfunk keine Besinnung mehr faumlnde dh das
Ganze also wiederum daswesentliche Ding nicht mehr zu fassen vermoumlge163 Und
so toumlnt es bereits aus den Schwarzen Heften von 19391940()
Die Bildlsquo und Tonlsquo ndash Reportagenlsquo der Machenschaft ist der planetari-sche Mythuslsquo des Vollendungsabschnittes der Neuzeit Die Welt des abge-legensten deutschen Bauernhofes wird nicht mehr durch [] die Naturlsquobestimmt in der noch die Erde waltet sondern durch das illustrierte Blattmit der Darstellung von ausgezogenen Tanzweibern von Boxern und Renn-fahrern und sonstigen Heldenlsquo des Tages164
Und ferner notierte Heidegger 1946 in seinen Schwarzen Heften
Uumlberall zerrt es aus dem Oumlffentlichen ins Oumlffentliche mit vielen Strickenund jeder sieht das kaum versuchte Denken des Seyns am Leitband seinesStrickes165
Dabei waumlre eben ein bdquoLiterat [] ein in die Oumlffentlichkeit verliebter Mensch der
Angst vor dem Denker hatldquo166 Dieses liefe dann darauf hinaus dass beim Rund-
funk bdquoein Bestellen und Stellen waltet das in dasWesen des Menschen eingegriffen
hatldquo167
Abermals nach dem Wesen der Technik also nach dem Ge-Stell gefragt geht
Heidegger auf seine Unterscheidung vonNatur undNaturwissenschaft ein bdquo[w]elches
ist das Verhaumlltnis zwischen der Technik und der Naturldquo168 Natur wuumlrde in wis-
senschaftlicher Hinsicht unter das Berechnete fallen sie wuumlrde bdquoals das in Maszlig
und Zahl gestellte Wirkliche vorgestellt das in seinem Gewirkten staumlndig an-
westldquo169 Wenn Heidegger dann Natur aus technischer Sicht bdquoals ein System des
163 Vgl GA 79 S 38f164 GA 96 S 54165 GA 97 S 100166 GA 97 S 126167 GA 79 S 39168 GA 79 S 41169 Ebd
40
Bestellens von Erfolgen aus dem gestellten Wirksamenldquo170 charakterisiert spricht
er von seiner Rede der Verschraumlnkung von Historie und Technik ndash bdquoTechnik die
Historie der Naturldquolsquo171 Dieses ist bekanntlich das seinsvernichtende Gegenstuumlck
zur geschichtlichen Besinnung Denn geschichtliches Walten der Technik ist fuumlr
Heidegger technische Geschichte dh verwissenschaftlichte Geschichte die da-
durch ihr Wesen verloren haumltte (Seynsvergessenheit)172 So heiszligt es in den Schwar-
zen Heften von 1947
Ein Zeitalter das historisch geworden ist dh technisch planend sich selberberechnet und alles in diesen Sog zieht muszlig jede Besinnung nur als eine dervielen Formen der Intellektualitaumlt registrieren173
Heidegger schlieszligt den Vortrag mit dem Aufgriff der Anfangsbehauptung
bdquo[d]er Bestand bestellt das Abstandsloseldquo174 Somit liegt das Problem der ausblei-
benden Naumlhe durch die Technik deren Wesen das Ge-Stell waumlre das den Bestand
bestelle in der Luft Dass dabei der Mensch sogleich Teil des Bestandes und nicht
Teil der Maschine wird laumlsst ihn das historische Tier sein (2)
Der Mensch ist auswechselbar innerhalb des Bestellens von Bestand []Gleichwohl gehoumlrt der Mensch in einer voumlllig anderen Weise in das Ge-Stellals die Maschine DieseWeise kann unmenschlich werden DasUnmenschlicheist jedoch immer noch unmenschlich Der Mensch wird nie zur MaschineDas Unmenschliche und noch Menschentuumlmliche ist freilich unheimlicherweil boumlsartige und verhaumlngnisvoller denn der Mensch der nur Maschine wauml-re175
Wen Heidegger hier ersinnt ist der neuzeitliche Mensch der den bdquoGoumlttern uner-
traumlglich gewordenldquo176 waumlre
170 Ebd171 GA 95 S 351172 In Heidegger Die Technik und die Kehre S 21 stellt er Geschichte und Historie einander
gegenuumlber was er in Das Ge-Stelllsquo nicht vollzieht bdquoDie moderne Technik kam doch erst inden Gang als sie sich auf die exakte Naturwissenschaft stuumltzen konnte Historisch gerechnetbleibt dies richtig Geschichtlich gedacht trifft es nicht das Wahreldquo Signifikant fuumlr Heideg-gers Attributierung so wie sie oben schon geschildert ist steht Historie fuumlrs Rechnen undGeschichte fuumlr das Denken
173 GA 97 S 508174 GA 79 S 44175 GA 79 S 37176 GA 94 S 236
41
323 Die Gefahrlsquo
Aus Heideggers Darlegung uumlber das Ge-Stell erschlieszligen sich seine diversen Fa-
cetten der Vorstellung einer Abstandslosigkeit schaffenden Technik Dass die Ab-
standslosigkeit dem Prinzip des Gevierts des Zusammengestellten entgegensteht
bekommt im Vortrag Die Gefahrlsquo Nachdruck Die mythopoetische Erzaumlhlung
knuumlpft an den Vortrag Das Dinglsquo an mit den Mythologemene 1 Der Mythos
des geschichtlich sein muumlssens 2 der Mythos des Goumlttlichen 3 das geschichtsbe-
sinnliche Prinzip der Aletheia Zudem wird im Prozess des Vortrags das Ge-Stell
zur Gefahr stilisiert was einen eigenen Mythos erschafft
Durch das bdquouniversale Bestellen des Ge-Stellsldquo177 werde die naumlhernde Naumlhe des
Dings verwehrt Wie im Vortrag Das Dinglsquo fuumlhrt Heidegger das Wesentliche sei-
ner Theorie auf die deutsche und altgriechische Sprache zuruumlck Die so vollzoge-
ne Annaumlherung von Schwarzwaumllderischem Dialekt und Altgriechisch entspricht
Heideggers Traum von dem bdquogeschichtliche[n] Geburtsort des abendlaumlndischen
Wesensldquo178 den seine Heimat von Todtnauberg bis Freiburg stiften sollte (1)
es ist das Geistvolle und zugleich das erdenhafte schoumlne Land Es birgt un-sichtbaren Reichtum dem Gemuumlt bewahret tiefstes Dichten und houmlchsteGestalt der Sage179
Unter diesem Vorzeichen also sagt Heidegger
Das Ge-Stellwesen laumlszligt das Ding ohne die Wahr Das Wort die Wahrlsquo be-deutet in unserer Sprache dort wo sie noch urspruumlnglich spricht die HutIn unserer schwaumlbischen Mundart meint das Wort die Wahrlsquo die der muumlt-terlichen Hut anvertrauten Kinder Das Ge-Stell laumlszligt in seinem Stellen dasDing ohne die Hut ndash ohne die Wahr seines Dingwesens180
Diese in Bremen vorgetragene Heimatkunde ist auch Heideggers Sorge ge-
schuldet durch die Besatzermaumlchte und deren kulturellen Einfluss auch durch
die nun moumlgliche Oumlffnung Deutschlands zu einem Austausch mit der Welt das
eigene Wesen zu verlieren So schreibt er 1945-1947() in seine Schwarzen Hefte
177 GA 79 S 46178 GA 97 S 54179 Ebd180 GA 79 S 46
42
Das Schwerste und Fragwuumlrdigste unseres Geschickes ndash beruht darin ob wirdas Eigene finden und huumlten [] unter den anderen Voumllkernlsquo [] Scheinund Vorwand der Macht daszlig man unsere eigene Aufgabe bringen will []als Entmachtete aufgenommen zu sein in den Weltmachenschaftsbetrieb181
Es gaumlbe nach Heidegger also das Welten von Welt und die Verweigerung von
Welt aus derVerwahrlosung des Dings durch das Ge-Stell bzw die Technik182 Welt
ist nach dem Konzept des schwaumlbischen Denkers nichts weniger als das Geviert
Bei der folgenden mythopoetischen Zusammenstellung von dem Geviert mit alt-
griechischen Vokabeln um den Seins-Begriff wird das Aletheia-Prinzip eingefuumlhrt
Somit fuumlhrt uumlber den Mythos des Goumlttlichen (2) der Weg zur Wahrheit eben als
geschichtsbesinnlich erfahrene Aletheia (3)
Welt ist das Geviert von Erde und Himmel Goumlttlichen und SterblichenDas Spiegel-Spiel der Vierung wahrt alles was in ihm dingend zwischenden Vier anwest und abwest in das einende Ganze seines Anwesens Vonaltersher heiszligt das Anwesen des Anwesenden τὸ ὲόν das Seiend [sic] τὸεἶναι das Sein naumlmlich der ὲόντα des Seinenden das esse entium183
Diese Welt waumlre nun bdquoWahrnis des Wesens von Sein Statt Wahrnis sagen wir auch
Wahrheitldquo184 Die Welt mythopoetisch als Spiegel-Spiel des Gevierts und durch
eine altgriechische Brille betrachtet waumlre die wahre Welt Somit wird die Wahr-
heitsschau gebunden einen antiken Goumltterglauben und abendlaumlndische Sprachkas-
kaden vom Dialekt zum Altgriechisch
Das Problem mit der wahren Welt waumlre allerdings dass sie sich in die Ver-
borgenheit entziehe Naumlher betrachtet ist aber die Verborgenheit Bedingung des
Entbergens was Heidegger notwendig macht zu einem wuumlrdigen Lebensvollzug
in Harmonie mit dem Sein Durch solche Wesensschau waumlre der Mensch befaumlhigt
jederzeit die verstellenden Maumlchte des Ge-Stells (der Technik) zu uumlberwinden und
teilhaftig am Wesen der Welt zu werden
181 GA 97 S 99182 Vgl GA 79 S 47183 GA 79 S 48 (Die griechischen Vokabeln werden hier keiner Uumlbersetzung unterzogen Da
Heidegger ohnehin keine philologische Schaumlrfe anwenden will ist es fuumlr die Zwecke hierausreichend sie mit seiner Uumlbersetzung zu betrachten Heidegger spricht von bdquoAchten aufdas Griechischeldquo was schwieriger waumlre als klassische Philologie (vgl GA 79 S 63)
184 Ebd
43
Welt bleibt in der Verborgenheit (Αήθη) auf die Weise daszlig diese ihre Ver-borgenheit gerade eine Unverborgenheit gewaumlhrt die Αλήθεια185
Die Αλήθεια haumltte allerdings auch eine Rolle uumlber die subjektive hinaus da nur
durch ihren Vollzug Seinsgeschichte gewaumlhrt wuumlrde Das ist der Anspruch den
Heidegger an sein Auditorium stellt gemeinsam geschichtlich sein zu muumlssen (1)
Die Αλήθεια ist das Geschick des Seins als welches Geschick sich die Fuumllleder Seinsgeschichte in ihre Epochen fuumlgt186
Mit dem Ge-Stell als Wesen der modernen Technik waumlre die Aletheia aller-
dings hochgradig gefaumlhrdet Denn ohnehin waumlre die Aletheia prinzipiell der Ge-
fahr der Vergessenheit ausgesetzt Doch das Ge-Stell haumltte die Kraft die bdquovollende-
te Vergessenheit der Wahrheit des Seinsldquo187 zu vollrichten
Indem das Ge-Stell alles Anwesende in den Bestand bestellt setzt das Ge-Stell das Anwesen des Anwesenden heraus aus seiner Wesensherkunft ausder Αλήθεια188
Diese Versetzung des beteiligten Wesens aus der Moumlglichkeit des Wahrheitsprin-
zips heraus markiert Heidegger dann mit der Schreibweise Seyn (mit bdquoyldquo) Wie
bei dem Vortrag Das Dinglsquo koumlnnen ethymologische Abstammungen sein Sys-
tem anreichern Da wo es um das Wortfeld des Stellens geht Ge-Stell Bestellen
Verstellen ist auch das NachstellenMitglied der Familie
Im Althochdeutschen heiszligt nachstellen fara Das in sich gesammelte Stellenals Nachstellen ist die Gefahr Der Grundzug des Wesens der Gefahr ist dasNachstellen Insofern das Sein als das Ge-Stell sich selbst mit der Vergessen-heit seines Wesens nachstellt ist das Seyn als Seyn die Gefahr seines eigenenWesens189
Damit wuumlrde sich durch die Verringerung der Selbstreflexion im Seyns-Bestand
eine Schwachstelle auftun in die der denkbegabte und aletheiafaumlhige Mensch ei-
ne Moumlglichkeit haben das Seyn zum Sein zuruumlckzuwandeln ndash also wieder in ein
185 GA 79 S 49186 Ebd187 GA 79 S 53188 GA 79 S 52189 GA 79 S 53
44
wesentliches Verhaumlltnis zum bdquoDingldquo zu gelangen in dem das Geviert wieder die
Harmonie herstellt Allerdings faumlnde bis zu solch einer Nachstellung eine Ver-
sieglung des Seynsbestandes statt Und Heidegger beklagt dass die Erreichung der
Ruumlckeroberung des Seins uumlber die Nachstellung nicht stattfaumlnde und stattdessen
die Irre regieren wuumlrde190
In dieser Irre stuumlnde dem Menschen nicht einmal mehr zu zu sterben Denn
bdquoSterben [] heiszligt den Tod in sein Wesen austragenldquo191 Somit waumlren die Opfer
die in den KZs umkamen wie er sie in Das Dinglsquo bereits schildert nicht vermouml-
gend gewesen zu sterben bdquoSie werden Bestandstuumlcke eines Bestandes der Fabrika-
tion von Leichen [] Sie werden in Vernichtungslagern unauffaumlllig liquidiertldquo192
Das vermoumlge die Gefahr zu bewirken Der Mensch wuumlrde des eigenen Sterbens
beraubt da er keine Verbindung mehr zur Wahrheit der Welt haumltte Um den rich-
tigen Tod zu sterben muumlsse der Mensch die Aletheia schauen koumlnnen Insofern ist
Heideggers Prinzip ein religioumls anmutendes Wie in der christlichen Vorstellung
der Mensch im Jenseits an seinen Taten gemessen wird um Paradies oder Fege-
feuer zu besuchen soll nach Heidegger der Mensch waumlhrend des Sterbens mit
sich selbst ins Gericht gehen Er soll sich rein machen vom Ge-Stell der Technik
und dem Seyn um nicht die einmalge Gelegenheit des richtigen Sterbevollzugs
zu versaumlumen Es winken gemaumlszlig des Gevierts die himmlischen Goumlttlichen den
irdischen Sterblichen zu wobei annehmbar ist dass Heidegger Sterblichen die
die Aletheia erkennen einen Goumlttlichkeitsstatus beimessen moumlchte ndash eine Erlouml-
sungsphantasie
Genau diese Erloumlsung waumlre die Technik nicht
Ohne den Schritt des Denkens zu wagen der unser Menschenwesen demWesen der Technik [] aussetzt wuumlrgt man sich von Fall zu Fall von Lagezu Lage durch die Zwiespaumlltigkeiten hindurch Und genau durch dieses Ge-wuumlrge versaumlumt man die Moumlglichkeit dessen was man im Grunde erstrebtdie Technik durch menschliches Tun zu meistern und menschenwuumlrdig zulenken193
190 Vgl GA 79 S 55191 GA 79 S 55192 GA 79 S 56 Weil Heidegger im Judentum die Verantwortlichen fuumlr das Geraffe des Ge-Stells
sieht macht er sie gleichsam verantwortlich fuumlr die bdquoSelbstvernichtungldquo Die Seinsverges-senheit im Tode wird dadurch zum Spin-off der vermeintlich juumldisch erzeugten da machen-schaftlichen KZ-Maschinerie (Vgl GA 97 S 20f)
193 GA 79 S 59
45
Trost und Richtung findet Heidegger schlieszliglich abermals bei den alten Griechen
Das Wort stellenlsquo entspricht dem griechischen ϑέσις vorausgesetzt daszlig wirϑέσις griechisch denken Was heiszligt in diesem Falle griechisch denkenlsquo Esheiszligt darauf achten welche Lichtung desWesens des Seyns in welcherWeisedas Dasein der alten Griechen in den Anspruch genommen hat heiszligt imvoraus bedenken in welchem Geschick welcher Unverborgenheit des Seinsdie Griechen standenldquo194
Das sind Vorstellungen des Neuen Anfangs eine Reminiszenz der griechisch anti-
ken Welt Ein Eintrag aus den Schwarzen Heften von etwa 1945-47 () verdichtet
wie oben bereits aufgezeigt die Phantasie griechisch zu sein zu einem gelingenden
Lebensvollzug
Das reine Wesen des Griechentums dh das Seiende inmitten dessen dieGriechen als seiende fremd gewesen dieses und sie selbst und der Bezug desSeins zu ihnen ndash in der einfachen Wesung von der ἀλήθεια her zeigen underfahren Den μῦθος und λόγος ndash jedes Wort und Gebild rein aber nichterzwungen und schematisch-pedant ndash aus ἀλήθεια erfahren195
Hier zeigt sich auch dass Heidegger per se das Aletheia-Prinzip fuumlr notwendig
hielt um ins Licht der Wahrheit zu blicken Die Griechen sind ihm hier deshalb
Vorbild und rein da sie keiner modernen Technik und dem Ge-Stell ausgesetzt
waren sondern lediglich eine mythopoetische Verbindung zum Sein herstellen
mussten um wesentlich zu sein und Seinsgeschichte zu schreiben Die Dinge und
das Spiegel-Spiel des Gevierts waumlren ihnen geschickt zuhanden gewesen196 Hei-
degger macht schlieszliglich sehr deutlich dass das Griechische zu denken ein bei
weitem anderes Geschaumlft sei als philologische Praumlzision
Ein Echo zu sein naumlmlich dem Anspruch des Seins verlangt eine Sorgfaltder Sprache von der freilich der technisch-terminologische Sprachstil derWissenschaften uumlberhaupt nichts wissen kann Die Intentionalitaumlt der wis-senschaftlichen Sprache ist der staumlrkste Beweis fuumlr ihre Boden- und Heimat-losigkeit [] Das Heimische einer hohen Sprache gedeiht nur im Bereichdes unheimlichen Anspruchs der wesenhaften Stille im Wesen des Seyns197
194 GA 79 S 62f195 GA 97 S 20196 Hingegen waumlre das Judentum verantwortlich fuumlr das Ge-Stell fuumlr das Prinzip der Zerstoumlrung
wie es auf der selben Seite der Schwarzen Hefte darunter heiszligt (vgl ebd)197 GA 79 S 66 Die Bedeutung von Seyn als verstelltes Sein oder Bedingung zum Schauen
des wahren Seins ist verwirrend Einer genaueren Analyse wird aus Platzgruumlnden hier nichtnachgegangen
46
324 Die Kehrelsquo
Der letzte Vortrag ist mit nur neun Seiten der Kuumlrzeste des Vortragsgevierts
Nach dem Verlust des Dinges als Ding und der damit einsetzenden Abstandslosig-
keit als Wesen des Ge-Stells wobei die Gefahr zudem der Vergessenheit des Seyns
nachstellt bietet Heidegger eine Perspektive an
Im Wesen der Gefahr verbirgt sich [] die Moumlglichkeit einer Kehre in derdie Vergessenheit des Wesens des Seins sich so wendet daszlig mit dieser Kehredie Wahrheit des Wesens des Seyns in das Seiende eigens einkehrt198
Diese Moumlglichkeit bedeute nicht dass der Mensch sich der Gefahr selbst stellen
koumlnnte sie waumlre passiv ndash bdquoverbirgt sichldquo Die Kehre werde sich ereignen aumlhnlich
einer Erwartung an den Messias
Die Anwesenheit der Gefahr wuumlrde automatisch die Rettung bergen Denn
Houmllderlin haumltte geschrieben bdquoWo aber Gefahr ist waumlchst [d]as Rettende auchlsquoldquo199
Etwa 1945 notiert Heidegger in seine Schwarzen Hefte bdquoDie Wahrheit erfahren
wir im Gedaumlchtnis Das Gedaumlchtnis ist die Dichtungldquo200 (so) Von dieser War-
te aus ausgestattet mit Erinnerungen an das abendlaumlndische Dichten mit dem
Wissen um das Aletheia-Prinzip und passiv als denkender Huumlter des Seyns solle
der Mensch das Ereignis erwarten das ihn bdquoloumlsen freimachen freyen schonen
bergen in die Hut nehmen wahrenldquo201 wuumlrde (siehe S 43)
Dieses Ereignis waumlre der Blitz Ein unvermittelter jaumlher ploumltzlicher Moment
von kurzer Dauer der bloszlig einen ebenso kurzen Blick auf das wahre Wesen er-
lauben wuumlrde Abschlieszligend ist dies das Rezept gegen die Bestands bestellende
Technik in mythopoetischer Formulierung
So entsprechend ist der Mensch geeignet daszlig er im gewahrten Element vonWelt als der Sterbliche dem Goumlttlichen entgegenblickt Anders nicht dennauch der Gott ist wenn er ist ein Seiender steht als Seiender im Seyn unddessen Wesen das sich aus dem Welten von Welt ereignet202
198 GA 79 S 71199 GA 79 S 72200 GA 97 S 52f201 GA 79 S 72202 GA 79 S 76
47
Wenn Heidegger im Anschluss von der bdquohistorisch-technischen Darstellungldquo re-
det so ist dies die Abwehr der Wissenschaften (auch der Philosophie203) und ein
Appell an die Antirationalitaumlt des Mythos bdquokein historisches Vorstellen der Ge-
schichte als Geschehen bringt in den schicklichen Bezug zum Geschickldquo204
Damit das Blitzen erfahren werde als kurze Wesensschau der Aletheia muumlsse
dem wahren abendlaumlndischen und heimatlichen Ereignis stattgegeben werden Es
sollte nicht wie er 1939 schon in den Schwarzen Heften beschreibt das
kuumlnstliche Licht von Historie und Technik in der weder Mensch noch dieGoumltter weder eineWelt noch die Erde sichtbar werden koumlnnen wo aber dasLebenlsquo von allen den immer noch zu wenigen Meistenlsquo erlebtlsquo wird205
Damit schlieszligt der letzte Vortrag mit einer Erwartung an das Ereignis des Blit-
zens nicht das Erleben der Besinnungslosigkeit (vgl Das Ge-Stelllsquo) Schon 1947
traumlumt Heidegger von solcher Umkehr
Aus der Kehre der Seynsvergessenheit aber ereignet sich das Unumgaumlnglicheden Acker der Welt erst zu pfluumlgen und saatbereit der Sonne und dem Regenund den Voumlgeln des Himmels uumlberlassen206
203 Denn ldquo[e]igentlich denken heiszligt [] die Philosophie verlassen [] beim Sagen des Seinslsquoldquo(GA 97 S 60)
204 Ebd205 GA 95 S 427 Gegen das Erlebnis und Erleben straumlubt sich Heidegger besonders So notiert
er etwa 1939 bdquoZeitalter der Techniklsquo macht gerade die Techniklsquo nicht zum Ziel sondernimmer mehr zum Mittel der besinnungslosen Berechnung [] der Mensch [] das Erleb-nislsquo [] Erleben als der Gefuumlhlsgenuszligldquo (GA 95 S 149) Wie auch bdquoWo beide Historie undTechnik in solcher scheinbaren Gegensaumltzlichkeit verkoppelt sind koumlnnen sie sich zur Foumlr-derung dessen zusammenschlieszligen was einstmals wesentlich die Geschichte des Menschenmitbegruumlndete und was wir die Kunstlsquo nennen Die Historie verschafft [] Anregungenund Vorbilder der Nachahmung die Technik erleichtert [] die Zustellung von Darstel-lungsmitteln und Wirkungsformen [] Gleichwohl ist alles wurzellos [] berechnet und alsErlebnislsquo ausgegebenldquo (GA 95 S 212)
206 GA 97 S 511
48
4 Konklusion
Der umstrittene Philosoph Martin Heidegger hat uumlber die 1930erndash40er Jahre
hinweg eine ausgepraumlgte voumllkisch-nationale und bisweilen radikal-antisemitische
Denkweise entwickelt Dieses Denken fasste er auch auf als Besinnung und stellt
es der Philosophie und Wissenschaft diametral entgegen In Kapitel 2 wird aufge-
zeigt dass sowohl Heideggers Mythologie bereits kritisiert wurde (Adorno Cassi-
rer Meyer) als auch seine Mythopoetik bewundert (Schulz-Nieswandt) Kapitel
3 will daruumlber hinaus aufzeigen wie Heidegger eine eigene Mythologie mytho-
poetisch fruchtbar macht was sich von beiden vorigen Ansaumltzen unterscheidet
und erst mit der Veroumlffentlichung der Schwarzen Hefte ab 2014 nachvollziehbar
wurde
Umso mehr bietet die mythopoetische Verbindung von bdquoDichten und Den-
kenldquo (so) einen antitechnischen Gegenpol Denn Heidegger fasst wie oben ge-
schildert alles Rationale auf als berechnende Bestellung des Bestands im Sinne
der Technik Daruumlber hinaus fordert er mit dem Aletheia-Prinzip (als metapho-
risch gefasstes Ereignis des Blitzens) einen Mitvollzug seiner mythopoetischen
Kontemplation in dem religioumlse voumllkische antike und sprachliche Motive zu-
sammenfallen
Obwohl schon von Heidegger selbst nicht mehr als Philosophie betrachtet
hat seine Rede vom Ding dem Ge-Stell dem Wesen der Technik und der Kehre
noch immer einen bedeutenden Einfluss auf die Technikphilosophie So betont
Alfred Nordmann in bdquoWerkwissen oder How to express things in worksldquo (2008)
dass Heidegger mit Das Dinglsquo eine Art Dingwissen geschaffen haumltte In seinem
2012 erschienenen Aufsatz Another parting of the ways Intersubjectivity and the
objectivity of sciencersquo207 geht Nordmann ein weiteres Mal auf Heideggers Ding
ein Dieses waumlre eine Abarbeitung an dem Ding Kants womit auch Nordmann
Heidegger als einen Interpreten Kants versteht208 Anschlieszligend anMichael Fried-
207 Nordmann Alfred Another parting of the ways Intersubjectivity and the objectivity ofscience In Studies in History and Philosophy of Science 43 (2012) 38ndash46
208 Die Auseinandersetzung mit dem Ding wuumlrde nach Nordmann in Heideggers GA mit demText Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalen Grundsaumltzenlsquoeinsetzen (GA 41 Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalenGrundsaumltzen)
49
man spricht sich Nordmann ebenso dafuumlr aus dass Heidegger neben Rudolf Car-
nap und Ernst Cassirer eine neokantianische Philosophie verfolgt haumltte (siehe
Kap 1)209
Nach Nordmann haumltte Heidegger in seinen anschlieszligenden Gedanken uumlber
das Ding als Fortfuumlhrung Kants als erster Wissenschaft als angewandte Techno-
logie verstanden210 Diese Interpretation stuumltzt sich auf die gleichen Symbole
Metaphern und Mythen die die vorliegende Arbeit analysiert Das Ge-Stell ist
insofern aumlquivok mit dem Begriff techno-science Jedoch sind in dieser Fruchtbar-
machung von Heideggers Denken der Technik dessen nationalistischen rassisti-
schen und antisemitischen Implikationen die die vorliegende Arbeit als Zentrum
dessen Philosophie ermitteln konnte noch nicht beachtet worden koumlnnen211
Andreas Luckner webt Heideggers Ding-Entwurf weiter als verantwortliches
Sorgen um die Dinge212 Er geht dabei mit Heidegger voumlllig konform und tritt
eher als eine Art Bote der Ding-Botschaft auf als diese moumlglicherweise zu kriti-
sieren was sich diesen Artikel wie ein Kapitel aus einem Studienbuch lesen laumlsst
Der Darmstaumldter Technikphilosoph Christoph Hubig ist vor allem Kritiker Hei-
deggers Argumentationen laumlsst aber zuweilen diverse Topoi aus dem Werk des
Technik-Denkers durchscheinen ohne sie weiter zu reflektieren
So konstatiert Hubig Heidegger verfehle in dessen Auseinandersetzung mit
Aristoteles Lehre von der Poiesis zum Punkt der Sicherung wie sie in Die Frage
nach der Techniklsquo behandelt wird bdquodie operative Seite des Technischenldquo bei Aris-
totels213 In einem spaumlteren Aufsatz allerdings stuumltzt er sich ohne weitere Erlaumlute-
rungen auf Heideggers Begriff der Sicherung aus Die Frage nach der Techniklsquo214
209 Diese Befriedung paradigmatischer Umstaumlnde wird hier nicht geteilt Eine weitere Bearbeitunglaumlsst der Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht zu
210 Vgl Nordmann Another parting of the ways S 45211 Der Aussage dass Heideggers Ding-Begriff kantianisch waumlre muumlsste einer gezielten Untersu-
chung unterzogen werden genau wie die Behauptung insgesamt dass Heidegger oder inwie-weit dieser noch der suumlddeutschen Kantschule des 1920 Jahrhunderts angehoumlrte
212 Vgl Luckner Andreas Ding und Bestand Heidegger und das Wesen neuzeitlicher TechnikIn Gamm G Gehring P Hubig C Kaminski A und Nordmann A Ding und SystemS 15-30 hier S 29
213 Hubig Christoph Die Kunst des Moumlglichen Technikphilosophie als Reflexion der MedialitaumltBielefeld 2006 S 103
214 Vgl Hubig Christoph Technik als Medium In Grundwald Armin (Hg) Handbuch Tech-nikethik Stuttgart 2013 S 118-123 hier S 118
50
Dabei versteht Hubig Heideggers Betrachtungen zum Umgang mit der Technik
als gelassen
Fuumlr Heidegger liegt die Andersheit im Entbergen einer Wahrheit des Seinseines Geschicks von dem die Entwicklung der Technik hin zum Gestellkuumlnde Er verbindet dies mit dem Appell jenseits des rechnenden und si-chernden Vorstellens technischer Vollzuumlge als handlungsleitender Program-me sich gelassenlsquo dieser Entwicklung zu uumlberantworten und ein Seinlsquo zuhuumlten das sich als solches eben entbirgt Das Rettendelsquo dieser Einsicht lie-ge darin dass unsere individuelle Endlichkeit insofern transzendiert wirdals sie sich dem sie uumlbersteigenden Prozess aufschlieszligt und sich selbst relati-viert215
Wovon in diesem Zitat nicht die Rede ist ist der Mitvollzug der mythopoe-
tischen Rahmenbedinungen die Heidegger einfordert und an dem die Konzep-
te Abendland und voumllkische Tradition haumlngen In dieser Arbeit wird davon aus-
gegangen dass Heideggers Technikphilosophie-erzaumlhlung sich nicht von seinen
Absichten der Bekaumlmpfung des Technischen loumlsen laumlsst Die Relativierung ist in-
sofern nicht an den Prozess gebunden und damit emergent auf alles hin ausge-
richtet was kommen mag sondern houmlchst konvergent in einer Besinnung auf
Mythen von dem Ding und dem Geviert mit all deren Valenzen aus dem vorlie-
genden Heideggerschen Textkorpus Die individuelle Endlichkeit ist genoumltigt die
Heimat und das Abendland zu kennen und im Aletheia-Prinzip umzusetzen
Die Neubewertung der bislang bekannten Heideggerschen Technikphiloso-
phie von vor den SchwarzenHeften ist ein dringendes Desiderat Voumllkisch-nationale
Gruppierungen erstarken momentan in ganz Europa und es koumlnnte sehr hilfreich
sein aumlhnliche Denkstrukturen aufzudecken so wie sie zwischen den 1930er und
40er Jahren entwickelt wurden Zusaumltzlich muss das Werk Heideggers einer kriti-
schen Revision schon aufgrund der niemals von ihm behandelten Antisemitismen
unterzogen werden Heidegger hat nie zu diesen Stellung bezogen
Daruumlber hinaus ist das Thema Mythos und Philosophie ein weiterhin not-
wendiger Bereich der philosophischen Forschung In einem Bereich auszligerhalb
der exakten Wissenschaften und ohne klare theologische Tradition ist die Philo-
215 Hubig Die Kunst des Moumlglichen S 140
51
sophie beides sowohl Aufklaumlrer und antimythisch als auch Quelle fuumlr mythisches
Denken und affektierende Motive
52
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56
Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
Der Unterzeichner versichert dass er die vorliegende Bachelorarbeit selbststaumlndig
verfasst und keine anderen als die von ihm angegebenen Hilfsmittel benutzt hat
Die Stellen der Arbeit die anderen Werken dem Wortlaut oder dem Sinne nach
entnommen sind wurden in jedem Fall unter Angabe der Quellen (einschlieszliglich
des World Wide Web und anderer elektronischer Text- und Datensammlungen)
kenntlich gemacht Dies gilt auch fuumlr beigegebene Zeichnungen bildliche Dar-
stellungen Skizzen und dergleichen
Darmstadt 25 April 2016
__________________________
(Eigenhaumlndige Unterschrift)
- Abkuumlrzungsverzeichnis
- Danksagung
- Einleitung
- Heideggers mythopoetisches Programm
-
- Zu den Begriffen Mythos Mythologie und Mythopoetik
-
- Ein Beispiel fuumlr ein Mythologem
-
- Heideggers Mythen
-
- Formen der Mythologie
-
- Heideggers mythopoetische Technik
-
- Zur Publikationsgeschichte von den Bremer Vortraumlgen 1949
- Die mythopoetische Spiegelung der Schwarzen Hefte
-
- Das Dinglsquo
- Das Ge-Stelllsquo
- Die Gefahrlsquo
- Die Kehrelsquo
-
- Konklusion
- Literaturverzeichnis
- Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
-
22
nicht das Roumlmertum der Grund der Geschichte des Abendlandes istldquo85 Sein My-
thos von Heimat verknuumlpft sich uumlber Dichtung und Ereignis zu einem fuumlr die
Technikphilosophie essentiellen Bezugs-Topos
Wir brauchen keine Technik [] Das Wesen des Vaterlandes ist das Abend-land In ihm werden die Deutschen erst deutsch und erkennen die Muttervon Allem die unversehrte Erde [] Die Wahrheit erfahren wir im Ge-daumlchtnis Das Gedaumlchtnis ist die Dichtung Die Dichtung sagen der Denkerund Saumlnger in ihrem Gespraumlch Dieses Gespraumlch erst ereignet dichterisch dieDichtung in die Sprache (die Dichtung das Ereignis und das Ereignis dasAbendland) [] Wohnt in seiner Sprache [] seyd dem Seyn im Seyn Soist Sein das Seyn86
Eine weitere mythologische Form haben seine Fuumlgungen von Jahreszahlen
womit er bereits in den Bereich des Okkulten Mystischen abzurutschen droht
Houmllderlin wurde [] 1770 geboren [] 1870 aber Lenin Waumlhrend der []Lebenszeit Houmllderlins vollzogen sich die entscheidenden technischen Entde-ckungen und Erfindungen der neuzeitlichen Technik (1774ndash1806)87
Und ferner bdquo1807 Phaumlnomenologie des Geistes 1867 Das Kapital 1927 Sein
und Zeitldquo88
Als letzter Mythos sei hier sein Aufgriff der Spenglerschen Metapher des
Raubtiers89 aufgezeigt Uumlber weite Strecken philosophiert Heidegger uumlber das his-
torische Tier Das historische Tier muumlsse vernichtet werden die bdquodeutsche Zukunft
wirdlsquo nicht erst seinlsquo sie istlsquo schon seit Houmllderlin sie stifteteldquo90 Der Homo
faber ist fuumlr Heidegger das historisch-technische Tier qua der bdquoAngewiesenheit auf
das Tierhafte als Wesensgrundldquo91 Es fehle ihm was bdquodie Griechen als Anfangen-
deldquo mit der bdquoZugewiesenheit des Menschen zum Sein gewagt habenldquo92 wodurch
85 GA 96 S 20586 GA 97 S 52f Hierbei handelt es sich um eine Nachkriegsnotiz Heidegger aumlnderte den die
Adressierung in eine direkte Ansprache richtet sich an seine imaginierte Volksgemeinschaft87 GA 96 S 17488 GA 97 S 131 Womoumlglich ist es eine Uumlbung per Jahreszahlen das Aletheia-Prinzip zu prakti-
zieren eine Kontemplationshilfe Andererseits koumlnnte er auch der Regelmaumlszligigkeit der Zah-lenfolgen eine uumlbernatuumlrliche bdquoWahrheitldquo beimessen Dies bleibt an dieser Stelle unerforscht
89 VGl Spengler Oswald Der Mensch und die Technik Muumlnchen 1931 S 1090 GA 95 S 19791 GA 95 S 32092 GA 95 S 321
23
er den bdquoGoumlttern unertraumlglich gewordenldquo93 waumlre Das bdquoRaubtierldquo dem gegenuumlber
bdquoist die Urform des Heldenlsquoldquo94 Dann behauptet Heidegger dass das Raubtier das
historisch-technische Tier durch Anwendung seiner eigenen Waffen schlagen koumlnn-
te Es ist dabei die bdquoUumlberwindung der Metaphysikldquo mitgedacht die erfolge sobald
sich das metaphysische Fragen durch den Wille zum Willen verfestigt95 Auch
Spengler dachte an dieses Derivat des Nietzsche Topos vomWillen zur Macht das
er seiner antropomorphen Chimaumlre vom Raubtiermenschen eingibt Wieder ist
von der Gewalt die Rede die ein Tabula rasa schaffen sollte zur Wiederauferste-
hung des griechisch-abendlaumlndischen Anfangs in Deutschland bdquoDas Raubtier aber
mit denMitteln der houmlchsten Technik ausgestattet ndash vollendet die Verwirklichung
der brutalitas des Seinsldquo96
Es scheint so als haumltte Heidegger auf jeden Begriff einen Gegenbegriff (selbst
zum historisch-technischen Tier das Raubtier)97 Aber es geht hier nicht um die
Analyse ausgewogener Formprinzipien oder die Kritisierung seiner linguistischen
philologischen Faumlhigkeiten Die Zitierung der Heideggerschen Mythologie soll
seine Verbindung von voumllkisch-nationaler und antisemitischer Haltung mit den
Bedingungen und Anspruumlchen seines Philosophierens aufzeigen Da die Schwar-
zen Hefte wie alle sonstigen Werke seines philosophischen Schaffens in der GA
erschienen sind muumlssen sie insofern als Teil derer gelten Das bedeutet dass sie
ausreichend Relevanz fuumlr die Arbeiten uumlber die Technik haben98
93 GA 95 S 23694 GA 95 S 39795 Vgl GA 7 Uumlberwindung der Metaphysik S 7896 GA 95 S 39797 Vgl Rudolph Heideggers Schwarze Hefte im Echo S 151 bdquoKeiner hat Nietzsche so konse-
quent und wahnwitzig zumNazi avant la lettre verformt wie Heidegger und keiner hat einenzuvor gewaltsam gefuumlgig gemachten Nietzsche so konsequent instrumentalisiert um damitdie vulgaumlr- nationalistische Dekadenz im Sandwich zu geiszligeln wie Heidegger Die Philolo-gie ndash auch die klassische ndash (Colli Cancik Montinari) hat Nietzsche inzwischen laumlngst mitnachhaltigem Erfolg rehabilitiert Wer jetzt noch einen roten Faden von Nietzsche zu Hitlerzieht hat nur noch Heidegger auf seiner Seiteldquo
98 Zum Abschluss dieses Kapitels sei hinzugesagt dass der Veranschlagung der Beispiele vonHeideggers Mythologie ein Exzerpt von 13 Seiten aus 1700 Seiten Text der vier Baumlnde derSchwarzen Hefte zugrunde liegt Beim Studium dieser fielen die staumlndigen Repetitionen derimmer gleichen Figuren und Metaphern auf Daraus wurde geschlossen dass es sich um eineMythologie handeln kann was ein weiteres Forschen bestaumltigte Die hier zitierten Stellensind Topoi die sich in Huumllle und Fuumllle in jedem der vier Baumlnde finden lassen was ihrenmythischen Charakter unterstreicht Die Auswahl versucht ein besonders charakteristischesBild wiederzugeben
24
3 Heideggers mythopoetische
Technik
War Heidegger von seinem neuen Anfang nur zu traumlumen vergoumlnnt so gelang
ihm selbst aber die Wiederauferstehung aus der Asche des ZweitenWeltkriegs mit
der Vortragsreihe in Bremen (1949) uumlber die Technik Der Phoumlnix erweist sich
mittlerweile als Ikarus Anstatt sich selbst zu revidieren fordert Heidegger eine
Kehre ein die auf sein Programm der geschichtlichen Besinnung zum Ursprung ab-
zielt Rezipienten seiner Technikphilosophie taten zumeist seine voumllkischen und
nationalsozialistischen Verstrickungen mit der Niederlegung des Rektorats ab99
Sie glaubten an einen inneren Wandel Heideggers eine Laumluterung und sogar an
seinen geistigen Widerstand uumlber die Naziherrschaft hinweg100 Heute ist erwie-
sen wie Heidegger es aus seinem posthumen Gestaumlndnis in die Welt lecken laumlsst
dass er auf seine private Weise eine Form Nationalsozialismus hegte der die NS-
DAP und Hitler zwar als Vulgaumlrnazis kulturell degradierte aber sich selbst als
Denker-Nazi gerierte
Wie damit umzugehen ist steht aktuell in der Verhandlung Wie Rudolph es
behauptet stuumlnden die Heideggerianer bdquonun mit wertlosen Aktienldquo101 da Der
Kommunikationswissenschaftler Christian Fuchs sieht den Antisemitismus den
die Schwarzen Hefte zutage treten lassen als Notwendigkeit einer rigorosen Ver-
bannung Heideggers aus der technikphilosophischen Theorie102
99 Vgl Luckner Andreas Heidegger und das Denken der Technik Bielefeld 2008 S 64-69100 Vgl Babich Babette Nietzsche Heideggers Widerstand In Alfred Denker u Holger Zabo-
rowski (Hg) Heidegger-Jahrbuch 5 Heidegger und der Nationalsozialismus II Interpreta-tionen S 397-416
101 Rudolph Heideggers Schwarze Hefte im Echo S 146102 Vgl Fuchs Christian Martin-Heideggerrsquos anti-Semitism Philosophy of technology and the
media in the light of the ldquoBlack Notebooksldquo Implications for the reception of Heidegger inmedia and communication studies In tripleC Communication Capitalism amp Critique 13(1) (2015) S 55-78 hier S 74 Anstatt dessen pocht Fuchs auf die alternative Verwendungder Kritischen Theorie uumlber Fragestellungen zur Technik
25
It seems to me that Heideggerrsquos fetishism is often lrsquoart pour lrsquoart Heideg-ger pour Heidegger a tactic that aims at creating an aura of complexity byevoking Heidegger although the same content could be expressed withouthim103
Fuumlr Trawny waumlre dies ein bdquoperformativer Widerspruch [] stets daran zu erin-
nern Heidegger vergessen zu sollenldquo104 Quo vadis Heidegger
Die objektive Antwort Rudolphs der an den Commonsense und die Beweis-
last der Anklage glaubt wie auch der subjektive Appell Fuchs der es zur mora-
lischen Entscheidung des Einzelnen macht Heidegger zu vernachlaumlssigen setzen
aktuell die Jahrzehnte alte Tradition der Heidegger-Kontroverse fort Ein im Sep-
tember 2016 erscheinender Sammelband wird zusaumltzlich die Debatte mit neuen
Bewertungen anreichern105
In diesem Kapitel soll es nicht um die direkte Einreihung in eine der bestehen-
den Polemiken gehen sondern um den Versuch der Betrachtung der spaumlten Tech-
nikphilosophie Heideggers als mythopoetische Dichtung in seinem Sinne des
Philosophierens Als exemplarisches Werk ruumlckt damit das Vortrags-Geviert der
Bremer Vortraumlge ins Zentrum der Anschauung106 Hier wird davon ausgegangen
103 Ebd S 73104 Trawny Heidegger und der Mythos der juumldischen Weltverschwoumlrung S 141105 Heinz Marion und Kellerer Sidonie (Hg) Martin Heideggers raquoSchwarze Heftelaquo Eine
philosophisch-politische Debatte Berlin 2016 (im Druck) Aus dem Klappentext diesesTitelsbdquoOffene antisemitische Aumluszligerungen in diesen Denktagebuumlchern haben in der nichtakade-
mischen Oumlffentlichkeit fuumlr Empoumlrung gesorgt Die entscheidende Frage ist jedoch welcheVeraumlnderungen der Perspektive auf Heideggers Denken insgesamt sich dadurch ergebenund ob damit zugleich eine Neubewertung des Gesamtwerks eines der einflussreichstenPhilosophen des 20 Jahrhunderts noumltig istldquoEine der Herausgeberinnen des Bandes Sidonie Kellerer ist zudem an einem anlaufenden
fuumlnf jaumlhrigen Forschungsprojekt an der Universitaumlt Stuttgart im Rahmen des StuttgartResearch Centre for Text Studies beteiligt Heidegger und die Postmoderne Geschichteeiner Irrefuumlhrungiquest Sie und der Stuttgarter Literaturwissenschaftler Claus Zittel werden Hei-deggers ideologische Verstrickungen in den Nationalsozialismus untersuchen die textlichrekonstruierbar aber nachtraumlglich geklittet worden waumlren bdquoSo konnte die Wissenschaft-lerin Dr Sidonie Kellerer anhand des Vortrages Die Zeit des Weltbildeslsquo erstmals 1950veroumlffentlicht [sic] dass zahlreiche Passagen nachtraumlglich so modifiziert wurden dass dieurspruumlngliche Apologie des Nationalsozialismus nunmehr als Kritik am Regime gedeutetwerden konnte Die 2014 erschienenen Schwarzen Heftersquo mit persoumlnlichen AufzeichnungenHeideggers bestaumltigen zudem wie tief verankert in seiner Philosophie Rassismus undNationalsozialismus waren und bliebenldquo(httpwwwuni-stuttgartdehkompresseservicepressemitteilungen201567_kellererhtmlzuletzt abgerufen am 1442016)
106 Von einer umfassenderen Analyse der Schriften Heideggers zur Technik muss aus Platzgruumln-den abgesehen werden Die Voumlrtraumlge vom Ge-stell der Technik der Kehre und dem Dingsind vor allem wegen ihres Publikationszeitraums interessant da sie direkt an die Dokumen-
26
dass Heidegger den Versuch der abgrenzungspolitischen Einflussnahmemacht ge-
maumlszlig der oben dargelegten Ressentiments die sich in einer Mythologisierung des
Abendlandes niederschlagen Um seinem Ideal des dichtenden Denkens als Philo-
sophieren nachzukommen will Heidegger diese Einschreibung des Abendlandes
mythopoetisch vollfuumlhren
Grundsaumltzlich ist Verbindung und Trennung Heideggers boumlser Schwarzer Hef-
te mit und von seiner guten Technikphilosophie das Schlachtfeld aktueller De-
batten Wie bereits darauf hingewiesen werden hier Schwarze Hefte und Veroumlf-
fentlichungen wie eben in Form der Bremer Vortraumlge als ein kontinuierlicher
Arbeitsprozess gesehen Es gibt insofern nur einen Heidegger und keine gespal-
tene Persoumlnlichkeit Die Siegener Philosophin Sodonie Kellerer stellt dies anhand
Heideggers Selbstsicht luzide dar
Seine immer wiederkehrende Beschwoumlrung des Werkeslsquo und seine an diver-sen Stellen der bislang vorliegenden Briefkorrespondenz artikulierten Be-muumlhungen dieses Werklsquo fuumlr die Nachwelt zu sichern [Kellerer bezieht sichhier ua auf Heideggers Briefwechsel mit seiner Frau der 2007 veroumlffentlichtwurde DS] verdeutlichen wie sehr er seine Texte als ein Ganzes verstandin dem keines der Teile entbehrliche Wiederholung geschweige denn irrele-vante Eroumlrterung ist107
Dabei allerdings wird die Frage offen bleiben mit welchem Maszlig er sich selbst ge-
faumlhrdet sah seine Ansichten oumlffentlich zu vertreten und welche Konsequenzen er
dabei fuumlrchtete Denn er musste die Vortraumlge kodieren ndash was er im Sinne der My-
thopoetik auch macht ndash und mit Einigem hinterm Berg halten108 Dass es dabei
verschiedene Offenbarungsebenen gibt wird hier erst einmal hingenommen Es
interessieren staumlrker nachweisbare Bezuumlge des Entwurfsdenkens Heideggers zur
Oumlffentlichkeitsarbeit von ihm109
te der Schwarzen Hefte anschlieszligen (1948 der letzte Band der Schwarzen Hefte umfasst denZeitraum 1942-1948)
107 Kellerer Sidonie Kampf der Besinnung In Deutsche Zeitschrift fuumlr Philosophie Band 63Heft 5 Seiten 941ndash957 hier S 942
108 Weshalb die Veroumlffentlichung der Schwarzen Hefte auch weitestmoumlglich nach hinten verlegtwurde
109 Wuumlrde man dem entgegenhalten dass Heideggers vermeintliches Genie aus Formalisierun-gen seiner Gedanken ableitbar eine wichtige Quelle an sich bliebe scheitert dieses damitdass nun die Formalisierungen nicht personenneutral sozial-epistemologisch bestehen koumln-nen Als Vergleich wuumlrde man aus Hitlers und Goumlbbels Reden Formalisierungen isolierenlieszlige sich bestimmt die eine oder andere plausible Idee entwenden (wenn sie voumlllig dekon-
27
Hierzu wird der Text der gesamten vier Vortraumlge unter dem Titel Einblick
in das was ist Bremer Vortraumlge 1949lsquo110 aus dem 1994 veroumlffentlichten 79 Band
der GA zugrunde gelegt Das hat den Grund dass davon ausgegangen wird dass
der Text somit am naumlchsten an den 1949 tatsaumlchlich vorgetragenen Manuskripten
liegt Insofern ist eine realistische Annaumlherung an eine mythopoetische Uumlbertra-
gung der Schwarzen Hefte in die Bremer Vortraumlge 1949 das Ziel Demgegenuumlber
gibt es ob der virulenten Publikationspraxis von Heideggers Schriften111 noch
andere Auskopplungen der vier Vortraumlgsteile mit den Titeln Das Dinglsquo Das Ge-
Stelllsquo Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo
31 Zur Publikationsgeschichte von den
Bremer Vortraumlgen 1949
Zuerst erschien 1954 im Neske-Verlag (Pfullingen) ein Sammelband der lediglich
den ersten Vortrag Das Dinglsquo enthaumllt allerdings in leicht erweiterter Fassung
so wie er ein halbes Jahr nach dem Bremer Auftritt in Muumlnchen (1950) an der
Akademie der Schoumlnen Kuumlnste gehalten wurde112 Dem Band hinzugefuumlgt ist aber
zudem ein Vortrag der vornehmlich die Kernaussagen von Das Ge-Stelllsquo und
Die Gefahrlsquo verbindet allerdings in modifizierter Form Dieser wurde unter dem
textualisiert wuumlrde) Ist aber die wahre Verbindung zu Hitler und Goumlbbels hergestellt hatman selbstverstaumldlich die Verantwortung zu tragen an dem ganzen Tross von unmoumlglichenVerfehlungen dieser Menschen die sie fuumlr uns zu Personae non gratae stempeln muumlssen
110 GA 79111 Hierauf macht auch der Darmstaumldter Philosoph Gernot Boumlhme aufmerksam als Akt ei-
ner bdquoposthumen Selbstinszenierungldquo in Boumlhme Gernot Selbstinszenierung uumlber Ruhmin der Philosophie In Information Philosophie (Online Ausgabe 12015) URL=lthttpwwwinformation-philosophiedea=1ampt=8232ampn=2ampy=5ampc=29gt zuletzt ab-gerufen am 2442016)
112 Heidegger Martin Das Ding In Ders Vortraumlge und Aufsaumltze Pfullingen 1954 S 163ff
28
Titel Die Frage nach der Techniklsquo113 am 18 November 1953 an der TUMuumlnchen
gehalten
Eine weitere Auskopplung diesmal des letzten Vortragsteils Die Kehrelsquo fin-
det sich in einem broschuumlrenformatigen Band wiederum im Zusammenspiel mit
dem Vortrag Die Frage nach der Techniklsquo in Die Technik und die Kehrelsquo114 von
1962 wieder Somit wurden die Vortraumlge Das Ge-Stelllsquo und Die Gefahrlsquo lange
Zeit nicht veroumlffentlicht sondern als vermischter und modifizierter Text eben
Die Frage nach der Techniklsquo jeweils zusammen mit Das Dinglsquo (1954) und Die
Kehrelsquo (1962) angeboten115 In der Vorbemerkung zu Die Technik und die Keh-
relsquo wird diese kleine Chronologie leicht verfaumllscht auch aufgezeigt Darin heiszligt
es ferner dass Die Frage nach der Techniklsquo eine erweiterte Fassung von Das Ge-
Stelllsquo waumlre Dem ist wie schon gesagt nicht so Sondern es ist eine modifizierte
Vermischung von Das Ge-Stelllsquo und Die Gefahrlsquo was unschwer zB am Begriff
vom bdquoHer-vor-bringenldquo116 zu erkennen ist der in Die Gefahrlsquo eingefuumlhrt wird
und in Die Frage nach der Techniklsquo die gleiche Bedeutungskonstituente bildet
Mit der Veroumlffentlichung des 79 Bandes der GA 1994 wurden alle vier Bremer
Vortraumlge von 1949 publiziert In Band 11 der GA erschien 2006 auszligerdem Die
Kehrelsquo in ihrer urspruumlnglichen Fassung Die Frage nach der Techniklsquo enthaumllt
weniger mythopoetische Teile als Das Dinglsquo und operiert demgegenuumlber staumlrker
anhand klassisch philosophischer Allgemeinplaumltze Derer sind vor allem zu nen-
113 Heidegger Martin Die Frage nach der Technik In Ders Vortraumlge und Aufsaumltze Pfullingen1954 S 9ff (Der Aufsatz erschien ebenfalls 1954 im Sammelband der Vortragsreihe DieKuumlnste im technischen Zeitalter Heidegger Martin Die Frage nach der Technik In DieKuumlnste im technischen Zeitalter Dritte Folge des Jahrbuchs Gestalt und Gedanke Hg v dBayrischen Akademie der Schoumlnen Kuumlnste Muumlnchen 1954 S 70ff)
114 Heidegger Martin Die Technik und die Kehre Pfullingen 1962115 Beide Baumlnde Votraumlge und Aufsaumltzersquo sowie Die Technik und die Kehrersquo haben hohe Aufla-
genzahlen (Uumlbersetzungen wurden hier nicht recherchiert wobei es aber eine internationa-le Heidegger-Rezeption gibt) 1993 wurde der Pfullinger Neske-Verlag von dem StuttgarterHaus Klett-Cotta uumlbernommen was die Buumlcher aber unveraumlndert belaumlsst Vortraumlge und Auf-saumltzelsquo zaumlhlt seit 2009 die 11 Auflage Die Technik und die Kehrelsquo seit 2014 die 13 BeideBaumlnde sind vergriffen Es mutet unverstaumlndig an weshalb eine fehlerhafte Jahresangabe ausder ersten Veroumlffentlichung von Die Technik und die Kehrelsquo bis 2014 kolportiert wurdeDort steht der Vortrag Die Frage nach der Techniklsquo waumlre am 18 November 1955 gehaltenworden Der Vortragstermin war aber am 18 November 1953
116 Vgl GA 79 S 64 Und Heidegger Die Technik und die Kehre S 11
29
nen die Auflistung der bdquovier Ursachenldquo117 nach Aristoteles und die Kritik an der
Technik als bdquoein Mittel zu Zweckenldquo118 (Kausalitaumlt)119
Der Vortrag Das Dinglsquo galt Heidegger bei der Darbietung seiner Technikphi-
losophie nach dem Zweiten Weltkrieg allerdings als unentbehrlich ndash und damit
seine groszligflaumlchige Aufblaumltterung der Mythopoetik wie im folgenden Kapitel hier
gezeigt wird Denn im Vortrag Die Frage nach der Techniklsquo benutzt Heideg-
ger noch immer seinen mythopoetischen Topos vom Versammeln des Gebirges
der mit dem Versammeln eine Konstituente des Gevierts ist (bdquoErde und Himmel
die Goumlttlichen und die Sterblichenldquo120) (su)121 Fuumlr die Kaumlufer und Leser von
der spaumlteren Veroumlffentlichung Die Technik und die Kehrelsquo wird zudem in Die
Kehrelsquo extra auf den Vortrag Das Dinglsquo in der 1954er Ausgabe in Vortraumlge und
Aufsaumltzelsquo verwiesen122 Das zeigt wie wichtig und unerlaumlsslich Heidegger seine
mythopoetische Denkweise der Technik ist Auch wenn er in Die Frage nach der
Techniklsquo einen allgemeineren und offeneren Ansatz entwickelt hat der dadurch
auch leichter zu erschlieszligen ist
32 Die mythopoetische Spiegelung der Schwarzen
Hefte in den Bremer Vortraumlgen von 1949
321 Das Dinglsquo
In dem Vortrag Das Dinglsquo der 1949 vor dem privaten Club zu Bremen dort im
Neuen Rathaus das Vortragsquartett einleitete fuumlgt Heidegger mythopoetisch
zusammen was folgenden Topoi seiner Schwarzen Hefte aus Kap 221 entspricht
117 Heidegger Die Technik und die Kehre S 6118 Ebd S 6119 Diese Topoi versucht Heidegger in dem Text zu zersetzen und ihnen ein aletheisches Prin-
zip des Entbergens der Technik entgegenzusetzen Dies erfolgt wiederum auch anhand derVerwendung von mythopoetischen Teilen Darauf kann hier aber nicht weiter eingegangenwerdenAls weitere Gemeinsplaumltze (die er teils unterstuumltzend teils zur Zersetzung einfuumlgt) handelt
der Text auch mit Zitaten von Platon Heisenberg J P Hebel und Goethe120 Ebd S 12121 Vgl GA 79 S 11 Und Heidegger Die Technik und die Kehre S 19122 Vgl Heidegger Die Technik und die Kehre S 42f
30
1 die antirationale Wissenschaftsfeindlichkeit 2 der Mythos des Goumlttlichen 3
das Griechentum uumlber dem Roumlmertum 4 die Zahlenmystik (anhand des Spiegel-
Spiels des Gevierts ndash su) 5 das geschichtsbesinnliche Prinzip der Aletheia
Heidegger stellt zuerst die Frage nach dem Ding und will sie daraufhin ver-
anschaulichen mittels der Metapher des Kruges dh mit dem Krug als ein exem-
plarisches Ding Er fuumlhrt dann vor (was der Geste eines Zauberkuumlnstlers aumlhnelt)
wie der leere Krug gefuumlllt wird ndash Luft weicht der Fluumlssigkeit Dieses Sachverhaumllt-
nis aber ist fuumlr ihn Halbpoesie und eine Angabe aus der Physik sie verfehle das
vermeintliche Wesen des Kruges
Die Wissenschaft stellt durch sie [die Angabe der Physik DS] etwas Wirk-liches vor wonach sie sich objektiv richtet Aber ndash ist dieses Wirkliche derKrug Nein DieWissenschaft trifft immer nur auf das was ihre Art des Vor-stellens im vorhinein als den fuumlr sie moumlglichen Gegenstand zugelassen hat[] Die Wissenschaft macht das Krug-Ding zu etwas Nichtigem insofernsie Dinge nicht als das Maszliggebende zulaumlszligt123
Als ein wirkmaumlchtiges Beispiel das ihm sicherlich viel Beachtung uumlber die
Jahrzehnte seit ihrer Zuumlndung in Japan hinweg einbrachte fuumlhrt Heidegger die
Atombombe an Diese sei zu verstehen als verdinglichte Wissenschaft die das
Ding vernichten wuumlrde
Deren Explosion ist nur die groumlbste aller groben Bestaumltigungen der langherschon geschehenen Vernichtung des Dinges dessen daszlig das Ding als Dingnichtig bleibt124
Er buumlndelt damit Wissenschaft und Verkennung des Wesens als maszliggebend mit
dem Ding als sein machenschaftliches Prinzip der zerrechnenden Zerstoumlrung Drei
Jahre nach Kriegsende war der buumlrgerlich-elitaumlre Kreis in Bremen sicherlich be-
wegt von dieser Wortgewalt Diese jedoch suchte ja ihr Heim Harmonie Ruhe
in dem Haus als Wesen der Sprache
Und so faumlhrt Heidegger fort und ersetzt das physikalische Prinzip des Inhalts-
wechsels von Luft zu Wein in ein bdquoGeschenk des Gussesldquo als Spende und Opfer
den Goumlttern (2)125
123 GA 79 S 8124 Ebd S 9125 Vgl Ebd S 11f
31
Der Guszlig ist der den unsterblichen Goumlttern gespendete Trank [] Der ge-weihte Trank ist das was das Wort Guszliglsquo eigentlich nennt Spende und Op-fer Guszliglsquo gieszligenlsquo lautet griechisch χέειν indogermanisch ghu Das bedeu-tet opfern
Hier spielt bereits der Ursprungsmythos der Griechenmit ein (3) es ist aber auch
ein Bezug auf das Geviert Dieses waumlre ein System ein zusammen Gestelltes aus
bdquoErde und Himmel die Goumlttlichen und die Sterblichenldquo126 Im Guszlig des Trunkes
weilten gemeinsam diese Vier als emblematische Verbindung
Das im Geschenk Versammelte sammelt sich selbst darin das Geviert ereig-net zu verweilen Dieses vielfaumlltig einfache Versammeln ist das Wesen desKruges Unsere Sprache nennt was Versammlung ist in einem alten WortDies lautet thing127
Das Geviert zehrt von der Zahlenmystik zum einen als die Versammlung der
vier Begriffe an sich zum anderen da Heidegger ihnen eine Spiegel-Funktion
zuschreibt bdquoJedes der Vier spiegelt in seiner Weise das Wesen der uumlbrigen wie-
derldquo128 und ferner weil er damit auf sich selbst dh auf sein Vortrags-Geviert
verweist (4) Wie in Kap 21 schon gesagt lebt der Mythos von seiner Verbind-
lichkeit Diese legt Heidegger allen nah die sie verinnerlichen wollen bdquoSagen wir
die Sterblichen dann denken wir falls wir denken die anderen Drei mit aus der
Einfalt der Vierldquo129
Sollte der Vollzug der Praxis des sukzessiven Mitdenkens aller vier Geviert-
Entitaumlten gelingen koumlnnte das Ereignis der Aletheia begriffen werden (5) bdquoDas
Spiegel-Spiel von Welt ist der Reigen des Ereignensldquo130 Diese wird aber auch be-
griffen in Abgrenzung von dem Roumlmertum (3) denn in der bdquorealitas der resldquo
haumltten die Roumlmer bdquoihr Erfahrenes niemals eigens in seinem Wesen gedachtldquo131
Das waumlre den Griechen vorzubehalten und vom verstaumlndig denkenden Deutschen
wiederzubeleben
126 Ebd S 12127 Ebd S 13128 Ebd S 18129 Ebd130 Ebd S 19131 Ebd S 15
32
Der Krug ist ein Ding weder im Sinne der roumlmisch gemeinten res noch imSinne des mittelalterlich vorgestellten ens noch gar im Sinne des neuzeitlichvorgestellten Gegenstandes [] Der Krug ist Ding insofern er dingt132
Die Bindung an das deutsche Wort bdquoDingldquo das er spielerisch auch ins Englische
Romanische und Franzoumlsische uumlbersetzt ist unerlaumlsslich fuumlr seine ethymologi-
sche Argumentation In der ist der bdquoGuszligldquo ruumlckgefuumlhrt auf indogermanisch bdquoghuldquo
und das bdquoDingldquo auf das mittelhochdeutsche bdquothingldquo So konnten antik die Roumlmer
von den Griechen abgrenzt werden und modern die anderen drei Sprachen vom
Deutschen Das englische sich sehr nah am bdquothingldquo befindliche bdquothingldquo wird mit
dem Roumlmischen ausgespielt
Im Englischen hat thing noch die erfuumlllte Nennkraft des roumlmischen Wor-tes res bewahrt [] dh ein aus sich kommendes den Menschen Angehen-des133
Fuumlr Heidegger geht es beim bdquothingldquo aber um die mittelhochdeutsche Uumlbersetzung
der Versammlung Darauf beruht sein gesamter Systemansatz mit Geviert und
Ge-stell
Schulz-Nieswandt fuumlhrt diese Zusammenstellung zum Bejubeln von Heideg-
gers Mythopoetik
So fundamental sieht Heidegger die Welt Die Quelle des Wassers wird zurHochzeit von Himmel und Erde das Gieszligen des Wassers aus dem Krugzum Geschenk Auch Sprache ist daher kein Instrument sondern Ort desWohnens des Menschen Sprache wird zum Haus des Seinslsquo134
Hier bestaumltigt die Untersuchung des Ding-Vortrags die These von einer mytho-
poetischen Einschreibung der nationalistischen voumllkischen Abgrenzungs-Mythologie
aus den Schwarzen Heften
322 Das Ge-Stelllsquo
Der zweite Vortrag des Reden-Gevierts setzt ein mit der Metapher des fehlen-
den Abstands Wo kein Abstand sei da waumlre auch keine Naumlhe so Heidegger Er
132 Ebd S 16133 Ebd S 14134 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei Walter
F Otto S 59
33
verbindet die Abstandslosigkeit mit Urbanitaumlt und Verkehr alles fluktuiere Es
waumlre der Bestand der sich bestelle in dem das Abstandlose herrsche Das sind
neue Metaphern fuumlr die Machenschaft In seiner Erzaumlhlung vom Ge-Stell gibt es
bedeutend weniger mythopoetische Passagen als in dem vorangegangenen Vor-
trag Allerdings uumlbertraumlgt er den mythopoetischen Gehalt der Rede vom Ding
bereits im ersten Absatz von Das Ge-Stelllsquo mit dem Credo bdquoNaumlhe west insofern
das Ding dingtldquo135 Mit dieser Verbindung wird klar unter welchem Zeichen Hei-
degger die Rede vom Ge-Stell verstanden wissen will ndash als verlorenes Verhaumlltnis
des voumllkisch-traditionell verwurzelten Menschen mit den vermeintlichen Wesen
all seiner Gebrauchsobjekte in der mythopoetischen Formel des sich spiegelnden
Gevierts
Nahezu nuumlchtern erzaumlhlt Heidegger dann von dem Gefaumlngnis des Menschen
im Wesen der zirkulierenden sich immer neu bestellenden Bestandstechnik des
Ge-Stells Dabei scheinen folgende Mythen aus den Schwarzen Heften hindurch ndash
1 bdquoHistorie die Technik der Geschichtelsquo Technik die Historie der Naturlsquoldquo136
2 das historische Tier 3 der Appell an den Auftrag des Deutschen 4 der geschicht-
liche Mensch muss die Historie und damit die Technik uumlberwinden und 5 die
alles zernichtende Machenschaft des juumldischen Wesens
Den Topos der seinsvergessenen Groszligstadt jedenfalls kontrastiert er mit der
Bauerndorfidylle Da aber bdquodas Abstandlose herrschtldquo137 waumlre das Vorruumlcken der
Maschinentechnik bereits universell So in Form des Traktors Schon in Band
96 der Schwarzen Hefte beklagt er dieses bdquozum elektrischen Pflug [] gehoumlrt
das amerikanisch aufgemachte Magazinlsquoldquo Insofern erfolge die bdquoAngleichung der
Sitten der Bergbewohner an diejenigen des groszligstaumldtischen Sport- und Barbe-
triebsldquo138
Sein erster Land-Stadtvergleich betrifft den Bauern dessen Totenruhe tradi-
tionell in einem sg bdquoTotenbaumldquo (Sarg) stattgefunden haumltte ndash bdquoIn ihm gedeiht
der Tod des Totenldquo139 Dem gegenuumlber klingt in der bdquomotorisierten Bestattungs-
135 GA 79 S 24136 GA 95 S 351137 GA 79 S 24138 GA 96 S 54139 GA 79 S 26
34
industrie der Groszligstadtldquo140 bereits Heideggers pietaumltsloser Gaskammernvergleich
an
Ackerbau ist jetzt motorisierte Ernaumlhrungsindustrie im Wesen das Selbewie die Fabrikation von Leichen in Gaskammern und Vernichtungslagerndas Selbe wie die Blockade und Aushungerung von Laumlndern das Selbe wiedie Fabrikation von Wasserstoffbomben141
Hier wird davon ausgegangen dass es eine Uumlbertragung der Notizen uumlber
das deutsche Land als bdquoeinziges KZldquo ist die Unterdruumlckung des deutschen Vol-
kes durch die bdquoWeltdemokratieldquo die schlimmer sei als die Graumlueltaten der bdquoGas-
kammernlsquoldquo142 In die mythopoetische Formel von dem dingenden Ding aus dem
ersten Vortrag sind alle Valenzen eingeschrieben die es zur Aufgabe des abendlaumln-
dischen Deutschen (also als Nachfolger der alten Griechen) machen das Wesen
des Dings und somit der Technik zu huumlten Die Verantwortung fuumlr Genozid
Massenvernichtungswaffen und den Mangel im Nachkriegsdeutschland schreibt
Heidegger gleichfoumlrmig dem Prinzip der Abstandslosigkeit zu
Auch die Rede von der Habgier des Berechnenden ist ein bereits bekannter
Vorbehalt Heideggers anhand der Rede vom raffgierigen Juden Denn er sagt von
der bdquoHerrschaft des Abstandlosenldquo dass sie bdquodie Hab-gier des vorstellenden Be-
rechnensldquo waumlre143 Das entspricht seinem Mythos von der alles zernichtenden
Machenschaft des juumldischen Wesens144
Dann folgt eine lange Elegie uumlber das Bestellen des Bestands des Ge-Stells
bdquo[d]ie Kette des Bestellens laumluft auf nichts hinaus sie geht vielmehr nur in ihren
Kreisgang hineinldquo145 uumlber 19 Seiten des 21 seitigen Vortragsexts hinweg entwirft
Heidegger diverse Bilder wie das Ge-Stell die Natur das Hergestellte den Men-
schen und das Verstandesmaumlszligige vereinnahme und das Wesen desDings gleichsam
zur Veruntreuung bringen wuumlrde Wiederum poetisch orientiert kontrastiert also
140 Ebd141 Ebd S 27142 GA 97 S 99f143 Vgl GA 79 S 25144 Vgl Machenschaft hier S 29 und Geraff hier S 33145 GA 79 S 29
35
Heidegger Houmllderlins Hymne Der Rheinlsquo mit dem Rhein dessen Stroumlmung fuumlr
ein Stromkraftwerk genutzt wird
Achten wir um das Ungeheure das hier waltet zu ermessen nur auf einenAugenblick auf den Gegensatz der sich in den beiden Titeln ausspricht DerRhein verbaut in das Kraftwerk ndash der Rheinlsquo gesagt in der gleichnamigenHymne Houmllderlins146
Die Differenz also waumlre das Ungeheure147 Dabei waumlre der Rhein verbaut in das
Kraftwerk Aumlhnlich wie Kohle Erze und Rohoumll waumlren sie Bestand der bdquobesteht
im Bestellenldquo ndash bdquoDas Bestellen waumlre demnach lediglich eine Machenschaft des
Menschen vollzogen in der Weise der Ausbeutungldquo148
Das Bild des Wasserkraftwerks wird erweitert um den Begriff des Menschen
Elektrizitaumlt mit Wasserkraft erzeugen bdquokoumlnnen die Menschen [] nur insofern
sie selber schon in dieses Bestellen bestellt sindldquo149 Mit diesem Bild versucht Hei-
degger praktisch zu veranschaulichen dass Entwurf Umsetzung und Einsatz ei-
ner technischen Anlage den Menschen in ein entruumlcktes Verhaumlltnis zum Wesen
des dingenden Dings setze ndash bdquoDer Mensch ist darum der Angestellte des Bestel-
146 Ebd147 Das ist zusaumltzlich zu dem gemeinten Gegensatz ein Vergleich mit dem Heidegger dem Wort
bdquoRheinldquo in die Hymne Der Rheinlsquo gesprochen eine Energie erzeugende Wirkung zu-schreibt eben so wie das Kraftwerk Strom erzeugen wuumlrde Das wird klar dadurch dassHeidegger metaphorisch vom Stellen des Wortes bdquoRheinldquo in die Hymne spricht Es handeltsich um einen Appell zur denkerischen Besinnung Dass Heidegger dafuumlr eine technischeAnlage zur Veranschaulichung inspirierend wirken laumlsst spielt bereits in die Richtung derBegriffe bdquoHer-vor-bringenldquo bdquoEntbergenldquo und spielt auf das Alteheia-Prinzip an Darauf wirdweiter unten anhand Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo eingegangen werden Es handelt sich umdas Angebot eines mythopoetischen Umgangs mit Technik insbesondere wenn sie sich inheimische Gefilde einfuumlgtHeute koumlnnte man mit Windraumldern ebenso verfahren Somit koumlnnte aber auch Heidegger
als ein gewisser Quijana aus Mancha verstanden werden eben der Protagonist aus Miguel deCervantes Roman Don Quichote von der Manchalsquo der mit seinem von ihm flux auch um-benannten Klepper (weil er zuvor sich selbst in Don Quichote umtaufte) Rocinante Riesenbezwingen will um mit dieser Heldentat unsterblichen ritterlichen Ruhm zu erstreitenAuch Don Quichote fand seine Riesen in Windmuumlhlen und auch Don Quichote war uumlber
eine uumlbertriebene Auseinandersetzung mit einer verschuumltteten Kultur dieser verfallen undsuchte diese in seiner Aventuumlre zu reaktualisieren Martin Heideggers mythopoetisches Pro-gramm ist tatsaumlchlich stark mit Don Quichotes Motiv vergleichbarFerner waumlre eine Auseinandersetzung mit Heideggers Werk unter Beruumlcksichtigung sei-
ner Gewichtung der Vorsokratiker und Houmllderlin als mythopoetischen Autor eine moumlglicheForschung zum Thema Anachronismen in Konzepten von Moral und gesellschaftlicher An-gemessenheit (Vgl Cervantes Miguel de Don Quichote von der Mancha Herausgeben unduumlbersetzt v Susanne Lange Muumlnchen 2008 S 33f)
148 GA 79 S 29149 GA 79 S 30
36
lensldquo150 Schon vorher wies Heidegger darauf hin bdquo[d]ie Herrschaft des Gegen-
staumlndigen sichert nicht den Abstandldquo151 Jetzt heiszligt es
Das Bestellen befaumlllt nicht nur die Stoffe und Kraumlfte der Natur mit Gestel-lung Das Bestellen befaumlllt zugleich das Geschick des Menschen Das Wesendes Menschen wird daraufhin gestellt das Bestellen in menschlicher Weisemitzuvollziehen152
Der Begriff des Ge-Stells wird daraufhin so konstruiert dass es im Bestellen
um ein Stellen (Herausfordern) alles bdquoAnwesenden als Bestandldquo als bdquoversus unumldquo
gegen bdquodas Eine Ganzeldquo gehe153 In wiederum mythopoetischer Formulierung ge-
baumlre die bdquoVersammlung des Stellens worin alles Bestellbare in seinem Bestand
west das Ge-Stellldquo154 Der Begriff bdquoVersammlungldquo wird einen Absatz zuvor my-
thopoetisch wieder an die Versammlung also das thing eben das wesenhafteDing
angelehnt und somit wie zu Das Dinglsquo bereits oben erlaumlutert in einen deutsch-
abendlaumlndischen Kontext gestellt (3)
Wir nennen die Versammlung der Berge die von sich her einig und nienachtraumlglich schon gesammelt ist das Gebirge Wir nennen die Versamm-lung der Weisen nach denen uns so zumute ist und sein kann das Gemuumlt155
Allerdings ist obiges Versammlungsmodell hier als Kontrast zu sehen zu dem
bdquoGeraff des Getriebesldquo das das Ge-Stell darstellt als bdquoWesen der Technikldquo156 Hei-
degger sieht in der Gleichfoumlrmigkeit die zum Wesen des Technik als Ge-Stell
150 GA 79 S 30151 GA 79 S 25152 GA 79 S 31153 Vgl GA 79 S 32154 GA 79 S 32155 Ebd
Das Wort ldquoGemuumltrdquo hat ferner eine ausschlieszliglich deutsche Praumlgung gibt es doch keinedirekte Uumlbersetzungen Gemuumlth ist ferner ein nicht eindeutig umrissener Begriff (Vgl Kra-mer Cheryce A Foolrsquos Paradise The Psychiatry ofGemuumlth in a Biedermeier Asylum Chica-go 1998 S 19) Die Bedeutung im Deutschen selbst ist zudem sehr variabel hat aber zumeistmit Seelen- oder Geistkonzepten zu tun ndash Cheryce von Xylander (geb Kramer) uumlbersetztGemuumlth mit bdquosoul-organldquo (ebd S 43) das von diversen Autoren unterschiedlich konstru-riert wird (zB von Kant geistigkoumlrperlich und von Kleist individuellkollektiv (vgl ebdS 41)) In Heideggers emblematischem Duktus scheint eine Vermischung von allen vier Di-mensionen geistigkoumlrperlich wie auch individuellkollektiv stattzufinden Es ist auf jedenFall dem Mythos geschuldet den Auftrag des Deutschen anzunehmen (3)
156 GA 79 S 33
37
gehoumlre die planetarische Abloumlsung und Aufhebung des traditionellen und damit
wesenhaft ans Ding gebundenen Verhaumlltnisses vom Menschen zur Erde (das von
ihm idealisierte voumllkische Bauerntum das Bestellen des Ackers) bdquoDie Bestand-
Stuumlcke sind Stuumlck fuumlr Stuumlck die Gleichenldquo157 So kontrastiert er alte Handwerks-
techniken mit Maschinentechnik und schreibt der Maschinentechnik die machen-
schaftliche Verdraumlngung als Geraff zu
Das Ge-Stell hat auch wenn das nicht unmittelbar und nicht sogleich ver-nehmlich wird im vorhinein schon alle diejenigen Stellen beseitigt an denenvormals Spinnrad und Wassermuumlhle standen Das Ge-Stell bestellt durch sei-ne Maschinerie zum voraus eine andere Art und Ordnung von Stellen Andiesen kommt nur zu Stand was als Bestellbares auf der Stelle gleichfoumlrmigzur Stelle steht
Darum ist auch die Art wie die Maschine selbst etwas herstellt einewesentlich andere als das handwerkliche Tun gesetzt daszlig es innerhalb desGe-Stells uumlberhaupt noch so etwas wie ein Herstellen gibt
Die Traktoren und Kraftwagen werden herausgebracht ausgeworfen se-rienweise Stuumlck fuumlr Stuumlck Wo drauszligen steht dieses so Herausgestellte Wo-hin in welchen Stand ist es gebracht158
In dieser Klage uumlber den technischen Wandel der durch den Fortschritt in
alle Lebensbereiche Einzug haumllt versucht Heidegger zu veranschaulichen wel-
chen Verlust es zu erkennen gelte Ein Versuch diesem entgegen zu treten ist die
von ihm vorgetragene Mythopoetik die er in diesem Vortragsteil seines Vortrags-
Gevierts allerdings auffaumlllig zuruumlckgestellt sein laumlszligt War der Einleitungsteil Das
Dinglsquo schlieszliglich eine nahezu einzige mythopoetische Darbietung Dramatur-
gisch wird Heidegger in Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo die mythopoetischen For-
mulierung als Loumlsungswege wieder Bedeutung geben In Das Ge-Stelllsquo versucht
Heidegger hingegen Vorstellungen aus seinen Schwarzen Heften aumlhnlich der fol-
genden mitzuteilen die das Uniforme Gleichfoumlrmige betreffen
Die Macht der Machenschaft ndash die Vernichtung sogar der Gottlosigkeit dieVermenschung des Menschen in das Tier die Vernutzung der Erde die Ver-rechnung der Welt ndash ist in den Zustand der Endguumlltigkeit uumlbergegangenUnterschiede der Voumllker Staaten Kulturen sind nur noch Fassade159
157 GA 79 S 36158 GA 79 S 35159 GA 96 S 52f
38
Was Heidegger unter dieser Gleichfoumlrmigkeit versteht schreibt er in den Schwar-
zen Heften zumeist den Amerikanern zu Er nennt es auch haumlufig Planetarismus
Der Amerikanismus [ist DS] die Zusammenraffung von Allem welcheZusammenraffung immer zugleich die Entwurzelung des Gerafften bedeu-tet160
Der Planetarismus ist die historisch gedachte Bestimmung der uumlberall glei-chen die ganze Erde uumlberdeckenden Seinsverlassenheit des Seienden161
Die Gegenuumlberstellung von natuumlrlicher und traditioneller Handwerkstechnik
gegen maschinenhafte Gleichfoumlrmigkeit exemplifiziert Heidegger dann im Vor-
trag Das Ge-Stelllsquo vielfach wie zum Beispiel hier
Der Forstwart zB der im Wald das geschlagene Holz vermiszligt und demAnschein nach noch wie sein Groszligvater in der gleichen Weise die selbenWege geht ist heute von der Holzverwertungsindustrie gestellt Er ist ober es weiszlig oder nicht in seiner Weise Bestand-Stuumlck des Zellulosebestandesund dessen Bestellbarkeit fuumlr das Papier das den Zeitungen und illustrier-ten Magazinen zugestellt wird die uumlber die Oumlffentlichkeit daraufhin stellenverschlungen werden162
160 GA 96 S 257161 GA 96 S 261162 GA 79 S 37f
Die renommierte Theaterautorin Elfriede Jelinek karikiert in ihrem Stuumlck Totenaubergvon 1991 Heideggers Konstrukt von Heimat und Fortschrittsfeindlichkeit verbunden miteiner Auseinandersetzung mit dessen Liebschaft zu Hannah Arend Mit philologischer Prauml-zision polemisiert sie Teile aus Heideggers Elegie uumlber die Technik und laumlszligt ihn dabei alsbeschraumlnktes und eingezwaumlngtes Wesen in einem Gestell gefangen sein Aus diesem heraussoll er Arend Rede und Antwort stehen uumlber sein Verhaumlltnis zum Nationalsozialismus unddie Shoa Doch dieser redet nur naturtrunken von Heimat und berauscht sich daran Derprophetische Denker wird banalisert ndash diese Worte legt Jelinek ihm (im Stuumlck der alte Mann)in den MundbdquoDie Angst vor dem Fragen liegt uumlber dem Abendland Sie bannt die Kandidaten auf ein
Team-Leibchen verbannt sie auf altgewordene Wege und jagt sie zuruumlck ins morsch geworde-ne Gehaumluse ihrer Tore wo es um ihre Ausscheidungen geht Es wird ihnen alles weggenom-men werden auch der Weg selbst Keine Spur kein Lichtschein aus den Ritzen Aber ruf ichin die Huumltte um nach einem zu fragen den ich gekannt hab sehe ich grad noch eine Tuumlrsich schlieszligen Der Wald kommt nicht zur rechten Geltung alles ist entflohen was mir liebwar und woran ich geglaubt hab Was kommt ist noch nicht da Nichts war Ich habe nichtsgehoumlrt Ich erinnere mich nicht aber ich stelle dem Kommenden das mich den lupenreinenAmateur schon vor Beginn des Rennens erlahmen laumlszligt vorsorglich die Hausschuhe vor dieTuumlr Sie sind das Einzige was die Profis des Profits von mir dann vorfinden werden wennsie anklopfen Die Haumlrte des Urgesteins sollte sie nicht entmutigen Die Jahreszeiten machendie Landschaft auf und zu Ich sage nur In dieser scheinbaren Leere will ich vom Denkenmuumld nur schlafen Von der Huumltte aus lassen sich Wanderungen unternehmen Aber auchsonst wird Ihnen alles wie ich sagte genommen werden Auch Ihre Fotos und Namen Unddas Gewesene wird wesenlosldquo ( Jelinek Elfriede Totenauberg Hamburg 1991 S 86f)
39
Die Oumlffentlichkeit ist fuumlr Heidegger ein Topos der dem Denken und Besinnen
entgegenstuumlnde Somit meint er damit zum Einen die Medien wie er es anhand
der Rede von den Bestandstuumlcken in Das Ge-Stelllsquo erklaumlrt wo der Mensch als
Urheber des Ge-Stells als Wesen der Technik nicht gelten soll Vielmehr wuumlrde er
in Ratlosigkeit und Langeweile verfallen weil er in der Bestellung des Bestandes in
Form von Bestandstuumlcken vom Rundfunk keine Besinnung mehr faumlnde dh das
Ganze also wiederum daswesentliche Ding nicht mehr zu fassen vermoumlge163 Und
so toumlnt es bereits aus den Schwarzen Heften von 19391940()
Die Bildlsquo und Tonlsquo ndash Reportagenlsquo der Machenschaft ist der planetari-sche Mythuslsquo des Vollendungsabschnittes der Neuzeit Die Welt des abge-legensten deutschen Bauernhofes wird nicht mehr durch [] die Naturlsquobestimmt in der noch die Erde waltet sondern durch das illustrierte Blattmit der Darstellung von ausgezogenen Tanzweibern von Boxern und Renn-fahrern und sonstigen Heldenlsquo des Tages164
Und ferner notierte Heidegger 1946 in seinen Schwarzen Heften
Uumlberall zerrt es aus dem Oumlffentlichen ins Oumlffentliche mit vielen Strickenund jeder sieht das kaum versuchte Denken des Seyns am Leitband seinesStrickes165
Dabei waumlre eben ein bdquoLiterat [] ein in die Oumlffentlichkeit verliebter Mensch der
Angst vor dem Denker hatldquo166 Dieses liefe dann darauf hinaus dass beim Rund-
funk bdquoein Bestellen und Stellen waltet das in dasWesen des Menschen eingegriffen
hatldquo167
Abermals nach dem Wesen der Technik also nach dem Ge-Stell gefragt geht
Heidegger auf seine Unterscheidung vonNatur undNaturwissenschaft ein bdquo[w]elches
ist das Verhaumlltnis zwischen der Technik und der Naturldquo168 Natur wuumlrde in wis-
senschaftlicher Hinsicht unter das Berechnete fallen sie wuumlrde bdquoals das in Maszlig
und Zahl gestellte Wirkliche vorgestellt das in seinem Gewirkten staumlndig an-
westldquo169 Wenn Heidegger dann Natur aus technischer Sicht bdquoals ein System des
163 Vgl GA 79 S 38f164 GA 96 S 54165 GA 97 S 100166 GA 97 S 126167 GA 79 S 39168 GA 79 S 41169 Ebd
40
Bestellens von Erfolgen aus dem gestellten Wirksamenldquo170 charakterisiert spricht
er von seiner Rede der Verschraumlnkung von Historie und Technik ndash bdquoTechnik die
Historie der Naturldquolsquo171 Dieses ist bekanntlich das seinsvernichtende Gegenstuumlck
zur geschichtlichen Besinnung Denn geschichtliches Walten der Technik ist fuumlr
Heidegger technische Geschichte dh verwissenschaftlichte Geschichte die da-
durch ihr Wesen verloren haumltte (Seynsvergessenheit)172 So heiszligt es in den Schwar-
zen Heften von 1947
Ein Zeitalter das historisch geworden ist dh technisch planend sich selberberechnet und alles in diesen Sog zieht muszlig jede Besinnung nur als eine dervielen Formen der Intellektualitaumlt registrieren173
Heidegger schlieszligt den Vortrag mit dem Aufgriff der Anfangsbehauptung
bdquo[d]er Bestand bestellt das Abstandsloseldquo174 Somit liegt das Problem der ausblei-
benden Naumlhe durch die Technik deren Wesen das Ge-Stell waumlre das den Bestand
bestelle in der Luft Dass dabei der Mensch sogleich Teil des Bestandes und nicht
Teil der Maschine wird laumlsst ihn das historische Tier sein (2)
Der Mensch ist auswechselbar innerhalb des Bestellens von Bestand []Gleichwohl gehoumlrt der Mensch in einer voumlllig anderen Weise in das Ge-Stellals die Maschine DieseWeise kann unmenschlich werden DasUnmenschlicheist jedoch immer noch unmenschlich Der Mensch wird nie zur MaschineDas Unmenschliche und noch Menschentuumlmliche ist freilich unheimlicherweil boumlsartige und verhaumlngnisvoller denn der Mensch der nur Maschine wauml-re175
Wen Heidegger hier ersinnt ist der neuzeitliche Mensch der den bdquoGoumlttern uner-
traumlglich gewordenldquo176 waumlre
170 Ebd171 GA 95 S 351172 In Heidegger Die Technik und die Kehre S 21 stellt er Geschichte und Historie einander
gegenuumlber was er in Das Ge-Stelllsquo nicht vollzieht bdquoDie moderne Technik kam doch erst inden Gang als sie sich auf die exakte Naturwissenschaft stuumltzen konnte Historisch gerechnetbleibt dies richtig Geschichtlich gedacht trifft es nicht das Wahreldquo Signifikant fuumlr Heideg-gers Attributierung so wie sie oben schon geschildert ist steht Historie fuumlrs Rechnen undGeschichte fuumlr das Denken
173 GA 97 S 508174 GA 79 S 44175 GA 79 S 37176 GA 94 S 236
41
323 Die Gefahrlsquo
Aus Heideggers Darlegung uumlber das Ge-Stell erschlieszligen sich seine diversen Fa-
cetten der Vorstellung einer Abstandslosigkeit schaffenden Technik Dass die Ab-
standslosigkeit dem Prinzip des Gevierts des Zusammengestellten entgegensteht
bekommt im Vortrag Die Gefahrlsquo Nachdruck Die mythopoetische Erzaumlhlung
knuumlpft an den Vortrag Das Dinglsquo an mit den Mythologemene 1 Der Mythos
des geschichtlich sein muumlssens 2 der Mythos des Goumlttlichen 3 das geschichtsbe-
sinnliche Prinzip der Aletheia Zudem wird im Prozess des Vortrags das Ge-Stell
zur Gefahr stilisiert was einen eigenen Mythos erschafft
Durch das bdquouniversale Bestellen des Ge-Stellsldquo177 werde die naumlhernde Naumlhe des
Dings verwehrt Wie im Vortrag Das Dinglsquo fuumlhrt Heidegger das Wesentliche sei-
ner Theorie auf die deutsche und altgriechische Sprache zuruumlck Die so vollzoge-
ne Annaumlherung von Schwarzwaumllderischem Dialekt und Altgriechisch entspricht
Heideggers Traum von dem bdquogeschichtliche[n] Geburtsort des abendlaumlndischen
Wesensldquo178 den seine Heimat von Todtnauberg bis Freiburg stiften sollte (1)
es ist das Geistvolle und zugleich das erdenhafte schoumlne Land Es birgt un-sichtbaren Reichtum dem Gemuumlt bewahret tiefstes Dichten und houmlchsteGestalt der Sage179
Unter diesem Vorzeichen also sagt Heidegger
Das Ge-Stellwesen laumlszligt das Ding ohne die Wahr Das Wort die Wahrlsquo be-deutet in unserer Sprache dort wo sie noch urspruumlnglich spricht die HutIn unserer schwaumlbischen Mundart meint das Wort die Wahrlsquo die der muumlt-terlichen Hut anvertrauten Kinder Das Ge-Stell laumlszligt in seinem Stellen dasDing ohne die Hut ndash ohne die Wahr seines Dingwesens180
Diese in Bremen vorgetragene Heimatkunde ist auch Heideggers Sorge ge-
schuldet durch die Besatzermaumlchte und deren kulturellen Einfluss auch durch
die nun moumlgliche Oumlffnung Deutschlands zu einem Austausch mit der Welt das
eigene Wesen zu verlieren So schreibt er 1945-1947() in seine Schwarzen Hefte
177 GA 79 S 46178 GA 97 S 54179 Ebd180 GA 79 S 46
42
Das Schwerste und Fragwuumlrdigste unseres Geschickes ndash beruht darin ob wirdas Eigene finden und huumlten [] unter den anderen Voumllkernlsquo [] Scheinund Vorwand der Macht daszlig man unsere eigene Aufgabe bringen will []als Entmachtete aufgenommen zu sein in den Weltmachenschaftsbetrieb181
Es gaumlbe nach Heidegger also das Welten von Welt und die Verweigerung von
Welt aus derVerwahrlosung des Dings durch das Ge-Stell bzw die Technik182 Welt
ist nach dem Konzept des schwaumlbischen Denkers nichts weniger als das Geviert
Bei der folgenden mythopoetischen Zusammenstellung von dem Geviert mit alt-
griechischen Vokabeln um den Seins-Begriff wird das Aletheia-Prinzip eingefuumlhrt
Somit fuumlhrt uumlber den Mythos des Goumlttlichen (2) der Weg zur Wahrheit eben als
geschichtsbesinnlich erfahrene Aletheia (3)
Welt ist das Geviert von Erde und Himmel Goumlttlichen und SterblichenDas Spiegel-Spiel der Vierung wahrt alles was in ihm dingend zwischenden Vier anwest und abwest in das einende Ganze seines Anwesens Vonaltersher heiszligt das Anwesen des Anwesenden τὸ ὲόν das Seiend [sic] τὸεἶναι das Sein naumlmlich der ὲόντα des Seinenden das esse entium183
Diese Welt waumlre nun bdquoWahrnis des Wesens von Sein Statt Wahrnis sagen wir auch
Wahrheitldquo184 Die Welt mythopoetisch als Spiegel-Spiel des Gevierts und durch
eine altgriechische Brille betrachtet waumlre die wahre Welt Somit wird die Wahr-
heitsschau gebunden einen antiken Goumltterglauben und abendlaumlndische Sprachkas-
kaden vom Dialekt zum Altgriechisch
Das Problem mit der wahren Welt waumlre allerdings dass sie sich in die Ver-
borgenheit entziehe Naumlher betrachtet ist aber die Verborgenheit Bedingung des
Entbergens was Heidegger notwendig macht zu einem wuumlrdigen Lebensvollzug
in Harmonie mit dem Sein Durch solche Wesensschau waumlre der Mensch befaumlhigt
jederzeit die verstellenden Maumlchte des Ge-Stells (der Technik) zu uumlberwinden und
teilhaftig am Wesen der Welt zu werden
181 GA 97 S 99182 Vgl GA 79 S 47183 GA 79 S 48 (Die griechischen Vokabeln werden hier keiner Uumlbersetzung unterzogen Da
Heidegger ohnehin keine philologische Schaumlrfe anwenden will ist es fuumlr die Zwecke hierausreichend sie mit seiner Uumlbersetzung zu betrachten Heidegger spricht von bdquoAchten aufdas Griechischeldquo was schwieriger waumlre als klassische Philologie (vgl GA 79 S 63)
184 Ebd
43
Welt bleibt in der Verborgenheit (Αήθη) auf die Weise daszlig diese ihre Ver-borgenheit gerade eine Unverborgenheit gewaumlhrt die Αλήθεια185
Die Αλήθεια haumltte allerdings auch eine Rolle uumlber die subjektive hinaus da nur
durch ihren Vollzug Seinsgeschichte gewaumlhrt wuumlrde Das ist der Anspruch den
Heidegger an sein Auditorium stellt gemeinsam geschichtlich sein zu muumlssen (1)
Die Αλήθεια ist das Geschick des Seins als welches Geschick sich die Fuumllleder Seinsgeschichte in ihre Epochen fuumlgt186
Mit dem Ge-Stell als Wesen der modernen Technik waumlre die Aletheia aller-
dings hochgradig gefaumlhrdet Denn ohnehin waumlre die Aletheia prinzipiell der Ge-
fahr der Vergessenheit ausgesetzt Doch das Ge-Stell haumltte die Kraft die bdquovollende-
te Vergessenheit der Wahrheit des Seinsldquo187 zu vollrichten
Indem das Ge-Stell alles Anwesende in den Bestand bestellt setzt das Ge-Stell das Anwesen des Anwesenden heraus aus seiner Wesensherkunft ausder Αλήθεια188
Diese Versetzung des beteiligten Wesens aus der Moumlglichkeit des Wahrheitsprin-
zips heraus markiert Heidegger dann mit der Schreibweise Seyn (mit bdquoyldquo) Wie
bei dem Vortrag Das Dinglsquo koumlnnen ethymologische Abstammungen sein Sys-
tem anreichern Da wo es um das Wortfeld des Stellens geht Ge-Stell Bestellen
Verstellen ist auch das NachstellenMitglied der Familie
Im Althochdeutschen heiszligt nachstellen fara Das in sich gesammelte Stellenals Nachstellen ist die Gefahr Der Grundzug des Wesens der Gefahr ist dasNachstellen Insofern das Sein als das Ge-Stell sich selbst mit der Vergessen-heit seines Wesens nachstellt ist das Seyn als Seyn die Gefahr seines eigenenWesens189
Damit wuumlrde sich durch die Verringerung der Selbstreflexion im Seyns-Bestand
eine Schwachstelle auftun in die der denkbegabte und aletheiafaumlhige Mensch ei-
ne Moumlglichkeit haben das Seyn zum Sein zuruumlckzuwandeln ndash also wieder in ein
185 GA 79 S 49186 Ebd187 GA 79 S 53188 GA 79 S 52189 GA 79 S 53
44
wesentliches Verhaumlltnis zum bdquoDingldquo zu gelangen in dem das Geviert wieder die
Harmonie herstellt Allerdings faumlnde bis zu solch einer Nachstellung eine Ver-
sieglung des Seynsbestandes statt Und Heidegger beklagt dass die Erreichung der
Ruumlckeroberung des Seins uumlber die Nachstellung nicht stattfaumlnde und stattdessen
die Irre regieren wuumlrde190
In dieser Irre stuumlnde dem Menschen nicht einmal mehr zu zu sterben Denn
bdquoSterben [] heiszligt den Tod in sein Wesen austragenldquo191 Somit waumlren die Opfer
die in den KZs umkamen wie er sie in Das Dinglsquo bereits schildert nicht vermouml-
gend gewesen zu sterben bdquoSie werden Bestandstuumlcke eines Bestandes der Fabrika-
tion von Leichen [] Sie werden in Vernichtungslagern unauffaumlllig liquidiertldquo192
Das vermoumlge die Gefahr zu bewirken Der Mensch wuumlrde des eigenen Sterbens
beraubt da er keine Verbindung mehr zur Wahrheit der Welt haumltte Um den rich-
tigen Tod zu sterben muumlsse der Mensch die Aletheia schauen koumlnnen Insofern ist
Heideggers Prinzip ein religioumls anmutendes Wie in der christlichen Vorstellung
der Mensch im Jenseits an seinen Taten gemessen wird um Paradies oder Fege-
feuer zu besuchen soll nach Heidegger der Mensch waumlhrend des Sterbens mit
sich selbst ins Gericht gehen Er soll sich rein machen vom Ge-Stell der Technik
und dem Seyn um nicht die einmalge Gelegenheit des richtigen Sterbevollzugs
zu versaumlumen Es winken gemaumlszlig des Gevierts die himmlischen Goumlttlichen den
irdischen Sterblichen zu wobei annehmbar ist dass Heidegger Sterblichen die
die Aletheia erkennen einen Goumlttlichkeitsstatus beimessen moumlchte ndash eine Erlouml-
sungsphantasie
Genau diese Erloumlsung waumlre die Technik nicht
Ohne den Schritt des Denkens zu wagen der unser Menschenwesen demWesen der Technik [] aussetzt wuumlrgt man sich von Fall zu Fall von Lagezu Lage durch die Zwiespaumlltigkeiten hindurch Und genau durch dieses Ge-wuumlrge versaumlumt man die Moumlglichkeit dessen was man im Grunde erstrebtdie Technik durch menschliches Tun zu meistern und menschenwuumlrdig zulenken193
190 Vgl GA 79 S 55191 GA 79 S 55192 GA 79 S 56 Weil Heidegger im Judentum die Verantwortlichen fuumlr das Geraffe des Ge-Stells
sieht macht er sie gleichsam verantwortlich fuumlr die bdquoSelbstvernichtungldquo Die Seinsverges-senheit im Tode wird dadurch zum Spin-off der vermeintlich juumldisch erzeugten da machen-schaftlichen KZ-Maschinerie (Vgl GA 97 S 20f)
193 GA 79 S 59
45
Trost und Richtung findet Heidegger schlieszliglich abermals bei den alten Griechen
Das Wort stellenlsquo entspricht dem griechischen ϑέσις vorausgesetzt daszlig wirϑέσις griechisch denken Was heiszligt in diesem Falle griechisch denkenlsquo Esheiszligt darauf achten welche Lichtung desWesens des Seyns in welcherWeisedas Dasein der alten Griechen in den Anspruch genommen hat heiszligt imvoraus bedenken in welchem Geschick welcher Unverborgenheit des Seinsdie Griechen standenldquo194
Das sind Vorstellungen des Neuen Anfangs eine Reminiszenz der griechisch anti-
ken Welt Ein Eintrag aus den Schwarzen Heften von etwa 1945-47 () verdichtet
wie oben bereits aufgezeigt die Phantasie griechisch zu sein zu einem gelingenden
Lebensvollzug
Das reine Wesen des Griechentums dh das Seiende inmitten dessen dieGriechen als seiende fremd gewesen dieses und sie selbst und der Bezug desSeins zu ihnen ndash in der einfachen Wesung von der ἀλήθεια her zeigen underfahren Den μῦθος und λόγος ndash jedes Wort und Gebild rein aber nichterzwungen und schematisch-pedant ndash aus ἀλήθεια erfahren195
Hier zeigt sich auch dass Heidegger per se das Aletheia-Prinzip fuumlr notwendig
hielt um ins Licht der Wahrheit zu blicken Die Griechen sind ihm hier deshalb
Vorbild und rein da sie keiner modernen Technik und dem Ge-Stell ausgesetzt
waren sondern lediglich eine mythopoetische Verbindung zum Sein herstellen
mussten um wesentlich zu sein und Seinsgeschichte zu schreiben Die Dinge und
das Spiegel-Spiel des Gevierts waumlren ihnen geschickt zuhanden gewesen196 Hei-
degger macht schlieszliglich sehr deutlich dass das Griechische zu denken ein bei
weitem anderes Geschaumlft sei als philologische Praumlzision
Ein Echo zu sein naumlmlich dem Anspruch des Seins verlangt eine Sorgfaltder Sprache von der freilich der technisch-terminologische Sprachstil derWissenschaften uumlberhaupt nichts wissen kann Die Intentionalitaumlt der wis-senschaftlichen Sprache ist der staumlrkste Beweis fuumlr ihre Boden- und Heimat-losigkeit [] Das Heimische einer hohen Sprache gedeiht nur im Bereichdes unheimlichen Anspruchs der wesenhaften Stille im Wesen des Seyns197
194 GA 79 S 62f195 GA 97 S 20196 Hingegen waumlre das Judentum verantwortlich fuumlr das Ge-Stell fuumlr das Prinzip der Zerstoumlrung
wie es auf der selben Seite der Schwarzen Hefte darunter heiszligt (vgl ebd)197 GA 79 S 66 Die Bedeutung von Seyn als verstelltes Sein oder Bedingung zum Schauen
des wahren Seins ist verwirrend Einer genaueren Analyse wird aus Platzgruumlnden hier nichtnachgegangen
46
324 Die Kehrelsquo
Der letzte Vortrag ist mit nur neun Seiten der Kuumlrzeste des Vortragsgevierts
Nach dem Verlust des Dinges als Ding und der damit einsetzenden Abstandslosig-
keit als Wesen des Ge-Stells wobei die Gefahr zudem der Vergessenheit des Seyns
nachstellt bietet Heidegger eine Perspektive an
Im Wesen der Gefahr verbirgt sich [] die Moumlglichkeit einer Kehre in derdie Vergessenheit des Wesens des Seins sich so wendet daszlig mit dieser Kehredie Wahrheit des Wesens des Seyns in das Seiende eigens einkehrt198
Diese Moumlglichkeit bedeute nicht dass der Mensch sich der Gefahr selbst stellen
koumlnnte sie waumlre passiv ndash bdquoverbirgt sichldquo Die Kehre werde sich ereignen aumlhnlich
einer Erwartung an den Messias
Die Anwesenheit der Gefahr wuumlrde automatisch die Rettung bergen Denn
Houmllderlin haumltte geschrieben bdquoWo aber Gefahr ist waumlchst [d]as Rettende auchlsquoldquo199
Etwa 1945 notiert Heidegger in seine Schwarzen Hefte bdquoDie Wahrheit erfahren
wir im Gedaumlchtnis Das Gedaumlchtnis ist die Dichtungldquo200 (so) Von dieser War-
te aus ausgestattet mit Erinnerungen an das abendlaumlndische Dichten mit dem
Wissen um das Aletheia-Prinzip und passiv als denkender Huumlter des Seyns solle
der Mensch das Ereignis erwarten das ihn bdquoloumlsen freimachen freyen schonen
bergen in die Hut nehmen wahrenldquo201 wuumlrde (siehe S 43)
Dieses Ereignis waumlre der Blitz Ein unvermittelter jaumlher ploumltzlicher Moment
von kurzer Dauer der bloszlig einen ebenso kurzen Blick auf das wahre Wesen er-
lauben wuumlrde Abschlieszligend ist dies das Rezept gegen die Bestands bestellende
Technik in mythopoetischer Formulierung
So entsprechend ist der Mensch geeignet daszlig er im gewahrten Element vonWelt als der Sterbliche dem Goumlttlichen entgegenblickt Anders nicht dennauch der Gott ist wenn er ist ein Seiender steht als Seiender im Seyn unddessen Wesen das sich aus dem Welten von Welt ereignet202
198 GA 79 S 71199 GA 79 S 72200 GA 97 S 52f201 GA 79 S 72202 GA 79 S 76
47
Wenn Heidegger im Anschluss von der bdquohistorisch-technischen Darstellungldquo re-
det so ist dies die Abwehr der Wissenschaften (auch der Philosophie203) und ein
Appell an die Antirationalitaumlt des Mythos bdquokein historisches Vorstellen der Ge-
schichte als Geschehen bringt in den schicklichen Bezug zum Geschickldquo204
Damit das Blitzen erfahren werde als kurze Wesensschau der Aletheia muumlsse
dem wahren abendlaumlndischen und heimatlichen Ereignis stattgegeben werden Es
sollte nicht wie er 1939 schon in den Schwarzen Heften beschreibt das
kuumlnstliche Licht von Historie und Technik in der weder Mensch noch dieGoumltter weder eineWelt noch die Erde sichtbar werden koumlnnen wo aber dasLebenlsquo von allen den immer noch zu wenigen Meistenlsquo erlebtlsquo wird205
Damit schlieszligt der letzte Vortrag mit einer Erwartung an das Ereignis des Blit-
zens nicht das Erleben der Besinnungslosigkeit (vgl Das Ge-Stelllsquo) Schon 1947
traumlumt Heidegger von solcher Umkehr
Aus der Kehre der Seynsvergessenheit aber ereignet sich das Unumgaumlnglicheden Acker der Welt erst zu pfluumlgen und saatbereit der Sonne und dem Regenund den Voumlgeln des Himmels uumlberlassen206
203 Denn ldquo[e]igentlich denken heiszligt [] die Philosophie verlassen [] beim Sagen des Seinslsquoldquo(GA 97 S 60)
204 Ebd205 GA 95 S 427 Gegen das Erlebnis und Erleben straumlubt sich Heidegger besonders So notiert
er etwa 1939 bdquoZeitalter der Techniklsquo macht gerade die Techniklsquo nicht zum Ziel sondernimmer mehr zum Mittel der besinnungslosen Berechnung [] der Mensch [] das Erleb-nislsquo [] Erleben als der Gefuumlhlsgenuszligldquo (GA 95 S 149) Wie auch bdquoWo beide Historie undTechnik in solcher scheinbaren Gegensaumltzlichkeit verkoppelt sind koumlnnen sie sich zur Foumlr-derung dessen zusammenschlieszligen was einstmals wesentlich die Geschichte des Menschenmitbegruumlndete und was wir die Kunstlsquo nennen Die Historie verschafft [] Anregungenund Vorbilder der Nachahmung die Technik erleichtert [] die Zustellung von Darstel-lungsmitteln und Wirkungsformen [] Gleichwohl ist alles wurzellos [] berechnet und alsErlebnislsquo ausgegebenldquo (GA 95 S 212)
206 GA 97 S 511
48
4 Konklusion
Der umstrittene Philosoph Martin Heidegger hat uumlber die 1930erndash40er Jahre
hinweg eine ausgepraumlgte voumllkisch-nationale und bisweilen radikal-antisemitische
Denkweise entwickelt Dieses Denken fasste er auch auf als Besinnung und stellt
es der Philosophie und Wissenschaft diametral entgegen In Kapitel 2 wird aufge-
zeigt dass sowohl Heideggers Mythologie bereits kritisiert wurde (Adorno Cassi-
rer Meyer) als auch seine Mythopoetik bewundert (Schulz-Nieswandt) Kapitel
3 will daruumlber hinaus aufzeigen wie Heidegger eine eigene Mythologie mytho-
poetisch fruchtbar macht was sich von beiden vorigen Ansaumltzen unterscheidet
und erst mit der Veroumlffentlichung der Schwarzen Hefte ab 2014 nachvollziehbar
wurde
Umso mehr bietet die mythopoetische Verbindung von bdquoDichten und Den-
kenldquo (so) einen antitechnischen Gegenpol Denn Heidegger fasst wie oben ge-
schildert alles Rationale auf als berechnende Bestellung des Bestands im Sinne
der Technik Daruumlber hinaus fordert er mit dem Aletheia-Prinzip (als metapho-
risch gefasstes Ereignis des Blitzens) einen Mitvollzug seiner mythopoetischen
Kontemplation in dem religioumlse voumllkische antike und sprachliche Motive zu-
sammenfallen
Obwohl schon von Heidegger selbst nicht mehr als Philosophie betrachtet
hat seine Rede vom Ding dem Ge-Stell dem Wesen der Technik und der Kehre
noch immer einen bedeutenden Einfluss auf die Technikphilosophie So betont
Alfred Nordmann in bdquoWerkwissen oder How to express things in worksldquo (2008)
dass Heidegger mit Das Dinglsquo eine Art Dingwissen geschaffen haumltte In seinem
2012 erschienenen Aufsatz Another parting of the ways Intersubjectivity and the
objectivity of sciencersquo207 geht Nordmann ein weiteres Mal auf Heideggers Ding
ein Dieses waumlre eine Abarbeitung an dem Ding Kants womit auch Nordmann
Heidegger als einen Interpreten Kants versteht208 Anschlieszligend anMichael Fried-
207 Nordmann Alfred Another parting of the ways Intersubjectivity and the objectivity ofscience In Studies in History and Philosophy of Science 43 (2012) 38ndash46
208 Die Auseinandersetzung mit dem Ding wuumlrde nach Nordmann in Heideggers GA mit demText Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalen Grundsaumltzenlsquoeinsetzen (GA 41 Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalenGrundsaumltzen)
49
man spricht sich Nordmann ebenso dafuumlr aus dass Heidegger neben Rudolf Car-
nap und Ernst Cassirer eine neokantianische Philosophie verfolgt haumltte (siehe
Kap 1)209
Nach Nordmann haumltte Heidegger in seinen anschlieszligenden Gedanken uumlber
das Ding als Fortfuumlhrung Kants als erster Wissenschaft als angewandte Techno-
logie verstanden210 Diese Interpretation stuumltzt sich auf die gleichen Symbole
Metaphern und Mythen die die vorliegende Arbeit analysiert Das Ge-Stell ist
insofern aumlquivok mit dem Begriff techno-science Jedoch sind in dieser Fruchtbar-
machung von Heideggers Denken der Technik dessen nationalistischen rassisti-
schen und antisemitischen Implikationen die die vorliegende Arbeit als Zentrum
dessen Philosophie ermitteln konnte noch nicht beachtet worden koumlnnen211
Andreas Luckner webt Heideggers Ding-Entwurf weiter als verantwortliches
Sorgen um die Dinge212 Er geht dabei mit Heidegger voumlllig konform und tritt
eher als eine Art Bote der Ding-Botschaft auf als diese moumlglicherweise zu kriti-
sieren was sich diesen Artikel wie ein Kapitel aus einem Studienbuch lesen laumlsst
Der Darmstaumldter Technikphilosoph Christoph Hubig ist vor allem Kritiker Hei-
deggers Argumentationen laumlsst aber zuweilen diverse Topoi aus dem Werk des
Technik-Denkers durchscheinen ohne sie weiter zu reflektieren
So konstatiert Hubig Heidegger verfehle in dessen Auseinandersetzung mit
Aristoteles Lehre von der Poiesis zum Punkt der Sicherung wie sie in Die Frage
nach der Techniklsquo behandelt wird bdquodie operative Seite des Technischenldquo bei Aris-
totels213 In einem spaumlteren Aufsatz allerdings stuumltzt er sich ohne weitere Erlaumlute-
rungen auf Heideggers Begriff der Sicherung aus Die Frage nach der Techniklsquo214
209 Diese Befriedung paradigmatischer Umstaumlnde wird hier nicht geteilt Eine weitere Bearbeitunglaumlsst der Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht zu
210 Vgl Nordmann Another parting of the ways S 45211 Der Aussage dass Heideggers Ding-Begriff kantianisch waumlre muumlsste einer gezielten Untersu-
chung unterzogen werden genau wie die Behauptung insgesamt dass Heidegger oder inwie-weit dieser noch der suumlddeutschen Kantschule des 1920 Jahrhunderts angehoumlrte
212 Vgl Luckner Andreas Ding und Bestand Heidegger und das Wesen neuzeitlicher TechnikIn Gamm G Gehring P Hubig C Kaminski A und Nordmann A Ding und SystemS 15-30 hier S 29
213 Hubig Christoph Die Kunst des Moumlglichen Technikphilosophie als Reflexion der MedialitaumltBielefeld 2006 S 103
214 Vgl Hubig Christoph Technik als Medium In Grundwald Armin (Hg) Handbuch Tech-nikethik Stuttgart 2013 S 118-123 hier S 118
50
Dabei versteht Hubig Heideggers Betrachtungen zum Umgang mit der Technik
als gelassen
Fuumlr Heidegger liegt die Andersheit im Entbergen einer Wahrheit des Seinseines Geschicks von dem die Entwicklung der Technik hin zum Gestellkuumlnde Er verbindet dies mit dem Appell jenseits des rechnenden und si-chernden Vorstellens technischer Vollzuumlge als handlungsleitender Program-me sich gelassenlsquo dieser Entwicklung zu uumlberantworten und ein Seinlsquo zuhuumlten das sich als solches eben entbirgt Das Rettendelsquo dieser Einsicht lie-ge darin dass unsere individuelle Endlichkeit insofern transzendiert wirdals sie sich dem sie uumlbersteigenden Prozess aufschlieszligt und sich selbst relati-viert215
Wovon in diesem Zitat nicht die Rede ist ist der Mitvollzug der mythopoe-
tischen Rahmenbedinungen die Heidegger einfordert und an dem die Konzep-
te Abendland und voumllkische Tradition haumlngen In dieser Arbeit wird davon aus-
gegangen dass Heideggers Technikphilosophie-erzaumlhlung sich nicht von seinen
Absichten der Bekaumlmpfung des Technischen loumlsen laumlsst Die Relativierung ist in-
sofern nicht an den Prozess gebunden und damit emergent auf alles hin ausge-
richtet was kommen mag sondern houmlchst konvergent in einer Besinnung auf
Mythen von dem Ding und dem Geviert mit all deren Valenzen aus dem vorlie-
genden Heideggerschen Textkorpus Die individuelle Endlichkeit ist genoumltigt die
Heimat und das Abendland zu kennen und im Aletheia-Prinzip umzusetzen
Die Neubewertung der bislang bekannten Heideggerschen Technikphiloso-
phie von vor den SchwarzenHeften ist ein dringendes Desiderat Voumllkisch-nationale
Gruppierungen erstarken momentan in ganz Europa und es koumlnnte sehr hilfreich
sein aumlhnliche Denkstrukturen aufzudecken so wie sie zwischen den 1930er und
40er Jahren entwickelt wurden Zusaumltzlich muss das Werk Heideggers einer kriti-
schen Revision schon aufgrund der niemals von ihm behandelten Antisemitismen
unterzogen werden Heidegger hat nie zu diesen Stellung bezogen
Daruumlber hinaus ist das Thema Mythos und Philosophie ein weiterhin not-
wendiger Bereich der philosophischen Forschung In einem Bereich auszligerhalb
der exakten Wissenschaften und ohne klare theologische Tradition ist die Philo-
215 Hubig Die Kunst des Moumlglichen S 140
51
sophie beides sowohl Aufklaumlrer und antimythisch als auch Quelle fuumlr mythisches
Denken und affektierende Motive
52
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Die_Heidegger-Kontroverse ndash zuletzt abgerufen am 24042016)
56
Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
Der Unterzeichner versichert dass er die vorliegende Bachelorarbeit selbststaumlndig
verfasst und keine anderen als die von ihm angegebenen Hilfsmittel benutzt hat
Die Stellen der Arbeit die anderen Werken dem Wortlaut oder dem Sinne nach
entnommen sind wurden in jedem Fall unter Angabe der Quellen (einschlieszliglich
des World Wide Web und anderer elektronischer Text- und Datensammlungen)
kenntlich gemacht Dies gilt auch fuumlr beigegebene Zeichnungen bildliche Dar-
stellungen Skizzen und dergleichen
Darmstadt 25 April 2016
__________________________
(Eigenhaumlndige Unterschrift)
- Abkuumlrzungsverzeichnis
- Danksagung
- Einleitung
- Heideggers mythopoetisches Programm
-
- Zu den Begriffen Mythos Mythologie und Mythopoetik
-
- Ein Beispiel fuumlr ein Mythologem
-
- Heideggers Mythen
-
- Formen der Mythologie
-
- Heideggers mythopoetische Technik
-
- Zur Publikationsgeschichte von den Bremer Vortraumlgen 1949
- Die mythopoetische Spiegelung der Schwarzen Hefte
-
- Das Dinglsquo
- Das Ge-Stelllsquo
- Die Gefahrlsquo
- Die Kehrelsquo
-
- Konklusion
- Literaturverzeichnis
- Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
-
23
er den bdquoGoumlttern unertraumlglich gewordenldquo93 waumlre Das bdquoRaubtierldquo dem gegenuumlber
bdquoist die Urform des Heldenlsquoldquo94 Dann behauptet Heidegger dass das Raubtier das
historisch-technische Tier durch Anwendung seiner eigenen Waffen schlagen koumlnn-
te Es ist dabei die bdquoUumlberwindung der Metaphysikldquo mitgedacht die erfolge sobald
sich das metaphysische Fragen durch den Wille zum Willen verfestigt95 Auch
Spengler dachte an dieses Derivat des Nietzsche Topos vomWillen zur Macht das
er seiner antropomorphen Chimaumlre vom Raubtiermenschen eingibt Wieder ist
von der Gewalt die Rede die ein Tabula rasa schaffen sollte zur Wiederauferste-
hung des griechisch-abendlaumlndischen Anfangs in Deutschland bdquoDas Raubtier aber
mit denMitteln der houmlchsten Technik ausgestattet ndash vollendet die Verwirklichung
der brutalitas des Seinsldquo96
Es scheint so als haumltte Heidegger auf jeden Begriff einen Gegenbegriff (selbst
zum historisch-technischen Tier das Raubtier)97 Aber es geht hier nicht um die
Analyse ausgewogener Formprinzipien oder die Kritisierung seiner linguistischen
philologischen Faumlhigkeiten Die Zitierung der Heideggerschen Mythologie soll
seine Verbindung von voumllkisch-nationaler und antisemitischer Haltung mit den
Bedingungen und Anspruumlchen seines Philosophierens aufzeigen Da die Schwar-
zen Hefte wie alle sonstigen Werke seines philosophischen Schaffens in der GA
erschienen sind muumlssen sie insofern als Teil derer gelten Das bedeutet dass sie
ausreichend Relevanz fuumlr die Arbeiten uumlber die Technik haben98
93 GA 95 S 23694 GA 95 S 39795 Vgl GA 7 Uumlberwindung der Metaphysik S 7896 GA 95 S 39797 Vgl Rudolph Heideggers Schwarze Hefte im Echo S 151 bdquoKeiner hat Nietzsche so konse-
quent und wahnwitzig zumNazi avant la lettre verformt wie Heidegger und keiner hat einenzuvor gewaltsam gefuumlgig gemachten Nietzsche so konsequent instrumentalisiert um damitdie vulgaumlr- nationalistische Dekadenz im Sandwich zu geiszligeln wie Heidegger Die Philolo-gie ndash auch die klassische ndash (Colli Cancik Montinari) hat Nietzsche inzwischen laumlngst mitnachhaltigem Erfolg rehabilitiert Wer jetzt noch einen roten Faden von Nietzsche zu Hitlerzieht hat nur noch Heidegger auf seiner Seiteldquo
98 Zum Abschluss dieses Kapitels sei hinzugesagt dass der Veranschlagung der Beispiele vonHeideggers Mythologie ein Exzerpt von 13 Seiten aus 1700 Seiten Text der vier Baumlnde derSchwarzen Hefte zugrunde liegt Beim Studium dieser fielen die staumlndigen Repetitionen derimmer gleichen Figuren und Metaphern auf Daraus wurde geschlossen dass es sich um eineMythologie handeln kann was ein weiteres Forschen bestaumltigte Die hier zitierten Stellensind Topoi die sich in Huumllle und Fuumllle in jedem der vier Baumlnde finden lassen was ihrenmythischen Charakter unterstreicht Die Auswahl versucht ein besonders charakteristischesBild wiederzugeben
24
3 Heideggers mythopoetische
Technik
War Heidegger von seinem neuen Anfang nur zu traumlumen vergoumlnnt so gelang
ihm selbst aber die Wiederauferstehung aus der Asche des ZweitenWeltkriegs mit
der Vortragsreihe in Bremen (1949) uumlber die Technik Der Phoumlnix erweist sich
mittlerweile als Ikarus Anstatt sich selbst zu revidieren fordert Heidegger eine
Kehre ein die auf sein Programm der geschichtlichen Besinnung zum Ursprung ab-
zielt Rezipienten seiner Technikphilosophie taten zumeist seine voumllkischen und
nationalsozialistischen Verstrickungen mit der Niederlegung des Rektorats ab99
Sie glaubten an einen inneren Wandel Heideggers eine Laumluterung und sogar an
seinen geistigen Widerstand uumlber die Naziherrschaft hinweg100 Heute ist erwie-
sen wie Heidegger es aus seinem posthumen Gestaumlndnis in die Welt lecken laumlsst
dass er auf seine private Weise eine Form Nationalsozialismus hegte der die NS-
DAP und Hitler zwar als Vulgaumlrnazis kulturell degradierte aber sich selbst als
Denker-Nazi gerierte
Wie damit umzugehen ist steht aktuell in der Verhandlung Wie Rudolph es
behauptet stuumlnden die Heideggerianer bdquonun mit wertlosen Aktienldquo101 da Der
Kommunikationswissenschaftler Christian Fuchs sieht den Antisemitismus den
die Schwarzen Hefte zutage treten lassen als Notwendigkeit einer rigorosen Ver-
bannung Heideggers aus der technikphilosophischen Theorie102
99 Vgl Luckner Andreas Heidegger und das Denken der Technik Bielefeld 2008 S 64-69100 Vgl Babich Babette Nietzsche Heideggers Widerstand In Alfred Denker u Holger Zabo-
rowski (Hg) Heidegger-Jahrbuch 5 Heidegger und der Nationalsozialismus II Interpreta-tionen S 397-416
101 Rudolph Heideggers Schwarze Hefte im Echo S 146102 Vgl Fuchs Christian Martin-Heideggerrsquos anti-Semitism Philosophy of technology and the
media in the light of the ldquoBlack Notebooksldquo Implications for the reception of Heidegger inmedia and communication studies In tripleC Communication Capitalism amp Critique 13(1) (2015) S 55-78 hier S 74 Anstatt dessen pocht Fuchs auf die alternative Verwendungder Kritischen Theorie uumlber Fragestellungen zur Technik
25
It seems to me that Heideggerrsquos fetishism is often lrsquoart pour lrsquoart Heideg-ger pour Heidegger a tactic that aims at creating an aura of complexity byevoking Heidegger although the same content could be expressed withouthim103
Fuumlr Trawny waumlre dies ein bdquoperformativer Widerspruch [] stets daran zu erin-
nern Heidegger vergessen zu sollenldquo104 Quo vadis Heidegger
Die objektive Antwort Rudolphs der an den Commonsense und die Beweis-
last der Anklage glaubt wie auch der subjektive Appell Fuchs der es zur mora-
lischen Entscheidung des Einzelnen macht Heidegger zu vernachlaumlssigen setzen
aktuell die Jahrzehnte alte Tradition der Heidegger-Kontroverse fort Ein im Sep-
tember 2016 erscheinender Sammelband wird zusaumltzlich die Debatte mit neuen
Bewertungen anreichern105
In diesem Kapitel soll es nicht um die direkte Einreihung in eine der bestehen-
den Polemiken gehen sondern um den Versuch der Betrachtung der spaumlten Tech-
nikphilosophie Heideggers als mythopoetische Dichtung in seinem Sinne des
Philosophierens Als exemplarisches Werk ruumlckt damit das Vortrags-Geviert der
Bremer Vortraumlge ins Zentrum der Anschauung106 Hier wird davon ausgegangen
103 Ebd S 73104 Trawny Heidegger und der Mythos der juumldischen Weltverschwoumlrung S 141105 Heinz Marion und Kellerer Sidonie (Hg) Martin Heideggers raquoSchwarze Heftelaquo Eine
philosophisch-politische Debatte Berlin 2016 (im Druck) Aus dem Klappentext diesesTitelsbdquoOffene antisemitische Aumluszligerungen in diesen Denktagebuumlchern haben in der nichtakade-
mischen Oumlffentlichkeit fuumlr Empoumlrung gesorgt Die entscheidende Frage ist jedoch welcheVeraumlnderungen der Perspektive auf Heideggers Denken insgesamt sich dadurch ergebenund ob damit zugleich eine Neubewertung des Gesamtwerks eines der einflussreichstenPhilosophen des 20 Jahrhunderts noumltig istldquoEine der Herausgeberinnen des Bandes Sidonie Kellerer ist zudem an einem anlaufenden
fuumlnf jaumlhrigen Forschungsprojekt an der Universitaumlt Stuttgart im Rahmen des StuttgartResearch Centre for Text Studies beteiligt Heidegger und die Postmoderne Geschichteeiner Irrefuumlhrungiquest Sie und der Stuttgarter Literaturwissenschaftler Claus Zittel werden Hei-deggers ideologische Verstrickungen in den Nationalsozialismus untersuchen die textlichrekonstruierbar aber nachtraumlglich geklittet worden waumlren bdquoSo konnte die Wissenschaft-lerin Dr Sidonie Kellerer anhand des Vortrages Die Zeit des Weltbildeslsquo erstmals 1950veroumlffentlicht [sic] dass zahlreiche Passagen nachtraumlglich so modifiziert wurden dass dieurspruumlngliche Apologie des Nationalsozialismus nunmehr als Kritik am Regime gedeutetwerden konnte Die 2014 erschienenen Schwarzen Heftersquo mit persoumlnlichen AufzeichnungenHeideggers bestaumltigen zudem wie tief verankert in seiner Philosophie Rassismus undNationalsozialismus waren und bliebenldquo(httpwwwuni-stuttgartdehkompresseservicepressemitteilungen201567_kellererhtmlzuletzt abgerufen am 1442016)
106 Von einer umfassenderen Analyse der Schriften Heideggers zur Technik muss aus Platzgruumln-den abgesehen werden Die Voumlrtraumlge vom Ge-stell der Technik der Kehre und dem Dingsind vor allem wegen ihres Publikationszeitraums interessant da sie direkt an die Dokumen-
26
dass Heidegger den Versuch der abgrenzungspolitischen Einflussnahmemacht ge-
maumlszlig der oben dargelegten Ressentiments die sich in einer Mythologisierung des
Abendlandes niederschlagen Um seinem Ideal des dichtenden Denkens als Philo-
sophieren nachzukommen will Heidegger diese Einschreibung des Abendlandes
mythopoetisch vollfuumlhren
Grundsaumltzlich ist Verbindung und Trennung Heideggers boumlser Schwarzer Hef-
te mit und von seiner guten Technikphilosophie das Schlachtfeld aktueller De-
batten Wie bereits darauf hingewiesen werden hier Schwarze Hefte und Veroumlf-
fentlichungen wie eben in Form der Bremer Vortraumlge als ein kontinuierlicher
Arbeitsprozess gesehen Es gibt insofern nur einen Heidegger und keine gespal-
tene Persoumlnlichkeit Die Siegener Philosophin Sodonie Kellerer stellt dies anhand
Heideggers Selbstsicht luzide dar
Seine immer wiederkehrende Beschwoumlrung des Werkeslsquo und seine an diver-sen Stellen der bislang vorliegenden Briefkorrespondenz artikulierten Be-muumlhungen dieses Werklsquo fuumlr die Nachwelt zu sichern [Kellerer bezieht sichhier ua auf Heideggers Briefwechsel mit seiner Frau der 2007 veroumlffentlichtwurde DS] verdeutlichen wie sehr er seine Texte als ein Ganzes verstandin dem keines der Teile entbehrliche Wiederholung geschweige denn irrele-vante Eroumlrterung ist107
Dabei allerdings wird die Frage offen bleiben mit welchem Maszlig er sich selbst ge-
faumlhrdet sah seine Ansichten oumlffentlich zu vertreten und welche Konsequenzen er
dabei fuumlrchtete Denn er musste die Vortraumlge kodieren ndash was er im Sinne der My-
thopoetik auch macht ndash und mit Einigem hinterm Berg halten108 Dass es dabei
verschiedene Offenbarungsebenen gibt wird hier erst einmal hingenommen Es
interessieren staumlrker nachweisbare Bezuumlge des Entwurfsdenkens Heideggers zur
Oumlffentlichkeitsarbeit von ihm109
te der Schwarzen Hefte anschlieszligen (1948 der letzte Band der Schwarzen Hefte umfasst denZeitraum 1942-1948)
107 Kellerer Sidonie Kampf der Besinnung In Deutsche Zeitschrift fuumlr Philosophie Band 63Heft 5 Seiten 941ndash957 hier S 942
108 Weshalb die Veroumlffentlichung der Schwarzen Hefte auch weitestmoumlglich nach hinten verlegtwurde
109 Wuumlrde man dem entgegenhalten dass Heideggers vermeintliches Genie aus Formalisierun-gen seiner Gedanken ableitbar eine wichtige Quelle an sich bliebe scheitert dieses damitdass nun die Formalisierungen nicht personenneutral sozial-epistemologisch bestehen koumln-nen Als Vergleich wuumlrde man aus Hitlers und Goumlbbels Reden Formalisierungen isolierenlieszlige sich bestimmt die eine oder andere plausible Idee entwenden (wenn sie voumlllig dekon-
27
Hierzu wird der Text der gesamten vier Vortraumlge unter dem Titel Einblick
in das was ist Bremer Vortraumlge 1949lsquo110 aus dem 1994 veroumlffentlichten 79 Band
der GA zugrunde gelegt Das hat den Grund dass davon ausgegangen wird dass
der Text somit am naumlchsten an den 1949 tatsaumlchlich vorgetragenen Manuskripten
liegt Insofern ist eine realistische Annaumlherung an eine mythopoetische Uumlbertra-
gung der Schwarzen Hefte in die Bremer Vortraumlge 1949 das Ziel Demgegenuumlber
gibt es ob der virulenten Publikationspraxis von Heideggers Schriften111 noch
andere Auskopplungen der vier Vortraumlgsteile mit den Titeln Das Dinglsquo Das Ge-
Stelllsquo Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo
31 Zur Publikationsgeschichte von den
Bremer Vortraumlgen 1949
Zuerst erschien 1954 im Neske-Verlag (Pfullingen) ein Sammelband der lediglich
den ersten Vortrag Das Dinglsquo enthaumllt allerdings in leicht erweiterter Fassung
so wie er ein halbes Jahr nach dem Bremer Auftritt in Muumlnchen (1950) an der
Akademie der Schoumlnen Kuumlnste gehalten wurde112 Dem Band hinzugefuumlgt ist aber
zudem ein Vortrag der vornehmlich die Kernaussagen von Das Ge-Stelllsquo und
Die Gefahrlsquo verbindet allerdings in modifizierter Form Dieser wurde unter dem
textualisiert wuumlrde) Ist aber die wahre Verbindung zu Hitler und Goumlbbels hergestellt hatman selbstverstaumldlich die Verantwortung zu tragen an dem ganzen Tross von unmoumlglichenVerfehlungen dieser Menschen die sie fuumlr uns zu Personae non gratae stempeln muumlssen
110 GA 79111 Hierauf macht auch der Darmstaumldter Philosoph Gernot Boumlhme aufmerksam als Akt ei-
ner bdquoposthumen Selbstinszenierungldquo in Boumlhme Gernot Selbstinszenierung uumlber Ruhmin der Philosophie In Information Philosophie (Online Ausgabe 12015) URL=lthttpwwwinformation-philosophiedea=1ampt=8232ampn=2ampy=5ampc=29gt zuletzt ab-gerufen am 2442016)
112 Heidegger Martin Das Ding In Ders Vortraumlge und Aufsaumltze Pfullingen 1954 S 163ff
28
Titel Die Frage nach der Techniklsquo113 am 18 November 1953 an der TUMuumlnchen
gehalten
Eine weitere Auskopplung diesmal des letzten Vortragsteils Die Kehrelsquo fin-
det sich in einem broschuumlrenformatigen Band wiederum im Zusammenspiel mit
dem Vortrag Die Frage nach der Techniklsquo in Die Technik und die Kehrelsquo114 von
1962 wieder Somit wurden die Vortraumlge Das Ge-Stelllsquo und Die Gefahrlsquo lange
Zeit nicht veroumlffentlicht sondern als vermischter und modifizierter Text eben
Die Frage nach der Techniklsquo jeweils zusammen mit Das Dinglsquo (1954) und Die
Kehrelsquo (1962) angeboten115 In der Vorbemerkung zu Die Technik und die Keh-
relsquo wird diese kleine Chronologie leicht verfaumllscht auch aufgezeigt Darin heiszligt
es ferner dass Die Frage nach der Techniklsquo eine erweiterte Fassung von Das Ge-
Stelllsquo waumlre Dem ist wie schon gesagt nicht so Sondern es ist eine modifizierte
Vermischung von Das Ge-Stelllsquo und Die Gefahrlsquo was unschwer zB am Begriff
vom bdquoHer-vor-bringenldquo116 zu erkennen ist der in Die Gefahrlsquo eingefuumlhrt wird
und in Die Frage nach der Techniklsquo die gleiche Bedeutungskonstituente bildet
Mit der Veroumlffentlichung des 79 Bandes der GA 1994 wurden alle vier Bremer
Vortraumlge von 1949 publiziert In Band 11 der GA erschien 2006 auszligerdem Die
Kehrelsquo in ihrer urspruumlnglichen Fassung Die Frage nach der Techniklsquo enthaumllt
weniger mythopoetische Teile als Das Dinglsquo und operiert demgegenuumlber staumlrker
anhand klassisch philosophischer Allgemeinplaumltze Derer sind vor allem zu nen-
113 Heidegger Martin Die Frage nach der Technik In Ders Vortraumlge und Aufsaumltze Pfullingen1954 S 9ff (Der Aufsatz erschien ebenfalls 1954 im Sammelband der Vortragsreihe DieKuumlnste im technischen Zeitalter Heidegger Martin Die Frage nach der Technik In DieKuumlnste im technischen Zeitalter Dritte Folge des Jahrbuchs Gestalt und Gedanke Hg v dBayrischen Akademie der Schoumlnen Kuumlnste Muumlnchen 1954 S 70ff)
114 Heidegger Martin Die Technik und die Kehre Pfullingen 1962115 Beide Baumlnde Votraumlge und Aufsaumltzersquo sowie Die Technik und die Kehrersquo haben hohe Aufla-
genzahlen (Uumlbersetzungen wurden hier nicht recherchiert wobei es aber eine internationa-le Heidegger-Rezeption gibt) 1993 wurde der Pfullinger Neske-Verlag von dem StuttgarterHaus Klett-Cotta uumlbernommen was die Buumlcher aber unveraumlndert belaumlsst Vortraumlge und Auf-saumltzelsquo zaumlhlt seit 2009 die 11 Auflage Die Technik und die Kehrelsquo seit 2014 die 13 BeideBaumlnde sind vergriffen Es mutet unverstaumlndig an weshalb eine fehlerhafte Jahresangabe ausder ersten Veroumlffentlichung von Die Technik und die Kehrelsquo bis 2014 kolportiert wurdeDort steht der Vortrag Die Frage nach der Techniklsquo waumlre am 18 November 1955 gehaltenworden Der Vortragstermin war aber am 18 November 1953
116 Vgl GA 79 S 64 Und Heidegger Die Technik und die Kehre S 11
29
nen die Auflistung der bdquovier Ursachenldquo117 nach Aristoteles und die Kritik an der
Technik als bdquoein Mittel zu Zweckenldquo118 (Kausalitaumlt)119
Der Vortrag Das Dinglsquo galt Heidegger bei der Darbietung seiner Technikphi-
losophie nach dem Zweiten Weltkrieg allerdings als unentbehrlich ndash und damit
seine groszligflaumlchige Aufblaumltterung der Mythopoetik wie im folgenden Kapitel hier
gezeigt wird Denn im Vortrag Die Frage nach der Techniklsquo benutzt Heideg-
ger noch immer seinen mythopoetischen Topos vom Versammeln des Gebirges
der mit dem Versammeln eine Konstituente des Gevierts ist (bdquoErde und Himmel
die Goumlttlichen und die Sterblichenldquo120) (su)121 Fuumlr die Kaumlufer und Leser von
der spaumlteren Veroumlffentlichung Die Technik und die Kehrelsquo wird zudem in Die
Kehrelsquo extra auf den Vortrag Das Dinglsquo in der 1954er Ausgabe in Vortraumlge und
Aufsaumltzelsquo verwiesen122 Das zeigt wie wichtig und unerlaumlsslich Heidegger seine
mythopoetische Denkweise der Technik ist Auch wenn er in Die Frage nach der
Techniklsquo einen allgemeineren und offeneren Ansatz entwickelt hat der dadurch
auch leichter zu erschlieszligen ist
32 Die mythopoetische Spiegelung der Schwarzen
Hefte in den Bremer Vortraumlgen von 1949
321 Das Dinglsquo
In dem Vortrag Das Dinglsquo der 1949 vor dem privaten Club zu Bremen dort im
Neuen Rathaus das Vortragsquartett einleitete fuumlgt Heidegger mythopoetisch
zusammen was folgenden Topoi seiner Schwarzen Hefte aus Kap 221 entspricht
117 Heidegger Die Technik und die Kehre S 6118 Ebd S 6119 Diese Topoi versucht Heidegger in dem Text zu zersetzen und ihnen ein aletheisches Prin-
zip des Entbergens der Technik entgegenzusetzen Dies erfolgt wiederum auch anhand derVerwendung von mythopoetischen Teilen Darauf kann hier aber nicht weiter eingegangenwerdenAls weitere Gemeinsplaumltze (die er teils unterstuumltzend teils zur Zersetzung einfuumlgt) handelt
der Text auch mit Zitaten von Platon Heisenberg J P Hebel und Goethe120 Ebd S 12121 Vgl GA 79 S 11 Und Heidegger Die Technik und die Kehre S 19122 Vgl Heidegger Die Technik und die Kehre S 42f
30
1 die antirationale Wissenschaftsfeindlichkeit 2 der Mythos des Goumlttlichen 3
das Griechentum uumlber dem Roumlmertum 4 die Zahlenmystik (anhand des Spiegel-
Spiels des Gevierts ndash su) 5 das geschichtsbesinnliche Prinzip der Aletheia
Heidegger stellt zuerst die Frage nach dem Ding und will sie daraufhin ver-
anschaulichen mittels der Metapher des Kruges dh mit dem Krug als ein exem-
plarisches Ding Er fuumlhrt dann vor (was der Geste eines Zauberkuumlnstlers aumlhnelt)
wie der leere Krug gefuumlllt wird ndash Luft weicht der Fluumlssigkeit Dieses Sachverhaumllt-
nis aber ist fuumlr ihn Halbpoesie und eine Angabe aus der Physik sie verfehle das
vermeintliche Wesen des Kruges
Die Wissenschaft stellt durch sie [die Angabe der Physik DS] etwas Wirk-liches vor wonach sie sich objektiv richtet Aber ndash ist dieses Wirkliche derKrug Nein DieWissenschaft trifft immer nur auf das was ihre Art des Vor-stellens im vorhinein als den fuumlr sie moumlglichen Gegenstand zugelassen hat[] Die Wissenschaft macht das Krug-Ding zu etwas Nichtigem insofernsie Dinge nicht als das Maszliggebende zulaumlszligt123
Als ein wirkmaumlchtiges Beispiel das ihm sicherlich viel Beachtung uumlber die
Jahrzehnte seit ihrer Zuumlndung in Japan hinweg einbrachte fuumlhrt Heidegger die
Atombombe an Diese sei zu verstehen als verdinglichte Wissenschaft die das
Ding vernichten wuumlrde
Deren Explosion ist nur die groumlbste aller groben Bestaumltigungen der langherschon geschehenen Vernichtung des Dinges dessen daszlig das Ding als Dingnichtig bleibt124
Er buumlndelt damit Wissenschaft und Verkennung des Wesens als maszliggebend mit
dem Ding als sein machenschaftliches Prinzip der zerrechnenden Zerstoumlrung Drei
Jahre nach Kriegsende war der buumlrgerlich-elitaumlre Kreis in Bremen sicherlich be-
wegt von dieser Wortgewalt Diese jedoch suchte ja ihr Heim Harmonie Ruhe
in dem Haus als Wesen der Sprache
Und so faumlhrt Heidegger fort und ersetzt das physikalische Prinzip des Inhalts-
wechsels von Luft zu Wein in ein bdquoGeschenk des Gussesldquo als Spende und Opfer
den Goumlttern (2)125
123 GA 79 S 8124 Ebd S 9125 Vgl Ebd S 11f
31
Der Guszlig ist der den unsterblichen Goumlttern gespendete Trank [] Der ge-weihte Trank ist das was das Wort Guszliglsquo eigentlich nennt Spende und Op-fer Guszliglsquo gieszligenlsquo lautet griechisch χέειν indogermanisch ghu Das bedeu-tet opfern
Hier spielt bereits der Ursprungsmythos der Griechenmit ein (3) es ist aber auch
ein Bezug auf das Geviert Dieses waumlre ein System ein zusammen Gestelltes aus
bdquoErde und Himmel die Goumlttlichen und die Sterblichenldquo126 Im Guszlig des Trunkes
weilten gemeinsam diese Vier als emblematische Verbindung
Das im Geschenk Versammelte sammelt sich selbst darin das Geviert ereig-net zu verweilen Dieses vielfaumlltig einfache Versammeln ist das Wesen desKruges Unsere Sprache nennt was Versammlung ist in einem alten WortDies lautet thing127
Das Geviert zehrt von der Zahlenmystik zum einen als die Versammlung der
vier Begriffe an sich zum anderen da Heidegger ihnen eine Spiegel-Funktion
zuschreibt bdquoJedes der Vier spiegelt in seiner Weise das Wesen der uumlbrigen wie-
derldquo128 und ferner weil er damit auf sich selbst dh auf sein Vortrags-Geviert
verweist (4) Wie in Kap 21 schon gesagt lebt der Mythos von seiner Verbind-
lichkeit Diese legt Heidegger allen nah die sie verinnerlichen wollen bdquoSagen wir
die Sterblichen dann denken wir falls wir denken die anderen Drei mit aus der
Einfalt der Vierldquo129
Sollte der Vollzug der Praxis des sukzessiven Mitdenkens aller vier Geviert-
Entitaumlten gelingen koumlnnte das Ereignis der Aletheia begriffen werden (5) bdquoDas
Spiegel-Spiel von Welt ist der Reigen des Ereignensldquo130 Diese wird aber auch be-
griffen in Abgrenzung von dem Roumlmertum (3) denn in der bdquorealitas der resldquo
haumltten die Roumlmer bdquoihr Erfahrenes niemals eigens in seinem Wesen gedachtldquo131
Das waumlre den Griechen vorzubehalten und vom verstaumlndig denkenden Deutschen
wiederzubeleben
126 Ebd S 12127 Ebd S 13128 Ebd S 18129 Ebd130 Ebd S 19131 Ebd S 15
32
Der Krug ist ein Ding weder im Sinne der roumlmisch gemeinten res noch imSinne des mittelalterlich vorgestellten ens noch gar im Sinne des neuzeitlichvorgestellten Gegenstandes [] Der Krug ist Ding insofern er dingt132
Die Bindung an das deutsche Wort bdquoDingldquo das er spielerisch auch ins Englische
Romanische und Franzoumlsische uumlbersetzt ist unerlaumlsslich fuumlr seine ethymologi-
sche Argumentation In der ist der bdquoGuszligldquo ruumlckgefuumlhrt auf indogermanisch bdquoghuldquo
und das bdquoDingldquo auf das mittelhochdeutsche bdquothingldquo So konnten antik die Roumlmer
von den Griechen abgrenzt werden und modern die anderen drei Sprachen vom
Deutschen Das englische sich sehr nah am bdquothingldquo befindliche bdquothingldquo wird mit
dem Roumlmischen ausgespielt
Im Englischen hat thing noch die erfuumlllte Nennkraft des roumlmischen Wor-tes res bewahrt [] dh ein aus sich kommendes den Menschen Angehen-des133
Fuumlr Heidegger geht es beim bdquothingldquo aber um die mittelhochdeutsche Uumlbersetzung
der Versammlung Darauf beruht sein gesamter Systemansatz mit Geviert und
Ge-stell
Schulz-Nieswandt fuumlhrt diese Zusammenstellung zum Bejubeln von Heideg-
gers Mythopoetik
So fundamental sieht Heidegger die Welt Die Quelle des Wassers wird zurHochzeit von Himmel und Erde das Gieszligen des Wassers aus dem Krugzum Geschenk Auch Sprache ist daher kein Instrument sondern Ort desWohnens des Menschen Sprache wird zum Haus des Seinslsquo134
Hier bestaumltigt die Untersuchung des Ding-Vortrags die These von einer mytho-
poetischen Einschreibung der nationalistischen voumllkischen Abgrenzungs-Mythologie
aus den Schwarzen Heften
322 Das Ge-Stelllsquo
Der zweite Vortrag des Reden-Gevierts setzt ein mit der Metapher des fehlen-
den Abstands Wo kein Abstand sei da waumlre auch keine Naumlhe so Heidegger Er
132 Ebd S 16133 Ebd S 14134 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei Walter
F Otto S 59
33
verbindet die Abstandslosigkeit mit Urbanitaumlt und Verkehr alles fluktuiere Es
waumlre der Bestand der sich bestelle in dem das Abstandlose herrsche Das sind
neue Metaphern fuumlr die Machenschaft In seiner Erzaumlhlung vom Ge-Stell gibt es
bedeutend weniger mythopoetische Passagen als in dem vorangegangenen Vor-
trag Allerdings uumlbertraumlgt er den mythopoetischen Gehalt der Rede vom Ding
bereits im ersten Absatz von Das Ge-Stelllsquo mit dem Credo bdquoNaumlhe west insofern
das Ding dingtldquo135 Mit dieser Verbindung wird klar unter welchem Zeichen Hei-
degger die Rede vom Ge-Stell verstanden wissen will ndash als verlorenes Verhaumlltnis
des voumllkisch-traditionell verwurzelten Menschen mit den vermeintlichen Wesen
all seiner Gebrauchsobjekte in der mythopoetischen Formel des sich spiegelnden
Gevierts
Nahezu nuumlchtern erzaumlhlt Heidegger dann von dem Gefaumlngnis des Menschen
im Wesen der zirkulierenden sich immer neu bestellenden Bestandstechnik des
Ge-Stells Dabei scheinen folgende Mythen aus den Schwarzen Heften hindurch ndash
1 bdquoHistorie die Technik der Geschichtelsquo Technik die Historie der Naturlsquoldquo136
2 das historische Tier 3 der Appell an den Auftrag des Deutschen 4 der geschicht-
liche Mensch muss die Historie und damit die Technik uumlberwinden und 5 die
alles zernichtende Machenschaft des juumldischen Wesens
Den Topos der seinsvergessenen Groszligstadt jedenfalls kontrastiert er mit der
Bauerndorfidylle Da aber bdquodas Abstandlose herrschtldquo137 waumlre das Vorruumlcken der
Maschinentechnik bereits universell So in Form des Traktors Schon in Band
96 der Schwarzen Hefte beklagt er dieses bdquozum elektrischen Pflug [] gehoumlrt
das amerikanisch aufgemachte Magazinlsquoldquo Insofern erfolge die bdquoAngleichung der
Sitten der Bergbewohner an diejenigen des groszligstaumldtischen Sport- und Barbe-
triebsldquo138
Sein erster Land-Stadtvergleich betrifft den Bauern dessen Totenruhe tradi-
tionell in einem sg bdquoTotenbaumldquo (Sarg) stattgefunden haumltte ndash bdquoIn ihm gedeiht
der Tod des Totenldquo139 Dem gegenuumlber klingt in der bdquomotorisierten Bestattungs-
135 GA 79 S 24136 GA 95 S 351137 GA 79 S 24138 GA 96 S 54139 GA 79 S 26
34
industrie der Groszligstadtldquo140 bereits Heideggers pietaumltsloser Gaskammernvergleich
an
Ackerbau ist jetzt motorisierte Ernaumlhrungsindustrie im Wesen das Selbewie die Fabrikation von Leichen in Gaskammern und Vernichtungslagerndas Selbe wie die Blockade und Aushungerung von Laumlndern das Selbe wiedie Fabrikation von Wasserstoffbomben141
Hier wird davon ausgegangen dass es eine Uumlbertragung der Notizen uumlber
das deutsche Land als bdquoeinziges KZldquo ist die Unterdruumlckung des deutschen Vol-
kes durch die bdquoWeltdemokratieldquo die schlimmer sei als die Graumlueltaten der bdquoGas-
kammernlsquoldquo142 In die mythopoetische Formel von dem dingenden Ding aus dem
ersten Vortrag sind alle Valenzen eingeschrieben die es zur Aufgabe des abendlaumln-
dischen Deutschen (also als Nachfolger der alten Griechen) machen das Wesen
des Dings und somit der Technik zu huumlten Die Verantwortung fuumlr Genozid
Massenvernichtungswaffen und den Mangel im Nachkriegsdeutschland schreibt
Heidegger gleichfoumlrmig dem Prinzip der Abstandslosigkeit zu
Auch die Rede von der Habgier des Berechnenden ist ein bereits bekannter
Vorbehalt Heideggers anhand der Rede vom raffgierigen Juden Denn er sagt von
der bdquoHerrschaft des Abstandlosenldquo dass sie bdquodie Hab-gier des vorstellenden Be-
rechnensldquo waumlre143 Das entspricht seinem Mythos von der alles zernichtenden
Machenschaft des juumldischen Wesens144
Dann folgt eine lange Elegie uumlber das Bestellen des Bestands des Ge-Stells
bdquo[d]ie Kette des Bestellens laumluft auf nichts hinaus sie geht vielmehr nur in ihren
Kreisgang hineinldquo145 uumlber 19 Seiten des 21 seitigen Vortragsexts hinweg entwirft
Heidegger diverse Bilder wie das Ge-Stell die Natur das Hergestellte den Men-
schen und das Verstandesmaumlszligige vereinnahme und das Wesen desDings gleichsam
zur Veruntreuung bringen wuumlrde Wiederum poetisch orientiert kontrastiert also
140 Ebd141 Ebd S 27142 GA 97 S 99f143 Vgl GA 79 S 25144 Vgl Machenschaft hier S 29 und Geraff hier S 33145 GA 79 S 29
35
Heidegger Houmllderlins Hymne Der Rheinlsquo mit dem Rhein dessen Stroumlmung fuumlr
ein Stromkraftwerk genutzt wird
Achten wir um das Ungeheure das hier waltet zu ermessen nur auf einenAugenblick auf den Gegensatz der sich in den beiden Titeln ausspricht DerRhein verbaut in das Kraftwerk ndash der Rheinlsquo gesagt in der gleichnamigenHymne Houmllderlins146
Die Differenz also waumlre das Ungeheure147 Dabei waumlre der Rhein verbaut in das
Kraftwerk Aumlhnlich wie Kohle Erze und Rohoumll waumlren sie Bestand der bdquobesteht
im Bestellenldquo ndash bdquoDas Bestellen waumlre demnach lediglich eine Machenschaft des
Menschen vollzogen in der Weise der Ausbeutungldquo148
Das Bild des Wasserkraftwerks wird erweitert um den Begriff des Menschen
Elektrizitaumlt mit Wasserkraft erzeugen bdquokoumlnnen die Menschen [] nur insofern
sie selber schon in dieses Bestellen bestellt sindldquo149 Mit diesem Bild versucht Hei-
degger praktisch zu veranschaulichen dass Entwurf Umsetzung und Einsatz ei-
ner technischen Anlage den Menschen in ein entruumlcktes Verhaumlltnis zum Wesen
des dingenden Dings setze ndash bdquoDer Mensch ist darum der Angestellte des Bestel-
146 Ebd147 Das ist zusaumltzlich zu dem gemeinten Gegensatz ein Vergleich mit dem Heidegger dem Wort
bdquoRheinldquo in die Hymne Der Rheinlsquo gesprochen eine Energie erzeugende Wirkung zu-schreibt eben so wie das Kraftwerk Strom erzeugen wuumlrde Das wird klar dadurch dassHeidegger metaphorisch vom Stellen des Wortes bdquoRheinldquo in die Hymne spricht Es handeltsich um einen Appell zur denkerischen Besinnung Dass Heidegger dafuumlr eine technischeAnlage zur Veranschaulichung inspirierend wirken laumlsst spielt bereits in die Richtung derBegriffe bdquoHer-vor-bringenldquo bdquoEntbergenldquo und spielt auf das Alteheia-Prinzip an Darauf wirdweiter unten anhand Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo eingegangen werden Es handelt sich umdas Angebot eines mythopoetischen Umgangs mit Technik insbesondere wenn sie sich inheimische Gefilde einfuumlgtHeute koumlnnte man mit Windraumldern ebenso verfahren Somit koumlnnte aber auch Heidegger
als ein gewisser Quijana aus Mancha verstanden werden eben der Protagonist aus Miguel deCervantes Roman Don Quichote von der Manchalsquo der mit seinem von ihm flux auch um-benannten Klepper (weil er zuvor sich selbst in Don Quichote umtaufte) Rocinante Riesenbezwingen will um mit dieser Heldentat unsterblichen ritterlichen Ruhm zu erstreitenAuch Don Quichote fand seine Riesen in Windmuumlhlen und auch Don Quichote war uumlber
eine uumlbertriebene Auseinandersetzung mit einer verschuumltteten Kultur dieser verfallen undsuchte diese in seiner Aventuumlre zu reaktualisieren Martin Heideggers mythopoetisches Pro-gramm ist tatsaumlchlich stark mit Don Quichotes Motiv vergleichbarFerner waumlre eine Auseinandersetzung mit Heideggers Werk unter Beruumlcksichtigung sei-
ner Gewichtung der Vorsokratiker und Houmllderlin als mythopoetischen Autor eine moumlglicheForschung zum Thema Anachronismen in Konzepten von Moral und gesellschaftlicher An-gemessenheit (Vgl Cervantes Miguel de Don Quichote von der Mancha Herausgeben unduumlbersetzt v Susanne Lange Muumlnchen 2008 S 33f)
148 GA 79 S 29149 GA 79 S 30
36
lensldquo150 Schon vorher wies Heidegger darauf hin bdquo[d]ie Herrschaft des Gegen-
staumlndigen sichert nicht den Abstandldquo151 Jetzt heiszligt es
Das Bestellen befaumlllt nicht nur die Stoffe und Kraumlfte der Natur mit Gestel-lung Das Bestellen befaumlllt zugleich das Geschick des Menschen Das Wesendes Menschen wird daraufhin gestellt das Bestellen in menschlicher Weisemitzuvollziehen152
Der Begriff des Ge-Stells wird daraufhin so konstruiert dass es im Bestellen
um ein Stellen (Herausfordern) alles bdquoAnwesenden als Bestandldquo als bdquoversus unumldquo
gegen bdquodas Eine Ganzeldquo gehe153 In wiederum mythopoetischer Formulierung ge-
baumlre die bdquoVersammlung des Stellens worin alles Bestellbare in seinem Bestand
west das Ge-Stellldquo154 Der Begriff bdquoVersammlungldquo wird einen Absatz zuvor my-
thopoetisch wieder an die Versammlung also das thing eben das wesenhafteDing
angelehnt und somit wie zu Das Dinglsquo bereits oben erlaumlutert in einen deutsch-
abendlaumlndischen Kontext gestellt (3)
Wir nennen die Versammlung der Berge die von sich her einig und nienachtraumlglich schon gesammelt ist das Gebirge Wir nennen die Versamm-lung der Weisen nach denen uns so zumute ist und sein kann das Gemuumlt155
Allerdings ist obiges Versammlungsmodell hier als Kontrast zu sehen zu dem
bdquoGeraff des Getriebesldquo das das Ge-Stell darstellt als bdquoWesen der Technikldquo156 Hei-
degger sieht in der Gleichfoumlrmigkeit die zum Wesen des Technik als Ge-Stell
150 GA 79 S 30151 GA 79 S 25152 GA 79 S 31153 Vgl GA 79 S 32154 GA 79 S 32155 Ebd
Das Wort ldquoGemuumltrdquo hat ferner eine ausschlieszliglich deutsche Praumlgung gibt es doch keinedirekte Uumlbersetzungen Gemuumlth ist ferner ein nicht eindeutig umrissener Begriff (Vgl Kra-mer Cheryce A Foolrsquos Paradise The Psychiatry ofGemuumlth in a Biedermeier Asylum Chica-go 1998 S 19) Die Bedeutung im Deutschen selbst ist zudem sehr variabel hat aber zumeistmit Seelen- oder Geistkonzepten zu tun ndash Cheryce von Xylander (geb Kramer) uumlbersetztGemuumlth mit bdquosoul-organldquo (ebd S 43) das von diversen Autoren unterschiedlich konstru-riert wird (zB von Kant geistigkoumlrperlich und von Kleist individuellkollektiv (vgl ebdS 41)) In Heideggers emblematischem Duktus scheint eine Vermischung von allen vier Di-mensionen geistigkoumlrperlich wie auch individuellkollektiv stattzufinden Es ist auf jedenFall dem Mythos geschuldet den Auftrag des Deutschen anzunehmen (3)
156 GA 79 S 33
37
gehoumlre die planetarische Abloumlsung und Aufhebung des traditionellen und damit
wesenhaft ans Ding gebundenen Verhaumlltnisses vom Menschen zur Erde (das von
ihm idealisierte voumllkische Bauerntum das Bestellen des Ackers) bdquoDie Bestand-
Stuumlcke sind Stuumlck fuumlr Stuumlck die Gleichenldquo157 So kontrastiert er alte Handwerks-
techniken mit Maschinentechnik und schreibt der Maschinentechnik die machen-
schaftliche Verdraumlngung als Geraff zu
Das Ge-Stell hat auch wenn das nicht unmittelbar und nicht sogleich ver-nehmlich wird im vorhinein schon alle diejenigen Stellen beseitigt an denenvormals Spinnrad und Wassermuumlhle standen Das Ge-Stell bestellt durch sei-ne Maschinerie zum voraus eine andere Art und Ordnung von Stellen Andiesen kommt nur zu Stand was als Bestellbares auf der Stelle gleichfoumlrmigzur Stelle steht
Darum ist auch die Art wie die Maschine selbst etwas herstellt einewesentlich andere als das handwerkliche Tun gesetzt daszlig es innerhalb desGe-Stells uumlberhaupt noch so etwas wie ein Herstellen gibt
Die Traktoren und Kraftwagen werden herausgebracht ausgeworfen se-rienweise Stuumlck fuumlr Stuumlck Wo drauszligen steht dieses so Herausgestellte Wo-hin in welchen Stand ist es gebracht158
In dieser Klage uumlber den technischen Wandel der durch den Fortschritt in
alle Lebensbereiche Einzug haumllt versucht Heidegger zu veranschaulichen wel-
chen Verlust es zu erkennen gelte Ein Versuch diesem entgegen zu treten ist die
von ihm vorgetragene Mythopoetik die er in diesem Vortragsteil seines Vortrags-
Gevierts allerdings auffaumlllig zuruumlckgestellt sein laumlszligt War der Einleitungsteil Das
Dinglsquo schlieszliglich eine nahezu einzige mythopoetische Darbietung Dramatur-
gisch wird Heidegger in Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo die mythopoetischen For-
mulierung als Loumlsungswege wieder Bedeutung geben In Das Ge-Stelllsquo versucht
Heidegger hingegen Vorstellungen aus seinen Schwarzen Heften aumlhnlich der fol-
genden mitzuteilen die das Uniforme Gleichfoumlrmige betreffen
Die Macht der Machenschaft ndash die Vernichtung sogar der Gottlosigkeit dieVermenschung des Menschen in das Tier die Vernutzung der Erde die Ver-rechnung der Welt ndash ist in den Zustand der Endguumlltigkeit uumlbergegangenUnterschiede der Voumllker Staaten Kulturen sind nur noch Fassade159
157 GA 79 S 36158 GA 79 S 35159 GA 96 S 52f
38
Was Heidegger unter dieser Gleichfoumlrmigkeit versteht schreibt er in den Schwar-
zen Heften zumeist den Amerikanern zu Er nennt es auch haumlufig Planetarismus
Der Amerikanismus [ist DS] die Zusammenraffung von Allem welcheZusammenraffung immer zugleich die Entwurzelung des Gerafften bedeu-tet160
Der Planetarismus ist die historisch gedachte Bestimmung der uumlberall glei-chen die ganze Erde uumlberdeckenden Seinsverlassenheit des Seienden161
Die Gegenuumlberstellung von natuumlrlicher und traditioneller Handwerkstechnik
gegen maschinenhafte Gleichfoumlrmigkeit exemplifiziert Heidegger dann im Vor-
trag Das Ge-Stelllsquo vielfach wie zum Beispiel hier
Der Forstwart zB der im Wald das geschlagene Holz vermiszligt und demAnschein nach noch wie sein Groszligvater in der gleichen Weise die selbenWege geht ist heute von der Holzverwertungsindustrie gestellt Er ist ober es weiszlig oder nicht in seiner Weise Bestand-Stuumlck des Zellulosebestandesund dessen Bestellbarkeit fuumlr das Papier das den Zeitungen und illustrier-ten Magazinen zugestellt wird die uumlber die Oumlffentlichkeit daraufhin stellenverschlungen werden162
160 GA 96 S 257161 GA 96 S 261162 GA 79 S 37f
Die renommierte Theaterautorin Elfriede Jelinek karikiert in ihrem Stuumlck Totenaubergvon 1991 Heideggers Konstrukt von Heimat und Fortschrittsfeindlichkeit verbunden miteiner Auseinandersetzung mit dessen Liebschaft zu Hannah Arend Mit philologischer Prauml-zision polemisiert sie Teile aus Heideggers Elegie uumlber die Technik und laumlszligt ihn dabei alsbeschraumlnktes und eingezwaumlngtes Wesen in einem Gestell gefangen sein Aus diesem heraussoll er Arend Rede und Antwort stehen uumlber sein Verhaumlltnis zum Nationalsozialismus unddie Shoa Doch dieser redet nur naturtrunken von Heimat und berauscht sich daran Derprophetische Denker wird banalisert ndash diese Worte legt Jelinek ihm (im Stuumlck der alte Mann)in den MundbdquoDie Angst vor dem Fragen liegt uumlber dem Abendland Sie bannt die Kandidaten auf ein
Team-Leibchen verbannt sie auf altgewordene Wege und jagt sie zuruumlck ins morsch geworde-ne Gehaumluse ihrer Tore wo es um ihre Ausscheidungen geht Es wird ihnen alles weggenom-men werden auch der Weg selbst Keine Spur kein Lichtschein aus den Ritzen Aber ruf ichin die Huumltte um nach einem zu fragen den ich gekannt hab sehe ich grad noch eine Tuumlrsich schlieszligen Der Wald kommt nicht zur rechten Geltung alles ist entflohen was mir liebwar und woran ich geglaubt hab Was kommt ist noch nicht da Nichts war Ich habe nichtsgehoumlrt Ich erinnere mich nicht aber ich stelle dem Kommenden das mich den lupenreinenAmateur schon vor Beginn des Rennens erlahmen laumlszligt vorsorglich die Hausschuhe vor dieTuumlr Sie sind das Einzige was die Profis des Profits von mir dann vorfinden werden wennsie anklopfen Die Haumlrte des Urgesteins sollte sie nicht entmutigen Die Jahreszeiten machendie Landschaft auf und zu Ich sage nur In dieser scheinbaren Leere will ich vom Denkenmuumld nur schlafen Von der Huumltte aus lassen sich Wanderungen unternehmen Aber auchsonst wird Ihnen alles wie ich sagte genommen werden Auch Ihre Fotos und Namen Unddas Gewesene wird wesenlosldquo ( Jelinek Elfriede Totenauberg Hamburg 1991 S 86f)
39
Die Oumlffentlichkeit ist fuumlr Heidegger ein Topos der dem Denken und Besinnen
entgegenstuumlnde Somit meint er damit zum Einen die Medien wie er es anhand
der Rede von den Bestandstuumlcken in Das Ge-Stelllsquo erklaumlrt wo der Mensch als
Urheber des Ge-Stells als Wesen der Technik nicht gelten soll Vielmehr wuumlrde er
in Ratlosigkeit und Langeweile verfallen weil er in der Bestellung des Bestandes in
Form von Bestandstuumlcken vom Rundfunk keine Besinnung mehr faumlnde dh das
Ganze also wiederum daswesentliche Ding nicht mehr zu fassen vermoumlge163 Und
so toumlnt es bereits aus den Schwarzen Heften von 19391940()
Die Bildlsquo und Tonlsquo ndash Reportagenlsquo der Machenschaft ist der planetari-sche Mythuslsquo des Vollendungsabschnittes der Neuzeit Die Welt des abge-legensten deutschen Bauernhofes wird nicht mehr durch [] die Naturlsquobestimmt in der noch die Erde waltet sondern durch das illustrierte Blattmit der Darstellung von ausgezogenen Tanzweibern von Boxern und Renn-fahrern und sonstigen Heldenlsquo des Tages164
Und ferner notierte Heidegger 1946 in seinen Schwarzen Heften
Uumlberall zerrt es aus dem Oumlffentlichen ins Oumlffentliche mit vielen Strickenund jeder sieht das kaum versuchte Denken des Seyns am Leitband seinesStrickes165
Dabei waumlre eben ein bdquoLiterat [] ein in die Oumlffentlichkeit verliebter Mensch der
Angst vor dem Denker hatldquo166 Dieses liefe dann darauf hinaus dass beim Rund-
funk bdquoein Bestellen und Stellen waltet das in dasWesen des Menschen eingegriffen
hatldquo167
Abermals nach dem Wesen der Technik also nach dem Ge-Stell gefragt geht
Heidegger auf seine Unterscheidung vonNatur undNaturwissenschaft ein bdquo[w]elches
ist das Verhaumlltnis zwischen der Technik und der Naturldquo168 Natur wuumlrde in wis-
senschaftlicher Hinsicht unter das Berechnete fallen sie wuumlrde bdquoals das in Maszlig
und Zahl gestellte Wirkliche vorgestellt das in seinem Gewirkten staumlndig an-
westldquo169 Wenn Heidegger dann Natur aus technischer Sicht bdquoals ein System des
163 Vgl GA 79 S 38f164 GA 96 S 54165 GA 97 S 100166 GA 97 S 126167 GA 79 S 39168 GA 79 S 41169 Ebd
40
Bestellens von Erfolgen aus dem gestellten Wirksamenldquo170 charakterisiert spricht
er von seiner Rede der Verschraumlnkung von Historie und Technik ndash bdquoTechnik die
Historie der Naturldquolsquo171 Dieses ist bekanntlich das seinsvernichtende Gegenstuumlck
zur geschichtlichen Besinnung Denn geschichtliches Walten der Technik ist fuumlr
Heidegger technische Geschichte dh verwissenschaftlichte Geschichte die da-
durch ihr Wesen verloren haumltte (Seynsvergessenheit)172 So heiszligt es in den Schwar-
zen Heften von 1947
Ein Zeitalter das historisch geworden ist dh technisch planend sich selberberechnet und alles in diesen Sog zieht muszlig jede Besinnung nur als eine dervielen Formen der Intellektualitaumlt registrieren173
Heidegger schlieszligt den Vortrag mit dem Aufgriff der Anfangsbehauptung
bdquo[d]er Bestand bestellt das Abstandsloseldquo174 Somit liegt das Problem der ausblei-
benden Naumlhe durch die Technik deren Wesen das Ge-Stell waumlre das den Bestand
bestelle in der Luft Dass dabei der Mensch sogleich Teil des Bestandes und nicht
Teil der Maschine wird laumlsst ihn das historische Tier sein (2)
Der Mensch ist auswechselbar innerhalb des Bestellens von Bestand []Gleichwohl gehoumlrt der Mensch in einer voumlllig anderen Weise in das Ge-Stellals die Maschine DieseWeise kann unmenschlich werden DasUnmenschlicheist jedoch immer noch unmenschlich Der Mensch wird nie zur MaschineDas Unmenschliche und noch Menschentuumlmliche ist freilich unheimlicherweil boumlsartige und verhaumlngnisvoller denn der Mensch der nur Maschine wauml-re175
Wen Heidegger hier ersinnt ist der neuzeitliche Mensch der den bdquoGoumlttern uner-
traumlglich gewordenldquo176 waumlre
170 Ebd171 GA 95 S 351172 In Heidegger Die Technik und die Kehre S 21 stellt er Geschichte und Historie einander
gegenuumlber was er in Das Ge-Stelllsquo nicht vollzieht bdquoDie moderne Technik kam doch erst inden Gang als sie sich auf die exakte Naturwissenschaft stuumltzen konnte Historisch gerechnetbleibt dies richtig Geschichtlich gedacht trifft es nicht das Wahreldquo Signifikant fuumlr Heideg-gers Attributierung so wie sie oben schon geschildert ist steht Historie fuumlrs Rechnen undGeschichte fuumlr das Denken
173 GA 97 S 508174 GA 79 S 44175 GA 79 S 37176 GA 94 S 236
41
323 Die Gefahrlsquo
Aus Heideggers Darlegung uumlber das Ge-Stell erschlieszligen sich seine diversen Fa-
cetten der Vorstellung einer Abstandslosigkeit schaffenden Technik Dass die Ab-
standslosigkeit dem Prinzip des Gevierts des Zusammengestellten entgegensteht
bekommt im Vortrag Die Gefahrlsquo Nachdruck Die mythopoetische Erzaumlhlung
knuumlpft an den Vortrag Das Dinglsquo an mit den Mythologemene 1 Der Mythos
des geschichtlich sein muumlssens 2 der Mythos des Goumlttlichen 3 das geschichtsbe-
sinnliche Prinzip der Aletheia Zudem wird im Prozess des Vortrags das Ge-Stell
zur Gefahr stilisiert was einen eigenen Mythos erschafft
Durch das bdquouniversale Bestellen des Ge-Stellsldquo177 werde die naumlhernde Naumlhe des
Dings verwehrt Wie im Vortrag Das Dinglsquo fuumlhrt Heidegger das Wesentliche sei-
ner Theorie auf die deutsche und altgriechische Sprache zuruumlck Die so vollzoge-
ne Annaumlherung von Schwarzwaumllderischem Dialekt und Altgriechisch entspricht
Heideggers Traum von dem bdquogeschichtliche[n] Geburtsort des abendlaumlndischen
Wesensldquo178 den seine Heimat von Todtnauberg bis Freiburg stiften sollte (1)
es ist das Geistvolle und zugleich das erdenhafte schoumlne Land Es birgt un-sichtbaren Reichtum dem Gemuumlt bewahret tiefstes Dichten und houmlchsteGestalt der Sage179
Unter diesem Vorzeichen also sagt Heidegger
Das Ge-Stellwesen laumlszligt das Ding ohne die Wahr Das Wort die Wahrlsquo be-deutet in unserer Sprache dort wo sie noch urspruumlnglich spricht die HutIn unserer schwaumlbischen Mundart meint das Wort die Wahrlsquo die der muumlt-terlichen Hut anvertrauten Kinder Das Ge-Stell laumlszligt in seinem Stellen dasDing ohne die Hut ndash ohne die Wahr seines Dingwesens180
Diese in Bremen vorgetragene Heimatkunde ist auch Heideggers Sorge ge-
schuldet durch die Besatzermaumlchte und deren kulturellen Einfluss auch durch
die nun moumlgliche Oumlffnung Deutschlands zu einem Austausch mit der Welt das
eigene Wesen zu verlieren So schreibt er 1945-1947() in seine Schwarzen Hefte
177 GA 79 S 46178 GA 97 S 54179 Ebd180 GA 79 S 46
42
Das Schwerste und Fragwuumlrdigste unseres Geschickes ndash beruht darin ob wirdas Eigene finden und huumlten [] unter den anderen Voumllkernlsquo [] Scheinund Vorwand der Macht daszlig man unsere eigene Aufgabe bringen will []als Entmachtete aufgenommen zu sein in den Weltmachenschaftsbetrieb181
Es gaumlbe nach Heidegger also das Welten von Welt und die Verweigerung von
Welt aus derVerwahrlosung des Dings durch das Ge-Stell bzw die Technik182 Welt
ist nach dem Konzept des schwaumlbischen Denkers nichts weniger als das Geviert
Bei der folgenden mythopoetischen Zusammenstellung von dem Geviert mit alt-
griechischen Vokabeln um den Seins-Begriff wird das Aletheia-Prinzip eingefuumlhrt
Somit fuumlhrt uumlber den Mythos des Goumlttlichen (2) der Weg zur Wahrheit eben als
geschichtsbesinnlich erfahrene Aletheia (3)
Welt ist das Geviert von Erde und Himmel Goumlttlichen und SterblichenDas Spiegel-Spiel der Vierung wahrt alles was in ihm dingend zwischenden Vier anwest und abwest in das einende Ganze seines Anwesens Vonaltersher heiszligt das Anwesen des Anwesenden τὸ ὲόν das Seiend [sic] τὸεἶναι das Sein naumlmlich der ὲόντα des Seinenden das esse entium183
Diese Welt waumlre nun bdquoWahrnis des Wesens von Sein Statt Wahrnis sagen wir auch
Wahrheitldquo184 Die Welt mythopoetisch als Spiegel-Spiel des Gevierts und durch
eine altgriechische Brille betrachtet waumlre die wahre Welt Somit wird die Wahr-
heitsschau gebunden einen antiken Goumltterglauben und abendlaumlndische Sprachkas-
kaden vom Dialekt zum Altgriechisch
Das Problem mit der wahren Welt waumlre allerdings dass sie sich in die Ver-
borgenheit entziehe Naumlher betrachtet ist aber die Verborgenheit Bedingung des
Entbergens was Heidegger notwendig macht zu einem wuumlrdigen Lebensvollzug
in Harmonie mit dem Sein Durch solche Wesensschau waumlre der Mensch befaumlhigt
jederzeit die verstellenden Maumlchte des Ge-Stells (der Technik) zu uumlberwinden und
teilhaftig am Wesen der Welt zu werden
181 GA 97 S 99182 Vgl GA 79 S 47183 GA 79 S 48 (Die griechischen Vokabeln werden hier keiner Uumlbersetzung unterzogen Da
Heidegger ohnehin keine philologische Schaumlrfe anwenden will ist es fuumlr die Zwecke hierausreichend sie mit seiner Uumlbersetzung zu betrachten Heidegger spricht von bdquoAchten aufdas Griechischeldquo was schwieriger waumlre als klassische Philologie (vgl GA 79 S 63)
184 Ebd
43
Welt bleibt in der Verborgenheit (Αήθη) auf die Weise daszlig diese ihre Ver-borgenheit gerade eine Unverborgenheit gewaumlhrt die Αλήθεια185
Die Αλήθεια haumltte allerdings auch eine Rolle uumlber die subjektive hinaus da nur
durch ihren Vollzug Seinsgeschichte gewaumlhrt wuumlrde Das ist der Anspruch den
Heidegger an sein Auditorium stellt gemeinsam geschichtlich sein zu muumlssen (1)
Die Αλήθεια ist das Geschick des Seins als welches Geschick sich die Fuumllleder Seinsgeschichte in ihre Epochen fuumlgt186
Mit dem Ge-Stell als Wesen der modernen Technik waumlre die Aletheia aller-
dings hochgradig gefaumlhrdet Denn ohnehin waumlre die Aletheia prinzipiell der Ge-
fahr der Vergessenheit ausgesetzt Doch das Ge-Stell haumltte die Kraft die bdquovollende-
te Vergessenheit der Wahrheit des Seinsldquo187 zu vollrichten
Indem das Ge-Stell alles Anwesende in den Bestand bestellt setzt das Ge-Stell das Anwesen des Anwesenden heraus aus seiner Wesensherkunft ausder Αλήθεια188
Diese Versetzung des beteiligten Wesens aus der Moumlglichkeit des Wahrheitsprin-
zips heraus markiert Heidegger dann mit der Schreibweise Seyn (mit bdquoyldquo) Wie
bei dem Vortrag Das Dinglsquo koumlnnen ethymologische Abstammungen sein Sys-
tem anreichern Da wo es um das Wortfeld des Stellens geht Ge-Stell Bestellen
Verstellen ist auch das NachstellenMitglied der Familie
Im Althochdeutschen heiszligt nachstellen fara Das in sich gesammelte Stellenals Nachstellen ist die Gefahr Der Grundzug des Wesens der Gefahr ist dasNachstellen Insofern das Sein als das Ge-Stell sich selbst mit der Vergessen-heit seines Wesens nachstellt ist das Seyn als Seyn die Gefahr seines eigenenWesens189
Damit wuumlrde sich durch die Verringerung der Selbstreflexion im Seyns-Bestand
eine Schwachstelle auftun in die der denkbegabte und aletheiafaumlhige Mensch ei-
ne Moumlglichkeit haben das Seyn zum Sein zuruumlckzuwandeln ndash also wieder in ein
185 GA 79 S 49186 Ebd187 GA 79 S 53188 GA 79 S 52189 GA 79 S 53
44
wesentliches Verhaumlltnis zum bdquoDingldquo zu gelangen in dem das Geviert wieder die
Harmonie herstellt Allerdings faumlnde bis zu solch einer Nachstellung eine Ver-
sieglung des Seynsbestandes statt Und Heidegger beklagt dass die Erreichung der
Ruumlckeroberung des Seins uumlber die Nachstellung nicht stattfaumlnde und stattdessen
die Irre regieren wuumlrde190
In dieser Irre stuumlnde dem Menschen nicht einmal mehr zu zu sterben Denn
bdquoSterben [] heiszligt den Tod in sein Wesen austragenldquo191 Somit waumlren die Opfer
die in den KZs umkamen wie er sie in Das Dinglsquo bereits schildert nicht vermouml-
gend gewesen zu sterben bdquoSie werden Bestandstuumlcke eines Bestandes der Fabrika-
tion von Leichen [] Sie werden in Vernichtungslagern unauffaumlllig liquidiertldquo192
Das vermoumlge die Gefahr zu bewirken Der Mensch wuumlrde des eigenen Sterbens
beraubt da er keine Verbindung mehr zur Wahrheit der Welt haumltte Um den rich-
tigen Tod zu sterben muumlsse der Mensch die Aletheia schauen koumlnnen Insofern ist
Heideggers Prinzip ein religioumls anmutendes Wie in der christlichen Vorstellung
der Mensch im Jenseits an seinen Taten gemessen wird um Paradies oder Fege-
feuer zu besuchen soll nach Heidegger der Mensch waumlhrend des Sterbens mit
sich selbst ins Gericht gehen Er soll sich rein machen vom Ge-Stell der Technik
und dem Seyn um nicht die einmalge Gelegenheit des richtigen Sterbevollzugs
zu versaumlumen Es winken gemaumlszlig des Gevierts die himmlischen Goumlttlichen den
irdischen Sterblichen zu wobei annehmbar ist dass Heidegger Sterblichen die
die Aletheia erkennen einen Goumlttlichkeitsstatus beimessen moumlchte ndash eine Erlouml-
sungsphantasie
Genau diese Erloumlsung waumlre die Technik nicht
Ohne den Schritt des Denkens zu wagen der unser Menschenwesen demWesen der Technik [] aussetzt wuumlrgt man sich von Fall zu Fall von Lagezu Lage durch die Zwiespaumlltigkeiten hindurch Und genau durch dieses Ge-wuumlrge versaumlumt man die Moumlglichkeit dessen was man im Grunde erstrebtdie Technik durch menschliches Tun zu meistern und menschenwuumlrdig zulenken193
190 Vgl GA 79 S 55191 GA 79 S 55192 GA 79 S 56 Weil Heidegger im Judentum die Verantwortlichen fuumlr das Geraffe des Ge-Stells
sieht macht er sie gleichsam verantwortlich fuumlr die bdquoSelbstvernichtungldquo Die Seinsverges-senheit im Tode wird dadurch zum Spin-off der vermeintlich juumldisch erzeugten da machen-schaftlichen KZ-Maschinerie (Vgl GA 97 S 20f)
193 GA 79 S 59
45
Trost und Richtung findet Heidegger schlieszliglich abermals bei den alten Griechen
Das Wort stellenlsquo entspricht dem griechischen ϑέσις vorausgesetzt daszlig wirϑέσις griechisch denken Was heiszligt in diesem Falle griechisch denkenlsquo Esheiszligt darauf achten welche Lichtung desWesens des Seyns in welcherWeisedas Dasein der alten Griechen in den Anspruch genommen hat heiszligt imvoraus bedenken in welchem Geschick welcher Unverborgenheit des Seinsdie Griechen standenldquo194
Das sind Vorstellungen des Neuen Anfangs eine Reminiszenz der griechisch anti-
ken Welt Ein Eintrag aus den Schwarzen Heften von etwa 1945-47 () verdichtet
wie oben bereits aufgezeigt die Phantasie griechisch zu sein zu einem gelingenden
Lebensvollzug
Das reine Wesen des Griechentums dh das Seiende inmitten dessen dieGriechen als seiende fremd gewesen dieses und sie selbst und der Bezug desSeins zu ihnen ndash in der einfachen Wesung von der ἀλήθεια her zeigen underfahren Den μῦθος und λόγος ndash jedes Wort und Gebild rein aber nichterzwungen und schematisch-pedant ndash aus ἀλήθεια erfahren195
Hier zeigt sich auch dass Heidegger per se das Aletheia-Prinzip fuumlr notwendig
hielt um ins Licht der Wahrheit zu blicken Die Griechen sind ihm hier deshalb
Vorbild und rein da sie keiner modernen Technik und dem Ge-Stell ausgesetzt
waren sondern lediglich eine mythopoetische Verbindung zum Sein herstellen
mussten um wesentlich zu sein und Seinsgeschichte zu schreiben Die Dinge und
das Spiegel-Spiel des Gevierts waumlren ihnen geschickt zuhanden gewesen196 Hei-
degger macht schlieszliglich sehr deutlich dass das Griechische zu denken ein bei
weitem anderes Geschaumlft sei als philologische Praumlzision
Ein Echo zu sein naumlmlich dem Anspruch des Seins verlangt eine Sorgfaltder Sprache von der freilich der technisch-terminologische Sprachstil derWissenschaften uumlberhaupt nichts wissen kann Die Intentionalitaumlt der wis-senschaftlichen Sprache ist der staumlrkste Beweis fuumlr ihre Boden- und Heimat-losigkeit [] Das Heimische einer hohen Sprache gedeiht nur im Bereichdes unheimlichen Anspruchs der wesenhaften Stille im Wesen des Seyns197
194 GA 79 S 62f195 GA 97 S 20196 Hingegen waumlre das Judentum verantwortlich fuumlr das Ge-Stell fuumlr das Prinzip der Zerstoumlrung
wie es auf der selben Seite der Schwarzen Hefte darunter heiszligt (vgl ebd)197 GA 79 S 66 Die Bedeutung von Seyn als verstelltes Sein oder Bedingung zum Schauen
des wahren Seins ist verwirrend Einer genaueren Analyse wird aus Platzgruumlnden hier nichtnachgegangen
46
324 Die Kehrelsquo
Der letzte Vortrag ist mit nur neun Seiten der Kuumlrzeste des Vortragsgevierts
Nach dem Verlust des Dinges als Ding und der damit einsetzenden Abstandslosig-
keit als Wesen des Ge-Stells wobei die Gefahr zudem der Vergessenheit des Seyns
nachstellt bietet Heidegger eine Perspektive an
Im Wesen der Gefahr verbirgt sich [] die Moumlglichkeit einer Kehre in derdie Vergessenheit des Wesens des Seins sich so wendet daszlig mit dieser Kehredie Wahrheit des Wesens des Seyns in das Seiende eigens einkehrt198
Diese Moumlglichkeit bedeute nicht dass der Mensch sich der Gefahr selbst stellen
koumlnnte sie waumlre passiv ndash bdquoverbirgt sichldquo Die Kehre werde sich ereignen aumlhnlich
einer Erwartung an den Messias
Die Anwesenheit der Gefahr wuumlrde automatisch die Rettung bergen Denn
Houmllderlin haumltte geschrieben bdquoWo aber Gefahr ist waumlchst [d]as Rettende auchlsquoldquo199
Etwa 1945 notiert Heidegger in seine Schwarzen Hefte bdquoDie Wahrheit erfahren
wir im Gedaumlchtnis Das Gedaumlchtnis ist die Dichtungldquo200 (so) Von dieser War-
te aus ausgestattet mit Erinnerungen an das abendlaumlndische Dichten mit dem
Wissen um das Aletheia-Prinzip und passiv als denkender Huumlter des Seyns solle
der Mensch das Ereignis erwarten das ihn bdquoloumlsen freimachen freyen schonen
bergen in die Hut nehmen wahrenldquo201 wuumlrde (siehe S 43)
Dieses Ereignis waumlre der Blitz Ein unvermittelter jaumlher ploumltzlicher Moment
von kurzer Dauer der bloszlig einen ebenso kurzen Blick auf das wahre Wesen er-
lauben wuumlrde Abschlieszligend ist dies das Rezept gegen die Bestands bestellende
Technik in mythopoetischer Formulierung
So entsprechend ist der Mensch geeignet daszlig er im gewahrten Element vonWelt als der Sterbliche dem Goumlttlichen entgegenblickt Anders nicht dennauch der Gott ist wenn er ist ein Seiender steht als Seiender im Seyn unddessen Wesen das sich aus dem Welten von Welt ereignet202
198 GA 79 S 71199 GA 79 S 72200 GA 97 S 52f201 GA 79 S 72202 GA 79 S 76
47
Wenn Heidegger im Anschluss von der bdquohistorisch-technischen Darstellungldquo re-
det so ist dies die Abwehr der Wissenschaften (auch der Philosophie203) und ein
Appell an die Antirationalitaumlt des Mythos bdquokein historisches Vorstellen der Ge-
schichte als Geschehen bringt in den schicklichen Bezug zum Geschickldquo204
Damit das Blitzen erfahren werde als kurze Wesensschau der Aletheia muumlsse
dem wahren abendlaumlndischen und heimatlichen Ereignis stattgegeben werden Es
sollte nicht wie er 1939 schon in den Schwarzen Heften beschreibt das
kuumlnstliche Licht von Historie und Technik in der weder Mensch noch dieGoumltter weder eineWelt noch die Erde sichtbar werden koumlnnen wo aber dasLebenlsquo von allen den immer noch zu wenigen Meistenlsquo erlebtlsquo wird205
Damit schlieszligt der letzte Vortrag mit einer Erwartung an das Ereignis des Blit-
zens nicht das Erleben der Besinnungslosigkeit (vgl Das Ge-Stelllsquo) Schon 1947
traumlumt Heidegger von solcher Umkehr
Aus der Kehre der Seynsvergessenheit aber ereignet sich das Unumgaumlnglicheden Acker der Welt erst zu pfluumlgen und saatbereit der Sonne und dem Regenund den Voumlgeln des Himmels uumlberlassen206
203 Denn ldquo[e]igentlich denken heiszligt [] die Philosophie verlassen [] beim Sagen des Seinslsquoldquo(GA 97 S 60)
204 Ebd205 GA 95 S 427 Gegen das Erlebnis und Erleben straumlubt sich Heidegger besonders So notiert
er etwa 1939 bdquoZeitalter der Techniklsquo macht gerade die Techniklsquo nicht zum Ziel sondernimmer mehr zum Mittel der besinnungslosen Berechnung [] der Mensch [] das Erleb-nislsquo [] Erleben als der Gefuumlhlsgenuszligldquo (GA 95 S 149) Wie auch bdquoWo beide Historie undTechnik in solcher scheinbaren Gegensaumltzlichkeit verkoppelt sind koumlnnen sie sich zur Foumlr-derung dessen zusammenschlieszligen was einstmals wesentlich die Geschichte des Menschenmitbegruumlndete und was wir die Kunstlsquo nennen Die Historie verschafft [] Anregungenund Vorbilder der Nachahmung die Technik erleichtert [] die Zustellung von Darstel-lungsmitteln und Wirkungsformen [] Gleichwohl ist alles wurzellos [] berechnet und alsErlebnislsquo ausgegebenldquo (GA 95 S 212)
206 GA 97 S 511
48
4 Konklusion
Der umstrittene Philosoph Martin Heidegger hat uumlber die 1930erndash40er Jahre
hinweg eine ausgepraumlgte voumllkisch-nationale und bisweilen radikal-antisemitische
Denkweise entwickelt Dieses Denken fasste er auch auf als Besinnung und stellt
es der Philosophie und Wissenschaft diametral entgegen In Kapitel 2 wird aufge-
zeigt dass sowohl Heideggers Mythologie bereits kritisiert wurde (Adorno Cassi-
rer Meyer) als auch seine Mythopoetik bewundert (Schulz-Nieswandt) Kapitel
3 will daruumlber hinaus aufzeigen wie Heidegger eine eigene Mythologie mytho-
poetisch fruchtbar macht was sich von beiden vorigen Ansaumltzen unterscheidet
und erst mit der Veroumlffentlichung der Schwarzen Hefte ab 2014 nachvollziehbar
wurde
Umso mehr bietet die mythopoetische Verbindung von bdquoDichten und Den-
kenldquo (so) einen antitechnischen Gegenpol Denn Heidegger fasst wie oben ge-
schildert alles Rationale auf als berechnende Bestellung des Bestands im Sinne
der Technik Daruumlber hinaus fordert er mit dem Aletheia-Prinzip (als metapho-
risch gefasstes Ereignis des Blitzens) einen Mitvollzug seiner mythopoetischen
Kontemplation in dem religioumlse voumllkische antike und sprachliche Motive zu-
sammenfallen
Obwohl schon von Heidegger selbst nicht mehr als Philosophie betrachtet
hat seine Rede vom Ding dem Ge-Stell dem Wesen der Technik und der Kehre
noch immer einen bedeutenden Einfluss auf die Technikphilosophie So betont
Alfred Nordmann in bdquoWerkwissen oder How to express things in worksldquo (2008)
dass Heidegger mit Das Dinglsquo eine Art Dingwissen geschaffen haumltte In seinem
2012 erschienenen Aufsatz Another parting of the ways Intersubjectivity and the
objectivity of sciencersquo207 geht Nordmann ein weiteres Mal auf Heideggers Ding
ein Dieses waumlre eine Abarbeitung an dem Ding Kants womit auch Nordmann
Heidegger als einen Interpreten Kants versteht208 Anschlieszligend anMichael Fried-
207 Nordmann Alfred Another parting of the ways Intersubjectivity and the objectivity ofscience In Studies in History and Philosophy of Science 43 (2012) 38ndash46
208 Die Auseinandersetzung mit dem Ding wuumlrde nach Nordmann in Heideggers GA mit demText Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalen Grundsaumltzenlsquoeinsetzen (GA 41 Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalenGrundsaumltzen)
49
man spricht sich Nordmann ebenso dafuumlr aus dass Heidegger neben Rudolf Car-
nap und Ernst Cassirer eine neokantianische Philosophie verfolgt haumltte (siehe
Kap 1)209
Nach Nordmann haumltte Heidegger in seinen anschlieszligenden Gedanken uumlber
das Ding als Fortfuumlhrung Kants als erster Wissenschaft als angewandte Techno-
logie verstanden210 Diese Interpretation stuumltzt sich auf die gleichen Symbole
Metaphern und Mythen die die vorliegende Arbeit analysiert Das Ge-Stell ist
insofern aumlquivok mit dem Begriff techno-science Jedoch sind in dieser Fruchtbar-
machung von Heideggers Denken der Technik dessen nationalistischen rassisti-
schen und antisemitischen Implikationen die die vorliegende Arbeit als Zentrum
dessen Philosophie ermitteln konnte noch nicht beachtet worden koumlnnen211
Andreas Luckner webt Heideggers Ding-Entwurf weiter als verantwortliches
Sorgen um die Dinge212 Er geht dabei mit Heidegger voumlllig konform und tritt
eher als eine Art Bote der Ding-Botschaft auf als diese moumlglicherweise zu kriti-
sieren was sich diesen Artikel wie ein Kapitel aus einem Studienbuch lesen laumlsst
Der Darmstaumldter Technikphilosoph Christoph Hubig ist vor allem Kritiker Hei-
deggers Argumentationen laumlsst aber zuweilen diverse Topoi aus dem Werk des
Technik-Denkers durchscheinen ohne sie weiter zu reflektieren
So konstatiert Hubig Heidegger verfehle in dessen Auseinandersetzung mit
Aristoteles Lehre von der Poiesis zum Punkt der Sicherung wie sie in Die Frage
nach der Techniklsquo behandelt wird bdquodie operative Seite des Technischenldquo bei Aris-
totels213 In einem spaumlteren Aufsatz allerdings stuumltzt er sich ohne weitere Erlaumlute-
rungen auf Heideggers Begriff der Sicherung aus Die Frage nach der Techniklsquo214
209 Diese Befriedung paradigmatischer Umstaumlnde wird hier nicht geteilt Eine weitere Bearbeitunglaumlsst der Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht zu
210 Vgl Nordmann Another parting of the ways S 45211 Der Aussage dass Heideggers Ding-Begriff kantianisch waumlre muumlsste einer gezielten Untersu-
chung unterzogen werden genau wie die Behauptung insgesamt dass Heidegger oder inwie-weit dieser noch der suumlddeutschen Kantschule des 1920 Jahrhunderts angehoumlrte
212 Vgl Luckner Andreas Ding und Bestand Heidegger und das Wesen neuzeitlicher TechnikIn Gamm G Gehring P Hubig C Kaminski A und Nordmann A Ding und SystemS 15-30 hier S 29
213 Hubig Christoph Die Kunst des Moumlglichen Technikphilosophie als Reflexion der MedialitaumltBielefeld 2006 S 103
214 Vgl Hubig Christoph Technik als Medium In Grundwald Armin (Hg) Handbuch Tech-nikethik Stuttgart 2013 S 118-123 hier S 118
50
Dabei versteht Hubig Heideggers Betrachtungen zum Umgang mit der Technik
als gelassen
Fuumlr Heidegger liegt die Andersheit im Entbergen einer Wahrheit des Seinseines Geschicks von dem die Entwicklung der Technik hin zum Gestellkuumlnde Er verbindet dies mit dem Appell jenseits des rechnenden und si-chernden Vorstellens technischer Vollzuumlge als handlungsleitender Program-me sich gelassenlsquo dieser Entwicklung zu uumlberantworten und ein Seinlsquo zuhuumlten das sich als solches eben entbirgt Das Rettendelsquo dieser Einsicht lie-ge darin dass unsere individuelle Endlichkeit insofern transzendiert wirdals sie sich dem sie uumlbersteigenden Prozess aufschlieszligt und sich selbst relati-viert215
Wovon in diesem Zitat nicht die Rede ist ist der Mitvollzug der mythopoe-
tischen Rahmenbedinungen die Heidegger einfordert und an dem die Konzep-
te Abendland und voumllkische Tradition haumlngen In dieser Arbeit wird davon aus-
gegangen dass Heideggers Technikphilosophie-erzaumlhlung sich nicht von seinen
Absichten der Bekaumlmpfung des Technischen loumlsen laumlsst Die Relativierung ist in-
sofern nicht an den Prozess gebunden und damit emergent auf alles hin ausge-
richtet was kommen mag sondern houmlchst konvergent in einer Besinnung auf
Mythen von dem Ding und dem Geviert mit all deren Valenzen aus dem vorlie-
genden Heideggerschen Textkorpus Die individuelle Endlichkeit ist genoumltigt die
Heimat und das Abendland zu kennen und im Aletheia-Prinzip umzusetzen
Die Neubewertung der bislang bekannten Heideggerschen Technikphiloso-
phie von vor den SchwarzenHeften ist ein dringendes Desiderat Voumllkisch-nationale
Gruppierungen erstarken momentan in ganz Europa und es koumlnnte sehr hilfreich
sein aumlhnliche Denkstrukturen aufzudecken so wie sie zwischen den 1930er und
40er Jahren entwickelt wurden Zusaumltzlich muss das Werk Heideggers einer kriti-
schen Revision schon aufgrund der niemals von ihm behandelten Antisemitismen
unterzogen werden Heidegger hat nie zu diesen Stellung bezogen
Daruumlber hinaus ist das Thema Mythos und Philosophie ein weiterhin not-
wendiger Bereich der philosophischen Forschung In einem Bereich auszligerhalb
der exakten Wissenschaften und ohne klare theologische Tradition ist die Philo-
215 Hubig Die Kunst des Moumlglichen S 140
51
sophie beides sowohl Aufklaumlrer und antimythisch als auch Quelle fuumlr mythisches
Denken und affektierende Motive
52
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56
Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
Der Unterzeichner versichert dass er die vorliegende Bachelorarbeit selbststaumlndig
verfasst und keine anderen als die von ihm angegebenen Hilfsmittel benutzt hat
Die Stellen der Arbeit die anderen Werken dem Wortlaut oder dem Sinne nach
entnommen sind wurden in jedem Fall unter Angabe der Quellen (einschlieszliglich
des World Wide Web und anderer elektronischer Text- und Datensammlungen)
kenntlich gemacht Dies gilt auch fuumlr beigegebene Zeichnungen bildliche Dar-
stellungen Skizzen und dergleichen
Darmstadt 25 April 2016
__________________________
(Eigenhaumlndige Unterschrift)
- Abkuumlrzungsverzeichnis
- Danksagung
- Einleitung
- Heideggers mythopoetisches Programm
-
- Zu den Begriffen Mythos Mythologie und Mythopoetik
-
- Ein Beispiel fuumlr ein Mythologem
-
- Heideggers Mythen
-
- Formen der Mythologie
-
- Heideggers mythopoetische Technik
-
- Zur Publikationsgeschichte von den Bremer Vortraumlgen 1949
- Die mythopoetische Spiegelung der Schwarzen Hefte
-
- Das Dinglsquo
- Das Ge-Stelllsquo
- Die Gefahrlsquo
- Die Kehrelsquo
-
- Konklusion
- Literaturverzeichnis
- Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
-
24
3 Heideggers mythopoetische
Technik
War Heidegger von seinem neuen Anfang nur zu traumlumen vergoumlnnt so gelang
ihm selbst aber die Wiederauferstehung aus der Asche des ZweitenWeltkriegs mit
der Vortragsreihe in Bremen (1949) uumlber die Technik Der Phoumlnix erweist sich
mittlerweile als Ikarus Anstatt sich selbst zu revidieren fordert Heidegger eine
Kehre ein die auf sein Programm der geschichtlichen Besinnung zum Ursprung ab-
zielt Rezipienten seiner Technikphilosophie taten zumeist seine voumllkischen und
nationalsozialistischen Verstrickungen mit der Niederlegung des Rektorats ab99
Sie glaubten an einen inneren Wandel Heideggers eine Laumluterung und sogar an
seinen geistigen Widerstand uumlber die Naziherrschaft hinweg100 Heute ist erwie-
sen wie Heidegger es aus seinem posthumen Gestaumlndnis in die Welt lecken laumlsst
dass er auf seine private Weise eine Form Nationalsozialismus hegte der die NS-
DAP und Hitler zwar als Vulgaumlrnazis kulturell degradierte aber sich selbst als
Denker-Nazi gerierte
Wie damit umzugehen ist steht aktuell in der Verhandlung Wie Rudolph es
behauptet stuumlnden die Heideggerianer bdquonun mit wertlosen Aktienldquo101 da Der
Kommunikationswissenschaftler Christian Fuchs sieht den Antisemitismus den
die Schwarzen Hefte zutage treten lassen als Notwendigkeit einer rigorosen Ver-
bannung Heideggers aus der technikphilosophischen Theorie102
99 Vgl Luckner Andreas Heidegger und das Denken der Technik Bielefeld 2008 S 64-69100 Vgl Babich Babette Nietzsche Heideggers Widerstand In Alfred Denker u Holger Zabo-
rowski (Hg) Heidegger-Jahrbuch 5 Heidegger und der Nationalsozialismus II Interpreta-tionen S 397-416
101 Rudolph Heideggers Schwarze Hefte im Echo S 146102 Vgl Fuchs Christian Martin-Heideggerrsquos anti-Semitism Philosophy of technology and the
media in the light of the ldquoBlack Notebooksldquo Implications for the reception of Heidegger inmedia and communication studies In tripleC Communication Capitalism amp Critique 13(1) (2015) S 55-78 hier S 74 Anstatt dessen pocht Fuchs auf die alternative Verwendungder Kritischen Theorie uumlber Fragestellungen zur Technik
25
It seems to me that Heideggerrsquos fetishism is often lrsquoart pour lrsquoart Heideg-ger pour Heidegger a tactic that aims at creating an aura of complexity byevoking Heidegger although the same content could be expressed withouthim103
Fuumlr Trawny waumlre dies ein bdquoperformativer Widerspruch [] stets daran zu erin-
nern Heidegger vergessen zu sollenldquo104 Quo vadis Heidegger
Die objektive Antwort Rudolphs der an den Commonsense und die Beweis-
last der Anklage glaubt wie auch der subjektive Appell Fuchs der es zur mora-
lischen Entscheidung des Einzelnen macht Heidegger zu vernachlaumlssigen setzen
aktuell die Jahrzehnte alte Tradition der Heidegger-Kontroverse fort Ein im Sep-
tember 2016 erscheinender Sammelband wird zusaumltzlich die Debatte mit neuen
Bewertungen anreichern105
In diesem Kapitel soll es nicht um die direkte Einreihung in eine der bestehen-
den Polemiken gehen sondern um den Versuch der Betrachtung der spaumlten Tech-
nikphilosophie Heideggers als mythopoetische Dichtung in seinem Sinne des
Philosophierens Als exemplarisches Werk ruumlckt damit das Vortrags-Geviert der
Bremer Vortraumlge ins Zentrum der Anschauung106 Hier wird davon ausgegangen
103 Ebd S 73104 Trawny Heidegger und der Mythos der juumldischen Weltverschwoumlrung S 141105 Heinz Marion und Kellerer Sidonie (Hg) Martin Heideggers raquoSchwarze Heftelaquo Eine
philosophisch-politische Debatte Berlin 2016 (im Druck) Aus dem Klappentext diesesTitelsbdquoOffene antisemitische Aumluszligerungen in diesen Denktagebuumlchern haben in der nichtakade-
mischen Oumlffentlichkeit fuumlr Empoumlrung gesorgt Die entscheidende Frage ist jedoch welcheVeraumlnderungen der Perspektive auf Heideggers Denken insgesamt sich dadurch ergebenund ob damit zugleich eine Neubewertung des Gesamtwerks eines der einflussreichstenPhilosophen des 20 Jahrhunderts noumltig istldquoEine der Herausgeberinnen des Bandes Sidonie Kellerer ist zudem an einem anlaufenden
fuumlnf jaumlhrigen Forschungsprojekt an der Universitaumlt Stuttgart im Rahmen des StuttgartResearch Centre for Text Studies beteiligt Heidegger und die Postmoderne Geschichteeiner Irrefuumlhrungiquest Sie und der Stuttgarter Literaturwissenschaftler Claus Zittel werden Hei-deggers ideologische Verstrickungen in den Nationalsozialismus untersuchen die textlichrekonstruierbar aber nachtraumlglich geklittet worden waumlren bdquoSo konnte die Wissenschaft-lerin Dr Sidonie Kellerer anhand des Vortrages Die Zeit des Weltbildeslsquo erstmals 1950veroumlffentlicht [sic] dass zahlreiche Passagen nachtraumlglich so modifiziert wurden dass dieurspruumlngliche Apologie des Nationalsozialismus nunmehr als Kritik am Regime gedeutetwerden konnte Die 2014 erschienenen Schwarzen Heftersquo mit persoumlnlichen AufzeichnungenHeideggers bestaumltigen zudem wie tief verankert in seiner Philosophie Rassismus undNationalsozialismus waren und bliebenldquo(httpwwwuni-stuttgartdehkompresseservicepressemitteilungen201567_kellererhtmlzuletzt abgerufen am 1442016)
106 Von einer umfassenderen Analyse der Schriften Heideggers zur Technik muss aus Platzgruumln-den abgesehen werden Die Voumlrtraumlge vom Ge-stell der Technik der Kehre und dem Dingsind vor allem wegen ihres Publikationszeitraums interessant da sie direkt an die Dokumen-
26
dass Heidegger den Versuch der abgrenzungspolitischen Einflussnahmemacht ge-
maumlszlig der oben dargelegten Ressentiments die sich in einer Mythologisierung des
Abendlandes niederschlagen Um seinem Ideal des dichtenden Denkens als Philo-
sophieren nachzukommen will Heidegger diese Einschreibung des Abendlandes
mythopoetisch vollfuumlhren
Grundsaumltzlich ist Verbindung und Trennung Heideggers boumlser Schwarzer Hef-
te mit und von seiner guten Technikphilosophie das Schlachtfeld aktueller De-
batten Wie bereits darauf hingewiesen werden hier Schwarze Hefte und Veroumlf-
fentlichungen wie eben in Form der Bremer Vortraumlge als ein kontinuierlicher
Arbeitsprozess gesehen Es gibt insofern nur einen Heidegger und keine gespal-
tene Persoumlnlichkeit Die Siegener Philosophin Sodonie Kellerer stellt dies anhand
Heideggers Selbstsicht luzide dar
Seine immer wiederkehrende Beschwoumlrung des Werkeslsquo und seine an diver-sen Stellen der bislang vorliegenden Briefkorrespondenz artikulierten Be-muumlhungen dieses Werklsquo fuumlr die Nachwelt zu sichern [Kellerer bezieht sichhier ua auf Heideggers Briefwechsel mit seiner Frau der 2007 veroumlffentlichtwurde DS] verdeutlichen wie sehr er seine Texte als ein Ganzes verstandin dem keines der Teile entbehrliche Wiederholung geschweige denn irrele-vante Eroumlrterung ist107
Dabei allerdings wird die Frage offen bleiben mit welchem Maszlig er sich selbst ge-
faumlhrdet sah seine Ansichten oumlffentlich zu vertreten und welche Konsequenzen er
dabei fuumlrchtete Denn er musste die Vortraumlge kodieren ndash was er im Sinne der My-
thopoetik auch macht ndash und mit Einigem hinterm Berg halten108 Dass es dabei
verschiedene Offenbarungsebenen gibt wird hier erst einmal hingenommen Es
interessieren staumlrker nachweisbare Bezuumlge des Entwurfsdenkens Heideggers zur
Oumlffentlichkeitsarbeit von ihm109
te der Schwarzen Hefte anschlieszligen (1948 der letzte Band der Schwarzen Hefte umfasst denZeitraum 1942-1948)
107 Kellerer Sidonie Kampf der Besinnung In Deutsche Zeitschrift fuumlr Philosophie Band 63Heft 5 Seiten 941ndash957 hier S 942
108 Weshalb die Veroumlffentlichung der Schwarzen Hefte auch weitestmoumlglich nach hinten verlegtwurde
109 Wuumlrde man dem entgegenhalten dass Heideggers vermeintliches Genie aus Formalisierun-gen seiner Gedanken ableitbar eine wichtige Quelle an sich bliebe scheitert dieses damitdass nun die Formalisierungen nicht personenneutral sozial-epistemologisch bestehen koumln-nen Als Vergleich wuumlrde man aus Hitlers und Goumlbbels Reden Formalisierungen isolierenlieszlige sich bestimmt die eine oder andere plausible Idee entwenden (wenn sie voumlllig dekon-
27
Hierzu wird der Text der gesamten vier Vortraumlge unter dem Titel Einblick
in das was ist Bremer Vortraumlge 1949lsquo110 aus dem 1994 veroumlffentlichten 79 Band
der GA zugrunde gelegt Das hat den Grund dass davon ausgegangen wird dass
der Text somit am naumlchsten an den 1949 tatsaumlchlich vorgetragenen Manuskripten
liegt Insofern ist eine realistische Annaumlherung an eine mythopoetische Uumlbertra-
gung der Schwarzen Hefte in die Bremer Vortraumlge 1949 das Ziel Demgegenuumlber
gibt es ob der virulenten Publikationspraxis von Heideggers Schriften111 noch
andere Auskopplungen der vier Vortraumlgsteile mit den Titeln Das Dinglsquo Das Ge-
Stelllsquo Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo
31 Zur Publikationsgeschichte von den
Bremer Vortraumlgen 1949
Zuerst erschien 1954 im Neske-Verlag (Pfullingen) ein Sammelband der lediglich
den ersten Vortrag Das Dinglsquo enthaumllt allerdings in leicht erweiterter Fassung
so wie er ein halbes Jahr nach dem Bremer Auftritt in Muumlnchen (1950) an der
Akademie der Schoumlnen Kuumlnste gehalten wurde112 Dem Band hinzugefuumlgt ist aber
zudem ein Vortrag der vornehmlich die Kernaussagen von Das Ge-Stelllsquo und
Die Gefahrlsquo verbindet allerdings in modifizierter Form Dieser wurde unter dem
textualisiert wuumlrde) Ist aber die wahre Verbindung zu Hitler und Goumlbbels hergestellt hatman selbstverstaumldlich die Verantwortung zu tragen an dem ganzen Tross von unmoumlglichenVerfehlungen dieser Menschen die sie fuumlr uns zu Personae non gratae stempeln muumlssen
110 GA 79111 Hierauf macht auch der Darmstaumldter Philosoph Gernot Boumlhme aufmerksam als Akt ei-
ner bdquoposthumen Selbstinszenierungldquo in Boumlhme Gernot Selbstinszenierung uumlber Ruhmin der Philosophie In Information Philosophie (Online Ausgabe 12015) URL=lthttpwwwinformation-philosophiedea=1ampt=8232ampn=2ampy=5ampc=29gt zuletzt ab-gerufen am 2442016)
112 Heidegger Martin Das Ding In Ders Vortraumlge und Aufsaumltze Pfullingen 1954 S 163ff
28
Titel Die Frage nach der Techniklsquo113 am 18 November 1953 an der TUMuumlnchen
gehalten
Eine weitere Auskopplung diesmal des letzten Vortragsteils Die Kehrelsquo fin-
det sich in einem broschuumlrenformatigen Band wiederum im Zusammenspiel mit
dem Vortrag Die Frage nach der Techniklsquo in Die Technik und die Kehrelsquo114 von
1962 wieder Somit wurden die Vortraumlge Das Ge-Stelllsquo und Die Gefahrlsquo lange
Zeit nicht veroumlffentlicht sondern als vermischter und modifizierter Text eben
Die Frage nach der Techniklsquo jeweils zusammen mit Das Dinglsquo (1954) und Die
Kehrelsquo (1962) angeboten115 In der Vorbemerkung zu Die Technik und die Keh-
relsquo wird diese kleine Chronologie leicht verfaumllscht auch aufgezeigt Darin heiszligt
es ferner dass Die Frage nach der Techniklsquo eine erweiterte Fassung von Das Ge-
Stelllsquo waumlre Dem ist wie schon gesagt nicht so Sondern es ist eine modifizierte
Vermischung von Das Ge-Stelllsquo und Die Gefahrlsquo was unschwer zB am Begriff
vom bdquoHer-vor-bringenldquo116 zu erkennen ist der in Die Gefahrlsquo eingefuumlhrt wird
und in Die Frage nach der Techniklsquo die gleiche Bedeutungskonstituente bildet
Mit der Veroumlffentlichung des 79 Bandes der GA 1994 wurden alle vier Bremer
Vortraumlge von 1949 publiziert In Band 11 der GA erschien 2006 auszligerdem Die
Kehrelsquo in ihrer urspruumlnglichen Fassung Die Frage nach der Techniklsquo enthaumllt
weniger mythopoetische Teile als Das Dinglsquo und operiert demgegenuumlber staumlrker
anhand klassisch philosophischer Allgemeinplaumltze Derer sind vor allem zu nen-
113 Heidegger Martin Die Frage nach der Technik In Ders Vortraumlge und Aufsaumltze Pfullingen1954 S 9ff (Der Aufsatz erschien ebenfalls 1954 im Sammelband der Vortragsreihe DieKuumlnste im technischen Zeitalter Heidegger Martin Die Frage nach der Technik In DieKuumlnste im technischen Zeitalter Dritte Folge des Jahrbuchs Gestalt und Gedanke Hg v dBayrischen Akademie der Schoumlnen Kuumlnste Muumlnchen 1954 S 70ff)
114 Heidegger Martin Die Technik und die Kehre Pfullingen 1962115 Beide Baumlnde Votraumlge und Aufsaumltzersquo sowie Die Technik und die Kehrersquo haben hohe Aufla-
genzahlen (Uumlbersetzungen wurden hier nicht recherchiert wobei es aber eine internationa-le Heidegger-Rezeption gibt) 1993 wurde der Pfullinger Neske-Verlag von dem StuttgarterHaus Klett-Cotta uumlbernommen was die Buumlcher aber unveraumlndert belaumlsst Vortraumlge und Auf-saumltzelsquo zaumlhlt seit 2009 die 11 Auflage Die Technik und die Kehrelsquo seit 2014 die 13 BeideBaumlnde sind vergriffen Es mutet unverstaumlndig an weshalb eine fehlerhafte Jahresangabe ausder ersten Veroumlffentlichung von Die Technik und die Kehrelsquo bis 2014 kolportiert wurdeDort steht der Vortrag Die Frage nach der Techniklsquo waumlre am 18 November 1955 gehaltenworden Der Vortragstermin war aber am 18 November 1953
116 Vgl GA 79 S 64 Und Heidegger Die Technik und die Kehre S 11
29
nen die Auflistung der bdquovier Ursachenldquo117 nach Aristoteles und die Kritik an der
Technik als bdquoein Mittel zu Zweckenldquo118 (Kausalitaumlt)119
Der Vortrag Das Dinglsquo galt Heidegger bei der Darbietung seiner Technikphi-
losophie nach dem Zweiten Weltkrieg allerdings als unentbehrlich ndash und damit
seine groszligflaumlchige Aufblaumltterung der Mythopoetik wie im folgenden Kapitel hier
gezeigt wird Denn im Vortrag Die Frage nach der Techniklsquo benutzt Heideg-
ger noch immer seinen mythopoetischen Topos vom Versammeln des Gebirges
der mit dem Versammeln eine Konstituente des Gevierts ist (bdquoErde und Himmel
die Goumlttlichen und die Sterblichenldquo120) (su)121 Fuumlr die Kaumlufer und Leser von
der spaumlteren Veroumlffentlichung Die Technik und die Kehrelsquo wird zudem in Die
Kehrelsquo extra auf den Vortrag Das Dinglsquo in der 1954er Ausgabe in Vortraumlge und
Aufsaumltzelsquo verwiesen122 Das zeigt wie wichtig und unerlaumlsslich Heidegger seine
mythopoetische Denkweise der Technik ist Auch wenn er in Die Frage nach der
Techniklsquo einen allgemeineren und offeneren Ansatz entwickelt hat der dadurch
auch leichter zu erschlieszligen ist
32 Die mythopoetische Spiegelung der Schwarzen
Hefte in den Bremer Vortraumlgen von 1949
321 Das Dinglsquo
In dem Vortrag Das Dinglsquo der 1949 vor dem privaten Club zu Bremen dort im
Neuen Rathaus das Vortragsquartett einleitete fuumlgt Heidegger mythopoetisch
zusammen was folgenden Topoi seiner Schwarzen Hefte aus Kap 221 entspricht
117 Heidegger Die Technik und die Kehre S 6118 Ebd S 6119 Diese Topoi versucht Heidegger in dem Text zu zersetzen und ihnen ein aletheisches Prin-
zip des Entbergens der Technik entgegenzusetzen Dies erfolgt wiederum auch anhand derVerwendung von mythopoetischen Teilen Darauf kann hier aber nicht weiter eingegangenwerdenAls weitere Gemeinsplaumltze (die er teils unterstuumltzend teils zur Zersetzung einfuumlgt) handelt
der Text auch mit Zitaten von Platon Heisenberg J P Hebel und Goethe120 Ebd S 12121 Vgl GA 79 S 11 Und Heidegger Die Technik und die Kehre S 19122 Vgl Heidegger Die Technik und die Kehre S 42f
30
1 die antirationale Wissenschaftsfeindlichkeit 2 der Mythos des Goumlttlichen 3
das Griechentum uumlber dem Roumlmertum 4 die Zahlenmystik (anhand des Spiegel-
Spiels des Gevierts ndash su) 5 das geschichtsbesinnliche Prinzip der Aletheia
Heidegger stellt zuerst die Frage nach dem Ding und will sie daraufhin ver-
anschaulichen mittels der Metapher des Kruges dh mit dem Krug als ein exem-
plarisches Ding Er fuumlhrt dann vor (was der Geste eines Zauberkuumlnstlers aumlhnelt)
wie der leere Krug gefuumlllt wird ndash Luft weicht der Fluumlssigkeit Dieses Sachverhaumllt-
nis aber ist fuumlr ihn Halbpoesie und eine Angabe aus der Physik sie verfehle das
vermeintliche Wesen des Kruges
Die Wissenschaft stellt durch sie [die Angabe der Physik DS] etwas Wirk-liches vor wonach sie sich objektiv richtet Aber ndash ist dieses Wirkliche derKrug Nein DieWissenschaft trifft immer nur auf das was ihre Art des Vor-stellens im vorhinein als den fuumlr sie moumlglichen Gegenstand zugelassen hat[] Die Wissenschaft macht das Krug-Ding zu etwas Nichtigem insofernsie Dinge nicht als das Maszliggebende zulaumlszligt123
Als ein wirkmaumlchtiges Beispiel das ihm sicherlich viel Beachtung uumlber die
Jahrzehnte seit ihrer Zuumlndung in Japan hinweg einbrachte fuumlhrt Heidegger die
Atombombe an Diese sei zu verstehen als verdinglichte Wissenschaft die das
Ding vernichten wuumlrde
Deren Explosion ist nur die groumlbste aller groben Bestaumltigungen der langherschon geschehenen Vernichtung des Dinges dessen daszlig das Ding als Dingnichtig bleibt124
Er buumlndelt damit Wissenschaft und Verkennung des Wesens als maszliggebend mit
dem Ding als sein machenschaftliches Prinzip der zerrechnenden Zerstoumlrung Drei
Jahre nach Kriegsende war der buumlrgerlich-elitaumlre Kreis in Bremen sicherlich be-
wegt von dieser Wortgewalt Diese jedoch suchte ja ihr Heim Harmonie Ruhe
in dem Haus als Wesen der Sprache
Und so faumlhrt Heidegger fort und ersetzt das physikalische Prinzip des Inhalts-
wechsels von Luft zu Wein in ein bdquoGeschenk des Gussesldquo als Spende und Opfer
den Goumlttern (2)125
123 GA 79 S 8124 Ebd S 9125 Vgl Ebd S 11f
31
Der Guszlig ist der den unsterblichen Goumlttern gespendete Trank [] Der ge-weihte Trank ist das was das Wort Guszliglsquo eigentlich nennt Spende und Op-fer Guszliglsquo gieszligenlsquo lautet griechisch χέειν indogermanisch ghu Das bedeu-tet opfern
Hier spielt bereits der Ursprungsmythos der Griechenmit ein (3) es ist aber auch
ein Bezug auf das Geviert Dieses waumlre ein System ein zusammen Gestelltes aus
bdquoErde und Himmel die Goumlttlichen und die Sterblichenldquo126 Im Guszlig des Trunkes
weilten gemeinsam diese Vier als emblematische Verbindung
Das im Geschenk Versammelte sammelt sich selbst darin das Geviert ereig-net zu verweilen Dieses vielfaumlltig einfache Versammeln ist das Wesen desKruges Unsere Sprache nennt was Versammlung ist in einem alten WortDies lautet thing127
Das Geviert zehrt von der Zahlenmystik zum einen als die Versammlung der
vier Begriffe an sich zum anderen da Heidegger ihnen eine Spiegel-Funktion
zuschreibt bdquoJedes der Vier spiegelt in seiner Weise das Wesen der uumlbrigen wie-
derldquo128 und ferner weil er damit auf sich selbst dh auf sein Vortrags-Geviert
verweist (4) Wie in Kap 21 schon gesagt lebt der Mythos von seiner Verbind-
lichkeit Diese legt Heidegger allen nah die sie verinnerlichen wollen bdquoSagen wir
die Sterblichen dann denken wir falls wir denken die anderen Drei mit aus der
Einfalt der Vierldquo129
Sollte der Vollzug der Praxis des sukzessiven Mitdenkens aller vier Geviert-
Entitaumlten gelingen koumlnnte das Ereignis der Aletheia begriffen werden (5) bdquoDas
Spiegel-Spiel von Welt ist der Reigen des Ereignensldquo130 Diese wird aber auch be-
griffen in Abgrenzung von dem Roumlmertum (3) denn in der bdquorealitas der resldquo
haumltten die Roumlmer bdquoihr Erfahrenes niemals eigens in seinem Wesen gedachtldquo131
Das waumlre den Griechen vorzubehalten und vom verstaumlndig denkenden Deutschen
wiederzubeleben
126 Ebd S 12127 Ebd S 13128 Ebd S 18129 Ebd130 Ebd S 19131 Ebd S 15
32
Der Krug ist ein Ding weder im Sinne der roumlmisch gemeinten res noch imSinne des mittelalterlich vorgestellten ens noch gar im Sinne des neuzeitlichvorgestellten Gegenstandes [] Der Krug ist Ding insofern er dingt132
Die Bindung an das deutsche Wort bdquoDingldquo das er spielerisch auch ins Englische
Romanische und Franzoumlsische uumlbersetzt ist unerlaumlsslich fuumlr seine ethymologi-
sche Argumentation In der ist der bdquoGuszligldquo ruumlckgefuumlhrt auf indogermanisch bdquoghuldquo
und das bdquoDingldquo auf das mittelhochdeutsche bdquothingldquo So konnten antik die Roumlmer
von den Griechen abgrenzt werden und modern die anderen drei Sprachen vom
Deutschen Das englische sich sehr nah am bdquothingldquo befindliche bdquothingldquo wird mit
dem Roumlmischen ausgespielt
Im Englischen hat thing noch die erfuumlllte Nennkraft des roumlmischen Wor-tes res bewahrt [] dh ein aus sich kommendes den Menschen Angehen-des133
Fuumlr Heidegger geht es beim bdquothingldquo aber um die mittelhochdeutsche Uumlbersetzung
der Versammlung Darauf beruht sein gesamter Systemansatz mit Geviert und
Ge-stell
Schulz-Nieswandt fuumlhrt diese Zusammenstellung zum Bejubeln von Heideg-
gers Mythopoetik
So fundamental sieht Heidegger die Welt Die Quelle des Wassers wird zurHochzeit von Himmel und Erde das Gieszligen des Wassers aus dem Krugzum Geschenk Auch Sprache ist daher kein Instrument sondern Ort desWohnens des Menschen Sprache wird zum Haus des Seinslsquo134
Hier bestaumltigt die Untersuchung des Ding-Vortrags die These von einer mytho-
poetischen Einschreibung der nationalistischen voumllkischen Abgrenzungs-Mythologie
aus den Schwarzen Heften
322 Das Ge-Stelllsquo
Der zweite Vortrag des Reden-Gevierts setzt ein mit der Metapher des fehlen-
den Abstands Wo kein Abstand sei da waumlre auch keine Naumlhe so Heidegger Er
132 Ebd S 16133 Ebd S 14134 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei Walter
F Otto S 59
33
verbindet die Abstandslosigkeit mit Urbanitaumlt und Verkehr alles fluktuiere Es
waumlre der Bestand der sich bestelle in dem das Abstandlose herrsche Das sind
neue Metaphern fuumlr die Machenschaft In seiner Erzaumlhlung vom Ge-Stell gibt es
bedeutend weniger mythopoetische Passagen als in dem vorangegangenen Vor-
trag Allerdings uumlbertraumlgt er den mythopoetischen Gehalt der Rede vom Ding
bereits im ersten Absatz von Das Ge-Stelllsquo mit dem Credo bdquoNaumlhe west insofern
das Ding dingtldquo135 Mit dieser Verbindung wird klar unter welchem Zeichen Hei-
degger die Rede vom Ge-Stell verstanden wissen will ndash als verlorenes Verhaumlltnis
des voumllkisch-traditionell verwurzelten Menschen mit den vermeintlichen Wesen
all seiner Gebrauchsobjekte in der mythopoetischen Formel des sich spiegelnden
Gevierts
Nahezu nuumlchtern erzaumlhlt Heidegger dann von dem Gefaumlngnis des Menschen
im Wesen der zirkulierenden sich immer neu bestellenden Bestandstechnik des
Ge-Stells Dabei scheinen folgende Mythen aus den Schwarzen Heften hindurch ndash
1 bdquoHistorie die Technik der Geschichtelsquo Technik die Historie der Naturlsquoldquo136
2 das historische Tier 3 der Appell an den Auftrag des Deutschen 4 der geschicht-
liche Mensch muss die Historie und damit die Technik uumlberwinden und 5 die
alles zernichtende Machenschaft des juumldischen Wesens
Den Topos der seinsvergessenen Groszligstadt jedenfalls kontrastiert er mit der
Bauerndorfidylle Da aber bdquodas Abstandlose herrschtldquo137 waumlre das Vorruumlcken der
Maschinentechnik bereits universell So in Form des Traktors Schon in Band
96 der Schwarzen Hefte beklagt er dieses bdquozum elektrischen Pflug [] gehoumlrt
das amerikanisch aufgemachte Magazinlsquoldquo Insofern erfolge die bdquoAngleichung der
Sitten der Bergbewohner an diejenigen des groszligstaumldtischen Sport- und Barbe-
triebsldquo138
Sein erster Land-Stadtvergleich betrifft den Bauern dessen Totenruhe tradi-
tionell in einem sg bdquoTotenbaumldquo (Sarg) stattgefunden haumltte ndash bdquoIn ihm gedeiht
der Tod des Totenldquo139 Dem gegenuumlber klingt in der bdquomotorisierten Bestattungs-
135 GA 79 S 24136 GA 95 S 351137 GA 79 S 24138 GA 96 S 54139 GA 79 S 26
34
industrie der Groszligstadtldquo140 bereits Heideggers pietaumltsloser Gaskammernvergleich
an
Ackerbau ist jetzt motorisierte Ernaumlhrungsindustrie im Wesen das Selbewie die Fabrikation von Leichen in Gaskammern und Vernichtungslagerndas Selbe wie die Blockade und Aushungerung von Laumlndern das Selbe wiedie Fabrikation von Wasserstoffbomben141
Hier wird davon ausgegangen dass es eine Uumlbertragung der Notizen uumlber
das deutsche Land als bdquoeinziges KZldquo ist die Unterdruumlckung des deutschen Vol-
kes durch die bdquoWeltdemokratieldquo die schlimmer sei als die Graumlueltaten der bdquoGas-
kammernlsquoldquo142 In die mythopoetische Formel von dem dingenden Ding aus dem
ersten Vortrag sind alle Valenzen eingeschrieben die es zur Aufgabe des abendlaumln-
dischen Deutschen (also als Nachfolger der alten Griechen) machen das Wesen
des Dings und somit der Technik zu huumlten Die Verantwortung fuumlr Genozid
Massenvernichtungswaffen und den Mangel im Nachkriegsdeutschland schreibt
Heidegger gleichfoumlrmig dem Prinzip der Abstandslosigkeit zu
Auch die Rede von der Habgier des Berechnenden ist ein bereits bekannter
Vorbehalt Heideggers anhand der Rede vom raffgierigen Juden Denn er sagt von
der bdquoHerrschaft des Abstandlosenldquo dass sie bdquodie Hab-gier des vorstellenden Be-
rechnensldquo waumlre143 Das entspricht seinem Mythos von der alles zernichtenden
Machenschaft des juumldischen Wesens144
Dann folgt eine lange Elegie uumlber das Bestellen des Bestands des Ge-Stells
bdquo[d]ie Kette des Bestellens laumluft auf nichts hinaus sie geht vielmehr nur in ihren
Kreisgang hineinldquo145 uumlber 19 Seiten des 21 seitigen Vortragsexts hinweg entwirft
Heidegger diverse Bilder wie das Ge-Stell die Natur das Hergestellte den Men-
schen und das Verstandesmaumlszligige vereinnahme und das Wesen desDings gleichsam
zur Veruntreuung bringen wuumlrde Wiederum poetisch orientiert kontrastiert also
140 Ebd141 Ebd S 27142 GA 97 S 99f143 Vgl GA 79 S 25144 Vgl Machenschaft hier S 29 und Geraff hier S 33145 GA 79 S 29
35
Heidegger Houmllderlins Hymne Der Rheinlsquo mit dem Rhein dessen Stroumlmung fuumlr
ein Stromkraftwerk genutzt wird
Achten wir um das Ungeheure das hier waltet zu ermessen nur auf einenAugenblick auf den Gegensatz der sich in den beiden Titeln ausspricht DerRhein verbaut in das Kraftwerk ndash der Rheinlsquo gesagt in der gleichnamigenHymne Houmllderlins146
Die Differenz also waumlre das Ungeheure147 Dabei waumlre der Rhein verbaut in das
Kraftwerk Aumlhnlich wie Kohle Erze und Rohoumll waumlren sie Bestand der bdquobesteht
im Bestellenldquo ndash bdquoDas Bestellen waumlre demnach lediglich eine Machenschaft des
Menschen vollzogen in der Weise der Ausbeutungldquo148
Das Bild des Wasserkraftwerks wird erweitert um den Begriff des Menschen
Elektrizitaumlt mit Wasserkraft erzeugen bdquokoumlnnen die Menschen [] nur insofern
sie selber schon in dieses Bestellen bestellt sindldquo149 Mit diesem Bild versucht Hei-
degger praktisch zu veranschaulichen dass Entwurf Umsetzung und Einsatz ei-
ner technischen Anlage den Menschen in ein entruumlcktes Verhaumlltnis zum Wesen
des dingenden Dings setze ndash bdquoDer Mensch ist darum der Angestellte des Bestel-
146 Ebd147 Das ist zusaumltzlich zu dem gemeinten Gegensatz ein Vergleich mit dem Heidegger dem Wort
bdquoRheinldquo in die Hymne Der Rheinlsquo gesprochen eine Energie erzeugende Wirkung zu-schreibt eben so wie das Kraftwerk Strom erzeugen wuumlrde Das wird klar dadurch dassHeidegger metaphorisch vom Stellen des Wortes bdquoRheinldquo in die Hymne spricht Es handeltsich um einen Appell zur denkerischen Besinnung Dass Heidegger dafuumlr eine technischeAnlage zur Veranschaulichung inspirierend wirken laumlsst spielt bereits in die Richtung derBegriffe bdquoHer-vor-bringenldquo bdquoEntbergenldquo und spielt auf das Alteheia-Prinzip an Darauf wirdweiter unten anhand Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo eingegangen werden Es handelt sich umdas Angebot eines mythopoetischen Umgangs mit Technik insbesondere wenn sie sich inheimische Gefilde einfuumlgtHeute koumlnnte man mit Windraumldern ebenso verfahren Somit koumlnnte aber auch Heidegger
als ein gewisser Quijana aus Mancha verstanden werden eben der Protagonist aus Miguel deCervantes Roman Don Quichote von der Manchalsquo der mit seinem von ihm flux auch um-benannten Klepper (weil er zuvor sich selbst in Don Quichote umtaufte) Rocinante Riesenbezwingen will um mit dieser Heldentat unsterblichen ritterlichen Ruhm zu erstreitenAuch Don Quichote fand seine Riesen in Windmuumlhlen und auch Don Quichote war uumlber
eine uumlbertriebene Auseinandersetzung mit einer verschuumltteten Kultur dieser verfallen undsuchte diese in seiner Aventuumlre zu reaktualisieren Martin Heideggers mythopoetisches Pro-gramm ist tatsaumlchlich stark mit Don Quichotes Motiv vergleichbarFerner waumlre eine Auseinandersetzung mit Heideggers Werk unter Beruumlcksichtigung sei-
ner Gewichtung der Vorsokratiker und Houmllderlin als mythopoetischen Autor eine moumlglicheForschung zum Thema Anachronismen in Konzepten von Moral und gesellschaftlicher An-gemessenheit (Vgl Cervantes Miguel de Don Quichote von der Mancha Herausgeben unduumlbersetzt v Susanne Lange Muumlnchen 2008 S 33f)
148 GA 79 S 29149 GA 79 S 30
36
lensldquo150 Schon vorher wies Heidegger darauf hin bdquo[d]ie Herrschaft des Gegen-
staumlndigen sichert nicht den Abstandldquo151 Jetzt heiszligt es
Das Bestellen befaumlllt nicht nur die Stoffe und Kraumlfte der Natur mit Gestel-lung Das Bestellen befaumlllt zugleich das Geschick des Menschen Das Wesendes Menschen wird daraufhin gestellt das Bestellen in menschlicher Weisemitzuvollziehen152
Der Begriff des Ge-Stells wird daraufhin so konstruiert dass es im Bestellen
um ein Stellen (Herausfordern) alles bdquoAnwesenden als Bestandldquo als bdquoversus unumldquo
gegen bdquodas Eine Ganzeldquo gehe153 In wiederum mythopoetischer Formulierung ge-
baumlre die bdquoVersammlung des Stellens worin alles Bestellbare in seinem Bestand
west das Ge-Stellldquo154 Der Begriff bdquoVersammlungldquo wird einen Absatz zuvor my-
thopoetisch wieder an die Versammlung also das thing eben das wesenhafteDing
angelehnt und somit wie zu Das Dinglsquo bereits oben erlaumlutert in einen deutsch-
abendlaumlndischen Kontext gestellt (3)
Wir nennen die Versammlung der Berge die von sich her einig und nienachtraumlglich schon gesammelt ist das Gebirge Wir nennen die Versamm-lung der Weisen nach denen uns so zumute ist und sein kann das Gemuumlt155
Allerdings ist obiges Versammlungsmodell hier als Kontrast zu sehen zu dem
bdquoGeraff des Getriebesldquo das das Ge-Stell darstellt als bdquoWesen der Technikldquo156 Hei-
degger sieht in der Gleichfoumlrmigkeit die zum Wesen des Technik als Ge-Stell
150 GA 79 S 30151 GA 79 S 25152 GA 79 S 31153 Vgl GA 79 S 32154 GA 79 S 32155 Ebd
Das Wort ldquoGemuumltrdquo hat ferner eine ausschlieszliglich deutsche Praumlgung gibt es doch keinedirekte Uumlbersetzungen Gemuumlth ist ferner ein nicht eindeutig umrissener Begriff (Vgl Kra-mer Cheryce A Foolrsquos Paradise The Psychiatry ofGemuumlth in a Biedermeier Asylum Chica-go 1998 S 19) Die Bedeutung im Deutschen selbst ist zudem sehr variabel hat aber zumeistmit Seelen- oder Geistkonzepten zu tun ndash Cheryce von Xylander (geb Kramer) uumlbersetztGemuumlth mit bdquosoul-organldquo (ebd S 43) das von diversen Autoren unterschiedlich konstru-riert wird (zB von Kant geistigkoumlrperlich und von Kleist individuellkollektiv (vgl ebdS 41)) In Heideggers emblematischem Duktus scheint eine Vermischung von allen vier Di-mensionen geistigkoumlrperlich wie auch individuellkollektiv stattzufinden Es ist auf jedenFall dem Mythos geschuldet den Auftrag des Deutschen anzunehmen (3)
156 GA 79 S 33
37
gehoumlre die planetarische Abloumlsung und Aufhebung des traditionellen und damit
wesenhaft ans Ding gebundenen Verhaumlltnisses vom Menschen zur Erde (das von
ihm idealisierte voumllkische Bauerntum das Bestellen des Ackers) bdquoDie Bestand-
Stuumlcke sind Stuumlck fuumlr Stuumlck die Gleichenldquo157 So kontrastiert er alte Handwerks-
techniken mit Maschinentechnik und schreibt der Maschinentechnik die machen-
schaftliche Verdraumlngung als Geraff zu
Das Ge-Stell hat auch wenn das nicht unmittelbar und nicht sogleich ver-nehmlich wird im vorhinein schon alle diejenigen Stellen beseitigt an denenvormals Spinnrad und Wassermuumlhle standen Das Ge-Stell bestellt durch sei-ne Maschinerie zum voraus eine andere Art und Ordnung von Stellen Andiesen kommt nur zu Stand was als Bestellbares auf der Stelle gleichfoumlrmigzur Stelle steht
Darum ist auch die Art wie die Maschine selbst etwas herstellt einewesentlich andere als das handwerkliche Tun gesetzt daszlig es innerhalb desGe-Stells uumlberhaupt noch so etwas wie ein Herstellen gibt
Die Traktoren und Kraftwagen werden herausgebracht ausgeworfen se-rienweise Stuumlck fuumlr Stuumlck Wo drauszligen steht dieses so Herausgestellte Wo-hin in welchen Stand ist es gebracht158
In dieser Klage uumlber den technischen Wandel der durch den Fortschritt in
alle Lebensbereiche Einzug haumllt versucht Heidegger zu veranschaulichen wel-
chen Verlust es zu erkennen gelte Ein Versuch diesem entgegen zu treten ist die
von ihm vorgetragene Mythopoetik die er in diesem Vortragsteil seines Vortrags-
Gevierts allerdings auffaumlllig zuruumlckgestellt sein laumlszligt War der Einleitungsteil Das
Dinglsquo schlieszliglich eine nahezu einzige mythopoetische Darbietung Dramatur-
gisch wird Heidegger in Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo die mythopoetischen For-
mulierung als Loumlsungswege wieder Bedeutung geben In Das Ge-Stelllsquo versucht
Heidegger hingegen Vorstellungen aus seinen Schwarzen Heften aumlhnlich der fol-
genden mitzuteilen die das Uniforme Gleichfoumlrmige betreffen
Die Macht der Machenschaft ndash die Vernichtung sogar der Gottlosigkeit dieVermenschung des Menschen in das Tier die Vernutzung der Erde die Ver-rechnung der Welt ndash ist in den Zustand der Endguumlltigkeit uumlbergegangenUnterschiede der Voumllker Staaten Kulturen sind nur noch Fassade159
157 GA 79 S 36158 GA 79 S 35159 GA 96 S 52f
38
Was Heidegger unter dieser Gleichfoumlrmigkeit versteht schreibt er in den Schwar-
zen Heften zumeist den Amerikanern zu Er nennt es auch haumlufig Planetarismus
Der Amerikanismus [ist DS] die Zusammenraffung von Allem welcheZusammenraffung immer zugleich die Entwurzelung des Gerafften bedeu-tet160
Der Planetarismus ist die historisch gedachte Bestimmung der uumlberall glei-chen die ganze Erde uumlberdeckenden Seinsverlassenheit des Seienden161
Die Gegenuumlberstellung von natuumlrlicher und traditioneller Handwerkstechnik
gegen maschinenhafte Gleichfoumlrmigkeit exemplifiziert Heidegger dann im Vor-
trag Das Ge-Stelllsquo vielfach wie zum Beispiel hier
Der Forstwart zB der im Wald das geschlagene Holz vermiszligt und demAnschein nach noch wie sein Groszligvater in der gleichen Weise die selbenWege geht ist heute von der Holzverwertungsindustrie gestellt Er ist ober es weiszlig oder nicht in seiner Weise Bestand-Stuumlck des Zellulosebestandesund dessen Bestellbarkeit fuumlr das Papier das den Zeitungen und illustrier-ten Magazinen zugestellt wird die uumlber die Oumlffentlichkeit daraufhin stellenverschlungen werden162
160 GA 96 S 257161 GA 96 S 261162 GA 79 S 37f
Die renommierte Theaterautorin Elfriede Jelinek karikiert in ihrem Stuumlck Totenaubergvon 1991 Heideggers Konstrukt von Heimat und Fortschrittsfeindlichkeit verbunden miteiner Auseinandersetzung mit dessen Liebschaft zu Hannah Arend Mit philologischer Prauml-zision polemisiert sie Teile aus Heideggers Elegie uumlber die Technik und laumlszligt ihn dabei alsbeschraumlnktes und eingezwaumlngtes Wesen in einem Gestell gefangen sein Aus diesem heraussoll er Arend Rede und Antwort stehen uumlber sein Verhaumlltnis zum Nationalsozialismus unddie Shoa Doch dieser redet nur naturtrunken von Heimat und berauscht sich daran Derprophetische Denker wird banalisert ndash diese Worte legt Jelinek ihm (im Stuumlck der alte Mann)in den MundbdquoDie Angst vor dem Fragen liegt uumlber dem Abendland Sie bannt die Kandidaten auf ein
Team-Leibchen verbannt sie auf altgewordene Wege und jagt sie zuruumlck ins morsch geworde-ne Gehaumluse ihrer Tore wo es um ihre Ausscheidungen geht Es wird ihnen alles weggenom-men werden auch der Weg selbst Keine Spur kein Lichtschein aus den Ritzen Aber ruf ichin die Huumltte um nach einem zu fragen den ich gekannt hab sehe ich grad noch eine Tuumlrsich schlieszligen Der Wald kommt nicht zur rechten Geltung alles ist entflohen was mir liebwar und woran ich geglaubt hab Was kommt ist noch nicht da Nichts war Ich habe nichtsgehoumlrt Ich erinnere mich nicht aber ich stelle dem Kommenden das mich den lupenreinenAmateur schon vor Beginn des Rennens erlahmen laumlszligt vorsorglich die Hausschuhe vor dieTuumlr Sie sind das Einzige was die Profis des Profits von mir dann vorfinden werden wennsie anklopfen Die Haumlrte des Urgesteins sollte sie nicht entmutigen Die Jahreszeiten machendie Landschaft auf und zu Ich sage nur In dieser scheinbaren Leere will ich vom Denkenmuumld nur schlafen Von der Huumltte aus lassen sich Wanderungen unternehmen Aber auchsonst wird Ihnen alles wie ich sagte genommen werden Auch Ihre Fotos und Namen Unddas Gewesene wird wesenlosldquo ( Jelinek Elfriede Totenauberg Hamburg 1991 S 86f)
39
Die Oumlffentlichkeit ist fuumlr Heidegger ein Topos der dem Denken und Besinnen
entgegenstuumlnde Somit meint er damit zum Einen die Medien wie er es anhand
der Rede von den Bestandstuumlcken in Das Ge-Stelllsquo erklaumlrt wo der Mensch als
Urheber des Ge-Stells als Wesen der Technik nicht gelten soll Vielmehr wuumlrde er
in Ratlosigkeit und Langeweile verfallen weil er in der Bestellung des Bestandes in
Form von Bestandstuumlcken vom Rundfunk keine Besinnung mehr faumlnde dh das
Ganze also wiederum daswesentliche Ding nicht mehr zu fassen vermoumlge163 Und
so toumlnt es bereits aus den Schwarzen Heften von 19391940()
Die Bildlsquo und Tonlsquo ndash Reportagenlsquo der Machenschaft ist der planetari-sche Mythuslsquo des Vollendungsabschnittes der Neuzeit Die Welt des abge-legensten deutschen Bauernhofes wird nicht mehr durch [] die Naturlsquobestimmt in der noch die Erde waltet sondern durch das illustrierte Blattmit der Darstellung von ausgezogenen Tanzweibern von Boxern und Renn-fahrern und sonstigen Heldenlsquo des Tages164
Und ferner notierte Heidegger 1946 in seinen Schwarzen Heften
Uumlberall zerrt es aus dem Oumlffentlichen ins Oumlffentliche mit vielen Strickenund jeder sieht das kaum versuchte Denken des Seyns am Leitband seinesStrickes165
Dabei waumlre eben ein bdquoLiterat [] ein in die Oumlffentlichkeit verliebter Mensch der
Angst vor dem Denker hatldquo166 Dieses liefe dann darauf hinaus dass beim Rund-
funk bdquoein Bestellen und Stellen waltet das in dasWesen des Menschen eingegriffen
hatldquo167
Abermals nach dem Wesen der Technik also nach dem Ge-Stell gefragt geht
Heidegger auf seine Unterscheidung vonNatur undNaturwissenschaft ein bdquo[w]elches
ist das Verhaumlltnis zwischen der Technik und der Naturldquo168 Natur wuumlrde in wis-
senschaftlicher Hinsicht unter das Berechnete fallen sie wuumlrde bdquoals das in Maszlig
und Zahl gestellte Wirkliche vorgestellt das in seinem Gewirkten staumlndig an-
westldquo169 Wenn Heidegger dann Natur aus technischer Sicht bdquoals ein System des
163 Vgl GA 79 S 38f164 GA 96 S 54165 GA 97 S 100166 GA 97 S 126167 GA 79 S 39168 GA 79 S 41169 Ebd
40
Bestellens von Erfolgen aus dem gestellten Wirksamenldquo170 charakterisiert spricht
er von seiner Rede der Verschraumlnkung von Historie und Technik ndash bdquoTechnik die
Historie der Naturldquolsquo171 Dieses ist bekanntlich das seinsvernichtende Gegenstuumlck
zur geschichtlichen Besinnung Denn geschichtliches Walten der Technik ist fuumlr
Heidegger technische Geschichte dh verwissenschaftlichte Geschichte die da-
durch ihr Wesen verloren haumltte (Seynsvergessenheit)172 So heiszligt es in den Schwar-
zen Heften von 1947
Ein Zeitalter das historisch geworden ist dh technisch planend sich selberberechnet und alles in diesen Sog zieht muszlig jede Besinnung nur als eine dervielen Formen der Intellektualitaumlt registrieren173
Heidegger schlieszligt den Vortrag mit dem Aufgriff der Anfangsbehauptung
bdquo[d]er Bestand bestellt das Abstandsloseldquo174 Somit liegt das Problem der ausblei-
benden Naumlhe durch die Technik deren Wesen das Ge-Stell waumlre das den Bestand
bestelle in der Luft Dass dabei der Mensch sogleich Teil des Bestandes und nicht
Teil der Maschine wird laumlsst ihn das historische Tier sein (2)
Der Mensch ist auswechselbar innerhalb des Bestellens von Bestand []Gleichwohl gehoumlrt der Mensch in einer voumlllig anderen Weise in das Ge-Stellals die Maschine DieseWeise kann unmenschlich werden DasUnmenschlicheist jedoch immer noch unmenschlich Der Mensch wird nie zur MaschineDas Unmenschliche und noch Menschentuumlmliche ist freilich unheimlicherweil boumlsartige und verhaumlngnisvoller denn der Mensch der nur Maschine wauml-re175
Wen Heidegger hier ersinnt ist der neuzeitliche Mensch der den bdquoGoumlttern uner-
traumlglich gewordenldquo176 waumlre
170 Ebd171 GA 95 S 351172 In Heidegger Die Technik und die Kehre S 21 stellt er Geschichte und Historie einander
gegenuumlber was er in Das Ge-Stelllsquo nicht vollzieht bdquoDie moderne Technik kam doch erst inden Gang als sie sich auf die exakte Naturwissenschaft stuumltzen konnte Historisch gerechnetbleibt dies richtig Geschichtlich gedacht trifft es nicht das Wahreldquo Signifikant fuumlr Heideg-gers Attributierung so wie sie oben schon geschildert ist steht Historie fuumlrs Rechnen undGeschichte fuumlr das Denken
173 GA 97 S 508174 GA 79 S 44175 GA 79 S 37176 GA 94 S 236
41
323 Die Gefahrlsquo
Aus Heideggers Darlegung uumlber das Ge-Stell erschlieszligen sich seine diversen Fa-
cetten der Vorstellung einer Abstandslosigkeit schaffenden Technik Dass die Ab-
standslosigkeit dem Prinzip des Gevierts des Zusammengestellten entgegensteht
bekommt im Vortrag Die Gefahrlsquo Nachdruck Die mythopoetische Erzaumlhlung
knuumlpft an den Vortrag Das Dinglsquo an mit den Mythologemene 1 Der Mythos
des geschichtlich sein muumlssens 2 der Mythos des Goumlttlichen 3 das geschichtsbe-
sinnliche Prinzip der Aletheia Zudem wird im Prozess des Vortrags das Ge-Stell
zur Gefahr stilisiert was einen eigenen Mythos erschafft
Durch das bdquouniversale Bestellen des Ge-Stellsldquo177 werde die naumlhernde Naumlhe des
Dings verwehrt Wie im Vortrag Das Dinglsquo fuumlhrt Heidegger das Wesentliche sei-
ner Theorie auf die deutsche und altgriechische Sprache zuruumlck Die so vollzoge-
ne Annaumlherung von Schwarzwaumllderischem Dialekt und Altgriechisch entspricht
Heideggers Traum von dem bdquogeschichtliche[n] Geburtsort des abendlaumlndischen
Wesensldquo178 den seine Heimat von Todtnauberg bis Freiburg stiften sollte (1)
es ist das Geistvolle und zugleich das erdenhafte schoumlne Land Es birgt un-sichtbaren Reichtum dem Gemuumlt bewahret tiefstes Dichten und houmlchsteGestalt der Sage179
Unter diesem Vorzeichen also sagt Heidegger
Das Ge-Stellwesen laumlszligt das Ding ohne die Wahr Das Wort die Wahrlsquo be-deutet in unserer Sprache dort wo sie noch urspruumlnglich spricht die HutIn unserer schwaumlbischen Mundart meint das Wort die Wahrlsquo die der muumlt-terlichen Hut anvertrauten Kinder Das Ge-Stell laumlszligt in seinem Stellen dasDing ohne die Hut ndash ohne die Wahr seines Dingwesens180
Diese in Bremen vorgetragene Heimatkunde ist auch Heideggers Sorge ge-
schuldet durch die Besatzermaumlchte und deren kulturellen Einfluss auch durch
die nun moumlgliche Oumlffnung Deutschlands zu einem Austausch mit der Welt das
eigene Wesen zu verlieren So schreibt er 1945-1947() in seine Schwarzen Hefte
177 GA 79 S 46178 GA 97 S 54179 Ebd180 GA 79 S 46
42
Das Schwerste und Fragwuumlrdigste unseres Geschickes ndash beruht darin ob wirdas Eigene finden und huumlten [] unter den anderen Voumllkernlsquo [] Scheinund Vorwand der Macht daszlig man unsere eigene Aufgabe bringen will []als Entmachtete aufgenommen zu sein in den Weltmachenschaftsbetrieb181
Es gaumlbe nach Heidegger also das Welten von Welt und die Verweigerung von
Welt aus derVerwahrlosung des Dings durch das Ge-Stell bzw die Technik182 Welt
ist nach dem Konzept des schwaumlbischen Denkers nichts weniger als das Geviert
Bei der folgenden mythopoetischen Zusammenstellung von dem Geviert mit alt-
griechischen Vokabeln um den Seins-Begriff wird das Aletheia-Prinzip eingefuumlhrt
Somit fuumlhrt uumlber den Mythos des Goumlttlichen (2) der Weg zur Wahrheit eben als
geschichtsbesinnlich erfahrene Aletheia (3)
Welt ist das Geviert von Erde und Himmel Goumlttlichen und SterblichenDas Spiegel-Spiel der Vierung wahrt alles was in ihm dingend zwischenden Vier anwest und abwest in das einende Ganze seines Anwesens Vonaltersher heiszligt das Anwesen des Anwesenden τὸ ὲόν das Seiend [sic] τὸεἶναι das Sein naumlmlich der ὲόντα des Seinenden das esse entium183
Diese Welt waumlre nun bdquoWahrnis des Wesens von Sein Statt Wahrnis sagen wir auch
Wahrheitldquo184 Die Welt mythopoetisch als Spiegel-Spiel des Gevierts und durch
eine altgriechische Brille betrachtet waumlre die wahre Welt Somit wird die Wahr-
heitsschau gebunden einen antiken Goumltterglauben und abendlaumlndische Sprachkas-
kaden vom Dialekt zum Altgriechisch
Das Problem mit der wahren Welt waumlre allerdings dass sie sich in die Ver-
borgenheit entziehe Naumlher betrachtet ist aber die Verborgenheit Bedingung des
Entbergens was Heidegger notwendig macht zu einem wuumlrdigen Lebensvollzug
in Harmonie mit dem Sein Durch solche Wesensschau waumlre der Mensch befaumlhigt
jederzeit die verstellenden Maumlchte des Ge-Stells (der Technik) zu uumlberwinden und
teilhaftig am Wesen der Welt zu werden
181 GA 97 S 99182 Vgl GA 79 S 47183 GA 79 S 48 (Die griechischen Vokabeln werden hier keiner Uumlbersetzung unterzogen Da
Heidegger ohnehin keine philologische Schaumlrfe anwenden will ist es fuumlr die Zwecke hierausreichend sie mit seiner Uumlbersetzung zu betrachten Heidegger spricht von bdquoAchten aufdas Griechischeldquo was schwieriger waumlre als klassische Philologie (vgl GA 79 S 63)
184 Ebd
43
Welt bleibt in der Verborgenheit (Αήθη) auf die Weise daszlig diese ihre Ver-borgenheit gerade eine Unverborgenheit gewaumlhrt die Αλήθεια185
Die Αλήθεια haumltte allerdings auch eine Rolle uumlber die subjektive hinaus da nur
durch ihren Vollzug Seinsgeschichte gewaumlhrt wuumlrde Das ist der Anspruch den
Heidegger an sein Auditorium stellt gemeinsam geschichtlich sein zu muumlssen (1)
Die Αλήθεια ist das Geschick des Seins als welches Geschick sich die Fuumllleder Seinsgeschichte in ihre Epochen fuumlgt186
Mit dem Ge-Stell als Wesen der modernen Technik waumlre die Aletheia aller-
dings hochgradig gefaumlhrdet Denn ohnehin waumlre die Aletheia prinzipiell der Ge-
fahr der Vergessenheit ausgesetzt Doch das Ge-Stell haumltte die Kraft die bdquovollende-
te Vergessenheit der Wahrheit des Seinsldquo187 zu vollrichten
Indem das Ge-Stell alles Anwesende in den Bestand bestellt setzt das Ge-Stell das Anwesen des Anwesenden heraus aus seiner Wesensherkunft ausder Αλήθεια188
Diese Versetzung des beteiligten Wesens aus der Moumlglichkeit des Wahrheitsprin-
zips heraus markiert Heidegger dann mit der Schreibweise Seyn (mit bdquoyldquo) Wie
bei dem Vortrag Das Dinglsquo koumlnnen ethymologische Abstammungen sein Sys-
tem anreichern Da wo es um das Wortfeld des Stellens geht Ge-Stell Bestellen
Verstellen ist auch das NachstellenMitglied der Familie
Im Althochdeutschen heiszligt nachstellen fara Das in sich gesammelte Stellenals Nachstellen ist die Gefahr Der Grundzug des Wesens der Gefahr ist dasNachstellen Insofern das Sein als das Ge-Stell sich selbst mit der Vergessen-heit seines Wesens nachstellt ist das Seyn als Seyn die Gefahr seines eigenenWesens189
Damit wuumlrde sich durch die Verringerung der Selbstreflexion im Seyns-Bestand
eine Schwachstelle auftun in die der denkbegabte und aletheiafaumlhige Mensch ei-
ne Moumlglichkeit haben das Seyn zum Sein zuruumlckzuwandeln ndash also wieder in ein
185 GA 79 S 49186 Ebd187 GA 79 S 53188 GA 79 S 52189 GA 79 S 53
44
wesentliches Verhaumlltnis zum bdquoDingldquo zu gelangen in dem das Geviert wieder die
Harmonie herstellt Allerdings faumlnde bis zu solch einer Nachstellung eine Ver-
sieglung des Seynsbestandes statt Und Heidegger beklagt dass die Erreichung der
Ruumlckeroberung des Seins uumlber die Nachstellung nicht stattfaumlnde und stattdessen
die Irre regieren wuumlrde190
In dieser Irre stuumlnde dem Menschen nicht einmal mehr zu zu sterben Denn
bdquoSterben [] heiszligt den Tod in sein Wesen austragenldquo191 Somit waumlren die Opfer
die in den KZs umkamen wie er sie in Das Dinglsquo bereits schildert nicht vermouml-
gend gewesen zu sterben bdquoSie werden Bestandstuumlcke eines Bestandes der Fabrika-
tion von Leichen [] Sie werden in Vernichtungslagern unauffaumlllig liquidiertldquo192
Das vermoumlge die Gefahr zu bewirken Der Mensch wuumlrde des eigenen Sterbens
beraubt da er keine Verbindung mehr zur Wahrheit der Welt haumltte Um den rich-
tigen Tod zu sterben muumlsse der Mensch die Aletheia schauen koumlnnen Insofern ist
Heideggers Prinzip ein religioumls anmutendes Wie in der christlichen Vorstellung
der Mensch im Jenseits an seinen Taten gemessen wird um Paradies oder Fege-
feuer zu besuchen soll nach Heidegger der Mensch waumlhrend des Sterbens mit
sich selbst ins Gericht gehen Er soll sich rein machen vom Ge-Stell der Technik
und dem Seyn um nicht die einmalge Gelegenheit des richtigen Sterbevollzugs
zu versaumlumen Es winken gemaumlszlig des Gevierts die himmlischen Goumlttlichen den
irdischen Sterblichen zu wobei annehmbar ist dass Heidegger Sterblichen die
die Aletheia erkennen einen Goumlttlichkeitsstatus beimessen moumlchte ndash eine Erlouml-
sungsphantasie
Genau diese Erloumlsung waumlre die Technik nicht
Ohne den Schritt des Denkens zu wagen der unser Menschenwesen demWesen der Technik [] aussetzt wuumlrgt man sich von Fall zu Fall von Lagezu Lage durch die Zwiespaumlltigkeiten hindurch Und genau durch dieses Ge-wuumlrge versaumlumt man die Moumlglichkeit dessen was man im Grunde erstrebtdie Technik durch menschliches Tun zu meistern und menschenwuumlrdig zulenken193
190 Vgl GA 79 S 55191 GA 79 S 55192 GA 79 S 56 Weil Heidegger im Judentum die Verantwortlichen fuumlr das Geraffe des Ge-Stells
sieht macht er sie gleichsam verantwortlich fuumlr die bdquoSelbstvernichtungldquo Die Seinsverges-senheit im Tode wird dadurch zum Spin-off der vermeintlich juumldisch erzeugten da machen-schaftlichen KZ-Maschinerie (Vgl GA 97 S 20f)
193 GA 79 S 59
45
Trost und Richtung findet Heidegger schlieszliglich abermals bei den alten Griechen
Das Wort stellenlsquo entspricht dem griechischen ϑέσις vorausgesetzt daszlig wirϑέσις griechisch denken Was heiszligt in diesem Falle griechisch denkenlsquo Esheiszligt darauf achten welche Lichtung desWesens des Seyns in welcherWeisedas Dasein der alten Griechen in den Anspruch genommen hat heiszligt imvoraus bedenken in welchem Geschick welcher Unverborgenheit des Seinsdie Griechen standenldquo194
Das sind Vorstellungen des Neuen Anfangs eine Reminiszenz der griechisch anti-
ken Welt Ein Eintrag aus den Schwarzen Heften von etwa 1945-47 () verdichtet
wie oben bereits aufgezeigt die Phantasie griechisch zu sein zu einem gelingenden
Lebensvollzug
Das reine Wesen des Griechentums dh das Seiende inmitten dessen dieGriechen als seiende fremd gewesen dieses und sie selbst und der Bezug desSeins zu ihnen ndash in der einfachen Wesung von der ἀλήθεια her zeigen underfahren Den μῦθος und λόγος ndash jedes Wort und Gebild rein aber nichterzwungen und schematisch-pedant ndash aus ἀλήθεια erfahren195
Hier zeigt sich auch dass Heidegger per se das Aletheia-Prinzip fuumlr notwendig
hielt um ins Licht der Wahrheit zu blicken Die Griechen sind ihm hier deshalb
Vorbild und rein da sie keiner modernen Technik und dem Ge-Stell ausgesetzt
waren sondern lediglich eine mythopoetische Verbindung zum Sein herstellen
mussten um wesentlich zu sein und Seinsgeschichte zu schreiben Die Dinge und
das Spiegel-Spiel des Gevierts waumlren ihnen geschickt zuhanden gewesen196 Hei-
degger macht schlieszliglich sehr deutlich dass das Griechische zu denken ein bei
weitem anderes Geschaumlft sei als philologische Praumlzision
Ein Echo zu sein naumlmlich dem Anspruch des Seins verlangt eine Sorgfaltder Sprache von der freilich der technisch-terminologische Sprachstil derWissenschaften uumlberhaupt nichts wissen kann Die Intentionalitaumlt der wis-senschaftlichen Sprache ist der staumlrkste Beweis fuumlr ihre Boden- und Heimat-losigkeit [] Das Heimische einer hohen Sprache gedeiht nur im Bereichdes unheimlichen Anspruchs der wesenhaften Stille im Wesen des Seyns197
194 GA 79 S 62f195 GA 97 S 20196 Hingegen waumlre das Judentum verantwortlich fuumlr das Ge-Stell fuumlr das Prinzip der Zerstoumlrung
wie es auf der selben Seite der Schwarzen Hefte darunter heiszligt (vgl ebd)197 GA 79 S 66 Die Bedeutung von Seyn als verstelltes Sein oder Bedingung zum Schauen
des wahren Seins ist verwirrend Einer genaueren Analyse wird aus Platzgruumlnden hier nichtnachgegangen
46
324 Die Kehrelsquo
Der letzte Vortrag ist mit nur neun Seiten der Kuumlrzeste des Vortragsgevierts
Nach dem Verlust des Dinges als Ding und der damit einsetzenden Abstandslosig-
keit als Wesen des Ge-Stells wobei die Gefahr zudem der Vergessenheit des Seyns
nachstellt bietet Heidegger eine Perspektive an
Im Wesen der Gefahr verbirgt sich [] die Moumlglichkeit einer Kehre in derdie Vergessenheit des Wesens des Seins sich so wendet daszlig mit dieser Kehredie Wahrheit des Wesens des Seyns in das Seiende eigens einkehrt198
Diese Moumlglichkeit bedeute nicht dass der Mensch sich der Gefahr selbst stellen
koumlnnte sie waumlre passiv ndash bdquoverbirgt sichldquo Die Kehre werde sich ereignen aumlhnlich
einer Erwartung an den Messias
Die Anwesenheit der Gefahr wuumlrde automatisch die Rettung bergen Denn
Houmllderlin haumltte geschrieben bdquoWo aber Gefahr ist waumlchst [d]as Rettende auchlsquoldquo199
Etwa 1945 notiert Heidegger in seine Schwarzen Hefte bdquoDie Wahrheit erfahren
wir im Gedaumlchtnis Das Gedaumlchtnis ist die Dichtungldquo200 (so) Von dieser War-
te aus ausgestattet mit Erinnerungen an das abendlaumlndische Dichten mit dem
Wissen um das Aletheia-Prinzip und passiv als denkender Huumlter des Seyns solle
der Mensch das Ereignis erwarten das ihn bdquoloumlsen freimachen freyen schonen
bergen in die Hut nehmen wahrenldquo201 wuumlrde (siehe S 43)
Dieses Ereignis waumlre der Blitz Ein unvermittelter jaumlher ploumltzlicher Moment
von kurzer Dauer der bloszlig einen ebenso kurzen Blick auf das wahre Wesen er-
lauben wuumlrde Abschlieszligend ist dies das Rezept gegen die Bestands bestellende
Technik in mythopoetischer Formulierung
So entsprechend ist der Mensch geeignet daszlig er im gewahrten Element vonWelt als der Sterbliche dem Goumlttlichen entgegenblickt Anders nicht dennauch der Gott ist wenn er ist ein Seiender steht als Seiender im Seyn unddessen Wesen das sich aus dem Welten von Welt ereignet202
198 GA 79 S 71199 GA 79 S 72200 GA 97 S 52f201 GA 79 S 72202 GA 79 S 76
47
Wenn Heidegger im Anschluss von der bdquohistorisch-technischen Darstellungldquo re-
det so ist dies die Abwehr der Wissenschaften (auch der Philosophie203) und ein
Appell an die Antirationalitaumlt des Mythos bdquokein historisches Vorstellen der Ge-
schichte als Geschehen bringt in den schicklichen Bezug zum Geschickldquo204
Damit das Blitzen erfahren werde als kurze Wesensschau der Aletheia muumlsse
dem wahren abendlaumlndischen und heimatlichen Ereignis stattgegeben werden Es
sollte nicht wie er 1939 schon in den Schwarzen Heften beschreibt das
kuumlnstliche Licht von Historie und Technik in der weder Mensch noch dieGoumltter weder eineWelt noch die Erde sichtbar werden koumlnnen wo aber dasLebenlsquo von allen den immer noch zu wenigen Meistenlsquo erlebtlsquo wird205
Damit schlieszligt der letzte Vortrag mit einer Erwartung an das Ereignis des Blit-
zens nicht das Erleben der Besinnungslosigkeit (vgl Das Ge-Stelllsquo) Schon 1947
traumlumt Heidegger von solcher Umkehr
Aus der Kehre der Seynsvergessenheit aber ereignet sich das Unumgaumlnglicheden Acker der Welt erst zu pfluumlgen und saatbereit der Sonne und dem Regenund den Voumlgeln des Himmels uumlberlassen206
203 Denn ldquo[e]igentlich denken heiszligt [] die Philosophie verlassen [] beim Sagen des Seinslsquoldquo(GA 97 S 60)
204 Ebd205 GA 95 S 427 Gegen das Erlebnis und Erleben straumlubt sich Heidegger besonders So notiert
er etwa 1939 bdquoZeitalter der Techniklsquo macht gerade die Techniklsquo nicht zum Ziel sondernimmer mehr zum Mittel der besinnungslosen Berechnung [] der Mensch [] das Erleb-nislsquo [] Erleben als der Gefuumlhlsgenuszligldquo (GA 95 S 149) Wie auch bdquoWo beide Historie undTechnik in solcher scheinbaren Gegensaumltzlichkeit verkoppelt sind koumlnnen sie sich zur Foumlr-derung dessen zusammenschlieszligen was einstmals wesentlich die Geschichte des Menschenmitbegruumlndete und was wir die Kunstlsquo nennen Die Historie verschafft [] Anregungenund Vorbilder der Nachahmung die Technik erleichtert [] die Zustellung von Darstel-lungsmitteln und Wirkungsformen [] Gleichwohl ist alles wurzellos [] berechnet und alsErlebnislsquo ausgegebenldquo (GA 95 S 212)
206 GA 97 S 511
48
4 Konklusion
Der umstrittene Philosoph Martin Heidegger hat uumlber die 1930erndash40er Jahre
hinweg eine ausgepraumlgte voumllkisch-nationale und bisweilen radikal-antisemitische
Denkweise entwickelt Dieses Denken fasste er auch auf als Besinnung und stellt
es der Philosophie und Wissenschaft diametral entgegen In Kapitel 2 wird aufge-
zeigt dass sowohl Heideggers Mythologie bereits kritisiert wurde (Adorno Cassi-
rer Meyer) als auch seine Mythopoetik bewundert (Schulz-Nieswandt) Kapitel
3 will daruumlber hinaus aufzeigen wie Heidegger eine eigene Mythologie mytho-
poetisch fruchtbar macht was sich von beiden vorigen Ansaumltzen unterscheidet
und erst mit der Veroumlffentlichung der Schwarzen Hefte ab 2014 nachvollziehbar
wurde
Umso mehr bietet die mythopoetische Verbindung von bdquoDichten und Den-
kenldquo (so) einen antitechnischen Gegenpol Denn Heidegger fasst wie oben ge-
schildert alles Rationale auf als berechnende Bestellung des Bestands im Sinne
der Technik Daruumlber hinaus fordert er mit dem Aletheia-Prinzip (als metapho-
risch gefasstes Ereignis des Blitzens) einen Mitvollzug seiner mythopoetischen
Kontemplation in dem religioumlse voumllkische antike und sprachliche Motive zu-
sammenfallen
Obwohl schon von Heidegger selbst nicht mehr als Philosophie betrachtet
hat seine Rede vom Ding dem Ge-Stell dem Wesen der Technik und der Kehre
noch immer einen bedeutenden Einfluss auf die Technikphilosophie So betont
Alfred Nordmann in bdquoWerkwissen oder How to express things in worksldquo (2008)
dass Heidegger mit Das Dinglsquo eine Art Dingwissen geschaffen haumltte In seinem
2012 erschienenen Aufsatz Another parting of the ways Intersubjectivity and the
objectivity of sciencersquo207 geht Nordmann ein weiteres Mal auf Heideggers Ding
ein Dieses waumlre eine Abarbeitung an dem Ding Kants womit auch Nordmann
Heidegger als einen Interpreten Kants versteht208 Anschlieszligend anMichael Fried-
207 Nordmann Alfred Another parting of the ways Intersubjectivity and the objectivity ofscience In Studies in History and Philosophy of Science 43 (2012) 38ndash46
208 Die Auseinandersetzung mit dem Ding wuumlrde nach Nordmann in Heideggers GA mit demText Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalen Grundsaumltzenlsquoeinsetzen (GA 41 Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalenGrundsaumltzen)
49
man spricht sich Nordmann ebenso dafuumlr aus dass Heidegger neben Rudolf Car-
nap und Ernst Cassirer eine neokantianische Philosophie verfolgt haumltte (siehe
Kap 1)209
Nach Nordmann haumltte Heidegger in seinen anschlieszligenden Gedanken uumlber
das Ding als Fortfuumlhrung Kants als erster Wissenschaft als angewandte Techno-
logie verstanden210 Diese Interpretation stuumltzt sich auf die gleichen Symbole
Metaphern und Mythen die die vorliegende Arbeit analysiert Das Ge-Stell ist
insofern aumlquivok mit dem Begriff techno-science Jedoch sind in dieser Fruchtbar-
machung von Heideggers Denken der Technik dessen nationalistischen rassisti-
schen und antisemitischen Implikationen die die vorliegende Arbeit als Zentrum
dessen Philosophie ermitteln konnte noch nicht beachtet worden koumlnnen211
Andreas Luckner webt Heideggers Ding-Entwurf weiter als verantwortliches
Sorgen um die Dinge212 Er geht dabei mit Heidegger voumlllig konform und tritt
eher als eine Art Bote der Ding-Botschaft auf als diese moumlglicherweise zu kriti-
sieren was sich diesen Artikel wie ein Kapitel aus einem Studienbuch lesen laumlsst
Der Darmstaumldter Technikphilosoph Christoph Hubig ist vor allem Kritiker Hei-
deggers Argumentationen laumlsst aber zuweilen diverse Topoi aus dem Werk des
Technik-Denkers durchscheinen ohne sie weiter zu reflektieren
So konstatiert Hubig Heidegger verfehle in dessen Auseinandersetzung mit
Aristoteles Lehre von der Poiesis zum Punkt der Sicherung wie sie in Die Frage
nach der Techniklsquo behandelt wird bdquodie operative Seite des Technischenldquo bei Aris-
totels213 In einem spaumlteren Aufsatz allerdings stuumltzt er sich ohne weitere Erlaumlute-
rungen auf Heideggers Begriff der Sicherung aus Die Frage nach der Techniklsquo214
209 Diese Befriedung paradigmatischer Umstaumlnde wird hier nicht geteilt Eine weitere Bearbeitunglaumlsst der Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht zu
210 Vgl Nordmann Another parting of the ways S 45211 Der Aussage dass Heideggers Ding-Begriff kantianisch waumlre muumlsste einer gezielten Untersu-
chung unterzogen werden genau wie die Behauptung insgesamt dass Heidegger oder inwie-weit dieser noch der suumlddeutschen Kantschule des 1920 Jahrhunderts angehoumlrte
212 Vgl Luckner Andreas Ding und Bestand Heidegger und das Wesen neuzeitlicher TechnikIn Gamm G Gehring P Hubig C Kaminski A und Nordmann A Ding und SystemS 15-30 hier S 29
213 Hubig Christoph Die Kunst des Moumlglichen Technikphilosophie als Reflexion der MedialitaumltBielefeld 2006 S 103
214 Vgl Hubig Christoph Technik als Medium In Grundwald Armin (Hg) Handbuch Tech-nikethik Stuttgart 2013 S 118-123 hier S 118
50
Dabei versteht Hubig Heideggers Betrachtungen zum Umgang mit der Technik
als gelassen
Fuumlr Heidegger liegt die Andersheit im Entbergen einer Wahrheit des Seinseines Geschicks von dem die Entwicklung der Technik hin zum Gestellkuumlnde Er verbindet dies mit dem Appell jenseits des rechnenden und si-chernden Vorstellens technischer Vollzuumlge als handlungsleitender Program-me sich gelassenlsquo dieser Entwicklung zu uumlberantworten und ein Seinlsquo zuhuumlten das sich als solches eben entbirgt Das Rettendelsquo dieser Einsicht lie-ge darin dass unsere individuelle Endlichkeit insofern transzendiert wirdals sie sich dem sie uumlbersteigenden Prozess aufschlieszligt und sich selbst relati-viert215
Wovon in diesem Zitat nicht die Rede ist ist der Mitvollzug der mythopoe-
tischen Rahmenbedinungen die Heidegger einfordert und an dem die Konzep-
te Abendland und voumllkische Tradition haumlngen In dieser Arbeit wird davon aus-
gegangen dass Heideggers Technikphilosophie-erzaumlhlung sich nicht von seinen
Absichten der Bekaumlmpfung des Technischen loumlsen laumlsst Die Relativierung ist in-
sofern nicht an den Prozess gebunden und damit emergent auf alles hin ausge-
richtet was kommen mag sondern houmlchst konvergent in einer Besinnung auf
Mythen von dem Ding und dem Geviert mit all deren Valenzen aus dem vorlie-
genden Heideggerschen Textkorpus Die individuelle Endlichkeit ist genoumltigt die
Heimat und das Abendland zu kennen und im Aletheia-Prinzip umzusetzen
Die Neubewertung der bislang bekannten Heideggerschen Technikphiloso-
phie von vor den SchwarzenHeften ist ein dringendes Desiderat Voumllkisch-nationale
Gruppierungen erstarken momentan in ganz Europa und es koumlnnte sehr hilfreich
sein aumlhnliche Denkstrukturen aufzudecken so wie sie zwischen den 1930er und
40er Jahren entwickelt wurden Zusaumltzlich muss das Werk Heideggers einer kriti-
schen Revision schon aufgrund der niemals von ihm behandelten Antisemitismen
unterzogen werden Heidegger hat nie zu diesen Stellung bezogen
Daruumlber hinaus ist das Thema Mythos und Philosophie ein weiterhin not-
wendiger Bereich der philosophischen Forschung In einem Bereich auszligerhalb
der exakten Wissenschaften und ohne klare theologische Tradition ist die Philo-
215 Hubig Die Kunst des Moumlglichen S 140
51
sophie beides sowohl Aufklaumlrer und antimythisch als auch Quelle fuumlr mythisches
Denken und affektierende Motive
52
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56
Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
Der Unterzeichner versichert dass er die vorliegende Bachelorarbeit selbststaumlndig
verfasst und keine anderen als die von ihm angegebenen Hilfsmittel benutzt hat
Die Stellen der Arbeit die anderen Werken dem Wortlaut oder dem Sinne nach
entnommen sind wurden in jedem Fall unter Angabe der Quellen (einschlieszliglich
des World Wide Web und anderer elektronischer Text- und Datensammlungen)
kenntlich gemacht Dies gilt auch fuumlr beigegebene Zeichnungen bildliche Dar-
stellungen Skizzen und dergleichen
Darmstadt 25 April 2016
__________________________
(Eigenhaumlndige Unterschrift)
- Abkuumlrzungsverzeichnis
- Danksagung
- Einleitung
- Heideggers mythopoetisches Programm
-
- Zu den Begriffen Mythos Mythologie und Mythopoetik
-
- Ein Beispiel fuumlr ein Mythologem
-
- Heideggers Mythen
-
- Formen der Mythologie
-
- Heideggers mythopoetische Technik
-
- Zur Publikationsgeschichte von den Bremer Vortraumlgen 1949
- Die mythopoetische Spiegelung der Schwarzen Hefte
-
- Das Dinglsquo
- Das Ge-Stelllsquo
- Die Gefahrlsquo
- Die Kehrelsquo
-
- Konklusion
- Literaturverzeichnis
- Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
-
25
It seems to me that Heideggerrsquos fetishism is often lrsquoart pour lrsquoart Heideg-ger pour Heidegger a tactic that aims at creating an aura of complexity byevoking Heidegger although the same content could be expressed withouthim103
Fuumlr Trawny waumlre dies ein bdquoperformativer Widerspruch [] stets daran zu erin-
nern Heidegger vergessen zu sollenldquo104 Quo vadis Heidegger
Die objektive Antwort Rudolphs der an den Commonsense und die Beweis-
last der Anklage glaubt wie auch der subjektive Appell Fuchs der es zur mora-
lischen Entscheidung des Einzelnen macht Heidegger zu vernachlaumlssigen setzen
aktuell die Jahrzehnte alte Tradition der Heidegger-Kontroverse fort Ein im Sep-
tember 2016 erscheinender Sammelband wird zusaumltzlich die Debatte mit neuen
Bewertungen anreichern105
In diesem Kapitel soll es nicht um die direkte Einreihung in eine der bestehen-
den Polemiken gehen sondern um den Versuch der Betrachtung der spaumlten Tech-
nikphilosophie Heideggers als mythopoetische Dichtung in seinem Sinne des
Philosophierens Als exemplarisches Werk ruumlckt damit das Vortrags-Geviert der
Bremer Vortraumlge ins Zentrum der Anschauung106 Hier wird davon ausgegangen
103 Ebd S 73104 Trawny Heidegger und der Mythos der juumldischen Weltverschwoumlrung S 141105 Heinz Marion und Kellerer Sidonie (Hg) Martin Heideggers raquoSchwarze Heftelaquo Eine
philosophisch-politische Debatte Berlin 2016 (im Druck) Aus dem Klappentext diesesTitelsbdquoOffene antisemitische Aumluszligerungen in diesen Denktagebuumlchern haben in der nichtakade-
mischen Oumlffentlichkeit fuumlr Empoumlrung gesorgt Die entscheidende Frage ist jedoch welcheVeraumlnderungen der Perspektive auf Heideggers Denken insgesamt sich dadurch ergebenund ob damit zugleich eine Neubewertung des Gesamtwerks eines der einflussreichstenPhilosophen des 20 Jahrhunderts noumltig istldquoEine der Herausgeberinnen des Bandes Sidonie Kellerer ist zudem an einem anlaufenden
fuumlnf jaumlhrigen Forschungsprojekt an der Universitaumlt Stuttgart im Rahmen des StuttgartResearch Centre for Text Studies beteiligt Heidegger und die Postmoderne Geschichteeiner Irrefuumlhrungiquest Sie und der Stuttgarter Literaturwissenschaftler Claus Zittel werden Hei-deggers ideologische Verstrickungen in den Nationalsozialismus untersuchen die textlichrekonstruierbar aber nachtraumlglich geklittet worden waumlren bdquoSo konnte die Wissenschaft-lerin Dr Sidonie Kellerer anhand des Vortrages Die Zeit des Weltbildeslsquo erstmals 1950veroumlffentlicht [sic] dass zahlreiche Passagen nachtraumlglich so modifiziert wurden dass dieurspruumlngliche Apologie des Nationalsozialismus nunmehr als Kritik am Regime gedeutetwerden konnte Die 2014 erschienenen Schwarzen Heftersquo mit persoumlnlichen AufzeichnungenHeideggers bestaumltigen zudem wie tief verankert in seiner Philosophie Rassismus undNationalsozialismus waren und bliebenldquo(httpwwwuni-stuttgartdehkompresseservicepressemitteilungen201567_kellererhtmlzuletzt abgerufen am 1442016)
106 Von einer umfassenderen Analyse der Schriften Heideggers zur Technik muss aus Platzgruumln-den abgesehen werden Die Voumlrtraumlge vom Ge-stell der Technik der Kehre und dem Dingsind vor allem wegen ihres Publikationszeitraums interessant da sie direkt an die Dokumen-
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dass Heidegger den Versuch der abgrenzungspolitischen Einflussnahmemacht ge-
maumlszlig der oben dargelegten Ressentiments die sich in einer Mythologisierung des
Abendlandes niederschlagen Um seinem Ideal des dichtenden Denkens als Philo-
sophieren nachzukommen will Heidegger diese Einschreibung des Abendlandes
mythopoetisch vollfuumlhren
Grundsaumltzlich ist Verbindung und Trennung Heideggers boumlser Schwarzer Hef-
te mit und von seiner guten Technikphilosophie das Schlachtfeld aktueller De-
batten Wie bereits darauf hingewiesen werden hier Schwarze Hefte und Veroumlf-
fentlichungen wie eben in Form der Bremer Vortraumlge als ein kontinuierlicher
Arbeitsprozess gesehen Es gibt insofern nur einen Heidegger und keine gespal-
tene Persoumlnlichkeit Die Siegener Philosophin Sodonie Kellerer stellt dies anhand
Heideggers Selbstsicht luzide dar
Seine immer wiederkehrende Beschwoumlrung des Werkeslsquo und seine an diver-sen Stellen der bislang vorliegenden Briefkorrespondenz artikulierten Be-muumlhungen dieses Werklsquo fuumlr die Nachwelt zu sichern [Kellerer bezieht sichhier ua auf Heideggers Briefwechsel mit seiner Frau der 2007 veroumlffentlichtwurde DS] verdeutlichen wie sehr er seine Texte als ein Ganzes verstandin dem keines der Teile entbehrliche Wiederholung geschweige denn irrele-vante Eroumlrterung ist107
Dabei allerdings wird die Frage offen bleiben mit welchem Maszlig er sich selbst ge-
faumlhrdet sah seine Ansichten oumlffentlich zu vertreten und welche Konsequenzen er
dabei fuumlrchtete Denn er musste die Vortraumlge kodieren ndash was er im Sinne der My-
thopoetik auch macht ndash und mit Einigem hinterm Berg halten108 Dass es dabei
verschiedene Offenbarungsebenen gibt wird hier erst einmal hingenommen Es
interessieren staumlrker nachweisbare Bezuumlge des Entwurfsdenkens Heideggers zur
Oumlffentlichkeitsarbeit von ihm109
te der Schwarzen Hefte anschlieszligen (1948 der letzte Band der Schwarzen Hefte umfasst denZeitraum 1942-1948)
107 Kellerer Sidonie Kampf der Besinnung In Deutsche Zeitschrift fuumlr Philosophie Band 63Heft 5 Seiten 941ndash957 hier S 942
108 Weshalb die Veroumlffentlichung der Schwarzen Hefte auch weitestmoumlglich nach hinten verlegtwurde
109 Wuumlrde man dem entgegenhalten dass Heideggers vermeintliches Genie aus Formalisierun-gen seiner Gedanken ableitbar eine wichtige Quelle an sich bliebe scheitert dieses damitdass nun die Formalisierungen nicht personenneutral sozial-epistemologisch bestehen koumln-nen Als Vergleich wuumlrde man aus Hitlers und Goumlbbels Reden Formalisierungen isolierenlieszlige sich bestimmt die eine oder andere plausible Idee entwenden (wenn sie voumlllig dekon-
27
Hierzu wird der Text der gesamten vier Vortraumlge unter dem Titel Einblick
in das was ist Bremer Vortraumlge 1949lsquo110 aus dem 1994 veroumlffentlichten 79 Band
der GA zugrunde gelegt Das hat den Grund dass davon ausgegangen wird dass
der Text somit am naumlchsten an den 1949 tatsaumlchlich vorgetragenen Manuskripten
liegt Insofern ist eine realistische Annaumlherung an eine mythopoetische Uumlbertra-
gung der Schwarzen Hefte in die Bremer Vortraumlge 1949 das Ziel Demgegenuumlber
gibt es ob der virulenten Publikationspraxis von Heideggers Schriften111 noch
andere Auskopplungen der vier Vortraumlgsteile mit den Titeln Das Dinglsquo Das Ge-
Stelllsquo Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo
31 Zur Publikationsgeschichte von den
Bremer Vortraumlgen 1949
Zuerst erschien 1954 im Neske-Verlag (Pfullingen) ein Sammelband der lediglich
den ersten Vortrag Das Dinglsquo enthaumllt allerdings in leicht erweiterter Fassung
so wie er ein halbes Jahr nach dem Bremer Auftritt in Muumlnchen (1950) an der
Akademie der Schoumlnen Kuumlnste gehalten wurde112 Dem Band hinzugefuumlgt ist aber
zudem ein Vortrag der vornehmlich die Kernaussagen von Das Ge-Stelllsquo und
Die Gefahrlsquo verbindet allerdings in modifizierter Form Dieser wurde unter dem
textualisiert wuumlrde) Ist aber die wahre Verbindung zu Hitler und Goumlbbels hergestellt hatman selbstverstaumldlich die Verantwortung zu tragen an dem ganzen Tross von unmoumlglichenVerfehlungen dieser Menschen die sie fuumlr uns zu Personae non gratae stempeln muumlssen
110 GA 79111 Hierauf macht auch der Darmstaumldter Philosoph Gernot Boumlhme aufmerksam als Akt ei-
ner bdquoposthumen Selbstinszenierungldquo in Boumlhme Gernot Selbstinszenierung uumlber Ruhmin der Philosophie In Information Philosophie (Online Ausgabe 12015) URL=lthttpwwwinformation-philosophiedea=1ampt=8232ampn=2ampy=5ampc=29gt zuletzt ab-gerufen am 2442016)
112 Heidegger Martin Das Ding In Ders Vortraumlge und Aufsaumltze Pfullingen 1954 S 163ff
28
Titel Die Frage nach der Techniklsquo113 am 18 November 1953 an der TUMuumlnchen
gehalten
Eine weitere Auskopplung diesmal des letzten Vortragsteils Die Kehrelsquo fin-
det sich in einem broschuumlrenformatigen Band wiederum im Zusammenspiel mit
dem Vortrag Die Frage nach der Techniklsquo in Die Technik und die Kehrelsquo114 von
1962 wieder Somit wurden die Vortraumlge Das Ge-Stelllsquo und Die Gefahrlsquo lange
Zeit nicht veroumlffentlicht sondern als vermischter und modifizierter Text eben
Die Frage nach der Techniklsquo jeweils zusammen mit Das Dinglsquo (1954) und Die
Kehrelsquo (1962) angeboten115 In der Vorbemerkung zu Die Technik und die Keh-
relsquo wird diese kleine Chronologie leicht verfaumllscht auch aufgezeigt Darin heiszligt
es ferner dass Die Frage nach der Techniklsquo eine erweiterte Fassung von Das Ge-
Stelllsquo waumlre Dem ist wie schon gesagt nicht so Sondern es ist eine modifizierte
Vermischung von Das Ge-Stelllsquo und Die Gefahrlsquo was unschwer zB am Begriff
vom bdquoHer-vor-bringenldquo116 zu erkennen ist der in Die Gefahrlsquo eingefuumlhrt wird
und in Die Frage nach der Techniklsquo die gleiche Bedeutungskonstituente bildet
Mit der Veroumlffentlichung des 79 Bandes der GA 1994 wurden alle vier Bremer
Vortraumlge von 1949 publiziert In Band 11 der GA erschien 2006 auszligerdem Die
Kehrelsquo in ihrer urspruumlnglichen Fassung Die Frage nach der Techniklsquo enthaumllt
weniger mythopoetische Teile als Das Dinglsquo und operiert demgegenuumlber staumlrker
anhand klassisch philosophischer Allgemeinplaumltze Derer sind vor allem zu nen-
113 Heidegger Martin Die Frage nach der Technik In Ders Vortraumlge und Aufsaumltze Pfullingen1954 S 9ff (Der Aufsatz erschien ebenfalls 1954 im Sammelband der Vortragsreihe DieKuumlnste im technischen Zeitalter Heidegger Martin Die Frage nach der Technik In DieKuumlnste im technischen Zeitalter Dritte Folge des Jahrbuchs Gestalt und Gedanke Hg v dBayrischen Akademie der Schoumlnen Kuumlnste Muumlnchen 1954 S 70ff)
114 Heidegger Martin Die Technik und die Kehre Pfullingen 1962115 Beide Baumlnde Votraumlge und Aufsaumltzersquo sowie Die Technik und die Kehrersquo haben hohe Aufla-
genzahlen (Uumlbersetzungen wurden hier nicht recherchiert wobei es aber eine internationa-le Heidegger-Rezeption gibt) 1993 wurde der Pfullinger Neske-Verlag von dem StuttgarterHaus Klett-Cotta uumlbernommen was die Buumlcher aber unveraumlndert belaumlsst Vortraumlge und Auf-saumltzelsquo zaumlhlt seit 2009 die 11 Auflage Die Technik und die Kehrelsquo seit 2014 die 13 BeideBaumlnde sind vergriffen Es mutet unverstaumlndig an weshalb eine fehlerhafte Jahresangabe ausder ersten Veroumlffentlichung von Die Technik und die Kehrelsquo bis 2014 kolportiert wurdeDort steht der Vortrag Die Frage nach der Techniklsquo waumlre am 18 November 1955 gehaltenworden Der Vortragstermin war aber am 18 November 1953
116 Vgl GA 79 S 64 Und Heidegger Die Technik und die Kehre S 11
29
nen die Auflistung der bdquovier Ursachenldquo117 nach Aristoteles und die Kritik an der
Technik als bdquoein Mittel zu Zweckenldquo118 (Kausalitaumlt)119
Der Vortrag Das Dinglsquo galt Heidegger bei der Darbietung seiner Technikphi-
losophie nach dem Zweiten Weltkrieg allerdings als unentbehrlich ndash und damit
seine groszligflaumlchige Aufblaumltterung der Mythopoetik wie im folgenden Kapitel hier
gezeigt wird Denn im Vortrag Die Frage nach der Techniklsquo benutzt Heideg-
ger noch immer seinen mythopoetischen Topos vom Versammeln des Gebirges
der mit dem Versammeln eine Konstituente des Gevierts ist (bdquoErde und Himmel
die Goumlttlichen und die Sterblichenldquo120) (su)121 Fuumlr die Kaumlufer und Leser von
der spaumlteren Veroumlffentlichung Die Technik und die Kehrelsquo wird zudem in Die
Kehrelsquo extra auf den Vortrag Das Dinglsquo in der 1954er Ausgabe in Vortraumlge und
Aufsaumltzelsquo verwiesen122 Das zeigt wie wichtig und unerlaumlsslich Heidegger seine
mythopoetische Denkweise der Technik ist Auch wenn er in Die Frage nach der
Techniklsquo einen allgemeineren und offeneren Ansatz entwickelt hat der dadurch
auch leichter zu erschlieszligen ist
32 Die mythopoetische Spiegelung der Schwarzen
Hefte in den Bremer Vortraumlgen von 1949
321 Das Dinglsquo
In dem Vortrag Das Dinglsquo der 1949 vor dem privaten Club zu Bremen dort im
Neuen Rathaus das Vortragsquartett einleitete fuumlgt Heidegger mythopoetisch
zusammen was folgenden Topoi seiner Schwarzen Hefte aus Kap 221 entspricht
117 Heidegger Die Technik und die Kehre S 6118 Ebd S 6119 Diese Topoi versucht Heidegger in dem Text zu zersetzen und ihnen ein aletheisches Prin-
zip des Entbergens der Technik entgegenzusetzen Dies erfolgt wiederum auch anhand derVerwendung von mythopoetischen Teilen Darauf kann hier aber nicht weiter eingegangenwerdenAls weitere Gemeinsplaumltze (die er teils unterstuumltzend teils zur Zersetzung einfuumlgt) handelt
der Text auch mit Zitaten von Platon Heisenberg J P Hebel und Goethe120 Ebd S 12121 Vgl GA 79 S 11 Und Heidegger Die Technik und die Kehre S 19122 Vgl Heidegger Die Technik und die Kehre S 42f
30
1 die antirationale Wissenschaftsfeindlichkeit 2 der Mythos des Goumlttlichen 3
das Griechentum uumlber dem Roumlmertum 4 die Zahlenmystik (anhand des Spiegel-
Spiels des Gevierts ndash su) 5 das geschichtsbesinnliche Prinzip der Aletheia
Heidegger stellt zuerst die Frage nach dem Ding und will sie daraufhin ver-
anschaulichen mittels der Metapher des Kruges dh mit dem Krug als ein exem-
plarisches Ding Er fuumlhrt dann vor (was der Geste eines Zauberkuumlnstlers aumlhnelt)
wie der leere Krug gefuumlllt wird ndash Luft weicht der Fluumlssigkeit Dieses Sachverhaumllt-
nis aber ist fuumlr ihn Halbpoesie und eine Angabe aus der Physik sie verfehle das
vermeintliche Wesen des Kruges
Die Wissenschaft stellt durch sie [die Angabe der Physik DS] etwas Wirk-liches vor wonach sie sich objektiv richtet Aber ndash ist dieses Wirkliche derKrug Nein DieWissenschaft trifft immer nur auf das was ihre Art des Vor-stellens im vorhinein als den fuumlr sie moumlglichen Gegenstand zugelassen hat[] Die Wissenschaft macht das Krug-Ding zu etwas Nichtigem insofernsie Dinge nicht als das Maszliggebende zulaumlszligt123
Als ein wirkmaumlchtiges Beispiel das ihm sicherlich viel Beachtung uumlber die
Jahrzehnte seit ihrer Zuumlndung in Japan hinweg einbrachte fuumlhrt Heidegger die
Atombombe an Diese sei zu verstehen als verdinglichte Wissenschaft die das
Ding vernichten wuumlrde
Deren Explosion ist nur die groumlbste aller groben Bestaumltigungen der langherschon geschehenen Vernichtung des Dinges dessen daszlig das Ding als Dingnichtig bleibt124
Er buumlndelt damit Wissenschaft und Verkennung des Wesens als maszliggebend mit
dem Ding als sein machenschaftliches Prinzip der zerrechnenden Zerstoumlrung Drei
Jahre nach Kriegsende war der buumlrgerlich-elitaumlre Kreis in Bremen sicherlich be-
wegt von dieser Wortgewalt Diese jedoch suchte ja ihr Heim Harmonie Ruhe
in dem Haus als Wesen der Sprache
Und so faumlhrt Heidegger fort und ersetzt das physikalische Prinzip des Inhalts-
wechsels von Luft zu Wein in ein bdquoGeschenk des Gussesldquo als Spende und Opfer
den Goumlttern (2)125
123 GA 79 S 8124 Ebd S 9125 Vgl Ebd S 11f
31
Der Guszlig ist der den unsterblichen Goumlttern gespendete Trank [] Der ge-weihte Trank ist das was das Wort Guszliglsquo eigentlich nennt Spende und Op-fer Guszliglsquo gieszligenlsquo lautet griechisch χέειν indogermanisch ghu Das bedeu-tet opfern
Hier spielt bereits der Ursprungsmythos der Griechenmit ein (3) es ist aber auch
ein Bezug auf das Geviert Dieses waumlre ein System ein zusammen Gestelltes aus
bdquoErde und Himmel die Goumlttlichen und die Sterblichenldquo126 Im Guszlig des Trunkes
weilten gemeinsam diese Vier als emblematische Verbindung
Das im Geschenk Versammelte sammelt sich selbst darin das Geviert ereig-net zu verweilen Dieses vielfaumlltig einfache Versammeln ist das Wesen desKruges Unsere Sprache nennt was Versammlung ist in einem alten WortDies lautet thing127
Das Geviert zehrt von der Zahlenmystik zum einen als die Versammlung der
vier Begriffe an sich zum anderen da Heidegger ihnen eine Spiegel-Funktion
zuschreibt bdquoJedes der Vier spiegelt in seiner Weise das Wesen der uumlbrigen wie-
derldquo128 und ferner weil er damit auf sich selbst dh auf sein Vortrags-Geviert
verweist (4) Wie in Kap 21 schon gesagt lebt der Mythos von seiner Verbind-
lichkeit Diese legt Heidegger allen nah die sie verinnerlichen wollen bdquoSagen wir
die Sterblichen dann denken wir falls wir denken die anderen Drei mit aus der
Einfalt der Vierldquo129
Sollte der Vollzug der Praxis des sukzessiven Mitdenkens aller vier Geviert-
Entitaumlten gelingen koumlnnte das Ereignis der Aletheia begriffen werden (5) bdquoDas
Spiegel-Spiel von Welt ist der Reigen des Ereignensldquo130 Diese wird aber auch be-
griffen in Abgrenzung von dem Roumlmertum (3) denn in der bdquorealitas der resldquo
haumltten die Roumlmer bdquoihr Erfahrenes niemals eigens in seinem Wesen gedachtldquo131
Das waumlre den Griechen vorzubehalten und vom verstaumlndig denkenden Deutschen
wiederzubeleben
126 Ebd S 12127 Ebd S 13128 Ebd S 18129 Ebd130 Ebd S 19131 Ebd S 15
32
Der Krug ist ein Ding weder im Sinne der roumlmisch gemeinten res noch imSinne des mittelalterlich vorgestellten ens noch gar im Sinne des neuzeitlichvorgestellten Gegenstandes [] Der Krug ist Ding insofern er dingt132
Die Bindung an das deutsche Wort bdquoDingldquo das er spielerisch auch ins Englische
Romanische und Franzoumlsische uumlbersetzt ist unerlaumlsslich fuumlr seine ethymologi-
sche Argumentation In der ist der bdquoGuszligldquo ruumlckgefuumlhrt auf indogermanisch bdquoghuldquo
und das bdquoDingldquo auf das mittelhochdeutsche bdquothingldquo So konnten antik die Roumlmer
von den Griechen abgrenzt werden und modern die anderen drei Sprachen vom
Deutschen Das englische sich sehr nah am bdquothingldquo befindliche bdquothingldquo wird mit
dem Roumlmischen ausgespielt
Im Englischen hat thing noch die erfuumlllte Nennkraft des roumlmischen Wor-tes res bewahrt [] dh ein aus sich kommendes den Menschen Angehen-des133
Fuumlr Heidegger geht es beim bdquothingldquo aber um die mittelhochdeutsche Uumlbersetzung
der Versammlung Darauf beruht sein gesamter Systemansatz mit Geviert und
Ge-stell
Schulz-Nieswandt fuumlhrt diese Zusammenstellung zum Bejubeln von Heideg-
gers Mythopoetik
So fundamental sieht Heidegger die Welt Die Quelle des Wassers wird zurHochzeit von Himmel und Erde das Gieszligen des Wassers aus dem Krugzum Geschenk Auch Sprache ist daher kein Instrument sondern Ort desWohnens des Menschen Sprache wird zum Haus des Seinslsquo134
Hier bestaumltigt die Untersuchung des Ding-Vortrags die These von einer mytho-
poetischen Einschreibung der nationalistischen voumllkischen Abgrenzungs-Mythologie
aus den Schwarzen Heften
322 Das Ge-Stelllsquo
Der zweite Vortrag des Reden-Gevierts setzt ein mit der Metapher des fehlen-
den Abstands Wo kein Abstand sei da waumlre auch keine Naumlhe so Heidegger Er
132 Ebd S 16133 Ebd S 14134 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei Walter
F Otto S 59
33
verbindet die Abstandslosigkeit mit Urbanitaumlt und Verkehr alles fluktuiere Es
waumlre der Bestand der sich bestelle in dem das Abstandlose herrsche Das sind
neue Metaphern fuumlr die Machenschaft In seiner Erzaumlhlung vom Ge-Stell gibt es
bedeutend weniger mythopoetische Passagen als in dem vorangegangenen Vor-
trag Allerdings uumlbertraumlgt er den mythopoetischen Gehalt der Rede vom Ding
bereits im ersten Absatz von Das Ge-Stelllsquo mit dem Credo bdquoNaumlhe west insofern
das Ding dingtldquo135 Mit dieser Verbindung wird klar unter welchem Zeichen Hei-
degger die Rede vom Ge-Stell verstanden wissen will ndash als verlorenes Verhaumlltnis
des voumllkisch-traditionell verwurzelten Menschen mit den vermeintlichen Wesen
all seiner Gebrauchsobjekte in der mythopoetischen Formel des sich spiegelnden
Gevierts
Nahezu nuumlchtern erzaumlhlt Heidegger dann von dem Gefaumlngnis des Menschen
im Wesen der zirkulierenden sich immer neu bestellenden Bestandstechnik des
Ge-Stells Dabei scheinen folgende Mythen aus den Schwarzen Heften hindurch ndash
1 bdquoHistorie die Technik der Geschichtelsquo Technik die Historie der Naturlsquoldquo136
2 das historische Tier 3 der Appell an den Auftrag des Deutschen 4 der geschicht-
liche Mensch muss die Historie und damit die Technik uumlberwinden und 5 die
alles zernichtende Machenschaft des juumldischen Wesens
Den Topos der seinsvergessenen Groszligstadt jedenfalls kontrastiert er mit der
Bauerndorfidylle Da aber bdquodas Abstandlose herrschtldquo137 waumlre das Vorruumlcken der
Maschinentechnik bereits universell So in Form des Traktors Schon in Band
96 der Schwarzen Hefte beklagt er dieses bdquozum elektrischen Pflug [] gehoumlrt
das amerikanisch aufgemachte Magazinlsquoldquo Insofern erfolge die bdquoAngleichung der
Sitten der Bergbewohner an diejenigen des groszligstaumldtischen Sport- und Barbe-
triebsldquo138
Sein erster Land-Stadtvergleich betrifft den Bauern dessen Totenruhe tradi-
tionell in einem sg bdquoTotenbaumldquo (Sarg) stattgefunden haumltte ndash bdquoIn ihm gedeiht
der Tod des Totenldquo139 Dem gegenuumlber klingt in der bdquomotorisierten Bestattungs-
135 GA 79 S 24136 GA 95 S 351137 GA 79 S 24138 GA 96 S 54139 GA 79 S 26
34
industrie der Groszligstadtldquo140 bereits Heideggers pietaumltsloser Gaskammernvergleich
an
Ackerbau ist jetzt motorisierte Ernaumlhrungsindustrie im Wesen das Selbewie die Fabrikation von Leichen in Gaskammern und Vernichtungslagerndas Selbe wie die Blockade und Aushungerung von Laumlndern das Selbe wiedie Fabrikation von Wasserstoffbomben141
Hier wird davon ausgegangen dass es eine Uumlbertragung der Notizen uumlber
das deutsche Land als bdquoeinziges KZldquo ist die Unterdruumlckung des deutschen Vol-
kes durch die bdquoWeltdemokratieldquo die schlimmer sei als die Graumlueltaten der bdquoGas-
kammernlsquoldquo142 In die mythopoetische Formel von dem dingenden Ding aus dem
ersten Vortrag sind alle Valenzen eingeschrieben die es zur Aufgabe des abendlaumln-
dischen Deutschen (also als Nachfolger der alten Griechen) machen das Wesen
des Dings und somit der Technik zu huumlten Die Verantwortung fuumlr Genozid
Massenvernichtungswaffen und den Mangel im Nachkriegsdeutschland schreibt
Heidegger gleichfoumlrmig dem Prinzip der Abstandslosigkeit zu
Auch die Rede von der Habgier des Berechnenden ist ein bereits bekannter
Vorbehalt Heideggers anhand der Rede vom raffgierigen Juden Denn er sagt von
der bdquoHerrschaft des Abstandlosenldquo dass sie bdquodie Hab-gier des vorstellenden Be-
rechnensldquo waumlre143 Das entspricht seinem Mythos von der alles zernichtenden
Machenschaft des juumldischen Wesens144
Dann folgt eine lange Elegie uumlber das Bestellen des Bestands des Ge-Stells
bdquo[d]ie Kette des Bestellens laumluft auf nichts hinaus sie geht vielmehr nur in ihren
Kreisgang hineinldquo145 uumlber 19 Seiten des 21 seitigen Vortragsexts hinweg entwirft
Heidegger diverse Bilder wie das Ge-Stell die Natur das Hergestellte den Men-
schen und das Verstandesmaumlszligige vereinnahme und das Wesen desDings gleichsam
zur Veruntreuung bringen wuumlrde Wiederum poetisch orientiert kontrastiert also
140 Ebd141 Ebd S 27142 GA 97 S 99f143 Vgl GA 79 S 25144 Vgl Machenschaft hier S 29 und Geraff hier S 33145 GA 79 S 29
35
Heidegger Houmllderlins Hymne Der Rheinlsquo mit dem Rhein dessen Stroumlmung fuumlr
ein Stromkraftwerk genutzt wird
Achten wir um das Ungeheure das hier waltet zu ermessen nur auf einenAugenblick auf den Gegensatz der sich in den beiden Titeln ausspricht DerRhein verbaut in das Kraftwerk ndash der Rheinlsquo gesagt in der gleichnamigenHymne Houmllderlins146
Die Differenz also waumlre das Ungeheure147 Dabei waumlre der Rhein verbaut in das
Kraftwerk Aumlhnlich wie Kohle Erze und Rohoumll waumlren sie Bestand der bdquobesteht
im Bestellenldquo ndash bdquoDas Bestellen waumlre demnach lediglich eine Machenschaft des
Menschen vollzogen in der Weise der Ausbeutungldquo148
Das Bild des Wasserkraftwerks wird erweitert um den Begriff des Menschen
Elektrizitaumlt mit Wasserkraft erzeugen bdquokoumlnnen die Menschen [] nur insofern
sie selber schon in dieses Bestellen bestellt sindldquo149 Mit diesem Bild versucht Hei-
degger praktisch zu veranschaulichen dass Entwurf Umsetzung und Einsatz ei-
ner technischen Anlage den Menschen in ein entruumlcktes Verhaumlltnis zum Wesen
des dingenden Dings setze ndash bdquoDer Mensch ist darum der Angestellte des Bestel-
146 Ebd147 Das ist zusaumltzlich zu dem gemeinten Gegensatz ein Vergleich mit dem Heidegger dem Wort
bdquoRheinldquo in die Hymne Der Rheinlsquo gesprochen eine Energie erzeugende Wirkung zu-schreibt eben so wie das Kraftwerk Strom erzeugen wuumlrde Das wird klar dadurch dassHeidegger metaphorisch vom Stellen des Wortes bdquoRheinldquo in die Hymne spricht Es handeltsich um einen Appell zur denkerischen Besinnung Dass Heidegger dafuumlr eine technischeAnlage zur Veranschaulichung inspirierend wirken laumlsst spielt bereits in die Richtung derBegriffe bdquoHer-vor-bringenldquo bdquoEntbergenldquo und spielt auf das Alteheia-Prinzip an Darauf wirdweiter unten anhand Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo eingegangen werden Es handelt sich umdas Angebot eines mythopoetischen Umgangs mit Technik insbesondere wenn sie sich inheimische Gefilde einfuumlgtHeute koumlnnte man mit Windraumldern ebenso verfahren Somit koumlnnte aber auch Heidegger
als ein gewisser Quijana aus Mancha verstanden werden eben der Protagonist aus Miguel deCervantes Roman Don Quichote von der Manchalsquo der mit seinem von ihm flux auch um-benannten Klepper (weil er zuvor sich selbst in Don Quichote umtaufte) Rocinante Riesenbezwingen will um mit dieser Heldentat unsterblichen ritterlichen Ruhm zu erstreitenAuch Don Quichote fand seine Riesen in Windmuumlhlen und auch Don Quichote war uumlber
eine uumlbertriebene Auseinandersetzung mit einer verschuumltteten Kultur dieser verfallen undsuchte diese in seiner Aventuumlre zu reaktualisieren Martin Heideggers mythopoetisches Pro-gramm ist tatsaumlchlich stark mit Don Quichotes Motiv vergleichbarFerner waumlre eine Auseinandersetzung mit Heideggers Werk unter Beruumlcksichtigung sei-
ner Gewichtung der Vorsokratiker und Houmllderlin als mythopoetischen Autor eine moumlglicheForschung zum Thema Anachronismen in Konzepten von Moral und gesellschaftlicher An-gemessenheit (Vgl Cervantes Miguel de Don Quichote von der Mancha Herausgeben unduumlbersetzt v Susanne Lange Muumlnchen 2008 S 33f)
148 GA 79 S 29149 GA 79 S 30
36
lensldquo150 Schon vorher wies Heidegger darauf hin bdquo[d]ie Herrschaft des Gegen-
staumlndigen sichert nicht den Abstandldquo151 Jetzt heiszligt es
Das Bestellen befaumlllt nicht nur die Stoffe und Kraumlfte der Natur mit Gestel-lung Das Bestellen befaumlllt zugleich das Geschick des Menschen Das Wesendes Menschen wird daraufhin gestellt das Bestellen in menschlicher Weisemitzuvollziehen152
Der Begriff des Ge-Stells wird daraufhin so konstruiert dass es im Bestellen
um ein Stellen (Herausfordern) alles bdquoAnwesenden als Bestandldquo als bdquoversus unumldquo
gegen bdquodas Eine Ganzeldquo gehe153 In wiederum mythopoetischer Formulierung ge-
baumlre die bdquoVersammlung des Stellens worin alles Bestellbare in seinem Bestand
west das Ge-Stellldquo154 Der Begriff bdquoVersammlungldquo wird einen Absatz zuvor my-
thopoetisch wieder an die Versammlung also das thing eben das wesenhafteDing
angelehnt und somit wie zu Das Dinglsquo bereits oben erlaumlutert in einen deutsch-
abendlaumlndischen Kontext gestellt (3)
Wir nennen die Versammlung der Berge die von sich her einig und nienachtraumlglich schon gesammelt ist das Gebirge Wir nennen die Versamm-lung der Weisen nach denen uns so zumute ist und sein kann das Gemuumlt155
Allerdings ist obiges Versammlungsmodell hier als Kontrast zu sehen zu dem
bdquoGeraff des Getriebesldquo das das Ge-Stell darstellt als bdquoWesen der Technikldquo156 Hei-
degger sieht in der Gleichfoumlrmigkeit die zum Wesen des Technik als Ge-Stell
150 GA 79 S 30151 GA 79 S 25152 GA 79 S 31153 Vgl GA 79 S 32154 GA 79 S 32155 Ebd
Das Wort ldquoGemuumltrdquo hat ferner eine ausschlieszliglich deutsche Praumlgung gibt es doch keinedirekte Uumlbersetzungen Gemuumlth ist ferner ein nicht eindeutig umrissener Begriff (Vgl Kra-mer Cheryce A Foolrsquos Paradise The Psychiatry ofGemuumlth in a Biedermeier Asylum Chica-go 1998 S 19) Die Bedeutung im Deutschen selbst ist zudem sehr variabel hat aber zumeistmit Seelen- oder Geistkonzepten zu tun ndash Cheryce von Xylander (geb Kramer) uumlbersetztGemuumlth mit bdquosoul-organldquo (ebd S 43) das von diversen Autoren unterschiedlich konstru-riert wird (zB von Kant geistigkoumlrperlich und von Kleist individuellkollektiv (vgl ebdS 41)) In Heideggers emblematischem Duktus scheint eine Vermischung von allen vier Di-mensionen geistigkoumlrperlich wie auch individuellkollektiv stattzufinden Es ist auf jedenFall dem Mythos geschuldet den Auftrag des Deutschen anzunehmen (3)
156 GA 79 S 33
37
gehoumlre die planetarische Abloumlsung und Aufhebung des traditionellen und damit
wesenhaft ans Ding gebundenen Verhaumlltnisses vom Menschen zur Erde (das von
ihm idealisierte voumllkische Bauerntum das Bestellen des Ackers) bdquoDie Bestand-
Stuumlcke sind Stuumlck fuumlr Stuumlck die Gleichenldquo157 So kontrastiert er alte Handwerks-
techniken mit Maschinentechnik und schreibt der Maschinentechnik die machen-
schaftliche Verdraumlngung als Geraff zu
Das Ge-Stell hat auch wenn das nicht unmittelbar und nicht sogleich ver-nehmlich wird im vorhinein schon alle diejenigen Stellen beseitigt an denenvormals Spinnrad und Wassermuumlhle standen Das Ge-Stell bestellt durch sei-ne Maschinerie zum voraus eine andere Art und Ordnung von Stellen Andiesen kommt nur zu Stand was als Bestellbares auf der Stelle gleichfoumlrmigzur Stelle steht
Darum ist auch die Art wie die Maschine selbst etwas herstellt einewesentlich andere als das handwerkliche Tun gesetzt daszlig es innerhalb desGe-Stells uumlberhaupt noch so etwas wie ein Herstellen gibt
Die Traktoren und Kraftwagen werden herausgebracht ausgeworfen se-rienweise Stuumlck fuumlr Stuumlck Wo drauszligen steht dieses so Herausgestellte Wo-hin in welchen Stand ist es gebracht158
In dieser Klage uumlber den technischen Wandel der durch den Fortschritt in
alle Lebensbereiche Einzug haumllt versucht Heidegger zu veranschaulichen wel-
chen Verlust es zu erkennen gelte Ein Versuch diesem entgegen zu treten ist die
von ihm vorgetragene Mythopoetik die er in diesem Vortragsteil seines Vortrags-
Gevierts allerdings auffaumlllig zuruumlckgestellt sein laumlszligt War der Einleitungsteil Das
Dinglsquo schlieszliglich eine nahezu einzige mythopoetische Darbietung Dramatur-
gisch wird Heidegger in Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo die mythopoetischen For-
mulierung als Loumlsungswege wieder Bedeutung geben In Das Ge-Stelllsquo versucht
Heidegger hingegen Vorstellungen aus seinen Schwarzen Heften aumlhnlich der fol-
genden mitzuteilen die das Uniforme Gleichfoumlrmige betreffen
Die Macht der Machenschaft ndash die Vernichtung sogar der Gottlosigkeit dieVermenschung des Menschen in das Tier die Vernutzung der Erde die Ver-rechnung der Welt ndash ist in den Zustand der Endguumlltigkeit uumlbergegangenUnterschiede der Voumllker Staaten Kulturen sind nur noch Fassade159
157 GA 79 S 36158 GA 79 S 35159 GA 96 S 52f
38
Was Heidegger unter dieser Gleichfoumlrmigkeit versteht schreibt er in den Schwar-
zen Heften zumeist den Amerikanern zu Er nennt es auch haumlufig Planetarismus
Der Amerikanismus [ist DS] die Zusammenraffung von Allem welcheZusammenraffung immer zugleich die Entwurzelung des Gerafften bedeu-tet160
Der Planetarismus ist die historisch gedachte Bestimmung der uumlberall glei-chen die ganze Erde uumlberdeckenden Seinsverlassenheit des Seienden161
Die Gegenuumlberstellung von natuumlrlicher und traditioneller Handwerkstechnik
gegen maschinenhafte Gleichfoumlrmigkeit exemplifiziert Heidegger dann im Vor-
trag Das Ge-Stelllsquo vielfach wie zum Beispiel hier
Der Forstwart zB der im Wald das geschlagene Holz vermiszligt und demAnschein nach noch wie sein Groszligvater in der gleichen Weise die selbenWege geht ist heute von der Holzverwertungsindustrie gestellt Er ist ober es weiszlig oder nicht in seiner Weise Bestand-Stuumlck des Zellulosebestandesund dessen Bestellbarkeit fuumlr das Papier das den Zeitungen und illustrier-ten Magazinen zugestellt wird die uumlber die Oumlffentlichkeit daraufhin stellenverschlungen werden162
160 GA 96 S 257161 GA 96 S 261162 GA 79 S 37f
Die renommierte Theaterautorin Elfriede Jelinek karikiert in ihrem Stuumlck Totenaubergvon 1991 Heideggers Konstrukt von Heimat und Fortschrittsfeindlichkeit verbunden miteiner Auseinandersetzung mit dessen Liebschaft zu Hannah Arend Mit philologischer Prauml-zision polemisiert sie Teile aus Heideggers Elegie uumlber die Technik und laumlszligt ihn dabei alsbeschraumlnktes und eingezwaumlngtes Wesen in einem Gestell gefangen sein Aus diesem heraussoll er Arend Rede und Antwort stehen uumlber sein Verhaumlltnis zum Nationalsozialismus unddie Shoa Doch dieser redet nur naturtrunken von Heimat und berauscht sich daran Derprophetische Denker wird banalisert ndash diese Worte legt Jelinek ihm (im Stuumlck der alte Mann)in den MundbdquoDie Angst vor dem Fragen liegt uumlber dem Abendland Sie bannt die Kandidaten auf ein
Team-Leibchen verbannt sie auf altgewordene Wege und jagt sie zuruumlck ins morsch geworde-ne Gehaumluse ihrer Tore wo es um ihre Ausscheidungen geht Es wird ihnen alles weggenom-men werden auch der Weg selbst Keine Spur kein Lichtschein aus den Ritzen Aber ruf ichin die Huumltte um nach einem zu fragen den ich gekannt hab sehe ich grad noch eine Tuumlrsich schlieszligen Der Wald kommt nicht zur rechten Geltung alles ist entflohen was mir liebwar und woran ich geglaubt hab Was kommt ist noch nicht da Nichts war Ich habe nichtsgehoumlrt Ich erinnere mich nicht aber ich stelle dem Kommenden das mich den lupenreinenAmateur schon vor Beginn des Rennens erlahmen laumlszligt vorsorglich die Hausschuhe vor dieTuumlr Sie sind das Einzige was die Profis des Profits von mir dann vorfinden werden wennsie anklopfen Die Haumlrte des Urgesteins sollte sie nicht entmutigen Die Jahreszeiten machendie Landschaft auf und zu Ich sage nur In dieser scheinbaren Leere will ich vom Denkenmuumld nur schlafen Von der Huumltte aus lassen sich Wanderungen unternehmen Aber auchsonst wird Ihnen alles wie ich sagte genommen werden Auch Ihre Fotos und Namen Unddas Gewesene wird wesenlosldquo ( Jelinek Elfriede Totenauberg Hamburg 1991 S 86f)
39
Die Oumlffentlichkeit ist fuumlr Heidegger ein Topos der dem Denken und Besinnen
entgegenstuumlnde Somit meint er damit zum Einen die Medien wie er es anhand
der Rede von den Bestandstuumlcken in Das Ge-Stelllsquo erklaumlrt wo der Mensch als
Urheber des Ge-Stells als Wesen der Technik nicht gelten soll Vielmehr wuumlrde er
in Ratlosigkeit und Langeweile verfallen weil er in der Bestellung des Bestandes in
Form von Bestandstuumlcken vom Rundfunk keine Besinnung mehr faumlnde dh das
Ganze also wiederum daswesentliche Ding nicht mehr zu fassen vermoumlge163 Und
so toumlnt es bereits aus den Schwarzen Heften von 19391940()
Die Bildlsquo und Tonlsquo ndash Reportagenlsquo der Machenschaft ist der planetari-sche Mythuslsquo des Vollendungsabschnittes der Neuzeit Die Welt des abge-legensten deutschen Bauernhofes wird nicht mehr durch [] die Naturlsquobestimmt in der noch die Erde waltet sondern durch das illustrierte Blattmit der Darstellung von ausgezogenen Tanzweibern von Boxern und Renn-fahrern und sonstigen Heldenlsquo des Tages164
Und ferner notierte Heidegger 1946 in seinen Schwarzen Heften
Uumlberall zerrt es aus dem Oumlffentlichen ins Oumlffentliche mit vielen Strickenund jeder sieht das kaum versuchte Denken des Seyns am Leitband seinesStrickes165
Dabei waumlre eben ein bdquoLiterat [] ein in die Oumlffentlichkeit verliebter Mensch der
Angst vor dem Denker hatldquo166 Dieses liefe dann darauf hinaus dass beim Rund-
funk bdquoein Bestellen und Stellen waltet das in dasWesen des Menschen eingegriffen
hatldquo167
Abermals nach dem Wesen der Technik also nach dem Ge-Stell gefragt geht
Heidegger auf seine Unterscheidung vonNatur undNaturwissenschaft ein bdquo[w]elches
ist das Verhaumlltnis zwischen der Technik und der Naturldquo168 Natur wuumlrde in wis-
senschaftlicher Hinsicht unter das Berechnete fallen sie wuumlrde bdquoals das in Maszlig
und Zahl gestellte Wirkliche vorgestellt das in seinem Gewirkten staumlndig an-
westldquo169 Wenn Heidegger dann Natur aus technischer Sicht bdquoals ein System des
163 Vgl GA 79 S 38f164 GA 96 S 54165 GA 97 S 100166 GA 97 S 126167 GA 79 S 39168 GA 79 S 41169 Ebd
40
Bestellens von Erfolgen aus dem gestellten Wirksamenldquo170 charakterisiert spricht
er von seiner Rede der Verschraumlnkung von Historie und Technik ndash bdquoTechnik die
Historie der Naturldquolsquo171 Dieses ist bekanntlich das seinsvernichtende Gegenstuumlck
zur geschichtlichen Besinnung Denn geschichtliches Walten der Technik ist fuumlr
Heidegger technische Geschichte dh verwissenschaftlichte Geschichte die da-
durch ihr Wesen verloren haumltte (Seynsvergessenheit)172 So heiszligt es in den Schwar-
zen Heften von 1947
Ein Zeitalter das historisch geworden ist dh technisch planend sich selberberechnet und alles in diesen Sog zieht muszlig jede Besinnung nur als eine dervielen Formen der Intellektualitaumlt registrieren173
Heidegger schlieszligt den Vortrag mit dem Aufgriff der Anfangsbehauptung
bdquo[d]er Bestand bestellt das Abstandsloseldquo174 Somit liegt das Problem der ausblei-
benden Naumlhe durch die Technik deren Wesen das Ge-Stell waumlre das den Bestand
bestelle in der Luft Dass dabei der Mensch sogleich Teil des Bestandes und nicht
Teil der Maschine wird laumlsst ihn das historische Tier sein (2)
Der Mensch ist auswechselbar innerhalb des Bestellens von Bestand []Gleichwohl gehoumlrt der Mensch in einer voumlllig anderen Weise in das Ge-Stellals die Maschine DieseWeise kann unmenschlich werden DasUnmenschlicheist jedoch immer noch unmenschlich Der Mensch wird nie zur MaschineDas Unmenschliche und noch Menschentuumlmliche ist freilich unheimlicherweil boumlsartige und verhaumlngnisvoller denn der Mensch der nur Maschine wauml-re175
Wen Heidegger hier ersinnt ist der neuzeitliche Mensch der den bdquoGoumlttern uner-
traumlglich gewordenldquo176 waumlre
170 Ebd171 GA 95 S 351172 In Heidegger Die Technik und die Kehre S 21 stellt er Geschichte und Historie einander
gegenuumlber was er in Das Ge-Stelllsquo nicht vollzieht bdquoDie moderne Technik kam doch erst inden Gang als sie sich auf die exakte Naturwissenschaft stuumltzen konnte Historisch gerechnetbleibt dies richtig Geschichtlich gedacht trifft es nicht das Wahreldquo Signifikant fuumlr Heideg-gers Attributierung so wie sie oben schon geschildert ist steht Historie fuumlrs Rechnen undGeschichte fuumlr das Denken
173 GA 97 S 508174 GA 79 S 44175 GA 79 S 37176 GA 94 S 236
41
323 Die Gefahrlsquo
Aus Heideggers Darlegung uumlber das Ge-Stell erschlieszligen sich seine diversen Fa-
cetten der Vorstellung einer Abstandslosigkeit schaffenden Technik Dass die Ab-
standslosigkeit dem Prinzip des Gevierts des Zusammengestellten entgegensteht
bekommt im Vortrag Die Gefahrlsquo Nachdruck Die mythopoetische Erzaumlhlung
knuumlpft an den Vortrag Das Dinglsquo an mit den Mythologemene 1 Der Mythos
des geschichtlich sein muumlssens 2 der Mythos des Goumlttlichen 3 das geschichtsbe-
sinnliche Prinzip der Aletheia Zudem wird im Prozess des Vortrags das Ge-Stell
zur Gefahr stilisiert was einen eigenen Mythos erschafft
Durch das bdquouniversale Bestellen des Ge-Stellsldquo177 werde die naumlhernde Naumlhe des
Dings verwehrt Wie im Vortrag Das Dinglsquo fuumlhrt Heidegger das Wesentliche sei-
ner Theorie auf die deutsche und altgriechische Sprache zuruumlck Die so vollzoge-
ne Annaumlherung von Schwarzwaumllderischem Dialekt und Altgriechisch entspricht
Heideggers Traum von dem bdquogeschichtliche[n] Geburtsort des abendlaumlndischen
Wesensldquo178 den seine Heimat von Todtnauberg bis Freiburg stiften sollte (1)
es ist das Geistvolle und zugleich das erdenhafte schoumlne Land Es birgt un-sichtbaren Reichtum dem Gemuumlt bewahret tiefstes Dichten und houmlchsteGestalt der Sage179
Unter diesem Vorzeichen also sagt Heidegger
Das Ge-Stellwesen laumlszligt das Ding ohne die Wahr Das Wort die Wahrlsquo be-deutet in unserer Sprache dort wo sie noch urspruumlnglich spricht die HutIn unserer schwaumlbischen Mundart meint das Wort die Wahrlsquo die der muumlt-terlichen Hut anvertrauten Kinder Das Ge-Stell laumlszligt in seinem Stellen dasDing ohne die Hut ndash ohne die Wahr seines Dingwesens180
Diese in Bremen vorgetragene Heimatkunde ist auch Heideggers Sorge ge-
schuldet durch die Besatzermaumlchte und deren kulturellen Einfluss auch durch
die nun moumlgliche Oumlffnung Deutschlands zu einem Austausch mit der Welt das
eigene Wesen zu verlieren So schreibt er 1945-1947() in seine Schwarzen Hefte
177 GA 79 S 46178 GA 97 S 54179 Ebd180 GA 79 S 46
42
Das Schwerste und Fragwuumlrdigste unseres Geschickes ndash beruht darin ob wirdas Eigene finden und huumlten [] unter den anderen Voumllkernlsquo [] Scheinund Vorwand der Macht daszlig man unsere eigene Aufgabe bringen will []als Entmachtete aufgenommen zu sein in den Weltmachenschaftsbetrieb181
Es gaumlbe nach Heidegger also das Welten von Welt und die Verweigerung von
Welt aus derVerwahrlosung des Dings durch das Ge-Stell bzw die Technik182 Welt
ist nach dem Konzept des schwaumlbischen Denkers nichts weniger als das Geviert
Bei der folgenden mythopoetischen Zusammenstellung von dem Geviert mit alt-
griechischen Vokabeln um den Seins-Begriff wird das Aletheia-Prinzip eingefuumlhrt
Somit fuumlhrt uumlber den Mythos des Goumlttlichen (2) der Weg zur Wahrheit eben als
geschichtsbesinnlich erfahrene Aletheia (3)
Welt ist das Geviert von Erde und Himmel Goumlttlichen und SterblichenDas Spiegel-Spiel der Vierung wahrt alles was in ihm dingend zwischenden Vier anwest und abwest in das einende Ganze seines Anwesens Vonaltersher heiszligt das Anwesen des Anwesenden τὸ ὲόν das Seiend [sic] τὸεἶναι das Sein naumlmlich der ὲόντα des Seinenden das esse entium183
Diese Welt waumlre nun bdquoWahrnis des Wesens von Sein Statt Wahrnis sagen wir auch
Wahrheitldquo184 Die Welt mythopoetisch als Spiegel-Spiel des Gevierts und durch
eine altgriechische Brille betrachtet waumlre die wahre Welt Somit wird die Wahr-
heitsschau gebunden einen antiken Goumltterglauben und abendlaumlndische Sprachkas-
kaden vom Dialekt zum Altgriechisch
Das Problem mit der wahren Welt waumlre allerdings dass sie sich in die Ver-
borgenheit entziehe Naumlher betrachtet ist aber die Verborgenheit Bedingung des
Entbergens was Heidegger notwendig macht zu einem wuumlrdigen Lebensvollzug
in Harmonie mit dem Sein Durch solche Wesensschau waumlre der Mensch befaumlhigt
jederzeit die verstellenden Maumlchte des Ge-Stells (der Technik) zu uumlberwinden und
teilhaftig am Wesen der Welt zu werden
181 GA 97 S 99182 Vgl GA 79 S 47183 GA 79 S 48 (Die griechischen Vokabeln werden hier keiner Uumlbersetzung unterzogen Da
Heidegger ohnehin keine philologische Schaumlrfe anwenden will ist es fuumlr die Zwecke hierausreichend sie mit seiner Uumlbersetzung zu betrachten Heidegger spricht von bdquoAchten aufdas Griechischeldquo was schwieriger waumlre als klassische Philologie (vgl GA 79 S 63)
184 Ebd
43
Welt bleibt in der Verborgenheit (Αήθη) auf die Weise daszlig diese ihre Ver-borgenheit gerade eine Unverborgenheit gewaumlhrt die Αλήθεια185
Die Αλήθεια haumltte allerdings auch eine Rolle uumlber die subjektive hinaus da nur
durch ihren Vollzug Seinsgeschichte gewaumlhrt wuumlrde Das ist der Anspruch den
Heidegger an sein Auditorium stellt gemeinsam geschichtlich sein zu muumlssen (1)
Die Αλήθεια ist das Geschick des Seins als welches Geschick sich die Fuumllleder Seinsgeschichte in ihre Epochen fuumlgt186
Mit dem Ge-Stell als Wesen der modernen Technik waumlre die Aletheia aller-
dings hochgradig gefaumlhrdet Denn ohnehin waumlre die Aletheia prinzipiell der Ge-
fahr der Vergessenheit ausgesetzt Doch das Ge-Stell haumltte die Kraft die bdquovollende-
te Vergessenheit der Wahrheit des Seinsldquo187 zu vollrichten
Indem das Ge-Stell alles Anwesende in den Bestand bestellt setzt das Ge-Stell das Anwesen des Anwesenden heraus aus seiner Wesensherkunft ausder Αλήθεια188
Diese Versetzung des beteiligten Wesens aus der Moumlglichkeit des Wahrheitsprin-
zips heraus markiert Heidegger dann mit der Schreibweise Seyn (mit bdquoyldquo) Wie
bei dem Vortrag Das Dinglsquo koumlnnen ethymologische Abstammungen sein Sys-
tem anreichern Da wo es um das Wortfeld des Stellens geht Ge-Stell Bestellen
Verstellen ist auch das NachstellenMitglied der Familie
Im Althochdeutschen heiszligt nachstellen fara Das in sich gesammelte Stellenals Nachstellen ist die Gefahr Der Grundzug des Wesens der Gefahr ist dasNachstellen Insofern das Sein als das Ge-Stell sich selbst mit der Vergessen-heit seines Wesens nachstellt ist das Seyn als Seyn die Gefahr seines eigenenWesens189
Damit wuumlrde sich durch die Verringerung der Selbstreflexion im Seyns-Bestand
eine Schwachstelle auftun in die der denkbegabte und aletheiafaumlhige Mensch ei-
ne Moumlglichkeit haben das Seyn zum Sein zuruumlckzuwandeln ndash also wieder in ein
185 GA 79 S 49186 Ebd187 GA 79 S 53188 GA 79 S 52189 GA 79 S 53
44
wesentliches Verhaumlltnis zum bdquoDingldquo zu gelangen in dem das Geviert wieder die
Harmonie herstellt Allerdings faumlnde bis zu solch einer Nachstellung eine Ver-
sieglung des Seynsbestandes statt Und Heidegger beklagt dass die Erreichung der
Ruumlckeroberung des Seins uumlber die Nachstellung nicht stattfaumlnde und stattdessen
die Irre regieren wuumlrde190
In dieser Irre stuumlnde dem Menschen nicht einmal mehr zu zu sterben Denn
bdquoSterben [] heiszligt den Tod in sein Wesen austragenldquo191 Somit waumlren die Opfer
die in den KZs umkamen wie er sie in Das Dinglsquo bereits schildert nicht vermouml-
gend gewesen zu sterben bdquoSie werden Bestandstuumlcke eines Bestandes der Fabrika-
tion von Leichen [] Sie werden in Vernichtungslagern unauffaumlllig liquidiertldquo192
Das vermoumlge die Gefahr zu bewirken Der Mensch wuumlrde des eigenen Sterbens
beraubt da er keine Verbindung mehr zur Wahrheit der Welt haumltte Um den rich-
tigen Tod zu sterben muumlsse der Mensch die Aletheia schauen koumlnnen Insofern ist
Heideggers Prinzip ein religioumls anmutendes Wie in der christlichen Vorstellung
der Mensch im Jenseits an seinen Taten gemessen wird um Paradies oder Fege-
feuer zu besuchen soll nach Heidegger der Mensch waumlhrend des Sterbens mit
sich selbst ins Gericht gehen Er soll sich rein machen vom Ge-Stell der Technik
und dem Seyn um nicht die einmalge Gelegenheit des richtigen Sterbevollzugs
zu versaumlumen Es winken gemaumlszlig des Gevierts die himmlischen Goumlttlichen den
irdischen Sterblichen zu wobei annehmbar ist dass Heidegger Sterblichen die
die Aletheia erkennen einen Goumlttlichkeitsstatus beimessen moumlchte ndash eine Erlouml-
sungsphantasie
Genau diese Erloumlsung waumlre die Technik nicht
Ohne den Schritt des Denkens zu wagen der unser Menschenwesen demWesen der Technik [] aussetzt wuumlrgt man sich von Fall zu Fall von Lagezu Lage durch die Zwiespaumlltigkeiten hindurch Und genau durch dieses Ge-wuumlrge versaumlumt man die Moumlglichkeit dessen was man im Grunde erstrebtdie Technik durch menschliches Tun zu meistern und menschenwuumlrdig zulenken193
190 Vgl GA 79 S 55191 GA 79 S 55192 GA 79 S 56 Weil Heidegger im Judentum die Verantwortlichen fuumlr das Geraffe des Ge-Stells
sieht macht er sie gleichsam verantwortlich fuumlr die bdquoSelbstvernichtungldquo Die Seinsverges-senheit im Tode wird dadurch zum Spin-off der vermeintlich juumldisch erzeugten da machen-schaftlichen KZ-Maschinerie (Vgl GA 97 S 20f)
193 GA 79 S 59
45
Trost und Richtung findet Heidegger schlieszliglich abermals bei den alten Griechen
Das Wort stellenlsquo entspricht dem griechischen ϑέσις vorausgesetzt daszlig wirϑέσις griechisch denken Was heiszligt in diesem Falle griechisch denkenlsquo Esheiszligt darauf achten welche Lichtung desWesens des Seyns in welcherWeisedas Dasein der alten Griechen in den Anspruch genommen hat heiszligt imvoraus bedenken in welchem Geschick welcher Unverborgenheit des Seinsdie Griechen standenldquo194
Das sind Vorstellungen des Neuen Anfangs eine Reminiszenz der griechisch anti-
ken Welt Ein Eintrag aus den Schwarzen Heften von etwa 1945-47 () verdichtet
wie oben bereits aufgezeigt die Phantasie griechisch zu sein zu einem gelingenden
Lebensvollzug
Das reine Wesen des Griechentums dh das Seiende inmitten dessen dieGriechen als seiende fremd gewesen dieses und sie selbst und der Bezug desSeins zu ihnen ndash in der einfachen Wesung von der ἀλήθεια her zeigen underfahren Den μῦθος und λόγος ndash jedes Wort und Gebild rein aber nichterzwungen und schematisch-pedant ndash aus ἀλήθεια erfahren195
Hier zeigt sich auch dass Heidegger per se das Aletheia-Prinzip fuumlr notwendig
hielt um ins Licht der Wahrheit zu blicken Die Griechen sind ihm hier deshalb
Vorbild und rein da sie keiner modernen Technik und dem Ge-Stell ausgesetzt
waren sondern lediglich eine mythopoetische Verbindung zum Sein herstellen
mussten um wesentlich zu sein und Seinsgeschichte zu schreiben Die Dinge und
das Spiegel-Spiel des Gevierts waumlren ihnen geschickt zuhanden gewesen196 Hei-
degger macht schlieszliglich sehr deutlich dass das Griechische zu denken ein bei
weitem anderes Geschaumlft sei als philologische Praumlzision
Ein Echo zu sein naumlmlich dem Anspruch des Seins verlangt eine Sorgfaltder Sprache von der freilich der technisch-terminologische Sprachstil derWissenschaften uumlberhaupt nichts wissen kann Die Intentionalitaumlt der wis-senschaftlichen Sprache ist der staumlrkste Beweis fuumlr ihre Boden- und Heimat-losigkeit [] Das Heimische einer hohen Sprache gedeiht nur im Bereichdes unheimlichen Anspruchs der wesenhaften Stille im Wesen des Seyns197
194 GA 79 S 62f195 GA 97 S 20196 Hingegen waumlre das Judentum verantwortlich fuumlr das Ge-Stell fuumlr das Prinzip der Zerstoumlrung
wie es auf der selben Seite der Schwarzen Hefte darunter heiszligt (vgl ebd)197 GA 79 S 66 Die Bedeutung von Seyn als verstelltes Sein oder Bedingung zum Schauen
des wahren Seins ist verwirrend Einer genaueren Analyse wird aus Platzgruumlnden hier nichtnachgegangen
46
324 Die Kehrelsquo
Der letzte Vortrag ist mit nur neun Seiten der Kuumlrzeste des Vortragsgevierts
Nach dem Verlust des Dinges als Ding und der damit einsetzenden Abstandslosig-
keit als Wesen des Ge-Stells wobei die Gefahr zudem der Vergessenheit des Seyns
nachstellt bietet Heidegger eine Perspektive an
Im Wesen der Gefahr verbirgt sich [] die Moumlglichkeit einer Kehre in derdie Vergessenheit des Wesens des Seins sich so wendet daszlig mit dieser Kehredie Wahrheit des Wesens des Seyns in das Seiende eigens einkehrt198
Diese Moumlglichkeit bedeute nicht dass der Mensch sich der Gefahr selbst stellen
koumlnnte sie waumlre passiv ndash bdquoverbirgt sichldquo Die Kehre werde sich ereignen aumlhnlich
einer Erwartung an den Messias
Die Anwesenheit der Gefahr wuumlrde automatisch die Rettung bergen Denn
Houmllderlin haumltte geschrieben bdquoWo aber Gefahr ist waumlchst [d]as Rettende auchlsquoldquo199
Etwa 1945 notiert Heidegger in seine Schwarzen Hefte bdquoDie Wahrheit erfahren
wir im Gedaumlchtnis Das Gedaumlchtnis ist die Dichtungldquo200 (so) Von dieser War-
te aus ausgestattet mit Erinnerungen an das abendlaumlndische Dichten mit dem
Wissen um das Aletheia-Prinzip und passiv als denkender Huumlter des Seyns solle
der Mensch das Ereignis erwarten das ihn bdquoloumlsen freimachen freyen schonen
bergen in die Hut nehmen wahrenldquo201 wuumlrde (siehe S 43)
Dieses Ereignis waumlre der Blitz Ein unvermittelter jaumlher ploumltzlicher Moment
von kurzer Dauer der bloszlig einen ebenso kurzen Blick auf das wahre Wesen er-
lauben wuumlrde Abschlieszligend ist dies das Rezept gegen die Bestands bestellende
Technik in mythopoetischer Formulierung
So entsprechend ist der Mensch geeignet daszlig er im gewahrten Element vonWelt als der Sterbliche dem Goumlttlichen entgegenblickt Anders nicht dennauch der Gott ist wenn er ist ein Seiender steht als Seiender im Seyn unddessen Wesen das sich aus dem Welten von Welt ereignet202
198 GA 79 S 71199 GA 79 S 72200 GA 97 S 52f201 GA 79 S 72202 GA 79 S 76
47
Wenn Heidegger im Anschluss von der bdquohistorisch-technischen Darstellungldquo re-
det so ist dies die Abwehr der Wissenschaften (auch der Philosophie203) und ein
Appell an die Antirationalitaumlt des Mythos bdquokein historisches Vorstellen der Ge-
schichte als Geschehen bringt in den schicklichen Bezug zum Geschickldquo204
Damit das Blitzen erfahren werde als kurze Wesensschau der Aletheia muumlsse
dem wahren abendlaumlndischen und heimatlichen Ereignis stattgegeben werden Es
sollte nicht wie er 1939 schon in den Schwarzen Heften beschreibt das
kuumlnstliche Licht von Historie und Technik in der weder Mensch noch dieGoumltter weder eineWelt noch die Erde sichtbar werden koumlnnen wo aber dasLebenlsquo von allen den immer noch zu wenigen Meistenlsquo erlebtlsquo wird205
Damit schlieszligt der letzte Vortrag mit einer Erwartung an das Ereignis des Blit-
zens nicht das Erleben der Besinnungslosigkeit (vgl Das Ge-Stelllsquo) Schon 1947
traumlumt Heidegger von solcher Umkehr
Aus der Kehre der Seynsvergessenheit aber ereignet sich das Unumgaumlnglicheden Acker der Welt erst zu pfluumlgen und saatbereit der Sonne und dem Regenund den Voumlgeln des Himmels uumlberlassen206
203 Denn ldquo[e]igentlich denken heiszligt [] die Philosophie verlassen [] beim Sagen des Seinslsquoldquo(GA 97 S 60)
204 Ebd205 GA 95 S 427 Gegen das Erlebnis und Erleben straumlubt sich Heidegger besonders So notiert
er etwa 1939 bdquoZeitalter der Techniklsquo macht gerade die Techniklsquo nicht zum Ziel sondernimmer mehr zum Mittel der besinnungslosen Berechnung [] der Mensch [] das Erleb-nislsquo [] Erleben als der Gefuumlhlsgenuszligldquo (GA 95 S 149) Wie auch bdquoWo beide Historie undTechnik in solcher scheinbaren Gegensaumltzlichkeit verkoppelt sind koumlnnen sie sich zur Foumlr-derung dessen zusammenschlieszligen was einstmals wesentlich die Geschichte des Menschenmitbegruumlndete und was wir die Kunstlsquo nennen Die Historie verschafft [] Anregungenund Vorbilder der Nachahmung die Technik erleichtert [] die Zustellung von Darstel-lungsmitteln und Wirkungsformen [] Gleichwohl ist alles wurzellos [] berechnet und alsErlebnislsquo ausgegebenldquo (GA 95 S 212)
206 GA 97 S 511
48
4 Konklusion
Der umstrittene Philosoph Martin Heidegger hat uumlber die 1930erndash40er Jahre
hinweg eine ausgepraumlgte voumllkisch-nationale und bisweilen radikal-antisemitische
Denkweise entwickelt Dieses Denken fasste er auch auf als Besinnung und stellt
es der Philosophie und Wissenschaft diametral entgegen In Kapitel 2 wird aufge-
zeigt dass sowohl Heideggers Mythologie bereits kritisiert wurde (Adorno Cassi-
rer Meyer) als auch seine Mythopoetik bewundert (Schulz-Nieswandt) Kapitel
3 will daruumlber hinaus aufzeigen wie Heidegger eine eigene Mythologie mytho-
poetisch fruchtbar macht was sich von beiden vorigen Ansaumltzen unterscheidet
und erst mit der Veroumlffentlichung der Schwarzen Hefte ab 2014 nachvollziehbar
wurde
Umso mehr bietet die mythopoetische Verbindung von bdquoDichten und Den-
kenldquo (so) einen antitechnischen Gegenpol Denn Heidegger fasst wie oben ge-
schildert alles Rationale auf als berechnende Bestellung des Bestands im Sinne
der Technik Daruumlber hinaus fordert er mit dem Aletheia-Prinzip (als metapho-
risch gefasstes Ereignis des Blitzens) einen Mitvollzug seiner mythopoetischen
Kontemplation in dem religioumlse voumllkische antike und sprachliche Motive zu-
sammenfallen
Obwohl schon von Heidegger selbst nicht mehr als Philosophie betrachtet
hat seine Rede vom Ding dem Ge-Stell dem Wesen der Technik und der Kehre
noch immer einen bedeutenden Einfluss auf die Technikphilosophie So betont
Alfred Nordmann in bdquoWerkwissen oder How to express things in worksldquo (2008)
dass Heidegger mit Das Dinglsquo eine Art Dingwissen geschaffen haumltte In seinem
2012 erschienenen Aufsatz Another parting of the ways Intersubjectivity and the
objectivity of sciencersquo207 geht Nordmann ein weiteres Mal auf Heideggers Ding
ein Dieses waumlre eine Abarbeitung an dem Ding Kants womit auch Nordmann
Heidegger als einen Interpreten Kants versteht208 Anschlieszligend anMichael Fried-
207 Nordmann Alfred Another parting of the ways Intersubjectivity and the objectivity ofscience In Studies in History and Philosophy of Science 43 (2012) 38ndash46
208 Die Auseinandersetzung mit dem Ding wuumlrde nach Nordmann in Heideggers GA mit demText Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalen Grundsaumltzenlsquoeinsetzen (GA 41 Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalenGrundsaumltzen)
49
man spricht sich Nordmann ebenso dafuumlr aus dass Heidegger neben Rudolf Car-
nap und Ernst Cassirer eine neokantianische Philosophie verfolgt haumltte (siehe
Kap 1)209
Nach Nordmann haumltte Heidegger in seinen anschlieszligenden Gedanken uumlber
das Ding als Fortfuumlhrung Kants als erster Wissenschaft als angewandte Techno-
logie verstanden210 Diese Interpretation stuumltzt sich auf die gleichen Symbole
Metaphern und Mythen die die vorliegende Arbeit analysiert Das Ge-Stell ist
insofern aumlquivok mit dem Begriff techno-science Jedoch sind in dieser Fruchtbar-
machung von Heideggers Denken der Technik dessen nationalistischen rassisti-
schen und antisemitischen Implikationen die die vorliegende Arbeit als Zentrum
dessen Philosophie ermitteln konnte noch nicht beachtet worden koumlnnen211
Andreas Luckner webt Heideggers Ding-Entwurf weiter als verantwortliches
Sorgen um die Dinge212 Er geht dabei mit Heidegger voumlllig konform und tritt
eher als eine Art Bote der Ding-Botschaft auf als diese moumlglicherweise zu kriti-
sieren was sich diesen Artikel wie ein Kapitel aus einem Studienbuch lesen laumlsst
Der Darmstaumldter Technikphilosoph Christoph Hubig ist vor allem Kritiker Hei-
deggers Argumentationen laumlsst aber zuweilen diverse Topoi aus dem Werk des
Technik-Denkers durchscheinen ohne sie weiter zu reflektieren
So konstatiert Hubig Heidegger verfehle in dessen Auseinandersetzung mit
Aristoteles Lehre von der Poiesis zum Punkt der Sicherung wie sie in Die Frage
nach der Techniklsquo behandelt wird bdquodie operative Seite des Technischenldquo bei Aris-
totels213 In einem spaumlteren Aufsatz allerdings stuumltzt er sich ohne weitere Erlaumlute-
rungen auf Heideggers Begriff der Sicherung aus Die Frage nach der Techniklsquo214
209 Diese Befriedung paradigmatischer Umstaumlnde wird hier nicht geteilt Eine weitere Bearbeitunglaumlsst der Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht zu
210 Vgl Nordmann Another parting of the ways S 45211 Der Aussage dass Heideggers Ding-Begriff kantianisch waumlre muumlsste einer gezielten Untersu-
chung unterzogen werden genau wie die Behauptung insgesamt dass Heidegger oder inwie-weit dieser noch der suumlddeutschen Kantschule des 1920 Jahrhunderts angehoumlrte
212 Vgl Luckner Andreas Ding und Bestand Heidegger und das Wesen neuzeitlicher TechnikIn Gamm G Gehring P Hubig C Kaminski A und Nordmann A Ding und SystemS 15-30 hier S 29
213 Hubig Christoph Die Kunst des Moumlglichen Technikphilosophie als Reflexion der MedialitaumltBielefeld 2006 S 103
214 Vgl Hubig Christoph Technik als Medium In Grundwald Armin (Hg) Handbuch Tech-nikethik Stuttgart 2013 S 118-123 hier S 118
50
Dabei versteht Hubig Heideggers Betrachtungen zum Umgang mit der Technik
als gelassen
Fuumlr Heidegger liegt die Andersheit im Entbergen einer Wahrheit des Seinseines Geschicks von dem die Entwicklung der Technik hin zum Gestellkuumlnde Er verbindet dies mit dem Appell jenseits des rechnenden und si-chernden Vorstellens technischer Vollzuumlge als handlungsleitender Program-me sich gelassenlsquo dieser Entwicklung zu uumlberantworten und ein Seinlsquo zuhuumlten das sich als solches eben entbirgt Das Rettendelsquo dieser Einsicht lie-ge darin dass unsere individuelle Endlichkeit insofern transzendiert wirdals sie sich dem sie uumlbersteigenden Prozess aufschlieszligt und sich selbst relati-viert215
Wovon in diesem Zitat nicht die Rede ist ist der Mitvollzug der mythopoe-
tischen Rahmenbedinungen die Heidegger einfordert und an dem die Konzep-
te Abendland und voumllkische Tradition haumlngen In dieser Arbeit wird davon aus-
gegangen dass Heideggers Technikphilosophie-erzaumlhlung sich nicht von seinen
Absichten der Bekaumlmpfung des Technischen loumlsen laumlsst Die Relativierung ist in-
sofern nicht an den Prozess gebunden und damit emergent auf alles hin ausge-
richtet was kommen mag sondern houmlchst konvergent in einer Besinnung auf
Mythen von dem Ding und dem Geviert mit all deren Valenzen aus dem vorlie-
genden Heideggerschen Textkorpus Die individuelle Endlichkeit ist genoumltigt die
Heimat und das Abendland zu kennen und im Aletheia-Prinzip umzusetzen
Die Neubewertung der bislang bekannten Heideggerschen Technikphiloso-
phie von vor den SchwarzenHeften ist ein dringendes Desiderat Voumllkisch-nationale
Gruppierungen erstarken momentan in ganz Europa und es koumlnnte sehr hilfreich
sein aumlhnliche Denkstrukturen aufzudecken so wie sie zwischen den 1930er und
40er Jahren entwickelt wurden Zusaumltzlich muss das Werk Heideggers einer kriti-
schen Revision schon aufgrund der niemals von ihm behandelten Antisemitismen
unterzogen werden Heidegger hat nie zu diesen Stellung bezogen
Daruumlber hinaus ist das Thema Mythos und Philosophie ein weiterhin not-
wendiger Bereich der philosophischen Forschung In einem Bereich auszligerhalb
der exakten Wissenschaften und ohne klare theologische Tradition ist die Philo-
215 Hubig Die Kunst des Moumlglichen S 140
51
sophie beides sowohl Aufklaumlrer und antimythisch als auch Quelle fuumlr mythisches
Denken und affektierende Motive
52
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56
Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
Der Unterzeichner versichert dass er die vorliegende Bachelorarbeit selbststaumlndig
verfasst und keine anderen als die von ihm angegebenen Hilfsmittel benutzt hat
Die Stellen der Arbeit die anderen Werken dem Wortlaut oder dem Sinne nach
entnommen sind wurden in jedem Fall unter Angabe der Quellen (einschlieszliglich
des World Wide Web und anderer elektronischer Text- und Datensammlungen)
kenntlich gemacht Dies gilt auch fuumlr beigegebene Zeichnungen bildliche Dar-
stellungen Skizzen und dergleichen
Darmstadt 25 April 2016
__________________________
(Eigenhaumlndige Unterschrift)
- Abkuumlrzungsverzeichnis
- Danksagung
- Einleitung
- Heideggers mythopoetisches Programm
-
- Zu den Begriffen Mythos Mythologie und Mythopoetik
-
- Ein Beispiel fuumlr ein Mythologem
-
- Heideggers Mythen
-
- Formen der Mythologie
-
- Heideggers mythopoetische Technik
-
- Zur Publikationsgeschichte von den Bremer Vortraumlgen 1949
- Die mythopoetische Spiegelung der Schwarzen Hefte
-
- Das Dinglsquo
- Das Ge-Stelllsquo
- Die Gefahrlsquo
- Die Kehrelsquo
-
- Konklusion
- Literaturverzeichnis
- Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
-
26
dass Heidegger den Versuch der abgrenzungspolitischen Einflussnahmemacht ge-
maumlszlig der oben dargelegten Ressentiments die sich in einer Mythologisierung des
Abendlandes niederschlagen Um seinem Ideal des dichtenden Denkens als Philo-
sophieren nachzukommen will Heidegger diese Einschreibung des Abendlandes
mythopoetisch vollfuumlhren
Grundsaumltzlich ist Verbindung und Trennung Heideggers boumlser Schwarzer Hef-
te mit und von seiner guten Technikphilosophie das Schlachtfeld aktueller De-
batten Wie bereits darauf hingewiesen werden hier Schwarze Hefte und Veroumlf-
fentlichungen wie eben in Form der Bremer Vortraumlge als ein kontinuierlicher
Arbeitsprozess gesehen Es gibt insofern nur einen Heidegger und keine gespal-
tene Persoumlnlichkeit Die Siegener Philosophin Sodonie Kellerer stellt dies anhand
Heideggers Selbstsicht luzide dar
Seine immer wiederkehrende Beschwoumlrung des Werkeslsquo und seine an diver-sen Stellen der bislang vorliegenden Briefkorrespondenz artikulierten Be-muumlhungen dieses Werklsquo fuumlr die Nachwelt zu sichern [Kellerer bezieht sichhier ua auf Heideggers Briefwechsel mit seiner Frau der 2007 veroumlffentlichtwurde DS] verdeutlichen wie sehr er seine Texte als ein Ganzes verstandin dem keines der Teile entbehrliche Wiederholung geschweige denn irrele-vante Eroumlrterung ist107
Dabei allerdings wird die Frage offen bleiben mit welchem Maszlig er sich selbst ge-
faumlhrdet sah seine Ansichten oumlffentlich zu vertreten und welche Konsequenzen er
dabei fuumlrchtete Denn er musste die Vortraumlge kodieren ndash was er im Sinne der My-
thopoetik auch macht ndash und mit Einigem hinterm Berg halten108 Dass es dabei
verschiedene Offenbarungsebenen gibt wird hier erst einmal hingenommen Es
interessieren staumlrker nachweisbare Bezuumlge des Entwurfsdenkens Heideggers zur
Oumlffentlichkeitsarbeit von ihm109
te der Schwarzen Hefte anschlieszligen (1948 der letzte Band der Schwarzen Hefte umfasst denZeitraum 1942-1948)
107 Kellerer Sidonie Kampf der Besinnung In Deutsche Zeitschrift fuumlr Philosophie Band 63Heft 5 Seiten 941ndash957 hier S 942
108 Weshalb die Veroumlffentlichung der Schwarzen Hefte auch weitestmoumlglich nach hinten verlegtwurde
109 Wuumlrde man dem entgegenhalten dass Heideggers vermeintliches Genie aus Formalisierun-gen seiner Gedanken ableitbar eine wichtige Quelle an sich bliebe scheitert dieses damitdass nun die Formalisierungen nicht personenneutral sozial-epistemologisch bestehen koumln-nen Als Vergleich wuumlrde man aus Hitlers und Goumlbbels Reden Formalisierungen isolierenlieszlige sich bestimmt die eine oder andere plausible Idee entwenden (wenn sie voumlllig dekon-
27
Hierzu wird der Text der gesamten vier Vortraumlge unter dem Titel Einblick
in das was ist Bremer Vortraumlge 1949lsquo110 aus dem 1994 veroumlffentlichten 79 Band
der GA zugrunde gelegt Das hat den Grund dass davon ausgegangen wird dass
der Text somit am naumlchsten an den 1949 tatsaumlchlich vorgetragenen Manuskripten
liegt Insofern ist eine realistische Annaumlherung an eine mythopoetische Uumlbertra-
gung der Schwarzen Hefte in die Bremer Vortraumlge 1949 das Ziel Demgegenuumlber
gibt es ob der virulenten Publikationspraxis von Heideggers Schriften111 noch
andere Auskopplungen der vier Vortraumlgsteile mit den Titeln Das Dinglsquo Das Ge-
Stelllsquo Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo
31 Zur Publikationsgeschichte von den
Bremer Vortraumlgen 1949
Zuerst erschien 1954 im Neske-Verlag (Pfullingen) ein Sammelband der lediglich
den ersten Vortrag Das Dinglsquo enthaumllt allerdings in leicht erweiterter Fassung
so wie er ein halbes Jahr nach dem Bremer Auftritt in Muumlnchen (1950) an der
Akademie der Schoumlnen Kuumlnste gehalten wurde112 Dem Band hinzugefuumlgt ist aber
zudem ein Vortrag der vornehmlich die Kernaussagen von Das Ge-Stelllsquo und
Die Gefahrlsquo verbindet allerdings in modifizierter Form Dieser wurde unter dem
textualisiert wuumlrde) Ist aber die wahre Verbindung zu Hitler und Goumlbbels hergestellt hatman selbstverstaumldlich die Verantwortung zu tragen an dem ganzen Tross von unmoumlglichenVerfehlungen dieser Menschen die sie fuumlr uns zu Personae non gratae stempeln muumlssen
110 GA 79111 Hierauf macht auch der Darmstaumldter Philosoph Gernot Boumlhme aufmerksam als Akt ei-
ner bdquoposthumen Selbstinszenierungldquo in Boumlhme Gernot Selbstinszenierung uumlber Ruhmin der Philosophie In Information Philosophie (Online Ausgabe 12015) URL=lthttpwwwinformation-philosophiedea=1ampt=8232ampn=2ampy=5ampc=29gt zuletzt ab-gerufen am 2442016)
112 Heidegger Martin Das Ding In Ders Vortraumlge und Aufsaumltze Pfullingen 1954 S 163ff
28
Titel Die Frage nach der Techniklsquo113 am 18 November 1953 an der TUMuumlnchen
gehalten
Eine weitere Auskopplung diesmal des letzten Vortragsteils Die Kehrelsquo fin-
det sich in einem broschuumlrenformatigen Band wiederum im Zusammenspiel mit
dem Vortrag Die Frage nach der Techniklsquo in Die Technik und die Kehrelsquo114 von
1962 wieder Somit wurden die Vortraumlge Das Ge-Stelllsquo und Die Gefahrlsquo lange
Zeit nicht veroumlffentlicht sondern als vermischter und modifizierter Text eben
Die Frage nach der Techniklsquo jeweils zusammen mit Das Dinglsquo (1954) und Die
Kehrelsquo (1962) angeboten115 In der Vorbemerkung zu Die Technik und die Keh-
relsquo wird diese kleine Chronologie leicht verfaumllscht auch aufgezeigt Darin heiszligt
es ferner dass Die Frage nach der Techniklsquo eine erweiterte Fassung von Das Ge-
Stelllsquo waumlre Dem ist wie schon gesagt nicht so Sondern es ist eine modifizierte
Vermischung von Das Ge-Stelllsquo und Die Gefahrlsquo was unschwer zB am Begriff
vom bdquoHer-vor-bringenldquo116 zu erkennen ist der in Die Gefahrlsquo eingefuumlhrt wird
und in Die Frage nach der Techniklsquo die gleiche Bedeutungskonstituente bildet
Mit der Veroumlffentlichung des 79 Bandes der GA 1994 wurden alle vier Bremer
Vortraumlge von 1949 publiziert In Band 11 der GA erschien 2006 auszligerdem Die
Kehrelsquo in ihrer urspruumlnglichen Fassung Die Frage nach der Techniklsquo enthaumllt
weniger mythopoetische Teile als Das Dinglsquo und operiert demgegenuumlber staumlrker
anhand klassisch philosophischer Allgemeinplaumltze Derer sind vor allem zu nen-
113 Heidegger Martin Die Frage nach der Technik In Ders Vortraumlge und Aufsaumltze Pfullingen1954 S 9ff (Der Aufsatz erschien ebenfalls 1954 im Sammelband der Vortragsreihe DieKuumlnste im technischen Zeitalter Heidegger Martin Die Frage nach der Technik In DieKuumlnste im technischen Zeitalter Dritte Folge des Jahrbuchs Gestalt und Gedanke Hg v dBayrischen Akademie der Schoumlnen Kuumlnste Muumlnchen 1954 S 70ff)
114 Heidegger Martin Die Technik und die Kehre Pfullingen 1962115 Beide Baumlnde Votraumlge und Aufsaumltzersquo sowie Die Technik und die Kehrersquo haben hohe Aufla-
genzahlen (Uumlbersetzungen wurden hier nicht recherchiert wobei es aber eine internationa-le Heidegger-Rezeption gibt) 1993 wurde der Pfullinger Neske-Verlag von dem StuttgarterHaus Klett-Cotta uumlbernommen was die Buumlcher aber unveraumlndert belaumlsst Vortraumlge und Auf-saumltzelsquo zaumlhlt seit 2009 die 11 Auflage Die Technik und die Kehrelsquo seit 2014 die 13 BeideBaumlnde sind vergriffen Es mutet unverstaumlndig an weshalb eine fehlerhafte Jahresangabe ausder ersten Veroumlffentlichung von Die Technik und die Kehrelsquo bis 2014 kolportiert wurdeDort steht der Vortrag Die Frage nach der Techniklsquo waumlre am 18 November 1955 gehaltenworden Der Vortragstermin war aber am 18 November 1953
116 Vgl GA 79 S 64 Und Heidegger Die Technik und die Kehre S 11
29
nen die Auflistung der bdquovier Ursachenldquo117 nach Aristoteles und die Kritik an der
Technik als bdquoein Mittel zu Zweckenldquo118 (Kausalitaumlt)119
Der Vortrag Das Dinglsquo galt Heidegger bei der Darbietung seiner Technikphi-
losophie nach dem Zweiten Weltkrieg allerdings als unentbehrlich ndash und damit
seine groszligflaumlchige Aufblaumltterung der Mythopoetik wie im folgenden Kapitel hier
gezeigt wird Denn im Vortrag Die Frage nach der Techniklsquo benutzt Heideg-
ger noch immer seinen mythopoetischen Topos vom Versammeln des Gebirges
der mit dem Versammeln eine Konstituente des Gevierts ist (bdquoErde und Himmel
die Goumlttlichen und die Sterblichenldquo120) (su)121 Fuumlr die Kaumlufer und Leser von
der spaumlteren Veroumlffentlichung Die Technik und die Kehrelsquo wird zudem in Die
Kehrelsquo extra auf den Vortrag Das Dinglsquo in der 1954er Ausgabe in Vortraumlge und
Aufsaumltzelsquo verwiesen122 Das zeigt wie wichtig und unerlaumlsslich Heidegger seine
mythopoetische Denkweise der Technik ist Auch wenn er in Die Frage nach der
Techniklsquo einen allgemeineren und offeneren Ansatz entwickelt hat der dadurch
auch leichter zu erschlieszligen ist
32 Die mythopoetische Spiegelung der Schwarzen
Hefte in den Bremer Vortraumlgen von 1949
321 Das Dinglsquo
In dem Vortrag Das Dinglsquo der 1949 vor dem privaten Club zu Bremen dort im
Neuen Rathaus das Vortragsquartett einleitete fuumlgt Heidegger mythopoetisch
zusammen was folgenden Topoi seiner Schwarzen Hefte aus Kap 221 entspricht
117 Heidegger Die Technik und die Kehre S 6118 Ebd S 6119 Diese Topoi versucht Heidegger in dem Text zu zersetzen und ihnen ein aletheisches Prin-
zip des Entbergens der Technik entgegenzusetzen Dies erfolgt wiederum auch anhand derVerwendung von mythopoetischen Teilen Darauf kann hier aber nicht weiter eingegangenwerdenAls weitere Gemeinsplaumltze (die er teils unterstuumltzend teils zur Zersetzung einfuumlgt) handelt
der Text auch mit Zitaten von Platon Heisenberg J P Hebel und Goethe120 Ebd S 12121 Vgl GA 79 S 11 Und Heidegger Die Technik und die Kehre S 19122 Vgl Heidegger Die Technik und die Kehre S 42f
30
1 die antirationale Wissenschaftsfeindlichkeit 2 der Mythos des Goumlttlichen 3
das Griechentum uumlber dem Roumlmertum 4 die Zahlenmystik (anhand des Spiegel-
Spiels des Gevierts ndash su) 5 das geschichtsbesinnliche Prinzip der Aletheia
Heidegger stellt zuerst die Frage nach dem Ding und will sie daraufhin ver-
anschaulichen mittels der Metapher des Kruges dh mit dem Krug als ein exem-
plarisches Ding Er fuumlhrt dann vor (was der Geste eines Zauberkuumlnstlers aumlhnelt)
wie der leere Krug gefuumlllt wird ndash Luft weicht der Fluumlssigkeit Dieses Sachverhaumllt-
nis aber ist fuumlr ihn Halbpoesie und eine Angabe aus der Physik sie verfehle das
vermeintliche Wesen des Kruges
Die Wissenschaft stellt durch sie [die Angabe der Physik DS] etwas Wirk-liches vor wonach sie sich objektiv richtet Aber ndash ist dieses Wirkliche derKrug Nein DieWissenschaft trifft immer nur auf das was ihre Art des Vor-stellens im vorhinein als den fuumlr sie moumlglichen Gegenstand zugelassen hat[] Die Wissenschaft macht das Krug-Ding zu etwas Nichtigem insofernsie Dinge nicht als das Maszliggebende zulaumlszligt123
Als ein wirkmaumlchtiges Beispiel das ihm sicherlich viel Beachtung uumlber die
Jahrzehnte seit ihrer Zuumlndung in Japan hinweg einbrachte fuumlhrt Heidegger die
Atombombe an Diese sei zu verstehen als verdinglichte Wissenschaft die das
Ding vernichten wuumlrde
Deren Explosion ist nur die groumlbste aller groben Bestaumltigungen der langherschon geschehenen Vernichtung des Dinges dessen daszlig das Ding als Dingnichtig bleibt124
Er buumlndelt damit Wissenschaft und Verkennung des Wesens als maszliggebend mit
dem Ding als sein machenschaftliches Prinzip der zerrechnenden Zerstoumlrung Drei
Jahre nach Kriegsende war der buumlrgerlich-elitaumlre Kreis in Bremen sicherlich be-
wegt von dieser Wortgewalt Diese jedoch suchte ja ihr Heim Harmonie Ruhe
in dem Haus als Wesen der Sprache
Und so faumlhrt Heidegger fort und ersetzt das physikalische Prinzip des Inhalts-
wechsels von Luft zu Wein in ein bdquoGeschenk des Gussesldquo als Spende und Opfer
den Goumlttern (2)125
123 GA 79 S 8124 Ebd S 9125 Vgl Ebd S 11f
31
Der Guszlig ist der den unsterblichen Goumlttern gespendete Trank [] Der ge-weihte Trank ist das was das Wort Guszliglsquo eigentlich nennt Spende und Op-fer Guszliglsquo gieszligenlsquo lautet griechisch χέειν indogermanisch ghu Das bedeu-tet opfern
Hier spielt bereits der Ursprungsmythos der Griechenmit ein (3) es ist aber auch
ein Bezug auf das Geviert Dieses waumlre ein System ein zusammen Gestelltes aus
bdquoErde und Himmel die Goumlttlichen und die Sterblichenldquo126 Im Guszlig des Trunkes
weilten gemeinsam diese Vier als emblematische Verbindung
Das im Geschenk Versammelte sammelt sich selbst darin das Geviert ereig-net zu verweilen Dieses vielfaumlltig einfache Versammeln ist das Wesen desKruges Unsere Sprache nennt was Versammlung ist in einem alten WortDies lautet thing127
Das Geviert zehrt von der Zahlenmystik zum einen als die Versammlung der
vier Begriffe an sich zum anderen da Heidegger ihnen eine Spiegel-Funktion
zuschreibt bdquoJedes der Vier spiegelt in seiner Weise das Wesen der uumlbrigen wie-
derldquo128 und ferner weil er damit auf sich selbst dh auf sein Vortrags-Geviert
verweist (4) Wie in Kap 21 schon gesagt lebt der Mythos von seiner Verbind-
lichkeit Diese legt Heidegger allen nah die sie verinnerlichen wollen bdquoSagen wir
die Sterblichen dann denken wir falls wir denken die anderen Drei mit aus der
Einfalt der Vierldquo129
Sollte der Vollzug der Praxis des sukzessiven Mitdenkens aller vier Geviert-
Entitaumlten gelingen koumlnnte das Ereignis der Aletheia begriffen werden (5) bdquoDas
Spiegel-Spiel von Welt ist der Reigen des Ereignensldquo130 Diese wird aber auch be-
griffen in Abgrenzung von dem Roumlmertum (3) denn in der bdquorealitas der resldquo
haumltten die Roumlmer bdquoihr Erfahrenes niemals eigens in seinem Wesen gedachtldquo131
Das waumlre den Griechen vorzubehalten und vom verstaumlndig denkenden Deutschen
wiederzubeleben
126 Ebd S 12127 Ebd S 13128 Ebd S 18129 Ebd130 Ebd S 19131 Ebd S 15
32
Der Krug ist ein Ding weder im Sinne der roumlmisch gemeinten res noch imSinne des mittelalterlich vorgestellten ens noch gar im Sinne des neuzeitlichvorgestellten Gegenstandes [] Der Krug ist Ding insofern er dingt132
Die Bindung an das deutsche Wort bdquoDingldquo das er spielerisch auch ins Englische
Romanische und Franzoumlsische uumlbersetzt ist unerlaumlsslich fuumlr seine ethymologi-
sche Argumentation In der ist der bdquoGuszligldquo ruumlckgefuumlhrt auf indogermanisch bdquoghuldquo
und das bdquoDingldquo auf das mittelhochdeutsche bdquothingldquo So konnten antik die Roumlmer
von den Griechen abgrenzt werden und modern die anderen drei Sprachen vom
Deutschen Das englische sich sehr nah am bdquothingldquo befindliche bdquothingldquo wird mit
dem Roumlmischen ausgespielt
Im Englischen hat thing noch die erfuumlllte Nennkraft des roumlmischen Wor-tes res bewahrt [] dh ein aus sich kommendes den Menschen Angehen-des133
Fuumlr Heidegger geht es beim bdquothingldquo aber um die mittelhochdeutsche Uumlbersetzung
der Versammlung Darauf beruht sein gesamter Systemansatz mit Geviert und
Ge-stell
Schulz-Nieswandt fuumlhrt diese Zusammenstellung zum Bejubeln von Heideg-
gers Mythopoetik
So fundamental sieht Heidegger die Welt Die Quelle des Wassers wird zurHochzeit von Himmel und Erde das Gieszligen des Wassers aus dem Krugzum Geschenk Auch Sprache ist daher kein Instrument sondern Ort desWohnens des Menschen Sprache wird zum Haus des Seinslsquo134
Hier bestaumltigt die Untersuchung des Ding-Vortrags die These von einer mytho-
poetischen Einschreibung der nationalistischen voumllkischen Abgrenzungs-Mythologie
aus den Schwarzen Heften
322 Das Ge-Stelllsquo
Der zweite Vortrag des Reden-Gevierts setzt ein mit der Metapher des fehlen-
den Abstands Wo kein Abstand sei da waumlre auch keine Naumlhe so Heidegger Er
132 Ebd S 16133 Ebd S 14134 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei Walter
F Otto S 59
33
verbindet die Abstandslosigkeit mit Urbanitaumlt und Verkehr alles fluktuiere Es
waumlre der Bestand der sich bestelle in dem das Abstandlose herrsche Das sind
neue Metaphern fuumlr die Machenschaft In seiner Erzaumlhlung vom Ge-Stell gibt es
bedeutend weniger mythopoetische Passagen als in dem vorangegangenen Vor-
trag Allerdings uumlbertraumlgt er den mythopoetischen Gehalt der Rede vom Ding
bereits im ersten Absatz von Das Ge-Stelllsquo mit dem Credo bdquoNaumlhe west insofern
das Ding dingtldquo135 Mit dieser Verbindung wird klar unter welchem Zeichen Hei-
degger die Rede vom Ge-Stell verstanden wissen will ndash als verlorenes Verhaumlltnis
des voumllkisch-traditionell verwurzelten Menschen mit den vermeintlichen Wesen
all seiner Gebrauchsobjekte in der mythopoetischen Formel des sich spiegelnden
Gevierts
Nahezu nuumlchtern erzaumlhlt Heidegger dann von dem Gefaumlngnis des Menschen
im Wesen der zirkulierenden sich immer neu bestellenden Bestandstechnik des
Ge-Stells Dabei scheinen folgende Mythen aus den Schwarzen Heften hindurch ndash
1 bdquoHistorie die Technik der Geschichtelsquo Technik die Historie der Naturlsquoldquo136
2 das historische Tier 3 der Appell an den Auftrag des Deutschen 4 der geschicht-
liche Mensch muss die Historie und damit die Technik uumlberwinden und 5 die
alles zernichtende Machenschaft des juumldischen Wesens
Den Topos der seinsvergessenen Groszligstadt jedenfalls kontrastiert er mit der
Bauerndorfidylle Da aber bdquodas Abstandlose herrschtldquo137 waumlre das Vorruumlcken der
Maschinentechnik bereits universell So in Form des Traktors Schon in Band
96 der Schwarzen Hefte beklagt er dieses bdquozum elektrischen Pflug [] gehoumlrt
das amerikanisch aufgemachte Magazinlsquoldquo Insofern erfolge die bdquoAngleichung der
Sitten der Bergbewohner an diejenigen des groszligstaumldtischen Sport- und Barbe-
triebsldquo138
Sein erster Land-Stadtvergleich betrifft den Bauern dessen Totenruhe tradi-
tionell in einem sg bdquoTotenbaumldquo (Sarg) stattgefunden haumltte ndash bdquoIn ihm gedeiht
der Tod des Totenldquo139 Dem gegenuumlber klingt in der bdquomotorisierten Bestattungs-
135 GA 79 S 24136 GA 95 S 351137 GA 79 S 24138 GA 96 S 54139 GA 79 S 26
34
industrie der Groszligstadtldquo140 bereits Heideggers pietaumltsloser Gaskammernvergleich
an
Ackerbau ist jetzt motorisierte Ernaumlhrungsindustrie im Wesen das Selbewie die Fabrikation von Leichen in Gaskammern und Vernichtungslagerndas Selbe wie die Blockade und Aushungerung von Laumlndern das Selbe wiedie Fabrikation von Wasserstoffbomben141
Hier wird davon ausgegangen dass es eine Uumlbertragung der Notizen uumlber
das deutsche Land als bdquoeinziges KZldquo ist die Unterdruumlckung des deutschen Vol-
kes durch die bdquoWeltdemokratieldquo die schlimmer sei als die Graumlueltaten der bdquoGas-
kammernlsquoldquo142 In die mythopoetische Formel von dem dingenden Ding aus dem
ersten Vortrag sind alle Valenzen eingeschrieben die es zur Aufgabe des abendlaumln-
dischen Deutschen (also als Nachfolger der alten Griechen) machen das Wesen
des Dings und somit der Technik zu huumlten Die Verantwortung fuumlr Genozid
Massenvernichtungswaffen und den Mangel im Nachkriegsdeutschland schreibt
Heidegger gleichfoumlrmig dem Prinzip der Abstandslosigkeit zu
Auch die Rede von der Habgier des Berechnenden ist ein bereits bekannter
Vorbehalt Heideggers anhand der Rede vom raffgierigen Juden Denn er sagt von
der bdquoHerrschaft des Abstandlosenldquo dass sie bdquodie Hab-gier des vorstellenden Be-
rechnensldquo waumlre143 Das entspricht seinem Mythos von der alles zernichtenden
Machenschaft des juumldischen Wesens144
Dann folgt eine lange Elegie uumlber das Bestellen des Bestands des Ge-Stells
bdquo[d]ie Kette des Bestellens laumluft auf nichts hinaus sie geht vielmehr nur in ihren
Kreisgang hineinldquo145 uumlber 19 Seiten des 21 seitigen Vortragsexts hinweg entwirft
Heidegger diverse Bilder wie das Ge-Stell die Natur das Hergestellte den Men-
schen und das Verstandesmaumlszligige vereinnahme und das Wesen desDings gleichsam
zur Veruntreuung bringen wuumlrde Wiederum poetisch orientiert kontrastiert also
140 Ebd141 Ebd S 27142 GA 97 S 99f143 Vgl GA 79 S 25144 Vgl Machenschaft hier S 29 und Geraff hier S 33145 GA 79 S 29
35
Heidegger Houmllderlins Hymne Der Rheinlsquo mit dem Rhein dessen Stroumlmung fuumlr
ein Stromkraftwerk genutzt wird
Achten wir um das Ungeheure das hier waltet zu ermessen nur auf einenAugenblick auf den Gegensatz der sich in den beiden Titeln ausspricht DerRhein verbaut in das Kraftwerk ndash der Rheinlsquo gesagt in der gleichnamigenHymne Houmllderlins146
Die Differenz also waumlre das Ungeheure147 Dabei waumlre der Rhein verbaut in das
Kraftwerk Aumlhnlich wie Kohle Erze und Rohoumll waumlren sie Bestand der bdquobesteht
im Bestellenldquo ndash bdquoDas Bestellen waumlre demnach lediglich eine Machenschaft des
Menschen vollzogen in der Weise der Ausbeutungldquo148
Das Bild des Wasserkraftwerks wird erweitert um den Begriff des Menschen
Elektrizitaumlt mit Wasserkraft erzeugen bdquokoumlnnen die Menschen [] nur insofern
sie selber schon in dieses Bestellen bestellt sindldquo149 Mit diesem Bild versucht Hei-
degger praktisch zu veranschaulichen dass Entwurf Umsetzung und Einsatz ei-
ner technischen Anlage den Menschen in ein entruumlcktes Verhaumlltnis zum Wesen
des dingenden Dings setze ndash bdquoDer Mensch ist darum der Angestellte des Bestel-
146 Ebd147 Das ist zusaumltzlich zu dem gemeinten Gegensatz ein Vergleich mit dem Heidegger dem Wort
bdquoRheinldquo in die Hymne Der Rheinlsquo gesprochen eine Energie erzeugende Wirkung zu-schreibt eben so wie das Kraftwerk Strom erzeugen wuumlrde Das wird klar dadurch dassHeidegger metaphorisch vom Stellen des Wortes bdquoRheinldquo in die Hymne spricht Es handeltsich um einen Appell zur denkerischen Besinnung Dass Heidegger dafuumlr eine technischeAnlage zur Veranschaulichung inspirierend wirken laumlsst spielt bereits in die Richtung derBegriffe bdquoHer-vor-bringenldquo bdquoEntbergenldquo und spielt auf das Alteheia-Prinzip an Darauf wirdweiter unten anhand Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo eingegangen werden Es handelt sich umdas Angebot eines mythopoetischen Umgangs mit Technik insbesondere wenn sie sich inheimische Gefilde einfuumlgtHeute koumlnnte man mit Windraumldern ebenso verfahren Somit koumlnnte aber auch Heidegger
als ein gewisser Quijana aus Mancha verstanden werden eben der Protagonist aus Miguel deCervantes Roman Don Quichote von der Manchalsquo der mit seinem von ihm flux auch um-benannten Klepper (weil er zuvor sich selbst in Don Quichote umtaufte) Rocinante Riesenbezwingen will um mit dieser Heldentat unsterblichen ritterlichen Ruhm zu erstreitenAuch Don Quichote fand seine Riesen in Windmuumlhlen und auch Don Quichote war uumlber
eine uumlbertriebene Auseinandersetzung mit einer verschuumltteten Kultur dieser verfallen undsuchte diese in seiner Aventuumlre zu reaktualisieren Martin Heideggers mythopoetisches Pro-gramm ist tatsaumlchlich stark mit Don Quichotes Motiv vergleichbarFerner waumlre eine Auseinandersetzung mit Heideggers Werk unter Beruumlcksichtigung sei-
ner Gewichtung der Vorsokratiker und Houmllderlin als mythopoetischen Autor eine moumlglicheForschung zum Thema Anachronismen in Konzepten von Moral und gesellschaftlicher An-gemessenheit (Vgl Cervantes Miguel de Don Quichote von der Mancha Herausgeben unduumlbersetzt v Susanne Lange Muumlnchen 2008 S 33f)
148 GA 79 S 29149 GA 79 S 30
36
lensldquo150 Schon vorher wies Heidegger darauf hin bdquo[d]ie Herrschaft des Gegen-
staumlndigen sichert nicht den Abstandldquo151 Jetzt heiszligt es
Das Bestellen befaumlllt nicht nur die Stoffe und Kraumlfte der Natur mit Gestel-lung Das Bestellen befaumlllt zugleich das Geschick des Menschen Das Wesendes Menschen wird daraufhin gestellt das Bestellen in menschlicher Weisemitzuvollziehen152
Der Begriff des Ge-Stells wird daraufhin so konstruiert dass es im Bestellen
um ein Stellen (Herausfordern) alles bdquoAnwesenden als Bestandldquo als bdquoversus unumldquo
gegen bdquodas Eine Ganzeldquo gehe153 In wiederum mythopoetischer Formulierung ge-
baumlre die bdquoVersammlung des Stellens worin alles Bestellbare in seinem Bestand
west das Ge-Stellldquo154 Der Begriff bdquoVersammlungldquo wird einen Absatz zuvor my-
thopoetisch wieder an die Versammlung also das thing eben das wesenhafteDing
angelehnt und somit wie zu Das Dinglsquo bereits oben erlaumlutert in einen deutsch-
abendlaumlndischen Kontext gestellt (3)
Wir nennen die Versammlung der Berge die von sich her einig und nienachtraumlglich schon gesammelt ist das Gebirge Wir nennen die Versamm-lung der Weisen nach denen uns so zumute ist und sein kann das Gemuumlt155
Allerdings ist obiges Versammlungsmodell hier als Kontrast zu sehen zu dem
bdquoGeraff des Getriebesldquo das das Ge-Stell darstellt als bdquoWesen der Technikldquo156 Hei-
degger sieht in der Gleichfoumlrmigkeit die zum Wesen des Technik als Ge-Stell
150 GA 79 S 30151 GA 79 S 25152 GA 79 S 31153 Vgl GA 79 S 32154 GA 79 S 32155 Ebd
Das Wort ldquoGemuumltrdquo hat ferner eine ausschlieszliglich deutsche Praumlgung gibt es doch keinedirekte Uumlbersetzungen Gemuumlth ist ferner ein nicht eindeutig umrissener Begriff (Vgl Kra-mer Cheryce A Foolrsquos Paradise The Psychiatry ofGemuumlth in a Biedermeier Asylum Chica-go 1998 S 19) Die Bedeutung im Deutschen selbst ist zudem sehr variabel hat aber zumeistmit Seelen- oder Geistkonzepten zu tun ndash Cheryce von Xylander (geb Kramer) uumlbersetztGemuumlth mit bdquosoul-organldquo (ebd S 43) das von diversen Autoren unterschiedlich konstru-riert wird (zB von Kant geistigkoumlrperlich und von Kleist individuellkollektiv (vgl ebdS 41)) In Heideggers emblematischem Duktus scheint eine Vermischung von allen vier Di-mensionen geistigkoumlrperlich wie auch individuellkollektiv stattzufinden Es ist auf jedenFall dem Mythos geschuldet den Auftrag des Deutschen anzunehmen (3)
156 GA 79 S 33
37
gehoumlre die planetarische Abloumlsung und Aufhebung des traditionellen und damit
wesenhaft ans Ding gebundenen Verhaumlltnisses vom Menschen zur Erde (das von
ihm idealisierte voumllkische Bauerntum das Bestellen des Ackers) bdquoDie Bestand-
Stuumlcke sind Stuumlck fuumlr Stuumlck die Gleichenldquo157 So kontrastiert er alte Handwerks-
techniken mit Maschinentechnik und schreibt der Maschinentechnik die machen-
schaftliche Verdraumlngung als Geraff zu
Das Ge-Stell hat auch wenn das nicht unmittelbar und nicht sogleich ver-nehmlich wird im vorhinein schon alle diejenigen Stellen beseitigt an denenvormals Spinnrad und Wassermuumlhle standen Das Ge-Stell bestellt durch sei-ne Maschinerie zum voraus eine andere Art und Ordnung von Stellen Andiesen kommt nur zu Stand was als Bestellbares auf der Stelle gleichfoumlrmigzur Stelle steht
Darum ist auch die Art wie die Maschine selbst etwas herstellt einewesentlich andere als das handwerkliche Tun gesetzt daszlig es innerhalb desGe-Stells uumlberhaupt noch so etwas wie ein Herstellen gibt
Die Traktoren und Kraftwagen werden herausgebracht ausgeworfen se-rienweise Stuumlck fuumlr Stuumlck Wo drauszligen steht dieses so Herausgestellte Wo-hin in welchen Stand ist es gebracht158
In dieser Klage uumlber den technischen Wandel der durch den Fortschritt in
alle Lebensbereiche Einzug haumllt versucht Heidegger zu veranschaulichen wel-
chen Verlust es zu erkennen gelte Ein Versuch diesem entgegen zu treten ist die
von ihm vorgetragene Mythopoetik die er in diesem Vortragsteil seines Vortrags-
Gevierts allerdings auffaumlllig zuruumlckgestellt sein laumlszligt War der Einleitungsteil Das
Dinglsquo schlieszliglich eine nahezu einzige mythopoetische Darbietung Dramatur-
gisch wird Heidegger in Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo die mythopoetischen For-
mulierung als Loumlsungswege wieder Bedeutung geben In Das Ge-Stelllsquo versucht
Heidegger hingegen Vorstellungen aus seinen Schwarzen Heften aumlhnlich der fol-
genden mitzuteilen die das Uniforme Gleichfoumlrmige betreffen
Die Macht der Machenschaft ndash die Vernichtung sogar der Gottlosigkeit dieVermenschung des Menschen in das Tier die Vernutzung der Erde die Ver-rechnung der Welt ndash ist in den Zustand der Endguumlltigkeit uumlbergegangenUnterschiede der Voumllker Staaten Kulturen sind nur noch Fassade159
157 GA 79 S 36158 GA 79 S 35159 GA 96 S 52f
38
Was Heidegger unter dieser Gleichfoumlrmigkeit versteht schreibt er in den Schwar-
zen Heften zumeist den Amerikanern zu Er nennt es auch haumlufig Planetarismus
Der Amerikanismus [ist DS] die Zusammenraffung von Allem welcheZusammenraffung immer zugleich die Entwurzelung des Gerafften bedeu-tet160
Der Planetarismus ist die historisch gedachte Bestimmung der uumlberall glei-chen die ganze Erde uumlberdeckenden Seinsverlassenheit des Seienden161
Die Gegenuumlberstellung von natuumlrlicher und traditioneller Handwerkstechnik
gegen maschinenhafte Gleichfoumlrmigkeit exemplifiziert Heidegger dann im Vor-
trag Das Ge-Stelllsquo vielfach wie zum Beispiel hier
Der Forstwart zB der im Wald das geschlagene Holz vermiszligt und demAnschein nach noch wie sein Groszligvater in der gleichen Weise die selbenWege geht ist heute von der Holzverwertungsindustrie gestellt Er ist ober es weiszlig oder nicht in seiner Weise Bestand-Stuumlck des Zellulosebestandesund dessen Bestellbarkeit fuumlr das Papier das den Zeitungen und illustrier-ten Magazinen zugestellt wird die uumlber die Oumlffentlichkeit daraufhin stellenverschlungen werden162
160 GA 96 S 257161 GA 96 S 261162 GA 79 S 37f
Die renommierte Theaterautorin Elfriede Jelinek karikiert in ihrem Stuumlck Totenaubergvon 1991 Heideggers Konstrukt von Heimat und Fortschrittsfeindlichkeit verbunden miteiner Auseinandersetzung mit dessen Liebschaft zu Hannah Arend Mit philologischer Prauml-zision polemisiert sie Teile aus Heideggers Elegie uumlber die Technik und laumlszligt ihn dabei alsbeschraumlnktes und eingezwaumlngtes Wesen in einem Gestell gefangen sein Aus diesem heraussoll er Arend Rede und Antwort stehen uumlber sein Verhaumlltnis zum Nationalsozialismus unddie Shoa Doch dieser redet nur naturtrunken von Heimat und berauscht sich daran Derprophetische Denker wird banalisert ndash diese Worte legt Jelinek ihm (im Stuumlck der alte Mann)in den MundbdquoDie Angst vor dem Fragen liegt uumlber dem Abendland Sie bannt die Kandidaten auf ein
Team-Leibchen verbannt sie auf altgewordene Wege und jagt sie zuruumlck ins morsch geworde-ne Gehaumluse ihrer Tore wo es um ihre Ausscheidungen geht Es wird ihnen alles weggenom-men werden auch der Weg selbst Keine Spur kein Lichtschein aus den Ritzen Aber ruf ichin die Huumltte um nach einem zu fragen den ich gekannt hab sehe ich grad noch eine Tuumlrsich schlieszligen Der Wald kommt nicht zur rechten Geltung alles ist entflohen was mir liebwar und woran ich geglaubt hab Was kommt ist noch nicht da Nichts war Ich habe nichtsgehoumlrt Ich erinnere mich nicht aber ich stelle dem Kommenden das mich den lupenreinenAmateur schon vor Beginn des Rennens erlahmen laumlszligt vorsorglich die Hausschuhe vor dieTuumlr Sie sind das Einzige was die Profis des Profits von mir dann vorfinden werden wennsie anklopfen Die Haumlrte des Urgesteins sollte sie nicht entmutigen Die Jahreszeiten machendie Landschaft auf und zu Ich sage nur In dieser scheinbaren Leere will ich vom Denkenmuumld nur schlafen Von der Huumltte aus lassen sich Wanderungen unternehmen Aber auchsonst wird Ihnen alles wie ich sagte genommen werden Auch Ihre Fotos und Namen Unddas Gewesene wird wesenlosldquo ( Jelinek Elfriede Totenauberg Hamburg 1991 S 86f)
39
Die Oumlffentlichkeit ist fuumlr Heidegger ein Topos der dem Denken und Besinnen
entgegenstuumlnde Somit meint er damit zum Einen die Medien wie er es anhand
der Rede von den Bestandstuumlcken in Das Ge-Stelllsquo erklaumlrt wo der Mensch als
Urheber des Ge-Stells als Wesen der Technik nicht gelten soll Vielmehr wuumlrde er
in Ratlosigkeit und Langeweile verfallen weil er in der Bestellung des Bestandes in
Form von Bestandstuumlcken vom Rundfunk keine Besinnung mehr faumlnde dh das
Ganze also wiederum daswesentliche Ding nicht mehr zu fassen vermoumlge163 Und
so toumlnt es bereits aus den Schwarzen Heften von 19391940()
Die Bildlsquo und Tonlsquo ndash Reportagenlsquo der Machenschaft ist der planetari-sche Mythuslsquo des Vollendungsabschnittes der Neuzeit Die Welt des abge-legensten deutschen Bauernhofes wird nicht mehr durch [] die Naturlsquobestimmt in der noch die Erde waltet sondern durch das illustrierte Blattmit der Darstellung von ausgezogenen Tanzweibern von Boxern und Renn-fahrern und sonstigen Heldenlsquo des Tages164
Und ferner notierte Heidegger 1946 in seinen Schwarzen Heften
Uumlberall zerrt es aus dem Oumlffentlichen ins Oumlffentliche mit vielen Strickenund jeder sieht das kaum versuchte Denken des Seyns am Leitband seinesStrickes165
Dabei waumlre eben ein bdquoLiterat [] ein in die Oumlffentlichkeit verliebter Mensch der
Angst vor dem Denker hatldquo166 Dieses liefe dann darauf hinaus dass beim Rund-
funk bdquoein Bestellen und Stellen waltet das in dasWesen des Menschen eingegriffen
hatldquo167
Abermals nach dem Wesen der Technik also nach dem Ge-Stell gefragt geht
Heidegger auf seine Unterscheidung vonNatur undNaturwissenschaft ein bdquo[w]elches
ist das Verhaumlltnis zwischen der Technik und der Naturldquo168 Natur wuumlrde in wis-
senschaftlicher Hinsicht unter das Berechnete fallen sie wuumlrde bdquoals das in Maszlig
und Zahl gestellte Wirkliche vorgestellt das in seinem Gewirkten staumlndig an-
westldquo169 Wenn Heidegger dann Natur aus technischer Sicht bdquoals ein System des
163 Vgl GA 79 S 38f164 GA 96 S 54165 GA 97 S 100166 GA 97 S 126167 GA 79 S 39168 GA 79 S 41169 Ebd
40
Bestellens von Erfolgen aus dem gestellten Wirksamenldquo170 charakterisiert spricht
er von seiner Rede der Verschraumlnkung von Historie und Technik ndash bdquoTechnik die
Historie der Naturldquolsquo171 Dieses ist bekanntlich das seinsvernichtende Gegenstuumlck
zur geschichtlichen Besinnung Denn geschichtliches Walten der Technik ist fuumlr
Heidegger technische Geschichte dh verwissenschaftlichte Geschichte die da-
durch ihr Wesen verloren haumltte (Seynsvergessenheit)172 So heiszligt es in den Schwar-
zen Heften von 1947
Ein Zeitalter das historisch geworden ist dh technisch planend sich selberberechnet und alles in diesen Sog zieht muszlig jede Besinnung nur als eine dervielen Formen der Intellektualitaumlt registrieren173
Heidegger schlieszligt den Vortrag mit dem Aufgriff der Anfangsbehauptung
bdquo[d]er Bestand bestellt das Abstandsloseldquo174 Somit liegt das Problem der ausblei-
benden Naumlhe durch die Technik deren Wesen das Ge-Stell waumlre das den Bestand
bestelle in der Luft Dass dabei der Mensch sogleich Teil des Bestandes und nicht
Teil der Maschine wird laumlsst ihn das historische Tier sein (2)
Der Mensch ist auswechselbar innerhalb des Bestellens von Bestand []Gleichwohl gehoumlrt der Mensch in einer voumlllig anderen Weise in das Ge-Stellals die Maschine DieseWeise kann unmenschlich werden DasUnmenschlicheist jedoch immer noch unmenschlich Der Mensch wird nie zur MaschineDas Unmenschliche und noch Menschentuumlmliche ist freilich unheimlicherweil boumlsartige und verhaumlngnisvoller denn der Mensch der nur Maschine wauml-re175
Wen Heidegger hier ersinnt ist der neuzeitliche Mensch der den bdquoGoumlttern uner-
traumlglich gewordenldquo176 waumlre
170 Ebd171 GA 95 S 351172 In Heidegger Die Technik und die Kehre S 21 stellt er Geschichte und Historie einander
gegenuumlber was er in Das Ge-Stelllsquo nicht vollzieht bdquoDie moderne Technik kam doch erst inden Gang als sie sich auf die exakte Naturwissenschaft stuumltzen konnte Historisch gerechnetbleibt dies richtig Geschichtlich gedacht trifft es nicht das Wahreldquo Signifikant fuumlr Heideg-gers Attributierung so wie sie oben schon geschildert ist steht Historie fuumlrs Rechnen undGeschichte fuumlr das Denken
173 GA 97 S 508174 GA 79 S 44175 GA 79 S 37176 GA 94 S 236
41
323 Die Gefahrlsquo
Aus Heideggers Darlegung uumlber das Ge-Stell erschlieszligen sich seine diversen Fa-
cetten der Vorstellung einer Abstandslosigkeit schaffenden Technik Dass die Ab-
standslosigkeit dem Prinzip des Gevierts des Zusammengestellten entgegensteht
bekommt im Vortrag Die Gefahrlsquo Nachdruck Die mythopoetische Erzaumlhlung
knuumlpft an den Vortrag Das Dinglsquo an mit den Mythologemene 1 Der Mythos
des geschichtlich sein muumlssens 2 der Mythos des Goumlttlichen 3 das geschichtsbe-
sinnliche Prinzip der Aletheia Zudem wird im Prozess des Vortrags das Ge-Stell
zur Gefahr stilisiert was einen eigenen Mythos erschafft
Durch das bdquouniversale Bestellen des Ge-Stellsldquo177 werde die naumlhernde Naumlhe des
Dings verwehrt Wie im Vortrag Das Dinglsquo fuumlhrt Heidegger das Wesentliche sei-
ner Theorie auf die deutsche und altgriechische Sprache zuruumlck Die so vollzoge-
ne Annaumlherung von Schwarzwaumllderischem Dialekt und Altgriechisch entspricht
Heideggers Traum von dem bdquogeschichtliche[n] Geburtsort des abendlaumlndischen
Wesensldquo178 den seine Heimat von Todtnauberg bis Freiburg stiften sollte (1)
es ist das Geistvolle und zugleich das erdenhafte schoumlne Land Es birgt un-sichtbaren Reichtum dem Gemuumlt bewahret tiefstes Dichten und houmlchsteGestalt der Sage179
Unter diesem Vorzeichen also sagt Heidegger
Das Ge-Stellwesen laumlszligt das Ding ohne die Wahr Das Wort die Wahrlsquo be-deutet in unserer Sprache dort wo sie noch urspruumlnglich spricht die HutIn unserer schwaumlbischen Mundart meint das Wort die Wahrlsquo die der muumlt-terlichen Hut anvertrauten Kinder Das Ge-Stell laumlszligt in seinem Stellen dasDing ohne die Hut ndash ohne die Wahr seines Dingwesens180
Diese in Bremen vorgetragene Heimatkunde ist auch Heideggers Sorge ge-
schuldet durch die Besatzermaumlchte und deren kulturellen Einfluss auch durch
die nun moumlgliche Oumlffnung Deutschlands zu einem Austausch mit der Welt das
eigene Wesen zu verlieren So schreibt er 1945-1947() in seine Schwarzen Hefte
177 GA 79 S 46178 GA 97 S 54179 Ebd180 GA 79 S 46
42
Das Schwerste und Fragwuumlrdigste unseres Geschickes ndash beruht darin ob wirdas Eigene finden und huumlten [] unter den anderen Voumllkernlsquo [] Scheinund Vorwand der Macht daszlig man unsere eigene Aufgabe bringen will []als Entmachtete aufgenommen zu sein in den Weltmachenschaftsbetrieb181
Es gaumlbe nach Heidegger also das Welten von Welt und die Verweigerung von
Welt aus derVerwahrlosung des Dings durch das Ge-Stell bzw die Technik182 Welt
ist nach dem Konzept des schwaumlbischen Denkers nichts weniger als das Geviert
Bei der folgenden mythopoetischen Zusammenstellung von dem Geviert mit alt-
griechischen Vokabeln um den Seins-Begriff wird das Aletheia-Prinzip eingefuumlhrt
Somit fuumlhrt uumlber den Mythos des Goumlttlichen (2) der Weg zur Wahrheit eben als
geschichtsbesinnlich erfahrene Aletheia (3)
Welt ist das Geviert von Erde und Himmel Goumlttlichen und SterblichenDas Spiegel-Spiel der Vierung wahrt alles was in ihm dingend zwischenden Vier anwest und abwest in das einende Ganze seines Anwesens Vonaltersher heiszligt das Anwesen des Anwesenden τὸ ὲόν das Seiend [sic] τὸεἶναι das Sein naumlmlich der ὲόντα des Seinenden das esse entium183
Diese Welt waumlre nun bdquoWahrnis des Wesens von Sein Statt Wahrnis sagen wir auch
Wahrheitldquo184 Die Welt mythopoetisch als Spiegel-Spiel des Gevierts und durch
eine altgriechische Brille betrachtet waumlre die wahre Welt Somit wird die Wahr-
heitsschau gebunden einen antiken Goumltterglauben und abendlaumlndische Sprachkas-
kaden vom Dialekt zum Altgriechisch
Das Problem mit der wahren Welt waumlre allerdings dass sie sich in die Ver-
borgenheit entziehe Naumlher betrachtet ist aber die Verborgenheit Bedingung des
Entbergens was Heidegger notwendig macht zu einem wuumlrdigen Lebensvollzug
in Harmonie mit dem Sein Durch solche Wesensschau waumlre der Mensch befaumlhigt
jederzeit die verstellenden Maumlchte des Ge-Stells (der Technik) zu uumlberwinden und
teilhaftig am Wesen der Welt zu werden
181 GA 97 S 99182 Vgl GA 79 S 47183 GA 79 S 48 (Die griechischen Vokabeln werden hier keiner Uumlbersetzung unterzogen Da
Heidegger ohnehin keine philologische Schaumlrfe anwenden will ist es fuumlr die Zwecke hierausreichend sie mit seiner Uumlbersetzung zu betrachten Heidegger spricht von bdquoAchten aufdas Griechischeldquo was schwieriger waumlre als klassische Philologie (vgl GA 79 S 63)
184 Ebd
43
Welt bleibt in der Verborgenheit (Αήθη) auf die Weise daszlig diese ihre Ver-borgenheit gerade eine Unverborgenheit gewaumlhrt die Αλήθεια185
Die Αλήθεια haumltte allerdings auch eine Rolle uumlber die subjektive hinaus da nur
durch ihren Vollzug Seinsgeschichte gewaumlhrt wuumlrde Das ist der Anspruch den
Heidegger an sein Auditorium stellt gemeinsam geschichtlich sein zu muumlssen (1)
Die Αλήθεια ist das Geschick des Seins als welches Geschick sich die Fuumllleder Seinsgeschichte in ihre Epochen fuumlgt186
Mit dem Ge-Stell als Wesen der modernen Technik waumlre die Aletheia aller-
dings hochgradig gefaumlhrdet Denn ohnehin waumlre die Aletheia prinzipiell der Ge-
fahr der Vergessenheit ausgesetzt Doch das Ge-Stell haumltte die Kraft die bdquovollende-
te Vergessenheit der Wahrheit des Seinsldquo187 zu vollrichten
Indem das Ge-Stell alles Anwesende in den Bestand bestellt setzt das Ge-Stell das Anwesen des Anwesenden heraus aus seiner Wesensherkunft ausder Αλήθεια188
Diese Versetzung des beteiligten Wesens aus der Moumlglichkeit des Wahrheitsprin-
zips heraus markiert Heidegger dann mit der Schreibweise Seyn (mit bdquoyldquo) Wie
bei dem Vortrag Das Dinglsquo koumlnnen ethymologische Abstammungen sein Sys-
tem anreichern Da wo es um das Wortfeld des Stellens geht Ge-Stell Bestellen
Verstellen ist auch das NachstellenMitglied der Familie
Im Althochdeutschen heiszligt nachstellen fara Das in sich gesammelte Stellenals Nachstellen ist die Gefahr Der Grundzug des Wesens der Gefahr ist dasNachstellen Insofern das Sein als das Ge-Stell sich selbst mit der Vergessen-heit seines Wesens nachstellt ist das Seyn als Seyn die Gefahr seines eigenenWesens189
Damit wuumlrde sich durch die Verringerung der Selbstreflexion im Seyns-Bestand
eine Schwachstelle auftun in die der denkbegabte und aletheiafaumlhige Mensch ei-
ne Moumlglichkeit haben das Seyn zum Sein zuruumlckzuwandeln ndash also wieder in ein
185 GA 79 S 49186 Ebd187 GA 79 S 53188 GA 79 S 52189 GA 79 S 53
44
wesentliches Verhaumlltnis zum bdquoDingldquo zu gelangen in dem das Geviert wieder die
Harmonie herstellt Allerdings faumlnde bis zu solch einer Nachstellung eine Ver-
sieglung des Seynsbestandes statt Und Heidegger beklagt dass die Erreichung der
Ruumlckeroberung des Seins uumlber die Nachstellung nicht stattfaumlnde und stattdessen
die Irre regieren wuumlrde190
In dieser Irre stuumlnde dem Menschen nicht einmal mehr zu zu sterben Denn
bdquoSterben [] heiszligt den Tod in sein Wesen austragenldquo191 Somit waumlren die Opfer
die in den KZs umkamen wie er sie in Das Dinglsquo bereits schildert nicht vermouml-
gend gewesen zu sterben bdquoSie werden Bestandstuumlcke eines Bestandes der Fabrika-
tion von Leichen [] Sie werden in Vernichtungslagern unauffaumlllig liquidiertldquo192
Das vermoumlge die Gefahr zu bewirken Der Mensch wuumlrde des eigenen Sterbens
beraubt da er keine Verbindung mehr zur Wahrheit der Welt haumltte Um den rich-
tigen Tod zu sterben muumlsse der Mensch die Aletheia schauen koumlnnen Insofern ist
Heideggers Prinzip ein religioumls anmutendes Wie in der christlichen Vorstellung
der Mensch im Jenseits an seinen Taten gemessen wird um Paradies oder Fege-
feuer zu besuchen soll nach Heidegger der Mensch waumlhrend des Sterbens mit
sich selbst ins Gericht gehen Er soll sich rein machen vom Ge-Stell der Technik
und dem Seyn um nicht die einmalge Gelegenheit des richtigen Sterbevollzugs
zu versaumlumen Es winken gemaumlszlig des Gevierts die himmlischen Goumlttlichen den
irdischen Sterblichen zu wobei annehmbar ist dass Heidegger Sterblichen die
die Aletheia erkennen einen Goumlttlichkeitsstatus beimessen moumlchte ndash eine Erlouml-
sungsphantasie
Genau diese Erloumlsung waumlre die Technik nicht
Ohne den Schritt des Denkens zu wagen der unser Menschenwesen demWesen der Technik [] aussetzt wuumlrgt man sich von Fall zu Fall von Lagezu Lage durch die Zwiespaumlltigkeiten hindurch Und genau durch dieses Ge-wuumlrge versaumlumt man die Moumlglichkeit dessen was man im Grunde erstrebtdie Technik durch menschliches Tun zu meistern und menschenwuumlrdig zulenken193
190 Vgl GA 79 S 55191 GA 79 S 55192 GA 79 S 56 Weil Heidegger im Judentum die Verantwortlichen fuumlr das Geraffe des Ge-Stells
sieht macht er sie gleichsam verantwortlich fuumlr die bdquoSelbstvernichtungldquo Die Seinsverges-senheit im Tode wird dadurch zum Spin-off der vermeintlich juumldisch erzeugten da machen-schaftlichen KZ-Maschinerie (Vgl GA 97 S 20f)
193 GA 79 S 59
45
Trost und Richtung findet Heidegger schlieszliglich abermals bei den alten Griechen
Das Wort stellenlsquo entspricht dem griechischen ϑέσις vorausgesetzt daszlig wirϑέσις griechisch denken Was heiszligt in diesem Falle griechisch denkenlsquo Esheiszligt darauf achten welche Lichtung desWesens des Seyns in welcherWeisedas Dasein der alten Griechen in den Anspruch genommen hat heiszligt imvoraus bedenken in welchem Geschick welcher Unverborgenheit des Seinsdie Griechen standenldquo194
Das sind Vorstellungen des Neuen Anfangs eine Reminiszenz der griechisch anti-
ken Welt Ein Eintrag aus den Schwarzen Heften von etwa 1945-47 () verdichtet
wie oben bereits aufgezeigt die Phantasie griechisch zu sein zu einem gelingenden
Lebensvollzug
Das reine Wesen des Griechentums dh das Seiende inmitten dessen dieGriechen als seiende fremd gewesen dieses und sie selbst und der Bezug desSeins zu ihnen ndash in der einfachen Wesung von der ἀλήθεια her zeigen underfahren Den μῦθος und λόγος ndash jedes Wort und Gebild rein aber nichterzwungen und schematisch-pedant ndash aus ἀλήθεια erfahren195
Hier zeigt sich auch dass Heidegger per se das Aletheia-Prinzip fuumlr notwendig
hielt um ins Licht der Wahrheit zu blicken Die Griechen sind ihm hier deshalb
Vorbild und rein da sie keiner modernen Technik und dem Ge-Stell ausgesetzt
waren sondern lediglich eine mythopoetische Verbindung zum Sein herstellen
mussten um wesentlich zu sein und Seinsgeschichte zu schreiben Die Dinge und
das Spiegel-Spiel des Gevierts waumlren ihnen geschickt zuhanden gewesen196 Hei-
degger macht schlieszliglich sehr deutlich dass das Griechische zu denken ein bei
weitem anderes Geschaumlft sei als philologische Praumlzision
Ein Echo zu sein naumlmlich dem Anspruch des Seins verlangt eine Sorgfaltder Sprache von der freilich der technisch-terminologische Sprachstil derWissenschaften uumlberhaupt nichts wissen kann Die Intentionalitaumlt der wis-senschaftlichen Sprache ist der staumlrkste Beweis fuumlr ihre Boden- und Heimat-losigkeit [] Das Heimische einer hohen Sprache gedeiht nur im Bereichdes unheimlichen Anspruchs der wesenhaften Stille im Wesen des Seyns197
194 GA 79 S 62f195 GA 97 S 20196 Hingegen waumlre das Judentum verantwortlich fuumlr das Ge-Stell fuumlr das Prinzip der Zerstoumlrung
wie es auf der selben Seite der Schwarzen Hefte darunter heiszligt (vgl ebd)197 GA 79 S 66 Die Bedeutung von Seyn als verstelltes Sein oder Bedingung zum Schauen
des wahren Seins ist verwirrend Einer genaueren Analyse wird aus Platzgruumlnden hier nichtnachgegangen
46
324 Die Kehrelsquo
Der letzte Vortrag ist mit nur neun Seiten der Kuumlrzeste des Vortragsgevierts
Nach dem Verlust des Dinges als Ding und der damit einsetzenden Abstandslosig-
keit als Wesen des Ge-Stells wobei die Gefahr zudem der Vergessenheit des Seyns
nachstellt bietet Heidegger eine Perspektive an
Im Wesen der Gefahr verbirgt sich [] die Moumlglichkeit einer Kehre in derdie Vergessenheit des Wesens des Seins sich so wendet daszlig mit dieser Kehredie Wahrheit des Wesens des Seyns in das Seiende eigens einkehrt198
Diese Moumlglichkeit bedeute nicht dass der Mensch sich der Gefahr selbst stellen
koumlnnte sie waumlre passiv ndash bdquoverbirgt sichldquo Die Kehre werde sich ereignen aumlhnlich
einer Erwartung an den Messias
Die Anwesenheit der Gefahr wuumlrde automatisch die Rettung bergen Denn
Houmllderlin haumltte geschrieben bdquoWo aber Gefahr ist waumlchst [d]as Rettende auchlsquoldquo199
Etwa 1945 notiert Heidegger in seine Schwarzen Hefte bdquoDie Wahrheit erfahren
wir im Gedaumlchtnis Das Gedaumlchtnis ist die Dichtungldquo200 (so) Von dieser War-
te aus ausgestattet mit Erinnerungen an das abendlaumlndische Dichten mit dem
Wissen um das Aletheia-Prinzip und passiv als denkender Huumlter des Seyns solle
der Mensch das Ereignis erwarten das ihn bdquoloumlsen freimachen freyen schonen
bergen in die Hut nehmen wahrenldquo201 wuumlrde (siehe S 43)
Dieses Ereignis waumlre der Blitz Ein unvermittelter jaumlher ploumltzlicher Moment
von kurzer Dauer der bloszlig einen ebenso kurzen Blick auf das wahre Wesen er-
lauben wuumlrde Abschlieszligend ist dies das Rezept gegen die Bestands bestellende
Technik in mythopoetischer Formulierung
So entsprechend ist der Mensch geeignet daszlig er im gewahrten Element vonWelt als der Sterbliche dem Goumlttlichen entgegenblickt Anders nicht dennauch der Gott ist wenn er ist ein Seiender steht als Seiender im Seyn unddessen Wesen das sich aus dem Welten von Welt ereignet202
198 GA 79 S 71199 GA 79 S 72200 GA 97 S 52f201 GA 79 S 72202 GA 79 S 76
47
Wenn Heidegger im Anschluss von der bdquohistorisch-technischen Darstellungldquo re-
det so ist dies die Abwehr der Wissenschaften (auch der Philosophie203) und ein
Appell an die Antirationalitaumlt des Mythos bdquokein historisches Vorstellen der Ge-
schichte als Geschehen bringt in den schicklichen Bezug zum Geschickldquo204
Damit das Blitzen erfahren werde als kurze Wesensschau der Aletheia muumlsse
dem wahren abendlaumlndischen und heimatlichen Ereignis stattgegeben werden Es
sollte nicht wie er 1939 schon in den Schwarzen Heften beschreibt das
kuumlnstliche Licht von Historie und Technik in der weder Mensch noch dieGoumltter weder eineWelt noch die Erde sichtbar werden koumlnnen wo aber dasLebenlsquo von allen den immer noch zu wenigen Meistenlsquo erlebtlsquo wird205
Damit schlieszligt der letzte Vortrag mit einer Erwartung an das Ereignis des Blit-
zens nicht das Erleben der Besinnungslosigkeit (vgl Das Ge-Stelllsquo) Schon 1947
traumlumt Heidegger von solcher Umkehr
Aus der Kehre der Seynsvergessenheit aber ereignet sich das Unumgaumlnglicheden Acker der Welt erst zu pfluumlgen und saatbereit der Sonne und dem Regenund den Voumlgeln des Himmels uumlberlassen206
203 Denn ldquo[e]igentlich denken heiszligt [] die Philosophie verlassen [] beim Sagen des Seinslsquoldquo(GA 97 S 60)
204 Ebd205 GA 95 S 427 Gegen das Erlebnis und Erleben straumlubt sich Heidegger besonders So notiert
er etwa 1939 bdquoZeitalter der Techniklsquo macht gerade die Techniklsquo nicht zum Ziel sondernimmer mehr zum Mittel der besinnungslosen Berechnung [] der Mensch [] das Erleb-nislsquo [] Erleben als der Gefuumlhlsgenuszligldquo (GA 95 S 149) Wie auch bdquoWo beide Historie undTechnik in solcher scheinbaren Gegensaumltzlichkeit verkoppelt sind koumlnnen sie sich zur Foumlr-derung dessen zusammenschlieszligen was einstmals wesentlich die Geschichte des Menschenmitbegruumlndete und was wir die Kunstlsquo nennen Die Historie verschafft [] Anregungenund Vorbilder der Nachahmung die Technik erleichtert [] die Zustellung von Darstel-lungsmitteln und Wirkungsformen [] Gleichwohl ist alles wurzellos [] berechnet und alsErlebnislsquo ausgegebenldquo (GA 95 S 212)
206 GA 97 S 511
48
4 Konklusion
Der umstrittene Philosoph Martin Heidegger hat uumlber die 1930erndash40er Jahre
hinweg eine ausgepraumlgte voumllkisch-nationale und bisweilen radikal-antisemitische
Denkweise entwickelt Dieses Denken fasste er auch auf als Besinnung und stellt
es der Philosophie und Wissenschaft diametral entgegen In Kapitel 2 wird aufge-
zeigt dass sowohl Heideggers Mythologie bereits kritisiert wurde (Adorno Cassi-
rer Meyer) als auch seine Mythopoetik bewundert (Schulz-Nieswandt) Kapitel
3 will daruumlber hinaus aufzeigen wie Heidegger eine eigene Mythologie mytho-
poetisch fruchtbar macht was sich von beiden vorigen Ansaumltzen unterscheidet
und erst mit der Veroumlffentlichung der Schwarzen Hefte ab 2014 nachvollziehbar
wurde
Umso mehr bietet die mythopoetische Verbindung von bdquoDichten und Den-
kenldquo (so) einen antitechnischen Gegenpol Denn Heidegger fasst wie oben ge-
schildert alles Rationale auf als berechnende Bestellung des Bestands im Sinne
der Technik Daruumlber hinaus fordert er mit dem Aletheia-Prinzip (als metapho-
risch gefasstes Ereignis des Blitzens) einen Mitvollzug seiner mythopoetischen
Kontemplation in dem religioumlse voumllkische antike und sprachliche Motive zu-
sammenfallen
Obwohl schon von Heidegger selbst nicht mehr als Philosophie betrachtet
hat seine Rede vom Ding dem Ge-Stell dem Wesen der Technik und der Kehre
noch immer einen bedeutenden Einfluss auf die Technikphilosophie So betont
Alfred Nordmann in bdquoWerkwissen oder How to express things in worksldquo (2008)
dass Heidegger mit Das Dinglsquo eine Art Dingwissen geschaffen haumltte In seinem
2012 erschienenen Aufsatz Another parting of the ways Intersubjectivity and the
objectivity of sciencersquo207 geht Nordmann ein weiteres Mal auf Heideggers Ding
ein Dieses waumlre eine Abarbeitung an dem Ding Kants womit auch Nordmann
Heidegger als einen Interpreten Kants versteht208 Anschlieszligend anMichael Fried-
207 Nordmann Alfred Another parting of the ways Intersubjectivity and the objectivity ofscience In Studies in History and Philosophy of Science 43 (2012) 38ndash46
208 Die Auseinandersetzung mit dem Ding wuumlrde nach Nordmann in Heideggers GA mit demText Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalen Grundsaumltzenlsquoeinsetzen (GA 41 Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalenGrundsaumltzen)
49
man spricht sich Nordmann ebenso dafuumlr aus dass Heidegger neben Rudolf Car-
nap und Ernst Cassirer eine neokantianische Philosophie verfolgt haumltte (siehe
Kap 1)209
Nach Nordmann haumltte Heidegger in seinen anschlieszligenden Gedanken uumlber
das Ding als Fortfuumlhrung Kants als erster Wissenschaft als angewandte Techno-
logie verstanden210 Diese Interpretation stuumltzt sich auf die gleichen Symbole
Metaphern und Mythen die die vorliegende Arbeit analysiert Das Ge-Stell ist
insofern aumlquivok mit dem Begriff techno-science Jedoch sind in dieser Fruchtbar-
machung von Heideggers Denken der Technik dessen nationalistischen rassisti-
schen und antisemitischen Implikationen die die vorliegende Arbeit als Zentrum
dessen Philosophie ermitteln konnte noch nicht beachtet worden koumlnnen211
Andreas Luckner webt Heideggers Ding-Entwurf weiter als verantwortliches
Sorgen um die Dinge212 Er geht dabei mit Heidegger voumlllig konform und tritt
eher als eine Art Bote der Ding-Botschaft auf als diese moumlglicherweise zu kriti-
sieren was sich diesen Artikel wie ein Kapitel aus einem Studienbuch lesen laumlsst
Der Darmstaumldter Technikphilosoph Christoph Hubig ist vor allem Kritiker Hei-
deggers Argumentationen laumlsst aber zuweilen diverse Topoi aus dem Werk des
Technik-Denkers durchscheinen ohne sie weiter zu reflektieren
So konstatiert Hubig Heidegger verfehle in dessen Auseinandersetzung mit
Aristoteles Lehre von der Poiesis zum Punkt der Sicherung wie sie in Die Frage
nach der Techniklsquo behandelt wird bdquodie operative Seite des Technischenldquo bei Aris-
totels213 In einem spaumlteren Aufsatz allerdings stuumltzt er sich ohne weitere Erlaumlute-
rungen auf Heideggers Begriff der Sicherung aus Die Frage nach der Techniklsquo214
209 Diese Befriedung paradigmatischer Umstaumlnde wird hier nicht geteilt Eine weitere Bearbeitunglaumlsst der Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht zu
210 Vgl Nordmann Another parting of the ways S 45211 Der Aussage dass Heideggers Ding-Begriff kantianisch waumlre muumlsste einer gezielten Untersu-
chung unterzogen werden genau wie die Behauptung insgesamt dass Heidegger oder inwie-weit dieser noch der suumlddeutschen Kantschule des 1920 Jahrhunderts angehoumlrte
212 Vgl Luckner Andreas Ding und Bestand Heidegger und das Wesen neuzeitlicher TechnikIn Gamm G Gehring P Hubig C Kaminski A und Nordmann A Ding und SystemS 15-30 hier S 29
213 Hubig Christoph Die Kunst des Moumlglichen Technikphilosophie als Reflexion der MedialitaumltBielefeld 2006 S 103
214 Vgl Hubig Christoph Technik als Medium In Grundwald Armin (Hg) Handbuch Tech-nikethik Stuttgart 2013 S 118-123 hier S 118
50
Dabei versteht Hubig Heideggers Betrachtungen zum Umgang mit der Technik
als gelassen
Fuumlr Heidegger liegt die Andersheit im Entbergen einer Wahrheit des Seinseines Geschicks von dem die Entwicklung der Technik hin zum Gestellkuumlnde Er verbindet dies mit dem Appell jenseits des rechnenden und si-chernden Vorstellens technischer Vollzuumlge als handlungsleitender Program-me sich gelassenlsquo dieser Entwicklung zu uumlberantworten und ein Seinlsquo zuhuumlten das sich als solches eben entbirgt Das Rettendelsquo dieser Einsicht lie-ge darin dass unsere individuelle Endlichkeit insofern transzendiert wirdals sie sich dem sie uumlbersteigenden Prozess aufschlieszligt und sich selbst relati-viert215
Wovon in diesem Zitat nicht die Rede ist ist der Mitvollzug der mythopoe-
tischen Rahmenbedinungen die Heidegger einfordert und an dem die Konzep-
te Abendland und voumllkische Tradition haumlngen In dieser Arbeit wird davon aus-
gegangen dass Heideggers Technikphilosophie-erzaumlhlung sich nicht von seinen
Absichten der Bekaumlmpfung des Technischen loumlsen laumlsst Die Relativierung ist in-
sofern nicht an den Prozess gebunden und damit emergent auf alles hin ausge-
richtet was kommen mag sondern houmlchst konvergent in einer Besinnung auf
Mythen von dem Ding und dem Geviert mit all deren Valenzen aus dem vorlie-
genden Heideggerschen Textkorpus Die individuelle Endlichkeit ist genoumltigt die
Heimat und das Abendland zu kennen und im Aletheia-Prinzip umzusetzen
Die Neubewertung der bislang bekannten Heideggerschen Technikphiloso-
phie von vor den SchwarzenHeften ist ein dringendes Desiderat Voumllkisch-nationale
Gruppierungen erstarken momentan in ganz Europa und es koumlnnte sehr hilfreich
sein aumlhnliche Denkstrukturen aufzudecken so wie sie zwischen den 1930er und
40er Jahren entwickelt wurden Zusaumltzlich muss das Werk Heideggers einer kriti-
schen Revision schon aufgrund der niemals von ihm behandelten Antisemitismen
unterzogen werden Heidegger hat nie zu diesen Stellung bezogen
Daruumlber hinaus ist das Thema Mythos und Philosophie ein weiterhin not-
wendiger Bereich der philosophischen Forschung In einem Bereich auszligerhalb
der exakten Wissenschaften und ohne klare theologische Tradition ist die Philo-
215 Hubig Die Kunst des Moumlglichen S 140
51
sophie beides sowohl Aufklaumlrer und antimythisch als auch Quelle fuumlr mythisches
Denken und affektierende Motive
52
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56
Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
Der Unterzeichner versichert dass er die vorliegende Bachelorarbeit selbststaumlndig
verfasst und keine anderen als die von ihm angegebenen Hilfsmittel benutzt hat
Die Stellen der Arbeit die anderen Werken dem Wortlaut oder dem Sinne nach
entnommen sind wurden in jedem Fall unter Angabe der Quellen (einschlieszliglich
des World Wide Web und anderer elektronischer Text- und Datensammlungen)
kenntlich gemacht Dies gilt auch fuumlr beigegebene Zeichnungen bildliche Dar-
stellungen Skizzen und dergleichen
Darmstadt 25 April 2016
__________________________
(Eigenhaumlndige Unterschrift)
- Abkuumlrzungsverzeichnis
- Danksagung
- Einleitung
- Heideggers mythopoetisches Programm
-
- Zu den Begriffen Mythos Mythologie und Mythopoetik
-
- Ein Beispiel fuumlr ein Mythologem
-
- Heideggers Mythen
-
- Formen der Mythologie
-
- Heideggers mythopoetische Technik
-
- Zur Publikationsgeschichte von den Bremer Vortraumlgen 1949
- Die mythopoetische Spiegelung der Schwarzen Hefte
-
- Das Dinglsquo
- Das Ge-Stelllsquo
- Die Gefahrlsquo
- Die Kehrelsquo
-
- Konklusion
- Literaturverzeichnis
- Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
-
27
Hierzu wird der Text der gesamten vier Vortraumlge unter dem Titel Einblick
in das was ist Bremer Vortraumlge 1949lsquo110 aus dem 1994 veroumlffentlichten 79 Band
der GA zugrunde gelegt Das hat den Grund dass davon ausgegangen wird dass
der Text somit am naumlchsten an den 1949 tatsaumlchlich vorgetragenen Manuskripten
liegt Insofern ist eine realistische Annaumlherung an eine mythopoetische Uumlbertra-
gung der Schwarzen Hefte in die Bremer Vortraumlge 1949 das Ziel Demgegenuumlber
gibt es ob der virulenten Publikationspraxis von Heideggers Schriften111 noch
andere Auskopplungen der vier Vortraumlgsteile mit den Titeln Das Dinglsquo Das Ge-
Stelllsquo Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo
31 Zur Publikationsgeschichte von den
Bremer Vortraumlgen 1949
Zuerst erschien 1954 im Neske-Verlag (Pfullingen) ein Sammelband der lediglich
den ersten Vortrag Das Dinglsquo enthaumllt allerdings in leicht erweiterter Fassung
so wie er ein halbes Jahr nach dem Bremer Auftritt in Muumlnchen (1950) an der
Akademie der Schoumlnen Kuumlnste gehalten wurde112 Dem Band hinzugefuumlgt ist aber
zudem ein Vortrag der vornehmlich die Kernaussagen von Das Ge-Stelllsquo und
Die Gefahrlsquo verbindet allerdings in modifizierter Form Dieser wurde unter dem
textualisiert wuumlrde) Ist aber die wahre Verbindung zu Hitler und Goumlbbels hergestellt hatman selbstverstaumldlich die Verantwortung zu tragen an dem ganzen Tross von unmoumlglichenVerfehlungen dieser Menschen die sie fuumlr uns zu Personae non gratae stempeln muumlssen
110 GA 79111 Hierauf macht auch der Darmstaumldter Philosoph Gernot Boumlhme aufmerksam als Akt ei-
ner bdquoposthumen Selbstinszenierungldquo in Boumlhme Gernot Selbstinszenierung uumlber Ruhmin der Philosophie In Information Philosophie (Online Ausgabe 12015) URL=lthttpwwwinformation-philosophiedea=1ampt=8232ampn=2ampy=5ampc=29gt zuletzt ab-gerufen am 2442016)
112 Heidegger Martin Das Ding In Ders Vortraumlge und Aufsaumltze Pfullingen 1954 S 163ff
28
Titel Die Frage nach der Techniklsquo113 am 18 November 1953 an der TUMuumlnchen
gehalten
Eine weitere Auskopplung diesmal des letzten Vortragsteils Die Kehrelsquo fin-
det sich in einem broschuumlrenformatigen Band wiederum im Zusammenspiel mit
dem Vortrag Die Frage nach der Techniklsquo in Die Technik und die Kehrelsquo114 von
1962 wieder Somit wurden die Vortraumlge Das Ge-Stelllsquo und Die Gefahrlsquo lange
Zeit nicht veroumlffentlicht sondern als vermischter und modifizierter Text eben
Die Frage nach der Techniklsquo jeweils zusammen mit Das Dinglsquo (1954) und Die
Kehrelsquo (1962) angeboten115 In der Vorbemerkung zu Die Technik und die Keh-
relsquo wird diese kleine Chronologie leicht verfaumllscht auch aufgezeigt Darin heiszligt
es ferner dass Die Frage nach der Techniklsquo eine erweiterte Fassung von Das Ge-
Stelllsquo waumlre Dem ist wie schon gesagt nicht so Sondern es ist eine modifizierte
Vermischung von Das Ge-Stelllsquo und Die Gefahrlsquo was unschwer zB am Begriff
vom bdquoHer-vor-bringenldquo116 zu erkennen ist der in Die Gefahrlsquo eingefuumlhrt wird
und in Die Frage nach der Techniklsquo die gleiche Bedeutungskonstituente bildet
Mit der Veroumlffentlichung des 79 Bandes der GA 1994 wurden alle vier Bremer
Vortraumlge von 1949 publiziert In Band 11 der GA erschien 2006 auszligerdem Die
Kehrelsquo in ihrer urspruumlnglichen Fassung Die Frage nach der Techniklsquo enthaumllt
weniger mythopoetische Teile als Das Dinglsquo und operiert demgegenuumlber staumlrker
anhand klassisch philosophischer Allgemeinplaumltze Derer sind vor allem zu nen-
113 Heidegger Martin Die Frage nach der Technik In Ders Vortraumlge und Aufsaumltze Pfullingen1954 S 9ff (Der Aufsatz erschien ebenfalls 1954 im Sammelband der Vortragsreihe DieKuumlnste im technischen Zeitalter Heidegger Martin Die Frage nach der Technik In DieKuumlnste im technischen Zeitalter Dritte Folge des Jahrbuchs Gestalt und Gedanke Hg v dBayrischen Akademie der Schoumlnen Kuumlnste Muumlnchen 1954 S 70ff)
114 Heidegger Martin Die Technik und die Kehre Pfullingen 1962115 Beide Baumlnde Votraumlge und Aufsaumltzersquo sowie Die Technik und die Kehrersquo haben hohe Aufla-
genzahlen (Uumlbersetzungen wurden hier nicht recherchiert wobei es aber eine internationa-le Heidegger-Rezeption gibt) 1993 wurde der Pfullinger Neske-Verlag von dem StuttgarterHaus Klett-Cotta uumlbernommen was die Buumlcher aber unveraumlndert belaumlsst Vortraumlge und Auf-saumltzelsquo zaumlhlt seit 2009 die 11 Auflage Die Technik und die Kehrelsquo seit 2014 die 13 BeideBaumlnde sind vergriffen Es mutet unverstaumlndig an weshalb eine fehlerhafte Jahresangabe ausder ersten Veroumlffentlichung von Die Technik und die Kehrelsquo bis 2014 kolportiert wurdeDort steht der Vortrag Die Frage nach der Techniklsquo waumlre am 18 November 1955 gehaltenworden Der Vortragstermin war aber am 18 November 1953
116 Vgl GA 79 S 64 Und Heidegger Die Technik und die Kehre S 11
29
nen die Auflistung der bdquovier Ursachenldquo117 nach Aristoteles und die Kritik an der
Technik als bdquoein Mittel zu Zweckenldquo118 (Kausalitaumlt)119
Der Vortrag Das Dinglsquo galt Heidegger bei der Darbietung seiner Technikphi-
losophie nach dem Zweiten Weltkrieg allerdings als unentbehrlich ndash und damit
seine groszligflaumlchige Aufblaumltterung der Mythopoetik wie im folgenden Kapitel hier
gezeigt wird Denn im Vortrag Die Frage nach der Techniklsquo benutzt Heideg-
ger noch immer seinen mythopoetischen Topos vom Versammeln des Gebirges
der mit dem Versammeln eine Konstituente des Gevierts ist (bdquoErde und Himmel
die Goumlttlichen und die Sterblichenldquo120) (su)121 Fuumlr die Kaumlufer und Leser von
der spaumlteren Veroumlffentlichung Die Technik und die Kehrelsquo wird zudem in Die
Kehrelsquo extra auf den Vortrag Das Dinglsquo in der 1954er Ausgabe in Vortraumlge und
Aufsaumltzelsquo verwiesen122 Das zeigt wie wichtig und unerlaumlsslich Heidegger seine
mythopoetische Denkweise der Technik ist Auch wenn er in Die Frage nach der
Techniklsquo einen allgemeineren und offeneren Ansatz entwickelt hat der dadurch
auch leichter zu erschlieszligen ist
32 Die mythopoetische Spiegelung der Schwarzen
Hefte in den Bremer Vortraumlgen von 1949
321 Das Dinglsquo
In dem Vortrag Das Dinglsquo der 1949 vor dem privaten Club zu Bremen dort im
Neuen Rathaus das Vortragsquartett einleitete fuumlgt Heidegger mythopoetisch
zusammen was folgenden Topoi seiner Schwarzen Hefte aus Kap 221 entspricht
117 Heidegger Die Technik und die Kehre S 6118 Ebd S 6119 Diese Topoi versucht Heidegger in dem Text zu zersetzen und ihnen ein aletheisches Prin-
zip des Entbergens der Technik entgegenzusetzen Dies erfolgt wiederum auch anhand derVerwendung von mythopoetischen Teilen Darauf kann hier aber nicht weiter eingegangenwerdenAls weitere Gemeinsplaumltze (die er teils unterstuumltzend teils zur Zersetzung einfuumlgt) handelt
der Text auch mit Zitaten von Platon Heisenberg J P Hebel und Goethe120 Ebd S 12121 Vgl GA 79 S 11 Und Heidegger Die Technik und die Kehre S 19122 Vgl Heidegger Die Technik und die Kehre S 42f
30
1 die antirationale Wissenschaftsfeindlichkeit 2 der Mythos des Goumlttlichen 3
das Griechentum uumlber dem Roumlmertum 4 die Zahlenmystik (anhand des Spiegel-
Spiels des Gevierts ndash su) 5 das geschichtsbesinnliche Prinzip der Aletheia
Heidegger stellt zuerst die Frage nach dem Ding und will sie daraufhin ver-
anschaulichen mittels der Metapher des Kruges dh mit dem Krug als ein exem-
plarisches Ding Er fuumlhrt dann vor (was der Geste eines Zauberkuumlnstlers aumlhnelt)
wie der leere Krug gefuumlllt wird ndash Luft weicht der Fluumlssigkeit Dieses Sachverhaumllt-
nis aber ist fuumlr ihn Halbpoesie und eine Angabe aus der Physik sie verfehle das
vermeintliche Wesen des Kruges
Die Wissenschaft stellt durch sie [die Angabe der Physik DS] etwas Wirk-liches vor wonach sie sich objektiv richtet Aber ndash ist dieses Wirkliche derKrug Nein DieWissenschaft trifft immer nur auf das was ihre Art des Vor-stellens im vorhinein als den fuumlr sie moumlglichen Gegenstand zugelassen hat[] Die Wissenschaft macht das Krug-Ding zu etwas Nichtigem insofernsie Dinge nicht als das Maszliggebende zulaumlszligt123
Als ein wirkmaumlchtiges Beispiel das ihm sicherlich viel Beachtung uumlber die
Jahrzehnte seit ihrer Zuumlndung in Japan hinweg einbrachte fuumlhrt Heidegger die
Atombombe an Diese sei zu verstehen als verdinglichte Wissenschaft die das
Ding vernichten wuumlrde
Deren Explosion ist nur die groumlbste aller groben Bestaumltigungen der langherschon geschehenen Vernichtung des Dinges dessen daszlig das Ding als Dingnichtig bleibt124
Er buumlndelt damit Wissenschaft und Verkennung des Wesens als maszliggebend mit
dem Ding als sein machenschaftliches Prinzip der zerrechnenden Zerstoumlrung Drei
Jahre nach Kriegsende war der buumlrgerlich-elitaumlre Kreis in Bremen sicherlich be-
wegt von dieser Wortgewalt Diese jedoch suchte ja ihr Heim Harmonie Ruhe
in dem Haus als Wesen der Sprache
Und so faumlhrt Heidegger fort und ersetzt das physikalische Prinzip des Inhalts-
wechsels von Luft zu Wein in ein bdquoGeschenk des Gussesldquo als Spende und Opfer
den Goumlttern (2)125
123 GA 79 S 8124 Ebd S 9125 Vgl Ebd S 11f
31
Der Guszlig ist der den unsterblichen Goumlttern gespendete Trank [] Der ge-weihte Trank ist das was das Wort Guszliglsquo eigentlich nennt Spende und Op-fer Guszliglsquo gieszligenlsquo lautet griechisch χέειν indogermanisch ghu Das bedeu-tet opfern
Hier spielt bereits der Ursprungsmythos der Griechenmit ein (3) es ist aber auch
ein Bezug auf das Geviert Dieses waumlre ein System ein zusammen Gestelltes aus
bdquoErde und Himmel die Goumlttlichen und die Sterblichenldquo126 Im Guszlig des Trunkes
weilten gemeinsam diese Vier als emblematische Verbindung
Das im Geschenk Versammelte sammelt sich selbst darin das Geviert ereig-net zu verweilen Dieses vielfaumlltig einfache Versammeln ist das Wesen desKruges Unsere Sprache nennt was Versammlung ist in einem alten WortDies lautet thing127
Das Geviert zehrt von der Zahlenmystik zum einen als die Versammlung der
vier Begriffe an sich zum anderen da Heidegger ihnen eine Spiegel-Funktion
zuschreibt bdquoJedes der Vier spiegelt in seiner Weise das Wesen der uumlbrigen wie-
derldquo128 und ferner weil er damit auf sich selbst dh auf sein Vortrags-Geviert
verweist (4) Wie in Kap 21 schon gesagt lebt der Mythos von seiner Verbind-
lichkeit Diese legt Heidegger allen nah die sie verinnerlichen wollen bdquoSagen wir
die Sterblichen dann denken wir falls wir denken die anderen Drei mit aus der
Einfalt der Vierldquo129
Sollte der Vollzug der Praxis des sukzessiven Mitdenkens aller vier Geviert-
Entitaumlten gelingen koumlnnte das Ereignis der Aletheia begriffen werden (5) bdquoDas
Spiegel-Spiel von Welt ist der Reigen des Ereignensldquo130 Diese wird aber auch be-
griffen in Abgrenzung von dem Roumlmertum (3) denn in der bdquorealitas der resldquo
haumltten die Roumlmer bdquoihr Erfahrenes niemals eigens in seinem Wesen gedachtldquo131
Das waumlre den Griechen vorzubehalten und vom verstaumlndig denkenden Deutschen
wiederzubeleben
126 Ebd S 12127 Ebd S 13128 Ebd S 18129 Ebd130 Ebd S 19131 Ebd S 15
32
Der Krug ist ein Ding weder im Sinne der roumlmisch gemeinten res noch imSinne des mittelalterlich vorgestellten ens noch gar im Sinne des neuzeitlichvorgestellten Gegenstandes [] Der Krug ist Ding insofern er dingt132
Die Bindung an das deutsche Wort bdquoDingldquo das er spielerisch auch ins Englische
Romanische und Franzoumlsische uumlbersetzt ist unerlaumlsslich fuumlr seine ethymologi-
sche Argumentation In der ist der bdquoGuszligldquo ruumlckgefuumlhrt auf indogermanisch bdquoghuldquo
und das bdquoDingldquo auf das mittelhochdeutsche bdquothingldquo So konnten antik die Roumlmer
von den Griechen abgrenzt werden und modern die anderen drei Sprachen vom
Deutschen Das englische sich sehr nah am bdquothingldquo befindliche bdquothingldquo wird mit
dem Roumlmischen ausgespielt
Im Englischen hat thing noch die erfuumlllte Nennkraft des roumlmischen Wor-tes res bewahrt [] dh ein aus sich kommendes den Menschen Angehen-des133
Fuumlr Heidegger geht es beim bdquothingldquo aber um die mittelhochdeutsche Uumlbersetzung
der Versammlung Darauf beruht sein gesamter Systemansatz mit Geviert und
Ge-stell
Schulz-Nieswandt fuumlhrt diese Zusammenstellung zum Bejubeln von Heideg-
gers Mythopoetik
So fundamental sieht Heidegger die Welt Die Quelle des Wassers wird zurHochzeit von Himmel und Erde das Gieszligen des Wassers aus dem Krugzum Geschenk Auch Sprache ist daher kein Instrument sondern Ort desWohnens des Menschen Sprache wird zum Haus des Seinslsquo134
Hier bestaumltigt die Untersuchung des Ding-Vortrags die These von einer mytho-
poetischen Einschreibung der nationalistischen voumllkischen Abgrenzungs-Mythologie
aus den Schwarzen Heften
322 Das Ge-Stelllsquo
Der zweite Vortrag des Reden-Gevierts setzt ein mit der Metapher des fehlen-
den Abstands Wo kein Abstand sei da waumlre auch keine Naumlhe so Heidegger Er
132 Ebd S 16133 Ebd S 14134 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei Walter
F Otto S 59
33
verbindet die Abstandslosigkeit mit Urbanitaumlt und Verkehr alles fluktuiere Es
waumlre der Bestand der sich bestelle in dem das Abstandlose herrsche Das sind
neue Metaphern fuumlr die Machenschaft In seiner Erzaumlhlung vom Ge-Stell gibt es
bedeutend weniger mythopoetische Passagen als in dem vorangegangenen Vor-
trag Allerdings uumlbertraumlgt er den mythopoetischen Gehalt der Rede vom Ding
bereits im ersten Absatz von Das Ge-Stelllsquo mit dem Credo bdquoNaumlhe west insofern
das Ding dingtldquo135 Mit dieser Verbindung wird klar unter welchem Zeichen Hei-
degger die Rede vom Ge-Stell verstanden wissen will ndash als verlorenes Verhaumlltnis
des voumllkisch-traditionell verwurzelten Menschen mit den vermeintlichen Wesen
all seiner Gebrauchsobjekte in der mythopoetischen Formel des sich spiegelnden
Gevierts
Nahezu nuumlchtern erzaumlhlt Heidegger dann von dem Gefaumlngnis des Menschen
im Wesen der zirkulierenden sich immer neu bestellenden Bestandstechnik des
Ge-Stells Dabei scheinen folgende Mythen aus den Schwarzen Heften hindurch ndash
1 bdquoHistorie die Technik der Geschichtelsquo Technik die Historie der Naturlsquoldquo136
2 das historische Tier 3 der Appell an den Auftrag des Deutschen 4 der geschicht-
liche Mensch muss die Historie und damit die Technik uumlberwinden und 5 die
alles zernichtende Machenschaft des juumldischen Wesens
Den Topos der seinsvergessenen Groszligstadt jedenfalls kontrastiert er mit der
Bauerndorfidylle Da aber bdquodas Abstandlose herrschtldquo137 waumlre das Vorruumlcken der
Maschinentechnik bereits universell So in Form des Traktors Schon in Band
96 der Schwarzen Hefte beklagt er dieses bdquozum elektrischen Pflug [] gehoumlrt
das amerikanisch aufgemachte Magazinlsquoldquo Insofern erfolge die bdquoAngleichung der
Sitten der Bergbewohner an diejenigen des groszligstaumldtischen Sport- und Barbe-
triebsldquo138
Sein erster Land-Stadtvergleich betrifft den Bauern dessen Totenruhe tradi-
tionell in einem sg bdquoTotenbaumldquo (Sarg) stattgefunden haumltte ndash bdquoIn ihm gedeiht
der Tod des Totenldquo139 Dem gegenuumlber klingt in der bdquomotorisierten Bestattungs-
135 GA 79 S 24136 GA 95 S 351137 GA 79 S 24138 GA 96 S 54139 GA 79 S 26
34
industrie der Groszligstadtldquo140 bereits Heideggers pietaumltsloser Gaskammernvergleich
an
Ackerbau ist jetzt motorisierte Ernaumlhrungsindustrie im Wesen das Selbewie die Fabrikation von Leichen in Gaskammern und Vernichtungslagerndas Selbe wie die Blockade und Aushungerung von Laumlndern das Selbe wiedie Fabrikation von Wasserstoffbomben141
Hier wird davon ausgegangen dass es eine Uumlbertragung der Notizen uumlber
das deutsche Land als bdquoeinziges KZldquo ist die Unterdruumlckung des deutschen Vol-
kes durch die bdquoWeltdemokratieldquo die schlimmer sei als die Graumlueltaten der bdquoGas-
kammernlsquoldquo142 In die mythopoetische Formel von dem dingenden Ding aus dem
ersten Vortrag sind alle Valenzen eingeschrieben die es zur Aufgabe des abendlaumln-
dischen Deutschen (also als Nachfolger der alten Griechen) machen das Wesen
des Dings und somit der Technik zu huumlten Die Verantwortung fuumlr Genozid
Massenvernichtungswaffen und den Mangel im Nachkriegsdeutschland schreibt
Heidegger gleichfoumlrmig dem Prinzip der Abstandslosigkeit zu
Auch die Rede von der Habgier des Berechnenden ist ein bereits bekannter
Vorbehalt Heideggers anhand der Rede vom raffgierigen Juden Denn er sagt von
der bdquoHerrschaft des Abstandlosenldquo dass sie bdquodie Hab-gier des vorstellenden Be-
rechnensldquo waumlre143 Das entspricht seinem Mythos von der alles zernichtenden
Machenschaft des juumldischen Wesens144
Dann folgt eine lange Elegie uumlber das Bestellen des Bestands des Ge-Stells
bdquo[d]ie Kette des Bestellens laumluft auf nichts hinaus sie geht vielmehr nur in ihren
Kreisgang hineinldquo145 uumlber 19 Seiten des 21 seitigen Vortragsexts hinweg entwirft
Heidegger diverse Bilder wie das Ge-Stell die Natur das Hergestellte den Men-
schen und das Verstandesmaumlszligige vereinnahme und das Wesen desDings gleichsam
zur Veruntreuung bringen wuumlrde Wiederum poetisch orientiert kontrastiert also
140 Ebd141 Ebd S 27142 GA 97 S 99f143 Vgl GA 79 S 25144 Vgl Machenschaft hier S 29 und Geraff hier S 33145 GA 79 S 29
35
Heidegger Houmllderlins Hymne Der Rheinlsquo mit dem Rhein dessen Stroumlmung fuumlr
ein Stromkraftwerk genutzt wird
Achten wir um das Ungeheure das hier waltet zu ermessen nur auf einenAugenblick auf den Gegensatz der sich in den beiden Titeln ausspricht DerRhein verbaut in das Kraftwerk ndash der Rheinlsquo gesagt in der gleichnamigenHymne Houmllderlins146
Die Differenz also waumlre das Ungeheure147 Dabei waumlre der Rhein verbaut in das
Kraftwerk Aumlhnlich wie Kohle Erze und Rohoumll waumlren sie Bestand der bdquobesteht
im Bestellenldquo ndash bdquoDas Bestellen waumlre demnach lediglich eine Machenschaft des
Menschen vollzogen in der Weise der Ausbeutungldquo148
Das Bild des Wasserkraftwerks wird erweitert um den Begriff des Menschen
Elektrizitaumlt mit Wasserkraft erzeugen bdquokoumlnnen die Menschen [] nur insofern
sie selber schon in dieses Bestellen bestellt sindldquo149 Mit diesem Bild versucht Hei-
degger praktisch zu veranschaulichen dass Entwurf Umsetzung und Einsatz ei-
ner technischen Anlage den Menschen in ein entruumlcktes Verhaumlltnis zum Wesen
des dingenden Dings setze ndash bdquoDer Mensch ist darum der Angestellte des Bestel-
146 Ebd147 Das ist zusaumltzlich zu dem gemeinten Gegensatz ein Vergleich mit dem Heidegger dem Wort
bdquoRheinldquo in die Hymne Der Rheinlsquo gesprochen eine Energie erzeugende Wirkung zu-schreibt eben so wie das Kraftwerk Strom erzeugen wuumlrde Das wird klar dadurch dassHeidegger metaphorisch vom Stellen des Wortes bdquoRheinldquo in die Hymne spricht Es handeltsich um einen Appell zur denkerischen Besinnung Dass Heidegger dafuumlr eine technischeAnlage zur Veranschaulichung inspirierend wirken laumlsst spielt bereits in die Richtung derBegriffe bdquoHer-vor-bringenldquo bdquoEntbergenldquo und spielt auf das Alteheia-Prinzip an Darauf wirdweiter unten anhand Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo eingegangen werden Es handelt sich umdas Angebot eines mythopoetischen Umgangs mit Technik insbesondere wenn sie sich inheimische Gefilde einfuumlgtHeute koumlnnte man mit Windraumldern ebenso verfahren Somit koumlnnte aber auch Heidegger
als ein gewisser Quijana aus Mancha verstanden werden eben der Protagonist aus Miguel deCervantes Roman Don Quichote von der Manchalsquo der mit seinem von ihm flux auch um-benannten Klepper (weil er zuvor sich selbst in Don Quichote umtaufte) Rocinante Riesenbezwingen will um mit dieser Heldentat unsterblichen ritterlichen Ruhm zu erstreitenAuch Don Quichote fand seine Riesen in Windmuumlhlen und auch Don Quichote war uumlber
eine uumlbertriebene Auseinandersetzung mit einer verschuumltteten Kultur dieser verfallen undsuchte diese in seiner Aventuumlre zu reaktualisieren Martin Heideggers mythopoetisches Pro-gramm ist tatsaumlchlich stark mit Don Quichotes Motiv vergleichbarFerner waumlre eine Auseinandersetzung mit Heideggers Werk unter Beruumlcksichtigung sei-
ner Gewichtung der Vorsokratiker und Houmllderlin als mythopoetischen Autor eine moumlglicheForschung zum Thema Anachronismen in Konzepten von Moral und gesellschaftlicher An-gemessenheit (Vgl Cervantes Miguel de Don Quichote von der Mancha Herausgeben unduumlbersetzt v Susanne Lange Muumlnchen 2008 S 33f)
148 GA 79 S 29149 GA 79 S 30
36
lensldquo150 Schon vorher wies Heidegger darauf hin bdquo[d]ie Herrschaft des Gegen-
staumlndigen sichert nicht den Abstandldquo151 Jetzt heiszligt es
Das Bestellen befaumlllt nicht nur die Stoffe und Kraumlfte der Natur mit Gestel-lung Das Bestellen befaumlllt zugleich das Geschick des Menschen Das Wesendes Menschen wird daraufhin gestellt das Bestellen in menschlicher Weisemitzuvollziehen152
Der Begriff des Ge-Stells wird daraufhin so konstruiert dass es im Bestellen
um ein Stellen (Herausfordern) alles bdquoAnwesenden als Bestandldquo als bdquoversus unumldquo
gegen bdquodas Eine Ganzeldquo gehe153 In wiederum mythopoetischer Formulierung ge-
baumlre die bdquoVersammlung des Stellens worin alles Bestellbare in seinem Bestand
west das Ge-Stellldquo154 Der Begriff bdquoVersammlungldquo wird einen Absatz zuvor my-
thopoetisch wieder an die Versammlung also das thing eben das wesenhafteDing
angelehnt und somit wie zu Das Dinglsquo bereits oben erlaumlutert in einen deutsch-
abendlaumlndischen Kontext gestellt (3)
Wir nennen die Versammlung der Berge die von sich her einig und nienachtraumlglich schon gesammelt ist das Gebirge Wir nennen die Versamm-lung der Weisen nach denen uns so zumute ist und sein kann das Gemuumlt155
Allerdings ist obiges Versammlungsmodell hier als Kontrast zu sehen zu dem
bdquoGeraff des Getriebesldquo das das Ge-Stell darstellt als bdquoWesen der Technikldquo156 Hei-
degger sieht in der Gleichfoumlrmigkeit die zum Wesen des Technik als Ge-Stell
150 GA 79 S 30151 GA 79 S 25152 GA 79 S 31153 Vgl GA 79 S 32154 GA 79 S 32155 Ebd
Das Wort ldquoGemuumltrdquo hat ferner eine ausschlieszliglich deutsche Praumlgung gibt es doch keinedirekte Uumlbersetzungen Gemuumlth ist ferner ein nicht eindeutig umrissener Begriff (Vgl Kra-mer Cheryce A Foolrsquos Paradise The Psychiatry ofGemuumlth in a Biedermeier Asylum Chica-go 1998 S 19) Die Bedeutung im Deutschen selbst ist zudem sehr variabel hat aber zumeistmit Seelen- oder Geistkonzepten zu tun ndash Cheryce von Xylander (geb Kramer) uumlbersetztGemuumlth mit bdquosoul-organldquo (ebd S 43) das von diversen Autoren unterschiedlich konstru-riert wird (zB von Kant geistigkoumlrperlich und von Kleist individuellkollektiv (vgl ebdS 41)) In Heideggers emblematischem Duktus scheint eine Vermischung von allen vier Di-mensionen geistigkoumlrperlich wie auch individuellkollektiv stattzufinden Es ist auf jedenFall dem Mythos geschuldet den Auftrag des Deutschen anzunehmen (3)
156 GA 79 S 33
37
gehoumlre die planetarische Abloumlsung und Aufhebung des traditionellen und damit
wesenhaft ans Ding gebundenen Verhaumlltnisses vom Menschen zur Erde (das von
ihm idealisierte voumllkische Bauerntum das Bestellen des Ackers) bdquoDie Bestand-
Stuumlcke sind Stuumlck fuumlr Stuumlck die Gleichenldquo157 So kontrastiert er alte Handwerks-
techniken mit Maschinentechnik und schreibt der Maschinentechnik die machen-
schaftliche Verdraumlngung als Geraff zu
Das Ge-Stell hat auch wenn das nicht unmittelbar und nicht sogleich ver-nehmlich wird im vorhinein schon alle diejenigen Stellen beseitigt an denenvormals Spinnrad und Wassermuumlhle standen Das Ge-Stell bestellt durch sei-ne Maschinerie zum voraus eine andere Art und Ordnung von Stellen Andiesen kommt nur zu Stand was als Bestellbares auf der Stelle gleichfoumlrmigzur Stelle steht
Darum ist auch die Art wie die Maschine selbst etwas herstellt einewesentlich andere als das handwerkliche Tun gesetzt daszlig es innerhalb desGe-Stells uumlberhaupt noch so etwas wie ein Herstellen gibt
Die Traktoren und Kraftwagen werden herausgebracht ausgeworfen se-rienweise Stuumlck fuumlr Stuumlck Wo drauszligen steht dieses so Herausgestellte Wo-hin in welchen Stand ist es gebracht158
In dieser Klage uumlber den technischen Wandel der durch den Fortschritt in
alle Lebensbereiche Einzug haumllt versucht Heidegger zu veranschaulichen wel-
chen Verlust es zu erkennen gelte Ein Versuch diesem entgegen zu treten ist die
von ihm vorgetragene Mythopoetik die er in diesem Vortragsteil seines Vortrags-
Gevierts allerdings auffaumlllig zuruumlckgestellt sein laumlszligt War der Einleitungsteil Das
Dinglsquo schlieszliglich eine nahezu einzige mythopoetische Darbietung Dramatur-
gisch wird Heidegger in Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo die mythopoetischen For-
mulierung als Loumlsungswege wieder Bedeutung geben In Das Ge-Stelllsquo versucht
Heidegger hingegen Vorstellungen aus seinen Schwarzen Heften aumlhnlich der fol-
genden mitzuteilen die das Uniforme Gleichfoumlrmige betreffen
Die Macht der Machenschaft ndash die Vernichtung sogar der Gottlosigkeit dieVermenschung des Menschen in das Tier die Vernutzung der Erde die Ver-rechnung der Welt ndash ist in den Zustand der Endguumlltigkeit uumlbergegangenUnterschiede der Voumllker Staaten Kulturen sind nur noch Fassade159
157 GA 79 S 36158 GA 79 S 35159 GA 96 S 52f
38
Was Heidegger unter dieser Gleichfoumlrmigkeit versteht schreibt er in den Schwar-
zen Heften zumeist den Amerikanern zu Er nennt es auch haumlufig Planetarismus
Der Amerikanismus [ist DS] die Zusammenraffung von Allem welcheZusammenraffung immer zugleich die Entwurzelung des Gerafften bedeu-tet160
Der Planetarismus ist die historisch gedachte Bestimmung der uumlberall glei-chen die ganze Erde uumlberdeckenden Seinsverlassenheit des Seienden161
Die Gegenuumlberstellung von natuumlrlicher und traditioneller Handwerkstechnik
gegen maschinenhafte Gleichfoumlrmigkeit exemplifiziert Heidegger dann im Vor-
trag Das Ge-Stelllsquo vielfach wie zum Beispiel hier
Der Forstwart zB der im Wald das geschlagene Holz vermiszligt und demAnschein nach noch wie sein Groszligvater in der gleichen Weise die selbenWege geht ist heute von der Holzverwertungsindustrie gestellt Er ist ober es weiszlig oder nicht in seiner Weise Bestand-Stuumlck des Zellulosebestandesund dessen Bestellbarkeit fuumlr das Papier das den Zeitungen und illustrier-ten Magazinen zugestellt wird die uumlber die Oumlffentlichkeit daraufhin stellenverschlungen werden162
160 GA 96 S 257161 GA 96 S 261162 GA 79 S 37f
Die renommierte Theaterautorin Elfriede Jelinek karikiert in ihrem Stuumlck Totenaubergvon 1991 Heideggers Konstrukt von Heimat und Fortschrittsfeindlichkeit verbunden miteiner Auseinandersetzung mit dessen Liebschaft zu Hannah Arend Mit philologischer Prauml-zision polemisiert sie Teile aus Heideggers Elegie uumlber die Technik und laumlszligt ihn dabei alsbeschraumlnktes und eingezwaumlngtes Wesen in einem Gestell gefangen sein Aus diesem heraussoll er Arend Rede und Antwort stehen uumlber sein Verhaumlltnis zum Nationalsozialismus unddie Shoa Doch dieser redet nur naturtrunken von Heimat und berauscht sich daran Derprophetische Denker wird banalisert ndash diese Worte legt Jelinek ihm (im Stuumlck der alte Mann)in den MundbdquoDie Angst vor dem Fragen liegt uumlber dem Abendland Sie bannt die Kandidaten auf ein
Team-Leibchen verbannt sie auf altgewordene Wege und jagt sie zuruumlck ins morsch geworde-ne Gehaumluse ihrer Tore wo es um ihre Ausscheidungen geht Es wird ihnen alles weggenom-men werden auch der Weg selbst Keine Spur kein Lichtschein aus den Ritzen Aber ruf ichin die Huumltte um nach einem zu fragen den ich gekannt hab sehe ich grad noch eine Tuumlrsich schlieszligen Der Wald kommt nicht zur rechten Geltung alles ist entflohen was mir liebwar und woran ich geglaubt hab Was kommt ist noch nicht da Nichts war Ich habe nichtsgehoumlrt Ich erinnere mich nicht aber ich stelle dem Kommenden das mich den lupenreinenAmateur schon vor Beginn des Rennens erlahmen laumlszligt vorsorglich die Hausschuhe vor dieTuumlr Sie sind das Einzige was die Profis des Profits von mir dann vorfinden werden wennsie anklopfen Die Haumlrte des Urgesteins sollte sie nicht entmutigen Die Jahreszeiten machendie Landschaft auf und zu Ich sage nur In dieser scheinbaren Leere will ich vom Denkenmuumld nur schlafen Von der Huumltte aus lassen sich Wanderungen unternehmen Aber auchsonst wird Ihnen alles wie ich sagte genommen werden Auch Ihre Fotos und Namen Unddas Gewesene wird wesenlosldquo ( Jelinek Elfriede Totenauberg Hamburg 1991 S 86f)
39
Die Oumlffentlichkeit ist fuumlr Heidegger ein Topos der dem Denken und Besinnen
entgegenstuumlnde Somit meint er damit zum Einen die Medien wie er es anhand
der Rede von den Bestandstuumlcken in Das Ge-Stelllsquo erklaumlrt wo der Mensch als
Urheber des Ge-Stells als Wesen der Technik nicht gelten soll Vielmehr wuumlrde er
in Ratlosigkeit und Langeweile verfallen weil er in der Bestellung des Bestandes in
Form von Bestandstuumlcken vom Rundfunk keine Besinnung mehr faumlnde dh das
Ganze also wiederum daswesentliche Ding nicht mehr zu fassen vermoumlge163 Und
so toumlnt es bereits aus den Schwarzen Heften von 19391940()
Die Bildlsquo und Tonlsquo ndash Reportagenlsquo der Machenschaft ist der planetari-sche Mythuslsquo des Vollendungsabschnittes der Neuzeit Die Welt des abge-legensten deutschen Bauernhofes wird nicht mehr durch [] die Naturlsquobestimmt in der noch die Erde waltet sondern durch das illustrierte Blattmit der Darstellung von ausgezogenen Tanzweibern von Boxern und Renn-fahrern und sonstigen Heldenlsquo des Tages164
Und ferner notierte Heidegger 1946 in seinen Schwarzen Heften
Uumlberall zerrt es aus dem Oumlffentlichen ins Oumlffentliche mit vielen Strickenund jeder sieht das kaum versuchte Denken des Seyns am Leitband seinesStrickes165
Dabei waumlre eben ein bdquoLiterat [] ein in die Oumlffentlichkeit verliebter Mensch der
Angst vor dem Denker hatldquo166 Dieses liefe dann darauf hinaus dass beim Rund-
funk bdquoein Bestellen und Stellen waltet das in dasWesen des Menschen eingegriffen
hatldquo167
Abermals nach dem Wesen der Technik also nach dem Ge-Stell gefragt geht
Heidegger auf seine Unterscheidung vonNatur undNaturwissenschaft ein bdquo[w]elches
ist das Verhaumlltnis zwischen der Technik und der Naturldquo168 Natur wuumlrde in wis-
senschaftlicher Hinsicht unter das Berechnete fallen sie wuumlrde bdquoals das in Maszlig
und Zahl gestellte Wirkliche vorgestellt das in seinem Gewirkten staumlndig an-
westldquo169 Wenn Heidegger dann Natur aus technischer Sicht bdquoals ein System des
163 Vgl GA 79 S 38f164 GA 96 S 54165 GA 97 S 100166 GA 97 S 126167 GA 79 S 39168 GA 79 S 41169 Ebd
40
Bestellens von Erfolgen aus dem gestellten Wirksamenldquo170 charakterisiert spricht
er von seiner Rede der Verschraumlnkung von Historie und Technik ndash bdquoTechnik die
Historie der Naturldquolsquo171 Dieses ist bekanntlich das seinsvernichtende Gegenstuumlck
zur geschichtlichen Besinnung Denn geschichtliches Walten der Technik ist fuumlr
Heidegger technische Geschichte dh verwissenschaftlichte Geschichte die da-
durch ihr Wesen verloren haumltte (Seynsvergessenheit)172 So heiszligt es in den Schwar-
zen Heften von 1947
Ein Zeitalter das historisch geworden ist dh technisch planend sich selberberechnet und alles in diesen Sog zieht muszlig jede Besinnung nur als eine dervielen Formen der Intellektualitaumlt registrieren173
Heidegger schlieszligt den Vortrag mit dem Aufgriff der Anfangsbehauptung
bdquo[d]er Bestand bestellt das Abstandsloseldquo174 Somit liegt das Problem der ausblei-
benden Naumlhe durch die Technik deren Wesen das Ge-Stell waumlre das den Bestand
bestelle in der Luft Dass dabei der Mensch sogleich Teil des Bestandes und nicht
Teil der Maschine wird laumlsst ihn das historische Tier sein (2)
Der Mensch ist auswechselbar innerhalb des Bestellens von Bestand []Gleichwohl gehoumlrt der Mensch in einer voumlllig anderen Weise in das Ge-Stellals die Maschine DieseWeise kann unmenschlich werden DasUnmenschlicheist jedoch immer noch unmenschlich Der Mensch wird nie zur MaschineDas Unmenschliche und noch Menschentuumlmliche ist freilich unheimlicherweil boumlsartige und verhaumlngnisvoller denn der Mensch der nur Maschine wauml-re175
Wen Heidegger hier ersinnt ist der neuzeitliche Mensch der den bdquoGoumlttern uner-
traumlglich gewordenldquo176 waumlre
170 Ebd171 GA 95 S 351172 In Heidegger Die Technik und die Kehre S 21 stellt er Geschichte und Historie einander
gegenuumlber was er in Das Ge-Stelllsquo nicht vollzieht bdquoDie moderne Technik kam doch erst inden Gang als sie sich auf die exakte Naturwissenschaft stuumltzen konnte Historisch gerechnetbleibt dies richtig Geschichtlich gedacht trifft es nicht das Wahreldquo Signifikant fuumlr Heideg-gers Attributierung so wie sie oben schon geschildert ist steht Historie fuumlrs Rechnen undGeschichte fuumlr das Denken
173 GA 97 S 508174 GA 79 S 44175 GA 79 S 37176 GA 94 S 236
41
323 Die Gefahrlsquo
Aus Heideggers Darlegung uumlber das Ge-Stell erschlieszligen sich seine diversen Fa-
cetten der Vorstellung einer Abstandslosigkeit schaffenden Technik Dass die Ab-
standslosigkeit dem Prinzip des Gevierts des Zusammengestellten entgegensteht
bekommt im Vortrag Die Gefahrlsquo Nachdruck Die mythopoetische Erzaumlhlung
knuumlpft an den Vortrag Das Dinglsquo an mit den Mythologemene 1 Der Mythos
des geschichtlich sein muumlssens 2 der Mythos des Goumlttlichen 3 das geschichtsbe-
sinnliche Prinzip der Aletheia Zudem wird im Prozess des Vortrags das Ge-Stell
zur Gefahr stilisiert was einen eigenen Mythos erschafft
Durch das bdquouniversale Bestellen des Ge-Stellsldquo177 werde die naumlhernde Naumlhe des
Dings verwehrt Wie im Vortrag Das Dinglsquo fuumlhrt Heidegger das Wesentliche sei-
ner Theorie auf die deutsche und altgriechische Sprache zuruumlck Die so vollzoge-
ne Annaumlherung von Schwarzwaumllderischem Dialekt und Altgriechisch entspricht
Heideggers Traum von dem bdquogeschichtliche[n] Geburtsort des abendlaumlndischen
Wesensldquo178 den seine Heimat von Todtnauberg bis Freiburg stiften sollte (1)
es ist das Geistvolle und zugleich das erdenhafte schoumlne Land Es birgt un-sichtbaren Reichtum dem Gemuumlt bewahret tiefstes Dichten und houmlchsteGestalt der Sage179
Unter diesem Vorzeichen also sagt Heidegger
Das Ge-Stellwesen laumlszligt das Ding ohne die Wahr Das Wort die Wahrlsquo be-deutet in unserer Sprache dort wo sie noch urspruumlnglich spricht die HutIn unserer schwaumlbischen Mundart meint das Wort die Wahrlsquo die der muumlt-terlichen Hut anvertrauten Kinder Das Ge-Stell laumlszligt in seinem Stellen dasDing ohne die Hut ndash ohne die Wahr seines Dingwesens180
Diese in Bremen vorgetragene Heimatkunde ist auch Heideggers Sorge ge-
schuldet durch die Besatzermaumlchte und deren kulturellen Einfluss auch durch
die nun moumlgliche Oumlffnung Deutschlands zu einem Austausch mit der Welt das
eigene Wesen zu verlieren So schreibt er 1945-1947() in seine Schwarzen Hefte
177 GA 79 S 46178 GA 97 S 54179 Ebd180 GA 79 S 46
42
Das Schwerste und Fragwuumlrdigste unseres Geschickes ndash beruht darin ob wirdas Eigene finden und huumlten [] unter den anderen Voumllkernlsquo [] Scheinund Vorwand der Macht daszlig man unsere eigene Aufgabe bringen will []als Entmachtete aufgenommen zu sein in den Weltmachenschaftsbetrieb181
Es gaumlbe nach Heidegger also das Welten von Welt und die Verweigerung von
Welt aus derVerwahrlosung des Dings durch das Ge-Stell bzw die Technik182 Welt
ist nach dem Konzept des schwaumlbischen Denkers nichts weniger als das Geviert
Bei der folgenden mythopoetischen Zusammenstellung von dem Geviert mit alt-
griechischen Vokabeln um den Seins-Begriff wird das Aletheia-Prinzip eingefuumlhrt
Somit fuumlhrt uumlber den Mythos des Goumlttlichen (2) der Weg zur Wahrheit eben als
geschichtsbesinnlich erfahrene Aletheia (3)
Welt ist das Geviert von Erde und Himmel Goumlttlichen und SterblichenDas Spiegel-Spiel der Vierung wahrt alles was in ihm dingend zwischenden Vier anwest und abwest in das einende Ganze seines Anwesens Vonaltersher heiszligt das Anwesen des Anwesenden τὸ ὲόν das Seiend [sic] τὸεἶναι das Sein naumlmlich der ὲόντα des Seinenden das esse entium183
Diese Welt waumlre nun bdquoWahrnis des Wesens von Sein Statt Wahrnis sagen wir auch
Wahrheitldquo184 Die Welt mythopoetisch als Spiegel-Spiel des Gevierts und durch
eine altgriechische Brille betrachtet waumlre die wahre Welt Somit wird die Wahr-
heitsschau gebunden einen antiken Goumltterglauben und abendlaumlndische Sprachkas-
kaden vom Dialekt zum Altgriechisch
Das Problem mit der wahren Welt waumlre allerdings dass sie sich in die Ver-
borgenheit entziehe Naumlher betrachtet ist aber die Verborgenheit Bedingung des
Entbergens was Heidegger notwendig macht zu einem wuumlrdigen Lebensvollzug
in Harmonie mit dem Sein Durch solche Wesensschau waumlre der Mensch befaumlhigt
jederzeit die verstellenden Maumlchte des Ge-Stells (der Technik) zu uumlberwinden und
teilhaftig am Wesen der Welt zu werden
181 GA 97 S 99182 Vgl GA 79 S 47183 GA 79 S 48 (Die griechischen Vokabeln werden hier keiner Uumlbersetzung unterzogen Da
Heidegger ohnehin keine philologische Schaumlrfe anwenden will ist es fuumlr die Zwecke hierausreichend sie mit seiner Uumlbersetzung zu betrachten Heidegger spricht von bdquoAchten aufdas Griechischeldquo was schwieriger waumlre als klassische Philologie (vgl GA 79 S 63)
184 Ebd
43
Welt bleibt in der Verborgenheit (Αήθη) auf die Weise daszlig diese ihre Ver-borgenheit gerade eine Unverborgenheit gewaumlhrt die Αλήθεια185
Die Αλήθεια haumltte allerdings auch eine Rolle uumlber die subjektive hinaus da nur
durch ihren Vollzug Seinsgeschichte gewaumlhrt wuumlrde Das ist der Anspruch den
Heidegger an sein Auditorium stellt gemeinsam geschichtlich sein zu muumlssen (1)
Die Αλήθεια ist das Geschick des Seins als welches Geschick sich die Fuumllleder Seinsgeschichte in ihre Epochen fuumlgt186
Mit dem Ge-Stell als Wesen der modernen Technik waumlre die Aletheia aller-
dings hochgradig gefaumlhrdet Denn ohnehin waumlre die Aletheia prinzipiell der Ge-
fahr der Vergessenheit ausgesetzt Doch das Ge-Stell haumltte die Kraft die bdquovollende-
te Vergessenheit der Wahrheit des Seinsldquo187 zu vollrichten
Indem das Ge-Stell alles Anwesende in den Bestand bestellt setzt das Ge-Stell das Anwesen des Anwesenden heraus aus seiner Wesensherkunft ausder Αλήθεια188
Diese Versetzung des beteiligten Wesens aus der Moumlglichkeit des Wahrheitsprin-
zips heraus markiert Heidegger dann mit der Schreibweise Seyn (mit bdquoyldquo) Wie
bei dem Vortrag Das Dinglsquo koumlnnen ethymologische Abstammungen sein Sys-
tem anreichern Da wo es um das Wortfeld des Stellens geht Ge-Stell Bestellen
Verstellen ist auch das NachstellenMitglied der Familie
Im Althochdeutschen heiszligt nachstellen fara Das in sich gesammelte Stellenals Nachstellen ist die Gefahr Der Grundzug des Wesens der Gefahr ist dasNachstellen Insofern das Sein als das Ge-Stell sich selbst mit der Vergessen-heit seines Wesens nachstellt ist das Seyn als Seyn die Gefahr seines eigenenWesens189
Damit wuumlrde sich durch die Verringerung der Selbstreflexion im Seyns-Bestand
eine Schwachstelle auftun in die der denkbegabte und aletheiafaumlhige Mensch ei-
ne Moumlglichkeit haben das Seyn zum Sein zuruumlckzuwandeln ndash also wieder in ein
185 GA 79 S 49186 Ebd187 GA 79 S 53188 GA 79 S 52189 GA 79 S 53
44
wesentliches Verhaumlltnis zum bdquoDingldquo zu gelangen in dem das Geviert wieder die
Harmonie herstellt Allerdings faumlnde bis zu solch einer Nachstellung eine Ver-
sieglung des Seynsbestandes statt Und Heidegger beklagt dass die Erreichung der
Ruumlckeroberung des Seins uumlber die Nachstellung nicht stattfaumlnde und stattdessen
die Irre regieren wuumlrde190
In dieser Irre stuumlnde dem Menschen nicht einmal mehr zu zu sterben Denn
bdquoSterben [] heiszligt den Tod in sein Wesen austragenldquo191 Somit waumlren die Opfer
die in den KZs umkamen wie er sie in Das Dinglsquo bereits schildert nicht vermouml-
gend gewesen zu sterben bdquoSie werden Bestandstuumlcke eines Bestandes der Fabrika-
tion von Leichen [] Sie werden in Vernichtungslagern unauffaumlllig liquidiertldquo192
Das vermoumlge die Gefahr zu bewirken Der Mensch wuumlrde des eigenen Sterbens
beraubt da er keine Verbindung mehr zur Wahrheit der Welt haumltte Um den rich-
tigen Tod zu sterben muumlsse der Mensch die Aletheia schauen koumlnnen Insofern ist
Heideggers Prinzip ein religioumls anmutendes Wie in der christlichen Vorstellung
der Mensch im Jenseits an seinen Taten gemessen wird um Paradies oder Fege-
feuer zu besuchen soll nach Heidegger der Mensch waumlhrend des Sterbens mit
sich selbst ins Gericht gehen Er soll sich rein machen vom Ge-Stell der Technik
und dem Seyn um nicht die einmalge Gelegenheit des richtigen Sterbevollzugs
zu versaumlumen Es winken gemaumlszlig des Gevierts die himmlischen Goumlttlichen den
irdischen Sterblichen zu wobei annehmbar ist dass Heidegger Sterblichen die
die Aletheia erkennen einen Goumlttlichkeitsstatus beimessen moumlchte ndash eine Erlouml-
sungsphantasie
Genau diese Erloumlsung waumlre die Technik nicht
Ohne den Schritt des Denkens zu wagen der unser Menschenwesen demWesen der Technik [] aussetzt wuumlrgt man sich von Fall zu Fall von Lagezu Lage durch die Zwiespaumlltigkeiten hindurch Und genau durch dieses Ge-wuumlrge versaumlumt man die Moumlglichkeit dessen was man im Grunde erstrebtdie Technik durch menschliches Tun zu meistern und menschenwuumlrdig zulenken193
190 Vgl GA 79 S 55191 GA 79 S 55192 GA 79 S 56 Weil Heidegger im Judentum die Verantwortlichen fuumlr das Geraffe des Ge-Stells
sieht macht er sie gleichsam verantwortlich fuumlr die bdquoSelbstvernichtungldquo Die Seinsverges-senheit im Tode wird dadurch zum Spin-off der vermeintlich juumldisch erzeugten da machen-schaftlichen KZ-Maschinerie (Vgl GA 97 S 20f)
193 GA 79 S 59
45
Trost und Richtung findet Heidegger schlieszliglich abermals bei den alten Griechen
Das Wort stellenlsquo entspricht dem griechischen ϑέσις vorausgesetzt daszlig wirϑέσις griechisch denken Was heiszligt in diesem Falle griechisch denkenlsquo Esheiszligt darauf achten welche Lichtung desWesens des Seyns in welcherWeisedas Dasein der alten Griechen in den Anspruch genommen hat heiszligt imvoraus bedenken in welchem Geschick welcher Unverborgenheit des Seinsdie Griechen standenldquo194
Das sind Vorstellungen des Neuen Anfangs eine Reminiszenz der griechisch anti-
ken Welt Ein Eintrag aus den Schwarzen Heften von etwa 1945-47 () verdichtet
wie oben bereits aufgezeigt die Phantasie griechisch zu sein zu einem gelingenden
Lebensvollzug
Das reine Wesen des Griechentums dh das Seiende inmitten dessen dieGriechen als seiende fremd gewesen dieses und sie selbst und der Bezug desSeins zu ihnen ndash in der einfachen Wesung von der ἀλήθεια her zeigen underfahren Den μῦθος und λόγος ndash jedes Wort und Gebild rein aber nichterzwungen und schematisch-pedant ndash aus ἀλήθεια erfahren195
Hier zeigt sich auch dass Heidegger per se das Aletheia-Prinzip fuumlr notwendig
hielt um ins Licht der Wahrheit zu blicken Die Griechen sind ihm hier deshalb
Vorbild und rein da sie keiner modernen Technik und dem Ge-Stell ausgesetzt
waren sondern lediglich eine mythopoetische Verbindung zum Sein herstellen
mussten um wesentlich zu sein und Seinsgeschichte zu schreiben Die Dinge und
das Spiegel-Spiel des Gevierts waumlren ihnen geschickt zuhanden gewesen196 Hei-
degger macht schlieszliglich sehr deutlich dass das Griechische zu denken ein bei
weitem anderes Geschaumlft sei als philologische Praumlzision
Ein Echo zu sein naumlmlich dem Anspruch des Seins verlangt eine Sorgfaltder Sprache von der freilich der technisch-terminologische Sprachstil derWissenschaften uumlberhaupt nichts wissen kann Die Intentionalitaumlt der wis-senschaftlichen Sprache ist der staumlrkste Beweis fuumlr ihre Boden- und Heimat-losigkeit [] Das Heimische einer hohen Sprache gedeiht nur im Bereichdes unheimlichen Anspruchs der wesenhaften Stille im Wesen des Seyns197
194 GA 79 S 62f195 GA 97 S 20196 Hingegen waumlre das Judentum verantwortlich fuumlr das Ge-Stell fuumlr das Prinzip der Zerstoumlrung
wie es auf der selben Seite der Schwarzen Hefte darunter heiszligt (vgl ebd)197 GA 79 S 66 Die Bedeutung von Seyn als verstelltes Sein oder Bedingung zum Schauen
des wahren Seins ist verwirrend Einer genaueren Analyse wird aus Platzgruumlnden hier nichtnachgegangen
46
324 Die Kehrelsquo
Der letzte Vortrag ist mit nur neun Seiten der Kuumlrzeste des Vortragsgevierts
Nach dem Verlust des Dinges als Ding und der damit einsetzenden Abstandslosig-
keit als Wesen des Ge-Stells wobei die Gefahr zudem der Vergessenheit des Seyns
nachstellt bietet Heidegger eine Perspektive an
Im Wesen der Gefahr verbirgt sich [] die Moumlglichkeit einer Kehre in derdie Vergessenheit des Wesens des Seins sich so wendet daszlig mit dieser Kehredie Wahrheit des Wesens des Seyns in das Seiende eigens einkehrt198
Diese Moumlglichkeit bedeute nicht dass der Mensch sich der Gefahr selbst stellen
koumlnnte sie waumlre passiv ndash bdquoverbirgt sichldquo Die Kehre werde sich ereignen aumlhnlich
einer Erwartung an den Messias
Die Anwesenheit der Gefahr wuumlrde automatisch die Rettung bergen Denn
Houmllderlin haumltte geschrieben bdquoWo aber Gefahr ist waumlchst [d]as Rettende auchlsquoldquo199
Etwa 1945 notiert Heidegger in seine Schwarzen Hefte bdquoDie Wahrheit erfahren
wir im Gedaumlchtnis Das Gedaumlchtnis ist die Dichtungldquo200 (so) Von dieser War-
te aus ausgestattet mit Erinnerungen an das abendlaumlndische Dichten mit dem
Wissen um das Aletheia-Prinzip und passiv als denkender Huumlter des Seyns solle
der Mensch das Ereignis erwarten das ihn bdquoloumlsen freimachen freyen schonen
bergen in die Hut nehmen wahrenldquo201 wuumlrde (siehe S 43)
Dieses Ereignis waumlre der Blitz Ein unvermittelter jaumlher ploumltzlicher Moment
von kurzer Dauer der bloszlig einen ebenso kurzen Blick auf das wahre Wesen er-
lauben wuumlrde Abschlieszligend ist dies das Rezept gegen die Bestands bestellende
Technik in mythopoetischer Formulierung
So entsprechend ist der Mensch geeignet daszlig er im gewahrten Element vonWelt als der Sterbliche dem Goumlttlichen entgegenblickt Anders nicht dennauch der Gott ist wenn er ist ein Seiender steht als Seiender im Seyn unddessen Wesen das sich aus dem Welten von Welt ereignet202
198 GA 79 S 71199 GA 79 S 72200 GA 97 S 52f201 GA 79 S 72202 GA 79 S 76
47
Wenn Heidegger im Anschluss von der bdquohistorisch-technischen Darstellungldquo re-
det so ist dies die Abwehr der Wissenschaften (auch der Philosophie203) und ein
Appell an die Antirationalitaumlt des Mythos bdquokein historisches Vorstellen der Ge-
schichte als Geschehen bringt in den schicklichen Bezug zum Geschickldquo204
Damit das Blitzen erfahren werde als kurze Wesensschau der Aletheia muumlsse
dem wahren abendlaumlndischen und heimatlichen Ereignis stattgegeben werden Es
sollte nicht wie er 1939 schon in den Schwarzen Heften beschreibt das
kuumlnstliche Licht von Historie und Technik in der weder Mensch noch dieGoumltter weder eineWelt noch die Erde sichtbar werden koumlnnen wo aber dasLebenlsquo von allen den immer noch zu wenigen Meistenlsquo erlebtlsquo wird205
Damit schlieszligt der letzte Vortrag mit einer Erwartung an das Ereignis des Blit-
zens nicht das Erleben der Besinnungslosigkeit (vgl Das Ge-Stelllsquo) Schon 1947
traumlumt Heidegger von solcher Umkehr
Aus der Kehre der Seynsvergessenheit aber ereignet sich das Unumgaumlnglicheden Acker der Welt erst zu pfluumlgen und saatbereit der Sonne und dem Regenund den Voumlgeln des Himmels uumlberlassen206
203 Denn ldquo[e]igentlich denken heiszligt [] die Philosophie verlassen [] beim Sagen des Seinslsquoldquo(GA 97 S 60)
204 Ebd205 GA 95 S 427 Gegen das Erlebnis und Erleben straumlubt sich Heidegger besonders So notiert
er etwa 1939 bdquoZeitalter der Techniklsquo macht gerade die Techniklsquo nicht zum Ziel sondernimmer mehr zum Mittel der besinnungslosen Berechnung [] der Mensch [] das Erleb-nislsquo [] Erleben als der Gefuumlhlsgenuszligldquo (GA 95 S 149) Wie auch bdquoWo beide Historie undTechnik in solcher scheinbaren Gegensaumltzlichkeit verkoppelt sind koumlnnen sie sich zur Foumlr-derung dessen zusammenschlieszligen was einstmals wesentlich die Geschichte des Menschenmitbegruumlndete und was wir die Kunstlsquo nennen Die Historie verschafft [] Anregungenund Vorbilder der Nachahmung die Technik erleichtert [] die Zustellung von Darstel-lungsmitteln und Wirkungsformen [] Gleichwohl ist alles wurzellos [] berechnet und alsErlebnislsquo ausgegebenldquo (GA 95 S 212)
206 GA 97 S 511
48
4 Konklusion
Der umstrittene Philosoph Martin Heidegger hat uumlber die 1930erndash40er Jahre
hinweg eine ausgepraumlgte voumllkisch-nationale und bisweilen radikal-antisemitische
Denkweise entwickelt Dieses Denken fasste er auch auf als Besinnung und stellt
es der Philosophie und Wissenschaft diametral entgegen In Kapitel 2 wird aufge-
zeigt dass sowohl Heideggers Mythologie bereits kritisiert wurde (Adorno Cassi-
rer Meyer) als auch seine Mythopoetik bewundert (Schulz-Nieswandt) Kapitel
3 will daruumlber hinaus aufzeigen wie Heidegger eine eigene Mythologie mytho-
poetisch fruchtbar macht was sich von beiden vorigen Ansaumltzen unterscheidet
und erst mit der Veroumlffentlichung der Schwarzen Hefte ab 2014 nachvollziehbar
wurde
Umso mehr bietet die mythopoetische Verbindung von bdquoDichten und Den-
kenldquo (so) einen antitechnischen Gegenpol Denn Heidegger fasst wie oben ge-
schildert alles Rationale auf als berechnende Bestellung des Bestands im Sinne
der Technik Daruumlber hinaus fordert er mit dem Aletheia-Prinzip (als metapho-
risch gefasstes Ereignis des Blitzens) einen Mitvollzug seiner mythopoetischen
Kontemplation in dem religioumlse voumllkische antike und sprachliche Motive zu-
sammenfallen
Obwohl schon von Heidegger selbst nicht mehr als Philosophie betrachtet
hat seine Rede vom Ding dem Ge-Stell dem Wesen der Technik und der Kehre
noch immer einen bedeutenden Einfluss auf die Technikphilosophie So betont
Alfred Nordmann in bdquoWerkwissen oder How to express things in worksldquo (2008)
dass Heidegger mit Das Dinglsquo eine Art Dingwissen geschaffen haumltte In seinem
2012 erschienenen Aufsatz Another parting of the ways Intersubjectivity and the
objectivity of sciencersquo207 geht Nordmann ein weiteres Mal auf Heideggers Ding
ein Dieses waumlre eine Abarbeitung an dem Ding Kants womit auch Nordmann
Heidegger als einen Interpreten Kants versteht208 Anschlieszligend anMichael Fried-
207 Nordmann Alfred Another parting of the ways Intersubjectivity and the objectivity ofscience In Studies in History and Philosophy of Science 43 (2012) 38ndash46
208 Die Auseinandersetzung mit dem Ding wuumlrde nach Nordmann in Heideggers GA mit demText Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalen Grundsaumltzenlsquoeinsetzen (GA 41 Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalenGrundsaumltzen)
49
man spricht sich Nordmann ebenso dafuumlr aus dass Heidegger neben Rudolf Car-
nap und Ernst Cassirer eine neokantianische Philosophie verfolgt haumltte (siehe
Kap 1)209
Nach Nordmann haumltte Heidegger in seinen anschlieszligenden Gedanken uumlber
das Ding als Fortfuumlhrung Kants als erster Wissenschaft als angewandte Techno-
logie verstanden210 Diese Interpretation stuumltzt sich auf die gleichen Symbole
Metaphern und Mythen die die vorliegende Arbeit analysiert Das Ge-Stell ist
insofern aumlquivok mit dem Begriff techno-science Jedoch sind in dieser Fruchtbar-
machung von Heideggers Denken der Technik dessen nationalistischen rassisti-
schen und antisemitischen Implikationen die die vorliegende Arbeit als Zentrum
dessen Philosophie ermitteln konnte noch nicht beachtet worden koumlnnen211
Andreas Luckner webt Heideggers Ding-Entwurf weiter als verantwortliches
Sorgen um die Dinge212 Er geht dabei mit Heidegger voumlllig konform und tritt
eher als eine Art Bote der Ding-Botschaft auf als diese moumlglicherweise zu kriti-
sieren was sich diesen Artikel wie ein Kapitel aus einem Studienbuch lesen laumlsst
Der Darmstaumldter Technikphilosoph Christoph Hubig ist vor allem Kritiker Hei-
deggers Argumentationen laumlsst aber zuweilen diverse Topoi aus dem Werk des
Technik-Denkers durchscheinen ohne sie weiter zu reflektieren
So konstatiert Hubig Heidegger verfehle in dessen Auseinandersetzung mit
Aristoteles Lehre von der Poiesis zum Punkt der Sicherung wie sie in Die Frage
nach der Techniklsquo behandelt wird bdquodie operative Seite des Technischenldquo bei Aris-
totels213 In einem spaumlteren Aufsatz allerdings stuumltzt er sich ohne weitere Erlaumlute-
rungen auf Heideggers Begriff der Sicherung aus Die Frage nach der Techniklsquo214
209 Diese Befriedung paradigmatischer Umstaumlnde wird hier nicht geteilt Eine weitere Bearbeitunglaumlsst der Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht zu
210 Vgl Nordmann Another parting of the ways S 45211 Der Aussage dass Heideggers Ding-Begriff kantianisch waumlre muumlsste einer gezielten Untersu-
chung unterzogen werden genau wie die Behauptung insgesamt dass Heidegger oder inwie-weit dieser noch der suumlddeutschen Kantschule des 1920 Jahrhunderts angehoumlrte
212 Vgl Luckner Andreas Ding und Bestand Heidegger und das Wesen neuzeitlicher TechnikIn Gamm G Gehring P Hubig C Kaminski A und Nordmann A Ding und SystemS 15-30 hier S 29
213 Hubig Christoph Die Kunst des Moumlglichen Technikphilosophie als Reflexion der MedialitaumltBielefeld 2006 S 103
214 Vgl Hubig Christoph Technik als Medium In Grundwald Armin (Hg) Handbuch Tech-nikethik Stuttgart 2013 S 118-123 hier S 118
50
Dabei versteht Hubig Heideggers Betrachtungen zum Umgang mit der Technik
als gelassen
Fuumlr Heidegger liegt die Andersheit im Entbergen einer Wahrheit des Seinseines Geschicks von dem die Entwicklung der Technik hin zum Gestellkuumlnde Er verbindet dies mit dem Appell jenseits des rechnenden und si-chernden Vorstellens technischer Vollzuumlge als handlungsleitender Program-me sich gelassenlsquo dieser Entwicklung zu uumlberantworten und ein Seinlsquo zuhuumlten das sich als solches eben entbirgt Das Rettendelsquo dieser Einsicht lie-ge darin dass unsere individuelle Endlichkeit insofern transzendiert wirdals sie sich dem sie uumlbersteigenden Prozess aufschlieszligt und sich selbst relati-viert215
Wovon in diesem Zitat nicht die Rede ist ist der Mitvollzug der mythopoe-
tischen Rahmenbedinungen die Heidegger einfordert und an dem die Konzep-
te Abendland und voumllkische Tradition haumlngen In dieser Arbeit wird davon aus-
gegangen dass Heideggers Technikphilosophie-erzaumlhlung sich nicht von seinen
Absichten der Bekaumlmpfung des Technischen loumlsen laumlsst Die Relativierung ist in-
sofern nicht an den Prozess gebunden und damit emergent auf alles hin ausge-
richtet was kommen mag sondern houmlchst konvergent in einer Besinnung auf
Mythen von dem Ding und dem Geviert mit all deren Valenzen aus dem vorlie-
genden Heideggerschen Textkorpus Die individuelle Endlichkeit ist genoumltigt die
Heimat und das Abendland zu kennen und im Aletheia-Prinzip umzusetzen
Die Neubewertung der bislang bekannten Heideggerschen Technikphiloso-
phie von vor den SchwarzenHeften ist ein dringendes Desiderat Voumllkisch-nationale
Gruppierungen erstarken momentan in ganz Europa und es koumlnnte sehr hilfreich
sein aumlhnliche Denkstrukturen aufzudecken so wie sie zwischen den 1930er und
40er Jahren entwickelt wurden Zusaumltzlich muss das Werk Heideggers einer kriti-
schen Revision schon aufgrund der niemals von ihm behandelten Antisemitismen
unterzogen werden Heidegger hat nie zu diesen Stellung bezogen
Daruumlber hinaus ist das Thema Mythos und Philosophie ein weiterhin not-
wendiger Bereich der philosophischen Forschung In einem Bereich auszligerhalb
der exakten Wissenschaften und ohne klare theologische Tradition ist die Philo-
215 Hubig Die Kunst des Moumlglichen S 140
51
sophie beides sowohl Aufklaumlrer und antimythisch als auch Quelle fuumlr mythisches
Denken und affektierende Motive
52
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Die_Heidegger-Kontroverse ndash zuletzt abgerufen am 24042016)
56
Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
Der Unterzeichner versichert dass er die vorliegende Bachelorarbeit selbststaumlndig
verfasst und keine anderen als die von ihm angegebenen Hilfsmittel benutzt hat
Die Stellen der Arbeit die anderen Werken dem Wortlaut oder dem Sinne nach
entnommen sind wurden in jedem Fall unter Angabe der Quellen (einschlieszliglich
des World Wide Web und anderer elektronischer Text- und Datensammlungen)
kenntlich gemacht Dies gilt auch fuumlr beigegebene Zeichnungen bildliche Dar-
stellungen Skizzen und dergleichen
Darmstadt 25 April 2016
__________________________
(Eigenhaumlndige Unterschrift)
- Abkuumlrzungsverzeichnis
- Danksagung
- Einleitung
- Heideggers mythopoetisches Programm
-
- Zu den Begriffen Mythos Mythologie und Mythopoetik
-
- Ein Beispiel fuumlr ein Mythologem
-
- Heideggers Mythen
-
- Formen der Mythologie
-
- Heideggers mythopoetische Technik
-
- Zur Publikationsgeschichte von den Bremer Vortraumlgen 1949
- Die mythopoetische Spiegelung der Schwarzen Hefte
-
- Das Dinglsquo
- Das Ge-Stelllsquo
- Die Gefahrlsquo
- Die Kehrelsquo
-
- Konklusion
- Literaturverzeichnis
- Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
-
28
Titel Die Frage nach der Techniklsquo113 am 18 November 1953 an der TUMuumlnchen
gehalten
Eine weitere Auskopplung diesmal des letzten Vortragsteils Die Kehrelsquo fin-
det sich in einem broschuumlrenformatigen Band wiederum im Zusammenspiel mit
dem Vortrag Die Frage nach der Techniklsquo in Die Technik und die Kehrelsquo114 von
1962 wieder Somit wurden die Vortraumlge Das Ge-Stelllsquo und Die Gefahrlsquo lange
Zeit nicht veroumlffentlicht sondern als vermischter und modifizierter Text eben
Die Frage nach der Techniklsquo jeweils zusammen mit Das Dinglsquo (1954) und Die
Kehrelsquo (1962) angeboten115 In der Vorbemerkung zu Die Technik und die Keh-
relsquo wird diese kleine Chronologie leicht verfaumllscht auch aufgezeigt Darin heiszligt
es ferner dass Die Frage nach der Techniklsquo eine erweiterte Fassung von Das Ge-
Stelllsquo waumlre Dem ist wie schon gesagt nicht so Sondern es ist eine modifizierte
Vermischung von Das Ge-Stelllsquo und Die Gefahrlsquo was unschwer zB am Begriff
vom bdquoHer-vor-bringenldquo116 zu erkennen ist der in Die Gefahrlsquo eingefuumlhrt wird
und in Die Frage nach der Techniklsquo die gleiche Bedeutungskonstituente bildet
Mit der Veroumlffentlichung des 79 Bandes der GA 1994 wurden alle vier Bremer
Vortraumlge von 1949 publiziert In Band 11 der GA erschien 2006 auszligerdem Die
Kehrelsquo in ihrer urspruumlnglichen Fassung Die Frage nach der Techniklsquo enthaumllt
weniger mythopoetische Teile als Das Dinglsquo und operiert demgegenuumlber staumlrker
anhand klassisch philosophischer Allgemeinplaumltze Derer sind vor allem zu nen-
113 Heidegger Martin Die Frage nach der Technik In Ders Vortraumlge und Aufsaumltze Pfullingen1954 S 9ff (Der Aufsatz erschien ebenfalls 1954 im Sammelband der Vortragsreihe DieKuumlnste im technischen Zeitalter Heidegger Martin Die Frage nach der Technik In DieKuumlnste im technischen Zeitalter Dritte Folge des Jahrbuchs Gestalt und Gedanke Hg v dBayrischen Akademie der Schoumlnen Kuumlnste Muumlnchen 1954 S 70ff)
114 Heidegger Martin Die Technik und die Kehre Pfullingen 1962115 Beide Baumlnde Votraumlge und Aufsaumltzersquo sowie Die Technik und die Kehrersquo haben hohe Aufla-
genzahlen (Uumlbersetzungen wurden hier nicht recherchiert wobei es aber eine internationa-le Heidegger-Rezeption gibt) 1993 wurde der Pfullinger Neske-Verlag von dem StuttgarterHaus Klett-Cotta uumlbernommen was die Buumlcher aber unveraumlndert belaumlsst Vortraumlge und Auf-saumltzelsquo zaumlhlt seit 2009 die 11 Auflage Die Technik und die Kehrelsquo seit 2014 die 13 BeideBaumlnde sind vergriffen Es mutet unverstaumlndig an weshalb eine fehlerhafte Jahresangabe ausder ersten Veroumlffentlichung von Die Technik und die Kehrelsquo bis 2014 kolportiert wurdeDort steht der Vortrag Die Frage nach der Techniklsquo waumlre am 18 November 1955 gehaltenworden Der Vortragstermin war aber am 18 November 1953
116 Vgl GA 79 S 64 Und Heidegger Die Technik und die Kehre S 11
29
nen die Auflistung der bdquovier Ursachenldquo117 nach Aristoteles und die Kritik an der
Technik als bdquoein Mittel zu Zweckenldquo118 (Kausalitaumlt)119
Der Vortrag Das Dinglsquo galt Heidegger bei der Darbietung seiner Technikphi-
losophie nach dem Zweiten Weltkrieg allerdings als unentbehrlich ndash und damit
seine groszligflaumlchige Aufblaumltterung der Mythopoetik wie im folgenden Kapitel hier
gezeigt wird Denn im Vortrag Die Frage nach der Techniklsquo benutzt Heideg-
ger noch immer seinen mythopoetischen Topos vom Versammeln des Gebirges
der mit dem Versammeln eine Konstituente des Gevierts ist (bdquoErde und Himmel
die Goumlttlichen und die Sterblichenldquo120) (su)121 Fuumlr die Kaumlufer und Leser von
der spaumlteren Veroumlffentlichung Die Technik und die Kehrelsquo wird zudem in Die
Kehrelsquo extra auf den Vortrag Das Dinglsquo in der 1954er Ausgabe in Vortraumlge und
Aufsaumltzelsquo verwiesen122 Das zeigt wie wichtig und unerlaumlsslich Heidegger seine
mythopoetische Denkweise der Technik ist Auch wenn er in Die Frage nach der
Techniklsquo einen allgemeineren und offeneren Ansatz entwickelt hat der dadurch
auch leichter zu erschlieszligen ist
32 Die mythopoetische Spiegelung der Schwarzen
Hefte in den Bremer Vortraumlgen von 1949
321 Das Dinglsquo
In dem Vortrag Das Dinglsquo der 1949 vor dem privaten Club zu Bremen dort im
Neuen Rathaus das Vortragsquartett einleitete fuumlgt Heidegger mythopoetisch
zusammen was folgenden Topoi seiner Schwarzen Hefte aus Kap 221 entspricht
117 Heidegger Die Technik und die Kehre S 6118 Ebd S 6119 Diese Topoi versucht Heidegger in dem Text zu zersetzen und ihnen ein aletheisches Prin-
zip des Entbergens der Technik entgegenzusetzen Dies erfolgt wiederum auch anhand derVerwendung von mythopoetischen Teilen Darauf kann hier aber nicht weiter eingegangenwerdenAls weitere Gemeinsplaumltze (die er teils unterstuumltzend teils zur Zersetzung einfuumlgt) handelt
der Text auch mit Zitaten von Platon Heisenberg J P Hebel und Goethe120 Ebd S 12121 Vgl GA 79 S 11 Und Heidegger Die Technik und die Kehre S 19122 Vgl Heidegger Die Technik und die Kehre S 42f
30
1 die antirationale Wissenschaftsfeindlichkeit 2 der Mythos des Goumlttlichen 3
das Griechentum uumlber dem Roumlmertum 4 die Zahlenmystik (anhand des Spiegel-
Spiels des Gevierts ndash su) 5 das geschichtsbesinnliche Prinzip der Aletheia
Heidegger stellt zuerst die Frage nach dem Ding und will sie daraufhin ver-
anschaulichen mittels der Metapher des Kruges dh mit dem Krug als ein exem-
plarisches Ding Er fuumlhrt dann vor (was der Geste eines Zauberkuumlnstlers aumlhnelt)
wie der leere Krug gefuumlllt wird ndash Luft weicht der Fluumlssigkeit Dieses Sachverhaumllt-
nis aber ist fuumlr ihn Halbpoesie und eine Angabe aus der Physik sie verfehle das
vermeintliche Wesen des Kruges
Die Wissenschaft stellt durch sie [die Angabe der Physik DS] etwas Wirk-liches vor wonach sie sich objektiv richtet Aber ndash ist dieses Wirkliche derKrug Nein DieWissenschaft trifft immer nur auf das was ihre Art des Vor-stellens im vorhinein als den fuumlr sie moumlglichen Gegenstand zugelassen hat[] Die Wissenschaft macht das Krug-Ding zu etwas Nichtigem insofernsie Dinge nicht als das Maszliggebende zulaumlszligt123
Als ein wirkmaumlchtiges Beispiel das ihm sicherlich viel Beachtung uumlber die
Jahrzehnte seit ihrer Zuumlndung in Japan hinweg einbrachte fuumlhrt Heidegger die
Atombombe an Diese sei zu verstehen als verdinglichte Wissenschaft die das
Ding vernichten wuumlrde
Deren Explosion ist nur die groumlbste aller groben Bestaumltigungen der langherschon geschehenen Vernichtung des Dinges dessen daszlig das Ding als Dingnichtig bleibt124
Er buumlndelt damit Wissenschaft und Verkennung des Wesens als maszliggebend mit
dem Ding als sein machenschaftliches Prinzip der zerrechnenden Zerstoumlrung Drei
Jahre nach Kriegsende war der buumlrgerlich-elitaumlre Kreis in Bremen sicherlich be-
wegt von dieser Wortgewalt Diese jedoch suchte ja ihr Heim Harmonie Ruhe
in dem Haus als Wesen der Sprache
Und so faumlhrt Heidegger fort und ersetzt das physikalische Prinzip des Inhalts-
wechsels von Luft zu Wein in ein bdquoGeschenk des Gussesldquo als Spende und Opfer
den Goumlttern (2)125
123 GA 79 S 8124 Ebd S 9125 Vgl Ebd S 11f
31
Der Guszlig ist der den unsterblichen Goumlttern gespendete Trank [] Der ge-weihte Trank ist das was das Wort Guszliglsquo eigentlich nennt Spende und Op-fer Guszliglsquo gieszligenlsquo lautet griechisch χέειν indogermanisch ghu Das bedeu-tet opfern
Hier spielt bereits der Ursprungsmythos der Griechenmit ein (3) es ist aber auch
ein Bezug auf das Geviert Dieses waumlre ein System ein zusammen Gestelltes aus
bdquoErde und Himmel die Goumlttlichen und die Sterblichenldquo126 Im Guszlig des Trunkes
weilten gemeinsam diese Vier als emblematische Verbindung
Das im Geschenk Versammelte sammelt sich selbst darin das Geviert ereig-net zu verweilen Dieses vielfaumlltig einfache Versammeln ist das Wesen desKruges Unsere Sprache nennt was Versammlung ist in einem alten WortDies lautet thing127
Das Geviert zehrt von der Zahlenmystik zum einen als die Versammlung der
vier Begriffe an sich zum anderen da Heidegger ihnen eine Spiegel-Funktion
zuschreibt bdquoJedes der Vier spiegelt in seiner Weise das Wesen der uumlbrigen wie-
derldquo128 und ferner weil er damit auf sich selbst dh auf sein Vortrags-Geviert
verweist (4) Wie in Kap 21 schon gesagt lebt der Mythos von seiner Verbind-
lichkeit Diese legt Heidegger allen nah die sie verinnerlichen wollen bdquoSagen wir
die Sterblichen dann denken wir falls wir denken die anderen Drei mit aus der
Einfalt der Vierldquo129
Sollte der Vollzug der Praxis des sukzessiven Mitdenkens aller vier Geviert-
Entitaumlten gelingen koumlnnte das Ereignis der Aletheia begriffen werden (5) bdquoDas
Spiegel-Spiel von Welt ist der Reigen des Ereignensldquo130 Diese wird aber auch be-
griffen in Abgrenzung von dem Roumlmertum (3) denn in der bdquorealitas der resldquo
haumltten die Roumlmer bdquoihr Erfahrenes niemals eigens in seinem Wesen gedachtldquo131
Das waumlre den Griechen vorzubehalten und vom verstaumlndig denkenden Deutschen
wiederzubeleben
126 Ebd S 12127 Ebd S 13128 Ebd S 18129 Ebd130 Ebd S 19131 Ebd S 15
32
Der Krug ist ein Ding weder im Sinne der roumlmisch gemeinten res noch imSinne des mittelalterlich vorgestellten ens noch gar im Sinne des neuzeitlichvorgestellten Gegenstandes [] Der Krug ist Ding insofern er dingt132
Die Bindung an das deutsche Wort bdquoDingldquo das er spielerisch auch ins Englische
Romanische und Franzoumlsische uumlbersetzt ist unerlaumlsslich fuumlr seine ethymologi-
sche Argumentation In der ist der bdquoGuszligldquo ruumlckgefuumlhrt auf indogermanisch bdquoghuldquo
und das bdquoDingldquo auf das mittelhochdeutsche bdquothingldquo So konnten antik die Roumlmer
von den Griechen abgrenzt werden und modern die anderen drei Sprachen vom
Deutschen Das englische sich sehr nah am bdquothingldquo befindliche bdquothingldquo wird mit
dem Roumlmischen ausgespielt
Im Englischen hat thing noch die erfuumlllte Nennkraft des roumlmischen Wor-tes res bewahrt [] dh ein aus sich kommendes den Menschen Angehen-des133
Fuumlr Heidegger geht es beim bdquothingldquo aber um die mittelhochdeutsche Uumlbersetzung
der Versammlung Darauf beruht sein gesamter Systemansatz mit Geviert und
Ge-stell
Schulz-Nieswandt fuumlhrt diese Zusammenstellung zum Bejubeln von Heideg-
gers Mythopoetik
So fundamental sieht Heidegger die Welt Die Quelle des Wassers wird zurHochzeit von Himmel und Erde das Gieszligen des Wassers aus dem Krugzum Geschenk Auch Sprache ist daher kein Instrument sondern Ort desWohnens des Menschen Sprache wird zum Haus des Seinslsquo134
Hier bestaumltigt die Untersuchung des Ding-Vortrags die These von einer mytho-
poetischen Einschreibung der nationalistischen voumllkischen Abgrenzungs-Mythologie
aus den Schwarzen Heften
322 Das Ge-Stelllsquo
Der zweite Vortrag des Reden-Gevierts setzt ein mit der Metapher des fehlen-
den Abstands Wo kein Abstand sei da waumlre auch keine Naumlhe so Heidegger Er
132 Ebd S 16133 Ebd S 14134 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei Walter
F Otto S 59
33
verbindet die Abstandslosigkeit mit Urbanitaumlt und Verkehr alles fluktuiere Es
waumlre der Bestand der sich bestelle in dem das Abstandlose herrsche Das sind
neue Metaphern fuumlr die Machenschaft In seiner Erzaumlhlung vom Ge-Stell gibt es
bedeutend weniger mythopoetische Passagen als in dem vorangegangenen Vor-
trag Allerdings uumlbertraumlgt er den mythopoetischen Gehalt der Rede vom Ding
bereits im ersten Absatz von Das Ge-Stelllsquo mit dem Credo bdquoNaumlhe west insofern
das Ding dingtldquo135 Mit dieser Verbindung wird klar unter welchem Zeichen Hei-
degger die Rede vom Ge-Stell verstanden wissen will ndash als verlorenes Verhaumlltnis
des voumllkisch-traditionell verwurzelten Menschen mit den vermeintlichen Wesen
all seiner Gebrauchsobjekte in der mythopoetischen Formel des sich spiegelnden
Gevierts
Nahezu nuumlchtern erzaumlhlt Heidegger dann von dem Gefaumlngnis des Menschen
im Wesen der zirkulierenden sich immer neu bestellenden Bestandstechnik des
Ge-Stells Dabei scheinen folgende Mythen aus den Schwarzen Heften hindurch ndash
1 bdquoHistorie die Technik der Geschichtelsquo Technik die Historie der Naturlsquoldquo136
2 das historische Tier 3 der Appell an den Auftrag des Deutschen 4 der geschicht-
liche Mensch muss die Historie und damit die Technik uumlberwinden und 5 die
alles zernichtende Machenschaft des juumldischen Wesens
Den Topos der seinsvergessenen Groszligstadt jedenfalls kontrastiert er mit der
Bauerndorfidylle Da aber bdquodas Abstandlose herrschtldquo137 waumlre das Vorruumlcken der
Maschinentechnik bereits universell So in Form des Traktors Schon in Band
96 der Schwarzen Hefte beklagt er dieses bdquozum elektrischen Pflug [] gehoumlrt
das amerikanisch aufgemachte Magazinlsquoldquo Insofern erfolge die bdquoAngleichung der
Sitten der Bergbewohner an diejenigen des groszligstaumldtischen Sport- und Barbe-
triebsldquo138
Sein erster Land-Stadtvergleich betrifft den Bauern dessen Totenruhe tradi-
tionell in einem sg bdquoTotenbaumldquo (Sarg) stattgefunden haumltte ndash bdquoIn ihm gedeiht
der Tod des Totenldquo139 Dem gegenuumlber klingt in der bdquomotorisierten Bestattungs-
135 GA 79 S 24136 GA 95 S 351137 GA 79 S 24138 GA 96 S 54139 GA 79 S 26
34
industrie der Groszligstadtldquo140 bereits Heideggers pietaumltsloser Gaskammernvergleich
an
Ackerbau ist jetzt motorisierte Ernaumlhrungsindustrie im Wesen das Selbewie die Fabrikation von Leichen in Gaskammern und Vernichtungslagerndas Selbe wie die Blockade und Aushungerung von Laumlndern das Selbe wiedie Fabrikation von Wasserstoffbomben141
Hier wird davon ausgegangen dass es eine Uumlbertragung der Notizen uumlber
das deutsche Land als bdquoeinziges KZldquo ist die Unterdruumlckung des deutschen Vol-
kes durch die bdquoWeltdemokratieldquo die schlimmer sei als die Graumlueltaten der bdquoGas-
kammernlsquoldquo142 In die mythopoetische Formel von dem dingenden Ding aus dem
ersten Vortrag sind alle Valenzen eingeschrieben die es zur Aufgabe des abendlaumln-
dischen Deutschen (also als Nachfolger der alten Griechen) machen das Wesen
des Dings und somit der Technik zu huumlten Die Verantwortung fuumlr Genozid
Massenvernichtungswaffen und den Mangel im Nachkriegsdeutschland schreibt
Heidegger gleichfoumlrmig dem Prinzip der Abstandslosigkeit zu
Auch die Rede von der Habgier des Berechnenden ist ein bereits bekannter
Vorbehalt Heideggers anhand der Rede vom raffgierigen Juden Denn er sagt von
der bdquoHerrschaft des Abstandlosenldquo dass sie bdquodie Hab-gier des vorstellenden Be-
rechnensldquo waumlre143 Das entspricht seinem Mythos von der alles zernichtenden
Machenschaft des juumldischen Wesens144
Dann folgt eine lange Elegie uumlber das Bestellen des Bestands des Ge-Stells
bdquo[d]ie Kette des Bestellens laumluft auf nichts hinaus sie geht vielmehr nur in ihren
Kreisgang hineinldquo145 uumlber 19 Seiten des 21 seitigen Vortragsexts hinweg entwirft
Heidegger diverse Bilder wie das Ge-Stell die Natur das Hergestellte den Men-
schen und das Verstandesmaumlszligige vereinnahme und das Wesen desDings gleichsam
zur Veruntreuung bringen wuumlrde Wiederum poetisch orientiert kontrastiert also
140 Ebd141 Ebd S 27142 GA 97 S 99f143 Vgl GA 79 S 25144 Vgl Machenschaft hier S 29 und Geraff hier S 33145 GA 79 S 29
35
Heidegger Houmllderlins Hymne Der Rheinlsquo mit dem Rhein dessen Stroumlmung fuumlr
ein Stromkraftwerk genutzt wird
Achten wir um das Ungeheure das hier waltet zu ermessen nur auf einenAugenblick auf den Gegensatz der sich in den beiden Titeln ausspricht DerRhein verbaut in das Kraftwerk ndash der Rheinlsquo gesagt in der gleichnamigenHymne Houmllderlins146
Die Differenz also waumlre das Ungeheure147 Dabei waumlre der Rhein verbaut in das
Kraftwerk Aumlhnlich wie Kohle Erze und Rohoumll waumlren sie Bestand der bdquobesteht
im Bestellenldquo ndash bdquoDas Bestellen waumlre demnach lediglich eine Machenschaft des
Menschen vollzogen in der Weise der Ausbeutungldquo148
Das Bild des Wasserkraftwerks wird erweitert um den Begriff des Menschen
Elektrizitaumlt mit Wasserkraft erzeugen bdquokoumlnnen die Menschen [] nur insofern
sie selber schon in dieses Bestellen bestellt sindldquo149 Mit diesem Bild versucht Hei-
degger praktisch zu veranschaulichen dass Entwurf Umsetzung und Einsatz ei-
ner technischen Anlage den Menschen in ein entruumlcktes Verhaumlltnis zum Wesen
des dingenden Dings setze ndash bdquoDer Mensch ist darum der Angestellte des Bestel-
146 Ebd147 Das ist zusaumltzlich zu dem gemeinten Gegensatz ein Vergleich mit dem Heidegger dem Wort
bdquoRheinldquo in die Hymne Der Rheinlsquo gesprochen eine Energie erzeugende Wirkung zu-schreibt eben so wie das Kraftwerk Strom erzeugen wuumlrde Das wird klar dadurch dassHeidegger metaphorisch vom Stellen des Wortes bdquoRheinldquo in die Hymne spricht Es handeltsich um einen Appell zur denkerischen Besinnung Dass Heidegger dafuumlr eine technischeAnlage zur Veranschaulichung inspirierend wirken laumlsst spielt bereits in die Richtung derBegriffe bdquoHer-vor-bringenldquo bdquoEntbergenldquo und spielt auf das Alteheia-Prinzip an Darauf wirdweiter unten anhand Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo eingegangen werden Es handelt sich umdas Angebot eines mythopoetischen Umgangs mit Technik insbesondere wenn sie sich inheimische Gefilde einfuumlgtHeute koumlnnte man mit Windraumldern ebenso verfahren Somit koumlnnte aber auch Heidegger
als ein gewisser Quijana aus Mancha verstanden werden eben der Protagonist aus Miguel deCervantes Roman Don Quichote von der Manchalsquo der mit seinem von ihm flux auch um-benannten Klepper (weil er zuvor sich selbst in Don Quichote umtaufte) Rocinante Riesenbezwingen will um mit dieser Heldentat unsterblichen ritterlichen Ruhm zu erstreitenAuch Don Quichote fand seine Riesen in Windmuumlhlen und auch Don Quichote war uumlber
eine uumlbertriebene Auseinandersetzung mit einer verschuumltteten Kultur dieser verfallen undsuchte diese in seiner Aventuumlre zu reaktualisieren Martin Heideggers mythopoetisches Pro-gramm ist tatsaumlchlich stark mit Don Quichotes Motiv vergleichbarFerner waumlre eine Auseinandersetzung mit Heideggers Werk unter Beruumlcksichtigung sei-
ner Gewichtung der Vorsokratiker und Houmllderlin als mythopoetischen Autor eine moumlglicheForschung zum Thema Anachronismen in Konzepten von Moral und gesellschaftlicher An-gemessenheit (Vgl Cervantes Miguel de Don Quichote von der Mancha Herausgeben unduumlbersetzt v Susanne Lange Muumlnchen 2008 S 33f)
148 GA 79 S 29149 GA 79 S 30
36
lensldquo150 Schon vorher wies Heidegger darauf hin bdquo[d]ie Herrschaft des Gegen-
staumlndigen sichert nicht den Abstandldquo151 Jetzt heiszligt es
Das Bestellen befaumlllt nicht nur die Stoffe und Kraumlfte der Natur mit Gestel-lung Das Bestellen befaumlllt zugleich das Geschick des Menschen Das Wesendes Menschen wird daraufhin gestellt das Bestellen in menschlicher Weisemitzuvollziehen152
Der Begriff des Ge-Stells wird daraufhin so konstruiert dass es im Bestellen
um ein Stellen (Herausfordern) alles bdquoAnwesenden als Bestandldquo als bdquoversus unumldquo
gegen bdquodas Eine Ganzeldquo gehe153 In wiederum mythopoetischer Formulierung ge-
baumlre die bdquoVersammlung des Stellens worin alles Bestellbare in seinem Bestand
west das Ge-Stellldquo154 Der Begriff bdquoVersammlungldquo wird einen Absatz zuvor my-
thopoetisch wieder an die Versammlung also das thing eben das wesenhafteDing
angelehnt und somit wie zu Das Dinglsquo bereits oben erlaumlutert in einen deutsch-
abendlaumlndischen Kontext gestellt (3)
Wir nennen die Versammlung der Berge die von sich her einig und nienachtraumlglich schon gesammelt ist das Gebirge Wir nennen die Versamm-lung der Weisen nach denen uns so zumute ist und sein kann das Gemuumlt155
Allerdings ist obiges Versammlungsmodell hier als Kontrast zu sehen zu dem
bdquoGeraff des Getriebesldquo das das Ge-Stell darstellt als bdquoWesen der Technikldquo156 Hei-
degger sieht in der Gleichfoumlrmigkeit die zum Wesen des Technik als Ge-Stell
150 GA 79 S 30151 GA 79 S 25152 GA 79 S 31153 Vgl GA 79 S 32154 GA 79 S 32155 Ebd
Das Wort ldquoGemuumltrdquo hat ferner eine ausschlieszliglich deutsche Praumlgung gibt es doch keinedirekte Uumlbersetzungen Gemuumlth ist ferner ein nicht eindeutig umrissener Begriff (Vgl Kra-mer Cheryce A Foolrsquos Paradise The Psychiatry ofGemuumlth in a Biedermeier Asylum Chica-go 1998 S 19) Die Bedeutung im Deutschen selbst ist zudem sehr variabel hat aber zumeistmit Seelen- oder Geistkonzepten zu tun ndash Cheryce von Xylander (geb Kramer) uumlbersetztGemuumlth mit bdquosoul-organldquo (ebd S 43) das von diversen Autoren unterschiedlich konstru-riert wird (zB von Kant geistigkoumlrperlich und von Kleist individuellkollektiv (vgl ebdS 41)) In Heideggers emblematischem Duktus scheint eine Vermischung von allen vier Di-mensionen geistigkoumlrperlich wie auch individuellkollektiv stattzufinden Es ist auf jedenFall dem Mythos geschuldet den Auftrag des Deutschen anzunehmen (3)
156 GA 79 S 33
37
gehoumlre die planetarische Abloumlsung und Aufhebung des traditionellen und damit
wesenhaft ans Ding gebundenen Verhaumlltnisses vom Menschen zur Erde (das von
ihm idealisierte voumllkische Bauerntum das Bestellen des Ackers) bdquoDie Bestand-
Stuumlcke sind Stuumlck fuumlr Stuumlck die Gleichenldquo157 So kontrastiert er alte Handwerks-
techniken mit Maschinentechnik und schreibt der Maschinentechnik die machen-
schaftliche Verdraumlngung als Geraff zu
Das Ge-Stell hat auch wenn das nicht unmittelbar und nicht sogleich ver-nehmlich wird im vorhinein schon alle diejenigen Stellen beseitigt an denenvormals Spinnrad und Wassermuumlhle standen Das Ge-Stell bestellt durch sei-ne Maschinerie zum voraus eine andere Art und Ordnung von Stellen Andiesen kommt nur zu Stand was als Bestellbares auf der Stelle gleichfoumlrmigzur Stelle steht
Darum ist auch die Art wie die Maschine selbst etwas herstellt einewesentlich andere als das handwerkliche Tun gesetzt daszlig es innerhalb desGe-Stells uumlberhaupt noch so etwas wie ein Herstellen gibt
Die Traktoren und Kraftwagen werden herausgebracht ausgeworfen se-rienweise Stuumlck fuumlr Stuumlck Wo drauszligen steht dieses so Herausgestellte Wo-hin in welchen Stand ist es gebracht158
In dieser Klage uumlber den technischen Wandel der durch den Fortschritt in
alle Lebensbereiche Einzug haumllt versucht Heidegger zu veranschaulichen wel-
chen Verlust es zu erkennen gelte Ein Versuch diesem entgegen zu treten ist die
von ihm vorgetragene Mythopoetik die er in diesem Vortragsteil seines Vortrags-
Gevierts allerdings auffaumlllig zuruumlckgestellt sein laumlszligt War der Einleitungsteil Das
Dinglsquo schlieszliglich eine nahezu einzige mythopoetische Darbietung Dramatur-
gisch wird Heidegger in Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo die mythopoetischen For-
mulierung als Loumlsungswege wieder Bedeutung geben In Das Ge-Stelllsquo versucht
Heidegger hingegen Vorstellungen aus seinen Schwarzen Heften aumlhnlich der fol-
genden mitzuteilen die das Uniforme Gleichfoumlrmige betreffen
Die Macht der Machenschaft ndash die Vernichtung sogar der Gottlosigkeit dieVermenschung des Menschen in das Tier die Vernutzung der Erde die Ver-rechnung der Welt ndash ist in den Zustand der Endguumlltigkeit uumlbergegangenUnterschiede der Voumllker Staaten Kulturen sind nur noch Fassade159
157 GA 79 S 36158 GA 79 S 35159 GA 96 S 52f
38
Was Heidegger unter dieser Gleichfoumlrmigkeit versteht schreibt er in den Schwar-
zen Heften zumeist den Amerikanern zu Er nennt es auch haumlufig Planetarismus
Der Amerikanismus [ist DS] die Zusammenraffung von Allem welcheZusammenraffung immer zugleich die Entwurzelung des Gerafften bedeu-tet160
Der Planetarismus ist die historisch gedachte Bestimmung der uumlberall glei-chen die ganze Erde uumlberdeckenden Seinsverlassenheit des Seienden161
Die Gegenuumlberstellung von natuumlrlicher und traditioneller Handwerkstechnik
gegen maschinenhafte Gleichfoumlrmigkeit exemplifiziert Heidegger dann im Vor-
trag Das Ge-Stelllsquo vielfach wie zum Beispiel hier
Der Forstwart zB der im Wald das geschlagene Holz vermiszligt und demAnschein nach noch wie sein Groszligvater in der gleichen Weise die selbenWege geht ist heute von der Holzverwertungsindustrie gestellt Er ist ober es weiszlig oder nicht in seiner Weise Bestand-Stuumlck des Zellulosebestandesund dessen Bestellbarkeit fuumlr das Papier das den Zeitungen und illustrier-ten Magazinen zugestellt wird die uumlber die Oumlffentlichkeit daraufhin stellenverschlungen werden162
160 GA 96 S 257161 GA 96 S 261162 GA 79 S 37f
Die renommierte Theaterautorin Elfriede Jelinek karikiert in ihrem Stuumlck Totenaubergvon 1991 Heideggers Konstrukt von Heimat und Fortschrittsfeindlichkeit verbunden miteiner Auseinandersetzung mit dessen Liebschaft zu Hannah Arend Mit philologischer Prauml-zision polemisiert sie Teile aus Heideggers Elegie uumlber die Technik und laumlszligt ihn dabei alsbeschraumlnktes und eingezwaumlngtes Wesen in einem Gestell gefangen sein Aus diesem heraussoll er Arend Rede und Antwort stehen uumlber sein Verhaumlltnis zum Nationalsozialismus unddie Shoa Doch dieser redet nur naturtrunken von Heimat und berauscht sich daran Derprophetische Denker wird banalisert ndash diese Worte legt Jelinek ihm (im Stuumlck der alte Mann)in den MundbdquoDie Angst vor dem Fragen liegt uumlber dem Abendland Sie bannt die Kandidaten auf ein
Team-Leibchen verbannt sie auf altgewordene Wege und jagt sie zuruumlck ins morsch geworde-ne Gehaumluse ihrer Tore wo es um ihre Ausscheidungen geht Es wird ihnen alles weggenom-men werden auch der Weg selbst Keine Spur kein Lichtschein aus den Ritzen Aber ruf ichin die Huumltte um nach einem zu fragen den ich gekannt hab sehe ich grad noch eine Tuumlrsich schlieszligen Der Wald kommt nicht zur rechten Geltung alles ist entflohen was mir liebwar und woran ich geglaubt hab Was kommt ist noch nicht da Nichts war Ich habe nichtsgehoumlrt Ich erinnere mich nicht aber ich stelle dem Kommenden das mich den lupenreinenAmateur schon vor Beginn des Rennens erlahmen laumlszligt vorsorglich die Hausschuhe vor dieTuumlr Sie sind das Einzige was die Profis des Profits von mir dann vorfinden werden wennsie anklopfen Die Haumlrte des Urgesteins sollte sie nicht entmutigen Die Jahreszeiten machendie Landschaft auf und zu Ich sage nur In dieser scheinbaren Leere will ich vom Denkenmuumld nur schlafen Von der Huumltte aus lassen sich Wanderungen unternehmen Aber auchsonst wird Ihnen alles wie ich sagte genommen werden Auch Ihre Fotos und Namen Unddas Gewesene wird wesenlosldquo ( Jelinek Elfriede Totenauberg Hamburg 1991 S 86f)
39
Die Oumlffentlichkeit ist fuumlr Heidegger ein Topos der dem Denken und Besinnen
entgegenstuumlnde Somit meint er damit zum Einen die Medien wie er es anhand
der Rede von den Bestandstuumlcken in Das Ge-Stelllsquo erklaumlrt wo der Mensch als
Urheber des Ge-Stells als Wesen der Technik nicht gelten soll Vielmehr wuumlrde er
in Ratlosigkeit und Langeweile verfallen weil er in der Bestellung des Bestandes in
Form von Bestandstuumlcken vom Rundfunk keine Besinnung mehr faumlnde dh das
Ganze also wiederum daswesentliche Ding nicht mehr zu fassen vermoumlge163 Und
so toumlnt es bereits aus den Schwarzen Heften von 19391940()
Die Bildlsquo und Tonlsquo ndash Reportagenlsquo der Machenschaft ist der planetari-sche Mythuslsquo des Vollendungsabschnittes der Neuzeit Die Welt des abge-legensten deutschen Bauernhofes wird nicht mehr durch [] die Naturlsquobestimmt in der noch die Erde waltet sondern durch das illustrierte Blattmit der Darstellung von ausgezogenen Tanzweibern von Boxern und Renn-fahrern und sonstigen Heldenlsquo des Tages164
Und ferner notierte Heidegger 1946 in seinen Schwarzen Heften
Uumlberall zerrt es aus dem Oumlffentlichen ins Oumlffentliche mit vielen Strickenund jeder sieht das kaum versuchte Denken des Seyns am Leitband seinesStrickes165
Dabei waumlre eben ein bdquoLiterat [] ein in die Oumlffentlichkeit verliebter Mensch der
Angst vor dem Denker hatldquo166 Dieses liefe dann darauf hinaus dass beim Rund-
funk bdquoein Bestellen und Stellen waltet das in dasWesen des Menschen eingegriffen
hatldquo167
Abermals nach dem Wesen der Technik also nach dem Ge-Stell gefragt geht
Heidegger auf seine Unterscheidung vonNatur undNaturwissenschaft ein bdquo[w]elches
ist das Verhaumlltnis zwischen der Technik und der Naturldquo168 Natur wuumlrde in wis-
senschaftlicher Hinsicht unter das Berechnete fallen sie wuumlrde bdquoals das in Maszlig
und Zahl gestellte Wirkliche vorgestellt das in seinem Gewirkten staumlndig an-
westldquo169 Wenn Heidegger dann Natur aus technischer Sicht bdquoals ein System des
163 Vgl GA 79 S 38f164 GA 96 S 54165 GA 97 S 100166 GA 97 S 126167 GA 79 S 39168 GA 79 S 41169 Ebd
40
Bestellens von Erfolgen aus dem gestellten Wirksamenldquo170 charakterisiert spricht
er von seiner Rede der Verschraumlnkung von Historie und Technik ndash bdquoTechnik die
Historie der Naturldquolsquo171 Dieses ist bekanntlich das seinsvernichtende Gegenstuumlck
zur geschichtlichen Besinnung Denn geschichtliches Walten der Technik ist fuumlr
Heidegger technische Geschichte dh verwissenschaftlichte Geschichte die da-
durch ihr Wesen verloren haumltte (Seynsvergessenheit)172 So heiszligt es in den Schwar-
zen Heften von 1947
Ein Zeitalter das historisch geworden ist dh technisch planend sich selberberechnet und alles in diesen Sog zieht muszlig jede Besinnung nur als eine dervielen Formen der Intellektualitaumlt registrieren173
Heidegger schlieszligt den Vortrag mit dem Aufgriff der Anfangsbehauptung
bdquo[d]er Bestand bestellt das Abstandsloseldquo174 Somit liegt das Problem der ausblei-
benden Naumlhe durch die Technik deren Wesen das Ge-Stell waumlre das den Bestand
bestelle in der Luft Dass dabei der Mensch sogleich Teil des Bestandes und nicht
Teil der Maschine wird laumlsst ihn das historische Tier sein (2)
Der Mensch ist auswechselbar innerhalb des Bestellens von Bestand []Gleichwohl gehoumlrt der Mensch in einer voumlllig anderen Weise in das Ge-Stellals die Maschine DieseWeise kann unmenschlich werden DasUnmenschlicheist jedoch immer noch unmenschlich Der Mensch wird nie zur MaschineDas Unmenschliche und noch Menschentuumlmliche ist freilich unheimlicherweil boumlsartige und verhaumlngnisvoller denn der Mensch der nur Maschine wauml-re175
Wen Heidegger hier ersinnt ist der neuzeitliche Mensch der den bdquoGoumlttern uner-
traumlglich gewordenldquo176 waumlre
170 Ebd171 GA 95 S 351172 In Heidegger Die Technik und die Kehre S 21 stellt er Geschichte und Historie einander
gegenuumlber was er in Das Ge-Stelllsquo nicht vollzieht bdquoDie moderne Technik kam doch erst inden Gang als sie sich auf die exakte Naturwissenschaft stuumltzen konnte Historisch gerechnetbleibt dies richtig Geschichtlich gedacht trifft es nicht das Wahreldquo Signifikant fuumlr Heideg-gers Attributierung so wie sie oben schon geschildert ist steht Historie fuumlrs Rechnen undGeschichte fuumlr das Denken
173 GA 97 S 508174 GA 79 S 44175 GA 79 S 37176 GA 94 S 236
41
323 Die Gefahrlsquo
Aus Heideggers Darlegung uumlber das Ge-Stell erschlieszligen sich seine diversen Fa-
cetten der Vorstellung einer Abstandslosigkeit schaffenden Technik Dass die Ab-
standslosigkeit dem Prinzip des Gevierts des Zusammengestellten entgegensteht
bekommt im Vortrag Die Gefahrlsquo Nachdruck Die mythopoetische Erzaumlhlung
knuumlpft an den Vortrag Das Dinglsquo an mit den Mythologemene 1 Der Mythos
des geschichtlich sein muumlssens 2 der Mythos des Goumlttlichen 3 das geschichtsbe-
sinnliche Prinzip der Aletheia Zudem wird im Prozess des Vortrags das Ge-Stell
zur Gefahr stilisiert was einen eigenen Mythos erschafft
Durch das bdquouniversale Bestellen des Ge-Stellsldquo177 werde die naumlhernde Naumlhe des
Dings verwehrt Wie im Vortrag Das Dinglsquo fuumlhrt Heidegger das Wesentliche sei-
ner Theorie auf die deutsche und altgriechische Sprache zuruumlck Die so vollzoge-
ne Annaumlherung von Schwarzwaumllderischem Dialekt und Altgriechisch entspricht
Heideggers Traum von dem bdquogeschichtliche[n] Geburtsort des abendlaumlndischen
Wesensldquo178 den seine Heimat von Todtnauberg bis Freiburg stiften sollte (1)
es ist das Geistvolle und zugleich das erdenhafte schoumlne Land Es birgt un-sichtbaren Reichtum dem Gemuumlt bewahret tiefstes Dichten und houmlchsteGestalt der Sage179
Unter diesem Vorzeichen also sagt Heidegger
Das Ge-Stellwesen laumlszligt das Ding ohne die Wahr Das Wort die Wahrlsquo be-deutet in unserer Sprache dort wo sie noch urspruumlnglich spricht die HutIn unserer schwaumlbischen Mundart meint das Wort die Wahrlsquo die der muumlt-terlichen Hut anvertrauten Kinder Das Ge-Stell laumlszligt in seinem Stellen dasDing ohne die Hut ndash ohne die Wahr seines Dingwesens180
Diese in Bremen vorgetragene Heimatkunde ist auch Heideggers Sorge ge-
schuldet durch die Besatzermaumlchte und deren kulturellen Einfluss auch durch
die nun moumlgliche Oumlffnung Deutschlands zu einem Austausch mit der Welt das
eigene Wesen zu verlieren So schreibt er 1945-1947() in seine Schwarzen Hefte
177 GA 79 S 46178 GA 97 S 54179 Ebd180 GA 79 S 46
42
Das Schwerste und Fragwuumlrdigste unseres Geschickes ndash beruht darin ob wirdas Eigene finden und huumlten [] unter den anderen Voumllkernlsquo [] Scheinund Vorwand der Macht daszlig man unsere eigene Aufgabe bringen will []als Entmachtete aufgenommen zu sein in den Weltmachenschaftsbetrieb181
Es gaumlbe nach Heidegger also das Welten von Welt und die Verweigerung von
Welt aus derVerwahrlosung des Dings durch das Ge-Stell bzw die Technik182 Welt
ist nach dem Konzept des schwaumlbischen Denkers nichts weniger als das Geviert
Bei der folgenden mythopoetischen Zusammenstellung von dem Geviert mit alt-
griechischen Vokabeln um den Seins-Begriff wird das Aletheia-Prinzip eingefuumlhrt
Somit fuumlhrt uumlber den Mythos des Goumlttlichen (2) der Weg zur Wahrheit eben als
geschichtsbesinnlich erfahrene Aletheia (3)
Welt ist das Geviert von Erde und Himmel Goumlttlichen und SterblichenDas Spiegel-Spiel der Vierung wahrt alles was in ihm dingend zwischenden Vier anwest und abwest in das einende Ganze seines Anwesens Vonaltersher heiszligt das Anwesen des Anwesenden τὸ ὲόν das Seiend [sic] τὸεἶναι das Sein naumlmlich der ὲόντα des Seinenden das esse entium183
Diese Welt waumlre nun bdquoWahrnis des Wesens von Sein Statt Wahrnis sagen wir auch
Wahrheitldquo184 Die Welt mythopoetisch als Spiegel-Spiel des Gevierts und durch
eine altgriechische Brille betrachtet waumlre die wahre Welt Somit wird die Wahr-
heitsschau gebunden einen antiken Goumltterglauben und abendlaumlndische Sprachkas-
kaden vom Dialekt zum Altgriechisch
Das Problem mit der wahren Welt waumlre allerdings dass sie sich in die Ver-
borgenheit entziehe Naumlher betrachtet ist aber die Verborgenheit Bedingung des
Entbergens was Heidegger notwendig macht zu einem wuumlrdigen Lebensvollzug
in Harmonie mit dem Sein Durch solche Wesensschau waumlre der Mensch befaumlhigt
jederzeit die verstellenden Maumlchte des Ge-Stells (der Technik) zu uumlberwinden und
teilhaftig am Wesen der Welt zu werden
181 GA 97 S 99182 Vgl GA 79 S 47183 GA 79 S 48 (Die griechischen Vokabeln werden hier keiner Uumlbersetzung unterzogen Da
Heidegger ohnehin keine philologische Schaumlrfe anwenden will ist es fuumlr die Zwecke hierausreichend sie mit seiner Uumlbersetzung zu betrachten Heidegger spricht von bdquoAchten aufdas Griechischeldquo was schwieriger waumlre als klassische Philologie (vgl GA 79 S 63)
184 Ebd
43
Welt bleibt in der Verborgenheit (Αήθη) auf die Weise daszlig diese ihre Ver-borgenheit gerade eine Unverborgenheit gewaumlhrt die Αλήθεια185
Die Αλήθεια haumltte allerdings auch eine Rolle uumlber die subjektive hinaus da nur
durch ihren Vollzug Seinsgeschichte gewaumlhrt wuumlrde Das ist der Anspruch den
Heidegger an sein Auditorium stellt gemeinsam geschichtlich sein zu muumlssen (1)
Die Αλήθεια ist das Geschick des Seins als welches Geschick sich die Fuumllleder Seinsgeschichte in ihre Epochen fuumlgt186
Mit dem Ge-Stell als Wesen der modernen Technik waumlre die Aletheia aller-
dings hochgradig gefaumlhrdet Denn ohnehin waumlre die Aletheia prinzipiell der Ge-
fahr der Vergessenheit ausgesetzt Doch das Ge-Stell haumltte die Kraft die bdquovollende-
te Vergessenheit der Wahrheit des Seinsldquo187 zu vollrichten
Indem das Ge-Stell alles Anwesende in den Bestand bestellt setzt das Ge-Stell das Anwesen des Anwesenden heraus aus seiner Wesensherkunft ausder Αλήθεια188
Diese Versetzung des beteiligten Wesens aus der Moumlglichkeit des Wahrheitsprin-
zips heraus markiert Heidegger dann mit der Schreibweise Seyn (mit bdquoyldquo) Wie
bei dem Vortrag Das Dinglsquo koumlnnen ethymologische Abstammungen sein Sys-
tem anreichern Da wo es um das Wortfeld des Stellens geht Ge-Stell Bestellen
Verstellen ist auch das NachstellenMitglied der Familie
Im Althochdeutschen heiszligt nachstellen fara Das in sich gesammelte Stellenals Nachstellen ist die Gefahr Der Grundzug des Wesens der Gefahr ist dasNachstellen Insofern das Sein als das Ge-Stell sich selbst mit der Vergessen-heit seines Wesens nachstellt ist das Seyn als Seyn die Gefahr seines eigenenWesens189
Damit wuumlrde sich durch die Verringerung der Selbstreflexion im Seyns-Bestand
eine Schwachstelle auftun in die der denkbegabte und aletheiafaumlhige Mensch ei-
ne Moumlglichkeit haben das Seyn zum Sein zuruumlckzuwandeln ndash also wieder in ein
185 GA 79 S 49186 Ebd187 GA 79 S 53188 GA 79 S 52189 GA 79 S 53
44
wesentliches Verhaumlltnis zum bdquoDingldquo zu gelangen in dem das Geviert wieder die
Harmonie herstellt Allerdings faumlnde bis zu solch einer Nachstellung eine Ver-
sieglung des Seynsbestandes statt Und Heidegger beklagt dass die Erreichung der
Ruumlckeroberung des Seins uumlber die Nachstellung nicht stattfaumlnde und stattdessen
die Irre regieren wuumlrde190
In dieser Irre stuumlnde dem Menschen nicht einmal mehr zu zu sterben Denn
bdquoSterben [] heiszligt den Tod in sein Wesen austragenldquo191 Somit waumlren die Opfer
die in den KZs umkamen wie er sie in Das Dinglsquo bereits schildert nicht vermouml-
gend gewesen zu sterben bdquoSie werden Bestandstuumlcke eines Bestandes der Fabrika-
tion von Leichen [] Sie werden in Vernichtungslagern unauffaumlllig liquidiertldquo192
Das vermoumlge die Gefahr zu bewirken Der Mensch wuumlrde des eigenen Sterbens
beraubt da er keine Verbindung mehr zur Wahrheit der Welt haumltte Um den rich-
tigen Tod zu sterben muumlsse der Mensch die Aletheia schauen koumlnnen Insofern ist
Heideggers Prinzip ein religioumls anmutendes Wie in der christlichen Vorstellung
der Mensch im Jenseits an seinen Taten gemessen wird um Paradies oder Fege-
feuer zu besuchen soll nach Heidegger der Mensch waumlhrend des Sterbens mit
sich selbst ins Gericht gehen Er soll sich rein machen vom Ge-Stell der Technik
und dem Seyn um nicht die einmalge Gelegenheit des richtigen Sterbevollzugs
zu versaumlumen Es winken gemaumlszlig des Gevierts die himmlischen Goumlttlichen den
irdischen Sterblichen zu wobei annehmbar ist dass Heidegger Sterblichen die
die Aletheia erkennen einen Goumlttlichkeitsstatus beimessen moumlchte ndash eine Erlouml-
sungsphantasie
Genau diese Erloumlsung waumlre die Technik nicht
Ohne den Schritt des Denkens zu wagen der unser Menschenwesen demWesen der Technik [] aussetzt wuumlrgt man sich von Fall zu Fall von Lagezu Lage durch die Zwiespaumlltigkeiten hindurch Und genau durch dieses Ge-wuumlrge versaumlumt man die Moumlglichkeit dessen was man im Grunde erstrebtdie Technik durch menschliches Tun zu meistern und menschenwuumlrdig zulenken193
190 Vgl GA 79 S 55191 GA 79 S 55192 GA 79 S 56 Weil Heidegger im Judentum die Verantwortlichen fuumlr das Geraffe des Ge-Stells
sieht macht er sie gleichsam verantwortlich fuumlr die bdquoSelbstvernichtungldquo Die Seinsverges-senheit im Tode wird dadurch zum Spin-off der vermeintlich juumldisch erzeugten da machen-schaftlichen KZ-Maschinerie (Vgl GA 97 S 20f)
193 GA 79 S 59
45
Trost und Richtung findet Heidegger schlieszliglich abermals bei den alten Griechen
Das Wort stellenlsquo entspricht dem griechischen ϑέσις vorausgesetzt daszlig wirϑέσις griechisch denken Was heiszligt in diesem Falle griechisch denkenlsquo Esheiszligt darauf achten welche Lichtung desWesens des Seyns in welcherWeisedas Dasein der alten Griechen in den Anspruch genommen hat heiszligt imvoraus bedenken in welchem Geschick welcher Unverborgenheit des Seinsdie Griechen standenldquo194
Das sind Vorstellungen des Neuen Anfangs eine Reminiszenz der griechisch anti-
ken Welt Ein Eintrag aus den Schwarzen Heften von etwa 1945-47 () verdichtet
wie oben bereits aufgezeigt die Phantasie griechisch zu sein zu einem gelingenden
Lebensvollzug
Das reine Wesen des Griechentums dh das Seiende inmitten dessen dieGriechen als seiende fremd gewesen dieses und sie selbst und der Bezug desSeins zu ihnen ndash in der einfachen Wesung von der ἀλήθεια her zeigen underfahren Den μῦθος und λόγος ndash jedes Wort und Gebild rein aber nichterzwungen und schematisch-pedant ndash aus ἀλήθεια erfahren195
Hier zeigt sich auch dass Heidegger per se das Aletheia-Prinzip fuumlr notwendig
hielt um ins Licht der Wahrheit zu blicken Die Griechen sind ihm hier deshalb
Vorbild und rein da sie keiner modernen Technik und dem Ge-Stell ausgesetzt
waren sondern lediglich eine mythopoetische Verbindung zum Sein herstellen
mussten um wesentlich zu sein und Seinsgeschichte zu schreiben Die Dinge und
das Spiegel-Spiel des Gevierts waumlren ihnen geschickt zuhanden gewesen196 Hei-
degger macht schlieszliglich sehr deutlich dass das Griechische zu denken ein bei
weitem anderes Geschaumlft sei als philologische Praumlzision
Ein Echo zu sein naumlmlich dem Anspruch des Seins verlangt eine Sorgfaltder Sprache von der freilich der technisch-terminologische Sprachstil derWissenschaften uumlberhaupt nichts wissen kann Die Intentionalitaumlt der wis-senschaftlichen Sprache ist der staumlrkste Beweis fuumlr ihre Boden- und Heimat-losigkeit [] Das Heimische einer hohen Sprache gedeiht nur im Bereichdes unheimlichen Anspruchs der wesenhaften Stille im Wesen des Seyns197
194 GA 79 S 62f195 GA 97 S 20196 Hingegen waumlre das Judentum verantwortlich fuumlr das Ge-Stell fuumlr das Prinzip der Zerstoumlrung
wie es auf der selben Seite der Schwarzen Hefte darunter heiszligt (vgl ebd)197 GA 79 S 66 Die Bedeutung von Seyn als verstelltes Sein oder Bedingung zum Schauen
des wahren Seins ist verwirrend Einer genaueren Analyse wird aus Platzgruumlnden hier nichtnachgegangen
46
324 Die Kehrelsquo
Der letzte Vortrag ist mit nur neun Seiten der Kuumlrzeste des Vortragsgevierts
Nach dem Verlust des Dinges als Ding und der damit einsetzenden Abstandslosig-
keit als Wesen des Ge-Stells wobei die Gefahr zudem der Vergessenheit des Seyns
nachstellt bietet Heidegger eine Perspektive an
Im Wesen der Gefahr verbirgt sich [] die Moumlglichkeit einer Kehre in derdie Vergessenheit des Wesens des Seins sich so wendet daszlig mit dieser Kehredie Wahrheit des Wesens des Seyns in das Seiende eigens einkehrt198
Diese Moumlglichkeit bedeute nicht dass der Mensch sich der Gefahr selbst stellen
koumlnnte sie waumlre passiv ndash bdquoverbirgt sichldquo Die Kehre werde sich ereignen aumlhnlich
einer Erwartung an den Messias
Die Anwesenheit der Gefahr wuumlrde automatisch die Rettung bergen Denn
Houmllderlin haumltte geschrieben bdquoWo aber Gefahr ist waumlchst [d]as Rettende auchlsquoldquo199
Etwa 1945 notiert Heidegger in seine Schwarzen Hefte bdquoDie Wahrheit erfahren
wir im Gedaumlchtnis Das Gedaumlchtnis ist die Dichtungldquo200 (so) Von dieser War-
te aus ausgestattet mit Erinnerungen an das abendlaumlndische Dichten mit dem
Wissen um das Aletheia-Prinzip und passiv als denkender Huumlter des Seyns solle
der Mensch das Ereignis erwarten das ihn bdquoloumlsen freimachen freyen schonen
bergen in die Hut nehmen wahrenldquo201 wuumlrde (siehe S 43)
Dieses Ereignis waumlre der Blitz Ein unvermittelter jaumlher ploumltzlicher Moment
von kurzer Dauer der bloszlig einen ebenso kurzen Blick auf das wahre Wesen er-
lauben wuumlrde Abschlieszligend ist dies das Rezept gegen die Bestands bestellende
Technik in mythopoetischer Formulierung
So entsprechend ist der Mensch geeignet daszlig er im gewahrten Element vonWelt als der Sterbliche dem Goumlttlichen entgegenblickt Anders nicht dennauch der Gott ist wenn er ist ein Seiender steht als Seiender im Seyn unddessen Wesen das sich aus dem Welten von Welt ereignet202
198 GA 79 S 71199 GA 79 S 72200 GA 97 S 52f201 GA 79 S 72202 GA 79 S 76
47
Wenn Heidegger im Anschluss von der bdquohistorisch-technischen Darstellungldquo re-
det so ist dies die Abwehr der Wissenschaften (auch der Philosophie203) und ein
Appell an die Antirationalitaumlt des Mythos bdquokein historisches Vorstellen der Ge-
schichte als Geschehen bringt in den schicklichen Bezug zum Geschickldquo204
Damit das Blitzen erfahren werde als kurze Wesensschau der Aletheia muumlsse
dem wahren abendlaumlndischen und heimatlichen Ereignis stattgegeben werden Es
sollte nicht wie er 1939 schon in den Schwarzen Heften beschreibt das
kuumlnstliche Licht von Historie und Technik in der weder Mensch noch dieGoumltter weder eineWelt noch die Erde sichtbar werden koumlnnen wo aber dasLebenlsquo von allen den immer noch zu wenigen Meistenlsquo erlebtlsquo wird205
Damit schlieszligt der letzte Vortrag mit einer Erwartung an das Ereignis des Blit-
zens nicht das Erleben der Besinnungslosigkeit (vgl Das Ge-Stelllsquo) Schon 1947
traumlumt Heidegger von solcher Umkehr
Aus der Kehre der Seynsvergessenheit aber ereignet sich das Unumgaumlnglicheden Acker der Welt erst zu pfluumlgen und saatbereit der Sonne und dem Regenund den Voumlgeln des Himmels uumlberlassen206
203 Denn ldquo[e]igentlich denken heiszligt [] die Philosophie verlassen [] beim Sagen des Seinslsquoldquo(GA 97 S 60)
204 Ebd205 GA 95 S 427 Gegen das Erlebnis und Erleben straumlubt sich Heidegger besonders So notiert
er etwa 1939 bdquoZeitalter der Techniklsquo macht gerade die Techniklsquo nicht zum Ziel sondernimmer mehr zum Mittel der besinnungslosen Berechnung [] der Mensch [] das Erleb-nislsquo [] Erleben als der Gefuumlhlsgenuszligldquo (GA 95 S 149) Wie auch bdquoWo beide Historie undTechnik in solcher scheinbaren Gegensaumltzlichkeit verkoppelt sind koumlnnen sie sich zur Foumlr-derung dessen zusammenschlieszligen was einstmals wesentlich die Geschichte des Menschenmitbegruumlndete und was wir die Kunstlsquo nennen Die Historie verschafft [] Anregungenund Vorbilder der Nachahmung die Technik erleichtert [] die Zustellung von Darstel-lungsmitteln und Wirkungsformen [] Gleichwohl ist alles wurzellos [] berechnet und alsErlebnislsquo ausgegebenldquo (GA 95 S 212)
206 GA 97 S 511
48
4 Konklusion
Der umstrittene Philosoph Martin Heidegger hat uumlber die 1930erndash40er Jahre
hinweg eine ausgepraumlgte voumllkisch-nationale und bisweilen radikal-antisemitische
Denkweise entwickelt Dieses Denken fasste er auch auf als Besinnung und stellt
es der Philosophie und Wissenschaft diametral entgegen In Kapitel 2 wird aufge-
zeigt dass sowohl Heideggers Mythologie bereits kritisiert wurde (Adorno Cassi-
rer Meyer) als auch seine Mythopoetik bewundert (Schulz-Nieswandt) Kapitel
3 will daruumlber hinaus aufzeigen wie Heidegger eine eigene Mythologie mytho-
poetisch fruchtbar macht was sich von beiden vorigen Ansaumltzen unterscheidet
und erst mit der Veroumlffentlichung der Schwarzen Hefte ab 2014 nachvollziehbar
wurde
Umso mehr bietet die mythopoetische Verbindung von bdquoDichten und Den-
kenldquo (so) einen antitechnischen Gegenpol Denn Heidegger fasst wie oben ge-
schildert alles Rationale auf als berechnende Bestellung des Bestands im Sinne
der Technik Daruumlber hinaus fordert er mit dem Aletheia-Prinzip (als metapho-
risch gefasstes Ereignis des Blitzens) einen Mitvollzug seiner mythopoetischen
Kontemplation in dem religioumlse voumllkische antike und sprachliche Motive zu-
sammenfallen
Obwohl schon von Heidegger selbst nicht mehr als Philosophie betrachtet
hat seine Rede vom Ding dem Ge-Stell dem Wesen der Technik und der Kehre
noch immer einen bedeutenden Einfluss auf die Technikphilosophie So betont
Alfred Nordmann in bdquoWerkwissen oder How to express things in worksldquo (2008)
dass Heidegger mit Das Dinglsquo eine Art Dingwissen geschaffen haumltte In seinem
2012 erschienenen Aufsatz Another parting of the ways Intersubjectivity and the
objectivity of sciencersquo207 geht Nordmann ein weiteres Mal auf Heideggers Ding
ein Dieses waumlre eine Abarbeitung an dem Ding Kants womit auch Nordmann
Heidegger als einen Interpreten Kants versteht208 Anschlieszligend anMichael Fried-
207 Nordmann Alfred Another parting of the ways Intersubjectivity and the objectivity ofscience In Studies in History and Philosophy of Science 43 (2012) 38ndash46
208 Die Auseinandersetzung mit dem Ding wuumlrde nach Nordmann in Heideggers GA mit demText Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalen Grundsaumltzenlsquoeinsetzen (GA 41 Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalenGrundsaumltzen)
49
man spricht sich Nordmann ebenso dafuumlr aus dass Heidegger neben Rudolf Car-
nap und Ernst Cassirer eine neokantianische Philosophie verfolgt haumltte (siehe
Kap 1)209
Nach Nordmann haumltte Heidegger in seinen anschlieszligenden Gedanken uumlber
das Ding als Fortfuumlhrung Kants als erster Wissenschaft als angewandte Techno-
logie verstanden210 Diese Interpretation stuumltzt sich auf die gleichen Symbole
Metaphern und Mythen die die vorliegende Arbeit analysiert Das Ge-Stell ist
insofern aumlquivok mit dem Begriff techno-science Jedoch sind in dieser Fruchtbar-
machung von Heideggers Denken der Technik dessen nationalistischen rassisti-
schen und antisemitischen Implikationen die die vorliegende Arbeit als Zentrum
dessen Philosophie ermitteln konnte noch nicht beachtet worden koumlnnen211
Andreas Luckner webt Heideggers Ding-Entwurf weiter als verantwortliches
Sorgen um die Dinge212 Er geht dabei mit Heidegger voumlllig konform und tritt
eher als eine Art Bote der Ding-Botschaft auf als diese moumlglicherweise zu kriti-
sieren was sich diesen Artikel wie ein Kapitel aus einem Studienbuch lesen laumlsst
Der Darmstaumldter Technikphilosoph Christoph Hubig ist vor allem Kritiker Hei-
deggers Argumentationen laumlsst aber zuweilen diverse Topoi aus dem Werk des
Technik-Denkers durchscheinen ohne sie weiter zu reflektieren
So konstatiert Hubig Heidegger verfehle in dessen Auseinandersetzung mit
Aristoteles Lehre von der Poiesis zum Punkt der Sicherung wie sie in Die Frage
nach der Techniklsquo behandelt wird bdquodie operative Seite des Technischenldquo bei Aris-
totels213 In einem spaumlteren Aufsatz allerdings stuumltzt er sich ohne weitere Erlaumlute-
rungen auf Heideggers Begriff der Sicherung aus Die Frage nach der Techniklsquo214
209 Diese Befriedung paradigmatischer Umstaumlnde wird hier nicht geteilt Eine weitere Bearbeitunglaumlsst der Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht zu
210 Vgl Nordmann Another parting of the ways S 45211 Der Aussage dass Heideggers Ding-Begriff kantianisch waumlre muumlsste einer gezielten Untersu-
chung unterzogen werden genau wie die Behauptung insgesamt dass Heidegger oder inwie-weit dieser noch der suumlddeutschen Kantschule des 1920 Jahrhunderts angehoumlrte
212 Vgl Luckner Andreas Ding und Bestand Heidegger und das Wesen neuzeitlicher TechnikIn Gamm G Gehring P Hubig C Kaminski A und Nordmann A Ding und SystemS 15-30 hier S 29
213 Hubig Christoph Die Kunst des Moumlglichen Technikphilosophie als Reflexion der MedialitaumltBielefeld 2006 S 103
214 Vgl Hubig Christoph Technik als Medium In Grundwald Armin (Hg) Handbuch Tech-nikethik Stuttgart 2013 S 118-123 hier S 118
50
Dabei versteht Hubig Heideggers Betrachtungen zum Umgang mit der Technik
als gelassen
Fuumlr Heidegger liegt die Andersheit im Entbergen einer Wahrheit des Seinseines Geschicks von dem die Entwicklung der Technik hin zum Gestellkuumlnde Er verbindet dies mit dem Appell jenseits des rechnenden und si-chernden Vorstellens technischer Vollzuumlge als handlungsleitender Program-me sich gelassenlsquo dieser Entwicklung zu uumlberantworten und ein Seinlsquo zuhuumlten das sich als solches eben entbirgt Das Rettendelsquo dieser Einsicht lie-ge darin dass unsere individuelle Endlichkeit insofern transzendiert wirdals sie sich dem sie uumlbersteigenden Prozess aufschlieszligt und sich selbst relati-viert215
Wovon in diesem Zitat nicht die Rede ist ist der Mitvollzug der mythopoe-
tischen Rahmenbedinungen die Heidegger einfordert und an dem die Konzep-
te Abendland und voumllkische Tradition haumlngen In dieser Arbeit wird davon aus-
gegangen dass Heideggers Technikphilosophie-erzaumlhlung sich nicht von seinen
Absichten der Bekaumlmpfung des Technischen loumlsen laumlsst Die Relativierung ist in-
sofern nicht an den Prozess gebunden und damit emergent auf alles hin ausge-
richtet was kommen mag sondern houmlchst konvergent in einer Besinnung auf
Mythen von dem Ding und dem Geviert mit all deren Valenzen aus dem vorlie-
genden Heideggerschen Textkorpus Die individuelle Endlichkeit ist genoumltigt die
Heimat und das Abendland zu kennen und im Aletheia-Prinzip umzusetzen
Die Neubewertung der bislang bekannten Heideggerschen Technikphiloso-
phie von vor den SchwarzenHeften ist ein dringendes Desiderat Voumllkisch-nationale
Gruppierungen erstarken momentan in ganz Europa und es koumlnnte sehr hilfreich
sein aumlhnliche Denkstrukturen aufzudecken so wie sie zwischen den 1930er und
40er Jahren entwickelt wurden Zusaumltzlich muss das Werk Heideggers einer kriti-
schen Revision schon aufgrund der niemals von ihm behandelten Antisemitismen
unterzogen werden Heidegger hat nie zu diesen Stellung bezogen
Daruumlber hinaus ist das Thema Mythos und Philosophie ein weiterhin not-
wendiger Bereich der philosophischen Forschung In einem Bereich auszligerhalb
der exakten Wissenschaften und ohne klare theologische Tradition ist die Philo-
215 Hubig Die Kunst des Moumlglichen S 140
51
sophie beides sowohl Aufklaumlrer und antimythisch als auch Quelle fuumlr mythisches
Denken und affektierende Motive
52
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Trawny Peter Heidegger und derMythos der juumldischenWeltverschwoumlrung Frank-
furt am Main 2015
Wolin Richard Heideggers bdquoSchwarze Hefteldquo Nationalsozialismus Weltjuden-
tum und Seinsgeschichte In Vierteljahrsheft fuumlr Zeitgeschichte Bd 63 Heft
3 S 379ndash410
LexikaHeidmann Vischer Ute Mythoslsquo In Braunart Georg ua (Hg) Reallexikon
der deutschen Literaturwissenschaft Bd 2 Berlin New York 2000 S 664ndash
668
mdash Mythologielsquo In Braunart Georg ua (Hg) Reallexikon der deutschen
Literaturwissenschaft Bd 2 Berlin New York 2000 S 660ndash664
Graf Fritz (Princeton) Zgoll Annette (Leipzig) Hazenbos Joost (Leipzig)
Niehr Herbert (Tuumlbingen) Mythoslsquo Der Neue Pauly Hg v Cancik Hu-
bert (Antike) und Schneider Helmuth Landfester Manfred (Rezeptions-
und Wissenschaftsgeschichte) Brill Online 2015 Reference Universitaumlts-
und Landesbibliothek Darmstadt 06 December 2015 httpreferenceworks
brillonlinecomentriesder-neue-paulymythos-e815160 First appeared on-
line 2006
Metzler Literatur Lexikon Begriffe und Definitionen hg v Schweikle Irmgard
und Guumlnther Stuttgart 1990
Poumlggeler Otto Heidegger In Killy Literaturlexikon Autoren und Werke des
deutschsprachigen Kulturraums 15 Bde 1988-93 Bd 5 S 142ndash146
Internetquellenwwwuni-stuttgartdehkompresseservicepressemitteilungen201567
_kellererhtml zuletzt abgerufen am 1442016
wwwdewikipediaorgwiki Martin_Heidegger_und_der_Nationalsozialismus
Die_Heidegger-Kontroverse ndash zuletzt abgerufen am 24042016)
56
Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
Der Unterzeichner versichert dass er die vorliegende Bachelorarbeit selbststaumlndig
verfasst und keine anderen als die von ihm angegebenen Hilfsmittel benutzt hat
Die Stellen der Arbeit die anderen Werken dem Wortlaut oder dem Sinne nach
entnommen sind wurden in jedem Fall unter Angabe der Quellen (einschlieszliglich
des World Wide Web und anderer elektronischer Text- und Datensammlungen)
kenntlich gemacht Dies gilt auch fuumlr beigegebene Zeichnungen bildliche Dar-
stellungen Skizzen und dergleichen
Darmstadt 25 April 2016
__________________________
(Eigenhaumlndige Unterschrift)
- Abkuumlrzungsverzeichnis
- Danksagung
- Einleitung
- Heideggers mythopoetisches Programm
-
- Zu den Begriffen Mythos Mythologie und Mythopoetik
-
- Ein Beispiel fuumlr ein Mythologem
-
- Heideggers Mythen
-
- Formen der Mythologie
-
- Heideggers mythopoetische Technik
-
- Zur Publikationsgeschichte von den Bremer Vortraumlgen 1949
- Die mythopoetische Spiegelung der Schwarzen Hefte
-
- Das Dinglsquo
- Das Ge-Stelllsquo
- Die Gefahrlsquo
- Die Kehrelsquo
-
- Konklusion
- Literaturverzeichnis
- Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
-
29
nen die Auflistung der bdquovier Ursachenldquo117 nach Aristoteles und die Kritik an der
Technik als bdquoein Mittel zu Zweckenldquo118 (Kausalitaumlt)119
Der Vortrag Das Dinglsquo galt Heidegger bei der Darbietung seiner Technikphi-
losophie nach dem Zweiten Weltkrieg allerdings als unentbehrlich ndash und damit
seine groszligflaumlchige Aufblaumltterung der Mythopoetik wie im folgenden Kapitel hier
gezeigt wird Denn im Vortrag Die Frage nach der Techniklsquo benutzt Heideg-
ger noch immer seinen mythopoetischen Topos vom Versammeln des Gebirges
der mit dem Versammeln eine Konstituente des Gevierts ist (bdquoErde und Himmel
die Goumlttlichen und die Sterblichenldquo120) (su)121 Fuumlr die Kaumlufer und Leser von
der spaumlteren Veroumlffentlichung Die Technik und die Kehrelsquo wird zudem in Die
Kehrelsquo extra auf den Vortrag Das Dinglsquo in der 1954er Ausgabe in Vortraumlge und
Aufsaumltzelsquo verwiesen122 Das zeigt wie wichtig und unerlaumlsslich Heidegger seine
mythopoetische Denkweise der Technik ist Auch wenn er in Die Frage nach der
Techniklsquo einen allgemeineren und offeneren Ansatz entwickelt hat der dadurch
auch leichter zu erschlieszligen ist
32 Die mythopoetische Spiegelung der Schwarzen
Hefte in den Bremer Vortraumlgen von 1949
321 Das Dinglsquo
In dem Vortrag Das Dinglsquo der 1949 vor dem privaten Club zu Bremen dort im
Neuen Rathaus das Vortragsquartett einleitete fuumlgt Heidegger mythopoetisch
zusammen was folgenden Topoi seiner Schwarzen Hefte aus Kap 221 entspricht
117 Heidegger Die Technik und die Kehre S 6118 Ebd S 6119 Diese Topoi versucht Heidegger in dem Text zu zersetzen und ihnen ein aletheisches Prin-
zip des Entbergens der Technik entgegenzusetzen Dies erfolgt wiederum auch anhand derVerwendung von mythopoetischen Teilen Darauf kann hier aber nicht weiter eingegangenwerdenAls weitere Gemeinsplaumltze (die er teils unterstuumltzend teils zur Zersetzung einfuumlgt) handelt
der Text auch mit Zitaten von Platon Heisenberg J P Hebel und Goethe120 Ebd S 12121 Vgl GA 79 S 11 Und Heidegger Die Technik und die Kehre S 19122 Vgl Heidegger Die Technik und die Kehre S 42f
30
1 die antirationale Wissenschaftsfeindlichkeit 2 der Mythos des Goumlttlichen 3
das Griechentum uumlber dem Roumlmertum 4 die Zahlenmystik (anhand des Spiegel-
Spiels des Gevierts ndash su) 5 das geschichtsbesinnliche Prinzip der Aletheia
Heidegger stellt zuerst die Frage nach dem Ding und will sie daraufhin ver-
anschaulichen mittels der Metapher des Kruges dh mit dem Krug als ein exem-
plarisches Ding Er fuumlhrt dann vor (was der Geste eines Zauberkuumlnstlers aumlhnelt)
wie der leere Krug gefuumlllt wird ndash Luft weicht der Fluumlssigkeit Dieses Sachverhaumllt-
nis aber ist fuumlr ihn Halbpoesie und eine Angabe aus der Physik sie verfehle das
vermeintliche Wesen des Kruges
Die Wissenschaft stellt durch sie [die Angabe der Physik DS] etwas Wirk-liches vor wonach sie sich objektiv richtet Aber ndash ist dieses Wirkliche derKrug Nein DieWissenschaft trifft immer nur auf das was ihre Art des Vor-stellens im vorhinein als den fuumlr sie moumlglichen Gegenstand zugelassen hat[] Die Wissenschaft macht das Krug-Ding zu etwas Nichtigem insofernsie Dinge nicht als das Maszliggebende zulaumlszligt123
Als ein wirkmaumlchtiges Beispiel das ihm sicherlich viel Beachtung uumlber die
Jahrzehnte seit ihrer Zuumlndung in Japan hinweg einbrachte fuumlhrt Heidegger die
Atombombe an Diese sei zu verstehen als verdinglichte Wissenschaft die das
Ding vernichten wuumlrde
Deren Explosion ist nur die groumlbste aller groben Bestaumltigungen der langherschon geschehenen Vernichtung des Dinges dessen daszlig das Ding als Dingnichtig bleibt124
Er buumlndelt damit Wissenschaft und Verkennung des Wesens als maszliggebend mit
dem Ding als sein machenschaftliches Prinzip der zerrechnenden Zerstoumlrung Drei
Jahre nach Kriegsende war der buumlrgerlich-elitaumlre Kreis in Bremen sicherlich be-
wegt von dieser Wortgewalt Diese jedoch suchte ja ihr Heim Harmonie Ruhe
in dem Haus als Wesen der Sprache
Und so faumlhrt Heidegger fort und ersetzt das physikalische Prinzip des Inhalts-
wechsels von Luft zu Wein in ein bdquoGeschenk des Gussesldquo als Spende und Opfer
den Goumlttern (2)125
123 GA 79 S 8124 Ebd S 9125 Vgl Ebd S 11f
31
Der Guszlig ist der den unsterblichen Goumlttern gespendete Trank [] Der ge-weihte Trank ist das was das Wort Guszliglsquo eigentlich nennt Spende und Op-fer Guszliglsquo gieszligenlsquo lautet griechisch χέειν indogermanisch ghu Das bedeu-tet opfern
Hier spielt bereits der Ursprungsmythos der Griechenmit ein (3) es ist aber auch
ein Bezug auf das Geviert Dieses waumlre ein System ein zusammen Gestelltes aus
bdquoErde und Himmel die Goumlttlichen und die Sterblichenldquo126 Im Guszlig des Trunkes
weilten gemeinsam diese Vier als emblematische Verbindung
Das im Geschenk Versammelte sammelt sich selbst darin das Geviert ereig-net zu verweilen Dieses vielfaumlltig einfache Versammeln ist das Wesen desKruges Unsere Sprache nennt was Versammlung ist in einem alten WortDies lautet thing127
Das Geviert zehrt von der Zahlenmystik zum einen als die Versammlung der
vier Begriffe an sich zum anderen da Heidegger ihnen eine Spiegel-Funktion
zuschreibt bdquoJedes der Vier spiegelt in seiner Weise das Wesen der uumlbrigen wie-
derldquo128 und ferner weil er damit auf sich selbst dh auf sein Vortrags-Geviert
verweist (4) Wie in Kap 21 schon gesagt lebt der Mythos von seiner Verbind-
lichkeit Diese legt Heidegger allen nah die sie verinnerlichen wollen bdquoSagen wir
die Sterblichen dann denken wir falls wir denken die anderen Drei mit aus der
Einfalt der Vierldquo129
Sollte der Vollzug der Praxis des sukzessiven Mitdenkens aller vier Geviert-
Entitaumlten gelingen koumlnnte das Ereignis der Aletheia begriffen werden (5) bdquoDas
Spiegel-Spiel von Welt ist der Reigen des Ereignensldquo130 Diese wird aber auch be-
griffen in Abgrenzung von dem Roumlmertum (3) denn in der bdquorealitas der resldquo
haumltten die Roumlmer bdquoihr Erfahrenes niemals eigens in seinem Wesen gedachtldquo131
Das waumlre den Griechen vorzubehalten und vom verstaumlndig denkenden Deutschen
wiederzubeleben
126 Ebd S 12127 Ebd S 13128 Ebd S 18129 Ebd130 Ebd S 19131 Ebd S 15
32
Der Krug ist ein Ding weder im Sinne der roumlmisch gemeinten res noch imSinne des mittelalterlich vorgestellten ens noch gar im Sinne des neuzeitlichvorgestellten Gegenstandes [] Der Krug ist Ding insofern er dingt132
Die Bindung an das deutsche Wort bdquoDingldquo das er spielerisch auch ins Englische
Romanische und Franzoumlsische uumlbersetzt ist unerlaumlsslich fuumlr seine ethymologi-
sche Argumentation In der ist der bdquoGuszligldquo ruumlckgefuumlhrt auf indogermanisch bdquoghuldquo
und das bdquoDingldquo auf das mittelhochdeutsche bdquothingldquo So konnten antik die Roumlmer
von den Griechen abgrenzt werden und modern die anderen drei Sprachen vom
Deutschen Das englische sich sehr nah am bdquothingldquo befindliche bdquothingldquo wird mit
dem Roumlmischen ausgespielt
Im Englischen hat thing noch die erfuumlllte Nennkraft des roumlmischen Wor-tes res bewahrt [] dh ein aus sich kommendes den Menschen Angehen-des133
Fuumlr Heidegger geht es beim bdquothingldquo aber um die mittelhochdeutsche Uumlbersetzung
der Versammlung Darauf beruht sein gesamter Systemansatz mit Geviert und
Ge-stell
Schulz-Nieswandt fuumlhrt diese Zusammenstellung zum Bejubeln von Heideg-
gers Mythopoetik
So fundamental sieht Heidegger die Welt Die Quelle des Wassers wird zurHochzeit von Himmel und Erde das Gieszligen des Wassers aus dem Krugzum Geschenk Auch Sprache ist daher kein Instrument sondern Ort desWohnens des Menschen Sprache wird zum Haus des Seinslsquo134
Hier bestaumltigt die Untersuchung des Ding-Vortrags die These von einer mytho-
poetischen Einschreibung der nationalistischen voumllkischen Abgrenzungs-Mythologie
aus den Schwarzen Heften
322 Das Ge-Stelllsquo
Der zweite Vortrag des Reden-Gevierts setzt ein mit der Metapher des fehlen-
den Abstands Wo kein Abstand sei da waumlre auch keine Naumlhe so Heidegger Er
132 Ebd S 16133 Ebd S 14134 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei Walter
F Otto S 59
33
verbindet die Abstandslosigkeit mit Urbanitaumlt und Verkehr alles fluktuiere Es
waumlre der Bestand der sich bestelle in dem das Abstandlose herrsche Das sind
neue Metaphern fuumlr die Machenschaft In seiner Erzaumlhlung vom Ge-Stell gibt es
bedeutend weniger mythopoetische Passagen als in dem vorangegangenen Vor-
trag Allerdings uumlbertraumlgt er den mythopoetischen Gehalt der Rede vom Ding
bereits im ersten Absatz von Das Ge-Stelllsquo mit dem Credo bdquoNaumlhe west insofern
das Ding dingtldquo135 Mit dieser Verbindung wird klar unter welchem Zeichen Hei-
degger die Rede vom Ge-Stell verstanden wissen will ndash als verlorenes Verhaumlltnis
des voumllkisch-traditionell verwurzelten Menschen mit den vermeintlichen Wesen
all seiner Gebrauchsobjekte in der mythopoetischen Formel des sich spiegelnden
Gevierts
Nahezu nuumlchtern erzaumlhlt Heidegger dann von dem Gefaumlngnis des Menschen
im Wesen der zirkulierenden sich immer neu bestellenden Bestandstechnik des
Ge-Stells Dabei scheinen folgende Mythen aus den Schwarzen Heften hindurch ndash
1 bdquoHistorie die Technik der Geschichtelsquo Technik die Historie der Naturlsquoldquo136
2 das historische Tier 3 der Appell an den Auftrag des Deutschen 4 der geschicht-
liche Mensch muss die Historie und damit die Technik uumlberwinden und 5 die
alles zernichtende Machenschaft des juumldischen Wesens
Den Topos der seinsvergessenen Groszligstadt jedenfalls kontrastiert er mit der
Bauerndorfidylle Da aber bdquodas Abstandlose herrschtldquo137 waumlre das Vorruumlcken der
Maschinentechnik bereits universell So in Form des Traktors Schon in Band
96 der Schwarzen Hefte beklagt er dieses bdquozum elektrischen Pflug [] gehoumlrt
das amerikanisch aufgemachte Magazinlsquoldquo Insofern erfolge die bdquoAngleichung der
Sitten der Bergbewohner an diejenigen des groszligstaumldtischen Sport- und Barbe-
triebsldquo138
Sein erster Land-Stadtvergleich betrifft den Bauern dessen Totenruhe tradi-
tionell in einem sg bdquoTotenbaumldquo (Sarg) stattgefunden haumltte ndash bdquoIn ihm gedeiht
der Tod des Totenldquo139 Dem gegenuumlber klingt in der bdquomotorisierten Bestattungs-
135 GA 79 S 24136 GA 95 S 351137 GA 79 S 24138 GA 96 S 54139 GA 79 S 26
34
industrie der Groszligstadtldquo140 bereits Heideggers pietaumltsloser Gaskammernvergleich
an
Ackerbau ist jetzt motorisierte Ernaumlhrungsindustrie im Wesen das Selbewie die Fabrikation von Leichen in Gaskammern und Vernichtungslagerndas Selbe wie die Blockade und Aushungerung von Laumlndern das Selbe wiedie Fabrikation von Wasserstoffbomben141
Hier wird davon ausgegangen dass es eine Uumlbertragung der Notizen uumlber
das deutsche Land als bdquoeinziges KZldquo ist die Unterdruumlckung des deutschen Vol-
kes durch die bdquoWeltdemokratieldquo die schlimmer sei als die Graumlueltaten der bdquoGas-
kammernlsquoldquo142 In die mythopoetische Formel von dem dingenden Ding aus dem
ersten Vortrag sind alle Valenzen eingeschrieben die es zur Aufgabe des abendlaumln-
dischen Deutschen (also als Nachfolger der alten Griechen) machen das Wesen
des Dings und somit der Technik zu huumlten Die Verantwortung fuumlr Genozid
Massenvernichtungswaffen und den Mangel im Nachkriegsdeutschland schreibt
Heidegger gleichfoumlrmig dem Prinzip der Abstandslosigkeit zu
Auch die Rede von der Habgier des Berechnenden ist ein bereits bekannter
Vorbehalt Heideggers anhand der Rede vom raffgierigen Juden Denn er sagt von
der bdquoHerrschaft des Abstandlosenldquo dass sie bdquodie Hab-gier des vorstellenden Be-
rechnensldquo waumlre143 Das entspricht seinem Mythos von der alles zernichtenden
Machenschaft des juumldischen Wesens144
Dann folgt eine lange Elegie uumlber das Bestellen des Bestands des Ge-Stells
bdquo[d]ie Kette des Bestellens laumluft auf nichts hinaus sie geht vielmehr nur in ihren
Kreisgang hineinldquo145 uumlber 19 Seiten des 21 seitigen Vortragsexts hinweg entwirft
Heidegger diverse Bilder wie das Ge-Stell die Natur das Hergestellte den Men-
schen und das Verstandesmaumlszligige vereinnahme und das Wesen desDings gleichsam
zur Veruntreuung bringen wuumlrde Wiederum poetisch orientiert kontrastiert also
140 Ebd141 Ebd S 27142 GA 97 S 99f143 Vgl GA 79 S 25144 Vgl Machenschaft hier S 29 und Geraff hier S 33145 GA 79 S 29
35
Heidegger Houmllderlins Hymne Der Rheinlsquo mit dem Rhein dessen Stroumlmung fuumlr
ein Stromkraftwerk genutzt wird
Achten wir um das Ungeheure das hier waltet zu ermessen nur auf einenAugenblick auf den Gegensatz der sich in den beiden Titeln ausspricht DerRhein verbaut in das Kraftwerk ndash der Rheinlsquo gesagt in der gleichnamigenHymne Houmllderlins146
Die Differenz also waumlre das Ungeheure147 Dabei waumlre der Rhein verbaut in das
Kraftwerk Aumlhnlich wie Kohle Erze und Rohoumll waumlren sie Bestand der bdquobesteht
im Bestellenldquo ndash bdquoDas Bestellen waumlre demnach lediglich eine Machenschaft des
Menschen vollzogen in der Weise der Ausbeutungldquo148
Das Bild des Wasserkraftwerks wird erweitert um den Begriff des Menschen
Elektrizitaumlt mit Wasserkraft erzeugen bdquokoumlnnen die Menschen [] nur insofern
sie selber schon in dieses Bestellen bestellt sindldquo149 Mit diesem Bild versucht Hei-
degger praktisch zu veranschaulichen dass Entwurf Umsetzung und Einsatz ei-
ner technischen Anlage den Menschen in ein entruumlcktes Verhaumlltnis zum Wesen
des dingenden Dings setze ndash bdquoDer Mensch ist darum der Angestellte des Bestel-
146 Ebd147 Das ist zusaumltzlich zu dem gemeinten Gegensatz ein Vergleich mit dem Heidegger dem Wort
bdquoRheinldquo in die Hymne Der Rheinlsquo gesprochen eine Energie erzeugende Wirkung zu-schreibt eben so wie das Kraftwerk Strom erzeugen wuumlrde Das wird klar dadurch dassHeidegger metaphorisch vom Stellen des Wortes bdquoRheinldquo in die Hymne spricht Es handeltsich um einen Appell zur denkerischen Besinnung Dass Heidegger dafuumlr eine technischeAnlage zur Veranschaulichung inspirierend wirken laumlsst spielt bereits in die Richtung derBegriffe bdquoHer-vor-bringenldquo bdquoEntbergenldquo und spielt auf das Alteheia-Prinzip an Darauf wirdweiter unten anhand Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo eingegangen werden Es handelt sich umdas Angebot eines mythopoetischen Umgangs mit Technik insbesondere wenn sie sich inheimische Gefilde einfuumlgtHeute koumlnnte man mit Windraumldern ebenso verfahren Somit koumlnnte aber auch Heidegger
als ein gewisser Quijana aus Mancha verstanden werden eben der Protagonist aus Miguel deCervantes Roman Don Quichote von der Manchalsquo der mit seinem von ihm flux auch um-benannten Klepper (weil er zuvor sich selbst in Don Quichote umtaufte) Rocinante Riesenbezwingen will um mit dieser Heldentat unsterblichen ritterlichen Ruhm zu erstreitenAuch Don Quichote fand seine Riesen in Windmuumlhlen und auch Don Quichote war uumlber
eine uumlbertriebene Auseinandersetzung mit einer verschuumltteten Kultur dieser verfallen undsuchte diese in seiner Aventuumlre zu reaktualisieren Martin Heideggers mythopoetisches Pro-gramm ist tatsaumlchlich stark mit Don Quichotes Motiv vergleichbarFerner waumlre eine Auseinandersetzung mit Heideggers Werk unter Beruumlcksichtigung sei-
ner Gewichtung der Vorsokratiker und Houmllderlin als mythopoetischen Autor eine moumlglicheForschung zum Thema Anachronismen in Konzepten von Moral und gesellschaftlicher An-gemessenheit (Vgl Cervantes Miguel de Don Quichote von der Mancha Herausgeben unduumlbersetzt v Susanne Lange Muumlnchen 2008 S 33f)
148 GA 79 S 29149 GA 79 S 30
36
lensldquo150 Schon vorher wies Heidegger darauf hin bdquo[d]ie Herrschaft des Gegen-
staumlndigen sichert nicht den Abstandldquo151 Jetzt heiszligt es
Das Bestellen befaumlllt nicht nur die Stoffe und Kraumlfte der Natur mit Gestel-lung Das Bestellen befaumlllt zugleich das Geschick des Menschen Das Wesendes Menschen wird daraufhin gestellt das Bestellen in menschlicher Weisemitzuvollziehen152
Der Begriff des Ge-Stells wird daraufhin so konstruiert dass es im Bestellen
um ein Stellen (Herausfordern) alles bdquoAnwesenden als Bestandldquo als bdquoversus unumldquo
gegen bdquodas Eine Ganzeldquo gehe153 In wiederum mythopoetischer Formulierung ge-
baumlre die bdquoVersammlung des Stellens worin alles Bestellbare in seinem Bestand
west das Ge-Stellldquo154 Der Begriff bdquoVersammlungldquo wird einen Absatz zuvor my-
thopoetisch wieder an die Versammlung also das thing eben das wesenhafteDing
angelehnt und somit wie zu Das Dinglsquo bereits oben erlaumlutert in einen deutsch-
abendlaumlndischen Kontext gestellt (3)
Wir nennen die Versammlung der Berge die von sich her einig und nienachtraumlglich schon gesammelt ist das Gebirge Wir nennen die Versamm-lung der Weisen nach denen uns so zumute ist und sein kann das Gemuumlt155
Allerdings ist obiges Versammlungsmodell hier als Kontrast zu sehen zu dem
bdquoGeraff des Getriebesldquo das das Ge-Stell darstellt als bdquoWesen der Technikldquo156 Hei-
degger sieht in der Gleichfoumlrmigkeit die zum Wesen des Technik als Ge-Stell
150 GA 79 S 30151 GA 79 S 25152 GA 79 S 31153 Vgl GA 79 S 32154 GA 79 S 32155 Ebd
Das Wort ldquoGemuumltrdquo hat ferner eine ausschlieszliglich deutsche Praumlgung gibt es doch keinedirekte Uumlbersetzungen Gemuumlth ist ferner ein nicht eindeutig umrissener Begriff (Vgl Kra-mer Cheryce A Foolrsquos Paradise The Psychiatry ofGemuumlth in a Biedermeier Asylum Chica-go 1998 S 19) Die Bedeutung im Deutschen selbst ist zudem sehr variabel hat aber zumeistmit Seelen- oder Geistkonzepten zu tun ndash Cheryce von Xylander (geb Kramer) uumlbersetztGemuumlth mit bdquosoul-organldquo (ebd S 43) das von diversen Autoren unterschiedlich konstru-riert wird (zB von Kant geistigkoumlrperlich und von Kleist individuellkollektiv (vgl ebdS 41)) In Heideggers emblematischem Duktus scheint eine Vermischung von allen vier Di-mensionen geistigkoumlrperlich wie auch individuellkollektiv stattzufinden Es ist auf jedenFall dem Mythos geschuldet den Auftrag des Deutschen anzunehmen (3)
156 GA 79 S 33
37
gehoumlre die planetarische Abloumlsung und Aufhebung des traditionellen und damit
wesenhaft ans Ding gebundenen Verhaumlltnisses vom Menschen zur Erde (das von
ihm idealisierte voumllkische Bauerntum das Bestellen des Ackers) bdquoDie Bestand-
Stuumlcke sind Stuumlck fuumlr Stuumlck die Gleichenldquo157 So kontrastiert er alte Handwerks-
techniken mit Maschinentechnik und schreibt der Maschinentechnik die machen-
schaftliche Verdraumlngung als Geraff zu
Das Ge-Stell hat auch wenn das nicht unmittelbar und nicht sogleich ver-nehmlich wird im vorhinein schon alle diejenigen Stellen beseitigt an denenvormals Spinnrad und Wassermuumlhle standen Das Ge-Stell bestellt durch sei-ne Maschinerie zum voraus eine andere Art und Ordnung von Stellen Andiesen kommt nur zu Stand was als Bestellbares auf der Stelle gleichfoumlrmigzur Stelle steht
Darum ist auch die Art wie die Maschine selbst etwas herstellt einewesentlich andere als das handwerkliche Tun gesetzt daszlig es innerhalb desGe-Stells uumlberhaupt noch so etwas wie ein Herstellen gibt
Die Traktoren und Kraftwagen werden herausgebracht ausgeworfen se-rienweise Stuumlck fuumlr Stuumlck Wo drauszligen steht dieses so Herausgestellte Wo-hin in welchen Stand ist es gebracht158
In dieser Klage uumlber den technischen Wandel der durch den Fortschritt in
alle Lebensbereiche Einzug haumllt versucht Heidegger zu veranschaulichen wel-
chen Verlust es zu erkennen gelte Ein Versuch diesem entgegen zu treten ist die
von ihm vorgetragene Mythopoetik die er in diesem Vortragsteil seines Vortrags-
Gevierts allerdings auffaumlllig zuruumlckgestellt sein laumlszligt War der Einleitungsteil Das
Dinglsquo schlieszliglich eine nahezu einzige mythopoetische Darbietung Dramatur-
gisch wird Heidegger in Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo die mythopoetischen For-
mulierung als Loumlsungswege wieder Bedeutung geben In Das Ge-Stelllsquo versucht
Heidegger hingegen Vorstellungen aus seinen Schwarzen Heften aumlhnlich der fol-
genden mitzuteilen die das Uniforme Gleichfoumlrmige betreffen
Die Macht der Machenschaft ndash die Vernichtung sogar der Gottlosigkeit dieVermenschung des Menschen in das Tier die Vernutzung der Erde die Ver-rechnung der Welt ndash ist in den Zustand der Endguumlltigkeit uumlbergegangenUnterschiede der Voumllker Staaten Kulturen sind nur noch Fassade159
157 GA 79 S 36158 GA 79 S 35159 GA 96 S 52f
38
Was Heidegger unter dieser Gleichfoumlrmigkeit versteht schreibt er in den Schwar-
zen Heften zumeist den Amerikanern zu Er nennt es auch haumlufig Planetarismus
Der Amerikanismus [ist DS] die Zusammenraffung von Allem welcheZusammenraffung immer zugleich die Entwurzelung des Gerafften bedeu-tet160
Der Planetarismus ist die historisch gedachte Bestimmung der uumlberall glei-chen die ganze Erde uumlberdeckenden Seinsverlassenheit des Seienden161
Die Gegenuumlberstellung von natuumlrlicher und traditioneller Handwerkstechnik
gegen maschinenhafte Gleichfoumlrmigkeit exemplifiziert Heidegger dann im Vor-
trag Das Ge-Stelllsquo vielfach wie zum Beispiel hier
Der Forstwart zB der im Wald das geschlagene Holz vermiszligt und demAnschein nach noch wie sein Groszligvater in der gleichen Weise die selbenWege geht ist heute von der Holzverwertungsindustrie gestellt Er ist ober es weiszlig oder nicht in seiner Weise Bestand-Stuumlck des Zellulosebestandesund dessen Bestellbarkeit fuumlr das Papier das den Zeitungen und illustrier-ten Magazinen zugestellt wird die uumlber die Oumlffentlichkeit daraufhin stellenverschlungen werden162
160 GA 96 S 257161 GA 96 S 261162 GA 79 S 37f
Die renommierte Theaterautorin Elfriede Jelinek karikiert in ihrem Stuumlck Totenaubergvon 1991 Heideggers Konstrukt von Heimat und Fortschrittsfeindlichkeit verbunden miteiner Auseinandersetzung mit dessen Liebschaft zu Hannah Arend Mit philologischer Prauml-zision polemisiert sie Teile aus Heideggers Elegie uumlber die Technik und laumlszligt ihn dabei alsbeschraumlnktes und eingezwaumlngtes Wesen in einem Gestell gefangen sein Aus diesem heraussoll er Arend Rede und Antwort stehen uumlber sein Verhaumlltnis zum Nationalsozialismus unddie Shoa Doch dieser redet nur naturtrunken von Heimat und berauscht sich daran Derprophetische Denker wird banalisert ndash diese Worte legt Jelinek ihm (im Stuumlck der alte Mann)in den MundbdquoDie Angst vor dem Fragen liegt uumlber dem Abendland Sie bannt die Kandidaten auf ein
Team-Leibchen verbannt sie auf altgewordene Wege und jagt sie zuruumlck ins morsch geworde-ne Gehaumluse ihrer Tore wo es um ihre Ausscheidungen geht Es wird ihnen alles weggenom-men werden auch der Weg selbst Keine Spur kein Lichtschein aus den Ritzen Aber ruf ichin die Huumltte um nach einem zu fragen den ich gekannt hab sehe ich grad noch eine Tuumlrsich schlieszligen Der Wald kommt nicht zur rechten Geltung alles ist entflohen was mir liebwar und woran ich geglaubt hab Was kommt ist noch nicht da Nichts war Ich habe nichtsgehoumlrt Ich erinnere mich nicht aber ich stelle dem Kommenden das mich den lupenreinenAmateur schon vor Beginn des Rennens erlahmen laumlszligt vorsorglich die Hausschuhe vor dieTuumlr Sie sind das Einzige was die Profis des Profits von mir dann vorfinden werden wennsie anklopfen Die Haumlrte des Urgesteins sollte sie nicht entmutigen Die Jahreszeiten machendie Landschaft auf und zu Ich sage nur In dieser scheinbaren Leere will ich vom Denkenmuumld nur schlafen Von der Huumltte aus lassen sich Wanderungen unternehmen Aber auchsonst wird Ihnen alles wie ich sagte genommen werden Auch Ihre Fotos und Namen Unddas Gewesene wird wesenlosldquo ( Jelinek Elfriede Totenauberg Hamburg 1991 S 86f)
39
Die Oumlffentlichkeit ist fuumlr Heidegger ein Topos der dem Denken und Besinnen
entgegenstuumlnde Somit meint er damit zum Einen die Medien wie er es anhand
der Rede von den Bestandstuumlcken in Das Ge-Stelllsquo erklaumlrt wo der Mensch als
Urheber des Ge-Stells als Wesen der Technik nicht gelten soll Vielmehr wuumlrde er
in Ratlosigkeit und Langeweile verfallen weil er in der Bestellung des Bestandes in
Form von Bestandstuumlcken vom Rundfunk keine Besinnung mehr faumlnde dh das
Ganze also wiederum daswesentliche Ding nicht mehr zu fassen vermoumlge163 Und
so toumlnt es bereits aus den Schwarzen Heften von 19391940()
Die Bildlsquo und Tonlsquo ndash Reportagenlsquo der Machenschaft ist der planetari-sche Mythuslsquo des Vollendungsabschnittes der Neuzeit Die Welt des abge-legensten deutschen Bauernhofes wird nicht mehr durch [] die Naturlsquobestimmt in der noch die Erde waltet sondern durch das illustrierte Blattmit der Darstellung von ausgezogenen Tanzweibern von Boxern und Renn-fahrern und sonstigen Heldenlsquo des Tages164
Und ferner notierte Heidegger 1946 in seinen Schwarzen Heften
Uumlberall zerrt es aus dem Oumlffentlichen ins Oumlffentliche mit vielen Strickenund jeder sieht das kaum versuchte Denken des Seyns am Leitband seinesStrickes165
Dabei waumlre eben ein bdquoLiterat [] ein in die Oumlffentlichkeit verliebter Mensch der
Angst vor dem Denker hatldquo166 Dieses liefe dann darauf hinaus dass beim Rund-
funk bdquoein Bestellen und Stellen waltet das in dasWesen des Menschen eingegriffen
hatldquo167
Abermals nach dem Wesen der Technik also nach dem Ge-Stell gefragt geht
Heidegger auf seine Unterscheidung vonNatur undNaturwissenschaft ein bdquo[w]elches
ist das Verhaumlltnis zwischen der Technik und der Naturldquo168 Natur wuumlrde in wis-
senschaftlicher Hinsicht unter das Berechnete fallen sie wuumlrde bdquoals das in Maszlig
und Zahl gestellte Wirkliche vorgestellt das in seinem Gewirkten staumlndig an-
westldquo169 Wenn Heidegger dann Natur aus technischer Sicht bdquoals ein System des
163 Vgl GA 79 S 38f164 GA 96 S 54165 GA 97 S 100166 GA 97 S 126167 GA 79 S 39168 GA 79 S 41169 Ebd
40
Bestellens von Erfolgen aus dem gestellten Wirksamenldquo170 charakterisiert spricht
er von seiner Rede der Verschraumlnkung von Historie und Technik ndash bdquoTechnik die
Historie der Naturldquolsquo171 Dieses ist bekanntlich das seinsvernichtende Gegenstuumlck
zur geschichtlichen Besinnung Denn geschichtliches Walten der Technik ist fuumlr
Heidegger technische Geschichte dh verwissenschaftlichte Geschichte die da-
durch ihr Wesen verloren haumltte (Seynsvergessenheit)172 So heiszligt es in den Schwar-
zen Heften von 1947
Ein Zeitalter das historisch geworden ist dh technisch planend sich selberberechnet und alles in diesen Sog zieht muszlig jede Besinnung nur als eine dervielen Formen der Intellektualitaumlt registrieren173
Heidegger schlieszligt den Vortrag mit dem Aufgriff der Anfangsbehauptung
bdquo[d]er Bestand bestellt das Abstandsloseldquo174 Somit liegt das Problem der ausblei-
benden Naumlhe durch die Technik deren Wesen das Ge-Stell waumlre das den Bestand
bestelle in der Luft Dass dabei der Mensch sogleich Teil des Bestandes und nicht
Teil der Maschine wird laumlsst ihn das historische Tier sein (2)
Der Mensch ist auswechselbar innerhalb des Bestellens von Bestand []Gleichwohl gehoumlrt der Mensch in einer voumlllig anderen Weise in das Ge-Stellals die Maschine DieseWeise kann unmenschlich werden DasUnmenschlicheist jedoch immer noch unmenschlich Der Mensch wird nie zur MaschineDas Unmenschliche und noch Menschentuumlmliche ist freilich unheimlicherweil boumlsartige und verhaumlngnisvoller denn der Mensch der nur Maschine wauml-re175
Wen Heidegger hier ersinnt ist der neuzeitliche Mensch der den bdquoGoumlttern uner-
traumlglich gewordenldquo176 waumlre
170 Ebd171 GA 95 S 351172 In Heidegger Die Technik und die Kehre S 21 stellt er Geschichte und Historie einander
gegenuumlber was er in Das Ge-Stelllsquo nicht vollzieht bdquoDie moderne Technik kam doch erst inden Gang als sie sich auf die exakte Naturwissenschaft stuumltzen konnte Historisch gerechnetbleibt dies richtig Geschichtlich gedacht trifft es nicht das Wahreldquo Signifikant fuumlr Heideg-gers Attributierung so wie sie oben schon geschildert ist steht Historie fuumlrs Rechnen undGeschichte fuumlr das Denken
173 GA 97 S 508174 GA 79 S 44175 GA 79 S 37176 GA 94 S 236
41
323 Die Gefahrlsquo
Aus Heideggers Darlegung uumlber das Ge-Stell erschlieszligen sich seine diversen Fa-
cetten der Vorstellung einer Abstandslosigkeit schaffenden Technik Dass die Ab-
standslosigkeit dem Prinzip des Gevierts des Zusammengestellten entgegensteht
bekommt im Vortrag Die Gefahrlsquo Nachdruck Die mythopoetische Erzaumlhlung
knuumlpft an den Vortrag Das Dinglsquo an mit den Mythologemene 1 Der Mythos
des geschichtlich sein muumlssens 2 der Mythos des Goumlttlichen 3 das geschichtsbe-
sinnliche Prinzip der Aletheia Zudem wird im Prozess des Vortrags das Ge-Stell
zur Gefahr stilisiert was einen eigenen Mythos erschafft
Durch das bdquouniversale Bestellen des Ge-Stellsldquo177 werde die naumlhernde Naumlhe des
Dings verwehrt Wie im Vortrag Das Dinglsquo fuumlhrt Heidegger das Wesentliche sei-
ner Theorie auf die deutsche und altgriechische Sprache zuruumlck Die so vollzoge-
ne Annaumlherung von Schwarzwaumllderischem Dialekt und Altgriechisch entspricht
Heideggers Traum von dem bdquogeschichtliche[n] Geburtsort des abendlaumlndischen
Wesensldquo178 den seine Heimat von Todtnauberg bis Freiburg stiften sollte (1)
es ist das Geistvolle und zugleich das erdenhafte schoumlne Land Es birgt un-sichtbaren Reichtum dem Gemuumlt bewahret tiefstes Dichten und houmlchsteGestalt der Sage179
Unter diesem Vorzeichen also sagt Heidegger
Das Ge-Stellwesen laumlszligt das Ding ohne die Wahr Das Wort die Wahrlsquo be-deutet in unserer Sprache dort wo sie noch urspruumlnglich spricht die HutIn unserer schwaumlbischen Mundart meint das Wort die Wahrlsquo die der muumlt-terlichen Hut anvertrauten Kinder Das Ge-Stell laumlszligt in seinem Stellen dasDing ohne die Hut ndash ohne die Wahr seines Dingwesens180
Diese in Bremen vorgetragene Heimatkunde ist auch Heideggers Sorge ge-
schuldet durch die Besatzermaumlchte und deren kulturellen Einfluss auch durch
die nun moumlgliche Oumlffnung Deutschlands zu einem Austausch mit der Welt das
eigene Wesen zu verlieren So schreibt er 1945-1947() in seine Schwarzen Hefte
177 GA 79 S 46178 GA 97 S 54179 Ebd180 GA 79 S 46
42
Das Schwerste und Fragwuumlrdigste unseres Geschickes ndash beruht darin ob wirdas Eigene finden und huumlten [] unter den anderen Voumllkernlsquo [] Scheinund Vorwand der Macht daszlig man unsere eigene Aufgabe bringen will []als Entmachtete aufgenommen zu sein in den Weltmachenschaftsbetrieb181
Es gaumlbe nach Heidegger also das Welten von Welt und die Verweigerung von
Welt aus derVerwahrlosung des Dings durch das Ge-Stell bzw die Technik182 Welt
ist nach dem Konzept des schwaumlbischen Denkers nichts weniger als das Geviert
Bei der folgenden mythopoetischen Zusammenstellung von dem Geviert mit alt-
griechischen Vokabeln um den Seins-Begriff wird das Aletheia-Prinzip eingefuumlhrt
Somit fuumlhrt uumlber den Mythos des Goumlttlichen (2) der Weg zur Wahrheit eben als
geschichtsbesinnlich erfahrene Aletheia (3)
Welt ist das Geviert von Erde und Himmel Goumlttlichen und SterblichenDas Spiegel-Spiel der Vierung wahrt alles was in ihm dingend zwischenden Vier anwest und abwest in das einende Ganze seines Anwesens Vonaltersher heiszligt das Anwesen des Anwesenden τὸ ὲόν das Seiend [sic] τὸεἶναι das Sein naumlmlich der ὲόντα des Seinenden das esse entium183
Diese Welt waumlre nun bdquoWahrnis des Wesens von Sein Statt Wahrnis sagen wir auch
Wahrheitldquo184 Die Welt mythopoetisch als Spiegel-Spiel des Gevierts und durch
eine altgriechische Brille betrachtet waumlre die wahre Welt Somit wird die Wahr-
heitsschau gebunden einen antiken Goumltterglauben und abendlaumlndische Sprachkas-
kaden vom Dialekt zum Altgriechisch
Das Problem mit der wahren Welt waumlre allerdings dass sie sich in die Ver-
borgenheit entziehe Naumlher betrachtet ist aber die Verborgenheit Bedingung des
Entbergens was Heidegger notwendig macht zu einem wuumlrdigen Lebensvollzug
in Harmonie mit dem Sein Durch solche Wesensschau waumlre der Mensch befaumlhigt
jederzeit die verstellenden Maumlchte des Ge-Stells (der Technik) zu uumlberwinden und
teilhaftig am Wesen der Welt zu werden
181 GA 97 S 99182 Vgl GA 79 S 47183 GA 79 S 48 (Die griechischen Vokabeln werden hier keiner Uumlbersetzung unterzogen Da
Heidegger ohnehin keine philologische Schaumlrfe anwenden will ist es fuumlr die Zwecke hierausreichend sie mit seiner Uumlbersetzung zu betrachten Heidegger spricht von bdquoAchten aufdas Griechischeldquo was schwieriger waumlre als klassische Philologie (vgl GA 79 S 63)
184 Ebd
43
Welt bleibt in der Verborgenheit (Αήθη) auf die Weise daszlig diese ihre Ver-borgenheit gerade eine Unverborgenheit gewaumlhrt die Αλήθεια185
Die Αλήθεια haumltte allerdings auch eine Rolle uumlber die subjektive hinaus da nur
durch ihren Vollzug Seinsgeschichte gewaumlhrt wuumlrde Das ist der Anspruch den
Heidegger an sein Auditorium stellt gemeinsam geschichtlich sein zu muumlssen (1)
Die Αλήθεια ist das Geschick des Seins als welches Geschick sich die Fuumllleder Seinsgeschichte in ihre Epochen fuumlgt186
Mit dem Ge-Stell als Wesen der modernen Technik waumlre die Aletheia aller-
dings hochgradig gefaumlhrdet Denn ohnehin waumlre die Aletheia prinzipiell der Ge-
fahr der Vergessenheit ausgesetzt Doch das Ge-Stell haumltte die Kraft die bdquovollende-
te Vergessenheit der Wahrheit des Seinsldquo187 zu vollrichten
Indem das Ge-Stell alles Anwesende in den Bestand bestellt setzt das Ge-Stell das Anwesen des Anwesenden heraus aus seiner Wesensherkunft ausder Αλήθεια188
Diese Versetzung des beteiligten Wesens aus der Moumlglichkeit des Wahrheitsprin-
zips heraus markiert Heidegger dann mit der Schreibweise Seyn (mit bdquoyldquo) Wie
bei dem Vortrag Das Dinglsquo koumlnnen ethymologische Abstammungen sein Sys-
tem anreichern Da wo es um das Wortfeld des Stellens geht Ge-Stell Bestellen
Verstellen ist auch das NachstellenMitglied der Familie
Im Althochdeutschen heiszligt nachstellen fara Das in sich gesammelte Stellenals Nachstellen ist die Gefahr Der Grundzug des Wesens der Gefahr ist dasNachstellen Insofern das Sein als das Ge-Stell sich selbst mit der Vergessen-heit seines Wesens nachstellt ist das Seyn als Seyn die Gefahr seines eigenenWesens189
Damit wuumlrde sich durch die Verringerung der Selbstreflexion im Seyns-Bestand
eine Schwachstelle auftun in die der denkbegabte und aletheiafaumlhige Mensch ei-
ne Moumlglichkeit haben das Seyn zum Sein zuruumlckzuwandeln ndash also wieder in ein
185 GA 79 S 49186 Ebd187 GA 79 S 53188 GA 79 S 52189 GA 79 S 53
44
wesentliches Verhaumlltnis zum bdquoDingldquo zu gelangen in dem das Geviert wieder die
Harmonie herstellt Allerdings faumlnde bis zu solch einer Nachstellung eine Ver-
sieglung des Seynsbestandes statt Und Heidegger beklagt dass die Erreichung der
Ruumlckeroberung des Seins uumlber die Nachstellung nicht stattfaumlnde und stattdessen
die Irre regieren wuumlrde190
In dieser Irre stuumlnde dem Menschen nicht einmal mehr zu zu sterben Denn
bdquoSterben [] heiszligt den Tod in sein Wesen austragenldquo191 Somit waumlren die Opfer
die in den KZs umkamen wie er sie in Das Dinglsquo bereits schildert nicht vermouml-
gend gewesen zu sterben bdquoSie werden Bestandstuumlcke eines Bestandes der Fabrika-
tion von Leichen [] Sie werden in Vernichtungslagern unauffaumlllig liquidiertldquo192
Das vermoumlge die Gefahr zu bewirken Der Mensch wuumlrde des eigenen Sterbens
beraubt da er keine Verbindung mehr zur Wahrheit der Welt haumltte Um den rich-
tigen Tod zu sterben muumlsse der Mensch die Aletheia schauen koumlnnen Insofern ist
Heideggers Prinzip ein religioumls anmutendes Wie in der christlichen Vorstellung
der Mensch im Jenseits an seinen Taten gemessen wird um Paradies oder Fege-
feuer zu besuchen soll nach Heidegger der Mensch waumlhrend des Sterbens mit
sich selbst ins Gericht gehen Er soll sich rein machen vom Ge-Stell der Technik
und dem Seyn um nicht die einmalge Gelegenheit des richtigen Sterbevollzugs
zu versaumlumen Es winken gemaumlszlig des Gevierts die himmlischen Goumlttlichen den
irdischen Sterblichen zu wobei annehmbar ist dass Heidegger Sterblichen die
die Aletheia erkennen einen Goumlttlichkeitsstatus beimessen moumlchte ndash eine Erlouml-
sungsphantasie
Genau diese Erloumlsung waumlre die Technik nicht
Ohne den Schritt des Denkens zu wagen der unser Menschenwesen demWesen der Technik [] aussetzt wuumlrgt man sich von Fall zu Fall von Lagezu Lage durch die Zwiespaumlltigkeiten hindurch Und genau durch dieses Ge-wuumlrge versaumlumt man die Moumlglichkeit dessen was man im Grunde erstrebtdie Technik durch menschliches Tun zu meistern und menschenwuumlrdig zulenken193
190 Vgl GA 79 S 55191 GA 79 S 55192 GA 79 S 56 Weil Heidegger im Judentum die Verantwortlichen fuumlr das Geraffe des Ge-Stells
sieht macht er sie gleichsam verantwortlich fuumlr die bdquoSelbstvernichtungldquo Die Seinsverges-senheit im Tode wird dadurch zum Spin-off der vermeintlich juumldisch erzeugten da machen-schaftlichen KZ-Maschinerie (Vgl GA 97 S 20f)
193 GA 79 S 59
45
Trost und Richtung findet Heidegger schlieszliglich abermals bei den alten Griechen
Das Wort stellenlsquo entspricht dem griechischen ϑέσις vorausgesetzt daszlig wirϑέσις griechisch denken Was heiszligt in diesem Falle griechisch denkenlsquo Esheiszligt darauf achten welche Lichtung desWesens des Seyns in welcherWeisedas Dasein der alten Griechen in den Anspruch genommen hat heiszligt imvoraus bedenken in welchem Geschick welcher Unverborgenheit des Seinsdie Griechen standenldquo194
Das sind Vorstellungen des Neuen Anfangs eine Reminiszenz der griechisch anti-
ken Welt Ein Eintrag aus den Schwarzen Heften von etwa 1945-47 () verdichtet
wie oben bereits aufgezeigt die Phantasie griechisch zu sein zu einem gelingenden
Lebensvollzug
Das reine Wesen des Griechentums dh das Seiende inmitten dessen dieGriechen als seiende fremd gewesen dieses und sie selbst und der Bezug desSeins zu ihnen ndash in der einfachen Wesung von der ἀλήθεια her zeigen underfahren Den μῦθος und λόγος ndash jedes Wort und Gebild rein aber nichterzwungen und schematisch-pedant ndash aus ἀλήθεια erfahren195
Hier zeigt sich auch dass Heidegger per se das Aletheia-Prinzip fuumlr notwendig
hielt um ins Licht der Wahrheit zu blicken Die Griechen sind ihm hier deshalb
Vorbild und rein da sie keiner modernen Technik und dem Ge-Stell ausgesetzt
waren sondern lediglich eine mythopoetische Verbindung zum Sein herstellen
mussten um wesentlich zu sein und Seinsgeschichte zu schreiben Die Dinge und
das Spiegel-Spiel des Gevierts waumlren ihnen geschickt zuhanden gewesen196 Hei-
degger macht schlieszliglich sehr deutlich dass das Griechische zu denken ein bei
weitem anderes Geschaumlft sei als philologische Praumlzision
Ein Echo zu sein naumlmlich dem Anspruch des Seins verlangt eine Sorgfaltder Sprache von der freilich der technisch-terminologische Sprachstil derWissenschaften uumlberhaupt nichts wissen kann Die Intentionalitaumlt der wis-senschaftlichen Sprache ist der staumlrkste Beweis fuumlr ihre Boden- und Heimat-losigkeit [] Das Heimische einer hohen Sprache gedeiht nur im Bereichdes unheimlichen Anspruchs der wesenhaften Stille im Wesen des Seyns197
194 GA 79 S 62f195 GA 97 S 20196 Hingegen waumlre das Judentum verantwortlich fuumlr das Ge-Stell fuumlr das Prinzip der Zerstoumlrung
wie es auf der selben Seite der Schwarzen Hefte darunter heiszligt (vgl ebd)197 GA 79 S 66 Die Bedeutung von Seyn als verstelltes Sein oder Bedingung zum Schauen
des wahren Seins ist verwirrend Einer genaueren Analyse wird aus Platzgruumlnden hier nichtnachgegangen
46
324 Die Kehrelsquo
Der letzte Vortrag ist mit nur neun Seiten der Kuumlrzeste des Vortragsgevierts
Nach dem Verlust des Dinges als Ding und der damit einsetzenden Abstandslosig-
keit als Wesen des Ge-Stells wobei die Gefahr zudem der Vergessenheit des Seyns
nachstellt bietet Heidegger eine Perspektive an
Im Wesen der Gefahr verbirgt sich [] die Moumlglichkeit einer Kehre in derdie Vergessenheit des Wesens des Seins sich so wendet daszlig mit dieser Kehredie Wahrheit des Wesens des Seyns in das Seiende eigens einkehrt198
Diese Moumlglichkeit bedeute nicht dass der Mensch sich der Gefahr selbst stellen
koumlnnte sie waumlre passiv ndash bdquoverbirgt sichldquo Die Kehre werde sich ereignen aumlhnlich
einer Erwartung an den Messias
Die Anwesenheit der Gefahr wuumlrde automatisch die Rettung bergen Denn
Houmllderlin haumltte geschrieben bdquoWo aber Gefahr ist waumlchst [d]as Rettende auchlsquoldquo199
Etwa 1945 notiert Heidegger in seine Schwarzen Hefte bdquoDie Wahrheit erfahren
wir im Gedaumlchtnis Das Gedaumlchtnis ist die Dichtungldquo200 (so) Von dieser War-
te aus ausgestattet mit Erinnerungen an das abendlaumlndische Dichten mit dem
Wissen um das Aletheia-Prinzip und passiv als denkender Huumlter des Seyns solle
der Mensch das Ereignis erwarten das ihn bdquoloumlsen freimachen freyen schonen
bergen in die Hut nehmen wahrenldquo201 wuumlrde (siehe S 43)
Dieses Ereignis waumlre der Blitz Ein unvermittelter jaumlher ploumltzlicher Moment
von kurzer Dauer der bloszlig einen ebenso kurzen Blick auf das wahre Wesen er-
lauben wuumlrde Abschlieszligend ist dies das Rezept gegen die Bestands bestellende
Technik in mythopoetischer Formulierung
So entsprechend ist der Mensch geeignet daszlig er im gewahrten Element vonWelt als der Sterbliche dem Goumlttlichen entgegenblickt Anders nicht dennauch der Gott ist wenn er ist ein Seiender steht als Seiender im Seyn unddessen Wesen das sich aus dem Welten von Welt ereignet202
198 GA 79 S 71199 GA 79 S 72200 GA 97 S 52f201 GA 79 S 72202 GA 79 S 76
47
Wenn Heidegger im Anschluss von der bdquohistorisch-technischen Darstellungldquo re-
det so ist dies die Abwehr der Wissenschaften (auch der Philosophie203) und ein
Appell an die Antirationalitaumlt des Mythos bdquokein historisches Vorstellen der Ge-
schichte als Geschehen bringt in den schicklichen Bezug zum Geschickldquo204
Damit das Blitzen erfahren werde als kurze Wesensschau der Aletheia muumlsse
dem wahren abendlaumlndischen und heimatlichen Ereignis stattgegeben werden Es
sollte nicht wie er 1939 schon in den Schwarzen Heften beschreibt das
kuumlnstliche Licht von Historie und Technik in der weder Mensch noch dieGoumltter weder eineWelt noch die Erde sichtbar werden koumlnnen wo aber dasLebenlsquo von allen den immer noch zu wenigen Meistenlsquo erlebtlsquo wird205
Damit schlieszligt der letzte Vortrag mit einer Erwartung an das Ereignis des Blit-
zens nicht das Erleben der Besinnungslosigkeit (vgl Das Ge-Stelllsquo) Schon 1947
traumlumt Heidegger von solcher Umkehr
Aus der Kehre der Seynsvergessenheit aber ereignet sich das Unumgaumlnglicheden Acker der Welt erst zu pfluumlgen und saatbereit der Sonne und dem Regenund den Voumlgeln des Himmels uumlberlassen206
203 Denn ldquo[e]igentlich denken heiszligt [] die Philosophie verlassen [] beim Sagen des Seinslsquoldquo(GA 97 S 60)
204 Ebd205 GA 95 S 427 Gegen das Erlebnis und Erleben straumlubt sich Heidegger besonders So notiert
er etwa 1939 bdquoZeitalter der Techniklsquo macht gerade die Techniklsquo nicht zum Ziel sondernimmer mehr zum Mittel der besinnungslosen Berechnung [] der Mensch [] das Erleb-nislsquo [] Erleben als der Gefuumlhlsgenuszligldquo (GA 95 S 149) Wie auch bdquoWo beide Historie undTechnik in solcher scheinbaren Gegensaumltzlichkeit verkoppelt sind koumlnnen sie sich zur Foumlr-derung dessen zusammenschlieszligen was einstmals wesentlich die Geschichte des Menschenmitbegruumlndete und was wir die Kunstlsquo nennen Die Historie verschafft [] Anregungenund Vorbilder der Nachahmung die Technik erleichtert [] die Zustellung von Darstel-lungsmitteln und Wirkungsformen [] Gleichwohl ist alles wurzellos [] berechnet und alsErlebnislsquo ausgegebenldquo (GA 95 S 212)
206 GA 97 S 511
48
4 Konklusion
Der umstrittene Philosoph Martin Heidegger hat uumlber die 1930erndash40er Jahre
hinweg eine ausgepraumlgte voumllkisch-nationale und bisweilen radikal-antisemitische
Denkweise entwickelt Dieses Denken fasste er auch auf als Besinnung und stellt
es der Philosophie und Wissenschaft diametral entgegen In Kapitel 2 wird aufge-
zeigt dass sowohl Heideggers Mythologie bereits kritisiert wurde (Adorno Cassi-
rer Meyer) als auch seine Mythopoetik bewundert (Schulz-Nieswandt) Kapitel
3 will daruumlber hinaus aufzeigen wie Heidegger eine eigene Mythologie mytho-
poetisch fruchtbar macht was sich von beiden vorigen Ansaumltzen unterscheidet
und erst mit der Veroumlffentlichung der Schwarzen Hefte ab 2014 nachvollziehbar
wurde
Umso mehr bietet die mythopoetische Verbindung von bdquoDichten und Den-
kenldquo (so) einen antitechnischen Gegenpol Denn Heidegger fasst wie oben ge-
schildert alles Rationale auf als berechnende Bestellung des Bestands im Sinne
der Technik Daruumlber hinaus fordert er mit dem Aletheia-Prinzip (als metapho-
risch gefasstes Ereignis des Blitzens) einen Mitvollzug seiner mythopoetischen
Kontemplation in dem religioumlse voumllkische antike und sprachliche Motive zu-
sammenfallen
Obwohl schon von Heidegger selbst nicht mehr als Philosophie betrachtet
hat seine Rede vom Ding dem Ge-Stell dem Wesen der Technik und der Kehre
noch immer einen bedeutenden Einfluss auf die Technikphilosophie So betont
Alfred Nordmann in bdquoWerkwissen oder How to express things in worksldquo (2008)
dass Heidegger mit Das Dinglsquo eine Art Dingwissen geschaffen haumltte In seinem
2012 erschienenen Aufsatz Another parting of the ways Intersubjectivity and the
objectivity of sciencersquo207 geht Nordmann ein weiteres Mal auf Heideggers Ding
ein Dieses waumlre eine Abarbeitung an dem Ding Kants womit auch Nordmann
Heidegger als einen Interpreten Kants versteht208 Anschlieszligend anMichael Fried-
207 Nordmann Alfred Another parting of the ways Intersubjectivity and the objectivity ofscience In Studies in History and Philosophy of Science 43 (2012) 38ndash46
208 Die Auseinandersetzung mit dem Ding wuumlrde nach Nordmann in Heideggers GA mit demText Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalen Grundsaumltzenlsquoeinsetzen (GA 41 Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalenGrundsaumltzen)
49
man spricht sich Nordmann ebenso dafuumlr aus dass Heidegger neben Rudolf Car-
nap und Ernst Cassirer eine neokantianische Philosophie verfolgt haumltte (siehe
Kap 1)209
Nach Nordmann haumltte Heidegger in seinen anschlieszligenden Gedanken uumlber
das Ding als Fortfuumlhrung Kants als erster Wissenschaft als angewandte Techno-
logie verstanden210 Diese Interpretation stuumltzt sich auf die gleichen Symbole
Metaphern und Mythen die die vorliegende Arbeit analysiert Das Ge-Stell ist
insofern aumlquivok mit dem Begriff techno-science Jedoch sind in dieser Fruchtbar-
machung von Heideggers Denken der Technik dessen nationalistischen rassisti-
schen und antisemitischen Implikationen die die vorliegende Arbeit als Zentrum
dessen Philosophie ermitteln konnte noch nicht beachtet worden koumlnnen211
Andreas Luckner webt Heideggers Ding-Entwurf weiter als verantwortliches
Sorgen um die Dinge212 Er geht dabei mit Heidegger voumlllig konform und tritt
eher als eine Art Bote der Ding-Botschaft auf als diese moumlglicherweise zu kriti-
sieren was sich diesen Artikel wie ein Kapitel aus einem Studienbuch lesen laumlsst
Der Darmstaumldter Technikphilosoph Christoph Hubig ist vor allem Kritiker Hei-
deggers Argumentationen laumlsst aber zuweilen diverse Topoi aus dem Werk des
Technik-Denkers durchscheinen ohne sie weiter zu reflektieren
So konstatiert Hubig Heidegger verfehle in dessen Auseinandersetzung mit
Aristoteles Lehre von der Poiesis zum Punkt der Sicherung wie sie in Die Frage
nach der Techniklsquo behandelt wird bdquodie operative Seite des Technischenldquo bei Aris-
totels213 In einem spaumlteren Aufsatz allerdings stuumltzt er sich ohne weitere Erlaumlute-
rungen auf Heideggers Begriff der Sicherung aus Die Frage nach der Techniklsquo214
209 Diese Befriedung paradigmatischer Umstaumlnde wird hier nicht geteilt Eine weitere Bearbeitunglaumlsst der Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht zu
210 Vgl Nordmann Another parting of the ways S 45211 Der Aussage dass Heideggers Ding-Begriff kantianisch waumlre muumlsste einer gezielten Untersu-
chung unterzogen werden genau wie die Behauptung insgesamt dass Heidegger oder inwie-weit dieser noch der suumlddeutschen Kantschule des 1920 Jahrhunderts angehoumlrte
212 Vgl Luckner Andreas Ding und Bestand Heidegger und das Wesen neuzeitlicher TechnikIn Gamm G Gehring P Hubig C Kaminski A und Nordmann A Ding und SystemS 15-30 hier S 29
213 Hubig Christoph Die Kunst des Moumlglichen Technikphilosophie als Reflexion der MedialitaumltBielefeld 2006 S 103
214 Vgl Hubig Christoph Technik als Medium In Grundwald Armin (Hg) Handbuch Tech-nikethik Stuttgart 2013 S 118-123 hier S 118
50
Dabei versteht Hubig Heideggers Betrachtungen zum Umgang mit der Technik
als gelassen
Fuumlr Heidegger liegt die Andersheit im Entbergen einer Wahrheit des Seinseines Geschicks von dem die Entwicklung der Technik hin zum Gestellkuumlnde Er verbindet dies mit dem Appell jenseits des rechnenden und si-chernden Vorstellens technischer Vollzuumlge als handlungsleitender Program-me sich gelassenlsquo dieser Entwicklung zu uumlberantworten und ein Seinlsquo zuhuumlten das sich als solches eben entbirgt Das Rettendelsquo dieser Einsicht lie-ge darin dass unsere individuelle Endlichkeit insofern transzendiert wirdals sie sich dem sie uumlbersteigenden Prozess aufschlieszligt und sich selbst relati-viert215
Wovon in diesem Zitat nicht die Rede ist ist der Mitvollzug der mythopoe-
tischen Rahmenbedinungen die Heidegger einfordert und an dem die Konzep-
te Abendland und voumllkische Tradition haumlngen In dieser Arbeit wird davon aus-
gegangen dass Heideggers Technikphilosophie-erzaumlhlung sich nicht von seinen
Absichten der Bekaumlmpfung des Technischen loumlsen laumlsst Die Relativierung ist in-
sofern nicht an den Prozess gebunden und damit emergent auf alles hin ausge-
richtet was kommen mag sondern houmlchst konvergent in einer Besinnung auf
Mythen von dem Ding und dem Geviert mit all deren Valenzen aus dem vorlie-
genden Heideggerschen Textkorpus Die individuelle Endlichkeit ist genoumltigt die
Heimat und das Abendland zu kennen und im Aletheia-Prinzip umzusetzen
Die Neubewertung der bislang bekannten Heideggerschen Technikphiloso-
phie von vor den SchwarzenHeften ist ein dringendes Desiderat Voumllkisch-nationale
Gruppierungen erstarken momentan in ganz Europa und es koumlnnte sehr hilfreich
sein aumlhnliche Denkstrukturen aufzudecken so wie sie zwischen den 1930er und
40er Jahren entwickelt wurden Zusaumltzlich muss das Werk Heideggers einer kriti-
schen Revision schon aufgrund der niemals von ihm behandelten Antisemitismen
unterzogen werden Heidegger hat nie zu diesen Stellung bezogen
Daruumlber hinaus ist das Thema Mythos und Philosophie ein weiterhin not-
wendiger Bereich der philosophischen Forschung In einem Bereich auszligerhalb
der exakten Wissenschaften und ohne klare theologische Tradition ist die Philo-
215 Hubig Die Kunst des Moumlglichen S 140
51
sophie beides sowohl Aufklaumlrer und antimythisch als auch Quelle fuumlr mythisches
Denken und affektierende Motive
52
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wwwdewikipediaorgwiki Martin_Heidegger_und_der_Nationalsozialismus
Die_Heidegger-Kontroverse ndash zuletzt abgerufen am 24042016)
56
Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
Der Unterzeichner versichert dass er die vorliegende Bachelorarbeit selbststaumlndig
verfasst und keine anderen als die von ihm angegebenen Hilfsmittel benutzt hat
Die Stellen der Arbeit die anderen Werken dem Wortlaut oder dem Sinne nach
entnommen sind wurden in jedem Fall unter Angabe der Quellen (einschlieszliglich
des World Wide Web und anderer elektronischer Text- und Datensammlungen)
kenntlich gemacht Dies gilt auch fuumlr beigegebene Zeichnungen bildliche Dar-
stellungen Skizzen und dergleichen
Darmstadt 25 April 2016
__________________________
(Eigenhaumlndige Unterschrift)
- Abkuumlrzungsverzeichnis
- Danksagung
- Einleitung
- Heideggers mythopoetisches Programm
-
- Zu den Begriffen Mythos Mythologie und Mythopoetik
-
- Ein Beispiel fuumlr ein Mythologem
-
- Heideggers Mythen
-
- Formen der Mythologie
-
- Heideggers mythopoetische Technik
-
- Zur Publikationsgeschichte von den Bremer Vortraumlgen 1949
- Die mythopoetische Spiegelung der Schwarzen Hefte
-
- Das Dinglsquo
- Das Ge-Stelllsquo
- Die Gefahrlsquo
- Die Kehrelsquo
-
- Konklusion
- Literaturverzeichnis
- Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
-
30
1 die antirationale Wissenschaftsfeindlichkeit 2 der Mythos des Goumlttlichen 3
das Griechentum uumlber dem Roumlmertum 4 die Zahlenmystik (anhand des Spiegel-
Spiels des Gevierts ndash su) 5 das geschichtsbesinnliche Prinzip der Aletheia
Heidegger stellt zuerst die Frage nach dem Ding und will sie daraufhin ver-
anschaulichen mittels der Metapher des Kruges dh mit dem Krug als ein exem-
plarisches Ding Er fuumlhrt dann vor (was der Geste eines Zauberkuumlnstlers aumlhnelt)
wie der leere Krug gefuumlllt wird ndash Luft weicht der Fluumlssigkeit Dieses Sachverhaumllt-
nis aber ist fuumlr ihn Halbpoesie und eine Angabe aus der Physik sie verfehle das
vermeintliche Wesen des Kruges
Die Wissenschaft stellt durch sie [die Angabe der Physik DS] etwas Wirk-liches vor wonach sie sich objektiv richtet Aber ndash ist dieses Wirkliche derKrug Nein DieWissenschaft trifft immer nur auf das was ihre Art des Vor-stellens im vorhinein als den fuumlr sie moumlglichen Gegenstand zugelassen hat[] Die Wissenschaft macht das Krug-Ding zu etwas Nichtigem insofernsie Dinge nicht als das Maszliggebende zulaumlszligt123
Als ein wirkmaumlchtiges Beispiel das ihm sicherlich viel Beachtung uumlber die
Jahrzehnte seit ihrer Zuumlndung in Japan hinweg einbrachte fuumlhrt Heidegger die
Atombombe an Diese sei zu verstehen als verdinglichte Wissenschaft die das
Ding vernichten wuumlrde
Deren Explosion ist nur die groumlbste aller groben Bestaumltigungen der langherschon geschehenen Vernichtung des Dinges dessen daszlig das Ding als Dingnichtig bleibt124
Er buumlndelt damit Wissenschaft und Verkennung des Wesens als maszliggebend mit
dem Ding als sein machenschaftliches Prinzip der zerrechnenden Zerstoumlrung Drei
Jahre nach Kriegsende war der buumlrgerlich-elitaumlre Kreis in Bremen sicherlich be-
wegt von dieser Wortgewalt Diese jedoch suchte ja ihr Heim Harmonie Ruhe
in dem Haus als Wesen der Sprache
Und so faumlhrt Heidegger fort und ersetzt das physikalische Prinzip des Inhalts-
wechsels von Luft zu Wein in ein bdquoGeschenk des Gussesldquo als Spende und Opfer
den Goumlttern (2)125
123 GA 79 S 8124 Ebd S 9125 Vgl Ebd S 11f
31
Der Guszlig ist der den unsterblichen Goumlttern gespendete Trank [] Der ge-weihte Trank ist das was das Wort Guszliglsquo eigentlich nennt Spende und Op-fer Guszliglsquo gieszligenlsquo lautet griechisch χέειν indogermanisch ghu Das bedeu-tet opfern
Hier spielt bereits der Ursprungsmythos der Griechenmit ein (3) es ist aber auch
ein Bezug auf das Geviert Dieses waumlre ein System ein zusammen Gestelltes aus
bdquoErde und Himmel die Goumlttlichen und die Sterblichenldquo126 Im Guszlig des Trunkes
weilten gemeinsam diese Vier als emblematische Verbindung
Das im Geschenk Versammelte sammelt sich selbst darin das Geviert ereig-net zu verweilen Dieses vielfaumlltig einfache Versammeln ist das Wesen desKruges Unsere Sprache nennt was Versammlung ist in einem alten WortDies lautet thing127
Das Geviert zehrt von der Zahlenmystik zum einen als die Versammlung der
vier Begriffe an sich zum anderen da Heidegger ihnen eine Spiegel-Funktion
zuschreibt bdquoJedes der Vier spiegelt in seiner Weise das Wesen der uumlbrigen wie-
derldquo128 und ferner weil er damit auf sich selbst dh auf sein Vortrags-Geviert
verweist (4) Wie in Kap 21 schon gesagt lebt der Mythos von seiner Verbind-
lichkeit Diese legt Heidegger allen nah die sie verinnerlichen wollen bdquoSagen wir
die Sterblichen dann denken wir falls wir denken die anderen Drei mit aus der
Einfalt der Vierldquo129
Sollte der Vollzug der Praxis des sukzessiven Mitdenkens aller vier Geviert-
Entitaumlten gelingen koumlnnte das Ereignis der Aletheia begriffen werden (5) bdquoDas
Spiegel-Spiel von Welt ist der Reigen des Ereignensldquo130 Diese wird aber auch be-
griffen in Abgrenzung von dem Roumlmertum (3) denn in der bdquorealitas der resldquo
haumltten die Roumlmer bdquoihr Erfahrenes niemals eigens in seinem Wesen gedachtldquo131
Das waumlre den Griechen vorzubehalten und vom verstaumlndig denkenden Deutschen
wiederzubeleben
126 Ebd S 12127 Ebd S 13128 Ebd S 18129 Ebd130 Ebd S 19131 Ebd S 15
32
Der Krug ist ein Ding weder im Sinne der roumlmisch gemeinten res noch imSinne des mittelalterlich vorgestellten ens noch gar im Sinne des neuzeitlichvorgestellten Gegenstandes [] Der Krug ist Ding insofern er dingt132
Die Bindung an das deutsche Wort bdquoDingldquo das er spielerisch auch ins Englische
Romanische und Franzoumlsische uumlbersetzt ist unerlaumlsslich fuumlr seine ethymologi-
sche Argumentation In der ist der bdquoGuszligldquo ruumlckgefuumlhrt auf indogermanisch bdquoghuldquo
und das bdquoDingldquo auf das mittelhochdeutsche bdquothingldquo So konnten antik die Roumlmer
von den Griechen abgrenzt werden und modern die anderen drei Sprachen vom
Deutschen Das englische sich sehr nah am bdquothingldquo befindliche bdquothingldquo wird mit
dem Roumlmischen ausgespielt
Im Englischen hat thing noch die erfuumlllte Nennkraft des roumlmischen Wor-tes res bewahrt [] dh ein aus sich kommendes den Menschen Angehen-des133
Fuumlr Heidegger geht es beim bdquothingldquo aber um die mittelhochdeutsche Uumlbersetzung
der Versammlung Darauf beruht sein gesamter Systemansatz mit Geviert und
Ge-stell
Schulz-Nieswandt fuumlhrt diese Zusammenstellung zum Bejubeln von Heideg-
gers Mythopoetik
So fundamental sieht Heidegger die Welt Die Quelle des Wassers wird zurHochzeit von Himmel und Erde das Gieszligen des Wassers aus dem Krugzum Geschenk Auch Sprache ist daher kein Instrument sondern Ort desWohnens des Menschen Sprache wird zum Haus des Seinslsquo134
Hier bestaumltigt die Untersuchung des Ding-Vortrags die These von einer mytho-
poetischen Einschreibung der nationalistischen voumllkischen Abgrenzungs-Mythologie
aus den Schwarzen Heften
322 Das Ge-Stelllsquo
Der zweite Vortrag des Reden-Gevierts setzt ein mit der Metapher des fehlen-
den Abstands Wo kein Abstand sei da waumlre auch keine Naumlhe so Heidegger Er
132 Ebd S 16133 Ebd S 14134 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei Walter
F Otto S 59
33
verbindet die Abstandslosigkeit mit Urbanitaumlt und Verkehr alles fluktuiere Es
waumlre der Bestand der sich bestelle in dem das Abstandlose herrsche Das sind
neue Metaphern fuumlr die Machenschaft In seiner Erzaumlhlung vom Ge-Stell gibt es
bedeutend weniger mythopoetische Passagen als in dem vorangegangenen Vor-
trag Allerdings uumlbertraumlgt er den mythopoetischen Gehalt der Rede vom Ding
bereits im ersten Absatz von Das Ge-Stelllsquo mit dem Credo bdquoNaumlhe west insofern
das Ding dingtldquo135 Mit dieser Verbindung wird klar unter welchem Zeichen Hei-
degger die Rede vom Ge-Stell verstanden wissen will ndash als verlorenes Verhaumlltnis
des voumllkisch-traditionell verwurzelten Menschen mit den vermeintlichen Wesen
all seiner Gebrauchsobjekte in der mythopoetischen Formel des sich spiegelnden
Gevierts
Nahezu nuumlchtern erzaumlhlt Heidegger dann von dem Gefaumlngnis des Menschen
im Wesen der zirkulierenden sich immer neu bestellenden Bestandstechnik des
Ge-Stells Dabei scheinen folgende Mythen aus den Schwarzen Heften hindurch ndash
1 bdquoHistorie die Technik der Geschichtelsquo Technik die Historie der Naturlsquoldquo136
2 das historische Tier 3 der Appell an den Auftrag des Deutschen 4 der geschicht-
liche Mensch muss die Historie und damit die Technik uumlberwinden und 5 die
alles zernichtende Machenschaft des juumldischen Wesens
Den Topos der seinsvergessenen Groszligstadt jedenfalls kontrastiert er mit der
Bauerndorfidylle Da aber bdquodas Abstandlose herrschtldquo137 waumlre das Vorruumlcken der
Maschinentechnik bereits universell So in Form des Traktors Schon in Band
96 der Schwarzen Hefte beklagt er dieses bdquozum elektrischen Pflug [] gehoumlrt
das amerikanisch aufgemachte Magazinlsquoldquo Insofern erfolge die bdquoAngleichung der
Sitten der Bergbewohner an diejenigen des groszligstaumldtischen Sport- und Barbe-
triebsldquo138
Sein erster Land-Stadtvergleich betrifft den Bauern dessen Totenruhe tradi-
tionell in einem sg bdquoTotenbaumldquo (Sarg) stattgefunden haumltte ndash bdquoIn ihm gedeiht
der Tod des Totenldquo139 Dem gegenuumlber klingt in der bdquomotorisierten Bestattungs-
135 GA 79 S 24136 GA 95 S 351137 GA 79 S 24138 GA 96 S 54139 GA 79 S 26
34
industrie der Groszligstadtldquo140 bereits Heideggers pietaumltsloser Gaskammernvergleich
an
Ackerbau ist jetzt motorisierte Ernaumlhrungsindustrie im Wesen das Selbewie die Fabrikation von Leichen in Gaskammern und Vernichtungslagerndas Selbe wie die Blockade und Aushungerung von Laumlndern das Selbe wiedie Fabrikation von Wasserstoffbomben141
Hier wird davon ausgegangen dass es eine Uumlbertragung der Notizen uumlber
das deutsche Land als bdquoeinziges KZldquo ist die Unterdruumlckung des deutschen Vol-
kes durch die bdquoWeltdemokratieldquo die schlimmer sei als die Graumlueltaten der bdquoGas-
kammernlsquoldquo142 In die mythopoetische Formel von dem dingenden Ding aus dem
ersten Vortrag sind alle Valenzen eingeschrieben die es zur Aufgabe des abendlaumln-
dischen Deutschen (also als Nachfolger der alten Griechen) machen das Wesen
des Dings und somit der Technik zu huumlten Die Verantwortung fuumlr Genozid
Massenvernichtungswaffen und den Mangel im Nachkriegsdeutschland schreibt
Heidegger gleichfoumlrmig dem Prinzip der Abstandslosigkeit zu
Auch die Rede von der Habgier des Berechnenden ist ein bereits bekannter
Vorbehalt Heideggers anhand der Rede vom raffgierigen Juden Denn er sagt von
der bdquoHerrschaft des Abstandlosenldquo dass sie bdquodie Hab-gier des vorstellenden Be-
rechnensldquo waumlre143 Das entspricht seinem Mythos von der alles zernichtenden
Machenschaft des juumldischen Wesens144
Dann folgt eine lange Elegie uumlber das Bestellen des Bestands des Ge-Stells
bdquo[d]ie Kette des Bestellens laumluft auf nichts hinaus sie geht vielmehr nur in ihren
Kreisgang hineinldquo145 uumlber 19 Seiten des 21 seitigen Vortragsexts hinweg entwirft
Heidegger diverse Bilder wie das Ge-Stell die Natur das Hergestellte den Men-
schen und das Verstandesmaumlszligige vereinnahme und das Wesen desDings gleichsam
zur Veruntreuung bringen wuumlrde Wiederum poetisch orientiert kontrastiert also
140 Ebd141 Ebd S 27142 GA 97 S 99f143 Vgl GA 79 S 25144 Vgl Machenschaft hier S 29 und Geraff hier S 33145 GA 79 S 29
35
Heidegger Houmllderlins Hymne Der Rheinlsquo mit dem Rhein dessen Stroumlmung fuumlr
ein Stromkraftwerk genutzt wird
Achten wir um das Ungeheure das hier waltet zu ermessen nur auf einenAugenblick auf den Gegensatz der sich in den beiden Titeln ausspricht DerRhein verbaut in das Kraftwerk ndash der Rheinlsquo gesagt in der gleichnamigenHymne Houmllderlins146
Die Differenz also waumlre das Ungeheure147 Dabei waumlre der Rhein verbaut in das
Kraftwerk Aumlhnlich wie Kohle Erze und Rohoumll waumlren sie Bestand der bdquobesteht
im Bestellenldquo ndash bdquoDas Bestellen waumlre demnach lediglich eine Machenschaft des
Menschen vollzogen in der Weise der Ausbeutungldquo148
Das Bild des Wasserkraftwerks wird erweitert um den Begriff des Menschen
Elektrizitaumlt mit Wasserkraft erzeugen bdquokoumlnnen die Menschen [] nur insofern
sie selber schon in dieses Bestellen bestellt sindldquo149 Mit diesem Bild versucht Hei-
degger praktisch zu veranschaulichen dass Entwurf Umsetzung und Einsatz ei-
ner technischen Anlage den Menschen in ein entruumlcktes Verhaumlltnis zum Wesen
des dingenden Dings setze ndash bdquoDer Mensch ist darum der Angestellte des Bestel-
146 Ebd147 Das ist zusaumltzlich zu dem gemeinten Gegensatz ein Vergleich mit dem Heidegger dem Wort
bdquoRheinldquo in die Hymne Der Rheinlsquo gesprochen eine Energie erzeugende Wirkung zu-schreibt eben so wie das Kraftwerk Strom erzeugen wuumlrde Das wird klar dadurch dassHeidegger metaphorisch vom Stellen des Wortes bdquoRheinldquo in die Hymne spricht Es handeltsich um einen Appell zur denkerischen Besinnung Dass Heidegger dafuumlr eine technischeAnlage zur Veranschaulichung inspirierend wirken laumlsst spielt bereits in die Richtung derBegriffe bdquoHer-vor-bringenldquo bdquoEntbergenldquo und spielt auf das Alteheia-Prinzip an Darauf wirdweiter unten anhand Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo eingegangen werden Es handelt sich umdas Angebot eines mythopoetischen Umgangs mit Technik insbesondere wenn sie sich inheimische Gefilde einfuumlgtHeute koumlnnte man mit Windraumldern ebenso verfahren Somit koumlnnte aber auch Heidegger
als ein gewisser Quijana aus Mancha verstanden werden eben der Protagonist aus Miguel deCervantes Roman Don Quichote von der Manchalsquo der mit seinem von ihm flux auch um-benannten Klepper (weil er zuvor sich selbst in Don Quichote umtaufte) Rocinante Riesenbezwingen will um mit dieser Heldentat unsterblichen ritterlichen Ruhm zu erstreitenAuch Don Quichote fand seine Riesen in Windmuumlhlen und auch Don Quichote war uumlber
eine uumlbertriebene Auseinandersetzung mit einer verschuumltteten Kultur dieser verfallen undsuchte diese in seiner Aventuumlre zu reaktualisieren Martin Heideggers mythopoetisches Pro-gramm ist tatsaumlchlich stark mit Don Quichotes Motiv vergleichbarFerner waumlre eine Auseinandersetzung mit Heideggers Werk unter Beruumlcksichtigung sei-
ner Gewichtung der Vorsokratiker und Houmllderlin als mythopoetischen Autor eine moumlglicheForschung zum Thema Anachronismen in Konzepten von Moral und gesellschaftlicher An-gemessenheit (Vgl Cervantes Miguel de Don Quichote von der Mancha Herausgeben unduumlbersetzt v Susanne Lange Muumlnchen 2008 S 33f)
148 GA 79 S 29149 GA 79 S 30
36
lensldquo150 Schon vorher wies Heidegger darauf hin bdquo[d]ie Herrschaft des Gegen-
staumlndigen sichert nicht den Abstandldquo151 Jetzt heiszligt es
Das Bestellen befaumlllt nicht nur die Stoffe und Kraumlfte der Natur mit Gestel-lung Das Bestellen befaumlllt zugleich das Geschick des Menschen Das Wesendes Menschen wird daraufhin gestellt das Bestellen in menschlicher Weisemitzuvollziehen152
Der Begriff des Ge-Stells wird daraufhin so konstruiert dass es im Bestellen
um ein Stellen (Herausfordern) alles bdquoAnwesenden als Bestandldquo als bdquoversus unumldquo
gegen bdquodas Eine Ganzeldquo gehe153 In wiederum mythopoetischer Formulierung ge-
baumlre die bdquoVersammlung des Stellens worin alles Bestellbare in seinem Bestand
west das Ge-Stellldquo154 Der Begriff bdquoVersammlungldquo wird einen Absatz zuvor my-
thopoetisch wieder an die Versammlung also das thing eben das wesenhafteDing
angelehnt und somit wie zu Das Dinglsquo bereits oben erlaumlutert in einen deutsch-
abendlaumlndischen Kontext gestellt (3)
Wir nennen die Versammlung der Berge die von sich her einig und nienachtraumlglich schon gesammelt ist das Gebirge Wir nennen die Versamm-lung der Weisen nach denen uns so zumute ist und sein kann das Gemuumlt155
Allerdings ist obiges Versammlungsmodell hier als Kontrast zu sehen zu dem
bdquoGeraff des Getriebesldquo das das Ge-Stell darstellt als bdquoWesen der Technikldquo156 Hei-
degger sieht in der Gleichfoumlrmigkeit die zum Wesen des Technik als Ge-Stell
150 GA 79 S 30151 GA 79 S 25152 GA 79 S 31153 Vgl GA 79 S 32154 GA 79 S 32155 Ebd
Das Wort ldquoGemuumltrdquo hat ferner eine ausschlieszliglich deutsche Praumlgung gibt es doch keinedirekte Uumlbersetzungen Gemuumlth ist ferner ein nicht eindeutig umrissener Begriff (Vgl Kra-mer Cheryce A Foolrsquos Paradise The Psychiatry ofGemuumlth in a Biedermeier Asylum Chica-go 1998 S 19) Die Bedeutung im Deutschen selbst ist zudem sehr variabel hat aber zumeistmit Seelen- oder Geistkonzepten zu tun ndash Cheryce von Xylander (geb Kramer) uumlbersetztGemuumlth mit bdquosoul-organldquo (ebd S 43) das von diversen Autoren unterschiedlich konstru-riert wird (zB von Kant geistigkoumlrperlich und von Kleist individuellkollektiv (vgl ebdS 41)) In Heideggers emblematischem Duktus scheint eine Vermischung von allen vier Di-mensionen geistigkoumlrperlich wie auch individuellkollektiv stattzufinden Es ist auf jedenFall dem Mythos geschuldet den Auftrag des Deutschen anzunehmen (3)
156 GA 79 S 33
37
gehoumlre die planetarische Abloumlsung und Aufhebung des traditionellen und damit
wesenhaft ans Ding gebundenen Verhaumlltnisses vom Menschen zur Erde (das von
ihm idealisierte voumllkische Bauerntum das Bestellen des Ackers) bdquoDie Bestand-
Stuumlcke sind Stuumlck fuumlr Stuumlck die Gleichenldquo157 So kontrastiert er alte Handwerks-
techniken mit Maschinentechnik und schreibt der Maschinentechnik die machen-
schaftliche Verdraumlngung als Geraff zu
Das Ge-Stell hat auch wenn das nicht unmittelbar und nicht sogleich ver-nehmlich wird im vorhinein schon alle diejenigen Stellen beseitigt an denenvormals Spinnrad und Wassermuumlhle standen Das Ge-Stell bestellt durch sei-ne Maschinerie zum voraus eine andere Art und Ordnung von Stellen Andiesen kommt nur zu Stand was als Bestellbares auf der Stelle gleichfoumlrmigzur Stelle steht
Darum ist auch die Art wie die Maschine selbst etwas herstellt einewesentlich andere als das handwerkliche Tun gesetzt daszlig es innerhalb desGe-Stells uumlberhaupt noch so etwas wie ein Herstellen gibt
Die Traktoren und Kraftwagen werden herausgebracht ausgeworfen se-rienweise Stuumlck fuumlr Stuumlck Wo drauszligen steht dieses so Herausgestellte Wo-hin in welchen Stand ist es gebracht158
In dieser Klage uumlber den technischen Wandel der durch den Fortschritt in
alle Lebensbereiche Einzug haumllt versucht Heidegger zu veranschaulichen wel-
chen Verlust es zu erkennen gelte Ein Versuch diesem entgegen zu treten ist die
von ihm vorgetragene Mythopoetik die er in diesem Vortragsteil seines Vortrags-
Gevierts allerdings auffaumlllig zuruumlckgestellt sein laumlszligt War der Einleitungsteil Das
Dinglsquo schlieszliglich eine nahezu einzige mythopoetische Darbietung Dramatur-
gisch wird Heidegger in Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo die mythopoetischen For-
mulierung als Loumlsungswege wieder Bedeutung geben In Das Ge-Stelllsquo versucht
Heidegger hingegen Vorstellungen aus seinen Schwarzen Heften aumlhnlich der fol-
genden mitzuteilen die das Uniforme Gleichfoumlrmige betreffen
Die Macht der Machenschaft ndash die Vernichtung sogar der Gottlosigkeit dieVermenschung des Menschen in das Tier die Vernutzung der Erde die Ver-rechnung der Welt ndash ist in den Zustand der Endguumlltigkeit uumlbergegangenUnterschiede der Voumllker Staaten Kulturen sind nur noch Fassade159
157 GA 79 S 36158 GA 79 S 35159 GA 96 S 52f
38
Was Heidegger unter dieser Gleichfoumlrmigkeit versteht schreibt er in den Schwar-
zen Heften zumeist den Amerikanern zu Er nennt es auch haumlufig Planetarismus
Der Amerikanismus [ist DS] die Zusammenraffung von Allem welcheZusammenraffung immer zugleich die Entwurzelung des Gerafften bedeu-tet160
Der Planetarismus ist die historisch gedachte Bestimmung der uumlberall glei-chen die ganze Erde uumlberdeckenden Seinsverlassenheit des Seienden161
Die Gegenuumlberstellung von natuumlrlicher und traditioneller Handwerkstechnik
gegen maschinenhafte Gleichfoumlrmigkeit exemplifiziert Heidegger dann im Vor-
trag Das Ge-Stelllsquo vielfach wie zum Beispiel hier
Der Forstwart zB der im Wald das geschlagene Holz vermiszligt und demAnschein nach noch wie sein Groszligvater in der gleichen Weise die selbenWege geht ist heute von der Holzverwertungsindustrie gestellt Er ist ober es weiszlig oder nicht in seiner Weise Bestand-Stuumlck des Zellulosebestandesund dessen Bestellbarkeit fuumlr das Papier das den Zeitungen und illustrier-ten Magazinen zugestellt wird die uumlber die Oumlffentlichkeit daraufhin stellenverschlungen werden162
160 GA 96 S 257161 GA 96 S 261162 GA 79 S 37f
Die renommierte Theaterautorin Elfriede Jelinek karikiert in ihrem Stuumlck Totenaubergvon 1991 Heideggers Konstrukt von Heimat und Fortschrittsfeindlichkeit verbunden miteiner Auseinandersetzung mit dessen Liebschaft zu Hannah Arend Mit philologischer Prauml-zision polemisiert sie Teile aus Heideggers Elegie uumlber die Technik und laumlszligt ihn dabei alsbeschraumlnktes und eingezwaumlngtes Wesen in einem Gestell gefangen sein Aus diesem heraussoll er Arend Rede und Antwort stehen uumlber sein Verhaumlltnis zum Nationalsozialismus unddie Shoa Doch dieser redet nur naturtrunken von Heimat und berauscht sich daran Derprophetische Denker wird banalisert ndash diese Worte legt Jelinek ihm (im Stuumlck der alte Mann)in den MundbdquoDie Angst vor dem Fragen liegt uumlber dem Abendland Sie bannt die Kandidaten auf ein
Team-Leibchen verbannt sie auf altgewordene Wege und jagt sie zuruumlck ins morsch geworde-ne Gehaumluse ihrer Tore wo es um ihre Ausscheidungen geht Es wird ihnen alles weggenom-men werden auch der Weg selbst Keine Spur kein Lichtschein aus den Ritzen Aber ruf ichin die Huumltte um nach einem zu fragen den ich gekannt hab sehe ich grad noch eine Tuumlrsich schlieszligen Der Wald kommt nicht zur rechten Geltung alles ist entflohen was mir liebwar und woran ich geglaubt hab Was kommt ist noch nicht da Nichts war Ich habe nichtsgehoumlrt Ich erinnere mich nicht aber ich stelle dem Kommenden das mich den lupenreinenAmateur schon vor Beginn des Rennens erlahmen laumlszligt vorsorglich die Hausschuhe vor dieTuumlr Sie sind das Einzige was die Profis des Profits von mir dann vorfinden werden wennsie anklopfen Die Haumlrte des Urgesteins sollte sie nicht entmutigen Die Jahreszeiten machendie Landschaft auf und zu Ich sage nur In dieser scheinbaren Leere will ich vom Denkenmuumld nur schlafen Von der Huumltte aus lassen sich Wanderungen unternehmen Aber auchsonst wird Ihnen alles wie ich sagte genommen werden Auch Ihre Fotos und Namen Unddas Gewesene wird wesenlosldquo ( Jelinek Elfriede Totenauberg Hamburg 1991 S 86f)
39
Die Oumlffentlichkeit ist fuumlr Heidegger ein Topos der dem Denken und Besinnen
entgegenstuumlnde Somit meint er damit zum Einen die Medien wie er es anhand
der Rede von den Bestandstuumlcken in Das Ge-Stelllsquo erklaumlrt wo der Mensch als
Urheber des Ge-Stells als Wesen der Technik nicht gelten soll Vielmehr wuumlrde er
in Ratlosigkeit und Langeweile verfallen weil er in der Bestellung des Bestandes in
Form von Bestandstuumlcken vom Rundfunk keine Besinnung mehr faumlnde dh das
Ganze also wiederum daswesentliche Ding nicht mehr zu fassen vermoumlge163 Und
so toumlnt es bereits aus den Schwarzen Heften von 19391940()
Die Bildlsquo und Tonlsquo ndash Reportagenlsquo der Machenschaft ist der planetari-sche Mythuslsquo des Vollendungsabschnittes der Neuzeit Die Welt des abge-legensten deutschen Bauernhofes wird nicht mehr durch [] die Naturlsquobestimmt in der noch die Erde waltet sondern durch das illustrierte Blattmit der Darstellung von ausgezogenen Tanzweibern von Boxern und Renn-fahrern und sonstigen Heldenlsquo des Tages164
Und ferner notierte Heidegger 1946 in seinen Schwarzen Heften
Uumlberall zerrt es aus dem Oumlffentlichen ins Oumlffentliche mit vielen Strickenund jeder sieht das kaum versuchte Denken des Seyns am Leitband seinesStrickes165
Dabei waumlre eben ein bdquoLiterat [] ein in die Oumlffentlichkeit verliebter Mensch der
Angst vor dem Denker hatldquo166 Dieses liefe dann darauf hinaus dass beim Rund-
funk bdquoein Bestellen und Stellen waltet das in dasWesen des Menschen eingegriffen
hatldquo167
Abermals nach dem Wesen der Technik also nach dem Ge-Stell gefragt geht
Heidegger auf seine Unterscheidung vonNatur undNaturwissenschaft ein bdquo[w]elches
ist das Verhaumlltnis zwischen der Technik und der Naturldquo168 Natur wuumlrde in wis-
senschaftlicher Hinsicht unter das Berechnete fallen sie wuumlrde bdquoals das in Maszlig
und Zahl gestellte Wirkliche vorgestellt das in seinem Gewirkten staumlndig an-
westldquo169 Wenn Heidegger dann Natur aus technischer Sicht bdquoals ein System des
163 Vgl GA 79 S 38f164 GA 96 S 54165 GA 97 S 100166 GA 97 S 126167 GA 79 S 39168 GA 79 S 41169 Ebd
40
Bestellens von Erfolgen aus dem gestellten Wirksamenldquo170 charakterisiert spricht
er von seiner Rede der Verschraumlnkung von Historie und Technik ndash bdquoTechnik die
Historie der Naturldquolsquo171 Dieses ist bekanntlich das seinsvernichtende Gegenstuumlck
zur geschichtlichen Besinnung Denn geschichtliches Walten der Technik ist fuumlr
Heidegger technische Geschichte dh verwissenschaftlichte Geschichte die da-
durch ihr Wesen verloren haumltte (Seynsvergessenheit)172 So heiszligt es in den Schwar-
zen Heften von 1947
Ein Zeitalter das historisch geworden ist dh technisch planend sich selberberechnet und alles in diesen Sog zieht muszlig jede Besinnung nur als eine dervielen Formen der Intellektualitaumlt registrieren173
Heidegger schlieszligt den Vortrag mit dem Aufgriff der Anfangsbehauptung
bdquo[d]er Bestand bestellt das Abstandsloseldquo174 Somit liegt das Problem der ausblei-
benden Naumlhe durch die Technik deren Wesen das Ge-Stell waumlre das den Bestand
bestelle in der Luft Dass dabei der Mensch sogleich Teil des Bestandes und nicht
Teil der Maschine wird laumlsst ihn das historische Tier sein (2)
Der Mensch ist auswechselbar innerhalb des Bestellens von Bestand []Gleichwohl gehoumlrt der Mensch in einer voumlllig anderen Weise in das Ge-Stellals die Maschine DieseWeise kann unmenschlich werden DasUnmenschlicheist jedoch immer noch unmenschlich Der Mensch wird nie zur MaschineDas Unmenschliche und noch Menschentuumlmliche ist freilich unheimlicherweil boumlsartige und verhaumlngnisvoller denn der Mensch der nur Maschine wauml-re175
Wen Heidegger hier ersinnt ist der neuzeitliche Mensch der den bdquoGoumlttern uner-
traumlglich gewordenldquo176 waumlre
170 Ebd171 GA 95 S 351172 In Heidegger Die Technik und die Kehre S 21 stellt er Geschichte und Historie einander
gegenuumlber was er in Das Ge-Stelllsquo nicht vollzieht bdquoDie moderne Technik kam doch erst inden Gang als sie sich auf die exakte Naturwissenschaft stuumltzen konnte Historisch gerechnetbleibt dies richtig Geschichtlich gedacht trifft es nicht das Wahreldquo Signifikant fuumlr Heideg-gers Attributierung so wie sie oben schon geschildert ist steht Historie fuumlrs Rechnen undGeschichte fuumlr das Denken
173 GA 97 S 508174 GA 79 S 44175 GA 79 S 37176 GA 94 S 236
41
323 Die Gefahrlsquo
Aus Heideggers Darlegung uumlber das Ge-Stell erschlieszligen sich seine diversen Fa-
cetten der Vorstellung einer Abstandslosigkeit schaffenden Technik Dass die Ab-
standslosigkeit dem Prinzip des Gevierts des Zusammengestellten entgegensteht
bekommt im Vortrag Die Gefahrlsquo Nachdruck Die mythopoetische Erzaumlhlung
knuumlpft an den Vortrag Das Dinglsquo an mit den Mythologemene 1 Der Mythos
des geschichtlich sein muumlssens 2 der Mythos des Goumlttlichen 3 das geschichtsbe-
sinnliche Prinzip der Aletheia Zudem wird im Prozess des Vortrags das Ge-Stell
zur Gefahr stilisiert was einen eigenen Mythos erschafft
Durch das bdquouniversale Bestellen des Ge-Stellsldquo177 werde die naumlhernde Naumlhe des
Dings verwehrt Wie im Vortrag Das Dinglsquo fuumlhrt Heidegger das Wesentliche sei-
ner Theorie auf die deutsche und altgriechische Sprache zuruumlck Die so vollzoge-
ne Annaumlherung von Schwarzwaumllderischem Dialekt und Altgriechisch entspricht
Heideggers Traum von dem bdquogeschichtliche[n] Geburtsort des abendlaumlndischen
Wesensldquo178 den seine Heimat von Todtnauberg bis Freiburg stiften sollte (1)
es ist das Geistvolle und zugleich das erdenhafte schoumlne Land Es birgt un-sichtbaren Reichtum dem Gemuumlt bewahret tiefstes Dichten und houmlchsteGestalt der Sage179
Unter diesem Vorzeichen also sagt Heidegger
Das Ge-Stellwesen laumlszligt das Ding ohne die Wahr Das Wort die Wahrlsquo be-deutet in unserer Sprache dort wo sie noch urspruumlnglich spricht die HutIn unserer schwaumlbischen Mundart meint das Wort die Wahrlsquo die der muumlt-terlichen Hut anvertrauten Kinder Das Ge-Stell laumlszligt in seinem Stellen dasDing ohne die Hut ndash ohne die Wahr seines Dingwesens180
Diese in Bremen vorgetragene Heimatkunde ist auch Heideggers Sorge ge-
schuldet durch die Besatzermaumlchte und deren kulturellen Einfluss auch durch
die nun moumlgliche Oumlffnung Deutschlands zu einem Austausch mit der Welt das
eigene Wesen zu verlieren So schreibt er 1945-1947() in seine Schwarzen Hefte
177 GA 79 S 46178 GA 97 S 54179 Ebd180 GA 79 S 46
42
Das Schwerste und Fragwuumlrdigste unseres Geschickes ndash beruht darin ob wirdas Eigene finden und huumlten [] unter den anderen Voumllkernlsquo [] Scheinund Vorwand der Macht daszlig man unsere eigene Aufgabe bringen will []als Entmachtete aufgenommen zu sein in den Weltmachenschaftsbetrieb181
Es gaumlbe nach Heidegger also das Welten von Welt und die Verweigerung von
Welt aus derVerwahrlosung des Dings durch das Ge-Stell bzw die Technik182 Welt
ist nach dem Konzept des schwaumlbischen Denkers nichts weniger als das Geviert
Bei der folgenden mythopoetischen Zusammenstellung von dem Geviert mit alt-
griechischen Vokabeln um den Seins-Begriff wird das Aletheia-Prinzip eingefuumlhrt
Somit fuumlhrt uumlber den Mythos des Goumlttlichen (2) der Weg zur Wahrheit eben als
geschichtsbesinnlich erfahrene Aletheia (3)
Welt ist das Geviert von Erde und Himmel Goumlttlichen und SterblichenDas Spiegel-Spiel der Vierung wahrt alles was in ihm dingend zwischenden Vier anwest und abwest in das einende Ganze seines Anwesens Vonaltersher heiszligt das Anwesen des Anwesenden τὸ ὲόν das Seiend [sic] τὸεἶναι das Sein naumlmlich der ὲόντα des Seinenden das esse entium183
Diese Welt waumlre nun bdquoWahrnis des Wesens von Sein Statt Wahrnis sagen wir auch
Wahrheitldquo184 Die Welt mythopoetisch als Spiegel-Spiel des Gevierts und durch
eine altgriechische Brille betrachtet waumlre die wahre Welt Somit wird die Wahr-
heitsschau gebunden einen antiken Goumltterglauben und abendlaumlndische Sprachkas-
kaden vom Dialekt zum Altgriechisch
Das Problem mit der wahren Welt waumlre allerdings dass sie sich in die Ver-
borgenheit entziehe Naumlher betrachtet ist aber die Verborgenheit Bedingung des
Entbergens was Heidegger notwendig macht zu einem wuumlrdigen Lebensvollzug
in Harmonie mit dem Sein Durch solche Wesensschau waumlre der Mensch befaumlhigt
jederzeit die verstellenden Maumlchte des Ge-Stells (der Technik) zu uumlberwinden und
teilhaftig am Wesen der Welt zu werden
181 GA 97 S 99182 Vgl GA 79 S 47183 GA 79 S 48 (Die griechischen Vokabeln werden hier keiner Uumlbersetzung unterzogen Da
Heidegger ohnehin keine philologische Schaumlrfe anwenden will ist es fuumlr die Zwecke hierausreichend sie mit seiner Uumlbersetzung zu betrachten Heidegger spricht von bdquoAchten aufdas Griechischeldquo was schwieriger waumlre als klassische Philologie (vgl GA 79 S 63)
184 Ebd
43
Welt bleibt in der Verborgenheit (Αήθη) auf die Weise daszlig diese ihre Ver-borgenheit gerade eine Unverborgenheit gewaumlhrt die Αλήθεια185
Die Αλήθεια haumltte allerdings auch eine Rolle uumlber die subjektive hinaus da nur
durch ihren Vollzug Seinsgeschichte gewaumlhrt wuumlrde Das ist der Anspruch den
Heidegger an sein Auditorium stellt gemeinsam geschichtlich sein zu muumlssen (1)
Die Αλήθεια ist das Geschick des Seins als welches Geschick sich die Fuumllleder Seinsgeschichte in ihre Epochen fuumlgt186
Mit dem Ge-Stell als Wesen der modernen Technik waumlre die Aletheia aller-
dings hochgradig gefaumlhrdet Denn ohnehin waumlre die Aletheia prinzipiell der Ge-
fahr der Vergessenheit ausgesetzt Doch das Ge-Stell haumltte die Kraft die bdquovollende-
te Vergessenheit der Wahrheit des Seinsldquo187 zu vollrichten
Indem das Ge-Stell alles Anwesende in den Bestand bestellt setzt das Ge-Stell das Anwesen des Anwesenden heraus aus seiner Wesensherkunft ausder Αλήθεια188
Diese Versetzung des beteiligten Wesens aus der Moumlglichkeit des Wahrheitsprin-
zips heraus markiert Heidegger dann mit der Schreibweise Seyn (mit bdquoyldquo) Wie
bei dem Vortrag Das Dinglsquo koumlnnen ethymologische Abstammungen sein Sys-
tem anreichern Da wo es um das Wortfeld des Stellens geht Ge-Stell Bestellen
Verstellen ist auch das NachstellenMitglied der Familie
Im Althochdeutschen heiszligt nachstellen fara Das in sich gesammelte Stellenals Nachstellen ist die Gefahr Der Grundzug des Wesens der Gefahr ist dasNachstellen Insofern das Sein als das Ge-Stell sich selbst mit der Vergessen-heit seines Wesens nachstellt ist das Seyn als Seyn die Gefahr seines eigenenWesens189
Damit wuumlrde sich durch die Verringerung der Selbstreflexion im Seyns-Bestand
eine Schwachstelle auftun in die der denkbegabte und aletheiafaumlhige Mensch ei-
ne Moumlglichkeit haben das Seyn zum Sein zuruumlckzuwandeln ndash also wieder in ein
185 GA 79 S 49186 Ebd187 GA 79 S 53188 GA 79 S 52189 GA 79 S 53
44
wesentliches Verhaumlltnis zum bdquoDingldquo zu gelangen in dem das Geviert wieder die
Harmonie herstellt Allerdings faumlnde bis zu solch einer Nachstellung eine Ver-
sieglung des Seynsbestandes statt Und Heidegger beklagt dass die Erreichung der
Ruumlckeroberung des Seins uumlber die Nachstellung nicht stattfaumlnde und stattdessen
die Irre regieren wuumlrde190
In dieser Irre stuumlnde dem Menschen nicht einmal mehr zu zu sterben Denn
bdquoSterben [] heiszligt den Tod in sein Wesen austragenldquo191 Somit waumlren die Opfer
die in den KZs umkamen wie er sie in Das Dinglsquo bereits schildert nicht vermouml-
gend gewesen zu sterben bdquoSie werden Bestandstuumlcke eines Bestandes der Fabrika-
tion von Leichen [] Sie werden in Vernichtungslagern unauffaumlllig liquidiertldquo192
Das vermoumlge die Gefahr zu bewirken Der Mensch wuumlrde des eigenen Sterbens
beraubt da er keine Verbindung mehr zur Wahrheit der Welt haumltte Um den rich-
tigen Tod zu sterben muumlsse der Mensch die Aletheia schauen koumlnnen Insofern ist
Heideggers Prinzip ein religioumls anmutendes Wie in der christlichen Vorstellung
der Mensch im Jenseits an seinen Taten gemessen wird um Paradies oder Fege-
feuer zu besuchen soll nach Heidegger der Mensch waumlhrend des Sterbens mit
sich selbst ins Gericht gehen Er soll sich rein machen vom Ge-Stell der Technik
und dem Seyn um nicht die einmalge Gelegenheit des richtigen Sterbevollzugs
zu versaumlumen Es winken gemaumlszlig des Gevierts die himmlischen Goumlttlichen den
irdischen Sterblichen zu wobei annehmbar ist dass Heidegger Sterblichen die
die Aletheia erkennen einen Goumlttlichkeitsstatus beimessen moumlchte ndash eine Erlouml-
sungsphantasie
Genau diese Erloumlsung waumlre die Technik nicht
Ohne den Schritt des Denkens zu wagen der unser Menschenwesen demWesen der Technik [] aussetzt wuumlrgt man sich von Fall zu Fall von Lagezu Lage durch die Zwiespaumlltigkeiten hindurch Und genau durch dieses Ge-wuumlrge versaumlumt man die Moumlglichkeit dessen was man im Grunde erstrebtdie Technik durch menschliches Tun zu meistern und menschenwuumlrdig zulenken193
190 Vgl GA 79 S 55191 GA 79 S 55192 GA 79 S 56 Weil Heidegger im Judentum die Verantwortlichen fuumlr das Geraffe des Ge-Stells
sieht macht er sie gleichsam verantwortlich fuumlr die bdquoSelbstvernichtungldquo Die Seinsverges-senheit im Tode wird dadurch zum Spin-off der vermeintlich juumldisch erzeugten da machen-schaftlichen KZ-Maschinerie (Vgl GA 97 S 20f)
193 GA 79 S 59
45
Trost und Richtung findet Heidegger schlieszliglich abermals bei den alten Griechen
Das Wort stellenlsquo entspricht dem griechischen ϑέσις vorausgesetzt daszlig wirϑέσις griechisch denken Was heiszligt in diesem Falle griechisch denkenlsquo Esheiszligt darauf achten welche Lichtung desWesens des Seyns in welcherWeisedas Dasein der alten Griechen in den Anspruch genommen hat heiszligt imvoraus bedenken in welchem Geschick welcher Unverborgenheit des Seinsdie Griechen standenldquo194
Das sind Vorstellungen des Neuen Anfangs eine Reminiszenz der griechisch anti-
ken Welt Ein Eintrag aus den Schwarzen Heften von etwa 1945-47 () verdichtet
wie oben bereits aufgezeigt die Phantasie griechisch zu sein zu einem gelingenden
Lebensvollzug
Das reine Wesen des Griechentums dh das Seiende inmitten dessen dieGriechen als seiende fremd gewesen dieses und sie selbst und der Bezug desSeins zu ihnen ndash in der einfachen Wesung von der ἀλήθεια her zeigen underfahren Den μῦθος und λόγος ndash jedes Wort und Gebild rein aber nichterzwungen und schematisch-pedant ndash aus ἀλήθεια erfahren195
Hier zeigt sich auch dass Heidegger per se das Aletheia-Prinzip fuumlr notwendig
hielt um ins Licht der Wahrheit zu blicken Die Griechen sind ihm hier deshalb
Vorbild und rein da sie keiner modernen Technik und dem Ge-Stell ausgesetzt
waren sondern lediglich eine mythopoetische Verbindung zum Sein herstellen
mussten um wesentlich zu sein und Seinsgeschichte zu schreiben Die Dinge und
das Spiegel-Spiel des Gevierts waumlren ihnen geschickt zuhanden gewesen196 Hei-
degger macht schlieszliglich sehr deutlich dass das Griechische zu denken ein bei
weitem anderes Geschaumlft sei als philologische Praumlzision
Ein Echo zu sein naumlmlich dem Anspruch des Seins verlangt eine Sorgfaltder Sprache von der freilich der technisch-terminologische Sprachstil derWissenschaften uumlberhaupt nichts wissen kann Die Intentionalitaumlt der wis-senschaftlichen Sprache ist der staumlrkste Beweis fuumlr ihre Boden- und Heimat-losigkeit [] Das Heimische einer hohen Sprache gedeiht nur im Bereichdes unheimlichen Anspruchs der wesenhaften Stille im Wesen des Seyns197
194 GA 79 S 62f195 GA 97 S 20196 Hingegen waumlre das Judentum verantwortlich fuumlr das Ge-Stell fuumlr das Prinzip der Zerstoumlrung
wie es auf der selben Seite der Schwarzen Hefte darunter heiszligt (vgl ebd)197 GA 79 S 66 Die Bedeutung von Seyn als verstelltes Sein oder Bedingung zum Schauen
des wahren Seins ist verwirrend Einer genaueren Analyse wird aus Platzgruumlnden hier nichtnachgegangen
46
324 Die Kehrelsquo
Der letzte Vortrag ist mit nur neun Seiten der Kuumlrzeste des Vortragsgevierts
Nach dem Verlust des Dinges als Ding und der damit einsetzenden Abstandslosig-
keit als Wesen des Ge-Stells wobei die Gefahr zudem der Vergessenheit des Seyns
nachstellt bietet Heidegger eine Perspektive an
Im Wesen der Gefahr verbirgt sich [] die Moumlglichkeit einer Kehre in derdie Vergessenheit des Wesens des Seins sich so wendet daszlig mit dieser Kehredie Wahrheit des Wesens des Seyns in das Seiende eigens einkehrt198
Diese Moumlglichkeit bedeute nicht dass der Mensch sich der Gefahr selbst stellen
koumlnnte sie waumlre passiv ndash bdquoverbirgt sichldquo Die Kehre werde sich ereignen aumlhnlich
einer Erwartung an den Messias
Die Anwesenheit der Gefahr wuumlrde automatisch die Rettung bergen Denn
Houmllderlin haumltte geschrieben bdquoWo aber Gefahr ist waumlchst [d]as Rettende auchlsquoldquo199
Etwa 1945 notiert Heidegger in seine Schwarzen Hefte bdquoDie Wahrheit erfahren
wir im Gedaumlchtnis Das Gedaumlchtnis ist die Dichtungldquo200 (so) Von dieser War-
te aus ausgestattet mit Erinnerungen an das abendlaumlndische Dichten mit dem
Wissen um das Aletheia-Prinzip und passiv als denkender Huumlter des Seyns solle
der Mensch das Ereignis erwarten das ihn bdquoloumlsen freimachen freyen schonen
bergen in die Hut nehmen wahrenldquo201 wuumlrde (siehe S 43)
Dieses Ereignis waumlre der Blitz Ein unvermittelter jaumlher ploumltzlicher Moment
von kurzer Dauer der bloszlig einen ebenso kurzen Blick auf das wahre Wesen er-
lauben wuumlrde Abschlieszligend ist dies das Rezept gegen die Bestands bestellende
Technik in mythopoetischer Formulierung
So entsprechend ist der Mensch geeignet daszlig er im gewahrten Element vonWelt als der Sterbliche dem Goumlttlichen entgegenblickt Anders nicht dennauch der Gott ist wenn er ist ein Seiender steht als Seiender im Seyn unddessen Wesen das sich aus dem Welten von Welt ereignet202
198 GA 79 S 71199 GA 79 S 72200 GA 97 S 52f201 GA 79 S 72202 GA 79 S 76
47
Wenn Heidegger im Anschluss von der bdquohistorisch-technischen Darstellungldquo re-
det so ist dies die Abwehr der Wissenschaften (auch der Philosophie203) und ein
Appell an die Antirationalitaumlt des Mythos bdquokein historisches Vorstellen der Ge-
schichte als Geschehen bringt in den schicklichen Bezug zum Geschickldquo204
Damit das Blitzen erfahren werde als kurze Wesensschau der Aletheia muumlsse
dem wahren abendlaumlndischen und heimatlichen Ereignis stattgegeben werden Es
sollte nicht wie er 1939 schon in den Schwarzen Heften beschreibt das
kuumlnstliche Licht von Historie und Technik in der weder Mensch noch dieGoumltter weder eineWelt noch die Erde sichtbar werden koumlnnen wo aber dasLebenlsquo von allen den immer noch zu wenigen Meistenlsquo erlebtlsquo wird205
Damit schlieszligt der letzte Vortrag mit einer Erwartung an das Ereignis des Blit-
zens nicht das Erleben der Besinnungslosigkeit (vgl Das Ge-Stelllsquo) Schon 1947
traumlumt Heidegger von solcher Umkehr
Aus der Kehre der Seynsvergessenheit aber ereignet sich das Unumgaumlnglicheden Acker der Welt erst zu pfluumlgen und saatbereit der Sonne und dem Regenund den Voumlgeln des Himmels uumlberlassen206
203 Denn ldquo[e]igentlich denken heiszligt [] die Philosophie verlassen [] beim Sagen des Seinslsquoldquo(GA 97 S 60)
204 Ebd205 GA 95 S 427 Gegen das Erlebnis und Erleben straumlubt sich Heidegger besonders So notiert
er etwa 1939 bdquoZeitalter der Techniklsquo macht gerade die Techniklsquo nicht zum Ziel sondernimmer mehr zum Mittel der besinnungslosen Berechnung [] der Mensch [] das Erleb-nislsquo [] Erleben als der Gefuumlhlsgenuszligldquo (GA 95 S 149) Wie auch bdquoWo beide Historie undTechnik in solcher scheinbaren Gegensaumltzlichkeit verkoppelt sind koumlnnen sie sich zur Foumlr-derung dessen zusammenschlieszligen was einstmals wesentlich die Geschichte des Menschenmitbegruumlndete und was wir die Kunstlsquo nennen Die Historie verschafft [] Anregungenund Vorbilder der Nachahmung die Technik erleichtert [] die Zustellung von Darstel-lungsmitteln und Wirkungsformen [] Gleichwohl ist alles wurzellos [] berechnet und alsErlebnislsquo ausgegebenldquo (GA 95 S 212)
206 GA 97 S 511
48
4 Konklusion
Der umstrittene Philosoph Martin Heidegger hat uumlber die 1930erndash40er Jahre
hinweg eine ausgepraumlgte voumllkisch-nationale und bisweilen radikal-antisemitische
Denkweise entwickelt Dieses Denken fasste er auch auf als Besinnung und stellt
es der Philosophie und Wissenschaft diametral entgegen In Kapitel 2 wird aufge-
zeigt dass sowohl Heideggers Mythologie bereits kritisiert wurde (Adorno Cassi-
rer Meyer) als auch seine Mythopoetik bewundert (Schulz-Nieswandt) Kapitel
3 will daruumlber hinaus aufzeigen wie Heidegger eine eigene Mythologie mytho-
poetisch fruchtbar macht was sich von beiden vorigen Ansaumltzen unterscheidet
und erst mit der Veroumlffentlichung der Schwarzen Hefte ab 2014 nachvollziehbar
wurde
Umso mehr bietet die mythopoetische Verbindung von bdquoDichten und Den-
kenldquo (so) einen antitechnischen Gegenpol Denn Heidegger fasst wie oben ge-
schildert alles Rationale auf als berechnende Bestellung des Bestands im Sinne
der Technik Daruumlber hinaus fordert er mit dem Aletheia-Prinzip (als metapho-
risch gefasstes Ereignis des Blitzens) einen Mitvollzug seiner mythopoetischen
Kontemplation in dem religioumlse voumllkische antike und sprachliche Motive zu-
sammenfallen
Obwohl schon von Heidegger selbst nicht mehr als Philosophie betrachtet
hat seine Rede vom Ding dem Ge-Stell dem Wesen der Technik und der Kehre
noch immer einen bedeutenden Einfluss auf die Technikphilosophie So betont
Alfred Nordmann in bdquoWerkwissen oder How to express things in worksldquo (2008)
dass Heidegger mit Das Dinglsquo eine Art Dingwissen geschaffen haumltte In seinem
2012 erschienenen Aufsatz Another parting of the ways Intersubjectivity and the
objectivity of sciencersquo207 geht Nordmann ein weiteres Mal auf Heideggers Ding
ein Dieses waumlre eine Abarbeitung an dem Ding Kants womit auch Nordmann
Heidegger als einen Interpreten Kants versteht208 Anschlieszligend anMichael Fried-
207 Nordmann Alfred Another parting of the ways Intersubjectivity and the objectivity ofscience In Studies in History and Philosophy of Science 43 (2012) 38ndash46
208 Die Auseinandersetzung mit dem Ding wuumlrde nach Nordmann in Heideggers GA mit demText Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalen Grundsaumltzenlsquoeinsetzen (GA 41 Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalenGrundsaumltzen)
49
man spricht sich Nordmann ebenso dafuumlr aus dass Heidegger neben Rudolf Car-
nap und Ernst Cassirer eine neokantianische Philosophie verfolgt haumltte (siehe
Kap 1)209
Nach Nordmann haumltte Heidegger in seinen anschlieszligenden Gedanken uumlber
das Ding als Fortfuumlhrung Kants als erster Wissenschaft als angewandte Techno-
logie verstanden210 Diese Interpretation stuumltzt sich auf die gleichen Symbole
Metaphern und Mythen die die vorliegende Arbeit analysiert Das Ge-Stell ist
insofern aumlquivok mit dem Begriff techno-science Jedoch sind in dieser Fruchtbar-
machung von Heideggers Denken der Technik dessen nationalistischen rassisti-
schen und antisemitischen Implikationen die die vorliegende Arbeit als Zentrum
dessen Philosophie ermitteln konnte noch nicht beachtet worden koumlnnen211
Andreas Luckner webt Heideggers Ding-Entwurf weiter als verantwortliches
Sorgen um die Dinge212 Er geht dabei mit Heidegger voumlllig konform und tritt
eher als eine Art Bote der Ding-Botschaft auf als diese moumlglicherweise zu kriti-
sieren was sich diesen Artikel wie ein Kapitel aus einem Studienbuch lesen laumlsst
Der Darmstaumldter Technikphilosoph Christoph Hubig ist vor allem Kritiker Hei-
deggers Argumentationen laumlsst aber zuweilen diverse Topoi aus dem Werk des
Technik-Denkers durchscheinen ohne sie weiter zu reflektieren
So konstatiert Hubig Heidegger verfehle in dessen Auseinandersetzung mit
Aristoteles Lehre von der Poiesis zum Punkt der Sicherung wie sie in Die Frage
nach der Techniklsquo behandelt wird bdquodie operative Seite des Technischenldquo bei Aris-
totels213 In einem spaumlteren Aufsatz allerdings stuumltzt er sich ohne weitere Erlaumlute-
rungen auf Heideggers Begriff der Sicherung aus Die Frage nach der Techniklsquo214
209 Diese Befriedung paradigmatischer Umstaumlnde wird hier nicht geteilt Eine weitere Bearbeitunglaumlsst der Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht zu
210 Vgl Nordmann Another parting of the ways S 45211 Der Aussage dass Heideggers Ding-Begriff kantianisch waumlre muumlsste einer gezielten Untersu-
chung unterzogen werden genau wie die Behauptung insgesamt dass Heidegger oder inwie-weit dieser noch der suumlddeutschen Kantschule des 1920 Jahrhunderts angehoumlrte
212 Vgl Luckner Andreas Ding und Bestand Heidegger und das Wesen neuzeitlicher TechnikIn Gamm G Gehring P Hubig C Kaminski A und Nordmann A Ding und SystemS 15-30 hier S 29
213 Hubig Christoph Die Kunst des Moumlglichen Technikphilosophie als Reflexion der MedialitaumltBielefeld 2006 S 103
214 Vgl Hubig Christoph Technik als Medium In Grundwald Armin (Hg) Handbuch Tech-nikethik Stuttgart 2013 S 118-123 hier S 118
50
Dabei versteht Hubig Heideggers Betrachtungen zum Umgang mit der Technik
als gelassen
Fuumlr Heidegger liegt die Andersheit im Entbergen einer Wahrheit des Seinseines Geschicks von dem die Entwicklung der Technik hin zum Gestellkuumlnde Er verbindet dies mit dem Appell jenseits des rechnenden und si-chernden Vorstellens technischer Vollzuumlge als handlungsleitender Program-me sich gelassenlsquo dieser Entwicklung zu uumlberantworten und ein Seinlsquo zuhuumlten das sich als solches eben entbirgt Das Rettendelsquo dieser Einsicht lie-ge darin dass unsere individuelle Endlichkeit insofern transzendiert wirdals sie sich dem sie uumlbersteigenden Prozess aufschlieszligt und sich selbst relati-viert215
Wovon in diesem Zitat nicht die Rede ist ist der Mitvollzug der mythopoe-
tischen Rahmenbedinungen die Heidegger einfordert und an dem die Konzep-
te Abendland und voumllkische Tradition haumlngen In dieser Arbeit wird davon aus-
gegangen dass Heideggers Technikphilosophie-erzaumlhlung sich nicht von seinen
Absichten der Bekaumlmpfung des Technischen loumlsen laumlsst Die Relativierung ist in-
sofern nicht an den Prozess gebunden und damit emergent auf alles hin ausge-
richtet was kommen mag sondern houmlchst konvergent in einer Besinnung auf
Mythen von dem Ding und dem Geviert mit all deren Valenzen aus dem vorlie-
genden Heideggerschen Textkorpus Die individuelle Endlichkeit ist genoumltigt die
Heimat und das Abendland zu kennen und im Aletheia-Prinzip umzusetzen
Die Neubewertung der bislang bekannten Heideggerschen Technikphiloso-
phie von vor den SchwarzenHeften ist ein dringendes Desiderat Voumllkisch-nationale
Gruppierungen erstarken momentan in ganz Europa und es koumlnnte sehr hilfreich
sein aumlhnliche Denkstrukturen aufzudecken so wie sie zwischen den 1930er und
40er Jahren entwickelt wurden Zusaumltzlich muss das Werk Heideggers einer kriti-
schen Revision schon aufgrund der niemals von ihm behandelten Antisemitismen
unterzogen werden Heidegger hat nie zu diesen Stellung bezogen
Daruumlber hinaus ist das Thema Mythos und Philosophie ein weiterhin not-
wendiger Bereich der philosophischen Forschung In einem Bereich auszligerhalb
der exakten Wissenschaften und ohne klare theologische Tradition ist die Philo-
215 Hubig Die Kunst des Moumlglichen S 140
51
sophie beides sowohl Aufklaumlrer und antimythisch als auch Quelle fuumlr mythisches
Denken und affektierende Motive
52
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Sartre Jean-Paul Lrsquoexistentialisme est un humanisme Editions Nagel Paris 1946
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Humanismus und andere philosophische Essays 1943ndash1948 Philosophische
Schriften I Frankfurt am Main 1994 S113ndash121
Schulz-Nieswandt Frank Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsver-
staumlndnis bei Walter F Otto (1874ndash1958) Eine strukturalistische und psycho-
dynamische Rezeption Baden-Baden 2014
55
Trawny Peter Heidegger und derMythos der juumldischenWeltverschwoumlrung Frank-
furt am Main 2015
Wolin Richard Heideggers bdquoSchwarze Hefteldquo Nationalsozialismus Weltjuden-
tum und Seinsgeschichte In Vierteljahrsheft fuumlr Zeitgeschichte Bd 63 Heft
3 S 379ndash410
LexikaHeidmann Vischer Ute Mythoslsquo In Braunart Georg ua (Hg) Reallexikon
der deutschen Literaturwissenschaft Bd 2 Berlin New York 2000 S 664ndash
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mdash Mythologielsquo In Braunart Georg ua (Hg) Reallexikon der deutschen
Literaturwissenschaft Bd 2 Berlin New York 2000 S 660ndash664
Graf Fritz (Princeton) Zgoll Annette (Leipzig) Hazenbos Joost (Leipzig)
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_kellererhtml zuletzt abgerufen am 1442016
wwwdewikipediaorgwiki Martin_Heidegger_und_der_Nationalsozialismus
Die_Heidegger-Kontroverse ndash zuletzt abgerufen am 24042016)
56
Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
Der Unterzeichner versichert dass er die vorliegende Bachelorarbeit selbststaumlndig
verfasst und keine anderen als die von ihm angegebenen Hilfsmittel benutzt hat
Die Stellen der Arbeit die anderen Werken dem Wortlaut oder dem Sinne nach
entnommen sind wurden in jedem Fall unter Angabe der Quellen (einschlieszliglich
des World Wide Web und anderer elektronischer Text- und Datensammlungen)
kenntlich gemacht Dies gilt auch fuumlr beigegebene Zeichnungen bildliche Dar-
stellungen Skizzen und dergleichen
Darmstadt 25 April 2016
__________________________
(Eigenhaumlndige Unterschrift)
- Abkuumlrzungsverzeichnis
- Danksagung
- Einleitung
- Heideggers mythopoetisches Programm
-
- Zu den Begriffen Mythos Mythologie und Mythopoetik
-
- Ein Beispiel fuumlr ein Mythologem
-
- Heideggers Mythen
-
- Formen der Mythologie
-
- Heideggers mythopoetische Technik
-
- Zur Publikationsgeschichte von den Bremer Vortraumlgen 1949
- Die mythopoetische Spiegelung der Schwarzen Hefte
-
- Das Dinglsquo
- Das Ge-Stelllsquo
- Die Gefahrlsquo
- Die Kehrelsquo
-
- Konklusion
- Literaturverzeichnis
- Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
-
31
Der Guszlig ist der den unsterblichen Goumlttern gespendete Trank [] Der ge-weihte Trank ist das was das Wort Guszliglsquo eigentlich nennt Spende und Op-fer Guszliglsquo gieszligenlsquo lautet griechisch χέειν indogermanisch ghu Das bedeu-tet opfern
Hier spielt bereits der Ursprungsmythos der Griechenmit ein (3) es ist aber auch
ein Bezug auf das Geviert Dieses waumlre ein System ein zusammen Gestelltes aus
bdquoErde und Himmel die Goumlttlichen und die Sterblichenldquo126 Im Guszlig des Trunkes
weilten gemeinsam diese Vier als emblematische Verbindung
Das im Geschenk Versammelte sammelt sich selbst darin das Geviert ereig-net zu verweilen Dieses vielfaumlltig einfache Versammeln ist das Wesen desKruges Unsere Sprache nennt was Versammlung ist in einem alten WortDies lautet thing127
Das Geviert zehrt von der Zahlenmystik zum einen als die Versammlung der
vier Begriffe an sich zum anderen da Heidegger ihnen eine Spiegel-Funktion
zuschreibt bdquoJedes der Vier spiegelt in seiner Weise das Wesen der uumlbrigen wie-
derldquo128 und ferner weil er damit auf sich selbst dh auf sein Vortrags-Geviert
verweist (4) Wie in Kap 21 schon gesagt lebt der Mythos von seiner Verbind-
lichkeit Diese legt Heidegger allen nah die sie verinnerlichen wollen bdquoSagen wir
die Sterblichen dann denken wir falls wir denken die anderen Drei mit aus der
Einfalt der Vierldquo129
Sollte der Vollzug der Praxis des sukzessiven Mitdenkens aller vier Geviert-
Entitaumlten gelingen koumlnnte das Ereignis der Aletheia begriffen werden (5) bdquoDas
Spiegel-Spiel von Welt ist der Reigen des Ereignensldquo130 Diese wird aber auch be-
griffen in Abgrenzung von dem Roumlmertum (3) denn in der bdquorealitas der resldquo
haumltten die Roumlmer bdquoihr Erfahrenes niemals eigens in seinem Wesen gedachtldquo131
Das waumlre den Griechen vorzubehalten und vom verstaumlndig denkenden Deutschen
wiederzubeleben
126 Ebd S 12127 Ebd S 13128 Ebd S 18129 Ebd130 Ebd S 19131 Ebd S 15
32
Der Krug ist ein Ding weder im Sinne der roumlmisch gemeinten res noch imSinne des mittelalterlich vorgestellten ens noch gar im Sinne des neuzeitlichvorgestellten Gegenstandes [] Der Krug ist Ding insofern er dingt132
Die Bindung an das deutsche Wort bdquoDingldquo das er spielerisch auch ins Englische
Romanische und Franzoumlsische uumlbersetzt ist unerlaumlsslich fuumlr seine ethymologi-
sche Argumentation In der ist der bdquoGuszligldquo ruumlckgefuumlhrt auf indogermanisch bdquoghuldquo
und das bdquoDingldquo auf das mittelhochdeutsche bdquothingldquo So konnten antik die Roumlmer
von den Griechen abgrenzt werden und modern die anderen drei Sprachen vom
Deutschen Das englische sich sehr nah am bdquothingldquo befindliche bdquothingldquo wird mit
dem Roumlmischen ausgespielt
Im Englischen hat thing noch die erfuumlllte Nennkraft des roumlmischen Wor-tes res bewahrt [] dh ein aus sich kommendes den Menschen Angehen-des133
Fuumlr Heidegger geht es beim bdquothingldquo aber um die mittelhochdeutsche Uumlbersetzung
der Versammlung Darauf beruht sein gesamter Systemansatz mit Geviert und
Ge-stell
Schulz-Nieswandt fuumlhrt diese Zusammenstellung zum Bejubeln von Heideg-
gers Mythopoetik
So fundamental sieht Heidegger die Welt Die Quelle des Wassers wird zurHochzeit von Himmel und Erde das Gieszligen des Wassers aus dem Krugzum Geschenk Auch Sprache ist daher kein Instrument sondern Ort desWohnens des Menschen Sprache wird zum Haus des Seinslsquo134
Hier bestaumltigt die Untersuchung des Ding-Vortrags die These von einer mytho-
poetischen Einschreibung der nationalistischen voumllkischen Abgrenzungs-Mythologie
aus den Schwarzen Heften
322 Das Ge-Stelllsquo
Der zweite Vortrag des Reden-Gevierts setzt ein mit der Metapher des fehlen-
den Abstands Wo kein Abstand sei da waumlre auch keine Naumlhe so Heidegger Er
132 Ebd S 16133 Ebd S 14134 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei Walter
F Otto S 59
33
verbindet die Abstandslosigkeit mit Urbanitaumlt und Verkehr alles fluktuiere Es
waumlre der Bestand der sich bestelle in dem das Abstandlose herrsche Das sind
neue Metaphern fuumlr die Machenschaft In seiner Erzaumlhlung vom Ge-Stell gibt es
bedeutend weniger mythopoetische Passagen als in dem vorangegangenen Vor-
trag Allerdings uumlbertraumlgt er den mythopoetischen Gehalt der Rede vom Ding
bereits im ersten Absatz von Das Ge-Stelllsquo mit dem Credo bdquoNaumlhe west insofern
das Ding dingtldquo135 Mit dieser Verbindung wird klar unter welchem Zeichen Hei-
degger die Rede vom Ge-Stell verstanden wissen will ndash als verlorenes Verhaumlltnis
des voumllkisch-traditionell verwurzelten Menschen mit den vermeintlichen Wesen
all seiner Gebrauchsobjekte in der mythopoetischen Formel des sich spiegelnden
Gevierts
Nahezu nuumlchtern erzaumlhlt Heidegger dann von dem Gefaumlngnis des Menschen
im Wesen der zirkulierenden sich immer neu bestellenden Bestandstechnik des
Ge-Stells Dabei scheinen folgende Mythen aus den Schwarzen Heften hindurch ndash
1 bdquoHistorie die Technik der Geschichtelsquo Technik die Historie der Naturlsquoldquo136
2 das historische Tier 3 der Appell an den Auftrag des Deutschen 4 der geschicht-
liche Mensch muss die Historie und damit die Technik uumlberwinden und 5 die
alles zernichtende Machenschaft des juumldischen Wesens
Den Topos der seinsvergessenen Groszligstadt jedenfalls kontrastiert er mit der
Bauerndorfidylle Da aber bdquodas Abstandlose herrschtldquo137 waumlre das Vorruumlcken der
Maschinentechnik bereits universell So in Form des Traktors Schon in Band
96 der Schwarzen Hefte beklagt er dieses bdquozum elektrischen Pflug [] gehoumlrt
das amerikanisch aufgemachte Magazinlsquoldquo Insofern erfolge die bdquoAngleichung der
Sitten der Bergbewohner an diejenigen des groszligstaumldtischen Sport- und Barbe-
triebsldquo138
Sein erster Land-Stadtvergleich betrifft den Bauern dessen Totenruhe tradi-
tionell in einem sg bdquoTotenbaumldquo (Sarg) stattgefunden haumltte ndash bdquoIn ihm gedeiht
der Tod des Totenldquo139 Dem gegenuumlber klingt in der bdquomotorisierten Bestattungs-
135 GA 79 S 24136 GA 95 S 351137 GA 79 S 24138 GA 96 S 54139 GA 79 S 26
34
industrie der Groszligstadtldquo140 bereits Heideggers pietaumltsloser Gaskammernvergleich
an
Ackerbau ist jetzt motorisierte Ernaumlhrungsindustrie im Wesen das Selbewie die Fabrikation von Leichen in Gaskammern und Vernichtungslagerndas Selbe wie die Blockade und Aushungerung von Laumlndern das Selbe wiedie Fabrikation von Wasserstoffbomben141
Hier wird davon ausgegangen dass es eine Uumlbertragung der Notizen uumlber
das deutsche Land als bdquoeinziges KZldquo ist die Unterdruumlckung des deutschen Vol-
kes durch die bdquoWeltdemokratieldquo die schlimmer sei als die Graumlueltaten der bdquoGas-
kammernlsquoldquo142 In die mythopoetische Formel von dem dingenden Ding aus dem
ersten Vortrag sind alle Valenzen eingeschrieben die es zur Aufgabe des abendlaumln-
dischen Deutschen (also als Nachfolger der alten Griechen) machen das Wesen
des Dings und somit der Technik zu huumlten Die Verantwortung fuumlr Genozid
Massenvernichtungswaffen und den Mangel im Nachkriegsdeutschland schreibt
Heidegger gleichfoumlrmig dem Prinzip der Abstandslosigkeit zu
Auch die Rede von der Habgier des Berechnenden ist ein bereits bekannter
Vorbehalt Heideggers anhand der Rede vom raffgierigen Juden Denn er sagt von
der bdquoHerrschaft des Abstandlosenldquo dass sie bdquodie Hab-gier des vorstellenden Be-
rechnensldquo waumlre143 Das entspricht seinem Mythos von der alles zernichtenden
Machenschaft des juumldischen Wesens144
Dann folgt eine lange Elegie uumlber das Bestellen des Bestands des Ge-Stells
bdquo[d]ie Kette des Bestellens laumluft auf nichts hinaus sie geht vielmehr nur in ihren
Kreisgang hineinldquo145 uumlber 19 Seiten des 21 seitigen Vortragsexts hinweg entwirft
Heidegger diverse Bilder wie das Ge-Stell die Natur das Hergestellte den Men-
schen und das Verstandesmaumlszligige vereinnahme und das Wesen desDings gleichsam
zur Veruntreuung bringen wuumlrde Wiederum poetisch orientiert kontrastiert also
140 Ebd141 Ebd S 27142 GA 97 S 99f143 Vgl GA 79 S 25144 Vgl Machenschaft hier S 29 und Geraff hier S 33145 GA 79 S 29
35
Heidegger Houmllderlins Hymne Der Rheinlsquo mit dem Rhein dessen Stroumlmung fuumlr
ein Stromkraftwerk genutzt wird
Achten wir um das Ungeheure das hier waltet zu ermessen nur auf einenAugenblick auf den Gegensatz der sich in den beiden Titeln ausspricht DerRhein verbaut in das Kraftwerk ndash der Rheinlsquo gesagt in der gleichnamigenHymne Houmllderlins146
Die Differenz also waumlre das Ungeheure147 Dabei waumlre der Rhein verbaut in das
Kraftwerk Aumlhnlich wie Kohle Erze und Rohoumll waumlren sie Bestand der bdquobesteht
im Bestellenldquo ndash bdquoDas Bestellen waumlre demnach lediglich eine Machenschaft des
Menschen vollzogen in der Weise der Ausbeutungldquo148
Das Bild des Wasserkraftwerks wird erweitert um den Begriff des Menschen
Elektrizitaumlt mit Wasserkraft erzeugen bdquokoumlnnen die Menschen [] nur insofern
sie selber schon in dieses Bestellen bestellt sindldquo149 Mit diesem Bild versucht Hei-
degger praktisch zu veranschaulichen dass Entwurf Umsetzung und Einsatz ei-
ner technischen Anlage den Menschen in ein entruumlcktes Verhaumlltnis zum Wesen
des dingenden Dings setze ndash bdquoDer Mensch ist darum der Angestellte des Bestel-
146 Ebd147 Das ist zusaumltzlich zu dem gemeinten Gegensatz ein Vergleich mit dem Heidegger dem Wort
bdquoRheinldquo in die Hymne Der Rheinlsquo gesprochen eine Energie erzeugende Wirkung zu-schreibt eben so wie das Kraftwerk Strom erzeugen wuumlrde Das wird klar dadurch dassHeidegger metaphorisch vom Stellen des Wortes bdquoRheinldquo in die Hymne spricht Es handeltsich um einen Appell zur denkerischen Besinnung Dass Heidegger dafuumlr eine technischeAnlage zur Veranschaulichung inspirierend wirken laumlsst spielt bereits in die Richtung derBegriffe bdquoHer-vor-bringenldquo bdquoEntbergenldquo und spielt auf das Alteheia-Prinzip an Darauf wirdweiter unten anhand Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo eingegangen werden Es handelt sich umdas Angebot eines mythopoetischen Umgangs mit Technik insbesondere wenn sie sich inheimische Gefilde einfuumlgtHeute koumlnnte man mit Windraumldern ebenso verfahren Somit koumlnnte aber auch Heidegger
als ein gewisser Quijana aus Mancha verstanden werden eben der Protagonist aus Miguel deCervantes Roman Don Quichote von der Manchalsquo der mit seinem von ihm flux auch um-benannten Klepper (weil er zuvor sich selbst in Don Quichote umtaufte) Rocinante Riesenbezwingen will um mit dieser Heldentat unsterblichen ritterlichen Ruhm zu erstreitenAuch Don Quichote fand seine Riesen in Windmuumlhlen und auch Don Quichote war uumlber
eine uumlbertriebene Auseinandersetzung mit einer verschuumltteten Kultur dieser verfallen undsuchte diese in seiner Aventuumlre zu reaktualisieren Martin Heideggers mythopoetisches Pro-gramm ist tatsaumlchlich stark mit Don Quichotes Motiv vergleichbarFerner waumlre eine Auseinandersetzung mit Heideggers Werk unter Beruumlcksichtigung sei-
ner Gewichtung der Vorsokratiker und Houmllderlin als mythopoetischen Autor eine moumlglicheForschung zum Thema Anachronismen in Konzepten von Moral und gesellschaftlicher An-gemessenheit (Vgl Cervantes Miguel de Don Quichote von der Mancha Herausgeben unduumlbersetzt v Susanne Lange Muumlnchen 2008 S 33f)
148 GA 79 S 29149 GA 79 S 30
36
lensldquo150 Schon vorher wies Heidegger darauf hin bdquo[d]ie Herrschaft des Gegen-
staumlndigen sichert nicht den Abstandldquo151 Jetzt heiszligt es
Das Bestellen befaumlllt nicht nur die Stoffe und Kraumlfte der Natur mit Gestel-lung Das Bestellen befaumlllt zugleich das Geschick des Menschen Das Wesendes Menschen wird daraufhin gestellt das Bestellen in menschlicher Weisemitzuvollziehen152
Der Begriff des Ge-Stells wird daraufhin so konstruiert dass es im Bestellen
um ein Stellen (Herausfordern) alles bdquoAnwesenden als Bestandldquo als bdquoversus unumldquo
gegen bdquodas Eine Ganzeldquo gehe153 In wiederum mythopoetischer Formulierung ge-
baumlre die bdquoVersammlung des Stellens worin alles Bestellbare in seinem Bestand
west das Ge-Stellldquo154 Der Begriff bdquoVersammlungldquo wird einen Absatz zuvor my-
thopoetisch wieder an die Versammlung also das thing eben das wesenhafteDing
angelehnt und somit wie zu Das Dinglsquo bereits oben erlaumlutert in einen deutsch-
abendlaumlndischen Kontext gestellt (3)
Wir nennen die Versammlung der Berge die von sich her einig und nienachtraumlglich schon gesammelt ist das Gebirge Wir nennen die Versamm-lung der Weisen nach denen uns so zumute ist und sein kann das Gemuumlt155
Allerdings ist obiges Versammlungsmodell hier als Kontrast zu sehen zu dem
bdquoGeraff des Getriebesldquo das das Ge-Stell darstellt als bdquoWesen der Technikldquo156 Hei-
degger sieht in der Gleichfoumlrmigkeit die zum Wesen des Technik als Ge-Stell
150 GA 79 S 30151 GA 79 S 25152 GA 79 S 31153 Vgl GA 79 S 32154 GA 79 S 32155 Ebd
Das Wort ldquoGemuumltrdquo hat ferner eine ausschlieszliglich deutsche Praumlgung gibt es doch keinedirekte Uumlbersetzungen Gemuumlth ist ferner ein nicht eindeutig umrissener Begriff (Vgl Kra-mer Cheryce A Foolrsquos Paradise The Psychiatry ofGemuumlth in a Biedermeier Asylum Chica-go 1998 S 19) Die Bedeutung im Deutschen selbst ist zudem sehr variabel hat aber zumeistmit Seelen- oder Geistkonzepten zu tun ndash Cheryce von Xylander (geb Kramer) uumlbersetztGemuumlth mit bdquosoul-organldquo (ebd S 43) das von diversen Autoren unterschiedlich konstru-riert wird (zB von Kant geistigkoumlrperlich und von Kleist individuellkollektiv (vgl ebdS 41)) In Heideggers emblematischem Duktus scheint eine Vermischung von allen vier Di-mensionen geistigkoumlrperlich wie auch individuellkollektiv stattzufinden Es ist auf jedenFall dem Mythos geschuldet den Auftrag des Deutschen anzunehmen (3)
156 GA 79 S 33
37
gehoumlre die planetarische Abloumlsung und Aufhebung des traditionellen und damit
wesenhaft ans Ding gebundenen Verhaumlltnisses vom Menschen zur Erde (das von
ihm idealisierte voumllkische Bauerntum das Bestellen des Ackers) bdquoDie Bestand-
Stuumlcke sind Stuumlck fuumlr Stuumlck die Gleichenldquo157 So kontrastiert er alte Handwerks-
techniken mit Maschinentechnik und schreibt der Maschinentechnik die machen-
schaftliche Verdraumlngung als Geraff zu
Das Ge-Stell hat auch wenn das nicht unmittelbar und nicht sogleich ver-nehmlich wird im vorhinein schon alle diejenigen Stellen beseitigt an denenvormals Spinnrad und Wassermuumlhle standen Das Ge-Stell bestellt durch sei-ne Maschinerie zum voraus eine andere Art und Ordnung von Stellen Andiesen kommt nur zu Stand was als Bestellbares auf der Stelle gleichfoumlrmigzur Stelle steht
Darum ist auch die Art wie die Maschine selbst etwas herstellt einewesentlich andere als das handwerkliche Tun gesetzt daszlig es innerhalb desGe-Stells uumlberhaupt noch so etwas wie ein Herstellen gibt
Die Traktoren und Kraftwagen werden herausgebracht ausgeworfen se-rienweise Stuumlck fuumlr Stuumlck Wo drauszligen steht dieses so Herausgestellte Wo-hin in welchen Stand ist es gebracht158
In dieser Klage uumlber den technischen Wandel der durch den Fortschritt in
alle Lebensbereiche Einzug haumllt versucht Heidegger zu veranschaulichen wel-
chen Verlust es zu erkennen gelte Ein Versuch diesem entgegen zu treten ist die
von ihm vorgetragene Mythopoetik die er in diesem Vortragsteil seines Vortrags-
Gevierts allerdings auffaumlllig zuruumlckgestellt sein laumlszligt War der Einleitungsteil Das
Dinglsquo schlieszliglich eine nahezu einzige mythopoetische Darbietung Dramatur-
gisch wird Heidegger in Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo die mythopoetischen For-
mulierung als Loumlsungswege wieder Bedeutung geben In Das Ge-Stelllsquo versucht
Heidegger hingegen Vorstellungen aus seinen Schwarzen Heften aumlhnlich der fol-
genden mitzuteilen die das Uniforme Gleichfoumlrmige betreffen
Die Macht der Machenschaft ndash die Vernichtung sogar der Gottlosigkeit dieVermenschung des Menschen in das Tier die Vernutzung der Erde die Ver-rechnung der Welt ndash ist in den Zustand der Endguumlltigkeit uumlbergegangenUnterschiede der Voumllker Staaten Kulturen sind nur noch Fassade159
157 GA 79 S 36158 GA 79 S 35159 GA 96 S 52f
38
Was Heidegger unter dieser Gleichfoumlrmigkeit versteht schreibt er in den Schwar-
zen Heften zumeist den Amerikanern zu Er nennt es auch haumlufig Planetarismus
Der Amerikanismus [ist DS] die Zusammenraffung von Allem welcheZusammenraffung immer zugleich die Entwurzelung des Gerafften bedeu-tet160
Der Planetarismus ist die historisch gedachte Bestimmung der uumlberall glei-chen die ganze Erde uumlberdeckenden Seinsverlassenheit des Seienden161
Die Gegenuumlberstellung von natuumlrlicher und traditioneller Handwerkstechnik
gegen maschinenhafte Gleichfoumlrmigkeit exemplifiziert Heidegger dann im Vor-
trag Das Ge-Stelllsquo vielfach wie zum Beispiel hier
Der Forstwart zB der im Wald das geschlagene Holz vermiszligt und demAnschein nach noch wie sein Groszligvater in der gleichen Weise die selbenWege geht ist heute von der Holzverwertungsindustrie gestellt Er ist ober es weiszlig oder nicht in seiner Weise Bestand-Stuumlck des Zellulosebestandesund dessen Bestellbarkeit fuumlr das Papier das den Zeitungen und illustrier-ten Magazinen zugestellt wird die uumlber die Oumlffentlichkeit daraufhin stellenverschlungen werden162
160 GA 96 S 257161 GA 96 S 261162 GA 79 S 37f
Die renommierte Theaterautorin Elfriede Jelinek karikiert in ihrem Stuumlck Totenaubergvon 1991 Heideggers Konstrukt von Heimat und Fortschrittsfeindlichkeit verbunden miteiner Auseinandersetzung mit dessen Liebschaft zu Hannah Arend Mit philologischer Prauml-zision polemisiert sie Teile aus Heideggers Elegie uumlber die Technik und laumlszligt ihn dabei alsbeschraumlnktes und eingezwaumlngtes Wesen in einem Gestell gefangen sein Aus diesem heraussoll er Arend Rede und Antwort stehen uumlber sein Verhaumlltnis zum Nationalsozialismus unddie Shoa Doch dieser redet nur naturtrunken von Heimat und berauscht sich daran Derprophetische Denker wird banalisert ndash diese Worte legt Jelinek ihm (im Stuumlck der alte Mann)in den MundbdquoDie Angst vor dem Fragen liegt uumlber dem Abendland Sie bannt die Kandidaten auf ein
Team-Leibchen verbannt sie auf altgewordene Wege und jagt sie zuruumlck ins morsch geworde-ne Gehaumluse ihrer Tore wo es um ihre Ausscheidungen geht Es wird ihnen alles weggenom-men werden auch der Weg selbst Keine Spur kein Lichtschein aus den Ritzen Aber ruf ichin die Huumltte um nach einem zu fragen den ich gekannt hab sehe ich grad noch eine Tuumlrsich schlieszligen Der Wald kommt nicht zur rechten Geltung alles ist entflohen was mir liebwar und woran ich geglaubt hab Was kommt ist noch nicht da Nichts war Ich habe nichtsgehoumlrt Ich erinnere mich nicht aber ich stelle dem Kommenden das mich den lupenreinenAmateur schon vor Beginn des Rennens erlahmen laumlszligt vorsorglich die Hausschuhe vor dieTuumlr Sie sind das Einzige was die Profis des Profits von mir dann vorfinden werden wennsie anklopfen Die Haumlrte des Urgesteins sollte sie nicht entmutigen Die Jahreszeiten machendie Landschaft auf und zu Ich sage nur In dieser scheinbaren Leere will ich vom Denkenmuumld nur schlafen Von der Huumltte aus lassen sich Wanderungen unternehmen Aber auchsonst wird Ihnen alles wie ich sagte genommen werden Auch Ihre Fotos und Namen Unddas Gewesene wird wesenlosldquo ( Jelinek Elfriede Totenauberg Hamburg 1991 S 86f)
39
Die Oumlffentlichkeit ist fuumlr Heidegger ein Topos der dem Denken und Besinnen
entgegenstuumlnde Somit meint er damit zum Einen die Medien wie er es anhand
der Rede von den Bestandstuumlcken in Das Ge-Stelllsquo erklaumlrt wo der Mensch als
Urheber des Ge-Stells als Wesen der Technik nicht gelten soll Vielmehr wuumlrde er
in Ratlosigkeit und Langeweile verfallen weil er in der Bestellung des Bestandes in
Form von Bestandstuumlcken vom Rundfunk keine Besinnung mehr faumlnde dh das
Ganze also wiederum daswesentliche Ding nicht mehr zu fassen vermoumlge163 Und
so toumlnt es bereits aus den Schwarzen Heften von 19391940()
Die Bildlsquo und Tonlsquo ndash Reportagenlsquo der Machenschaft ist der planetari-sche Mythuslsquo des Vollendungsabschnittes der Neuzeit Die Welt des abge-legensten deutschen Bauernhofes wird nicht mehr durch [] die Naturlsquobestimmt in der noch die Erde waltet sondern durch das illustrierte Blattmit der Darstellung von ausgezogenen Tanzweibern von Boxern und Renn-fahrern und sonstigen Heldenlsquo des Tages164
Und ferner notierte Heidegger 1946 in seinen Schwarzen Heften
Uumlberall zerrt es aus dem Oumlffentlichen ins Oumlffentliche mit vielen Strickenund jeder sieht das kaum versuchte Denken des Seyns am Leitband seinesStrickes165
Dabei waumlre eben ein bdquoLiterat [] ein in die Oumlffentlichkeit verliebter Mensch der
Angst vor dem Denker hatldquo166 Dieses liefe dann darauf hinaus dass beim Rund-
funk bdquoein Bestellen und Stellen waltet das in dasWesen des Menschen eingegriffen
hatldquo167
Abermals nach dem Wesen der Technik also nach dem Ge-Stell gefragt geht
Heidegger auf seine Unterscheidung vonNatur undNaturwissenschaft ein bdquo[w]elches
ist das Verhaumlltnis zwischen der Technik und der Naturldquo168 Natur wuumlrde in wis-
senschaftlicher Hinsicht unter das Berechnete fallen sie wuumlrde bdquoals das in Maszlig
und Zahl gestellte Wirkliche vorgestellt das in seinem Gewirkten staumlndig an-
westldquo169 Wenn Heidegger dann Natur aus technischer Sicht bdquoals ein System des
163 Vgl GA 79 S 38f164 GA 96 S 54165 GA 97 S 100166 GA 97 S 126167 GA 79 S 39168 GA 79 S 41169 Ebd
40
Bestellens von Erfolgen aus dem gestellten Wirksamenldquo170 charakterisiert spricht
er von seiner Rede der Verschraumlnkung von Historie und Technik ndash bdquoTechnik die
Historie der Naturldquolsquo171 Dieses ist bekanntlich das seinsvernichtende Gegenstuumlck
zur geschichtlichen Besinnung Denn geschichtliches Walten der Technik ist fuumlr
Heidegger technische Geschichte dh verwissenschaftlichte Geschichte die da-
durch ihr Wesen verloren haumltte (Seynsvergessenheit)172 So heiszligt es in den Schwar-
zen Heften von 1947
Ein Zeitalter das historisch geworden ist dh technisch planend sich selberberechnet und alles in diesen Sog zieht muszlig jede Besinnung nur als eine dervielen Formen der Intellektualitaumlt registrieren173
Heidegger schlieszligt den Vortrag mit dem Aufgriff der Anfangsbehauptung
bdquo[d]er Bestand bestellt das Abstandsloseldquo174 Somit liegt das Problem der ausblei-
benden Naumlhe durch die Technik deren Wesen das Ge-Stell waumlre das den Bestand
bestelle in der Luft Dass dabei der Mensch sogleich Teil des Bestandes und nicht
Teil der Maschine wird laumlsst ihn das historische Tier sein (2)
Der Mensch ist auswechselbar innerhalb des Bestellens von Bestand []Gleichwohl gehoumlrt der Mensch in einer voumlllig anderen Weise in das Ge-Stellals die Maschine DieseWeise kann unmenschlich werden DasUnmenschlicheist jedoch immer noch unmenschlich Der Mensch wird nie zur MaschineDas Unmenschliche und noch Menschentuumlmliche ist freilich unheimlicherweil boumlsartige und verhaumlngnisvoller denn der Mensch der nur Maschine wauml-re175
Wen Heidegger hier ersinnt ist der neuzeitliche Mensch der den bdquoGoumlttern uner-
traumlglich gewordenldquo176 waumlre
170 Ebd171 GA 95 S 351172 In Heidegger Die Technik und die Kehre S 21 stellt er Geschichte und Historie einander
gegenuumlber was er in Das Ge-Stelllsquo nicht vollzieht bdquoDie moderne Technik kam doch erst inden Gang als sie sich auf die exakte Naturwissenschaft stuumltzen konnte Historisch gerechnetbleibt dies richtig Geschichtlich gedacht trifft es nicht das Wahreldquo Signifikant fuumlr Heideg-gers Attributierung so wie sie oben schon geschildert ist steht Historie fuumlrs Rechnen undGeschichte fuumlr das Denken
173 GA 97 S 508174 GA 79 S 44175 GA 79 S 37176 GA 94 S 236
41
323 Die Gefahrlsquo
Aus Heideggers Darlegung uumlber das Ge-Stell erschlieszligen sich seine diversen Fa-
cetten der Vorstellung einer Abstandslosigkeit schaffenden Technik Dass die Ab-
standslosigkeit dem Prinzip des Gevierts des Zusammengestellten entgegensteht
bekommt im Vortrag Die Gefahrlsquo Nachdruck Die mythopoetische Erzaumlhlung
knuumlpft an den Vortrag Das Dinglsquo an mit den Mythologemene 1 Der Mythos
des geschichtlich sein muumlssens 2 der Mythos des Goumlttlichen 3 das geschichtsbe-
sinnliche Prinzip der Aletheia Zudem wird im Prozess des Vortrags das Ge-Stell
zur Gefahr stilisiert was einen eigenen Mythos erschafft
Durch das bdquouniversale Bestellen des Ge-Stellsldquo177 werde die naumlhernde Naumlhe des
Dings verwehrt Wie im Vortrag Das Dinglsquo fuumlhrt Heidegger das Wesentliche sei-
ner Theorie auf die deutsche und altgriechische Sprache zuruumlck Die so vollzoge-
ne Annaumlherung von Schwarzwaumllderischem Dialekt und Altgriechisch entspricht
Heideggers Traum von dem bdquogeschichtliche[n] Geburtsort des abendlaumlndischen
Wesensldquo178 den seine Heimat von Todtnauberg bis Freiburg stiften sollte (1)
es ist das Geistvolle und zugleich das erdenhafte schoumlne Land Es birgt un-sichtbaren Reichtum dem Gemuumlt bewahret tiefstes Dichten und houmlchsteGestalt der Sage179
Unter diesem Vorzeichen also sagt Heidegger
Das Ge-Stellwesen laumlszligt das Ding ohne die Wahr Das Wort die Wahrlsquo be-deutet in unserer Sprache dort wo sie noch urspruumlnglich spricht die HutIn unserer schwaumlbischen Mundart meint das Wort die Wahrlsquo die der muumlt-terlichen Hut anvertrauten Kinder Das Ge-Stell laumlszligt in seinem Stellen dasDing ohne die Hut ndash ohne die Wahr seines Dingwesens180
Diese in Bremen vorgetragene Heimatkunde ist auch Heideggers Sorge ge-
schuldet durch die Besatzermaumlchte und deren kulturellen Einfluss auch durch
die nun moumlgliche Oumlffnung Deutschlands zu einem Austausch mit der Welt das
eigene Wesen zu verlieren So schreibt er 1945-1947() in seine Schwarzen Hefte
177 GA 79 S 46178 GA 97 S 54179 Ebd180 GA 79 S 46
42
Das Schwerste und Fragwuumlrdigste unseres Geschickes ndash beruht darin ob wirdas Eigene finden und huumlten [] unter den anderen Voumllkernlsquo [] Scheinund Vorwand der Macht daszlig man unsere eigene Aufgabe bringen will []als Entmachtete aufgenommen zu sein in den Weltmachenschaftsbetrieb181
Es gaumlbe nach Heidegger also das Welten von Welt und die Verweigerung von
Welt aus derVerwahrlosung des Dings durch das Ge-Stell bzw die Technik182 Welt
ist nach dem Konzept des schwaumlbischen Denkers nichts weniger als das Geviert
Bei der folgenden mythopoetischen Zusammenstellung von dem Geviert mit alt-
griechischen Vokabeln um den Seins-Begriff wird das Aletheia-Prinzip eingefuumlhrt
Somit fuumlhrt uumlber den Mythos des Goumlttlichen (2) der Weg zur Wahrheit eben als
geschichtsbesinnlich erfahrene Aletheia (3)
Welt ist das Geviert von Erde und Himmel Goumlttlichen und SterblichenDas Spiegel-Spiel der Vierung wahrt alles was in ihm dingend zwischenden Vier anwest und abwest in das einende Ganze seines Anwesens Vonaltersher heiszligt das Anwesen des Anwesenden τὸ ὲόν das Seiend [sic] τὸεἶναι das Sein naumlmlich der ὲόντα des Seinenden das esse entium183
Diese Welt waumlre nun bdquoWahrnis des Wesens von Sein Statt Wahrnis sagen wir auch
Wahrheitldquo184 Die Welt mythopoetisch als Spiegel-Spiel des Gevierts und durch
eine altgriechische Brille betrachtet waumlre die wahre Welt Somit wird die Wahr-
heitsschau gebunden einen antiken Goumltterglauben und abendlaumlndische Sprachkas-
kaden vom Dialekt zum Altgriechisch
Das Problem mit der wahren Welt waumlre allerdings dass sie sich in die Ver-
borgenheit entziehe Naumlher betrachtet ist aber die Verborgenheit Bedingung des
Entbergens was Heidegger notwendig macht zu einem wuumlrdigen Lebensvollzug
in Harmonie mit dem Sein Durch solche Wesensschau waumlre der Mensch befaumlhigt
jederzeit die verstellenden Maumlchte des Ge-Stells (der Technik) zu uumlberwinden und
teilhaftig am Wesen der Welt zu werden
181 GA 97 S 99182 Vgl GA 79 S 47183 GA 79 S 48 (Die griechischen Vokabeln werden hier keiner Uumlbersetzung unterzogen Da
Heidegger ohnehin keine philologische Schaumlrfe anwenden will ist es fuumlr die Zwecke hierausreichend sie mit seiner Uumlbersetzung zu betrachten Heidegger spricht von bdquoAchten aufdas Griechischeldquo was schwieriger waumlre als klassische Philologie (vgl GA 79 S 63)
184 Ebd
43
Welt bleibt in der Verborgenheit (Αήθη) auf die Weise daszlig diese ihre Ver-borgenheit gerade eine Unverborgenheit gewaumlhrt die Αλήθεια185
Die Αλήθεια haumltte allerdings auch eine Rolle uumlber die subjektive hinaus da nur
durch ihren Vollzug Seinsgeschichte gewaumlhrt wuumlrde Das ist der Anspruch den
Heidegger an sein Auditorium stellt gemeinsam geschichtlich sein zu muumlssen (1)
Die Αλήθεια ist das Geschick des Seins als welches Geschick sich die Fuumllleder Seinsgeschichte in ihre Epochen fuumlgt186
Mit dem Ge-Stell als Wesen der modernen Technik waumlre die Aletheia aller-
dings hochgradig gefaumlhrdet Denn ohnehin waumlre die Aletheia prinzipiell der Ge-
fahr der Vergessenheit ausgesetzt Doch das Ge-Stell haumltte die Kraft die bdquovollende-
te Vergessenheit der Wahrheit des Seinsldquo187 zu vollrichten
Indem das Ge-Stell alles Anwesende in den Bestand bestellt setzt das Ge-Stell das Anwesen des Anwesenden heraus aus seiner Wesensherkunft ausder Αλήθεια188
Diese Versetzung des beteiligten Wesens aus der Moumlglichkeit des Wahrheitsprin-
zips heraus markiert Heidegger dann mit der Schreibweise Seyn (mit bdquoyldquo) Wie
bei dem Vortrag Das Dinglsquo koumlnnen ethymologische Abstammungen sein Sys-
tem anreichern Da wo es um das Wortfeld des Stellens geht Ge-Stell Bestellen
Verstellen ist auch das NachstellenMitglied der Familie
Im Althochdeutschen heiszligt nachstellen fara Das in sich gesammelte Stellenals Nachstellen ist die Gefahr Der Grundzug des Wesens der Gefahr ist dasNachstellen Insofern das Sein als das Ge-Stell sich selbst mit der Vergessen-heit seines Wesens nachstellt ist das Seyn als Seyn die Gefahr seines eigenenWesens189
Damit wuumlrde sich durch die Verringerung der Selbstreflexion im Seyns-Bestand
eine Schwachstelle auftun in die der denkbegabte und aletheiafaumlhige Mensch ei-
ne Moumlglichkeit haben das Seyn zum Sein zuruumlckzuwandeln ndash also wieder in ein
185 GA 79 S 49186 Ebd187 GA 79 S 53188 GA 79 S 52189 GA 79 S 53
44
wesentliches Verhaumlltnis zum bdquoDingldquo zu gelangen in dem das Geviert wieder die
Harmonie herstellt Allerdings faumlnde bis zu solch einer Nachstellung eine Ver-
sieglung des Seynsbestandes statt Und Heidegger beklagt dass die Erreichung der
Ruumlckeroberung des Seins uumlber die Nachstellung nicht stattfaumlnde und stattdessen
die Irre regieren wuumlrde190
In dieser Irre stuumlnde dem Menschen nicht einmal mehr zu zu sterben Denn
bdquoSterben [] heiszligt den Tod in sein Wesen austragenldquo191 Somit waumlren die Opfer
die in den KZs umkamen wie er sie in Das Dinglsquo bereits schildert nicht vermouml-
gend gewesen zu sterben bdquoSie werden Bestandstuumlcke eines Bestandes der Fabrika-
tion von Leichen [] Sie werden in Vernichtungslagern unauffaumlllig liquidiertldquo192
Das vermoumlge die Gefahr zu bewirken Der Mensch wuumlrde des eigenen Sterbens
beraubt da er keine Verbindung mehr zur Wahrheit der Welt haumltte Um den rich-
tigen Tod zu sterben muumlsse der Mensch die Aletheia schauen koumlnnen Insofern ist
Heideggers Prinzip ein religioumls anmutendes Wie in der christlichen Vorstellung
der Mensch im Jenseits an seinen Taten gemessen wird um Paradies oder Fege-
feuer zu besuchen soll nach Heidegger der Mensch waumlhrend des Sterbens mit
sich selbst ins Gericht gehen Er soll sich rein machen vom Ge-Stell der Technik
und dem Seyn um nicht die einmalge Gelegenheit des richtigen Sterbevollzugs
zu versaumlumen Es winken gemaumlszlig des Gevierts die himmlischen Goumlttlichen den
irdischen Sterblichen zu wobei annehmbar ist dass Heidegger Sterblichen die
die Aletheia erkennen einen Goumlttlichkeitsstatus beimessen moumlchte ndash eine Erlouml-
sungsphantasie
Genau diese Erloumlsung waumlre die Technik nicht
Ohne den Schritt des Denkens zu wagen der unser Menschenwesen demWesen der Technik [] aussetzt wuumlrgt man sich von Fall zu Fall von Lagezu Lage durch die Zwiespaumlltigkeiten hindurch Und genau durch dieses Ge-wuumlrge versaumlumt man die Moumlglichkeit dessen was man im Grunde erstrebtdie Technik durch menschliches Tun zu meistern und menschenwuumlrdig zulenken193
190 Vgl GA 79 S 55191 GA 79 S 55192 GA 79 S 56 Weil Heidegger im Judentum die Verantwortlichen fuumlr das Geraffe des Ge-Stells
sieht macht er sie gleichsam verantwortlich fuumlr die bdquoSelbstvernichtungldquo Die Seinsverges-senheit im Tode wird dadurch zum Spin-off der vermeintlich juumldisch erzeugten da machen-schaftlichen KZ-Maschinerie (Vgl GA 97 S 20f)
193 GA 79 S 59
45
Trost und Richtung findet Heidegger schlieszliglich abermals bei den alten Griechen
Das Wort stellenlsquo entspricht dem griechischen ϑέσις vorausgesetzt daszlig wirϑέσις griechisch denken Was heiszligt in diesem Falle griechisch denkenlsquo Esheiszligt darauf achten welche Lichtung desWesens des Seyns in welcherWeisedas Dasein der alten Griechen in den Anspruch genommen hat heiszligt imvoraus bedenken in welchem Geschick welcher Unverborgenheit des Seinsdie Griechen standenldquo194
Das sind Vorstellungen des Neuen Anfangs eine Reminiszenz der griechisch anti-
ken Welt Ein Eintrag aus den Schwarzen Heften von etwa 1945-47 () verdichtet
wie oben bereits aufgezeigt die Phantasie griechisch zu sein zu einem gelingenden
Lebensvollzug
Das reine Wesen des Griechentums dh das Seiende inmitten dessen dieGriechen als seiende fremd gewesen dieses und sie selbst und der Bezug desSeins zu ihnen ndash in der einfachen Wesung von der ἀλήθεια her zeigen underfahren Den μῦθος und λόγος ndash jedes Wort und Gebild rein aber nichterzwungen und schematisch-pedant ndash aus ἀλήθεια erfahren195
Hier zeigt sich auch dass Heidegger per se das Aletheia-Prinzip fuumlr notwendig
hielt um ins Licht der Wahrheit zu blicken Die Griechen sind ihm hier deshalb
Vorbild und rein da sie keiner modernen Technik und dem Ge-Stell ausgesetzt
waren sondern lediglich eine mythopoetische Verbindung zum Sein herstellen
mussten um wesentlich zu sein und Seinsgeschichte zu schreiben Die Dinge und
das Spiegel-Spiel des Gevierts waumlren ihnen geschickt zuhanden gewesen196 Hei-
degger macht schlieszliglich sehr deutlich dass das Griechische zu denken ein bei
weitem anderes Geschaumlft sei als philologische Praumlzision
Ein Echo zu sein naumlmlich dem Anspruch des Seins verlangt eine Sorgfaltder Sprache von der freilich der technisch-terminologische Sprachstil derWissenschaften uumlberhaupt nichts wissen kann Die Intentionalitaumlt der wis-senschaftlichen Sprache ist der staumlrkste Beweis fuumlr ihre Boden- und Heimat-losigkeit [] Das Heimische einer hohen Sprache gedeiht nur im Bereichdes unheimlichen Anspruchs der wesenhaften Stille im Wesen des Seyns197
194 GA 79 S 62f195 GA 97 S 20196 Hingegen waumlre das Judentum verantwortlich fuumlr das Ge-Stell fuumlr das Prinzip der Zerstoumlrung
wie es auf der selben Seite der Schwarzen Hefte darunter heiszligt (vgl ebd)197 GA 79 S 66 Die Bedeutung von Seyn als verstelltes Sein oder Bedingung zum Schauen
des wahren Seins ist verwirrend Einer genaueren Analyse wird aus Platzgruumlnden hier nichtnachgegangen
46
324 Die Kehrelsquo
Der letzte Vortrag ist mit nur neun Seiten der Kuumlrzeste des Vortragsgevierts
Nach dem Verlust des Dinges als Ding und der damit einsetzenden Abstandslosig-
keit als Wesen des Ge-Stells wobei die Gefahr zudem der Vergessenheit des Seyns
nachstellt bietet Heidegger eine Perspektive an
Im Wesen der Gefahr verbirgt sich [] die Moumlglichkeit einer Kehre in derdie Vergessenheit des Wesens des Seins sich so wendet daszlig mit dieser Kehredie Wahrheit des Wesens des Seyns in das Seiende eigens einkehrt198
Diese Moumlglichkeit bedeute nicht dass der Mensch sich der Gefahr selbst stellen
koumlnnte sie waumlre passiv ndash bdquoverbirgt sichldquo Die Kehre werde sich ereignen aumlhnlich
einer Erwartung an den Messias
Die Anwesenheit der Gefahr wuumlrde automatisch die Rettung bergen Denn
Houmllderlin haumltte geschrieben bdquoWo aber Gefahr ist waumlchst [d]as Rettende auchlsquoldquo199
Etwa 1945 notiert Heidegger in seine Schwarzen Hefte bdquoDie Wahrheit erfahren
wir im Gedaumlchtnis Das Gedaumlchtnis ist die Dichtungldquo200 (so) Von dieser War-
te aus ausgestattet mit Erinnerungen an das abendlaumlndische Dichten mit dem
Wissen um das Aletheia-Prinzip und passiv als denkender Huumlter des Seyns solle
der Mensch das Ereignis erwarten das ihn bdquoloumlsen freimachen freyen schonen
bergen in die Hut nehmen wahrenldquo201 wuumlrde (siehe S 43)
Dieses Ereignis waumlre der Blitz Ein unvermittelter jaumlher ploumltzlicher Moment
von kurzer Dauer der bloszlig einen ebenso kurzen Blick auf das wahre Wesen er-
lauben wuumlrde Abschlieszligend ist dies das Rezept gegen die Bestands bestellende
Technik in mythopoetischer Formulierung
So entsprechend ist der Mensch geeignet daszlig er im gewahrten Element vonWelt als der Sterbliche dem Goumlttlichen entgegenblickt Anders nicht dennauch der Gott ist wenn er ist ein Seiender steht als Seiender im Seyn unddessen Wesen das sich aus dem Welten von Welt ereignet202
198 GA 79 S 71199 GA 79 S 72200 GA 97 S 52f201 GA 79 S 72202 GA 79 S 76
47
Wenn Heidegger im Anschluss von der bdquohistorisch-technischen Darstellungldquo re-
det so ist dies die Abwehr der Wissenschaften (auch der Philosophie203) und ein
Appell an die Antirationalitaumlt des Mythos bdquokein historisches Vorstellen der Ge-
schichte als Geschehen bringt in den schicklichen Bezug zum Geschickldquo204
Damit das Blitzen erfahren werde als kurze Wesensschau der Aletheia muumlsse
dem wahren abendlaumlndischen und heimatlichen Ereignis stattgegeben werden Es
sollte nicht wie er 1939 schon in den Schwarzen Heften beschreibt das
kuumlnstliche Licht von Historie und Technik in der weder Mensch noch dieGoumltter weder eineWelt noch die Erde sichtbar werden koumlnnen wo aber dasLebenlsquo von allen den immer noch zu wenigen Meistenlsquo erlebtlsquo wird205
Damit schlieszligt der letzte Vortrag mit einer Erwartung an das Ereignis des Blit-
zens nicht das Erleben der Besinnungslosigkeit (vgl Das Ge-Stelllsquo) Schon 1947
traumlumt Heidegger von solcher Umkehr
Aus der Kehre der Seynsvergessenheit aber ereignet sich das Unumgaumlnglicheden Acker der Welt erst zu pfluumlgen und saatbereit der Sonne und dem Regenund den Voumlgeln des Himmels uumlberlassen206
203 Denn ldquo[e]igentlich denken heiszligt [] die Philosophie verlassen [] beim Sagen des Seinslsquoldquo(GA 97 S 60)
204 Ebd205 GA 95 S 427 Gegen das Erlebnis und Erleben straumlubt sich Heidegger besonders So notiert
er etwa 1939 bdquoZeitalter der Techniklsquo macht gerade die Techniklsquo nicht zum Ziel sondernimmer mehr zum Mittel der besinnungslosen Berechnung [] der Mensch [] das Erleb-nislsquo [] Erleben als der Gefuumlhlsgenuszligldquo (GA 95 S 149) Wie auch bdquoWo beide Historie undTechnik in solcher scheinbaren Gegensaumltzlichkeit verkoppelt sind koumlnnen sie sich zur Foumlr-derung dessen zusammenschlieszligen was einstmals wesentlich die Geschichte des Menschenmitbegruumlndete und was wir die Kunstlsquo nennen Die Historie verschafft [] Anregungenund Vorbilder der Nachahmung die Technik erleichtert [] die Zustellung von Darstel-lungsmitteln und Wirkungsformen [] Gleichwohl ist alles wurzellos [] berechnet und alsErlebnislsquo ausgegebenldquo (GA 95 S 212)
206 GA 97 S 511
48
4 Konklusion
Der umstrittene Philosoph Martin Heidegger hat uumlber die 1930erndash40er Jahre
hinweg eine ausgepraumlgte voumllkisch-nationale und bisweilen radikal-antisemitische
Denkweise entwickelt Dieses Denken fasste er auch auf als Besinnung und stellt
es der Philosophie und Wissenschaft diametral entgegen In Kapitel 2 wird aufge-
zeigt dass sowohl Heideggers Mythologie bereits kritisiert wurde (Adorno Cassi-
rer Meyer) als auch seine Mythopoetik bewundert (Schulz-Nieswandt) Kapitel
3 will daruumlber hinaus aufzeigen wie Heidegger eine eigene Mythologie mytho-
poetisch fruchtbar macht was sich von beiden vorigen Ansaumltzen unterscheidet
und erst mit der Veroumlffentlichung der Schwarzen Hefte ab 2014 nachvollziehbar
wurde
Umso mehr bietet die mythopoetische Verbindung von bdquoDichten und Den-
kenldquo (so) einen antitechnischen Gegenpol Denn Heidegger fasst wie oben ge-
schildert alles Rationale auf als berechnende Bestellung des Bestands im Sinne
der Technik Daruumlber hinaus fordert er mit dem Aletheia-Prinzip (als metapho-
risch gefasstes Ereignis des Blitzens) einen Mitvollzug seiner mythopoetischen
Kontemplation in dem religioumlse voumllkische antike und sprachliche Motive zu-
sammenfallen
Obwohl schon von Heidegger selbst nicht mehr als Philosophie betrachtet
hat seine Rede vom Ding dem Ge-Stell dem Wesen der Technik und der Kehre
noch immer einen bedeutenden Einfluss auf die Technikphilosophie So betont
Alfred Nordmann in bdquoWerkwissen oder How to express things in worksldquo (2008)
dass Heidegger mit Das Dinglsquo eine Art Dingwissen geschaffen haumltte In seinem
2012 erschienenen Aufsatz Another parting of the ways Intersubjectivity and the
objectivity of sciencersquo207 geht Nordmann ein weiteres Mal auf Heideggers Ding
ein Dieses waumlre eine Abarbeitung an dem Ding Kants womit auch Nordmann
Heidegger als einen Interpreten Kants versteht208 Anschlieszligend anMichael Fried-
207 Nordmann Alfred Another parting of the ways Intersubjectivity and the objectivity ofscience In Studies in History and Philosophy of Science 43 (2012) 38ndash46
208 Die Auseinandersetzung mit dem Ding wuumlrde nach Nordmann in Heideggers GA mit demText Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalen Grundsaumltzenlsquoeinsetzen (GA 41 Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalenGrundsaumltzen)
49
man spricht sich Nordmann ebenso dafuumlr aus dass Heidegger neben Rudolf Car-
nap und Ernst Cassirer eine neokantianische Philosophie verfolgt haumltte (siehe
Kap 1)209
Nach Nordmann haumltte Heidegger in seinen anschlieszligenden Gedanken uumlber
das Ding als Fortfuumlhrung Kants als erster Wissenschaft als angewandte Techno-
logie verstanden210 Diese Interpretation stuumltzt sich auf die gleichen Symbole
Metaphern und Mythen die die vorliegende Arbeit analysiert Das Ge-Stell ist
insofern aumlquivok mit dem Begriff techno-science Jedoch sind in dieser Fruchtbar-
machung von Heideggers Denken der Technik dessen nationalistischen rassisti-
schen und antisemitischen Implikationen die die vorliegende Arbeit als Zentrum
dessen Philosophie ermitteln konnte noch nicht beachtet worden koumlnnen211
Andreas Luckner webt Heideggers Ding-Entwurf weiter als verantwortliches
Sorgen um die Dinge212 Er geht dabei mit Heidegger voumlllig konform und tritt
eher als eine Art Bote der Ding-Botschaft auf als diese moumlglicherweise zu kriti-
sieren was sich diesen Artikel wie ein Kapitel aus einem Studienbuch lesen laumlsst
Der Darmstaumldter Technikphilosoph Christoph Hubig ist vor allem Kritiker Hei-
deggers Argumentationen laumlsst aber zuweilen diverse Topoi aus dem Werk des
Technik-Denkers durchscheinen ohne sie weiter zu reflektieren
So konstatiert Hubig Heidegger verfehle in dessen Auseinandersetzung mit
Aristoteles Lehre von der Poiesis zum Punkt der Sicherung wie sie in Die Frage
nach der Techniklsquo behandelt wird bdquodie operative Seite des Technischenldquo bei Aris-
totels213 In einem spaumlteren Aufsatz allerdings stuumltzt er sich ohne weitere Erlaumlute-
rungen auf Heideggers Begriff der Sicherung aus Die Frage nach der Techniklsquo214
209 Diese Befriedung paradigmatischer Umstaumlnde wird hier nicht geteilt Eine weitere Bearbeitunglaumlsst der Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht zu
210 Vgl Nordmann Another parting of the ways S 45211 Der Aussage dass Heideggers Ding-Begriff kantianisch waumlre muumlsste einer gezielten Untersu-
chung unterzogen werden genau wie die Behauptung insgesamt dass Heidegger oder inwie-weit dieser noch der suumlddeutschen Kantschule des 1920 Jahrhunderts angehoumlrte
212 Vgl Luckner Andreas Ding und Bestand Heidegger und das Wesen neuzeitlicher TechnikIn Gamm G Gehring P Hubig C Kaminski A und Nordmann A Ding und SystemS 15-30 hier S 29
213 Hubig Christoph Die Kunst des Moumlglichen Technikphilosophie als Reflexion der MedialitaumltBielefeld 2006 S 103
214 Vgl Hubig Christoph Technik als Medium In Grundwald Armin (Hg) Handbuch Tech-nikethik Stuttgart 2013 S 118-123 hier S 118
50
Dabei versteht Hubig Heideggers Betrachtungen zum Umgang mit der Technik
als gelassen
Fuumlr Heidegger liegt die Andersheit im Entbergen einer Wahrheit des Seinseines Geschicks von dem die Entwicklung der Technik hin zum Gestellkuumlnde Er verbindet dies mit dem Appell jenseits des rechnenden und si-chernden Vorstellens technischer Vollzuumlge als handlungsleitender Program-me sich gelassenlsquo dieser Entwicklung zu uumlberantworten und ein Seinlsquo zuhuumlten das sich als solches eben entbirgt Das Rettendelsquo dieser Einsicht lie-ge darin dass unsere individuelle Endlichkeit insofern transzendiert wirdals sie sich dem sie uumlbersteigenden Prozess aufschlieszligt und sich selbst relati-viert215
Wovon in diesem Zitat nicht die Rede ist ist der Mitvollzug der mythopoe-
tischen Rahmenbedinungen die Heidegger einfordert und an dem die Konzep-
te Abendland und voumllkische Tradition haumlngen In dieser Arbeit wird davon aus-
gegangen dass Heideggers Technikphilosophie-erzaumlhlung sich nicht von seinen
Absichten der Bekaumlmpfung des Technischen loumlsen laumlsst Die Relativierung ist in-
sofern nicht an den Prozess gebunden und damit emergent auf alles hin ausge-
richtet was kommen mag sondern houmlchst konvergent in einer Besinnung auf
Mythen von dem Ding und dem Geviert mit all deren Valenzen aus dem vorlie-
genden Heideggerschen Textkorpus Die individuelle Endlichkeit ist genoumltigt die
Heimat und das Abendland zu kennen und im Aletheia-Prinzip umzusetzen
Die Neubewertung der bislang bekannten Heideggerschen Technikphiloso-
phie von vor den SchwarzenHeften ist ein dringendes Desiderat Voumllkisch-nationale
Gruppierungen erstarken momentan in ganz Europa und es koumlnnte sehr hilfreich
sein aumlhnliche Denkstrukturen aufzudecken so wie sie zwischen den 1930er und
40er Jahren entwickelt wurden Zusaumltzlich muss das Werk Heideggers einer kriti-
schen Revision schon aufgrund der niemals von ihm behandelten Antisemitismen
unterzogen werden Heidegger hat nie zu diesen Stellung bezogen
Daruumlber hinaus ist das Thema Mythos und Philosophie ein weiterhin not-
wendiger Bereich der philosophischen Forschung In einem Bereich auszligerhalb
der exakten Wissenschaften und ohne klare theologische Tradition ist die Philo-
215 Hubig Die Kunst des Moumlglichen S 140
51
sophie beides sowohl Aufklaumlrer und antimythisch als auch Quelle fuumlr mythisches
Denken und affektierende Motive
52
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Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
Der Unterzeichner versichert dass er die vorliegende Bachelorarbeit selbststaumlndig
verfasst und keine anderen als die von ihm angegebenen Hilfsmittel benutzt hat
Die Stellen der Arbeit die anderen Werken dem Wortlaut oder dem Sinne nach
entnommen sind wurden in jedem Fall unter Angabe der Quellen (einschlieszliglich
des World Wide Web und anderer elektronischer Text- und Datensammlungen)
kenntlich gemacht Dies gilt auch fuumlr beigegebene Zeichnungen bildliche Dar-
stellungen Skizzen und dergleichen
Darmstadt 25 April 2016
__________________________
(Eigenhaumlndige Unterschrift)
- Abkuumlrzungsverzeichnis
- Danksagung
- Einleitung
- Heideggers mythopoetisches Programm
-
- Zu den Begriffen Mythos Mythologie und Mythopoetik
-
- Ein Beispiel fuumlr ein Mythologem
-
- Heideggers Mythen
-
- Formen der Mythologie
-
- Heideggers mythopoetische Technik
-
- Zur Publikationsgeschichte von den Bremer Vortraumlgen 1949
- Die mythopoetische Spiegelung der Schwarzen Hefte
-
- Das Dinglsquo
- Das Ge-Stelllsquo
- Die Gefahrlsquo
- Die Kehrelsquo
-
- Konklusion
- Literaturverzeichnis
- Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
-
32
Der Krug ist ein Ding weder im Sinne der roumlmisch gemeinten res noch imSinne des mittelalterlich vorgestellten ens noch gar im Sinne des neuzeitlichvorgestellten Gegenstandes [] Der Krug ist Ding insofern er dingt132
Die Bindung an das deutsche Wort bdquoDingldquo das er spielerisch auch ins Englische
Romanische und Franzoumlsische uumlbersetzt ist unerlaumlsslich fuumlr seine ethymologi-
sche Argumentation In der ist der bdquoGuszligldquo ruumlckgefuumlhrt auf indogermanisch bdquoghuldquo
und das bdquoDingldquo auf das mittelhochdeutsche bdquothingldquo So konnten antik die Roumlmer
von den Griechen abgrenzt werden und modern die anderen drei Sprachen vom
Deutschen Das englische sich sehr nah am bdquothingldquo befindliche bdquothingldquo wird mit
dem Roumlmischen ausgespielt
Im Englischen hat thing noch die erfuumlllte Nennkraft des roumlmischen Wor-tes res bewahrt [] dh ein aus sich kommendes den Menschen Angehen-des133
Fuumlr Heidegger geht es beim bdquothingldquo aber um die mittelhochdeutsche Uumlbersetzung
der Versammlung Darauf beruht sein gesamter Systemansatz mit Geviert und
Ge-stell
Schulz-Nieswandt fuumlhrt diese Zusammenstellung zum Bejubeln von Heideg-
gers Mythopoetik
So fundamental sieht Heidegger die Welt Die Quelle des Wassers wird zurHochzeit von Himmel und Erde das Gieszligen des Wassers aus dem Krugzum Geschenk Auch Sprache ist daher kein Instrument sondern Ort desWohnens des Menschen Sprache wird zum Haus des Seinslsquo134
Hier bestaumltigt die Untersuchung des Ding-Vortrags die These von einer mytho-
poetischen Einschreibung der nationalistischen voumllkischen Abgrenzungs-Mythologie
aus den Schwarzen Heften
322 Das Ge-Stelllsquo
Der zweite Vortrag des Reden-Gevierts setzt ein mit der Metapher des fehlen-
den Abstands Wo kein Abstand sei da waumlre auch keine Naumlhe so Heidegger Er
132 Ebd S 16133 Ebd S 14134 Schulz-Nieswandt Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsverstaumlndnis bei Walter
F Otto S 59
33
verbindet die Abstandslosigkeit mit Urbanitaumlt und Verkehr alles fluktuiere Es
waumlre der Bestand der sich bestelle in dem das Abstandlose herrsche Das sind
neue Metaphern fuumlr die Machenschaft In seiner Erzaumlhlung vom Ge-Stell gibt es
bedeutend weniger mythopoetische Passagen als in dem vorangegangenen Vor-
trag Allerdings uumlbertraumlgt er den mythopoetischen Gehalt der Rede vom Ding
bereits im ersten Absatz von Das Ge-Stelllsquo mit dem Credo bdquoNaumlhe west insofern
das Ding dingtldquo135 Mit dieser Verbindung wird klar unter welchem Zeichen Hei-
degger die Rede vom Ge-Stell verstanden wissen will ndash als verlorenes Verhaumlltnis
des voumllkisch-traditionell verwurzelten Menschen mit den vermeintlichen Wesen
all seiner Gebrauchsobjekte in der mythopoetischen Formel des sich spiegelnden
Gevierts
Nahezu nuumlchtern erzaumlhlt Heidegger dann von dem Gefaumlngnis des Menschen
im Wesen der zirkulierenden sich immer neu bestellenden Bestandstechnik des
Ge-Stells Dabei scheinen folgende Mythen aus den Schwarzen Heften hindurch ndash
1 bdquoHistorie die Technik der Geschichtelsquo Technik die Historie der Naturlsquoldquo136
2 das historische Tier 3 der Appell an den Auftrag des Deutschen 4 der geschicht-
liche Mensch muss die Historie und damit die Technik uumlberwinden und 5 die
alles zernichtende Machenschaft des juumldischen Wesens
Den Topos der seinsvergessenen Groszligstadt jedenfalls kontrastiert er mit der
Bauerndorfidylle Da aber bdquodas Abstandlose herrschtldquo137 waumlre das Vorruumlcken der
Maschinentechnik bereits universell So in Form des Traktors Schon in Band
96 der Schwarzen Hefte beklagt er dieses bdquozum elektrischen Pflug [] gehoumlrt
das amerikanisch aufgemachte Magazinlsquoldquo Insofern erfolge die bdquoAngleichung der
Sitten der Bergbewohner an diejenigen des groszligstaumldtischen Sport- und Barbe-
triebsldquo138
Sein erster Land-Stadtvergleich betrifft den Bauern dessen Totenruhe tradi-
tionell in einem sg bdquoTotenbaumldquo (Sarg) stattgefunden haumltte ndash bdquoIn ihm gedeiht
der Tod des Totenldquo139 Dem gegenuumlber klingt in der bdquomotorisierten Bestattungs-
135 GA 79 S 24136 GA 95 S 351137 GA 79 S 24138 GA 96 S 54139 GA 79 S 26
34
industrie der Groszligstadtldquo140 bereits Heideggers pietaumltsloser Gaskammernvergleich
an
Ackerbau ist jetzt motorisierte Ernaumlhrungsindustrie im Wesen das Selbewie die Fabrikation von Leichen in Gaskammern und Vernichtungslagerndas Selbe wie die Blockade und Aushungerung von Laumlndern das Selbe wiedie Fabrikation von Wasserstoffbomben141
Hier wird davon ausgegangen dass es eine Uumlbertragung der Notizen uumlber
das deutsche Land als bdquoeinziges KZldquo ist die Unterdruumlckung des deutschen Vol-
kes durch die bdquoWeltdemokratieldquo die schlimmer sei als die Graumlueltaten der bdquoGas-
kammernlsquoldquo142 In die mythopoetische Formel von dem dingenden Ding aus dem
ersten Vortrag sind alle Valenzen eingeschrieben die es zur Aufgabe des abendlaumln-
dischen Deutschen (also als Nachfolger der alten Griechen) machen das Wesen
des Dings und somit der Technik zu huumlten Die Verantwortung fuumlr Genozid
Massenvernichtungswaffen und den Mangel im Nachkriegsdeutschland schreibt
Heidegger gleichfoumlrmig dem Prinzip der Abstandslosigkeit zu
Auch die Rede von der Habgier des Berechnenden ist ein bereits bekannter
Vorbehalt Heideggers anhand der Rede vom raffgierigen Juden Denn er sagt von
der bdquoHerrschaft des Abstandlosenldquo dass sie bdquodie Hab-gier des vorstellenden Be-
rechnensldquo waumlre143 Das entspricht seinem Mythos von der alles zernichtenden
Machenschaft des juumldischen Wesens144
Dann folgt eine lange Elegie uumlber das Bestellen des Bestands des Ge-Stells
bdquo[d]ie Kette des Bestellens laumluft auf nichts hinaus sie geht vielmehr nur in ihren
Kreisgang hineinldquo145 uumlber 19 Seiten des 21 seitigen Vortragsexts hinweg entwirft
Heidegger diverse Bilder wie das Ge-Stell die Natur das Hergestellte den Men-
schen und das Verstandesmaumlszligige vereinnahme und das Wesen desDings gleichsam
zur Veruntreuung bringen wuumlrde Wiederum poetisch orientiert kontrastiert also
140 Ebd141 Ebd S 27142 GA 97 S 99f143 Vgl GA 79 S 25144 Vgl Machenschaft hier S 29 und Geraff hier S 33145 GA 79 S 29
35
Heidegger Houmllderlins Hymne Der Rheinlsquo mit dem Rhein dessen Stroumlmung fuumlr
ein Stromkraftwerk genutzt wird
Achten wir um das Ungeheure das hier waltet zu ermessen nur auf einenAugenblick auf den Gegensatz der sich in den beiden Titeln ausspricht DerRhein verbaut in das Kraftwerk ndash der Rheinlsquo gesagt in der gleichnamigenHymne Houmllderlins146
Die Differenz also waumlre das Ungeheure147 Dabei waumlre der Rhein verbaut in das
Kraftwerk Aumlhnlich wie Kohle Erze und Rohoumll waumlren sie Bestand der bdquobesteht
im Bestellenldquo ndash bdquoDas Bestellen waumlre demnach lediglich eine Machenschaft des
Menschen vollzogen in der Weise der Ausbeutungldquo148
Das Bild des Wasserkraftwerks wird erweitert um den Begriff des Menschen
Elektrizitaumlt mit Wasserkraft erzeugen bdquokoumlnnen die Menschen [] nur insofern
sie selber schon in dieses Bestellen bestellt sindldquo149 Mit diesem Bild versucht Hei-
degger praktisch zu veranschaulichen dass Entwurf Umsetzung und Einsatz ei-
ner technischen Anlage den Menschen in ein entruumlcktes Verhaumlltnis zum Wesen
des dingenden Dings setze ndash bdquoDer Mensch ist darum der Angestellte des Bestel-
146 Ebd147 Das ist zusaumltzlich zu dem gemeinten Gegensatz ein Vergleich mit dem Heidegger dem Wort
bdquoRheinldquo in die Hymne Der Rheinlsquo gesprochen eine Energie erzeugende Wirkung zu-schreibt eben so wie das Kraftwerk Strom erzeugen wuumlrde Das wird klar dadurch dassHeidegger metaphorisch vom Stellen des Wortes bdquoRheinldquo in die Hymne spricht Es handeltsich um einen Appell zur denkerischen Besinnung Dass Heidegger dafuumlr eine technischeAnlage zur Veranschaulichung inspirierend wirken laumlsst spielt bereits in die Richtung derBegriffe bdquoHer-vor-bringenldquo bdquoEntbergenldquo und spielt auf das Alteheia-Prinzip an Darauf wirdweiter unten anhand Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo eingegangen werden Es handelt sich umdas Angebot eines mythopoetischen Umgangs mit Technik insbesondere wenn sie sich inheimische Gefilde einfuumlgtHeute koumlnnte man mit Windraumldern ebenso verfahren Somit koumlnnte aber auch Heidegger
als ein gewisser Quijana aus Mancha verstanden werden eben der Protagonist aus Miguel deCervantes Roman Don Quichote von der Manchalsquo der mit seinem von ihm flux auch um-benannten Klepper (weil er zuvor sich selbst in Don Quichote umtaufte) Rocinante Riesenbezwingen will um mit dieser Heldentat unsterblichen ritterlichen Ruhm zu erstreitenAuch Don Quichote fand seine Riesen in Windmuumlhlen und auch Don Quichote war uumlber
eine uumlbertriebene Auseinandersetzung mit einer verschuumltteten Kultur dieser verfallen undsuchte diese in seiner Aventuumlre zu reaktualisieren Martin Heideggers mythopoetisches Pro-gramm ist tatsaumlchlich stark mit Don Quichotes Motiv vergleichbarFerner waumlre eine Auseinandersetzung mit Heideggers Werk unter Beruumlcksichtigung sei-
ner Gewichtung der Vorsokratiker und Houmllderlin als mythopoetischen Autor eine moumlglicheForschung zum Thema Anachronismen in Konzepten von Moral und gesellschaftlicher An-gemessenheit (Vgl Cervantes Miguel de Don Quichote von der Mancha Herausgeben unduumlbersetzt v Susanne Lange Muumlnchen 2008 S 33f)
148 GA 79 S 29149 GA 79 S 30
36
lensldquo150 Schon vorher wies Heidegger darauf hin bdquo[d]ie Herrschaft des Gegen-
staumlndigen sichert nicht den Abstandldquo151 Jetzt heiszligt es
Das Bestellen befaumlllt nicht nur die Stoffe und Kraumlfte der Natur mit Gestel-lung Das Bestellen befaumlllt zugleich das Geschick des Menschen Das Wesendes Menschen wird daraufhin gestellt das Bestellen in menschlicher Weisemitzuvollziehen152
Der Begriff des Ge-Stells wird daraufhin so konstruiert dass es im Bestellen
um ein Stellen (Herausfordern) alles bdquoAnwesenden als Bestandldquo als bdquoversus unumldquo
gegen bdquodas Eine Ganzeldquo gehe153 In wiederum mythopoetischer Formulierung ge-
baumlre die bdquoVersammlung des Stellens worin alles Bestellbare in seinem Bestand
west das Ge-Stellldquo154 Der Begriff bdquoVersammlungldquo wird einen Absatz zuvor my-
thopoetisch wieder an die Versammlung also das thing eben das wesenhafteDing
angelehnt und somit wie zu Das Dinglsquo bereits oben erlaumlutert in einen deutsch-
abendlaumlndischen Kontext gestellt (3)
Wir nennen die Versammlung der Berge die von sich her einig und nienachtraumlglich schon gesammelt ist das Gebirge Wir nennen die Versamm-lung der Weisen nach denen uns so zumute ist und sein kann das Gemuumlt155
Allerdings ist obiges Versammlungsmodell hier als Kontrast zu sehen zu dem
bdquoGeraff des Getriebesldquo das das Ge-Stell darstellt als bdquoWesen der Technikldquo156 Hei-
degger sieht in der Gleichfoumlrmigkeit die zum Wesen des Technik als Ge-Stell
150 GA 79 S 30151 GA 79 S 25152 GA 79 S 31153 Vgl GA 79 S 32154 GA 79 S 32155 Ebd
Das Wort ldquoGemuumltrdquo hat ferner eine ausschlieszliglich deutsche Praumlgung gibt es doch keinedirekte Uumlbersetzungen Gemuumlth ist ferner ein nicht eindeutig umrissener Begriff (Vgl Kra-mer Cheryce A Foolrsquos Paradise The Psychiatry ofGemuumlth in a Biedermeier Asylum Chica-go 1998 S 19) Die Bedeutung im Deutschen selbst ist zudem sehr variabel hat aber zumeistmit Seelen- oder Geistkonzepten zu tun ndash Cheryce von Xylander (geb Kramer) uumlbersetztGemuumlth mit bdquosoul-organldquo (ebd S 43) das von diversen Autoren unterschiedlich konstru-riert wird (zB von Kant geistigkoumlrperlich und von Kleist individuellkollektiv (vgl ebdS 41)) In Heideggers emblematischem Duktus scheint eine Vermischung von allen vier Di-mensionen geistigkoumlrperlich wie auch individuellkollektiv stattzufinden Es ist auf jedenFall dem Mythos geschuldet den Auftrag des Deutschen anzunehmen (3)
156 GA 79 S 33
37
gehoumlre die planetarische Abloumlsung und Aufhebung des traditionellen und damit
wesenhaft ans Ding gebundenen Verhaumlltnisses vom Menschen zur Erde (das von
ihm idealisierte voumllkische Bauerntum das Bestellen des Ackers) bdquoDie Bestand-
Stuumlcke sind Stuumlck fuumlr Stuumlck die Gleichenldquo157 So kontrastiert er alte Handwerks-
techniken mit Maschinentechnik und schreibt der Maschinentechnik die machen-
schaftliche Verdraumlngung als Geraff zu
Das Ge-Stell hat auch wenn das nicht unmittelbar und nicht sogleich ver-nehmlich wird im vorhinein schon alle diejenigen Stellen beseitigt an denenvormals Spinnrad und Wassermuumlhle standen Das Ge-Stell bestellt durch sei-ne Maschinerie zum voraus eine andere Art und Ordnung von Stellen Andiesen kommt nur zu Stand was als Bestellbares auf der Stelle gleichfoumlrmigzur Stelle steht
Darum ist auch die Art wie die Maschine selbst etwas herstellt einewesentlich andere als das handwerkliche Tun gesetzt daszlig es innerhalb desGe-Stells uumlberhaupt noch so etwas wie ein Herstellen gibt
Die Traktoren und Kraftwagen werden herausgebracht ausgeworfen se-rienweise Stuumlck fuumlr Stuumlck Wo drauszligen steht dieses so Herausgestellte Wo-hin in welchen Stand ist es gebracht158
In dieser Klage uumlber den technischen Wandel der durch den Fortschritt in
alle Lebensbereiche Einzug haumllt versucht Heidegger zu veranschaulichen wel-
chen Verlust es zu erkennen gelte Ein Versuch diesem entgegen zu treten ist die
von ihm vorgetragene Mythopoetik die er in diesem Vortragsteil seines Vortrags-
Gevierts allerdings auffaumlllig zuruumlckgestellt sein laumlszligt War der Einleitungsteil Das
Dinglsquo schlieszliglich eine nahezu einzige mythopoetische Darbietung Dramatur-
gisch wird Heidegger in Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo die mythopoetischen For-
mulierung als Loumlsungswege wieder Bedeutung geben In Das Ge-Stelllsquo versucht
Heidegger hingegen Vorstellungen aus seinen Schwarzen Heften aumlhnlich der fol-
genden mitzuteilen die das Uniforme Gleichfoumlrmige betreffen
Die Macht der Machenschaft ndash die Vernichtung sogar der Gottlosigkeit dieVermenschung des Menschen in das Tier die Vernutzung der Erde die Ver-rechnung der Welt ndash ist in den Zustand der Endguumlltigkeit uumlbergegangenUnterschiede der Voumllker Staaten Kulturen sind nur noch Fassade159
157 GA 79 S 36158 GA 79 S 35159 GA 96 S 52f
38
Was Heidegger unter dieser Gleichfoumlrmigkeit versteht schreibt er in den Schwar-
zen Heften zumeist den Amerikanern zu Er nennt es auch haumlufig Planetarismus
Der Amerikanismus [ist DS] die Zusammenraffung von Allem welcheZusammenraffung immer zugleich die Entwurzelung des Gerafften bedeu-tet160
Der Planetarismus ist die historisch gedachte Bestimmung der uumlberall glei-chen die ganze Erde uumlberdeckenden Seinsverlassenheit des Seienden161
Die Gegenuumlberstellung von natuumlrlicher und traditioneller Handwerkstechnik
gegen maschinenhafte Gleichfoumlrmigkeit exemplifiziert Heidegger dann im Vor-
trag Das Ge-Stelllsquo vielfach wie zum Beispiel hier
Der Forstwart zB der im Wald das geschlagene Holz vermiszligt und demAnschein nach noch wie sein Groszligvater in der gleichen Weise die selbenWege geht ist heute von der Holzverwertungsindustrie gestellt Er ist ober es weiszlig oder nicht in seiner Weise Bestand-Stuumlck des Zellulosebestandesund dessen Bestellbarkeit fuumlr das Papier das den Zeitungen und illustrier-ten Magazinen zugestellt wird die uumlber die Oumlffentlichkeit daraufhin stellenverschlungen werden162
160 GA 96 S 257161 GA 96 S 261162 GA 79 S 37f
Die renommierte Theaterautorin Elfriede Jelinek karikiert in ihrem Stuumlck Totenaubergvon 1991 Heideggers Konstrukt von Heimat und Fortschrittsfeindlichkeit verbunden miteiner Auseinandersetzung mit dessen Liebschaft zu Hannah Arend Mit philologischer Prauml-zision polemisiert sie Teile aus Heideggers Elegie uumlber die Technik und laumlszligt ihn dabei alsbeschraumlnktes und eingezwaumlngtes Wesen in einem Gestell gefangen sein Aus diesem heraussoll er Arend Rede und Antwort stehen uumlber sein Verhaumlltnis zum Nationalsozialismus unddie Shoa Doch dieser redet nur naturtrunken von Heimat und berauscht sich daran Derprophetische Denker wird banalisert ndash diese Worte legt Jelinek ihm (im Stuumlck der alte Mann)in den MundbdquoDie Angst vor dem Fragen liegt uumlber dem Abendland Sie bannt die Kandidaten auf ein
Team-Leibchen verbannt sie auf altgewordene Wege und jagt sie zuruumlck ins morsch geworde-ne Gehaumluse ihrer Tore wo es um ihre Ausscheidungen geht Es wird ihnen alles weggenom-men werden auch der Weg selbst Keine Spur kein Lichtschein aus den Ritzen Aber ruf ichin die Huumltte um nach einem zu fragen den ich gekannt hab sehe ich grad noch eine Tuumlrsich schlieszligen Der Wald kommt nicht zur rechten Geltung alles ist entflohen was mir liebwar und woran ich geglaubt hab Was kommt ist noch nicht da Nichts war Ich habe nichtsgehoumlrt Ich erinnere mich nicht aber ich stelle dem Kommenden das mich den lupenreinenAmateur schon vor Beginn des Rennens erlahmen laumlszligt vorsorglich die Hausschuhe vor dieTuumlr Sie sind das Einzige was die Profis des Profits von mir dann vorfinden werden wennsie anklopfen Die Haumlrte des Urgesteins sollte sie nicht entmutigen Die Jahreszeiten machendie Landschaft auf und zu Ich sage nur In dieser scheinbaren Leere will ich vom Denkenmuumld nur schlafen Von der Huumltte aus lassen sich Wanderungen unternehmen Aber auchsonst wird Ihnen alles wie ich sagte genommen werden Auch Ihre Fotos und Namen Unddas Gewesene wird wesenlosldquo ( Jelinek Elfriede Totenauberg Hamburg 1991 S 86f)
39
Die Oumlffentlichkeit ist fuumlr Heidegger ein Topos der dem Denken und Besinnen
entgegenstuumlnde Somit meint er damit zum Einen die Medien wie er es anhand
der Rede von den Bestandstuumlcken in Das Ge-Stelllsquo erklaumlrt wo der Mensch als
Urheber des Ge-Stells als Wesen der Technik nicht gelten soll Vielmehr wuumlrde er
in Ratlosigkeit und Langeweile verfallen weil er in der Bestellung des Bestandes in
Form von Bestandstuumlcken vom Rundfunk keine Besinnung mehr faumlnde dh das
Ganze also wiederum daswesentliche Ding nicht mehr zu fassen vermoumlge163 Und
so toumlnt es bereits aus den Schwarzen Heften von 19391940()
Die Bildlsquo und Tonlsquo ndash Reportagenlsquo der Machenschaft ist der planetari-sche Mythuslsquo des Vollendungsabschnittes der Neuzeit Die Welt des abge-legensten deutschen Bauernhofes wird nicht mehr durch [] die Naturlsquobestimmt in der noch die Erde waltet sondern durch das illustrierte Blattmit der Darstellung von ausgezogenen Tanzweibern von Boxern und Renn-fahrern und sonstigen Heldenlsquo des Tages164
Und ferner notierte Heidegger 1946 in seinen Schwarzen Heften
Uumlberall zerrt es aus dem Oumlffentlichen ins Oumlffentliche mit vielen Strickenund jeder sieht das kaum versuchte Denken des Seyns am Leitband seinesStrickes165
Dabei waumlre eben ein bdquoLiterat [] ein in die Oumlffentlichkeit verliebter Mensch der
Angst vor dem Denker hatldquo166 Dieses liefe dann darauf hinaus dass beim Rund-
funk bdquoein Bestellen und Stellen waltet das in dasWesen des Menschen eingegriffen
hatldquo167
Abermals nach dem Wesen der Technik also nach dem Ge-Stell gefragt geht
Heidegger auf seine Unterscheidung vonNatur undNaturwissenschaft ein bdquo[w]elches
ist das Verhaumlltnis zwischen der Technik und der Naturldquo168 Natur wuumlrde in wis-
senschaftlicher Hinsicht unter das Berechnete fallen sie wuumlrde bdquoals das in Maszlig
und Zahl gestellte Wirkliche vorgestellt das in seinem Gewirkten staumlndig an-
westldquo169 Wenn Heidegger dann Natur aus technischer Sicht bdquoals ein System des
163 Vgl GA 79 S 38f164 GA 96 S 54165 GA 97 S 100166 GA 97 S 126167 GA 79 S 39168 GA 79 S 41169 Ebd
40
Bestellens von Erfolgen aus dem gestellten Wirksamenldquo170 charakterisiert spricht
er von seiner Rede der Verschraumlnkung von Historie und Technik ndash bdquoTechnik die
Historie der Naturldquolsquo171 Dieses ist bekanntlich das seinsvernichtende Gegenstuumlck
zur geschichtlichen Besinnung Denn geschichtliches Walten der Technik ist fuumlr
Heidegger technische Geschichte dh verwissenschaftlichte Geschichte die da-
durch ihr Wesen verloren haumltte (Seynsvergessenheit)172 So heiszligt es in den Schwar-
zen Heften von 1947
Ein Zeitalter das historisch geworden ist dh technisch planend sich selberberechnet und alles in diesen Sog zieht muszlig jede Besinnung nur als eine dervielen Formen der Intellektualitaumlt registrieren173
Heidegger schlieszligt den Vortrag mit dem Aufgriff der Anfangsbehauptung
bdquo[d]er Bestand bestellt das Abstandsloseldquo174 Somit liegt das Problem der ausblei-
benden Naumlhe durch die Technik deren Wesen das Ge-Stell waumlre das den Bestand
bestelle in der Luft Dass dabei der Mensch sogleich Teil des Bestandes und nicht
Teil der Maschine wird laumlsst ihn das historische Tier sein (2)
Der Mensch ist auswechselbar innerhalb des Bestellens von Bestand []Gleichwohl gehoumlrt der Mensch in einer voumlllig anderen Weise in das Ge-Stellals die Maschine DieseWeise kann unmenschlich werden DasUnmenschlicheist jedoch immer noch unmenschlich Der Mensch wird nie zur MaschineDas Unmenschliche und noch Menschentuumlmliche ist freilich unheimlicherweil boumlsartige und verhaumlngnisvoller denn der Mensch der nur Maschine wauml-re175
Wen Heidegger hier ersinnt ist der neuzeitliche Mensch der den bdquoGoumlttern uner-
traumlglich gewordenldquo176 waumlre
170 Ebd171 GA 95 S 351172 In Heidegger Die Technik und die Kehre S 21 stellt er Geschichte und Historie einander
gegenuumlber was er in Das Ge-Stelllsquo nicht vollzieht bdquoDie moderne Technik kam doch erst inden Gang als sie sich auf die exakte Naturwissenschaft stuumltzen konnte Historisch gerechnetbleibt dies richtig Geschichtlich gedacht trifft es nicht das Wahreldquo Signifikant fuumlr Heideg-gers Attributierung so wie sie oben schon geschildert ist steht Historie fuumlrs Rechnen undGeschichte fuumlr das Denken
173 GA 97 S 508174 GA 79 S 44175 GA 79 S 37176 GA 94 S 236
41
323 Die Gefahrlsquo
Aus Heideggers Darlegung uumlber das Ge-Stell erschlieszligen sich seine diversen Fa-
cetten der Vorstellung einer Abstandslosigkeit schaffenden Technik Dass die Ab-
standslosigkeit dem Prinzip des Gevierts des Zusammengestellten entgegensteht
bekommt im Vortrag Die Gefahrlsquo Nachdruck Die mythopoetische Erzaumlhlung
knuumlpft an den Vortrag Das Dinglsquo an mit den Mythologemene 1 Der Mythos
des geschichtlich sein muumlssens 2 der Mythos des Goumlttlichen 3 das geschichtsbe-
sinnliche Prinzip der Aletheia Zudem wird im Prozess des Vortrags das Ge-Stell
zur Gefahr stilisiert was einen eigenen Mythos erschafft
Durch das bdquouniversale Bestellen des Ge-Stellsldquo177 werde die naumlhernde Naumlhe des
Dings verwehrt Wie im Vortrag Das Dinglsquo fuumlhrt Heidegger das Wesentliche sei-
ner Theorie auf die deutsche und altgriechische Sprache zuruumlck Die so vollzoge-
ne Annaumlherung von Schwarzwaumllderischem Dialekt und Altgriechisch entspricht
Heideggers Traum von dem bdquogeschichtliche[n] Geburtsort des abendlaumlndischen
Wesensldquo178 den seine Heimat von Todtnauberg bis Freiburg stiften sollte (1)
es ist das Geistvolle und zugleich das erdenhafte schoumlne Land Es birgt un-sichtbaren Reichtum dem Gemuumlt bewahret tiefstes Dichten und houmlchsteGestalt der Sage179
Unter diesem Vorzeichen also sagt Heidegger
Das Ge-Stellwesen laumlszligt das Ding ohne die Wahr Das Wort die Wahrlsquo be-deutet in unserer Sprache dort wo sie noch urspruumlnglich spricht die HutIn unserer schwaumlbischen Mundart meint das Wort die Wahrlsquo die der muumlt-terlichen Hut anvertrauten Kinder Das Ge-Stell laumlszligt in seinem Stellen dasDing ohne die Hut ndash ohne die Wahr seines Dingwesens180
Diese in Bremen vorgetragene Heimatkunde ist auch Heideggers Sorge ge-
schuldet durch die Besatzermaumlchte und deren kulturellen Einfluss auch durch
die nun moumlgliche Oumlffnung Deutschlands zu einem Austausch mit der Welt das
eigene Wesen zu verlieren So schreibt er 1945-1947() in seine Schwarzen Hefte
177 GA 79 S 46178 GA 97 S 54179 Ebd180 GA 79 S 46
42
Das Schwerste und Fragwuumlrdigste unseres Geschickes ndash beruht darin ob wirdas Eigene finden und huumlten [] unter den anderen Voumllkernlsquo [] Scheinund Vorwand der Macht daszlig man unsere eigene Aufgabe bringen will []als Entmachtete aufgenommen zu sein in den Weltmachenschaftsbetrieb181
Es gaumlbe nach Heidegger also das Welten von Welt und die Verweigerung von
Welt aus derVerwahrlosung des Dings durch das Ge-Stell bzw die Technik182 Welt
ist nach dem Konzept des schwaumlbischen Denkers nichts weniger als das Geviert
Bei der folgenden mythopoetischen Zusammenstellung von dem Geviert mit alt-
griechischen Vokabeln um den Seins-Begriff wird das Aletheia-Prinzip eingefuumlhrt
Somit fuumlhrt uumlber den Mythos des Goumlttlichen (2) der Weg zur Wahrheit eben als
geschichtsbesinnlich erfahrene Aletheia (3)
Welt ist das Geviert von Erde und Himmel Goumlttlichen und SterblichenDas Spiegel-Spiel der Vierung wahrt alles was in ihm dingend zwischenden Vier anwest und abwest in das einende Ganze seines Anwesens Vonaltersher heiszligt das Anwesen des Anwesenden τὸ ὲόν das Seiend [sic] τὸεἶναι das Sein naumlmlich der ὲόντα des Seinenden das esse entium183
Diese Welt waumlre nun bdquoWahrnis des Wesens von Sein Statt Wahrnis sagen wir auch
Wahrheitldquo184 Die Welt mythopoetisch als Spiegel-Spiel des Gevierts und durch
eine altgriechische Brille betrachtet waumlre die wahre Welt Somit wird die Wahr-
heitsschau gebunden einen antiken Goumltterglauben und abendlaumlndische Sprachkas-
kaden vom Dialekt zum Altgriechisch
Das Problem mit der wahren Welt waumlre allerdings dass sie sich in die Ver-
borgenheit entziehe Naumlher betrachtet ist aber die Verborgenheit Bedingung des
Entbergens was Heidegger notwendig macht zu einem wuumlrdigen Lebensvollzug
in Harmonie mit dem Sein Durch solche Wesensschau waumlre der Mensch befaumlhigt
jederzeit die verstellenden Maumlchte des Ge-Stells (der Technik) zu uumlberwinden und
teilhaftig am Wesen der Welt zu werden
181 GA 97 S 99182 Vgl GA 79 S 47183 GA 79 S 48 (Die griechischen Vokabeln werden hier keiner Uumlbersetzung unterzogen Da
Heidegger ohnehin keine philologische Schaumlrfe anwenden will ist es fuumlr die Zwecke hierausreichend sie mit seiner Uumlbersetzung zu betrachten Heidegger spricht von bdquoAchten aufdas Griechischeldquo was schwieriger waumlre als klassische Philologie (vgl GA 79 S 63)
184 Ebd
43
Welt bleibt in der Verborgenheit (Αήθη) auf die Weise daszlig diese ihre Ver-borgenheit gerade eine Unverborgenheit gewaumlhrt die Αλήθεια185
Die Αλήθεια haumltte allerdings auch eine Rolle uumlber die subjektive hinaus da nur
durch ihren Vollzug Seinsgeschichte gewaumlhrt wuumlrde Das ist der Anspruch den
Heidegger an sein Auditorium stellt gemeinsam geschichtlich sein zu muumlssen (1)
Die Αλήθεια ist das Geschick des Seins als welches Geschick sich die Fuumllleder Seinsgeschichte in ihre Epochen fuumlgt186
Mit dem Ge-Stell als Wesen der modernen Technik waumlre die Aletheia aller-
dings hochgradig gefaumlhrdet Denn ohnehin waumlre die Aletheia prinzipiell der Ge-
fahr der Vergessenheit ausgesetzt Doch das Ge-Stell haumltte die Kraft die bdquovollende-
te Vergessenheit der Wahrheit des Seinsldquo187 zu vollrichten
Indem das Ge-Stell alles Anwesende in den Bestand bestellt setzt das Ge-Stell das Anwesen des Anwesenden heraus aus seiner Wesensherkunft ausder Αλήθεια188
Diese Versetzung des beteiligten Wesens aus der Moumlglichkeit des Wahrheitsprin-
zips heraus markiert Heidegger dann mit der Schreibweise Seyn (mit bdquoyldquo) Wie
bei dem Vortrag Das Dinglsquo koumlnnen ethymologische Abstammungen sein Sys-
tem anreichern Da wo es um das Wortfeld des Stellens geht Ge-Stell Bestellen
Verstellen ist auch das NachstellenMitglied der Familie
Im Althochdeutschen heiszligt nachstellen fara Das in sich gesammelte Stellenals Nachstellen ist die Gefahr Der Grundzug des Wesens der Gefahr ist dasNachstellen Insofern das Sein als das Ge-Stell sich selbst mit der Vergessen-heit seines Wesens nachstellt ist das Seyn als Seyn die Gefahr seines eigenenWesens189
Damit wuumlrde sich durch die Verringerung der Selbstreflexion im Seyns-Bestand
eine Schwachstelle auftun in die der denkbegabte und aletheiafaumlhige Mensch ei-
ne Moumlglichkeit haben das Seyn zum Sein zuruumlckzuwandeln ndash also wieder in ein
185 GA 79 S 49186 Ebd187 GA 79 S 53188 GA 79 S 52189 GA 79 S 53
44
wesentliches Verhaumlltnis zum bdquoDingldquo zu gelangen in dem das Geviert wieder die
Harmonie herstellt Allerdings faumlnde bis zu solch einer Nachstellung eine Ver-
sieglung des Seynsbestandes statt Und Heidegger beklagt dass die Erreichung der
Ruumlckeroberung des Seins uumlber die Nachstellung nicht stattfaumlnde und stattdessen
die Irre regieren wuumlrde190
In dieser Irre stuumlnde dem Menschen nicht einmal mehr zu zu sterben Denn
bdquoSterben [] heiszligt den Tod in sein Wesen austragenldquo191 Somit waumlren die Opfer
die in den KZs umkamen wie er sie in Das Dinglsquo bereits schildert nicht vermouml-
gend gewesen zu sterben bdquoSie werden Bestandstuumlcke eines Bestandes der Fabrika-
tion von Leichen [] Sie werden in Vernichtungslagern unauffaumlllig liquidiertldquo192
Das vermoumlge die Gefahr zu bewirken Der Mensch wuumlrde des eigenen Sterbens
beraubt da er keine Verbindung mehr zur Wahrheit der Welt haumltte Um den rich-
tigen Tod zu sterben muumlsse der Mensch die Aletheia schauen koumlnnen Insofern ist
Heideggers Prinzip ein religioumls anmutendes Wie in der christlichen Vorstellung
der Mensch im Jenseits an seinen Taten gemessen wird um Paradies oder Fege-
feuer zu besuchen soll nach Heidegger der Mensch waumlhrend des Sterbens mit
sich selbst ins Gericht gehen Er soll sich rein machen vom Ge-Stell der Technik
und dem Seyn um nicht die einmalge Gelegenheit des richtigen Sterbevollzugs
zu versaumlumen Es winken gemaumlszlig des Gevierts die himmlischen Goumlttlichen den
irdischen Sterblichen zu wobei annehmbar ist dass Heidegger Sterblichen die
die Aletheia erkennen einen Goumlttlichkeitsstatus beimessen moumlchte ndash eine Erlouml-
sungsphantasie
Genau diese Erloumlsung waumlre die Technik nicht
Ohne den Schritt des Denkens zu wagen der unser Menschenwesen demWesen der Technik [] aussetzt wuumlrgt man sich von Fall zu Fall von Lagezu Lage durch die Zwiespaumlltigkeiten hindurch Und genau durch dieses Ge-wuumlrge versaumlumt man die Moumlglichkeit dessen was man im Grunde erstrebtdie Technik durch menschliches Tun zu meistern und menschenwuumlrdig zulenken193
190 Vgl GA 79 S 55191 GA 79 S 55192 GA 79 S 56 Weil Heidegger im Judentum die Verantwortlichen fuumlr das Geraffe des Ge-Stells
sieht macht er sie gleichsam verantwortlich fuumlr die bdquoSelbstvernichtungldquo Die Seinsverges-senheit im Tode wird dadurch zum Spin-off der vermeintlich juumldisch erzeugten da machen-schaftlichen KZ-Maschinerie (Vgl GA 97 S 20f)
193 GA 79 S 59
45
Trost und Richtung findet Heidegger schlieszliglich abermals bei den alten Griechen
Das Wort stellenlsquo entspricht dem griechischen ϑέσις vorausgesetzt daszlig wirϑέσις griechisch denken Was heiszligt in diesem Falle griechisch denkenlsquo Esheiszligt darauf achten welche Lichtung desWesens des Seyns in welcherWeisedas Dasein der alten Griechen in den Anspruch genommen hat heiszligt imvoraus bedenken in welchem Geschick welcher Unverborgenheit des Seinsdie Griechen standenldquo194
Das sind Vorstellungen des Neuen Anfangs eine Reminiszenz der griechisch anti-
ken Welt Ein Eintrag aus den Schwarzen Heften von etwa 1945-47 () verdichtet
wie oben bereits aufgezeigt die Phantasie griechisch zu sein zu einem gelingenden
Lebensvollzug
Das reine Wesen des Griechentums dh das Seiende inmitten dessen dieGriechen als seiende fremd gewesen dieses und sie selbst und der Bezug desSeins zu ihnen ndash in der einfachen Wesung von der ἀλήθεια her zeigen underfahren Den μῦθος und λόγος ndash jedes Wort und Gebild rein aber nichterzwungen und schematisch-pedant ndash aus ἀλήθεια erfahren195
Hier zeigt sich auch dass Heidegger per se das Aletheia-Prinzip fuumlr notwendig
hielt um ins Licht der Wahrheit zu blicken Die Griechen sind ihm hier deshalb
Vorbild und rein da sie keiner modernen Technik und dem Ge-Stell ausgesetzt
waren sondern lediglich eine mythopoetische Verbindung zum Sein herstellen
mussten um wesentlich zu sein und Seinsgeschichte zu schreiben Die Dinge und
das Spiegel-Spiel des Gevierts waumlren ihnen geschickt zuhanden gewesen196 Hei-
degger macht schlieszliglich sehr deutlich dass das Griechische zu denken ein bei
weitem anderes Geschaumlft sei als philologische Praumlzision
Ein Echo zu sein naumlmlich dem Anspruch des Seins verlangt eine Sorgfaltder Sprache von der freilich der technisch-terminologische Sprachstil derWissenschaften uumlberhaupt nichts wissen kann Die Intentionalitaumlt der wis-senschaftlichen Sprache ist der staumlrkste Beweis fuumlr ihre Boden- und Heimat-losigkeit [] Das Heimische einer hohen Sprache gedeiht nur im Bereichdes unheimlichen Anspruchs der wesenhaften Stille im Wesen des Seyns197
194 GA 79 S 62f195 GA 97 S 20196 Hingegen waumlre das Judentum verantwortlich fuumlr das Ge-Stell fuumlr das Prinzip der Zerstoumlrung
wie es auf der selben Seite der Schwarzen Hefte darunter heiszligt (vgl ebd)197 GA 79 S 66 Die Bedeutung von Seyn als verstelltes Sein oder Bedingung zum Schauen
des wahren Seins ist verwirrend Einer genaueren Analyse wird aus Platzgruumlnden hier nichtnachgegangen
46
324 Die Kehrelsquo
Der letzte Vortrag ist mit nur neun Seiten der Kuumlrzeste des Vortragsgevierts
Nach dem Verlust des Dinges als Ding und der damit einsetzenden Abstandslosig-
keit als Wesen des Ge-Stells wobei die Gefahr zudem der Vergessenheit des Seyns
nachstellt bietet Heidegger eine Perspektive an
Im Wesen der Gefahr verbirgt sich [] die Moumlglichkeit einer Kehre in derdie Vergessenheit des Wesens des Seins sich so wendet daszlig mit dieser Kehredie Wahrheit des Wesens des Seyns in das Seiende eigens einkehrt198
Diese Moumlglichkeit bedeute nicht dass der Mensch sich der Gefahr selbst stellen
koumlnnte sie waumlre passiv ndash bdquoverbirgt sichldquo Die Kehre werde sich ereignen aumlhnlich
einer Erwartung an den Messias
Die Anwesenheit der Gefahr wuumlrde automatisch die Rettung bergen Denn
Houmllderlin haumltte geschrieben bdquoWo aber Gefahr ist waumlchst [d]as Rettende auchlsquoldquo199
Etwa 1945 notiert Heidegger in seine Schwarzen Hefte bdquoDie Wahrheit erfahren
wir im Gedaumlchtnis Das Gedaumlchtnis ist die Dichtungldquo200 (so) Von dieser War-
te aus ausgestattet mit Erinnerungen an das abendlaumlndische Dichten mit dem
Wissen um das Aletheia-Prinzip und passiv als denkender Huumlter des Seyns solle
der Mensch das Ereignis erwarten das ihn bdquoloumlsen freimachen freyen schonen
bergen in die Hut nehmen wahrenldquo201 wuumlrde (siehe S 43)
Dieses Ereignis waumlre der Blitz Ein unvermittelter jaumlher ploumltzlicher Moment
von kurzer Dauer der bloszlig einen ebenso kurzen Blick auf das wahre Wesen er-
lauben wuumlrde Abschlieszligend ist dies das Rezept gegen die Bestands bestellende
Technik in mythopoetischer Formulierung
So entsprechend ist der Mensch geeignet daszlig er im gewahrten Element vonWelt als der Sterbliche dem Goumlttlichen entgegenblickt Anders nicht dennauch der Gott ist wenn er ist ein Seiender steht als Seiender im Seyn unddessen Wesen das sich aus dem Welten von Welt ereignet202
198 GA 79 S 71199 GA 79 S 72200 GA 97 S 52f201 GA 79 S 72202 GA 79 S 76
47
Wenn Heidegger im Anschluss von der bdquohistorisch-technischen Darstellungldquo re-
det so ist dies die Abwehr der Wissenschaften (auch der Philosophie203) und ein
Appell an die Antirationalitaumlt des Mythos bdquokein historisches Vorstellen der Ge-
schichte als Geschehen bringt in den schicklichen Bezug zum Geschickldquo204
Damit das Blitzen erfahren werde als kurze Wesensschau der Aletheia muumlsse
dem wahren abendlaumlndischen und heimatlichen Ereignis stattgegeben werden Es
sollte nicht wie er 1939 schon in den Schwarzen Heften beschreibt das
kuumlnstliche Licht von Historie und Technik in der weder Mensch noch dieGoumltter weder eineWelt noch die Erde sichtbar werden koumlnnen wo aber dasLebenlsquo von allen den immer noch zu wenigen Meistenlsquo erlebtlsquo wird205
Damit schlieszligt der letzte Vortrag mit einer Erwartung an das Ereignis des Blit-
zens nicht das Erleben der Besinnungslosigkeit (vgl Das Ge-Stelllsquo) Schon 1947
traumlumt Heidegger von solcher Umkehr
Aus der Kehre der Seynsvergessenheit aber ereignet sich das Unumgaumlnglicheden Acker der Welt erst zu pfluumlgen und saatbereit der Sonne und dem Regenund den Voumlgeln des Himmels uumlberlassen206
203 Denn ldquo[e]igentlich denken heiszligt [] die Philosophie verlassen [] beim Sagen des Seinslsquoldquo(GA 97 S 60)
204 Ebd205 GA 95 S 427 Gegen das Erlebnis und Erleben straumlubt sich Heidegger besonders So notiert
er etwa 1939 bdquoZeitalter der Techniklsquo macht gerade die Techniklsquo nicht zum Ziel sondernimmer mehr zum Mittel der besinnungslosen Berechnung [] der Mensch [] das Erleb-nislsquo [] Erleben als der Gefuumlhlsgenuszligldquo (GA 95 S 149) Wie auch bdquoWo beide Historie undTechnik in solcher scheinbaren Gegensaumltzlichkeit verkoppelt sind koumlnnen sie sich zur Foumlr-derung dessen zusammenschlieszligen was einstmals wesentlich die Geschichte des Menschenmitbegruumlndete und was wir die Kunstlsquo nennen Die Historie verschafft [] Anregungenund Vorbilder der Nachahmung die Technik erleichtert [] die Zustellung von Darstel-lungsmitteln und Wirkungsformen [] Gleichwohl ist alles wurzellos [] berechnet und alsErlebnislsquo ausgegebenldquo (GA 95 S 212)
206 GA 97 S 511
48
4 Konklusion
Der umstrittene Philosoph Martin Heidegger hat uumlber die 1930erndash40er Jahre
hinweg eine ausgepraumlgte voumllkisch-nationale und bisweilen radikal-antisemitische
Denkweise entwickelt Dieses Denken fasste er auch auf als Besinnung und stellt
es der Philosophie und Wissenschaft diametral entgegen In Kapitel 2 wird aufge-
zeigt dass sowohl Heideggers Mythologie bereits kritisiert wurde (Adorno Cassi-
rer Meyer) als auch seine Mythopoetik bewundert (Schulz-Nieswandt) Kapitel
3 will daruumlber hinaus aufzeigen wie Heidegger eine eigene Mythologie mytho-
poetisch fruchtbar macht was sich von beiden vorigen Ansaumltzen unterscheidet
und erst mit der Veroumlffentlichung der Schwarzen Hefte ab 2014 nachvollziehbar
wurde
Umso mehr bietet die mythopoetische Verbindung von bdquoDichten und Den-
kenldquo (so) einen antitechnischen Gegenpol Denn Heidegger fasst wie oben ge-
schildert alles Rationale auf als berechnende Bestellung des Bestands im Sinne
der Technik Daruumlber hinaus fordert er mit dem Aletheia-Prinzip (als metapho-
risch gefasstes Ereignis des Blitzens) einen Mitvollzug seiner mythopoetischen
Kontemplation in dem religioumlse voumllkische antike und sprachliche Motive zu-
sammenfallen
Obwohl schon von Heidegger selbst nicht mehr als Philosophie betrachtet
hat seine Rede vom Ding dem Ge-Stell dem Wesen der Technik und der Kehre
noch immer einen bedeutenden Einfluss auf die Technikphilosophie So betont
Alfred Nordmann in bdquoWerkwissen oder How to express things in worksldquo (2008)
dass Heidegger mit Das Dinglsquo eine Art Dingwissen geschaffen haumltte In seinem
2012 erschienenen Aufsatz Another parting of the ways Intersubjectivity and the
objectivity of sciencersquo207 geht Nordmann ein weiteres Mal auf Heideggers Ding
ein Dieses waumlre eine Abarbeitung an dem Ding Kants womit auch Nordmann
Heidegger als einen Interpreten Kants versteht208 Anschlieszligend anMichael Fried-
207 Nordmann Alfred Another parting of the ways Intersubjectivity and the objectivity ofscience In Studies in History and Philosophy of Science 43 (2012) 38ndash46
208 Die Auseinandersetzung mit dem Ding wuumlrde nach Nordmann in Heideggers GA mit demText Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalen Grundsaumltzenlsquoeinsetzen (GA 41 Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalenGrundsaumltzen)
49
man spricht sich Nordmann ebenso dafuumlr aus dass Heidegger neben Rudolf Car-
nap und Ernst Cassirer eine neokantianische Philosophie verfolgt haumltte (siehe
Kap 1)209
Nach Nordmann haumltte Heidegger in seinen anschlieszligenden Gedanken uumlber
das Ding als Fortfuumlhrung Kants als erster Wissenschaft als angewandte Techno-
logie verstanden210 Diese Interpretation stuumltzt sich auf die gleichen Symbole
Metaphern und Mythen die die vorliegende Arbeit analysiert Das Ge-Stell ist
insofern aumlquivok mit dem Begriff techno-science Jedoch sind in dieser Fruchtbar-
machung von Heideggers Denken der Technik dessen nationalistischen rassisti-
schen und antisemitischen Implikationen die die vorliegende Arbeit als Zentrum
dessen Philosophie ermitteln konnte noch nicht beachtet worden koumlnnen211
Andreas Luckner webt Heideggers Ding-Entwurf weiter als verantwortliches
Sorgen um die Dinge212 Er geht dabei mit Heidegger voumlllig konform und tritt
eher als eine Art Bote der Ding-Botschaft auf als diese moumlglicherweise zu kriti-
sieren was sich diesen Artikel wie ein Kapitel aus einem Studienbuch lesen laumlsst
Der Darmstaumldter Technikphilosoph Christoph Hubig ist vor allem Kritiker Hei-
deggers Argumentationen laumlsst aber zuweilen diverse Topoi aus dem Werk des
Technik-Denkers durchscheinen ohne sie weiter zu reflektieren
So konstatiert Hubig Heidegger verfehle in dessen Auseinandersetzung mit
Aristoteles Lehre von der Poiesis zum Punkt der Sicherung wie sie in Die Frage
nach der Techniklsquo behandelt wird bdquodie operative Seite des Technischenldquo bei Aris-
totels213 In einem spaumlteren Aufsatz allerdings stuumltzt er sich ohne weitere Erlaumlute-
rungen auf Heideggers Begriff der Sicherung aus Die Frage nach der Techniklsquo214
209 Diese Befriedung paradigmatischer Umstaumlnde wird hier nicht geteilt Eine weitere Bearbeitunglaumlsst der Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht zu
210 Vgl Nordmann Another parting of the ways S 45211 Der Aussage dass Heideggers Ding-Begriff kantianisch waumlre muumlsste einer gezielten Untersu-
chung unterzogen werden genau wie die Behauptung insgesamt dass Heidegger oder inwie-weit dieser noch der suumlddeutschen Kantschule des 1920 Jahrhunderts angehoumlrte
212 Vgl Luckner Andreas Ding und Bestand Heidegger und das Wesen neuzeitlicher TechnikIn Gamm G Gehring P Hubig C Kaminski A und Nordmann A Ding und SystemS 15-30 hier S 29
213 Hubig Christoph Die Kunst des Moumlglichen Technikphilosophie als Reflexion der MedialitaumltBielefeld 2006 S 103
214 Vgl Hubig Christoph Technik als Medium In Grundwald Armin (Hg) Handbuch Tech-nikethik Stuttgart 2013 S 118-123 hier S 118
50
Dabei versteht Hubig Heideggers Betrachtungen zum Umgang mit der Technik
als gelassen
Fuumlr Heidegger liegt die Andersheit im Entbergen einer Wahrheit des Seinseines Geschicks von dem die Entwicklung der Technik hin zum Gestellkuumlnde Er verbindet dies mit dem Appell jenseits des rechnenden und si-chernden Vorstellens technischer Vollzuumlge als handlungsleitender Program-me sich gelassenlsquo dieser Entwicklung zu uumlberantworten und ein Seinlsquo zuhuumlten das sich als solches eben entbirgt Das Rettendelsquo dieser Einsicht lie-ge darin dass unsere individuelle Endlichkeit insofern transzendiert wirdals sie sich dem sie uumlbersteigenden Prozess aufschlieszligt und sich selbst relati-viert215
Wovon in diesem Zitat nicht die Rede ist ist der Mitvollzug der mythopoe-
tischen Rahmenbedinungen die Heidegger einfordert und an dem die Konzep-
te Abendland und voumllkische Tradition haumlngen In dieser Arbeit wird davon aus-
gegangen dass Heideggers Technikphilosophie-erzaumlhlung sich nicht von seinen
Absichten der Bekaumlmpfung des Technischen loumlsen laumlsst Die Relativierung ist in-
sofern nicht an den Prozess gebunden und damit emergent auf alles hin ausge-
richtet was kommen mag sondern houmlchst konvergent in einer Besinnung auf
Mythen von dem Ding und dem Geviert mit all deren Valenzen aus dem vorlie-
genden Heideggerschen Textkorpus Die individuelle Endlichkeit ist genoumltigt die
Heimat und das Abendland zu kennen und im Aletheia-Prinzip umzusetzen
Die Neubewertung der bislang bekannten Heideggerschen Technikphiloso-
phie von vor den SchwarzenHeften ist ein dringendes Desiderat Voumllkisch-nationale
Gruppierungen erstarken momentan in ganz Europa und es koumlnnte sehr hilfreich
sein aumlhnliche Denkstrukturen aufzudecken so wie sie zwischen den 1930er und
40er Jahren entwickelt wurden Zusaumltzlich muss das Werk Heideggers einer kriti-
schen Revision schon aufgrund der niemals von ihm behandelten Antisemitismen
unterzogen werden Heidegger hat nie zu diesen Stellung bezogen
Daruumlber hinaus ist das Thema Mythos und Philosophie ein weiterhin not-
wendiger Bereich der philosophischen Forschung In einem Bereich auszligerhalb
der exakten Wissenschaften und ohne klare theologische Tradition ist die Philo-
215 Hubig Die Kunst des Moumlglichen S 140
51
sophie beides sowohl Aufklaumlrer und antimythisch als auch Quelle fuumlr mythisches
Denken und affektierende Motive
52
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wwwdewikipediaorgwiki Martin_Heidegger_und_der_Nationalsozialismus
Die_Heidegger-Kontroverse ndash zuletzt abgerufen am 24042016)
56
Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
Der Unterzeichner versichert dass er die vorliegende Bachelorarbeit selbststaumlndig
verfasst und keine anderen als die von ihm angegebenen Hilfsmittel benutzt hat
Die Stellen der Arbeit die anderen Werken dem Wortlaut oder dem Sinne nach
entnommen sind wurden in jedem Fall unter Angabe der Quellen (einschlieszliglich
des World Wide Web und anderer elektronischer Text- und Datensammlungen)
kenntlich gemacht Dies gilt auch fuumlr beigegebene Zeichnungen bildliche Dar-
stellungen Skizzen und dergleichen
Darmstadt 25 April 2016
__________________________
(Eigenhaumlndige Unterschrift)
- Abkuumlrzungsverzeichnis
- Danksagung
- Einleitung
- Heideggers mythopoetisches Programm
-
- Zu den Begriffen Mythos Mythologie und Mythopoetik
-
- Ein Beispiel fuumlr ein Mythologem
-
- Heideggers Mythen
-
- Formen der Mythologie
-
- Heideggers mythopoetische Technik
-
- Zur Publikationsgeschichte von den Bremer Vortraumlgen 1949
- Die mythopoetische Spiegelung der Schwarzen Hefte
-
- Das Dinglsquo
- Das Ge-Stelllsquo
- Die Gefahrlsquo
- Die Kehrelsquo
-
- Konklusion
- Literaturverzeichnis
- Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
-
33
verbindet die Abstandslosigkeit mit Urbanitaumlt und Verkehr alles fluktuiere Es
waumlre der Bestand der sich bestelle in dem das Abstandlose herrsche Das sind
neue Metaphern fuumlr die Machenschaft In seiner Erzaumlhlung vom Ge-Stell gibt es
bedeutend weniger mythopoetische Passagen als in dem vorangegangenen Vor-
trag Allerdings uumlbertraumlgt er den mythopoetischen Gehalt der Rede vom Ding
bereits im ersten Absatz von Das Ge-Stelllsquo mit dem Credo bdquoNaumlhe west insofern
das Ding dingtldquo135 Mit dieser Verbindung wird klar unter welchem Zeichen Hei-
degger die Rede vom Ge-Stell verstanden wissen will ndash als verlorenes Verhaumlltnis
des voumllkisch-traditionell verwurzelten Menschen mit den vermeintlichen Wesen
all seiner Gebrauchsobjekte in der mythopoetischen Formel des sich spiegelnden
Gevierts
Nahezu nuumlchtern erzaumlhlt Heidegger dann von dem Gefaumlngnis des Menschen
im Wesen der zirkulierenden sich immer neu bestellenden Bestandstechnik des
Ge-Stells Dabei scheinen folgende Mythen aus den Schwarzen Heften hindurch ndash
1 bdquoHistorie die Technik der Geschichtelsquo Technik die Historie der Naturlsquoldquo136
2 das historische Tier 3 der Appell an den Auftrag des Deutschen 4 der geschicht-
liche Mensch muss die Historie und damit die Technik uumlberwinden und 5 die
alles zernichtende Machenschaft des juumldischen Wesens
Den Topos der seinsvergessenen Groszligstadt jedenfalls kontrastiert er mit der
Bauerndorfidylle Da aber bdquodas Abstandlose herrschtldquo137 waumlre das Vorruumlcken der
Maschinentechnik bereits universell So in Form des Traktors Schon in Band
96 der Schwarzen Hefte beklagt er dieses bdquozum elektrischen Pflug [] gehoumlrt
das amerikanisch aufgemachte Magazinlsquoldquo Insofern erfolge die bdquoAngleichung der
Sitten der Bergbewohner an diejenigen des groszligstaumldtischen Sport- und Barbe-
triebsldquo138
Sein erster Land-Stadtvergleich betrifft den Bauern dessen Totenruhe tradi-
tionell in einem sg bdquoTotenbaumldquo (Sarg) stattgefunden haumltte ndash bdquoIn ihm gedeiht
der Tod des Totenldquo139 Dem gegenuumlber klingt in der bdquomotorisierten Bestattungs-
135 GA 79 S 24136 GA 95 S 351137 GA 79 S 24138 GA 96 S 54139 GA 79 S 26
34
industrie der Groszligstadtldquo140 bereits Heideggers pietaumltsloser Gaskammernvergleich
an
Ackerbau ist jetzt motorisierte Ernaumlhrungsindustrie im Wesen das Selbewie die Fabrikation von Leichen in Gaskammern und Vernichtungslagerndas Selbe wie die Blockade und Aushungerung von Laumlndern das Selbe wiedie Fabrikation von Wasserstoffbomben141
Hier wird davon ausgegangen dass es eine Uumlbertragung der Notizen uumlber
das deutsche Land als bdquoeinziges KZldquo ist die Unterdruumlckung des deutschen Vol-
kes durch die bdquoWeltdemokratieldquo die schlimmer sei als die Graumlueltaten der bdquoGas-
kammernlsquoldquo142 In die mythopoetische Formel von dem dingenden Ding aus dem
ersten Vortrag sind alle Valenzen eingeschrieben die es zur Aufgabe des abendlaumln-
dischen Deutschen (also als Nachfolger der alten Griechen) machen das Wesen
des Dings und somit der Technik zu huumlten Die Verantwortung fuumlr Genozid
Massenvernichtungswaffen und den Mangel im Nachkriegsdeutschland schreibt
Heidegger gleichfoumlrmig dem Prinzip der Abstandslosigkeit zu
Auch die Rede von der Habgier des Berechnenden ist ein bereits bekannter
Vorbehalt Heideggers anhand der Rede vom raffgierigen Juden Denn er sagt von
der bdquoHerrschaft des Abstandlosenldquo dass sie bdquodie Hab-gier des vorstellenden Be-
rechnensldquo waumlre143 Das entspricht seinem Mythos von der alles zernichtenden
Machenschaft des juumldischen Wesens144
Dann folgt eine lange Elegie uumlber das Bestellen des Bestands des Ge-Stells
bdquo[d]ie Kette des Bestellens laumluft auf nichts hinaus sie geht vielmehr nur in ihren
Kreisgang hineinldquo145 uumlber 19 Seiten des 21 seitigen Vortragsexts hinweg entwirft
Heidegger diverse Bilder wie das Ge-Stell die Natur das Hergestellte den Men-
schen und das Verstandesmaumlszligige vereinnahme und das Wesen desDings gleichsam
zur Veruntreuung bringen wuumlrde Wiederum poetisch orientiert kontrastiert also
140 Ebd141 Ebd S 27142 GA 97 S 99f143 Vgl GA 79 S 25144 Vgl Machenschaft hier S 29 und Geraff hier S 33145 GA 79 S 29
35
Heidegger Houmllderlins Hymne Der Rheinlsquo mit dem Rhein dessen Stroumlmung fuumlr
ein Stromkraftwerk genutzt wird
Achten wir um das Ungeheure das hier waltet zu ermessen nur auf einenAugenblick auf den Gegensatz der sich in den beiden Titeln ausspricht DerRhein verbaut in das Kraftwerk ndash der Rheinlsquo gesagt in der gleichnamigenHymne Houmllderlins146
Die Differenz also waumlre das Ungeheure147 Dabei waumlre der Rhein verbaut in das
Kraftwerk Aumlhnlich wie Kohle Erze und Rohoumll waumlren sie Bestand der bdquobesteht
im Bestellenldquo ndash bdquoDas Bestellen waumlre demnach lediglich eine Machenschaft des
Menschen vollzogen in der Weise der Ausbeutungldquo148
Das Bild des Wasserkraftwerks wird erweitert um den Begriff des Menschen
Elektrizitaumlt mit Wasserkraft erzeugen bdquokoumlnnen die Menschen [] nur insofern
sie selber schon in dieses Bestellen bestellt sindldquo149 Mit diesem Bild versucht Hei-
degger praktisch zu veranschaulichen dass Entwurf Umsetzung und Einsatz ei-
ner technischen Anlage den Menschen in ein entruumlcktes Verhaumlltnis zum Wesen
des dingenden Dings setze ndash bdquoDer Mensch ist darum der Angestellte des Bestel-
146 Ebd147 Das ist zusaumltzlich zu dem gemeinten Gegensatz ein Vergleich mit dem Heidegger dem Wort
bdquoRheinldquo in die Hymne Der Rheinlsquo gesprochen eine Energie erzeugende Wirkung zu-schreibt eben so wie das Kraftwerk Strom erzeugen wuumlrde Das wird klar dadurch dassHeidegger metaphorisch vom Stellen des Wortes bdquoRheinldquo in die Hymne spricht Es handeltsich um einen Appell zur denkerischen Besinnung Dass Heidegger dafuumlr eine technischeAnlage zur Veranschaulichung inspirierend wirken laumlsst spielt bereits in die Richtung derBegriffe bdquoHer-vor-bringenldquo bdquoEntbergenldquo und spielt auf das Alteheia-Prinzip an Darauf wirdweiter unten anhand Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo eingegangen werden Es handelt sich umdas Angebot eines mythopoetischen Umgangs mit Technik insbesondere wenn sie sich inheimische Gefilde einfuumlgtHeute koumlnnte man mit Windraumldern ebenso verfahren Somit koumlnnte aber auch Heidegger
als ein gewisser Quijana aus Mancha verstanden werden eben der Protagonist aus Miguel deCervantes Roman Don Quichote von der Manchalsquo der mit seinem von ihm flux auch um-benannten Klepper (weil er zuvor sich selbst in Don Quichote umtaufte) Rocinante Riesenbezwingen will um mit dieser Heldentat unsterblichen ritterlichen Ruhm zu erstreitenAuch Don Quichote fand seine Riesen in Windmuumlhlen und auch Don Quichote war uumlber
eine uumlbertriebene Auseinandersetzung mit einer verschuumltteten Kultur dieser verfallen undsuchte diese in seiner Aventuumlre zu reaktualisieren Martin Heideggers mythopoetisches Pro-gramm ist tatsaumlchlich stark mit Don Quichotes Motiv vergleichbarFerner waumlre eine Auseinandersetzung mit Heideggers Werk unter Beruumlcksichtigung sei-
ner Gewichtung der Vorsokratiker und Houmllderlin als mythopoetischen Autor eine moumlglicheForschung zum Thema Anachronismen in Konzepten von Moral und gesellschaftlicher An-gemessenheit (Vgl Cervantes Miguel de Don Quichote von der Mancha Herausgeben unduumlbersetzt v Susanne Lange Muumlnchen 2008 S 33f)
148 GA 79 S 29149 GA 79 S 30
36
lensldquo150 Schon vorher wies Heidegger darauf hin bdquo[d]ie Herrschaft des Gegen-
staumlndigen sichert nicht den Abstandldquo151 Jetzt heiszligt es
Das Bestellen befaumlllt nicht nur die Stoffe und Kraumlfte der Natur mit Gestel-lung Das Bestellen befaumlllt zugleich das Geschick des Menschen Das Wesendes Menschen wird daraufhin gestellt das Bestellen in menschlicher Weisemitzuvollziehen152
Der Begriff des Ge-Stells wird daraufhin so konstruiert dass es im Bestellen
um ein Stellen (Herausfordern) alles bdquoAnwesenden als Bestandldquo als bdquoversus unumldquo
gegen bdquodas Eine Ganzeldquo gehe153 In wiederum mythopoetischer Formulierung ge-
baumlre die bdquoVersammlung des Stellens worin alles Bestellbare in seinem Bestand
west das Ge-Stellldquo154 Der Begriff bdquoVersammlungldquo wird einen Absatz zuvor my-
thopoetisch wieder an die Versammlung also das thing eben das wesenhafteDing
angelehnt und somit wie zu Das Dinglsquo bereits oben erlaumlutert in einen deutsch-
abendlaumlndischen Kontext gestellt (3)
Wir nennen die Versammlung der Berge die von sich her einig und nienachtraumlglich schon gesammelt ist das Gebirge Wir nennen die Versamm-lung der Weisen nach denen uns so zumute ist und sein kann das Gemuumlt155
Allerdings ist obiges Versammlungsmodell hier als Kontrast zu sehen zu dem
bdquoGeraff des Getriebesldquo das das Ge-Stell darstellt als bdquoWesen der Technikldquo156 Hei-
degger sieht in der Gleichfoumlrmigkeit die zum Wesen des Technik als Ge-Stell
150 GA 79 S 30151 GA 79 S 25152 GA 79 S 31153 Vgl GA 79 S 32154 GA 79 S 32155 Ebd
Das Wort ldquoGemuumltrdquo hat ferner eine ausschlieszliglich deutsche Praumlgung gibt es doch keinedirekte Uumlbersetzungen Gemuumlth ist ferner ein nicht eindeutig umrissener Begriff (Vgl Kra-mer Cheryce A Foolrsquos Paradise The Psychiatry ofGemuumlth in a Biedermeier Asylum Chica-go 1998 S 19) Die Bedeutung im Deutschen selbst ist zudem sehr variabel hat aber zumeistmit Seelen- oder Geistkonzepten zu tun ndash Cheryce von Xylander (geb Kramer) uumlbersetztGemuumlth mit bdquosoul-organldquo (ebd S 43) das von diversen Autoren unterschiedlich konstru-riert wird (zB von Kant geistigkoumlrperlich und von Kleist individuellkollektiv (vgl ebdS 41)) In Heideggers emblematischem Duktus scheint eine Vermischung von allen vier Di-mensionen geistigkoumlrperlich wie auch individuellkollektiv stattzufinden Es ist auf jedenFall dem Mythos geschuldet den Auftrag des Deutschen anzunehmen (3)
156 GA 79 S 33
37
gehoumlre die planetarische Abloumlsung und Aufhebung des traditionellen und damit
wesenhaft ans Ding gebundenen Verhaumlltnisses vom Menschen zur Erde (das von
ihm idealisierte voumllkische Bauerntum das Bestellen des Ackers) bdquoDie Bestand-
Stuumlcke sind Stuumlck fuumlr Stuumlck die Gleichenldquo157 So kontrastiert er alte Handwerks-
techniken mit Maschinentechnik und schreibt der Maschinentechnik die machen-
schaftliche Verdraumlngung als Geraff zu
Das Ge-Stell hat auch wenn das nicht unmittelbar und nicht sogleich ver-nehmlich wird im vorhinein schon alle diejenigen Stellen beseitigt an denenvormals Spinnrad und Wassermuumlhle standen Das Ge-Stell bestellt durch sei-ne Maschinerie zum voraus eine andere Art und Ordnung von Stellen Andiesen kommt nur zu Stand was als Bestellbares auf der Stelle gleichfoumlrmigzur Stelle steht
Darum ist auch die Art wie die Maschine selbst etwas herstellt einewesentlich andere als das handwerkliche Tun gesetzt daszlig es innerhalb desGe-Stells uumlberhaupt noch so etwas wie ein Herstellen gibt
Die Traktoren und Kraftwagen werden herausgebracht ausgeworfen se-rienweise Stuumlck fuumlr Stuumlck Wo drauszligen steht dieses so Herausgestellte Wo-hin in welchen Stand ist es gebracht158
In dieser Klage uumlber den technischen Wandel der durch den Fortschritt in
alle Lebensbereiche Einzug haumllt versucht Heidegger zu veranschaulichen wel-
chen Verlust es zu erkennen gelte Ein Versuch diesem entgegen zu treten ist die
von ihm vorgetragene Mythopoetik die er in diesem Vortragsteil seines Vortrags-
Gevierts allerdings auffaumlllig zuruumlckgestellt sein laumlszligt War der Einleitungsteil Das
Dinglsquo schlieszliglich eine nahezu einzige mythopoetische Darbietung Dramatur-
gisch wird Heidegger in Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo die mythopoetischen For-
mulierung als Loumlsungswege wieder Bedeutung geben In Das Ge-Stelllsquo versucht
Heidegger hingegen Vorstellungen aus seinen Schwarzen Heften aumlhnlich der fol-
genden mitzuteilen die das Uniforme Gleichfoumlrmige betreffen
Die Macht der Machenschaft ndash die Vernichtung sogar der Gottlosigkeit dieVermenschung des Menschen in das Tier die Vernutzung der Erde die Ver-rechnung der Welt ndash ist in den Zustand der Endguumlltigkeit uumlbergegangenUnterschiede der Voumllker Staaten Kulturen sind nur noch Fassade159
157 GA 79 S 36158 GA 79 S 35159 GA 96 S 52f
38
Was Heidegger unter dieser Gleichfoumlrmigkeit versteht schreibt er in den Schwar-
zen Heften zumeist den Amerikanern zu Er nennt es auch haumlufig Planetarismus
Der Amerikanismus [ist DS] die Zusammenraffung von Allem welcheZusammenraffung immer zugleich die Entwurzelung des Gerafften bedeu-tet160
Der Planetarismus ist die historisch gedachte Bestimmung der uumlberall glei-chen die ganze Erde uumlberdeckenden Seinsverlassenheit des Seienden161
Die Gegenuumlberstellung von natuumlrlicher und traditioneller Handwerkstechnik
gegen maschinenhafte Gleichfoumlrmigkeit exemplifiziert Heidegger dann im Vor-
trag Das Ge-Stelllsquo vielfach wie zum Beispiel hier
Der Forstwart zB der im Wald das geschlagene Holz vermiszligt und demAnschein nach noch wie sein Groszligvater in der gleichen Weise die selbenWege geht ist heute von der Holzverwertungsindustrie gestellt Er ist ober es weiszlig oder nicht in seiner Weise Bestand-Stuumlck des Zellulosebestandesund dessen Bestellbarkeit fuumlr das Papier das den Zeitungen und illustrier-ten Magazinen zugestellt wird die uumlber die Oumlffentlichkeit daraufhin stellenverschlungen werden162
160 GA 96 S 257161 GA 96 S 261162 GA 79 S 37f
Die renommierte Theaterautorin Elfriede Jelinek karikiert in ihrem Stuumlck Totenaubergvon 1991 Heideggers Konstrukt von Heimat und Fortschrittsfeindlichkeit verbunden miteiner Auseinandersetzung mit dessen Liebschaft zu Hannah Arend Mit philologischer Prauml-zision polemisiert sie Teile aus Heideggers Elegie uumlber die Technik und laumlszligt ihn dabei alsbeschraumlnktes und eingezwaumlngtes Wesen in einem Gestell gefangen sein Aus diesem heraussoll er Arend Rede und Antwort stehen uumlber sein Verhaumlltnis zum Nationalsozialismus unddie Shoa Doch dieser redet nur naturtrunken von Heimat und berauscht sich daran Derprophetische Denker wird banalisert ndash diese Worte legt Jelinek ihm (im Stuumlck der alte Mann)in den MundbdquoDie Angst vor dem Fragen liegt uumlber dem Abendland Sie bannt die Kandidaten auf ein
Team-Leibchen verbannt sie auf altgewordene Wege und jagt sie zuruumlck ins morsch geworde-ne Gehaumluse ihrer Tore wo es um ihre Ausscheidungen geht Es wird ihnen alles weggenom-men werden auch der Weg selbst Keine Spur kein Lichtschein aus den Ritzen Aber ruf ichin die Huumltte um nach einem zu fragen den ich gekannt hab sehe ich grad noch eine Tuumlrsich schlieszligen Der Wald kommt nicht zur rechten Geltung alles ist entflohen was mir liebwar und woran ich geglaubt hab Was kommt ist noch nicht da Nichts war Ich habe nichtsgehoumlrt Ich erinnere mich nicht aber ich stelle dem Kommenden das mich den lupenreinenAmateur schon vor Beginn des Rennens erlahmen laumlszligt vorsorglich die Hausschuhe vor dieTuumlr Sie sind das Einzige was die Profis des Profits von mir dann vorfinden werden wennsie anklopfen Die Haumlrte des Urgesteins sollte sie nicht entmutigen Die Jahreszeiten machendie Landschaft auf und zu Ich sage nur In dieser scheinbaren Leere will ich vom Denkenmuumld nur schlafen Von der Huumltte aus lassen sich Wanderungen unternehmen Aber auchsonst wird Ihnen alles wie ich sagte genommen werden Auch Ihre Fotos und Namen Unddas Gewesene wird wesenlosldquo ( Jelinek Elfriede Totenauberg Hamburg 1991 S 86f)
39
Die Oumlffentlichkeit ist fuumlr Heidegger ein Topos der dem Denken und Besinnen
entgegenstuumlnde Somit meint er damit zum Einen die Medien wie er es anhand
der Rede von den Bestandstuumlcken in Das Ge-Stelllsquo erklaumlrt wo der Mensch als
Urheber des Ge-Stells als Wesen der Technik nicht gelten soll Vielmehr wuumlrde er
in Ratlosigkeit und Langeweile verfallen weil er in der Bestellung des Bestandes in
Form von Bestandstuumlcken vom Rundfunk keine Besinnung mehr faumlnde dh das
Ganze also wiederum daswesentliche Ding nicht mehr zu fassen vermoumlge163 Und
so toumlnt es bereits aus den Schwarzen Heften von 19391940()
Die Bildlsquo und Tonlsquo ndash Reportagenlsquo der Machenschaft ist der planetari-sche Mythuslsquo des Vollendungsabschnittes der Neuzeit Die Welt des abge-legensten deutschen Bauernhofes wird nicht mehr durch [] die Naturlsquobestimmt in der noch die Erde waltet sondern durch das illustrierte Blattmit der Darstellung von ausgezogenen Tanzweibern von Boxern und Renn-fahrern und sonstigen Heldenlsquo des Tages164
Und ferner notierte Heidegger 1946 in seinen Schwarzen Heften
Uumlberall zerrt es aus dem Oumlffentlichen ins Oumlffentliche mit vielen Strickenund jeder sieht das kaum versuchte Denken des Seyns am Leitband seinesStrickes165
Dabei waumlre eben ein bdquoLiterat [] ein in die Oumlffentlichkeit verliebter Mensch der
Angst vor dem Denker hatldquo166 Dieses liefe dann darauf hinaus dass beim Rund-
funk bdquoein Bestellen und Stellen waltet das in dasWesen des Menschen eingegriffen
hatldquo167
Abermals nach dem Wesen der Technik also nach dem Ge-Stell gefragt geht
Heidegger auf seine Unterscheidung vonNatur undNaturwissenschaft ein bdquo[w]elches
ist das Verhaumlltnis zwischen der Technik und der Naturldquo168 Natur wuumlrde in wis-
senschaftlicher Hinsicht unter das Berechnete fallen sie wuumlrde bdquoals das in Maszlig
und Zahl gestellte Wirkliche vorgestellt das in seinem Gewirkten staumlndig an-
westldquo169 Wenn Heidegger dann Natur aus technischer Sicht bdquoals ein System des
163 Vgl GA 79 S 38f164 GA 96 S 54165 GA 97 S 100166 GA 97 S 126167 GA 79 S 39168 GA 79 S 41169 Ebd
40
Bestellens von Erfolgen aus dem gestellten Wirksamenldquo170 charakterisiert spricht
er von seiner Rede der Verschraumlnkung von Historie und Technik ndash bdquoTechnik die
Historie der Naturldquolsquo171 Dieses ist bekanntlich das seinsvernichtende Gegenstuumlck
zur geschichtlichen Besinnung Denn geschichtliches Walten der Technik ist fuumlr
Heidegger technische Geschichte dh verwissenschaftlichte Geschichte die da-
durch ihr Wesen verloren haumltte (Seynsvergessenheit)172 So heiszligt es in den Schwar-
zen Heften von 1947
Ein Zeitalter das historisch geworden ist dh technisch planend sich selberberechnet und alles in diesen Sog zieht muszlig jede Besinnung nur als eine dervielen Formen der Intellektualitaumlt registrieren173
Heidegger schlieszligt den Vortrag mit dem Aufgriff der Anfangsbehauptung
bdquo[d]er Bestand bestellt das Abstandsloseldquo174 Somit liegt das Problem der ausblei-
benden Naumlhe durch die Technik deren Wesen das Ge-Stell waumlre das den Bestand
bestelle in der Luft Dass dabei der Mensch sogleich Teil des Bestandes und nicht
Teil der Maschine wird laumlsst ihn das historische Tier sein (2)
Der Mensch ist auswechselbar innerhalb des Bestellens von Bestand []Gleichwohl gehoumlrt der Mensch in einer voumlllig anderen Weise in das Ge-Stellals die Maschine DieseWeise kann unmenschlich werden DasUnmenschlicheist jedoch immer noch unmenschlich Der Mensch wird nie zur MaschineDas Unmenschliche und noch Menschentuumlmliche ist freilich unheimlicherweil boumlsartige und verhaumlngnisvoller denn der Mensch der nur Maschine wauml-re175
Wen Heidegger hier ersinnt ist der neuzeitliche Mensch der den bdquoGoumlttern uner-
traumlglich gewordenldquo176 waumlre
170 Ebd171 GA 95 S 351172 In Heidegger Die Technik und die Kehre S 21 stellt er Geschichte und Historie einander
gegenuumlber was er in Das Ge-Stelllsquo nicht vollzieht bdquoDie moderne Technik kam doch erst inden Gang als sie sich auf die exakte Naturwissenschaft stuumltzen konnte Historisch gerechnetbleibt dies richtig Geschichtlich gedacht trifft es nicht das Wahreldquo Signifikant fuumlr Heideg-gers Attributierung so wie sie oben schon geschildert ist steht Historie fuumlrs Rechnen undGeschichte fuumlr das Denken
173 GA 97 S 508174 GA 79 S 44175 GA 79 S 37176 GA 94 S 236
41
323 Die Gefahrlsquo
Aus Heideggers Darlegung uumlber das Ge-Stell erschlieszligen sich seine diversen Fa-
cetten der Vorstellung einer Abstandslosigkeit schaffenden Technik Dass die Ab-
standslosigkeit dem Prinzip des Gevierts des Zusammengestellten entgegensteht
bekommt im Vortrag Die Gefahrlsquo Nachdruck Die mythopoetische Erzaumlhlung
knuumlpft an den Vortrag Das Dinglsquo an mit den Mythologemene 1 Der Mythos
des geschichtlich sein muumlssens 2 der Mythos des Goumlttlichen 3 das geschichtsbe-
sinnliche Prinzip der Aletheia Zudem wird im Prozess des Vortrags das Ge-Stell
zur Gefahr stilisiert was einen eigenen Mythos erschafft
Durch das bdquouniversale Bestellen des Ge-Stellsldquo177 werde die naumlhernde Naumlhe des
Dings verwehrt Wie im Vortrag Das Dinglsquo fuumlhrt Heidegger das Wesentliche sei-
ner Theorie auf die deutsche und altgriechische Sprache zuruumlck Die so vollzoge-
ne Annaumlherung von Schwarzwaumllderischem Dialekt und Altgriechisch entspricht
Heideggers Traum von dem bdquogeschichtliche[n] Geburtsort des abendlaumlndischen
Wesensldquo178 den seine Heimat von Todtnauberg bis Freiburg stiften sollte (1)
es ist das Geistvolle und zugleich das erdenhafte schoumlne Land Es birgt un-sichtbaren Reichtum dem Gemuumlt bewahret tiefstes Dichten und houmlchsteGestalt der Sage179
Unter diesem Vorzeichen also sagt Heidegger
Das Ge-Stellwesen laumlszligt das Ding ohne die Wahr Das Wort die Wahrlsquo be-deutet in unserer Sprache dort wo sie noch urspruumlnglich spricht die HutIn unserer schwaumlbischen Mundart meint das Wort die Wahrlsquo die der muumlt-terlichen Hut anvertrauten Kinder Das Ge-Stell laumlszligt in seinem Stellen dasDing ohne die Hut ndash ohne die Wahr seines Dingwesens180
Diese in Bremen vorgetragene Heimatkunde ist auch Heideggers Sorge ge-
schuldet durch die Besatzermaumlchte und deren kulturellen Einfluss auch durch
die nun moumlgliche Oumlffnung Deutschlands zu einem Austausch mit der Welt das
eigene Wesen zu verlieren So schreibt er 1945-1947() in seine Schwarzen Hefte
177 GA 79 S 46178 GA 97 S 54179 Ebd180 GA 79 S 46
42
Das Schwerste und Fragwuumlrdigste unseres Geschickes ndash beruht darin ob wirdas Eigene finden und huumlten [] unter den anderen Voumllkernlsquo [] Scheinund Vorwand der Macht daszlig man unsere eigene Aufgabe bringen will []als Entmachtete aufgenommen zu sein in den Weltmachenschaftsbetrieb181
Es gaumlbe nach Heidegger also das Welten von Welt und die Verweigerung von
Welt aus derVerwahrlosung des Dings durch das Ge-Stell bzw die Technik182 Welt
ist nach dem Konzept des schwaumlbischen Denkers nichts weniger als das Geviert
Bei der folgenden mythopoetischen Zusammenstellung von dem Geviert mit alt-
griechischen Vokabeln um den Seins-Begriff wird das Aletheia-Prinzip eingefuumlhrt
Somit fuumlhrt uumlber den Mythos des Goumlttlichen (2) der Weg zur Wahrheit eben als
geschichtsbesinnlich erfahrene Aletheia (3)
Welt ist das Geviert von Erde und Himmel Goumlttlichen und SterblichenDas Spiegel-Spiel der Vierung wahrt alles was in ihm dingend zwischenden Vier anwest und abwest in das einende Ganze seines Anwesens Vonaltersher heiszligt das Anwesen des Anwesenden τὸ ὲόν das Seiend [sic] τὸεἶναι das Sein naumlmlich der ὲόντα des Seinenden das esse entium183
Diese Welt waumlre nun bdquoWahrnis des Wesens von Sein Statt Wahrnis sagen wir auch
Wahrheitldquo184 Die Welt mythopoetisch als Spiegel-Spiel des Gevierts und durch
eine altgriechische Brille betrachtet waumlre die wahre Welt Somit wird die Wahr-
heitsschau gebunden einen antiken Goumltterglauben und abendlaumlndische Sprachkas-
kaden vom Dialekt zum Altgriechisch
Das Problem mit der wahren Welt waumlre allerdings dass sie sich in die Ver-
borgenheit entziehe Naumlher betrachtet ist aber die Verborgenheit Bedingung des
Entbergens was Heidegger notwendig macht zu einem wuumlrdigen Lebensvollzug
in Harmonie mit dem Sein Durch solche Wesensschau waumlre der Mensch befaumlhigt
jederzeit die verstellenden Maumlchte des Ge-Stells (der Technik) zu uumlberwinden und
teilhaftig am Wesen der Welt zu werden
181 GA 97 S 99182 Vgl GA 79 S 47183 GA 79 S 48 (Die griechischen Vokabeln werden hier keiner Uumlbersetzung unterzogen Da
Heidegger ohnehin keine philologische Schaumlrfe anwenden will ist es fuumlr die Zwecke hierausreichend sie mit seiner Uumlbersetzung zu betrachten Heidegger spricht von bdquoAchten aufdas Griechischeldquo was schwieriger waumlre als klassische Philologie (vgl GA 79 S 63)
184 Ebd
43
Welt bleibt in der Verborgenheit (Αήθη) auf die Weise daszlig diese ihre Ver-borgenheit gerade eine Unverborgenheit gewaumlhrt die Αλήθεια185
Die Αλήθεια haumltte allerdings auch eine Rolle uumlber die subjektive hinaus da nur
durch ihren Vollzug Seinsgeschichte gewaumlhrt wuumlrde Das ist der Anspruch den
Heidegger an sein Auditorium stellt gemeinsam geschichtlich sein zu muumlssen (1)
Die Αλήθεια ist das Geschick des Seins als welches Geschick sich die Fuumllleder Seinsgeschichte in ihre Epochen fuumlgt186
Mit dem Ge-Stell als Wesen der modernen Technik waumlre die Aletheia aller-
dings hochgradig gefaumlhrdet Denn ohnehin waumlre die Aletheia prinzipiell der Ge-
fahr der Vergessenheit ausgesetzt Doch das Ge-Stell haumltte die Kraft die bdquovollende-
te Vergessenheit der Wahrheit des Seinsldquo187 zu vollrichten
Indem das Ge-Stell alles Anwesende in den Bestand bestellt setzt das Ge-Stell das Anwesen des Anwesenden heraus aus seiner Wesensherkunft ausder Αλήθεια188
Diese Versetzung des beteiligten Wesens aus der Moumlglichkeit des Wahrheitsprin-
zips heraus markiert Heidegger dann mit der Schreibweise Seyn (mit bdquoyldquo) Wie
bei dem Vortrag Das Dinglsquo koumlnnen ethymologische Abstammungen sein Sys-
tem anreichern Da wo es um das Wortfeld des Stellens geht Ge-Stell Bestellen
Verstellen ist auch das NachstellenMitglied der Familie
Im Althochdeutschen heiszligt nachstellen fara Das in sich gesammelte Stellenals Nachstellen ist die Gefahr Der Grundzug des Wesens der Gefahr ist dasNachstellen Insofern das Sein als das Ge-Stell sich selbst mit der Vergessen-heit seines Wesens nachstellt ist das Seyn als Seyn die Gefahr seines eigenenWesens189
Damit wuumlrde sich durch die Verringerung der Selbstreflexion im Seyns-Bestand
eine Schwachstelle auftun in die der denkbegabte und aletheiafaumlhige Mensch ei-
ne Moumlglichkeit haben das Seyn zum Sein zuruumlckzuwandeln ndash also wieder in ein
185 GA 79 S 49186 Ebd187 GA 79 S 53188 GA 79 S 52189 GA 79 S 53
44
wesentliches Verhaumlltnis zum bdquoDingldquo zu gelangen in dem das Geviert wieder die
Harmonie herstellt Allerdings faumlnde bis zu solch einer Nachstellung eine Ver-
sieglung des Seynsbestandes statt Und Heidegger beklagt dass die Erreichung der
Ruumlckeroberung des Seins uumlber die Nachstellung nicht stattfaumlnde und stattdessen
die Irre regieren wuumlrde190
In dieser Irre stuumlnde dem Menschen nicht einmal mehr zu zu sterben Denn
bdquoSterben [] heiszligt den Tod in sein Wesen austragenldquo191 Somit waumlren die Opfer
die in den KZs umkamen wie er sie in Das Dinglsquo bereits schildert nicht vermouml-
gend gewesen zu sterben bdquoSie werden Bestandstuumlcke eines Bestandes der Fabrika-
tion von Leichen [] Sie werden in Vernichtungslagern unauffaumlllig liquidiertldquo192
Das vermoumlge die Gefahr zu bewirken Der Mensch wuumlrde des eigenen Sterbens
beraubt da er keine Verbindung mehr zur Wahrheit der Welt haumltte Um den rich-
tigen Tod zu sterben muumlsse der Mensch die Aletheia schauen koumlnnen Insofern ist
Heideggers Prinzip ein religioumls anmutendes Wie in der christlichen Vorstellung
der Mensch im Jenseits an seinen Taten gemessen wird um Paradies oder Fege-
feuer zu besuchen soll nach Heidegger der Mensch waumlhrend des Sterbens mit
sich selbst ins Gericht gehen Er soll sich rein machen vom Ge-Stell der Technik
und dem Seyn um nicht die einmalge Gelegenheit des richtigen Sterbevollzugs
zu versaumlumen Es winken gemaumlszlig des Gevierts die himmlischen Goumlttlichen den
irdischen Sterblichen zu wobei annehmbar ist dass Heidegger Sterblichen die
die Aletheia erkennen einen Goumlttlichkeitsstatus beimessen moumlchte ndash eine Erlouml-
sungsphantasie
Genau diese Erloumlsung waumlre die Technik nicht
Ohne den Schritt des Denkens zu wagen der unser Menschenwesen demWesen der Technik [] aussetzt wuumlrgt man sich von Fall zu Fall von Lagezu Lage durch die Zwiespaumlltigkeiten hindurch Und genau durch dieses Ge-wuumlrge versaumlumt man die Moumlglichkeit dessen was man im Grunde erstrebtdie Technik durch menschliches Tun zu meistern und menschenwuumlrdig zulenken193
190 Vgl GA 79 S 55191 GA 79 S 55192 GA 79 S 56 Weil Heidegger im Judentum die Verantwortlichen fuumlr das Geraffe des Ge-Stells
sieht macht er sie gleichsam verantwortlich fuumlr die bdquoSelbstvernichtungldquo Die Seinsverges-senheit im Tode wird dadurch zum Spin-off der vermeintlich juumldisch erzeugten da machen-schaftlichen KZ-Maschinerie (Vgl GA 97 S 20f)
193 GA 79 S 59
45
Trost und Richtung findet Heidegger schlieszliglich abermals bei den alten Griechen
Das Wort stellenlsquo entspricht dem griechischen ϑέσις vorausgesetzt daszlig wirϑέσις griechisch denken Was heiszligt in diesem Falle griechisch denkenlsquo Esheiszligt darauf achten welche Lichtung desWesens des Seyns in welcherWeisedas Dasein der alten Griechen in den Anspruch genommen hat heiszligt imvoraus bedenken in welchem Geschick welcher Unverborgenheit des Seinsdie Griechen standenldquo194
Das sind Vorstellungen des Neuen Anfangs eine Reminiszenz der griechisch anti-
ken Welt Ein Eintrag aus den Schwarzen Heften von etwa 1945-47 () verdichtet
wie oben bereits aufgezeigt die Phantasie griechisch zu sein zu einem gelingenden
Lebensvollzug
Das reine Wesen des Griechentums dh das Seiende inmitten dessen dieGriechen als seiende fremd gewesen dieses und sie selbst und der Bezug desSeins zu ihnen ndash in der einfachen Wesung von der ἀλήθεια her zeigen underfahren Den μῦθος und λόγος ndash jedes Wort und Gebild rein aber nichterzwungen und schematisch-pedant ndash aus ἀλήθεια erfahren195
Hier zeigt sich auch dass Heidegger per se das Aletheia-Prinzip fuumlr notwendig
hielt um ins Licht der Wahrheit zu blicken Die Griechen sind ihm hier deshalb
Vorbild und rein da sie keiner modernen Technik und dem Ge-Stell ausgesetzt
waren sondern lediglich eine mythopoetische Verbindung zum Sein herstellen
mussten um wesentlich zu sein und Seinsgeschichte zu schreiben Die Dinge und
das Spiegel-Spiel des Gevierts waumlren ihnen geschickt zuhanden gewesen196 Hei-
degger macht schlieszliglich sehr deutlich dass das Griechische zu denken ein bei
weitem anderes Geschaumlft sei als philologische Praumlzision
Ein Echo zu sein naumlmlich dem Anspruch des Seins verlangt eine Sorgfaltder Sprache von der freilich der technisch-terminologische Sprachstil derWissenschaften uumlberhaupt nichts wissen kann Die Intentionalitaumlt der wis-senschaftlichen Sprache ist der staumlrkste Beweis fuumlr ihre Boden- und Heimat-losigkeit [] Das Heimische einer hohen Sprache gedeiht nur im Bereichdes unheimlichen Anspruchs der wesenhaften Stille im Wesen des Seyns197
194 GA 79 S 62f195 GA 97 S 20196 Hingegen waumlre das Judentum verantwortlich fuumlr das Ge-Stell fuumlr das Prinzip der Zerstoumlrung
wie es auf der selben Seite der Schwarzen Hefte darunter heiszligt (vgl ebd)197 GA 79 S 66 Die Bedeutung von Seyn als verstelltes Sein oder Bedingung zum Schauen
des wahren Seins ist verwirrend Einer genaueren Analyse wird aus Platzgruumlnden hier nichtnachgegangen
46
324 Die Kehrelsquo
Der letzte Vortrag ist mit nur neun Seiten der Kuumlrzeste des Vortragsgevierts
Nach dem Verlust des Dinges als Ding und der damit einsetzenden Abstandslosig-
keit als Wesen des Ge-Stells wobei die Gefahr zudem der Vergessenheit des Seyns
nachstellt bietet Heidegger eine Perspektive an
Im Wesen der Gefahr verbirgt sich [] die Moumlglichkeit einer Kehre in derdie Vergessenheit des Wesens des Seins sich so wendet daszlig mit dieser Kehredie Wahrheit des Wesens des Seyns in das Seiende eigens einkehrt198
Diese Moumlglichkeit bedeute nicht dass der Mensch sich der Gefahr selbst stellen
koumlnnte sie waumlre passiv ndash bdquoverbirgt sichldquo Die Kehre werde sich ereignen aumlhnlich
einer Erwartung an den Messias
Die Anwesenheit der Gefahr wuumlrde automatisch die Rettung bergen Denn
Houmllderlin haumltte geschrieben bdquoWo aber Gefahr ist waumlchst [d]as Rettende auchlsquoldquo199
Etwa 1945 notiert Heidegger in seine Schwarzen Hefte bdquoDie Wahrheit erfahren
wir im Gedaumlchtnis Das Gedaumlchtnis ist die Dichtungldquo200 (so) Von dieser War-
te aus ausgestattet mit Erinnerungen an das abendlaumlndische Dichten mit dem
Wissen um das Aletheia-Prinzip und passiv als denkender Huumlter des Seyns solle
der Mensch das Ereignis erwarten das ihn bdquoloumlsen freimachen freyen schonen
bergen in die Hut nehmen wahrenldquo201 wuumlrde (siehe S 43)
Dieses Ereignis waumlre der Blitz Ein unvermittelter jaumlher ploumltzlicher Moment
von kurzer Dauer der bloszlig einen ebenso kurzen Blick auf das wahre Wesen er-
lauben wuumlrde Abschlieszligend ist dies das Rezept gegen die Bestands bestellende
Technik in mythopoetischer Formulierung
So entsprechend ist der Mensch geeignet daszlig er im gewahrten Element vonWelt als der Sterbliche dem Goumlttlichen entgegenblickt Anders nicht dennauch der Gott ist wenn er ist ein Seiender steht als Seiender im Seyn unddessen Wesen das sich aus dem Welten von Welt ereignet202
198 GA 79 S 71199 GA 79 S 72200 GA 97 S 52f201 GA 79 S 72202 GA 79 S 76
47
Wenn Heidegger im Anschluss von der bdquohistorisch-technischen Darstellungldquo re-
det so ist dies die Abwehr der Wissenschaften (auch der Philosophie203) und ein
Appell an die Antirationalitaumlt des Mythos bdquokein historisches Vorstellen der Ge-
schichte als Geschehen bringt in den schicklichen Bezug zum Geschickldquo204
Damit das Blitzen erfahren werde als kurze Wesensschau der Aletheia muumlsse
dem wahren abendlaumlndischen und heimatlichen Ereignis stattgegeben werden Es
sollte nicht wie er 1939 schon in den Schwarzen Heften beschreibt das
kuumlnstliche Licht von Historie und Technik in der weder Mensch noch dieGoumltter weder eineWelt noch die Erde sichtbar werden koumlnnen wo aber dasLebenlsquo von allen den immer noch zu wenigen Meistenlsquo erlebtlsquo wird205
Damit schlieszligt der letzte Vortrag mit einer Erwartung an das Ereignis des Blit-
zens nicht das Erleben der Besinnungslosigkeit (vgl Das Ge-Stelllsquo) Schon 1947
traumlumt Heidegger von solcher Umkehr
Aus der Kehre der Seynsvergessenheit aber ereignet sich das Unumgaumlnglicheden Acker der Welt erst zu pfluumlgen und saatbereit der Sonne und dem Regenund den Voumlgeln des Himmels uumlberlassen206
203 Denn ldquo[e]igentlich denken heiszligt [] die Philosophie verlassen [] beim Sagen des Seinslsquoldquo(GA 97 S 60)
204 Ebd205 GA 95 S 427 Gegen das Erlebnis und Erleben straumlubt sich Heidegger besonders So notiert
er etwa 1939 bdquoZeitalter der Techniklsquo macht gerade die Techniklsquo nicht zum Ziel sondernimmer mehr zum Mittel der besinnungslosen Berechnung [] der Mensch [] das Erleb-nislsquo [] Erleben als der Gefuumlhlsgenuszligldquo (GA 95 S 149) Wie auch bdquoWo beide Historie undTechnik in solcher scheinbaren Gegensaumltzlichkeit verkoppelt sind koumlnnen sie sich zur Foumlr-derung dessen zusammenschlieszligen was einstmals wesentlich die Geschichte des Menschenmitbegruumlndete und was wir die Kunstlsquo nennen Die Historie verschafft [] Anregungenund Vorbilder der Nachahmung die Technik erleichtert [] die Zustellung von Darstel-lungsmitteln und Wirkungsformen [] Gleichwohl ist alles wurzellos [] berechnet und alsErlebnislsquo ausgegebenldquo (GA 95 S 212)
206 GA 97 S 511
48
4 Konklusion
Der umstrittene Philosoph Martin Heidegger hat uumlber die 1930erndash40er Jahre
hinweg eine ausgepraumlgte voumllkisch-nationale und bisweilen radikal-antisemitische
Denkweise entwickelt Dieses Denken fasste er auch auf als Besinnung und stellt
es der Philosophie und Wissenschaft diametral entgegen In Kapitel 2 wird aufge-
zeigt dass sowohl Heideggers Mythologie bereits kritisiert wurde (Adorno Cassi-
rer Meyer) als auch seine Mythopoetik bewundert (Schulz-Nieswandt) Kapitel
3 will daruumlber hinaus aufzeigen wie Heidegger eine eigene Mythologie mytho-
poetisch fruchtbar macht was sich von beiden vorigen Ansaumltzen unterscheidet
und erst mit der Veroumlffentlichung der Schwarzen Hefte ab 2014 nachvollziehbar
wurde
Umso mehr bietet die mythopoetische Verbindung von bdquoDichten und Den-
kenldquo (so) einen antitechnischen Gegenpol Denn Heidegger fasst wie oben ge-
schildert alles Rationale auf als berechnende Bestellung des Bestands im Sinne
der Technik Daruumlber hinaus fordert er mit dem Aletheia-Prinzip (als metapho-
risch gefasstes Ereignis des Blitzens) einen Mitvollzug seiner mythopoetischen
Kontemplation in dem religioumlse voumllkische antike und sprachliche Motive zu-
sammenfallen
Obwohl schon von Heidegger selbst nicht mehr als Philosophie betrachtet
hat seine Rede vom Ding dem Ge-Stell dem Wesen der Technik und der Kehre
noch immer einen bedeutenden Einfluss auf die Technikphilosophie So betont
Alfred Nordmann in bdquoWerkwissen oder How to express things in worksldquo (2008)
dass Heidegger mit Das Dinglsquo eine Art Dingwissen geschaffen haumltte In seinem
2012 erschienenen Aufsatz Another parting of the ways Intersubjectivity and the
objectivity of sciencersquo207 geht Nordmann ein weiteres Mal auf Heideggers Ding
ein Dieses waumlre eine Abarbeitung an dem Ding Kants womit auch Nordmann
Heidegger als einen Interpreten Kants versteht208 Anschlieszligend anMichael Fried-
207 Nordmann Alfred Another parting of the ways Intersubjectivity and the objectivity ofscience In Studies in History and Philosophy of Science 43 (2012) 38ndash46
208 Die Auseinandersetzung mit dem Ding wuumlrde nach Nordmann in Heideggers GA mit demText Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalen Grundsaumltzenlsquoeinsetzen (GA 41 Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalenGrundsaumltzen)
49
man spricht sich Nordmann ebenso dafuumlr aus dass Heidegger neben Rudolf Car-
nap und Ernst Cassirer eine neokantianische Philosophie verfolgt haumltte (siehe
Kap 1)209
Nach Nordmann haumltte Heidegger in seinen anschlieszligenden Gedanken uumlber
das Ding als Fortfuumlhrung Kants als erster Wissenschaft als angewandte Techno-
logie verstanden210 Diese Interpretation stuumltzt sich auf die gleichen Symbole
Metaphern und Mythen die die vorliegende Arbeit analysiert Das Ge-Stell ist
insofern aumlquivok mit dem Begriff techno-science Jedoch sind in dieser Fruchtbar-
machung von Heideggers Denken der Technik dessen nationalistischen rassisti-
schen und antisemitischen Implikationen die die vorliegende Arbeit als Zentrum
dessen Philosophie ermitteln konnte noch nicht beachtet worden koumlnnen211
Andreas Luckner webt Heideggers Ding-Entwurf weiter als verantwortliches
Sorgen um die Dinge212 Er geht dabei mit Heidegger voumlllig konform und tritt
eher als eine Art Bote der Ding-Botschaft auf als diese moumlglicherweise zu kriti-
sieren was sich diesen Artikel wie ein Kapitel aus einem Studienbuch lesen laumlsst
Der Darmstaumldter Technikphilosoph Christoph Hubig ist vor allem Kritiker Hei-
deggers Argumentationen laumlsst aber zuweilen diverse Topoi aus dem Werk des
Technik-Denkers durchscheinen ohne sie weiter zu reflektieren
So konstatiert Hubig Heidegger verfehle in dessen Auseinandersetzung mit
Aristoteles Lehre von der Poiesis zum Punkt der Sicherung wie sie in Die Frage
nach der Techniklsquo behandelt wird bdquodie operative Seite des Technischenldquo bei Aris-
totels213 In einem spaumlteren Aufsatz allerdings stuumltzt er sich ohne weitere Erlaumlute-
rungen auf Heideggers Begriff der Sicherung aus Die Frage nach der Techniklsquo214
209 Diese Befriedung paradigmatischer Umstaumlnde wird hier nicht geteilt Eine weitere Bearbeitunglaumlsst der Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht zu
210 Vgl Nordmann Another parting of the ways S 45211 Der Aussage dass Heideggers Ding-Begriff kantianisch waumlre muumlsste einer gezielten Untersu-
chung unterzogen werden genau wie die Behauptung insgesamt dass Heidegger oder inwie-weit dieser noch der suumlddeutschen Kantschule des 1920 Jahrhunderts angehoumlrte
212 Vgl Luckner Andreas Ding und Bestand Heidegger und das Wesen neuzeitlicher TechnikIn Gamm G Gehring P Hubig C Kaminski A und Nordmann A Ding und SystemS 15-30 hier S 29
213 Hubig Christoph Die Kunst des Moumlglichen Technikphilosophie als Reflexion der MedialitaumltBielefeld 2006 S 103
214 Vgl Hubig Christoph Technik als Medium In Grundwald Armin (Hg) Handbuch Tech-nikethik Stuttgart 2013 S 118-123 hier S 118
50
Dabei versteht Hubig Heideggers Betrachtungen zum Umgang mit der Technik
als gelassen
Fuumlr Heidegger liegt die Andersheit im Entbergen einer Wahrheit des Seinseines Geschicks von dem die Entwicklung der Technik hin zum Gestellkuumlnde Er verbindet dies mit dem Appell jenseits des rechnenden und si-chernden Vorstellens technischer Vollzuumlge als handlungsleitender Program-me sich gelassenlsquo dieser Entwicklung zu uumlberantworten und ein Seinlsquo zuhuumlten das sich als solches eben entbirgt Das Rettendelsquo dieser Einsicht lie-ge darin dass unsere individuelle Endlichkeit insofern transzendiert wirdals sie sich dem sie uumlbersteigenden Prozess aufschlieszligt und sich selbst relati-viert215
Wovon in diesem Zitat nicht die Rede ist ist der Mitvollzug der mythopoe-
tischen Rahmenbedinungen die Heidegger einfordert und an dem die Konzep-
te Abendland und voumllkische Tradition haumlngen In dieser Arbeit wird davon aus-
gegangen dass Heideggers Technikphilosophie-erzaumlhlung sich nicht von seinen
Absichten der Bekaumlmpfung des Technischen loumlsen laumlsst Die Relativierung ist in-
sofern nicht an den Prozess gebunden und damit emergent auf alles hin ausge-
richtet was kommen mag sondern houmlchst konvergent in einer Besinnung auf
Mythen von dem Ding und dem Geviert mit all deren Valenzen aus dem vorlie-
genden Heideggerschen Textkorpus Die individuelle Endlichkeit ist genoumltigt die
Heimat und das Abendland zu kennen und im Aletheia-Prinzip umzusetzen
Die Neubewertung der bislang bekannten Heideggerschen Technikphiloso-
phie von vor den SchwarzenHeften ist ein dringendes Desiderat Voumllkisch-nationale
Gruppierungen erstarken momentan in ganz Europa und es koumlnnte sehr hilfreich
sein aumlhnliche Denkstrukturen aufzudecken so wie sie zwischen den 1930er und
40er Jahren entwickelt wurden Zusaumltzlich muss das Werk Heideggers einer kriti-
schen Revision schon aufgrund der niemals von ihm behandelten Antisemitismen
unterzogen werden Heidegger hat nie zu diesen Stellung bezogen
Daruumlber hinaus ist das Thema Mythos und Philosophie ein weiterhin not-
wendiger Bereich der philosophischen Forschung In einem Bereich auszligerhalb
der exakten Wissenschaften und ohne klare theologische Tradition ist die Philo-
215 Hubig Die Kunst des Moumlglichen S 140
51
sophie beides sowohl Aufklaumlrer und antimythisch als auch Quelle fuumlr mythisches
Denken und affektierende Motive
52
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Die_Heidegger-Kontroverse ndash zuletzt abgerufen am 24042016)
56
Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
Der Unterzeichner versichert dass er die vorliegende Bachelorarbeit selbststaumlndig
verfasst und keine anderen als die von ihm angegebenen Hilfsmittel benutzt hat
Die Stellen der Arbeit die anderen Werken dem Wortlaut oder dem Sinne nach
entnommen sind wurden in jedem Fall unter Angabe der Quellen (einschlieszliglich
des World Wide Web und anderer elektronischer Text- und Datensammlungen)
kenntlich gemacht Dies gilt auch fuumlr beigegebene Zeichnungen bildliche Dar-
stellungen Skizzen und dergleichen
Darmstadt 25 April 2016
__________________________
(Eigenhaumlndige Unterschrift)
- Abkuumlrzungsverzeichnis
- Danksagung
- Einleitung
- Heideggers mythopoetisches Programm
-
- Zu den Begriffen Mythos Mythologie und Mythopoetik
-
- Ein Beispiel fuumlr ein Mythologem
-
- Heideggers Mythen
-
- Formen der Mythologie
-
- Heideggers mythopoetische Technik
-
- Zur Publikationsgeschichte von den Bremer Vortraumlgen 1949
- Die mythopoetische Spiegelung der Schwarzen Hefte
-
- Das Dinglsquo
- Das Ge-Stelllsquo
- Die Gefahrlsquo
- Die Kehrelsquo
-
- Konklusion
- Literaturverzeichnis
- Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
-
34
industrie der Groszligstadtldquo140 bereits Heideggers pietaumltsloser Gaskammernvergleich
an
Ackerbau ist jetzt motorisierte Ernaumlhrungsindustrie im Wesen das Selbewie die Fabrikation von Leichen in Gaskammern und Vernichtungslagerndas Selbe wie die Blockade und Aushungerung von Laumlndern das Selbe wiedie Fabrikation von Wasserstoffbomben141
Hier wird davon ausgegangen dass es eine Uumlbertragung der Notizen uumlber
das deutsche Land als bdquoeinziges KZldquo ist die Unterdruumlckung des deutschen Vol-
kes durch die bdquoWeltdemokratieldquo die schlimmer sei als die Graumlueltaten der bdquoGas-
kammernlsquoldquo142 In die mythopoetische Formel von dem dingenden Ding aus dem
ersten Vortrag sind alle Valenzen eingeschrieben die es zur Aufgabe des abendlaumln-
dischen Deutschen (also als Nachfolger der alten Griechen) machen das Wesen
des Dings und somit der Technik zu huumlten Die Verantwortung fuumlr Genozid
Massenvernichtungswaffen und den Mangel im Nachkriegsdeutschland schreibt
Heidegger gleichfoumlrmig dem Prinzip der Abstandslosigkeit zu
Auch die Rede von der Habgier des Berechnenden ist ein bereits bekannter
Vorbehalt Heideggers anhand der Rede vom raffgierigen Juden Denn er sagt von
der bdquoHerrschaft des Abstandlosenldquo dass sie bdquodie Hab-gier des vorstellenden Be-
rechnensldquo waumlre143 Das entspricht seinem Mythos von der alles zernichtenden
Machenschaft des juumldischen Wesens144
Dann folgt eine lange Elegie uumlber das Bestellen des Bestands des Ge-Stells
bdquo[d]ie Kette des Bestellens laumluft auf nichts hinaus sie geht vielmehr nur in ihren
Kreisgang hineinldquo145 uumlber 19 Seiten des 21 seitigen Vortragsexts hinweg entwirft
Heidegger diverse Bilder wie das Ge-Stell die Natur das Hergestellte den Men-
schen und das Verstandesmaumlszligige vereinnahme und das Wesen desDings gleichsam
zur Veruntreuung bringen wuumlrde Wiederum poetisch orientiert kontrastiert also
140 Ebd141 Ebd S 27142 GA 97 S 99f143 Vgl GA 79 S 25144 Vgl Machenschaft hier S 29 und Geraff hier S 33145 GA 79 S 29
35
Heidegger Houmllderlins Hymne Der Rheinlsquo mit dem Rhein dessen Stroumlmung fuumlr
ein Stromkraftwerk genutzt wird
Achten wir um das Ungeheure das hier waltet zu ermessen nur auf einenAugenblick auf den Gegensatz der sich in den beiden Titeln ausspricht DerRhein verbaut in das Kraftwerk ndash der Rheinlsquo gesagt in der gleichnamigenHymne Houmllderlins146
Die Differenz also waumlre das Ungeheure147 Dabei waumlre der Rhein verbaut in das
Kraftwerk Aumlhnlich wie Kohle Erze und Rohoumll waumlren sie Bestand der bdquobesteht
im Bestellenldquo ndash bdquoDas Bestellen waumlre demnach lediglich eine Machenschaft des
Menschen vollzogen in der Weise der Ausbeutungldquo148
Das Bild des Wasserkraftwerks wird erweitert um den Begriff des Menschen
Elektrizitaumlt mit Wasserkraft erzeugen bdquokoumlnnen die Menschen [] nur insofern
sie selber schon in dieses Bestellen bestellt sindldquo149 Mit diesem Bild versucht Hei-
degger praktisch zu veranschaulichen dass Entwurf Umsetzung und Einsatz ei-
ner technischen Anlage den Menschen in ein entruumlcktes Verhaumlltnis zum Wesen
des dingenden Dings setze ndash bdquoDer Mensch ist darum der Angestellte des Bestel-
146 Ebd147 Das ist zusaumltzlich zu dem gemeinten Gegensatz ein Vergleich mit dem Heidegger dem Wort
bdquoRheinldquo in die Hymne Der Rheinlsquo gesprochen eine Energie erzeugende Wirkung zu-schreibt eben so wie das Kraftwerk Strom erzeugen wuumlrde Das wird klar dadurch dassHeidegger metaphorisch vom Stellen des Wortes bdquoRheinldquo in die Hymne spricht Es handeltsich um einen Appell zur denkerischen Besinnung Dass Heidegger dafuumlr eine technischeAnlage zur Veranschaulichung inspirierend wirken laumlsst spielt bereits in die Richtung derBegriffe bdquoHer-vor-bringenldquo bdquoEntbergenldquo und spielt auf das Alteheia-Prinzip an Darauf wirdweiter unten anhand Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo eingegangen werden Es handelt sich umdas Angebot eines mythopoetischen Umgangs mit Technik insbesondere wenn sie sich inheimische Gefilde einfuumlgtHeute koumlnnte man mit Windraumldern ebenso verfahren Somit koumlnnte aber auch Heidegger
als ein gewisser Quijana aus Mancha verstanden werden eben der Protagonist aus Miguel deCervantes Roman Don Quichote von der Manchalsquo der mit seinem von ihm flux auch um-benannten Klepper (weil er zuvor sich selbst in Don Quichote umtaufte) Rocinante Riesenbezwingen will um mit dieser Heldentat unsterblichen ritterlichen Ruhm zu erstreitenAuch Don Quichote fand seine Riesen in Windmuumlhlen und auch Don Quichote war uumlber
eine uumlbertriebene Auseinandersetzung mit einer verschuumltteten Kultur dieser verfallen undsuchte diese in seiner Aventuumlre zu reaktualisieren Martin Heideggers mythopoetisches Pro-gramm ist tatsaumlchlich stark mit Don Quichotes Motiv vergleichbarFerner waumlre eine Auseinandersetzung mit Heideggers Werk unter Beruumlcksichtigung sei-
ner Gewichtung der Vorsokratiker und Houmllderlin als mythopoetischen Autor eine moumlglicheForschung zum Thema Anachronismen in Konzepten von Moral und gesellschaftlicher An-gemessenheit (Vgl Cervantes Miguel de Don Quichote von der Mancha Herausgeben unduumlbersetzt v Susanne Lange Muumlnchen 2008 S 33f)
148 GA 79 S 29149 GA 79 S 30
36
lensldquo150 Schon vorher wies Heidegger darauf hin bdquo[d]ie Herrschaft des Gegen-
staumlndigen sichert nicht den Abstandldquo151 Jetzt heiszligt es
Das Bestellen befaumlllt nicht nur die Stoffe und Kraumlfte der Natur mit Gestel-lung Das Bestellen befaumlllt zugleich das Geschick des Menschen Das Wesendes Menschen wird daraufhin gestellt das Bestellen in menschlicher Weisemitzuvollziehen152
Der Begriff des Ge-Stells wird daraufhin so konstruiert dass es im Bestellen
um ein Stellen (Herausfordern) alles bdquoAnwesenden als Bestandldquo als bdquoversus unumldquo
gegen bdquodas Eine Ganzeldquo gehe153 In wiederum mythopoetischer Formulierung ge-
baumlre die bdquoVersammlung des Stellens worin alles Bestellbare in seinem Bestand
west das Ge-Stellldquo154 Der Begriff bdquoVersammlungldquo wird einen Absatz zuvor my-
thopoetisch wieder an die Versammlung also das thing eben das wesenhafteDing
angelehnt und somit wie zu Das Dinglsquo bereits oben erlaumlutert in einen deutsch-
abendlaumlndischen Kontext gestellt (3)
Wir nennen die Versammlung der Berge die von sich her einig und nienachtraumlglich schon gesammelt ist das Gebirge Wir nennen die Versamm-lung der Weisen nach denen uns so zumute ist und sein kann das Gemuumlt155
Allerdings ist obiges Versammlungsmodell hier als Kontrast zu sehen zu dem
bdquoGeraff des Getriebesldquo das das Ge-Stell darstellt als bdquoWesen der Technikldquo156 Hei-
degger sieht in der Gleichfoumlrmigkeit die zum Wesen des Technik als Ge-Stell
150 GA 79 S 30151 GA 79 S 25152 GA 79 S 31153 Vgl GA 79 S 32154 GA 79 S 32155 Ebd
Das Wort ldquoGemuumltrdquo hat ferner eine ausschlieszliglich deutsche Praumlgung gibt es doch keinedirekte Uumlbersetzungen Gemuumlth ist ferner ein nicht eindeutig umrissener Begriff (Vgl Kra-mer Cheryce A Foolrsquos Paradise The Psychiatry ofGemuumlth in a Biedermeier Asylum Chica-go 1998 S 19) Die Bedeutung im Deutschen selbst ist zudem sehr variabel hat aber zumeistmit Seelen- oder Geistkonzepten zu tun ndash Cheryce von Xylander (geb Kramer) uumlbersetztGemuumlth mit bdquosoul-organldquo (ebd S 43) das von diversen Autoren unterschiedlich konstru-riert wird (zB von Kant geistigkoumlrperlich und von Kleist individuellkollektiv (vgl ebdS 41)) In Heideggers emblematischem Duktus scheint eine Vermischung von allen vier Di-mensionen geistigkoumlrperlich wie auch individuellkollektiv stattzufinden Es ist auf jedenFall dem Mythos geschuldet den Auftrag des Deutschen anzunehmen (3)
156 GA 79 S 33
37
gehoumlre die planetarische Abloumlsung und Aufhebung des traditionellen und damit
wesenhaft ans Ding gebundenen Verhaumlltnisses vom Menschen zur Erde (das von
ihm idealisierte voumllkische Bauerntum das Bestellen des Ackers) bdquoDie Bestand-
Stuumlcke sind Stuumlck fuumlr Stuumlck die Gleichenldquo157 So kontrastiert er alte Handwerks-
techniken mit Maschinentechnik und schreibt der Maschinentechnik die machen-
schaftliche Verdraumlngung als Geraff zu
Das Ge-Stell hat auch wenn das nicht unmittelbar und nicht sogleich ver-nehmlich wird im vorhinein schon alle diejenigen Stellen beseitigt an denenvormals Spinnrad und Wassermuumlhle standen Das Ge-Stell bestellt durch sei-ne Maschinerie zum voraus eine andere Art und Ordnung von Stellen Andiesen kommt nur zu Stand was als Bestellbares auf der Stelle gleichfoumlrmigzur Stelle steht
Darum ist auch die Art wie die Maschine selbst etwas herstellt einewesentlich andere als das handwerkliche Tun gesetzt daszlig es innerhalb desGe-Stells uumlberhaupt noch so etwas wie ein Herstellen gibt
Die Traktoren und Kraftwagen werden herausgebracht ausgeworfen se-rienweise Stuumlck fuumlr Stuumlck Wo drauszligen steht dieses so Herausgestellte Wo-hin in welchen Stand ist es gebracht158
In dieser Klage uumlber den technischen Wandel der durch den Fortschritt in
alle Lebensbereiche Einzug haumllt versucht Heidegger zu veranschaulichen wel-
chen Verlust es zu erkennen gelte Ein Versuch diesem entgegen zu treten ist die
von ihm vorgetragene Mythopoetik die er in diesem Vortragsteil seines Vortrags-
Gevierts allerdings auffaumlllig zuruumlckgestellt sein laumlszligt War der Einleitungsteil Das
Dinglsquo schlieszliglich eine nahezu einzige mythopoetische Darbietung Dramatur-
gisch wird Heidegger in Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo die mythopoetischen For-
mulierung als Loumlsungswege wieder Bedeutung geben In Das Ge-Stelllsquo versucht
Heidegger hingegen Vorstellungen aus seinen Schwarzen Heften aumlhnlich der fol-
genden mitzuteilen die das Uniforme Gleichfoumlrmige betreffen
Die Macht der Machenschaft ndash die Vernichtung sogar der Gottlosigkeit dieVermenschung des Menschen in das Tier die Vernutzung der Erde die Ver-rechnung der Welt ndash ist in den Zustand der Endguumlltigkeit uumlbergegangenUnterschiede der Voumllker Staaten Kulturen sind nur noch Fassade159
157 GA 79 S 36158 GA 79 S 35159 GA 96 S 52f
38
Was Heidegger unter dieser Gleichfoumlrmigkeit versteht schreibt er in den Schwar-
zen Heften zumeist den Amerikanern zu Er nennt es auch haumlufig Planetarismus
Der Amerikanismus [ist DS] die Zusammenraffung von Allem welcheZusammenraffung immer zugleich die Entwurzelung des Gerafften bedeu-tet160
Der Planetarismus ist die historisch gedachte Bestimmung der uumlberall glei-chen die ganze Erde uumlberdeckenden Seinsverlassenheit des Seienden161
Die Gegenuumlberstellung von natuumlrlicher und traditioneller Handwerkstechnik
gegen maschinenhafte Gleichfoumlrmigkeit exemplifiziert Heidegger dann im Vor-
trag Das Ge-Stelllsquo vielfach wie zum Beispiel hier
Der Forstwart zB der im Wald das geschlagene Holz vermiszligt und demAnschein nach noch wie sein Groszligvater in der gleichen Weise die selbenWege geht ist heute von der Holzverwertungsindustrie gestellt Er ist ober es weiszlig oder nicht in seiner Weise Bestand-Stuumlck des Zellulosebestandesund dessen Bestellbarkeit fuumlr das Papier das den Zeitungen und illustrier-ten Magazinen zugestellt wird die uumlber die Oumlffentlichkeit daraufhin stellenverschlungen werden162
160 GA 96 S 257161 GA 96 S 261162 GA 79 S 37f
Die renommierte Theaterautorin Elfriede Jelinek karikiert in ihrem Stuumlck Totenaubergvon 1991 Heideggers Konstrukt von Heimat und Fortschrittsfeindlichkeit verbunden miteiner Auseinandersetzung mit dessen Liebschaft zu Hannah Arend Mit philologischer Prauml-zision polemisiert sie Teile aus Heideggers Elegie uumlber die Technik und laumlszligt ihn dabei alsbeschraumlnktes und eingezwaumlngtes Wesen in einem Gestell gefangen sein Aus diesem heraussoll er Arend Rede und Antwort stehen uumlber sein Verhaumlltnis zum Nationalsozialismus unddie Shoa Doch dieser redet nur naturtrunken von Heimat und berauscht sich daran Derprophetische Denker wird banalisert ndash diese Worte legt Jelinek ihm (im Stuumlck der alte Mann)in den MundbdquoDie Angst vor dem Fragen liegt uumlber dem Abendland Sie bannt die Kandidaten auf ein
Team-Leibchen verbannt sie auf altgewordene Wege und jagt sie zuruumlck ins morsch geworde-ne Gehaumluse ihrer Tore wo es um ihre Ausscheidungen geht Es wird ihnen alles weggenom-men werden auch der Weg selbst Keine Spur kein Lichtschein aus den Ritzen Aber ruf ichin die Huumltte um nach einem zu fragen den ich gekannt hab sehe ich grad noch eine Tuumlrsich schlieszligen Der Wald kommt nicht zur rechten Geltung alles ist entflohen was mir liebwar und woran ich geglaubt hab Was kommt ist noch nicht da Nichts war Ich habe nichtsgehoumlrt Ich erinnere mich nicht aber ich stelle dem Kommenden das mich den lupenreinenAmateur schon vor Beginn des Rennens erlahmen laumlszligt vorsorglich die Hausschuhe vor dieTuumlr Sie sind das Einzige was die Profis des Profits von mir dann vorfinden werden wennsie anklopfen Die Haumlrte des Urgesteins sollte sie nicht entmutigen Die Jahreszeiten machendie Landschaft auf und zu Ich sage nur In dieser scheinbaren Leere will ich vom Denkenmuumld nur schlafen Von der Huumltte aus lassen sich Wanderungen unternehmen Aber auchsonst wird Ihnen alles wie ich sagte genommen werden Auch Ihre Fotos und Namen Unddas Gewesene wird wesenlosldquo ( Jelinek Elfriede Totenauberg Hamburg 1991 S 86f)
39
Die Oumlffentlichkeit ist fuumlr Heidegger ein Topos der dem Denken und Besinnen
entgegenstuumlnde Somit meint er damit zum Einen die Medien wie er es anhand
der Rede von den Bestandstuumlcken in Das Ge-Stelllsquo erklaumlrt wo der Mensch als
Urheber des Ge-Stells als Wesen der Technik nicht gelten soll Vielmehr wuumlrde er
in Ratlosigkeit und Langeweile verfallen weil er in der Bestellung des Bestandes in
Form von Bestandstuumlcken vom Rundfunk keine Besinnung mehr faumlnde dh das
Ganze also wiederum daswesentliche Ding nicht mehr zu fassen vermoumlge163 Und
so toumlnt es bereits aus den Schwarzen Heften von 19391940()
Die Bildlsquo und Tonlsquo ndash Reportagenlsquo der Machenschaft ist der planetari-sche Mythuslsquo des Vollendungsabschnittes der Neuzeit Die Welt des abge-legensten deutschen Bauernhofes wird nicht mehr durch [] die Naturlsquobestimmt in der noch die Erde waltet sondern durch das illustrierte Blattmit der Darstellung von ausgezogenen Tanzweibern von Boxern und Renn-fahrern und sonstigen Heldenlsquo des Tages164
Und ferner notierte Heidegger 1946 in seinen Schwarzen Heften
Uumlberall zerrt es aus dem Oumlffentlichen ins Oumlffentliche mit vielen Strickenund jeder sieht das kaum versuchte Denken des Seyns am Leitband seinesStrickes165
Dabei waumlre eben ein bdquoLiterat [] ein in die Oumlffentlichkeit verliebter Mensch der
Angst vor dem Denker hatldquo166 Dieses liefe dann darauf hinaus dass beim Rund-
funk bdquoein Bestellen und Stellen waltet das in dasWesen des Menschen eingegriffen
hatldquo167
Abermals nach dem Wesen der Technik also nach dem Ge-Stell gefragt geht
Heidegger auf seine Unterscheidung vonNatur undNaturwissenschaft ein bdquo[w]elches
ist das Verhaumlltnis zwischen der Technik und der Naturldquo168 Natur wuumlrde in wis-
senschaftlicher Hinsicht unter das Berechnete fallen sie wuumlrde bdquoals das in Maszlig
und Zahl gestellte Wirkliche vorgestellt das in seinem Gewirkten staumlndig an-
westldquo169 Wenn Heidegger dann Natur aus technischer Sicht bdquoals ein System des
163 Vgl GA 79 S 38f164 GA 96 S 54165 GA 97 S 100166 GA 97 S 126167 GA 79 S 39168 GA 79 S 41169 Ebd
40
Bestellens von Erfolgen aus dem gestellten Wirksamenldquo170 charakterisiert spricht
er von seiner Rede der Verschraumlnkung von Historie und Technik ndash bdquoTechnik die
Historie der Naturldquolsquo171 Dieses ist bekanntlich das seinsvernichtende Gegenstuumlck
zur geschichtlichen Besinnung Denn geschichtliches Walten der Technik ist fuumlr
Heidegger technische Geschichte dh verwissenschaftlichte Geschichte die da-
durch ihr Wesen verloren haumltte (Seynsvergessenheit)172 So heiszligt es in den Schwar-
zen Heften von 1947
Ein Zeitalter das historisch geworden ist dh technisch planend sich selberberechnet und alles in diesen Sog zieht muszlig jede Besinnung nur als eine dervielen Formen der Intellektualitaumlt registrieren173
Heidegger schlieszligt den Vortrag mit dem Aufgriff der Anfangsbehauptung
bdquo[d]er Bestand bestellt das Abstandsloseldquo174 Somit liegt das Problem der ausblei-
benden Naumlhe durch die Technik deren Wesen das Ge-Stell waumlre das den Bestand
bestelle in der Luft Dass dabei der Mensch sogleich Teil des Bestandes und nicht
Teil der Maschine wird laumlsst ihn das historische Tier sein (2)
Der Mensch ist auswechselbar innerhalb des Bestellens von Bestand []Gleichwohl gehoumlrt der Mensch in einer voumlllig anderen Weise in das Ge-Stellals die Maschine DieseWeise kann unmenschlich werden DasUnmenschlicheist jedoch immer noch unmenschlich Der Mensch wird nie zur MaschineDas Unmenschliche und noch Menschentuumlmliche ist freilich unheimlicherweil boumlsartige und verhaumlngnisvoller denn der Mensch der nur Maschine wauml-re175
Wen Heidegger hier ersinnt ist der neuzeitliche Mensch der den bdquoGoumlttern uner-
traumlglich gewordenldquo176 waumlre
170 Ebd171 GA 95 S 351172 In Heidegger Die Technik und die Kehre S 21 stellt er Geschichte und Historie einander
gegenuumlber was er in Das Ge-Stelllsquo nicht vollzieht bdquoDie moderne Technik kam doch erst inden Gang als sie sich auf die exakte Naturwissenschaft stuumltzen konnte Historisch gerechnetbleibt dies richtig Geschichtlich gedacht trifft es nicht das Wahreldquo Signifikant fuumlr Heideg-gers Attributierung so wie sie oben schon geschildert ist steht Historie fuumlrs Rechnen undGeschichte fuumlr das Denken
173 GA 97 S 508174 GA 79 S 44175 GA 79 S 37176 GA 94 S 236
41
323 Die Gefahrlsquo
Aus Heideggers Darlegung uumlber das Ge-Stell erschlieszligen sich seine diversen Fa-
cetten der Vorstellung einer Abstandslosigkeit schaffenden Technik Dass die Ab-
standslosigkeit dem Prinzip des Gevierts des Zusammengestellten entgegensteht
bekommt im Vortrag Die Gefahrlsquo Nachdruck Die mythopoetische Erzaumlhlung
knuumlpft an den Vortrag Das Dinglsquo an mit den Mythologemene 1 Der Mythos
des geschichtlich sein muumlssens 2 der Mythos des Goumlttlichen 3 das geschichtsbe-
sinnliche Prinzip der Aletheia Zudem wird im Prozess des Vortrags das Ge-Stell
zur Gefahr stilisiert was einen eigenen Mythos erschafft
Durch das bdquouniversale Bestellen des Ge-Stellsldquo177 werde die naumlhernde Naumlhe des
Dings verwehrt Wie im Vortrag Das Dinglsquo fuumlhrt Heidegger das Wesentliche sei-
ner Theorie auf die deutsche und altgriechische Sprache zuruumlck Die so vollzoge-
ne Annaumlherung von Schwarzwaumllderischem Dialekt und Altgriechisch entspricht
Heideggers Traum von dem bdquogeschichtliche[n] Geburtsort des abendlaumlndischen
Wesensldquo178 den seine Heimat von Todtnauberg bis Freiburg stiften sollte (1)
es ist das Geistvolle und zugleich das erdenhafte schoumlne Land Es birgt un-sichtbaren Reichtum dem Gemuumlt bewahret tiefstes Dichten und houmlchsteGestalt der Sage179
Unter diesem Vorzeichen also sagt Heidegger
Das Ge-Stellwesen laumlszligt das Ding ohne die Wahr Das Wort die Wahrlsquo be-deutet in unserer Sprache dort wo sie noch urspruumlnglich spricht die HutIn unserer schwaumlbischen Mundart meint das Wort die Wahrlsquo die der muumlt-terlichen Hut anvertrauten Kinder Das Ge-Stell laumlszligt in seinem Stellen dasDing ohne die Hut ndash ohne die Wahr seines Dingwesens180
Diese in Bremen vorgetragene Heimatkunde ist auch Heideggers Sorge ge-
schuldet durch die Besatzermaumlchte und deren kulturellen Einfluss auch durch
die nun moumlgliche Oumlffnung Deutschlands zu einem Austausch mit der Welt das
eigene Wesen zu verlieren So schreibt er 1945-1947() in seine Schwarzen Hefte
177 GA 79 S 46178 GA 97 S 54179 Ebd180 GA 79 S 46
42
Das Schwerste und Fragwuumlrdigste unseres Geschickes ndash beruht darin ob wirdas Eigene finden und huumlten [] unter den anderen Voumllkernlsquo [] Scheinund Vorwand der Macht daszlig man unsere eigene Aufgabe bringen will []als Entmachtete aufgenommen zu sein in den Weltmachenschaftsbetrieb181
Es gaumlbe nach Heidegger also das Welten von Welt und die Verweigerung von
Welt aus derVerwahrlosung des Dings durch das Ge-Stell bzw die Technik182 Welt
ist nach dem Konzept des schwaumlbischen Denkers nichts weniger als das Geviert
Bei der folgenden mythopoetischen Zusammenstellung von dem Geviert mit alt-
griechischen Vokabeln um den Seins-Begriff wird das Aletheia-Prinzip eingefuumlhrt
Somit fuumlhrt uumlber den Mythos des Goumlttlichen (2) der Weg zur Wahrheit eben als
geschichtsbesinnlich erfahrene Aletheia (3)
Welt ist das Geviert von Erde und Himmel Goumlttlichen und SterblichenDas Spiegel-Spiel der Vierung wahrt alles was in ihm dingend zwischenden Vier anwest und abwest in das einende Ganze seines Anwesens Vonaltersher heiszligt das Anwesen des Anwesenden τὸ ὲόν das Seiend [sic] τὸεἶναι das Sein naumlmlich der ὲόντα des Seinenden das esse entium183
Diese Welt waumlre nun bdquoWahrnis des Wesens von Sein Statt Wahrnis sagen wir auch
Wahrheitldquo184 Die Welt mythopoetisch als Spiegel-Spiel des Gevierts und durch
eine altgriechische Brille betrachtet waumlre die wahre Welt Somit wird die Wahr-
heitsschau gebunden einen antiken Goumltterglauben und abendlaumlndische Sprachkas-
kaden vom Dialekt zum Altgriechisch
Das Problem mit der wahren Welt waumlre allerdings dass sie sich in die Ver-
borgenheit entziehe Naumlher betrachtet ist aber die Verborgenheit Bedingung des
Entbergens was Heidegger notwendig macht zu einem wuumlrdigen Lebensvollzug
in Harmonie mit dem Sein Durch solche Wesensschau waumlre der Mensch befaumlhigt
jederzeit die verstellenden Maumlchte des Ge-Stells (der Technik) zu uumlberwinden und
teilhaftig am Wesen der Welt zu werden
181 GA 97 S 99182 Vgl GA 79 S 47183 GA 79 S 48 (Die griechischen Vokabeln werden hier keiner Uumlbersetzung unterzogen Da
Heidegger ohnehin keine philologische Schaumlrfe anwenden will ist es fuumlr die Zwecke hierausreichend sie mit seiner Uumlbersetzung zu betrachten Heidegger spricht von bdquoAchten aufdas Griechischeldquo was schwieriger waumlre als klassische Philologie (vgl GA 79 S 63)
184 Ebd
43
Welt bleibt in der Verborgenheit (Αήθη) auf die Weise daszlig diese ihre Ver-borgenheit gerade eine Unverborgenheit gewaumlhrt die Αλήθεια185
Die Αλήθεια haumltte allerdings auch eine Rolle uumlber die subjektive hinaus da nur
durch ihren Vollzug Seinsgeschichte gewaumlhrt wuumlrde Das ist der Anspruch den
Heidegger an sein Auditorium stellt gemeinsam geschichtlich sein zu muumlssen (1)
Die Αλήθεια ist das Geschick des Seins als welches Geschick sich die Fuumllleder Seinsgeschichte in ihre Epochen fuumlgt186
Mit dem Ge-Stell als Wesen der modernen Technik waumlre die Aletheia aller-
dings hochgradig gefaumlhrdet Denn ohnehin waumlre die Aletheia prinzipiell der Ge-
fahr der Vergessenheit ausgesetzt Doch das Ge-Stell haumltte die Kraft die bdquovollende-
te Vergessenheit der Wahrheit des Seinsldquo187 zu vollrichten
Indem das Ge-Stell alles Anwesende in den Bestand bestellt setzt das Ge-Stell das Anwesen des Anwesenden heraus aus seiner Wesensherkunft ausder Αλήθεια188
Diese Versetzung des beteiligten Wesens aus der Moumlglichkeit des Wahrheitsprin-
zips heraus markiert Heidegger dann mit der Schreibweise Seyn (mit bdquoyldquo) Wie
bei dem Vortrag Das Dinglsquo koumlnnen ethymologische Abstammungen sein Sys-
tem anreichern Da wo es um das Wortfeld des Stellens geht Ge-Stell Bestellen
Verstellen ist auch das NachstellenMitglied der Familie
Im Althochdeutschen heiszligt nachstellen fara Das in sich gesammelte Stellenals Nachstellen ist die Gefahr Der Grundzug des Wesens der Gefahr ist dasNachstellen Insofern das Sein als das Ge-Stell sich selbst mit der Vergessen-heit seines Wesens nachstellt ist das Seyn als Seyn die Gefahr seines eigenenWesens189
Damit wuumlrde sich durch die Verringerung der Selbstreflexion im Seyns-Bestand
eine Schwachstelle auftun in die der denkbegabte und aletheiafaumlhige Mensch ei-
ne Moumlglichkeit haben das Seyn zum Sein zuruumlckzuwandeln ndash also wieder in ein
185 GA 79 S 49186 Ebd187 GA 79 S 53188 GA 79 S 52189 GA 79 S 53
44
wesentliches Verhaumlltnis zum bdquoDingldquo zu gelangen in dem das Geviert wieder die
Harmonie herstellt Allerdings faumlnde bis zu solch einer Nachstellung eine Ver-
sieglung des Seynsbestandes statt Und Heidegger beklagt dass die Erreichung der
Ruumlckeroberung des Seins uumlber die Nachstellung nicht stattfaumlnde und stattdessen
die Irre regieren wuumlrde190
In dieser Irre stuumlnde dem Menschen nicht einmal mehr zu zu sterben Denn
bdquoSterben [] heiszligt den Tod in sein Wesen austragenldquo191 Somit waumlren die Opfer
die in den KZs umkamen wie er sie in Das Dinglsquo bereits schildert nicht vermouml-
gend gewesen zu sterben bdquoSie werden Bestandstuumlcke eines Bestandes der Fabrika-
tion von Leichen [] Sie werden in Vernichtungslagern unauffaumlllig liquidiertldquo192
Das vermoumlge die Gefahr zu bewirken Der Mensch wuumlrde des eigenen Sterbens
beraubt da er keine Verbindung mehr zur Wahrheit der Welt haumltte Um den rich-
tigen Tod zu sterben muumlsse der Mensch die Aletheia schauen koumlnnen Insofern ist
Heideggers Prinzip ein religioumls anmutendes Wie in der christlichen Vorstellung
der Mensch im Jenseits an seinen Taten gemessen wird um Paradies oder Fege-
feuer zu besuchen soll nach Heidegger der Mensch waumlhrend des Sterbens mit
sich selbst ins Gericht gehen Er soll sich rein machen vom Ge-Stell der Technik
und dem Seyn um nicht die einmalge Gelegenheit des richtigen Sterbevollzugs
zu versaumlumen Es winken gemaumlszlig des Gevierts die himmlischen Goumlttlichen den
irdischen Sterblichen zu wobei annehmbar ist dass Heidegger Sterblichen die
die Aletheia erkennen einen Goumlttlichkeitsstatus beimessen moumlchte ndash eine Erlouml-
sungsphantasie
Genau diese Erloumlsung waumlre die Technik nicht
Ohne den Schritt des Denkens zu wagen der unser Menschenwesen demWesen der Technik [] aussetzt wuumlrgt man sich von Fall zu Fall von Lagezu Lage durch die Zwiespaumlltigkeiten hindurch Und genau durch dieses Ge-wuumlrge versaumlumt man die Moumlglichkeit dessen was man im Grunde erstrebtdie Technik durch menschliches Tun zu meistern und menschenwuumlrdig zulenken193
190 Vgl GA 79 S 55191 GA 79 S 55192 GA 79 S 56 Weil Heidegger im Judentum die Verantwortlichen fuumlr das Geraffe des Ge-Stells
sieht macht er sie gleichsam verantwortlich fuumlr die bdquoSelbstvernichtungldquo Die Seinsverges-senheit im Tode wird dadurch zum Spin-off der vermeintlich juumldisch erzeugten da machen-schaftlichen KZ-Maschinerie (Vgl GA 97 S 20f)
193 GA 79 S 59
45
Trost und Richtung findet Heidegger schlieszliglich abermals bei den alten Griechen
Das Wort stellenlsquo entspricht dem griechischen ϑέσις vorausgesetzt daszlig wirϑέσις griechisch denken Was heiszligt in diesem Falle griechisch denkenlsquo Esheiszligt darauf achten welche Lichtung desWesens des Seyns in welcherWeisedas Dasein der alten Griechen in den Anspruch genommen hat heiszligt imvoraus bedenken in welchem Geschick welcher Unverborgenheit des Seinsdie Griechen standenldquo194
Das sind Vorstellungen des Neuen Anfangs eine Reminiszenz der griechisch anti-
ken Welt Ein Eintrag aus den Schwarzen Heften von etwa 1945-47 () verdichtet
wie oben bereits aufgezeigt die Phantasie griechisch zu sein zu einem gelingenden
Lebensvollzug
Das reine Wesen des Griechentums dh das Seiende inmitten dessen dieGriechen als seiende fremd gewesen dieses und sie selbst und der Bezug desSeins zu ihnen ndash in der einfachen Wesung von der ἀλήθεια her zeigen underfahren Den μῦθος und λόγος ndash jedes Wort und Gebild rein aber nichterzwungen und schematisch-pedant ndash aus ἀλήθεια erfahren195
Hier zeigt sich auch dass Heidegger per se das Aletheia-Prinzip fuumlr notwendig
hielt um ins Licht der Wahrheit zu blicken Die Griechen sind ihm hier deshalb
Vorbild und rein da sie keiner modernen Technik und dem Ge-Stell ausgesetzt
waren sondern lediglich eine mythopoetische Verbindung zum Sein herstellen
mussten um wesentlich zu sein und Seinsgeschichte zu schreiben Die Dinge und
das Spiegel-Spiel des Gevierts waumlren ihnen geschickt zuhanden gewesen196 Hei-
degger macht schlieszliglich sehr deutlich dass das Griechische zu denken ein bei
weitem anderes Geschaumlft sei als philologische Praumlzision
Ein Echo zu sein naumlmlich dem Anspruch des Seins verlangt eine Sorgfaltder Sprache von der freilich der technisch-terminologische Sprachstil derWissenschaften uumlberhaupt nichts wissen kann Die Intentionalitaumlt der wis-senschaftlichen Sprache ist der staumlrkste Beweis fuumlr ihre Boden- und Heimat-losigkeit [] Das Heimische einer hohen Sprache gedeiht nur im Bereichdes unheimlichen Anspruchs der wesenhaften Stille im Wesen des Seyns197
194 GA 79 S 62f195 GA 97 S 20196 Hingegen waumlre das Judentum verantwortlich fuumlr das Ge-Stell fuumlr das Prinzip der Zerstoumlrung
wie es auf der selben Seite der Schwarzen Hefte darunter heiszligt (vgl ebd)197 GA 79 S 66 Die Bedeutung von Seyn als verstelltes Sein oder Bedingung zum Schauen
des wahren Seins ist verwirrend Einer genaueren Analyse wird aus Platzgruumlnden hier nichtnachgegangen
46
324 Die Kehrelsquo
Der letzte Vortrag ist mit nur neun Seiten der Kuumlrzeste des Vortragsgevierts
Nach dem Verlust des Dinges als Ding und der damit einsetzenden Abstandslosig-
keit als Wesen des Ge-Stells wobei die Gefahr zudem der Vergessenheit des Seyns
nachstellt bietet Heidegger eine Perspektive an
Im Wesen der Gefahr verbirgt sich [] die Moumlglichkeit einer Kehre in derdie Vergessenheit des Wesens des Seins sich so wendet daszlig mit dieser Kehredie Wahrheit des Wesens des Seyns in das Seiende eigens einkehrt198
Diese Moumlglichkeit bedeute nicht dass der Mensch sich der Gefahr selbst stellen
koumlnnte sie waumlre passiv ndash bdquoverbirgt sichldquo Die Kehre werde sich ereignen aumlhnlich
einer Erwartung an den Messias
Die Anwesenheit der Gefahr wuumlrde automatisch die Rettung bergen Denn
Houmllderlin haumltte geschrieben bdquoWo aber Gefahr ist waumlchst [d]as Rettende auchlsquoldquo199
Etwa 1945 notiert Heidegger in seine Schwarzen Hefte bdquoDie Wahrheit erfahren
wir im Gedaumlchtnis Das Gedaumlchtnis ist die Dichtungldquo200 (so) Von dieser War-
te aus ausgestattet mit Erinnerungen an das abendlaumlndische Dichten mit dem
Wissen um das Aletheia-Prinzip und passiv als denkender Huumlter des Seyns solle
der Mensch das Ereignis erwarten das ihn bdquoloumlsen freimachen freyen schonen
bergen in die Hut nehmen wahrenldquo201 wuumlrde (siehe S 43)
Dieses Ereignis waumlre der Blitz Ein unvermittelter jaumlher ploumltzlicher Moment
von kurzer Dauer der bloszlig einen ebenso kurzen Blick auf das wahre Wesen er-
lauben wuumlrde Abschlieszligend ist dies das Rezept gegen die Bestands bestellende
Technik in mythopoetischer Formulierung
So entsprechend ist der Mensch geeignet daszlig er im gewahrten Element vonWelt als der Sterbliche dem Goumlttlichen entgegenblickt Anders nicht dennauch der Gott ist wenn er ist ein Seiender steht als Seiender im Seyn unddessen Wesen das sich aus dem Welten von Welt ereignet202
198 GA 79 S 71199 GA 79 S 72200 GA 97 S 52f201 GA 79 S 72202 GA 79 S 76
47
Wenn Heidegger im Anschluss von der bdquohistorisch-technischen Darstellungldquo re-
det so ist dies die Abwehr der Wissenschaften (auch der Philosophie203) und ein
Appell an die Antirationalitaumlt des Mythos bdquokein historisches Vorstellen der Ge-
schichte als Geschehen bringt in den schicklichen Bezug zum Geschickldquo204
Damit das Blitzen erfahren werde als kurze Wesensschau der Aletheia muumlsse
dem wahren abendlaumlndischen und heimatlichen Ereignis stattgegeben werden Es
sollte nicht wie er 1939 schon in den Schwarzen Heften beschreibt das
kuumlnstliche Licht von Historie und Technik in der weder Mensch noch dieGoumltter weder eineWelt noch die Erde sichtbar werden koumlnnen wo aber dasLebenlsquo von allen den immer noch zu wenigen Meistenlsquo erlebtlsquo wird205
Damit schlieszligt der letzte Vortrag mit einer Erwartung an das Ereignis des Blit-
zens nicht das Erleben der Besinnungslosigkeit (vgl Das Ge-Stelllsquo) Schon 1947
traumlumt Heidegger von solcher Umkehr
Aus der Kehre der Seynsvergessenheit aber ereignet sich das Unumgaumlnglicheden Acker der Welt erst zu pfluumlgen und saatbereit der Sonne und dem Regenund den Voumlgeln des Himmels uumlberlassen206
203 Denn ldquo[e]igentlich denken heiszligt [] die Philosophie verlassen [] beim Sagen des Seinslsquoldquo(GA 97 S 60)
204 Ebd205 GA 95 S 427 Gegen das Erlebnis und Erleben straumlubt sich Heidegger besonders So notiert
er etwa 1939 bdquoZeitalter der Techniklsquo macht gerade die Techniklsquo nicht zum Ziel sondernimmer mehr zum Mittel der besinnungslosen Berechnung [] der Mensch [] das Erleb-nislsquo [] Erleben als der Gefuumlhlsgenuszligldquo (GA 95 S 149) Wie auch bdquoWo beide Historie undTechnik in solcher scheinbaren Gegensaumltzlichkeit verkoppelt sind koumlnnen sie sich zur Foumlr-derung dessen zusammenschlieszligen was einstmals wesentlich die Geschichte des Menschenmitbegruumlndete und was wir die Kunstlsquo nennen Die Historie verschafft [] Anregungenund Vorbilder der Nachahmung die Technik erleichtert [] die Zustellung von Darstel-lungsmitteln und Wirkungsformen [] Gleichwohl ist alles wurzellos [] berechnet und alsErlebnislsquo ausgegebenldquo (GA 95 S 212)
206 GA 97 S 511
48
4 Konklusion
Der umstrittene Philosoph Martin Heidegger hat uumlber die 1930erndash40er Jahre
hinweg eine ausgepraumlgte voumllkisch-nationale und bisweilen radikal-antisemitische
Denkweise entwickelt Dieses Denken fasste er auch auf als Besinnung und stellt
es der Philosophie und Wissenschaft diametral entgegen In Kapitel 2 wird aufge-
zeigt dass sowohl Heideggers Mythologie bereits kritisiert wurde (Adorno Cassi-
rer Meyer) als auch seine Mythopoetik bewundert (Schulz-Nieswandt) Kapitel
3 will daruumlber hinaus aufzeigen wie Heidegger eine eigene Mythologie mytho-
poetisch fruchtbar macht was sich von beiden vorigen Ansaumltzen unterscheidet
und erst mit der Veroumlffentlichung der Schwarzen Hefte ab 2014 nachvollziehbar
wurde
Umso mehr bietet die mythopoetische Verbindung von bdquoDichten und Den-
kenldquo (so) einen antitechnischen Gegenpol Denn Heidegger fasst wie oben ge-
schildert alles Rationale auf als berechnende Bestellung des Bestands im Sinne
der Technik Daruumlber hinaus fordert er mit dem Aletheia-Prinzip (als metapho-
risch gefasstes Ereignis des Blitzens) einen Mitvollzug seiner mythopoetischen
Kontemplation in dem religioumlse voumllkische antike und sprachliche Motive zu-
sammenfallen
Obwohl schon von Heidegger selbst nicht mehr als Philosophie betrachtet
hat seine Rede vom Ding dem Ge-Stell dem Wesen der Technik und der Kehre
noch immer einen bedeutenden Einfluss auf die Technikphilosophie So betont
Alfred Nordmann in bdquoWerkwissen oder How to express things in worksldquo (2008)
dass Heidegger mit Das Dinglsquo eine Art Dingwissen geschaffen haumltte In seinem
2012 erschienenen Aufsatz Another parting of the ways Intersubjectivity and the
objectivity of sciencersquo207 geht Nordmann ein weiteres Mal auf Heideggers Ding
ein Dieses waumlre eine Abarbeitung an dem Ding Kants womit auch Nordmann
Heidegger als einen Interpreten Kants versteht208 Anschlieszligend anMichael Fried-
207 Nordmann Alfred Another parting of the ways Intersubjectivity and the objectivity ofscience In Studies in History and Philosophy of Science 43 (2012) 38ndash46
208 Die Auseinandersetzung mit dem Ding wuumlrde nach Nordmann in Heideggers GA mit demText Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalen Grundsaumltzenlsquoeinsetzen (GA 41 Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalenGrundsaumltzen)
49
man spricht sich Nordmann ebenso dafuumlr aus dass Heidegger neben Rudolf Car-
nap und Ernst Cassirer eine neokantianische Philosophie verfolgt haumltte (siehe
Kap 1)209
Nach Nordmann haumltte Heidegger in seinen anschlieszligenden Gedanken uumlber
das Ding als Fortfuumlhrung Kants als erster Wissenschaft als angewandte Techno-
logie verstanden210 Diese Interpretation stuumltzt sich auf die gleichen Symbole
Metaphern und Mythen die die vorliegende Arbeit analysiert Das Ge-Stell ist
insofern aumlquivok mit dem Begriff techno-science Jedoch sind in dieser Fruchtbar-
machung von Heideggers Denken der Technik dessen nationalistischen rassisti-
schen und antisemitischen Implikationen die die vorliegende Arbeit als Zentrum
dessen Philosophie ermitteln konnte noch nicht beachtet worden koumlnnen211
Andreas Luckner webt Heideggers Ding-Entwurf weiter als verantwortliches
Sorgen um die Dinge212 Er geht dabei mit Heidegger voumlllig konform und tritt
eher als eine Art Bote der Ding-Botschaft auf als diese moumlglicherweise zu kriti-
sieren was sich diesen Artikel wie ein Kapitel aus einem Studienbuch lesen laumlsst
Der Darmstaumldter Technikphilosoph Christoph Hubig ist vor allem Kritiker Hei-
deggers Argumentationen laumlsst aber zuweilen diverse Topoi aus dem Werk des
Technik-Denkers durchscheinen ohne sie weiter zu reflektieren
So konstatiert Hubig Heidegger verfehle in dessen Auseinandersetzung mit
Aristoteles Lehre von der Poiesis zum Punkt der Sicherung wie sie in Die Frage
nach der Techniklsquo behandelt wird bdquodie operative Seite des Technischenldquo bei Aris-
totels213 In einem spaumlteren Aufsatz allerdings stuumltzt er sich ohne weitere Erlaumlute-
rungen auf Heideggers Begriff der Sicherung aus Die Frage nach der Techniklsquo214
209 Diese Befriedung paradigmatischer Umstaumlnde wird hier nicht geteilt Eine weitere Bearbeitunglaumlsst der Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht zu
210 Vgl Nordmann Another parting of the ways S 45211 Der Aussage dass Heideggers Ding-Begriff kantianisch waumlre muumlsste einer gezielten Untersu-
chung unterzogen werden genau wie die Behauptung insgesamt dass Heidegger oder inwie-weit dieser noch der suumlddeutschen Kantschule des 1920 Jahrhunderts angehoumlrte
212 Vgl Luckner Andreas Ding und Bestand Heidegger und das Wesen neuzeitlicher TechnikIn Gamm G Gehring P Hubig C Kaminski A und Nordmann A Ding und SystemS 15-30 hier S 29
213 Hubig Christoph Die Kunst des Moumlglichen Technikphilosophie als Reflexion der MedialitaumltBielefeld 2006 S 103
214 Vgl Hubig Christoph Technik als Medium In Grundwald Armin (Hg) Handbuch Tech-nikethik Stuttgart 2013 S 118-123 hier S 118
50
Dabei versteht Hubig Heideggers Betrachtungen zum Umgang mit der Technik
als gelassen
Fuumlr Heidegger liegt die Andersheit im Entbergen einer Wahrheit des Seinseines Geschicks von dem die Entwicklung der Technik hin zum Gestellkuumlnde Er verbindet dies mit dem Appell jenseits des rechnenden und si-chernden Vorstellens technischer Vollzuumlge als handlungsleitender Program-me sich gelassenlsquo dieser Entwicklung zu uumlberantworten und ein Seinlsquo zuhuumlten das sich als solches eben entbirgt Das Rettendelsquo dieser Einsicht lie-ge darin dass unsere individuelle Endlichkeit insofern transzendiert wirdals sie sich dem sie uumlbersteigenden Prozess aufschlieszligt und sich selbst relati-viert215
Wovon in diesem Zitat nicht die Rede ist ist der Mitvollzug der mythopoe-
tischen Rahmenbedinungen die Heidegger einfordert und an dem die Konzep-
te Abendland und voumllkische Tradition haumlngen In dieser Arbeit wird davon aus-
gegangen dass Heideggers Technikphilosophie-erzaumlhlung sich nicht von seinen
Absichten der Bekaumlmpfung des Technischen loumlsen laumlsst Die Relativierung ist in-
sofern nicht an den Prozess gebunden und damit emergent auf alles hin ausge-
richtet was kommen mag sondern houmlchst konvergent in einer Besinnung auf
Mythen von dem Ding und dem Geviert mit all deren Valenzen aus dem vorlie-
genden Heideggerschen Textkorpus Die individuelle Endlichkeit ist genoumltigt die
Heimat und das Abendland zu kennen und im Aletheia-Prinzip umzusetzen
Die Neubewertung der bislang bekannten Heideggerschen Technikphiloso-
phie von vor den SchwarzenHeften ist ein dringendes Desiderat Voumllkisch-nationale
Gruppierungen erstarken momentan in ganz Europa und es koumlnnte sehr hilfreich
sein aumlhnliche Denkstrukturen aufzudecken so wie sie zwischen den 1930er und
40er Jahren entwickelt wurden Zusaumltzlich muss das Werk Heideggers einer kriti-
schen Revision schon aufgrund der niemals von ihm behandelten Antisemitismen
unterzogen werden Heidegger hat nie zu diesen Stellung bezogen
Daruumlber hinaus ist das Thema Mythos und Philosophie ein weiterhin not-
wendiger Bereich der philosophischen Forschung In einem Bereich auszligerhalb
der exakten Wissenschaften und ohne klare theologische Tradition ist die Philo-
215 Hubig Die Kunst des Moumlglichen S 140
51
sophie beides sowohl Aufklaumlrer und antimythisch als auch Quelle fuumlr mythisches
Denken und affektierende Motive
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56
Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
Der Unterzeichner versichert dass er die vorliegende Bachelorarbeit selbststaumlndig
verfasst und keine anderen als die von ihm angegebenen Hilfsmittel benutzt hat
Die Stellen der Arbeit die anderen Werken dem Wortlaut oder dem Sinne nach
entnommen sind wurden in jedem Fall unter Angabe der Quellen (einschlieszliglich
des World Wide Web und anderer elektronischer Text- und Datensammlungen)
kenntlich gemacht Dies gilt auch fuumlr beigegebene Zeichnungen bildliche Dar-
stellungen Skizzen und dergleichen
Darmstadt 25 April 2016
__________________________
(Eigenhaumlndige Unterschrift)
- Abkuumlrzungsverzeichnis
- Danksagung
- Einleitung
- Heideggers mythopoetisches Programm
-
- Zu den Begriffen Mythos Mythologie und Mythopoetik
-
- Ein Beispiel fuumlr ein Mythologem
-
- Heideggers Mythen
-
- Formen der Mythologie
-
- Heideggers mythopoetische Technik
-
- Zur Publikationsgeschichte von den Bremer Vortraumlgen 1949
- Die mythopoetische Spiegelung der Schwarzen Hefte
-
- Das Dinglsquo
- Das Ge-Stelllsquo
- Die Gefahrlsquo
- Die Kehrelsquo
-
- Konklusion
- Literaturverzeichnis
- Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
-
35
Heidegger Houmllderlins Hymne Der Rheinlsquo mit dem Rhein dessen Stroumlmung fuumlr
ein Stromkraftwerk genutzt wird
Achten wir um das Ungeheure das hier waltet zu ermessen nur auf einenAugenblick auf den Gegensatz der sich in den beiden Titeln ausspricht DerRhein verbaut in das Kraftwerk ndash der Rheinlsquo gesagt in der gleichnamigenHymne Houmllderlins146
Die Differenz also waumlre das Ungeheure147 Dabei waumlre der Rhein verbaut in das
Kraftwerk Aumlhnlich wie Kohle Erze und Rohoumll waumlren sie Bestand der bdquobesteht
im Bestellenldquo ndash bdquoDas Bestellen waumlre demnach lediglich eine Machenschaft des
Menschen vollzogen in der Weise der Ausbeutungldquo148
Das Bild des Wasserkraftwerks wird erweitert um den Begriff des Menschen
Elektrizitaumlt mit Wasserkraft erzeugen bdquokoumlnnen die Menschen [] nur insofern
sie selber schon in dieses Bestellen bestellt sindldquo149 Mit diesem Bild versucht Hei-
degger praktisch zu veranschaulichen dass Entwurf Umsetzung und Einsatz ei-
ner technischen Anlage den Menschen in ein entruumlcktes Verhaumlltnis zum Wesen
des dingenden Dings setze ndash bdquoDer Mensch ist darum der Angestellte des Bestel-
146 Ebd147 Das ist zusaumltzlich zu dem gemeinten Gegensatz ein Vergleich mit dem Heidegger dem Wort
bdquoRheinldquo in die Hymne Der Rheinlsquo gesprochen eine Energie erzeugende Wirkung zu-schreibt eben so wie das Kraftwerk Strom erzeugen wuumlrde Das wird klar dadurch dassHeidegger metaphorisch vom Stellen des Wortes bdquoRheinldquo in die Hymne spricht Es handeltsich um einen Appell zur denkerischen Besinnung Dass Heidegger dafuumlr eine technischeAnlage zur Veranschaulichung inspirierend wirken laumlsst spielt bereits in die Richtung derBegriffe bdquoHer-vor-bringenldquo bdquoEntbergenldquo und spielt auf das Alteheia-Prinzip an Darauf wirdweiter unten anhand Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo eingegangen werden Es handelt sich umdas Angebot eines mythopoetischen Umgangs mit Technik insbesondere wenn sie sich inheimische Gefilde einfuumlgtHeute koumlnnte man mit Windraumldern ebenso verfahren Somit koumlnnte aber auch Heidegger
als ein gewisser Quijana aus Mancha verstanden werden eben der Protagonist aus Miguel deCervantes Roman Don Quichote von der Manchalsquo der mit seinem von ihm flux auch um-benannten Klepper (weil er zuvor sich selbst in Don Quichote umtaufte) Rocinante Riesenbezwingen will um mit dieser Heldentat unsterblichen ritterlichen Ruhm zu erstreitenAuch Don Quichote fand seine Riesen in Windmuumlhlen und auch Don Quichote war uumlber
eine uumlbertriebene Auseinandersetzung mit einer verschuumltteten Kultur dieser verfallen undsuchte diese in seiner Aventuumlre zu reaktualisieren Martin Heideggers mythopoetisches Pro-gramm ist tatsaumlchlich stark mit Don Quichotes Motiv vergleichbarFerner waumlre eine Auseinandersetzung mit Heideggers Werk unter Beruumlcksichtigung sei-
ner Gewichtung der Vorsokratiker und Houmllderlin als mythopoetischen Autor eine moumlglicheForschung zum Thema Anachronismen in Konzepten von Moral und gesellschaftlicher An-gemessenheit (Vgl Cervantes Miguel de Don Quichote von der Mancha Herausgeben unduumlbersetzt v Susanne Lange Muumlnchen 2008 S 33f)
148 GA 79 S 29149 GA 79 S 30
36
lensldquo150 Schon vorher wies Heidegger darauf hin bdquo[d]ie Herrschaft des Gegen-
staumlndigen sichert nicht den Abstandldquo151 Jetzt heiszligt es
Das Bestellen befaumlllt nicht nur die Stoffe und Kraumlfte der Natur mit Gestel-lung Das Bestellen befaumlllt zugleich das Geschick des Menschen Das Wesendes Menschen wird daraufhin gestellt das Bestellen in menschlicher Weisemitzuvollziehen152
Der Begriff des Ge-Stells wird daraufhin so konstruiert dass es im Bestellen
um ein Stellen (Herausfordern) alles bdquoAnwesenden als Bestandldquo als bdquoversus unumldquo
gegen bdquodas Eine Ganzeldquo gehe153 In wiederum mythopoetischer Formulierung ge-
baumlre die bdquoVersammlung des Stellens worin alles Bestellbare in seinem Bestand
west das Ge-Stellldquo154 Der Begriff bdquoVersammlungldquo wird einen Absatz zuvor my-
thopoetisch wieder an die Versammlung also das thing eben das wesenhafteDing
angelehnt und somit wie zu Das Dinglsquo bereits oben erlaumlutert in einen deutsch-
abendlaumlndischen Kontext gestellt (3)
Wir nennen die Versammlung der Berge die von sich her einig und nienachtraumlglich schon gesammelt ist das Gebirge Wir nennen die Versamm-lung der Weisen nach denen uns so zumute ist und sein kann das Gemuumlt155
Allerdings ist obiges Versammlungsmodell hier als Kontrast zu sehen zu dem
bdquoGeraff des Getriebesldquo das das Ge-Stell darstellt als bdquoWesen der Technikldquo156 Hei-
degger sieht in der Gleichfoumlrmigkeit die zum Wesen des Technik als Ge-Stell
150 GA 79 S 30151 GA 79 S 25152 GA 79 S 31153 Vgl GA 79 S 32154 GA 79 S 32155 Ebd
Das Wort ldquoGemuumltrdquo hat ferner eine ausschlieszliglich deutsche Praumlgung gibt es doch keinedirekte Uumlbersetzungen Gemuumlth ist ferner ein nicht eindeutig umrissener Begriff (Vgl Kra-mer Cheryce A Foolrsquos Paradise The Psychiatry ofGemuumlth in a Biedermeier Asylum Chica-go 1998 S 19) Die Bedeutung im Deutschen selbst ist zudem sehr variabel hat aber zumeistmit Seelen- oder Geistkonzepten zu tun ndash Cheryce von Xylander (geb Kramer) uumlbersetztGemuumlth mit bdquosoul-organldquo (ebd S 43) das von diversen Autoren unterschiedlich konstru-riert wird (zB von Kant geistigkoumlrperlich und von Kleist individuellkollektiv (vgl ebdS 41)) In Heideggers emblematischem Duktus scheint eine Vermischung von allen vier Di-mensionen geistigkoumlrperlich wie auch individuellkollektiv stattzufinden Es ist auf jedenFall dem Mythos geschuldet den Auftrag des Deutschen anzunehmen (3)
156 GA 79 S 33
37
gehoumlre die planetarische Abloumlsung und Aufhebung des traditionellen und damit
wesenhaft ans Ding gebundenen Verhaumlltnisses vom Menschen zur Erde (das von
ihm idealisierte voumllkische Bauerntum das Bestellen des Ackers) bdquoDie Bestand-
Stuumlcke sind Stuumlck fuumlr Stuumlck die Gleichenldquo157 So kontrastiert er alte Handwerks-
techniken mit Maschinentechnik und schreibt der Maschinentechnik die machen-
schaftliche Verdraumlngung als Geraff zu
Das Ge-Stell hat auch wenn das nicht unmittelbar und nicht sogleich ver-nehmlich wird im vorhinein schon alle diejenigen Stellen beseitigt an denenvormals Spinnrad und Wassermuumlhle standen Das Ge-Stell bestellt durch sei-ne Maschinerie zum voraus eine andere Art und Ordnung von Stellen Andiesen kommt nur zu Stand was als Bestellbares auf der Stelle gleichfoumlrmigzur Stelle steht
Darum ist auch die Art wie die Maschine selbst etwas herstellt einewesentlich andere als das handwerkliche Tun gesetzt daszlig es innerhalb desGe-Stells uumlberhaupt noch so etwas wie ein Herstellen gibt
Die Traktoren und Kraftwagen werden herausgebracht ausgeworfen se-rienweise Stuumlck fuumlr Stuumlck Wo drauszligen steht dieses so Herausgestellte Wo-hin in welchen Stand ist es gebracht158
In dieser Klage uumlber den technischen Wandel der durch den Fortschritt in
alle Lebensbereiche Einzug haumllt versucht Heidegger zu veranschaulichen wel-
chen Verlust es zu erkennen gelte Ein Versuch diesem entgegen zu treten ist die
von ihm vorgetragene Mythopoetik die er in diesem Vortragsteil seines Vortrags-
Gevierts allerdings auffaumlllig zuruumlckgestellt sein laumlszligt War der Einleitungsteil Das
Dinglsquo schlieszliglich eine nahezu einzige mythopoetische Darbietung Dramatur-
gisch wird Heidegger in Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo die mythopoetischen For-
mulierung als Loumlsungswege wieder Bedeutung geben In Das Ge-Stelllsquo versucht
Heidegger hingegen Vorstellungen aus seinen Schwarzen Heften aumlhnlich der fol-
genden mitzuteilen die das Uniforme Gleichfoumlrmige betreffen
Die Macht der Machenschaft ndash die Vernichtung sogar der Gottlosigkeit dieVermenschung des Menschen in das Tier die Vernutzung der Erde die Ver-rechnung der Welt ndash ist in den Zustand der Endguumlltigkeit uumlbergegangenUnterschiede der Voumllker Staaten Kulturen sind nur noch Fassade159
157 GA 79 S 36158 GA 79 S 35159 GA 96 S 52f
38
Was Heidegger unter dieser Gleichfoumlrmigkeit versteht schreibt er in den Schwar-
zen Heften zumeist den Amerikanern zu Er nennt es auch haumlufig Planetarismus
Der Amerikanismus [ist DS] die Zusammenraffung von Allem welcheZusammenraffung immer zugleich die Entwurzelung des Gerafften bedeu-tet160
Der Planetarismus ist die historisch gedachte Bestimmung der uumlberall glei-chen die ganze Erde uumlberdeckenden Seinsverlassenheit des Seienden161
Die Gegenuumlberstellung von natuumlrlicher und traditioneller Handwerkstechnik
gegen maschinenhafte Gleichfoumlrmigkeit exemplifiziert Heidegger dann im Vor-
trag Das Ge-Stelllsquo vielfach wie zum Beispiel hier
Der Forstwart zB der im Wald das geschlagene Holz vermiszligt und demAnschein nach noch wie sein Groszligvater in der gleichen Weise die selbenWege geht ist heute von der Holzverwertungsindustrie gestellt Er ist ober es weiszlig oder nicht in seiner Weise Bestand-Stuumlck des Zellulosebestandesund dessen Bestellbarkeit fuumlr das Papier das den Zeitungen und illustrier-ten Magazinen zugestellt wird die uumlber die Oumlffentlichkeit daraufhin stellenverschlungen werden162
160 GA 96 S 257161 GA 96 S 261162 GA 79 S 37f
Die renommierte Theaterautorin Elfriede Jelinek karikiert in ihrem Stuumlck Totenaubergvon 1991 Heideggers Konstrukt von Heimat und Fortschrittsfeindlichkeit verbunden miteiner Auseinandersetzung mit dessen Liebschaft zu Hannah Arend Mit philologischer Prauml-zision polemisiert sie Teile aus Heideggers Elegie uumlber die Technik und laumlszligt ihn dabei alsbeschraumlnktes und eingezwaumlngtes Wesen in einem Gestell gefangen sein Aus diesem heraussoll er Arend Rede und Antwort stehen uumlber sein Verhaumlltnis zum Nationalsozialismus unddie Shoa Doch dieser redet nur naturtrunken von Heimat und berauscht sich daran Derprophetische Denker wird banalisert ndash diese Worte legt Jelinek ihm (im Stuumlck der alte Mann)in den MundbdquoDie Angst vor dem Fragen liegt uumlber dem Abendland Sie bannt die Kandidaten auf ein
Team-Leibchen verbannt sie auf altgewordene Wege und jagt sie zuruumlck ins morsch geworde-ne Gehaumluse ihrer Tore wo es um ihre Ausscheidungen geht Es wird ihnen alles weggenom-men werden auch der Weg selbst Keine Spur kein Lichtschein aus den Ritzen Aber ruf ichin die Huumltte um nach einem zu fragen den ich gekannt hab sehe ich grad noch eine Tuumlrsich schlieszligen Der Wald kommt nicht zur rechten Geltung alles ist entflohen was mir liebwar und woran ich geglaubt hab Was kommt ist noch nicht da Nichts war Ich habe nichtsgehoumlrt Ich erinnere mich nicht aber ich stelle dem Kommenden das mich den lupenreinenAmateur schon vor Beginn des Rennens erlahmen laumlszligt vorsorglich die Hausschuhe vor dieTuumlr Sie sind das Einzige was die Profis des Profits von mir dann vorfinden werden wennsie anklopfen Die Haumlrte des Urgesteins sollte sie nicht entmutigen Die Jahreszeiten machendie Landschaft auf und zu Ich sage nur In dieser scheinbaren Leere will ich vom Denkenmuumld nur schlafen Von der Huumltte aus lassen sich Wanderungen unternehmen Aber auchsonst wird Ihnen alles wie ich sagte genommen werden Auch Ihre Fotos und Namen Unddas Gewesene wird wesenlosldquo ( Jelinek Elfriede Totenauberg Hamburg 1991 S 86f)
39
Die Oumlffentlichkeit ist fuumlr Heidegger ein Topos der dem Denken und Besinnen
entgegenstuumlnde Somit meint er damit zum Einen die Medien wie er es anhand
der Rede von den Bestandstuumlcken in Das Ge-Stelllsquo erklaumlrt wo der Mensch als
Urheber des Ge-Stells als Wesen der Technik nicht gelten soll Vielmehr wuumlrde er
in Ratlosigkeit und Langeweile verfallen weil er in der Bestellung des Bestandes in
Form von Bestandstuumlcken vom Rundfunk keine Besinnung mehr faumlnde dh das
Ganze also wiederum daswesentliche Ding nicht mehr zu fassen vermoumlge163 Und
so toumlnt es bereits aus den Schwarzen Heften von 19391940()
Die Bildlsquo und Tonlsquo ndash Reportagenlsquo der Machenschaft ist der planetari-sche Mythuslsquo des Vollendungsabschnittes der Neuzeit Die Welt des abge-legensten deutschen Bauernhofes wird nicht mehr durch [] die Naturlsquobestimmt in der noch die Erde waltet sondern durch das illustrierte Blattmit der Darstellung von ausgezogenen Tanzweibern von Boxern und Renn-fahrern und sonstigen Heldenlsquo des Tages164
Und ferner notierte Heidegger 1946 in seinen Schwarzen Heften
Uumlberall zerrt es aus dem Oumlffentlichen ins Oumlffentliche mit vielen Strickenund jeder sieht das kaum versuchte Denken des Seyns am Leitband seinesStrickes165
Dabei waumlre eben ein bdquoLiterat [] ein in die Oumlffentlichkeit verliebter Mensch der
Angst vor dem Denker hatldquo166 Dieses liefe dann darauf hinaus dass beim Rund-
funk bdquoein Bestellen und Stellen waltet das in dasWesen des Menschen eingegriffen
hatldquo167
Abermals nach dem Wesen der Technik also nach dem Ge-Stell gefragt geht
Heidegger auf seine Unterscheidung vonNatur undNaturwissenschaft ein bdquo[w]elches
ist das Verhaumlltnis zwischen der Technik und der Naturldquo168 Natur wuumlrde in wis-
senschaftlicher Hinsicht unter das Berechnete fallen sie wuumlrde bdquoals das in Maszlig
und Zahl gestellte Wirkliche vorgestellt das in seinem Gewirkten staumlndig an-
westldquo169 Wenn Heidegger dann Natur aus technischer Sicht bdquoals ein System des
163 Vgl GA 79 S 38f164 GA 96 S 54165 GA 97 S 100166 GA 97 S 126167 GA 79 S 39168 GA 79 S 41169 Ebd
40
Bestellens von Erfolgen aus dem gestellten Wirksamenldquo170 charakterisiert spricht
er von seiner Rede der Verschraumlnkung von Historie und Technik ndash bdquoTechnik die
Historie der Naturldquolsquo171 Dieses ist bekanntlich das seinsvernichtende Gegenstuumlck
zur geschichtlichen Besinnung Denn geschichtliches Walten der Technik ist fuumlr
Heidegger technische Geschichte dh verwissenschaftlichte Geschichte die da-
durch ihr Wesen verloren haumltte (Seynsvergessenheit)172 So heiszligt es in den Schwar-
zen Heften von 1947
Ein Zeitalter das historisch geworden ist dh technisch planend sich selberberechnet und alles in diesen Sog zieht muszlig jede Besinnung nur als eine dervielen Formen der Intellektualitaumlt registrieren173
Heidegger schlieszligt den Vortrag mit dem Aufgriff der Anfangsbehauptung
bdquo[d]er Bestand bestellt das Abstandsloseldquo174 Somit liegt das Problem der ausblei-
benden Naumlhe durch die Technik deren Wesen das Ge-Stell waumlre das den Bestand
bestelle in der Luft Dass dabei der Mensch sogleich Teil des Bestandes und nicht
Teil der Maschine wird laumlsst ihn das historische Tier sein (2)
Der Mensch ist auswechselbar innerhalb des Bestellens von Bestand []Gleichwohl gehoumlrt der Mensch in einer voumlllig anderen Weise in das Ge-Stellals die Maschine DieseWeise kann unmenschlich werden DasUnmenschlicheist jedoch immer noch unmenschlich Der Mensch wird nie zur MaschineDas Unmenschliche und noch Menschentuumlmliche ist freilich unheimlicherweil boumlsartige und verhaumlngnisvoller denn der Mensch der nur Maschine wauml-re175
Wen Heidegger hier ersinnt ist der neuzeitliche Mensch der den bdquoGoumlttern uner-
traumlglich gewordenldquo176 waumlre
170 Ebd171 GA 95 S 351172 In Heidegger Die Technik und die Kehre S 21 stellt er Geschichte und Historie einander
gegenuumlber was er in Das Ge-Stelllsquo nicht vollzieht bdquoDie moderne Technik kam doch erst inden Gang als sie sich auf die exakte Naturwissenschaft stuumltzen konnte Historisch gerechnetbleibt dies richtig Geschichtlich gedacht trifft es nicht das Wahreldquo Signifikant fuumlr Heideg-gers Attributierung so wie sie oben schon geschildert ist steht Historie fuumlrs Rechnen undGeschichte fuumlr das Denken
173 GA 97 S 508174 GA 79 S 44175 GA 79 S 37176 GA 94 S 236
41
323 Die Gefahrlsquo
Aus Heideggers Darlegung uumlber das Ge-Stell erschlieszligen sich seine diversen Fa-
cetten der Vorstellung einer Abstandslosigkeit schaffenden Technik Dass die Ab-
standslosigkeit dem Prinzip des Gevierts des Zusammengestellten entgegensteht
bekommt im Vortrag Die Gefahrlsquo Nachdruck Die mythopoetische Erzaumlhlung
knuumlpft an den Vortrag Das Dinglsquo an mit den Mythologemene 1 Der Mythos
des geschichtlich sein muumlssens 2 der Mythos des Goumlttlichen 3 das geschichtsbe-
sinnliche Prinzip der Aletheia Zudem wird im Prozess des Vortrags das Ge-Stell
zur Gefahr stilisiert was einen eigenen Mythos erschafft
Durch das bdquouniversale Bestellen des Ge-Stellsldquo177 werde die naumlhernde Naumlhe des
Dings verwehrt Wie im Vortrag Das Dinglsquo fuumlhrt Heidegger das Wesentliche sei-
ner Theorie auf die deutsche und altgriechische Sprache zuruumlck Die so vollzoge-
ne Annaumlherung von Schwarzwaumllderischem Dialekt und Altgriechisch entspricht
Heideggers Traum von dem bdquogeschichtliche[n] Geburtsort des abendlaumlndischen
Wesensldquo178 den seine Heimat von Todtnauberg bis Freiburg stiften sollte (1)
es ist das Geistvolle und zugleich das erdenhafte schoumlne Land Es birgt un-sichtbaren Reichtum dem Gemuumlt bewahret tiefstes Dichten und houmlchsteGestalt der Sage179
Unter diesem Vorzeichen also sagt Heidegger
Das Ge-Stellwesen laumlszligt das Ding ohne die Wahr Das Wort die Wahrlsquo be-deutet in unserer Sprache dort wo sie noch urspruumlnglich spricht die HutIn unserer schwaumlbischen Mundart meint das Wort die Wahrlsquo die der muumlt-terlichen Hut anvertrauten Kinder Das Ge-Stell laumlszligt in seinem Stellen dasDing ohne die Hut ndash ohne die Wahr seines Dingwesens180
Diese in Bremen vorgetragene Heimatkunde ist auch Heideggers Sorge ge-
schuldet durch die Besatzermaumlchte und deren kulturellen Einfluss auch durch
die nun moumlgliche Oumlffnung Deutschlands zu einem Austausch mit der Welt das
eigene Wesen zu verlieren So schreibt er 1945-1947() in seine Schwarzen Hefte
177 GA 79 S 46178 GA 97 S 54179 Ebd180 GA 79 S 46
42
Das Schwerste und Fragwuumlrdigste unseres Geschickes ndash beruht darin ob wirdas Eigene finden und huumlten [] unter den anderen Voumllkernlsquo [] Scheinund Vorwand der Macht daszlig man unsere eigene Aufgabe bringen will []als Entmachtete aufgenommen zu sein in den Weltmachenschaftsbetrieb181
Es gaumlbe nach Heidegger also das Welten von Welt und die Verweigerung von
Welt aus derVerwahrlosung des Dings durch das Ge-Stell bzw die Technik182 Welt
ist nach dem Konzept des schwaumlbischen Denkers nichts weniger als das Geviert
Bei der folgenden mythopoetischen Zusammenstellung von dem Geviert mit alt-
griechischen Vokabeln um den Seins-Begriff wird das Aletheia-Prinzip eingefuumlhrt
Somit fuumlhrt uumlber den Mythos des Goumlttlichen (2) der Weg zur Wahrheit eben als
geschichtsbesinnlich erfahrene Aletheia (3)
Welt ist das Geviert von Erde und Himmel Goumlttlichen und SterblichenDas Spiegel-Spiel der Vierung wahrt alles was in ihm dingend zwischenden Vier anwest und abwest in das einende Ganze seines Anwesens Vonaltersher heiszligt das Anwesen des Anwesenden τὸ ὲόν das Seiend [sic] τὸεἶναι das Sein naumlmlich der ὲόντα des Seinenden das esse entium183
Diese Welt waumlre nun bdquoWahrnis des Wesens von Sein Statt Wahrnis sagen wir auch
Wahrheitldquo184 Die Welt mythopoetisch als Spiegel-Spiel des Gevierts und durch
eine altgriechische Brille betrachtet waumlre die wahre Welt Somit wird die Wahr-
heitsschau gebunden einen antiken Goumltterglauben und abendlaumlndische Sprachkas-
kaden vom Dialekt zum Altgriechisch
Das Problem mit der wahren Welt waumlre allerdings dass sie sich in die Ver-
borgenheit entziehe Naumlher betrachtet ist aber die Verborgenheit Bedingung des
Entbergens was Heidegger notwendig macht zu einem wuumlrdigen Lebensvollzug
in Harmonie mit dem Sein Durch solche Wesensschau waumlre der Mensch befaumlhigt
jederzeit die verstellenden Maumlchte des Ge-Stells (der Technik) zu uumlberwinden und
teilhaftig am Wesen der Welt zu werden
181 GA 97 S 99182 Vgl GA 79 S 47183 GA 79 S 48 (Die griechischen Vokabeln werden hier keiner Uumlbersetzung unterzogen Da
Heidegger ohnehin keine philologische Schaumlrfe anwenden will ist es fuumlr die Zwecke hierausreichend sie mit seiner Uumlbersetzung zu betrachten Heidegger spricht von bdquoAchten aufdas Griechischeldquo was schwieriger waumlre als klassische Philologie (vgl GA 79 S 63)
184 Ebd
43
Welt bleibt in der Verborgenheit (Αήθη) auf die Weise daszlig diese ihre Ver-borgenheit gerade eine Unverborgenheit gewaumlhrt die Αλήθεια185
Die Αλήθεια haumltte allerdings auch eine Rolle uumlber die subjektive hinaus da nur
durch ihren Vollzug Seinsgeschichte gewaumlhrt wuumlrde Das ist der Anspruch den
Heidegger an sein Auditorium stellt gemeinsam geschichtlich sein zu muumlssen (1)
Die Αλήθεια ist das Geschick des Seins als welches Geschick sich die Fuumllleder Seinsgeschichte in ihre Epochen fuumlgt186
Mit dem Ge-Stell als Wesen der modernen Technik waumlre die Aletheia aller-
dings hochgradig gefaumlhrdet Denn ohnehin waumlre die Aletheia prinzipiell der Ge-
fahr der Vergessenheit ausgesetzt Doch das Ge-Stell haumltte die Kraft die bdquovollende-
te Vergessenheit der Wahrheit des Seinsldquo187 zu vollrichten
Indem das Ge-Stell alles Anwesende in den Bestand bestellt setzt das Ge-Stell das Anwesen des Anwesenden heraus aus seiner Wesensherkunft ausder Αλήθεια188
Diese Versetzung des beteiligten Wesens aus der Moumlglichkeit des Wahrheitsprin-
zips heraus markiert Heidegger dann mit der Schreibweise Seyn (mit bdquoyldquo) Wie
bei dem Vortrag Das Dinglsquo koumlnnen ethymologische Abstammungen sein Sys-
tem anreichern Da wo es um das Wortfeld des Stellens geht Ge-Stell Bestellen
Verstellen ist auch das NachstellenMitglied der Familie
Im Althochdeutschen heiszligt nachstellen fara Das in sich gesammelte Stellenals Nachstellen ist die Gefahr Der Grundzug des Wesens der Gefahr ist dasNachstellen Insofern das Sein als das Ge-Stell sich selbst mit der Vergessen-heit seines Wesens nachstellt ist das Seyn als Seyn die Gefahr seines eigenenWesens189
Damit wuumlrde sich durch die Verringerung der Selbstreflexion im Seyns-Bestand
eine Schwachstelle auftun in die der denkbegabte und aletheiafaumlhige Mensch ei-
ne Moumlglichkeit haben das Seyn zum Sein zuruumlckzuwandeln ndash also wieder in ein
185 GA 79 S 49186 Ebd187 GA 79 S 53188 GA 79 S 52189 GA 79 S 53
44
wesentliches Verhaumlltnis zum bdquoDingldquo zu gelangen in dem das Geviert wieder die
Harmonie herstellt Allerdings faumlnde bis zu solch einer Nachstellung eine Ver-
sieglung des Seynsbestandes statt Und Heidegger beklagt dass die Erreichung der
Ruumlckeroberung des Seins uumlber die Nachstellung nicht stattfaumlnde und stattdessen
die Irre regieren wuumlrde190
In dieser Irre stuumlnde dem Menschen nicht einmal mehr zu zu sterben Denn
bdquoSterben [] heiszligt den Tod in sein Wesen austragenldquo191 Somit waumlren die Opfer
die in den KZs umkamen wie er sie in Das Dinglsquo bereits schildert nicht vermouml-
gend gewesen zu sterben bdquoSie werden Bestandstuumlcke eines Bestandes der Fabrika-
tion von Leichen [] Sie werden in Vernichtungslagern unauffaumlllig liquidiertldquo192
Das vermoumlge die Gefahr zu bewirken Der Mensch wuumlrde des eigenen Sterbens
beraubt da er keine Verbindung mehr zur Wahrheit der Welt haumltte Um den rich-
tigen Tod zu sterben muumlsse der Mensch die Aletheia schauen koumlnnen Insofern ist
Heideggers Prinzip ein religioumls anmutendes Wie in der christlichen Vorstellung
der Mensch im Jenseits an seinen Taten gemessen wird um Paradies oder Fege-
feuer zu besuchen soll nach Heidegger der Mensch waumlhrend des Sterbens mit
sich selbst ins Gericht gehen Er soll sich rein machen vom Ge-Stell der Technik
und dem Seyn um nicht die einmalge Gelegenheit des richtigen Sterbevollzugs
zu versaumlumen Es winken gemaumlszlig des Gevierts die himmlischen Goumlttlichen den
irdischen Sterblichen zu wobei annehmbar ist dass Heidegger Sterblichen die
die Aletheia erkennen einen Goumlttlichkeitsstatus beimessen moumlchte ndash eine Erlouml-
sungsphantasie
Genau diese Erloumlsung waumlre die Technik nicht
Ohne den Schritt des Denkens zu wagen der unser Menschenwesen demWesen der Technik [] aussetzt wuumlrgt man sich von Fall zu Fall von Lagezu Lage durch die Zwiespaumlltigkeiten hindurch Und genau durch dieses Ge-wuumlrge versaumlumt man die Moumlglichkeit dessen was man im Grunde erstrebtdie Technik durch menschliches Tun zu meistern und menschenwuumlrdig zulenken193
190 Vgl GA 79 S 55191 GA 79 S 55192 GA 79 S 56 Weil Heidegger im Judentum die Verantwortlichen fuumlr das Geraffe des Ge-Stells
sieht macht er sie gleichsam verantwortlich fuumlr die bdquoSelbstvernichtungldquo Die Seinsverges-senheit im Tode wird dadurch zum Spin-off der vermeintlich juumldisch erzeugten da machen-schaftlichen KZ-Maschinerie (Vgl GA 97 S 20f)
193 GA 79 S 59
45
Trost und Richtung findet Heidegger schlieszliglich abermals bei den alten Griechen
Das Wort stellenlsquo entspricht dem griechischen ϑέσις vorausgesetzt daszlig wirϑέσις griechisch denken Was heiszligt in diesem Falle griechisch denkenlsquo Esheiszligt darauf achten welche Lichtung desWesens des Seyns in welcherWeisedas Dasein der alten Griechen in den Anspruch genommen hat heiszligt imvoraus bedenken in welchem Geschick welcher Unverborgenheit des Seinsdie Griechen standenldquo194
Das sind Vorstellungen des Neuen Anfangs eine Reminiszenz der griechisch anti-
ken Welt Ein Eintrag aus den Schwarzen Heften von etwa 1945-47 () verdichtet
wie oben bereits aufgezeigt die Phantasie griechisch zu sein zu einem gelingenden
Lebensvollzug
Das reine Wesen des Griechentums dh das Seiende inmitten dessen dieGriechen als seiende fremd gewesen dieses und sie selbst und der Bezug desSeins zu ihnen ndash in der einfachen Wesung von der ἀλήθεια her zeigen underfahren Den μῦθος und λόγος ndash jedes Wort und Gebild rein aber nichterzwungen und schematisch-pedant ndash aus ἀλήθεια erfahren195
Hier zeigt sich auch dass Heidegger per se das Aletheia-Prinzip fuumlr notwendig
hielt um ins Licht der Wahrheit zu blicken Die Griechen sind ihm hier deshalb
Vorbild und rein da sie keiner modernen Technik und dem Ge-Stell ausgesetzt
waren sondern lediglich eine mythopoetische Verbindung zum Sein herstellen
mussten um wesentlich zu sein und Seinsgeschichte zu schreiben Die Dinge und
das Spiegel-Spiel des Gevierts waumlren ihnen geschickt zuhanden gewesen196 Hei-
degger macht schlieszliglich sehr deutlich dass das Griechische zu denken ein bei
weitem anderes Geschaumlft sei als philologische Praumlzision
Ein Echo zu sein naumlmlich dem Anspruch des Seins verlangt eine Sorgfaltder Sprache von der freilich der technisch-terminologische Sprachstil derWissenschaften uumlberhaupt nichts wissen kann Die Intentionalitaumlt der wis-senschaftlichen Sprache ist der staumlrkste Beweis fuumlr ihre Boden- und Heimat-losigkeit [] Das Heimische einer hohen Sprache gedeiht nur im Bereichdes unheimlichen Anspruchs der wesenhaften Stille im Wesen des Seyns197
194 GA 79 S 62f195 GA 97 S 20196 Hingegen waumlre das Judentum verantwortlich fuumlr das Ge-Stell fuumlr das Prinzip der Zerstoumlrung
wie es auf der selben Seite der Schwarzen Hefte darunter heiszligt (vgl ebd)197 GA 79 S 66 Die Bedeutung von Seyn als verstelltes Sein oder Bedingung zum Schauen
des wahren Seins ist verwirrend Einer genaueren Analyse wird aus Platzgruumlnden hier nichtnachgegangen
46
324 Die Kehrelsquo
Der letzte Vortrag ist mit nur neun Seiten der Kuumlrzeste des Vortragsgevierts
Nach dem Verlust des Dinges als Ding und der damit einsetzenden Abstandslosig-
keit als Wesen des Ge-Stells wobei die Gefahr zudem der Vergessenheit des Seyns
nachstellt bietet Heidegger eine Perspektive an
Im Wesen der Gefahr verbirgt sich [] die Moumlglichkeit einer Kehre in derdie Vergessenheit des Wesens des Seins sich so wendet daszlig mit dieser Kehredie Wahrheit des Wesens des Seyns in das Seiende eigens einkehrt198
Diese Moumlglichkeit bedeute nicht dass der Mensch sich der Gefahr selbst stellen
koumlnnte sie waumlre passiv ndash bdquoverbirgt sichldquo Die Kehre werde sich ereignen aumlhnlich
einer Erwartung an den Messias
Die Anwesenheit der Gefahr wuumlrde automatisch die Rettung bergen Denn
Houmllderlin haumltte geschrieben bdquoWo aber Gefahr ist waumlchst [d]as Rettende auchlsquoldquo199
Etwa 1945 notiert Heidegger in seine Schwarzen Hefte bdquoDie Wahrheit erfahren
wir im Gedaumlchtnis Das Gedaumlchtnis ist die Dichtungldquo200 (so) Von dieser War-
te aus ausgestattet mit Erinnerungen an das abendlaumlndische Dichten mit dem
Wissen um das Aletheia-Prinzip und passiv als denkender Huumlter des Seyns solle
der Mensch das Ereignis erwarten das ihn bdquoloumlsen freimachen freyen schonen
bergen in die Hut nehmen wahrenldquo201 wuumlrde (siehe S 43)
Dieses Ereignis waumlre der Blitz Ein unvermittelter jaumlher ploumltzlicher Moment
von kurzer Dauer der bloszlig einen ebenso kurzen Blick auf das wahre Wesen er-
lauben wuumlrde Abschlieszligend ist dies das Rezept gegen die Bestands bestellende
Technik in mythopoetischer Formulierung
So entsprechend ist der Mensch geeignet daszlig er im gewahrten Element vonWelt als der Sterbliche dem Goumlttlichen entgegenblickt Anders nicht dennauch der Gott ist wenn er ist ein Seiender steht als Seiender im Seyn unddessen Wesen das sich aus dem Welten von Welt ereignet202
198 GA 79 S 71199 GA 79 S 72200 GA 97 S 52f201 GA 79 S 72202 GA 79 S 76
47
Wenn Heidegger im Anschluss von der bdquohistorisch-technischen Darstellungldquo re-
det so ist dies die Abwehr der Wissenschaften (auch der Philosophie203) und ein
Appell an die Antirationalitaumlt des Mythos bdquokein historisches Vorstellen der Ge-
schichte als Geschehen bringt in den schicklichen Bezug zum Geschickldquo204
Damit das Blitzen erfahren werde als kurze Wesensschau der Aletheia muumlsse
dem wahren abendlaumlndischen und heimatlichen Ereignis stattgegeben werden Es
sollte nicht wie er 1939 schon in den Schwarzen Heften beschreibt das
kuumlnstliche Licht von Historie und Technik in der weder Mensch noch dieGoumltter weder eineWelt noch die Erde sichtbar werden koumlnnen wo aber dasLebenlsquo von allen den immer noch zu wenigen Meistenlsquo erlebtlsquo wird205
Damit schlieszligt der letzte Vortrag mit einer Erwartung an das Ereignis des Blit-
zens nicht das Erleben der Besinnungslosigkeit (vgl Das Ge-Stelllsquo) Schon 1947
traumlumt Heidegger von solcher Umkehr
Aus der Kehre der Seynsvergessenheit aber ereignet sich das Unumgaumlnglicheden Acker der Welt erst zu pfluumlgen und saatbereit der Sonne und dem Regenund den Voumlgeln des Himmels uumlberlassen206
203 Denn ldquo[e]igentlich denken heiszligt [] die Philosophie verlassen [] beim Sagen des Seinslsquoldquo(GA 97 S 60)
204 Ebd205 GA 95 S 427 Gegen das Erlebnis und Erleben straumlubt sich Heidegger besonders So notiert
er etwa 1939 bdquoZeitalter der Techniklsquo macht gerade die Techniklsquo nicht zum Ziel sondernimmer mehr zum Mittel der besinnungslosen Berechnung [] der Mensch [] das Erleb-nislsquo [] Erleben als der Gefuumlhlsgenuszligldquo (GA 95 S 149) Wie auch bdquoWo beide Historie undTechnik in solcher scheinbaren Gegensaumltzlichkeit verkoppelt sind koumlnnen sie sich zur Foumlr-derung dessen zusammenschlieszligen was einstmals wesentlich die Geschichte des Menschenmitbegruumlndete und was wir die Kunstlsquo nennen Die Historie verschafft [] Anregungenund Vorbilder der Nachahmung die Technik erleichtert [] die Zustellung von Darstel-lungsmitteln und Wirkungsformen [] Gleichwohl ist alles wurzellos [] berechnet und alsErlebnislsquo ausgegebenldquo (GA 95 S 212)
206 GA 97 S 511
48
4 Konklusion
Der umstrittene Philosoph Martin Heidegger hat uumlber die 1930erndash40er Jahre
hinweg eine ausgepraumlgte voumllkisch-nationale und bisweilen radikal-antisemitische
Denkweise entwickelt Dieses Denken fasste er auch auf als Besinnung und stellt
es der Philosophie und Wissenschaft diametral entgegen In Kapitel 2 wird aufge-
zeigt dass sowohl Heideggers Mythologie bereits kritisiert wurde (Adorno Cassi-
rer Meyer) als auch seine Mythopoetik bewundert (Schulz-Nieswandt) Kapitel
3 will daruumlber hinaus aufzeigen wie Heidegger eine eigene Mythologie mytho-
poetisch fruchtbar macht was sich von beiden vorigen Ansaumltzen unterscheidet
und erst mit der Veroumlffentlichung der Schwarzen Hefte ab 2014 nachvollziehbar
wurde
Umso mehr bietet die mythopoetische Verbindung von bdquoDichten und Den-
kenldquo (so) einen antitechnischen Gegenpol Denn Heidegger fasst wie oben ge-
schildert alles Rationale auf als berechnende Bestellung des Bestands im Sinne
der Technik Daruumlber hinaus fordert er mit dem Aletheia-Prinzip (als metapho-
risch gefasstes Ereignis des Blitzens) einen Mitvollzug seiner mythopoetischen
Kontemplation in dem religioumlse voumllkische antike und sprachliche Motive zu-
sammenfallen
Obwohl schon von Heidegger selbst nicht mehr als Philosophie betrachtet
hat seine Rede vom Ding dem Ge-Stell dem Wesen der Technik und der Kehre
noch immer einen bedeutenden Einfluss auf die Technikphilosophie So betont
Alfred Nordmann in bdquoWerkwissen oder How to express things in worksldquo (2008)
dass Heidegger mit Das Dinglsquo eine Art Dingwissen geschaffen haumltte In seinem
2012 erschienenen Aufsatz Another parting of the ways Intersubjectivity and the
objectivity of sciencersquo207 geht Nordmann ein weiteres Mal auf Heideggers Ding
ein Dieses waumlre eine Abarbeitung an dem Ding Kants womit auch Nordmann
Heidegger als einen Interpreten Kants versteht208 Anschlieszligend anMichael Fried-
207 Nordmann Alfred Another parting of the ways Intersubjectivity and the objectivity ofscience In Studies in History and Philosophy of Science 43 (2012) 38ndash46
208 Die Auseinandersetzung mit dem Ding wuumlrde nach Nordmann in Heideggers GA mit demText Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalen Grundsaumltzenlsquoeinsetzen (GA 41 Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalenGrundsaumltzen)
49
man spricht sich Nordmann ebenso dafuumlr aus dass Heidegger neben Rudolf Car-
nap und Ernst Cassirer eine neokantianische Philosophie verfolgt haumltte (siehe
Kap 1)209
Nach Nordmann haumltte Heidegger in seinen anschlieszligenden Gedanken uumlber
das Ding als Fortfuumlhrung Kants als erster Wissenschaft als angewandte Techno-
logie verstanden210 Diese Interpretation stuumltzt sich auf die gleichen Symbole
Metaphern und Mythen die die vorliegende Arbeit analysiert Das Ge-Stell ist
insofern aumlquivok mit dem Begriff techno-science Jedoch sind in dieser Fruchtbar-
machung von Heideggers Denken der Technik dessen nationalistischen rassisti-
schen und antisemitischen Implikationen die die vorliegende Arbeit als Zentrum
dessen Philosophie ermitteln konnte noch nicht beachtet worden koumlnnen211
Andreas Luckner webt Heideggers Ding-Entwurf weiter als verantwortliches
Sorgen um die Dinge212 Er geht dabei mit Heidegger voumlllig konform und tritt
eher als eine Art Bote der Ding-Botschaft auf als diese moumlglicherweise zu kriti-
sieren was sich diesen Artikel wie ein Kapitel aus einem Studienbuch lesen laumlsst
Der Darmstaumldter Technikphilosoph Christoph Hubig ist vor allem Kritiker Hei-
deggers Argumentationen laumlsst aber zuweilen diverse Topoi aus dem Werk des
Technik-Denkers durchscheinen ohne sie weiter zu reflektieren
So konstatiert Hubig Heidegger verfehle in dessen Auseinandersetzung mit
Aristoteles Lehre von der Poiesis zum Punkt der Sicherung wie sie in Die Frage
nach der Techniklsquo behandelt wird bdquodie operative Seite des Technischenldquo bei Aris-
totels213 In einem spaumlteren Aufsatz allerdings stuumltzt er sich ohne weitere Erlaumlute-
rungen auf Heideggers Begriff der Sicherung aus Die Frage nach der Techniklsquo214
209 Diese Befriedung paradigmatischer Umstaumlnde wird hier nicht geteilt Eine weitere Bearbeitunglaumlsst der Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht zu
210 Vgl Nordmann Another parting of the ways S 45211 Der Aussage dass Heideggers Ding-Begriff kantianisch waumlre muumlsste einer gezielten Untersu-
chung unterzogen werden genau wie die Behauptung insgesamt dass Heidegger oder inwie-weit dieser noch der suumlddeutschen Kantschule des 1920 Jahrhunderts angehoumlrte
212 Vgl Luckner Andreas Ding und Bestand Heidegger und das Wesen neuzeitlicher TechnikIn Gamm G Gehring P Hubig C Kaminski A und Nordmann A Ding und SystemS 15-30 hier S 29
213 Hubig Christoph Die Kunst des Moumlglichen Technikphilosophie als Reflexion der MedialitaumltBielefeld 2006 S 103
214 Vgl Hubig Christoph Technik als Medium In Grundwald Armin (Hg) Handbuch Tech-nikethik Stuttgart 2013 S 118-123 hier S 118
50
Dabei versteht Hubig Heideggers Betrachtungen zum Umgang mit der Technik
als gelassen
Fuumlr Heidegger liegt die Andersheit im Entbergen einer Wahrheit des Seinseines Geschicks von dem die Entwicklung der Technik hin zum Gestellkuumlnde Er verbindet dies mit dem Appell jenseits des rechnenden und si-chernden Vorstellens technischer Vollzuumlge als handlungsleitender Program-me sich gelassenlsquo dieser Entwicklung zu uumlberantworten und ein Seinlsquo zuhuumlten das sich als solches eben entbirgt Das Rettendelsquo dieser Einsicht lie-ge darin dass unsere individuelle Endlichkeit insofern transzendiert wirdals sie sich dem sie uumlbersteigenden Prozess aufschlieszligt und sich selbst relati-viert215
Wovon in diesem Zitat nicht die Rede ist ist der Mitvollzug der mythopoe-
tischen Rahmenbedinungen die Heidegger einfordert und an dem die Konzep-
te Abendland und voumllkische Tradition haumlngen In dieser Arbeit wird davon aus-
gegangen dass Heideggers Technikphilosophie-erzaumlhlung sich nicht von seinen
Absichten der Bekaumlmpfung des Technischen loumlsen laumlsst Die Relativierung ist in-
sofern nicht an den Prozess gebunden und damit emergent auf alles hin ausge-
richtet was kommen mag sondern houmlchst konvergent in einer Besinnung auf
Mythen von dem Ding und dem Geviert mit all deren Valenzen aus dem vorlie-
genden Heideggerschen Textkorpus Die individuelle Endlichkeit ist genoumltigt die
Heimat und das Abendland zu kennen und im Aletheia-Prinzip umzusetzen
Die Neubewertung der bislang bekannten Heideggerschen Technikphiloso-
phie von vor den SchwarzenHeften ist ein dringendes Desiderat Voumllkisch-nationale
Gruppierungen erstarken momentan in ganz Europa und es koumlnnte sehr hilfreich
sein aumlhnliche Denkstrukturen aufzudecken so wie sie zwischen den 1930er und
40er Jahren entwickelt wurden Zusaumltzlich muss das Werk Heideggers einer kriti-
schen Revision schon aufgrund der niemals von ihm behandelten Antisemitismen
unterzogen werden Heidegger hat nie zu diesen Stellung bezogen
Daruumlber hinaus ist das Thema Mythos und Philosophie ein weiterhin not-
wendiger Bereich der philosophischen Forschung In einem Bereich auszligerhalb
der exakten Wissenschaften und ohne klare theologische Tradition ist die Philo-
215 Hubig Die Kunst des Moumlglichen S 140
51
sophie beides sowohl Aufklaumlrer und antimythisch als auch Quelle fuumlr mythisches
Denken und affektierende Motive
52
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Die_Heidegger-Kontroverse ndash zuletzt abgerufen am 24042016)
56
Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
Der Unterzeichner versichert dass er die vorliegende Bachelorarbeit selbststaumlndig
verfasst und keine anderen als die von ihm angegebenen Hilfsmittel benutzt hat
Die Stellen der Arbeit die anderen Werken dem Wortlaut oder dem Sinne nach
entnommen sind wurden in jedem Fall unter Angabe der Quellen (einschlieszliglich
des World Wide Web und anderer elektronischer Text- und Datensammlungen)
kenntlich gemacht Dies gilt auch fuumlr beigegebene Zeichnungen bildliche Dar-
stellungen Skizzen und dergleichen
Darmstadt 25 April 2016
__________________________
(Eigenhaumlndige Unterschrift)
- Abkuumlrzungsverzeichnis
- Danksagung
- Einleitung
- Heideggers mythopoetisches Programm
-
- Zu den Begriffen Mythos Mythologie und Mythopoetik
-
- Ein Beispiel fuumlr ein Mythologem
-
- Heideggers Mythen
-
- Formen der Mythologie
-
- Heideggers mythopoetische Technik
-
- Zur Publikationsgeschichte von den Bremer Vortraumlgen 1949
- Die mythopoetische Spiegelung der Schwarzen Hefte
-
- Das Dinglsquo
- Das Ge-Stelllsquo
- Die Gefahrlsquo
- Die Kehrelsquo
-
- Konklusion
- Literaturverzeichnis
- Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
-
36
lensldquo150 Schon vorher wies Heidegger darauf hin bdquo[d]ie Herrschaft des Gegen-
staumlndigen sichert nicht den Abstandldquo151 Jetzt heiszligt es
Das Bestellen befaumlllt nicht nur die Stoffe und Kraumlfte der Natur mit Gestel-lung Das Bestellen befaumlllt zugleich das Geschick des Menschen Das Wesendes Menschen wird daraufhin gestellt das Bestellen in menschlicher Weisemitzuvollziehen152
Der Begriff des Ge-Stells wird daraufhin so konstruiert dass es im Bestellen
um ein Stellen (Herausfordern) alles bdquoAnwesenden als Bestandldquo als bdquoversus unumldquo
gegen bdquodas Eine Ganzeldquo gehe153 In wiederum mythopoetischer Formulierung ge-
baumlre die bdquoVersammlung des Stellens worin alles Bestellbare in seinem Bestand
west das Ge-Stellldquo154 Der Begriff bdquoVersammlungldquo wird einen Absatz zuvor my-
thopoetisch wieder an die Versammlung also das thing eben das wesenhafteDing
angelehnt und somit wie zu Das Dinglsquo bereits oben erlaumlutert in einen deutsch-
abendlaumlndischen Kontext gestellt (3)
Wir nennen die Versammlung der Berge die von sich her einig und nienachtraumlglich schon gesammelt ist das Gebirge Wir nennen die Versamm-lung der Weisen nach denen uns so zumute ist und sein kann das Gemuumlt155
Allerdings ist obiges Versammlungsmodell hier als Kontrast zu sehen zu dem
bdquoGeraff des Getriebesldquo das das Ge-Stell darstellt als bdquoWesen der Technikldquo156 Hei-
degger sieht in der Gleichfoumlrmigkeit die zum Wesen des Technik als Ge-Stell
150 GA 79 S 30151 GA 79 S 25152 GA 79 S 31153 Vgl GA 79 S 32154 GA 79 S 32155 Ebd
Das Wort ldquoGemuumltrdquo hat ferner eine ausschlieszliglich deutsche Praumlgung gibt es doch keinedirekte Uumlbersetzungen Gemuumlth ist ferner ein nicht eindeutig umrissener Begriff (Vgl Kra-mer Cheryce A Foolrsquos Paradise The Psychiatry ofGemuumlth in a Biedermeier Asylum Chica-go 1998 S 19) Die Bedeutung im Deutschen selbst ist zudem sehr variabel hat aber zumeistmit Seelen- oder Geistkonzepten zu tun ndash Cheryce von Xylander (geb Kramer) uumlbersetztGemuumlth mit bdquosoul-organldquo (ebd S 43) das von diversen Autoren unterschiedlich konstru-riert wird (zB von Kant geistigkoumlrperlich und von Kleist individuellkollektiv (vgl ebdS 41)) In Heideggers emblematischem Duktus scheint eine Vermischung von allen vier Di-mensionen geistigkoumlrperlich wie auch individuellkollektiv stattzufinden Es ist auf jedenFall dem Mythos geschuldet den Auftrag des Deutschen anzunehmen (3)
156 GA 79 S 33
37
gehoumlre die planetarische Abloumlsung und Aufhebung des traditionellen und damit
wesenhaft ans Ding gebundenen Verhaumlltnisses vom Menschen zur Erde (das von
ihm idealisierte voumllkische Bauerntum das Bestellen des Ackers) bdquoDie Bestand-
Stuumlcke sind Stuumlck fuumlr Stuumlck die Gleichenldquo157 So kontrastiert er alte Handwerks-
techniken mit Maschinentechnik und schreibt der Maschinentechnik die machen-
schaftliche Verdraumlngung als Geraff zu
Das Ge-Stell hat auch wenn das nicht unmittelbar und nicht sogleich ver-nehmlich wird im vorhinein schon alle diejenigen Stellen beseitigt an denenvormals Spinnrad und Wassermuumlhle standen Das Ge-Stell bestellt durch sei-ne Maschinerie zum voraus eine andere Art und Ordnung von Stellen Andiesen kommt nur zu Stand was als Bestellbares auf der Stelle gleichfoumlrmigzur Stelle steht
Darum ist auch die Art wie die Maschine selbst etwas herstellt einewesentlich andere als das handwerkliche Tun gesetzt daszlig es innerhalb desGe-Stells uumlberhaupt noch so etwas wie ein Herstellen gibt
Die Traktoren und Kraftwagen werden herausgebracht ausgeworfen se-rienweise Stuumlck fuumlr Stuumlck Wo drauszligen steht dieses so Herausgestellte Wo-hin in welchen Stand ist es gebracht158
In dieser Klage uumlber den technischen Wandel der durch den Fortschritt in
alle Lebensbereiche Einzug haumllt versucht Heidegger zu veranschaulichen wel-
chen Verlust es zu erkennen gelte Ein Versuch diesem entgegen zu treten ist die
von ihm vorgetragene Mythopoetik die er in diesem Vortragsteil seines Vortrags-
Gevierts allerdings auffaumlllig zuruumlckgestellt sein laumlszligt War der Einleitungsteil Das
Dinglsquo schlieszliglich eine nahezu einzige mythopoetische Darbietung Dramatur-
gisch wird Heidegger in Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo die mythopoetischen For-
mulierung als Loumlsungswege wieder Bedeutung geben In Das Ge-Stelllsquo versucht
Heidegger hingegen Vorstellungen aus seinen Schwarzen Heften aumlhnlich der fol-
genden mitzuteilen die das Uniforme Gleichfoumlrmige betreffen
Die Macht der Machenschaft ndash die Vernichtung sogar der Gottlosigkeit dieVermenschung des Menschen in das Tier die Vernutzung der Erde die Ver-rechnung der Welt ndash ist in den Zustand der Endguumlltigkeit uumlbergegangenUnterschiede der Voumllker Staaten Kulturen sind nur noch Fassade159
157 GA 79 S 36158 GA 79 S 35159 GA 96 S 52f
38
Was Heidegger unter dieser Gleichfoumlrmigkeit versteht schreibt er in den Schwar-
zen Heften zumeist den Amerikanern zu Er nennt es auch haumlufig Planetarismus
Der Amerikanismus [ist DS] die Zusammenraffung von Allem welcheZusammenraffung immer zugleich die Entwurzelung des Gerafften bedeu-tet160
Der Planetarismus ist die historisch gedachte Bestimmung der uumlberall glei-chen die ganze Erde uumlberdeckenden Seinsverlassenheit des Seienden161
Die Gegenuumlberstellung von natuumlrlicher und traditioneller Handwerkstechnik
gegen maschinenhafte Gleichfoumlrmigkeit exemplifiziert Heidegger dann im Vor-
trag Das Ge-Stelllsquo vielfach wie zum Beispiel hier
Der Forstwart zB der im Wald das geschlagene Holz vermiszligt und demAnschein nach noch wie sein Groszligvater in der gleichen Weise die selbenWege geht ist heute von der Holzverwertungsindustrie gestellt Er ist ober es weiszlig oder nicht in seiner Weise Bestand-Stuumlck des Zellulosebestandesund dessen Bestellbarkeit fuumlr das Papier das den Zeitungen und illustrier-ten Magazinen zugestellt wird die uumlber die Oumlffentlichkeit daraufhin stellenverschlungen werden162
160 GA 96 S 257161 GA 96 S 261162 GA 79 S 37f
Die renommierte Theaterautorin Elfriede Jelinek karikiert in ihrem Stuumlck Totenaubergvon 1991 Heideggers Konstrukt von Heimat und Fortschrittsfeindlichkeit verbunden miteiner Auseinandersetzung mit dessen Liebschaft zu Hannah Arend Mit philologischer Prauml-zision polemisiert sie Teile aus Heideggers Elegie uumlber die Technik und laumlszligt ihn dabei alsbeschraumlnktes und eingezwaumlngtes Wesen in einem Gestell gefangen sein Aus diesem heraussoll er Arend Rede und Antwort stehen uumlber sein Verhaumlltnis zum Nationalsozialismus unddie Shoa Doch dieser redet nur naturtrunken von Heimat und berauscht sich daran Derprophetische Denker wird banalisert ndash diese Worte legt Jelinek ihm (im Stuumlck der alte Mann)in den MundbdquoDie Angst vor dem Fragen liegt uumlber dem Abendland Sie bannt die Kandidaten auf ein
Team-Leibchen verbannt sie auf altgewordene Wege und jagt sie zuruumlck ins morsch geworde-ne Gehaumluse ihrer Tore wo es um ihre Ausscheidungen geht Es wird ihnen alles weggenom-men werden auch der Weg selbst Keine Spur kein Lichtschein aus den Ritzen Aber ruf ichin die Huumltte um nach einem zu fragen den ich gekannt hab sehe ich grad noch eine Tuumlrsich schlieszligen Der Wald kommt nicht zur rechten Geltung alles ist entflohen was mir liebwar und woran ich geglaubt hab Was kommt ist noch nicht da Nichts war Ich habe nichtsgehoumlrt Ich erinnere mich nicht aber ich stelle dem Kommenden das mich den lupenreinenAmateur schon vor Beginn des Rennens erlahmen laumlszligt vorsorglich die Hausschuhe vor dieTuumlr Sie sind das Einzige was die Profis des Profits von mir dann vorfinden werden wennsie anklopfen Die Haumlrte des Urgesteins sollte sie nicht entmutigen Die Jahreszeiten machendie Landschaft auf und zu Ich sage nur In dieser scheinbaren Leere will ich vom Denkenmuumld nur schlafen Von der Huumltte aus lassen sich Wanderungen unternehmen Aber auchsonst wird Ihnen alles wie ich sagte genommen werden Auch Ihre Fotos und Namen Unddas Gewesene wird wesenlosldquo ( Jelinek Elfriede Totenauberg Hamburg 1991 S 86f)
39
Die Oumlffentlichkeit ist fuumlr Heidegger ein Topos der dem Denken und Besinnen
entgegenstuumlnde Somit meint er damit zum Einen die Medien wie er es anhand
der Rede von den Bestandstuumlcken in Das Ge-Stelllsquo erklaumlrt wo der Mensch als
Urheber des Ge-Stells als Wesen der Technik nicht gelten soll Vielmehr wuumlrde er
in Ratlosigkeit und Langeweile verfallen weil er in der Bestellung des Bestandes in
Form von Bestandstuumlcken vom Rundfunk keine Besinnung mehr faumlnde dh das
Ganze also wiederum daswesentliche Ding nicht mehr zu fassen vermoumlge163 Und
so toumlnt es bereits aus den Schwarzen Heften von 19391940()
Die Bildlsquo und Tonlsquo ndash Reportagenlsquo der Machenschaft ist der planetari-sche Mythuslsquo des Vollendungsabschnittes der Neuzeit Die Welt des abge-legensten deutschen Bauernhofes wird nicht mehr durch [] die Naturlsquobestimmt in der noch die Erde waltet sondern durch das illustrierte Blattmit der Darstellung von ausgezogenen Tanzweibern von Boxern und Renn-fahrern und sonstigen Heldenlsquo des Tages164
Und ferner notierte Heidegger 1946 in seinen Schwarzen Heften
Uumlberall zerrt es aus dem Oumlffentlichen ins Oumlffentliche mit vielen Strickenund jeder sieht das kaum versuchte Denken des Seyns am Leitband seinesStrickes165
Dabei waumlre eben ein bdquoLiterat [] ein in die Oumlffentlichkeit verliebter Mensch der
Angst vor dem Denker hatldquo166 Dieses liefe dann darauf hinaus dass beim Rund-
funk bdquoein Bestellen und Stellen waltet das in dasWesen des Menschen eingegriffen
hatldquo167
Abermals nach dem Wesen der Technik also nach dem Ge-Stell gefragt geht
Heidegger auf seine Unterscheidung vonNatur undNaturwissenschaft ein bdquo[w]elches
ist das Verhaumlltnis zwischen der Technik und der Naturldquo168 Natur wuumlrde in wis-
senschaftlicher Hinsicht unter das Berechnete fallen sie wuumlrde bdquoals das in Maszlig
und Zahl gestellte Wirkliche vorgestellt das in seinem Gewirkten staumlndig an-
westldquo169 Wenn Heidegger dann Natur aus technischer Sicht bdquoals ein System des
163 Vgl GA 79 S 38f164 GA 96 S 54165 GA 97 S 100166 GA 97 S 126167 GA 79 S 39168 GA 79 S 41169 Ebd
40
Bestellens von Erfolgen aus dem gestellten Wirksamenldquo170 charakterisiert spricht
er von seiner Rede der Verschraumlnkung von Historie und Technik ndash bdquoTechnik die
Historie der Naturldquolsquo171 Dieses ist bekanntlich das seinsvernichtende Gegenstuumlck
zur geschichtlichen Besinnung Denn geschichtliches Walten der Technik ist fuumlr
Heidegger technische Geschichte dh verwissenschaftlichte Geschichte die da-
durch ihr Wesen verloren haumltte (Seynsvergessenheit)172 So heiszligt es in den Schwar-
zen Heften von 1947
Ein Zeitalter das historisch geworden ist dh technisch planend sich selberberechnet und alles in diesen Sog zieht muszlig jede Besinnung nur als eine dervielen Formen der Intellektualitaumlt registrieren173
Heidegger schlieszligt den Vortrag mit dem Aufgriff der Anfangsbehauptung
bdquo[d]er Bestand bestellt das Abstandsloseldquo174 Somit liegt das Problem der ausblei-
benden Naumlhe durch die Technik deren Wesen das Ge-Stell waumlre das den Bestand
bestelle in der Luft Dass dabei der Mensch sogleich Teil des Bestandes und nicht
Teil der Maschine wird laumlsst ihn das historische Tier sein (2)
Der Mensch ist auswechselbar innerhalb des Bestellens von Bestand []Gleichwohl gehoumlrt der Mensch in einer voumlllig anderen Weise in das Ge-Stellals die Maschine DieseWeise kann unmenschlich werden DasUnmenschlicheist jedoch immer noch unmenschlich Der Mensch wird nie zur MaschineDas Unmenschliche und noch Menschentuumlmliche ist freilich unheimlicherweil boumlsartige und verhaumlngnisvoller denn der Mensch der nur Maschine wauml-re175
Wen Heidegger hier ersinnt ist der neuzeitliche Mensch der den bdquoGoumlttern uner-
traumlglich gewordenldquo176 waumlre
170 Ebd171 GA 95 S 351172 In Heidegger Die Technik und die Kehre S 21 stellt er Geschichte und Historie einander
gegenuumlber was er in Das Ge-Stelllsquo nicht vollzieht bdquoDie moderne Technik kam doch erst inden Gang als sie sich auf die exakte Naturwissenschaft stuumltzen konnte Historisch gerechnetbleibt dies richtig Geschichtlich gedacht trifft es nicht das Wahreldquo Signifikant fuumlr Heideg-gers Attributierung so wie sie oben schon geschildert ist steht Historie fuumlrs Rechnen undGeschichte fuumlr das Denken
173 GA 97 S 508174 GA 79 S 44175 GA 79 S 37176 GA 94 S 236
41
323 Die Gefahrlsquo
Aus Heideggers Darlegung uumlber das Ge-Stell erschlieszligen sich seine diversen Fa-
cetten der Vorstellung einer Abstandslosigkeit schaffenden Technik Dass die Ab-
standslosigkeit dem Prinzip des Gevierts des Zusammengestellten entgegensteht
bekommt im Vortrag Die Gefahrlsquo Nachdruck Die mythopoetische Erzaumlhlung
knuumlpft an den Vortrag Das Dinglsquo an mit den Mythologemene 1 Der Mythos
des geschichtlich sein muumlssens 2 der Mythos des Goumlttlichen 3 das geschichtsbe-
sinnliche Prinzip der Aletheia Zudem wird im Prozess des Vortrags das Ge-Stell
zur Gefahr stilisiert was einen eigenen Mythos erschafft
Durch das bdquouniversale Bestellen des Ge-Stellsldquo177 werde die naumlhernde Naumlhe des
Dings verwehrt Wie im Vortrag Das Dinglsquo fuumlhrt Heidegger das Wesentliche sei-
ner Theorie auf die deutsche und altgriechische Sprache zuruumlck Die so vollzoge-
ne Annaumlherung von Schwarzwaumllderischem Dialekt und Altgriechisch entspricht
Heideggers Traum von dem bdquogeschichtliche[n] Geburtsort des abendlaumlndischen
Wesensldquo178 den seine Heimat von Todtnauberg bis Freiburg stiften sollte (1)
es ist das Geistvolle und zugleich das erdenhafte schoumlne Land Es birgt un-sichtbaren Reichtum dem Gemuumlt bewahret tiefstes Dichten und houmlchsteGestalt der Sage179
Unter diesem Vorzeichen also sagt Heidegger
Das Ge-Stellwesen laumlszligt das Ding ohne die Wahr Das Wort die Wahrlsquo be-deutet in unserer Sprache dort wo sie noch urspruumlnglich spricht die HutIn unserer schwaumlbischen Mundart meint das Wort die Wahrlsquo die der muumlt-terlichen Hut anvertrauten Kinder Das Ge-Stell laumlszligt in seinem Stellen dasDing ohne die Hut ndash ohne die Wahr seines Dingwesens180
Diese in Bremen vorgetragene Heimatkunde ist auch Heideggers Sorge ge-
schuldet durch die Besatzermaumlchte und deren kulturellen Einfluss auch durch
die nun moumlgliche Oumlffnung Deutschlands zu einem Austausch mit der Welt das
eigene Wesen zu verlieren So schreibt er 1945-1947() in seine Schwarzen Hefte
177 GA 79 S 46178 GA 97 S 54179 Ebd180 GA 79 S 46
42
Das Schwerste und Fragwuumlrdigste unseres Geschickes ndash beruht darin ob wirdas Eigene finden und huumlten [] unter den anderen Voumllkernlsquo [] Scheinund Vorwand der Macht daszlig man unsere eigene Aufgabe bringen will []als Entmachtete aufgenommen zu sein in den Weltmachenschaftsbetrieb181
Es gaumlbe nach Heidegger also das Welten von Welt und die Verweigerung von
Welt aus derVerwahrlosung des Dings durch das Ge-Stell bzw die Technik182 Welt
ist nach dem Konzept des schwaumlbischen Denkers nichts weniger als das Geviert
Bei der folgenden mythopoetischen Zusammenstellung von dem Geviert mit alt-
griechischen Vokabeln um den Seins-Begriff wird das Aletheia-Prinzip eingefuumlhrt
Somit fuumlhrt uumlber den Mythos des Goumlttlichen (2) der Weg zur Wahrheit eben als
geschichtsbesinnlich erfahrene Aletheia (3)
Welt ist das Geviert von Erde und Himmel Goumlttlichen und SterblichenDas Spiegel-Spiel der Vierung wahrt alles was in ihm dingend zwischenden Vier anwest und abwest in das einende Ganze seines Anwesens Vonaltersher heiszligt das Anwesen des Anwesenden τὸ ὲόν das Seiend [sic] τὸεἶναι das Sein naumlmlich der ὲόντα des Seinenden das esse entium183
Diese Welt waumlre nun bdquoWahrnis des Wesens von Sein Statt Wahrnis sagen wir auch
Wahrheitldquo184 Die Welt mythopoetisch als Spiegel-Spiel des Gevierts und durch
eine altgriechische Brille betrachtet waumlre die wahre Welt Somit wird die Wahr-
heitsschau gebunden einen antiken Goumltterglauben und abendlaumlndische Sprachkas-
kaden vom Dialekt zum Altgriechisch
Das Problem mit der wahren Welt waumlre allerdings dass sie sich in die Ver-
borgenheit entziehe Naumlher betrachtet ist aber die Verborgenheit Bedingung des
Entbergens was Heidegger notwendig macht zu einem wuumlrdigen Lebensvollzug
in Harmonie mit dem Sein Durch solche Wesensschau waumlre der Mensch befaumlhigt
jederzeit die verstellenden Maumlchte des Ge-Stells (der Technik) zu uumlberwinden und
teilhaftig am Wesen der Welt zu werden
181 GA 97 S 99182 Vgl GA 79 S 47183 GA 79 S 48 (Die griechischen Vokabeln werden hier keiner Uumlbersetzung unterzogen Da
Heidegger ohnehin keine philologische Schaumlrfe anwenden will ist es fuumlr die Zwecke hierausreichend sie mit seiner Uumlbersetzung zu betrachten Heidegger spricht von bdquoAchten aufdas Griechischeldquo was schwieriger waumlre als klassische Philologie (vgl GA 79 S 63)
184 Ebd
43
Welt bleibt in der Verborgenheit (Αήθη) auf die Weise daszlig diese ihre Ver-borgenheit gerade eine Unverborgenheit gewaumlhrt die Αλήθεια185
Die Αλήθεια haumltte allerdings auch eine Rolle uumlber die subjektive hinaus da nur
durch ihren Vollzug Seinsgeschichte gewaumlhrt wuumlrde Das ist der Anspruch den
Heidegger an sein Auditorium stellt gemeinsam geschichtlich sein zu muumlssen (1)
Die Αλήθεια ist das Geschick des Seins als welches Geschick sich die Fuumllleder Seinsgeschichte in ihre Epochen fuumlgt186
Mit dem Ge-Stell als Wesen der modernen Technik waumlre die Aletheia aller-
dings hochgradig gefaumlhrdet Denn ohnehin waumlre die Aletheia prinzipiell der Ge-
fahr der Vergessenheit ausgesetzt Doch das Ge-Stell haumltte die Kraft die bdquovollende-
te Vergessenheit der Wahrheit des Seinsldquo187 zu vollrichten
Indem das Ge-Stell alles Anwesende in den Bestand bestellt setzt das Ge-Stell das Anwesen des Anwesenden heraus aus seiner Wesensherkunft ausder Αλήθεια188
Diese Versetzung des beteiligten Wesens aus der Moumlglichkeit des Wahrheitsprin-
zips heraus markiert Heidegger dann mit der Schreibweise Seyn (mit bdquoyldquo) Wie
bei dem Vortrag Das Dinglsquo koumlnnen ethymologische Abstammungen sein Sys-
tem anreichern Da wo es um das Wortfeld des Stellens geht Ge-Stell Bestellen
Verstellen ist auch das NachstellenMitglied der Familie
Im Althochdeutschen heiszligt nachstellen fara Das in sich gesammelte Stellenals Nachstellen ist die Gefahr Der Grundzug des Wesens der Gefahr ist dasNachstellen Insofern das Sein als das Ge-Stell sich selbst mit der Vergessen-heit seines Wesens nachstellt ist das Seyn als Seyn die Gefahr seines eigenenWesens189
Damit wuumlrde sich durch die Verringerung der Selbstreflexion im Seyns-Bestand
eine Schwachstelle auftun in die der denkbegabte und aletheiafaumlhige Mensch ei-
ne Moumlglichkeit haben das Seyn zum Sein zuruumlckzuwandeln ndash also wieder in ein
185 GA 79 S 49186 Ebd187 GA 79 S 53188 GA 79 S 52189 GA 79 S 53
44
wesentliches Verhaumlltnis zum bdquoDingldquo zu gelangen in dem das Geviert wieder die
Harmonie herstellt Allerdings faumlnde bis zu solch einer Nachstellung eine Ver-
sieglung des Seynsbestandes statt Und Heidegger beklagt dass die Erreichung der
Ruumlckeroberung des Seins uumlber die Nachstellung nicht stattfaumlnde und stattdessen
die Irre regieren wuumlrde190
In dieser Irre stuumlnde dem Menschen nicht einmal mehr zu zu sterben Denn
bdquoSterben [] heiszligt den Tod in sein Wesen austragenldquo191 Somit waumlren die Opfer
die in den KZs umkamen wie er sie in Das Dinglsquo bereits schildert nicht vermouml-
gend gewesen zu sterben bdquoSie werden Bestandstuumlcke eines Bestandes der Fabrika-
tion von Leichen [] Sie werden in Vernichtungslagern unauffaumlllig liquidiertldquo192
Das vermoumlge die Gefahr zu bewirken Der Mensch wuumlrde des eigenen Sterbens
beraubt da er keine Verbindung mehr zur Wahrheit der Welt haumltte Um den rich-
tigen Tod zu sterben muumlsse der Mensch die Aletheia schauen koumlnnen Insofern ist
Heideggers Prinzip ein religioumls anmutendes Wie in der christlichen Vorstellung
der Mensch im Jenseits an seinen Taten gemessen wird um Paradies oder Fege-
feuer zu besuchen soll nach Heidegger der Mensch waumlhrend des Sterbens mit
sich selbst ins Gericht gehen Er soll sich rein machen vom Ge-Stell der Technik
und dem Seyn um nicht die einmalge Gelegenheit des richtigen Sterbevollzugs
zu versaumlumen Es winken gemaumlszlig des Gevierts die himmlischen Goumlttlichen den
irdischen Sterblichen zu wobei annehmbar ist dass Heidegger Sterblichen die
die Aletheia erkennen einen Goumlttlichkeitsstatus beimessen moumlchte ndash eine Erlouml-
sungsphantasie
Genau diese Erloumlsung waumlre die Technik nicht
Ohne den Schritt des Denkens zu wagen der unser Menschenwesen demWesen der Technik [] aussetzt wuumlrgt man sich von Fall zu Fall von Lagezu Lage durch die Zwiespaumlltigkeiten hindurch Und genau durch dieses Ge-wuumlrge versaumlumt man die Moumlglichkeit dessen was man im Grunde erstrebtdie Technik durch menschliches Tun zu meistern und menschenwuumlrdig zulenken193
190 Vgl GA 79 S 55191 GA 79 S 55192 GA 79 S 56 Weil Heidegger im Judentum die Verantwortlichen fuumlr das Geraffe des Ge-Stells
sieht macht er sie gleichsam verantwortlich fuumlr die bdquoSelbstvernichtungldquo Die Seinsverges-senheit im Tode wird dadurch zum Spin-off der vermeintlich juumldisch erzeugten da machen-schaftlichen KZ-Maschinerie (Vgl GA 97 S 20f)
193 GA 79 S 59
45
Trost und Richtung findet Heidegger schlieszliglich abermals bei den alten Griechen
Das Wort stellenlsquo entspricht dem griechischen ϑέσις vorausgesetzt daszlig wirϑέσις griechisch denken Was heiszligt in diesem Falle griechisch denkenlsquo Esheiszligt darauf achten welche Lichtung desWesens des Seyns in welcherWeisedas Dasein der alten Griechen in den Anspruch genommen hat heiszligt imvoraus bedenken in welchem Geschick welcher Unverborgenheit des Seinsdie Griechen standenldquo194
Das sind Vorstellungen des Neuen Anfangs eine Reminiszenz der griechisch anti-
ken Welt Ein Eintrag aus den Schwarzen Heften von etwa 1945-47 () verdichtet
wie oben bereits aufgezeigt die Phantasie griechisch zu sein zu einem gelingenden
Lebensvollzug
Das reine Wesen des Griechentums dh das Seiende inmitten dessen dieGriechen als seiende fremd gewesen dieses und sie selbst und der Bezug desSeins zu ihnen ndash in der einfachen Wesung von der ἀλήθεια her zeigen underfahren Den μῦθος und λόγος ndash jedes Wort und Gebild rein aber nichterzwungen und schematisch-pedant ndash aus ἀλήθεια erfahren195
Hier zeigt sich auch dass Heidegger per se das Aletheia-Prinzip fuumlr notwendig
hielt um ins Licht der Wahrheit zu blicken Die Griechen sind ihm hier deshalb
Vorbild und rein da sie keiner modernen Technik und dem Ge-Stell ausgesetzt
waren sondern lediglich eine mythopoetische Verbindung zum Sein herstellen
mussten um wesentlich zu sein und Seinsgeschichte zu schreiben Die Dinge und
das Spiegel-Spiel des Gevierts waumlren ihnen geschickt zuhanden gewesen196 Hei-
degger macht schlieszliglich sehr deutlich dass das Griechische zu denken ein bei
weitem anderes Geschaumlft sei als philologische Praumlzision
Ein Echo zu sein naumlmlich dem Anspruch des Seins verlangt eine Sorgfaltder Sprache von der freilich der technisch-terminologische Sprachstil derWissenschaften uumlberhaupt nichts wissen kann Die Intentionalitaumlt der wis-senschaftlichen Sprache ist der staumlrkste Beweis fuumlr ihre Boden- und Heimat-losigkeit [] Das Heimische einer hohen Sprache gedeiht nur im Bereichdes unheimlichen Anspruchs der wesenhaften Stille im Wesen des Seyns197
194 GA 79 S 62f195 GA 97 S 20196 Hingegen waumlre das Judentum verantwortlich fuumlr das Ge-Stell fuumlr das Prinzip der Zerstoumlrung
wie es auf der selben Seite der Schwarzen Hefte darunter heiszligt (vgl ebd)197 GA 79 S 66 Die Bedeutung von Seyn als verstelltes Sein oder Bedingung zum Schauen
des wahren Seins ist verwirrend Einer genaueren Analyse wird aus Platzgruumlnden hier nichtnachgegangen
46
324 Die Kehrelsquo
Der letzte Vortrag ist mit nur neun Seiten der Kuumlrzeste des Vortragsgevierts
Nach dem Verlust des Dinges als Ding und der damit einsetzenden Abstandslosig-
keit als Wesen des Ge-Stells wobei die Gefahr zudem der Vergessenheit des Seyns
nachstellt bietet Heidegger eine Perspektive an
Im Wesen der Gefahr verbirgt sich [] die Moumlglichkeit einer Kehre in derdie Vergessenheit des Wesens des Seins sich so wendet daszlig mit dieser Kehredie Wahrheit des Wesens des Seyns in das Seiende eigens einkehrt198
Diese Moumlglichkeit bedeute nicht dass der Mensch sich der Gefahr selbst stellen
koumlnnte sie waumlre passiv ndash bdquoverbirgt sichldquo Die Kehre werde sich ereignen aumlhnlich
einer Erwartung an den Messias
Die Anwesenheit der Gefahr wuumlrde automatisch die Rettung bergen Denn
Houmllderlin haumltte geschrieben bdquoWo aber Gefahr ist waumlchst [d]as Rettende auchlsquoldquo199
Etwa 1945 notiert Heidegger in seine Schwarzen Hefte bdquoDie Wahrheit erfahren
wir im Gedaumlchtnis Das Gedaumlchtnis ist die Dichtungldquo200 (so) Von dieser War-
te aus ausgestattet mit Erinnerungen an das abendlaumlndische Dichten mit dem
Wissen um das Aletheia-Prinzip und passiv als denkender Huumlter des Seyns solle
der Mensch das Ereignis erwarten das ihn bdquoloumlsen freimachen freyen schonen
bergen in die Hut nehmen wahrenldquo201 wuumlrde (siehe S 43)
Dieses Ereignis waumlre der Blitz Ein unvermittelter jaumlher ploumltzlicher Moment
von kurzer Dauer der bloszlig einen ebenso kurzen Blick auf das wahre Wesen er-
lauben wuumlrde Abschlieszligend ist dies das Rezept gegen die Bestands bestellende
Technik in mythopoetischer Formulierung
So entsprechend ist der Mensch geeignet daszlig er im gewahrten Element vonWelt als der Sterbliche dem Goumlttlichen entgegenblickt Anders nicht dennauch der Gott ist wenn er ist ein Seiender steht als Seiender im Seyn unddessen Wesen das sich aus dem Welten von Welt ereignet202
198 GA 79 S 71199 GA 79 S 72200 GA 97 S 52f201 GA 79 S 72202 GA 79 S 76
47
Wenn Heidegger im Anschluss von der bdquohistorisch-technischen Darstellungldquo re-
det so ist dies die Abwehr der Wissenschaften (auch der Philosophie203) und ein
Appell an die Antirationalitaumlt des Mythos bdquokein historisches Vorstellen der Ge-
schichte als Geschehen bringt in den schicklichen Bezug zum Geschickldquo204
Damit das Blitzen erfahren werde als kurze Wesensschau der Aletheia muumlsse
dem wahren abendlaumlndischen und heimatlichen Ereignis stattgegeben werden Es
sollte nicht wie er 1939 schon in den Schwarzen Heften beschreibt das
kuumlnstliche Licht von Historie und Technik in der weder Mensch noch dieGoumltter weder eineWelt noch die Erde sichtbar werden koumlnnen wo aber dasLebenlsquo von allen den immer noch zu wenigen Meistenlsquo erlebtlsquo wird205
Damit schlieszligt der letzte Vortrag mit einer Erwartung an das Ereignis des Blit-
zens nicht das Erleben der Besinnungslosigkeit (vgl Das Ge-Stelllsquo) Schon 1947
traumlumt Heidegger von solcher Umkehr
Aus der Kehre der Seynsvergessenheit aber ereignet sich das Unumgaumlnglicheden Acker der Welt erst zu pfluumlgen und saatbereit der Sonne und dem Regenund den Voumlgeln des Himmels uumlberlassen206
203 Denn ldquo[e]igentlich denken heiszligt [] die Philosophie verlassen [] beim Sagen des Seinslsquoldquo(GA 97 S 60)
204 Ebd205 GA 95 S 427 Gegen das Erlebnis und Erleben straumlubt sich Heidegger besonders So notiert
er etwa 1939 bdquoZeitalter der Techniklsquo macht gerade die Techniklsquo nicht zum Ziel sondernimmer mehr zum Mittel der besinnungslosen Berechnung [] der Mensch [] das Erleb-nislsquo [] Erleben als der Gefuumlhlsgenuszligldquo (GA 95 S 149) Wie auch bdquoWo beide Historie undTechnik in solcher scheinbaren Gegensaumltzlichkeit verkoppelt sind koumlnnen sie sich zur Foumlr-derung dessen zusammenschlieszligen was einstmals wesentlich die Geschichte des Menschenmitbegruumlndete und was wir die Kunstlsquo nennen Die Historie verschafft [] Anregungenund Vorbilder der Nachahmung die Technik erleichtert [] die Zustellung von Darstel-lungsmitteln und Wirkungsformen [] Gleichwohl ist alles wurzellos [] berechnet und alsErlebnislsquo ausgegebenldquo (GA 95 S 212)
206 GA 97 S 511
48
4 Konklusion
Der umstrittene Philosoph Martin Heidegger hat uumlber die 1930erndash40er Jahre
hinweg eine ausgepraumlgte voumllkisch-nationale und bisweilen radikal-antisemitische
Denkweise entwickelt Dieses Denken fasste er auch auf als Besinnung und stellt
es der Philosophie und Wissenschaft diametral entgegen In Kapitel 2 wird aufge-
zeigt dass sowohl Heideggers Mythologie bereits kritisiert wurde (Adorno Cassi-
rer Meyer) als auch seine Mythopoetik bewundert (Schulz-Nieswandt) Kapitel
3 will daruumlber hinaus aufzeigen wie Heidegger eine eigene Mythologie mytho-
poetisch fruchtbar macht was sich von beiden vorigen Ansaumltzen unterscheidet
und erst mit der Veroumlffentlichung der Schwarzen Hefte ab 2014 nachvollziehbar
wurde
Umso mehr bietet die mythopoetische Verbindung von bdquoDichten und Den-
kenldquo (so) einen antitechnischen Gegenpol Denn Heidegger fasst wie oben ge-
schildert alles Rationale auf als berechnende Bestellung des Bestands im Sinne
der Technik Daruumlber hinaus fordert er mit dem Aletheia-Prinzip (als metapho-
risch gefasstes Ereignis des Blitzens) einen Mitvollzug seiner mythopoetischen
Kontemplation in dem religioumlse voumllkische antike und sprachliche Motive zu-
sammenfallen
Obwohl schon von Heidegger selbst nicht mehr als Philosophie betrachtet
hat seine Rede vom Ding dem Ge-Stell dem Wesen der Technik und der Kehre
noch immer einen bedeutenden Einfluss auf die Technikphilosophie So betont
Alfred Nordmann in bdquoWerkwissen oder How to express things in worksldquo (2008)
dass Heidegger mit Das Dinglsquo eine Art Dingwissen geschaffen haumltte In seinem
2012 erschienenen Aufsatz Another parting of the ways Intersubjectivity and the
objectivity of sciencersquo207 geht Nordmann ein weiteres Mal auf Heideggers Ding
ein Dieses waumlre eine Abarbeitung an dem Ding Kants womit auch Nordmann
Heidegger als einen Interpreten Kants versteht208 Anschlieszligend anMichael Fried-
207 Nordmann Alfred Another parting of the ways Intersubjectivity and the objectivity ofscience In Studies in History and Philosophy of Science 43 (2012) 38ndash46
208 Die Auseinandersetzung mit dem Ding wuumlrde nach Nordmann in Heideggers GA mit demText Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalen Grundsaumltzenlsquoeinsetzen (GA 41 Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalenGrundsaumltzen)
49
man spricht sich Nordmann ebenso dafuumlr aus dass Heidegger neben Rudolf Car-
nap und Ernst Cassirer eine neokantianische Philosophie verfolgt haumltte (siehe
Kap 1)209
Nach Nordmann haumltte Heidegger in seinen anschlieszligenden Gedanken uumlber
das Ding als Fortfuumlhrung Kants als erster Wissenschaft als angewandte Techno-
logie verstanden210 Diese Interpretation stuumltzt sich auf die gleichen Symbole
Metaphern und Mythen die die vorliegende Arbeit analysiert Das Ge-Stell ist
insofern aumlquivok mit dem Begriff techno-science Jedoch sind in dieser Fruchtbar-
machung von Heideggers Denken der Technik dessen nationalistischen rassisti-
schen und antisemitischen Implikationen die die vorliegende Arbeit als Zentrum
dessen Philosophie ermitteln konnte noch nicht beachtet worden koumlnnen211
Andreas Luckner webt Heideggers Ding-Entwurf weiter als verantwortliches
Sorgen um die Dinge212 Er geht dabei mit Heidegger voumlllig konform und tritt
eher als eine Art Bote der Ding-Botschaft auf als diese moumlglicherweise zu kriti-
sieren was sich diesen Artikel wie ein Kapitel aus einem Studienbuch lesen laumlsst
Der Darmstaumldter Technikphilosoph Christoph Hubig ist vor allem Kritiker Hei-
deggers Argumentationen laumlsst aber zuweilen diverse Topoi aus dem Werk des
Technik-Denkers durchscheinen ohne sie weiter zu reflektieren
So konstatiert Hubig Heidegger verfehle in dessen Auseinandersetzung mit
Aristoteles Lehre von der Poiesis zum Punkt der Sicherung wie sie in Die Frage
nach der Techniklsquo behandelt wird bdquodie operative Seite des Technischenldquo bei Aris-
totels213 In einem spaumlteren Aufsatz allerdings stuumltzt er sich ohne weitere Erlaumlute-
rungen auf Heideggers Begriff der Sicherung aus Die Frage nach der Techniklsquo214
209 Diese Befriedung paradigmatischer Umstaumlnde wird hier nicht geteilt Eine weitere Bearbeitunglaumlsst der Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht zu
210 Vgl Nordmann Another parting of the ways S 45211 Der Aussage dass Heideggers Ding-Begriff kantianisch waumlre muumlsste einer gezielten Untersu-
chung unterzogen werden genau wie die Behauptung insgesamt dass Heidegger oder inwie-weit dieser noch der suumlddeutschen Kantschule des 1920 Jahrhunderts angehoumlrte
212 Vgl Luckner Andreas Ding und Bestand Heidegger und das Wesen neuzeitlicher TechnikIn Gamm G Gehring P Hubig C Kaminski A und Nordmann A Ding und SystemS 15-30 hier S 29
213 Hubig Christoph Die Kunst des Moumlglichen Technikphilosophie als Reflexion der MedialitaumltBielefeld 2006 S 103
214 Vgl Hubig Christoph Technik als Medium In Grundwald Armin (Hg) Handbuch Tech-nikethik Stuttgart 2013 S 118-123 hier S 118
50
Dabei versteht Hubig Heideggers Betrachtungen zum Umgang mit der Technik
als gelassen
Fuumlr Heidegger liegt die Andersheit im Entbergen einer Wahrheit des Seinseines Geschicks von dem die Entwicklung der Technik hin zum Gestellkuumlnde Er verbindet dies mit dem Appell jenseits des rechnenden und si-chernden Vorstellens technischer Vollzuumlge als handlungsleitender Program-me sich gelassenlsquo dieser Entwicklung zu uumlberantworten und ein Seinlsquo zuhuumlten das sich als solches eben entbirgt Das Rettendelsquo dieser Einsicht lie-ge darin dass unsere individuelle Endlichkeit insofern transzendiert wirdals sie sich dem sie uumlbersteigenden Prozess aufschlieszligt und sich selbst relati-viert215
Wovon in diesem Zitat nicht die Rede ist ist der Mitvollzug der mythopoe-
tischen Rahmenbedinungen die Heidegger einfordert und an dem die Konzep-
te Abendland und voumllkische Tradition haumlngen In dieser Arbeit wird davon aus-
gegangen dass Heideggers Technikphilosophie-erzaumlhlung sich nicht von seinen
Absichten der Bekaumlmpfung des Technischen loumlsen laumlsst Die Relativierung ist in-
sofern nicht an den Prozess gebunden und damit emergent auf alles hin ausge-
richtet was kommen mag sondern houmlchst konvergent in einer Besinnung auf
Mythen von dem Ding und dem Geviert mit all deren Valenzen aus dem vorlie-
genden Heideggerschen Textkorpus Die individuelle Endlichkeit ist genoumltigt die
Heimat und das Abendland zu kennen und im Aletheia-Prinzip umzusetzen
Die Neubewertung der bislang bekannten Heideggerschen Technikphiloso-
phie von vor den SchwarzenHeften ist ein dringendes Desiderat Voumllkisch-nationale
Gruppierungen erstarken momentan in ganz Europa und es koumlnnte sehr hilfreich
sein aumlhnliche Denkstrukturen aufzudecken so wie sie zwischen den 1930er und
40er Jahren entwickelt wurden Zusaumltzlich muss das Werk Heideggers einer kriti-
schen Revision schon aufgrund der niemals von ihm behandelten Antisemitismen
unterzogen werden Heidegger hat nie zu diesen Stellung bezogen
Daruumlber hinaus ist das Thema Mythos und Philosophie ein weiterhin not-
wendiger Bereich der philosophischen Forschung In einem Bereich auszligerhalb
der exakten Wissenschaften und ohne klare theologische Tradition ist die Philo-
215 Hubig Die Kunst des Moumlglichen S 140
51
sophie beides sowohl Aufklaumlrer und antimythisch als auch Quelle fuumlr mythisches
Denken und affektierende Motive
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56
Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
Der Unterzeichner versichert dass er die vorliegende Bachelorarbeit selbststaumlndig
verfasst und keine anderen als die von ihm angegebenen Hilfsmittel benutzt hat
Die Stellen der Arbeit die anderen Werken dem Wortlaut oder dem Sinne nach
entnommen sind wurden in jedem Fall unter Angabe der Quellen (einschlieszliglich
des World Wide Web und anderer elektronischer Text- und Datensammlungen)
kenntlich gemacht Dies gilt auch fuumlr beigegebene Zeichnungen bildliche Dar-
stellungen Skizzen und dergleichen
Darmstadt 25 April 2016
__________________________
(Eigenhaumlndige Unterschrift)
- Abkuumlrzungsverzeichnis
- Danksagung
- Einleitung
- Heideggers mythopoetisches Programm
-
- Zu den Begriffen Mythos Mythologie und Mythopoetik
-
- Ein Beispiel fuumlr ein Mythologem
-
- Heideggers Mythen
-
- Formen der Mythologie
-
- Heideggers mythopoetische Technik
-
- Zur Publikationsgeschichte von den Bremer Vortraumlgen 1949
- Die mythopoetische Spiegelung der Schwarzen Hefte
-
- Das Dinglsquo
- Das Ge-Stelllsquo
- Die Gefahrlsquo
- Die Kehrelsquo
-
- Konklusion
- Literaturverzeichnis
- Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
-
37
gehoumlre die planetarische Abloumlsung und Aufhebung des traditionellen und damit
wesenhaft ans Ding gebundenen Verhaumlltnisses vom Menschen zur Erde (das von
ihm idealisierte voumllkische Bauerntum das Bestellen des Ackers) bdquoDie Bestand-
Stuumlcke sind Stuumlck fuumlr Stuumlck die Gleichenldquo157 So kontrastiert er alte Handwerks-
techniken mit Maschinentechnik und schreibt der Maschinentechnik die machen-
schaftliche Verdraumlngung als Geraff zu
Das Ge-Stell hat auch wenn das nicht unmittelbar und nicht sogleich ver-nehmlich wird im vorhinein schon alle diejenigen Stellen beseitigt an denenvormals Spinnrad und Wassermuumlhle standen Das Ge-Stell bestellt durch sei-ne Maschinerie zum voraus eine andere Art und Ordnung von Stellen Andiesen kommt nur zu Stand was als Bestellbares auf der Stelle gleichfoumlrmigzur Stelle steht
Darum ist auch die Art wie die Maschine selbst etwas herstellt einewesentlich andere als das handwerkliche Tun gesetzt daszlig es innerhalb desGe-Stells uumlberhaupt noch so etwas wie ein Herstellen gibt
Die Traktoren und Kraftwagen werden herausgebracht ausgeworfen se-rienweise Stuumlck fuumlr Stuumlck Wo drauszligen steht dieses so Herausgestellte Wo-hin in welchen Stand ist es gebracht158
In dieser Klage uumlber den technischen Wandel der durch den Fortschritt in
alle Lebensbereiche Einzug haumllt versucht Heidegger zu veranschaulichen wel-
chen Verlust es zu erkennen gelte Ein Versuch diesem entgegen zu treten ist die
von ihm vorgetragene Mythopoetik die er in diesem Vortragsteil seines Vortrags-
Gevierts allerdings auffaumlllig zuruumlckgestellt sein laumlszligt War der Einleitungsteil Das
Dinglsquo schlieszliglich eine nahezu einzige mythopoetische Darbietung Dramatur-
gisch wird Heidegger in Die Gefahrlsquo und Die Kehrelsquo die mythopoetischen For-
mulierung als Loumlsungswege wieder Bedeutung geben In Das Ge-Stelllsquo versucht
Heidegger hingegen Vorstellungen aus seinen Schwarzen Heften aumlhnlich der fol-
genden mitzuteilen die das Uniforme Gleichfoumlrmige betreffen
Die Macht der Machenschaft ndash die Vernichtung sogar der Gottlosigkeit dieVermenschung des Menschen in das Tier die Vernutzung der Erde die Ver-rechnung der Welt ndash ist in den Zustand der Endguumlltigkeit uumlbergegangenUnterschiede der Voumllker Staaten Kulturen sind nur noch Fassade159
157 GA 79 S 36158 GA 79 S 35159 GA 96 S 52f
38
Was Heidegger unter dieser Gleichfoumlrmigkeit versteht schreibt er in den Schwar-
zen Heften zumeist den Amerikanern zu Er nennt es auch haumlufig Planetarismus
Der Amerikanismus [ist DS] die Zusammenraffung von Allem welcheZusammenraffung immer zugleich die Entwurzelung des Gerafften bedeu-tet160
Der Planetarismus ist die historisch gedachte Bestimmung der uumlberall glei-chen die ganze Erde uumlberdeckenden Seinsverlassenheit des Seienden161
Die Gegenuumlberstellung von natuumlrlicher und traditioneller Handwerkstechnik
gegen maschinenhafte Gleichfoumlrmigkeit exemplifiziert Heidegger dann im Vor-
trag Das Ge-Stelllsquo vielfach wie zum Beispiel hier
Der Forstwart zB der im Wald das geschlagene Holz vermiszligt und demAnschein nach noch wie sein Groszligvater in der gleichen Weise die selbenWege geht ist heute von der Holzverwertungsindustrie gestellt Er ist ober es weiszlig oder nicht in seiner Weise Bestand-Stuumlck des Zellulosebestandesund dessen Bestellbarkeit fuumlr das Papier das den Zeitungen und illustrier-ten Magazinen zugestellt wird die uumlber die Oumlffentlichkeit daraufhin stellenverschlungen werden162
160 GA 96 S 257161 GA 96 S 261162 GA 79 S 37f
Die renommierte Theaterautorin Elfriede Jelinek karikiert in ihrem Stuumlck Totenaubergvon 1991 Heideggers Konstrukt von Heimat und Fortschrittsfeindlichkeit verbunden miteiner Auseinandersetzung mit dessen Liebschaft zu Hannah Arend Mit philologischer Prauml-zision polemisiert sie Teile aus Heideggers Elegie uumlber die Technik und laumlszligt ihn dabei alsbeschraumlnktes und eingezwaumlngtes Wesen in einem Gestell gefangen sein Aus diesem heraussoll er Arend Rede und Antwort stehen uumlber sein Verhaumlltnis zum Nationalsozialismus unddie Shoa Doch dieser redet nur naturtrunken von Heimat und berauscht sich daran Derprophetische Denker wird banalisert ndash diese Worte legt Jelinek ihm (im Stuumlck der alte Mann)in den MundbdquoDie Angst vor dem Fragen liegt uumlber dem Abendland Sie bannt die Kandidaten auf ein
Team-Leibchen verbannt sie auf altgewordene Wege und jagt sie zuruumlck ins morsch geworde-ne Gehaumluse ihrer Tore wo es um ihre Ausscheidungen geht Es wird ihnen alles weggenom-men werden auch der Weg selbst Keine Spur kein Lichtschein aus den Ritzen Aber ruf ichin die Huumltte um nach einem zu fragen den ich gekannt hab sehe ich grad noch eine Tuumlrsich schlieszligen Der Wald kommt nicht zur rechten Geltung alles ist entflohen was mir liebwar und woran ich geglaubt hab Was kommt ist noch nicht da Nichts war Ich habe nichtsgehoumlrt Ich erinnere mich nicht aber ich stelle dem Kommenden das mich den lupenreinenAmateur schon vor Beginn des Rennens erlahmen laumlszligt vorsorglich die Hausschuhe vor dieTuumlr Sie sind das Einzige was die Profis des Profits von mir dann vorfinden werden wennsie anklopfen Die Haumlrte des Urgesteins sollte sie nicht entmutigen Die Jahreszeiten machendie Landschaft auf und zu Ich sage nur In dieser scheinbaren Leere will ich vom Denkenmuumld nur schlafen Von der Huumltte aus lassen sich Wanderungen unternehmen Aber auchsonst wird Ihnen alles wie ich sagte genommen werden Auch Ihre Fotos und Namen Unddas Gewesene wird wesenlosldquo ( Jelinek Elfriede Totenauberg Hamburg 1991 S 86f)
39
Die Oumlffentlichkeit ist fuumlr Heidegger ein Topos der dem Denken und Besinnen
entgegenstuumlnde Somit meint er damit zum Einen die Medien wie er es anhand
der Rede von den Bestandstuumlcken in Das Ge-Stelllsquo erklaumlrt wo der Mensch als
Urheber des Ge-Stells als Wesen der Technik nicht gelten soll Vielmehr wuumlrde er
in Ratlosigkeit und Langeweile verfallen weil er in der Bestellung des Bestandes in
Form von Bestandstuumlcken vom Rundfunk keine Besinnung mehr faumlnde dh das
Ganze also wiederum daswesentliche Ding nicht mehr zu fassen vermoumlge163 Und
so toumlnt es bereits aus den Schwarzen Heften von 19391940()
Die Bildlsquo und Tonlsquo ndash Reportagenlsquo der Machenschaft ist der planetari-sche Mythuslsquo des Vollendungsabschnittes der Neuzeit Die Welt des abge-legensten deutschen Bauernhofes wird nicht mehr durch [] die Naturlsquobestimmt in der noch die Erde waltet sondern durch das illustrierte Blattmit der Darstellung von ausgezogenen Tanzweibern von Boxern und Renn-fahrern und sonstigen Heldenlsquo des Tages164
Und ferner notierte Heidegger 1946 in seinen Schwarzen Heften
Uumlberall zerrt es aus dem Oumlffentlichen ins Oumlffentliche mit vielen Strickenund jeder sieht das kaum versuchte Denken des Seyns am Leitband seinesStrickes165
Dabei waumlre eben ein bdquoLiterat [] ein in die Oumlffentlichkeit verliebter Mensch der
Angst vor dem Denker hatldquo166 Dieses liefe dann darauf hinaus dass beim Rund-
funk bdquoein Bestellen und Stellen waltet das in dasWesen des Menschen eingegriffen
hatldquo167
Abermals nach dem Wesen der Technik also nach dem Ge-Stell gefragt geht
Heidegger auf seine Unterscheidung vonNatur undNaturwissenschaft ein bdquo[w]elches
ist das Verhaumlltnis zwischen der Technik und der Naturldquo168 Natur wuumlrde in wis-
senschaftlicher Hinsicht unter das Berechnete fallen sie wuumlrde bdquoals das in Maszlig
und Zahl gestellte Wirkliche vorgestellt das in seinem Gewirkten staumlndig an-
westldquo169 Wenn Heidegger dann Natur aus technischer Sicht bdquoals ein System des
163 Vgl GA 79 S 38f164 GA 96 S 54165 GA 97 S 100166 GA 97 S 126167 GA 79 S 39168 GA 79 S 41169 Ebd
40
Bestellens von Erfolgen aus dem gestellten Wirksamenldquo170 charakterisiert spricht
er von seiner Rede der Verschraumlnkung von Historie und Technik ndash bdquoTechnik die
Historie der Naturldquolsquo171 Dieses ist bekanntlich das seinsvernichtende Gegenstuumlck
zur geschichtlichen Besinnung Denn geschichtliches Walten der Technik ist fuumlr
Heidegger technische Geschichte dh verwissenschaftlichte Geschichte die da-
durch ihr Wesen verloren haumltte (Seynsvergessenheit)172 So heiszligt es in den Schwar-
zen Heften von 1947
Ein Zeitalter das historisch geworden ist dh technisch planend sich selberberechnet und alles in diesen Sog zieht muszlig jede Besinnung nur als eine dervielen Formen der Intellektualitaumlt registrieren173
Heidegger schlieszligt den Vortrag mit dem Aufgriff der Anfangsbehauptung
bdquo[d]er Bestand bestellt das Abstandsloseldquo174 Somit liegt das Problem der ausblei-
benden Naumlhe durch die Technik deren Wesen das Ge-Stell waumlre das den Bestand
bestelle in der Luft Dass dabei der Mensch sogleich Teil des Bestandes und nicht
Teil der Maschine wird laumlsst ihn das historische Tier sein (2)
Der Mensch ist auswechselbar innerhalb des Bestellens von Bestand []Gleichwohl gehoumlrt der Mensch in einer voumlllig anderen Weise in das Ge-Stellals die Maschine DieseWeise kann unmenschlich werden DasUnmenschlicheist jedoch immer noch unmenschlich Der Mensch wird nie zur MaschineDas Unmenschliche und noch Menschentuumlmliche ist freilich unheimlicherweil boumlsartige und verhaumlngnisvoller denn der Mensch der nur Maschine wauml-re175
Wen Heidegger hier ersinnt ist der neuzeitliche Mensch der den bdquoGoumlttern uner-
traumlglich gewordenldquo176 waumlre
170 Ebd171 GA 95 S 351172 In Heidegger Die Technik und die Kehre S 21 stellt er Geschichte und Historie einander
gegenuumlber was er in Das Ge-Stelllsquo nicht vollzieht bdquoDie moderne Technik kam doch erst inden Gang als sie sich auf die exakte Naturwissenschaft stuumltzen konnte Historisch gerechnetbleibt dies richtig Geschichtlich gedacht trifft es nicht das Wahreldquo Signifikant fuumlr Heideg-gers Attributierung so wie sie oben schon geschildert ist steht Historie fuumlrs Rechnen undGeschichte fuumlr das Denken
173 GA 97 S 508174 GA 79 S 44175 GA 79 S 37176 GA 94 S 236
41
323 Die Gefahrlsquo
Aus Heideggers Darlegung uumlber das Ge-Stell erschlieszligen sich seine diversen Fa-
cetten der Vorstellung einer Abstandslosigkeit schaffenden Technik Dass die Ab-
standslosigkeit dem Prinzip des Gevierts des Zusammengestellten entgegensteht
bekommt im Vortrag Die Gefahrlsquo Nachdruck Die mythopoetische Erzaumlhlung
knuumlpft an den Vortrag Das Dinglsquo an mit den Mythologemene 1 Der Mythos
des geschichtlich sein muumlssens 2 der Mythos des Goumlttlichen 3 das geschichtsbe-
sinnliche Prinzip der Aletheia Zudem wird im Prozess des Vortrags das Ge-Stell
zur Gefahr stilisiert was einen eigenen Mythos erschafft
Durch das bdquouniversale Bestellen des Ge-Stellsldquo177 werde die naumlhernde Naumlhe des
Dings verwehrt Wie im Vortrag Das Dinglsquo fuumlhrt Heidegger das Wesentliche sei-
ner Theorie auf die deutsche und altgriechische Sprache zuruumlck Die so vollzoge-
ne Annaumlherung von Schwarzwaumllderischem Dialekt und Altgriechisch entspricht
Heideggers Traum von dem bdquogeschichtliche[n] Geburtsort des abendlaumlndischen
Wesensldquo178 den seine Heimat von Todtnauberg bis Freiburg stiften sollte (1)
es ist das Geistvolle und zugleich das erdenhafte schoumlne Land Es birgt un-sichtbaren Reichtum dem Gemuumlt bewahret tiefstes Dichten und houmlchsteGestalt der Sage179
Unter diesem Vorzeichen also sagt Heidegger
Das Ge-Stellwesen laumlszligt das Ding ohne die Wahr Das Wort die Wahrlsquo be-deutet in unserer Sprache dort wo sie noch urspruumlnglich spricht die HutIn unserer schwaumlbischen Mundart meint das Wort die Wahrlsquo die der muumlt-terlichen Hut anvertrauten Kinder Das Ge-Stell laumlszligt in seinem Stellen dasDing ohne die Hut ndash ohne die Wahr seines Dingwesens180
Diese in Bremen vorgetragene Heimatkunde ist auch Heideggers Sorge ge-
schuldet durch die Besatzermaumlchte und deren kulturellen Einfluss auch durch
die nun moumlgliche Oumlffnung Deutschlands zu einem Austausch mit der Welt das
eigene Wesen zu verlieren So schreibt er 1945-1947() in seine Schwarzen Hefte
177 GA 79 S 46178 GA 97 S 54179 Ebd180 GA 79 S 46
42
Das Schwerste und Fragwuumlrdigste unseres Geschickes ndash beruht darin ob wirdas Eigene finden und huumlten [] unter den anderen Voumllkernlsquo [] Scheinund Vorwand der Macht daszlig man unsere eigene Aufgabe bringen will []als Entmachtete aufgenommen zu sein in den Weltmachenschaftsbetrieb181
Es gaumlbe nach Heidegger also das Welten von Welt und die Verweigerung von
Welt aus derVerwahrlosung des Dings durch das Ge-Stell bzw die Technik182 Welt
ist nach dem Konzept des schwaumlbischen Denkers nichts weniger als das Geviert
Bei der folgenden mythopoetischen Zusammenstellung von dem Geviert mit alt-
griechischen Vokabeln um den Seins-Begriff wird das Aletheia-Prinzip eingefuumlhrt
Somit fuumlhrt uumlber den Mythos des Goumlttlichen (2) der Weg zur Wahrheit eben als
geschichtsbesinnlich erfahrene Aletheia (3)
Welt ist das Geviert von Erde und Himmel Goumlttlichen und SterblichenDas Spiegel-Spiel der Vierung wahrt alles was in ihm dingend zwischenden Vier anwest und abwest in das einende Ganze seines Anwesens Vonaltersher heiszligt das Anwesen des Anwesenden τὸ ὲόν das Seiend [sic] τὸεἶναι das Sein naumlmlich der ὲόντα des Seinenden das esse entium183
Diese Welt waumlre nun bdquoWahrnis des Wesens von Sein Statt Wahrnis sagen wir auch
Wahrheitldquo184 Die Welt mythopoetisch als Spiegel-Spiel des Gevierts und durch
eine altgriechische Brille betrachtet waumlre die wahre Welt Somit wird die Wahr-
heitsschau gebunden einen antiken Goumltterglauben und abendlaumlndische Sprachkas-
kaden vom Dialekt zum Altgriechisch
Das Problem mit der wahren Welt waumlre allerdings dass sie sich in die Ver-
borgenheit entziehe Naumlher betrachtet ist aber die Verborgenheit Bedingung des
Entbergens was Heidegger notwendig macht zu einem wuumlrdigen Lebensvollzug
in Harmonie mit dem Sein Durch solche Wesensschau waumlre der Mensch befaumlhigt
jederzeit die verstellenden Maumlchte des Ge-Stells (der Technik) zu uumlberwinden und
teilhaftig am Wesen der Welt zu werden
181 GA 97 S 99182 Vgl GA 79 S 47183 GA 79 S 48 (Die griechischen Vokabeln werden hier keiner Uumlbersetzung unterzogen Da
Heidegger ohnehin keine philologische Schaumlrfe anwenden will ist es fuumlr die Zwecke hierausreichend sie mit seiner Uumlbersetzung zu betrachten Heidegger spricht von bdquoAchten aufdas Griechischeldquo was schwieriger waumlre als klassische Philologie (vgl GA 79 S 63)
184 Ebd
43
Welt bleibt in der Verborgenheit (Αήθη) auf die Weise daszlig diese ihre Ver-borgenheit gerade eine Unverborgenheit gewaumlhrt die Αλήθεια185
Die Αλήθεια haumltte allerdings auch eine Rolle uumlber die subjektive hinaus da nur
durch ihren Vollzug Seinsgeschichte gewaumlhrt wuumlrde Das ist der Anspruch den
Heidegger an sein Auditorium stellt gemeinsam geschichtlich sein zu muumlssen (1)
Die Αλήθεια ist das Geschick des Seins als welches Geschick sich die Fuumllleder Seinsgeschichte in ihre Epochen fuumlgt186
Mit dem Ge-Stell als Wesen der modernen Technik waumlre die Aletheia aller-
dings hochgradig gefaumlhrdet Denn ohnehin waumlre die Aletheia prinzipiell der Ge-
fahr der Vergessenheit ausgesetzt Doch das Ge-Stell haumltte die Kraft die bdquovollende-
te Vergessenheit der Wahrheit des Seinsldquo187 zu vollrichten
Indem das Ge-Stell alles Anwesende in den Bestand bestellt setzt das Ge-Stell das Anwesen des Anwesenden heraus aus seiner Wesensherkunft ausder Αλήθεια188
Diese Versetzung des beteiligten Wesens aus der Moumlglichkeit des Wahrheitsprin-
zips heraus markiert Heidegger dann mit der Schreibweise Seyn (mit bdquoyldquo) Wie
bei dem Vortrag Das Dinglsquo koumlnnen ethymologische Abstammungen sein Sys-
tem anreichern Da wo es um das Wortfeld des Stellens geht Ge-Stell Bestellen
Verstellen ist auch das NachstellenMitglied der Familie
Im Althochdeutschen heiszligt nachstellen fara Das in sich gesammelte Stellenals Nachstellen ist die Gefahr Der Grundzug des Wesens der Gefahr ist dasNachstellen Insofern das Sein als das Ge-Stell sich selbst mit der Vergessen-heit seines Wesens nachstellt ist das Seyn als Seyn die Gefahr seines eigenenWesens189
Damit wuumlrde sich durch die Verringerung der Selbstreflexion im Seyns-Bestand
eine Schwachstelle auftun in die der denkbegabte und aletheiafaumlhige Mensch ei-
ne Moumlglichkeit haben das Seyn zum Sein zuruumlckzuwandeln ndash also wieder in ein
185 GA 79 S 49186 Ebd187 GA 79 S 53188 GA 79 S 52189 GA 79 S 53
44
wesentliches Verhaumlltnis zum bdquoDingldquo zu gelangen in dem das Geviert wieder die
Harmonie herstellt Allerdings faumlnde bis zu solch einer Nachstellung eine Ver-
sieglung des Seynsbestandes statt Und Heidegger beklagt dass die Erreichung der
Ruumlckeroberung des Seins uumlber die Nachstellung nicht stattfaumlnde und stattdessen
die Irre regieren wuumlrde190
In dieser Irre stuumlnde dem Menschen nicht einmal mehr zu zu sterben Denn
bdquoSterben [] heiszligt den Tod in sein Wesen austragenldquo191 Somit waumlren die Opfer
die in den KZs umkamen wie er sie in Das Dinglsquo bereits schildert nicht vermouml-
gend gewesen zu sterben bdquoSie werden Bestandstuumlcke eines Bestandes der Fabrika-
tion von Leichen [] Sie werden in Vernichtungslagern unauffaumlllig liquidiertldquo192
Das vermoumlge die Gefahr zu bewirken Der Mensch wuumlrde des eigenen Sterbens
beraubt da er keine Verbindung mehr zur Wahrheit der Welt haumltte Um den rich-
tigen Tod zu sterben muumlsse der Mensch die Aletheia schauen koumlnnen Insofern ist
Heideggers Prinzip ein religioumls anmutendes Wie in der christlichen Vorstellung
der Mensch im Jenseits an seinen Taten gemessen wird um Paradies oder Fege-
feuer zu besuchen soll nach Heidegger der Mensch waumlhrend des Sterbens mit
sich selbst ins Gericht gehen Er soll sich rein machen vom Ge-Stell der Technik
und dem Seyn um nicht die einmalge Gelegenheit des richtigen Sterbevollzugs
zu versaumlumen Es winken gemaumlszlig des Gevierts die himmlischen Goumlttlichen den
irdischen Sterblichen zu wobei annehmbar ist dass Heidegger Sterblichen die
die Aletheia erkennen einen Goumlttlichkeitsstatus beimessen moumlchte ndash eine Erlouml-
sungsphantasie
Genau diese Erloumlsung waumlre die Technik nicht
Ohne den Schritt des Denkens zu wagen der unser Menschenwesen demWesen der Technik [] aussetzt wuumlrgt man sich von Fall zu Fall von Lagezu Lage durch die Zwiespaumlltigkeiten hindurch Und genau durch dieses Ge-wuumlrge versaumlumt man die Moumlglichkeit dessen was man im Grunde erstrebtdie Technik durch menschliches Tun zu meistern und menschenwuumlrdig zulenken193
190 Vgl GA 79 S 55191 GA 79 S 55192 GA 79 S 56 Weil Heidegger im Judentum die Verantwortlichen fuumlr das Geraffe des Ge-Stells
sieht macht er sie gleichsam verantwortlich fuumlr die bdquoSelbstvernichtungldquo Die Seinsverges-senheit im Tode wird dadurch zum Spin-off der vermeintlich juumldisch erzeugten da machen-schaftlichen KZ-Maschinerie (Vgl GA 97 S 20f)
193 GA 79 S 59
45
Trost und Richtung findet Heidegger schlieszliglich abermals bei den alten Griechen
Das Wort stellenlsquo entspricht dem griechischen ϑέσις vorausgesetzt daszlig wirϑέσις griechisch denken Was heiszligt in diesem Falle griechisch denkenlsquo Esheiszligt darauf achten welche Lichtung desWesens des Seyns in welcherWeisedas Dasein der alten Griechen in den Anspruch genommen hat heiszligt imvoraus bedenken in welchem Geschick welcher Unverborgenheit des Seinsdie Griechen standenldquo194
Das sind Vorstellungen des Neuen Anfangs eine Reminiszenz der griechisch anti-
ken Welt Ein Eintrag aus den Schwarzen Heften von etwa 1945-47 () verdichtet
wie oben bereits aufgezeigt die Phantasie griechisch zu sein zu einem gelingenden
Lebensvollzug
Das reine Wesen des Griechentums dh das Seiende inmitten dessen dieGriechen als seiende fremd gewesen dieses und sie selbst und der Bezug desSeins zu ihnen ndash in der einfachen Wesung von der ἀλήθεια her zeigen underfahren Den μῦθος und λόγος ndash jedes Wort und Gebild rein aber nichterzwungen und schematisch-pedant ndash aus ἀλήθεια erfahren195
Hier zeigt sich auch dass Heidegger per se das Aletheia-Prinzip fuumlr notwendig
hielt um ins Licht der Wahrheit zu blicken Die Griechen sind ihm hier deshalb
Vorbild und rein da sie keiner modernen Technik und dem Ge-Stell ausgesetzt
waren sondern lediglich eine mythopoetische Verbindung zum Sein herstellen
mussten um wesentlich zu sein und Seinsgeschichte zu schreiben Die Dinge und
das Spiegel-Spiel des Gevierts waumlren ihnen geschickt zuhanden gewesen196 Hei-
degger macht schlieszliglich sehr deutlich dass das Griechische zu denken ein bei
weitem anderes Geschaumlft sei als philologische Praumlzision
Ein Echo zu sein naumlmlich dem Anspruch des Seins verlangt eine Sorgfaltder Sprache von der freilich der technisch-terminologische Sprachstil derWissenschaften uumlberhaupt nichts wissen kann Die Intentionalitaumlt der wis-senschaftlichen Sprache ist der staumlrkste Beweis fuumlr ihre Boden- und Heimat-losigkeit [] Das Heimische einer hohen Sprache gedeiht nur im Bereichdes unheimlichen Anspruchs der wesenhaften Stille im Wesen des Seyns197
194 GA 79 S 62f195 GA 97 S 20196 Hingegen waumlre das Judentum verantwortlich fuumlr das Ge-Stell fuumlr das Prinzip der Zerstoumlrung
wie es auf der selben Seite der Schwarzen Hefte darunter heiszligt (vgl ebd)197 GA 79 S 66 Die Bedeutung von Seyn als verstelltes Sein oder Bedingung zum Schauen
des wahren Seins ist verwirrend Einer genaueren Analyse wird aus Platzgruumlnden hier nichtnachgegangen
46
324 Die Kehrelsquo
Der letzte Vortrag ist mit nur neun Seiten der Kuumlrzeste des Vortragsgevierts
Nach dem Verlust des Dinges als Ding und der damit einsetzenden Abstandslosig-
keit als Wesen des Ge-Stells wobei die Gefahr zudem der Vergessenheit des Seyns
nachstellt bietet Heidegger eine Perspektive an
Im Wesen der Gefahr verbirgt sich [] die Moumlglichkeit einer Kehre in derdie Vergessenheit des Wesens des Seins sich so wendet daszlig mit dieser Kehredie Wahrheit des Wesens des Seyns in das Seiende eigens einkehrt198
Diese Moumlglichkeit bedeute nicht dass der Mensch sich der Gefahr selbst stellen
koumlnnte sie waumlre passiv ndash bdquoverbirgt sichldquo Die Kehre werde sich ereignen aumlhnlich
einer Erwartung an den Messias
Die Anwesenheit der Gefahr wuumlrde automatisch die Rettung bergen Denn
Houmllderlin haumltte geschrieben bdquoWo aber Gefahr ist waumlchst [d]as Rettende auchlsquoldquo199
Etwa 1945 notiert Heidegger in seine Schwarzen Hefte bdquoDie Wahrheit erfahren
wir im Gedaumlchtnis Das Gedaumlchtnis ist die Dichtungldquo200 (so) Von dieser War-
te aus ausgestattet mit Erinnerungen an das abendlaumlndische Dichten mit dem
Wissen um das Aletheia-Prinzip und passiv als denkender Huumlter des Seyns solle
der Mensch das Ereignis erwarten das ihn bdquoloumlsen freimachen freyen schonen
bergen in die Hut nehmen wahrenldquo201 wuumlrde (siehe S 43)
Dieses Ereignis waumlre der Blitz Ein unvermittelter jaumlher ploumltzlicher Moment
von kurzer Dauer der bloszlig einen ebenso kurzen Blick auf das wahre Wesen er-
lauben wuumlrde Abschlieszligend ist dies das Rezept gegen die Bestands bestellende
Technik in mythopoetischer Formulierung
So entsprechend ist der Mensch geeignet daszlig er im gewahrten Element vonWelt als der Sterbliche dem Goumlttlichen entgegenblickt Anders nicht dennauch der Gott ist wenn er ist ein Seiender steht als Seiender im Seyn unddessen Wesen das sich aus dem Welten von Welt ereignet202
198 GA 79 S 71199 GA 79 S 72200 GA 97 S 52f201 GA 79 S 72202 GA 79 S 76
47
Wenn Heidegger im Anschluss von der bdquohistorisch-technischen Darstellungldquo re-
det so ist dies die Abwehr der Wissenschaften (auch der Philosophie203) und ein
Appell an die Antirationalitaumlt des Mythos bdquokein historisches Vorstellen der Ge-
schichte als Geschehen bringt in den schicklichen Bezug zum Geschickldquo204
Damit das Blitzen erfahren werde als kurze Wesensschau der Aletheia muumlsse
dem wahren abendlaumlndischen und heimatlichen Ereignis stattgegeben werden Es
sollte nicht wie er 1939 schon in den Schwarzen Heften beschreibt das
kuumlnstliche Licht von Historie und Technik in der weder Mensch noch dieGoumltter weder eineWelt noch die Erde sichtbar werden koumlnnen wo aber dasLebenlsquo von allen den immer noch zu wenigen Meistenlsquo erlebtlsquo wird205
Damit schlieszligt der letzte Vortrag mit einer Erwartung an das Ereignis des Blit-
zens nicht das Erleben der Besinnungslosigkeit (vgl Das Ge-Stelllsquo) Schon 1947
traumlumt Heidegger von solcher Umkehr
Aus der Kehre der Seynsvergessenheit aber ereignet sich das Unumgaumlnglicheden Acker der Welt erst zu pfluumlgen und saatbereit der Sonne und dem Regenund den Voumlgeln des Himmels uumlberlassen206
203 Denn ldquo[e]igentlich denken heiszligt [] die Philosophie verlassen [] beim Sagen des Seinslsquoldquo(GA 97 S 60)
204 Ebd205 GA 95 S 427 Gegen das Erlebnis und Erleben straumlubt sich Heidegger besonders So notiert
er etwa 1939 bdquoZeitalter der Techniklsquo macht gerade die Techniklsquo nicht zum Ziel sondernimmer mehr zum Mittel der besinnungslosen Berechnung [] der Mensch [] das Erleb-nislsquo [] Erleben als der Gefuumlhlsgenuszligldquo (GA 95 S 149) Wie auch bdquoWo beide Historie undTechnik in solcher scheinbaren Gegensaumltzlichkeit verkoppelt sind koumlnnen sie sich zur Foumlr-derung dessen zusammenschlieszligen was einstmals wesentlich die Geschichte des Menschenmitbegruumlndete und was wir die Kunstlsquo nennen Die Historie verschafft [] Anregungenund Vorbilder der Nachahmung die Technik erleichtert [] die Zustellung von Darstel-lungsmitteln und Wirkungsformen [] Gleichwohl ist alles wurzellos [] berechnet und alsErlebnislsquo ausgegebenldquo (GA 95 S 212)
206 GA 97 S 511
48
4 Konklusion
Der umstrittene Philosoph Martin Heidegger hat uumlber die 1930erndash40er Jahre
hinweg eine ausgepraumlgte voumllkisch-nationale und bisweilen radikal-antisemitische
Denkweise entwickelt Dieses Denken fasste er auch auf als Besinnung und stellt
es der Philosophie und Wissenschaft diametral entgegen In Kapitel 2 wird aufge-
zeigt dass sowohl Heideggers Mythologie bereits kritisiert wurde (Adorno Cassi-
rer Meyer) als auch seine Mythopoetik bewundert (Schulz-Nieswandt) Kapitel
3 will daruumlber hinaus aufzeigen wie Heidegger eine eigene Mythologie mytho-
poetisch fruchtbar macht was sich von beiden vorigen Ansaumltzen unterscheidet
und erst mit der Veroumlffentlichung der Schwarzen Hefte ab 2014 nachvollziehbar
wurde
Umso mehr bietet die mythopoetische Verbindung von bdquoDichten und Den-
kenldquo (so) einen antitechnischen Gegenpol Denn Heidegger fasst wie oben ge-
schildert alles Rationale auf als berechnende Bestellung des Bestands im Sinne
der Technik Daruumlber hinaus fordert er mit dem Aletheia-Prinzip (als metapho-
risch gefasstes Ereignis des Blitzens) einen Mitvollzug seiner mythopoetischen
Kontemplation in dem religioumlse voumllkische antike und sprachliche Motive zu-
sammenfallen
Obwohl schon von Heidegger selbst nicht mehr als Philosophie betrachtet
hat seine Rede vom Ding dem Ge-Stell dem Wesen der Technik und der Kehre
noch immer einen bedeutenden Einfluss auf die Technikphilosophie So betont
Alfred Nordmann in bdquoWerkwissen oder How to express things in worksldquo (2008)
dass Heidegger mit Das Dinglsquo eine Art Dingwissen geschaffen haumltte In seinem
2012 erschienenen Aufsatz Another parting of the ways Intersubjectivity and the
objectivity of sciencersquo207 geht Nordmann ein weiteres Mal auf Heideggers Ding
ein Dieses waumlre eine Abarbeitung an dem Ding Kants womit auch Nordmann
Heidegger als einen Interpreten Kants versteht208 Anschlieszligend anMichael Fried-
207 Nordmann Alfred Another parting of the ways Intersubjectivity and the objectivity ofscience In Studies in History and Philosophy of Science 43 (2012) 38ndash46
208 Die Auseinandersetzung mit dem Ding wuumlrde nach Nordmann in Heideggers GA mit demText Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalen Grundsaumltzenlsquoeinsetzen (GA 41 Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalenGrundsaumltzen)
49
man spricht sich Nordmann ebenso dafuumlr aus dass Heidegger neben Rudolf Car-
nap und Ernst Cassirer eine neokantianische Philosophie verfolgt haumltte (siehe
Kap 1)209
Nach Nordmann haumltte Heidegger in seinen anschlieszligenden Gedanken uumlber
das Ding als Fortfuumlhrung Kants als erster Wissenschaft als angewandte Techno-
logie verstanden210 Diese Interpretation stuumltzt sich auf die gleichen Symbole
Metaphern und Mythen die die vorliegende Arbeit analysiert Das Ge-Stell ist
insofern aumlquivok mit dem Begriff techno-science Jedoch sind in dieser Fruchtbar-
machung von Heideggers Denken der Technik dessen nationalistischen rassisti-
schen und antisemitischen Implikationen die die vorliegende Arbeit als Zentrum
dessen Philosophie ermitteln konnte noch nicht beachtet worden koumlnnen211
Andreas Luckner webt Heideggers Ding-Entwurf weiter als verantwortliches
Sorgen um die Dinge212 Er geht dabei mit Heidegger voumlllig konform und tritt
eher als eine Art Bote der Ding-Botschaft auf als diese moumlglicherweise zu kriti-
sieren was sich diesen Artikel wie ein Kapitel aus einem Studienbuch lesen laumlsst
Der Darmstaumldter Technikphilosoph Christoph Hubig ist vor allem Kritiker Hei-
deggers Argumentationen laumlsst aber zuweilen diverse Topoi aus dem Werk des
Technik-Denkers durchscheinen ohne sie weiter zu reflektieren
So konstatiert Hubig Heidegger verfehle in dessen Auseinandersetzung mit
Aristoteles Lehre von der Poiesis zum Punkt der Sicherung wie sie in Die Frage
nach der Techniklsquo behandelt wird bdquodie operative Seite des Technischenldquo bei Aris-
totels213 In einem spaumlteren Aufsatz allerdings stuumltzt er sich ohne weitere Erlaumlute-
rungen auf Heideggers Begriff der Sicherung aus Die Frage nach der Techniklsquo214
209 Diese Befriedung paradigmatischer Umstaumlnde wird hier nicht geteilt Eine weitere Bearbeitunglaumlsst der Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht zu
210 Vgl Nordmann Another parting of the ways S 45211 Der Aussage dass Heideggers Ding-Begriff kantianisch waumlre muumlsste einer gezielten Untersu-
chung unterzogen werden genau wie die Behauptung insgesamt dass Heidegger oder inwie-weit dieser noch der suumlddeutschen Kantschule des 1920 Jahrhunderts angehoumlrte
212 Vgl Luckner Andreas Ding und Bestand Heidegger und das Wesen neuzeitlicher TechnikIn Gamm G Gehring P Hubig C Kaminski A und Nordmann A Ding und SystemS 15-30 hier S 29
213 Hubig Christoph Die Kunst des Moumlglichen Technikphilosophie als Reflexion der MedialitaumltBielefeld 2006 S 103
214 Vgl Hubig Christoph Technik als Medium In Grundwald Armin (Hg) Handbuch Tech-nikethik Stuttgart 2013 S 118-123 hier S 118
50
Dabei versteht Hubig Heideggers Betrachtungen zum Umgang mit der Technik
als gelassen
Fuumlr Heidegger liegt die Andersheit im Entbergen einer Wahrheit des Seinseines Geschicks von dem die Entwicklung der Technik hin zum Gestellkuumlnde Er verbindet dies mit dem Appell jenseits des rechnenden und si-chernden Vorstellens technischer Vollzuumlge als handlungsleitender Program-me sich gelassenlsquo dieser Entwicklung zu uumlberantworten und ein Seinlsquo zuhuumlten das sich als solches eben entbirgt Das Rettendelsquo dieser Einsicht lie-ge darin dass unsere individuelle Endlichkeit insofern transzendiert wirdals sie sich dem sie uumlbersteigenden Prozess aufschlieszligt und sich selbst relati-viert215
Wovon in diesem Zitat nicht die Rede ist ist der Mitvollzug der mythopoe-
tischen Rahmenbedinungen die Heidegger einfordert und an dem die Konzep-
te Abendland und voumllkische Tradition haumlngen In dieser Arbeit wird davon aus-
gegangen dass Heideggers Technikphilosophie-erzaumlhlung sich nicht von seinen
Absichten der Bekaumlmpfung des Technischen loumlsen laumlsst Die Relativierung ist in-
sofern nicht an den Prozess gebunden und damit emergent auf alles hin ausge-
richtet was kommen mag sondern houmlchst konvergent in einer Besinnung auf
Mythen von dem Ding und dem Geviert mit all deren Valenzen aus dem vorlie-
genden Heideggerschen Textkorpus Die individuelle Endlichkeit ist genoumltigt die
Heimat und das Abendland zu kennen und im Aletheia-Prinzip umzusetzen
Die Neubewertung der bislang bekannten Heideggerschen Technikphiloso-
phie von vor den SchwarzenHeften ist ein dringendes Desiderat Voumllkisch-nationale
Gruppierungen erstarken momentan in ganz Europa und es koumlnnte sehr hilfreich
sein aumlhnliche Denkstrukturen aufzudecken so wie sie zwischen den 1930er und
40er Jahren entwickelt wurden Zusaumltzlich muss das Werk Heideggers einer kriti-
schen Revision schon aufgrund der niemals von ihm behandelten Antisemitismen
unterzogen werden Heidegger hat nie zu diesen Stellung bezogen
Daruumlber hinaus ist das Thema Mythos und Philosophie ein weiterhin not-
wendiger Bereich der philosophischen Forschung In einem Bereich auszligerhalb
der exakten Wissenschaften und ohne klare theologische Tradition ist die Philo-
215 Hubig Die Kunst des Moumlglichen S 140
51
sophie beides sowohl Aufklaumlrer und antimythisch als auch Quelle fuumlr mythisches
Denken und affektierende Motive
52
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Die_Heidegger-Kontroverse ndash zuletzt abgerufen am 24042016)
56
Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
Der Unterzeichner versichert dass er die vorliegende Bachelorarbeit selbststaumlndig
verfasst und keine anderen als die von ihm angegebenen Hilfsmittel benutzt hat
Die Stellen der Arbeit die anderen Werken dem Wortlaut oder dem Sinne nach
entnommen sind wurden in jedem Fall unter Angabe der Quellen (einschlieszliglich
des World Wide Web und anderer elektronischer Text- und Datensammlungen)
kenntlich gemacht Dies gilt auch fuumlr beigegebene Zeichnungen bildliche Dar-
stellungen Skizzen und dergleichen
Darmstadt 25 April 2016
__________________________
(Eigenhaumlndige Unterschrift)
- Abkuumlrzungsverzeichnis
- Danksagung
- Einleitung
- Heideggers mythopoetisches Programm
-
- Zu den Begriffen Mythos Mythologie und Mythopoetik
-
- Ein Beispiel fuumlr ein Mythologem
-
- Heideggers Mythen
-
- Formen der Mythologie
-
- Heideggers mythopoetische Technik
-
- Zur Publikationsgeschichte von den Bremer Vortraumlgen 1949
- Die mythopoetische Spiegelung der Schwarzen Hefte
-
- Das Dinglsquo
- Das Ge-Stelllsquo
- Die Gefahrlsquo
- Die Kehrelsquo
-
- Konklusion
- Literaturverzeichnis
- Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
-
38
Was Heidegger unter dieser Gleichfoumlrmigkeit versteht schreibt er in den Schwar-
zen Heften zumeist den Amerikanern zu Er nennt es auch haumlufig Planetarismus
Der Amerikanismus [ist DS] die Zusammenraffung von Allem welcheZusammenraffung immer zugleich die Entwurzelung des Gerafften bedeu-tet160
Der Planetarismus ist die historisch gedachte Bestimmung der uumlberall glei-chen die ganze Erde uumlberdeckenden Seinsverlassenheit des Seienden161
Die Gegenuumlberstellung von natuumlrlicher und traditioneller Handwerkstechnik
gegen maschinenhafte Gleichfoumlrmigkeit exemplifiziert Heidegger dann im Vor-
trag Das Ge-Stelllsquo vielfach wie zum Beispiel hier
Der Forstwart zB der im Wald das geschlagene Holz vermiszligt und demAnschein nach noch wie sein Groszligvater in der gleichen Weise die selbenWege geht ist heute von der Holzverwertungsindustrie gestellt Er ist ober es weiszlig oder nicht in seiner Weise Bestand-Stuumlck des Zellulosebestandesund dessen Bestellbarkeit fuumlr das Papier das den Zeitungen und illustrier-ten Magazinen zugestellt wird die uumlber die Oumlffentlichkeit daraufhin stellenverschlungen werden162
160 GA 96 S 257161 GA 96 S 261162 GA 79 S 37f
Die renommierte Theaterautorin Elfriede Jelinek karikiert in ihrem Stuumlck Totenaubergvon 1991 Heideggers Konstrukt von Heimat und Fortschrittsfeindlichkeit verbunden miteiner Auseinandersetzung mit dessen Liebschaft zu Hannah Arend Mit philologischer Prauml-zision polemisiert sie Teile aus Heideggers Elegie uumlber die Technik und laumlszligt ihn dabei alsbeschraumlnktes und eingezwaumlngtes Wesen in einem Gestell gefangen sein Aus diesem heraussoll er Arend Rede und Antwort stehen uumlber sein Verhaumlltnis zum Nationalsozialismus unddie Shoa Doch dieser redet nur naturtrunken von Heimat und berauscht sich daran Derprophetische Denker wird banalisert ndash diese Worte legt Jelinek ihm (im Stuumlck der alte Mann)in den MundbdquoDie Angst vor dem Fragen liegt uumlber dem Abendland Sie bannt die Kandidaten auf ein
Team-Leibchen verbannt sie auf altgewordene Wege und jagt sie zuruumlck ins morsch geworde-ne Gehaumluse ihrer Tore wo es um ihre Ausscheidungen geht Es wird ihnen alles weggenom-men werden auch der Weg selbst Keine Spur kein Lichtschein aus den Ritzen Aber ruf ichin die Huumltte um nach einem zu fragen den ich gekannt hab sehe ich grad noch eine Tuumlrsich schlieszligen Der Wald kommt nicht zur rechten Geltung alles ist entflohen was mir liebwar und woran ich geglaubt hab Was kommt ist noch nicht da Nichts war Ich habe nichtsgehoumlrt Ich erinnere mich nicht aber ich stelle dem Kommenden das mich den lupenreinenAmateur schon vor Beginn des Rennens erlahmen laumlszligt vorsorglich die Hausschuhe vor dieTuumlr Sie sind das Einzige was die Profis des Profits von mir dann vorfinden werden wennsie anklopfen Die Haumlrte des Urgesteins sollte sie nicht entmutigen Die Jahreszeiten machendie Landschaft auf und zu Ich sage nur In dieser scheinbaren Leere will ich vom Denkenmuumld nur schlafen Von der Huumltte aus lassen sich Wanderungen unternehmen Aber auchsonst wird Ihnen alles wie ich sagte genommen werden Auch Ihre Fotos und Namen Unddas Gewesene wird wesenlosldquo ( Jelinek Elfriede Totenauberg Hamburg 1991 S 86f)
39
Die Oumlffentlichkeit ist fuumlr Heidegger ein Topos der dem Denken und Besinnen
entgegenstuumlnde Somit meint er damit zum Einen die Medien wie er es anhand
der Rede von den Bestandstuumlcken in Das Ge-Stelllsquo erklaumlrt wo der Mensch als
Urheber des Ge-Stells als Wesen der Technik nicht gelten soll Vielmehr wuumlrde er
in Ratlosigkeit und Langeweile verfallen weil er in der Bestellung des Bestandes in
Form von Bestandstuumlcken vom Rundfunk keine Besinnung mehr faumlnde dh das
Ganze also wiederum daswesentliche Ding nicht mehr zu fassen vermoumlge163 Und
so toumlnt es bereits aus den Schwarzen Heften von 19391940()
Die Bildlsquo und Tonlsquo ndash Reportagenlsquo der Machenschaft ist der planetari-sche Mythuslsquo des Vollendungsabschnittes der Neuzeit Die Welt des abge-legensten deutschen Bauernhofes wird nicht mehr durch [] die Naturlsquobestimmt in der noch die Erde waltet sondern durch das illustrierte Blattmit der Darstellung von ausgezogenen Tanzweibern von Boxern und Renn-fahrern und sonstigen Heldenlsquo des Tages164
Und ferner notierte Heidegger 1946 in seinen Schwarzen Heften
Uumlberall zerrt es aus dem Oumlffentlichen ins Oumlffentliche mit vielen Strickenund jeder sieht das kaum versuchte Denken des Seyns am Leitband seinesStrickes165
Dabei waumlre eben ein bdquoLiterat [] ein in die Oumlffentlichkeit verliebter Mensch der
Angst vor dem Denker hatldquo166 Dieses liefe dann darauf hinaus dass beim Rund-
funk bdquoein Bestellen und Stellen waltet das in dasWesen des Menschen eingegriffen
hatldquo167
Abermals nach dem Wesen der Technik also nach dem Ge-Stell gefragt geht
Heidegger auf seine Unterscheidung vonNatur undNaturwissenschaft ein bdquo[w]elches
ist das Verhaumlltnis zwischen der Technik und der Naturldquo168 Natur wuumlrde in wis-
senschaftlicher Hinsicht unter das Berechnete fallen sie wuumlrde bdquoals das in Maszlig
und Zahl gestellte Wirkliche vorgestellt das in seinem Gewirkten staumlndig an-
westldquo169 Wenn Heidegger dann Natur aus technischer Sicht bdquoals ein System des
163 Vgl GA 79 S 38f164 GA 96 S 54165 GA 97 S 100166 GA 97 S 126167 GA 79 S 39168 GA 79 S 41169 Ebd
40
Bestellens von Erfolgen aus dem gestellten Wirksamenldquo170 charakterisiert spricht
er von seiner Rede der Verschraumlnkung von Historie und Technik ndash bdquoTechnik die
Historie der Naturldquolsquo171 Dieses ist bekanntlich das seinsvernichtende Gegenstuumlck
zur geschichtlichen Besinnung Denn geschichtliches Walten der Technik ist fuumlr
Heidegger technische Geschichte dh verwissenschaftlichte Geschichte die da-
durch ihr Wesen verloren haumltte (Seynsvergessenheit)172 So heiszligt es in den Schwar-
zen Heften von 1947
Ein Zeitalter das historisch geworden ist dh technisch planend sich selberberechnet und alles in diesen Sog zieht muszlig jede Besinnung nur als eine dervielen Formen der Intellektualitaumlt registrieren173
Heidegger schlieszligt den Vortrag mit dem Aufgriff der Anfangsbehauptung
bdquo[d]er Bestand bestellt das Abstandsloseldquo174 Somit liegt das Problem der ausblei-
benden Naumlhe durch die Technik deren Wesen das Ge-Stell waumlre das den Bestand
bestelle in der Luft Dass dabei der Mensch sogleich Teil des Bestandes und nicht
Teil der Maschine wird laumlsst ihn das historische Tier sein (2)
Der Mensch ist auswechselbar innerhalb des Bestellens von Bestand []Gleichwohl gehoumlrt der Mensch in einer voumlllig anderen Weise in das Ge-Stellals die Maschine DieseWeise kann unmenschlich werden DasUnmenschlicheist jedoch immer noch unmenschlich Der Mensch wird nie zur MaschineDas Unmenschliche und noch Menschentuumlmliche ist freilich unheimlicherweil boumlsartige und verhaumlngnisvoller denn der Mensch der nur Maschine wauml-re175
Wen Heidegger hier ersinnt ist der neuzeitliche Mensch der den bdquoGoumlttern uner-
traumlglich gewordenldquo176 waumlre
170 Ebd171 GA 95 S 351172 In Heidegger Die Technik und die Kehre S 21 stellt er Geschichte und Historie einander
gegenuumlber was er in Das Ge-Stelllsquo nicht vollzieht bdquoDie moderne Technik kam doch erst inden Gang als sie sich auf die exakte Naturwissenschaft stuumltzen konnte Historisch gerechnetbleibt dies richtig Geschichtlich gedacht trifft es nicht das Wahreldquo Signifikant fuumlr Heideg-gers Attributierung so wie sie oben schon geschildert ist steht Historie fuumlrs Rechnen undGeschichte fuumlr das Denken
173 GA 97 S 508174 GA 79 S 44175 GA 79 S 37176 GA 94 S 236
41
323 Die Gefahrlsquo
Aus Heideggers Darlegung uumlber das Ge-Stell erschlieszligen sich seine diversen Fa-
cetten der Vorstellung einer Abstandslosigkeit schaffenden Technik Dass die Ab-
standslosigkeit dem Prinzip des Gevierts des Zusammengestellten entgegensteht
bekommt im Vortrag Die Gefahrlsquo Nachdruck Die mythopoetische Erzaumlhlung
knuumlpft an den Vortrag Das Dinglsquo an mit den Mythologemene 1 Der Mythos
des geschichtlich sein muumlssens 2 der Mythos des Goumlttlichen 3 das geschichtsbe-
sinnliche Prinzip der Aletheia Zudem wird im Prozess des Vortrags das Ge-Stell
zur Gefahr stilisiert was einen eigenen Mythos erschafft
Durch das bdquouniversale Bestellen des Ge-Stellsldquo177 werde die naumlhernde Naumlhe des
Dings verwehrt Wie im Vortrag Das Dinglsquo fuumlhrt Heidegger das Wesentliche sei-
ner Theorie auf die deutsche und altgriechische Sprache zuruumlck Die so vollzoge-
ne Annaumlherung von Schwarzwaumllderischem Dialekt und Altgriechisch entspricht
Heideggers Traum von dem bdquogeschichtliche[n] Geburtsort des abendlaumlndischen
Wesensldquo178 den seine Heimat von Todtnauberg bis Freiburg stiften sollte (1)
es ist das Geistvolle und zugleich das erdenhafte schoumlne Land Es birgt un-sichtbaren Reichtum dem Gemuumlt bewahret tiefstes Dichten und houmlchsteGestalt der Sage179
Unter diesem Vorzeichen also sagt Heidegger
Das Ge-Stellwesen laumlszligt das Ding ohne die Wahr Das Wort die Wahrlsquo be-deutet in unserer Sprache dort wo sie noch urspruumlnglich spricht die HutIn unserer schwaumlbischen Mundart meint das Wort die Wahrlsquo die der muumlt-terlichen Hut anvertrauten Kinder Das Ge-Stell laumlszligt in seinem Stellen dasDing ohne die Hut ndash ohne die Wahr seines Dingwesens180
Diese in Bremen vorgetragene Heimatkunde ist auch Heideggers Sorge ge-
schuldet durch die Besatzermaumlchte und deren kulturellen Einfluss auch durch
die nun moumlgliche Oumlffnung Deutschlands zu einem Austausch mit der Welt das
eigene Wesen zu verlieren So schreibt er 1945-1947() in seine Schwarzen Hefte
177 GA 79 S 46178 GA 97 S 54179 Ebd180 GA 79 S 46
42
Das Schwerste und Fragwuumlrdigste unseres Geschickes ndash beruht darin ob wirdas Eigene finden und huumlten [] unter den anderen Voumllkernlsquo [] Scheinund Vorwand der Macht daszlig man unsere eigene Aufgabe bringen will []als Entmachtete aufgenommen zu sein in den Weltmachenschaftsbetrieb181
Es gaumlbe nach Heidegger also das Welten von Welt und die Verweigerung von
Welt aus derVerwahrlosung des Dings durch das Ge-Stell bzw die Technik182 Welt
ist nach dem Konzept des schwaumlbischen Denkers nichts weniger als das Geviert
Bei der folgenden mythopoetischen Zusammenstellung von dem Geviert mit alt-
griechischen Vokabeln um den Seins-Begriff wird das Aletheia-Prinzip eingefuumlhrt
Somit fuumlhrt uumlber den Mythos des Goumlttlichen (2) der Weg zur Wahrheit eben als
geschichtsbesinnlich erfahrene Aletheia (3)
Welt ist das Geviert von Erde und Himmel Goumlttlichen und SterblichenDas Spiegel-Spiel der Vierung wahrt alles was in ihm dingend zwischenden Vier anwest und abwest in das einende Ganze seines Anwesens Vonaltersher heiszligt das Anwesen des Anwesenden τὸ ὲόν das Seiend [sic] τὸεἶναι das Sein naumlmlich der ὲόντα des Seinenden das esse entium183
Diese Welt waumlre nun bdquoWahrnis des Wesens von Sein Statt Wahrnis sagen wir auch
Wahrheitldquo184 Die Welt mythopoetisch als Spiegel-Spiel des Gevierts und durch
eine altgriechische Brille betrachtet waumlre die wahre Welt Somit wird die Wahr-
heitsschau gebunden einen antiken Goumltterglauben und abendlaumlndische Sprachkas-
kaden vom Dialekt zum Altgriechisch
Das Problem mit der wahren Welt waumlre allerdings dass sie sich in die Ver-
borgenheit entziehe Naumlher betrachtet ist aber die Verborgenheit Bedingung des
Entbergens was Heidegger notwendig macht zu einem wuumlrdigen Lebensvollzug
in Harmonie mit dem Sein Durch solche Wesensschau waumlre der Mensch befaumlhigt
jederzeit die verstellenden Maumlchte des Ge-Stells (der Technik) zu uumlberwinden und
teilhaftig am Wesen der Welt zu werden
181 GA 97 S 99182 Vgl GA 79 S 47183 GA 79 S 48 (Die griechischen Vokabeln werden hier keiner Uumlbersetzung unterzogen Da
Heidegger ohnehin keine philologische Schaumlrfe anwenden will ist es fuumlr die Zwecke hierausreichend sie mit seiner Uumlbersetzung zu betrachten Heidegger spricht von bdquoAchten aufdas Griechischeldquo was schwieriger waumlre als klassische Philologie (vgl GA 79 S 63)
184 Ebd
43
Welt bleibt in der Verborgenheit (Αήθη) auf die Weise daszlig diese ihre Ver-borgenheit gerade eine Unverborgenheit gewaumlhrt die Αλήθεια185
Die Αλήθεια haumltte allerdings auch eine Rolle uumlber die subjektive hinaus da nur
durch ihren Vollzug Seinsgeschichte gewaumlhrt wuumlrde Das ist der Anspruch den
Heidegger an sein Auditorium stellt gemeinsam geschichtlich sein zu muumlssen (1)
Die Αλήθεια ist das Geschick des Seins als welches Geschick sich die Fuumllleder Seinsgeschichte in ihre Epochen fuumlgt186
Mit dem Ge-Stell als Wesen der modernen Technik waumlre die Aletheia aller-
dings hochgradig gefaumlhrdet Denn ohnehin waumlre die Aletheia prinzipiell der Ge-
fahr der Vergessenheit ausgesetzt Doch das Ge-Stell haumltte die Kraft die bdquovollende-
te Vergessenheit der Wahrheit des Seinsldquo187 zu vollrichten
Indem das Ge-Stell alles Anwesende in den Bestand bestellt setzt das Ge-Stell das Anwesen des Anwesenden heraus aus seiner Wesensherkunft ausder Αλήθεια188
Diese Versetzung des beteiligten Wesens aus der Moumlglichkeit des Wahrheitsprin-
zips heraus markiert Heidegger dann mit der Schreibweise Seyn (mit bdquoyldquo) Wie
bei dem Vortrag Das Dinglsquo koumlnnen ethymologische Abstammungen sein Sys-
tem anreichern Da wo es um das Wortfeld des Stellens geht Ge-Stell Bestellen
Verstellen ist auch das NachstellenMitglied der Familie
Im Althochdeutschen heiszligt nachstellen fara Das in sich gesammelte Stellenals Nachstellen ist die Gefahr Der Grundzug des Wesens der Gefahr ist dasNachstellen Insofern das Sein als das Ge-Stell sich selbst mit der Vergessen-heit seines Wesens nachstellt ist das Seyn als Seyn die Gefahr seines eigenenWesens189
Damit wuumlrde sich durch die Verringerung der Selbstreflexion im Seyns-Bestand
eine Schwachstelle auftun in die der denkbegabte und aletheiafaumlhige Mensch ei-
ne Moumlglichkeit haben das Seyn zum Sein zuruumlckzuwandeln ndash also wieder in ein
185 GA 79 S 49186 Ebd187 GA 79 S 53188 GA 79 S 52189 GA 79 S 53
44
wesentliches Verhaumlltnis zum bdquoDingldquo zu gelangen in dem das Geviert wieder die
Harmonie herstellt Allerdings faumlnde bis zu solch einer Nachstellung eine Ver-
sieglung des Seynsbestandes statt Und Heidegger beklagt dass die Erreichung der
Ruumlckeroberung des Seins uumlber die Nachstellung nicht stattfaumlnde und stattdessen
die Irre regieren wuumlrde190
In dieser Irre stuumlnde dem Menschen nicht einmal mehr zu zu sterben Denn
bdquoSterben [] heiszligt den Tod in sein Wesen austragenldquo191 Somit waumlren die Opfer
die in den KZs umkamen wie er sie in Das Dinglsquo bereits schildert nicht vermouml-
gend gewesen zu sterben bdquoSie werden Bestandstuumlcke eines Bestandes der Fabrika-
tion von Leichen [] Sie werden in Vernichtungslagern unauffaumlllig liquidiertldquo192
Das vermoumlge die Gefahr zu bewirken Der Mensch wuumlrde des eigenen Sterbens
beraubt da er keine Verbindung mehr zur Wahrheit der Welt haumltte Um den rich-
tigen Tod zu sterben muumlsse der Mensch die Aletheia schauen koumlnnen Insofern ist
Heideggers Prinzip ein religioumls anmutendes Wie in der christlichen Vorstellung
der Mensch im Jenseits an seinen Taten gemessen wird um Paradies oder Fege-
feuer zu besuchen soll nach Heidegger der Mensch waumlhrend des Sterbens mit
sich selbst ins Gericht gehen Er soll sich rein machen vom Ge-Stell der Technik
und dem Seyn um nicht die einmalge Gelegenheit des richtigen Sterbevollzugs
zu versaumlumen Es winken gemaumlszlig des Gevierts die himmlischen Goumlttlichen den
irdischen Sterblichen zu wobei annehmbar ist dass Heidegger Sterblichen die
die Aletheia erkennen einen Goumlttlichkeitsstatus beimessen moumlchte ndash eine Erlouml-
sungsphantasie
Genau diese Erloumlsung waumlre die Technik nicht
Ohne den Schritt des Denkens zu wagen der unser Menschenwesen demWesen der Technik [] aussetzt wuumlrgt man sich von Fall zu Fall von Lagezu Lage durch die Zwiespaumlltigkeiten hindurch Und genau durch dieses Ge-wuumlrge versaumlumt man die Moumlglichkeit dessen was man im Grunde erstrebtdie Technik durch menschliches Tun zu meistern und menschenwuumlrdig zulenken193
190 Vgl GA 79 S 55191 GA 79 S 55192 GA 79 S 56 Weil Heidegger im Judentum die Verantwortlichen fuumlr das Geraffe des Ge-Stells
sieht macht er sie gleichsam verantwortlich fuumlr die bdquoSelbstvernichtungldquo Die Seinsverges-senheit im Tode wird dadurch zum Spin-off der vermeintlich juumldisch erzeugten da machen-schaftlichen KZ-Maschinerie (Vgl GA 97 S 20f)
193 GA 79 S 59
45
Trost und Richtung findet Heidegger schlieszliglich abermals bei den alten Griechen
Das Wort stellenlsquo entspricht dem griechischen ϑέσις vorausgesetzt daszlig wirϑέσις griechisch denken Was heiszligt in diesem Falle griechisch denkenlsquo Esheiszligt darauf achten welche Lichtung desWesens des Seyns in welcherWeisedas Dasein der alten Griechen in den Anspruch genommen hat heiszligt imvoraus bedenken in welchem Geschick welcher Unverborgenheit des Seinsdie Griechen standenldquo194
Das sind Vorstellungen des Neuen Anfangs eine Reminiszenz der griechisch anti-
ken Welt Ein Eintrag aus den Schwarzen Heften von etwa 1945-47 () verdichtet
wie oben bereits aufgezeigt die Phantasie griechisch zu sein zu einem gelingenden
Lebensvollzug
Das reine Wesen des Griechentums dh das Seiende inmitten dessen dieGriechen als seiende fremd gewesen dieses und sie selbst und der Bezug desSeins zu ihnen ndash in der einfachen Wesung von der ἀλήθεια her zeigen underfahren Den μῦθος und λόγος ndash jedes Wort und Gebild rein aber nichterzwungen und schematisch-pedant ndash aus ἀλήθεια erfahren195
Hier zeigt sich auch dass Heidegger per se das Aletheia-Prinzip fuumlr notwendig
hielt um ins Licht der Wahrheit zu blicken Die Griechen sind ihm hier deshalb
Vorbild und rein da sie keiner modernen Technik und dem Ge-Stell ausgesetzt
waren sondern lediglich eine mythopoetische Verbindung zum Sein herstellen
mussten um wesentlich zu sein und Seinsgeschichte zu schreiben Die Dinge und
das Spiegel-Spiel des Gevierts waumlren ihnen geschickt zuhanden gewesen196 Hei-
degger macht schlieszliglich sehr deutlich dass das Griechische zu denken ein bei
weitem anderes Geschaumlft sei als philologische Praumlzision
Ein Echo zu sein naumlmlich dem Anspruch des Seins verlangt eine Sorgfaltder Sprache von der freilich der technisch-terminologische Sprachstil derWissenschaften uumlberhaupt nichts wissen kann Die Intentionalitaumlt der wis-senschaftlichen Sprache ist der staumlrkste Beweis fuumlr ihre Boden- und Heimat-losigkeit [] Das Heimische einer hohen Sprache gedeiht nur im Bereichdes unheimlichen Anspruchs der wesenhaften Stille im Wesen des Seyns197
194 GA 79 S 62f195 GA 97 S 20196 Hingegen waumlre das Judentum verantwortlich fuumlr das Ge-Stell fuumlr das Prinzip der Zerstoumlrung
wie es auf der selben Seite der Schwarzen Hefte darunter heiszligt (vgl ebd)197 GA 79 S 66 Die Bedeutung von Seyn als verstelltes Sein oder Bedingung zum Schauen
des wahren Seins ist verwirrend Einer genaueren Analyse wird aus Platzgruumlnden hier nichtnachgegangen
46
324 Die Kehrelsquo
Der letzte Vortrag ist mit nur neun Seiten der Kuumlrzeste des Vortragsgevierts
Nach dem Verlust des Dinges als Ding und der damit einsetzenden Abstandslosig-
keit als Wesen des Ge-Stells wobei die Gefahr zudem der Vergessenheit des Seyns
nachstellt bietet Heidegger eine Perspektive an
Im Wesen der Gefahr verbirgt sich [] die Moumlglichkeit einer Kehre in derdie Vergessenheit des Wesens des Seins sich so wendet daszlig mit dieser Kehredie Wahrheit des Wesens des Seyns in das Seiende eigens einkehrt198
Diese Moumlglichkeit bedeute nicht dass der Mensch sich der Gefahr selbst stellen
koumlnnte sie waumlre passiv ndash bdquoverbirgt sichldquo Die Kehre werde sich ereignen aumlhnlich
einer Erwartung an den Messias
Die Anwesenheit der Gefahr wuumlrde automatisch die Rettung bergen Denn
Houmllderlin haumltte geschrieben bdquoWo aber Gefahr ist waumlchst [d]as Rettende auchlsquoldquo199
Etwa 1945 notiert Heidegger in seine Schwarzen Hefte bdquoDie Wahrheit erfahren
wir im Gedaumlchtnis Das Gedaumlchtnis ist die Dichtungldquo200 (so) Von dieser War-
te aus ausgestattet mit Erinnerungen an das abendlaumlndische Dichten mit dem
Wissen um das Aletheia-Prinzip und passiv als denkender Huumlter des Seyns solle
der Mensch das Ereignis erwarten das ihn bdquoloumlsen freimachen freyen schonen
bergen in die Hut nehmen wahrenldquo201 wuumlrde (siehe S 43)
Dieses Ereignis waumlre der Blitz Ein unvermittelter jaumlher ploumltzlicher Moment
von kurzer Dauer der bloszlig einen ebenso kurzen Blick auf das wahre Wesen er-
lauben wuumlrde Abschlieszligend ist dies das Rezept gegen die Bestands bestellende
Technik in mythopoetischer Formulierung
So entsprechend ist der Mensch geeignet daszlig er im gewahrten Element vonWelt als der Sterbliche dem Goumlttlichen entgegenblickt Anders nicht dennauch der Gott ist wenn er ist ein Seiender steht als Seiender im Seyn unddessen Wesen das sich aus dem Welten von Welt ereignet202
198 GA 79 S 71199 GA 79 S 72200 GA 97 S 52f201 GA 79 S 72202 GA 79 S 76
47
Wenn Heidegger im Anschluss von der bdquohistorisch-technischen Darstellungldquo re-
det so ist dies die Abwehr der Wissenschaften (auch der Philosophie203) und ein
Appell an die Antirationalitaumlt des Mythos bdquokein historisches Vorstellen der Ge-
schichte als Geschehen bringt in den schicklichen Bezug zum Geschickldquo204
Damit das Blitzen erfahren werde als kurze Wesensschau der Aletheia muumlsse
dem wahren abendlaumlndischen und heimatlichen Ereignis stattgegeben werden Es
sollte nicht wie er 1939 schon in den Schwarzen Heften beschreibt das
kuumlnstliche Licht von Historie und Technik in der weder Mensch noch dieGoumltter weder eineWelt noch die Erde sichtbar werden koumlnnen wo aber dasLebenlsquo von allen den immer noch zu wenigen Meistenlsquo erlebtlsquo wird205
Damit schlieszligt der letzte Vortrag mit einer Erwartung an das Ereignis des Blit-
zens nicht das Erleben der Besinnungslosigkeit (vgl Das Ge-Stelllsquo) Schon 1947
traumlumt Heidegger von solcher Umkehr
Aus der Kehre der Seynsvergessenheit aber ereignet sich das Unumgaumlnglicheden Acker der Welt erst zu pfluumlgen und saatbereit der Sonne und dem Regenund den Voumlgeln des Himmels uumlberlassen206
203 Denn ldquo[e]igentlich denken heiszligt [] die Philosophie verlassen [] beim Sagen des Seinslsquoldquo(GA 97 S 60)
204 Ebd205 GA 95 S 427 Gegen das Erlebnis und Erleben straumlubt sich Heidegger besonders So notiert
er etwa 1939 bdquoZeitalter der Techniklsquo macht gerade die Techniklsquo nicht zum Ziel sondernimmer mehr zum Mittel der besinnungslosen Berechnung [] der Mensch [] das Erleb-nislsquo [] Erleben als der Gefuumlhlsgenuszligldquo (GA 95 S 149) Wie auch bdquoWo beide Historie undTechnik in solcher scheinbaren Gegensaumltzlichkeit verkoppelt sind koumlnnen sie sich zur Foumlr-derung dessen zusammenschlieszligen was einstmals wesentlich die Geschichte des Menschenmitbegruumlndete und was wir die Kunstlsquo nennen Die Historie verschafft [] Anregungenund Vorbilder der Nachahmung die Technik erleichtert [] die Zustellung von Darstel-lungsmitteln und Wirkungsformen [] Gleichwohl ist alles wurzellos [] berechnet und alsErlebnislsquo ausgegebenldquo (GA 95 S 212)
206 GA 97 S 511
48
4 Konklusion
Der umstrittene Philosoph Martin Heidegger hat uumlber die 1930erndash40er Jahre
hinweg eine ausgepraumlgte voumllkisch-nationale und bisweilen radikal-antisemitische
Denkweise entwickelt Dieses Denken fasste er auch auf als Besinnung und stellt
es der Philosophie und Wissenschaft diametral entgegen In Kapitel 2 wird aufge-
zeigt dass sowohl Heideggers Mythologie bereits kritisiert wurde (Adorno Cassi-
rer Meyer) als auch seine Mythopoetik bewundert (Schulz-Nieswandt) Kapitel
3 will daruumlber hinaus aufzeigen wie Heidegger eine eigene Mythologie mytho-
poetisch fruchtbar macht was sich von beiden vorigen Ansaumltzen unterscheidet
und erst mit der Veroumlffentlichung der Schwarzen Hefte ab 2014 nachvollziehbar
wurde
Umso mehr bietet die mythopoetische Verbindung von bdquoDichten und Den-
kenldquo (so) einen antitechnischen Gegenpol Denn Heidegger fasst wie oben ge-
schildert alles Rationale auf als berechnende Bestellung des Bestands im Sinne
der Technik Daruumlber hinaus fordert er mit dem Aletheia-Prinzip (als metapho-
risch gefasstes Ereignis des Blitzens) einen Mitvollzug seiner mythopoetischen
Kontemplation in dem religioumlse voumllkische antike und sprachliche Motive zu-
sammenfallen
Obwohl schon von Heidegger selbst nicht mehr als Philosophie betrachtet
hat seine Rede vom Ding dem Ge-Stell dem Wesen der Technik und der Kehre
noch immer einen bedeutenden Einfluss auf die Technikphilosophie So betont
Alfred Nordmann in bdquoWerkwissen oder How to express things in worksldquo (2008)
dass Heidegger mit Das Dinglsquo eine Art Dingwissen geschaffen haumltte In seinem
2012 erschienenen Aufsatz Another parting of the ways Intersubjectivity and the
objectivity of sciencersquo207 geht Nordmann ein weiteres Mal auf Heideggers Ding
ein Dieses waumlre eine Abarbeitung an dem Ding Kants womit auch Nordmann
Heidegger als einen Interpreten Kants versteht208 Anschlieszligend anMichael Fried-
207 Nordmann Alfred Another parting of the ways Intersubjectivity and the objectivity ofscience In Studies in History and Philosophy of Science 43 (2012) 38ndash46
208 Die Auseinandersetzung mit dem Ding wuumlrde nach Nordmann in Heideggers GA mit demText Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalen Grundsaumltzenlsquoeinsetzen (GA 41 Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalenGrundsaumltzen)
49
man spricht sich Nordmann ebenso dafuumlr aus dass Heidegger neben Rudolf Car-
nap und Ernst Cassirer eine neokantianische Philosophie verfolgt haumltte (siehe
Kap 1)209
Nach Nordmann haumltte Heidegger in seinen anschlieszligenden Gedanken uumlber
das Ding als Fortfuumlhrung Kants als erster Wissenschaft als angewandte Techno-
logie verstanden210 Diese Interpretation stuumltzt sich auf die gleichen Symbole
Metaphern und Mythen die die vorliegende Arbeit analysiert Das Ge-Stell ist
insofern aumlquivok mit dem Begriff techno-science Jedoch sind in dieser Fruchtbar-
machung von Heideggers Denken der Technik dessen nationalistischen rassisti-
schen und antisemitischen Implikationen die die vorliegende Arbeit als Zentrum
dessen Philosophie ermitteln konnte noch nicht beachtet worden koumlnnen211
Andreas Luckner webt Heideggers Ding-Entwurf weiter als verantwortliches
Sorgen um die Dinge212 Er geht dabei mit Heidegger voumlllig konform und tritt
eher als eine Art Bote der Ding-Botschaft auf als diese moumlglicherweise zu kriti-
sieren was sich diesen Artikel wie ein Kapitel aus einem Studienbuch lesen laumlsst
Der Darmstaumldter Technikphilosoph Christoph Hubig ist vor allem Kritiker Hei-
deggers Argumentationen laumlsst aber zuweilen diverse Topoi aus dem Werk des
Technik-Denkers durchscheinen ohne sie weiter zu reflektieren
So konstatiert Hubig Heidegger verfehle in dessen Auseinandersetzung mit
Aristoteles Lehre von der Poiesis zum Punkt der Sicherung wie sie in Die Frage
nach der Techniklsquo behandelt wird bdquodie operative Seite des Technischenldquo bei Aris-
totels213 In einem spaumlteren Aufsatz allerdings stuumltzt er sich ohne weitere Erlaumlute-
rungen auf Heideggers Begriff der Sicherung aus Die Frage nach der Techniklsquo214
209 Diese Befriedung paradigmatischer Umstaumlnde wird hier nicht geteilt Eine weitere Bearbeitunglaumlsst der Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht zu
210 Vgl Nordmann Another parting of the ways S 45211 Der Aussage dass Heideggers Ding-Begriff kantianisch waumlre muumlsste einer gezielten Untersu-
chung unterzogen werden genau wie die Behauptung insgesamt dass Heidegger oder inwie-weit dieser noch der suumlddeutschen Kantschule des 1920 Jahrhunderts angehoumlrte
212 Vgl Luckner Andreas Ding und Bestand Heidegger und das Wesen neuzeitlicher TechnikIn Gamm G Gehring P Hubig C Kaminski A und Nordmann A Ding und SystemS 15-30 hier S 29
213 Hubig Christoph Die Kunst des Moumlglichen Technikphilosophie als Reflexion der MedialitaumltBielefeld 2006 S 103
214 Vgl Hubig Christoph Technik als Medium In Grundwald Armin (Hg) Handbuch Tech-nikethik Stuttgart 2013 S 118-123 hier S 118
50
Dabei versteht Hubig Heideggers Betrachtungen zum Umgang mit der Technik
als gelassen
Fuumlr Heidegger liegt die Andersheit im Entbergen einer Wahrheit des Seinseines Geschicks von dem die Entwicklung der Technik hin zum Gestellkuumlnde Er verbindet dies mit dem Appell jenseits des rechnenden und si-chernden Vorstellens technischer Vollzuumlge als handlungsleitender Program-me sich gelassenlsquo dieser Entwicklung zu uumlberantworten und ein Seinlsquo zuhuumlten das sich als solches eben entbirgt Das Rettendelsquo dieser Einsicht lie-ge darin dass unsere individuelle Endlichkeit insofern transzendiert wirdals sie sich dem sie uumlbersteigenden Prozess aufschlieszligt und sich selbst relati-viert215
Wovon in diesem Zitat nicht die Rede ist ist der Mitvollzug der mythopoe-
tischen Rahmenbedinungen die Heidegger einfordert und an dem die Konzep-
te Abendland und voumllkische Tradition haumlngen In dieser Arbeit wird davon aus-
gegangen dass Heideggers Technikphilosophie-erzaumlhlung sich nicht von seinen
Absichten der Bekaumlmpfung des Technischen loumlsen laumlsst Die Relativierung ist in-
sofern nicht an den Prozess gebunden und damit emergent auf alles hin ausge-
richtet was kommen mag sondern houmlchst konvergent in einer Besinnung auf
Mythen von dem Ding und dem Geviert mit all deren Valenzen aus dem vorlie-
genden Heideggerschen Textkorpus Die individuelle Endlichkeit ist genoumltigt die
Heimat und das Abendland zu kennen und im Aletheia-Prinzip umzusetzen
Die Neubewertung der bislang bekannten Heideggerschen Technikphiloso-
phie von vor den SchwarzenHeften ist ein dringendes Desiderat Voumllkisch-nationale
Gruppierungen erstarken momentan in ganz Europa und es koumlnnte sehr hilfreich
sein aumlhnliche Denkstrukturen aufzudecken so wie sie zwischen den 1930er und
40er Jahren entwickelt wurden Zusaumltzlich muss das Werk Heideggers einer kriti-
schen Revision schon aufgrund der niemals von ihm behandelten Antisemitismen
unterzogen werden Heidegger hat nie zu diesen Stellung bezogen
Daruumlber hinaus ist das Thema Mythos und Philosophie ein weiterhin not-
wendiger Bereich der philosophischen Forschung In einem Bereich auszligerhalb
der exakten Wissenschaften und ohne klare theologische Tradition ist die Philo-
215 Hubig Die Kunst des Moumlglichen S 140
51
sophie beides sowohl Aufklaumlrer und antimythisch als auch Quelle fuumlr mythisches
Denken und affektierende Motive
52
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56
Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
Der Unterzeichner versichert dass er die vorliegende Bachelorarbeit selbststaumlndig
verfasst und keine anderen als die von ihm angegebenen Hilfsmittel benutzt hat
Die Stellen der Arbeit die anderen Werken dem Wortlaut oder dem Sinne nach
entnommen sind wurden in jedem Fall unter Angabe der Quellen (einschlieszliglich
des World Wide Web und anderer elektronischer Text- und Datensammlungen)
kenntlich gemacht Dies gilt auch fuumlr beigegebene Zeichnungen bildliche Dar-
stellungen Skizzen und dergleichen
Darmstadt 25 April 2016
__________________________
(Eigenhaumlndige Unterschrift)
- Abkuumlrzungsverzeichnis
- Danksagung
- Einleitung
- Heideggers mythopoetisches Programm
-
- Zu den Begriffen Mythos Mythologie und Mythopoetik
-
- Ein Beispiel fuumlr ein Mythologem
-
- Heideggers Mythen
-
- Formen der Mythologie
-
- Heideggers mythopoetische Technik
-
- Zur Publikationsgeschichte von den Bremer Vortraumlgen 1949
- Die mythopoetische Spiegelung der Schwarzen Hefte
-
- Das Dinglsquo
- Das Ge-Stelllsquo
- Die Gefahrlsquo
- Die Kehrelsquo
-
- Konklusion
- Literaturverzeichnis
- Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
-
39
Die Oumlffentlichkeit ist fuumlr Heidegger ein Topos der dem Denken und Besinnen
entgegenstuumlnde Somit meint er damit zum Einen die Medien wie er es anhand
der Rede von den Bestandstuumlcken in Das Ge-Stelllsquo erklaumlrt wo der Mensch als
Urheber des Ge-Stells als Wesen der Technik nicht gelten soll Vielmehr wuumlrde er
in Ratlosigkeit und Langeweile verfallen weil er in der Bestellung des Bestandes in
Form von Bestandstuumlcken vom Rundfunk keine Besinnung mehr faumlnde dh das
Ganze also wiederum daswesentliche Ding nicht mehr zu fassen vermoumlge163 Und
so toumlnt es bereits aus den Schwarzen Heften von 19391940()
Die Bildlsquo und Tonlsquo ndash Reportagenlsquo der Machenschaft ist der planetari-sche Mythuslsquo des Vollendungsabschnittes der Neuzeit Die Welt des abge-legensten deutschen Bauernhofes wird nicht mehr durch [] die Naturlsquobestimmt in der noch die Erde waltet sondern durch das illustrierte Blattmit der Darstellung von ausgezogenen Tanzweibern von Boxern und Renn-fahrern und sonstigen Heldenlsquo des Tages164
Und ferner notierte Heidegger 1946 in seinen Schwarzen Heften
Uumlberall zerrt es aus dem Oumlffentlichen ins Oumlffentliche mit vielen Strickenund jeder sieht das kaum versuchte Denken des Seyns am Leitband seinesStrickes165
Dabei waumlre eben ein bdquoLiterat [] ein in die Oumlffentlichkeit verliebter Mensch der
Angst vor dem Denker hatldquo166 Dieses liefe dann darauf hinaus dass beim Rund-
funk bdquoein Bestellen und Stellen waltet das in dasWesen des Menschen eingegriffen
hatldquo167
Abermals nach dem Wesen der Technik also nach dem Ge-Stell gefragt geht
Heidegger auf seine Unterscheidung vonNatur undNaturwissenschaft ein bdquo[w]elches
ist das Verhaumlltnis zwischen der Technik und der Naturldquo168 Natur wuumlrde in wis-
senschaftlicher Hinsicht unter das Berechnete fallen sie wuumlrde bdquoals das in Maszlig
und Zahl gestellte Wirkliche vorgestellt das in seinem Gewirkten staumlndig an-
westldquo169 Wenn Heidegger dann Natur aus technischer Sicht bdquoals ein System des
163 Vgl GA 79 S 38f164 GA 96 S 54165 GA 97 S 100166 GA 97 S 126167 GA 79 S 39168 GA 79 S 41169 Ebd
40
Bestellens von Erfolgen aus dem gestellten Wirksamenldquo170 charakterisiert spricht
er von seiner Rede der Verschraumlnkung von Historie und Technik ndash bdquoTechnik die
Historie der Naturldquolsquo171 Dieses ist bekanntlich das seinsvernichtende Gegenstuumlck
zur geschichtlichen Besinnung Denn geschichtliches Walten der Technik ist fuumlr
Heidegger technische Geschichte dh verwissenschaftlichte Geschichte die da-
durch ihr Wesen verloren haumltte (Seynsvergessenheit)172 So heiszligt es in den Schwar-
zen Heften von 1947
Ein Zeitalter das historisch geworden ist dh technisch planend sich selberberechnet und alles in diesen Sog zieht muszlig jede Besinnung nur als eine dervielen Formen der Intellektualitaumlt registrieren173
Heidegger schlieszligt den Vortrag mit dem Aufgriff der Anfangsbehauptung
bdquo[d]er Bestand bestellt das Abstandsloseldquo174 Somit liegt das Problem der ausblei-
benden Naumlhe durch die Technik deren Wesen das Ge-Stell waumlre das den Bestand
bestelle in der Luft Dass dabei der Mensch sogleich Teil des Bestandes und nicht
Teil der Maschine wird laumlsst ihn das historische Tier sein (2)
Der Mensch ist auswechselbar innerhalb des Bestellens von Bestand []Gleichwohl gehoumlrt der Mensch in einer voumlllig anderen Weise in das Ge-Stellals die Maschine DieseWeise kann unmenschlich werden DasUnmenschlicheist jedoch immer noch unmenschlich Der Mensch wird nie zur MaschineDas Unmenschliche und noch Menschentuumlmliche ist freilich unheimlicherweil boumlsartige und verhaumlngnisvoller denn der Mensch der nur Maschine wauml-re175
Wen Heidegger hier ersinnt ist der neuzeitliche Mensch der den bdquoGoumlttern uner-
traumlglich gewordenldquo176 waumlre
170 Ebd171 GA 95 S 351172 In Heidegger Die Technik und die Kehre S 21 stellt er Geschichte und Historie einander
gegenuumlber was er in Das Ge-Stelllsquo nicht vollzieht bdquoDie moderne Technik kam doch erst inden Gang als sie sich auf die exakte Naturwissenschaft stuumltzen konnte Historisch gerechnetbleibt dies richtig Geschichtlich gedacht trifft es nicht das Wahreldquo Signifikant fuumlr Heideg-gers Attributierung so wie sie oben schon geschildert ist steht Historie fuumlrs Rechnen undGeschichte fuumlr das Denken
173 GA 97 S 508174 GA 79 S 44175 GA 79 S 37176 GA 94 S 236
41
323 Die Gefahrlsquo
Aus Heideggers Darlegung uumlber das Ge-Stell erschlieszligen sich seine diversen Fa-
cetten der Vorstellung einer Abstandslosigkeit schaffenden Technik Dass die Ab-
standslosigkeit dem Prinzip des Gevierts des Zusammengestellten entgegensteht
bekommt im Vortrag Die Gefahrlsquo Nachdruck Die mythopoetische Erzaumlhlung
knuumlpft an den Vortrag Das Dinglsquo an mit den Mythologemene 1 Der Mythos
des geschichtlich sein muumlssens 2 der Mythos des Goumlttlichen 3 das geschichtsbe-
sinnliche Prinzip der Aletheia Zudem wird im Prozess des Vortrags das Ge-Stell
zur Gefahr stilisiert was einen eigenen Mythos erschafft
Durch das bdquouniversale Bestellen des Ge-Stellsldquo177 werde die naumlhernde Naumlhe des
Dings verwehrt Wie im Vortrag Das Dinglsquo fuumlhrt Heidegger das Wesentliche sei-
ner Theorie auf die deutsche und altgriechische Sprache zuruumlck Die so vollzoge-
ne Annaumlherung von Schwarzwaumllderischem Dialekt und Altgriechisch entspricht
Heideggers Traum von dem bdquogeschichtliche[n] Geburtsort des abendlaumlndischen
Wesensldquo178 den seine Heimat von Todtnauberg bis Freiburg stiften sollte (1)
es ist das Geistvolle und zugleich das erdenhafte schoumlne Land Es birgt un-sichtbaren Reichtum dem Gemuumlt bewahret tiefstes Dichten und houmlchsteGestalt der Sage179
Unter diesem Vorzeichen also sagt Heidegger
Das Ge-Stellwesen laumlszligt das Ding ohne die Wahr Das Wort die Wahrlsquo be-deutet in unserer Sprache dort wo sie noch urspruumlnglich spricht die HutIn unserer schwaumlbischen Mundart meint das Wort die Wahrlsquo die der muumlt-terlichen Hut anvertrauten Kinder Das Ge-Stell laumlszligt in seinem Stellen dasDing ohne die Hut ndash ohne die Wahr seines Dingwesens180
Diese in Bremen vorgetragene Heimatkunde ist auch Heideggers Sorge ge-
schuldet durch die Besatzermaumlchte und deren kulturellen Einfluss auch durch
die nun moumlgliche Oumlffnung Deutschlands zu einem Austausch mit der Welt das
eigene Wesen zu verlieren So schreibt er 1945-1947() in seine Schwarzen Hefte
177 GA 79 S 46178 GA 97 S 54179 Ebd180 GA 79 S 46
42
Das Schwerste und Fragwuumlrdigste unseres Geschickes ndash beruht darin ob wirdas Eigene finden und huumlten [] unter den anderen Voumllkernlsquo [] Scheinund Vorwand der Macht daszlig man unsere eigene Aufgabe bringen will []als Entmachtete aufgenommen zu sein in den Weltmachenschaftsbetrieb181
Es gaumlbe nach Heidegger also das Welten von Welt und die Verweigerung von
Welt aus derVerwahrlosung des Dings durch das Ge-Stell bzw die Technik182 Welt
ist nach dem Konzept des schwaumlbischen Denkers nichts weniger als das Geviert
Bei der folgenden mythopoetischen Zusammenstellung von dem Geviert mit alt-
griechischen Vokabeln um den Seins-Begriff wird das Aletheia-Prinzip eingefuumlhrt
Somit fuumlhrt uumlber den Mythos des Goumlttlichen (2) der Weg zur Wahrheit eben als
geschichtsbesinnlich erfahrene Aletheia (3)
Welt ist das Geviert von Erde und Himmel Goumlttlichen und SterblichenDas Spiegel-Spiel der Vierung wahrt alles was in ihm dingend zwischenden Vier anwest und abwest in das einende Ganze seines Anwesens Vonaltersher heiszligt das Anwesen des Anwesenden τὸ ὲόν das Seiend [sic] τὸεἶναι das Sein naumlmlich der ὲόντα des Seinenden das esse entium183
Diese Welt waumlre nun bdquoWahrnis des Wesens von Sein Statt Wahrnis sagen wir auch
Wahrheitldquo184 Die Welt mythopoetisch als Spiegel-Spiel des Gevierts und durch
eine altgriechische Brille betrachtet waumlre die wahre Welt Somit wird die Wahr-
heitsschau gebunden einen antiken Goumltterglauben und abendlaumlndische Sprachkas-
kaden vom Dialekt zum Altgriechisch
Das Problem mit der wahren Welt waumlre allerdings dass sie sich in die Ver-
borgenheit entziehe Naumlher betrachtet ist aber die Verborgenheit Bedingung des
Entbergens was Heidegger notwendig macht zu einem wuumlrdigen Lebensvollzug
in Harmonie mit dem Sein Durch solche Wesensschau waumlre der Mensch befaumlhigt
jederzeit die verstellenden Maumlchte des Ge-Stells (der Technik) zu uumlberwinden und
teilhaftig am Wesen der Welt zu werden
181 GA 97 S 99182 Vgl GA 79 S 47183 GA 79 S 48 (Die griechischen Vokabeln werden hier keiner Uumlbersetzung unterzogen Da
Heidegger ohnehin keine philologische Schaumlrfe anwenden will ist es fuumlr die Zwecke hierausreichend sie mit seiner Uumlbersetzung zu betrachten Heidegger spricht von bdquoAchten aufdas Griechischeldquo was schwieriger waumlre als klassische Philologie (vgl GA 79 S 63)
184 Ebd
43
Welt bleibt in der Verborgenheit (Αήθη) auf die Weise daszlig diese ihre Ver-borgenheit gerade eine Unverborgenheit gewaumlhrt die Αλήθεια185
Die Αλήθεια haumltte allerdings auch eine Rolle uumlber die subjektive hinaus da nur
durch ihren Vollzug Seinsgeschichte gewaumlhrt wuumlrde Das ist der Anspruch den
Heidegger an sein Auditorium stellt gemeinsam geschichtlich sein zu muumlssen (1)
Die Αλήθεια ist das Geschick des Seins als welches Geschick sich die Fuumllleder Seinsgeschichte in ihre Epochen fuumlgt186
Mit dem Ge-Stell als Wesen der modernen Technik waumlre die Aletheia aller-
dings hochgradig gefaumlhrdet Denn ohnehin waumlre die Aletheia prinzipiell der Ge-
fahr der Vergessenheit ausgesetzt Doch das Ge-Stell haumltte die Kraft die bdquovollende-
te Vergessenheit der Wahrheit des Seinsldquo187 zu vollrichten
Indem das Ge-Stell alles Anwesende in den Bestand bestellt setzt das Ge-Stell das Anwesen des Anwesenden heraus aus seiner Wesensherkunft ausder Αλήθεια188
Diese Versetzung des beteiligten Wesens aus der Moumlglichkeit des Wahrheitsprin-
zips heraus markiert Heidegger dann mit der Schreibweise Seyn (mit bdquoyldquo) Wie
bei dem Vortrag Das Dinglsquo koumlnnen ethymologische Abstammungen sein Sys-
tem anreichern Da wo es um das Wortfeld des Stellens geht Ge-Stell Bestellen
Verstellen ist auch das NachstellenMitglied der Familie
Im Althochdeutschen heiszligt nachstellen fara Das in sich gesammelte Stellenals Nachstellen ist die Gefahr Der Grundzug des Wesens der Gefahr ist dasNachstellen Insofern das Sein als das Ge-Stell sich selbst mit der Vergessen-heit seines Wesens nachstellt ist das Seyn als Seyn die Gefahr seines eigenenWesens189
Damit wuumlrde sich durch die Verringerung der Selbstreflexion im Seyns-Bestand
eine Schwachstelle auftun in die der denkbegabte und aletheiafaumlhige Mensch ei-
ne Moumlglichkeit haben das Seyn zum Sein zuruumlckzuwandeln ndash also wieder in ein
185 GA 79 S 49186 Ebd187 GA 79 S 53188 GA 79 S 52189 GA 79 S 53
44
wesentliches Verhaumlltnis zum bdquoDingldquo zu gelangen in dem das Geviert wieder die
Harmonie herstellt Allerdings faumlnde bis zu solch einer Nachstellung eine Ver-
sieglung des Seynsbestandes statt Und Heidegger beklagt dass die Erreichung der
Ruumlckeroberung des Seins uumlber die Nachstellung nicht stattfaumlnde und stattdessen
die Irre regieren wuumlrde190
In dieser Irre stuumlnde dem Menschen nicht einmal mehr zu zu sterben Denn
bdquoSterben [] heiszligt den Tod in sein Wesen austragenldquo191 Somit waumlren die Opfer
die in den KZs umkamen wie er sie in Das Dinglsquo bereits schildert nicht vermouml-
gend gewesen zu sterben bdquoSie werden Bestandstuumlcke eines Bestandes der Fabrika-
tion von Leichen [] Sie werden in Vernichtungslagern unauffaumlllig liquidiertldquo192
Das vermoumlge die Gefahr zu bewirken Der Mensch wuumlrde des eigenen Sterbens
beraubt da er keine Verbindung mehr zur Wahrheit der Welt haumltte Um den rich-
tigen Tod zu sterben muumlsse der Mensch die Aletheia schauen koumlnnen Insofern ist
Heideggers Prinzip ein religioumls anmutendes Wie in der christlichen Vorstellung
der Mensch im Jenseits an seinen Taten gemessen wird um Paradies oder Fege-
feuer zu besuchen soll nach Heidegger der Mensch waumlhrend des Sterbens mit
sich selbst ins Gericht gehen Er soll sich rein machen vom Ge-Stell der Technik
und dem Seyn um nicht die einmalge Gelegenheit des richtigen Sterbevollzugs
zu versaumlumen Es winken gemaumlszlig des Gevierts die himmlischen Goumlttlichen den
irdischen Sterblichen zu wobei annehmbar ist dass Heidegger Sterblichen die
die Aletheia erkennen einen Goumlttlichkeitsstatus beimessen moumlchte ndash eine Erlouml-
sungsphantasie
Genau diese Erloumlsung waumlre die Technik nicht
Ohne den Schritt des Denkens zu wagen der unser Menschenwesen demWesen der Technik [] aussetzt wuumlrgt man sich von Fall zu Fall von Lagezu Lage durch die Zwiespaumlltigkeiten hindurch Und genau durch dieses Ge-wuumlrge versaumlumt man die Moumlglichkeit dessen was man im Grunde erstrebtdie Technik durch menschliches Tun zu meistern und menschenwuumlrdig zulenken193
190 Vgl GA 79 S 55191 GA 79 S 55192 GA 79 S 56 Weil Heidegger im Judentum die Verantwortlichen fuumlr das Geraffe des Ge-Stells
sieht macht er sie gleichsam verantwortlich fuumlr die bdquoSelbstvernichtungldquo Die Seinsverges-senheit im Tode wird dadurch zum Spin-off der vermeintlich juumldisch erzeugten da machen-schaftlichen KZ-Maschinerie (Vgl GA 97 S 20f)
193 GA 79 S 59
45
Trost und Richtung findet Heidegger schlieszliglich abermals bei den alten Griechen
Das Wort stellenlsquo entspricht dem griechischen ϑέσις vorausgesetzt daszlig wirϑέσις griechisch denken Was heiszligt in diesem Falle griechisch denkenlsquo Esheiszligt darauf achten welche Lichtung desWesens des Seyns in welcherWeisedas Dasein der alten Griechen in den Anspruch genommen hat heiszligt imvoraus bedenken in welchem Geschick welcher Unverborgenheit des Seinsdie Griechen standenldquo194
Das sind Vorstellungen des Neuen Anfangs eine Reminiszenz der griechisch anti-
ken Welt Ein Eintrag aus den Schwarzen Heften von etwa 1945-47 () verdichtet
wie oben bereits aufgezeigt die Phantasie griechisch zu sein zu einem gelingenden
Lebensvollzug
Das reine Wesen des Griechentums dh das Seiende inmitten dessen dieGriechen als seiende fremd gewesen dieses und sie selbst und der Bezug desSeins zu ihnen ndash in der einfachen Wesung von der ἀλήθεια her zeigen underfahren Den μῦθος und λόγος ndash jedes Wort und Gebild rein aber nichterzwungen und schematisch-pedant ndash aus ἀλήθεια erfahren195
Hier zeigt sich auch dass Heidegger per se das Aletheia-Prinzip fuumlr notwendig
hielt um ins Licht der Wahrheit zu blicken Die Griechen sind ihm hier deshalb
Vorbild und rein da sie keiner modernen Technik und dem Ge-Stell ausgesetzt
waren sondern lediglich eine mythopoetische Verbindung zum Sein herstellen
mussten um wesentlich zu sein und Seinsgeschichte zu schreiben Die Dinge und
das Spiegel-Spiel des Gevierts waumlren ihnen geschickt zuhanden gewesen196 Hei-
degger macht schlieszliglich sehr deutlich dass das Griechische zu denken ein bei
weitem anderes Geschaumlft sei als philologische Praumlzision
Ein Echo zu sein naumlmlich dem Anspruch des Seins verlangt eine Sorgfaltder Sprache von der freilich der technisch-terminologische Sprachstil derWissenschaften uumlberhaupt nichts wissen kann Die Intentionalitaumlt der wis-senschaftlichen Sprache ist der staumlrkste Beweis fuumlr ihre Boden- und Heimat-losigkeit [] Das Heimische einer hohen Sprache gedeiht nur im Bereichdes unheimlichen Anspruchs der wesenhaften Stille im Wesen des Seyns197
194 GA 79 S 62f195 GA 97 S 20196 Hingegen waumlre das Judentum verantwortlich fuumlr das Ge-Stell fuumlr das Prinzip der Zerstoumlrung
wie es auf der selben Seite der Schwarzen Hefte darunter heiszligt (vgl ebd)197 GA 79 S 66 Die Bedeutung von Seyn als verstelltes Sein oder Bedingung zum Schauen
des wahren Seins ist verwirrend Einer genaueren Analyse wird aus Platzgruumlnden hier nichtnachgegangen
46
324 Die Kehrelsquo
Der letzte Vortrag ist mit nur neun Seiten der Kuumlrzeste des Vortragsgevierts
Nach dem Verlust des Dinges als Ding und der damit einsetzenden Abstandslosig-
keit als Wesen des Ge-Stells wobei die Gefahr zudem der Vergessenheit des Seyns
nachstellt bietet Heidegger eine Perspektive an
Im Wesen der Gefahr verbirgt sich [] die Moumlglichkeit einer Kehre in derdie Vergessenheit des Wesens des Seins sich so wendet daszlig mit dieser Kehredie Wahrheit des Wesens des Seyns in das Seiende eigens einkehrt198
Diese Moumlglichkeit bedeute nicht dass der Mensch sich der Gefahr selbst stellen
koumlnnte sie waumlre passiv ndash bdquoverbirgt sichldquo Die Kehre werde sich ereignen aumlhnlich
einer Erwartung an den Messias
Die Anwesenheit der Gefahr wuumlrde automatisch die Rettung bergen Denn
Houmllderlin haumltte geschrieben bdquoWo aber Gefahr ist waumlchst [d]as Rettende auchlsquoldquo199
Etwa 1945 notiert Heidegger in seine Schwarzen Hefte bdquoDie Wahrheit erfahren
wir im Gedaumlchtnis Das Gedaumlchtnis ist die Dichtungldquo200 (so) Von dieser War-
te aus ausgestattet mit Erinnerungen an das abendlaumlndische Dichten mit dem
Wissen um das Aletheia-Prinzip und passiv als denkender Huumlter des Seyns solle
der Mensch das Ereignis erwarten das ihn bdquoloumlsen freimachen freyen schonen
bergen in die Hut nehmen wahrenldquo201 wuumlrde (siehe S 43)
Dieses Ereignis waumlre der Blitz Ein unvermittelter jaumlher ploumltzlicher Moment
von kurzer Dauer der bloszlig einen ebenso kurzen Blick auf das wahre Wesen er-
lauben wuumlrde Abschlieszligend ist dies das Rezept gegen die Bestands bestellende
Technik in mythopoetischer Formulierung
So entsprechend ist der Mensch geeignet daszlig er im gewahrten Element vonWelt als der Sterbliche dem Goumlttlichen entgegenblickt Anders nicht dennauch der Gott ist wenn er ist ein Seiender steht als Seiender im Seyn unddessen Wesen das sich aus dem Welten von Welt ereignet202
198 GA 79 S 71199 GA 79 S 72200 GA 97 S 52f201 GA 79 S 72202 GA 79 S 76
47
Wenn Heidegger im Anschluss von der bdquohistorisch-technischen Darstellungldquo re-
det so ist dies die Abwehr der Wissenschaften (auch der Philosophie203) und ein
Appell an die Antirationalitaumlt des Mythos bdquokein historisches Vorstellen der Ge-
schichte als Geschehen bringt in den schicklichen Bezug zum Geschickldquo204
Damit das Blitzen erfahren werde als kurze Wesensschau der Aletheia muumlsse
dem wahren abendlaumlndischen und heimatlichen Ereignis stattgegeben werden Es
sollte nicht wie er 1939 schon in den Schwarzen Heften beschreibt das
kuumlnstliche Licht von Historie und Technik in der weder Mensch noch dieGoumltter weder eineWelt noch die Erde sichtbar werden koumlnnen wo aber dasLebenlsquo von allen den immer noch zu wenigen Meistenlsquo erlebtlsquo wird205
Damit schlieszligt der letzte Vortrag mit einer Erwartung an das Ereignis des Blit-
zens nicht das Erleben der Besinnungslosigkeit (vgl Das Ge-Stelllsquo) Schon 1947
traumlumt Heidegger von solcher Umkehr
Aus der Kehre der Seynsvergessenheit aber ereignet sich das Unumgaumlnglicheden Acker der Welt erst zu pfluumlgen und saatbereit der Sonne und dem Regenund den Voumlgeln des Himmels uumlberlassen206
203 Denn ldquo[e]igentlich denken heiszligt [] die Philosophie verlassen [] beim Sagen des Seinslsquoldquo(GA 97 S 60)
204 Ebd205 GA 95 S 427 Gegen das Erlebnis und Erleben straumlubt sich Heidegger besonders So notiert
er etwa 1939 bdquoZeitalter der Techniklsquo macht gerade die Techniklsquo nicht zum Ziel sondernimmer mehr zum Mittel der besinnungslosen Berechnung [] der Mensch [] das Erleb-nislsquo [] Erleben als der Gefuumlhlsgenuszligldquo (GA 95 S 149) Wie auch bdquoWo beide Historie undTechnik in solcher scheinbaren Gegensaumltzlichkeit verkoppelt sind koumlnnen sie sich zur Foumlr-derung dessen zusammenschlieszligen was einstmals wesentlich die Geschichte des Menschenmitbegruumlndete und was wir die Kunstlsquo nennen Die Historie verschafft [] Anregungenund Vorbilder der Nachahmung die Technik erleichtert [] die Zustellung von Darstel-lungsmitteln und Wirkungsformen [] Gleichwohl ist alles wurzellos [] berechnet und alsErlebnislsquo ausgegebenldquo (GA 95 S 212)
206 GA 97 S 511
48
4 Konklusion
Der umstrittene Philosoph Martin Heidegger hat uumlber die 1930erndash40er Jahre
hinweg eine ausgepraumlgte voumllkisch-nationale und bisweilen radikal-antisemitische
Denkweise entwickelt Dieses Denken fasste er auch auf als Besinnung und stellt
es der Philosophie und Wissenschaft diametral entgegen In Kapitel 2 wird aufge-
zeigt dass sowohl Heideggers Mythologie bereits kritisiert wurde (Adorno Cassi-
rer Meyer) als auch seine Mythopoetik bewundert (Schulz-Nieswandt) Kapitel
3 will daruumlber hinaus aufzeigen wie Heidegger eine eigene Mythologie mytho-
poetisch fruchtbar macht was sich von beiden vorigen Ansaumltzen unterscheidet
und erst mit der Veroumlffentlichung der Schwarzen Hefte ab 2014 nachvollziehbar
wurde
Umso mehr bietet die mythopoetische Verbindung von bdquoDichten und Den-
kenldquo (so) einen antitechnischen Gegenpol Denn Heidegger fasst wie oben ge-
schildert alles Rationale auf als berechnende Bestellung des Bestands im Sinne
der Technik Daruumlber hinaus fordert er mit dem Aletheia-Prinzip (als metapho-
risch gefasstes Ereignis des Blitzens) einen Mitvollzug seiner mythopoetischen
Kontemplation in dem religioumlse voumllkische antike und sprachliche Motive zu-
sammenfallen
Obwohl schon von Heidegger selbst nicht mehr als Philosophie betrachtet
hat seine Rede vom Ding dem Ge-Stell dem Wesen der Technik und der Kehre
noch immer einen bedeutenden Einfluss auf die Technikphilosophie So betont
Alfred Nordmann in bdquoWerkwissen oder How to express things in worksldquo (2008)
dass Heidegger mit Das Dinglsquo eine Art Dingwissen geschaffen haumltte In seinem
2012 erschienenen Aufsatz Another parting of the ways Intersubjectivity and the
objectivity of sciencersquo207 geht Nordmann ein weiteres Mal auf Heideggers Ding
ein Dieses waumlre eine Abarbeitung an dem Ding Kants womit auch Nordmann
Heidegger als einen Interpreten Kants versteht208 Anschlieszligend anMichael Fried-
207 Nordmann Alfred Another parting of the ways Intersubjectivity and the objectivity ofscience In Studies in History and Philosophy of Science 43 (2012) 38ndash46
208 Die Auseinandersetzung mit dem Ding wuumlrde nach Nordmann in Heideggers GA mit demText Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalen Grundsaumltzenlsquoeinsetzen (GA 41 Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalenGrundsaumltzen)
49
man spricht sich Nordmann ebenso dafuumlr aus dass Heidegger neben Rudolf Car-
nap und Ernst Cassirer eine neokantianische Philosophie verfolgt haumltte (siehe
Kap 1)209
Nach Nordmann haumltte Heidegger in seinen anschlieszligenden Gedanken uumlber
das Ding als Fortfuumlhrung Kants als erster Wissenschaft als angewandte Techno-
logie verstanden210 Diese Interpretation stuumltzt sich auf die gleichen Symbole
Metaphern und Mythen die die vorliegende Arbeit analysiert Das Ge-Stell ist
insofern aumlquivok mit dem Begriff techno-science Jedoch sind in dieser Fruchtbar-
machung von Heideggers Denken der Technik dessen nationalistischen rassisti-
schen und antisemitischen Implikationen die die vorliegende Arbeit als Zentrum
dessen Philosophie ermitteln konnte noch nicht beachtet worden koumlnnen211
Andreas Luckner webt Heideggers Ding-Entwurf weiter als verantwortliches
Sorgen um die Dinge212 Er geht dabei mit Heidegger voumlllig konform und tritt
eher als eine Art Bote der Ding-Botschaft auf als diese moumlglicherweise zu kriti-
sieren was sich diesen Artikel wie ein Kapitel aus einem Studienbuch lesen laumlsst
Der Darmstaumldter Technikphilosoph Christoph Hubig ist vor allem Kritiker Hei-
deggers Argumentationen laumlsst aber zuweilen diverse Topoi aus dem Werk des
Technik-Denkers durchscheinen ohne sie weiter zu reflektieren
So konstatiert Hubig Heidegger verfehle in dessen Auseinandersetzung mit
Aristoteles Lehre von der Poiesis zum Punkt der Sicherung wie sie in Die Frage
nach der Techniklsquo behandelt wird bdquodie operative Seite des Technischenldquo bei Aris-
totels213 In einem spaumlteren Aufsatz allerdings stuumltzt er sich ohne weitere Erlaumlute-
rungen auf Heideggers Begriff der Sicherung aus Die Frage nach der Techniklsquo214
209 Diese Befriedung paradigmatischer Umstaumlnde wird hier nicht geteilt Eine weitere Bearbeitunglaumlsst der Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht zu
210 Vgl Nordmann Another parting of the ways S 45211 Der Aussage dass Heideggers Ding-Begriff kantianisch waumlre muumlsste einer gezielten Untersu-
chung unterzogen werden genau wie die Behauptung insgesamt dass Heidegger oder inwie-weit dieser noch der suumlddeutschen Kantschule des 1920 Jahrhunderts angehoumlrte
212 Vgl Luckner Andreas Ding und Bestand Heidegger und das Wesen neuzeitlicher TechnikIn Gamm G Gehring P Hubig C Kaminski A und Nordmann A Ding und SystemS 15-30 hier S 29
213 Hubig Christoph Die Kunst des Moumlglichen Technikphilosophie als Reflexion der MedialitaumltBielefeld 2006 S 103
214 Vgl Hubig Christoph Technik als Medium In Grundwald Armin (Hg) Handbuch Tech-nikethik Stuttgart 2013 S 118-123 hier S 118
50
Dabei versteht Hubig Heideggers Betrachtungen zum Umgang mit der Technik
als gelassen
Fuumlr Heidegger liegt die Andersheit im Entbergen einer Wahrheit des Seinseines Geschicks von dem die Entwicklung der Technik hin zum Gestellkuumlnde Er verbindet dies mit dem Appell jenseits des rechnenden und si-chernden Vorstellens technischer Vollzuumlge als handlungsleitender Program-me sich gelassenlsquo dieser Entwicklung zu uumlberantworten und ein Seinlsquo zuhuumlten das sich als solches eben entbirgt Das Rettendelsquo dieser Einsicht lie-ge darin dass unsere individuelle Endlichkeit insofern transzendiert wirdals sie sich dem sie uumlbersteigenden Prozess aufschlieszligt und sich selbst relati-viert215
Wovon in diesem Zitat nicht die Rede ist ist der Mitvollzug der mythopoe-
tischen Rahmenbedinungen die Heidegger einfordert und an dem die Konzep-
te Abendland und voumllkische Tradition haumlngen In dieser Arbeit wird davon aus-
gegangen dass Heideggers Technikphilosophie-erzaumlhlung sich nicht von seinen
Absichten der Bekaumlmpfung des Technischen loumlsen laumlsst Die Relativierung ist in-
sofern nicht an den Prozess gebunden und damit emergent auf alles hin ausge-
richtet was kommen mag sondern houmlchst konvergent in einer Besinnung auf
Mythen von dem Ding und dem Geviert mit all deren Valenzen aus dem vorlie-
genden Heideggerschen Textkorpus Die individuelle Endlichkeit ist genoumltigt die
Heimat und das Abendland zu kennen und im Aletheia-Prinzip umzusetzen
Die Neubewertung der bislang bekannten Heideggerschen Technikphiloso-
phie von vor den SchwarzenHeften ist ein dringendes Desiderat Voumllkisch-nationale
Gruppierungen erstarken momentan in ganz Europa und es koumlnnte sehr hilfreich
sein aumlhnliche Denkstrukturen aufzudecken so wie sie zwischen den 1930er und
40er Jahren entwickelt wurden Zusaumltzlich muss das Werk Heideggers einer kriti-
schen Revision schon aufgrund der niemals von ihm behandelten Antisemitismen
unterzogen werden Heidegger hat nie zu diesen Stellung bezogen
Daruumlber hinaus ist das Thema Mythos und Philosophie ein weiterhin not-
wendiger Bereich der philosophischen Forschung In einem Bereich auszligerhalb
der exakten Wissenschaften und ohne klare theologische Tradition ist die Philo-
215 Hubig Die Kunst des Moumlglichen S 140
51
sophie beides sowohl Aufklaumlrer und antimythisch als auch Quelle fuumlr mythisches
Denken und affektierende Motive
52
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56
Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
Der Unterzeichner versichert dass er die vorliegende Bachelorarbeit selbststaumlndig
verfasst und keine anderen als die von ihm angegebenen Hilfsmittel benutzt hat
Die Stellen der Arbeit die anderen Werken dem Wortlaut oder dem Sinne nach
entnommen sind wurden in jedem Fall unter Angabe der Quellen (einschlieszliglich
des World Wide Web und anderer elektronischer Text- und Datensammlungen)
kenntlich gemacht Dies gilt auch fuumlr beigegebene Zeichnungen bildliche Dar-
stellungen Skizzen und dergleichen
Darmstadt 25 April 2016
__________________________
(Eigenhaumlndige Unterschrift)
- Abkuumlrzungsverzeichnis
- Danksagung
- Einleitung
- Heideggers mythopoetisches Programm
-
- Zu den Begriffen Mythos Mythologie und Mythopoetik
-
- Ein Beispiel fuumlr ein Mythologem
-
- Heideggers Mythen
-
- Formen der Mythologie
-
- Heideggers mythopoetische Technik
-
- Zur Publikationsgeschichte von den Bremer Vortraumlgen 1949
- Die mythopoetische Spiegelung der Schwarzen Hefte
-
- Das Dinglsquo
- Das Ge-Stelllsquo
- Die Gefahrlsquo
- Die Kehrelsquo
-
- Konklusion
- Literaturverzeichnis
- Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
-
40
Bestellens von Erfolgen aus dem gestellten Wirksamenldquo170 charakterisiert spricht
er von seiner Rede der Verschraumlnkung von Historie und Technik ndash bdquoTechnik die
Historie der Naturldquolsquo171 Dieses ist bekanntlich das seinsvernichtende Gegenstuumlck
zur geschichtlichen Besinnung Denn geschichtliches Walten der Technik ist fuumlr
Heidegger technische Geschichte dh verwissenschaftlichte Geschichte die da-
durch ihr Wesen verloren haumltte (Seynsvergessenheit)172 So heiszligt es in den Schwar-
zen Heften von 1947
Ein Zeitalter das historisch geworden ist dh technisch planend sich selberberechnet und alles in diesen Sog zieht muszlig jede Besinnung nur als eine dervielen Formen der Intellektualitaumlt registrieren173
Heidegger schlieszligt den Vortrag mit dem Aufgriff der Anfangsbehauptung
bdquo[d]er Bestand bestellt das Abstandsloseldquo174 Somit liegt das Problem der ausblei-
benden Naumlhe durch die Technik deren Wesen das Ge-Stell waumlre das den Bestand
bestelle in der Luft Dass dabei der Mensch sogleich Teil des Bestandes und nicht
Teil der Maschine wird laumlsst ihn das historische Tier sein (2)
Der Mensch ist auswechselbar innerhalb des Bestellens von Bestand []Gleichwohl gehoumlrt der Mensch in einer voumlllig anderen Weise in das Ge-Stellals die Maschine DieseWeise kann unmenschlich werden DasUnmenschlicheist jedoch immer noch unmenschlich Der Mensch wird nie zur MaschineDas Unmenschliche und noch Menschentuumlmliche ist freilich unheimlicherweil boumlsartige und verhaumlngnisvoller denn der Mensch der nur Maschine wauml-re175
Wen Heidegger hier ersinnt ist der neuzeitliche Mensch der den bdquoGoumlttern uner-
traumlglich gewordenldquo176 waumlre
170 Ebd171 GA 95 S 351172 In Heidegger Die Technik und die Kehre S 21 stellt er Geschichte und Historie einander
gegenuumlber was er in Das Ge-Stelllsquo nicht vollzieht bdquoDie moderne Technik kam doch erst inden Gang als sie sich auf die exakte Naturwissenschaft stuumltzen konnte Historisch gerechnetbleibt dies richtig Geschichtlich gedacht trifft es nicht das Wahreldquo Signifikant fuumlr Heideg-gers Attributierung so wie sie oben schon geschildert ist steht Historie fuumlrs Rechnen undGeschichte fuumlr das Denken
173 GA 97 S 508174 GA 79 S 44175 GA 79 S 37176 GA 94 S 236
41
323 Die Gefahrlsquo
Aus Heideggers Darlegung uumlber das Ge-Stell erschlieszligen sich seine diversen Fa-
cetten der Vorstellung einer Abstandslosigkeit schaffenden Technik Dass die Ab-
standslosigkeit dem Prinzip des Gevierts des Zusammengestellten entgegensteht
bekommt im Vortrag Die Gefahrlsquo Nachdruck Die mythopoetische Erzaumlhlung
knuumlpft an den Vortrag Das Dinglsquo an mit den Mythologemene 1 Der Mythos
des geschichtlich sein muumlssens 2 der Mythos des Goumlttlichen 3 das geschichtsbe-
sinnliche Prinzip der Aletheia Zudem wird im Prozess des Vortrags das Ge-Stell
zur Gefahr stilisiert was einen eigenen Mythos erschafft
Durch das bdquouniversale Bestellen des Ge-Stellsldquo177 werde die naumlhernde Naumlhe des
Dings verwehrt Wie im Vortrag Das Dinglsquo fuumlhrt Heidegger das Wesentliche sei-
ner Theorie auf die deutsche und altgriechische Sprache zuruumlck Die so vollzoge-
ne Annaumlherung von Schwarzwaumllderischem Dialekt und Altgriechisch entspricht
Heideggers Traum von dem bdquogeschichtliche[n] Geburtsort des abendlaumlndischen
Wesensldquo178 den seine Heimat von Todtnauberg bis Freiburg stiften sollte (1)
es ist das Geistvolle und zugleich das erdenhafte schoumlne Land Es birgt un-sichtbaren Reichtum dem Gemuumlt bewahret tiefstes Dichten und houmlchsteGestalt der Sage179
Unter diesem Vorzeichen also sagt Heidegger
Das Ge-Stellwesen laumlszligt das Ding ohne die Wahr Das Wort die Wahrlsquo be-deutet in unserer Sprache dort wo sie noch urspruumlnglich spricht die HutIn unserer schwaumlbischen Mundart meint das Wort die Wahrlsquo die der muumlt-terlichen Hut anvertrauten Kinder Das Ge-Stell laumlszligt in seinem Stellen dasDing ohne die Hut ndash ohne die Wahr seines Dingwesens180
Diese in Bremen vorgetragene Heimatkunde ist auch Heideggers Sorge ge-
schuldet durch die Besatzermaumlchte und deren kulturellen Einfluss auch durch
die nun moumlgliche Oumlffnung Deutschlands zu einem Austausch mit der Welt das
eigene Wesen zu verlieren So schreibt er 1945-1947() in seine Schwarzen Hefte
177 GA 79 S 46178 GA 97 S 54179 Ebd180 GA 79 S 46
42
Das Schwerste und Fragwuumlrdigste unseres Geschickes ndash beruht darin ob wirdas Eigene finden und huumlten [] unter den anderen Voumllkernlsquo [] Scheinund Vorwand der Macht daszlig man unsere eigene Aufgabe bringen will []als Entmachtete aufgenommen zu sein in den Weltmachenschaftsbetrieb181
Es gaumlbe nach Heidegger also das Welten von Welt und die Verweigerung von
Welt aus derVerwahrlosung des Dings durch das Ge-Stell bzw die Technik182 Welt
ist nach dem Konzept des schwaumlbischen Denkers nichts weniger als das Geviert
Bei der folgenden mythopoetischen Zusammenstellung von dem Geviert mit alt-
griechischen Vokabeln um den Seins-Begriff wird das Aletheia-Prinzip eingefuumlhrt
Somit fuumlhrt uumlber den Mythos des Goumlttlichen (2) der Weg zur Wahrheit eben als
geschichtsbesinnlich erfahrene Aletheia (3)
Welt ist das Geviert von Erde und Himmel Goumlttlichen und SterblichenDas Spiegel-Spiel der Vierung wahrt alles was in ihm dingend zwischenden Vier anwest und abwest in das einende Ganze seines Anwesens Vonaltersher heiszligt das Anwesen des Anwesenden τὸ ὲόν das Seiend [sic] τὸεἶναι das Sein naumlmlich der ὲόντα des Seinenden das esse entium183
Diese Welt waumlre nun bdquoWahrnis des Wesens von Sein Statt Wahrnis sagen wir auch
Wahrheitldquo184 Die Welt mythopoetisch als Spiegel-Spiel des Gevierts und durch
eine altgriechische Brille betrachtet waumlre die wahre Welt Somit wird die Wahr-
heitsschau gebunden einen antiken Goumltterglauben und abendlaumlndische Sprachkas-
kaden vom Dialekt zum Altgriechisch
Das Problem mit der wahren Welt waumlre allerdings dass sie sich in die Ver-
borgenheit entziehe Naumlher betrachtet ist aber die Verborgenheit Bedingung des
Entbergens was Heidegger notwendig macht zu einem wuumlrdigen Lebensvollzug
in Harmonie mit dem Sein Durch solche Wesensschau waumlre der Mensch befaumlhigt
jederzeit die verstellenden Maumlchte des Ge-Stells (der Technik) zu uumlberwinden und
teilhaftig am Wesen der Welt zu werden
181 GA 97 S 99182 Vgl GA 79 S 47183 GA 79 S 48 (Die griechischen Vokabeln werden hier keiner Uumlbersetzung unterzogen Da
Heidegger ohnehin keine philologische Schaumlrfe anwenden will ist es fuumlr die Zwecke hierausreichend sie mit seiner Uumlbersetzung zu betrachten Heidegger spricht von bdquoAchten aufdas Griechischeldquo was schwieriger waumlre als klassische Philologie (vgl GA 79 S 63)
184 Ebd
43
Welt bleibt in der Verborgenheit (Αήθη) auf die Weise daszlig diese ihre Ver-borgenheit gerade eine Unverborgenheit gewaumlhrt die Αλήθεια185
Die Αλήθεια haumltte allerdings auch eine Rolle uumlber die subjektive hinaus da nur
durch ihren Vollzug Seinsgeschichte gewaumlhrt wuumlrde Das ist der Anspruch den
Heidegger an sein Auditorium stellt gemeinsam geschichtlich sein zu muumlssen (1)
Die Αλήθεια ist das Geschick des Seins als welches Geschick sich die Fuumllleder Seinsgeschichte in ihre Epochen fuumlgt186
Mit dem Ge-Stell als Wesen der modernen Technik waumlre die Aletheia aller-
dings hochgradig gefaumlhrdet Denn ohnehin waumlre die Aletheia prinzipiell der Ge-
fahr der Vergessenheit ausgesetzt Doch das Ge-Stell haumltte die Kraft die bdquovollende-
te Vergessenheit der Wahrheit des Seinsldquo187 zu vollrichten
Indem das Ge-Stell alles Anwesende in den Bestand bestellt setzt das Ge-Stell das Anwesen des Anwesenden heraus aus seiner Wesensherkunft ausder Αλήθεια188
Diese Versetzung des beteiligten Wesens aus der Moumlglichkeit des Wahrheitsprin-
zips heraus markiert Heidegger dann mit der Schreibweise Seyn (mit bdquoyldquo) Wie
bei dem Vortrag Das Dinglsquo koumlnnen ethymologische Abstammungen sein Sys-
tem anreichern Da wo es um das Wortfeld des Stellens geht Ge-Stell Bestellen
Verstellen ist auch das NachstellenMitglied der Familie
Im Althochdeutschen heiszligt nachstellen fara Das in sich gesammelte Stellenals Nachstellen ist die Gefahr Der Grundzug des Wesens der Gefahr ist dasNachstellen Insofern das Sein als das Ge-Stell sich selbst mit der Vergessen-heit seines Wesens nachstellt ist das Seyn als Seyn die Gefahr seines eigenenWesens189
Damit wuumlrde sich durch die Verringerung der Selbstreflexion im Seyns-Bestand
eine Schwachstelle auftun in die der denkbegabte und aletheiafaumlhige Mensch ei-
ne Moumlglichkeit haben das Seyn zum Sein zuruumlckzuwandeln ndash also wieder in ein
185 GA 79 S 49186 Ebd187 GA 79 S 53188 GA 79 S 52189 GA 79 S 53
44
wesentliches Verhaumlltnis zum bdquoDingldquo zu gelangen in dem das Geviert wieder die
Harmonie herstellt Allerdings faumlnde bis zu solch einer Nachstellung eine Ver-
sieglung des Seynsbestandes statt Und Heidegger beklagt dass die Erreichung der
Ruumlckeroberung des Seins uumlber die Nachstellung nicht stattfaumlnde und stattdessen
die Irre regieren wuumlrde190
In dieser Irre stuumlnde dem Menschen nicht einmal mehr zu zu sterben Denn
bdquoSterben [] heiszligt den Tod in sein Wesen austragenldquo191 Somit waumlren die Opfer
die in den KZs umkamen wie er sie in Das Dinglsquo bereits schildert nicht vermouml-
gend gewesen zu sterben bdquoSie werden Bestandstuumlcke eines Bestandes der Fabrika-
tion von Leichen [] Sie werden in Vernichtungslagern unauffaumlllig liquidiertldquo192
Das vermoumlge die Gefahr zu bewirken Der Mensch wuumlrde des eigenen Sterbens
beraubt da er keine Verbindung mehr zur Wahrheit der Welt haumltte Um den rich-
tigen Tod zu sterben muumlsse der Mensch die Aletheia schauen koumlnnen Insofern ist
Heideggers Prinzip ein religioumls anmutendes Wie in der christlichen Vorstellung
der Mensch im Jenseits an seinen Taten gemessen wird um Paradies oder Fege-
feuer zu besuchen soll nach Heidegger der Mensch waumlhrend des Sterbens mit
sich selbst ins Gericht gehen Er soll sich rein machen vom Ge-Stell der Technik
und dem Seyn um nicht die einmalge Gelegenheit des richtigen Sterbevollzugs
zu versaumlumen Es winken gemaumlszlig des Gevierts die himmlischen Goumlttlichen den
irdischen Sterblichen zu wobei annehmbar ist dass Heidegger Sterblichen die
die Aletheia erkennen einen Goumlttlichkeitsstatus beimessen moumlchte ndash eine Erlouml-
sungsphantasie
Genau diese Erloumlsung waumlre die Technik nicht
Ohne den Schritt des Denkens zu wagen der unser Menschenwesen demWesen der Technik [] aussetzt wuumlrgt man sich von Fall zu Fall von Lagezu Lage durch die Zwiespaumlltigkeiten hindurch Und genau durch dieses Ge-wuumlrge versaumlumt man die Moumlglichkeit dessen was man im Grunde erstrebtdie Technik durch menschliches Tun zu meistern und menschenwuumlrdig zulenken193
190 Vgl GA 79 S 55191 GA 79 S 55192 GA 79 S 56 Weil Heidegger im Judentum die Verantwortlichen fuumlr das Geraffe des Ge-Stells
sieht macht er sie gleichsam verantwortlich fuumlr die bdquoSelbstvernichtungldquo Die Seinsverges-senheit im Tode wird dadurch zum Spin-off der vermeintlich juumldisch erzeugten da machen-schaftlichen KZ-Maschinerie (Vgl GA 97 S 20f)
193 GA 79 S 59
45
Trost und Richtung findet Heidegger schlieszliglich abermals bei den alten Griechen
Das Wort stellenlsquo entspricht dem griechischen ϑέσις vorausgesetzt daszlig wirϑέσις griechisch denken Was heiszligt in diesem Falle griechisch denkenlsquo Esheiszligt darauf achten welche Lichtung desWesens des Seyns in welcherWeisedas Dasein der alten Griechen in den Anspruch genommen hat heiszligt imvoraus bedenken in welchem Geschick welcher Unverborgenheit des Seinsdie Griechen standenldquo194
Das sind Vorstellungen des Neuen Anfangs eine Reminiszenz der griechisch anti-
ken Welt Ein Eintrag aus den Schwarzen Heften von etwa 1945-47 () verdichtet
wie oben bereits aufgezeigt die Phantasie griechisch zu sein zu einem gelingenden
Lebensvollzug
Das reine Wesen des Griechentums dh das Seiende inmitten dessen dieGriechen als seiende fremd gewesen dieses und sie selbst und der Bezug desSeins zu ihnen ndash in der einfachen Wesung von der ἀλήθεια her zeigen underfahren Den μῦθος und λόγος ndash jedes Wort und Gebild rein aber nichterzwungen und schematisch-pedant ndash aus ἀλήθεια erfahren195
Hier zeigt sich auch dass Heidegger per se das Aletheia-Prinzip fuumlr notwendig
hielt um ins Licht der Wahrheit zu blicken Die Griechen sind ihm hier deshalb
Vorbild und rein da sie keiner modernen Technik und dem Ge-Stell ausgesetzt
waren sondern lediglich eine mythopoetische Verbindung zum Sein herstellen
mussten um wesentlich zu sein und Seinsgeschichte zu schreiben Die Dinge und
das Spiegel-Spiel des Gevierts waumlren ihnen geschickt zuhanden gewesen196 Hei-
degger macht schlieszliglich sehr deutlich dass das Griechische zu denken ein bei
weitem anderes Geschaumlft sei als philologische Praumlzision
Ein Echo zu sein naumlmlich dem Anspruch des Seins verlangt eine Sorgfaltder Sprache von der freilich der technisch-terminologische Sprachstil derWissenschaften uumlberhaupt nichts wissen kann Die Intentionalitaumlt der wis-senschaftlichen Sprache ist der staumlrkste Beweis fuumlr ihre Boden- und Heimat-losigkeit [] Das Heimische einer hohen Sprache gedeiht nur im Bereichdes unheimlichen Anspruchs der wesenhaften Stille im Wesen des Seyns197
194 GA 79 S 62f195 GA 97 S 20196 Hingegen waumlre das Judentum verantwortlich fuumlr das Ge-Stell fuumlr das Prinzip der Zerstoumlrung
wie es auf der selben Seite der Schwarzen Hefte darunter heiszligt (vgl ebd)197 GA 79 S 66 Die Bedeutung von Seyn als verstelltes Sein oder Bedingung zum Schauen
des wahren Seins ist verwirrend Einer genaueren Analyse wird aus Platzgruumlnden hier nichtnachgegangen
46
324 Die Kehrelsquo
Der letzte Vortrag ist mit nur neun Seiten der Kuumlrzeste des Vortragsgevierts
Nach dem Verlust des Dinges als Ding und der damit einsetzenden Abstandslosig-
keit als Wesen des Ge-Stells wobei die Gefahr zudem der Vergessenheit des Seyns
nachstellt bietet Heidegger eine Perspektive an
Im Wesen der Gefahr verbirgt sich [] die Moumlglichkeit einer Kehre in derdie Vergessenheit des Wesens des Seins sich so wendet daszlig mit dieser Kehredie Wahrheit des Wesens des Seyns in das Seiende eigens einkehrt198
Diese Moumlglichkeit bedeute nicht dass der Mensch sich der Gefahr selbst stellen
koumlnnte sie waumlre passiv ndash bdquoverbirgt sichldquo Die Kehre werde sich ereignen aumlhnlich
einer Erwartung an den Messias
Die Anwesenheit der Gefahr wuumlrde automatisch die Rettung bergen Denn
Houmllderlin haumltte geschrieben bdquoWo aber Gefahr ist waumlchst [d]as Rettende auchlsquoldquo199
Etwa 1945 notiert Heidegger in seine Schwarzen Hefte bdquoDie Wahrheit erfahren
wir im Gedaumlchtnis Das Gedaumlchtnis ist die Dichtungldquo200 (so) Von dieser War-
te aus ausgestattet mit Erinnerungen an das abendlaumlndische Dichten mit dem
Wissen um das Aletheia-Prinzip und passiv als denkender Huumlter des Seyns solle
der Mensch das Ereignis erwarten das ihn bdquoloumlsen freimachen freyen schonen
bergen in die Hut nehmen wahrenldquo201 wuumlrde (siehe S 43)
Dieses Ereignis waumlre der Blitz Ein unvermittelter jaumlher ploumltzlicher Moment
von kurzer Dauer der bloszlig einen ebenso kurzen Blick auf das wahre Wesen er-
lauben wuumlrde Abschlieszligend ist dies das Rezept gegen die Bestands bestellende
Technik in mythopoetischer Formulierung
So entsprechend ist der Mensch geeignet daszlig er im gewahrten Element vonWelt als der Sterbliche dem Goumlttlichen entgegenblickt Anders nicht dennauch der Gott ist wenn er ist ein Seiender steht als Seiender im Seyn unddessen Wesen das sich aus dem Welten von Welt ereignet202
198 GA 79 S 71199 GA 79 S 72200 GA 97 S 52f201 GA 79 S 72202 GA 79 S 76
47
Wenn Heidegger im Anschluss von der bdquohistorisch-technischen Darstellungldquo re-
det so ist dies die Abwehr der Wissenschaften (auch der Philosophie203) und ein
Appell an die Antirationalitaumlt des Mythos bdquokein historisches Vorstellen der Ge-
schichte als Geschehen bringt in den schicklichen Bezug zum Geschickldquo204
Damit das Blitzen erfahren werde als kurze Wesensschau der Aletheia muumlsse
dem wahren abendlaumlndischen und heimatlichen Ereignis stattgegeben werden Es
sollte nicht wie er 1939 schon in den Schwarzen Heften beschreibt das
kuumlnstliche Licht von Historie und Technik in der weder Mensch noch dieGoumltter weder eineWelt noch die Erde sichtbar werden koumlnnen wo aber dasLebenlsquo von allen den immer noch zu wenigen Meistenlsquo erlebtlsquo wird205
Damit schlieszligt der letzte Vortrag mit einer Erwartung an das Ereignis des Blit-
zens nicht das Erleben der Besinnungslosigkeit (vgl Das Ge-Stelllsquo) Schon 1947
traumlumt Heidegger von solcher Umkehr
Aus der Kehre der Seynsvergessenheit aber ereignet sich das Unumgaumlnglicheden Acker der Welt erst zu pfluumlgen und saatbereit der Sonne und dem Regenund den Voumlgeln des Himmels uumlberlassen206
203 Denn ldquo[e]igentlich denken heiszligt [] die Philosophie verlassen [] beim Sagen des Seinslsquoldquo(GA 97 S 60)
204 Ebd205 GA 95 S 427 Gegen das Erlebnis und Erleben straumlubt sich Heidegger besonders So notiert
er etwa 1939 bdquoZeitalter der Techniklsquo macht gerade die Techniklsquo nicht zum Ziel sondernimmer mehr zum Mittel der besinnungslosen Berechnung [] der Mensch [] das Erleb-nislsquo [] Erleben als der Gefuumlhlsgenuszligldquo (GA 95 S 149) Wie auch bdquoWo beide Historie undTechnik in solcher scheinbaren Gegensaumltzlichkeit verkoppelt sind koumlnnen sie sich zur Foumlr-derung dessen zusammenschlieszligen was einstmals wesentlich die Geschichte des Menschenmitbegruumlndete und was wir die Kunstlsquo nennen Die Historie verschafft [] Anregungenund Vorbilder der Nachahmung die Technik erleichtert [] die Zustellung von Darstel-lungsmitteln und Wirkungsformen [] Gleichwohl ist alles wurzellos [] berechnet und alsErlebnislsquo ausgegebenldquo (GA 95 S 212)
206 GA 97 S 511
48
4 Konklusion
Der umstrittene Philosoph Martin Heidegger hat uumlber die 1930erndash40er Jahre
hinweg eine ausgepraumlgte voumllkisch-nationale und bisweilen radikal-antisemitische
Denkweise entwickelt Dieses Denken fasste er auch auf als Besinnung und stellt
es der Philosophie und Wissenschaft diametral entgegen In Kapitel 2 wird aufge-
zeigt dass sowohl Heideggers Mythologie bereits kritisiert wurde (Adorno Cassi-
rer Meyer) als auch seine Mythopoetik bewundert (Schulz-Nieswandt) Kapitel
3 will daruumlber hinaus aufzeigen wie Heidegger eine eigene Mythologie mytho-
poetisch fruchtbar macht was sich von beiden vorigen Ansaumltzen unterscheidet
und erst mit der Veroumlffentlichung der Schwarzen Hefte ab 2014 nachvollziehbar
wurde
Umso mehr bietet die mythopoetische Verbindung von bdquoDichten und Den-
kenldquo (so) einen antitechnischen Gegenpol Denn Heidegger fasst wie oben ge-
schildert alles Rationale auf als berechnende Bestellung des Bestands im Sinne
der Technik Daruumlber hinaus fordert er mit dem Aletheia-Prinzip (als metapho-
risch gefasstes Ereignis des Blitzens) einen Mitvollzug seiner mythopoetischen
Kontemplation in dem religioumlse voumllkische antike und sprachliche Motive zu-
sammenfallen
Obwohl schon von Heidegger selbst nicht mehr als Philosophie betrachtet
hat seine Rede vom Ding dem Ge-Stell dem Wesen der Technik und der Kehre
noch immer einen bedeutenden Einfluss auf die Technikphilosophie So betont
Alfred Nordmann in bdquoWerkwissen oder How to express things in worksldquo (2008)
dass Heidegger mit Das Dinglsquo eine Art Dingwissen geschaffen haumltte In seinem
2012 erschienenen Aufsatz Another parting of the ways Intersubjectivity and the
objectivity of sciencersquo207 geht Nordmann ein weiteres Mal auf Heideggers Ding
ein Dieses waumlre eine Abarbeitung an dem Ding Kants womit auch Nordmann
Heidegger als einen Interpreten Kants versteht208 Anschlieszligend anMichael Fried-
207 Nordmann Alfred Another parting of the ways Intersubjectivity and the objectivity ofscience In Studies in History and Philosophy of Science 43 (2012) 38ndash46
208 Die Auseinandersetzung mit dem Ding wuumlrde nach Nordmann in Heideggers GA mit demText Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalen Grundsaumltzenlsquoeinsetzen (GA 41 Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalenGrundsaumltzen)
49
man spricht sich Nordmann ebenso dafuumlr aus dass Heidegger neben Rudolf Car-
nap und Ernst Cassirer eine neokantianische Philosophie verfolgt haumltte (siehe
Kap 1)209
Nach Nordmann haumltte Heidegger in seinen anschlieszligenden Gedanken uumlber
das Ding als Fortfuumlhrung Kants als erster Wissenschaft als angewandte Techno-
logie verstanden210 Diese Interpretation stuumltzt sich auf die gleichen Symbole
Metaphern und Mythen die die vorliegende Arbeit analysiert Das Ge-Stell ist
insofern aumlquivok mit dem Begriff techno-science Jedoch sind in dieser Fruchtbar-
machung von Heideggers Denken der Technik dessen nationalistischen rassisti-
schen und antisemitischen Implikationen die die vorliegende Arbeit als Zentrum
dessen Philosophie ermitteln konnte noch nicht beachtet worden koumlnnen211
Andreas Luckner webt Heideggers Ding-Entwurf weiter als verantwortliches
Sorgen um die Dinge212 Er geht dabei mit Heidegger voumlllig konform und tritt
eher als eine Art Bote der Ding-Botschaft auf als diese moumlglicherweise zu kriti-
sieren was sich diesen Artikel wie ein Kapitel aus einem Studienbuch lesen laumlsst
Der Darmstaumldter Technikphilosoph Christoph Hubig ist vor allem Kritiker Hei-
deggers Argumentationen laumlsst aber zuweilen diverse Topoi aus dem Werk des
Technik-Denkers durchscheinen ohne sie weiter zu reflektieren
So konstatiert Hubig Heidegger verfehle in dessen Auseinandersetzung mit
Aristoteles Lehre von der Poiesis zum Punkt der Sicherung wie sie in Die Frage
nach der Techniklsquo behandelt wird bdquodie operative Seite des Technischenldquo bei Aris-
totels213 In einem spaumlteren Aufsatz allerdings stuumltzt er sich ohne weitere Erlaumlute-
rungen auf Heideggers Begriff der Sicherung aus Die Frage nach der Techniklsquo214
209 Diese Befriedung paradigmatischer Umstaumlnde wird hier nicht geteilt Eine weitere Bearbeitunglaumlsst der Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht zu
210 Vgl Nordmann Another parting of the ways S 45211 Der Aussage dass Heideggers Ding-Begriff kantianisch waumlre muumlsste einer gezielten Untersu-
chung unterzogen werden genau wie die Behauptung insgesamt dass Heidegger oder inwie-weit dieser noch der suumlddeutschen Kantschule des 1920 Jahrhunderts angehoumlrte
212 Vgl Luckner Andreas Ding und Bestand Heidegger und das Wesen neuzeitlicher TechnikIn Gamm G Gehring P Hubig C Kaminski A und Nordmann A Ding und SystemS 15-30 hier S 29
213 Hubig Christoph Die Kunst des Moumlglichen Technikphilosophie als Reflexion der MedialitaumltBielefeld 2006 S 103
214 Vgl Hubig Christoph Technik als Medium In Grundwald Armin (Hg) Handbuch Tech-nikethik Stuttgart 2013 S 118-123 hier S 118
50
Dabei versteht Hubig Heideggers Betrachtungen zum Umgang mit der Technik
als gelassen
Fuumlr Heidegger liegt die Andersheit im Entbergen einer Wahrheit des Seinseines Geschicks von dem die Entwicklung der Technik hin zum Gestellkuumlnde Er verbindet dies mit dem Appell jenseits des rechnenden und si-chernden Vorstellens technischer Vollzuumlge als handlungsleitender Program-me sich gelassenlsquo dieser Entwicklung zu uumlberantworten und ein Seinlsquo zuhuumlten das sich als solches eben entbirgt Das Rettendelsquo dieser Einsicht lie-ge darin dass unsere individuelle Endlichkeit insofern transzendiert wirdals sie sich dem sie uumlbersteigenden Prozess aufschlieszligt und sich selbst relati-viert215
Wovon in diesem Zitat nicht die Rede ist ist der Mitvollzug der mythopoe-
tischen Rahmenbedinungen die Heidegger einfordert und an dem die Konzep-
te Abendland und voumllkische Tradition haumlngen In dieser Arbeit wird davon aus-
gegangen dass Heideggers Technikphilosophie-erzaumlhlung sich nicht von seinen
Absichten der Bekaumlmpfung des Technischen loumlsen laumlsst Die Relativierung ist in-
sofern nicht an den Prozess gebunden und damit emergent auf alles hin ausge-
richtet was kommen mag sondern houmlchst konvergent in einer Besinnung auf
Mythen von dem Ding und dem Geviert mit all deren Valenzen aus dem vorlie-
genden Heideggerschen Textkorpus Die individuelle Endlichkeit ist genoumltigt die
Heimat und das Abendland zu kennen und im Aletheia-Prinzip umzusetzen
Die Neubewertung der bislang bekannten Heideggerschen Technikphiloso-
phie von vor den SchwarzenHeften ist ein dringendes Desiderat Voumllkisch-nationale
Gruppierungen erstarken momentan in ganz Europa und es koumlnnte sehr hilfreich
sein aumlhnliche Denkstrukturen aufzudecken so wie sie zwischen den 1930er und
40er Jahren entwickelt wurden Zusaumltzlich muss das Werk Heideggers einer kriti-
schen Revision schon aufgrund der niemals von ihm behandelten Antisemitismen
unterzogen werden Heidegger hat nie zu diesen Stellung bezogen
Daruumlber hinaus ist das Thema Mythos und Philosophie ein weiterhin not-
wendiger Bereich der philosophischen Forschung In einem Bereich auszligerhalb
der exakten Wissenschaften und ohne klare theologische Tradition ist die Philo-
215 Hubig Die Kunst des Moumlglichen S 140
51
sophie beides sowohl Aufklaumlrer und antimythisch als auch Quelle fuumlr mythisches
Denken und affektierende Motive
52
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Die_Heidegger-Kontroverse ndash zuletzt abgerufen am 24042016)
56
Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
Der Unterzeichner versichert dass er die vorliegende Bachelorarbeit selbststaumlndig
verfasst und keine anderen als die von ihm angegebenen Hilfsmittel benutzt hat
Die Stellen der Arbeit die anderen Werken dem Wortlaut oder dem Sinne nach
entnommen sind wurden in jedem Fall unter Angabe der Quellen (einschlieszliglich
des World Wide Web und anderer elektronischer Text- und Datensammlungen)
kenntlich gemacht Dies gilt auch fuumlr beigegebene Zeichnungen bildliche Dar-
stellungen Skizzen und dergleichen
Darmstadt 25 April 2016
__________________________
(Eigenhaumlndige Unterschrift)
- Abkuumlrzungsverzeichnis
- Danksagung
- Einleitung
- Heideggers mythopoetisches Programm
-
- Zu den Begriffen Mythos Mythologie und Mythopoetik
-
- Ein Beispiel fuumlr ein Mythologem
-
- Heideggers Mythen
-
- Formen der Mythologie
-
- Heideggers mythopoetische Technik
-
- Zur Publikationsgeschichte von den Bremer Vortraumlgen 1949
- Die mythopoetische Spiegelung der Schwarzen Hefte
-
- Das Dinglsquo
- Das Ge-Stelllsquo
- Die Gefahrlsquo
- Die Kehrelsquo
-
- Konklusion
- Literaturverzeichnis
- Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
-
41
323 Die Gefahrlsquo
Aus Heideggers Darlegung uumlber das Ge-Stell erschlieszligen sich seine diversen Fa-
cetten der Vorstellung einer Abstandslosigkeit schaffenden Technik Dass die Ab-
standslosigkeit dem Prinzip des Gevierts des Zusammengestellten entgegensteht
bekommt im Vortrag Die Gefahrlsquo Nachdruck Die mythopoetische Erzaumlhlung
knuumlpft an den Vortrag Das Dinglsquo an mit den Mythologemene 1 Der Mythos
des geschichtlich sein muumlssens 2 der Mythos des Goumlttlichen 3 das geschichtsbe-
sinnliche Prinzip der Aletheia Zudem wird im Prozess des Vortrags das Ge-Stell
zur Gefahr stilisiert was einen eigenen Mythos erschafft
Durch das bdquouniversale Bestellen des Ge-Stellsldquo177 werde die naumlhernde Naumlhe des
Dings verwehrt Wie im Vortrag Das Dinglsquo fuumlhrt Heidegger das Wesentliche sei-
ner Theorie auf die deutsche und altgriechische Sprache zuruumlck Die so vollzoge-
ne Annaumlherung von Schwarzwaumllderischem Dialekt und Altgriechisch entspricht
Heideggers Traum von dem bdquogeschichtliche[n] Geburtsort des abendlaumlndischen
Wesensldquo178 den seine Heimat von Todtnauberg bis Freiburg stiften sollte (1)
es ist das Geistvolle und zugleich das erdenhafte schoumlne Land Es birgt un-sichtbaren Reichtum dem Gemuumlt bewahret tiefstes Dichten und houmlchsteGestalt der Sage179
Unter diesem Vorzeichen also sagt Heidegger
Das Ge-Stellwesen laumlszligt das Ding ohne die Wahr Das Wort die Wahrlsquo be-deutet in unserer Sprache dort wo sie noch urspruumlnglich spricht die HutIn unserer schwaumlbischen Mundart meint das Wort die Wahrlsquo die der muumlt-terlichen Hut anvertrauten Kinder Das Ge-Stell laumlszligt in seinem Stellen dasDing ohne die Hut ndash ohne die Wahr seines Dingwesens180
Diese in Bremen vorgetragene Heimatkunde ist auch Heideggers Sorge ge-
schuldet durch die Besatzermaumlchte und deren kulturellen Einfluss auch durch
die nun moumlgliche Oumlffnung Deutschlands zu einem Austausch mit der Welt das
eigene Wesen zu verlieren So schreibt er 1945-1947() in seine Schwarzen Hefte
177 GA 79 S 46178 GA 97 S 54179 Ebd180 GA 79 S 46
42
Das Schwerste und Fragwuumlrdigste unseres Geschickes ndash beruht darin ob wirdas Eigene finden und huumlten [] unter den anderen Voumllkernlsquo [] Scheinund Vorwand der Macht daszlig man unsere eigene Aufgabe bringen will []als Entmachtete aufgenommen zu sein in den Weltmachenschaftsbetrieb181
Es gaumlbe nach Heidegger also das Welten von Welt und die Verweigerung von
Welt aus derVerwahrlosung des Dings durch das Ge-Stell bzw die Technik182 Welt
ist nach dem Konzept des schwaumlbischen Denkers nichts weniger als das Geviert
Bei der folgenden mythopoetischen Zusammenstellung von dem Geviert mit alt-
griechischen Vokabeln um den Seins-Begriff wird das Aletheia-Prinzip eingefuumlhrt
Somit fuumlhrt uumlber den Mythos des Goumlttlichen (2) der Weg zur Wahrheit eben als
geschichtsbesinnlich erfahrene Aletheia (3)
Welt ist das Geviert von Erde und Himmel Goumlttlichen und SterblichenDas Spiegel-Spiel der Vierung wahrt alles was in ihm dingend zwischenden Vier anwest und abwest in das einende Ganze seines Anwesens Vonaltersher heiszligt das Anwesen des Anwesenden τὸ ὲόν das Seiend [sic] τὸεἶναι das Sein naumlmlich der ὲόντα des Seinenden das esse entium183
Diese Welt waumlre nun bdquoWahrnis des Wesens von Sein Statt Wahrnis sagen wir auch
Wahrheitldquo184 Die Welt mythopoetisch als Spiegel-Spiel des Gevierts und durch
eine altgriechische Brille betrachtet waumlre die wahre Welt Somit wird die Wahr-
heitsschau gebunden einen antiken Goumltterglauben und abendlaumlndische Sprachkas-
kaden vom Dialekt zum Altgriechisch
Das Problem mit der wahren Welt waumlre allerdings dass sie sich in die Ver-
borgenheit entziehe Naumlher betrachtet ist aber die Verborgenheit Bedingung des
Entbergens was Heidegger notwendig macht zu einem wuumlrdigen Lebensvollzug
in Harmonie mit dem Sein Durch solche Wesensschau waumlre der Mensch befaumlhigt
jederzeit die verstellenden Maumlchte des Ge-Stells (der Technik) zu uumlberwinden und
teilhaftig am Wesen der Welt zu werden
181 GA 97 S 99182 Vgl GA 79 S 47183 GA 79 S 48 (Die griechischen Vokabeln werden hier keiner Uumlbersetzung unterzogen Da
Heidegger ohnehin keine philologische Schaumlrfe anwenden will ist es fuumlr die Zwecke hierausreichend sie mit seiner Uumlbersetzung zu betrachten Heidegger spricht von bdquoAchten aufdas Griechischeldquo was schwieriger waumlre als klassische Philologie (vgl GA 79 S 63)
184 Ebd
43
Welt bleibt in der Verborgenheit (Αήθη) auf die Weise daszlig diese ihre Ver-borgenheit gerade eine Unverborgenheit gewaumlhrt die Αλήθεια185
Die Αλήθεια haumltte allerdings auch eine Rolle uumlber die subjektive hinaus da nur
durch ihren Vollzug Seinsgeschichte gewaumlhrt wuumlrde Das ist der Anspruch den
Heidegger an sein Auditorium stellt gemeinsam geschichtlich sein zu muumlssen (1)
Die Αλήθεια ist das Geschick des Seins als welches Geschick sich die Fuumllleder Seinsgeschichte in ihre Epochen fuumlgt186
Mit dem Ge-Stell als Wesen der modernen Technik waumlre die Aletheia aller-
dings hochgradig gefaumlhrdet Denn ohnehin waumlre die Aletheia prinzipiell der Ge-
fahr der Vergessenheit ausgesetzt Doch das Ge-Stell haumltte die Kraft die bdquovollende-
te Vergessenheit der Wahrheit des Seinsldquo187 zu vollrichten
Indem das Ge-Stell alles Anwesende in den Bestand bestellt setzt das Ge-Stell das Anwesen des Anwesenden heraus aus seiner Wesensherkunft ausder Αλήθεια188
Diese Versetzung des beteiligten Wesens aus der Moumlglichkeit des Wahrheitsprin-
zips heraus markiert Heidegger dann mit der Schreibweise Seyn (mit bdquoyldquo) Wie
bei dem Vortrag Das Dinglsquo koumlnnen ethymologische Abstammungen sein Sys-
tem anreichern Da wo es um das Wortfeld des Stellens geht Ge-Stell Bestellen
Verstellen ist auch das NachstellenMitglied der Familie
Im Althochdeutschen heiszligt nachstellen fara Das in sich gesammelte Stellenals Nachstellen ist die Gefahr Der Grundzug des Wesens der Gefahr ist dasNachstellen Insofern das Sein als das Ge-Stell sich selbst mit der Vergessen-heit seines Wesens nachstellt ist das Seyn als Seyn die Gefahr seines eigenenWesens189
Damit wuumlrde sich durch die Verringerung der Selbstreflexion im Seyns-Bestand
eine Schwachstelle auftun in die der denkbegabte und aletheiafaumlhige Mensch ei-
ne Moumlglichkeit haben das Seyn zum Sein zuruumlckzuwandeln ndash also wieder in ein
185 GA 79 S 49186 Ebd187 GA 79 S 53188 GA 79 S 52189 GA 79 S 53
44
wesentliches Verhaumlltnis zum bdquoDingldquo zu gelangen in dem das Geviert wieder die
Harmonie herstellt Allerdings faumlnde bis zu solch einer Nachstellung eine Ver-
sieglung des Seynsbestandes statt Und Heidegger beklagt dass die Erreichung der
Ruumlckeroberung des Seins uumlber die Nachstellung nicht stattfaumlnde und stattdessen
die Irre regieren wuumlrde190
In dieser Irre stuumlnde dem Menschen nicht einmal mehr zu zu sterben Denn
bdquoSterben [] heiszligt den Tod in sein Wesen austragenldquo191 Somit waumlren die Opfer
die in den KZs umkamen wie er sie in Das Dinglsquo bereits schildert nicht vermouml-
gend gewesen zu sterben bdquoSie werden Bestandstuumlcke eines Bestandes der Fabrika-
tion von Leichen [] Sie werden in Vernichtungslagern unauffaumlllig liquidiertldquo192
Das vermoumlge die Gefahr zu bewirken Der Mensch wuumlrde des eigenen Sterbens
beraubt da er keine Verbindung mehr zur Wahrheit der Welt haumltte Um den rich-
tigen Tod zu sterben muumlsse der Mensch die Aletheia schauen koumlnnen Insofern ist
Heideggers Prinzip ein religioumls anmutendes Wie in der christlichen Vorstellung
der Mensch im Jenseits an seinen Taten gemessen wird um Paradies oder Fege-
feuer zu besuchen soll nach Heidegger der Mensch waumlhrend des Sterbens mit
sich selbst ins Gericht gehen Er soll sich rein machen vom Ge-Stell der Technik
und dem Seyn um nicht die einmalge Gelegenheit des richtigen Sterbevollzugs
zu versaumlumen Es winken gemaumlszlig des Gevierts die himmlischen Goumlttlichen den
irdischen Sterblichen zu wobei annehmbar ist dass Heidegger Sterblichen die
die Aletheia erkennen einen Goumlttlichkeitsstatus beimessen moumlchte ndash eine Erlouml-
sungsphantasie
Genau diese Erloumlsung waumlre die Technik nicht
Ohne den Schritt des Denkens zu wagen der unser Menschenwesen demWesen der Technik [] aussetzt wuumlrgt man sich von Fall zu Fall von Lagezu Lage durch die Zwiespaumlltigkeiten hindurch Und genau durch dieses Ge-wuumlrge versaumlumt man die Moumlglichkeit dessen was man im Grunde erstrebtdie Technik durch menschliches Tun zu meistern und menschenwuumlrdig zulenken193
190 Vgl GA 79 S 55191 GA 79 S 55192 GA 79 S 56 Weil Heidegger im Judentum die Verantwortlichen fuumlr das Geraffe des Ge-Stells
sieht macht er sie gleichsam verantwortlich fuumlr die bdquoSelbstvernichtungldquo Die Seinsverges-senheit im Tode wird dadurch zum Spin-off der vermeintlich juumldisch erzeugten da machen-schaftlichen KZ-Maschinerie (Vgl GA 97 S 20f)
193 GA 79 S 59
45
Trost und Richtung findet Heidegger schlieszliglich abermals bei den alten Griechen
Das Wort stellenlsquo entspricht dem griechischen ϑέσις vorausgesetzt daszlig wirϑέσις griechisch denken Was heiszligt in diesem Falle griechisch denkenlsquo Esheiszligt darauf achten welche Lichtung desWesens des Seyns in welcherWeisedas Dasein der alten Griechen in den Anspruch genommen hat heiszligt imvoraus bedenken in welchem Geschick welcher Unverborgenheit des Seinsdie Griechen standenldquo194
Das sind Vorstellungen des Neuen Anfangs eine Reminiszenz der griechisch anti-
ken Welt Ein Eintrag aus den Schwarzen Heften von etwa 1945-47 () verdichtet
wie oben bereits aufgezeigt die Phantasie griechisch zu sein zu einem gelingenden
Lebensvollzug
Das reine Wesen des Griechentums dh das Seiende inmitten dessen dieGriechen als seiende fremd gewesen dieses und sie selbst und der Bezug desSeins zu ihnen ndash in der einfachen Wesung von der ἀλήθεια her zeigen underfahren Den μῦθος und λόγος ndash jedes Wort und Gebild rein aber nichterzwungen und schematisch-pedant ndash aus ἀλήθεια erfahren195
Hier zeigt sich auch dass Heidegger per se das Aletheia-Prinzip fuumlr notwendig
hielt um ins Licht der Wahrheit zu blicken Die Griechen sind ihm hier deshalb
Vorbild und rein da sie keiner modernen Technik und dem Ge-Stell ausgesetzt
waren sondern lediglich eine mythopoetische Verbindung zum Sein herstellen
mussten um wesentlich zu sein und Seinsgeschichte zu schreiben Die Dinge und
das Spiegel-Spiel des Gevierts waumlren ihnen geschickt zuhanden gewesen196 Hei-
degger macht schlieszliglich sehr deutlich dass das Griechische zu denken ein bei
weitem anderes Geschaumlft sei als philologische Praumlzision
Ein Echo zu sein naumlmlich dem Anspruch des Seins verlangt eine Sorgfaltder Sprache von der freilich der technisch-terminologische Sprachstil derWissenschaften uumlberhaupt nichts wissen kann Die Intentionalitaumlt der wis-senschaftlichen Sprache ist der staumlrkste Beweis fuumlr ihre Boden- und Heimat-losigkeit [] Das Heimische einer hohen Sprache gedeiht nur im Bereichdes unheimlichen Anspruchs der wesenhaften Stille im Wesen des Seyns197
194 GA 79 S 62f195 GA 97 S 20196 Hingegen waumlre das Judentum verantwortlich fuumlr das Ge-Stell fuumlr das Prinzip der Zerstoumlrung
wie es auf der selben Seite der Schwarzen Hefte darunter heiszligt (vgl ebd)197 GA 79 S 66 Die Bedeutung von Seyn als verstelltes Sein oder Bedingung zum Schauen
des wahren Seins ist verwirrend Einer genaueren Analyse wird aus Platzgruumlnden hier nichtnachgegangen
46
324 Die Kehrelsquo
Der letzte Vortrag ist mit nur neun Seiten der Kuumlrzeste des Vortragsgevierts
Nach dem Verlust des Dinges als Ding und der damit einsetzenden Abstandslosig-
keit als Wesen des Ge-Stells wobei die Gefahr zudem der Vergessenheit des Seyns
nachstellt bietet Heidegger eine Perspektive an
Im Wesen der Gefahr verbirgt sich [] die Moumlglichkeit einer Kehre in derdie Vergessenheit des Wesens des Seins sich so wendet daszlig mit dieser Kehredie Wahrheit des Wesens des Seyns in das Seiende eigens einkehrt198
Diese Moumlglichkeit bedeute nicht dass der Mensch sich der Gefahr selbst stellen
koumlnnte sie waumlre passiv ndash bdquoverbirgt sichldquo Die Kehre werde sich ereignen aumlhnlich
einer Erwartung an den Messias
Die Anwesenheit der Gefahr wuumlrde automatisch die Rettung bergen Denn
Houmllderlin haumltte geschrieben bdquoWo aber Gefahr ist waumlchst [d]as Rettende auchlsquoldquo199
Etwa 1945 notiert Heidegger in seine Schwarzen Hefte bdquoDie Wahrheit erfahren
wir im Gedaumlchtnis Das Gedaumlchtnis ist die Dichtungldquo200 (so) Von dieser War-
te aus ausgestattet mit Erinnerungen an das abendlaumlndische Dichten mit dem
Wissen um das Aletheia-Prinzip und passiv als denkender Huumlter des Seyns solle
der Mensch das Ereignis erwarten das ihn bdquoloumlsen freimachen freyen schonen
bergen in die Hut nehmen wahrenldquo201 wuumlrde (siehe S 43)
Dieses Ereignis waumlre der Blitz Ein unvermittelter jaumlher ploumltzlicher Moment
von kurzer Dauer der bloszlig einen ebenso kurzen Blick auf das wahre Wesen er-
lauben wuumlrde Abschlieszligend ist dies das Rezept gegen die Bestands bestellende
Technik in mythopoetischer Formulierung
So entsprechend ist der Mensch geeignet daszlig er im gewahrten Element vonWelt als der Sterbliche dem Goumlttlichen entgegenblickt Anders nicht dennauch der Gott ist wenn er ist ein Seiender steht als Seiender im Seyn unddessen Wesen das sich aus dem Welten von Welt ereignet202
198 GA 79 S 71199 GA 79 S 72200 GA 97 S 52f201 GA 79 S 72202 GA 79 S 76
47
Wenn Heidegger im Anschluss von der bdquohistorisch-technischen Darstellungldquo re-
det so ist dies die Abwehr der Wissenschaften (auch der Philosophie203) und ein
Appell an die Antirationalitaumlt des Mythos bdquokein historisches Vorstellen der Ge-
schichte als Geschehen bringt in den schicklichen Bezug zum Geschickldquo204
Damit das Blitzen erfahren werde als kurze Wesensschau der Aletheia muumlsse
dem wahren abendlaumlndischen und heimatlichen Ereignis stattgegeben werden Es
sollte nicht wie er 1939 schon in den Schwarzen Heften beschreibt das
kuumlnstliche Licht von Historie und Technik in der weder Mensch noch dieGoumltter weder eineWelt noch die Erde sichtbar werden koumlnnen wo aber dasLebenlsquo von allen den immer noch zu wenigen Meistenlsquo erlebtlsquo wird205
Damit schlieszligt der letzte Vortrag mit einer Erwartung an das Ereignis des Blit-
zens nicht das Erleben der Besinnungslosigkeit (vgl Das Ge-Stelllsquo) Schon 1947
traumlumt Heidegger von solcher Umkehr
Aus der Kehre der Seynsvergessenheit aber ereignet sich das Unumgaumlnglicheden Acker der Welt erst zu pfluumlgen und saatbereit der Sonne und dem Regenund den Voumlgeln des Himmels uumlberlassen206
203 Denn ldquo[e]igentlich denken heiszligt [] die Philosophie verlassen [] beim Sagen des Seinslsquoldquo(GA 97 S 60)
204 Ebd205 GA 95 S 427 Gegen das Erlebnis und Erleben straumlubt sich Heidegger besonders So notiert
er etwa 1939 bdquoZeitalter der Techniklsquo macht gerade die Techniklsquo nicht zum Ziel sondernimmer mehr zum Mittel der besinnungslosen Berechnung [] der Mensch [] das Erleb-nislsquo [] Erleben als der Gefuumlhlsgenuszligldquo (GA 95 S 149) Wie auch bdquoWo beide Historie undTechnik in solcher scheinbaren Gegensaumltzlichkeit verkoppelt sind koumlnnen sie sich zur Foumlr-derung dessen zusammenschlieszligen was einstmals wesentlich die Geschichte des Menschenmitbegruumlndete und was wir die Kunstlsquo nennen Die Historie verschafft [] Anregungenund Vorbilder der Nachahmung die Technik erleichtert [] die Zustellung von Darstel-lungsmitteln und Wirkungsformen [] Gleichwohl ist alles wurzellos [] berechnet und alsErlebnislsquo ausgegebenldquo (GA 95 S 212)
206 GA 97 S 511
48
4 Konklusion
Der umstrittene Philosoph Martin Heidegger hat uumlber die 1930erndash40er Jahre
hinweg eine ausgepraumlgte voumllkisch-nationale und bisweilen radikal-antisemitische
Denkweise entwickelt Dieses Denken fasste er auch auf als Besinnung und stellt
es der Philosophie und Wissenschaft diametral entgegen In Kapitel 2 wird aufge-
zeigt dass sowohl Heideggers Mythologie bereits kritisiert wurde (Adorno Cassi-
rer Meyer) als auch seine Mythopoetik bewundert (Schulz-Nieswandt) Kapitel
3 will daruumlber hinaus aufzeigen wie Heidegger eine eigene Mythologie mytho-
poetisch fruchtbar macht was sich von beiden vorigen Ansaumltzen unterscheidet
und erst mit der Veroumlffentlichung der Schwarzen Hefte ab 2014 nachvollziehbar
wurde
Umso mehr bietet die mythopoetische Verbindung von bdquoDichten und Den-
kenldquo (so) einen antitechnischen Gegenpol Denn Heidegger fasst wie oben ge-
schildert alles Rationale auf als berechnende Bestellung des Bestands im Sinne
der Technik Daruumlber hinaus fordert er mit dem Aletheia-Prinzip (als metapho-
risch gefasstes Ereignis des Blitzens) einen Mitvollzug seiner mythopoetischen
Kontemplation in dem religioumlse voumllkische antike und sprachliche Motive zu-
sammenfallen
Obwohl schon von Heidegger selbst nicht mehr als Philosophie betrachtet
hat seine Rede vom Ding dem Ge-Stell dem Wesen der Technik und der Kehre
noch immer einen bedeutenden Einfluss auf die Technikphilosophie So betont
Alfred Nordmann in bdquoWerkwissen oder How to express things in worksldquo (2008)
dass Heidegger mit Das Dinglsquo eine Art Dingwissen geschaffen haumltte In seinem
2012 erschienenen Aufsatz Another parting of the ways Intersubjectivity and the
objectivity of sciencersquo207 geht Nordmann ein weiteres Mal auf Heideggers Ding
ein Dieses waumlre eine Abarbeitung an dem Ding Kants womit auch Nordmann
Heidegger als einen Interpreten Kants versteht208 Anschlieszligend anMichael Fried-
207 Nordmann Alfred Another parting of the ways Intersubjectivity and the objectivity ofscience In Studies in History and Philosophy of Science 43 (2012) 38ndash46
208 Die Auseinandersetzung mit dem Ding wuumlrde nach Nordmann in Heideggers GA mit demText Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalen Grundsaumltzenlsquoeinsetzen (GA 41 Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalenGrundsaumltzen)
49
man spricht sich Nordmann ebenso dafuumlr aus dass Heidegger neben Rudolf Car-
nap und Ernst Cassirer eine neokantianische Philosophie verfolgt haumltte (siehe
Kap 1)209
Nach Nordmann haumltte Heidegger in seinen anschlieszligenden Gedanken uumlber
das Ding als Fortfuumlhrung Kants als erster Wissenschaft als angewandte Techno-
logie verstanden210 Diese Interpretation stuumltzt sich auf die gleichen Symbole
Metaphern und Mythen die die vorliegende Arbeit analysiert Das Ge-Stell ist
insofern aumlquivok mit dem Begriff techno-science Jedoch sind in dieser Fruchtbar-
machung von Heideggers Denken der Technik dessen nationalistischen rassisti-
schen und antisemitischen Implikationen die die vorliegende Arbeit als Zentrum
dessen Philosophie ermitteln konnte noch nicht beachtet worden koumlnnen211
Andreas Luckner webt Heideggers Ding-Entwurf weiter als verantwortliches
Sorgen um die Dinge212 Er geht dabei mit Heidegger voumlllig konform und tritt
eher als eine Art Bote der Ding-Botschaft auf als diese moumlglicherweise zu kriti-
sieren was sich diesen Artikel wie ein Kapitel aus einem Studienbuch lesen laumlsst
Der Darmstaumldter Technikphilosoph Christoph Hubig ist vor allem Kritiker Hei-
deggers Argumentationen laumlsst aber zuweilen diverse Topoi aus dem Werk des
Technik-Denkers durchscheinen ohne sie weiter zu reflektieren
So konstatiert Hubig Heidegger verfehle in dessen Auseinandersetzung mit
Aristoteles Lehre von der Poiesis zum Punkt der Sicherung wie sie in Die Frage
nach der Techniklsquo behandelt wird bdquodie operative Seite des Technischenldquo bei Aris-
totels213 In einem spaumlteren Aufsatz allerdings stuumltzt er sich ohne weitere Erlaumlute-
rungen auf Heideggers Begriff der Sicherung aus Die Frage nach der Techniklsquo214
209 Diese Befriedung paradigmatischer Umstaumlnde wird hier nicht geteilt Eine weitere Bearbeitunglaumlsst der Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht zu
210 Vgl Nordmann Another parting of the ways S 45211 Der Aussage dass Heideggers Ding-Begriff kantianisch waumlre muumlsste einer gezielten Untersu-
chung unterzogen werden genau wie die Behauptung insgesamt dass Heidegger oder inwie-weit dieser noch der suumlddeutschen Kantschule des 1920 Jahrhunderts angehoumlrte
212 Vgl Luckner Andreas Ding und Bestand Heidegger und das Wesen neuzeitlicher TechnikIn Gamm G Gehring P Hubig C Kaminski A und Nordmann A Ding und SystemS 15-30 hier S 29
213 Hubig Christoph Die Kunst des Moumlglichen Technikphilosophie als Reflexion der MedialitaumltBielefeld 2006 S 103
214 Vgl Hubig Christoph Technik als Medium In Grundwald Armin (Hg) Handbuch Tech-nikethik Stuttgart 2013 S 118-123 hier S 118
50
Dabei versteht Hubig Heideggers Betrachtungen zum Umgang mit der Technik
als gelassen
Fuumlr Heidegger liegt die Andersheit im Entbergen einer Wahrheit des Seinseines Geschicks von dem die Entwicklung der Technik hin zum Gestellkuumlnde Er verbindet dies mit dem Appell jenseits des rechnenden und si-chernden Vorstellens technischer Vollzuumlge als handlungsleitender Program-me sich gelassenlsquo dieser Entwicklung zu uumlberantworten und ein Seinlsquo zuhuumlten das sich als solches eben entbirgt Das Rettendelsquo dieser Einsicht lie-ge darin dass unsere individuelle Endlichkeit insofern transzendiert wirdals sie sich dem sie uumlbersteigenden Prozess aufschlieszligt und sich selbst relati-viert215
Wovon in diesem Zitat nicht die Rede ist ist der Mitvollzug der mythopoe-
tischen Rahmenbedinungen die Heidegger einfordert und an dem die Konzep-
te Abendland und voumllkische Tradition haumlngen In dieser Arbeit wird davon aus-
gegangen dass Heideggers Technikphilosophie-erzaumlhlung sich nicht von seinen
Absichten der Bekaumlmpfung des Technischen loumlsen laumlsst Die Relativierung ist in-
sofern nicht an den Prozess gebunden und damit emergent auf alles hin ausge-
richtet was kommen mag sondern houmlchst konvergent in einer Besinnung auf
Mythen von dem Ding und dem Geviert mit all deren Valenzen aus dem vorlie-
genden Heideggerschen Textkorpus Die individuelle Endlichkeit ist genoumltigt die
Heimat und das Abendland zu kennen und im Aletheia-Prinzip umzusetzen
Die Neubewertung der bislang bekannten Heideggerschen Technikphiloso-
phie von vor den SchwarzenHeften ist ein dringendes Desiderat Voumllkisch-nationale
Gruppierungen erstarken momentan in ganz Europa und es koumlnnte sehr hilfreich
sein aumlhnliche Denkstrukturen aufzudecken so wie sie zwischen den 1930er und
40er Jahren entwickelt wurden Zusaumltzlich muss das Werk Heideggers einer kriti-
schen Revision schon aufgrund der niemals von ihm behandelten Antisemitismen
unterzogen werden Heidegger hat nie zu diesen Stellung bezogen
Daruumlber hinaus ist das Thema Mythos und Philosophie ein weiterhin not-
wendiger Bereich der philosophischen Forschung In einem Bereich auszligerhalb
der exakten Wissenschaften und ohne klare theologische Tradition ist die Philo-
215 Hubig Die Kunst des Moumlglichen S 140
51
sophie beides sowohl Aufklaumlrer und antimythisch als auch Quelle fuumlr mythisches
Denken und affektierende Motive
52
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Die_Heidegger-Kontroverse ndash zuletzt abgerufen am 24042016)
56
Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
Der Unterzeichner versichert dass er die vorliegende Bachelorarbeit selbststaumlndig
verfasst und keine anderen als die von ihm angegebenen Hilfsmittel benutzt hat
Die Stellen der Arbeit die anderen Werken dem Wortlaut oder dem Sinne nach
entnommen sind wurden in jedem Fall unter Angabe der Quellen (einschlieszliglich
des World Wide Web und anderer elektronischer Text- und Datensammlungen)
kenntlich gemacht Dies gilt auch fuumlr beigegebene Zeichnungen bildliche Dar-
stellungen Skizzen und dergleichen
Darmstadt 25 April 2016
__________________________
(Eigenhaumlndige Unterschrift)
- Abkuumlrzungsverzeichnis
- Danksagung
- Einleitung
- Heideggers mythopoetisches Programm
-
- Zu den Begriffen Mythos Mythologie und Mythopoetik
-
- Ein Beispiel fuumlr ein Mythologem
-
- Heideggers Mythen
-
- Formen der Mythologie
-
- Heideggers mythopoetische Technik
-
- Zur Publikationsgeschichte von den Bremer Vortraumlgen 1949
- Die mythopoetische Spiegelung der Schwarzen Hefte
-
- Das Dinglsquo
- Das Ge-Stelllsquo
- Die Gefahrlsquo
- Die Kehrelsquo
-
- Konklusion
- Literaturverzeichnis
- Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
-
42
Das Schwerste und Fragwuumlrdigste unseres Geschickes ndash beruht darin ob wirdas Eigene finden und huumlten [] unter den anderen Voumllkernlsquo [] Scheinund Vorwand der Macht daszlig man unsere eigene Aufgabe bringen will []als Entmachtete aufgenommen zu sein in den Weltmachenschaftsbetrieb181
Es gaumlbe nach Heidegger also das Welten von Welt und die Verweigerung von
Welt aus derVerwahrlosung des Dings durch das Ge-Stell bzw die Technik182 Welt
ist nach dem Konzept des schwaumlbischen Denkers nichts weniger als das Geviert
Bei der folgenden mythopoetischen Zusammenstellung von dem Geviert mit alt-
griechischen Vokabeln um den Seins-Begriff wird das Aletheia-Prinzip eingefuumlhrt
Somit fuumlhrt uumlber den Mythos des Goumlttlichen (2) der Weg zur Wahrheit eben als
geschichtsbesinnlich erfahrene Aletheia (3)
Welt ist das Geviert von Erde und Himmel Goumlttlichen und SterblichenDas Spiegel-Spiel der Vierung wahrt alles was in ihm dingend zwischenden Vier anwest und abwest in das einende Ganze seines Anwesens Vonaltersher heiszligt das Anwesen des Anwesenden τὸ ὲόν das Seiend [sic] τὸεἶναι das Sein naumlmlich der ὲόντα des Seinenden das esse entium183
Diese Welt waumlre nun bdquoWahrnis des Wesens von Sein Statt Wahrnis sagen wir auch
Wahrheitldquo184 Die Welt mythopoetisch als Spiegel-Spiel des Gevierts und durch
eine altgriechische Brille betrachtet waumlre die wahre Welt Somit wird die Wahr-
heitsschau gebunden einen antiken Goumltterglauben und abendlaumlndische Sprachkas-
kaden vom Dialekt zum Altgriechisch
Das Problem mit der wahren Welt waumlre allerdings dass sie sich in die Ver-
borgenheit entziehe Naumlher betrachtet ist aber die Verborgenheit Bedingung des
Entbergens was Heidegger notwendig macht zu einem wuumlrdigen Lebensvollzug
in Harmonie mit dem Sein Durch solche Wesensschau waumlre der Mensch befaumlhigt
jederzeit die verstellenden Maumlchte des Ge-Stells (der Technik) zu uumlberwinden und
teilhaftig am Wesen der Welt zu werden
181 GA 97 S 99182 Vgl GA 79 S 47183 GA 79 S 48 (Die griechischen Vokabeln werden hier keiner Uumlbersetzung unterzogen Da
Heidegger ohnehin keine philologische Schaumlrfe anwenden will ist es fuumlr die Zwecke hierausreichend sie mit seiner Uumlbersetzung zu betrachten Heidegger spricht von bdquoAchten aufdas Griechischeldquo was schwieriger waumlre als klassische Philologie (vgl GA 79 S 63)
184 Ebd
43
Welt bleibt in der Verborgenheit (Αήθη) auf die Weise daszlig diese ihre Ver-borgenheit gerade eine Unverborgenheit gewaumlhrt die Αλήθεια185
Die Αλήθεια haumltte allerdings auch eine Rolle uumlber die subjektive hinaus da nur
durch ihren Vollzug Seinsgeschichte gewaumlhrt wuumlrde Das ist der Anspruch den
Heidegger an sein Auditorium stellt gemeinsam geschichtlich sein zu muumlssen (1)
Die Αλήθεια ist das Geschick des Seins als welches Geschick sich die Fuumllleder Seinsgeschichte in ihre Epochen fuumlgt186
Mit dem Ge-Stell als Wesen der modernen Technik waumlre die Aletheia aller-
dings hochgradig gefaumlhrdet Denn ohnehin waumlre die Aletheia prinzipiell der Ge-
fahr der Vergessenheit ausgesetzt Doch das Ge-Stell haumltte die Kraft die bdquovollende-
te Vergessenheit der Wahrheit des Seinsldquo187 zu vollrichten
Indem das Ge-Stell alles Anwesende in den Bestand bestellt setzt das Ge-Stell das Anwesen des Anwesenden heraus aus seiner Wesensherkunft ausder Αλήθεια188
Diese Versetzung des beteiligten Wesens aus der Moumlglichkeit des Wahrheitsprin-
zips heraus markiert Heidegger dann mit der Schreibweise Seyn (mit bdquoyldquo) Wie
bei dem Vortrag Das Dinglsquo koumlnnen ethymologische Abstammungen sein Sys-
tem anreichern Da wo es um das Wortfeld des Stellens geht Ge-Stell Bestellen
Verstellen ist auch das NachstellenMitglied der Familie
Im Althochdeutschen heiszligt nachstellen fara Das in sich gesammelte Stellenals Nachstellen ist die Gefahr Der Grundzug des Wesens der Gefahr ist dasNachstellen Insofern das Sein als das Ge-Stell sich selbst mit der Vergessen-heit seines Wesens nachstellt ist das Seyn als Seyn die Gefahr seines eigenenWesens189
Damit wuumlrde sich durch die Verringerung der Selbstreflexion im Seyns-Bestand
eine Schwachstelle auftun in die der denkbegabte und aletheiafaumlhige Mensch ei-
ne Moumlglichkeit haben das Seyn zum Sein zuruumlckzuwandeln ndash also wieder in ein
185 GA 79 S 49186 Ebd187 GA 79 S 53188 GA 79 S 52189 GA 79 S 53
44
wesentliches Verhaumlltnis zum bdquoDingldquo zu gelangen in dem das Geviert wieder die
Harmonie herstellt Allerdings faumlnde bis zu solch einer Nachstellung eine Ver-
sieglung des Seynsbestandes statt Und Heidegger beklagt dass die Erreichung der
Ruumlckeroberung des Seins uumlber die Nachstellung nicht stattfaumlnde und stattdessen
die Irre regieren wuumlrde190
In dieser Irre stuumlnde dem Menschen nicht einmal mehr zu zu sterben Denn
bdquoSterben [] heiszligt den Tod in sein Wesen austragenldquo191 Somit waumlren die Opfer
die in den KZs umkamen wie er sie in Das Dinglsquo bereits schildert nicht vermouml-
gend gewesen zu sterben bdquoSie werden Bestandstuumlcke eines Bestandes der Fabrika-
tion von Leichen [] Sie werden in Vernichtungslagern unauffaumlllig liquidiertldquo192
Das vermoumlge die Gefahr zu bewirken Der Mensch wuumlrde des eigenen Sterbens
beraubt da er keine Verbindung mehr zur Wahrheit der Welt haumltte Um den rich-
tigen Tod zu sterben muumlsse der Mensch die Aletheia schauen koumlnnen Insofern ist
Heideggers Prinzip ein religioumls anmutendes Wie in der christlichen Vorstellung
der Mensch im Jenseits an seinen Taten gemessen wird um Paradies oder Fege-
feuer zu besuchen soll nach Heidegger der Mensch waumlhrend des Sterbens mit
sich selbst ins Gericht gehen Er soll sich rein machen vom Ge-Stell der Technik
und dem Seyn um nicht die einmalge Gelegenheit des richtigen Sterbevollzugs
zu versaumlumen Es winken gemaumlszlig des Gevierts die himmlischen Goumlttlichen den
irdischen Sterblichen zu wobei annehmbar ist dass Heidegger Sterblichen die
die Aletheia erkennen einen Goumlttlichkeitsstatus beimessen moumlchte ndash eine Erlouml-
sungsphantasie
Genau diese Erloumlsung waumlre die Technik nicht
Ohne den Schritt des Denkens zu wagen der unser Menschenwesen demWesen der Technik [] aussetzt wuumlrgt man sich von Fall zu Fall von Lagezu Lage durch die Zwiespaumlltigkeiten hindurch Und genau durch dieses Ge-wuumlrge versaumlumt man die Moumlglichkeit dessen was man im Grunde erstrebtdie Technik durch menschliches Tun zu meistern und menschenwuumlrdig zulenken193
190 Vgl GA 79 S 55191 GA 79 S 55192 GA 79 S 56 Weil Heidegger im Judentum die Verantwortlichen fuumlr das Geraffe des Ge-Stells
sieht macht er sie gleichsam verantwortlich fuumlr die bdquoSelbstvernichtungldquo Die Seinsverges-senheit im Tode wird dadurch zum Spin-off der vermeintlich juumldisch erzeugten da machen-schaftlichen KZ-Maschinerie (Vgl GA 97 S 20f)
193 GA 79 S 59
45
Trost und Richtung findet Heidegger schlieszliglich abermals bei den alten Griechen
Das Wort stellenlsquo entspricht dem griechischen ϑέσις vorausgesetzt daszlig wirϑέσις griechisch denken Was heiszligt in diesem Falle griechisch denkenlsquo Esheiszligt darauf achten welche Lichtung desWesens des Seyns in welcherWeisedas Dasein der alten Griechen in den Anspruch genommen hat heiszligt imvoraus bedenken in welchem Geschick welcher Unverborgenheit des Seinsdie Griechen standenldquo194
Das sind Vorstellungen des Neuen Anfangs eine Reminiszenz der griechisch anti-
ken Welt Ein Eintrag aus den Schwarzen Heften von etwa 1945-47 () verdichtet
wie oben bereits aufgezeigt die Phantasie griechisch zu sein zu einem gelingenden
Lebensvollzug
Das reine Wesen des Griechentums dh das Seiende inmitten dessen dieGriechen als seiende fremd gewesen dieses und sie selbst und der Bezug desSeins zu ihnen ndash in der einfachen Wesung von der ἀλήθεια her zeigen underfahren Den μῦθος und λόγος ndash jedes Wort und Gebild rein aber nichterzwungen und schematisch-pedant ndash aus ἀλήθεια erfahren195
Hier zeigt sich auch dass Heidegger per se das Aletheia-Prinzip fuumlr notwendig
hielt um ins Licht der Wahrheit zu blicken Die Griechen sind ihm hier deshalb
Vorbild und rein da sie keiner modernen Technik und dem Ge-Stell ausgesetzt
waren sondern lediglich eine mythopoetische Verbindung zum Sein herstellen
mussten um wesentlich zu sein und Seinsgeschichte zu schreiben Die Dinge und
das Spiegel-Spiel des Gevierts waumlren ihnen geschickt zuhanden gewesen196 Hei-
degger macht schlieszliglich sehr deutlich dass das Griechische zu denken ein bei
weitem anderes Geschaumlft sei als philologische Praumlzision
Ein Echo zu sein naumlmlich dem Anspruch des Seins verlangt eine Sorgfaltder Sprache von der freilich der technisch-terminologische Sprachstil derWissenschaften uumlberhaupt nichts wissen kann Die Intentionalitaumlt der wis-senschaftlichen Sprache ist der staumlrkste Beweis fuumlr ihre Boden- und Heimat-losigkeit [] Das Heimische einer hohen Sprache gedeiht nur im Bereichdes unheimlichen Anspruchs der wesenhaften Stille im Wesen des Seyns197
194 GA 79 S 62f195 GA 97 S 20196 Hingegen waumlre das Judentum verantwortlich fuumlr das Ge-Stell fuumlr das Prinzip der Zerstoumlrung
wie es auf der selben Seite der Schwarzen Hefte darunter heiszligt (vgl ebd)197 GA 79 S 66 Die Bedeutung von Seyn als verstelltes Sein oder Bedingung zum Schauen
des wahren Seins ist verwirrend Einer genaueren Analyse wird aus Platzgruumlnden hier nichtnachgegangen
46
324 Die Kehrelsquo
Der letzte Vortrag ist mit nur neun Seiten der Kuumlrzeste des Vortragsgevierts
Nach dem Verlust des Dinges als Ding und der damit einsetzenden Abstandslosig-
keit als Wesen des Ge-Stells wobei die Gefahr zudem der Vergessenheit des Seyns
nachstellt bietet Heidegger eine Perspektive an
Im Wesen der Gefahr verbirgt sich [] die Moumlglichkeit einer Kehre in derdie Vergessenheit des Wesens des Seins sich so wendet daszlig mit dieser Kehredie Wahrheit des Wesens des Seyns in das Seiende eigens einkehrt198
Diese Moumlglichkeit bedeute nicht dass der Mensch sich der Gefahr selbst stellen
koumlnnte sie waumlre passiv ndash bdquoverbirgt sichldquo Die Kehre werde sich ereignen aumlhnlich
einer Erwartung an den Messias
Die Anwesenheit der Gefahr wuumlrde automatisch die Rettung bergen Denn
Houmllderlin haumltte geschrieben bdquoWo aber Gefahr ist waumlchst [d]as Rettende auchlsquoldquo199
Etwa 1945 notiert Heidegger in seine Schwarzen Hefte bdquoDie Wahrheit erfahren
wir im Gedaumlchtnis Das Gedaumlchtnis ist die Dichtungldquo200 (so) Von dieser War-
te aus ausgestattet mit Erinnerungen an das abendlaumlndische Dichten mit dem
Wissen um das Aletheia-Prinzip und passiv als denkender Huumlter des Seyns solle
der Mensch das Ereignis erwarten das ihn bdquoloumlsen freimachen freyen schonen
bergen in die Hut nehmen wahrenldquo201 wuumlrde (siehe S 43)
Dieses Ereignis waumlre der Blitz Ein unvermittelter jaumlher ploumltzlicher Moment
von kurzer Dauer der bloszlig einen ebenso kurzen Blick auf das wahre Wesen er-
lauben wuumlrde Abschlieszligend ist dies das Rezept gegen die Bestands bestellende
Technik in mythopoetischer Formulierung
So entsprechend ist der Mensch geeignet daszlig er im gewahrten Element vonWelt als der Sterbliche dem Goumlttlichen entgegenblickt Anders nicht dennauch der Gott ist wenn er ist ein Seiender steht als Seiender im Seyn unddessen Wesen das sich aus dem Welten von Welt ereignet202
198 GA 79 S 71199 GA 79 S 72200 GA 97 S 52f201 GA 79 S 72202 GA 79 S 76
47
Wenn Heidegger im Anschluss von der bdquohistorisch-technischen Darstellungldquo re-
det so ist dies die Abwehr der Wissenschaften (auch der Philosophie203) und ein
Appell an die Antirationalitaumlt des Mythos bdquokein historisches Vorstellen der Ge-
schichte als Geschehen bringt in den schicklichen Bezug zum Geschickldquo204
Damit das Blitzen erfahren werde als kurze Wesensschau der Aletheia muumlsse
dem wahren abendlaumlndischen und heimatlichen Ereignis stattgegeben werden Es
sollte nicht wie er 1939 schon in den Schwarzen Heften beschreibt das
kuumlnstliche Licht von Historie und Technik in der weder Mensch noch dieGoumltter weder eineWelt noch die Erde sichtbar werden koumlnnen wo aber dasLebenlsquo von allen den immer noch zu wenigen Meistenlsquo erlebtlsquo wird205
Damit schlieszligt der letzte Vortrag mit einer Erwartung an das Ereignis des Blit-
zens nicht das Erleben der Besinnungslosigkeit (vgl Das Ge-Stelllsquo) Schon 1947
traumlumt Heidegger von solcher Umkehr
Aus der Kehre der Seynsvergessenheit aber ereignet sich das Unumgaumlnglicheden Acker der Welt erst zu pfluumlgen und saatbereit der Sonne und dem Regenund den Voumlgeln des Himmels uumlberlassen206
203 Denn ldquo[e]igentlich denken heiszligt [] die Philosophie verlassen [] beim Sagen des Seinslsquoldquo(GA 97 S 60)
204 Ebd205 GA 95 S 427 Gegen das Erlebnis und Erleben straumlubt sich Heidegger besonders So notiert
er etwa 1939 bdquoZeitalter der Techniklsquo macht gerade die Techniklsquo nicht zum Ziel sondernimmer mehr zum Mittel der besinnungslosen Berechnung [] der Mensch [] das Erleb-nislsquo [] Erleben als der Gefuumlhlsgenuszligldquo (GA 95 S 149) Wie auch bdquoWo beide Historie undTechnik in solcher scheinbaren Gegensaumltzlichkeit verkoppelt sind koumlnnen sie sich zur Foumlr-derung dessen zusammenschlieszligen was einstmals wesentlich die Geschichte des Menschenmitbegruumlndete und was wir die Kunstlsquo nennen Die Historie verschafft [] Anregungenund Vorbilder der Nachahmung die Technik erleichtert [] die Zustellung von Darstel-lungsmitteln und Wirkungsformen [] Gleichwohl ist alles wurzellos [] berechnet und alsErlebnislsquo ausgegebenldquo (GA 95 S 212)
206 GA 97 S 511
48
4 Konklusion
Der umstrittene Philosoph Martin Heidegger hat uumlber die 1930erndash40er Jahre
hinweg eine ausgepraumlgte voumllkisch-nationale und bisweilen radikal-antisemitische
Denkweise entwickelt Dieses Denken fasste er auch auf als Besinnung und stellt
es der Philosophie und Wissenschaft diametral entgegen In Kapitel 2 wird aufge-
zeigt dass sowohl Heideggers Mythologie bereits kritisiert wurde (Adorno Cassi-
rer Meyer) als auch seine Mythopoetik bewundert (Schulz-Nieswandt) Kapitel
3 will daruumlber hinaus aufzeigen wie Heidegger eine eigene Mythologie mytho-
poetisch fruchtbar macht was sich von beiden vorigen Ansaumltzen unterscheidet
und erst mit der Veroumlffentlichung der Schwarzen Hefte ab 2014 nachvollziehbar
wurde
Umso mehr bietet die mythopoetische Verbindung von bdquoDichten und Den-
kenldquo (so) einen antitechnischen Gegenpol Denn Heidegger fasst wie oben ge-
schildert alles Rationale auf als berechnende Bestellung des Bestands im Sinne
der Technik Daruumlber hinaus fordert er mit dem Aletheia-Prinzip (als metapho-
risch gefasstes Ereignis des Blitzens) einen Mitvollzug seiner mythopoetischen
Kontemplation in dem religioumlse voumllkische antike und sprachliche Motive zu-
sammenfallen
Obwohl schon von Heidegger selbst nicht mehr als Philosophie betrachtet
hat seine Rede vom Ding dem Ge-Stell dem Wesen der Technik und der Kehre
noch immer einen bedeutenden Einfluss auf die Technikphilosophie So betont
Alfred Nordmann in bdquoWerkwissen oder How to express things in worksldquo (2008)
dass Heidegger mit Das Dinglsquo eine Art Dingwissen geschaffen haumltte In seinem
2012 erschienenen Aufsatz Another parting of the ways Intersubjectivity and the
objectivity of sciencersquo207 geht Nordmann ein weiteres Mal auf Heideggers Ding
ein Dieses waumlre eine Abarbeitung an dem Ding Kants womit auch Nordmann
Heidegger als einen Interpreten Kants versteht208 Anschlieszligend anMichael Fried-
207 Nordmann Alfred Another parting of the ways Intersubjectivity and the objectivity ofscience In Studies in History and Philosophy of Science 43 (2012) 38ndash46
208 Die Auseinandersetzung mit dem Ding wuumlrde nach Nordmann in Heideggers GA mit demText Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalen Grundsaumltzenlsquoeinsetzen (GA 41 Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalenGrundsaumltzen)
49
man spricht sich Nordmann ebenso dafuumlr aus dass Heidegger neben Rudolf Car-
nap und Ernst Cassirer eine neokantianische Philosophie verfolgt haumltte (siehe
Kap 1)209
Nach Nordmann haumltte Heidegger in seinen anschlieszligenden Gedanken uumlber
das Ding als Fortfuumlhrung Kants als erster Wissenschaft als angewandte Techno-
logie verstanden210 Diese Interpretation stuumltzt sich auf die gleichen Symbole
Metaphern und Mythen die die vorliegende Arbeit analysiert Das Ge-Stell ist
insofern aumlquivok mit dem Begriff techno-science Jedoch sind in dieser Fruchtbar-
machung von Heideggers Denken der Technik dessen nationalistischen rassisti-
schen und antisemitischen Implikationen die die vorliegende Arbeit als Zentrum
dessen Philosophie ermitteln konnte noch nicht beachtet worden koumlnnen211
Andreas Luckner webt Heideggers Ding-Entwurf weiter als verantwortliches
Sorgen um die Dinge212 Er geht dabei mit Heidegger voumlllig konform und tritt
eher als eine Art Bote der Ding-Botschaft auf als diese moumlglicherweise zu kriti-
sieren was sich diesen Artikel wie ein Kapitel aus einem Studienbuch lesen laumlsst
Der Darmstaumldter Technikphilosoph Christoph Hubig ist vor allem Kritiker Hei-
deggers Argumentationen laumlsst aber zuweilen diverse Topoi aus dem Werk des
Technik-Denkers durchscheinen ohne sie weiter zu reflektieren
So konstatiert Hubig Heidegger verfehle in dessen Auseinandersetzung mit
Aristoteles Lehre von der Poiesis zum Punkt der Sicherung wie sie in Die Frage
nach der Techniklsquo behandelt wird bdquodie operative Seite des Technischenldquo bei Aris-
totels213 In einem spaumlteren Aufsatz allerdings stuumltzt er sich ohne weitere Erlaumlute-
rungen auf Heideggers Begriff der Sicherung aus Die Frage nach der Techniklsquo214
209 Diese Befriedung paradigmatischer Umstaumlnde wird hier nicht geteilt Eine weitere Bearbeitunglaumlsst der Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht zu
210 Vgl Nordmann Another parting of the ways S 45211 Der Aussage dass Heideggers Ding-Begriff kantianisch waumlre muumlsste einer gezielten Untersu-
chung unterzogen werden genau wie die Behauptung insgesamt dass Heidegger oder inwie-weit dieser noch der suumlddeutschen Kantschule des 1920 Jahrhunderts angehoumlrte
212 Vgl Luckner Andreas Ding und Bestand Heidegger und das Wesen neuzeitlicher TechnikIn Gamm G Gehring P Hubig C Kaminski A und Nordmann A Ding und SystemS 15-30 hier S 29
213 Hubig Christoph Die Kunst des Moumlglichen Technikphilosophie als Reflexion der MedialitaumltBielefeld 2006 S 103
214 Vgl Hubig Christoph Technik als Medium In Grundwald Armin (Hg) Handbuch Tech-nikethik Stuttgart 2013 S 118-123 hier S 118
50
Dabei versteht Hubig Heideggers Betrachtungen zum Umgang mit der Technik
als gelassen
Fuumlr Heidegger liegt die Andersheit im Entbergen einer Wahrheit des Seinseines Geschicks von dem die Entwicklung der Technik hin zum Gestellkuumlnde Er verbindet dies mit dem Appell jenseits des rechnenden und si-chernden Vorstellens technischer Vollzuumlge als handlungsleitender Program-me sich gelassenlsquo dieser Entwicklung zu uumlberantworten und ein Seinlsquo zuhuumlten das sich als solches eben entbirgt Das Rettendelsquo dieser Einsicht lie-ge darin dass unsere individuelle Endlichkeit insofern transzendiert wirdals sie sich dem sie uumlbersteigenden Prozess aufschlieszligt und sich selbst relati-viert215
Wovon in diesem Zitat nicht die Rede ist ist der Mitvollzug der mythopoe-
tischen Rahmenbedinungen die Heidegger einfordert und an dem die Konzep-
te Abendland und voumllkische Tradition haumlngen In dieser Arbeit wird davon aus-
gegangen dass Heideggers Technikphilosophie-erzaumlhlung sich nicht von seinen
Absichten der Bekaumlmpfung des Technischen loumlsen laumlsst Die Relativierung ist in-
sofern nicht an den Prozess gebunden und damit emergent auf alles hin ausge-
richtet was kommen mag sondern houmlchst konvergent in einer Besinnung auf
Mythen von dem Ding und dem Geviert mit all deren Valenzen aus dem vorlie-
genden Heideggerschen Textkorpus Die individuelle Endlichkeit ist genoumltigt die
Heimat und das Abendland zu kennen und im Aletheia-Prinzip umzusetzen
Die Neubewertung der bislang bekannten Heideggerschen Technikphiloso-
phie von vor den SchwarzenHeften ist ein dringendes Desiderat Voumllkisch-nationale
Gruppierungen erstarken momentan in ganz Europa und es koumlnnte sehr hilfreich
sein aumlhnliche Denkstrukturen aufzudecken so wie sie zwischen den 1930er und
40er Jahren entwickelt wurden Zusaumltzlich muss das Werk Heideggers einer kriti-
schen Revision schon aufgrund der niemals von ihm behandelten Antisemitismen
unterzogen werden Heidegger hat nie zu diesen Stellung bezogen
Daruumlber hinaus ist das Thema Mythos und Philosophie ein weiterhin not-
wendiger Bereich der philosophischen Forschung In einem Bereich auszligerhalb
der exakten Wissenschaften und ohne klare theologische Tradition ist die Philo-
215 Hubig Die Kunst des Moumlglichen S 140
51
sophie beides sowohl Aufklaumlrer und antimythisch als auch Quelle fuumlr mythisches
Denken und affektierende Motive
52
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wwwdewikipediaorgwiki Martin_Heidegger_und_der_Nationalsozialismus
Die_Heidegger-Kontroverse ndash zuletzt abgerufen am 24042016)
56
Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
Der Unterzeichner versichert dass er die vorliegende Bachelorarbeit selbststaumlndig
verfasst und keine anderen als die von ihm angegebenen Hilfsmittel benutzt hat
Die Stellen der Arbeit die anderen Werken dem Wortlaut oder dem Sinne nach
entnommen sind wurden in jedem Fall unter Angabe der Quellen (einschlieszliglich
des World Wide Web und anderer elektronischer Text- und Datensammlungen)
kenntlich gemacht Dies gilt auch fuumlr beigegebene Zeichnungen bildliche Dar-
stellungen Skizzen und dergleichen
Darmstadt 25 April 2016
__________________________
(Eigenhaumlndige Unterschrift)
- Abkuumlrzungsverzeichnis
- Danksagung
- Einleitung
- Heideggers mythopoetisches Programm
-
- Zu den Begriffen Mythos Mythologie und Mythopoetik
-
- Ein Beispiel fuumlr ein Mythologem
-
- Heideggers Mythen
-
- Formen der Mythologie
-
- Heideggers mythopoetische Technik
-
- Zur Publikationsgeschichte von den Bremer Vortraumlgen 1949
- Die mythopoetische Spiegelung der Schwarzen Hefte
-
- Das Dinglsquo
- Das Ge-Stelllsquo
- Die Gefahrlsquo
- Die Kehrelsquo
-
- Konklusion
- Literaturverzeichnis
- Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
-
43
Welt bleibt in der Verborgenheit (Αήθη) auf die Weise daszlig diese ihre Ver-borgenheit gerade eine Unverborgenheit gewaumlhrt die Αλήθεια185
Die Αλήθεια haumltte allerdings auch eine Rolle uumlber die subjektive hinaus da nur
durch ihren Vollzug Seinsgeschichte gewaumlhrt wuumlrde Das ist der Anspruch den
Heidegger an sein Auditorium stellt gemeinsam geschichtlich sein zu muumlssen (1)
Die Αλήθεια ist das Geschick des Seins als welches Geschick sich die Fuumllleder Seinsgeschichte in ihre Epochen fuumlgt186
Mit dem Ge-Stell als Wesen der modernen Technik waumlre die Aletheia aller-
dings hochgradig gefaumlhrdet Denn ohnehin waumlre die Aletheia prinzipiell der Ge-
fahr der Vergessenheit ausgesetzt Doch das Ge-Stell haumltte die Kraft die bdquovollende-
te Vergessenheit der Wahrheit des Seinsldquo187 zu vollrichten
Indem das Ge-Stell alles Anwesende in den Bestand bestellt setzt das Ge-Stell das Anwesen des Anwesenden heraus aus seiner Wesensherkunft ausder Αλήθεια188
Diese Versetzung des beteiligten Wesens aus der Moumlglichkeit des Wahrheitsprin-
zips heraus markiert Heidegger dann mit der Schreibweise Seyn (mit bdquoyldquo) Wie
bei dem Vortrag Das Dinglsquo koumlnnen ethymologische Abstammungen sein Sys-
tem anreichern Da wo es um das Wortfeld des Stellens geht Ge-Stell Bestellen
Verstellen ist auch das NachstellenMitglied der Familie
Im Althochdeutschen heiszligt nachstellen fara Das in sich gesammelte Stellenals Nachstellen ist die Gefahr Der Grundzug des Wesens der Gefahr ist dasNachstellen Insofern das Sein als das Ge-Stell sich selbst mit der Vergessen-heit seines Wesens nachstellt ist das Seyn als Seyn die Gefahr seines eigenenWesens189
Damit wuumlrde sich durch die Verringerung der Selbstreflexion im Seyns-Bestand
eine Schwachstelle auftun in die der denkbegabte und aletheiafaumlhige Mensch ei-
ne Moumlglichkeit haben das Seyn zum Sein zuruumlckzuwandeln ndash also wieder in ein
185 GA 79 S 49186 Ebd187 GA 79 S 53188 GA 79 S 52189 GA 79 S 53
44
wesentliches Verhaumlltnis zum bdquoDingldquo zu gelangen in dem das Geviert wieder die
Harmonie herstellt Allerdings faumlnde bis zu solch einer Nachstellung eine Ver-
sieglung des Seynsbestandes statt Und Heidegger beklagt dass die Erreichung der
Ruumlckeroberung des Seins uumlber die Nachstellung nicht stattfaumlnde und stattdessen
die Irre regieren wuumlrde190
In dieser Irre stuumlnde dem Menschen nicht einmal mehr zu zu sterben Denn
bdquoSterben [] heiszligt den Tod in sein Wesen austragenldquo191 Somit waumlren die Opfer
die in den KZs umkamen wie er sie in Das Dinglsquo bereits schildert nicht vermouml-
gend gewesen zu sterben bdquoSie werden Bestandstuumlcke eines Bestandes der Fabrika-
tion von Leichen [] Sie werden in Vernichtungslagern unauffaumlllig liquidiertldquo192
Das vermoumlge die Gefahr zu bewirken Der Mensch wuumlrde des eigenen Sterbens
beraubt da er keine Verbindung mehr zur Wahrheit der Welt haumltte Um den rich-
tigen Tod zu sterben muumlsse der Mensch die Aletheia schauen koumlnnen Insofern ist
Heideggers Prinzip ein religioumls anmutendes Wie in der christlichen Vorstellung
der Mensch im Jenseits an seinen Taten gemessen wird um Paradies oder Fege-
feuer zu besuchen soll nach Heidegger der Mensch waumlhrend des Sterbens mit
sich selbst ins Gericht gehen Er soll sich rein machen vom Ge-Stell der Technik
und dem Seyn um nicht die einmalge Gelegenheit des richtigen Sterbevollzugs
zu versaumlumen Es winken gemaumlszlig des Gevierts die himmlischen Goumlttlichen den
irdischen Sterblichen zu wobei annehmbar ist dass Heidegger Sterblichen die
die Aletheia erkennen einen Goumlttlichkeitsstatus beimessen moumlchte ndash eine Erlouml-
sungsphantasie
Genau diese Erloumlsung waumlre die Technik nicht
Ohne den Schritt des Denkens zu wagen der unser Menschenwesen demWesen der Technik [] aussetzt wuumlrgt man sich von Fall zu Fall von Lagezu Lage durch die Zwiespaumlltigkeiten hindurch Und genau durch dieses Ge-wuumlrge versaumlumt man die Moumlglichkeit dessen was man im Grunde erstrebtdie Technik durch menschliches Tun zu meistern und menschenwuumlrdig zulenken193
190 Vgl GA 79 S 55191 GA 79 S 55192 GA 79 S 56 Weil Heidegger im Judentum die Verantwortlichen fuumlr das Geraffe des Ge-Stells
sieht macht er sie gleichsam verantwortlich fuumlr die bdquoSelbstvernichtungldquo Die Seinsverges-senheit im Tode wird dadurch zum Spin-off der vermeintlich juumldisch erzeugten da machen-schaftlichen KZ-Maschinerie (Vgl GA 97 S 20f)
193 GA 79 S 59
45
Trost und Richtung findet Heidegger schlieszliglich abermals bei den alten Griechen
Das Wort stellenlsquo entspricht dem griechischen ϑέσις vorausgesetzt daszlig wirϑέσις griechisch denken Was heiszligt in diesem Falle griechisch denkenlsquo Esheiszligt darauf achten welche Lichtung desWesens des Seyns in welcherWeisedas Dasein der alten Griechen in den Anspruch genommen hat heiszligt imvoraus bedenken in welchem Geschick welcher Unverborgenheit des Seinsdie Griechen standenldquo194
Das sind Vorstellungen des Neuen Anfangs eine Reminiszenz der griechisch anti-
ken Welt Ein Eintrag aus den Schwarzen Heften von etwa 1945-47 () verdichtet
wie oben bereits aufgezeigt die Phantasie griechisch zu sein zu einem gelingenden
Lebensvollzug
Das reine Wesen des Griechentums dh das Seiende inmitten dessen dieGriechen als seiende fremd gewesen dieses und sie selbst und der Bezug desSeins zu ihnen ndash in der einfachen Wesung von der ἀλήθεια her zeigen underfahren Den μῦθος und λόγος ndash jedes Wort und Gebild rein aber nichterzwungen und schematisch-pedant ndash aus ἀλήθεια erfahren195
Hier zeigt sich auch dass Heidegger per se das Aletheia-Prinzip fuumlr notwendig
hielt um ins Licht der Wahrheit zu blicken Die Griechen sind ihm hier deshalb
Vorbild und rein da sie keiner modernen Technik und dem Ge-Stell ausgesetzt
waren sondern lediglich eine mythopoetische Verbindung zum Sein herstellen
mussten um wesentlich zu sein und Seinsgeschichte zu schreiben Die Dinge und
das Spiegel-Spiel des Gevierts waumlren ihnen geschickt zuhanden gewesen196 Hei-
degger macht schlieszliglich sehr deutlich dass das Griechische zu denken ein bei
weitem anderes Geschaumlft sei als philologische Praumlzision
Ein Echo zu sein naumlmlich dem Anspruch des Seins verlangt eine Sorgfaltder Sprache von der freilich der technisch-terminologische Sprachstil derWissenschaften uumlberhaupt nichts wissen kann Die Intentionalitaumlt der wis-senschaftlichen Sprache ist der staumlrkste Beweis fuumlr ihre Boden- und Heimat-losigkeit [] Das Heimische einer hohen Sprache gedeiht nur im Bereichdes unheimlichen Anspruchs der wesenhaften Stille im Wesen des Seyns197
194 GA 79 S 62f195 GA 97 S 20196 Hingegen waumlre das Judentum verantwortlich fuumlr das Ge-Stell fuumlr das Prinzip der Zerstoumlrung
wie es auf der selben Seite der Schwarzen Hefte darunter heiszligt (vgl ebd)197 GA 79 S 66 Die Bedeutung von Seyn als verstelltes Sein oder Bedingung zum Schauen
des wahren Seins ist verwirrend Einer genaueren Analyse wird aus Platzgruumlnden hier nichtnachgegangen
46
324 Die Kehrelsquo
Der letzte Vortrag ist mit nur neun Seiten der Kuumlrzeste des Vortragsgevierts
Nach dem Verlust des Dinges als Ding und der damit einsetzenden Abstandslosig-
keit als Wesen des Ge-Stells wobei die Gefahr zudem der Vergessenheit des Seyns
nachstellt bietet Heidegger eine Perspektive an
Im Wesen der Gefahr verbirgt sich [] die Moumlglichkeit einer Kehre in derdie Vergessenheit des Wesens des Seins sich so wendet daszlig mit dieser Kehredie Wahrheit des Wesens des Seyns in das Seiende eigens einkehrt198
Diese Moumlglichkeit bedeute nicht dass der Mensch sich der Gefahr selbst stellen
koumlnnte sie waumlre passiv ndash bdquoverbirgt sichldquo Die Kehre werde sich ereignen aumlhnlich
einer Erwartung an den Messias
Die Anwesenheit der Gefahr wuumlrde automatisch die Rettung bergen Denn
Houmllderlin haumltte geschrieben bdquoWo aber Gefahr ist waumlchst [d]as Rettende auchlsquoldquo199
Etwa 1945 notiert Heidegger in seine Schwarzen Hefte bdquoDie Wahrheit erfahren
wir im Gedaumlchtnis Das Gedaumlchtnis ist die Dichtungldquo200 (so) Von dieser War-
te aus ausgestattet mit Erinnerungen an das abendlaumlndische Dichten mit dem
Wissen um das Aletheia-Prinzip und passiv als denkender Huumlter des Seyns solle
der Mensch das Ereignis erwarten das ihn bdquoloumlsen freimachen freyen schonen
bergen in die Hut nehmen wahrenldquo201 wuumlrde (siehe S 43)
Dieses Ereignis waumlre der Blitz Ein unvermittelter jaumlher ploumltzlicher Moment
von kurzer Dauer der bloszlig einen ebenso kurzen Blick auf das wahre Wesen er-
lauben wuumlrde Abschlieszligend ist dies das Rezept gegen die Bestands bestellende
Technik in mythopoetischer Formulierung
So entsprechend ist der Mensch geeignet daszlig er im gewahrten Element vonWelt als der Sterbliche dem Goumlttlichen entgegenblickt Anders nicht dennauch der Gott ist wenn er ist ein Seiender steht als Seiender im Seyn unddessen Wesen das sich aus dem Welten von Welt ereignet202
198 GA 79 S 71199 GA 79 S 72200 GA 97 S 52f201 GA 79 S 72202 GA 79 S 76
47
Wenn Heidegger im Anschluss von der bdquohistorisch-technischen Darstellungldquo re-
det so ist dies die Abwehr der Wissenschaften (auch der Philosophie203) und ein
Appell an die Antirationalitaumlt des Mythos bdquokein historisches Vorstellen der Ge-
schichte als Geschehen bringt in den schicklichen Bezug zum Geschickldquo204
Damit das Blitzen erfahren werde als kurze Wesensschau der Aletheia muumlsse
dem wahren abendlaumlndischen und heimatlichen Ereignis stattgegeben werden Es
sollte nicht wie er 1939 schon in den Schwarzen Heften beschreibt das
kuumlnstliche Licht von Historie und Technik in der weder Mensch noch dieGoumltter weder eineWelt noch die Erde sichtbar werden koumlnnen wo aber dasLebenlsquo von allen den immer noch zu wenigen Meistenlsquo erlebtlsquo wird205
Damit schlieszligt der letzte Vortrag mit einer Erwartung an das Ereignis des Blit-
zens nicht das Erleben der Besinnungslosigkeit (vgl Das Ge-Stelllsquo) Schon 1947
traumlumt Heidegger von solcher Umkehr
Aus der Kehre der Seynsvergessenheit aber ereignet sich das Unumgaumlnglicheden Acker der Welt erst zu pfluumlgen und saatbereit der Sonne und dem Regenund den Voumlgeln des Himmels uumlberlassen206
203 Denn ldquo[e]igentlich denken heiszligt [] die Philosophie verlassen [] beim Sagen des Seinslsquoldquo(GA 97 S 60)
204 Ebd205 GA 95 S 427 Gegen das Erlebnis und Erleben straumlubt sich Heidegger besonders So notiert
er etwa 1939 bdquoZeitalter der Techniklsquo macht gerade die Techniklsquo nicht zum Ziel sondernimmer mehr zum Mittel der besinnungslosen Berechnung [] der Mensch [] das Erleb-nislsquo [] Erleben als der Gefuumlhlsgenuszligldquo (GA 95 S 149) Wie auch bdquoWo beide Historie undTechnik in solcher scheinbaren Gegensaumltzlichkeit verkoppelt sind koumlnnen sie sich zur Foumlr-derung dessen zusammenschlieszligen was einstmals wesentlich die Geschichte des Menschenmitbegruumlndete und was wir die Kunstlsquo nennen Die Historie verschafft [] Anregungenund Vorbilder der Nachahmung die Technik erleichtert [] die Zustellung von Darstel-lungsmitteln und Wirkungsformen [] Gleichwohl ist alles wurzellos [] berechnet und alsErlebnislsquo ausgegebenldquo (GA 95 S 212)
206 GA 97 S 511
48
4 Konklusion
Der umstrittene Philosoph Martin Heidegger hat uumlber die 1930erndash40er Jahre
hinweg eine ausgepraumlgte voumllkisch-nationale und bisweilen radikal-antisemitische
Denkweise entwickelt Dieses Denken fasste er auch auf als Besinnung und stellt
es der Philosophie und Wissenschaft diametral entgegen In Kapitel 2 wird aufge-
zeigt dass sowohl Heideggers Mythologie bereits kritisiert wurde (Adorno Cassi-
rer Meyer) als auch seine Mythopoetik bewundert (Schulz-Nieswandt) Kapitel
3 will daruumlber hinaus aufzeigen wie Heidegger eine eigene Mythologie mytho-
poetisch fruchtbar macht was sich von beiden vorigen Ansaumltzen unterscheidet
und erst mit der Veroumlffentlichung der Schwarzen Hefte ab 2014 nachvollziehbar
wurde
Umso mehr bietet die mythopoetische Verbindung von bdquoDichten und Den-
kenldquo (so) einen antitechnischen Gegenpol Denn Heidegger fasst wie oben ge-
schildert alles Rationale auf als berechnende Bestellung des Bestands im Sinne
der Technik Daruumlber hinaus fordert er mit dem Aletheia-Prinzip (als metapho-
risch gefasstes Ereignis des Blitzens) einen Mitvollzug seiner mythopoetischen
Kontemplation in dem religioumlse voumllkische antike und sprachliche Motive zu-
sammenfallen
Obwohl schon von Heidegger selbst nicht mehr als Philosophie betrachtet
hat seine Rede vom Ding dem Ge-Stell dem Wesen der Technik und der Kehre
noch immer einen bedeutenden Einfluss auf die Technikphilosophie So betont
Alfred Nordmann in bdquoWerkwissen oder How to express things in worksldquo (2008)
dass Heidegger mit Das Dinglsquo eine Art Dingwissen geschaffen haumltte In seinem
2012 erschienenen Aufsatz Another parting of the ways Intersubjectivity and the
objectivity of sciencersquo207 geht Nordmann ein weiteres Mal auf Heideggers Ding
ein Dieses waumlre eine Abarbeitung an dem Ding Kants womit auch Nordmann
Heidegger als einen Interpreten Kants versteht208 Anschlieszligend anMichael Fried-
207 Nordmann Alfred Another parting of the ways Intersubjectivity and the objectivity ofscience In Studies in History and Philosophy of Science 43 (2012) 38ndash46
208 Die Auseinandersetzung mit dem Ding wuumlrde nach Nordmann in Heideggers GA mit demText Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalen Grundsaumltzenlsquoeinsetzen (GA 41 Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalenGrundsaumltzen)
49
man spricht sich Nordmann ebenso dafuumlr aus dass Heidegger neben Rudolf Car-
nap und Ernst Cassirer eine neokantianische Philosophie verfolgt haumltte (siehe
Kap 1)209
Nach Nordmann haumltte Heidegger in seinen anschlieszligenden Gedanken uumlber
das Ding als Fortfuumlhrung Kants als erster Wissenschaft als angewandte Techno-
logie verstanden210 Diese Interpretation stuumltzt sich auf die gleichen Symbole
Metaphern und Mythen die die vorliegende Arbeit analysiert Das Ge-Stell ist
insofern aumlquivok mit dem Begriff techno-science Jedoch sind in dieser Fruchtbar-
machung von Heideggers Denken der Technik dessen nationalistischen rassisti-
schen und antisemitischen Implikationen die die vorliegende Arbeit als Zentrum
dessen Philosophie ermitteln konnte noch nicht beachtet worden koumlnnen211
Andreas Luckner webt Heideggers Ding-Entwurf weiter als verantwortliches
Sorgen um die Dinge212 Er geht dabei mit Heidegger voumlllig konform und tritt
eher als eine Art Bote der Ding-Botschaft auf als diese moumlglicherweise zu kriti-
sieren was sich diesen Artikel wie ein Kapitel aus einem Studienbuch lesen laumlsst
Der Darmstaumldter Technikphilosoph Christoph Hubig ist vor allem Kritiker Hei-
deggers Argumentationen laumlsst aber zuweilen diverse Topoi aus dem Werk des
Technik-Denkers durchscheinen ohne sie weiter zu reflektieren
So konstatiert Hubig Heidegger verfehle in dessen Auseinandersetzung mit
Aristoteles Lehre von der Poiesis zum Punkt der Sicherung wie sie in Die Frage
nach der Techniklsquo behandelt wird bdquodie operative Seite des Technischenldquo bei Aris-
totels213 In einem spaumlteren Aufsatz allerdings stuumltzt er sich ohne weitere Erlaumlute-
rungen auf Heideggers Begriff der Sicherung aus Die Frage nach der Techniklsquo214
209 Diese Befriedung paradigmatischer Umstaumlnde wird hier nicht geteilt Eine weitere Bearbeitunglaumlsst der Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht zu
210 Vgl Nordmann Another parting of the ways S 45211 Der Aussage dass Heideggers Ding-Begriff kantianisch waumlre muumlsste einer gezielten Untersu-
chung unterzogen werden genau wie die Behauptung insgesamt dass Heidegger oder inwie-weit dieser noch der suumlddeutschen Kantschule des 1920 Jahrhunderts angehoumlrte
212 Vgl Luckner Andreas Ding und Bestand Heidegger und das Wesen neuzeitlicher TechnikIn Gamm G Gehring P Hubig C Kaminski A und Nordmann A Ding und SystemS 15-30 hier S 29
213 Hubig Christoph Die Kunst des Moumlglichen Technikphilosophie als Reflexion der MedialitaumltBielefeld 2006 S 103
214 Vgl Hubig Christoph Technik als Medium In Grundwald Armin (Hg) Handbuch Tech-nikethik Stuttgart 2013 S 118-123 hier S 118
50
Dabei versteht Hubig Heideggers Betrachtungen zum Umgang mit der Technik
als gelassen
Fuumlr Heidegger liegt die Andersheit im Entbergen einer Wahrheit des Seinseines Geschicks von dem die Entwicklung der Technik hin zum Gestellkuumlnde Er verbindet dies mit dem Appell jenseits des rechnenden und si-chernden Vorstellens technischer Vollzuumlge als handlungsleitender Program-me sich gelassenlsquo dieser Entwicklung zu uumlberantworten und ein Seinlsquo zuhuumlten das sich als solches eben entbirgt Das Rettendelsquo dieser Einsicht lie-ge darin dass unsere individuelle Endlichkeit insofern transzendiert wirdals sie sich dem sie uumlbersteigenden Prozess aufschlieszligt und sich selbst relati-viert215
Wovon in diesem Zitat nicht die Rede ist ist der Mitvollzug der mythopoe-
tischen Rahmenbedinungen die Heidegger einfordert und an dem die Konzep-
te Abendland und voumllkische Tradition haumlngen In dieser Arbeit wird davon aus-
gegangen dass Heideggers Technikphilosophie-erzaumlhlung sich nicht von seinen
Absichten der Bekaumlmpfung des Technischen loumlsen laumlsst Die Relativierung ist in-
sofern nicht an den Prozess gebunden und damit emergent auf alles hin ausge-
richtet was kommen mag sondern houmlchst konvergent in einer Besinnung auf
Mythen von dem Ding und dem Geviert mit all deren Valenzen aus dem vorlie-
genden Heideggerschen Textkorpus Die individuelle Endlichkeit ist genoumltigt die
Heimat und das Abendland zu kennen und im Aletheia-Prinzip umzusetzen
Die Neubewertung der bislang bekannten Heideggerschen Technikphiloso-
phie von vor den SchwarzenHeften ist ein dringendes Desiderat Voumllkisch-nationale
Gruppierungen erstarken momentan in ganz Europa und es koumlnnte sehr hilfreich
sein aumlhnliche Denkstrukturen aufzudecken so wie sie zwischen den 1930er und
40er Jahren entwickelt wurden Zusaumltzlich muss das Werk Heideggers einer kriti-
schen Revision schon aufgrund der niemals von ihm behandelten Antisemitismen
unterzogen werden Heidegger hat nie zu diesen Stellung bezogen
Daruumlber hinaus ist das Thema Mythos und Philosophie ein weiterhin not-
wendiger Bereich der philosophischen Forschung In einem Bereich auszligerhalb
der exakten Wissenschaften und ohne klare theologische Tradition ist die Philo-
215 Hubig Die Kunst des Moumlglichen S 140
51
sophie beides sowohl Aufklaumlrer und antimythisch als auch Quelle fuumlr mythisches
Denken und affektierende Motive
52
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_kellererhtml zuletzt abgerufen am 1442016
wwwdewikipediaorgwiki Martin_Heidegger_und_der_Nationalsozialismus
Die_Heidegger-Kontroverse ndash zuletzt abgerufen am 24042016)
56
Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
Der Unterzeichner versichert dass er die vorliegende Bachelorarbeit selbststaumlndig
verfasst und keine anderen als die von ihm angegebenen Hilfsmittel benutzt hat
Die Stellen der Arbeit die anderen Werken dem Wortlaut oder dem Sinne nach
entnommen sind wurden in jedem Fall unter Angabe der Quellen (einschlieszliglich
des World Wide Web und anderer elektronischer Text- und Datensammlungen)
kenntlich gemacht Dies gilt auch fuumlr beigegebene Zeichnungen bildliche Dar-
stellungen Skizzen und dergleichen
Darmstadt 25 April 2016
__________________________
(Eigenhaumlndige Unterschrift)
- Abkuumlrzungsverzeichnis
- Danksagung
- Einleitung
- Heideggers mythopoetisches Programm
-
- Zu den Begriffen Mythos Mythologie und Mythopoetik
-
- Ein Beispiel fuumlr ein Mythologem
-
- Heideggers Mythen
-
- Formen der Mythologie
-
- Heideggers mythopoetische Technik
-
- Zur Publikationsgeschichte von den Bremer Vortraumlgen 1949
- Die mythopoetische Spiegelung der Schwarzen Hefte
-
- Das Dinglsquo
- Das Ge-Stelllsquo
- Die Gefahrlsquo
- Die Kehrelsquo
-
- Konklusion
- Literaturverzeichnis
- Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
-
44
wesentliches Verhaumlltnis zum bdquoDingldquo zu gelangen in dem das Geviert wieder die
Harmonie herstellt Allerdings faumlnde bis zu solch einer Nachstellung eine Ver-
sieglung des Seynsbestandes statt Und Heidegger beklagt dass die Erreichung der
Ruumlckeroberung des Seins uumlber die Nachstellung nicht stattfaumlnde und stattdessen
die Irre regieren wuumlrde190
In dieser Irre stuumlnde dem Menschen nicht einmal mehr zu zu sterben Denn
bdquoSterben [] heiszligt den Tod in sein Wesen austragenldquo191 Somit waumlren die Opfer
die in den KZs umkamen wie er sie in Das Dinglsquo bereits schildert nicht vermouml-
gend gewesen zu sterben bdquoSie werden Bestandstuumlcke eines Bestandes der Fabrika-
tion von Leichen [] Sie werden in Vernichtungslagern unauffaumlllig liquidiertldquo192
Das vermoumlge die Gefahr zu bewirken Der Mensch wuumlrde des eigenen Sterbens
beraubt da er keine Verbindung mehr zur Wahrheit der Welt haumltte Um den rich-
tigen Tod zu sterben muumlsse der Mensch die Aletheia schauen koumlnnen Insofern ist
Heideggers Prinzip ein religioumls anmutendes Wie in der christlichen Vorstellung
der Mensch im Jenseits an seinen Taten gemessen wird um Paradies oder Fege-
feuer zu besuchen soll nach Heidegger der Mensch waumlhrend des Sterbens mit
sich selbst ins Gericht gehen Er soll sich rein machen vom Ge-Stell der Technik
und dem Seyn um nicht die einmalge Gelegenheit des richtigen Sterbevollzugs
zu versaumlumen Es winken gemaumlszlig des Gevierts die himmlischen Goumlttlichen den
irdischen Sterblichen zu wobei annehmbar ist dass Heidegger Sterblichen die
die Aletheia erkennen einen Goumlttlichkeitsstatus beimessen moumlchte ndash eine Erlouml-
sungsphantasie
Genau diese Erloumlsung waumlre die Technik nicht
Ohne den Schritt des Denkens zu wagen der unser Menschenwesen demWesen der Technik [] aussetzt wuumlrgt man sich von Fall zu Fall von Lagezu Lage durch die Zwiespaumlltigkeiten hindurch Und genau durch dieses Ge-wuumlrge versaumlumt man die Moumlglichkeit dessen was man im Grunde erstrebtdie Technik durch menschliches Tun zu meistern und menschenwuumlrdig zulenken193
190 Vgl GA 79 S 55191 GA 79 S 55192 GA 79 S 56 Weil Heidegger im Judentum die Verantwortlichen fuumlr das Geraffe des Ge-Stells
sieht macht er sie gleichsam verantwortlich fuumlr die bdquoSelbstvernichtungldquo Die Seinsverges-senheit im Tode wird dadurch zum Spin-off der vermeintlich juumldisch erzeugten da machen-schaftlichen KZ-Maschinerie (Vgl GA 97 S 20f)
193 GA 79 S 59
45
Trost und Richtung findet Heidegger schlieszliglich abermals bei den alten Griechen
Das Wort stellenlsquo entspricht dem griechischen ϑέσις vorausgesetzt daszlig wirϑέσις griechisch denken Was heiszligt in diesem Falle griechisch denkenlsquo Esheiszligt darauf achten welche Lichtung desWesens des Seyns in welcherWeisedas Dasein der alten Griechen in den Anspruch genommen hat heiszligt imvoraus bedenken in welchem Geschick welcher Unverborgenheit des Seinsdie Griechen standenldquo194
Das sind Vorstellungen des Neuen Anfangs eine Reminiszenz der griechisch anti-
ken Welt Ein Eintrag aus den Schwarzen Heften von etwa 1945-47 () verdichtet
wie oben bereits aufgezeigt die Phantasie griechisch zu sein zu einem gelingenden
Lebensvollzug
Das reine Wesen des Griechentums dh das Seiende inmitten dessen dieGriechen als seiende fremd gewesen dieses und sie selbst und der Bezug desSeins zu ihnen ndash in der einfachen Wesung von der ἀλήθεια her zeigen underfahren Den μῦθος und λόγος ndash jedes Wort und Gebild rein aber nichterzwungen und schematisch-pedant ndash aus ἀλήθεια erfahren195
Hier zeigt sich auch dass Heidegger per se das Aletheia-Prinzip fuumlr notwendig
hielt um ins Licht der Wahrheit zu blicken Die Griechen sind ihm hier deshalb
Vorbild und rein da sie keiner modernen Technik und dem Ge-Stell ausgesetzt
waren sondern lediglich eine mythopoetische Verbindung zum Sein herstellen
mussten um wesentlich zu sein und Seinsgeschichte zu schreiben Die Dinge und
das Spiegel-Spiel des Gevierts waumlren ihnen geschickt zuhanden gewesen196 Hei-
degger macht schlieszliglich sehr deutlich dass das Griechische zu denken ein bei
weitem anderes Geschaumlft sei als philologische Praumlzision
Ein Echo zu sein naumlmlich dem Anspruch des Seins verlangt eine Sorgfaltder Sprache von der freilich der technisch-terminologische Sprachstil derWissenschaften uumlberhaupt nichts wissen kann Die Intentionalitaumlt der wis-senschaftlichen Sprache ist der staumlrkste Beweis fuumlr ihre Boden- und Heimat-losigkeit [] Das Heimische einer hohen Sprache gedeiht nur im Bereichdes unheimlichen Anspruchs der wesenhaften Stille im Wesen des Seyns197
194 GA 79 S 62f195 GA 97 S 20196 Hingegen waumlre das Judentum verantwortlich fuumlr das Ge-Stell fuumlr das Prinzip der Zerstoumlrung
wie es auf der selben Seite der Schwarzen Hefte darunter heiszligt (vgl ebd)197 GA 79 S 66 Die Bedeutung von Seyn als verstelltes Sein oder Bedingung zum Schauen
des wahren Seins ist verwirrend Einer genaueren Analyse wird aus Platzgruumlnden hier nichtnachgegangen
46
324 Die Kehrelsquo
Der letzte Vortrag ist mit nur neun Seiten der Kuumlrzeste des Vortragsgevierts
Nach dem Verlust des Dinges als Ding und der damit einsetzenden Abstandslosig-
keit als Wesen des Ge-Stells wobei die Gefahr zudem der Vergessenheit des Seyns
nachstellt bietet Heidegger eine Perspektive an
Im Wesen der Gefahr verbirgt sich [] die Moumlglichkeit einer Kehre in derdie Vergessenheit des Wesens des Seins sich so wendet daszlig mit dieser Kehredie Wahrheit des Wesens des Seyns in das Seiende eigens einkehrt198
Diese Moumlglichkeit bedeute nicht dass der Mensch sich der Gefahr selbst stellen
koumlnnte sie waumlre passiv ndash bdquoverbirgt sichldquo Die Kehre werde sich ereignen aumlhnlich
einer Erwartung an den Messias
Die Anwesenheit der Gefahr wuumlrde automatisch die Rettung bergen Denn
Houmllderlin haumltte geschrieben bdquoWo aber Gefahr ist waumlchst [d]as Rettende auchlsquoldquo199
Etwa 1945 notiert Heidegger in seine Schwarzen Hefte bdquoDie Wahrheit erfahren
wir im Gedaumlchtnis Das Gedaumlchtnis ist die Dichtungldquo200 (so) Von dieser War-
te aus ausgestattet mit Erinnerungen an das abendlaumlndische Dichten mit dem
Wissen um das Aletheia-Prinzip und passiv als denkender Huumlter des Seyns solle
der Mensch das Ereignis erwarten das ihn bdquoloumlsen freimachen freyen schonen
bergen in die Hut nehmen wahrenldquo201 wuumlrde (siehe S 43)
Dieses Ereignis waumlre der Blitz Ein unvermittelter jaumlher ploumltzlicher Moment
von kurzer Dauer der bloszlig einen ebenso kurzen Blick auf das wahre Wesen er-
lauben wuumlrde Abschlieszligend ist dies das Rezept gegen die Bestands bestellende
Technik in mythopoetischer Formulierung
So entsprechend ist der Mensch geeignet daszlig er im gewahrten Element vonWelt als der Sterbliche dem Goumlttlichen entgegenblickt Anders nicht dennauch der Gott ist wenn er ist ein Seiender steht als Seiender im Seyn unddessen Wesen das sich aus dem Welten von Welt ereignet202
198 GA 79 S 71199 GA 79 S 72200 GA 97 S 52f201 GA 79 S 72202 GA 79 S 76
47
Wenn Heidegger im Anschluss von der bdquohistorisch-technischen Darstellungldquo re-
det so ist dies die Abwehr der Wissenschaften (auch der Philosophie203) und ein
Appell an die Antirationalitaumlt des Mythos bdquokein historisches Vorstellen der Ge-
schichte als Geschehen bringt in den schicklichen Bezug zum Geschickldquo204
Damit das Blitzen erfahren werde als kurze Wesensschau der Aletheia muumlsse
dem wahren abendlaumlndischen und heimatlichen Ereignis stattgegeben werden Es
sollte nicht wie er 1939 schon in den Schwarzen Heften beschreibt das
kuumlnstliche Licht von Historie und Technik in der weder Mensch noch dieGoumltter weder eineWelt noch die Erde sichtbar werden koumlnnen wo aber dasLebenlsquo von allen den immer noch zu wenigen Meistenlsquo erlebtlsquo wird205
Damit schlieszligt der letzte Vortrag mit einer Erwartung an das Ereignis des Blit-
zens nicht das Erleben der Besinnungslosigkeit (vgl Das Ge-Stelllsquo) Schon 1947
traumlumt Heidegger von solcher Umkehr
Aus der Kehre der Seynsvergessenheit aber ereignet sich das Unumgaumlnglicheden Acker der Welt erst zu pfluumlgen und saatbereit der Sonne und dem Regenund den Voumlgeln des Himmels uumlberlassen206
203 Denn ldquo[e]igentlich denken heiszligt [] die Philosophie verlassen [] beim Sagen des Seinslsquoldquo(GA 97 S 60)
204 Ebd205 GA 95 S 427 Gegen das Erlebnis und Erleben straumlubt sich Heidegger besonders So notiert
er etwa 1939 bdquoZeitalter der Techniklsquo macht gerade die Techniklsquo nicht zum Ziel sondernimmer mehr zum Mittel der besinnungslosen Berechnung [] der Mensch [] das Erleb-nislsquo [] Erleben als der Gefuumlhlsgenuszligldquo (GA 95 S 149) Wie auch bdquoWo beide Historie undTechnik in solcher scheinbaren Gegensaumltzlichkeit verkoppelt sind koumlnnen sie sich zur Foumlr-derung dessen zusammenschlieszligen was einstmals wesentlich die Geschichte des Menschenmitbegruumlndete und was wir die Kunstlsquo nennen Die Historie verschafft [] Anregungenund Vorbilder der Nachahmung die Technik erleichtert [] die Zustellung von Darstel-lungsmitteln und Wirkungsformen [] Gleichwohl ist alles wurzellos [] berechnet und alsErlebnislsquo ausgegebenldquo (GA 95 S 212)
206 GA 97 S 511
48
4 Konklusion
Der umstrittene Philosoph Martin Heidegger hat uumlber die 1930erndash40er Jahre
hinweg eine ausgepraumlgte voumllkisch-nationale und bisweilen radikal-antisemitische
Denkweise entwickelt Dieses Denken fasste er auch auf als Besinnung und stellt
es der Philosophie und Wissenschaft diametral entgegen In Kapitel 2 wird aufge-
zeigt dass sowohl Heideggers Mythologie bereits kritisiert wurde (Adorno Cassi-
rer Meyer) als auch seine Mythopoetik bewundert (Schulz-Nieswandt) Kapitel
3 will daruumlber hinaus aufzeigen wie Heidegger eine eigene Mythologie mytho-
poetisch fruchtbar macht was sich von beiden vorigen Ansaumltzen unterscheidet
und erst mit der Veroumlffentlichung der Schwarzen Hefte ab 2014 nachvollziehbar
wurde
Umso mehr bietet die mythopoetische Verbindung von bdquoDichten und Den-
kenldquo (so) einen antitechnischen Gegenpol Denn Heidegger fasst wie oben ge-
schildert alles Rationale auf als berechnende Bestellung des Bestands im Sinne
der Technik Daruumlber hinaus fordert er mit dem Aletheia-Prinzip (als metapho-
risch gefasstes Ereignis des Blitzens) einen Mitvollzug seiner mythopoetischen
Kontemplation in dem religioumlse voumllkische antike und sprachliche Motive zu-
sammenfallen
Obwohl schon von Heidegger selbst nicht mehr als Philosophie betrachtet
hat seine Rede vom Ding dem Ge-Stell dem Wesen der Technik und der Kehre
noch immer einen bedeutenden Einfluss auf die Technikphilosophie So betont
Alfred Nordmann in bdquoWerkwissen oder How to express things in worksldquo (2008)
dass Heidegger mit Das Dinglsquo eine Art Dingwissen geschaffen haumltte In seinem
2012 erschienenen Aufsatz Another parting of the ways Intersubjectivity and the
objectivity of sciencersquo207 geht Nordmann ein weiteres Mal auf Heideggers Ding
ein Dieses waumlre eine Abarbeitung an dem Ding Kants womit auch Nordmann
Heidegger als einen Interpreten Kants versteht208 Anschlieszligend anMichael Fried-
207 Nordmann Alfred Another parting of the ways Intersubjectivity and the objectivity ofscience In Studies in History and Philosophy of Science 43 (2012) 38ndash46
208 Die Auseinandersetzung mit dem Ding wuumlrde nach Nordmann in Heideggers GA mit demText Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalen Grundsaumltzenlsquoeinsetzen (GA 41 Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalenGrundsaumltzen)
49
man spricht sich Nordmann ebenso dafuumlr aus dass Heidegger neben Rudolf Car-
nap und Ernst Cassirer eine neokantianische Philosophie verfolgt haumltte (siehe
Kap 1)209
Nach Nordmann haumltte Heidegger in seinen anschlieszligenden Gedanken uumlber
das Ding als Fortfuumlhrung Kants als erster Wissenschaft als angewandte Techno-
logie verstanden210 Diese Interpretation stuumltzt sich auf die gleichen Symbole
Metaphern und Mythen die die vorliegende Arbeit analysiert Das Ge-Stell ist
insofern aumlquivok mit dem Begriff techno-science Jedoch sind in dieser Fruchtbar-
machung von Heideggers Denken der Technik dessen nationalistischen rassisti-
schen und antisemitischen Implikationen die die vorliegende Arbeit als Zentrum
dessen Philosophie ermitteln konnte noch nicht beachtet worden koumlnnen211
Andreas Luckner webt Heideggers Ding-Entwurf weiter als verantwortliches
Sorgen um die Dinge212 Er geht dabei mit Heidegger voumlllig konform und tritt
eher als eine Art Bote der Ding-Botschaft auf als diese moumlglicherweise zu kriti-
sieren was sich diesen Artikel wie ein Kapitel aus einem Studienbuch lesen laumlsst
Der Darmstaumldter Technikphilosoph Christoph Hubig ist vor allem Kritiker Hei-
deggers Argumentationen laumlsst aber zuweilen diverse Topoi aus dem Werk des
Technik-Denkers durchscheinen ohne sie weiter zu reflektieren
So konstatiert Hubig Heidegger verfehle in dessen Auseinandersetzung mit
Aristoteles Lehre von der Poiesis zum Punkt der Sicherung wie sie in Die Frage
nach der Techniklsquo behandelt wird bdquodie operative Seite des Technischenldquo bei Aris-
totels213 In einem spaumlteren Aufsatz allerdings stuumltzt er sich ohne weitere Erlaumlute-
rungen auf Heideggers Begriff der Sicherung aus Die Frage nach der Techniklsquo214
209 Diese Befriedung paradigmatischer Umstaumlnde wird hier nicht geteilt Eine weitere Bearbeitunglaumlsst der Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht zu
210 Vgl Nordmann Another parting of the ways S 45211 Der Aussage dass Heideggers Ding-Begriff kantianisch waumlre muumlsste einer gezielten Untersu-
chung unterzogen werden genau wie die Behauptung insgesamt dass Heidegger oder inwie-weit dieser noch der suumlddeutschen Kantschule des 1920 Jahrhunderts angehoumlrte
212 Vgl Luckner Andreas Ding und Bestand Heidegger und das Wesen neuzeitlicher TechnikIn Gamm G Gehring P Hubig C Kaminski A und Nordmann A Ding und SystemS 15-30 hier S 29
213 Hubig Christoph Die Kunst des Moumlglichen Technikphilosophie als Reflexion der MedialitaumltBielefeld 2006 S 103
214 Vgl Hubig Christoph Technik als Medium In Grundwald Armin (Hg) Handbuch Tech-nikethik Stuttgart 2013 S 118-123 hier S 118
50
Dabei versteht Hubig Heideggers Betrachtungen zum Umgang mit der Technik
als gelassen
Fuumlr Heidegger liegt die Andersheit im Entbergen einer Wahrheit des Seinseines Geschicks von dem die Entwicklung der Technik hin zum Gestellkuumlnde Er verbindet dies mit dem Appell jenseits des rechnenden und si-chernden Vorstellens technischer Vollzuumlge als handlungsleitender Program-me sich gelassenlsquo dieser Entwicklung zu uumlberantworten und ein Seinlsquo zuhuumlten das sich als solches eben entbirgt Das Rettendelsquo dieser Einsicht lie-ge darin dass unsere individuelle Endlichkeit insofern transzendiert wirdals sie sich dem sie uumlbersteigenden Prozess aufschlieszligt und sich selbst relati-viert215
Wovon in diesem Zitat nicht die Rede ist ist der Mitvollzug der mythopoe-
tischen Rahmenbedinungen die Heidegger einfordert und an dem die Konzep-
te Abendland und voumllkische Tradition haumlngen In dieser Arbeit wird davon aus-
gegangen dass Heideggers Technikphilosophie-erzaumlhlung sich nicht von seinen
Absichten der Bekaumlmpfung des Technischen loumlsen laumlsst Die Relativierung ist in-
sofern nicht an den Prozess gebunden und damit emergent auf alles hin ausge-
richtet was kommen mag sondern houmlchst konvergent in einer Besinnung auf
Mythen von dem Ding und dem Geviert mit all deren Valenzen aus dem vorlie-
genden Heideggerschen Textkorpus Die individuelle Endlichkeit ist genoumltigt die
Heimat und das Abendland zu kennen und im Aletheia-Prinzip umzusetzen
Die Neubewertung der bislang bekannten Heideggerschen Technikphiloso-
phie von vor den SchwarzenHeften ist ein dringendes Desiderat Voumllkisch-nationale
Gruppierungen erstarken momentan in ganz Europa und es koumlnnte sehr hilfreich
sein aumlhnliche Denkstrukturen aufzudecken so wie sie zwischen den 1930er und
40er Jahren entwickelt wurden Zusaumltzlich muss das Werk Heideggers einer kriti-
schen Revision schon aufgrund der niemals von ihm behandelten Antisemitismen
unterzogen werden Heidegger hat nie zu diesen Stellung bezogen
Daruumlber hinaus ist das Thema Mythos und Philosophie ein weiterhin not-
wendiger Bereich der philosophischen Forschung In einem Bereich auszligerhalb
der exakten Wissenschaften und ohne klare theologische Tradition ist die Philo-
215 Hubig Die Kunst des Moumlglichen S 140
51
sophie beides sowohl Aufklaumlrer und antimythisch als auch Quelle fuumlr mythisches
Denken und affektierende Motive
52
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95 Frankfurt am Main 2014
mdash uumlberlegungen XII-XV (bdquoSchwarze Hefteldquo 1939ndash1941) In Trawny P GA
96 Frankfurt am Main 2014
mdash Anmerkungen I-V (bdquoSchwarze Hefteldquo 1942ndash1948) In Trawny P GA 97
Frankfurt am Main 2015
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tionphilosophiedea=1ampt=8232ampn=2ampy=5ampc=29gt (zuletzt abgerufen
am 2442016)
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setzt v Susanne Lange Muumlnchen 2008
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55
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deutschsprachigen Kulturraums 15 Bde 1988-93 Bd 5 S 142ndash146
Internetquellenwwwuni-stuttgartdehkompresseservicepressemitteilungen201567
_kellererhtml zuletzt abgerufen am 1442016
wwwdewikipediaorgwiki Martin_Heidegger_und_der_Nationalsozialismus
Die_Heidegger-Kontroverse ndash zuletzt abgerufen am 24042016)
56
Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
Der Unterzeichner versichert dass er die vorliegende Bachelorarbeit selbststaumlndig
verfasst und keine anderen als die von ihm angegebenen Hilfsmittel benutzt hat
Die Stellen der Arbeit die anderen Werken dem Wortlaut oder dem Sinne nach
entnommen sind wurden in jedem Fall unter Angabe der Quellen (einschlieszliglich
des World Wide Web und anderer elektronischer Text- und Datensammlungen)
kenntlich gemacht Dies gilt auch fuumlr beigegebene Zeichnungen bildliche Dar-
stellungen Skizzen und dergleichen
Darmstadt 25 April 2016
__________________________
(Eigenhaumlndige Unterschrift)
- Abkuumlrzungsverzeichnis
- Danksagung
- Einleitung
- Heideggers mythopoetisches Programm
-
- Zu den Begriffen Mythos Mythologie und Mythopoetik
-
- Ein Beispiel fuumlr ein Mythologem
-
- Heideggers Mythen
-
- Formen der Mythologie
-
- Heideggers mythopoetische Technik
-
- Zur Publikationsgeschichte von den Bremer Vortraumlgen 1949
- Die mythopoetische Spiegelung der Schwarzen Hefte
-
- Das Dinglsquo
- Das Ge-Stelllsquo
- Die Gefahrlsquo
- Die Kehrelsquo
-
- Konklusion
- Literaturverzeichnis
- Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
-
45
Trost und Richtung findet Heidegger schlieszliglich abermals bei den alten Griechen
Das Wort stellenlsquo entspricht dem griechischen ϑέσις vorausgesetzt daszlig wirϑέσις griechisch denken Was heiszligt in diesem Falle griechisch denkenlsquo Esheiszligt darauf achten welche Lichtung desWesens des Seyns in welcherWeisedas Dasein der alten Griechen in den Anspruch genommen hat heiszligt imvoraus bedenken in welchem Geschick welcher Unverborgenheit des Seinsdie Griechen standenldquo194
Das sind Vorstellungen des Neuen Anfangs eine Reminiszenz der griechisch anti-
ken Welt Ein Eintrag aus den Schwarzen Heften von etwa 1945-47 () verdichtet
wie oben bereits aufgezeigt die Phantasie griechisch zu sein zu einem gelingenden
Lebensvollzug
Das reine Wesen des Griechentums dh das Seiende inmitten dessen dieGriechen als seiende fremd gewesen dieses und sie selbst und der Bezug desSeins zu ihnen ndash in der einfachen Wesung von der ἀλήθεια her zeigen underfahren Den μῦθος und λόγος ndash jedes Wort und Gebild rein aber nichterzwungen und schematisch-pedant ndash aus ἀλήθεια erfahren195
Hier zeigt sich auch dass Heidegger per se das Aletheia-Prinzip fuumlr notwendig
hielt um ins Licht der Wahrheit zu blicken Die Griechen sind ihm hier deshalb
Vorbild und rein da sie keiner modernen Technik und dem Ge-Stell ausgesetzt
waren sondern lediglich eine mythopoetische Verbindung zum Sein herstellen
mussten um wesentlich zu sein und Seinsgeschichte zu schreiben Die Dinge und
das Spiegel-Spiel des Gevierts waumlren ihnen geschickt zuhanden gewesen196 Hei-
degger macht schlieszliglich sehr deutlich dass das Griechische zu denken ein bei
weitem anderes Geschaumlft sei als philologische Praumlzision
Ein Echo zu sein naumlmlich dem Anspruch des Seins verlangt eine Sorgfaltder Sprache von der freilich der technisch-terminologische Sprachstil derWissenschaften uumlberhaupt nichts wissen kann Die Intentionalitaumlt der wis-senschaftlichen Sprache ist der staumlrkste Beweis fuumlr ihre Boden- und Heimat-losigkeit [] Das Heimische einer hohen Sprache gedeiht nur im Bereichdes unheimlichen Anspruchs der wesenhaften Stille im Wesen des Seyns197
194 GA 79 S 62f195 GA 97 S 20196 Hingegen waumlre das Judentum verantwortlich fuumlr das Ge-Stell fuumlr das Prinzip der Zerstoumlrung
wie es auf der selben Seite der Schwarzen Hefte darunter heiszligt (vgl ebd)197 GA 79 S 66 Die Bedeutung von Seyn als verstelltes Sein oder Bedingung zum Schauen
des wahren Seins ist verwirrend Einer genaueren Analyse wird aus Platzgruumlnden hier nichtnachgegangen
46
324 Die Kehrelsquo
Der letzte Vortrag ist mit nur neun Seiten der Kuumlrzeste des Vortragsgevierts
Nach dem Verlust des Dinges als Ding und der damit einsetzenden Abstandslosig-
keit als Wesen des Ge-Stells wobei die Gefahr zudem der Vergessenheit des Seyns
nachstellt bietet Heidegger eine Perspektive an
Im Wesen der Gefahr verbirgt sich [] die Moumlglichkeit einer Kehre in derdie Vergessenheit des Wesens des Seins sich so wendet daszlig mit dieser Kehredie Wahrheit des Wesens des Seyns in das Seiende eigens einkehrt198
Diese Moumlglichkeit bedeute nicht dass der Mensch sich der Gefahr selbst stellen
koumlnnte sie waumlre passiv ndash bdquoverbirgt sichldquo Die Kehre werde sich ereignen aumlhnlich
einer Erwartung an den Messias
Die Anwesenheit der Gefahr wuumlrde automatisch die Rettung bergen Denn
Houmllderlin haumltte geschrieben bdquoWo aber Gefahr ist waumlchst [d]as Rettende auchlsquoldquo199
Etwa 1945 notiert Heidegger in seine Schwarzen Hefte bdquoDie Wahrheit erfahren
wir im Gedaumlchtnis Das Gedaumlchtnis ist die Dichtungldquo200 (so) Von dieser War-
te aus ausgestattet mit Erinnerungen an das abendlaumlndische Dichten mit dem
Wissen um das Aletheia-Prinzip und passiv als denkender Huumlter des Seyns solle
der Mensch das Ereignis erwarten das ihn bdquoloumlsen freimachen freyen schonen
bergen in die Hut nehmen wahrenldquo201 wuumlrde (siehe S 43)
Dieses Ereignis waumlre der Blitz Ein unvermittelter jaumlher ploumltzlicher Moment
von kurzer Dauer der bloszlig einen ebenso kurzen Blick auf das wahre Wesen er-
lauben wuumlrde Abschlieszligend ist dies das Rezept gegen die Bestands bestellende
Technik in mythopoetischer Formulierung
So entsprechend ist der Mensch geeignet daszlig er im gewahrten Element vonWelt als der Sterbliche dem Goumlttlichen entgegenblickt Anders nicht dennauch der Gott ist wenn er ist ein Seiender steht als Seiender im Seyn unddessen Wesen das sich aus dem Welten von Welt ereignet202
198 GA 79 S 71199 GA 79 S 72200 GA 97 S 52f201 GA 79 S 72202 GA 79 S 76
47
Wenn Heidegger im Anschluss von der bdquohistorisch-technischen Darstellungldquo re-
det so ist dies die Abwehr der Wissenschaften (auch der Philosophie203) und ein
Appell an die Antirationalitaumlt des Mythos bdquokein historisches Vorstellen der Ge-
schichte als Geschehen bringt in den schicklichen Bezug zum Geschickldquo204
Damit das Blitzen erfahren werde als kurze Wesensschau der Aletheia muumlsse
dem wahren abendlaumlndischen und heimatlichen Ereignis stattgegeben werden Es
sollte nicht wie er 1939 schon in den Schwarzen Heften beschreibt das
kuumlnstliche Licht von Historie und Technik in der weder Mensch noch dieGoumltter weder eineWelt noch die Erde sichtbar werden koumlnnen wo aber dasLebenlsquo von allen den immer noch zu wenigen Meistenlsquo erlebtlsquo wird205
Damit schlieszligt der letzte Vortrag mit einer Erwartung an das Ereignis des Blit-
zens nicht das Erleben der Besinnungslosigkeit (vgl Das Ge-Stelllsquo) Schon 1947
traumlumt Heidegger von solcher Umkehr
Aus der Kehre der Seynsvergessenheit aber ereignet sich das Unumgaumlnglicheden Acker der Welt erst zu pfluumlgen und saatbereit der Sonne und dem Regenund den Voumlgeln des Himmels uumlberlassen206
203 Denn ldquo[e]igentlich denken heiszligt [] die Philosophie verlassen [] beim Sagen des Seinslsquoldquo(GA 97 S 60)
204 Ebd205 GA 95 S 427 Gegen das Erlebnis und Erleben straumlubt sich Heidegger besonders So notiert
er etwa 1939 bdquoZeitalter der Techniklsquo macht gerade die Techniklsquo nicht zum Ziel sondernimmer mehr zum Mittel der besinnungslosen Berechnung [] der Mensch [] das Erleb-nislsquo [] Erleben als der Gefuumlhlsgenuszligldquo (GA 95 S 149) Wie auch bdquoWo beide Historie undTechnik in solcher scheinbaren Gegensaumltzlichkeit verkoppelt sind koumlnnen sie sich zur Foumlr-derung dessen zusammenschlieszligen was einstmals wesentlich die Geschichte des Menschenmitbegruumlndete und was wir die Kunstlsquo nennen Die Historie verschafft [] Anregungenund Vorbilder der Nachahmung die Technik erleichtert [] die Zustellung von Darstel-lungsmitteln und Wirkungsformen [] Gleichwohl ist alles wurzellos [] berechnet und alsErlebnislsquo ausgegebenldquo (GA 95 S 212)
206 GA 97 S 511
48
4 Konklusion
Der umstrittene Philosoph Martin Heidegger hat uumlber die 1930erndash40er Jahre
hinweg eine ausgepraumlgte voumllkisch-nationale und bisweilen radikal-antisemitische
Denkweise entwickelt Dieses Denken fasste er auch auf als Besinnung und stellt
es der Philosophie und Wissenschaft diametral entgegen In Kapitel 2 wird aufge-
zeigt dass sowohl Heideggers Mythologie bereits kritisiert wurde (Adorno Cassi-
rer Meyer) als auch seine Mythopoetik bewundert (Schulz-Nieswandt) Kapitel
3 will daruumlber hinaus aufzeigen wie Heidegger eine eigene Mythologie mytho-
poetisch fruchtbar macht was sich von beiden vorigen Ansaumltzen unterscheidet
und erst mit der Veroumlffentlichung der Schwarzen Hefte ab 2014 nachvollziehbar
wurde
Umso mehr bietet die mythopoetische Verbindung von bdquoDichten und Den-
kenldquo (so) einen antitechnischen Gegenpol Denn Heidegger fasst wie oben ge-
schildert alles Rationale auf als berechnende Bestellung des Bestands im Sinne
der Technik Daruumlber hinaus fordert er mit dem Aletheia-Prinzip (als metapho-
risch gefasstes Ereignis des Blitzens) einen Mitvollzug seiner mythopoetischen
Kontemplation in dem religioumlse voumllkische antike und sprachliche Motive zu-
sammenfallen
Obwohl schon von Heidegger selbst nicht mehr als Philosophie betrachtet
hat seine Rede vom Ding dem Ge-Stell dem Wesen der Technik und der Kehre
noch immer einen bedeutenden Einfluss auf die Technikphilosophie So betont
Alfred Nordmann in bdquoWerkwissen oder How to express things in worksldquo (2008)
dass Heidegger mit Das Dinglsquo eine Art Dingwissen geschaffen haumltte In seinem
2012 erschienenen Aufsatz Another parting of the ways Intersubjectivity and the
objectivity of sciencersquo207 geht Nordmann ein weiteres Mal auf Heideggers Ding
ein Dieses waumlre eine Abarbeitung an dem Ding Kants womit auch Nordmann
Heidegger als einen Interpreten Kants versteht208 Anschlieszligend anMichael Fried-
207 Nordmann Alfred Another parting of the ways Intersubjectivity and the objectivity ofscience In Studies in History and Philosophy of Science 43 (2012) 38ndash46
208 Die Auseinandersetzung mit dem Ding wuumlrde nach Nordmann in Heideggers GA mit demText Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalen Grundsaumltzenlsquoeinsetzen (GA 41 Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalenGrundsaumltzen)
49
man spricht sich Nordmann ebenso dafuumlr aus dass Heidegger neben Rudolf Car-
nap und Ernst Cassirer eine neokantianische Philosophie verfolgt haumltte (siehe
Kap 1)209
Nach Nordmann haumltte Heidegger in seinen anschlieszligenden Gedanken uumlber
das Ding als Fortfuumlhrung Kants als erster Wissenschaft als angewandte Techno-
logie verstanden210 Diese Interpretation stuumltzt sich auf die gleichen Symbole
Metaphern und Mythen die die vorliegende Arbeit analysiert Das Ge-Stell ist
insofern aumlquivok mit dem Begriff techno-science Jedoch sind in dieser Fruchtbar-
machung von Heideggers Denken der Technik dessen nationalistischen rassisti-
schen und antisemitischen Implikationen die die vorliegende Arbeit als Zentrum
dessen Philosophie ermitteln konnte noch nicht beachtet worden koumlnnen211
Andreas Luckner webt Heideggers Ding-Entwurf weiter als verantwortliches
Sorgen um die Dinge212 Er geht dabei mit Heidegger voumlllig konform und tritt
eher als eine Art Bote der Ding-Botschaft auf als diese moumlglicherweise zu kriti-
sieren was sich diesen Artikel wie ein Kapitel aus einem Studienbuch lesen laumlsst
Der Darmstaumldter Technikphilosoph Christoph Hubig ist vor allem Kritiker Hei-
deggers Argumentationen laumlsst aber zuweilen diverse Topoi aus dem Werk des
Technik-Denkers durchscheinen ohne sie weiter zu reflektieren
So konstatiert Hubig Heidegger verfehle in dessen Auseinandersetzung mit
Aristoteles Lehre von der Poiesis zum Punkt der Sicherung wie sie in Die Frage
nach der Techniklsquo behandelt wird bdquodie operative Seite des Technischenldquo bei Aris-
totels213 In einem spaumlteren Aufsatz allerdings stuumltzt er sich ohne weitere Erlaumlute-
rungen auf Heideggers Begriff der Sicherung aus Die Frage nach der Techniklsquo214
209 Diese Befriedung paradigmatischer Umstaumlnde wird hier nicht geteilt Eine weitere Bearbeitunglaumlsst der Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht zu
210 Vgl Nordmann Another parting of the ways S 45211 Der Aussage dass Heideggers Ding-Begriff kantianisch waumlre muumlsste einer gezielten Untersu-
chung unterzogen werden genau wie die Behauptung insgesamt dass Heidegger oder inwie-weit dieser noch der suumlddeutschen Kantschule des 1920 Jahrhunderts angehoumlrte
212 Vgl Luckner Andreas Ding und Bestand Heidegger und das Wesen neuzeitlicher TechnikIn Gamm G Gehring P Hubig C Kaminski A und Nordmann A Ding und SystemS 15-30 hier S 29
213 Hubig Christoph Die Kunst des Moumlglichen Technikphilosophie als Reflexion der MedialitaumltBielefeld 2006 S 103
214 Vgl Hubig Christoph Technik als Medium In Grundwald Armin (Hg) Handbuch Tech-nikethik Stuttgart 2013 S 118-123 hier S 118
50
Dabei versteht Hubig Heideggers Betrachtungen zum Umgang mit der Technik
als gelassen
Fuumlr Heidegger liegt die Andersheit im Entbergen einer Wahrheit des Seinseines Geschicks von dem die Entwicklung der Technik hin zum Gestellkuumlnde Er verbindet dies mit dem Appell jenseits des rechnenden und si-chernden Vorstellens technischer Vollzuumlge als handlungsleitender Program-me sich gelassenlsquo dieser Entwicklung zu uumlberantworten und ein Seinlsquo zuhuumlten das sich als solches eben entbirgt Das Rettendelsquo dieser Einsicht lie-ge darin dass unsere individuelle Endlichkeit insofern transzendiert wirdals sie sich dem sie uumlbersteigenden Prozess aufschlieszligt und sich selbst relati-viert215
Wovon in diesem Zitat nicht die Rede ist ist der Mitvollzug der mythopoe-
tischen Rahmenbedinungen die Heidegger einfordert und an dem die Konzep-
te Abendland und voumllkische Tradition haumlngen In dieser Arbeit wird davon aus-
gegangen dass Heideggers Technikphilosophie-erzaumlhlung sich nicht von seinen
Absichten der Bekaumlmpfung des Technischen loumlsen laumlsst Die Relativierung ist in-
sofern nicht an den Prozess gebunden und damit emergent auf alles hin ausge-
richtet was kommen mag sondern houmlchst konvergent in einer Besinnung auf
Mythen von dem Ding und dem Geviert mit all deren Valenzen aus dem vorlie-
genden Heideggerschen Textkorpus Die individuelle Endlichkeit ist genoumltigt die
Heimat und das Abendland zu kennen und im Aletheia-Prinzip umzusetzen
Die Neubewertung der bislang bekannten Heideggerschen Technikphiloso-
phie von vor den SchwarzenHeften ist ein dringendes Desiderat Voumllkisch-nationale
Gruppierungen erstarken momentan in ganz Europa und es koumlnnte sehr hilfreich
sein aumlhnliche Denkstrukturen aufzudecken so wie sie zwischen den 1930er und
40er Jahren entwickelt wurden Zusaumltzlich muss das Werk Heideggers einer kriti-
schen Revision schon aufgrund der niemals von ihm behandelten Antisemitismen
unterzogen werden Heidegger hat nie zu diesen Stellung bezogen
Daruumlber hinaus ist das Thema Mythos und Philosophie ein weiterhin not-
wendiger Bereich der philosophischen Forschung In einem Bereich auszligerhalb
der exakten Wissenschaften und ohne klare theologische Tradition ist die Philo-
215 Hubig Die Kunst des Moumlglichen S 140
51
sophie beides sowohl Aufklaumlrer und antimythisch als auch Quelle fuumlr mythisches
Denken und affektierende Motive
52
Literaturverzeichnis
Primaumlrliteratur
Heidegger Martin Sein und Zeit (1927) In Herrmann Friedrich Wilhelm von
(Hg) GA 2 Frankfurt am Main 1977
mdash Wegmarken (1919ndash1961) In Herrmann Friedrich Wilhelm von (Hg) GA
9 Frankfurt am Main 1996
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S (Hg) GA 39 Frankfurt am Main 1999
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Frankfurt am Main 1997
mdash Bremer und Freiburger Vortraumlge In Jaeger P GA 79 Frankfurt am Main
1994
mdash uumlberlegungen II-VI (bdquoSchwarze Hefteldquo 1931ndash1938) In Trawny P GA 94
Frankfurt am Main 2014
mdash uumlberlegungen VII-XI (bdquoSchwarze Hefteldquo 1938ndash1939) In Trawny P GA
95 Frankfurt am Main 2014
mdash uumlberlegungen XII-XV (bdquoSchwarze Hefteldquo 1939ndash1941) In Trawny P GA
96 Frankfurt am Main 2014
mdash Anmerkungen I-V (bdquoSchwarze Hefteldquo 1942ndash1948) In Trawny P GA 97
Frankfurt am Main 2015
mdash Vortraumlge und Aufsaumltze Pfullingen 1954
mdash Die Technik und die Kehre Pfullingen 1962
53
Sekundaumlrliteratur
Adorno Theodor W Jargon der Eigentlichkeit Zur deutschen Ideologie Frank-
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Babich Babette Nietzsche Heideggers Widerstand In Alfred Denker u Holger
Zaborowski (Hg) Heidegger-Jahrbuch 5 Heidegger und der Nationalsozia-
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Boumlhme Gernot Selbstinszenierung uumlber Ruhm in der Philosophie In Informa-
tion Philosophie (Online Ausgabe 12015) URL=lthttpwwwinforma-
tionphilosophiedea=1ampt=8232ampn=2ampy=5ampc=29gt (zuletzt abgerufen
am 2442016)
Cassirer Ernst Der Mythus des Staates Hamburg 2002
Cervantes Miguel de Don Quichote von der Mancha Herausgeben und uumlber-
setzt v Susanne Lange Muumlnchen 2008
Dahms Hans Philosophie In Frank-Rutger Hausmann (Hg) Die Rolle der
Geisteswissenschaften im Dritten Reich 1933ndash1945 Muumlnchen 2002 S 193-
228
mdash Philosophie In Elvert Juumlrgen und Nilson-Sikora Juumlrgen (Hg) Kulturwis-
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Friedman Michael Carnap Heidegger Cassirer Geteilte Wege Frankfurt am
Main 2004
Fuchs Christian Martin-Heideggerrsquos anti-Semitism Philosophy of technology
and the media in the light of the ldquoBlack Notebooksldquo Implications for the
reception of Heidegger in media and communication studies In tripleC
Communication Capitalism amp Critique 13 (1) (2015) S 55ndash78
Heinz Marion und Kellerer Sidonie (Hg) Martin Heideggers raquoSchwarze Heftelaquo
Eine philosophisch-politische Debatte Berlin 2016 (im Druck)
Hubig Christoph Die Kunst des Moumlglichen Technikphilosophie als Reflexion
der Medialitaumlt Bielefeld 2006
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Luckner Andreas Heidegger und das Denken der Technik Bielefeld 2008
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Meyer Daniel Die Entdeckung des griechischen Mythos Heideggers geschichts-
philosophische Wende Germanica 45 (2009) S 13ndash26
Nordmann AlfredWerkwissen oder How to express things in works In Gamm
G Gehring P Hubig C Kaminski A und Nordmann A (Hg) Ding
und System S 81ndash92
mdash Another parting of the ways Intersubjectivity and the objectivity of sci-
ence In Studies in History and Philosophy of Science 43 (2012) 38ndash46
Rudolph Enno Heideggers Schwarze Hefte im Echo In Philosophische Rund-
schau Bd 62 Heft 2 (2015) S 141-154
Sartre Jean-Paul Lrsquoexistentialisme est un humanisme Editions Nagel Paris 1946
mdash Zum Existentialismus ndash eine Klarstellung In Der Existenzialismus ist ein
Humanismus und andere philosophische Essays 1943ndash1948 Philosophische
Schriften I Frankfurt am Main 1994 S113ndash121
Schulz-Nieswandt Frank Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsver-
staumlndnis bei Walter F Otto (1874ndash1958) Eine strukturalistische und psycho-
dynamische Rezeption Baden-Baden 2014
55
Trawny Peter Heidegger und derMythos der juumldischenWeltverschwoumlrung Frank-
furt am Main 2015
Wolin Richard Heideggers bdquoSchwarze Hefteldquo Nationalsozialismus Weltjuden-
tum und Seinsgeschichte In Vierteljahrsheft fuumlr Zeitgeschichte Bd 63 Heft
3 S 379ndash410
LexikaHeidmann Vischer Ute Mythoslsquo In Braunart Georg ua (Hg) Reallexikon
der deutschen Literaturwissenschaft Bd 2 Berlin New York 2000 S 664ndash
668
mdash Mythologielsquo In Braunart Georg ua (Hg) Reallexikon der deutschen
Literaturwissenschaft Bd 2 Berlin New York 2000 S 660ndash664
Graf Fritz (Princeton) Zgoll Annette (Leipzig) Hazenbos Joost (Leipzig)
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bert (Antike) und Schneider Helmuth Landfester Manfred (Rezeptions-
und Wissenschaftsgeschichte) Brill Online 2015 Reference Universitaumlts-
und Landesbibliothek Darmstadt 06 December 2015 httpreferenceworks
brillonlinecomentriesder-neue-paulymythos-e815160 First appeared on-
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und Guumlnther Stuttgart 1990
Poumlggeler Otto Heidegger In Killy Literaturlexikon Autoren und Werke des
deutschsprachigen Kulturraums 15 Bde 1988-93 Bd 5 S 142ndash146
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wwwdewikipediaorgwiki Martin_Heidegger_und_der_Nationalsozialismus
Die_Heidegger-Kontroverse ndash zuletzt abgerufen am 24042016)
56
Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
Der Unterzeichner versichert dass er die vorliegende Bachelorarbeit selbststaumlndig
verfasst und keine anderen als die von ihm angegebenen Hilfsmittel benutzt hat
Die Stellen der Arbeit die anderen Werken dem Wortlaut oder dem Sinne nach
entnommen sind wurden in jedem Fall unter Angabe der Quellen (einschlieszliglich
des World Wide Web und anderer elektronischer Text- und Datensammlungen)
kenntlich gemacht Dies gilt auch fuumlr beigegebene Zeichnungen bildliche Dar-
stellungen Skizzen und dergleichen
Darmstadt 25 April 2016
__________________________
(Eigenhaumlndige Unterschrift)
- Abkuumlrzungsverzeichnis
- Danksagung
- Einleitung
- Heideggers mythopoetisches Programm
-
- Zu den Begriffen Mythos Mythologie und Mythopoetik
-
- Ein Beispiel fuumlr ein Mythologem
-
- Heideggers Mythen
-
- Formen der Mythologie
-
- Heideggers mythopoetische Technik
-
- Zur Publikationsgeschichte von den Bremer Vortraumlgen 1949
- Die mythopoetische Spiegelung der Schwarzen Hefte
-
- Das Dinglsquo
- Das Ge-Stelllsquo
- Die Gefahrlsquo
- Die Kehrelsquo
-
- Konklusion
- Literaturverzeichnis
- Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
-
46
324 Die Kehrelsquo
Der letzte Vortrag ist mit nur neun Seiten der Kuumlrzeste des Vortragsgevierts
Nach dem Verlust des Dinges als Ding und der damit einsetzenden Abstandslosig-
keit als Wesen des Ge-Stells wobei die Gefahr zudem der Vergessenheit des Seyns
nachstellt bietet Heidegger eine Perspektive an
Im Wesen der Gefahr verbirgt sich [] die Moumlglichkeit einer Kehre in derdie Vergessenheit des Wesens des Seins sich so wendet daszlig mit dieser Kehredie Wahrheit des Wesens des Seyns in das Seiende eigens einkehrt198
Diese Moumlglichkeit bedeute nicht dass der Mensch sich der Gefahr selbst stellen
koumlnnte sie waumlre passiv ndash bdquoverbirgt sichldquo Die Kehre werde sich ereignen aumlhnlich
einer Erwartung an den Messias
Die Anwesenheit der Gefahr wuumlrde automatisch die Rettung bergen Denn
Houmllderlin haumltte geschrieben bdquoWo aber Gefahr ist waumlchst [d]as Rettende auchlsquoldquo199
Etwa 1945 notiert Heidegger in seine Schwarzen Hefte bdquoDie Wahrheit erfahren
wir im Gedaumlchtnis Das Gedaumlchtnis ist die Dichtungldquo200 (so) Von dieser War-
te aus ausgestattet mit Erinnerungen an das abendlaumlndische Dichten mit dem
Wissen um das Aletheia-Prinzip und passiv als denkender Huumlter des Seyns solle
der Mensch das Ereignis erwarten das ihn bdquoloumlsen freimachen freyen schonen
bergen in die Hut nehmen wahrenldquo201 wuumlrde (siehe S 43)
Dieses Ereignis waumlre der Blitz Ein unvermittelter jaumlher ploumltzlicher Moment
von kurzer Dauer der bloszlig einen ebenso kurzen Blick auf das wahre Wesen er-
lauben wuumlrde Abschlieszligend ist dies das Rezept gegen die Bestands bestellende
Technik in mythopoetischer Formulierung
So entsprechend ist der Mensch geeignet daszlig er im gewahrten Element vonWelt als der Sterbliche dem Goumlttlichen entgegenblickt Anders nicht dennauch der Gott ist wenn er ist ein Seiender steht als Seiender im Seyn unddessen Wesen das sich aus dem Welten von Welt ereignet202
198 GA 79 S 71199 GA 79 S 72200 GA 97 S 52f201 GA 79 S 72202 GA 79 S 76
47
Wenn Heidegger im Anschluss von der bdquohistorisch-technischen Darstellungldquo re-
det so ist dies die Abwehr der Wissenschaften (auch der Philosophie203) und ein
Appell an die Antirationalitaumlt des Mythos bdquokein historisches Vorstellen der Ge-
schichte als Geschehen bringt in den schicklichen Bezug zum Geschickldquo204
Damit das Blitzen erfahren werde als kurze Wesensschau der Aletheia muumlsse
dem wahren abendlaumlndischen und heimatlichen Ereignis stattgegeben werden Es
sollte nicht wie er 1939 schon in den Schwarzen Heften beschreibt das
kuumlnstliche Licht von Historie und Technik in der weder Mensch noch dieGoumltter weder eineWelt noch die Erde sichtbar werden koumlnnen wo aber dasLebenlsquo von allen den immer noch zu wenigen Meistenlsquo erlebtlsquo wird205
Damit schlieszligt der letzte Vortrag mit einer Erwartung an das Ereignis des Blit-
zens nicht das Erleben der Besinnungslosigkeit (vgl Das Ge-Stelllsquo) Schon 1947
traumlumt Heidegger von solcher Umkehr
Aus der Kehre der Seynsvergessenheit aber ereignet sich das Unumgaumlnglicheden Acker der Welt erst zu pfluumlgen und saatbereit der Sonne und dem Regenund den Voumlgeln des Himmels uumlberlassen206
203 Denn ldquo[e]igentlich denken heiszligt [] die Philosophie verlassen [] beim Sagen des Seinslsquoldquo(GA 97 S 60)
204 Ebd205 GA 95 S 427 Gegen das Erlebnis und Erleben straumlubt sich Heidegger besonders So notiert
er etwa 1939 bdquoZeitalter der Techniklsquo macht gerade die Techniklsquo nicht zum Ziel sondernimmer mehr zum Mittel der besinnungslosen Berechnung [] der Mensch [] das Erleb-nislsquo [] Erleben als der Gefuumlhlsgenuszligldquo (GA 95 S 149) Wie auch bdquoWo beide Historie undTechnik in solcher scheinbaren Gegensaumltzlichkeit verkoppelt sind koumlnnen sie sich zur Foumlr-derung dessen zusammenschlieszligen was einstmals wesentlich die Geschichte des Menschenmitbegruumlndete und was wir die Kunstlsquo nennen Die Historie verschafft [] Anregungenund Vorbilder der Nachahmung die Technik erleichtert [] die Zustellung von Darstel-lungsmitteln und Wirkungsformen [] Gleichwohl ist alles wurzellos [] berechnet und alsErlebnislsquo ausgegebenldquo (GA 95 S 212)
206 GA 97 S 511
48
4 Konklusion
Der umstrittene Philosoph Martin Heidegger hat uumlber die 1930erndash40er Jahre
hinweg eine ausgepraumlgte voumllkisch-nationale und bisweilen radikal-antisemitische
Denkweise entwickelt Dieses Denken fasste er auch auf als Besinnung und stellt
es der Philosophie und Wissenschaft diametral entgegen In Kapitel 2 wird aufge-
zeigt dass sowohl Heideggers Mythologie bereits kritisiert wurde (Adorno Cassi-
rer Meyer) als auch seine Mythopoetik bewundert (Schulz-Nieswandt) Kapitel
3 will daruumlber hinaus aufzeigen wie Heidegger eine eigene Mythologie mytho-
poetisch fruchtbar macht was sich von beiden vorigen Ansaumltzen unterscheidet
und erst mit der Veroumlffentlichung der Schwarzen Hefte ab 2014 nachvollziehbar
wurde
Umso mehr bietet die mythopoetische Verbindung von bdquoDichten und Den-
kenldquo (so) einen antitechnischen Gegenpol Denn Heidegger fasst wie oben ge-
schildert alles Rationale auf als berechnende Bestellung des Bestands im Sinne
der Technik Daruumlber hinaus fordert er mit dem Aletheia-Prinzip (als metapho-
risch gefasstes Ereignis des Blitzens) einen Mitvollzug seiner mythopoetischen
Kontemplation in dem religioumlse voumllkische antike und sprachliche Motive zu-
sammenfallen
Obwohl schon von Heidegger selbst nicht mehr als Philosophie betrachtet
hat seine Rede vom Ding dem Ge-Stell dem Wesen der Technik und der Kehre
noch immer einen bedeutenden Einfluss auf die Technikphilosophie So betont
Alfred Nordmann in bdquoWerkwissen oder How to express things in worksldquo (2008)
dass Heidegger mit Das Dinglsquo eine Art Dingwissen geschaffen haumltte In seinem
2012 erschienenen Aufsatz Another parting of the ways Intersubjectivity and the
objectivity of sciencersquo207 geht Nordmann ein weiteres Mal auf Heideggers Ding
ein Dieses waumlre eine Abarbeitung an dem Ding Kants womit auch Nordmann
Heidegger als einen Interpreten Kants versteht208 Anschlieszligend anMichael Fried-
207 Nordmann Alfred Another parting of the ways Intersubjectivity and the objectivity ofscience In Studies in History and Philosophy of Science 43 (2012) 38ndash46
208 Die Auseinandersetzung mit dem Ding wuumlrde nach Nordmann in Heideggers GA mit demText Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalen Grundsaumltzenlsquoeinsetzen (GA 41 Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalenGrundsaumltzen)
49
man spricht sich Nordmann ebenso dafuumlr aus dass Heidegger neben Rudolf Car-
nap und Ernst Cassirer eine neokantianische Philosophie verfolgt haumltte (siehe
Kap 1)209
Nach Nordmann haumltte Heidegger in seinen anschlieszligenden Gedanken uumlber
das Ding als Fortfuumlhrung Kants als erster Wissenschaft als angewandte Techno-
logie verstanden210 Diese Interpretation stuumltzt sich auf die gleichen Symbole
Metaphern und Mythen die die vorliegende Arbeit analysiert Das Ge-Stell ist
insofern aumlquivok mit dem Begriff techno-science Jedoch sind in dieser Fruchtbar-
machung von Heideggers Denken der Technik dessen nationalistischen rassisti-
schen und antisemitischen Implikationen die die vorliegende Arbeit als Zentrum
dessen Philosophie ermitteln konnte noch nicht beachtet worden koumlnnen211
Andreas Luckner webt Heideggers Ding-Entwurf weiter als verantwortliches
Sorgen um die Dinge212 Er geht dabei mit Heidegger voumlllig konform und tritt
eher als eine Art Bote der Ding-Botschaft auf als diese moumlglicherweise zu kriti-
sieren was sich diesen Artikel wie ein Kapitel aus einem Studienbuch lesen laumlsst
Der Darmstaumldter Technikphilosoph Christoph Hubig ist vor allem Kritiker Hei-
deggers Argumentationen laumlsst aber zuweilen diverse Topoi aus dem Werk des
Technik-Denkers durchscheinen ohne sie weiter zu reflektieren
So konstatiert Hubig Heidegger verfehle in dessen Auseinandersetzung mit
Aristoteles Lehre von der Poiesis zum Punkt der Sicherung wie sie in Die Frage
nach der Techniklsquo behandelt wird bdquodie operative Seite des Technischenldquo bei Aris-
totels213 In einem spaumlteren Aufsatz allerdings stuumltzt er sich ohne weitere Erlaumlute-
rungen auf Heideggers Begriff der Sicherung aus Die Frage nach der Techniklsquo214
209 Diese Befriedung paradigmatischer Umstaumlnde wird hier nicht geteilt Eine weitere Bearbeitunglaumlsst der Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht zu
210 Vgl Nordmann Another parting of the ways S 45211 Der Aussage dass Heideggers Ding-Begriff kantianisch waumlre muumlsste einer gezielten Untersu-
chung unterzogen werden genau wie die Behauptung insgesamt dass Heidegger oder inwie-weit dieser noch der suumlddeutschen Kantschule des 1920 Jahrhunderts angehoumlrte
212 Vgl Luckner Andreas Ding und Bestand Heidegger und das Wesen neuzeitlicher TechnikIn Gamm G Gehring P Hubig C Kaminski A und Nordmann A Ding und SystemS 15-30 hier S 29
213 Hubig Christoph Die Kunst des Moumlglichen Technikphilosophie als Reflexion der MedialitaumltBielefeld 2006 S 103
214 Vgl Hubig Christoph Technik als Medium In Grundwald Armin (Hg) Handbuch Tech-nikethik Stuttgart 2013 S 118-123 hier S 118
50
Dabei versteht Hubig Heideggers Betrachtungen zum Umgang mit der Technik
als gelassen
Fuumlr Heidegger liegt die Andersheit im Entbergen einer Wahrheit des Seinseines Geschicks von dem die Entwicklung der Technik hin zum Gestellkuumlnde Er verbindet dies mit dem Appell jenseits des rechnenden und si-chernden Vorstellens technischer Vollzuumlge als handlungsleitender Program-me sich gelassenlsquo dieser Entwicklung zu uumlberantworten und ein Seinlsquo zuhuumlten das sich als solches eben entbirgt Das Rettendelsquo dieser Einsicht lie-ge darin dass unsere individuelle Endlichkeit insofern transzendiert wirdals sie sich dem sie uumlbersteigenden Prozess aufschlieszligt und sich selbst relati-viert215
Wovon in diesem Zitat nicht die Rede ist ist der Mitvollzug der mythopoe-
tischen Rahmenbedinungen die Heidegger einfordert und an dem die Konzep-
te Abendland und voumllkische Tradition haumlngen In dieser Arbeit wird davon aus-
gegangen dass Heideggers Technikphilosophie-erzaumlhlung sich nicht von seinen
Absichten der Bekaumlmpfung des Technischen loumlsen laumlsst Die Relativierung ist in-
sofern nicht an den Prozess gebunden und damit emergent auf alles hin ausge-
richtet was kommen mag sondern houmlchst konvergent in einer Besinnung auf
Mythen von dem Ding und dem Geviert mit all deren Valenzen aus dem vorlie-
genden Heideggerschen Textkorpus Die individuelle Endlichkeit ist genoumltigt die
Heimat und das Abendland zu kennen und im Aletheia-Prinzip umzusetzen
Die Neubewertung der bislang bekannten Heideggerschen Technikphiloso-
phie von vor den SchwarzenHeften ist ein dringendes Desiderat Voumllkisch-nationale
Gruppierungen erstarken momentan in ganz Europa und es koumlnnte sehr hilfreich
sein aumlhnliche Denkstrukturen aufzudecken so wie sie zwischen den 1930er und
40er Jahren entwickelt wurden Zusaumltzlich muss das Werk Heideggers einer kriti-
schen Revision schon aufgrund der niemals von ihm behandelten Antisemitismen
unterzogen werden Heidegger hat nie zu diesen Stellung bezogen
Daruumlber hinaus ist das Thema Mythos und Philosophie ein weiterhin not-
wendiger Bereich der philosophischen Forschung In einem Bereich auszligerhalb
der exakten Wissenschaften und ohne klare theologische Tradition ist die Philo-
215 Hubig Die Kunst des Moumlglichen S 140
51
sophie beides sowohl Aufklaumlrer und antimythisch als auch Quelle fuumlr mythisches
Denken und affektierende Motive
52
Literaturverzeichnis
Primaumlrliteratur
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668
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Metzler Literatur Lexikon Begriffe und Definitionen hg v Schweikle Irmgard
und Guumlnther Stuttgart 1990
Poumlggeler Otto Heidegger In Killy Literaturlexikon Autoren und Werke des
deutschsprachigen Kulturraums 15 Bde 1988-93 Bd 5 S 142ndash146
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wwwdewikipediaorgwiki Martin_Heidegger_und_der_Nationalsozialismus
Die_Heidegger-Kontroverse ndash zuletzt abgerufen am 24042016)
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Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
Der Unterzeichner versichert dass er die vorliegende Bachelorarbeit selbststaumlndig
verfasst und keine anderen als die von ihm angegebenen Hilfsmittel benutzt hat
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entnommen sind wurden in jedem Fall unter Angabe der Quellen (einschlieszliglich
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kenntlich gemacht Dies gilt auch fuumlr beigegebene Zeichnungen bildliche Dar-
stellungen Skizzen und dergleichen
Darmstadt 25 April 2016
__________________________
(Eigenhaumlndige Unterschrift)
- Abkuumlrzungsverzeichnis
- Danksagung
- Einleitung
- Heideggers mythopoetisches Programm
-
- Zu den Begriffen Mythos Mythologie und Mythopoetik
-
- Ein Beispiel fuumlr ein Mythologem
-
- Heideggers Mythen
-
- Formen der Mythologie
-
- Heideggers mythopoetische Technik
-
- Zur Publikationsgeschichte von den Bremer Vortraumlgen 1949
- Die mythopoetische Spiegelung der Schwarzen Hefte
-
- Das Dinglsquo
- Das Ge-Stelllsquo
- Die Gefahrlsquo
- Die Kehrelsquo
-
- Konklusion
- Literaturverzeichnis
- Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
-
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Wenn Heidegger im Anschluss von der bdquohistorisch-technischen Darstellungldquo re-
det so ist dies die Abwehr der Wissenschaften (auch der Philosophie203) und ein
Appell an die Antirationalitaumlt des Mythos bdquokein historisches Vorstellen der Ge-
schichte als Geschehen bringt in den schicklichen Bezug zum Geschickldquo204
Damit das Blitzen erfahren werde als kurze Wesensschau der Aletheia muumlsse
dem wahren abendlaumlndischen und heimatlichen Ereignis stattgegeben werden Es
sollte nicht wie er 1939 schon in den Schwarzen Heften beschreibt das
kuumlnstliche Licht von Historie und Technik in der weder Mensch noch dieGoumltter weder eineWelt noch die Erde sichtbar werden koumlnnen wo aber dasLebenlsquo von allen den immer noch zu wenigen Meistenlsquo erlebtlsquo wird205
Damit schlieszligt der letzte Vortrag mit einer Erwartung an das Ereignis des Blit-
zens nicht das Erleben der Besinnungslosigkeit (vgl Das Ge-Stelllsquo) Schon 1947
traumlumt Heidegger von solcher Umkehr
Aus der Kehre der Seynsvergessenheit aber ereignet sich das Unumgaumlnglicheden Acker der Welt erst zu pfluumlgen und saatbereit der Sonne und dem Regenund den Voumlgeln des Himmels uumlberlassen206
203 Denn ldquo[e]igentlich denken heiszligt [] die Philosophie verlassen [] beim Sagen des Seinslsquoldquo(GA 97 S 60)
204 Ebd205 GA 95 S 427 Gegen das Erlebnis und Erleben straumlubt sich Heidegger besonders So notiert
er etwa 1939 bdquoZeitalter der Techniklsquo macht gerade die Techniklsquo nicht zum Ziel sondernimmer mehr zum Mittel der besinnungslosen Berechnung [] der Mensch [] das Erleb-nislsquo [] Erleben als der Gefuumlhlsgenuszligldquo (GA 95 S 149) Wie auch bdquoWo beide Historie undTechnik in solcher scheinbaren Gegensaumltzlichkeit verkoppelt sind koumlnnen sie sich zur Foumlr-derung dessen zusammenschlieszligen was einstmals wesentlich die Geschichte des Menschenmitbegruumlndete und was wir die Kunstlsquo nennen Die Historie verschafft [] Anregungenund Vorbilder der Nachahmung die Technik erleichtert [] die Zustellung von Darstel-lungsmitteln und Wirkungsformen [] Gleichwohl ist alles wurzellos [] berechnet und alsErlebnislsquo ausgegebenldquo (GA 95 S 212)
206 GA 97 S 511
48
4 Konklusion
Der umstrittene Philosoph Martin Heidegger hat uumlber die 1930erndash40er Jahre
hinweg eine ausgepraumlgte voumllkisch-nationale und bisweilen radikal-antisemitische
Denkweise entwickelt Dieses Denken fasste er auch auf als Besinnung und stellt
es der Philosophie und Wissenschaft diametral entgegen In Kapitel 2 wird aufge-
zeigt dass sowohl Heideggers Mythologie bereits kritisiert wurde (Adorno Cassi-
rer Meyer) als auch seine Mythopoetik bewundert (Schulz-Nieswandt) Kapitel
3 will daruumlber hinaus aufzeigen wie Heidegger eine eigene Mythologie mytho-
poetisch fruchtbar macht was sich von beiden vorigen Ansaumltzen unterscheidet
und erst mit der Veroumlffentlichung der Schwarzen Hefte ab 2014 nachvollziehbar
wurde
Umso mehr bietet die mythopoetische Verbindung von bdquoDichten und Den-
kenldquo (so) einen antitechnischen Gegenpol Denn Heidegger fasst wie oben ge-
schildert alles Rationale auf als berechnende Bestellung des Bestands im Sinne
der Technik Daruumlber hinaus fordert er mit dem Aletheia-Prinzip (als metapho-
risch gefasstes Ereignis des Blitzens) einen Mitvollzug seiner mythopoetischen
Kontemplation in dem religioumlse voumllkische antike und sprachliche Motive zu-
sammenfallen
Obwohl schon von Heidegger selbst nicht mehr als Philosophie betrachtet
hat seine Rede vom Ding dem Ge-Stell dem Wesen der Technik und der Kehre
noch immer einen bedeutenden Einfluss auf die Technikphilosophie So betont
Alfred Nordmann in bdquoWerkwissen oder How to express things in worksldquo (2008)
dass Heidegger mit Das Dinglsquo eine Art Dingwissen geschaffen haumltte In seinem
2012 erschienenen Aufsatz Another parting of the ways Intersubjectivity and the
objectivity of sciencersquo207 geht Nordmann ein weiteres Mal auf Heideggers Ding
ein Dieses waumlre eine Abarbeitung an dem Ding Kants womit auch Nordmann
Heidegger als einen Interpreten Kants versteht208 Anschlieszligend anMichael Fried-
207 Nordmann Alfred Another parting of the ways Intersubjectivity and the objectivity ofscience In Studies in History and Philosophy of Science 43 (2012) 38ndash46
208 Die Auseinandersetzung mit dem Ding wuumlrde nach Nordmann in Heideggers GA mit demText Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalen Grundsaumltzenlsquoeinsetzen (GA 41 Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalenGrundsaumltzen)
49
man spricht sich Nordmann ebenso dafuumlr aus dass Heidegger neben Rudolf Car-
nap und Ernst Cassirer eine neokantianische Philosophie verfolgt haumltte (siehe
Kap 1)209
Nach Nordmann haumltte Heidegger in seinen anschlieszligenden Gedanken uumlber
das Ding als Fortfuumlhrung Kants als erster Wissenschaft als angewandte Techno-
logie verstanden210 Diese Interpretation stuumltzt sich auf die gleichen Symbole
Metaphern und Mythen die die vorliegende Arbeit analysiert Das Ge-Stell ist
insofern aumlquivok mit dem Begriff techno-science Jedoch sind in dieser Fruchtbar-
machung von Heideggers Denken der Technik dessen nationalistischen rassisti-
schen und antisemitischen Implikationen die die vorliegende Arbeit als Zentrum
dessen Philosophie ermitteln konnte noch nicht beachtet worden koumlnnen211
Andreas Luckner webt Heideggers Ding-Entwurf weiter als verantwortliches
Sorgen um die Dinge212 Er geht dabei mit Heidegger voumlllig konform und tritt
eher als eine Art Bote der Ding-Botschaft auf als diese moumlglicherweise zu kriti-
sieren was sich diesen Artikel wie ein Kapitel aus einem Studienbuch lesen laumlsst
Der Darmstaumldter Technikphilosoph Christoph Hubig ist vor allem Kritiker Hei-
deggers Argumentationen laumlsst aber zuweilen diverse Topoi aus dem Werk des
Technik-Denkers durchscheinen ohne sie weiter zu reflektieren
So konstatiert Hubig Heidegger verfehle in dessen Auseinandersetzung mit
Aristoteles Lehre von der Poiesis zum Punkt der Sicherung wie sie in Die Frage
nach der Techniklsquo behandelt wird bdquodie operative Seite des Technischenldquo bei Aris-
totels213 In einem spaumlteren Aufsatz allerdings stuumltzt er sich ohne weitere Erlaumlute-
rungen auf Heideggers Begriff der Sicherung aus Die Frage nach der Techniklsquo214
209 Diese Befriedung paradigmatischer Umstaumlnde wird hier nicht geteilt Eine weitere Bearbeitunglaumlsst der Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht zu
210 Vgl Nordmann Another parting of the ways S 45211 Der Aussage dass Heideggers Ding-Begriff kantianisch waumlre muumlsste einer gezielten Untersu-
chung unterzogen werden genau wie die Behauptung insgesamt dass Heidegger oder inwie-weit dieser noch der suumlddeutschen Kantschule des 1920 Jahrhunderts angehoumlrte
212 Vgl Luckner Andreas Ding und Bestand Heidegger und das Wesen neuzeitlicher TechnikIn Gamm G Gehring P Hubig C Kaminski A und Nordmann A Ding und SystemS 15-30 hier S 29
213 Hubig Christoph Die Kunst des Moumlglichen Technikphilosophie als Reflexion der MedialitaumltBielefeld 2006 S 103
214 Vgl Hubig Christoph Technik als Medium In Grundwald Armin (Hg) Handbuch Tech-nikethik Stuttgart 2013 S 118-123 hier S 118
50
Dabei versteht Hubig Heideggers Betrachtungen zum Umgang mit der Technik
als gelassen
Fuumlr Heidegger liegt die Andersheit im Entbergen einer Wahrheit des Seinseines Geschicks von dem die Entwicklung der Technik hin zum Gestellkuumlnde Er verbindet dies mit dem Appell jenseits des rechnenden und si-chernden Vorstellens technischer Vollzuumlge als handlungsleitender Program-me sich gelassenlsquo dieser Entwicklung zu uumlberantworten und ein Seinlsquo zuhuumlten das sich als solches eben entbirgt Das Rettendelsquo dieser Einsicht lie-ge darin dass unsere individuelle Endlichkeit insofern transzendiert wirdals sie sich dem sie uumlbersteigenden Prozess aufschlieszligt und sich selbst relati-viert215
Wovon in diesem Zitat nicht die Rede ist ist der Mitvollzug der mythopoe-
tischen Rahmenbedinungen die Heidegger einfordert und an dem die Konzep-
te Abendland und voumllkische Tradition haumlngen In dieser Arbeit wird davon aus-
gegangen dass Heideggers Technikphilosophie-erzaumlhlung sich nicht von seinen
Absichten der Bekaumlmpfung des Technischen loumlsen laumlsst Die Relativierung ist in-
sofern nicht an den Prozess gebunden und damit emergent auf alles hin ausge-
richtet was kommen mag sondern houmlchst konvergent in einer Besinnung auf
Mythen von dem Ding und dem Geviert mit all deren Valenzen aus dem vorlie-
genden Heideggerschen Textkorpus Die individuelle Endlichkeit ist genoumltigt die
Heimat und das Abendland zu kennen und im Aletheia-Prinzip umzusetzen
Die Neubewertung der bislang bekannten Heideggerschen Technikphiloso-
phie von vor den SchwarzenHeften ist ein dringendes Desiderat Voumllkisch-nationale
Gruppierungen erstarken momentan in ganz Europa und es koumlnnte sehr hilfreich
sein aumlhnliche Denkstrukturen aufzudecken so wie sie zwischen den 1930er und
40er Jahren entwickelt wurden Zusaumltzlich muss das Werk Heideggers einer kriti-
schen Revision schon aufgrund der niemals von ihm behandelten Antisemitismen
unterzogen werden Heidegger hat nie zu diesen Stellung bezogen
Daruumlber hinaus ist das Thema Mythos und Philosophie ein weiterhin not-
wendiger Bereich der philosophischen Forschung In einem Bereich auszligerhalb
der exakten Wissenschaften und ohne klare theologische Tradition ist die Philo-
215 Hubig Die Kunst des Moumlglichen S 140
51
sophie beides sowohl Aufklaumlrer und antimythisch als auch Quelle fuumlr mythisches
Denken und affektierende Motive
52
Literaturverzeichnis
Primaumlrliteratur
Heidegger Martin Sein und Zeit (1927) In Herrmann Friedrich Wilhelm von
(Hg) GA 2 Frankfurt am Main 1977
mdash Wegmarken (1919ndash1961) In Herrmann Friedrich Wilhelm von (Hg) GA
9 Frankfurt am Main 1996
mdash Houmllderlins Hymnen Germanienlsquo und Der Rheinlsquo (19341935) In Ziegler
S (Hg) GA 39 Frankfurt am Main 1999
mdash Einfuumlhrung in die Metaphysik (1935) In Jaeger P (Hg) GA 40 Frankfurt
am Main 1983
mdash Die Frage nach demDing Zu Kants Lehre von den transzendentalen Grund-
saumltzen (Wintersemester 193536) In Jaeger P (Hg) GA 41 Frankfurt am
Main 1984
mdash Besinnung (193839) In Herrmann Friedrich Wilhelm von (Hg) GA 66
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mdash Bremer und Freiburger Vortraumlge In Jaeger P GA 79 Frankfurt am Main
1994
mdash uumlberlegungen II-VI (bdquoSchwarze Hefteldquo 1931ndash1938) In Trawny P GA 94
Frankfurt am Main 2014
mdash uumlberlegungen VII-XI (bdquoSchwarze Hefteldquo 1938ndash1939) In Trawny P GA
95 Frankfurt am Main 2014
mdash uumlberlegungen XII-XV (bdquoSchwarze Hefteldquo 1939ndash1941) In Trawny P GA
96 Frankfurt am Main 2014
mdash Anmerkungen I-V (bdquoSchwarze Hefteldquo 1942ndash1948) In Trawny P GA 97
Frankfurt am Main 2015
mdash Vortraumlge und Aufsaumltze Pfullingen 1954
mdash Die Technik und die Kehre Pfullingen 1962
53
Sekundaumlrliteratur
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furt am Main 1964
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Zaborowski (Hg) Heidegger-Jahrbuch 5 Heidegger und der Nationalsozia-
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Boumlhme Gernot Selbstinszenierung uumlber Ruhm in der Philosophie In Informa-
tion Philosophie (Online Ausgabe 12015) URL=lthttpwwwinforma-
tionphilosophiedea=1ampt=8232ampn=2ampy=5ampc=29gt (zuletzt abgerufen
am 2442016)
Cassirer Ernst Der Mythus des Staates Hamburg 2002
Cervantes Miguel de Don Quichote von der Mancha Herausgeben und uumlber-
setzt v Susanne Lange Muumlnchen 2008
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Geisteswissenschaften im Dritten Reich 1933ndash1945 Muumlnchen 2002 S 193-
228
mdash Philosophie In Elvert Juumlrgen und Nilson-Sikora Juumlrgen (Hg) Kulturwis-
senschaften und Nationalsozialismus Stuttgart 2008 S 19ndash51
Friedman Michael Carnap Heidegger Cassirer Geteilte Wege Frankfurt am
Main 2004
Fuchs Christian Martin-Heideggerrsquos anti-Semitism Philosophy of technology
and the media in the light of the ldquoBlack Notebooksldquo Implications for the
reception of Heidegger in media and communication studies In tripleC
Communication Capitalism amp Critique 13 (1) (2015) S 55ndash78
Heinz Marion und Kellerer Sidonie (Hg) Martin Heideggers raquoSchwarze Heftelaquo
Eine philosophisch-politische Debatte Berlin 2016 (im Druck)
Hubig Christoph Die Kunst des Moumlglichen Technikphilosophie als Reflexion
der Medialitaumlt Bielefeld 2006
54
mdash Technik als Medium In Grundwald Armin (Hg) Handbuch Technikethik
Stuttgart 2013 S 118ndash123
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Kellerer Sidonie Kampf der Besinnung In Deutsche Zeitschrift fuumlr Philosophie
Band 63 Heft 5 Seiten 941ndash957
Kramer Cheryce A Foolrsquos Paradise The Psychiatry of Gemuumlth in a Biedermeier
Asylum Chicago 1998
Luckner Andreas Heidegger und das Denken der Technik Bielefeld 2008
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Gamm G Gehring P Hubig C Kaminski A undNordmann A (Hg)
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Meyer Daniel Die Entdeckung des griechischen Mythos Heideggers geschichts-
philosophische Wende Germanica 45 (2009) S 13ndash26
Nordmann AlfredWerkwissen oder How to express things in works In Gamm
G Gehring P Hubig C Kaminski A und Nordmann A (Hg) Ding
und System S 81ndash92
mdash Another parting of the ways Intersubjectivity and the objectivity of sci-
ence In Studies in History and Philosophy of Science 43 (2012) 38ndash46
Rudolph Enno Heideggers Schwarze Hefte im Echo In Philosophische Rund-
schau Bd 62 Heft 2 (2015) S 141-154
Sartre Jean-Paul Lrsquoexistentialisme est un humanisme Editions Nagel Paris 1946
mdash Zum Existentialismus ndash eine Klarstellung In Der Existenzialismus ist ein
Humanismus und andere philosophische Essays 1943ndash1948 Philosophische
Schriften I Frankfurt am Main 1994 S113ndash121
Schulz-Nieswandt Frank Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsver-
staumlndnis bei Walter F Otto (1874ndash1958) Eine strukturalistische und psycho-
dynamische Rezeption Baden-Baden 2014
55
Trawny Peter Heidegger und derMythos der juumldischenWeltverschwoumlrung Frank-
furt am Main 2015
Wolin Richard Heideggers bdquoSchwarze Hefteldquo Nationalsozialismus Weltjuden-
tum und Seinsgeschichte In Vierteljahrsheft fuumlr Zeitgeschichte Bd 63 Heft
3 S 379ndash410
LexikaHeidmann Vischer Ute Mythoslsquo In Braunart Georg ua (Hg) Reallexikon
der deutschen Literaturwissenschaft Bd 2 Berlin New York 2000 S 664ndash
668
mdash Mythologielsquo In Braunart Georg ua (Hg) Reallexikon der deutschen
Literaturwissenschaft Bd 2 Berlin New York 2000 S 660ndash664
Graf Fritz (Princeton) Zgoll Annette (Leipzig) Hazenbos Joost (Leipzig)
Niehr Herbert (Tuumlbingen) Mythoslsquo Der Neue Pauly Hg v Cancik Hu-
bert (Antike) und Schneider Helmuth Landfester Manfred (Rezeptions-
und Wissenschaftsgeschichte) Brill Online 2015 Reference Universitaumlts-
und Landesbibliothek Darmstadt 06 December 2015 httpreferenceworks
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und Guumlnther Stuttgart 1990
Poumlggeler Otto Heidegger In Killy Literaturlexikon Autoren und Werke des
deutschsprachigen Kulturraums 15 Bde 1988-93 Bd 5 S 142ndash146
Internetquellenwwwuni-stuttgartdehkompresseservicepressemitteilungen201567
_kellererhtml zuletzt abgerufen am 1442016
wwwdewikipediaorgwiki Martin_Heidegger_und_der_Nationalsozialismus
Die_Heidegger-Kontroverse ndash zuletzt abgerufen am 24042016)
56
Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
Der Unterzeichner versichert dass er die vorliegende Bachelorarbeit selbststaumlndig
verfasst und keine anderen als die von ihm angegebenen Hilfsmittel benutzt hat
Die Stellen der Arbeit die anderen Werken dem Wortlaut oder dem Sinne nach
entnommen sind wurden in jedem Fall unter Angabe der Quellen (einschlieszliglich
des World Wide Web und anderer elektronischer Text- und Datensammlungen)
kenntlich gemacht Dies gilt auch fuumlr beigegebene Zeichnungen bildliche Dar-
stellungen Skizzen und dergleichen
Darmstadt 25 April 2016
__________________________
(Eigenhaumlndige Unterschrift)
- Abkuumlrzungsverzeichnis
- Danksagung
- Einleitung
- Heideggers mythopoetisches Programm
-
- Zu den Begriffen Mythos Mythologie und Mythopoetik
-
- Ein Beispiel fuumlr ein Mythologem
-
- Heideggers Mythen
-
- Formen der Mythologie
-
- Heideggers mythopoetische Technik
-
- Zur Publikationsgeschichte von den Bremer Vortraumlgen 1949
- Die mythopoetische Spiegelung der Schwarzen Hefte
-
- Das Dinglsquo
- Das Ge-Stelllsquo
- Die Gefahrlsquo
- Die Kehrelsquo
-
- Konklusion
- Literaturverzeichnis
- Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
-
48
4 Konklusion
Der umstrittene Philosoph Martin Heidegger hat uumlber die 1930erndash40er Jahre
hinweg eine ausgepraumlgte voumllkisch-nationale und bisweilen radikal-antisemitische
Denkweise entwickelt Dieses Denken fasste er auch auf als Besinnung und stellt
es der Philosophie und Wissenschaft diametral entgegen In Kapitel 2 wird aufge-
zeigt dass sowohl Heideggers Mythologie bereits kritisiert wurde (Adorno Cassi-
rer Meyer) als auch seine Mythopoetik bewundert (Schulz-Nieswandt) Kapitel
3 will daruumlber hinaus aufzeigen wie Heidegger eine eigene Mythologie mytho-
poetisch fruchtbar macht was sich von beiden vorigen Ansaumltzen unterscheidet
und erst mit der Veroumlffentlichung der Schwarzen Hefte ab 2014 nachvollziehbar
wurde
Umso mehr bietet die mythopoetische Verbindung von bdquoDichten und Den-
kenldquo (so) einen antitechnischen Gegenpol Denn Heidegger fasst wie oben ge-
schildert alles Rationale auf als berechnende Bestellung des Bestands im Sinne
der Technik Daruumlber hinaus fordert er mit dem Aletheia-Prinzip (als metapho-
risch gefasstes Ereignis des Blitzens) einen Mitvollzug seiner mythopoetischen
Kontemplation in dem religioumlse voumllkische antike und sprachliche Motive zu-
sammenfallen
Obwohl schon von Heidegger selbst nicht mehr als Philosophie betrachtet
hat seine Rede vom Ding dem Ge-Stell dem Wesen der Technik und der Kehre
noch immer einen bedeutenden Einfluss auf die Technikphilosophie So betont
Alfred Nordmann in bdquoWerkwissen oder How to express things in worksldquo (2008)
dass Heidegger mit Das Dinglsquo eine Art Dingwissen geschaffen haumltte In seinem
2012 erschienenen Aufsatz Another parting of the ways Intersubjectivity and the
objectivity of sciencersquo207 geht Nordmann ein weiteres Mal auf Heideggers Ding
ein Dieses waumlre eine Abarbeitung an dem Ding Kants womit auch Nordmann
Heidegger als einen Interpreten Kants versteht208 Anschlieszligend anMichael Fried-
207 Nordmann Alfred Another parting of the ways Intersubjectivity and the objectivity ofscience In Studies in History and Philosophy of Science 43 (2012) 38ndash46
208 Die Auseinandersetzung mit dem Ding wuumlrde nach Nordmann in Heideggers GA mit demText Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalen Grundsaumltzenlsquoeinsetzen (GA 41 Die Frage nach dem Ding Zu Kants Lehre von den transzendentalenGrundsaumltzen)
49
man spricht sich Nordmann ebenso dafuumlr aus dass Heidegger neben Rudolf Car-
nap und Ernst Cassirer eine neokantianische Philosophie verfolgt haumltte (siehe
Kap 1)209
Nach Nordmann haumltte Heidegger in seinen anschlieszligenden Gedanken uumlber
das Ding als Fortfuumlhrung Kants als erster Wissenschaft als angewandte Techno-
logie verstanden210 Diese Interpretation stuumltzt sich auf die gleichen Symbole
Metaphern und Mythen die die vorliegende Arbeit analysiert Das Ge-Stell ist
insofern aumlquivok mit dem Begriff techno-science Jedoch sind in dieser Fruchtbar-
machung von Heideggers Denken der Technik dessen nationalistischen rassisti-
schen und antisemitischen Implikationen die die vorliegende Arbeit als Zentrum
dessen Philosophie ermitteln konnte noch nicht beachtet worden koumlnnen211
Andreas Luckner webt Heideggers Ding-Entwurf weiter als verantwortliches
Sorgen um die Dinge212 Er geht dabei mit Heidegger voumlllig konform und tritt
eher als eine Art Bote der Ding-Botschaft auf als diese moumlglicherweise zu kriti-
sieren was sich diesen Artikel wie ein Kapitel aus einem Studienbuch lesen laumlsst
Der Darmstaumldter Technikphilosoph Christoph Hubig ist vor allem Kritiker Hei-
deggers Argumentationen laumlsst aber zuweilen diverse Topoi aus dem Werk des
Technik-Denkers durchscheinen ohne sie weiter zu reflektieren
So konstatiert Hubig Heidegger verfehle in dessen Auseinandersetzung mit
Aristoteles Lehre von der Poiesis zum Punkt der Sicherung wie sie in Die Frage
nach der Techniklsquo behandelt wird bdquodie operative Seite des Technischenldquo bei Aris-
totels213 In einem spaumlteren Aufsatz allerdings stuumltzt er sich ohne weitere Erlaumlute-
rungen auf Heideggers Begriff der Sicherung aus Die Frage nach der Techniklsquo214
209 Diese Befriedung paradigmatischer Umstaumlnde wird hier nicht geteilt Eine weitere Bearbeitunglaumlsst der Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht zu
210 Vgl Nordmann Another parting of the ways S 45211 Der Aussage dass Heideggers Ding-Begriff kantianisch waumlre muumlsste einer gezielten Untersu-
chung unterzogen werden genau wie die Behauptung insgesamt dass Heidegger oder inwie-weit dieser noch der suumlddeutschen Kantschule des 1920 Jahrhunderts angehoumlrte
212 Vgl Luckner Andreas Ding und Bestand Heidegger und das Wesen neuzeitlicher TechnikIn Gamm G Gehring P Hubig C Kaminski A und Nordmann A Ding und SystemS 15-30 hier S 29
213 Hubig Christoph Die Kunst des Moumlglichen Technikphilosophie als Reflexion der MedialitaumltBielefeld 2006 S 103
214 Vgl Hubig Christoph Technik als Medium In Grundwald Armin (Hg) Handbuch Tech-nikethik Stuttgart 2013 S 118-123 hier S 118
50
Dabei versteht Hubig Heideggers Betrachtungen zum Umgang mit der Technik
als gelassen
Fuumlr Heidegger liegt die Andersheit im Entbergen einer Wahrheit des Seinseines Geschicks von dem die Entwicklung der Technik hin zum Gestellkuumlnde Er verbindet dies mit dem Appell jenseits des rechnenden und si-chernden Vorstellens technischer Vollzuumlge als handlungsleitender Program-me sich gelassenlsquo dieser Entwicklung zu uumlberantworten und ein Seinlsquo zuhuumlten das sich als solches eben entbirgt Das Rettendelsquo dieser Einsicht lie-ge darin dass unsere individuelle Endlichkeit insofern transzendiert wirdals sie sich dem sie uumlbersteigenden Prozess aufschlieszligt und sich selbst relati-viert215
Wovon in diesem Zitat nicht die Rede ist ist der Mitvollzug der mythopoe-
tischen Rahmenbedinungen die Heidegger einfordert und an dem die Konzep-
te Abendland und voumllkische Tradition haumlngen In dieser Arbeit wird davon aus-
gegangen dass Heideggers Technikphilosophie-erzaumlhlung sich nicht von seinen
Absichten der Bekaumlmpfung des Technischen loumlsen laumlsst Die Relativierung ist in-
sofern nicht an den Prozess gebunden und damit emergent auf alles hin ausge-
richtet was kommen mag sondern houmlchst konvergent in einer Besinnung auf
Mythen von dem Ding und dem Geviert mit all deren Valenzen aus dem vorlie-
genden Heideggerschen Textkorpus Die individuelle Endlichkeit ist genoumltigt die
Heimat und das Abendland zu kennen und im Aletheia-Prinzip umzusetzen
Die Neubewertung der bislang bekannten Heideggerschen Technikphiloso-
phie von vor den SchwarzenHeften ist ein dringendes Desiderat Voumllkisch-nationale
Gruppierungen erstarken momentan in ganz Europa und es koumlnnte sehr hilfreich
sein aumlhnliche Denkstrukturen aufzudecken so wie sie zwischen den 1930er und
40er Jahren entwickelt wurden Zusaumltzlich muss das Werk Heideggers einer kriti-
schen Revision schon aufgrund der niemals von ihm behandelten Antisemitismen
unterzogen werden Heidegger hat nie zu diesen Stellung bezogen
Daruumlber hinaus ist das Thema Mythos und Philosophie ein weiterhin not-
wendiger Bereich der philosophischen Forschung In einem Bereich auszligerhalb
der exakten Wissenschaften und ohne klare theologische Tradition ist die Philo-
215 Hubig Die Kunst des Moumlglichen S 140
51
sophie beides sowohl Aufklaumlrer und antimythisch als auch Quelle fuumlr mythisches
Denken und affektierende Motive
52
Literaturverzeichnis
Primaumlrliteratur
Heidegger Martin Sein und Zeit (1927) In Herrmann Friedrich Wilhelm von
(Hg) GA 2 Frankfurt am Main 1977
mdash Wegmarken (1919ndash1961) In Herrmann Friedrich Wilhelm von (Hg) GA
9 Frankfurt am Main 1996
mdash Houmllderlins Hymnen Germanienlsquo und Der Rheinlsquo (19341935) In Ziegler
S (Hg) GA 39 Frankfurt am Main 1999
mdash Einfuumlhrung in die Metaphysik (1935) In Jaeger P (Hg) GA 40 Frankfurt
am Main 1983
mdash Die Frage nach demDing Zu Kants Lehre von den transzendentalen Grund-
saumltzen (Wintersemester 193536) In Jaeger P (Hg) GA 41 Frankfurt am
Main 1984
mdash Besinnung (193839) In Herrmann Friedrich Wilhelm von (Hg) GA 66
Frankfurt am Main 1997
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mdash uumlberlegungen II-VI (bdquoSchwarze Hefteldquo 1931ndash1938) In Trawny P GA 94
Frankfurt am Main 2014
mdash uumlberlegungen VII-XI (bdquoSchwarze Hefteldquo 1938ndash1939) In Trawny P GA
95 Frankfurt am Main 2014
mdash uumlberlegungen XII-XV (bdquoSchwarze Hefteldquo 1939ndash1941) In Trawny P GA
96 Frankfurt am Main 2014
mdash Anmerkungen I-V (bdquoSchwarze Hefteldquo 1942ndash1948) In Trawny P GA 97
Frankfurt am Main 2015
mdash Vortraumlge und Aufsaumltze Pfullingen 1954
mdash Die Technik und die Kehre Pfullingen 1962
53
Sekundaumlrliteratur
Adorno Theodor W Jargon der Eigentlichkeit Zur deutschen Ideologie Frank-
furt am Main 1964
Babich Babette Nietzsche Heideggers Widerstand In Alfred Denker u Holger
Zaborowski (Hg) Heidegger-Jahrbuch 5 Heidegger und der Nationalsozia-
lismus II Interpretationen S 397ndash416
Boumlhme Gernot Selbstinszenierung uumlber Ruhm in der Philosophie In Informa-
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tionphilosophiedea=1ampt=8232ampn=2ampy=5ampc=29gt (zuletzt abgerufen
am 2442016)
Cassirer Ernst Der Mythus des Staates Hamburg 2002
Cervantes Miguel de Don Quichote von der Mancha Herausgeben und uumlber-
setzt v Susanne Lange Muumlnchen 2008
Dahms Hans Philosophie In Frank-Rutger Hausmann (Hg) Die Rolle der
Geisteswissenschaften im Dritten Reich 1933ndash1945 Muumlnchen 2002 S 193-
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senschaften und Nationalsozialismus Stuttgart 2008 S 19ndash51
Friedman Michael Carnap Heidegger Cassirer Geteilte Wege Frankfurt am
Main 2004
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and the media in the light of the ldquoBlack Notebooksldquo Implications for the
reception of Heidegger in media and communication studies In tripleC
Communication Capitalism amp Critique 13 (1) (2015) S 55ndash78
Heinz Marion und Kellerer Sidonie (Hg) Martin Heideggers raquoSchwarze Heftelaquo
Eine philosophisch-politische Debatte Berlin 2016 (im Druck)
Hubig Christoph Die Kunst des Moumlglichen Technikphilosophie als Reflexion
der Medialitaumlt Bielefeld 2006
54
mdash Technik als Medium In Grundwald Armin (Hg) Handbuch Technikethik
Stuttgart 2013 S 118ndash123
Jelinek Elfriede Totenauberg Hamburg 1991
Kellerer Sidonie Kampf der Besinnung In Deutsche Zeitschrift fuumlr Philosophie
Band 63 Heft 5 Seiten 941ndash957
Kramer Cheryce A Foolrsquos Paradise The Psychiatry of Gemuumlth in a Biedermeier
Asylum Chicago 1998
Luckner Andreas Heidegger und das Denken der Technik Bielefeld 2008
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Gamm G Gehring P Hubig C Kaminski A undNordmann A (Hg)
Ding und System S 15ndash30
Meyer Daniel Die Entdeckung des griechischen Mythos Heideggers geschichts-
philosophische Wende Germanica 45 (2009) S 13ndash26
Nordmann AlfredWerkwissen oder How to express things in works In Gamm
G Gehring P Hubig C Kaminski A und Nordmann A (Hg) Ding
und System S 81ndash92
mdash Another parting of the ways Intersubjectivity and the objectivity of sci-
ence In Studies in History and Philosophy of Science 43 (2012) 38ndash46
Rudolph Enno Heideggers Schwarze Hefte im Echo In Philosophische Rund-
schau Bd 62 Heft 2 (2015) S 141-154
Sartre Jean-Paul Lrsquoexistentialisme est un humanisme Editions Nagel Paris 1946
mdash Zum Existentialismus ndash eine Klarstellung In Der Existenzialismus ist ein
Humanismus und andere philosophische Essays 1943ndash1948 Philosophische
Schriften I Frankfurt am Main 1994 S113ndash121
Schulz-Nieswandt Frank Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsver-
staumlndnis bei Walter F Otto (1874ndash1958) Eine strukturalistische und psycho-
dynamische Rezeption Baden-Baden 2014
55
Trawny Peter Heidegger und derMythos der juumldischenWeltverschwoumlrung Frank-
furt am Main 2015
Wolin Richard Heideggers bdquoSchwarze Hefteldquo Nationalsozialismus Weltjuden-
tum und Seinsgeschichte In Vierteljahrsheft fuumlr Zeitgeschichte Bd 63 Heft
3 S 379ndash410
LexikaHeidmann Vischer Ute Mythoslsquo In Braunart Georg ua (Hg) Reallexikon
der deutschen Literaturwissenschaft Bd 2 Berlin New York 2000 S 664ndash
668
mdash Mythologielsquo In Braunart Georg ua (Hg) Reallexikon der deutschen
Literaturwissenschaft Bd 2 Berlin New York 2000 S 660ndash664
Graf Fritz (Princeton) Zgoll Annette (Leipzig) Hazenbos Joost (Leipzig)
Niehr Herbert (Tuumlbingen) Mythoslsquo Der Neue Pauly Hg v Cancik Hu-
bert (Antike) und Schneider Helmuth Landfester Manfred (Rezeptions-
und Wissenschaftsgeschichte) Brill Online 2015 Reference Universitaumlts-
und Landesbibliothek Darmstadt 06 December 2015 httpreferenceworks
brillonlinecomentriesder-neue-paulymythos-e815160 First appeared on-
line 2006
Metzler Literatur Lexikon Begriffe und Definitionen hg v Schweikle Irmgard
und Guumlnther Stuttgart 1990
Poumlggeler Otto Heidegger In Killy Literaturlexikon Autoren und Werke des
deutschsprachigen Kulturraums 15 Bde 1988-93 Bd 5 S 142ndash146
Internetquellenwwwuni-stuttgartdehkompresseservicepressemitteilungen201567
_kellererhtml zuletzt abgerufen am 1442016
wwwdewikipediaorgwiki Martin_Heidegger_und_der_Nationalsozialismus
Die_Heidegger-Kontroverse ndash zuletzt abgerufen am 24042016)
56
Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
Der Unterzeichner versichert dass er die vorliegende Bachelorarbeit selbststaumlndig
verfasst und keine anderen als die von ihm angegebenen Hilfsmittel benutzt hat
Die Stellen der Arbeit die anderen Werken dem Wortlaut oder dem Sinne nach
entnommen sind wurden in jedem Fall unter Angabe der Quellen (einschlieszliglich
des World Wide Web und anderer elektronischer Text- und Datensammlungen)
kenntlich gemacht Dies gilt auch fuumlr beigegebene Zeichnungen bildliche Dar-
stellungen Skizzen und dergleichen
Darmstadt 25 April 2016
__________________________
(Eigenhaumlndige Unterschrift)
- Abkuumlrzungsverzeichnis
- Danksagung
- Einleitung
- Heideggers mythopoetisches Programm
-
- Zu den Begriffen Mythos Mythologie und Mythopoetik
-
- Ein Beispiel fuumlr ein Mythologem
-
- Heideggers Mythen
-
- Formen der Mythologie
-
- Heideggers mythopoetische Technik
-
- Zur Publikationsgeschichte von den Bremer Vortraumlgen 1949
- Die mythopoetische Spiegelung der Schwarzen Hefte
-
- Das Dinglsquo
- Das Ge-Stelllsquo
- Die Gefahrlsquo
- Die Kehrelsquo
-
- Konklusion
- Literaturverzeichnis
- Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
-
49
man spricht sich Nordmann ebenso dafuumlr aus dass Heidegger neben Rudolf Car-
nap und Ernst Cassirer eine neokantianische Philosophie verfolgt haumltte (siehe
Kap 1)209
Nach Nordmann haumltte Heidegger in seinen anschlieszligenden Gedanken uumlber
das Ding als Fortfuumlhrung Kants als erster Wissenschaft als angewandte Techno-
logie verstanden210 Diese Interpretation stuumltzt sich auf die gleichen Symbole
Metaphern und Mythen die die vorliegende Arbeit analysiert Das Ge-Stell ist
insofern aumlquivok mit dem Begriff techno-science Jedoch sind in dieser Fruchtbar-
machung von Heideggers Denken der Technik dessen nationalistischen rassisti-
schen und antisemitischen Implikationen die die vorliegende Arbeit als Zentrum
dessen Philosophie ermitteln konnte noch nicht beachtet worden koumlnnen211
Andreas Luckner webt Heideggers Ding-Entwurf weiter als verantwortliches
Sorgen um die Dinge212 Er geht dabei mit Heidegger voumlllig konform und tritt
eher als eine Art Bote der Ding-Botschaft auf als diese moumlglicherweise zu kriti-
sieren was sich diesen Artikel wie ein Kapitel aus einem Studienbuch lesen laumlsst
Der Darmstaumldter Technikphilosoph Christoph Hubig ist vor allem Kritiker Hei-
deggers Argumentationen laumlsst aber zuweilen diverse Topoi aus dem Werk des
Technik-Denkers durchscheinen ohne sie weiter zu reflektieren
So konstatiert Hubig Heidegger verfehle in dessen Auseinandersetzung mit
Aristoteles Lehre von der Poiesis zum Punkt der Sicherung wie sie in Die Frage
nach der Techniklsquo behandelt wird bdquodie operative Seite des Technischenldquo bei Aris-
totels213 In einem spaumlteren Aufsatz allerdings stuumltzt er sich ohne weitere Erlaumlute-
rungen auf Heideggers Begriff der Sicherung aus Die Frage nach der Techniklsquo214
209 Diese Befriedung paradigmatischer Umstaumlnde wird hier nicht geteilt Eine weitere Bearbeitunglaumlsst der Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht zu
210 Vgl Nordmann Another parting of the ways S 45211 Der Aussage dass Heideggers Ding-Begriff kantianisch waumlre muumlsste einer gezielten Untersu-
chung unterzogen werden genau wie die Behauptung insgesamt dass Heidegger oder inwie-weit dieser noch der suumlddeutschen Kantschule des 1920 Jahrhunderts angehoumlrte
212 Vgl Luckner Andreas Ding und Bestand Heidegger und das Wesen neuzeitlicher TechnikIn Gamm G Gehring P Hubig C Kaminski A und Nordmann A Ding und SystemS 15-30 hier S 29
213 Hubig Christoph Die Kunst des Moumlglichen Technikphilosophie als Reflexion der MedialitaumltBielefeld 2006 S 103
214 Vgl Hubig Christoph Technik als Medium In Grundwald Armin (Hg) Handbuch Tech-nikethik Stuttgart 2013 S 118-123 hier S 118
50
Dabei versteht Hubig Heideggers Betrachtungen zum Umgang mit der Technik
als gelassen
Fuumlr Heidegger liegt die Andersheit im Entbergen einer Wahrheit des Seinseines Geschicks von dem die Entwicklung der Technik hin zum Gestellkuumlnde Er verbindet dies mit dem Appell jenseits des rechnenden und si-chernden Vorstellens technischer Vollzuumlge als handlungsleitender Program-me sich gelassenlsquo dieser Entwicklung zu uumlberantworten und ein Seinlsquo zuhuumlten das sich als solches eben entbirgt Das Rettendelsquo dieser Einsicht lie-ge darin dass unsere individuelle Endlichkeit insofern transzendiert wirdals sie sich dem sie uumlbersteigenden Prozess aufschlieszligt und sich selbst relati-viert215
Wovon in diesem Zitat nicht die Rede ist ist der Mitvollzug der mythopoe-
tischen Rahmenbedinungen die Heidegger einfordert und an dem die Konzep-
te Abendland und voumllkische Tradition haumlngen In dieser Arbeit wird davon aus-
gegangen dass Heideggers Technikphilosophie-erzaumlhlung sich nicht von seinen
Absichten der Bekaumlmpfung des Technischen loumlsen laumlsst Die Relativierung ist in-
sofern nicht an den Prozess gebunden und damit emergent auf alles hin ausge-
richtet was kommen mag sondern houmlchst konvergent in einer Besinnung auf
Mythen von dem Ding und dem Geviert mit all deren Valenzen aus dem vorlie-
genden Heideggerschen Textkorpus Die individuelle Endlichkeit ist genoumltigt die
Heimat und das Abendland zu kennen und im Aletheia-Prinzip umzusetzen
Die Neubewertung der bislang bekannten Heideggerschen Technikphiloso-
phie von vor den SchwarzenHeften ist ein dringendes Desiderat Voumllkisch-nationale
Gruppierungen erstarken momentan in ganz Europa und es koumlnnte sehr hilfreich
sein aumlhnliche Denkstrukturen aufzudecken so wie sie zwischen den 1930er und
40er Jahren entwickelt wurden Zusaumltzlich muss das Werk Heideggers einer kriti-
schen Revision schon aufgrund der niemals von ihm behandelten Antisemitismen
unterzogen werden Heidegger hat nie zu diesen Stellung bezogen
Daruumlber hinaus ist das Thema Mythos und Philosophie ein weiterhin not-
wendiger Bereich der philosophischen Forschung In einem Bereich auszligerhalb
der exakten Wissenschaften und ohne klare theologische Tradition ist die Philo-
215 Hubig Die Kunst des Moumlglichen S 140
51
sophie beides sowohl Aufklaumlrer und antimythisch als auch Quelle fuumlr mythisches
Denken und affektierende Motive
52
Literaturverzeichnis
Primaumlrliteratur
Heidegger Martin Sein und Zeit (1927) In Herrmann Friedrich Wilhelm von
(Hg) GA 2 Frankfurt am Main 1977
mdash Wegmarken (1919ndash1961) In Herrmann Friedrich Wilhelm von (Hg) GA
9 Frankfurt am Main 1996
mdash Houmllderlins Hymnen Germanienlsquo und Der Rheinlsquo (19341935) In Ziegler
S (Hg) GA 39 Frankfurt am Main 1999
mdash Einfuumlhrung in die Metaphysik (1935) In Jaeger P (Hg) GA 40 Frankfurt
am Main 1983
mdash Die Frage nach demDing Zu Kants Lehre von den transzendentalen Grund-
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Main 1984
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1994
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Frankfurt am Main 2014
mdash uumlberlegungen VII-XI (bdquoSchwarze Hefteldquo 1938ndash1939) In Trawny P GA
95 Frankfurt am Main 2014
mdash uumlberlegungen XII-XV (bdquoSchwarze Hefteldquo 1939ndash1941) In Trawny P GA
96 Frankfurt am Main 2014
mdash Anmerkungen I-V (bdquoSchwarze Hefteldquo 1942ndash1948) In Trawny P GA 97
Frankfurt am Main 2015
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mdash Die Technik und die Kehre Pfullingen 1962
53
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furt am Main 1964
Babich Babette Nietzsche Heideggers Widerstand In Alfred Denker u Holger
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lismus II Interpretationen S 397ndash416
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tion Philosophie (Online Ausgabe 12015) URL=lthttpwwwinforma-
tionphilosophiedea=1ampt=8232ampn=2ampy=5ampc=29gt (zuletzt abgerufen
am 2442016)
Cassirer Ernst Der Mythus des Staates Hamburg 2002
Cervantes Miguel de Don Quichote von der Mancha Herausgeben und uumlber-
setzt v Susanne Lange Muumlnchen 2008
Dahms Hans Philosophie In Frank-Rutger Hausmann (Hg) Die Rolle der
Geisteswissenschaften im Dritten Reich 1933ndash1945 Muumlnchen 2002 S 193-
228
mdash Philosophie In Elvert Juumlrgen und Nilson-Sikora Juumlrgen (Hg) Kulturwis-
senschaften und Nationalsozialismus Stuttgart 2008 S 19ndash51
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Main 2004
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and the media in the light of the ldquoBlack Notebooksldquo Implications for the
reception of Heidegger in media and communication studies In tripleC
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Eine philosophisch-politische Debatte Berlin 2016 (im Druck)
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54
mdash Technik als Medium In Grundwald Armin (Hg) Handbuch Technikethik
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Luckner Andreas Heidegger und das Denken der Technik Bielefeld 2008
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Gamm G Gehring P Hubig C Kaminski A undNordmann A (Hg)
Ding und System S 15ndash30
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philosophische Wende Germanica 45 (2009) S 13ndash26
Nordmann AlfredWerkwissen oder How to express things in works In Gamm
G Gehring P Hubig C Kaminski A und Nordmann A (Hg) Ding
und System S 81ndash92
mdash Another parting of the ways Intersubjectivity and the objectivity of sci-
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Humanismus und andere philosophische Essays 1943ndash1948 Philosophische
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668
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deutschsprachigen Kulturraums 15 Bde 1988-93 Bd 5 S 142ndash146
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wwwdewikipediaorgwiki Martin_Heidegger_und_der_Nationalsozialismus
Die_Heidegger-Kontroverse ndash zuletzt abgerufen am 24042016)
56
Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
Der Unterzeichner versichert dass er die vorliegende Bachelorarbeit selbststaumlndig
verfasst und keine anderen als die von ihm angegebenen Hilfsmittel benutzt hat
Die Stellen der Arbeit die anderen Werken dem Wortlaut oder dem Sinne nach
entnommen sind wurden in jedem Fall unter Angabe der Quellen (einschlieszliglich
des World Wide Web und anderer elektronischer Text- und Datensammlungen)
kenntlich gemacht Dies gilt auch fuumlr beigegebene Zeichnungen bildliche Dar-
stellungen Skizzen und dergleichen
Darmstadt 25 April 2016
__________________________
(Eigenhaumlndige Unterschrift)
- Abkuumlrzungsverzeichnis
- Danksagung
- Einleitung
- Heideggers mythopoetisches Programm
-
- Zu den Begriffen Mythos Mythologie und Mythopoetik
-
- Ein Beispiel fuumlr ein Mythologem
-
- Heideggers Mythen
-
- Formen der Mythologie
-
- Heideggers mythopoetische Technik
-
- Zur Publikationsgeschichte von den Bremer Vortraumlgen 1949
- Die mythopoetische Spiegelung der Schwarzen Hefte
-
- Das Dinglsquo
- Das Ge-Stelllsquo
- Die Gefahrlsquo
- Die Kehrelsquo
-
- Konklusion
- Literaturverzeichnis
- Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
-
50
Dabei versteht Hubig Heideggers Betrachtungen zum Umgang mit der Technik
als gelassen
Fuumlr Heidegger liegt die Andersheit im Entbergen einer Wahrheit des Seinseines Geschicks von dem die Entwicklung der Technik hin zum Gestellkuumlnde Er verbindet dies mit dem Appell jenseits des rechnenden und si-chernden Vorstellens technischer Vollzuumlge als handlungsleitender Program-me sich gelassenlsquo dieser Entwicklung zu uumlberantworten und ein Seinlsquo zuhuumlten das sich als solches eben entbirgt Das Rettendelsquo dieser Einsicht lie-ge darin dass unsere individuelle Endlichkeit insofern transzendiert wirdals sie sich dem sie uumlbersteigenden Prozess aufschlieszligt und sich selbst relati-viert215
Wovon in diesem Zitat nicht die Rede ist ist der Mitvollzug der mythopoe-
tischen Rahmenbedinungen die Heidegger einfordert und an dem die Konzep-
te Abendland und voumllkische Tradition haumlngen In dieser Arbeit wird davon aus-
gegangen dass Heideggers Technikphilosophie-erzaumlhlung sich nicht von seinen
Absichten der Bekaumlmpfung des Technischen loumlsen laumlsst Die Relativierung ist in-
sofern nicht an den Prozess gebunden und damit emergent auf alles hin ausge-
richtet was kommen mag sondern houmlchst konvergent in einer Besinnung auf
Mythen von dem Ding und dem Geviert mit all deren Valenzen aus dem vorlie-
genden Heideggerschen Textkorpus Die individuelle Endlichkeit ist genoumltigt die
Heimat und das Abendland zu kennen und im Aletheia-Prinzip umzusetzen
Die Neubewertung der bislang bekannten Heideggerschen Technikphiloso-
phie von vor den SchwarzenHeften ist ein dringendes Desiderat Voumllkisch-nationale
Gruppierungen erstarken momentan in ganz Europa und es koumlnnte sehr hilfreich
sein aumlhnliche Denkstrukturen aufzudecken so wie sie zwischen den 1930er und
40er Jahren entwickelt wurden Zusaumltzlich muss das Werk Heideggers einer kriti-
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unterzogen werden Heidegger hat nie zu diesen Stellung bezogen
Daruumlber hinaus ist das Thema Mythos und Philosophie ein weiterhin not-
wendiger Bereich der philosophischen Forschung In einem Bereich auszligerhalb
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215 Hubig Die Kunst des Moumlglichen S 140
51
sophie beides sowohl Aufklaumlrer und antimythisch als auch Quelle fuumlr mythisches
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Literaturverzeichnis
Primaumlrliteratur
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95 Frankfurt am Main 2014
mdash uumlberlegungen XII-XV (bdquoSchwarze Hefteldquo 1939ndash1941) In Trawny P GA
96 Frankfurt am Main 2014
mdash Anmerkungen I-V (bdquoSchwarze Hefteldquo 1942ndash1948) In Trawny P GA 97
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Gamm G Gehring P Hubig C Kaminski A undNordmann A (Hg)
Ding und System S 15ndash30
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und System S 81ndash92
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Sartre Jean-Paul Lrsquoexistentialisme est un humanisme Editions Nagel Paris 1946
mdash Zum Existentialismus ndash eine Klarstellung In Der Existenzialismus ist ein
Humanismus und andere philosophische Essays 1943ndash1948 Philosophische
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Schulz-Nieswandt Frank Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsver-
staumlndnis bei Walter F Otto (1874ndash1958) Eine strukturalistische und psycho-
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55
Trawny Peter Heidegger und derMythos der juumldischenWeltverschwoumlrung Frank-
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Wolin Richard Heideggers bdquoSchwarze Hefteldquo Nationalsozialismus Weltjuden-
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668
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Poumlggeler Otto Heidegger In Killy Literaturlexikon Autoren und Werke des
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_kellererhtml zuletzt abgerufen am 1442016
wwwdewikipediaorgwiki Martin_Heidegger_und_der_Nationalsozialismus
Die_Heidegger-Kontroverse ndash zuletzt abgerufen am 24042016)
56
Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
Der Unterzeichner versichert dass er die vorliegende Bachelorarbeit selbststaumlndig
verfasst und keine anderen als die von ihm angegebenen Hilfsmittel benutzt hat
Die Stellen der Arbeit die anderen Werken dem Wortlaut oder dem Sinne nach
entnommen sind wurden in jedem Fall unter Angabe der Quellen (einschlieszliglich
des World Wide Web und anderer elektronischer Text- und Datensammlungen)
kenntlich gemacht Dies gilt auch fuumlr beigegebene Zeichnungen bildliche Dar-
stellungen Skizzen und dergleichen
Darmstadt 25 April 2016
__________________________
(Eigenhaumlndige Unterschrift)
- Abkuumlrzungsverzeichnis
- Danksagung
- Einleitung
- Heideggers mythopoetisches Programm
-
- Zu den Begriffen Mythos Mythologie und Mythopoetik
-
- Ein Beispiel fuumlr ein Mythologem
-
- Heideggers Mythen
-
- Formen der Mythologie
-
- Heideggers mythopoetische Technik
-
- Zur Publikationsgeschichte von den Bremer Vortraumlgen 1949
- Die mythopoetische Spiegelung der Schwarzen Hefte
-
- Das Dinglsquo
- Das Ge-Stelllsquo
- Die Gefahrlsquo
- Die Kehrelsquo
-
- Konklusion
- Literaturverzeichnis
- Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
-
51
sophie beides sowohl Aufklaumlrer und antimythisch als auch Quelle fuumlr mythisches
Denken und affektierende Motive
52
Literaturverzeichnis
Primaumlrliteratur
Heidegger Martin Sein und Zeit (1927) In Herrmann Friedrich Wilhelm von
(Hg) GA 2 Frankfurt am Main 1977
mdash Wegmarken (1919ndash1961) In Herrmann Friedrich Wilhelm von (Hg) GA
9 Frankfurt am Main 1996
mdash Houmllderlins Hymnen Germanienlsquo und Der Rheinlsquo (19341935) In Ziegler
S (Hg) GA 39 Frankfurt am Main 1999
mdash Einfuumlhrung in die Metaphysik (1935) In Jaeger P (Hg) GA 40 Frankfurt
am Main 1983
mdash Die Frage nach demDing Zu Kants Lehre von den transzendentalen Grund-
saumltzen (Wintersemester 193536) In Jaeger P (Hg) GA 41 Frankfurt am
Main 1984
mdash Besinnung (193839) In Herrmann Friedrich Wilhelm von (Hg) GA 66
Frankfurt am Main 1997
mdash Bremer und Freiburger Vortraumlge In Jaeger P GA 79 Frankfurt am Main
1994
mdash uumlberlegungen II-VI (bdquoSchwarze Hefteldquo 1931ndash1938) In Trawny P GA 94
Frankfurt am Main 2014
mdash uumlberlegungen VII-XI (bdquoSchwarze Hefteldquo 1938ndash1939) In Trawny P GA
95 Frankfurt am Main 2014
mdash uumlberlegungen XII-XV (bdquoSchwarze Hefteldquo 1939ndash1941) In Trawny P GA
96 Frankfurt am Main 2014
mdash Anmerkungen I-V (bdquoSchwarze Hefteldquo 1942ndash1948) In Trawny P GA 97
Frankfurt am Main 2015
mdash Vortraumlge und Aufsaumltze Pfullingen 1954
mdash Die Technik und die Kehre Pfullingen 1962
53
Sekundaumlrliteratur
Adorno Theodor W Jargon der Eigentlichkeit Zur deutschen Ideologie Frank-
furt am Main 1964
Babich Babette Nietzsche Heideggers Widerstand In Alfred Denker u Holger
Zaborowski (Hg) Heidegger-Jahrbuch 5 Heidegger und der Nationalsozia-
lismus II Interpretationen S 397ndash416
Boumlhme Gernot Selbstinszenierung uumlber Ruhm in der Philosophie In Informa-
tion Philosophie (Online Ausgabe 12015) URL=lthttpwwwinforma-
tionphilosophiedea=1ampt=8232ampn=2ampy=5ampc=29gt (zuletzt abgerufen
am 2442016)
Cassirer Ernst Der Mythus des Staates Hamburg 2002
Cervantes Miguel de Don Quichote von der Mancha Herausgeben und uumlber-
setzt v Susanne Lange Muumlnchen 2008
Dahms Hans Philosophie In Frank-Rutger Hausmann (Hg) Die Rolle der
Geisteswissenschaften im Dritten Reich 1933ndash1945 Muumlnchen 2002 S 193-
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mdash Philosophie In Elvert Juumlrgen und Nilson-Sikora Juumlrgen (Hg) Kulturwis-
senschaften und Nationalsozialismus Stuttgart 2008 S 19ndash51
Friedman Michael Carnap Heidegger Cassirer Geteilte Wege Frankfurt am
Main 2004
Fuchs Christian Martin-Heideggerrsquos anti-Semitism Philosophy of technology
and the media in the light of the ldquoBlack Notebooksldquo Implications for the
reception of Heidegger in media and communication studies In tripleC
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Heinz Marion und Kellerer Sidonie (Hg) Martin Heideggers raquoSchwarze Heftelaquo
Eine philosophisch-politische Debatte Berlin 2016 (im Druck)
Hubig Christoph Die Kunst des Moumlglichen Technikphilosophie als Reflexion
der Medialitaumlt Bielefeld 2006
54
mdash Technik als Medium In Grundwald Armin (Hg) Handbuch Technikethik
Stuttgart 2013 S 118ndash123
Jelinek Elfriede Totenauberg Hamburg 1991
Kellerer Sidonie Kampf der Besinnung In Deutsche Zeitschrift fuumlr Philosophie
Band 63 Heft 5 Seiten 941ndash957
Kramer Cheryce A Foolrsquos Paradise The Psychiatry of Gemuumlth in a Biedermeier
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Luckner Andreas Heidegger und das Denken der Technik Bielefeld 2008
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Gamm G Gehring P Hubig C Kaminski A undNordmann A (Hg)
Ding und System S 15ndash30
Meyer Daniel Die Entdeckung des griechischen Mythos Heideggers geschichts-
philosophische Wende Germanica 45 (2009) S 13ndash26
Nordmann AlfredWerkwissen oder How to express things in works In Gamm
G Gehring P Hubig C Kaminski A und Nordmann A (Hg) Ding
und System S 81ndash92
mdash Another parting of the ways Intersubjectivity and the objectivity of sci-
ence In Studies in History and Philosophy of Science 43 (2012) 38ndash46
Rudolph Enno Heideggers Schwarze Hefte im Echo In Philosophische Rund-
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Sartre Jean-Paul Lrsquoexistentialisme est un humanisme Editions Nagel Paris 1946
mdash Zum Existentialismus ndash eine Klarstellung In Der Existenzialismus ist ein
Humanismus und andere philosophische Essays 1943ndash1948 Philosophische
Schriften I Frankfurt am Main 1994 S113ndash121
Schulz-Nieswandt Frank Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsver-
staumlndnis bei Walter F Otto (1874ndash1958) Eine strukturalistische und psycho-
dynamische Rezeption Baden-Baden 2014
55
Trawny Peter Heidegger und derMythos der juumldischenWeltverschwoumlrung Frank-
furt am Main 2015
Wolin Richard Heideggers bdquoSchwarze Hefteldquo Nationalsozialismus Weltjuden-
tum und Seinsgeschichte In Vierteljahrsheft fuumlr Zeitgeschichte Bd 63 Heft
3 S 379ndash410
LexikaHeidmann Vischer Ute Mythoslsquo In Braunart Georg ua (Hg) Reallexikon
der deutschen Literaturwissenschaft Bd 2 Berlin New York 2000 S 664ndash
668
mdash Mythologielsquo In Braunart Georg ua (Hg) Reallexikon der deutschen
Literaturwissenschaft Bd 2 Berlin New York 2000 S 660ndash664
Graf Fritz (Princeton) Zgoll Annette (Leipzig) Hazenbos Joost (Leipzig)
Niehr Herbert (Tuumlbingen) Mythoslsquo Der Neue Pauly Hg v Cancik Hu-
bert (Antike) und Schneider Helmuth Landfester Manfred (Rezeptions-
und Wissenschaftsgeschichte) Brill Online 2015 Reference Universitaumlts-
und Landesbibliothek Darmstadt 06 December 2015 httpreferenceworks
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Metzler Literatur Lexikon Begriffe und Definitionen hg v Schweikle Irmgard
und Guumlnther Stuttgart 1990
Poumlggeler Otto Heidegger In Killy Literaturlexikon Autoren und Werke des
deutschsprachigen Kulturraums 15 Bde 1988-93 Bd 5 S 142ndash146
Internetquellenwwwuni-stuttgartdehkompresseservicepressemitteilungen201567
_kellererhtml zuletzt abgerufen am 1442016
wwwdewikipediaorgwiki Martin_Heidegger_und_der_Nationalsozialismus
Die_Heidegger-Kontroverse ndash zuletzt abgerufen am 24042016)
56
Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
Der Unterzeichner versichert dass er die vorliegende Bachelorarbeit selbststaumlndig
verfasst und keine anderen als die von ihm angegebenen Hilfsmittel benutzt hat
Die Stellen der Arbeit die anderen Werken dem Wortlaut oder dem Sinne nach
entnommen sind wurden in jedem Fall unter Angabe der Quellen (einschlieszliglich
des World Wide Web und anderer elektronischer Text- und Datensammlungen)
kenntlich gemacht Dies gilt auch fuumlr beigegebene Zeichnungen bildliche Dar-
stellungen Skizzen und dergleichen
Darmstadt 25 April 2016
__________________________
(Eigenhaumlndige Unterschrift)
- Abkuumlrzungsverzeichnis
- Danksagung
- Einleitung
- Heideggers mythopoetisches Programm
-
- Zu den Begriffen Mythos Mythologie und Mythopoetik
-
- Ein Beispiel fuumlr ein Mythologem
-
- Heideggers Mythen
-
- Formen der Mythologie
-
- Heideggers mythopoetische Technik
-
- Zur Publikationsgeschichte von den Bremer Vortraumlgen 1949
- Die mythopoetische Spiegelung der Schwarzen Hefte
-
- Das Dinglsquo
- Das Ge-Stelllsquo
- Die Gefahrlsquo
- Die Kehrelsquo
-
- Konklusion
- Literaturverzeichnis
- Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
-
52
Literaturverzeichnis
Primaumlrliteratur
Heidegger Martin Sein und Zeit (1927) In Herrmann Friedrich Wilhelm von
(Hg) GA 2 Frankfurt am Main 1977
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9 Frankfurt am Main 1996
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Humanismus und andere philosophische Essays 1943ndash1948 Philosophische
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dynamische Rezeption Baden-Baden 2014
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3 S 379ndash410
LexikaHeidmann Vischer Ute Mythoslsquo In Braunart Georg ua (Hg) Reallexikon
der deutschen Literaturwissenschaft Bd 2 Berlin New York 2000 S 664ndash
668
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Graf Fritz (Princeton) Zgoll Annette (Leipzig) Hazenbos Joost (Leipzig)
Niehr Herbert (Tuumlbingen) Mythoslsquo Der Neue Pauly Hg v Cancik Hu-
bert (Antike) und Schneider Helmuth Landfester Manfred (Rezeptions-
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Metzler Literatur Lexikon Begriffe und Definitionen hg v Schweikle Irmgard
und Guumlnther Stuttgart 1990
Poumlggeler Otto Heidegger In Killy Literaturlexikon Autoren und Werke des
deutschsprachigen Kulturraums 15 Bde 1988-93 Bd 5 S 142ndash146
Internetquellenwwwuni-stuttgartdehkompresseservicepressemitteilungen201567
_kellererhtml zuletzt abgerufen am 1442016
wwwdewikipediaorgwiki Martin_Heidegger_und_der_Nationalsozialismus
Die_Heidegger-Kontroverse ndash zuletzt abgerufen am 24042016)
56
Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
Der Unterzeichner versichert dass er die vorliegende Bachelorarbeit selbststaumlndig
verfasst und keine anderen als die von ihm angegebenen Hilfsmittel benutzt hat
Die Stellen der Arbeit die anderen Werken dem Wortlaut oder dem Sinne nach
entnommen sind wurden in jedem Fall unter Angabe der Quellen (einschlieszliglich
des World Wide Web und anderer elektronischer Text- und Datensammlungen)
kenntlich gemacht Dies gilt auch fuumlr beigegebene Zeichnungen bildliche Dar-
stellungen Skizzen und dergleichen
Darmstadt 25 April 2016
__________________________
(Eigenhaumlndige Unterschrift)
- Abkuumlrzungsverzeichnis
- Danksagung
- Einleitung
- Heideggers mythopoetisches Programm
-
- Zu den Begriffen Mythos Mythologie und Mythopoetik
-
- Ein Beispiel fuumlr ein Mythologem
-
- Heideggers Mythen
-
- Formen der Mythologie
-
- Heideggers mythopoetische Technik
-
- Zur Publikationsgeschichte von den Bremer Vortraumlgen 1949
- Die mythopoetische Spiegelung der Schwarzen Hefte
-
- Das Dinglsquo
- Das Ge-Stelllsquo
- Die Gefahrlsquo
- Die Kehrelsquo
-
- Konklusion
- Literaturverzeichnis
- Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
-
53
Sekundaumlrliteratur
Adorno Theodor W Jargon der Eigentlichkeit Zur deutschen Ideologie Frank-
furt am Main 1964
Babich Babette Nietzsche Heideggers Widerstand In Alfred Denker u Holger
Zaborowski (Hg) Heidegger-Jahrbuch 5 Heidegger und der Nationalsozia-
lismus II Interpretationen S 397ndash416
Boumlhme Gernot Selbstinszenierung uumlber Ruhm in der Philosophie In Informa-
tion Philosophie (Online Ausgabe 12015) URL=lthttpwwwinforma-
tionphilosophiedea=1ampt=8232ampn=2ampy=5ampc=29gt (zuletzt abgerufen
am 2442016)
Cassirer Ernst Der Mythus des Staates Hamburg 2002
Cervantes Miguel de Don Quichote von der Mancha Herausgeben und uumlber-
setzt v Susanne Lange Muumlnchen 2008
Dahms Hans Philosophie In Frank-Rutger Hausmann (Hg) Die Rolle der
Geisteswissenschaften im Dritten Reich 1933ndash1945 Muumlnchen 2002 S 193-
228
mdash Philosophie In Elvert Juumlrgen und Nilson-Sikora Juumlrgen (Hg) Kulturwis-
senschaften und Nationalsozialismus Stuttgart 2008 S 19ndash51
Friedman Michael Carnap Heidegger Cassirer Geteilte Wege Frankfurt am
Main 2004
Fuchs Christian Martin-Heideggerrsquos anti-Semitism Philosophy of technology
and the media in the light of the ldquoBlack Notebooksldquo Implications for the
reception of Heidegger in media and communication studies In tripleC
Communication Capitalism amp Critique 13 (1) (2015) S 55ndash78
Heinz Marion und Kellerer Sidonie (Hg) Martin Heideggers raquoSchwarze Heftelaquo
Eine philosophisch-politische Debatte Berlin 2016 (im Druck)
Hubig Christoph Die Kunst des Moumlglichen Technikphilosophie als Reflexion
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54
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Stuttgart 2013 S 118ndash123
Jelinek Elfriede Totenauberg Hamburg 1991
Kellerer Sidonie Kampf der Besinnung In Deutsche Zeitschrift fuumlr Philosophie
Band 63 Heft 5 Seiten 941ndash957
Kramer Cheryce A Foolrsquos Paradise The Psychiatry of Gemuumlth in a Biedermeier
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Luckner Andreas Heidegger und das Denken der Technik Bielefeld 2008
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Gamm G Gehring P Hubig C Kaminski A undNordmann A (Hg)
Ding und System S 15ndash30
Meyer Daniel Die Entdeckung des griechischen Mythos Heideggers geschichts-
philosophische Wende Germanica 45 (2009) S 13ndash26
Nordmann AlfredWerkwissen oder How to express things in works In Gamm
G Gehring P Hubig C Kaminski A und Nordmann A (Hg) Ding
und System S 81ndash92
mdash Another parting of the ways Intersubjectivity and the objectivity of sci-
ence In Studies in History and Philosophy of Science 43 (2012) 38ndash46
Rudolph Enno Heideggers Schwarze Hefte im Echo In Philosophische Rund-
schau Bd 62 Heft 2 (2015) S 141-154
Sartre Jean-Paul Lrsquoexistentialisme est un humanisme Editions Nagel Paris 1946
mdash Zum Existentialismus ndash eine Klarstellung In Der Existenzialismus ist ein
Humanismus und andere philosophische Essays 1943ndash1948 Philosophische
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Schulz-Nieswandt Frank Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsver-
staumlndnis bei Walter F Otto (1874ndash1958) Eine strukturalistische und psycho-
dynamische Rezeption Baden-Baden 2014
55
Trawny Peter Heidegger und derMythos der juumldischenWeltverschwoumlrung Frank-
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Wolin Richard Heideggers bdquoSchwarze Hefteldquo Nationalsozialismus Weltjuden-
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3 S 379ndash410
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der deutschen Literaturwissenschaft Bd 2 Berlin New York 2000 S 664ndash
668
mdash Mythologielsquo In Braunart Georg ua (Hg) Reallexikon der deutschen
Literaturwissenschaft Bd 2 Berlin New York 2000 S 660ndash664
Graf Fritz (Princeton) Zgoll Annette (Leipzig) Hazenbos Joost (Leipzig)
Niehr Herbert (Tuumlbingen) Mythoslsquo Der Neue Pauly Hg v Cancik Hu-
bert (Antike) und Schneider Helmuth Landfester Manfred (Rezeptions-
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Poumlggeler Otto Heidegger In Killy Literaturlexikon Autoren und Werke des
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Die_Heidegger-Kontroverse ndash zuletzt abgerufen am 24042016)
56
Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
Der Unterzeichner versichert dass er die vorliegende Bachelorarbeit selbststaumlndig
verfasst und keine anderen als die von ihm angegebenen Hilfsmittel benutzt hat
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entnommen sind wurden in jedem Fall unter Angabe der Quellen (einschlieszliglich
des World Wide Web und anderer elektronischer Text- und Datensammlungen)
kenntlich gemacht Dies gilt auch fuumlr beigegebene Zeichnungen bildliche Dar-
stellungen Skizzen und dergleichen
Darmstadt 25 April 2016
__________________________
(Eigenhaumlndige Unterschrift)
- Abkuumlrzungsverzeichnis
- Danksagung
- Einleitung
- Heideggers mythopoetisches Programm
-
- Zu den Begriffen Mythos Mythologie und Mythopoetik
-
- Ein Beispiel fuumlr ein Mythologem
-
- Heideggers Mythen
-
- Formen der Mythologie
-
- Heideggers mythopoetische Technik
-
- Zur Publikationsgeschichte von den Bremer Vortraumlgen 1949
- Die mythopoetische Spiegelung der Schwarzen Hefte
-
- Das Dinglsquo
- Das Ge-Stelllsquo
- Die Gefahrlsquo
- Die Kehrelsquo
-
- Konklusion
- Literaturverzeichnis
- Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
-
54
mdash Technik als Medium In Grundwald Armin (Hg) Handbuch Technikethik
Stuttgart 2013 S 118ndash123
Jelinek Elfriede Totenauberg Hamburg 1991
Kellerer Sidonie Kampf der Besinnung In Deutsche Zeitschrift fuumlr Philosophie
Band 63 Heft 5 Seiten 941ndash957
Kramer Cheryce A Foolrsquos Paradise The Psychiatry of Gemuumlth in a Biedermeier
Asylum Chicago 1998
Luckner Andreas Heidegger und das Denken der Technik Bielefeld 2008
mdash Ding und Bestand Heidegger und das Wesen neuzeitlicher Technik In
Gamm G Gehring P Hubig C Kaminski A undNordmann A (Hg)
Ding und System S 15ndash30
Meyer Daniel Die Entdeckung des griechischen Mythos Heideggers geschichts-
philosophische Wende Germanica 45 (2009) S 13ndash26
Nordmann AlfredWerkwissen oder How to express things in works In Gamm
G Gehring P Hubig C Kaminski A und Nordmann A (Hg) Ding
und System S 81ndash92
mdash Another parting of the ways Intersubjectivity and the objectivity of sci-
ence In Studies in History and Philosophy of Science 43 (2012) 38ndash46
Rudolph Enno Heideggers Schwarze Hefte im Echo In Philosophische Rund-
schau Bd 62 Heft 2 (2015) S 141-154
Sartre Jean-Paul Lrsquoexistentialisme est un humanisme Editions Nagel Paris 1946
mdash Zum Existentialismus ndash eine Klarstellung In Der Existenzialismus ist ein
Humanismus und andere philosophische Essays 1943ndash1948 Philosophische
Schriften I Frankfurt am Main 1994 S113ndash121
Schulz-Nieswandt Frank Religionsphilosophie und ontologisches Wahrheitsver-
staumlndnis bei Walter F Otto (1874ndash1958) Eine strukturalistische und psycho-
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LexikaHeidmann Vischer Ute Mythoslsquo In Braunart Georg ua (Hg) Reallexikon
der deutschen Literaturwissenschaft Bd 2 Berlin New York 2000 S 664ndash
668
mdash Mythologielsquo In Braunart Georg ua (Hg) Reallexikon der deutschen
Literaturwissenschaft Bd 2 Berlin New York 2000 S 660ndash664
Graf Fritz (Princeton) Zgoll Annette (Leipzig) Hazenbos Joost (Leipzig)
Niehr Herbert (Tuumlbingen) Mythoslsquo Der Neue Pauly Hg v Cancik Hu-
bert (Antike) und Schneider Helmuth Landfester Manfred (Rezeptions-
und Wissenschaftsgeschichte) Brill Online 2015 Reference Universitaumlts-
und Landesbibliothek Darmstadt 06 December 2015 httpreferenceworks
brillonlinecomentriesder-neue-paulymythos-e815160 First appeared on-
line 2006
Metzler Literatur Lexikon Begriffe und Definitionen hg v Schweikle Irmgard
und Guumlnther Stuttgart 1990
Poumlggeler Otto Heidegger In Killy Literaturlexikon Autoren und Werke des
deutschsprachigen Kulturraums 15 Bde 1988-93 Bd 5 S 142ndash146
Internetquellenwwwuni-stuttgartdehkompresseservicepressemitteilungen201567
_kellererhtml zuletzt abgerufen am 1442016
wwwdewikipediaorgwiki Martin_Heidegger_und_der_Nationalsozialismus
Die_Heidegger-Kontroverse ndash zuletzt abgerufen am 24042016)
56
Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
Der Unterzeichner versichert dass er die vorliegende Bachelorarbeit selbststaumlndig
verfasst und keine anderen als die von ihm angegebenen Hilfsmittel benutzt hat
Die Stellen der Arbeit die anderen Werken dem Wortlaut oder dem Sinne nach
entnommen sind wurden in jedem Fall unter Angabe der Quellen (einschlieszliglich
des World Wide Web und anderer elektronischer Text- und Datensammlungen)
kenntlich gemacht Dies gilt auch fuumlr beigegebene Zeichnungen bildliche Dar-
stellungen Skizzen und dergleichen
Darmstadt 25 April 2016
__________________________
(Eigenhaumlndige Unterschrift)
- Abkuumlrzungsverzeichnis
- Danksagung
- Einleitung
- Heideggers mythopoetisches Programm
-
- Zu den Begriffen Mythos Mythologie und Mythopoetik
-
- Ein Beispiel fuumlr ein Mythologem
-
- Heideggers Mythen
-
- Formen der Mythologie
-
- Heideggers mythopoetische Technik
-
- Zur Publikationsgeschichte von den Bremer Vortraumlgen 1949
- Die mythopoetische Spiegelung der Schwarzen Hefte
-
- Das Dinglsquo
- Das Ge-Stelllsquo
- Die Gefahrlsquo
- Die Kehrelsquo
-
- Konklusion
- Literaturverzeichnis
- Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
-
55
Trawny Peter Heidegger und derMythos der juumldischenWeltverschwoumlrung Frank-
furt am Main 2015
Wolin Richard Heideggers bdquoSchwarze Hefteldquo Nationalsozialismus Weltjuden-
tum und Seinsgeschichte In Vierteljahrsheft fuumlr Zeitgeschichte Bd 63 Heft
3 S 379ndash410
LexikaHeidmann Vischer Ute Mythoslsquo In Braunart Georg ua (Hg) Reallexikon
der deutschen Literaturwissenschaft Bd 2 Berlin New York 2000 S 664ndash
668
mdash Mythologielsquo In Braunart Georg ua (Hg) Reallexikon der deutschen
Literaturwissenschaft Bd 2 Berlin New York 2000 S 660ndash664
Graf Fritz (Princeton) Zgoll Annette (Leipzig) Hazenbos Joost (Leipzig)
Niehr Herbert (Tuumlbingen) Mythoslsquo Der Neue Pauly Hg v Cancik Hu-
bert (Antike) und Schneider Helmuth Landfester Manfred (Rezeptions-
und Wissenschaftsgeschichte) Brill Online 2015 Reference Universitaumlts-
und Landesbibliothek Darmstadt 06 December 2015 httpreferenceworks
brillonlinecomentriesder-neue-paulymythos-e815160 First appeared on-
line 2006
Metzler Literatur Lexikon Begriffe und Definitionen hg v Schweikle Irmgard
und Guumlnther Stuttgart 1990
Poumlggeler Otto Heidegger In Killy Literaturlexikon Autoren und Werke des
deutschsprachigen Kulturraums 15 Bde 1988-93 Bd 5 S 142ndash146
Internetquellenwwwuni-stuttgartdehkompresseservicepressemitteilungen201567
_kellererhtml zuletzt abgerufen am 1442016
wwwdewikipediaorgwiki Martin_Heidegger_und_der_Nationalsozialismus
Die_Heidegger-Kontroverse ndash zuletzt abgerufen am 24042016)
56
Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
Der Unterzeichner versichert dass er die vorliegende Bachelorarbeit selbststaumlndig
verfasst und keine anderen als die von ihm angegebenen Hilfsmittel benutzt hat
Die Stellen der Arbeit die anderen Werken dem Wortlaut oder dem Sinne nach
entnommen sind wurden in jedem Fall unter Angabe der Quellen (einschlieszliglich
des World Wide Web und anderer elektronischer Text- und Datensammlungen)
kenntlich gemacht Dies gilt auch fuumlr beigegebene Zeichnungen bildliche Dar-
stellungen Skizzen und dergleichen
Darmstadt 25 April 2016
__________________________
(Eigenhaumlndige Unterschrift)
- Abkuumlrzungsverzeichnis
- Danksagung
- Einleitung
- Heideggers mythopoetisches Programm
-
- Zu den Begriffen Mythos Mythologie und Mythopoetik
-
- Ein Beispiel fuumlr ein Mythologem
-
- Heideggers Mythen
-
- Formen der Mythologie
-
- Heideggers mythopoetische Technik
-
- Zur Publikationsgeschichte von den Bremer Vortraumlgen 1949
- Die mythopoetische Spiegelung der Schwarzen Hefte
-
- Das Dinglsquo
- Das Ge-Stelllsquo
- Die Gefahrlsquo
- Die Kehrelsquo
-
- Konklusion
- Literaturverzeichnis
- Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
-
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Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
Der Unterzeichner versichert dass er die vorliegende Bachelorarbeit selbststaumlndig
verfasst und keine anderen als die von ihm angegebenen Hilfsmittel benutzt hat
Die Stellen der Arbeit die anderen Werken dem Wortlaut oder dem Sinne nach
entnommen sind wurden in jedem Fall unter Angabe der Quellen (einschlieszliglich
des World Wide Web und anderer elektronischer Text- und Datensammlungen)
kenntlich gemacht Dies gilt auch fuumlr beigegebene Zeichnungen bildliche Dar-
stellungen Skizzen und dergleichen
Darmstadt 25 April 2016
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(Eigenhaumlndige Unterschrift)
- Abkuumlrzungsverzeichnis
- Danksagung
- Einleitung
- Heideggers mythopoetisches Programm
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- Zu den Begriffen Mythos Mythologie und Mythopoetik
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- Ein Beispiel fuumlr ein Mythologem
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- Heideggers Mythen
-
- Formen der Mythologie
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- Heideggers mythopoetische Technik
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- Zur Publikationsgeschichte von den Bremer Vortraumlgen 1949
- Die mythopoetische Spiegelung der Schwarzen Hefte
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- Das Dinglsquo
- Das Ge-Stelllsquo
- Die Gefahrlsquo
- Die Kehrelsquo
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- Konklusion
- Literaturverzeichnis
- Erklaumlrung uumlber die Eigenstaumlndigkeit der Arbeit
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