Mainardi, Arlotto - Die Schwänke Und Schnurren Des Pfarrers Arlotto. Bd 1
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DIESES BUCH WURDE IM AUFTRAGE VONALEXANDER DUNCKER VERLAGaooao IN BERLIN IN DER OFFIZIN VON aaaoo
OTTO WIGAND M. B. H.IN LEIPZIG IN EINER AUFLAGE VON 1000
NUMERIERTEN EXEMPLAREN GEDRUCKT;AUSSERDEM WURDEN 50 EXEMPLARE IN
QUART AUF BOTTENPAPIER ABGEZOGEN.DER EINBAND WURDE NACH ENTWORFEN
H. ZICKERTSaooaoooaooooaaaoao VON DER aaaooDDDDDaaoaoDDD
LEIPZIGER BUCHBINDEREI A.-G.VORM. GUSTAV FRITZSCHE ANGEFERTIGT.
8
DIESES EXEMPLAR TRÀGT DIE
NUMMER
C4^^D4^^D<^^OOtó=^Ì3^=^a^=^[
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Alessandro Allori, genannt Bronzino:
Der Pfarrer Arlotto.
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DIESCHWÀNKEUNDSCHNURREN DES
S PFARRERSl ARLOTTO "binar,
Gesammelt und herausgegebenvon fc
Albert Wesselski
Mit mehrcrn Bildern undFaksimilien
I. Band
8
Alexander Duncker Verlag
Berlin MCMX« il Afi
Berlin MCMX &
^Vl^
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V<«/u-ì
Inhalt des L Bandes,
Seite
Einleitung I
Die Schwànke des Pfarrers Arlotto .... 1
I. Wie der Pfarrer Arlotto mit demErzbischof Antonio iiber die Fehler
seines Vaters spricht 3
II. Wie der Bischof von Forli in der
Stadt Florenz einen Zehnten einge-
hoben hat und wie der Pfarrer Ar-lotto diesem Bischof vom MesserFalcone empfohlen worden ist . . 5
III. Wie der Pfarrer in Flandern eine in
drei Abschnitte geteilte Predigt ge-
halten hat .......... 7
IV. Was fiir ein lustiges Wort der Pfarrer
in London einigen Englàndern, die
dem FraBe und der Volterei frohn-
ten, gesagt hat, als er ihnen bei derMesse die triefenden Augen badete 17
V. Wie der Pfarrer in Neapel demKònige Alfonso dasBuch gezeigt hat,
worein er alle nàrrischen Streiche
seiner Zeitgenossen verzeichnete . 19
VI. Wie es sich ein frecher Mònchs-wanst von der Nunziatakirche in
Florenz hat gefallen lassen mùssen,vom Pfarrer Arlotto gefoppt zuwerden 23
VII. Wie Ser Ventura, der Prior von S.Lo-renzo in Basciano, auf Anstiften desPfarrers beim Messelesen gepfiffen
hat 25Vili. Wie schlau es der Pfarrer anstellte,
um die Lobpreisung des hi. Lauren-tius in ein paar Worten abzutun . 27
229
Scite
IX. Wie der Pfarrer zweien Notaren desBistums einen faulen Klepper in
Trab gesetzt hat 29X. Wie der Pfarrer in Siena einem tol-
pischen Schwàtzer vier schòne, fette
Schleien stiehlt, indem er sie flink
in den Àrmel schiebt ...... 31
XI. Was der Pfarrer zweien, die sich
wegen einer Fiasche Wein nicht be-ruhigen konnten, geantwortet hat . 33
XII. Wie der Pfarrer auf eine Frage vonGiovanni di Cosimo de'Medici er-
bost geantwortet hat, sein S. Crescisei kein Kuchenheiliger ... .34
XIII. Wie der Pfarrer, als er eines Tagesin Cercina zu Gaste ist, den Kìichen-jungen machen muB, und wie er sich
dafùr ràcht ........ 37XIV. Wie der Pfarrer am Karfreitag
einen Bauer seiner Pfarre beimKlange eines Dudelsacks statt bei
Glockengelàute begraben hat ... 40XV. Was ftir einen Rat der Pfarrer dem
dicken Tischler gegeben hat, derzum hi. Antonius von Vienne hàtte
pilgern sollen 43XVI. Von der Antwort, die der Pfarrer
einem Herrn vom romischen Hofegegeben hat ......... 45
XVII. Wie ein diebischer Bauer dem Pfar-
rer beichtet, dafi er ihm elf Scheffel
und vierthalb Viertel Korn gestoh-
len hat 46
XVIII. Von der witzigen Antwort, die derPfarrer dem Erzbischof Antoninogegeben hat, als der bei der Be-sichtigung der Kirche von Maciuoliein Kàuzchen im Ciborium fand . . 49
230
Seite
XIX. Wie der Pfarrer eines Morgens in
derVerkiindigungskirche eine Messeliest, um einen verschleimten Bet-bruder abzuschaffen, der zum Àr-gernis und Ekel der Monche immer-fort neben den Aitar spie .... 50
XX. Wie der Pfarrer einen làstigen Bet-bruder wàhrend der Messe vor alienLeuten abgefertigt hat 53
XXI. Wie der Pfarrer von einigen jungenLeuten gebeten worden ist, ihneneine Jàgermesse zu lesen .... 53
XXII. Wie Piero di Cosimo de'Medici demPfarrer die Geschichte von einemSchuster erzàhlt , der in seinerDummheit einen hi. Johannes ge-fragt hat, ob seine Frau ehrbar sei
und was das Los seines Sohnes seinwerde 54
XXIII. Wie der Pfarrer mit einer absonder-lichen Geschichte von einem einfàl-
tigen Wamsschneider antwortet, dersich erbost hat, weil er von einemChristuskinde in Or San Michelekeine Gnade erlangen konnte ... 57
XXIV. Was der Pfarrer einem deutschenMonche auf eine lateinische Fragegeantwortet hat 60
XXV. Wie Francesco Guasconi den Pfar-rer eingeladen hat, um aus ihm Ab-gaben zu ziehen, wie sich aber derPfarrer nicht fangen liefi, sondernihn verhòhnt hat 61
XXVI. Wie der Pfarrer einer Knierutsche-rin eine treffliche Lehre erteilt . . 64
XXVII. Wie die grobe Bauernhorde eineStelle des Evangeliums auf ihre
231
XXVIII.
XXIX.
XXX.
XXXI.
XXXII.
XXXIII.
XXXIV.
XXXV.
XXXVI.
XXXVII.
232
Seite
Weise auslegt und vom Pfarrerschier mit Gewalt Lauch verlangt,
so daB der am nàchsten Sonntag anjedermann Lauch verteilt, und wasdaraus erfolgt 64
Wie der Pfarrer in Pisa einenFreund von einer groBen GeldbuBelost . 67
Wie der Pfarrer der Seele LeonardoAretinos begegnet 79
Wie sich der Pfarrer der Verteidi-gung eines Menschen annimmt, derauf die Beschimpfungen seines Geg-ners nicht zu antworten weiB ... 83Wie der Pfarrer einem Amtsbruderdie Absicht ausredet, mit ihm in
See zu gehn ......... 84
Wie der Pfarrer Arlotto dem Pfar-rer von Cercina Eisenzeug stiehlt . 87
Wie der Pfarrer durch ein Gleich-nis zu verstehn gibt, daB er keinenandern Wein als Malvasier will . . 89
Wie es der Pfarrer im Wirtshausezu Pontassieve angestellt hat, umeinen Platz am Feuer zu bekommen 90
Wie der Pfarrer auf die sanften Vor-wùrfe, die ihm Bartolommeo Sas-setti wegen seines allzu hàufigenWirtshauslaufens macht , mit soweisen Griinden antwortet, daB Sas-setti nichts erwidern kann .... 93
Wie der Pfarrer Arlotto die Zechen,die er auf dem Uccellatojo machte,mit Kohle an die Wand schrieb . . 96
Wer nach Arlotto die reinlichsten
Handwerker sind 101
, Seite
XXXVIII. Was der Pfarrer von den Monchenhielt 102
XXXIX. Wie der Pfarrer eines Morgens mitseinem tràgen und dummen MeB-helfer die Geduld verliert . . . , 102
XL. Ein Spruch, den der Pfarrer zusagen pflegte 103
XLI. Wie der Pfarrer in Siena einenNeffen eines Freundes um ein PaarKapaune vor Gericht verteidigt undwie er in dem Streite durch seine
Pfiffigkeit obsiegt, so da6 die ge-lehrten Herren, die ihn vorher ver-
spottet haben, als Esel dastehn . . 103
XLII. Wie der Pfarrer einen Metzger umein Stùck Kalbfleisch prellt, ihnaber spàter reichlich entschàdigt . 112
XLIII. Wie der Pfarrer, als er mit einigenGesellen von Casentino heimkehrt,den Mantel verliert, den er auf demLeibe gehabt hat 114
XLIV. Wie der Pfarrer im Hause Carlosde* Medici Messer Falcone einewitzige Antwort gegeben hat . . . 115
XLV. Wie sich der Pfarrer an diesemAbende entschuldigt, daB er einbiBchen zu viel trinkt 116
XLVI. Wie der Pfarrer Arlotto einer vor-nehmen Dame auseinandersetzt, wel-ches gute Werk das beste ist . . . 117
XLVII. Warum der Pfarrer Arlotto in derKirche von S. Romolo Angst be-kommen hat und die Messe nichtweiterlesen wollte 119
XLVIII. Wie der Pfarrer ein Hùhnchen .
kneift, um einen ihm gtinstigen
Spruch zu erzielen 121
233
Seitc
XLIX. Wie es der Pfarrer anstellt, umeinen làstigen Kerl loszuwerdenund ihm Prtigel zu verschaffen . ., 124
L. Wie der Pfarrer den Vikar von Fie-sole und dessen Schreiber ins Ge-fàngnis sperrt 128
LI. Wie der Pfarrer den fieberkrankenSer Ventura zugedeckt hat . . . 130
LII. Von einem unangenehmen Klange . 132LUI. Was fùr eine Anweisung der Pfarrer
einigen Freunden, die ihn auf sei-
ner Pfarre besucht haben, vor demSchlafengehn gegeben hat .... 132
LIV. Wie der Pfarrer einem Menschengeantwortet hat, der sich auf denWeisen hinausspielte 133
LV. Ein hìibscher Spruch des PfarrersArlotto 133
LVI. Wie Meister Mariano von Siena denPfarrer Arlotto und dessen Gesellenmit Grillen vergleicht 133
LVII. Wie sich der Pfarrer an MeisterMariano ràcht 136
LVIII. Wie der Pfarrer Arlotto in Briigge
einen Geistlichen veranlaBt, ein Ar-mensùnderkleid zu kaufen und an-zuziehen, und was daraus entsteht . 137
LIX. Wie der Pfarrer einen vorwitzigenMenschen, der alles wissen wollte,
um einige Dinge gefragt hat . . . 140
LX. Wie sich der Pfarrer vor dem Erz-bischof gegen die Anklage eines
Bùrgers verteidigt ....... 141
LXI. Wie sich der Pfarrer beim Erz-bischofe verteidigt , als er demHauptmanne der Stadtknechte eine
Schussel Kalbsgekròse weggegessenhat 142
234
Seite
LXIL Wie der Pfarrer Arlotto einemFreunde eine htibsche Geschichteerzàhlt und wie ihn dieser daraufzum Trunke einlàdt ...... 145
LXIII. Wie der Pfarrer den Schneider Zutaund Ser Nastagio Vespucci denMorgennebel beschworen lehrt . . 147
LXIV. Was fur eine Leichenrede der Pfar-rer einem Katalanier, Don Lope mitNamen, gehalten hat 150
LXV. Wie der Pfarrer einem diebischenSchneider einen Traum deutet . . 151
LXVI. Warum der Pfarrer die StraBe vonSan Fedele mit geschlossenen Augengeritten ist 155
LXVII. Wie schlau es der Pfarrer angestellt
hat, um zu erfahren, was an einemGerede iiber den Gesandten desHerzogs von Ferrara wahr sei . . 159
LXVIII. Wie Arlotto einem Vetter, der un-geschickt eingekauft hat, die hiib-
sche Geschichte von den Katzen er-
zàhlt 160
LXIX. Wer nach des Pfarrers Meinung dieschlechtesten Handwerker sind . . 168
LXX. Was fiir eine Antwort der Pfarrereinem Geistlichen auf die Frage ge-geben hat, was San Cresci gewesensei 168
Anmerkungen literatur- und stoffgeschicht-lichen Inhalts 171
Einteilung nach zwei in Gegensàtze ge-brachten accidentellen Relationen . . 176
Scheinzahlung fiir Scheinleistung . . . , 186
Falsche Scham des Beichtenden .... 191
Jàgermesse 192
235
Seite
Vermeintliche Antwort des Heiligen . . . 193
Vor der Geburt, in der Geburt, nach der
Gebùrt .202Demosthenes und das Weib 205
Der doppelt bestochene Richter .... 208
Vortritt des Kerkermeisters 213
Scherzfragen 213
Humoristische Leichenreden 216
Vierteilung der Tiere 217
Arlotto und Hans Sachs 218
Falscher Vorwurf, irai ein Gestàndnis zu
entlocken 222
Verkauf einer Katze in einem katzenlosenLande 223
Belohnung des Habgierigen mit dem wert-
losen Geschenke des Harmlosen . . . 226
Illustrationen.
Alessandro Allori, genannt Bronzino:
Der Pfarrer Arlotto VI
Titelholzschnitt der alten Ausgaben derFacetien Arlottos XV
Die erste Seite der Facezien in demManuskripte der Laurenziana . . . XXIII
Schlufi der Biographie Arlottos undsein Epitaph in dem Manuskripteder Laurenziana ........ XXIX
Burgschaftsurkunde von der HandArlottos vom 8. Màrz 1460 (Staats-
archiv in Florenz) „ XXXIIòlgemàlde eines unbekannten Kùnstlers
aus der ersten Hàlfte des 17. Jahr-hunderts (in den Magazinen der Uffi-
zien) 30
236
KEin Vorwurf wird der italiànischcn Einleitung
Literatur mit mehr Ùberzeugung gè- des Herausgebers.
macht, als dafì sie auch zur Zeit ihrer
hochsten Biute durchaus des Humors ent-
behrt habe; und dieser Vorwurf fàllt dop-pelt schwer ins Gewicht, weil in keiner
andern Literatur Spott und Witz so viel
Raum einnehmen wie in der italiànischen.
In der Tat ist der Mangel an gutiger
Empfindung und verstàndiger Milde in deritaliànischen Literatur und sonderlich in
der der Renaissanceepoche ein hervor-stechendes Moment. Die Sucht der einzel-
nen, die Fehler der Nebenmenschen bloB-
zustellen und rein persònliche Triumpheder eigenen Intelligenz ùber die der Nàch-sten zu feiern, zieht sich schier durch alle
Erzeugnisse italiànischer Federn von Boc-caccio bis weit in die Neuzeit hinein, undBurckhardts Bemerkung, daB das hoheAlter der sogenannten Novelle antike durchnichts besser bewàhrt werde als durch dasvòllige Fehlen des Hohns, zeigt von einer
tiefgrundigen Erfassung einer spezifisch
italiànischen Eigenschaft.
Bei ali der uberwàltigenden Komik desDekamerons sind uns der Geistliche, derden Mann der begehrten Bàuerin monate-lang in einem Klosterverliefie eingesperrthàlt, die schòne Bologneserin, die den in
ihre Nachtgewànder verkleideten Gatten
IX
von dem verliebten Diener priigeln làBt,
die florentinischen Maler, die ihrem Ge-sellen ein Stelldichein verschaffen, damit er
von seiner Frau ertappt werde, keine sym-pathischen Gestalten, und in das Gelàchteruber die Farce mischt sich ein klein wenigMitleid mit ihrem Opfer. Und dabei steht
Boccaccio himmelhoch ùber seinen Nach-ahmern. Schon bei Sacchetti sind viele
Geschichten, die von Streichen und Possenhandeln, geradezu widerwàrtig, und mitihm beginnt erst die lange Reihe der Er-zàhler, die die Novelle, deren Hauptinhaltder Schabernack, die Burla, ist, auf Kostender rein witzigen pflegen; seine Epigonenhaben ihn, wenn schon nicht ùbertrumpft,so doch erreicht. Wer Bescheid weifi in
den Hohen und den Niederungen der ita-
liànischen Novelle, der wird sich der Ge-schichte von dem dicken Tischler erinnern,
der durch einen Possen dazu getrieben
wird, seine Vaterstadt zu verlassen undsein Gluck in der Fremde zu suchen, oderder vielen mit alien Zeichen der Behaglich-
keit erzàhlten Schelmenstreiche, wodurchunschuldige Leute um ihr Hab und Gut ge-
bracht werden. An derlei Lieblosigkeiten,
die zum Spotte noch den Schaden fugen,
kònnen wir Deutschen und ebenso wohlauch die modernen Italiàner keinen Ge-falien finden; und Milderungsumstànde
billigen wir ihnen nur dann zu, wenn unsder Betroffene so geschildert worden ist,
dafi wir den Possen fùr eine gerechte Strafe
nehmen kònnen: das geschieht aber nachBoccaccio im Vergleiche zu den Geschich-ten, wo es sich um sonst nichts als umeine Betàtigung des Mutwillens handelt,
selten genug.
Da6 diese ganze Literaturgattung nurgedeihen konnte, weil sie dem Charakterdes italiànischen Volkes entsprach, liegt aufder Hand. Die „scharfen Augen und bosenZungen", die als Charakteristik der Fio-rentiner genannt werden \ waren auch in
andern Stàdten Italiens zu Hause, und nochGoethe findet darin, da6 der grofite Teil
der italiànischen Sprichwòrter aus strengenund unbarmherzigen Bemerkungen ent-
standen ist, den sichersten Beweis fùr denscharfen Blick des Italiàners, dem nicht nurkeine Klugheit, sondern auch keine Un-geschicklichkeit entgeht.
Die Renaissancezeit hat den Italiànernzwei Theoretiker des Witzes geschenkt;beide, Pontanus sowohl, als auch Casti-glione, fordern, dafi der Witz nicht ver-letzend sei und da6 man dabei Zeit, Ortund Person wohl beachte: aber keinem
1 Burckhardt-Geiger, Die Kultur der Renais-sance in Italien, 9. Auflage, 1904, I, S. 173.
XI
fàllt es ein, von dem Scherzenden auchHerzensgute zu verlangen, die doch die
erste Bedingung eines gesunden Humors ist.
Und trotz alledem hat auch in Italien
der Humor eine Stàtte gefunden, und sogargleichzeitig mit der Literaturgattung, die
sich die Pflege der Burla zu einer ihrer
Hauptaufgaben gewàhlt hat. Und sonder-bar ist es, daB gerade der Mann, dem viel-
leicht die ungeheuerlichste Burla zuge-schrieben worden ist, Lorenzo il Magnificonàmlich 1
, als Dichter bewiesen hat, daB er
ùber echten Humor verfugte, wie Cervantesund Shakespeare, und es wie diese beidenverstand, dem Witze die Teilnahme zu ge-
sellen. Bei dem feinsinnigen und mit huma-nistischer Bildung gesàttigten Aristokraten
wàre es nun wohl mòglich, eine besondere,
ihn ùber andere erhebende Naturgabe vor-
auszusetzen, und die Tatsache, daB er die
Gunst des florentinischen Volkes besessen
hat wie wenige vor ihm und nach ihm, konntezur Not durch seine auBergewòhnlichen poli-
tischen Erfolge erklàrt werden; daB aber
trotzdem angenommen werden darf, sein
Humor habe viel dazu beigetragen, ihmdiese schwàrmerische Zuneigung seiner Mit-
biirger zu erwerben, ergibt sich daraus, daB
1 Vgl. die 10. Novelle des dritten Abends in
Grazzinis Cene.
XII
gleichzeitig noch ein anderer Mann cin
Liebling der Florentiner war, ein Mann, bei
dem die Herzlichkeit der ihm dargebrach-
ten Liebe nur durch einen Grund erklàrt
werden kann, nàmlich durch seinen Humoroder durch die Liebenswùrdigkeit seines
Witzes.Dieser Mann ist der Pfarrer Arlotto,
dessen Andenken heute noch in Florenz
fortlebt und in aller Zukunft fortleben wird.
Fast alles, was wir von dem Leben undden Meinungen des Pfarrers Arlotto wissen,
entstammt einer von einem Unbekanntenverfafiten Sammlung von Schnurren oder
Facetien, deren stàndiger Held der Pfarrer
ist. Die erste Ausgabe ist nach Brunet 1
kurz nach 1500, nach Passano 2 um 1500 er-
schienen; eine genaue Titelangabe gibt
weder Brunet, noch Passano, wohl aber ver-
zeichnen beide das Kolophon, wonach das
Buch bei Bernardo Zucchetta in Florenz imAuftrage eines gewissen Bernardo di Ser
Piero aus Pescia gedruckt worden ist. Wiediese Ausgabe sind alle vor 1560 erschie-
nenen von einer ungeheuern Seltenheit, ob-
wohl ihre Zahl nicht so gering ist. Passano
1 Brunet, Manuel du libraire, 5e ed., Paris,
1860 ff., I, Sp. 481.2 Passano, / Novellieri italiani in prosa, 2a ed.,
1878, I, S. 18.
XIII
verzeichnet bis dahin im ganzen vierzehnDrucke, und seine Angaben sind nichts
weniger als vollstàndig \Von diesen alten Drucken habe ich fol-
gende benutzen konnen:gacette: ^taceuclege: ga&ute: / e Motti
Del Piouano Arlotto Prete Fiorentino, ho /
mo di grande inzegno. Opera molto dilet- /
teuole vulgare in lingua Toscha histo / riata,
& nouamente impressa. [Das unterstrichene
ist rot gedruckt; die restlichen vier Fùnftel
des Titelblattes werden durch den anbeiwiedergegebenen Holzschnitt ausgefùllt, dernach Passano mit dem der Ausgabe von1518 identisch ist.]
In fine: Stampata in Venegia per Ber-nardin Bindoni. Ad instantia / de MathioPagan in Frezaria a linsegna de la Fede.
1 So zitiert z. B. A. L. Stiefel in den Hans Sachs-Forschungen, Ntirnberg, 1894, S. 79 eine VenezianerAusgabe von 1516, die Passano unbekannt geblieben
ist. Bemerkt sei gleich hier, daB der letzte Heraus-geber von Arlottos Facetien, Baccini, ziemlich viel
angebliche Nachtràge zu Passano aufzàhlt; Baccinihat aber, obwohl seine Ausgabe erst 1884 erschienenist, nur die erste Auflage von Passanos Biblio-
graphie verglichen, wàhrend schon 6 Jahre vorhereine zweite erschienen gewesen ist, die denn auchalle vermiBten Drucke anfuhrt. Auch Gabotto ver-
zeichnet fàlschlich in der Epopea del Buffone, Bra,
1893, S. 19 und 86 zwei angeblich Passano unbe-kannt gebliebene Drucke.
XIV
8°. 88 ungezàhlte Blàtter mit den Signa-
turen A bis L.
Titelholzschnitt der alten Ausgaben der Facetìen Arlottos.
Nach Passanos Beschreibung beidcr Aus-gaben ist diese wohl nur ein Abdruck der
Venezianer Ausgabe von 1518; sie unter-
scheidet sich von der folgenden, obwohl sich
diese als vermehrt gibt, nur dadurch, dafi
XV
bei ihr die in dieser deutschen Ausgabe mit141 bezeichnete Facetie schon zwischenden Facetien 112 und 113 steht und da8durch eine schlechte Druckanordnung zumSchlusse Arlottos Grabschrift weggefallenist.
gacetie: gafcule: 9Jtottt: bel / Piouano Ar-lotto Prete Fiorentino: Huomo di / grandeingegno: Opera diletteuole vulgare / in lin-
gua Toscha historiata con più Fa / cetie
agionte nouamente stampate. [Hierauf der-
selbe Holzschnitt.]
In fine: Stampata in Vinegia per Ber-nardino / di Bindoni Milanese del Lago ma- /
zore. Nel Anno del Signore. /M.D.XXXVIIL8°. 88 ungezàhlte Blàtter mit den Signa-
turen A bis L.; die letzte Seite weiB. Pas-sanos Angabe, dafì dieser Druck auch die
Motti Gonnellas enthalte, ist falsch.
Um zwòlf Stùcke weniger, die wohl ur-
sprùnglich nur zur Ausfùllung des letzten
Bogens aus Poggios Facetien ubernommenworden sind, enthàlt die folgende, sonst mitder zweitgenannten ubereinstimmende, um7 Jahre altere Ausgabe:
gacette: paceuoleBe: gafcule: e / 2ftottt:
S)el ^tonano arlotto ffi:ete Sfiorenti; / no:
£omo bt granbe insegno: Opera tnot= / to bilet^
tettole Vulgate in £inaua Soffia / ftiftotiata :
2 nouamente impreca. [Hierauf derselbe
XVI
Holzschnitt; das unterstrichene ist rot ge-
druckt.]
In fine: SmpteJTo in Genetta per 3ouanne
Vacuino / òa Zzino nel . 3K . 2) . m\. abi . no\. /
be 3ugno. degnante Io in= / dito ptinsipe %n/
brea gtitto.
8°. 86 ungezàhlte Blàtter mit den Signa-
turen 21 bis fi; ebenso wic die zwei vorhcr
genannten Ausgaben zweispaltig, aber zumUnterschiede von ihnen in gothischcn Let-
tera gedruckt.
In sàmtlichen drei Drucken ist das Titel-
blatt riickwàrts weifi; liberali beginnt der
Text auf BL A2a mit einem Widmungs-
briefe, dem auf BL A2b die Vita del vene-
rabile plebano Arlotto de Mainardi Plebano
della Pieue di San Cresci a Maciuoli con-
tado di Firenze und von BL A4b an die
Facetien folgen.
In dem Widmungsbriefe mit der Auf-schrift Al Magnifico Giouane Pietro Sal-
uiati Cittadino Fiorentino & maggiore
honorandissimo Bernardo Pacinì S., der
wohl identisch ist mit dem der ersten Aus-gabe und der von 1518, sagt Pacini \ ein
vertrauter Freund sei in ihn gedrungen, die
1 Nach Ristelhuber (S. VII der Einleitung seiner
nodi zu nennenden franzòsischen Ausgabe) wàredicser Bernardo Pacini so wie sein Vater Piero in
der Druckerei des Nonnenklosters von S. Jacopo di
Ripoli beschàftigt gewesen; Ristelhuber beruft sich
Arlotto, Schwankel. II XVII
facetie, piacevoleze, fabule et motti desPfarrers Arlotto drucken zu lassen. Langehabe er sich geweigert, weil sie nicht so ge-
sammelt gewesen seien, daB sie hàtten mitGenuB gelesen werden konnen; endlichhabeer wegen des Rufes ihres Urhebers nach-gegeben, um so mehr als ihm auch ein an-derer Freund, ein gelehrter und verstàn-
diger Mann, zugeredet und seiner Einwen-dung, daB diese Bearbeitung sehr schwierig
sei, weil die Facetien vom Pfarrer nur ge-
sprochen, aber nicht schriftlich niedergelegt
worden seien, mit dem Versprechen be-
gegnet habe, sie durchzusehn und mit ihmHand anzulegen.
Dieser Klasse von Ausgaben der Ar-lottoschen Facetien, die wir mit A bezeich-
nen wollen und deren letzte Vertreterin
eine Venezianer von 1548 ist, folgt eine
auf Fineschi, Notizie storiche sopra la Stamperiadi Ripoli, Firenze, 1781. Dieses Buch ist mir nunebenso wenig zugànglich gewesen wie Follinis undMolinis uber dieselbe Druckerei handelnde Schrif-
ten; immerhin kann aus den bei Passano, I, S. 58
und bei Biagi, Le Novelle antiche, Firenze, 1880,
S. LX ff . gegebenen Ausziigen festgestellt werden,daB Ser Piero (Pacini) da Pescia ein Auftraggeberder Druckerei war: auf seine Bestellung ist nàmlich1482 und 1483 von fleiBigen Nonnenhànden eine
Ausgabe des Dekamerons gedruckt worden. Pacini
senior war also wohl ein Buchhàndler oder Ver-leger, und Pacini junior wird also das vàterliche
Geschàft weiterbetrieben haben.
XVIII
Gruppe B, deren Drucke nur eine Auswahlaus den Facetien Arlottos, dafùr aber auchFacetien Gonnellas, Barlacchias und Un-genannter enthalten. Sie scheint mit dermir nur nach Passano bekannten GiuntinerAusgabe von 1560 zu beginnen, von der die
folgende nur ein Nachdruck sein diirfte:
FACEZIE, MOTTI, BVFFONERIE, /
ET BVRLE, / Del PIOVANO Arlotto: delGONNELLA, / et del BARLACCHIA, /
NVOVAMENTE STAMPATE / Con licen-
zia, & priuilegio. [Holzschnitt.] IN FI-RENZE / APPRESSO I GIVNTI/MDLXV.
8°. 8 ungezàhlte Blàtter (Bl. A2a bis
A4a
: Vorrede Ai Lettori, BL A5a bis A8
a:
Vita) und 144 Seiten (S. 1 bis 114: Facetiedel Piovano Arlotto, S. 115 bis 125: Buffo-nerie del Gonnella, S, 126 bis 144: Motti,
Facetie et Burle del Barlacchia), hierauf
4 ungezàhlte Blàtter mit den Burle di di-
versi; die letzte Seite dieses vierten Blattesenthàlt das Register und das Datum (In
Firenze / Appresso i Giunti / M.D.LXV.).In der Vorrede wird gesagt, daB die
Facetien Arlottos, wenn sie auch in jeder-
manns Munde seien, seit langer Zeit ge-sammelt vorlàgen; da aber die Drucke alle-
samt sehr unaufmerksam gemacht und fernvon jedem guten Sprachgebrauche seien, sohabe der Herausgeber die Facetien in buona
11*
XIX
lingua neu gedruckt, allerdings dabei auchalles entfernt, was dem Inquisitor zu frei
geschienen habe.
Einen unverànderten Abdruck haben die
Giunti 1568 veranstaltet; auch die Mai-lànder Ausgaben von 1568 und 1573, die
Passano erwàhnt, sind wohl mit der von1565 identisch.
Einen um die Lebensbeschreibung undauch sonst gekiirzten Abdruck stellt die fol-
gende Ausgabe dar:
Scelta di / FACEZIE, TRATTI / Buffo-
nerie, / MOTTI, E BVRLE. / Cauate daDiuersi Autori. / Nuouamente Racconcie, j
e messe insieme. / In Firenze, Appresso /
i Giunti. 1579. / CON LICENZA, E PRI-VILEGIO.
8°. 2 Blàtter und 171 Seiten; auf derletzten unpaginierten Seite das Registerund das Datum (In Firenze, appresso i
Giunti. 1580).
Die von Iacopo Giunti unterzeichnete,
von Florenz vom 25. Februar 1578 datierte
und an Messer Baccio d'Averone gerichtete
Vorrede bietet nichts, was fur uns von Inter-
esse wàre.Sind schon in den Drucken der Klasse B
auBerordentlich viele Facetien Arlottos
weggelassen und die aufgenommenen teil-
weise gekiirzt worden, so ist in den Aus-
XX
gaben einer wcitern Gattung, die mit Cbezeichnet werden moge, noch riicksichts-
loser vorgegangen worden; diese sind dannso oft aufgelegt worden, dafì ihnen kein Sei-
tcnheitswert zukommt. Als Bcispiel sei
die folgende angefuhrt:
SCELTA / DI FACETIE / MOTTI,BVRLE, / ET BVFFONERIE / Del PiouanoArlotto; / & altri Auttori. / Di nuouo raccon-cie, et messe insieme. [Holzschnitt.] INVENETIA, M. DC. IX. / Appresso Dome-nico Imberti.
8°. 87 numerierte Blàtter. Es ist wedereine Lebensbeschreibung Arlottos, noch eine
Einleitung vorhanden.
Arlottos Facetien sind uns aber zumGlùcke nicht nur gedruckt, sondern auch in
einer Handschrift erhalten; diese wird in der
Laurenziana in Florenz aufbewahrt (Signa-
tur Pluteo XLII, cod. 27) und stammt aus
der Feder Giovanni Mazzuolis aus Strada,
bekannter unter dem Namen Padre Stra-
dino \ Diese Handschrift enthàlt 203 Fa-
1 Giovanni Mazzuoli, der 1480 in Strada, einemDòrfchen, sechs Meilen von Florenz, geboren wurde,war in jungen Jahren Reiter in der „Banda nera"Giovanni Medicis. Nach dem Tode des Mediceersmachte er weite Reisen, die ihn unter anderm auch
XXI
cetien, d. i. um etwa dreiBig mehr, als in
den Ausgaben der Klasse A dem PfarrerArlotto zugeschricben werden; andere, die
sie mit diesen Drucken gemeinsam hat, gibt
sie in einer ausfùhrlichern Form wieder,Jedenfalls stelli sie, da uberdies der un-
nach Antwerpen fuhrten; in die Heimat zuriick-
gekehrt, wurde er als stets lustiger Gesell, der keinSpàfichen krumm nahm, ein vertrauter Freund Cosi-mos und der damaligen florentinischen Schòn-geister, die sich gern in seinem Hause in der ViaSan Gallo versammelten. Aus diesen Zusammen-kiinften entstand schlieBlich 1540 die Akademie derUmidi, der Feuchten, die bald darauf von HerzogCosimo in die Accademia fiorentina umgewandeltwurde, woruber sich Stradino nicht wenig àrgerte,
um so mehr als er sich deshalb allerlei Hànseleiengefallen lassen muBte. Auch sonst war Stradino,wie aus zahlreichen an ihn gerichteten Briefen undGedichten, z. B. von Lasca (Grazzini) erhellt, bei
aller Liebe, die ihm entgegengebracht wurde, oft dieZielscheibe von Neckereien; die Zahl der Spitz-
namen, die ihm nicht nur beigelegt wurden, sondernderen er sich auch selber bediente, ist denn auchentsprechend groB (il Consagrata, il Bacheca, il
Crocchia, il Pandragone, il Pagamorta, il Cronacascorretta, il Balestracelo usw.). Eine widerwàrtigeBurla, deren Opfer er gewesen sein soli, steht in
den eben zitierten Ausgaben der Klasse B von Ar-lottos Facetien unter den Burle di diversi; in denAusgaben der Klasse C wird sie auf Barlacchiabezogen. Stradino ist 1549 gestorben; er hinterlieB
eine groBe Zahl von Bùchern und zum Teil vonihm selbst geschriebene Manuskripten. Vgl. ùber ihneinen Aufsatz in der Zeitschrift // Piovano Arlotto,
I, 1858, S. 401 ff.
XXII
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moriiAW CYfry*o Q"/~- //—
Jìa^À- MO-f»j>ovM> JHp-$ falìfyt-ny v*tfiotn~nk fifa
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«*Jf**mvW iv>4p Jkfiijn x**0e»* il fUyfc
<vAi ^rS/ tW«/ *mòo «writwrPdH— ìì^VJaho
mtw »1»jj?ìicttt«v |>->n^v»t»A%;f]b4fy«i?4lW ^v».
*«frt»- '* fate f^Mf*' fli*fy» ^»v»A9v> nrftovt
v»i»^^ ^M^f^ m^rvp yv«*Wtf fcwh'Mw
'to' J/vrr« <m<J te *»*•>«>#. ftyflfc ci'^W •»wfiiMi
•««TnAT»^ ìljiieiMTi» «v>4»fo ^AVmo «lolt!^ <L
)**i Q*fr)f"ml ^Jorowiflfft rw^titMMv*- *4wi
|«^b Ut Pm/T «/Wf |**i ^J^p^wl^ „**i;
•^A^ÌO lmcjV*T ^Mt*4V'<> Aliti d«
D/e ers/c Sette der Facetien in dem Manuskripte der Laurenziana.
bekannte Verfasser oft in der Ichform undmanchmal als Augenzeuge berichtet, cine
urspriinglichere Fassung dar, und es darf
wohl angenommen werden, dafì es ein mitihr ziemlich gleichlautender Text war, derfiir den ersten Druck benutzt worden ist.
Damit stimmt trefflich die Kritik, die Ber-nardo Pacini und sein ungenannter Mit-herausgeber an ihrer Vorlage ùben, womitfreilich nicht gesagt sein soli, daB es die
beiden mit ihren Ànderungen und Kùr-zungen besser gemacht hàtten.
Ùber die Personlichkeit des Verfassers
der Handschrift — Stradino, der bei Ar-lottos Tode erst vier Jahre alt war, ist
ebenso ausgeschlossen wie Bernardo Pa-cini — bestehn nicht einmal Vermutungen;die einzigen Anhaltspunkte, die der Inhalt
bietet, sind, daB er ein Florentiner war undetwa um das Jahr 1450 geboren sein
durfte \Der Text dieser Handschrift ist mit Aus-
nahme von drei Facetien, die aus Rùcksichtauf die guten Sitten weggeblieben sind,
unter folgendem Titel im Drucke er-
schienen:
Le Facezie del Piovano Arlotto. Pre-
1 Aus der Facetie 109 ergibt sich, daB der Ver-fasser 1475 schon ein erwachsener Mann, aber viel
junger als der Pfarrer gewesen sein muB.
XXIV
cedute dalla sua vita ed annotate da Giu-
seppe Baccini. Firenze, 1884 \Die drei ausgelassenen Facetien hat
dann Baccini in der Nr. 4 der Bibliotechina
grassoccia nachgetragen, die den Titel
fùhrt:
Vita di tre principesse di casa Medici.
Tre facezie del Piovano Arlotto. Il vecchio
preferito, scherzo comico di Agostino Col-
tellini. Firenze, 1887. (Gedruckt in 250
Exemplaren.) Die drei Facetien stehn S. 67
bis 72.
Die Biographie Arlottos, die in den Aus-gaben der Klasse A vor den Facetien steht
— in den Ausgaben der Klasse B ist sie
gekiirzt, dafur sind aber in sie mehrereFacetien eingeflochten — gibt einige spar-
itene Nachrichten ùber seine Lebensum-stànde; ein paar Daten haben noch Dome-nico Maria Manni in seiner Vita di Arlotto
Mainardi, Carpi, 1762 2 und Baccini in der
Einleitung seiner Ausgabe der Facetien bei-
gebracht.
1 Leider hat es Baccini unterlassen, die alten
Ausgaben zur Vergleichung heranzuziehen, so daBauBer Lesefehlern auch andere Unrichtigkeiten des
Textes stehn geblieben sind.
2 Wiederabgedruckt in der fàlschlich als zweite
florentinische bezeichneten Ausgabe von MannisVeglie piacevoli, Firenze, 1815 ff.
fIII, S. 73 fi.
XXV
Die Familic Mainardi stammt aus deram FuBe des Berges Morello gelegenen Ge-meinde Pezzatole und zwar aus der Pfarrevon S. Piero a Vaglia. Ein gewisser Ser Mat-teo di Ser Mainardo di Bernardo hatte mitseiner Frati Ghita oder Margherita di SerGante aus Pulicciano neben andern Kinderneinen Sohn Giovanni; diesem wurde am25. Dezember 1396 von seiner Ehehàlfte,
deren Name unbekannt ist, ein Knabe ge-
boren \ und der erhielt in der Taufe denabsonderlichen Namen Arlotto, ùber densich wahrscheinlich nicht nur der hi. Anto-nino entrustet hat 2
. LàBt sich schon ausdem Umstande, daB Giovanni seinem Sohneeinen solchen Namen gegeben hat, schlieBen,
daB er sich wenig um die Wohlmeinung der
Leute scherte, so wird das zur GewiBheitdurch die Angaben, die der Sohn ùber ihn
macht: gleich in der 1. Facetie erzàhlt Ar-lotto, daB sein Vater im Schuldgefàngnisgestorben ist, und in der 63. ergànzt er dasdahin, daB er, wenn er noch acht Tage ge-
lebt hàtte, gehenkt worden wàre. Mag auchbei diesen Erzàhlungen viel dem Umstande,daB Arlotto wohl in beiden Fàllen scherz-
weise ùbertrieben hat, zu gute gehalten wer-den, so ist doch sicher, daB Giovanni die
1 In der Facetie 63 heiBt merkwurdigerweiseder Vater Arlottos Matteo Mainardi.
2 Vgl. die Facetie 1.
XXVI
einmal gemachte Bekanntschaft mit demSchuldturme mehrere Male erneucrt hat;
Manni hat seinen Namen in den Registern
von 1412 bis 1436 òfter gefunden.
Von der Jugend Arlottos wissen wir
nichts, als daB ihn sein Vatcr im Rechnenunterweisen lieB, worauf er Wollenweberwurde. Als er 27 Jahre alt war, hatte er
bei seinem „edeln, scharfen Geiste"— so
driickt sich die alte Biographie aus — genugvon diesem Handwerke, und er beschloB,
geistlich zu werden, was seinem Vater nicht
unlieb war; und damit es der junge Mannnicht notig habe, einen Lohnpriester abzu-
geben (perche non hauessi ad essere prete
mercennario) , trachtete ihm der Vater die
Pfarre von S. Cresci in Maciuoli zu ver-
schaffen. Das gelang unschwer, weil sie
von ihrem letzten Inhaber zu Grunde ge-
richtet und gànzlich ausgebeutet wordenwar; sie trug jàhrlich nur 40 Dukaten. Diese
Pfarre hat Arlotto trotz alien Anfechtungenbis wenige Jahre vor seinem Tode behalten;
urkundenmàBig ist er in den Jahren 1442,
1450, 1454 und 1477 als Pfarrer belegt.
Mit weiterm Lernen gab sich der junge
Pfarrer nicht mehr ab, weil er schon er-
wachsen war— so berichten mit erfrischen-
der Einfachheit die alten Ausgaben— dochwidmete er sich seinem neuen Amte mit
Eifer und bemuhte sich als gewissenhafter
XXVII
Mann um die Seelsorge, so daB die Ge-meinde bald seines Lobes voli war; auchdie Grundstùcke der Pfarre setzte er wiederin Stand und betreute sie, wodurch er seine
jàhrlichen Einkùnfte auf mehr als 150 Gold-gulden steigerte. Die Kirche, die so jàm-merlich aussah, da8 es hieB, sie wàre ein-
gefallen, wenn sie nicht in Arlottos Hàndegekommen wàre, lieB er in drei sàulengetra-
genen Schiffen neu mauern, und das mit derHilfe seines Patronatsherrn, eines floren-
tinischen Edelmannes Francesco di Neronedi Nigi Diotisalvi, des Bruders des spàternflorentinischen Erzbischofs Giovanni di Ne-rone. Die Kirche ist noch heute so erhalten,
wie sie zu Arlottos Zeit gewesen ist \Im Jahre 1482, also als 86jàhriger Greis,
verzichtete Arlotto zu Gunsten des Kapitels
von S.Lorenzo auf seine Pfarre; dasKapitelverlieh ihm den Titel eines Governatore der
Pfarre und bestellte ihm einen Kaplan.Auch fur seine langjàhrige treue Dienerin
sorgte das Kapitel, indem es ihr eine jàhr-
liche Gùlte aussetzte.
Wie man aus der Facetie 142 ersehn
wird, soli der Pfarrer Arlotto bei Lebzeiten
fur sein Begràbnis Sorge getragen und sich
1 Baccini schlieBt (S. 16) an diese Bemerkungeine Klage iiber den verwahrlosten Zustand, in demsich dieses Juwel der Architektur derzeit befinde.
XXVIII
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SchluB der Biographie Arlottos und sein Epitaph in dem
Manuskripte der Laurenziana.
sowohl in Florenz, als auch in Maciuoli ein
Grab bestellt haben; ja sogar die Inschriften
fiir die beiden Gràber hàtte er selbst ver-
faBt. Das Manuskript der Laurenziana gibt
nun die von Arlotto selbst gewunschte In-
schrift nicht nur im Rahmen der Facetie 142wieder, sondern auch auf der Rùckseite des
ersten Blattes, von der wir eine Reproduk-tion bringen; der Leser wird sich aber ùber-
zeugen, daB diese zwei Fassungen eine
Ànderung in der Wortstellung aufweisen.
Jedenfalls steht heute auf dem GrabmalArlottos in der Kirche der Congrega di
Gesù Pellegrino, genannt de' Pretoni, eine
andere, die folgendermaBen lautet:
QVESTA SEPOLTVRA IL PIOVANOARLOTTO LA FECE FARE PER SEE PER CHI CI VVOL ENTRARE.
Und darunter stehen folgende Worte:
MORI A XXVIL DI FEBBRAIO DELMCCCCLXXXIV.
Manni gibt nun, leider ohne einen Ge-wàhrsmann zu nennen, an, daB dort sowohldie Grabschrift, als auch das Todesdatumfrùher anders gelautet hàtten, und zwar die
Grabschrift so wie in dem Manuskripte der
Laurenziana, das auch er schon gekannt
hat — daB dieses zwei verschiedene Texte
XXX
bringt, hat er nicht bemerkt — der SchluBaber so:
MORI EL DI XXVI. DI DICEMBREA ORE XIV. DEL MCCCCLXXXIII \
Aber Marini bcweist auch, daB beideDaten falsch sind; nach einer gleichzeitigen
Aufzeichnung des Kapitels von S. Lorenzoist der Pfarrer Arlotto am 26. Dezember1484 gestorben.
Wie aus einem von Baccini veròffent-
lichten Dokumente hervorgeht, hatte Ar-lotto zwei Schwestern: eine, Candida, warNonne, die andere, Lisabetta, war in erster
Ehe mit Lorenzo di Giovanni Dentellini undin zweiter mit Manno Signorino Signorini
verheiratet und hat auch ihren zweitenGatten ùberlebt.
Man sieht, daB die Nachrichten iiber
Arlottos Lebenslauf herzlich dùrftig sind.
1 Baccini, S. 34, hat, wohl nur durch einenDruckfehler A ORE XVI. Ich glaube iibrigens, daBManni zu der Annahme, die Inschrift auf dem GrabeArlottos habe urspriinglich anders gelautet, durchdie von ihm an einer andern Stelle zitierte Vitad'Arlotto stampata dal Bindoni (?) gekommen ist,
die den abweichenden Text enthalten haben mag;die Biographie Arlottos hat nàmlich in den altenDrucken, z. B. in der Ausgabe Venegia, BernardinB i n d o n i , s. a. folgenden mit der angeblich erstenInschrift ùbereinstimmenden SchluB: mori di De-cembre il di de santo Stephano a di .26. a fiore .14.
Vanno della salutifera incarnatione. 1483.
XXXI
Allerdings wàre noch einiges aus den Face-tien zu entnehmen; inwieweit das aber an-gàngig ist, wird erst noch untersucht werdenmiissen. Einstweilen sei noch im Auszugemitgeteilt, was die Biographie der alten
Ausgaben, die im Manuskripte zum groBenTeile fehlt, tiber seinen Charakter sagt:
Nachdem Arlotto in seiner Kirche undPfarre Ordnung gemacht hatte, begann er
die Werke der Barmherzigkeit zu ùben; er
verteilte seine Einkùnfte, soweit sie seine
Bedìirfnisse uberstiegen, an die Armen oderheiratete damit Màdchen aus, und dafurverbrauchte er jàhrlich 130Dukaten. Sokames, daB ihm seine ganze Gemeinde und viele
Florentiner das beste Zeugnis ausstellten.
Er hatte ein ùberaus gutes Herz, war mit-
leidig, frohlich, liebenswùrdig und zu jeder-
mann menschlich und giitig. Er war ein
solcher Mann, daB sich jeder, weB Standesimmer, glucklich schàtzte, wenn er mit ihmfreundschaftlich verkehren durfte. Nie kamer von seiner Pfarre nach Florenz, ohne daBer von vielen rechtschaffenen, angesehnenBùrgern eingeladen worden wàre, die stets
mit nicht geringer Sehnsucht begehrten,
seinen ergòtzlichen Reden zu lauschen undseiner Liebenswùrdigkeit zu genieBen; undebenso begierig, ihn kennen zu lernen undseine Freundschaft zu gewinnen, waren alle
die groBen Herren, die aus der Fremde nach
XXXII
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Florenz kamen. Er klagte nie, er murrtenie, er schmàhte niemand und sprach nurDinge, die die Leute freuten und ihnen be-hagten; und gar oft mischte er unter seine
Reden Witzworte oder Schnurren so zurrichtigen Zeit, dafi man ùberzeugt war, er
habe sie erst im Augenblicke ersonnen.Und es war zum Staunen, wie er, wovonimmer gesprochen wurde, stets passendeGeschichten, Fabeln, Schwànke und geist-
reiche Worte bei der Hand hatte. MitMònchen sprach er von geistlichen Dingen,mit Soldaten, Kaufleuten, ehrsamen Frauenund leichtfertigen Weibern fiihrte er lose
Reden, und so entsprach seine Unterhaltungimmer den Umstànden. Seine Scherze,
Exempel, Màrlein, Geschichten und Necke-reien sind so zahlreich, dafi ein màchtigerBand nòtig wàre, um sie alle aufzunehmen;und sie sind in aller Leute Mund, sonder-lich in Florenz, wo man sich alle Augen-blicke auf den Pfarrer Arlotto oder einen
seiner Ausspriiche beruft. —Bezeichnender Weise ist das einzige
Schriftstuck von der Hand Arlottos, dasauf uns gekommen ist, eine Art Schuld-urkunde, ausgestellt am 8. Màrz 1460; sie
ist ganz sonderbarer Art, da er sich darin
einem, der fùr einen Dritten geburgt hat,
verburgt, dafi ihm aus seiner Burgschaftkein Schaden erwachsen werde.
Arlotto, Schwànke I. Ili XXXIII
DaB das angeblich von ihm gefiihrte
„Fehlerbuch", das in der 5. Facetie erwàhntwird, nie existiert hat, ist selbstverstànd-
lich1
; sein Fehlerbuch und die ali der an-dern, auf die der daran geknupfte Schwankvor und nach ihm ùbertragen worden ist,
gàben eine kleine Bibliothek 2.
Mit dieser Feststellung haben wir eine
wichtige Frage berùhrt: wenn nàmlich diese
eine Facetie dem Pfarrer Dinge zuschreibt,
die im wesentlichen schon frùher und auf
andere bezogen erzàhlt werden, so liegt die
Moglichkeit nahe, daB auch andere Facetien
Arlottos nicht ursprunglich sind; damitsinkt aber der Wert, den die Facetien als
historische Unterlagen beanspruchen durfen.
Diese Erwàgung zwingt uns eine Unter-
1 DaB diese Binsenwahrheit hier verkiindet
wird, hat seinen Grund darin, daB nicht nur Manni,sondern auch Baccini die scherzhaften Werke des
Schalkes Doni iiber das Libro degli Errori ernst ge-
nommen hat. Doni sagt nàmlich in der SecondaLibraria, Vinegia, 1551, Bl. 26a zu dem Stichworte
Arlotto Piovano: „Questo Messere ne giorni del suo
buon tempo, si messe a scriuere gl'errori chefaceuano gl'huomini segnalati: et ne fece vn libretto,
ma per la mia fede, che se foBi viuo hoggi et teneBi
questi conti, egl' haurebbe che scriuere le Bibie nonche quattro fogli, il qual libro è hoggi nelle manidi messer Lampridio Segala, et si chiama. Libro
de gl'errori."
2 Vgl. die Anmerkung zur 5. Facetie und die
zweite Beigabe des Anhanges.
XXXIV
suchung anzustellen, wie viel eigcnes undwie viel fremdes in den durch Arlottos
Namen vereinigten Facetien steckt.
Der Satz „Wer da hat, dem wird ge-
geben" hat wohl nirgends mehr Geltung,
als bei den Volksùberlieferungen uber jene
sonderbare Gattung von Leuten, die wir
unter dem Sammelnamen Volkslieblinge be-
greifen wollen. Auch der Laie auf diesemGebiete wird schon oft die Wahrnehmunggemacht haben, daB eine Schnurre, die er
zuerst etwa von Eulenspiegel oder demPfaffen vom Kahlenberge gehòrt hat, auchvon einem andern Schelme erzàhlt wird,
und es gibt geradezu einen gewisseneisernen Bestand an Motiven, die mutatis
mutandis von einem auf den andern ùber-
tragen werden; beispielsweise sei hier anden Zug erinnert, daB sich in nicht wenigenVolksbuchern der Held vor der Zuchtigungdurch die beleidigten Frauen dadurch rettet,
daB er den Wunsch ausspricht, den ersten
Schlag solle die gròBte Sunderin fuhren,
oder an die Geschichte, wie sich die angeb-lich beschenkten Blinden verprùgeln, weil
jeder glaubt, einer von den andern habedas Geld. Da es sich in diesen Fàllen umTypen handelt, an deren AusgestaltungGenerationen mitgewirkt haben, ist der be-
obachtete Vorgang natùrlich; jedes Volk
"• XXXV
nimmt eben in dem begreiflichen Wunsche,scinen Licbling mòglichst herauszustaffieren,unbedenklich jeden frcmdcn Schmuck in
Anspruch.Nun ist die Entstehung der Facetien
Arlottos, wenigstens der, die uns in denalten Drucken und in dem Manuskripte vor-
liegen, keineswegs auf eine solche Weise zudenken; mag auch Arlotto, der ja ein un-gewohnliches Alter erreicht hat, bei seinemTode schon eine halbmythische Figur ge-
wesen sein, auf die schon manches Stiick
der Volksiiberlieferung ùbertragen wordenist, so hat sich doch so bald nach seinemTode jemand gefunden, der das im Umlaufebefindliche sammelte, daB von einem langdauernden Einflusse der Tradition, wie er
etwa bei Eulenspiegel oder Nasr-eddinvorliegt, wohl nicht gesprochen werdendarf.
Ausgenommen von dieser Erwàgungmussen freilich von vornherein mehrereGeschichten werden, wo Arlotto selbst als
Erzàhler auftritt; bei diesen ist es wohl be-greiflich, daB Arlotto trotz dem Bilde, dasder unbekannte Kompilator von seiner
Fàhigkeit, aus dem Stegreif zu erzàhlen,
entwirft, meistens etwas gehòrtes oder ge-
lesenes in einer mehr oder minder selbst-
stàndigen, zu seinem Zwecke taugendenBearbeitung wiedergegeben hat. Wie wir
XXXVI
aber sehn werden, dùrfen wir auch mitdieser Einschrànkung nicht alle Facetienfur Arlotto in Anspruch nehmen; es bleiben
noch genug Stiicke ùbrig, von deren Stoffenaltere Fassungen bekannt sind.
Die nàchstliegende Erklàrung ist nunsicherlich die, dafi der Verfasser oderKompilator absichtlich und wider bessers
Wissen ad maiorem gloriam herois Zu-sàtze gemacht habe; diese Annahme hatauch keineswegs etwas gezwungenes: hatnàmlich auch der Begriff des literarischen
Eigentums schon existiert, so war doch die
Verwerflichkeit des literarischen Diebstahlsnoch wenigen zum BewuBtsein gekommen.Bis weit ins 16. Jahrhundert hinein findenwir ernsthafte Schriftsteller, die ganz an-gesehne Leute waren, obwohl ihre Tàtig-
keit fast ausschlieBlich darin bestand, die
Schàtze anderer umzumunzen und mit demleichten Anscheine einer neuen Pràgung in
den Verkehr zu bringen. Und noch làngerzeigt sich das in der Schwankliteratur,deren fluchtigen Erzeugnissen schon garkein Schutz zugebilligt wurde; das ist nicht
nur in Italien so, sondern auch in Frank-reich, in Spanien und in Deutschland, undes fiel nicht nur bei Ùbersetzungen niemandein, seine Quelle auch nur anzudeuten, son-
dern auch bei glatten Entlehnungen. Danun der, der die Facetien eines Mannes wie
XXXVII
Arlotto sammelte und niederschrieb, diesemgewiB wohl wollte, was ist da natùrlicher,
als daB er ein sonst allgemein beliebtes
Verfahren auf ihn angewandt und damitzugleich als einzelner das getan hat, wasdas Volk stets mit seinen Lieblingen getanhat und tut und tun wird?
Dem Kompilator der Facetien soli abernicht mehr in die Schuhe geschoben werden,als er wirklich verdient. Obgleich nàmlichbei den vielen Facetien, wo er nicht Augen-zeuge gewesen sein kann, nicht ausdrùck-lich gesagt wird, wer sie ihm erzàhlt hat,
so ist es wohl moglich, meist sogar wahr-scheinlich, daB er sie aus dem Munde desPfarrers Arlotto gehòrt hat. DaB aber derPfarrer nur wirklich erlebtes erzàhlt hàtte,
das wird doch niemand behaupten wollen:sicherlich hat er— und das entspricht vollig
dem Bilde, das wir uns von ihm machen —oft und oft, um Lachen zu erregen oder auseinem andern Grunde den Inhalt mancherder Tradition oder der Literatur angehoren-den Geschichte so erzàhlt, als ob er Augen-zeuge oder geradezu handelnde Person ge-
wesen wàre; ja bei einigen Geschichten er-
scheint es beinahe ausgeschlossen, daB der
Kompilator auf eine andere Art als durcheine, wenn auch vielleicht nicht unmittel-
bare Erzàhlung Arlottos zu ihrer Kenntnisgekommen wàre.
XXXVIII
Auf wclchem Wege die einzelnen nicht
ursprùnglichen Stùcke in die Sammlung ge-
kommen sind, làfìt sich wohl nicht fest-
stellen; wichtig ist aber jedenfalls, das
sicher unechte von dem mòglicher oder
wahrscheinlicher Weise echtem zu scheiden.
Ein auBerordentlich merkwtirdiges Ver-
hàltnis besteht zwischen den Facetien Ar-lottos und den von dem Vielschreiber undberuchtigtem Plagiator Lodovico Domenichi
1548 herausgegebenen Facetie et motti ar-
guti, die in ihrem grofiten Teile aus einem
Buche oder einer Handschrift des oben ge-
nannten Padre Stradino gezogen sind undeine stattliche Zahl von Schwànken Arlottos
enthalten. In der dritten Beilage des An-hangs, der nur einer Untersuchung dieser
Sammlung und der von Papanti heraus-
gegebenen Facezie e motti dei secoli XV e
XVI gewidmet ist, wird der Beweis ge-
bracht, dafi die gemeinsame Quelle der Fa-
cetien des Padre Stradino und des gròBten
Teiles der Papantischen Facetien im Jahre
1479 verfaBt sein mufi. Damals war aber
unser Pfarrer noch am Leben, und es wird
auch von ihm an mehrern Stellen der Fa-
cetien Stradinos oder Domenichis ausdruck-
lich als von einem Lebenden gesprochen.
Die Facetien Domenichis tragen, soweit sie
auf dem Buche Stradinos beruhen, zum
XXXIX
groBen Teile den Charakter von Ausziigcnoder Inhaltsangaben, und das trifft auch bei
den 22 Stiicken zu, die sie mit den FacetienArlottos gemeinsam haben. Daraus solite
man schlieBen dùrfen, daB zur Zeit der Ab-fassung ihrer Vorlage, also im Jahre 1479schon ein Teil der Facetien Arlottos schrift-
lich im Umlaufe gewesen sei; ich getrauemich zwar nicht, diesen SchluB zu ziehen,
bemerke aber, daB dafur noch zwei Tat-sachen sprechen: erstens daB bei Domenichiauch die 5. Facetie Arlottos, die von seinemFehlerbuche handelt, in einem Auszugewiedergegeben ist, obwohl vorher eine evi-
dent altere Version der Geschichte, bezogenauf einen Kònig Eduard von England undMerlin, steht, und zweitens, daB alle
22 Stiicke Domenichis, die von Arlotto
handeln, ihre Parallelen in dem Teile des
Manuskriptes der Laurenziana und der
alten Drucke haben, der vor die Erzàhlungvon seinem Tode fàllt \ Jedenfalls ist aber
dadurch, daB sich diese 22 Facetien schonin Domenichis mittelbarer, 1479 verfaBter
Quelle finden, auBer Zweifel, daB sie da-
mais zum mindesten von Mund zu Mundgegangen sind. Sie brauchen daher zwar
1 Die betreffenden Facetien Arlottos haben in
dieser deutschen Ausgabe die Nrn. 1, 2, 3, 4, 5, 7f
8, 9, 10, 11, 12, 13, 15, 16, 17, 18, 22, 23, 71, 76, 87und 108.
XL
noch nicht als historisch oder aus demMunde Arlottos stammend angenommen zuwerden, kònnen aber immerhin in gewissenGrenzen eine groBere Authentizitàt als die
ùbrigen beanspruchen.EinigermaBen enttàuscht es daher, daB
unter ihnen vier sind, die uns auch in denzwischen 1438 und 1452 verfaBten Facetien
des pàpstlichen Sekretàrs und spàtern flo-
rentinischen Kanzlers Poggio Bracciolini
(f 1459) begegnen. Da nicht gut ange-nommen werden kann, daB Poggio die
betreffenden Schwànke Arlottos benutzthàtte 1
, bleibt nur ùbrig, daB sowohl Poggio,
als auch Arlotto oder der Kompilator derArlottoschen Facetien aus dem Volksmundegeschòpft hat, oder daB die Version Arlottos
auf der Poggios beruht. Hier sei auchgleich bemerkt, daB auBer diesen vier Face-tien (Nr. 4, 8, 17 und 71) auch die 150., die
bei Domenichi nicht vorkommt, bei Poggiowiederkehrt. Ist bei diesen fùnf FacetienArlottos Eigentumsrecht nur fraglich, so ist
es bei einer andern sicher, daB sie nach-empfunden ist; dies ist die 10. Facetie, die
eine weitaus altere Parallele in einemFabliau hat. Man bemerkt also, daB es
auch bei diesen 22 Facetien, die am meisten
1 Vgl. dazu die Anmerkung zur 4. Facetie,
S. 180 ff.
XLI
beanspruchen kònnen, als ursprùnglich zugelten, mit ihrer Originalitàt leider sehr
windig aussieht, selbst wenn man nicht be-
rucksichtigen will, daB Domenichi in zweien,
die er, obwohl ihre Gcgenstùcke in derSammlung Arlottos zusammengehoren,ràumlich getrennt bringt, den Namen Ar-lottos gar nicht nennt und dafi nur die eine
mitten unter Schnurren steht, die er sonst
Arlotto zuschreibt \Mit diesen 22 Stucken ist aber die Zahl
der Parallelen Domenichis und Arlottos
noch nicht erschòpft. Domenichi oder viel-
mehr die Sammlung des Padre Stradino
erzàhlt noch 5 Schnurren, die in der Hand-schrift der Laurenziana und ebenso in denalten Drucken der Facetien Arlottos stehn;
aber Domenichi erzàhlt sie entweder vonUngenannten und auGerhalb der Stellen, wovon Arlotto die Rede ist, oder ùberhauptvon andern Personen. Dadurch wird der
SchluB gerechtfertigt, dafi sie erst spàter
auf Arlotto ùbertragen worden sind. Amdeutlichsten zeigt sich das bei der Facetie
41, die zwar in letzter Instanz auf Valerius
Maximus zuriickgeht, aber mit ihrem Gegen-stùcke bei Domenichi so genau uberein-
stimmt, daB die Abhàngigkeit des Kompi-
1 Gerade die, die bei Domenichi unter denFacetien Arlottos steht, wird bei Arlotto Cosimode' Medici in den Mund gelegt.
XLII
lators der Facetien Arlottos von der Samm-lung, die der Vorlage Domenichis, nàmlichdem Buche des Padre Stradino, als Quellegedient hat, nicht geleugnet werden kann;dasselbe trifft bei der Facetie 93 zu.
Mehrere Facetien Arlottos beruhen aufNovellen Sacchettis; kònnte vielleicht bei
einigen noch eine Unabhàngigkeit von demum etwa 80 Jahre fruher verstorbenen flo-
rentinischen Novellisten angenommen wer-den, so ist dies bei der 134. Facetie aus-geschlossen.
Die Facetie 133 hat eine auffallendeÀhnlichkeit mit einer Novelle GiovanniFiorentinos; da aber auch Zuge aus Boc-caccios denselben Vorwurf behandelnderNovelle hineinverwoben sind, wird manwohl, wenn man nicht eine Verquickungannehmen will, auf eine unbekannte Vor-lage schlieDen mìissen.
Eine nicht unbedeutende Zahl von Fa-cetien geht auf manchmal sehr alte Motivezuriick, ohne daB ich eine direkte Quellenachweisen konnte, und auBerordentlichviele stellen sich als einfache Ùbertragungenaus klassischen Autoren dar.
Den Arlotto eigentiimlichen, dreimalwiederkehrenden Drei- oder Vierteilungen,
die in letzter Instanz auf Scotus Erigenazuriickfuhren, habe ich in den Anmerkungenzu den Facetien 3 und 64 ausfuhrliche Er-
XLIII
òrterungen gewidmet, von denen ich gleich-
wohl weiB, daB sie der Ergànzung nochsehr bediirftig sind; kiirzer sind einige
andere Facetien behandelt worden, derenQuellen ich ebenfalls in der geistlichen Lite-
ratur, und zwar zumeist in Predigtmàrleinsene, Sie zeichnen sich allesamt dadurchaus, daB in ihnen Arlotto ein auBergewohn-lich groBes parodistisches Geschick ent-
wickelt.
Das sind in der Hauptsache die Be-ziehungen, die Arlottos Facetien zu àltern
Werken erzàhlenden Inhalts nachgewiesenwerden kònnen; auf minder wichtiges, dasin den Anmerkungen verzeichnet ist, soli
hier im Rahmen der Einleitung nicht ein-
gegangen werden.Aus diesen Darlegungen ergibt sich, daB
man, um Daten ùber das Leben Arlottos zugewinnen, die Facetien nur sehr vorsichtig
und keinesfalls in dem MaBe, wie es Manniund Baccini getan haben, heranziehen darf.
In das Gebiet der Legende gehoren z. B.
Arlottos Aufenthalt in London, seine an-
geblich gegen den Konig von Neapel be-
wiesene Unverschàmtheit, der Schleien-
diebstahl in Siena, die Lauchverteilung anseine Pfarrkinder, seine Intervention in demRechtshandel in Siena, seine Rache an demSchuldeneintreiber, sein Besuch Roms zur
Zeit des Papstes Calixtus III. und vieles
XLIV
andere; unbestritten sei ihm hingcgen sein
Anteil liberali dort, wo er selbst als Er-
zàhler, wenn auch alter Geschichten auf-
tritt, und unbestritten bleibe noch immersein Eigentumsrecht an der ùberwiegendenMehrheit der Facetien, die ja originai ge-
wesen sein mufì, weil es sonst niemandeingefallen wàre, ihn mit fremden Federnzu schmùcken.
Fur die vergleichende Literatur- undStoffgeschichte haben die Facetien Arlottos
einen grofien Wert, der allerdings bis jetzt,
wohl ihrer Seltenheit halber, noch nicht ge-
wùrdigt worden ist \ Von vielen bei Ar-lotto behandelten Motiven kennen wir nochkeine altere Fassung als die ihm zugeschrie-
1 Bemerkt sei hier, dafi sowohl Ristelhuber,
der Herausgeber der noch zu erwàhnenden fran-
zosischen Obertragung, als auch Baccini zu einigen
Facetien Vergleichsstellen angibt; diese durftigen
Nachweise hat dann Gaetano Amalfi in einem Auf-satze Wer hat die Facetien des Piovano Arlotto
kompiliert? (Zeitschrift des Vereins fùr Volkskunde,VII, S. 261 ff. und S. 376 ff.) einfach abgeschrieben,
das richtige samt dem unrichtigen. Dieser Aufsatz
ist vollkommen wertlos, ja durch die unglaublich
groBe Zahl von falschen Angaben geradezu geeignet,
den harmlosen Leser irrezufiihren und zu falschen
Schlùssen zu verleiten. Es wàre eine Sisyphos-
arbeit, dieses Urteil im einzelnen zu belegen; jeder
Fachmann wird sich aber durch Stichproben undgelegentliche Vergleiche leicht uberzeugen, daB es
so ist. Ebenso wenig bemerkenswertes wie Amalfis
XLV
bene, und oft geben seine Facetien, wieschon aus den hier verzeichneten Beziehun-gen erhellt, wichtige Anhaltspunkte fùr die
Beurteilung der Wanderung der Motive in
der Literatur und in der Volksuberliefe-
rung.
In dem bisher gesagten wurde stets nurBezug genommen auf die ersten 203 Face-tien dieser deutschen Ausgabe, das sind die
Stùcke, die das Manuskript der Lauren-ziana enthàlt; immerhin ist schon daraufhingewiesen worden, dafì einige alte Aus-gaben um 12 kurze Erzàhlungen vermehrtsind, die man einfach den Facetien Poggiosentnommen hat, ohne daB, auBer bei denzwei ersten, der Versuch gemacht wordenwàre, sie auf den Pfarrer Arlotto zu iiber-
tragen. AuBerdem enthalten alle alten
Ausgaben noch zwei Facetien, die im Manu-skripte fehlen; obwohl sie keineswegs origi-
nell sind, habe ich sie wie die andern 12 der
lieben Vollstàndigkeit halber aufgenommen.Eine willkommene Ergànzung werden
wohl die 3 Facetien sein, die zwar in dem
Aufsatz enthalten die in der Kommunalbibliothekvon Siena (Ms. C. V. 6, Miscellanea Benvoglienti)
aufbewahrten handschriftlichen Noten von UbertoBenvoglienti; sie sind nichts als eine mit unerheb-lichen Bemerkungen versehne Inhaltsangabe des
Giuntinerdruckes von 1565.
XLVI
von Domenichi herausgegebenen BucheStradinos, aber nicht in Stradinos Hand-schrift der Laurenziana stehn. Ebenso sinddie von spàtern Autoren, nàmlich AntonFrancesco Doni aus Florenz (1513 bis 1563),Lodovico Guicciardini aus Florenz (1521 bis
1589), Tommaso Garzoni aus Bagnacavallobei Ravenna (1549 bis 1589) und GiovanniSagredo aus Venedig (1616 bis 1682) ent-
weder aus dem Volksmunde aufgezeichne-ten oder auf den berùhmten Pfarrer ùber-tragenen Schwànke aufgenommen worden.
Merkwùrdig ist, daB die fruheste Er-wàhnung Arlottos in der schònen Literatur,
die ihn mit den einfachen Mitteln der kunst-lerisch behandelten Anekdote kostlich schil-
dert und uberdies ein Erlebnis von ihm mitlauniger Komik erzàhlt, ohne jede Nach-wirkung geblieben ist, obwohl sie der Federeines ganz groBen entstammt. In demSimposio oder den Beoni erzàhlt Lorenzode' Medici, wie er an einem Herbsttage, als
er vom Lande nach Florenz heimkehrt,einer ungeheuern Schaar von Leuten be-gegnet, die alle in eiligem Laufe zu einemWirte streben, der ein FaB Wein ange-stochen hat; und unter den wiirdigen Màn-nern, die auf der StraBe schneller als die
Vogel dahinhasten, ist auch unser PfarrerArlotto, ùber den sich der Magnifico fol-
gende Auskunft geben làBt:
XLVII
Quest' è '1 Piovan Arlotto, e non gli toccaIl nome indarno; né fu posto a ventoSiccome secchia molle, ma die in brocca.
Costui non s'inginocchia al Sacramento,Quando si lieva, se non v'è buon vino,
Perchè non crede Dio vi venga drento.
E come già per miracol DivinoGiosuè fermò il Sol contr' a natura,
Così costui, e insieme un suo vicino
Fermò la Notte tenebrosa, e scura,
E scambiaron un dì, e se ben miro,
E la Notte seguente: odi sciagura!
Il primo dì un certo Armario aprirò,
Pensando loro una finestra aprire;
E scur vedendo, al letto rifuggirò:
Volle Dio, che levossi da dormireQuel della casa, e mostrò loro il giorno,
Che così ben si potevan morire:
E così il terzo dì risuscitorno;
Benché pria al secondo e fussin desti;
Perchè dormendo de' tre dì toccorno \
Wenn auch die Geschichte von denSchlàfern, die statt aus dem Fenster in
einen Kasten schauen, so da6 sie glauben,
es sei noch immer Nacht, nur auf Arlotto
ùbertragen worden ist — sie findet sich
schon in der um die Mitte des 14. Jahrhun-
1 Opere burlesche (di diversi), Usecht al Reno,1771, III, S. 165.
XLVIII
derts verfaBten Scala Celi des Domini-kancrs Johannes Gobii — so klingt dochdie Behauptung, Arlotto sei bei der Wand-lung nur dann niedergekniet, wann er ge-wuBt habe, daB im Kelche ein guter Weinsei, weil er sonst an die Transsubstantiationnicht habe glauben kònnen, so urspriinglich
und paBt so gut zu dem ganzen Wesen desPfarrers, daB es, besonders in Anbetrachtdes Gewàhrsmannes, zum Staunen ist, daBsie, wie es scheint, gànzlich in Vergessen-heit geraten ist. Denn Arlotto lebt nochheute in der Tradition.
Im Jahre 1858 begann in Florenz eine
jungitaliànische Zeitschrift zu erscheinen,
die den Namen // Piovano Arlotto fuhrte,
so wie ein Jahr vorher Jungbelgien eine
neue Revue Uylenspiegel getauft natte. Indem dritten und letzten Jahrgange dieses
Piovano Arlotto 1 làBt Francesco Dome-nico Guerrazzi den Pfarrer aus dem Grabesteigen und auf die Oberwelt zurùckkehren:die Florentiner begruBen ihn ohne Verwun-derung als lieben alten Bekannten: „GutenMorgen, Herr Pfarrer! gut ausgeschlafen?"und Arlotto antwortet: „Ausgezeichnet, undalles in einem Zuge, ohne daB ich mich auchnur einmal umgedreht hàtte!" Und dieser
1 Eine spàtere Monatsschrift // Cherico delPiovano Arlotto (1878) hat es nur auf vier Nummerngebracht.
Arlotto, Schwankel. IV XLIX
auferstandene Pfarrer Arlotto erzàhlt in
seiner Lebensgeschichte unter anderm:„Manchmal, ich gesteh es, ist mir bei
dem Verlangen, eine Stichelei zuriickzu-
geben, die Zunge durchgegangen, ja einmalhat mich sogar der Erzbischof Antonino trotz
unserer Verwandtschaft ins Gefàngnis ge-
steckt; er hat zwar recht gehabt, aber ich
mochte doch, da6 ihr selber urteilt, ob ich
nicht etwas Mitgefùhl, wenn nicht uber-
haupt Verzeihung verdient hàtte. Ihr miifit
also wissen, dafi meine Grofómutter, die
gute Seele, meinen Vater Giovanni meinemGroBvater Chinardo zu einer Zeit geborenhat, wo der schon richtig siebzig Jahrezàhlte. Nun war ich einmal in der Gesell-
schaft von etlichen Frauenzimmern, die
mutwilliger waren, als sich geschickt hàtte,
und eine von ihnen, die mir einen Trunkmischte, sagte zu mir: ,Trinkt, Herr, es ist
ein echter Carmignano'; und eine anderehalf ihr: ,Ihr konnt ihn mit geschlossenen
Augen trinken; er ist echter als Ihr/ Dari6 mir aber die Geduld und ich antwortete:
,Ja glaubt ihr denn, es gebe auf der Weltsonst keine Huren als euch?' Und das ist
das Verbrechen, das mich in die Kerker des
Erzbischofs gebracht hat V.... „Und als ich eines Abends bei
1 // Piovano Arlotto, III, S. 81 = Guerrazzi,
Messere Arlotto Mainardi, Livorno, 1863, S. Vili ff.
Messer Antonio Picchini, dem Pfarrer vonCercina, auf Besuch war, wurde mir ein Ge-màlde von der Hand des Meisters Squincigezeigt, der ein Schiller Ghirlandai os war;und das Bild stellte Jesum Christum dar,
an eine Sàule gebunden, und daneben einenlangen, magern Kerl mit dem Gesichte eines
Geiers, der im Mausern ist, und der Kerlholte aus wie zum PfefferstoBen. ,DuSchandbube, du Memme,' begann ich zuschreien, ,du haust zu, weil er gebunden ist,
und du hast sicher sein wollen, daB er dir
sie nicht zurùckgibt! Da, nimm das!' unddamit versetzte ich ihm einen Faustschlag,daB das Bild zerriB. Und fur die Ausbesse-rung mufìte ich dann dem Maler Squincizwei Goldgulden und drei Pfund HellerzahlenV
Derlei Geschichten laufen, heiBt es, in
Florenz noch genug um; es wàre eine dan-kenswerte Arbeit, wenn sich ein Kenner vonLand und Leuten daranmachte, sie zu sam-meln 2
.
Von der Beliebtheit des florentinischen
1// Piovano Arlotto, IH, S. 86 = Guerrazzi,
Messere Arlotto Mainardi, S. XVI.2 Keinesfalls erwiinscht ist jedoch so ein PreB-
erzeugnis wie ein bei Salani in Florenz ohneZeitangabe herausgekommenes Groschenbàndchen,dessen Titel lautet // Piovano Arlotto. Satire, celie
ed arguzie del celebre burlone fiorentino; auch einerichtige textkritische Ausgabe tate wahrlich not.
IV "
LI
Schalkes geben auch die zahlreichen bild-
lichen Darstellungen seiner Facetien Kunde,wenn sie auch jetzt meist verloren sind.
Der erste, der sich daran versuchte, scheint
Giovanni da San Giovanni gewesen zu sein,
von dem Baldinucci * erzàhlt, daB er die
Facetie von den Jàgern, deren Hunden vomPfarrer das Brotessen abgewohnt wordenist, fùr den Kardinal Barberino in Rom ge-
malt hat; nach einem Auftritte mit demKardinal schenkte er das Bild einem ge-
wissen Giovan Francesco Grazzini undder bewahrte es in seiner Villa in Castello
auf, deren Hof Giovanni schon fruher mitFresken geschmùckt natte. Dieses Bild ist
heute verloren, wàhrend ein andres, dasstets als ein Werk Giovannis gegolten hat
und unsere Facetie 228 illustriert, seit einer
Veroffentlichung 0. H. Gigliolis2 nicht
mehr ihm, sondern seinem Schiller Baldas-sarre Franceschini, nach seiner VaterstadtVolterrano genannt, zugeschrieben werdenmu6 und mit dem Gemàlde, das er fùr
Francesco Parrocchiani hergestellt hat,
identisch ist3
.
1 Delle notizie de' professori del disegno daCimabue in qua, Ausg. Firenze, 1767 ff., XIII, S. 164.
2 Bolletino d'Arte del Ministero della pubblica
istruzione, II, 1908, Nr. 9.
3 Diese Facetie ist vor Baldinucci wahrschein-lich nur im Volksmunde lebendig gewesen; sie ist
LII
Dieses Gemàlde, erzàhlt Baldinucci, ge-
fiel dem GroBherzog Cosimo IL, der es
spàter ankaufte, so gut, daB ihm Volterrano
noch zwei Facetien Arlottos darstellen
muBte; es sind dies die Facetie, wo sich der
Pfarrer durch die Angabe, Geld verloren
zu haben, einen Platz am Feuer erobert,
und die, die berichtet, wie er den vonFròsten geschuttelten Ser Ventura mit
einem Steine zudeckt. Beide Bilder sind
leider jetzt verloren; nach Baldinuccis Be-schreibung scheint besonders das zweite
ganz ausgezeichnet gewesen zu sein \
ja auch eigentlich nichts andres als eine Varianteder 13. Facetie. Bei Baldinucci, XVII, S. 98 fL
lautet die betreffende Stelle: „A1 medesimo Par-rocchiani colorì (il Volterrano) a tempera il bizzar-
rissimo quadro della tanto rinomata burla della
botte, fatta dal piovano Arlotto ad una festa, perconfonder l'astuzia del padrone di quella casa e
suoi compagni di tavola, che vollero pigliarsi
scherzo di lui, con fargli a bello studio toccar la
sorte di abbandonare la mensa, per andare a pigliare
vino in cantina: e fu questo quadro tanto applau-dito, che in progresso di tempo ne sono uscite fuori
copie infinite."
*) Ebendort, XVII, S. 113: „ . . . Neil' altro qua-dro rappresentò quando un Prete del paese del
Piovano, chiamato ser Ventura, tremando pel freddodella febbre, dopo essere stato coperto con quantipanni erano in quella casa, fino colla gonnella della
serva, dolendosi aspramente, eh' e suoi astanti lo
lasciavano morire di freddo, domanda nuova co-
perta: e '1 Piovano Arlotto, coli' aiuto di certi con-
tadini, gli pone addosso un gran lastrone. In questa
LUI
Das zur 9. Facetic reproduzierte Bild
ist von der Hand eines unbekannten Kùnst-lcrs, der der florentinischen Schule in derersten Halite des 17. Jahrhunderts angehòrthat; dafi es gebracht werden kann, ist denBemuhungen des Inspektors der Kgl. Gale-rien in Florenz, Hrn. Odoardo H. Giglioli
zu danken, der es in den Magazinen derUffizien entdeckt hat. Ausgestellt war es
noch nie KWie nicht anders zu erwarten, ist auch
der Urheber der Facetien ein Gegenstandder bildlichen Darstellung geworden undzwar kennen wir drei angebliche Portràtevon ihm: aber er sieht auf jedem von ihnenanders aus, und ùberdies ist das àlteste so
spàt nach seinem Tode entstanden, da6 es
ebenso wenig Anspruch auf Wahrhaftig-keit erheben darf wie die andern zwei;
dieses von Allori, auch Bronzino genannt,
gemalte Bild gilt als verloren, jedoch ist
eine Kopie davon erhalten 2.
storia, che veramente è bellissima, è curioso il con-
cetto del pittore, nell' avere con molta naturalezzaabbigliata una camera di un povero Prete di villa,
e accompagnata l'azione delle figure con tanta pro-
prietà, che più non si può desiderare."1 Nach F. H. v. d. Hagen, Briefe in die Heimat,
Breslau, 1818, II, S. 228 hàtte auch Manozzi (f 1636)
einige Schwànke Arlottos gemalt.2 In den Memorie istoriche di più uomini
illustri della Toscana, Livorno, 1757.
LIV
Das zweite hàngt heute in der Galleria
Torrigiani in Florenz und ist von der Handdes schon genannten Giovanni da San Gio-
vanni, dessen Unterschrift es auch tràgt;
das dritte endlich, das, wohl mit Unrecht,
demselben Meister zugeschrieben wird, be-
findet sich auf dem Korridor der Galerie
Pitti in Florenz.
Die ungeheuere Popularitàt Arlottos, die
sich auch in dem Verhàltnis der bildenden
Kunst zu seiner Person und zu seinen Face-tien àufiert, hat eine merkwùrdige Erschei-
nung gezeitigt: wàhrend nàmlich die vonden italiànischen Novellisten in die erzàh-
lende Literatur neu oder wieder eingefùhr-
ten Stoffe alsbald weitere Bearbeitungenfanden, die sich wie die Zweige eines Bau-mes veràsteln, haben die Schwànke undMàrlein des Pfarrers Arlotto nur wenigeNachahmungen erfahren; die Entlehnungwàre wohl gar zu offenkundig gewesen.
Auch ihre Verbreitung im Auslande ist
nicht bedeutend, besonders wenn man in
Betracht zieht, in welchem Mafie Poggios
Facetien die Schwankliteratur der Deut-schen, der Franzosen, der Spanier und der
Englànder beeinflufit haben; allerdings sind
die Facetien des florentinischen Kanzlersin einem eleganten Latein abgefafit, wàh-
LV
rend die von einem Unbekannten aufge-zeichneten Facetien seines geistlichen Zeit-
genossen trotz manchen absichtlichen An-klàngen an Boccaccio auch fùr den Italiàner
keineswegs leicht lesbar sind.
Das erste deutsche Buch, worin wir demNamen des Pfarrers Arlotto begegnen, sind
wohl die 1574 erschienenen Erquickstundenvon Daniel Federman aus Memmingen; sie
sind nichts als eine (Jbersetzung einer Aus-wahl aus Lodovico Guicciardinis Ore di
ricreazione oder Detti et fatti piacevoli,
einer Facetiensammlung, die unter andermauch einige Schnurren des Pfarrers ent-
hàlt. Auch aus diesen Ore di ricreazione
und aus einer jiingern Ausgabe der Dome-nichischen Facetien hat der anonyme Ver-fasser des 1649 in Amsterdam heraus-gekommenen Democritus ridens etliche
Schwànke Arlottos ins Lateinische ùber-
tragen. Keine Nachricht kann ich hingegengeben, woher andere deutsche Kompila-tionen àhnlicher Art, die Arlotto hier undda erwàhnen, wie das Exilium melancholiae
und der frùher Simon Dach zugeschriebene,
auflagenreiche Zeitvertreiber , geschopft
haben \
1 Die betreffenden Stellen aus den genanntenund noch zu nennenden Buchern wolle man in denAnmerkungen einsehn.
LVI
Auch Johann Leonhard Weidner, derFortsetzer von Zincgrefs Apophthegmata.erzàhlt zwei Geschichten aus den FaceticnArlottos; seine Quelle war jedoch nicht dasitaliànische Originai, sondern die zuerst1566 erschienene Apologie pour Hérodotevon Henri Estienne (Henricus Stephanus),der der erste Franzose zu sein scheint, derArlottos Facetien zitiert hat. Nicht un-bekannt waren sie wohl auch dem Verfasserder Serées, Guillaume Bouchet, und demdes Moyen de parvenir, Francois Beroaldede Vendile. Schon 1584 ist ùbrigens, wasbisher merkwùrdigerweise noch nicht be-achtet worden ist, eine franzosische Ùber-setzung von 19 Facetien Arlottos samtseiner Lebensbeschreibung in den Facé-tieuses lournées von Gabriel Chappuis deTour erschienen; Chappuis hat eine Aus-gabe der Klasse B vor sich gehabt, aus derer auch noch eine Reihe von Facetien Bar-lacchias ùbertragen hat \
1 AuBer Arlotto gibt Chappuis in dem Wid-mungsbriefe noch folgende Quellen an, die er be-nutzt habe: Brevio, Gratia (= Niccolò Grazia),Firenzuola, Erasto, Salernitano (== Masuccio) undParabosco; von ali diesen Autoren und Biichern hater aber wohl nur Firenzuola und Parabosco direkt,
die andern jedoch in Francesco Sansovinos Centonovelle, und zwar wahrscheinlich in der AusgabeVenezia, 1566 vor sich gehabt. Einige Novellen sindspanischen Ursprungs.
LVII
Auf einer der vielen Ausgaben derKlasse C, die die Schwànke Arlottos nicht
einmal zur Hai fte bieten, beruht eine an-dere, 45 Stucke enthaltende franzosische
Ùbersetzung, die 1650 in Paris unter demTitel Le Patron de Vhonneste raillerie, con-
tenant les brocards, bons mots, agréablestours et plaisants rencontres de PiovanoArlotto herausgekommen ist; dem davonveranstalteten Neudrucke Les Contes et
Facéties d'Arlotto de Florence (Paris, 1873)
hat der Herausgeber P. Ristelhuber auchdie von dem anonymen Ùbersetzer ausge-
lassenen 35 Facetien beigefùgt, so dafi alle
80 Facetien der Ausgaben C ins franzo-
sische iibertragen sind \Von deutschen Gelehrten war der erste,
der sich mit Arlotto beschàftigt hat, KarlFriedrich Flògel, der in seiner Geschichteder Hofnarren, Liegnitz und Leipzig, 1789einige Facetien im Auszuge mitgeteilt hat;
mit einer kùrzern Erwàhnung bedenkt denPfarrer Friedrich Heinrich von der Hagenin dem IL Bande seiner schon zitierten
Briefe in die Heimat (Breslau, 1818), wo
1 In der Vorrede sagt Ristelhuber, er habe aucheine handschriftliche deutsche Ùbersetzung der Fa-cetien Arlottos benutzen konnen, die er bei Scheible
in Stuttgart um 25 Franken erstanden habe; leider
vermag diese Buchhandlung ùber dieses Manuskriptkeine Auskunft zu geben.
LVIII
man auch Proben der Facetien findet, Einbesonders hohes Lob erfàhrt Arlotto vonA. C. M. Robert: „Quoiqu'il n'ait composeaucun ouvrage, il n'est pas moins célèbre,
et fut peut-ètre plus heureux que le fameuxcure de Meudon, dont il se rapproche quel-que peu par la vivacité de son esprit et la
gaité de son caractère V
Wie man aus den Facetien sehn wird,war Arlotto keineswegs einer von den Ge-sellen mit der Gugel, den Eselsohren undden Glòckchen, deren Beruf es war, die
Fursten mit witzigen Reden oder plumpenSpàBen zu ergòtzen; gemeinsam aber hater mit ihnen diese gewisse Verachtung derkonventionellen Grenzen, die sich auBer-gewohnliche Menschen gestatten diirfen.
Dem Hofnarren sanktionierte das sein
Fiirst; dem Pfarrer Arlotto gewàhrte es dasVolk. Was dem witzigsten Manne derRòmer, Cicero, von Quinctilian vorgeworfenwurde, daB er nàmlich nicht nur im Privat-
leben, sondern auch in seinen beruflichenReden stets aufs làcherliche abzielte, dasrechneten die immer lachbegierigen Floren-tiner dem Pfarrer Arlotto als Vorzug an, und
1 Fables inédites des XII*, XIII* et XIV e siècles,
Paris, 1825, I, S. CCIV.
LIX
das wohl nur deshalb, weil Arlotto in hohemMafie das besafi, dessen Mangel den Witznach kurzer Zeit schal und òde erscheinenlàfit, die Gùte, ohne die es keinen echtenHumor gibt. In dieser heitern Herzensgùtedes schalkhaften Geistlichen liegt auch derHauptgrund, daB der òfter angestellte Ver-gleich mit Eulenspiegel durchaus nicht amPlatze ist; der unverhullten Freude desniederdeutschen Schelms, harmlosen Leutengrundlos Schaden zuzufùgen, ohne daB sie
sich ràchen kònnten, steht bei Arlotto trotz
ali dem Schabernack, den auch er nicht ver-
schmàht , eine menschliche Empfindunggegeniiber, und dieser Gegensatz uberwiegtweitaus das sonstige tertium comparationis.
Ein Heiliger freilich war der Pfarrernicht. Der Leser wird auf so manche Face-tie stoBen, die ihm Worte in den Mund legt,
wie sie einem Priester nicht geziemen, undwird ihn in Situationen finden, die alles
eher als wohlanstàndig sind. Das hat auchder Kompilator empfunden, der denn in sol-
chen Fàllen stets, um den Fehler zu ent-
schuldigen, dazusetzt, das erzàhlte habe sich
in Arlottos Jugendzeit ereignet. Es soli hier
nicht das beliebte Schlagwort herangezogenwerden, daB der Mensch immer aus seiner
Zeit oder womòglich aus seiner Zeit herausbeurteilt werden mìisse, sondern wir wollenruhig zugeben, daB dem Pfarrer nichts
LX
menschliches fremd war, und wollen die
Achseln zucken iiber die, die deshalb die
Nase rumpfen.
Der folgenden Ùbertragung von ArlottosFacetien ist bis Nr. 203 der Text des Manu-skriptes der Laurenziana, wie ihn Bacciniabgedruckt hat, zu Grunde gelegt worden;zur Vergleichung und Verbesserung sindaber auch die oberi genannten alteri Druckebenutzt worden, ohne daB dies, wichtigereÀnderungen ausgenommen, besonders ver-merkt worden wàre. Bei den restlichen
25 Stùcken werden die Quellen, woraus sie
geflossen sind, in den Anmerkungen ge-nannt, die auch bei den andern neben lite-
ratur- und stoffgeschichtlichen NachweisenAuskunft geben, wo sie auBer Baccinis Aus-gabe noch zu finden sind. Die vierzig Sei-
ten „Domande e risposte" und „Sentenzemorali", die Baccini auBer den Facetiennach Stradinos Handschrift bringt, sindweggelassen worden; sie fehlen nicht nur in
alien alten Drucken, sondern sind auch zumgròBten Teile Binsenwahrheiten, die keinInteresse bieten. Ein paar Beispiele mògengenugen:
„Einer sagte: ,Pfarrer, wann soli ich
essen?'
Der Pfarrer antwortete: ,Wann du Hun-ger hast, und sonst nicht/ " —
LXI
„Einer fragte den Pfarrer: ,Warum tragt
Ihr so cinen groBen Bart?'
Er antwortete: ,Damit ich mich, wennich ihn beriihre, erinnere, daB ich ein Mannbin/
M —„Es gibt keine gròBere Rache, als die
Beleidigung zu verzeihen." —„Die Zunge soli nicht dem Gedanken
vorauseilen."
Bemerkt sei noch, daB, was den Gelehr-ten bis jetzt entgangen ist, 65 Nummernder „Fragen und Antworten" nichts andressind als eine Ùbertragung der Spruche Se-cundus des Schweigsamen * ; andere sind
aus klassischen Autoren genommen.Nicht viel origineller sind sicherlich auch
die ,,Sententie et proverbi", die Guicciar-
dini dem Pfarrer Arlotto zuschreibt; da sie
aber schon einmal in deutscher Sprache als
des Pfarrers Sprichwòrter erschienen sind,
so werden sie auch in dieser Ausgabe, undzwar nach der deutschen Ùbersetzung derErquickstunden und der lateinischen desDemocritus ridens mitgeteilt: sie bilden die
erste Beilage des Anhangs. Die zweite
Beilage bringt eine Reihe von Versionen der
1 Diese Feststellung ermòglicht die Verbesse-rung von Lese- oder Druckfehlern, wie z. B. in
Nr. 88, wo die Antwort auf die Frage: „Che è il
fegato?" nicht „Guardia del cuore", sondern „Guar-dia del calore" lauten mufì.
LXII
5. Facetie: neben der Fassung des Manu-skriptes und den Varianten Domenichisfindet der Leser auch Proben der zwei fran-
zosischen Ùbersetzungen, und willkommenwerden auch die andern Behandlungen desStoffes sein, die an meist sehr schwer zu-gànglichen Stellen veròffentlicht sind.
Die unumgànglich notwendige Unter-suchung, wann die Domenichis Namentragenden Facetien des Padre Stradino ab-gefafìt worden sind, ist in die dritte Bei-lage des Anhangs verbannt worden, um dieEinleitung, die sowieso schon durch dasviele bibliographische Beiwerk schwerfàlliggenug geworden ist, einigermafien zu ent-lasten. Diese Abhandlung und die einzelnenlàngern Exkurse der Anmerkungen sind es
besonders, fur die ich um eine wohlwollendeKritik bitte.
Schliefilich obliegt mir noch die ange-nehme Pflicht, den Direktionen der R. Biblio-teca Mediceo-Laurenziana in Florenz, derBiblioteca Comunale von Siena, der Kgl.Bibliothek in Dresden und der k. k. Univer-sitàts-Bibliothek in Graz den herzlichstenDank fur ihre gùtige Unterstùtzung auszu-sprechen.
Tetschen a. E., im Sommer 1910.
Albert Wesselski.
LXIII
Die Schwànke
des Pfarrers Arlotto
Erster Band
Er Erzbischof von Florenz, Frate An-tonino \ cin Mann voli hòchster Gute
,
/.
Antoninoiìber die Fehlerseines Vaters
spricht.
D: tonino \ cin Mann voli hòchster Gute Wie j" Pfarrer
und Gelehrsamkeit, lieB eines Tages den mit dem ErzbischofPfarrer Arlotto holcn, um eine gewisseErkundigung einzuziehen; und nachdemsie ein Weilchen miteinander gesprochenhatten, fragte er ihn: „Sagt mir, Pfarrer,
wie heiBt Ihr denn mit Euerm wirklichenNamen, den Ihr nàmlich in der heiligen
Taufe empfangen habt?"Er antwortete: „Arlotto VDer Erzbischof verwunderte sich bafì
und sagte: „Bestunde in Florenz eine Ver-ordnung, daB die Vàter, wenn sie ihrenKindern Namen geben wollen, den und den
1 Frate Antonino (Pierozzi), geboren am 1. Mai1389, trat 1405 in den Dominikanerorden und wurde1446 Erzbischof von Florenz; am 2. Mai 1459 starber. 1523 wurde er von Hadrian VI. heilig ge-sprochen. Er stammte mùtterlicherseits aus demGeschlechte der Torciglioni , dem auch ArlottosGrofimutter angehort hatte. Wir werden ihm nochòfter begegnen; eine Anekdote, die ihn als Feinddes Spieles zeigt, steht auch in den von Papantiherausgegebenen Facezie e motti dei secoli XV e
XVI, Bologna, 1874, S. 74, Nr. 102 und ebenso beiDomenichi, Facetie e motti arguti, aber nur in derersten Ausgabe, Fiorenza, 1548, Bl. A5 a und nichtin den spàtern. Die Lebensbeschreibung des Erz-bischofs lindet man bei Vespasiano da Bisticci, Vitedi uomini illustri del secolo XV (Ausg. Bologna,1892, I, S. 171 ff.).
2 Arlotto heiBt Tòlpel , auch VielfraB undschmutziger Mensch.
L<
Gcldbetrag zahlcn nuifiten, und zwar fùr
die schònern Namen groBere Summen, so
gàbe es sicherlich keinen noch so armenMann, der nicht seinen Mantel verpfàn-dete, um seinem Sohne den allerschònstenkaufen zu konnen; und Euer Vater, seht
Ihr, der ein wackerer und gescheiter Mannwar und den es nichts kostete, hat Eucheinen so absonderlichen gegeben. MeinerMeinung nach hat er damit einen schwerenFehler begangen."
Der Pfarrer Arlotto antwortete: „Gnà-diger Herr, verwundert Euch nicht; er hatnoch viel schwerere begangen."
Und der Erzbischof sagte: „Wieso dennnoch schwerere?"
Der Pfarrer antwortete: „Anstatt aufWucherzinsen zu leihen, hat er Schuldengemacht,"
Der Erzbischof sagte: „Wi6t Ihr nicht,
da6 ihn der Wucher in die Holle gebrachthàtte?"
Der Pfarrer sagte: „Und das Schulden-machen hat ihn in die Stinche 1 gebrachtund dort ist er auch gestorben."
1 Die Stinche waren eine einst der Familie derCavalcanti gehòrige Burg , die ihnen das floren-
tinische Volk 1304 genommen hatte; die bei dieser
Gelegenheit gemachten Gefangenen waren die
ersten, die in die von nun als Gefàngnis verwandteBurg gesperrt wurden (Machiavelli, Le istorie
fiorentine, Firenze, 1843, S. 80).
IM Einverstàndnisse mit denen von Flo-
renz hatte der Heilige Vater be-
schlossen, der gesamten florentinischen
Geistlichkeit einen Zehnten aufzuerlegen;
und mit diesem Geschàfte war MesserAlessandro, Bischof von Forli, beauftragt
worden.Als min Messer Falcone von diesem
Auftrage erfuhr und wem er erteilt wordenwar, ging er den besagten Bischof besuchenund sagte nach der Begriifiung zu ihm:
„Ew. Herrlichkeit geht nach Florenz, umden Zehnten aufzuerlegen. In dieser Stadt
habe ich niemand als einen guten Freund,einen ausbiindig wackern Mann, und ich
bitte Euch, lafit ihn Euch empfohlen sein
und wollet ihn so behandeln wie michselber, der ich Ew. Herrlichkeit von Herzenliebe; und das ist der Pfarrer Arlotto/'
Als der Bischof in Florenz eingetroffen
war, kamen ihn viele Geistliche besuchen,
und eines Morgens kamen drei Canoniciund vier vornehme Biirger und er lud sie
zum Mittagessen ein; dann kam auch unserPfarrer Arlotto zu ihm auf Besuch, sowohlaus Ehrerbietung, als auch um seine An-gelegenheiten zu betreiben, wie es die an-
dern Geistlichen taten. Da ihn der Bischof
nicht kannte, fragte er ihn: „Wer seid Ihr
und wie heifit Ihr?"
Und er antwortete: „Ich heifie Arlotto
//.
Wie der Bischofvon Forli in
der Stadt Florenzeinen Zehnten
eingehoben hat undwie der PfarrerArlotto diesemBischof vom
Messer Falconeempfohlen worden
ist.
und bin der Pfarrer von S, Cresci in Ma-ciuolL"
|
Der Bischof sagte: „Ich kannte Euchnicht und wuBte nicht, wer Ihr seiet; bleibet
nun hier, weil ich wùnsche, daB Ihr diesenedeln Herren Gesellschaft leistet und mitihnen bei mir eBt."
Arlotto nahm an und der Bischof wargar freundlich mit ihm, und als dann ein
kostliches Mahl angerichtet war, liefi ihn
der Bischof auf dem Ehrenplatze und anseiner Seite niedersitzen; und gegen Endedes Mahles sagte er folgende Worte:
„EhrwurdigeVàter und wohledle Herren,ich weiB, daB Ihr hochlich erstaunt waret,
daB ich unsern Pfarrer auf dem ersten
Platze an diesem Tische habe sitzen lassen.
Aber als ich von Rom aufgebrochen bin, umin diese Stadt zu reisen, ist mir der Pfarrer
Arlotto von einem Edelmanne empfohlenworden, der mir auch hàtte befehlen
konneri, und ich habe mein Wort gegebenund versprochen, den Pfarrer nicht anders
zu behandeln als ihn selber; und wàredieser Mann beim Mahle gewesen, so hàtte
ich ihn an keinen andern Platz gesetzt/'
Der Pfarrer antwortete: „Ich dankeEw. Herrlichkeit fiir alles, was Ihr bis jetzt
getan habt, aber ich bitte Euch, laBt es mirnicht so ergehn wie Christo am Palmsonn-tage in Judàa und Jerusalem, [wo ihm die
Juden Palmzweiglein vor die FiiBe gestreut
haben, um ihn dann zu kreuzigen."
So gab er zu verstehn, da6 er be~
fiirchte, er werde nach einer so reich-
lichen Bewirtung mit einer hòhern Steuer
belegt werden] \
ALs die venezianischen Galeeren in denHafen von Sluis eingelaufen waren,
stieBen die florentinischen zu ihnen undnun reisten Florentiner und Venezianerallesamt nach Briigge, um dort ihre Warenzu verkaufen; bei dem langen Aufenthalte,
den sie in dieser Stadt nahmen, wurdensie miteinander gut bekannt und befreun-
det, und als sich eines Tages die beidenRapitane ùber verschiedene Dinge unter-
hielten, sagt der Venezianer zum Floren-
tiner:
„Ich habe gehort, daB bei Euch in Flo-
renz ein Gebrauch besteht, der wirklich
garstig und hochst tadelswert ist, daB Ihr
nàmlich gerade die unwissenden, lieder-
lichen und schàndlichen Geistlichen als
Seelsorger auf Euern Galeeren mitnehmt,wenn Ihr in See geht, und dann hore ich
auch, daB man bei Euch einem Geistlichen,
den man beschimpfen will, nichts àrgers
III.
Wie der Pfarrer in
Flandern eine
in drei Abschnittegeteilte Predigtgehalten hai.
1 Das Eingeklammerte ist aus Domenichi (1548,
Bl. D 5a) ergànzt.
sagen kann, als ,Galeerenpfaff; wenn das,
wie mir versichert worden ist, wahr ist, soist es eine grofie Schande ftir Euere Stadt.
Wir in Venedig tun das Gegenteil: wirwollen auf unsern Galeeren keine andernGeistlichen, als verstàndige und wohlbe-rufene und gelehrte Mànner, die in derHeiligen Schrift bewandert sind; und umzu beweisen, dafi das wahr ist, so habe ich
auf meiner Kapitànsgaleere als Geistlichen
einen wackern Gottesgelehrten, der allent-
halben in Italien gepredigt hat und liberali
hoch geehrt worden ist."
Der florentinische Kapitàn antwortete:
„Mein hochedler Kapitàn, ich glaube nicht,
daB Euch so etwas erzàhlt worden ist, undist Euch doch ein àhnliches Màrchen er-
zàhlt worden, so ist der, der es Euch er-
zàhlt hat, sehr in Irrtum gewesen odernicht bei der Wahrheit geblieben oder Ihr
habt ihn schlecht verstanden; unsere Galee-ren sind so gut in Ordnung wie die Euerigenund sind mit guten und gesitteten Mànnernund gelehrten und tiichtigen Geistlichen so
wohl versehn wie die Euerigen oder nochbesser. Ich habe zwar auf meiner Galeerekeinen Gottesgelehrten, wie Ihr einen habt,
aber ich habe einen tiichtigen, wackern undgeachteten Pfarrer, der vielleicht nicht
weniger weifi und in der Heiligen Schrift
nicht weniger bewandert ist, als Euerer in
8
der Gottesgelehrtheit, und wenn Ihr einenVergleich anstellen wollt, so steht es in
Euerm Belieben."
Der venezianische Kapitàn antwortetc:„Ich bin es zufrieden, und wenn es Euchrecht ist, so gebe ich Euch morgen ein
Essen und Ihr bringt Euere Begleiter mitund lafit meinen Geistlichen predigen, undùbermorgen laBt Ihr dann den Euerigen pre-
digen, Tràgt der meinige den Sieg davon,so bezahlt Ihr, was ich Euch billig an-rechnen werde; und ist Euer PfarrerSieger, so werde ich unweigerlich bezahlen,was er selber und Ew, Gnaden bestimmenwerdet."
Und am nàchsten Morgen bereitete er
ein pràchtiges Mahl vor, und dazu kamender florentinische Kapitàn mit den Schiffs-
herren und einige Offiziere und einige
Kaufleute von Briigge und der Pfarrer
Arlotto; und als sie bei Tische saBen unddas Mahl etwa bis zur Mitte gediehen war,begann der Gottesgelehrte zu predigen undhielt mit viel Salbung eine wohlgesetzte,
gebuhrliche Predigt und befriedigte alle
Zuhorer trefflich.
Am nàchsten Morgen kam der venezia-
nische Kapitàn mit den Schiffsherren, sei-
nen Offizieren und etlichen Kaufleuten, umbei dem florentinischen Kapitàn zu essen,
der ein pràchtiges Mahl vorbereitet hatte
mit einem ÙbermaB von mancherlei kost-lichen Gerichten; und erst als das Wasserfùr die Hànde herumgegeben wurde, sagteder florentinische Kapitàn dem Pfarrer Ar-lotto, daB er an diesem Morgen bei Tischepredigen mùsse, und erzàhlte ihm die ganzeGeschichte, um was fùr eine Wette es sich
handle und was fur Abreden und Bedin-gungen sie getroffen hàtten.
Der Pfarrer verwunderte sich baB, weiler davon noch nichts gehòrt natte, und ant-
wortete: „Wie wollt Ihr denn, daB ich dastun soli? Ihr seht doch, was es mir fùr eine
Ehre bringen kann, mich mit einem so
wackern Manne zu messen, mit einem Got-tesgelehrten, der bei Studien und Predigtenergraut ist und noch dazu eine MengeBùcher bei sich hat, und glaubt mir, an der
Predigt, die er gestern gehalten hat, hat er
mehr als zwei Tage studiert; Ihr wifit ja,
daB ich nichts gelernt habe, und daB ich
nie Bùcher gesehn habe, und daB ich kaumin meinem Missale lesen kann 1
, und da laBt
1 Manni bemerkt (Le veglie piacevoli, Firenze,
1815, III, S. 90), daB das der Pfarrer deshalb sage,
weil die MeBbticher zu dieser Zeit, wo die Buch-druckerkunst noch nicht erfunden war, von verschie-
denen Handen geschrieben und daher oft unleserlich
gewesen seien, und belegt das durch ein Beispiel
vom Jahre 1451. Nach Baccini ist das Sprichwort
Essere come il Piovano Arlotto che non sapeva
10
Ihr mir keine Zeit, auch nur ein Wòrtleinzu bedenken, tmd bis jetzt habe ich nichts
davon gewufit."
Und er war ein Weilchen ganz ver-
dutzt.
Als der Kapitàn sah, daB er so betretenwar, sagte er: „Pfarrer, Ihr habt mich ver-
standen: wenn Ihr heute Schande einlegt,
so werdet Ihr meine ganze Gunst verlieren
und unsere Galeeren werden wenig Ehreeinlegen."
Augenblicklich faBte sich der Pfarrerund antwortete: „Kapitàn, ich habe nie ein
Panzerhemd angezogen, ohne daB ich es
gebraucht hàtte, und bin noch immer mitEhren heimgekommen."
Und als sich alle gesetzt hatten und dasMahl im Gange war, erhob sich Arlotto undsprach nach einem gebùhrlichen Eingangemit freiem und frohem Mute also:
„Meine Herren Rapitane, gnàdigeSchiffsherren, wohledle Btirger und Kauf-leute und Ihr, meine sonstigen Briider undSohne, ganz unziemlicher Weise bin ich zudiesem hohenAmte gelangt, aber nicht viel-
leicht aus Ùberhebung, sondern aus Gehor-sam, und nun werde ich zu Ew. Herrlich-
leggere altro che nel suo messale auf diese Stelle
zurùckzufuhren. Von Arlottos Zeitgenossen , demPfarrer Peter Leu, wird iibrigens dasselbe berichtet(v. d. Hagen, Narrenbuch, Halle, 1811, S. 411 ff.),
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keften imd Gnaden eine Weile sprechen;und diese meine Predigt will ich in drei Ab-schnitte teilen, die, um Euch nicht zu lang-weilen, die folgenden sein werden, wie Ihrsie derni spàter hòren sollt: den erstenwerde ich verstehn und Ihr nicht, obwohler der klarste ist, den zweiten werdet Ihrverstehn und ich nicht, und den dritten
und letzten werdet weder Ihr verstehn,noch ich.
Was den ersten betrifft, den ich versteheund Ihr nicht, so weiB ich, daB Ihr sehr er-
staunt sein werdet: oft und oft habe ich
diesen meinen Zuhòrern auf den Galeerengepredigt, was die Nàchstenliebe ist undwie lieblich dem Allmàchtigen die heilige
Barmherzigkeit ist und welch groBe Ver-dienste sich der erwirbt, der sie ubt; unddamit sie nicht etwa die Ausrede hàtten,
daB sie sagen kònnten: ,Hier, wo wir sind,
gibts keine Armen und wir konnen kein Al-mosen spenden', habe ich oft und oft auf
meine schlimme Lage hingewiesen, und wienotig ich einen Mantel hàtte. Sie habenmich ganz gut gehort, aber bis jetzt haben sie
mich nicht verstehn wollen; und aus diesemGrunde fordere ich Euch heute von neuemzu diesem guten Werke auf. Betrachtet undseht, daB ich nur diesen einzigen, elenden
Mantel habe, seht, daB er ganz zerrissen
und abgenutzt ist und mir nicht mehr auf
12
i
dem Leibe hàlt, und darum, Geliebte imHerrn, erhebt Euere Herzen und bedenkt,wie kòstlich, wie glorreich und wie ver-
dienstvoll die heilige Barmherzigkeit ist.
Jener glorreiche Furst der Bekenner, dergebenedeite heilige Martin, hat mit einemhalben Mantel, den er um der Liebe Gotteswillen verschenkt hat, das Himmelreich ge-
wonnen; nun iiberlasse ichs Euch zu be-
denken und zu betrachten, was Euer Ge-winn sein wird, wenn Ihr mir einen ganzengebt, und wie lieblich das dem Herrn JesuChristo sein wird. Allstundlich kònnt Ihr
es hòren, wie viel heilige Kirchenvàter vonden Predigern angefuhrt werden, um zuzeigen, was fùr eine herrliche Sache die
Liebe ist und wie verdienstvoll, und unter
anderm sagen sie, daB jener vom Heiligen
Geiste entzùndete Mann, jene Trompete derKirche Gottes, jener Lehrer und Meister
der Menschheit, der heilige Apostel Paulus,
den Vòlkern nichts andres zuruft als Liebe
und daB er bewàhrt und sagt, wenn in
einem Menschen alle Tugenden wàren undwenn er mit Engelzungen redete, und er
hàtte der Liebe nicht, so wàren alle seine
guten Werke eitel; und darum, meine Ge-liebten, erinnere ich Euch als Euer geistiger
Vater, daB Ihr denken moget an das Leiden
unsers Herrn Jesus Christus, der aus Liebe
zu uns den Tod auf sich genommen hat.
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Ich bin ùberzeugt, daB Ihr diesen Ab-schnitt, auch wenn ich bis morgen pre-digte, nicht verstiindet; ich fùr meinen Teilverstehe ihn, daB ich nàmlich einenMantcl notig hàtte. Und darum will ich
SchluB macheti und einstweilen nicht mehrdavon sprechcn.
In den zweiten Abschnitt bin ich manch-mal eingcgangen, habe ihn aber alsbaldwieder verlassen, weil Ihr ihn versteht undich nicht: und er betrifft die Wechsel, die
Ihr auf Rom, Neapel, Lyon, Briigge undandere Orte auss^ellt; und Ihr stellt sie aufdrei und vier Monate aus, so daB der Rùck-wechsel von den Messen zwolf und vier-
zehn vom Hundert betràgt, und nichtsdesto-weniger kommt das Geld gar nicht herausaus Venedig, Genua, Rom, Neapel, Florenzoder wo sie sonst ausgestellt werden, wes-wegen ich denn glaube und bewàhre, daBdahinter Betrug steckt, ausdrùcklicherWucher und Diebstahl. Wenn ich hingegenin England, in Frankreich oder in Spanienoder in einem andern fernen Lande binund nach Italien oder anderswohin reisen
will, und ich lasse dort tausend Dukatenoder sonst eine Summe Geldes, damit mansie mir nach Rom schicke, und ich gebe frei-
willig vier oder fiinf vom Hundert, je nachder Entfernung des Ortes, so sehe ich darin
keine Siinde, sondern erlaubten Gewinn,
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weil ich ja, wenn ich das Geld bei mirtriige, eine Gefahr fiir Leben und Geld mitmir triige.
Das ist der zweite Abschnitt, den Ihr
versteht und ich nicht, nàmlich, was Eueretrockenen und frischen Wechsel sind, undden will ich nun lassen und mich zu demdritten und letzten Abschnitte wenden,den weder Ihr verstehn werdet, noch ich,
nàmlich zur heiligen Dreieinigkeit, derenFest die heilige Mutter Kirche an diesem hei-
ligen Tage mit groBer Feierlichkeit begeht,und muBte nicht heute die ganze Christenheit
Freudenfeste feiern, so wàre ich gar nicht
eingegangen in diesen schwierigen undtiefgrùndigen Gegenstand und ehrwurdigenGlaubenssatz; als katholische und glàubigeChristen miissen wir ihn glauben und fiir
reine Wahrheit halten, und die, die ihnnicht fest und einfàltigen Herzens glauben,werden ohne Zweifel in der Ewigkeit ver-
dammt sein, obwohl er sich durch Grùnde,die Euch und mir faBbar wàren, nicht be-weisen làBt, sondern nur durch den ein-
fàltigen Glauben an seine Wahrheit. Ùberdiesen Gegenstand haben in so vielen
Jahrhunderten so viele Kirchenlehrer so
oft gestritten, und nichtsdestoweniger ist
er noch immer nicht derart entschiedenund aufgeklàrt worden, daB wir ihn, so-
wohl Ihr, als auch ich, die wir unwissend
15
sind, mit Grùnden erfasscn konnten; weilwir jedoch allstùndlich so viele unendlicheWunder sehn, mussen wir ihn glaubenmit einem einfàltigen Glauben, der unsbaldigst ins ewige Leben fùhrt, wo wir die
unermeBlichen und unendlichen Wonnenin Freuden genieBen werden. Pax et bene-dictio" etc.
Die Predigt war zu Ende und der vene-zianische Kapitàn und alle andern edelnHerren gaben das Urteil ab, unser Pfarrer
Arlotto habe besser gepredigt als ihr Gottes-
gelehrter, und der gestand selber, dafi er
vom Pfarrer Arlotto iiberwunden wordensei, und lobte ihn hochlich; und als er er-
fuhr, wer er war und wie er aus natiirlicher
Anlage, und nicht weil ihm diese Fàhigkeit
sonst wie gekommen wàre, gesprochenhatte, verwunderte er sich baB ùber seinen
absonderlichen Geist und empfahl ihn demvenezianischen Kapitàn mit gar herzlichen
Worten. Und der gab ihm nach vielemDanke und Lobe dreifiig Ellen MechelnerTuch und dreiBig Goldscudi und machteihm in eigenem und seiner Freunde Namenviele Anerbietungen und dankte auch demflorentinischen Kapitàn sowohl fùr dasausgezeichnete Essen, als auch fur das Ver-gniigen, das ihm der Pfarrer Arlotto ge-
macht hatte.
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AUf derselben Fahrt legten die floren-
tinischen Galeeren auch in Londonan, der edeln und reichen Stadt auf der
Insel England; dort blieben die Reisendeneinige Monate, um Wolle zu kaufen unddie Galeeren zu lòschen.
Durch den langen Aufenthalt wurde der
Pfarrer in der ganzen Stadt bekannt undschloB auBer mit den Italiànern, auch miteinigen Englàndern und einigen Priestern
eine enge Freundschaft, so daB er viele Ge-wohnheiten von ihnen kennen lernte und ihr
Verhalten in vielen Fàllen verschieden sahvon dem der Italiàner, was ihm teils gefiel,
teils miBfiel; und am meisten miBfiel ihm,daB sie, wann sie zu Tische gehn, drei Stun-den oder mehr mit dem Essen zubringen.
Es gibt keinen Englànder, und sei er derkleinste Esser, der nicht fùr drei Italiàner
àBe, und sie essen und trinken so viel, daBes auf der Insel wenig gesunde Leute gibt;
und neben andern Krankheiten tritt bei vie-
len die auf, daB sich ihnen, wann sie sich demvierzigsten Jahre nàhern, die Augen ròtenund rote Rànder bekommen, und das soli
nach ihrer Angabe von der dunnen Luft undnicht von ihrem unmàBigen Essen undTrinken herkommen.
Und sie sind der Meinung, daB ihnengegen diese Rote der Augen eine gewissefromme Ùbung helfe, und die ist so:
IV.Was fiir ein
lustiges Wort derPfarrer in Londoneinigen Englàndern,
die dem FraBeund der Volterei
fròhnten,gesagt hai, ah er
ihnen bei der Messedie triefendenAugen badete.
Arlotto, Schwànke I. 17
Wann der Priester mit der Messe ganzfertig ist, kommt alles Volk und kniet amAltare zu seinen FiiBen nieder, und bevorer weggeht, gieBt er ein wenig Wasser in
den Kelch und bestreicht damit unter Ge-beten einem jeden beide Augen; und sie
glauben, daB ihnen dieses Wasser die
Krankheit wegnehme, und bedenken nicht,
daB daran nur ihre Zugellosigkeit im Essenund Trinken schuld ist.
Eines Morgens wurde nun der Pfarrereingeladen, in einer Kathedrale Messe zulesen, deren Archidiakon, ein wackererMann, Talbot mit Namen, mit ihm herzlich
befreundet war; und er nahm die Einla-
dung gern an.
Als er nun am Altare stand und die
Messe begonnen hatte, war unter den vielen
Leuten, die gekommen waren, ein Messire
Eduard Ander, ein Ritter und Baron des
Kònigs, der seit langem am Hofe lebte; er
war vor kurzer Zeit in Rom gewesen, umdem Papste im Namen seines Konigs zu
huldigen, und verstand etwas italiànisch,
aber der Pfarrer wuBte nichts davon, daBer italiànisch sprach.
Nach dem Ende der Messe tat der
Pfarrer nach der englischen Weise; und als
er das Wasser in den Kelch gegossen hatte,
kamen alle, die die Messe gehort hatten,
und knieten hin und er benetzte zwei Finger
18
mit dem Wasser des Kelches und bestrich
ihnen die Augen, sagte aber statt der Ge-bete auf italiànisch: „Trinkt weniger, daBeuch der Teufel hole!"
Diese hubsche Rede hòrte der besagte
Messire Eduard und konnte sich nicht ent-
halten zu lachen.
Und er ging auf der Stelle weg und anden Hof und erzàhlte es dem Kònige. Derschickte um den Pfarrer und wollte horen,
warum er das gesagt habe. Und als er die
Geschichte von der Augensalbung und die
Worte, die der Pfarrer Arlotto dabei statt
der Gebete gesprochen hatte, und anderelustige Sachen mehr gehort hatte, schenkteer ihm feines Tuch fur zwei Kleider undfunfzig Nobel und machte ihm viele Aner-bietungen; auch tat er ihm viel zu Liebe,
solange er in London war, und erwies ausRùcksicht fur ihn alien florentinischen
Kaufleuten, die im Lande waren, viele Auf-merksamkeiten.
ALs unsere florentinischen Galeeren ein-
mal von Sizilien kamen, legten sie in
Neapel an, wo damals der unuberwindliche,freigebige und hochherzige Konig Alfonsoherrschte; dieser erfuhr, daB auf den Galee-ren auch der besagte Pfarrer Arlotto war,von dem er unter andern lustigen Dingen
2* 19
V.Wie der Pfarrer
in Neapeldem Kònige Alfonsodas Bach gezeigt
fiat, worein er alle
nàrrischen Streicheseiner Zeitgenossen
verzeichnete.
auch vernommen hatte, er habe ein Buchbei sich, worein er alle eintrage, die, weiles ihnen an Hirn mangelt, einen Fehler be-gehn, und er nehme auf niemand Rùck-sicht und schere sich nicht um Rang undFreundschaft. Er HeB ihn alsbald holenund empfing ihn liebenswurdig; und nach-dem er sich eine Weile mit ihm unterhaltenhatte, fragte er ihn, ob es wahr sei, dafi er
ein Fehlerbuch fuhre.
Der Pfarrer antwortete: „Ja, heilige
Majestàt."Der Konig sagte: „Habt Ihr etwa in die-
sen paar Tagen schon einige von unsernNeapolitanern eingetragen?"
Der Pfarrer antwortete: „Wer etwasaufschreibt, merkt es sich nicht."
Und nachdem er sein Buch hatte vonder Galeere kommen lassen, òffnete er es
und antwortete: „Herr, ich finde einige in
diesem Buche, unter andern auch Ew.Majestàt, und von der besagt der Posten:
,Die Majestàt des glorreichen und unùber-
windlichen Kònigs Alfonso ist mit einemschweren Fehler zu belasten', und weiter
heifit es: ,weil er den Deutschen Teodorigo
nach Deutschland Pferde kaufen geschickt
und ihm funftausendfunfhundertfunfund-
funfzig Alfonsini anvertraut hat.''
Verwundert sagte der Konig: „Scheint
Euch denn das ein so schwerer Fehler, mein
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guter Pfarrer? Ich habe ihn vom kleinen
Buben auferzogen und er ist ctwa achtzehnJahre an diesem Hofe und in meinenDiensten gewesen und war stets treu;
wahrlich, ich meine, Ihr habt da nicht sehr
richtig geurteilt und habt mich ungerechter-
weise in Euer Buch als schuldig einge-
tragen."
Der Pfarrer antwortete: „Durchlauch-tigster Furst, ich habe Euch recht getan,
und ich glaube nicht, daB sich in dem gan-zen Buche ein gròBerer Fehler findet, undsonderlich nicht, wenn man in Betrachtzieht, wer ihn begangen hat. Kann es einen
gròBern und schwerern geben, als einemdeutschen Barbaren, der ein ganz armerTeufel ist und weder sonst wo, noch hier in
Neapel ein bewegliches oder unbeweglichesEigentum zu verlieren hat, so viel Geld an-
zuvertrauen und ihn noch obendrein in
seineHeimat nachDeutschland zu schicken?Sehn wir denn nicht alitaglieli, daB derVater den Sohn, der Sohn den Vater undder Bruder den Bruder eines Pappenstiels
halber betrugt? Ist es denn nicht schonmehr als einmal vorgekommen, daB ein Ein-
siedler, der lange Zeit in der Einsamkeit bei
harter BuBe einen heiligen Lebenswandelgefuhrt hat, auf Anstiftung des Teufels undaus Habgier und Bosheit einen ermordet hat,
um Schàtze und Geld zu gewinnen und
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dann bis zu seinem Todc ein elendiges Lebenzu fùhren?
Der Mensch ist das falscheste Geschòpf,das es gibt, und ihn zu durchschauen, ist
unmoglich."Bei diesen Grunden, womit der Pfarrer
den Posteti gerechtfertigt hatte, wuBte derder Kònig nichts mehr zu sagen, sagte auchnichts sonst, als daB er, nachdem er sich
einigermaBen gefaBt hatte, den Pfarrer
fragte: „Sagt mir: wenn aber Teodorigo mit
den Pferden oder mit dem Gelde zuriick-
kommt, was werdet Ihr dann sagen?"Ohne sich zu besinnen, antwortete der
Pfarrer auf der Stelle und sagte: „Dannwerde ich Ew. Majestàt streichen und ihn
als eines gròBern Fehlers und einer gròBernNarrheit schuldig eintragen."
Den Kònig dàuchte es, der Pfarrer sei
ein trefflicher und kurzweiliger Mann, under erachtete ihn auch fùr einen geistreichen
Mann, dessen Handlungen seinem Rufe ent-
spràchen. Und solange der Pfarrer in Neapelblieb, erwies er ihm viele Aufmerksamkeiten,und bei seiner Abreise machte er ihm als
freigebiger und hochherziger Kònig viele
Anerbietungen fùr ihn und seine Freundeund sagte ihm, wenn er bei ihm in Neapelbleiben wolle, so werde er ihn so gut
stellen, daB seine Zuwendungen mehr als
fùnfhundert Dukaten ausmachen wiirden,
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so daB er wie ein groBer Pràlat werdc leben
kònnen; als er aber nach vielen Bitten sah,
daB er nicht bleiben wollte, gab er ihm fùnf-
zig Alfonsini und ein herrliches Kleid aus
herrlichem Tuch, und ihm zuliebe wurdealien, die auf den Galeeren waren, viel Hof-
lichkeit bezeigt.
Ein englischer Edelmann, der nach Flo-
renz gekommen war, um diese beruhmteStadt zu sehn, besuchte den Pfarrer, mit demer gar gut befreundet war; und nachdem sie
sich herzlich begrùBt hatten , sagte er zuihm: „F(ihrt mich in die Nunziatakirche."
Kaum hatten sie die Kirche betreten, so
stellte sich ihnen, noch bevor es ihnen mog-lich gewesen wàre, Weihwasser zu nehmenoder niederzuknien, ein dummer, schmieri-
ger und zudringlicher Monch in den Wegund sagte: „Messer, wollt Ihr Wachskerzenkaufen oder wollt Ihr ein Gelubde er-
fùllen?"
Der Englànder antwortete: „La6t michzuerst die Madonna griiBen, hochwurdigerHerr."
Und er ziindete eine Kerze an und ver-
richtete seineGebete undAndachtsùbungen;und als er die Messe gehort und sich er-
hoben hatte, da stand auch schon der Monchwieder da und fing wieder an: „Wollt Ihr
Euer Gelubde erfùllen?"
VI.
Wie es sich ein
frecher Mònchs-wanst von der
Nunziatakirche in
Florenzhat gei alien lassen
miissen, vomPfarrer Arlotto
gefoppt zu werden.
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Der Englànder, dessen Dolmetsch derPfarrer war, weil er nichts italiànisch ver-
stand, antwortete: „Ich habe gelobt, dieser
Madonna ein Wachsbild im Werte von vier
englischen Nobeln aufzustellen."
Der Monch zwinkerte ein wenig mit demAuge und sagte: „Kauft es hier bei uns."
Es dàuchte ihn nàmlich sehr vergnuglich,
dieses Geld einstreichen zu konnen.Der Englànder aber war ebenso wie der
Pfarrer baB erstaunt, da8 die Monche aneinem heiligen und so ehrwùrdigen Orteeinen solchen Handel und solche Schwinde-leien trieben.
Und der Monch nahm ein langes Rohr,gab es dem Englànder und sagte: „Seht,
welches Bild Ihr wollt, und das Bild, dasEuch am besten gefàllt, das beriihrt mitdiesem Rohre, und das geniigt; wenn Ihr es
beriihrt habt, so ist Euer Gelùbde auchschon erfùllt, weil wir die Vollmacht haben,so zu tun, und fùr Euch ist es ebenso gut,
als hàttet ihr vom WachsgieBer ein neuesmachen lassen."
Nachdem der Englànder die Bilder be-
trachtet hatte, sagte er: „Dieses will ich."
Und er berùhrte ein gar schònes Bild, das denHerzog von Burgund darstellen solite undmindestens vierzig Dukaten gekostet hatte.
Dem Englànder schien dieser Schwindelarg verwerflich und absonderlich und gar-
24
stig; und dem Pfarrer schien es cine groBe
Schlechtigkeit, was dieser Mònch trieb, undda er daruber sehr unwillig war, nahm er
sich vor, den Mònch mit ciner Miinzc zubezahlen, die der Ware gemàfi sein solite:
er sagte dem Englànder, was er zu tun
haben werde, und der sagte, nachdem er
seinen Beutel gezogen hatte , zu demMonche: „Da drinnen sind vier Nobel; be-
riihrt ihn."
Und als der Mònch den Beutel beruhrt
hatte, sagte der Englànder: „Diese Zahlungmufl Euch geniigen."
Und sie gingen weg, und auf den Ratdes Pfarrers gab der Englànder die vier
Nobel um Gottes willen einem armen Manne,der eine Tochter zu verheiraten hatte, unddas war ein bessers Werk, als sie denMònchen zu geben.
SEr Ventura hatte den Pfarrer Arlotto
eingeladen, am Morgen des gebenedei-ten heiligen Laurentius in seine Kirche zukommen; diesen Tag beging er nàmlichjahraus, jahrein besonders feierlich, weil
der hi. Laurentius der Patron der Kirchewar, die auch Lorenzokirche hieB.
Ser Ventura war ein wackerer, einfàl-
tiger und harmloser Mann.An dem Tage der Feier kam der Pfar-
rer Arlotto in die besagte Lorenzokirche
25
VII.
Wie Ser Ventura,der Prior
von S. Lorenzoin Basciano,
auf Anstiften desPfarrers beimMesselesengepfiffen hai.
und fand Ser Ventura schon am Altare be-reit; und nachdem sie sich begrùfit hatten,sagte Ser Ventura: „Mein guter Pfarrer,Ihr seid wie gerufen gekommen; es hat mirder Mefihelfer ministrieren wollen, aber dajetzt Ihr da seid, so sollt Ihr es tun, undihn werde ich wegschicken: er soli im Hausenach dem rechten sehn und sich sonderlichin der Kiiche kummern, da6 die Speisenordentlich gekocht und richtig gar auf denTisch kommen, damit Ihr und die andernGeistlichen, die heute zum Feste kommen,zufrieden seid."
Der Pfarrer antwortete: „Gestern habeich gefastet und Ihr wifit dodi: wer abendshungrig schlafen geht, findet keine Ruh imBett."
Und SerVentura sagte: „Nun, heute sollt
Ihr schlemmen wie ein Mauleseltreiber."Ser Ventura begann die Messe, und als
das Gloria zu Ende war, rief er den Pfarrerund fragte ihn, warum er beim Gloria nicht,
wie gebràuchlich, gelàutet habe; und derPfarrer antwortete: „Der Schwengel ist ge-
brochen."
Da sagte Ser Ventura: „Was soli ich
tun? hàngt einen andern an."
Aber der Pfarrer antwortete: „Ich habesonst keinen als den meinigen, den mirmeine Mutter gemacht hat, und den gàbeich nicht um Euere ganze Kirche her."
26
Weil nun Ser Ventura der Meinung war,
er diirfe die Messe nicht beenden und das
Sakrament nicht erheben, ohne daB das
Glòckchen gelàutet wurde, besprach er sich
voli Unwillen mit dem Pfarrer, was er datun solle, und sagte: „Pfarrer, so stili
und klanglos lese ich die Messe nicht
weiter."
Und der Pfarrer, der seiner Einfalt auf
den Grund kommen wollte, sagte: „Auchmir ist es gar nicht lieb, daB sie so klanglos
bleiben soli; weil es aber kein andres Aus-kunftsmittel gibt, so pfeift, so gut Ihr nurkònnt, und fahrt in der Messe fort."
Als dann Ser Ventura das Sakramenterhob, pfiff er so stark, daB es war, als
hàtte eine ganze Viehherde bei einer Pfiitze
trinken sollen; und damit machte er denPfarrer und alle Horer so lachen, daB sie,
wann sie sich daran erinnern, noch heutelachen.
AN demselben Tage des hi. Laurentius __ YJM'ùbertrug Ser Ventura die Predigt Jt^^SaT
ehrenhalber dem Pfarrer Arlotto, und der um jie Lobpreisungwurde von den Geistlichen, die zu dem des hi. Laurentius
Feste gekommen waren, und von etlichen in **n Paar Worten
jungen Florentinern gebeten, so kurz wie aozutun.
mòglich zu sprechen; denn die Stunde warspàt und es drohte sehr heifi zu werden,und ihre Landguter und Behausungen
27
J
\
waren ziemlich entfernt. Er antwortete, er
wolle ihrem Wunsche nachkommen.Und als das Sakrament erhoben war,
stieg er auf die Kanzel und begann zupredigen; und nach dem Eingange sagte er
in kurzen Worten folgendes:
„Wohledle Biirger und kluge Bauern!Ser Ventura, dieser ehrwiirdige Priester,
hat mir die heutige Predigt ùbertragen, undum ihm zu gehorchen bin ich ungebùhr-licherweise auf diese mir nicht gebuhrliche
Kanzel gestiegen und will nun in Demuteinige Worte zu euch sprechen. Im ver-
gangenen Jahre habe ich von eben dieser
Stelle gepredigt und habe euch das ganzeLeben des glorreichen Màrtyrers S.Lorenzoerzàhlt und seine Leiden und seinen Todsamt den Wundern, die er im Leben undim Tode und nachher getan hat; und vondem Tage an, wo ich in dieser Kirche ge-
predigt habe, bis heute, was gerade ein Jahrausmacht, hat er nichts neues getan, wovonich wuBte. Und weil die Stunde spàt ist,
will ich damit schlieBen: fiir die, die auchim vorigen Jahre hier waren, ist es nicht
notig, seine Geschichte zu wiederholen,
weil sie sie ganz gut im Gedàchtnis behal-
ten haben; und ist jemand da, der damalsnicht hier war, so soli er sie sich von denen,
die hier waren, wiedersagen lassen. Paxet benedictio, amen."
28
E Ines Abends kamen zwei Notare des IX.
Bistums zum Pfarrhause von S. Cresci JE* ^JJ^jLin Maciuoli und pochten an die Tiir; der ^Biltuml^inen**Pfarrer Arlotto antwortete ihnen, òffnete faulen Klepper
und begrùBte sie und empfing sie heitern in Trab gesetzt hat.
Gesichts mit Herzlichkeit. Wie er es mit
jedermann zu halten pflegte, bewirtete er
auch sie an diesem Abende und erwies
ihnen viel Aufmerksamkeit; und nach demMahle fragte er sie, warum sie unterwegsseien.
Sie antworteten: „Wir mùssen nachFirenzuola, um ein Landgut zu ubernehmen.Heute fruh sind wir drei Stunden nachSonnenaufgang von Florenz aufgebrochen,weil wir der Meinung waren, mit demPferde, das uns Gherardo Casini geborgthat, werde es uns moglich sein, noch amAbende dort anzukommen; indessen sind
wir mit schwerer Miihe von Florenz bis
hieher gekommen. Wir haben fur zweiTage gezahlt und er hat uns gesagt, dasPferd sei vorziiglich und gehe wie ein
Schifi"Der Pfarrer sagte: „Das nimmt mich
sehr wunder. Gherardo Casini pflegt gutePferde zu halten, und ich weiB, dafì er ein
ordentlicher Mann ist. Es sind jetzt schonmehr als vierzig Jahre, daB ich ihn kenne,und lànger als dreiBig stehe ich in Ge-schàftsverbindung mit ihm; alljàhrlich habe
29
ich ihm mein ganzes Korn verkauft, und ich
habe ihn in alien Stucken als hochst ehrlich
erfunden und er hat mir stets eine glatte
Rechnung gelegt. Nie ist es zwischen ihmund mir auch nur zu der klcinstcn Aus-einandersetzung gekommen und er hatmeine Forderungen immer zur Zeit berich-
tigt."
Und er ging mit seinen Gàsten zurRuhe.Am Morgen standen die beiden Notare
bei guter Zeit auf und stiegen zu Pferde;und nachdem sie sich beim Pfarrer bedankthatten, begann der eine hochweise Herr demPferde die Sporen in die Flanken zu schla-
gen. Da das Pferd keine Miene machte,sich vom Flecke zu rùhren, und sich nicht
darum scherte, wandte er sich zum Pfarrerund sagte: „Was bedùnkt Euch denn nunvon Euerm Gherardo? seid Ihr der Mei-nung, dafì es wie ein Schiff geht?"
Da nahm der Pfarrer eine dicke Stangevom Kirchentor und begann damit auf
das Pferd loszuschlagen; als das die
Stangenhiebe verspurte, setzte es sich als-
bald in einen scharfen Trab.Und der Pfarrer wandte sich zu den
beiden und sagte: „Ihr seid im Unrecht:Gherardo hat Euch weder belogen, noch be-
trogen. Er hat Euch gesagt, das Pferd gehewie ein Schiff, und ich verwundere michbaB iiber Euch: wiBt Ihr denn nicht, daB
30
Oelgemàlde eines unbekannten Kunstlei
(in den Magc.
ier erstcn Ralfte des iy. Jahrhundertsir Uffizien)
/ - L«e^<J~
die Schiffe, wann im Arno wenig Wasserist, ohne Stange nicht gehn? DaB das die
Wahrheit ist, so seht Ihr ja, daB Euer Pferdmit den Sporen nicht gehn will, und seht,
daB ich es mit der Stange dazu gebracht
habe, zu traben und zu laufen."
Und so ritten sie davon und nahmendiese kleine Stange vom Kirchentor mit, die
etwa zwolf Pfund schwer war; und Arlotto
in seiner Freigebigkeit schenkte sie ihnen,
damit sie das Pferd antreiben konnten.
ALs der Pfarrer von Rom heimkehrte,wurde er von einem befreundeten
Geistlichen in Siena eingeladen, ein paarTage bei ihm zu verbringen; er nahm an,
und am nàchsten Morgen, es war an einemSamstage, gingen sie miteinander in Ca-mollia zu den Fleischbànken, um fùr denSonntag einzukaufen.
Da trafen sie einen Seneser, dessenZungenfertigkeit seine sonstige Schwerfàl-ligkeit nicht verriet, und der handelte umein Kalbsviertel mit so viel Geschwàtz,daB er dem Metzger schon widerwàrtig ge-
worden war.Der besagte Seneser hatte auf einem
Bànkchen, das unten an der auswendigenSeite des Verkaufstisches war, einen Bundvon vier schonen fetten Schleien ' nieder-
gelegt.
31
Wie der Pfarrerin Siena
einem tòlpischenSchwàtzer vier
schòne, fette
Schleien stiehlt,
indem er sie tlink
in den Àrmelschiebt.
Der Pfarrer sah, daB niemand auf sie
acht hatte; dieweil nun das Plappermaulmit dem Metzger feilschte, nahm er sie,
ohne von irgendwem bemerkt zu werden,weg und schob sie in seinen ÀrmeL Dannentfernte er sich von dem Verkaufstische,
wàhrend der Geistliche noch immer war-tete, um das Fleisch zu kaufen, womit er
ihn am Sonntage bewirten wollte,
Nachdem der senesische Schwàtzer mit
dem Metzger genug gefeilscht hatte, wollteer weggehn und die Schleien, die er auf
das Bànkchen gelegt hatte, mitnehmen. Daer sie nicht vorfand, begann er mit demMetzger aufzubegehren und sagte: „Wosind denn meine vier Schleien, Tingoccio?ich habe sie da auf das Bànkchen gelegt.
Verstehst du mich nicht? eben erst warensie noch da."
Der Metzger antwortete: „Ich weiBnicht, was du schwàtzt, und kann dir, so
wahr mir Gott helfe, nicht sagen, wer sie
hat, habe sie auch gar nicht gesehn."
Auch der Geistliche sagte, er wisse
nicht, wer sie habe; denn er wuBte nicht,
daB sie der Pfarrer genommen und in denÀrmel gesteckt hatte.
Dieser Streit war noch im Gange, als
der Pfarrer hintrat; nachdem er sich die
Ursache hatte erzàhlen lassen, wandte er
sich zu dem Seneser, der sie verloren hatte,
32
und sagte zu ihm: „Du siehst gar nicht so
unschuldig aus, und dabei kommst du umdeine Fische, so daB die Schande fùr dich
gròBer ist als der Schade. Hàttest du es
so gemacht wie ich , wàren sie dir nicht
weggekommen. Ich habe die meinigen in
den Àrmel gesteckt und so bin ich sicher,
daB sie mir niemand nehmen kann, ohnedaB ich es merkte."
Und er wies ihm den Àrmel und fuhr
fort: „Mir wàre es nàmlich sehr unlieb,
wenn man sagen kònnte, mir sei in Sienaein Possen gespielt worden; denn bevor ich
von Florenz abgereist bin, hat man mir ge-
sagt, daB die jungen Leute in dieser Stadtin derlei Dingen groB sind,"
Der Seneser wuBte nicht mehr, wassagen; er schàmte sich tuchtig und machtesich ohne die Schleien davon. Die trugender Pfarrer und der Geistliche mitsammennach Hause und liefien sie sich hinter demRùcken des Viehs, das sie verloren hatte,
trefflich schmecken.
DEr Pfarrer Arlotto war beim Gehn ander Ecke des LorenzogàBchens stehn
geblieben; da horte er zwei Mànner heftig
streiten wegen zweier anderer , die eine
Fiasche Wein getrunken hatten, und dar-uber machten sie viel Aufhebens.
Und er sagte zu ihnen: „Seid ihr denn
Arlotto, Schwanke
XI.Was der Pfarrerzweien, die sich
wegen einerFiasche Wein nichtberuhigen konnten,geantwortet hat.
33
verruckt? Worùber streitet ihr denn?Dùnkt es euch etwas gar so groBes, daBzwei Gesellen eine Fiasche Wein getrunkenund leer gemacht haben? seht ihr denn nicht
alitaglieli, daB ihrer zweie sogar eine Kloakeleer machen?"
XII.
Wie der Pfarrer
auf eine Frage vonGiovanni di
Cosimo de'Medicierbosi geantwortethai, sein S. Cresci
sei keinKuchenheiliger.
Giovanni di Cosimo de' Medici begabsich eines Abends, es war noch zu
Lebzeiten seines Vaters Cosimo, nach Fie-sole in seinen Palast x und lieB sich von
1 Von diesem Palaste und seinem Erbauer Gio-vanni de'Medici (1421—1463) steht eine hùbscheAnekdote in den Facetie e motti dei secoli XV e XVI,S. 70, Nr. 93: „Giovanni di Cosimo de' Medici er-
baute auf der Anhohe von Fiesole einen schònenPalast; und da dort der Boden dùrr und steinig warund den Bau erschwerte, fragte ihn sein Vater Co-simo, warum er einen Ort gewàhlt habe, wo groBeKosten erwiichsen, ohne daB der kleinste Vorteil zuerwarten wàre. Er antwortete, er tue das, weil derOrt hochgelegen sei, so daB er von dort eine schòneAussicht haben werde. Cosimo antwortete: ,Die
schònste Aussicht, die du haben kannst, ist die vonCafaggiuolo; und trotzdem ist dieser Palast tief ge-
legen.' Giovanni fragte: ,Warum?' ,Weil alles,
was du von dort siehst, dein eigen ist; in Fiesole
trifft das nicht zu.' Ùnd deshalb sagte Cosimode'Medici, daB ihr Haus in Cafaggiuolo eine scho-
nere Aussicht biete als das in Fiesole." Gekiirzt
steht diese Anekdote auch in sàmtlichen Ausgabenvon Domenichis Facetie mit Ausnahme der franzo-
sisch-italiànischen (1548, Bl. A5a, Florenz, 1562,
S. 3, Venedig, 1562, BL 2 a usw. usw.).
Cosimos Enkel, Lorenzo il Magnifico, wuBte
34
Piero de* Pazzi \ Francesco Martelli 2,
Fruosino da Panzano und einigen andernEdelleuten begleiten.
Als sie angekommen waren, sagten sie:
„Was werden wir heute zu Abend essen?
heute ist Freitag."
Und sie liefien den Koch Fulleier backenund Eierkuchen und viele andere Eier-
speisen bereiten, und schliefllich klebten die
Eierkuchen an der Schiissel und waren gar
nicht wohlgelungen; und als sie auf denTisch kamen, sagte Giovanni zum Koche:„Mir scheint, du hast das Kochen verlernt;
den Palast hoher zu schàtzen; dort war der Sammel-punkt ali der erlesenen Geister, die er an sich ge-zogen hatte , wie Poliziano , Cristoforo Landino,Luigi Pulci, Marsilio Ficino, Pico della Mirandolaund andere. Heute heiBt der Palast Villa Spence.
1 Piero d'Andrea de' Pazzi war in Florenz 1416geboren; unter seinen Zeitgenossen war er seiner
Freigebigkeit und GroBmut wegen hoch geachtet.
Er hatte ein so ausgezeichnetes Gedàchtnis, daB er
die ganze Aeneide hersagen konnte. Seine Lebens-beschreibung steht bei Vespasiano da Bisticci, Vitedi uomini illustri de sec. XV, III, S. 184 ff.
2 Francesco di Domenico Martelli war in Flo-renz 1413 geboren. 1439 wurde er als Mitglied derSeidenwirkerzunft eingetragen und 1441 vom Her-zoge von Burgund zum Ritter geschlagen. Seit 1452war er mit Margherita di Francesco Soderini ver-màhlt und 1461 wurde er zu einem der Prioren derStadt gewàhlt.
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siehst du nicht, was du uns fur Eierkuchenvorsetzt?"
Der Koch antwortete: „Was soli ich
denti tun, wenn sie die Schùssel nicht aus-
làBt?"Giovanni antwortete und sagte: „Geh
und mach vier andere und weihe sie demS. Cresci des Pfarrers Arlotto, und wenn er
dir die Gnade erweist, dafì sie wohl ge-
raten, so gehst du am Morgen zu ihm undbringst ihm ein Groschenlicht, und denGroschen werde ich dir geben."
Frommen Herzens sprach der Koch das
Gelùbde, einmal um Ehre einzulegen, unddann auch weil der Groschen nicht aus
seiner Tasche gehn solite, und machteneue Eierkuchen; aber sie gerieten nochschlechter als die ersten. Giovanni und die
andern faBten sich in Geduld; als sie aber
am Montag auf der Riickkehr nach Florenz
zufàllig den Pfarrer Arlotto trafen, erzàhl-
ten sie ihm die ganze Geschichte und be-
klagten und beschwerten sich heftig ùber
seinen heiligen Cresci, der ihnen nicht habegnàdig sein wollen.
Der Pfarrer antwortete ihnen unwirsch
und sagte: „Schàmt Ihr Euch nicht, meinenSan Cresci so gering zu schàtzen? Er hat
Euch getan, wie es sich gehorte. Haltet Ihr
ihn fur einen Kuchenheiligen oder fur einen
Eierspeisenpatron? Brecht Euch ein Schul-
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terblatt oder eine Rippe oder schlagt Euchein Loch in den Kopf, und dann werdet Ihr
sehn, was er fiir Euch tun wird."
ETliche Geistliche, unter ihnen auch derPfarrer Arlotto, gingen Messer Anto-
nio, den Pfarrer von Cercina \ besuchen;und als sie in Cercina angekommen waren,empfing sie Messer Antonio freundlich,
sagte aber zu ihnen: „Mit Euerer Bewir-tung wird es leider schlecht aussehn, weil
1 Messer Antonio Picchini, Pfarrer von S. An-drea in Cercina, Domherr, „Dottore in Decreti,
Lettere e sacri Canoni" und Lektor an der floren-
tinischen Hochschule, wird zum ersten Male 1451erwàhnt. Er bekleidete viele hohe Wtìrden undwar unter anderm Propst und Generalvikar vonFiesole, Vikar von Arezzo, Kapitular- und General-vikar des Bistums von Florenz und Pfarrer vonS. Maria in Montemignajo; er ist am 30. August1467 gestorben.
Das Bild, das uns die Facetien Arlottos von ihmgeben, kann leicht in ganz interessanter Weise ver-vollstàndigt werden. So erzàhlt das 26. Stùck derFacezie e motti dei secoli XV e XVI (S. 18), daB derPfarrer Antonio beim Spiele wegen eines strittigen
Einsatzes, den er eingezogen habe, von seinemGegner, einem Bauer, eine Ohrfeige eingesteckthabe, allerdings mit einer philosophischen Begriin-dung. Weiter erzàhlen die Facezie e motti, S. 94,
No. 149 konform mit Domenichi, 1548, Bl. B 7bff„
1562, S. 118 etc. etc, daB ihm von einem aus Florenzheimkehrenden Bauern, von dem er eine Liige ver-langt habe, geantwortet worden sei: „In Florenz
XIII.
Wie der Pfarrer,
als er eines Tagesin Cercina
zu Gaste ist, denKiichenjungen
machen muB, undwie er sich dafiir
ràcht.
37
wir niemand habcn, der kochen wurde;mein Koch ist nàmlich seit zwei Tagen aneinem heftigen Fieber erkrankt."
Da losten sie mit Strohhàlmchen, werdie Arbeiten des Kochs ubernehmen solite,
und dabei wuBten sie sich im Einverstànd-nis so zu verhalten, daB den Pfarrer dasWaschen des Geschirrs traf.
Obwohl er den Hergang wuBte, schwieger und tat so, als ob er nichts gemerkthàtte, sagte aber bei sich selber: „Ich werde
sagt man, Ihr seiet ein ordentlicher Mensch"; frei-
lich ist dieser Scherz weit verbreitet und wird schonvon Doni [La Zucca, Ausg. Venetia, 1592, Bl. 210a)
auf einen andern bezogen. Ein ganz eigentumlichesLicht wirft aber auf den gelehrten und frommenPfarrer eine Anekdote, die bei Domenichi, 1548,
Bl. B 6b (dort heiBt es Cerana statt Cercina) und in
den spàtern Ausgaben steht:
„Der Tischler und Baumeister Gaiuola hatte
die Legende der hi. Katharina aufzufìihren und er
selber gab die Rolle des Richters. Nun war es sein
Wunsch, daB die hi. Katharina von einem hiibschen
MeBhelfer dargestellt werde; auf den war aberMesser Antonio von Cercina eifersìichtig undwollte es daher auf keine Weise zugeben. Da ver-
fiel Gaiuola auf das Auskunftsmittel, daB derPfarrer die Mutter der hi. Katharina darstellen
solle, und das war der Pfarrer gern zufrieden, ob-
wohl diese Mutter in dem Mysterium eigentlich gar
nicht vorkam. Von nun an pflegte Gaiuola denPfarrer jahrelang damit zu necken, daB er sagte:
,Ihr kennt mich nicht recht; ich war damals Richter,
als Ihr ein gemeines Weibsbild waret.'"
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schon ein Mittel finden, das Geschirr ohneallzu groBe Mùhe und ohne daB ich mir die
Hànde beschmutzte, zu waschen."Als sie gegessen hatten, begannen sie
alle zu lachen und sagten: „Pfarrer Arlotto,
Euch kommt es zu, die Zimbel zu schlagen",
nàmlich das Geschirr zu waschen.Er antwortete: „Das ist ein Possen des
Pfarrers von Cercina, aber schlieBlich wirder nicht viel Nutzen davon haben."
Und er nahm die Teller, die Nàpfe, die
Top fé und das andere schmutzige Geschirr,
steckte alles in einen Korb, hàngte diesen
an einen Strick, lieB ihn in den Brunnenhinunter und zog ihn auf und nieder; undals er eine Weile so getan hatte, kamMesser Antonio dazu und sagte: „AberArlotto, was zum Teufel, tust du? Siehst
du denn nicht, daB du das Wasser ver-
dirbst? Und dabei weiBt du doch, daB so-
wieso nur wenig da ist/'
Aber Arlotto antwortete: „Ich weiB ge-
nau, was ich tue; in meinem Hause wirdkein Teller und kein Topf anders ge-
waschen. Wenn Ihr es besser versteht,
als ich, so wascht Euch Euer Geschirrselber."
Das ganze Wasser war so verdorben,
daB der Brunnen gesàubert werden muBte;und auf diese Art fiel der Possen auf seinen
Urheber zurùck.
39
XIV.Wie der Pfarreram Karfreitag
einen Bauer seinerPfarre beim Klangeeines Dudelsacks
stati bei
Glockengelàutebegraben hai.
IN der Gemeinde von San Cresci in Ma-ciuoli, der Pfarre Arlottos, starb an
einem Karfreitag ein junger Bauer, ein
reicher und guter Mensch, der im Orte sehrangesehn war. Vater hatte er keinen mehr,wohl aber eine Mutter und zwei jungere Ge-schwister.
Der Pfarrer versàumte nichts, um die
Priester und die Gemeinde zum Begràbniseinzuladen, und zur gehorigen Stundegingen sie mit dem Kreuze um den Leich-nam, Als sie zum Sterbehause kamen,horten sie lautes Weinen und heftiges Weh-klagen. Mit wirrem Haar, gebrochen undbekummert, trat ihnen die Mutter entgegenund sank dem Pfarrer schreiend, weinendund laut schluchzend an die Brust, indemsie rief: „Ach, ich Elende, ich Unselige!
Mein guter Pfarrer, ich habe ali mein Gluckverloren, ali meinen Trost, ali meine Ruhe!Er war der Vater der ganzen Familie, hatGeld verdient, hat die Steuer gezahlt, ist
mit den Maultieren gegangen und hat dasganze Haus in Ordnung gehalten."
Von Mitleid bewegt, sprach ihr der
Pfarrer Trost zu und brachte sie mit lieb-
reichen Worten ein biBchen zum Schweigen;dann begann sie leise zu klagen und sagte
zum Pfarrer: „Am schwersten ist es mir,
dafi er verscharrt werden soli wie ein
Hund."
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Der Pfarrcr sagte: „Wieso denn? Wennein groBer Herr aus Florcnz hicr auf demLande gestorben wàre, so kònnte ihm auchnicht mehr Ehre erwiesen werden. Wirsind unser zweiundzwanzig Priester undhaben ihm eine so schòne Vigilie gesungenund so viel Volk ist gekommen, um ihm die
letzte Ehre zu erweisen; was wollt Ihr dennnoch mehr? Nichts fehlt, auBer dafi in
der Kirche noch ein Paar schwerer Arm-leuchter und zwolf Pfund Kerzen nòtig
wàren."Sofort lieB das die Frau im ÙbermaBe
besorgen; dann aber begann sie von neuemzu klagen und sagte: „Vater, es ist meingroBter Schmerz auf der Welt und drucktmir noch das Herz ab, daB er ohne Glocken-gelàute und so ganz klanglos begraben wer-den soli und daB man ihn zu Grabe tragenwird wie ein Vieh; wàre es nicht moglich,
daB Ihr nur ein einziges Mal zusammen-làuten lassen kònntet?"
Der Pfarrer antwortete: „Und wenn in
diesen drei heiligen Tagen der Papst sturbe
oder der Kaiser, so wiirde unter keiner Be-dingung gelàutet werden."
Und die Frau war dariiber, daB die
Glocken nicht gelàutet werden durften,
mehr bekummert als ùber den Verlust ihres
Sohnes, und so sagte sie in ihrer Betriibnis
zum Pfarrer: „Mein liebster Pfarrer, hier
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ist ein Bursche, der den Dudelsack gar gutspielen kann; und ich bitte Euch um derLiebe Gottes willen, seid so gut und lafit ihnspielen, wàhrend sie ihn wegtragen undwann er begraben wird: ein Dudelsack ist
ja keine Glocke. Wenn er so klanglos zuGrabe fuhre, wahrlich, ich stùrbe vor Ver-zweiflung."
Der Pfarrer erkannte die Einfalt derFrau und wie hart es ihr war, datò die
Leichenfeier stili sein solite; und so sagte
er ihr gerùhrt, sie solle den Spielmannkommen lassen und der solle nach ihremWillen blasen. Nun horte sie fur ein Weil-chen zu schreien auf, beruhigte sich undverscheuchte ihren Kummer ein wenig undsagte zum ganzen Volke: „K6nnen wir demidem Herrgott je genug fur unsern Pfarrer
danken? Wo wàre noch ein Geistlicher, der
mir diese Gunst verstattet hàtte? sicher-
lich gibt es auf der ganzen Welt keinen."
Dann trugen sie den Toten zu der
Kirche, die eine Meile weit entfernt war,
und immerzu spielte der Dudelsack; unddem Dudelsackspiele lief so viel Volk zu,
da6 die, die des Spieles halber gekommenwaren, in groBerer Zahl waren als die ein-
geladenen. Und so wurde er bei diesen
Klàngen begraben, und das Summchen, das
der Pfarrer aus dem Wachse zog, war nicht
gar so klein.
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DEr dicke Tischler 1 hatte um Gottes-
willen Geld zusammengebettelt, umzum hi. Antonius von Vienne zu pilgern,
und dann pilgerte er nicht; und das tat er
mehr aus Bosheit und Schlechtigkeit, als
aus einem andern Grunde.Eines Tages sagte er, von Scham ge-
trieben, zum Pfarrer: „Ich mòchte, daB Ihr
mir einen Rat gàbet, wie ich es anstellen
soli, um mich wegen des schweren Fehlers,
den ich begangen habe, und gegen die Vor-wiirfe zu verteidigen, die mir alle Augen-blicke an den Kopf geworfen werden, weil
ich meinem Gelùbde an den heiligen An-tonius von Vienne nicht nachgekommen bin.
Ich kann nicht mehr nach Florenz gehnund nicht anderswohin, so heftig schàmeich mich."
Der Pfarrer sagte: „Aber das Geld zustehlen, hast du dich nicht geschàmt, dasdu zusammengebettelt hast, um zum hi. An-tonius zu pilgern; und du bist nicht hin-
gepilgert und willst es nicht zuruckgeben,obwohl du weiBt, daB es nicht dein ist, undReue hast du auch nicht. Dich dùnkt es
1 Der Mdicke Tischler", il Grasso legnaiuolo,
hieB mit seinem richtigen Namen Manetto Amman-nati; er ist der Held der beruhmten Novella del
Grasso legnaiuolo eines Unbekannten, von der eine
deutsche Ùbertragung in Kellers ltaliànischem No-vellenschatz, Leipzig, 1851, I, S. 301 ff. steht.
43
XV.Was fur einen Ratder Pfarrer dem
dicken Tischler ge-geben fiat, der
zum hi. Antoniusvon Vienne hattepilgern sollen.
wohl noch zu wenig, und du weiBt, dafi dues wider alles Gewissen behàltst, und ich
weifi, dafi du es auf keinerlei Weise zurùck-stellen willst. Wenn du mir aber zweiTagwerke leisten willst, so werde ich dich
lehren, wie du furderhin ungeschorenbleibst, und werde deiner Bosheit undSchlechtigkeit noch den letzten Schliff
geben VDer Dicke antwortete: „Ich bin es zu-
frieden."
Und der Pfarrer sagte: „Zuerst leiste
mir die zwei Tagwerke; den gnàdigenHerrn St. Antonius hast du gefoppt, undnoch lieber wurdest du mich foppen, wenndu nur konntest."
Nachdem der Dicke zwei Tage fùr ihn
gearbeitet hatte, gab ihm der Pfarrer dieses
Mittel an und sagte:
„Geh morgen nach Florenz und gehdurch den Borgo S. Lorenzo. Antonio dal
Ponte wird dich sehn und dir sagen: ,Leb-
wohl, Dicker; das Geld hast du zusammen-gebettelt, aber wallfahren bist du nicht ge-
gangen.' Du wirst ihm frech, wie es die
schlechten Kerle deinesgleichen tun, ant-
worten: ,Hast denn du mir etwas ge-
geben?' Sagt er nein, so antworte kiihn-
1 Nach den alten Drucken; Baccinis Text gàbe:,und werde dich in deiner bestàrken."
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lich: ,Was gehts dich dann an?' Und da-
mit gehe deiner Wege. Geh iiber den AltenMarkt; dort wird dich Repole sehn oder
ein anderer. Wenn sie sagen: ,Lebwohl,
Dicker; du hast den hi. Antonius samtseinem Barte beklettelt', so antworte laut
und kuhnlich: ,Hast denn du mir etwas ge-
geben?' Sagt er: ,Du weiBt recht gut, dafi ich
dir auf zweimal neun Quattrini als Almosengegeben habe', so antworte auf der Stelle:
,Da hast du achtzehn Soldi und geh fùr
mich/ Das tu nur ein paarmal und manwird dich in Ruhe lassen und du wirst dich
deiner Scham ledig fùhlen, aber nicht deiner
Schlechtigkeit, die dich noch mit Haut undHaaren zum Teufel fiihren wirdV
ALs der Pfarrer eines Abends in Rombei einem hohen Herrn zu Tische war,
kam von ungefàhr ein junger Edelmannhin, ein durchaus tuchtiger und wohlge-sitteter Mensch.
Er griiflte den Pfarrer und die andernmit groBer Ehrerbietung.
Man fragte den Pfarrer, ob er ihn kenne,
und er antwortete mit Ja und sagte, er sei
mit seinem Vater, einem vornehmen Edel-
XVI.Von der Antwort,die der Pfarrer
einem Herrn vomròmischen Hofegegeben hat.
1 Die Pointe liegt darin, elafi der Dicke bei Be-folgung dieses Rates doppelt so viel hàtte zuriick-
geben mussen, als er bekommen gehabt hat.
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manne, eng befreundet gewesen; und dannfuhr er fort:
„Und daB dieser junge Mann wackerund tùchtig ist wie sein Vater, das erseht
Ihr daraus, daB er unter dem jetzigen
Papste nicht das geringste Amt oder dengeringsten Vorteil hat erreichen kònnen,obwohl hundert tòlpelhafte Biirschlein, die
nicht wert sind, ihm die Schuhriemen zulòsen, mit Wurden uberhàuft worden sind."
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XVII. TN der Gemeinde des Pfarrers ArlottoWie ein diebischer
J[ fcam ara Mittwoch in der Karwoche einBauer dem Pfarrer r> «i i ., r»rbeichtet, daB er ihm )unger Bauer zu ihm und sagte: „Pfarrer,
eli Scheifel und ich mòchte beichten/'vierthalb Viertel Der Pfarrer hieB ihn niederknien und
Korn gestohlen hat.fragte imi um ^ie Sùnden; und er fandderen einen ganzen Pfuhl, und unter an-
derm gestand ihm der Bauer, mehr als zwei-
hundert Diebstàhle sowohl an armen, als
auch an reichen Leuten begangen zu haben.
Und unter anderm sagte er: „Es sind jetzt
etwa sechs Monate, daB ich auch Euch in
einer Nacht, wo es stark regnete, auf
mehrere Male elf Scheffel und dreieinhalb
Viertel Korn gestohlen habe."
Nun sagte der Pfarrer: „Das warschlecht von dir; ich habe wohl bemerkt,
daB es in jener Nacht weniger gewordenist, und darùber habe ich mich sehr ge-
àrgert."
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Der Bauer fuhr fort und sagte nochmehr und zahlreiche Sunden; als er aber
eine halbe Stunde lang geredet hatte, hielt
er plòtzlich inne und war wie betàubt undsagte kein Wort mehr.
Als sein bestùrztes Schweigen eine
Weile gedauert hatte, sagte der Pfarrer:
„Was hast du, daB du nicht sprichst?
Woran denkst du? Hast du noch etwaszu sagen?"
Aber der Bauer schwieg noch immerseufzend.
Da fragte er ihn zum andern Male:„Willst du noch etwas sagen?"
Und der Bauer sagte weinend undschluchzend: „Vater, der Teufel verhàlt
mich, Euch aus Scham eine schreckliche,
fluchwiirdige und unverzeihliche Sundenicht zu gestehn; ich habe sie auch nochnie gebeichtet und glaube nicht, daB sie mirGott je vergeben konnte."
Der Pfarrer sagte: „Ich will nicht, meinSohn, daB du weiter so tuest; was fùr eine
Sunde kann es denn sein, die du nicht ge-
stehn willst? WeiBt du nicht, daB unserHerr Jesus Christus nur um unser armenSunder willen in dieser Welt so viel Leidenund Schmerzen gelitten und sich zumSchlusse hat so schàndlich ans Kreuzschlagen lassen? Und seine Barmherzig-keit ist so groB, daB er immer die Arme
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;
offen hàlt, um die Sunder aufzunehmen,wenn sie ihre Sunden beichten und bereuenund demùtig BuBe tun wollen; wie schwerauch eine Sùnde sei, er verzeiht sie, undwenn du Spitàler und Kirchen beraubt undtausend Menschen getòtet und jedwedenFrevel begangen hàttest, und du hàttest ge-
beichtet und andàchtig und zerknirscht
BuBe getan und auch, wo es dir mòglich,
Ruf und Gut zurùckgegeben, so wiirde dir
der allgùtige Gott alles in seiner Liebe ver-
geben. Beichte mir also diese Sunde frei-
mùtig und unbedenklich und ebenso jede
andere, deren du dich erinnerst."
Und der Pfarrer meinte, es handle sich
um ein unerhortes, fluchwùrdiges und un-
verzeihliches Verbrechen.Als der Bursche diese Predigt horte,
sagte er: „Pfarrer, so ungern ich es tue, so
will ich sie doch beichten. Als ich ein
Knabe von funfzehn Jahren war, habe ich
dann und wann aus Langerweile undfleischlicher Anfechtung meinen Schwengelauf die Weide getrieben und ihm sein Futter
gegeben, so daB ich daran zu often Malenein groBes Vergniigen natte."
Der Pfarrer begann zu lachen und sagte:
„Treibe deinen Schwengel auf die Weide,so oft du willst, aber stiehl nicht mehr; laB
fremdes Eigentum in Ruh und gib mir vor
allem mein Korn wieder."
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ALs jener Spiegel der Fròmmigkeit imdGelehrsamkeit, Bruder Antonino, der
ehrwiirdige Erzbischof von Florenz, eines
Tages auf dcm Heimwege von einer Be-reisung seines Sprengels' beim Pfarrhause
Arlottos vorbeikam, lud ihn der zum Essenein; und als sie gegessen hatten, zeigte er
ihm vor seinem Aufbruche die Kirche, die
er eben neu mauern lieB.
Nun hatte sein MeBhelfer ein Kàuzchenzum Geschenke bekommen und es als un-
achtsamer Knabe, um es vor den Katzenzu hiiten, in eine Nische getan, die zumCiborium bestimmt gewesen wàre.
Von dieser Geschichte mit dem Kàuz-chen wuBte der Pfarrer nicht ein Wòrtchen.
Indem sie so die Maurerarbeiten be-
sichtigten, kamen sie auch dort vorbei, woder Vogel war, und der schlug mit denFlùgeln; der Erzbischof blickte in die
Nische und sah, daB es ein Kàuzchen war,
und tadelte und ermahnte den Pfarrer mit
viel gùtigen Worten, daB er das Kàuzchennicht an diesem Orte halten solle.
Mehr um ihn und die andern lachen zumachen, als aus einem andern Grunde ent-
schuldigte sich der Pfarrer nicht damit,
daB er von dem VerstoBe des MeBhelfersnichts gewuBt habe, sondern sagte: „Gnà-diger Herr, verwundert Euch nicht, daB der
Vogel da ist: ich brauche den Platz nàm-
XVIII.Von der witzigen
Antwort, dieder Pfarrer
dem ErzbischofAntonino
gegeben fiat,
als der bei derBesichtigung derKirche von Maciuoli
ein Kàuzchenim Ciborium fand.
Arlotto, Schwànkc 49
XIX.Wie der Pfarrereines Morgens in
der Verkiindigungs-kirche eine Messe
liest, um einenverschleimtenBetbruder
abzuschaffen, derzum Argernis undEkel der Móncheimmerfort nebenden Aitar spie.
lich nicht, weil ich, Gott sei Dank, nie dasSakrament ausstelle; denn meine Pfarr-
kinder werden allesamt gevierteilt oder gè-
henkt oder sterben sonst eines jàhenTodes V
ALltàglich um die dritte Morgenstundekam in die Kirche der gebenedeiten
Nunziata ein widerwàrtiger Mensch vonetwa fiinfzig Jahren, um seiner Andachthalber eine Messe zu horen; mit wenig Ehr-erbietung kniete er am Altare nieder, legte
seinen rosenfarbigen Kapuzenmantel absamt dem Mutzchen, das stets, um es vorAbnutzung zu bewahren, mit dem inwen-digen nach auBen gekehrt war, und legte
ihn Tag fùr Tag, ohne es auch nur einmalzu unterlassen, auf den Aitar. Dann be-
gann er, da er stets verschleimt war, zukauen und zu mummeln und neben denAitar zu spucken, und richtete dort jedenMorgen eine solche Pfùtze an, dafì sie fast
einen Krug gefullt hàtte. Auf diese Weisewar er den Monchen, die die Messe lasen
oder dabei halfen, so ekelhaft geworden,
1 Zum Verstàndnis der Schnurre sei bemerkt,dafì seinerzeit das Ciborium die fiir die Krankenauf Vorrat geweihten Hostien enthielt, wàhrend die
Hostien fiir die Gesunden erst knapp vor der Kom-munion in der Messe geweiht wurden; in einigen
Kirchen Roms wird das noch jetzt so gehalten.
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daB sich schier keiner mehr fand, der, wanner dort war, hàtte hingehn wollen; jedochgetrauten sie sich nicht, ihm etwas zusagen, weil er ein angesehner Biirger war.
Nach langem Nachdenken, wie der lei-
digen Sache abzuhelfen wàre, ging derPrior eines Tages den Pfarrer Arlotto be-
suchen und sagte nach der gegenseitigen
BegriiBung zu ihm: „Ich mochte, daB Ihr
heute zu uns kàmet, um am Altare derAnnunziata eine Messe zu lesen; dann eBt
Ihr mit uns nach der Weise von uns Mon-chen, die wir alle Euere geistlichen Kindersind."
Der Pfarrer nahm die Einladung an;
kaum war er aber in die Sakristei getreten
und hatte sich fertig gemacht — es war umdie dritte Morgenstunde — so kam auchschon der Bùrger.
Der Pfarrer begann die Messe und jener
legte in der gewohnten Weise seine Kapuzeauf den Aitar und begann zu spucken,
Der Pfarrer sah sich dieses vermale-deite Vieh an und verwunderte sich ùberseine Unverschàmtheit; und das Geràusch,das das Spucken begleitete, storte ihn so,
daB er nicht imstande war, die Messezu Ende zu lesen.
Darum machte er bei der Stelle im Ein-
gange, wo die Arme ein wenig ausgebreitet
werden, eine kleine Handbewegung und
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streifte ihm die Kapuze auf den Boden,und das traf er so gut, daB sie gerademitten in die Spucke fiel und sich òffnete
und um und um beschmiert und verdorbenwurde.
Wutend sprang der Burger auf und lief
in die Sakristei und reinigte seine Kapuzeso gut wie moglich,
Als dann nach beendigter Messe auchder Pfarrer in die Sakristei kam, um dasMeBgewand abzulegen, sagte er zu ihm:„Pfarrer, Ihr habt mir heute meine Kapuzeverdorben; ich entschuldige Euch jedoch,
weil Ihr es nicht bemerkt habt."
Der Pfarrer sagte: „Ja bist du denn so
dumm, daB du glaubst, ich hàtte nicht be-
merkt, wie verrùckt und unverschàmt undviehisch du bist? Ich weiB ganz gut, wasich getan habe; schàmst du dich denn nicht,
deine Kapuze mit deinen Làusen auf denAitar neben den Kelch zu legen und all-
morgentlich in einer Weise zu spucken, daBich etliche Male Angst hatte, du konntestmir den Kelch mit etwas anderm fiillen als
mit Wasser und Wein? Ich kann dir nursagen: mùBte ich tagtàglich dort Messelesen, wie es diese Monche miissen, ich
hàtte dir dieses Benehmen bald ausgetrie-
ben."
Ohne noch ein Wòrtlein zu sprechen,
zog der Burger tiefbeschàmt ab, und alle,
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die in der Sakristei waren, brachen in ein
Gelàchter aus. Dann baten die Moncheden Pfarrer zu Tische und dankten ihm,dafi er dem widerwàrtigen Menschen so
hùbsch mitgespielt hatte.y
Ls der Pfarrer eines Tages in derKirche von S. Lorenzo Messe las, war
XX.Wie der Pfarrer
unter den Zuhorern einer, der die Messe Betbruder^wàhTendschier ebenso laut sprach, wie er.
Damals war aber die Zeit wo das Credoausfiel; als min der Pfarrer das Gloria unddie darauf folgenden Gebete beendigt hatteund zum Credo kam, begann der frommeMann, der nicht wuBte, daB es diesenMorgen nicht gesprochen werden solite,
friiher als der Pfarrer und hob an: „Credoin unum Deum, patrem omnipotentem" etc.
Der Pfarrer drehte sich um und sagte:
„Heute, siehst du, hast du es nicht erraten."
Dariiber erhob sich ein allgemeines Ge-làchter und der vorlaute Mensch stand als
Esel da.
der Messe ooralien Leuten
abgefertigt hai.
E Ines Morgens kamen etliche jungeLeute zu friiher Stunde zum Pfarrer
Arlotto und sagten zu ihm: „Pfarrer, wirhaben einen Weg vor, der fiir uns sehrwichtig ist, und weil uns nur noch wenigZeit bleibt, so mòchten wir, daB Ihr uns
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XXLWie der Pfarrer
von einigenjungen Leuten
gebeten worden ist,
ihnen eine
Jàgermessezu lesen.
XXII.Wie Piero
di Cosimo de'Medicidem Pfarrer die
Geschichte voneinem Schuster
eine sehr rasche Messe làset; Ihr versteht
doch recht, lest uns eine Jàgermesse."Der Pfarrer richtete sich gemàchlich
her, und dann begann er, und nach demEingange und dem Sundenbekenntnis hielt
er inne, um nur noch die Blàtter umzu-wenden.
Verwundert, dafi er nicht fortfuhr undauch nichts ùber den Grund sagte, wartetendie jungen Leute erst eine hùbsche Weile,
da sie nicht wufiten, was tun; endlich lieB
ihnen ihre Eile keine Ruhe mehr und sie
sagten: „Was habt Ihr denn, Pfarrer, dafi
Ihr die Messe nicht weiterlest und nichts
tut, als die Blàtter umwenden?"Der Pfarrer sagte: „Heute habt Ihr mich
ganz vergeBlich gemacht; ich suche undsuche und kann doch in diesem Buche keine
Jàgermesse finden. Wollt Ihr, dafi ich
eine lese, wie sie in diesem Missale stehn,
so werde ich sie lesen; wenn nicht, so ists
mir auch recht und ich entferne mich."
Wirklich kam ihnen ihr Fehler zum Be-
wuBtsein und sie liefìen den Pfarrer die
Messe lesen, die fur diesenTag bestimmt war.
AUs Nàchstenliebe ging der Pfarrer Ar-
lotto dann und wann Piero di Cosimode' Medici 1 besuchen, der von der Gicht ans
1 Von Piero de Medici (1416—1469), dem Bru-
der des oben genannten Giovanni und Vater von
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Bett gefesselt war; der Kranke sah ihn gernund sie waren sich gut und hatten immerihre Unterhaltung miteinander.
Bei einem solchen Besuche erzàhlte nunPiero di Cosimo dem Pfarrer folgende Ge-schichte:
„In Florenz war ein nicht besonders ver-
mògender Schuster, der die fromme Ge-wohnheit hatte, alle Morgen zu guterStundean einem Aitar in der Kirche von S. MicheleBerteldi gewisse Gebete an einen hi. Jo-hannes den Tàufer zu richten, dessen Bildin erhabener Arbeit aus Holz oder Gipsùber diesem Aitar angebracht war.
So hatte er es eine lange Zeit all-
morgentlich gehalten, als sich einmal ein
arglistiger, boshafter MeBhelfer vornahm,hòren zu wollen, was er dem hi. Johanneszu sagen habe.
Darum versteckte er sich eines Tages
Lorenzo il Magnifico, erzàhlen die Facezie e mottidei secoli XV e XVI (S. 120, No. 214) und Dome-nichis Facetie (z. B. 1548, Bl. C5 aff.) beinahe gleich-
lautend folgenden hubschen Scherzi„Als Piero di Cosimo de' Medici, der als Ge-
sandter der Florentiner in Rom gewesen war, iiber
Perugia heimkehrte, besuchte er dort die Signoria.Da nun einer von den Prioren viel einfàltiges Zeugdaherredete, sagte ein anderer, um ihn zu cntschul-digen, scherzend zu Piero: ,Habt Geduld, Herr; Ihrhabt ihrer sicherlich auch in Florenz genug.' Pieroantwortete: ,Freilich haben wir ihrer genug; aberwir iibertragen ihnen nicht derlei Geschàfte.'
"
erzàhlt, der in
seiner Dummheiteinen hi. Johannes
gefragt hai, obseine Frati ehrbarsei und was dasLos seines Sohnes
sein merde.
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zeitlich in der Friihe hinter dem Bilde; derSchuster kam, kniete vor dem Bilde nieder
und sprach mit halblauter Stimine, jedochso, daB der MeBhelfer sein Gebet hòrenkonnte: ,Heiliger Johannes, ich bitte dich,
erweise mir eine doppelte Gnade: einmalmochte ich wissen, ob mich meine Frau je
hintergangen hat, und dann,was demSohne,den ich habe, beschieden sein wird.'
Der MeBhelfer, der alles verstandenhatte, antwortete ihm leise und sagte:
,Wisse, mein Freund, daB du wegen derAndacht, womit du mich seit langer Zeit
verehrst, erhort werden sollst; komme mor-gen wieder her und du wirst eine bestimmteAntwort erhalten. Und nun geh in Frie-
den.'
Der Tòlpel von einem Schuster ging;
und er war ganz gluckselig, weil er meinte,
der hi. Johannes habe mit ihm gesprochen.
Am nàchsten Morgen kam er zu guter
Stunde wegen der Antwort wieder; undnachdem er seine Gebete verrichtet hatte,
sagte er: ,Heiliger Johannes, halte mir dein
Versprechen.'
Und der MeBhelfer, der sich so wie amTage vorher hinter dem hi. Johannes ver-
steckt hatte, begann, als ob er der Heilige
gewesen wàre, aber mit leiser Stimme zusprechen und sagte: ,Ich antworte dir, meinFreund, daB dein Sohn binnen kurzem ge-
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henkt werden wird, und dafì dich deine
Frau mit mehr als einem hintergangen hat.'
Wutend sprang der Schuster auf undlief weg, ohne etwas zu sagen. Als er abermitten in der Kirche war, drehte er sich umund kehrte zum Altare zuruck und schrie,
ohne niederzuknien oder sein Haupt zu ent-
blòBen: ,Welcher heilige Johannes bist dudenn eigentlich?'
Der MeBhelfer, der noch immer dort
war, antwortete: ,Ich bin dein Johannes derTàufer.'
Und in der Meinung, das sei die Stirarne
des Bildes, schrie der Schuster im Zorn undGrimm: ,DaB dich Gott schànde! Nie hastdu etwas andres gesprochen als schlechtes,
und deine bòse Zunge war der Grund, da6dich Herodes hat enthaupten lassen; ich
weifi auch ganz gut, daB du mir meineFrage nicht wahrheitsgemàB beantwortethast. Wohl funfundzwanzig Jahre undlànger komme ich jetzt her, um dich zuverehren, und nie habe ich dir etwas zu-leide getan; aber laB es dir gesagt sein, vonnun an komme ich nimmer wieder.'
"
ALs Piero di Cosimo mit dieser Gè-schichte zu Ende war, sagte er zum
Pfarrer Arlotto: „Nun seid Ihr meinSchuld-ner; bezahlt mich nach Euerm Belieben."
Und der Pfarrer sagte: „Ich bin noch
XXIII.Wie der Pfarrer
mit einer
absonderlichenGeschichte voneinem einfàltigen
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Wamsschneiderantwortet, der sicherbosi hat, weil ervon einem Christus-kinde in Or SanMichele keineGnade erlangen
konnie.
nie etwas schuldig geblieben und auch dieseSchuld will ich auf der Stelle bezahlen, be-vor ich noch aufstehe." Und er begann einegar vergniigliche Geschichte, die folgender-mafìen lautete:
„Es sind noch nicht viele Jahre her, dafó
in unserer Stadt Florenz ein armer wacke-rer Wamsschneider war, der seinen Ladennahe bei Or San Michele hatte. Und jedenMorgen hatte er aus eitel Fròmmigkeitnichts eiliger zu tun, als in diese Kirche zugehn und vor einem Christusbilde eine
Kerze anzuzùnden; und vor diesem Bilde,
das Christus als Kind darstellt, wie er imTempel mit den Priestern streitet und vonseiner Mutter gesucht wird, pflegte er all-
morgentlich seine Andacht zu verrichten.
So hatte er mehr als funfundzwanzigJahre getan, bis eines Tages seinem Sohn-chen, als es dem Ballspiele zusah, ein
Ziegel auf den Kopf fiel und ihm ein groBes
Loch schlug.
Er liefi die Àrzte kommen und Arzneienbringen, aber um den Kranken stand es
wirklich sehr schlimm.
Am nàchsten Morgen ging er in der ge-
wohnten Weise in die Kirche; anstatt des
Hellerlichtes brachte er aber eine Groschen-
kerze und ziindete sie vor dem Christus-
bilde an. Und als er mit seinen Gebetenfertig war, sagte er: ,Mein suBer Herr Jesus
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Christus, ich bitte dich, mach meinen Sohnwieder gesund; du weiBt, dafi ich dir viel-
leicht funfundzwanzig Jahre lang treu
gcdient habe, ohne auch nur eine einzige
Gnade zu verlangen, und das kannst duselber mit deinem Zeugnis bewàhren. Ich
habe sonst nichts auf der Welt als diesen
meinen einzigen Sohn, und auch der war dir
geweiht. Wenn er mir genommen wtirde,
ich sturbe vor Verzweiflung; la6 mich dir
empfohlen sein/
Und nach diesen Worten ging er weg.
Er kam heim und schier in demselbenAugenblicke schied sein Sohn aus diesemLeben und starb.
Am andern Morgen kam er wieder, voli
Kummer und Zorn uber den Tod seines
Sohnes; er trat in Or San Michele ein undschritt vor bis zu diesem Christus, steckte
ihm aber in seiner Wut weder ein Licht an,
noch kniete er nieder, sprach auch nicht
sein gewohntes Gebet, sondern begann sich
zu beklagen und sagte:
,Ich haite jetzt nichts mehr von dir undwerde auch nicht mehr zu dir kommen; duweiBt, daB ich dir lànger als funfund-
zwanzig Jahre treu gewesen bin und nie
eine Gnade von dir verlangt habe als die
eine, und die hast du mir nicht erweisenund nicht gewàhren wollen. Hàtte ich sie
von dem grofien Kruzifix da neben dir ver-
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XXIV.Was der Pfarrer
einemdeutschen Monche
auf eine
lateinische Fragegeantwortet hai.
langt, so wàre ich eher erhòrt worden, unddarum kannst du dich darauf verlassen, dafi
ich mich nie mehr mit dir oder mit Kindernuberhaupt abgeben werde; denn wer sich
mit Kindern abgibt, gehort unter die
Kinder/"
BEim Pfarrer Arlotto kam ein deutscherMònch voruber und fragte ihn auf
lateinisch um den Weg nach Rom; der
Pfarrer, der ihn nicht verstand, sagte als
einzige Antwort: „Dixit dominus dominomeo: sede a dextris meis \ Was willst dueigentlich?"
Wegen dieser Antwort des Pfarrers, die
zu dem Gegenstande keinerlei Beziehunghatte, und wegen ihres lauten Tones dachte
der Mònch, es konnte Priigel fùr ihn ab-
setzen, und so machte er sich zitternd da-
von, ohne weiter zu fragen 2.
Nun waren einige von Arlottos Bauerndort und die sagten, als sie den Verlauf der
Sache sahen, einer zum andern: „Hast dugesehn, wie es unser Pfarrer dem Monche
1 Psalm CX, v. 1; die Fortsetzung lautet: donecponam inimicos tuos scabellum pedum tuorum.
2 Dieser Satz steht in der Ausgabe Baccinis
ebenso wie in den àltesten Ausgaben am Ende der
ganzen Schnurre; in den Ausgaben der zweiten
Gruppe usw. steht er, wie es auch der Sinn ver-
langt, an dieser Stelle.
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in der lateinischen Sprache gegeben hat?"und „Hast du gesehn, wie der Mònch nicht
hat verziehn wollen, um sich nicht in cine
Auseinandersetzung einlassen zu mussen,und wie er alsbald seines Weges ge-
gangen ist?"
MEsser Rinaldo degli Orsini, der vor- XXV.
nehme Edelmann aus dem alten ròmi- ^J^nTd^nschen Geschlechte und ehrwùrdige Erz- Pfarr^r^eingeladenbischof von Florenz \ schickte als seinen hat, um aus ihm
Verweser einen gewissen Messer Francesco Abgaben zu ziehen,
aus Fermo, der zu den Guasconi gehòren wU'pf^e^nZhf^
wollte; er hielt ihn nàmlich fùr einen fangenlUB, "sondernwackern und wohlberufenen Mann. ihn verhòhnt hat.
Kaum war der aber in Florenz einge-
troffen, so begann er auch schon die ganzeKlerisei mit tausend Zwangsmitteln und Er-pressungen zu verfolgen, und das dauerteJahre lang.
Als schlieBlich etwa drei Jahre vorbei
waren, kamen dem ehrwiirdigen Herrn Erz-bischof so viel Klagen und Beschwerden zu,
dafi er ihn, als er sich liberzeugt hatte, wieschàndlich er seinen Namen miBbrauchte,absetzte.
Geschah das auch sehr spàt, so war es
doch ein frommesWerk; denn Messer Fran-
1 Rinaldo Orsini wurde 1474 Erzbischof vonFlorenz; 1480 dankte er zu Gunsten Cosimo Pazzisab. Er starb am 3. Juli 1510 in Rom.
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cesco hatte schon der Ziegc den letzten
Tropfen abgemolken und die Geistlichkeit
unleugbar um mehr als viertausend Du-katen bestohlen, wovon allerdings der Erz-bischof erst erfuhr, nachdem er ihn davon-gejagt hatte.
Bevor das noch geschehn war, hatte
Messer Francesco eines Tages den Pfarrer
Arlotto zum Essen eingeladen; der nahman, obwohl er sofort erkannte, daB ihm der
Bistumsverweser nicht aus Nàchstenliebezu essen geben wollte, sondern um etwasaus ihm zu ziehen. Gewalt durfte nàmlichder Verweser gegen ihn nicht anwenden,weil er nicht seinem Bistume unterstand,
und darum wollte er es mit Freundlichkeit
versuchen, ob er von ihm Geld oder Geldes-wert erhalten kònne; er wuBte auch, daBihm dies auf eine andere Art unmòglich ge-
wesen wàre.Der Pfarrer hatte recht gehabt; denn der
Verweser verlangte von ihm ungegohrenenWein, Korn und Kàse und wollte das Ver-
sprechen haben, daB er ihm, wann er wieder
in seiner Pfarre sei, etwas schicken werde.
Nach dem Essen ging der Pfarrer heim,
und als zwei Tage darauf einer von seinen
Bauern nach Florenz ging, gab er ihm ein
kleines, schlechtes Korbchen mit, das hoch-
stens zwei Quattrini wert war; darin warensechs gekochte Àpfel, zwei Eier, ein wenig
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Salat und ein kleiner Kàse. Diese Sachensolite der Bauer samt einem Briefc dem be-
sagten Messer Francesco ùberbringen, sich
aber, mehr zum Hohne, als aus einem an-dern Grunde, das Kòrbchen zuruckgebenlassen. Und das tat der Bauer auch.
Als Messer Francesco Guasconi das Ge-schenk und den Brief in Empfang nahm,waren von ungefàhr etliche Burger undGeistliche bei ihm; als die erfuhren, wer die
Sachen geschickt hatte, dàuchte es sie alle,
daB der Pfarrer den Verweser gering-
schàtzig behandle, aber den Grund wuBtensie noch nicht.
Und der Brief des Pfarrers lautete imwesentlichen also:
„Ich sende Euch ein Geschenk vonviererlei Dingen, darunter auch einen Kàs-bruder \ der allein ist, weil es ihm derPrior erlaubt hat.
Damit sollt Ihr Euch zufrieden gebenund Euch begnugen; denn dem Herrn Jesu
1 Kàsbruder hietìen in Deutschland die Bettel-monche, weil sie stets um Kàse als Zukost zu demBrote baten, das sie allenthalben erhielten; dafi sie
in Italien ebenso taten, geht nicht nur aus demfra cacio an dieser Stelle hervor, sondern auch ausnoch heute iiblichen Sprichwortern, wie Poco cacio,
poco Sant' Antonio, ferner Poco cacio e meno SanFrancesco etc. Vgl. iibrigens meine Ausgabe vonHeinr. Bebels Schwànken, I, S. 232.
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XXVI.Wie der Pfarrer
einer Knierutscherineine treffliche
Lehre erteilt.
XXV11.Wie die grobe
Bauernhorde eine
Stelle des Evan-geliums auf ihre
Weise auslegt undvom Pfarrer
schier mit GewaltLauch verlangt, so
daB der amnàchsten Sonntagan jedermann
Lauch verteilt, undwas daraus
erfolgt.
Christo ist nur ein Geschenk von dreierlei
Dingen 1 gemacht worden."
EInes Morgens ging der Pfarrer durchdie Heiligengeistkirche und sah dort
eine Frau, die unter lauten Seufzern voreinem Bilde des hi. Nikolaus von Tolen-tino andàchtig betete; schier eine Stundebrauchte sie, um sich dem Heiligen auftausenderlei Arten zu empfehlen, und sie
stand wie verzùckt da.
Der Pfarrer trat hin, nahm sie beimKopfe und drehte sie dem grofien Christus
am Kreuze zu, der in der Nàhe steht, undsagte: „Siehst du nicht, du Nàrrin, was dufur einen Unsinn treibst? Befiehl dich dochlieber dem, der der Meister ist und der dir
besser helfen kann als der Lehrling."
E Ines Morgens sprach der Pfarrer Ar-lotto in seiner Pfarre den Abschnitt im
Evangelium des hi. Lukas, der berichtet,
wie Christus im Flecken Magdala im Hausevon Lazarus, Maria Magdalena und Marthadas Abendmahl iBt. Als nun die Bauerndie Worte des Evangeliums horten, das dasagt: „Martha, Martha, sollicita es et tur-
baris erga plurima; porro unum est ne-
1 Nàmlich Gold, Weihrauch und Myrrhe vonden Weisen aus dem Morgenlande (Ev. Matth.,
II, 11).
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cessarium", meinten sie, der Pfarrer unisse
jedem einzelnen von ihnen je einen Lauch x
geben; denn es war ihnen weis gemachtworden, das gehòre zur Andacht.
Kaum hatte er den Aitar verlassen unddie Messe beendet, so fragten sie ihn auchschon um den Grund, daB er das nicht ge-
tan habe.
Er antwortete, das Wort porro besagenicht, daB er ihnen einen Lauch gebensolite, sondern wolle, wie es im Evange-lium stehe, so viel bedeuten, wie wahrlich,und Christus habe zu Martha, der einenSchwester von Lazarus, sagen wollen, daBMaria Magdalena das beschauliche Lebensei, sie aber das tàtige, und daB sie deshalbihre Pflicht tun mùsse. Und weiter habeChristus sagen wollen, daB Maria Magda-lena etwas gutes tue, wenn auch ihre
Schwester anderer Meinung sei, und daB sie
das gute Teil erwàhlt habe, das nicht von ihr
genommen werden solle und ohne das dastàtige Leben nichts wert sei. Und das alles
trug Arlotto den Bauern als freie Predigtvor, weil er, wie ich vorhin gesagt habe,nicht lesen konnte, aufier in seinem Mis-sale 2
; aber trotz der Predigt, die er ihnenalso gehalten hatte, wollten sie ihm nicht
1 Lauch heiBt auf italiànisch porro; die zitierte
Stelle steht bei Lukas, X, 41—42.2 Vergleiche die FuBnote auf S. 10.
Arlotto, Schwanke I. 5 £C
glauben, sondern meinten, er sage nur des-
wegen so, um ihnen keinen Lauch geben zumtissen. Und weil er ihnen diese Narrheit
weder durch Predigen, noch auf eine an-
dere Weise aus dem Kopfe bringen konnte,
war er gezwungen, ihnen zu versprechen,
datò er ihnen diesen gebenedeiten Laucham nàchsten Sonntage geben werde. Undam nàchsten Sonntage sah er sich mit einemgrofien Biischel Lauch vor, und als die
Messe zu Ende war, kamen alle seine Pfarr-
kinder, groB und klein, Mànner und Weiber,mit groGer Andacht um den Lauch.
Dieser Messe wohnte aufier den an-
dern auch ein wohlanstàndiger und gelehr-
ter Mann bei. Als der die Narrheit mit
dem Lauche sah, begann er den Pfarrer zuschelten; er hielt ihn nàmlich, da er wederden Grund wuGte, noch die Albernheit
dieser Bauern kannte, fùr den Erfinder.
Und als sich der Pfarrer bei ihm recht-
fertigen wollte, schlugen die Bauern alle
miteinander, Mànner, Weiber und Kinder,
einen argen Làrm; und da der Fremde denPfarrer schalt, wurden sie noch mehr er-
bost und hiefìen ihn einen Ketzer, der denGottesdienst ihres Pfarrers verwerfe.
Und nach vielem Geschrei und vielen
Beschimpfungen begannen sie ihn zu prii-
geln und schlugen ihm ihren Lauch um denKopf und das Gesicht, bis er Reifiaus nahm.
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Und sie hàtten ihn mit dem Lauch und mit
Steinen schlieBlich getòtet, weil er die
Lauchverteilung verwarf.
DA ein Krieg zwischen Florenz undGenua drohte, war das Meer von Pisa
und die ganze ligurische Kùste so unsicher,
daB kein Schiff in Sicherheit verkehren
konnte; daraus erwuchs den Florentinern
und den Pisanern viel Schade und das
ganze Land litt schwer darunter.
Aus diesem Grunde nahmen die Floren-
tiner Messer Bernardo Villamarina, dendamals berùhmten Kapitàn und Frei-
beuter in ihre Dienste; er verfùgte ùbereine schòne Flotte von Seglern und Galee-ren, und fur den guten Sold, den er bekam,sorgte er fur die Sicherheit der ganzenKiiste, so daB jegliches Fahrzeug, wie klein
es auch war, sicher und heil in Pisa ankam.Die Florentiner haben stàndig einige
Beamte in Pisa, einen Hauptmann, einenPodestà, einen Zolleinnehmer und andere,
aus denen eine ùber alien stehende Be-horde von drei Beamten hervorgeht, unddas sind die Konsuln der See; denen ist
eine groBe Macht ùbertragen, und alles,
was die Stadt zu Wasser oder zu Landebetrifft, ist ihnen anvertraut \
1 Nach Varchi, Storia fiorentina, XIV, 7 [Opere,Trieste, 1858, I, S. 357) schickten die Florentiner
XXVIII.Wie der Pfarrerin Pisa einen
Freund von einer
groBen GeldbuBelòst.
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Nun geschah es, elafi Messer BernardoVillamarina an einem schweren Leiden er-
krankte. Die Nachricht davon erregte inFlorenz eine allgemeine Bestùrzung, weildie Burger sehr viel von ihm hielten; sie
schickten auch sofort den Konsuln alles,
was die verlangten, Àrzte und Arzneien,und schrieben ihnen, sie sollten alles auf-
bieten, da6 der Mann genese, und nicht aufGeld und Ausgaben sehn. Und so geschahes auch.
Die Krankheit war aber stàrker als die
Arzneien, und so schied der Kapitàn ausdiesem Leben. Er starb in Pisa auf einer
Galeere im Arno; nie hatte er nàmlich ansLand steigen wollen, und es hiefi, er habe
alljàhrlich vier angesehne Burger nach Pisa, dieConsoli di mare hieBen: sie hatten nicht nur die
Zolleingànge von Pisa und Livorno zu verwaltenund die notwendigen Zahlungen zu leisten, sondernwaren auch die Richter fiir die zivilen Streitfàlle
der Kaufleute in den beiden Stàdten; einer vonihnen hatte weiter die Angelegenheiten der PisanerHochschule (Studio) zu besorgen, wann diese ge-
offnet war, und die Beamten der Hochschule, die
in Florenz waren, von deren Bedurfnissen und vondem Fortgange des Unterrichtes zu verstàndigen.
Auf diese Weise erklàrt es sich, dafi an der obigen
Stelle nur von drei Konsuln gesprochen wird. DieBehorde der Konsuln der See wurde am 7. No-vember 1533 von Herzog Alexander aufgehoben; am1. November 1551 wurde sie von Herzog Cosimo-
neu errichtet, jedoch nur noch mit zwei Konsuln.
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seit mehr als dreiBig Jahren nicht zuLande geschlafen.
Als die Zeitung von seinem Tode nachFlorenz kam, lieB man vier kostbare Fahnenmit den Wappen des Volkes und der Gè-meinde von Florenz verfertigen und schickte
sie nach Pisa, um den Leichnam zu ehren,
und schrieb den Konsuln, sie sollten ihmnach ihren Kràften ein pràchtiges Begràb-nis ausrichten, wie es eben in dieser Stadtmoglich sei, ohne Geld zu sparen; und dieKonsuln fuhrten auch alles so durch, dafi
es fùr einen Kaiser gentigt hàtte.
Die Wachskerzen hatten sie von einemgewissen Francesco di Manetto, gebiirtig
aus Florenz, liefern lassen, der ein alter
Spezereihàndler und ein hochgeachteterMann war. Nachher wurde ihnen nun vonneidischen Leuten zugetragen und hinter-
bracht, daB er das Wachs verfàlscht habe;denn beim Brennen in der Kirche habe es
so stark geknistert, daB es eine Schandegewesen sei. Die Konsuln nahmen das zurKenntnis und schickten um Francesco di
Manetto und sagten es ihm unter Schelt-worten und Drohungen.
Obwohl Francesco seine Sache, so guter konnte, verteidigte, niitzte es ihm nichts,
weil der Neid der Bosen, die ihn anklagten,bedràngten und verfolgten, mehr vermochteals seine Unschuld und sogar als das
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Zeugnis der Guten, die fùr ihn eintraten
und baten. Die Verhandlung zog sich viele
Tage hin, bis sich die Konsuln endlich so
vergewissert und ùberzeugt zu haben glaub-
ten, daB sie vòllig entschlossen waren, ihn
zu einer BuBe von zweihundert Dukatenund zum Verluste des Preises fiir die
gelieferten eintausendachthundert PfundWachs zu verurteilen. Weder seine Un-schuld, noch die Fursprache der Freundenutzte ihm etwas, so daB er ganz ver-
zweifelt war und bei der Aussichtslosigkeit
seiner Sache nicht mehr wufìte, was tun.
In Anbetracht der vielen Zeugnisse, die
die Verfàlschung des Wachses feststellten
und bewàhrten, glaubten die Konsuln nicht,
daB sie Francesco Unrecht tàten; es traf
sie auch keine Schuld, weil sie von der
Sache nichts verstanden und auf das Urteil
anderer angewiesen waren.So lagen die Dinge, als eines Morgens
der Pfarrer Arlotto aus Florenz in Pisa an-
kam; und es traf sich just so, daB an demauf seine Ankunft folgenden Tage das Ur-teil gesprochen werden solite.
Nachdem er Francesco begrufit hatte,
sagte er zu ihm: „Komm, gehn wir auf
einen Trunk Malvasier; ich bin heute nochnùchtern."
Da Francesco miBgestimmt war, gab er
dem Pfarrer nur eine halbe Antwort. Der
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verwunderte sich ba6f
elafi er ihm nicht die
gewohnte Liebenswurdigkeit zeigte unddafi er nicht einmal mit ihm essen gehnwollte, und iiber sein aufiergewòhnliches
Wesen. Und da Francesco auch eine
zweite Einladung nicht annahm und ganztrubsinnig war, sagte der Pfarrer: „Jetzt
mochte ich aber doch wissen, was du heutehast"
Nun erzàhlte ihm Francesco alles haar-
klein; aber der Pfarrer legte der Sachewenig Wichtigkeit bei und sagte: „Hast dunoch einen andern Grund, so trubsinnig zusein?"
Francesco antwortete: ,,Seht Ihr dennnicht, Pfarrer, dafi ich nicht anders sein
kann als mifigestimmt? Hàtte mir dennetwas noch trauigeres oder schmerzliche-res zustofien kònnen? Seht Ihr nicht, dafi
ich auf einen Schlag alles verlieren soli,
was ich in den fùnfzig Jahren, die ich hier
in der Stadt bin, erworben habe, und ùber-dies noch meine Ehre, die ich nie wieder-gewinnen kann?"
Der Pfarrer antwortete: „Sag mir die
Wahrheit: bist du schuldig?"Francesco sagte: „Ich bin wirklich un-
schuldig und habe an einen Betrug odereine Fàlschung nicht einmal gedacht. Kenntmich denn jemand besser als Ihr?"
Lachend nahm ihn der Pfarrer unter
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den Arm und sagte: „Gehn wir trinken;
ich war in der Meinung, du hàttest mir viel-
leicht ctwas unangenehmes zu erzàhlen."
Und sie gingen zum Malvasicr, und nach-dem sie miteinander gefrùhstùckt hatten,
sagte der Pfarrer: „Geh in deinen Laden;ich will meine Geschàfte erledigen, underwarte mich zum Mittagessen."
Jeder ging seines Weges und derPfarrer begab sich ins Amtshaus der Kon-suln und lieB ihnen durch ihren Dienersagen, daB er mit ihnen sprechen wolle.
Der Diener ging hinein und richtete es
aus; es kam aber keine Antwort. Und als
der Pfarrer eine gute halbe Stunde ge-
wartet hatte, sagte er zum Diener: „Hastdu ausgerichtet, was ich dir gesagt habe?"Der Diener antwortete: „Ja." Der Pfarrer
sagte: „Was hast du gesagt?" Der Diener
antwortete: „Ich habe gesagt: ,Es ist ein
Priester da, der mit der Behòrde sprechen
will'; sie haben mir aber nichts geant-
wortet." Der Pfarrer sagte: „Sei so gut
und geh noch einmal hinein und sage: ,Der
Pfarrer Arlotto ist da und will mit der Be-
hòrde sprechen.'"
Kaum hatte das der Diener ausgerichtet,
so liefien sie auch schon die Tur weit auf-
reifien und den Pfarrer eintreten; und er
muBte neben ihnen niedersitzen, und sie
entschuldigten sich, daB sie ihn hatten
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so lange warten lassen: schuld daran sei
der Diener gewesen, der ihnen nicht gesagt
habc, wer es sei. Und dann sagten sie:
„Was wunscht Ihr voti der Behòrde? Wirstehn Euch gern zur Verfiigung."
Der Pfarrer antwortete: „Hàtte ich dasnicht gewufit, so wàre ich gar nicht herge-kommen. Ich bin aber mit Vergnugen ge-kommen,weil ichweiB, daB ich zu gerechtenund guten Mànnern komme und aus einemgerechten und ehrlichen Grunde, und wennIhr findet, daB dem so ist, so bitte ich Euch,seid so giitig und willfahrt mir darin."
Und er sagte: „Meine Herren Konsuln,ich bin nunmehr, wie Ihr seht, ein alter
Mann, und ich habe meine Tage viel groBeIrrtumer geschehn sehn; und von diesenwill ich Euch zwei erzàhlen, die ich fur die
groBten halte.
Es ist noch nicht lange her, da ist in
Florenz ein armer Fleischausschroter ver-klagt worden, er habe bei der Wurstberei-tung Esels- und Pferdefleisch unter das guteFleisch gemischt und die Wìirste als gutverkauft. Er wurde peinlich befragt undgefoltert und zu einer GeldbuBe verurteilt,
bekam die Mùtze, wurde gestàupt undwurde auf einige Zeit in den Stinche ein-
gekerkert. Ich sage aber, daB ihm sehr un-recht geschehn ist, und wàre ich damalsin Florenz gewesen, so hàtte ich ihn vor
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jedem Gerichte verteidigt; ich will es auchvor jeder Kòrperschaft von Gelehrten ver-
treten, dafi er unschuldig war: die Vertei-
digung ist klar und selbstverstàndlich. Ich
frage jeden vernùnftigen Menschen, obdarin, daB einer die mit Unflat gefullten
Dàrme nimmt und sie entleert, wàscht undsàubert, um sie mit Schweinefleisch zufullen und darunter Esels- oder Pferde-fleisch zu mischen und zum bessern Ge-schmacke noch Pfeffer und andres Ge-wurz daranzutun, eine Verfàlschung liegen
kann, wo er doch die Dàrme von dem Un-flat sàubert und mit bessern Dingen fiillt,
als er herausgenommen hat. Sicherlich
wird es keinen noch so gescheiten undkeinen noch so dummen Menschen geben,
der das fùr eine Verfàlschung hielte. Wàrehingegen das, was er hineingibt, schlechter
als das, was er herausgenommen hat, dannwàre es eine Bosheit und ein gar schwererBetrug.
Der zweite schwere Irrtum, den ich
meine Tage gesehn habe, soli jetzt bei
Euerer Behorde geschehn. Ich hòre nàm-lich, dafi Ew. Herrlichkeiten Euern Mit-
bùrger, den Handwerker Francesco di Ma-netto zu einer harten Bufie verurteilen
wollen, weil er die ganzen Wachskerzenverfàlscht haben soli, die er auf Euern Auf-trag und Befehl fìir das Leichenbegàngnis
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Messer Bernardo Villamarinas verfertigt
hat. Es wird nun keinen vernùnftigen Men-schen geben, meine Herren, der sich, wenner Francesco so gut kennte wie ich und un-
zàhlige Leute, einreden lieBe, er habe in
seinem Alter eine Verfàlschung begangen.
Er ist jetzt funfzig Jahre oder lànger in
dieser Stadt, wohin er als Knabe gekom-men ist, und weder aus seiner Kindheit,
noch aus seiner Junglingszeit, noch aus
seinem Alter kann ihm in Wahrheit nach-gesagt werden, daB er irgendwie eine Bos-heit oder Fàlschung, ob im SpaBe oder imErnste, begangen hàtte. Nie hat er nochmit irgendeiner Behòrde zu tun gehabt, undimmer hat er sein Handwerk in Treue undunbemakelt betrieben und ausgeùbt. Daswird durch ganz Pisa und uberdies durcheinen groBen Teil der Florentiner bezeugt,
Wer wird denn da so dumm und wahn-witzig sein, daB er glauben solite, er habejetzt in seinen alten Tagen Wachs ver-
fàlscht? sicherlich niemand. Wenn Ihr dasrecht betrachtet, so werdet Ihr finden, daBFrancesco ein guter, anstàndiger Menschist, in dem nie ein Funken Habsucht war,
und der stets freigebig gewesen ist und eine
Zuflucht fùr alle anstàndigen Leute, die in
diese Stadt kamen, und sonderlich fiir die
Florentiner. Ich bin fest ùberzeugt, daB Ihr
nicht eilfertig handeln werdet, weil Ihr
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gute, gerechte Mànner seid, und Ihr werdetEuer Ohr nicht dcn Neidischen und Bòs-willigen leihen, die Francesco unbilliger-
weise beschuldigt und angeklagt haben.Ihr mùBt Euch ja, weil Ihr von der Wachs-zieherei nichts versteht, auf fremdes Zeug-nis verlassen und konnt kein Urtei!
sprechen als durch den Mund anderer; aberich will es wider alle, die Francesco ange-klagt haben, verfechten, daB sie das aus einemvon zwei Grunden getan haben: entwederaus Bosheit und Neid auf Francesco, oderweil sie von der Sache nichts verstehn.
War es Neid oder Bosheit, so weiB ich, daBdas Euere Klugheit schon erkannt hat; wares Unkenntnis, daB sie das Wachs fùr ver-
fàlscht hielten, weil es beim Brennen in derKirche knisterte und prasselte, so sage ich,
daB diese Anklàger kein richtiges Urteil
haben und die Ursache nicht kennen, war-um das Wachs geprasselt hat, und auchIhr seht und wiBt die Ursache nicht und die
ist die:
Ùberall in Italien und auch hier weiBman sehr wohl, wer Messer Bernardo Villa-
marina gewesen ist, und Ew. Herrlichkeiten
wissen, was fur ein Leben er bis zuletzt ge-
fuhrt hat; er war der trefflichste Kapitànseiner Zeit und einen tuchtigern Frei-
beuter hat es dermalen auf dem Salzwasser
nicht gegeben. Und Gott hat es gefallen,
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ihn zu sich zu berufen, und er ist in dieser
Stadt gestorben, wo er nicht cinen Ver-wandten oder Freund hatte, der seinen Todnicht ersehnt hatte. Sein Neffe ersehnteseinen Tod, um der Befehlshaber der Flottezu werden. Die Offiziere und Soldaten er-
sehnten seinen Tod, einmal wegen desWechsels, und dann, um von dem neuenKapitàn neue Vertràge mit einem bessernSolde zu erhalten. Die Ruderknechte undclie Seeleute ersehnten seinen Tod, um frei
zu sein und aus der Knechtschaft zu kom-men, worin sie so lange Zeit gewesen waren.Kein Mensch war, der ihn beweint hatte,
weil hier kein Verwandter oder Freund vonihm war, der sich um seinen Tod bektim-mert hatte; wàre er in Katalanien ge-
storben, so hatte ihn vielleicht jemand be-trauert, oder irgendein Verwandter oderzum mindesten eine Frau, die ihm nahe ge-
standen hat, hatte ihn beweint oder wenig-stens etliche Trànen vergossen. Als darumdas brennende Wachs sah, wie viel Grau-samkeit und Hàrte in den Herzen der Leutewar, die sich in der Kirche eingefundenhatten, und als es sah, daB niemand vondem vielen Volke, das dort war, klagte odereine Tràne vergoB, da wurde es zu Mitleidgeruhrt und begann zu weinen, zu schreien,
zu kreischen und iiber den Tod des Frei-
beuters und trefflichen Kapitàns zu klagen,
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und es war keine Schlechtigkeit Francescosdabei; und nie wird befunden werden, daBer es verfàlscht hàtte, und wenn Ihr die
Wahrheit sorgsam sucht, so war das, wasich gesagt habe, der einzige Grund, daB es
gekreischt hat, und Ihr werdet finden, daBFrancesco immer gut und anstàndig ge-
wesen ist, und daB die, die ihn angeklagthaben, das Gegenteil gewesen sind. Ihr
Neid und ihre Bosheit lieBen sie nicht rich-
tig verstehn, worauf die Sache beruht, undauf die eine Weise oder auf die andere er~
hellt, daB Euere Herrlichkeiten von ihnenschlecht unterrichtet worden sind."
Als der Pfarrer seine Rede, die zweienvon den Konsuln sehr gefiel, beendet hatte,
gab ihm der dritte, der etwas miBgunstig
war, zur Antwort, Francesco mìisse be-
straft werden; aber die beiden anderndankten ihm und sagten: „Was verlangt
Ihr von der Behorde?"Der Pfarrer antwortete: „Recht und
Gerechtigkeit und ein rasches Verfahren,
und ich bitte Euch, laBt Euch Francescoempfohlen sein, so daB ihm, wenn ich nicht
unrecht daran tat, herzukommen, binnenjetzt und zwei Tagen aus seinen Nòten ge-
holfen werde."Sie schickten um Francesco und be-
zahlten ihm alle Kerzen, die er fùr das
besagte Leichenbegàngnis geliefert hatte,
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und sprachen ihn frei, alles dem Pfarrer
zuliebe, der dargetan hatte, dafi es ein Ge-bot der Gerechtigkeit war, ihn frei und ledig
zu sprechen.
DEr Pfarrer Arlotto, der uber den Uc-cellatojo
1 kam, war, nachdem er mit
dem Wirte Agnolo uber seine Angelegen-
heiten gesprochen hatte, vom Pferde ge-
stiegen und ging in den Stali; da traf er
einen, dessen Gesicht schweren Kummerund grofie Angst verriet, und der grùfite ihn
und sagte: „Zahlt mir um Gottes willen
einen Schoppen; ich vergehe vor Durst."
Der Pfarrer verwunderte sich bafi undsagte: „Seid Ihr nicht Messer Leonardo vonArezzo?"
Der andere antwortete: „Ja, der bin
ich."
Nun sagte der Pfarrer: „Was macht Ihr
denn hier so fruh am Tage? und was soli
1 Der Uccellatojo ist ein Berg bei Florenz, uberden die StraCe nach Bologna fiihrt. Vor Alterswar dort ein Kirchlein, wo an Feiertagen ein sonstim Pfarrhause von S. Andrea in Cercina wohnenderGeistlicher Messe las. Zur Zeit Arlottos und vorherwaren, wie Baccini erwàhnt, zwischen Cercina,Maciuoli und dem Uccellato]' o eine ganze Anzahlkleiner Kirchen, deren Seelsorger aus Ersparungs-riicksichten entweder wegen der geringen Zahl ihrer
Pfarrkinder, oder wegen der geringen Kirchen-einkùnfte im Pfarrhause von Cercina wie in einemKloster lebten.
XXIX.Wie der Pfarrer
der SeeleLeonardo Areiinos
begegnet.
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das heiBen, daB Ihr so allein seid und sobekiimmert?"
Der andere antwortete: „Siehst du dennnicht, daB ich tot bin und dahingehe? undich darf nicht verweilen bei Euch und ich
bin in einer elenden Lage, weil ich vor Durstverschmachte und mir keinen Tropfen Weinkaufen kann. Helft mir doch."
Der Pfarrer sagte: „Wie konnte denndas sein, wo Ihr doch nach dem, was mansagt, bei Euerm Tode Besitzungen undHauser, die gegen zwanzigtausend Dukatenwert sind, und Bucher, Hausrat, Juwelenund Kleider im Werte von funfundzwanzig-tausend und an Bargeld mehr als dreiBig-
tausend Dukaten hinterlassen habt? Wowàre denn Euere Weisheit, Euer Wissenund Euere Gelehrsamkeit und wo EuereBeredsamkeit in der griechischen und der
lateinischen Sprache? Wo Euere ciceronia-
nische Redegewandtheit, die in der ganzenWelt erglànzte? Konnte es denn sein, da6Euch nicht nur Vermògen und Beredsam-keit, sondern auch die Musen verlassen
hàtten, die Euch vollig untertan waren, unddaB Ihr jetzt wirklich in einer so bedràng-ten Lage wàret?"
Und die Seele Messer Leonardos ant-
wortete: ,,Pfarrer, ich habe ein viel gròfìers
Vermògen und viel mehr Schàtze hinter-
lassen, als Ihr sagt, und ich kann Euch nur
80
bcteuern, daB ich von alien durchaus ver-
lassen bin und von hier nicht einen Pfennig-
wert mitnehme; ich lasse meinen Kòrperhier und mein ganzes Eigentum. Darumgebe ich Euch, der Ihr hier bleibt, den Rat:
achtet darauf, Euch mit Gott wohlzuver-halten und lustig und guter Dinge zu sein,
solange Ihr in dieser Welt seid; denn bei
Euerm Tode werdet Ihr nichts mitnehmenkonnen. Seht, wie es mir ergangen ist. IchElender! Denkt nur, wie es um mich steht.
Ich gehe und weiB nicht, wo ich mich ein-
finden soli, um gerichtet zu werden; dennich bin noch immer nicht vor dem Gerichtegewesen. Ich zittere vor Frost, ich gluhevor Hitze und ich weiB noch immer nicht,
wer es ist, der mich richten soli ; mich bangtum mein Geschick, weil ich weiB, was furein Leben ich gefiihrt habe, sonderlich wiehabgierig ich war, und wie ich um Geldund Gut jede schimpfliche Verpflichtungeingegangen bin und viel Beschwerden er-
duldet habe: jeden Wunsch habe ich mirversagt, und nun sind meine Sòhne reiche
Leute, und Gott weiB, wie lange sie dasGeld behalten werden. Geht mit Gott, Pfar-rer, lebt in Frieden, macht Euch gute Tageund macht es nicht so, wie ich es gemachthabe." Und damit schied er.
1
1 Ùber Leonardo Bruni aus Arezzo, genanntLeonardo Aretino (gestorben am 9. Màrz 1444), vgl.
Arlotto, Schwanke I. Q QJ
Der Pfarrer war ganz entsetzt und es
dauerte eine Viertelstunde, bis er sich vonseinem Schrecken erholt hatte; dann stieg
er zu Pferde und ritt nach Florenz. ZuHause angekommen, kleidete er sich sofort
um und ging Zuta und Ser Domenico vonFigghine suchen, die zwei gute Gesellensind, und erzàhlte ihnen unter fortwàhren-
dem Weinen und Klagen von seiner Begeg-nung mit Messer Leonardo und sagte: „Ler~
nen wir aus dem fremden Schaden undsehn wir zu, dafi wir unser Leben genieBenund gutes tun und im guten verharren.
Ihr seht, ins Jenseits kònnen wir nichts mit-
nehmen; darum will ich, was mich betrifft,
den Spruch dieses heiligen Mannes, des
Bruders Jacopone von Todi, beobachten,
Voigt, Die Wiederbelebung des classischen Alter-
thums, 3. Aufl., 1893, I, S. 306 ff.f
II, 17 ff. u. 5.
Voigt sagt von ihm, sein Geiz sei notorisch gewesen,und zitiert als Beleg eine Stelle aus Poggios Grab-rede auf ihn. Voigt hatte auch noch auf die vonTiraboschi, Storia della letteratura italiana, Firenze,
1805 ff., VI, S. 681 zitierte Stelle bei Rafaello Vol-terrano, ferner auf ein merkwùrdiges Selbstbekennt-nis Leonardos hinweisen kònnen, nàmlich auf denBrief an den Wechsler Thomas (Epistolarum Leo-nardi Aretini Libri odo, Basileae, 1535, S. 196 ff.;
die Ausgabe von Mehus steht mir nicht zu Gebote),
worin er sich gegen einen, wie es scheint, ziemlich
scharfen Tadel seiner Ansichten iiber den Reichtumzu rechtfertigen versucht. Auch die hier an die
Person des Pfarrers Arlotto gekmipfte Satire ist
noch nicht beachtet worden.
82
der in einem seiner Lobgesànge, der voli
Lebensweisheit ist, also sagt: ,So viel ist
mein, wie ich verzehre und um Gottes willen
verschenke V "
Und sie afien zusammen bei Malvasier
mit der festen Absicht, sich in dieser Be-ziehung wohl zu verhalten und es sich
immer gut geschehn zu lassen.
Wie ich in der Vorrede zu seinem Leben XXX.
gesagt, habe, fuhrte der Pfarrer in p^rerììrVer-seiner Jugend manchmal unzuchtige Reden; teidigung eines
hier ein Beispiel davon. Menschen annimmt,
Als er eines Tages auf der Galeere beim der auf die
Essen mit zwei Gesellen, die ihn in die ^S^SSMitte genommen hatten, an einem Tische nicnt zu antwortensaB, sprachen sie iiber die Todsùnden; und weW.gegen das Ende des Mahles begann der eine
von den beiden dem andern seine Verfeh-lungen mit schimpflichen und gemeinenWorten vorzuwerfen, und der wufite sich
nicht zu verteidigen.
Da ùbernahm der Pfarrer seine Verteidi-gung und antwortete dem anmafìenden, ge-
meinen Menschen; aber der fuhr in seinen
1 In der vollstàndigsten Ausgabe der Dich-tungen Jacopones da Todi (Le poesie spirituali delB. lacopone da Todi . . . con le scolie et annotationidi Fra Francesco Tresatti da Lugnano, Venetia,1617) habe ich keinen Gesang, der diese Worteenthielte, gefunden.
6* 83
XXXI.Wie der Pfarrer
einem Amtsbruderdie Absicht aus-
redet, mit ihmin See zu gehn.
Bcschimpfungen fort und sagte schlieBlich
zu dem andern: „Du mùBtest dich ordent-lich schàmen; du weiBt doch, daB ich weiB,daB du auch ein Schwein hinlegst."
Der Pfarrer antwortete: „Er legt es nicht
hin, aber er kraut es so lange, bis es sich
selber hinlegt."
Aber der boshafte Mensch lieB nicht
locker, sondern sagte wieder: „Sag mir dochdie Wahrheit, bist du in dieses Laster ge-
fallen?M
Da der Wicht keine Antwort wuBte,sagte der Pfarrer: „Gefalien ist er nie, aberdann und wann hat er sich schon sachtedreingelegt."
Trotz diesen làcherlichen Schwànkenwar der Pfarrer keineswegs der schànd-lichen Verirrung der Sodomie ergeben; aberwie dies in alien Dingen so geht, meintendie Leute, seine Handlungen muBten seinen
Worten entsprechen.
EX Geistlicher, der mit dem Pfarrer
Arlotto eng befreundet war, plagte ihnmit seinem Wunsche, mit ihm auf den Ga-leeren zu fahren; und der Pfarrer sagte:
„Ich rate dir sehr davon ab."
Und er fùhrte unzàhlige Grunde dafuran und erzàhlte ihm schlieBlich nach einer
langen Rede die ganze Geschichte von denDrosseln:
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„Einem groBen Schwarm Drosscln kamdie Lust, ihr Gluck zu suchen, und so mach-ten sic sich zur Zeit der Trauben und Feigenauf die Wanderschaft. Das erste Mal raste-
ten sie auf den Alpen; als dort die Bauerndie groBe Wolke Vògel sahen, spannten sie
Netze und Stricke, so daB sie etliche fingen.
Von dort machten sie sich auf undkamen hinunter ins Mugello, wo sie eineviel bessere Atzung fanden, Trauben undFeigen; und dann kamen sie noch tiefer
herab in die Ebene von Florenz und fandendabei immer bessere Weide, aber die Land-leute fingen ihrer die schwere Menge mitallerhand Nachstellungen.
Dann kamen sie ins Pesatal und ins
Elsatal und dort fanden sie Feigen und an-dere Fruente die Hùlle und Fiille und dasganze Land voli Busche und Oliven undviel sonstige Annehmlichkeiten, so daB essie ein herrlicher Aufenthalt dàuchte miteiner bessern Weide als irgendwo anders;aber sie wurden mit Schlingen und Leim,mit Fackeln, Garn und Netzen und aufmancherlei andere Art mit verschiedenemGeràt in einer so groBen Zahl gefangen,daB nur ein kleiner Teil iibrig blieb.
Und als die paar, die sich hatten rettenkònnen, in die Heimat zuriickgekehrt warenund die wenigen, die daheim gebliebeuwaren, begruBt hatten, sagten die, gewisser-
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maBen neidisch: ,Ihr scid ja dick und fett
geworden; wohl bekomms euch! Wir armenSchlucker, die wir hier bei Eicheln undkarger Kost gedarbt haben, sind schwachund mager und vor Hunger halbtot/ Dar-
auf antworteten die andern: ,Ihr wahn-witzigen Dummkòpfe, ihr seid ja verbien-
det; etwas Einsicht solltet ihr doch haben.
Bedenkt ihr denn nicht, in wie geringer Zahl
wir heimgekommen sind? Seht ihr nicht,
daB von uns eine so unzàhlige Menge ge-
fangen und getòtet worden ist, dafi vontausend kaum einer heimgekommen ist?
Und wir Elenden, die wir jetzt glucklich dasind, wenn ihr sàhet und wiiBtet, was fùr
Nòte und Drangsale und Gefahren, wie viel
Steinwurfe und Stockhiebe und was fiir
Angst wir erduldet haben, so kàme euchdas Mitleid. LaBt euch nicht das Verlangenwegzuziehen kommen, damit ihr es nicht zu
bereuen habt ; wenn ihr wirklich heil wieder-
kàmet, so wùrdet ihr euch, ebenso wie wir,
fest vornehmen, nie wieder in die Fremdezu ziehen.'
So sage ich auch dir wegen deines Ver-langens, dich einzuschiffen, Wenn du ge-
scheit bist und meinem Rate folgst, so
schiffst du dich nicht ein, weil das nur bei
wenigen wohlgetan ist; und wolltest du mirsagen: ,Ihr seid doch selber immer auf der
Galeere; wenn es Euch nicht wohl bekàme,
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liefìet Ihrs wohl bleiben, so wiirde ich
dir antworten, daB du unter tausend nicht
einen fàndest wie mich, und daB du ùber-
dies nicht weifit, was fiir Ungemach ich
erduldet und was fiir Gefahren ich iiber-
standen und wie teuer ich meinen Gewinnerkauft habe. WùBtest du nur die Hàlfte,
so hàttest du Mitleid mit mir und wiirdest
nie mehr von der Sache sprechen und die
Geliiste wàren dir fiir immer vergangen."
E Ines Morgens war der Pfarrer ArlottoWie ***Pfarrer
bei Messer Antonio, dem Pfarrer von Arlotto demCercina, zu Tische; und nach dem Essen Pfarrer von Cercina
sagte er: „Gehn wir heute Abend nach Ma- Eisenzeug stiehlt.
ciuoli in meine Pfarre; ich weiB, mein SanCresci wird uns begnadigen, daB wir uns aneinem guten Bissen werden letzen kònnen."
Nun versàumte es Messer Antonio nie,
dem Pfarrer etwas zu stehlen oder ihmirgend einen Possen zu spielen, und das so,
daB sich der Pfarrer nicht zu wehren wuBteoder vermochte; als sie daher gegessen
hatten und nach Maciuoli aufbrechen woll-
ten, trat Arlotto heimlich in eine Kammerim Erdgeschosse, wo eben, weil MesserAntonio Zimmerleute und Maurer im Hausehatte, viel Eisenzeug lag, und band sich
unter seinem Mantel rund herum an denGùrtel etwa vierzig Pfund von diesen
eisernen Gegenstànden, als da waren Tùr-
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glòckchen, Riegei, Angeln, Schlosser undSchlùssel und dergleichen mehr. Dannmachten sie sich auf den Weg und ritten
auf Maciuoli zu \Als sie in der Nàhe seines Pfarrhauses
waren, sagte der Pfarrer Arlotto zu MesserAntonio: „Meiner Meinung nach wàre es
nunmehr endlich an der Zeit, dafi wir unsbessern sollten; wir sind alle beide alte
Leute und Ihr wiBt, wie wir miteinanderstehn: Ihr habt mir manchen Streich ge-
spielt und ebenso ich Euch, und wir habeneinander viele Sachen weggenommen, teils
aus SpaB, teils aus Bosheit, und uns viel
Schaden getan. Habt nun auch Ihr mir viel
mehr angetan als ich Euch, so mòchte ich
doch, dafì wir uns gegenseitig davon los-
spràchen, und jeder mag behalten, was er
hat, und wer das schlechtere hat, der hat
eben den Schaden."Auf der Stelle antwortete Messer An-
tonio, er sei es zufrieden; denn er wufite,
dafì er den Pfarrer Arlotto um mehr als
zwanzig Male òfter geschàdigt hatte; undbei diesem Beschlusse blieben sie. Und als
sie von den Pferden gestiegen und in die
Kirche getreten waren, sprachen sie sich
beide gegenseitig mit den gehorigen Zere-
1 Bei diesem Absatze ist der Text der alten
Ausgaben zur Verbesserung herangezogen worden.
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monien von jeder bis zu dieser Stunde be-
gangenen Unbill und Dieberei los, so daBder, der mehr verloren hattc, dcn Schadenhaben solite, wàhrend der andere alles mit
gutem Gewissen behalten durfte.
Kaum waren sie aber, nachdem sie ein-
ander noch auf den Mund gekùBt hatten,
aus der Kirche getreten, als der Pfarrer
seinen Mantel auszog und Messer Antoniodas gestohlene Eisengeràt zeigte und zu
ihm sagte: „Messer Antonio, die Los-
sprechung erstreckt sich selbstverstàndlich
auch auf alles, was ich heute von Cercina
mitgenommen habe; eins mag ins andere
gerechnet werden."Messer Antonio sah scheel drein; da
ihm aber nichts sonst ubrig blieb, zuckte
er mit den Achseln und schluckte seinen
Arger hinunter \
DEr Pfarrer Arlotto und BartolommeoSassetti 2 gingen zu Francesco Dini 3
,
dem wackern Manne, essen; und als sie bei
1 Der letzte Absatz ist nach den alteri Aus-gaben ergànzt.
2 Bartolommeo di Tommaso Sassetti, dem wirnoch òfter begegnen werden, war 1453 einer derPrioren der Republik.
3 Francesco Dini war Domherr von S. Lorenzoin Florenz; von ihm ist handschriftlich ein geist-
licher Traktat erhalten.
XXXIII.Wie der Pfarrer
durch ein Gleichniszu verstehn gibt,
daB er keinenandern Wein als
Malvasier will.
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Tische saBen, sagte Francesco: „Pfarrer,ich habe einen guten Malvasier; wollt Ihrihn vor dem Esseri oder nachher?"
Der Pfarrer antwortete nicht anders als
durch ein Gleichnis und sagte: „Die heilige
Maria war eine Jungfrau vor der Geburt,in der Geburt und nach der Geburt."
Francesco verstand, was er meinte, undwar einsichtig und vornehm genug, daB er
keinen andern Wein als Malvasier auf denTisch bringen lieB.
XXXIV.Wie es der Pfarrer
im Wirtshausezu Pontassieve an-
gestellt hat,
um einen Platz amFeuer
zu bekommen.
E Ines Sonntags am Abende kam der
Pfarrer auf der Ruckkehr von Casen-tino in ein Gasthaus in Pontassieve; da es
den ganzen Tag und die Nacht ununter-
brochen geregnet natte, war er vollig durch-
nàBt, todmude, halb erfroren und uber undiiber beschmutzt.
Nachdem er vom Pferde gestiegen war,
ging er zu dem groBen Feuer, das ihm der
Wirt gemacht hatte; sogleich waren aber
auch, weil es, abgesehn vom Regen, wirk-
lich kalt war, etwa dreiBig Bauern dort,
die sich, wie es an Feiertagen nachmittags
und abends ihr Brauch ist, im Wirtshause
versammelt hatten, um eins zu trinken oder
um zu spielen oder um wahres und er-
logenes zu schwatzen.
Die stellten sich alle ums Feuer undschier dem Pfarrer auf den Leib, so daB
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sich der arme Mann weder trocknen, nocherwàrmen, ja kaum umdrehn konnte; unddas Reden des Wirtes half ebensowenigwie das seinige: die Bauern wollten nichtweggehn.
Geàrgert sann der Pfarrer nach, wie er
sie sich vom Halse schaffen konnte.Er begann eine trìibselige und bekiim-
merte Miene anzunehmen und redete keinWort mehr.
Der Wirt, der ihn als einen stets heiternund lustigen Mann kannte, verwundertesich, dafi er an diesem Abende gar nichts
sprach, und sagte: „Was habt Ihr dennheute Abend, Pfarrer, daB Ihr gar so ver-
stimmt seid? Das ist ja unerhort und gegenEuere Gewohnheit und Natur; sonst pflegt
Ihr immer heiter und lustig zu sein. WennIhr Euch nicht wohl fùhlt oder eine Sorgehabt, so sagt es; es gibt nichts, was ich unddie Meinigen nicht Euch zuliebe tàten."
Der Wirt war nàmlich der Meinung, derPfarrer sei in Casentino gekrànkt worden,weil dort die Bauern schlechte Menschensind.
Und der Pfarrer sagte: „Mir ist etwasunangenehmes zugestofien: es sind mir nàm-lich aus der Tasche da an die vierzehn Lire
und neunzehn Vollgulden 1 gefalien; ich
1 Im Originale fiorini larghi. Von 1422 an wur-den in Florenz neben den gewòhnlichen Gulden, die
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habe jedoch die Hoffnung, einen oder denandern wiederzufinden, weil ich weiB, woich sie verloren habe. Etwa ftinf Meilenvon hier habe ich getrunken und eine halbeMeile weiter habe ich absteigen mùssen,um mein Wasser abzuschlagen; beim Auf-steigen hat sich dann die Tasche an einer
Sattelschnalle aufgerissen und so ist dasGeld nach und nach herausgefallen. Bei
dem Wetter weiB ich aber, daB niemandhinter mir gekommen ist. Ich mòchte nun,
daB du so gut wàrest und morgen zeitlich
friih, wenn es nicht regnet, mit mir gingest
oder mir jemand mitgàbest; dann bekàmeich wohl den einen oder den andern Guldenwieder."
Kaum hatte er ausgesprochen, so be-
gannen sich auch schon die Bauern sachte,
sachte davonzumachen, zu zweit, zu viert,
zu sechst, und kein einziger blieb zuruck;
und sie zischelten miteinander, daB sie hin-
gehn wollten, um das Geld zu suchen undes dem Pfarrer zu stehlen.
Und alsbald zogen sie in ihren Kapuzen-mànteln, ohne sich viel um das heftige
Unwetter zu scheren, mit Fackeln und La-
seit der Mitte des 13. Jahrhunderts im Umlauf waren,gròBere und schwerere Gulden gepràgt; man nanntesie zum Unterschiede von den alten, die nun denNamen fiorini stretti erhielten, fiorini larghi. Sie
hatten den Wert eines venezianischen Dukatens.
92
ternen das Geld suchen; und auch ein Sohnund zwei Neffen des Wirtes schlossen sich
ihnen an. Aber sie hatten cine tibie Nachtund mehr als drei bekamen ein boses Fieberund unser Pfarrer saB beim warmen Herdeund die Bauern fanden das Geld im Traume.Am Morgen wollte ihm der Wirt die
Zeche schenken und wollte mit ihm gehnund ihm suchen helfen und wuBte nicht,
daB die Bauern in der Nacht darum ge-
gangen waren.
UNser wackerer Mitbtirger Sassetti, derrechtschaffene Kaufherr, sagte eines
Tages dem Pfarrer Arlotto, mit dem er sehrbefreundet war, er solle sich doch das hàu-fige Wirtshausgehn abgewòhnen.
Der Pfarrer sagte: „Ich nehme diese Er-mahnung an als die eines Freundes, der dumir ja, wie ich weiB, stets gewesen bist,
und erkenne an, daB du handelst, wie ein
Freund handeln soli. Ùber die Sache habeich aber schon einmal eine Auseinander-setzung gehabt, und zwar mit jenem Spiegel
der Heiligkeit und Schreine der Gelehrsam-keit, dem Erzbischof von Florenz BruderAntonino seligen Andenkens, der mir vonHerzen gut war und mit dem ich vertrautenUmgang hatte; der sprach mir eines Tagesvon dieser Geschichte mit dem Wirtshause,und als er mich recht liebreich tadelte, so
XXXV.Wie der Pfarrer aufdie sanften Vor~
wiirfe, die ihm Bar-tolommeo Sassetti
wegen seines allzu
hàufigenWirtshauslaufensmacht, mit so
weisen Griindenantwortet,
daB Sassetti nichts
erwidern kann.
93
wie jetzt du, antwortete ich ihm im wesent-lichen so, wie ich jetzt dir, Bartolommeo,antworten werde.
Ich habe, wie du weiBt, in Florenz einHaus, und dort habe ich fruher wegen derzwei Male, die ich wochentlich nach Flo-renz komme, eine Wirtschaft gefuhrt; dagingen nun im Jahre mehr als fiinfzig
Scheffel Korn und mehr als sechzig Fa6Wein auf, von 01, Salz, Holz, Fleisch, Kàseund anderm gar nicht zu reden, und ich
rechnete mir aus, daB ich so jàhrlich mehrals fùnfzig Gulden verzehrte. Dazu kamnoch der Mietzins von zwòlf Vollgulden,der mir auf diese Weise entging, und so
machte es im ganzen zweiundsiebzig Gul-den, um die die Pfarre geschàdigt wurde.Nun weifit du, daB ich ein geselliger Menschbin, und so liefen mir immer alle guten Ge-sellen, so viele ihrer in Florenz waren, zumAbendessen und zum Mittagmahle nach:
jetzt aber ist das umgekehrt, weil ich zuihnen gehe; und ali die Bauern aus unsererGegend samt ihrem Anhange, die fruher
stets zu mir kamen und die ich nie weg-gejagt hàtte, gehn jetzt zu andern oder ins
Wirtshaus. Fruher konnte ich mich nicht
ausruhen und keine Messe lesen, und aneine Erholung war iiberhaupt nicht zu den-
ken; jetzt komme ich seltener nach Florenz,
gehe dann zu meiner Muhme herbergen und
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esse bald bei dem, bald bei jenem, oder es
kommen meine Freunde und meine Kame-raden, die Seeleute, die ebensowenig ein
Haus oder Dach haben wie ich, und fùhrenmich aus Freundschaft in die Schenke undich gehe mit ihnen essen und meistens zah-len sie fùr mich, und manchmal sind es
wieder anstàndige Handwerker, die mich,
wenn ich kein Geistlicher wàre, in ihr Hausmitnàhmen, so aber, um ein gutes Werk zutun, in die Schenke fiihren, wo wir ehrlich
und nicht mehr als nòtig essen und trinken,
und sie bezahlen fùr mich, und ich gehe mitihnen nicht aus Gier oder Schlechtigkeit,
sondern nur aus Freundschaft und um sie
nicht zu krànken. Wo ist da etwas boses
oder eine Siinde oder eine Schande?Da der Erzbischof fand, daB ich die
Wahrheit gesagt hatte, gab er sich zufrie-
den; und wàhrend frùher dabei nichts
andres herauskam , als daB ich zweiund-siebzig Gulden fiir die Haushaltung ausgab,
so gebe ich jetzt funfe jàhrlich aus, und aus
dem ùbrigen Nutzen ergibt sich, daB jetzt
die Kirche um reichlich mehr als funfzig
Gulden im Jahre besser daran ist. Darummochte ich, daB auch du dich zufrieden
gàbest. Aber ich mochte dir auch noch ver-
sichern, daB alle lustigen Leute, alle, die bei
Christi Leichnam schworen, alle, die in die
Schenken gehn, alle, die es verschmàhen,
95
XXXVLWie der Pfarrer
Arlotto die Zechen,die er auf dem
Uccelatojo machte,mit Rotile an
die Wand schrieb.
vor den Heiligen auf den Knien zu rutschenund an die Brust zu klopfen, alle, dielachen, alle, die kein Greinen kennen, alle,
die vom Halsverrenken nichts wissenwollen, ehrliche, wackere und gute Men-schen sind; aber, Bartolommeo, vor denenhute dich, die allmorgentlich ein oder zweiMessen horen, die bei ihrem Gewissenschwòren \ die unterm Geldzàhlen bei
neunundzwanzig und dreiBig ,Gott sei
Dank' sagen und dann auf einmal, wenn dunicht richtig acht gibst, mit vierzig undzweiundvierzig weiterzàhlen, die, statt zulachen, kichern, die sich den Hals ausren-
ken und die Augen zu Boden schlagen. Alledie Leute, die in die Schenke gehn, seien sie
auch arm, sind ehrlich und gut, und darumschilt mich nicht mehr, Es sind wohl auchnoch keine drei Monate her, daB ich mit
meinem Wirtshausgehn zweimal eine Ver-
sòhnung gestiftet habe; und dabei hat es
sich das eine Mal um Mord und Todschlagund das andere Mal um schwere Ver-
letzungen gehandelt,"
A LsJT\. ai
dieser edle Herr, Messer Falcone
aus Rom, auf der Heimreise von jen-
seits der Berge, ich glaube von Frankreich,
in der Scarperia von Mugello eintraf,
1 Vgl. die 165. Facetie.
96
schickte er einen Boten zu S. Cresci nachMaciuoli und lieB dem Pfarrer sagen, dafi
er augenblicklich alles liegen und stehnlassen solle, um in das Wirtshaus auf demUccellatojo zu kommen und ihn dort zu er-
warten.
Der Pfarrer antwortete: „Sage demMesser, wenn ich auch kein Wandervogel
*
bin, so werde ich doch ebenso schnellfliegen."
Und nachdem er gefruhstuckt natte,
schlug er die StraBe nach Florenz ein undwartete auf dem Uccellatojo, bis MesserFalcone, der noch gegessen und etwas ge-ruht hatte, hinkam; sie begrtiBten sich undalsbald sagte Messer Falcone: „Vorwàrts,reiten wir nach Florenz."
Der Pfarrer sagte: „Gott hat mich aufdiese Welt kommen lassen, damit ich derPfarrer von S. Cresci in Maciuoli bin, undnicht damit ich ein Postreiter sei. Ich weiBnicht, ob Ihr seht, daB die Erde vor Hitzegluht, aber Ihr seid zehn Meilen gerittenund wollt auf der Stelle weiter, ohne anzu-halten; der Wirt hier hat den besten Weinweit und breit."
Nachdem sie sich etwas erfrischt undeinen ImbiB eingenommen hatten, wollte
1 Wortspiel mit den Namen Uccellatojo oderVogelherd und Falcone oder Falke; als Beizvogelwurde besonders der Wanderfalke geschàtzt.
Arlotto, Schwànke 97
der Sàckelmeister Messer Falcones bezah-len; der Pfarrer jedoch duldete es nicht,
ohnc aber selber dem Wirte das Geld zugeben, Er nahm vielmehr ein Stuck Kohleund machte zwei Striche an die Wand, ge-rade ùber der Haustur, wo schon derenmehrere waren, und sagte zum Wirte: „Ichhabe zwei Humpen angemerkt."
Messer Falcone, der das Benehmen desPfarrers beobachtet natte, verwunderte sich
baB und konnte sich nicht erklàren, warumoder wozu er die Striche an die Wand ge-
macht hatte; er sagte: „Sagt mir, Pfarrer,
vorhin habe ich gedacht, Ihr wolltet heute,
weil ich nicht bei Euerer Pfarre vorbei-
gekommen bin, zum bessern Willkommwenigstens meinen Wein bezahlen; indessensehe ich aber, daB ihn der Wirt bezahlt
hat."
Der Pfarrer sagte: „Er und ich habeneine Vereinbarung: wir haben noch andereVerrechnungen und die gehn wir alle Jahremiteinander durch und rechnen miteinanderab; so haben wir es mit Gottes Gnade schonan die vierzig Jahre lang gehalten, ohnedaB sich der kleinste Irrtum ergeben hàtte."
Messer Falcone sagte: „Ich habe nur ge-
sehn , daB der Wein , den wir getrunken
haben, nicht bezahlt worden ist, und daBIhr, ich weiB nicht, was fur Zeichen an die
Wand gemacht habt."
98
Der Pfarrer antwortete: „Wie viel Weiner mir im Jahre gibt imd was fùr Zechenich bei ihm madie, das merke ich an derMauer an; dann bei der Ernte rechnen wirab und ich bezahle ihn alljàhrlich mit Heuund Korn und so loschen wir gegenseitigunsere Rechnung. Dabei miiBt Ihr aberwissen, dafi ich sehr oft bei ihm esse undtrinke, weil er liebenswurdig mit mir ist
und mir guten Wein und gute Bissen gibt,
so dafi er mich besser pflegt, als meineKnicker zu Hause; und Pflege brauche ich,
weil ich alt bin."
Nun sagteMesser Falcone: „MeinerMei-nung nach ist das nicht sehr klug von Euch;kònnte er nicht zu den Strichen noch mehrals halbsoviel dazumachen?"
Der Pfarrer antwortete: „Freilich, aberich kònnte ihm drei Viertel wieder aus-loschen; das gute will gerade so getan undgelitten werden wie das bose."
Messer Falcone sagte: „Warum machtIhr aber die Striche an die Mauer?"
Der Pfarrer antwortete: „Da muB ich
Euch eine hùbsche Geschichte erzàhlen, dieich eines Tages von einem ordentlichenKaufmanne, Filippo Inghirlani mit Namen,gehòrt habe, als ich mit ihm und etlichen
Gesellen von mir bei einem gewissen Ber-nardo Rinieri zu Tische war: Ein ziemlich
unerfahrener Veroneser kam in Geschàften
7* 99
nach Lucca und blieb dort etwa drei Mo-liate; er herbergte bei einem Wirte, dem erein gewisses fùr die Zehrung und ein ge-wisses fiirs Bett bezahlen solite. Der Wirtmerkte die Mahlzeiten und, abgesondertdavon, die Nachtlager mit einem Messeran der Tur an. Nach Verlauf von drei
Monaten sagte der Veroneser: ,Rechnen wirab; ich will reisen.' Nun kamen sie wegender Zechen ins Streiten und schlieBlich
brachten sie die Sache vor den Richter; undder Veroneser leugnete und wollte nicht zu-geben, so viel Zechen gemacht zu haben,wie ihm der Wirt verrechnet natte. DerRichter fragte den Wirt: ,Sage mir, wie dumir beweisen willst, was er leugnet; er
sagt doch, er habe zu often Malen auBerdem Hause gegessen und uberdies auchdann und wann gefastet.' Der Wirt sagte:
,Ich habe keinen andern Beweis als meinekleine Aufzeichnung, die der Wahrheit ent-
spricht.' Der Richter sagte: ,Wo hast dusie?' und der Wirt antwortete: ,Zu Hause.'
Der Richter befahl ihm, sie augenblicklich
zu holen, und der Wirt ging nach Hause undbrachte auf seinem Riicken eine Tur, so
groB wie ein Tisch, mit, die er kaum zu tragen
vermochte, und zeigte die Merken, die er
mit dem Messer gemacht hatte. Der Richter
erwog die groBe Einfàltigkeit und Gutmutig-keit des Wirtes und gewann die Meinung,
100
er habe die Wahrheit gesagt; darum gab er
den Spruch wider den Veroneser ab undder bezahlte dem armen Manne auf derStelle, was er ihm schuldig war.
Aus diesem Grande und mit Rucksichtdarauf habe ich mich entschlossen, so zutun, wie ich tue; so weiB ich wenigstens,
daB der Wirt, wenn es schon zwischen unszum Streite kommt, die Mauer nicht zumGerichte schleppen kann, wie der in Luccadie Tur."
ALs eines Abends beim Mahle von ver-
schiedenen Dingen gesprochen wurde,schlug einer vor, jeder einzelne moge seine
Meinung aussprechen, wer die reinlichsten
Handwerker seien, die es gebe.
Da waren viel und mancherlei Ansich-ten; der eine pries den, der andere denandern.
Aber derPfarrer sagte: „Meine Meinunglàuft den euerigen schnurstracks zuwider;ich sage nàmlich, daB die Kalk- und Ziegel-
brenner die reinlichsten Handwerker sind."
Da begannen sie alle miteinander zulachen; so albera und unsinnig erschien
ihnen die Meinung, die der Pfarrer aus-
gesprochen natte.
Aber der sagte: „Ihr mogt mich ver-
lachen, wie Ihr wollt, so bleibe ich dochdabei und behaupte, daB die Brenner, die
XXXVII.Wer nach Arlottodie reinlichsten
Handwerker sind.
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XXXVIII.Was der Pfarrer
von den Mònchenhielt.
immcr nur mit Erde, Ziegeln und Kalk zutun haben, die reinlichsten Handwerkersind , die es gibt; derni sie gehn nie
scheiBen, ohne sich vorher die Hànde ge-
waschen zu haben."Nunmehr bekehrten sie sich alle und
gestanden, dafi der Pfarrer am richtigsten
geurteilt natte.
Die gescheitesten Menschen auf der Weltsind die Monche: sie brauchen unsere
Frauen und wir futtern sie und ihre Kin-der; wenn sie scheiBen gehn, so reinigen
sie sich den Hintern mit dem griinen Ge-miise, und wir sind so dumm, dafi wir es
essen.
XXXIX.Wie der Pfarrer
eines Morgens mit
seinem tràgen
und dummen MeB-helfer die Geduld
verliert.
JE mehr Miihe sich der Pfarrer Arlotto
gab, seinen MeBhelfer, der ein plumperund begriffstùtziger Junge war, zu unter-
weisen und zu belehren, desto mehr vergaBder, und alle Tage trieb er neue Torheiten,
und dagegen half nichts.
Als nun der Pfarrer eines Morgens bei
der Messe zum Kyrie eleison kam, das mit
dem Christe eleison neunmal gesagt wird,
lieB es ihn der MeBhelfer mehr als zwolf-
mal sagen, bis endlich der Pfarrer unwillig
wurde und sagte: „Kyrie eeeeeleeeeeison!
sag es meinetwegen, sooft du willst; das
letzte Wort habe doch ich."
102
Und das schrie er so laut, daB es liberali
in der Kirche gehort wurde und daB alle
Leute, die dort waren, lachen muBten.
ZEigt eine Hur dir Liebe, làdt dich ein XL.
Wirt zum Wein ein,den^e/pfarrìr zu
Umschmeichelt dich ein Hund und will eincen
sager
n pfiegte.ZU
Pfaff dein Freund sein,
So kannst du sicher wissen,
Du wirsts bezahlen mùssen.
AUf dem Heimwege von Rom besuchte
der Pfarrer Arlotto in Siena den Erz-
priester der Domkirche, mit dem er eng be-
freundet war; und nachdem sie einander
freudig begriiBt hatten , sagte der: „Esist mir sehr lieb und es hàtte mir nichts
angenehmers begegnen kònnen, als daB Ihr
heute gekommen seid, und ich mochte, daBIhr auf jeden Fall zwei Tage bei mir bliebet.
Morgen werdet Ihr sowieso nicht reiten
wollen, weil Sonntag ist, und ich will Euchden Aufenthalt lustig machen, da morgenAbend mein Neffe seine Braut heimfiihrt.
Mir wird es ein groBes Vergnugen sein,
Euch eine senesische Hochzeitsfeier zuzeigen."
Und am Abende des Sonntags gingen
sie zum Hochzeitsschmause, und gegen das
Ende des Schmauses begannen sie uber
allerhand vergniigliche Dinge zu sprechen.
103
XLLWie der Pfarrer in
Siena einen Neffeneines Freundes umein Paar Kapaunevor Gericht ver-
teidigt und wie erin dem Streite
durch seine
Pfiffigkeit obsiegt,
so daB die
gelehrten Herren,die ihn vorher ver-
spottet haben,als Esel dastehn.
Der Erzpriester und der Pfarrer safien
auf dem Ehrenplatzc am Tische bei denRittern und den Doktoren und den andernvornehmen und angesehnen Herrn.
Nun fragte der Erzbischof einen von denDoktoren: „Wie steht es denn um die Sachemeines Neffen? Wie wird sie ausgehn?"
Der Gefragte antwortete: „Ich glaube,
schlecht; es fehlt nur noch der dritte Spruchund gegen den gibt es dann keine Berufungniehr."
Und uber diesen Fall wurde ein langes
und breites geredet.
Der Pfarrer, der aufmerksam zuhorte,
begann, obwohl er die Sache noch nicht vonGrund aus kannte, ein wenig zu làcheln;
und als man ihn fragte, warum er lache,
sagte er: „Wenn ich auch den Fall, den die
Herren hier von Euerm Neffen erzàhlen,
noch nicht ordentlich gehort habe, so glaube
ich doch schon ùber den Hergang so ziemlich
im reinen zu sein, und mir scheint es ganz
leicht zu machen, dafi Euer Neffe gewinnt.
Wenn es Euch nicht làstig wàre, so mòchteich gern alle Einzelheiten horen."
Der Erzbischof rief seinen Neffen undsagte zu ihm: „Erzàhle dem Pfarrer da
deinen ganzen Streit und den Anfang des
Rechtshandels." Und der erzàhlte folgendes:
„Es ist noch nicht lange her, da kamenhier drei Seeleute an; sie hatten ihrem
104
Herrn ein Kauffahrteischiff genommen undes samt der Ladung um etwa neuntausendDukaten verkauft.
Nun erwogen sie, wo sic ihren Aufent-halt nehmen soliteti: Mailand und Neapelpafìten ihnen nicht, weil in beidcn Stàdtennur der Wille und die Macht eines ein-
zelnen gilt, Rom nicht, weil dort jedes Ver-brechen entdeckt wird, Venedig nicht, weildort gar zu viele Leute zusammenkommen,und Florenz nicht wegen der hohen Steuern;endlich kamen sie nach einer langen Aus-einandersetzung zu dem Schlusse, in un-serer Stadt bleiben zu wollen, und wàhltensie zu ihrer neuen Heimat.
Sie kamen alle drei in die Bank undgaben mir achttausendzweihundert Dukatenzur Aufbewahrung, mit der Abmachung undBedingung, dafì ich ihnen keine Zinsen solle
zu bezahlen brauchen und dafi ich ihnenvon dem Gelde nichts zuruckgeben dùrfe,
auBer mit der Einwilligung und imindlichenErmàchtigung, die alle drei gemeinsam zugeben hàtten; so schrieb ich es auch ein,
und so oft sie um Geld kamen, zahlte ich
es immer an alle drei aus, und einer vonihnen nahm es in Empfang.
Wie es nun òfters geschieht, beschloBeiner von den dreien, die zwei andern zubetrùgen; und eines Tages sagte er bei
Tische zu seinen zwei Gesellen: ,Wir leben
105
sehr unverniinftig und geben uns nach undnach aus; in den sechs Monaten, die wirhier sind, haben wir schon etwa fùnfhun-dert Dukaten vertan. Wenn wir so fort-
fahren, so werden wir in kurzer Zeit fertig
sein, und dann werden wir niemand finden,
der uns ins Gesicht schauen wollte. MeinerMeinung nach sollten wir in der Umgebungein SchloB kaufen mit zehn oder zwòlfMeierhòfen, die uns Brot, Wein, Fleisch,
Korn, Friichte und Holz fùr unsern Bedarfund zum Verkaufe bràchten/
Seine Gesellen antworteten: ,Das ist ein
guter Gedanke, und wir sind einverstandenund, weil ihn Gott dir eingegeben hat, so
ùbertragen wir dir den Kauf, und tu du in
dieser Sache, was dich gut dunkt und dir
gefàllt/
Darauf kam er zu mir und erzàhlte mir,
was sie abgemacht hatten, und ich redete
ihm noch zu, und er sagte zu mir: ,Es wàreaber notig, daB Ihr das Geld bereit hieltet.'
Ich antwortete: ,Das Geld steht immer zu
Euerer Verfugung; Gott sei Dank, ich be-
streite die Bank mit meinem eigenen Geldeund habe das Euerige noch selten an-
gegriffen. Sagt es mir nur ein paar Tagevorher und das genùgt/
Etwa ein Monat spàter, als die Zeit der
Vogelbeize war, wurden seine Gesellen von
einigen jungen Edelleuten eingeladen, mit
106
ihnen einen Monat auf ihren Besitzungenzu verweilen und sich mit der Jagd und derVogelbeize zu vergnùgen; sie nahmcn an,
und als der dritte hòrte, daB sie einenMonat wegbleiben wollten, begann er andem Betruge, den er sich einen Monat vor-
her ausgedacht natte, weiterzuarbeiten, kamzu mir und sagte: ,Ich glaube, ein hiibsches
SchloB mit etlichen Meierhòfen gefundenzu haben, das gut zu kaufen wàre, und ich
dàchte, man solite den Kauf bald ab-
schlieBen; ich sage dir das, damit du dasGeld in ein paar Tagen bereit hàltst.'
Ich antwortete ihm: fWenn Ihr das Geldin drei Tagen haben wollt, so wird es zuEuerer Verfiigung sein/
Heimgekehrt, sagte er seinen zwei Ge-sellen, daB die Sache bald zum Abschlussekommen werde.
Ein paar Tage darauf sollten die zweiauf die Vogelbeize gehn; und am Abendedes Vortages sagte der schlechte Menschzu ihnen: ,Morgen fruh sollt ihr zur Vogel-beize reiten, und ihr werdet vielleicht einen
Monat ausbleiben; da muBt ihr oder miissen
wir noch vorher um sechzig oder achtzig
Dukaten gehn, weil ich die Hausmiete zu be-
zahlen habe und auch in dieser Zeit Streu,
Korn, Brot und Wein einschaffen muB/An diesem Tage erinnerte er sie aber
nicht mehr daran; hingegen ging er zum
107
Bankhalter und sagte: ,Morgen oder viel-
leicht libermorgen komme ich um das Geld.'Am nàchsten Tage kamen einige von den
jungen Edelleuten zu friiher Stunde vor ihr
Haus und riefen die beiden Gesellen, sie
sollten sich sputen, und machten, um sie
anzutreiben, mit ihren Hunden, Beizvogelnund Pferden so lange Làrm, bis sie zuPferde gestiegen waren.
Als der schlechte Mensch sah, daB sie
im Begriffe waren, zu reiten, trat er ihnenentgegen und sagte: ,Habt ihr in der Bankgesagt, daB man mir das Geld geben soli?'
Sie antworteten: ,Wir haben nicht darangedacht; aber wir wollen noch schnell zuPferde hin und die Erlaubnis geben.'
Und sie kamen alle drei zum Bank-halter; und weil die zweie meinten, ihr Ge-sell spreche von den sechzig oder achtzig
Dukaten, wovon er ihnen am Abende vor-
hef gesprochen hatte, sagten sie in ihrer
Eile zum Bankhalter: ,Gib unserm Gesellen,
was er will und was er von dir verlangt.'
Der Bankhalter antwortete: ,Ich werdetun, wie Ihr sagt.' Da ihm aber der
schlechte Mensch zu oftern Malen von der
groBen Summe gesprochen hatte, verstand
er es auch so; und weitere Worte wurdenzwischen ihnen nicht gewechselt,
Nachdem die zwei weggeritten waren,
um ihr Vergniigen zu suchen, kam der dritte
108
von diesen schlechten Kerlen und behobsiebentausend Dukaten und ging mit Gottund machte sich davon, und niemand weiB,bis wohin er in dem Zeitraum dieses Monatsgelangt ist.
Die andern zwci kehrten zuriick undfanden ihn nicht zu Hause; sie kamen in
die Bank und fragten und ich erzàhlte ihnendie ganze Sache und daB ich meinte, er sei
auf dem Gute, das er, wie er mir gesagthabe, gekauft habe; dabei kam es zumStreite und endlich zur Klage wegen ihrer
zwei Drittel, und zwei Urteile sind schongegen mich ausgefallen. Fùr Montag binich wieder vorgeladen und erwarte dasdritte, und bis jetzt kostet mich der Handelschon zweihundert Dukaten."
Nun sagte der Pfarrer: „Ich verwunderemich baB uber die ausgezeichneten Dok-toren, die den Fall in den Hànden hattenund dich so jàmmerlich eingehn lieBen."
Und lachend fuhr er fort: „Ich will dir
ftir ein Paar Kapaune heraushelfen."Darob verwunderten sich alle Doktoren,
die dort waren, und sie hielten unsernPfarrer ftir einen Dummkopf. Und danngingen alle weg.Am Montage sagte der Erzpriester:
„Pfarrer, gehn wir unser Ungliick ansehn,wie nàmlich der Spruch gegen meinenNeffen gefàllt wird."
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Der Pfarrer lachte, und dann sagte erzu dem jungen Manne: „Nimm dein Buchund geh mit uns."
Die beiden Streitteile kamen mit ihrenAnwàlten und Fiirsprechern und ebensokamen viele Doktoren und Notare undScholaren und eine Menge Biirger, um derErorterung dieses so schwierigen Falles bei-
zuwohnen, und alle verwunderten sich, wo-her der Pfarrer die Kùhnheit nehme, einesolche Sache zu vertreten.
Als sich der Richter auf seinem Sitzeniedergelassen hatte, nahm der Streit derbeiden Teile und der Doktoren seinen An-fang; und in dem Augenblicke, wo derRichter den Spruch gegen den Bankhalterfàllen wollte, machte ihm der Pfarrer eine
Verbeugung und sagte: „Erlauchter HerrRichter, wenn Ihr nichts dawider hàttet, so
mochte ich, dafi Ihr mir, obgleich ich nurein armer Landgeistlicher bin, ein paarWorte erlaubtet."
Der Richter antwortete: „Messer, sagt,
was Euch beliebt."
Und der Pfarrer begann und sagte: „Ich
habe das Wesen dieses Streites wohl er-
faBt; ich weifi, dafi Ihr ein Hort der Ge-rechtigkeit seid, und verlange in dieser
Sache fùr diesen Bankhalter nichts andres,
als dafi ich, wenn es Euch beliebte, mochte,
dafi Ihr diese Eintragung selbst vorlàset:
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aus ihr werdet Ihr entnehmen, wieso undwie eigentlich diese drei Leute Schuldnerund Glàubiger sind."
Und die Eintragung im Buche lautete:
„Der und der und der sind Eigentùmer vonachttausendzweihundert Dukaten, die sie
mir in Hut und Verwahrung geben mitder Abmachung, daB ich ihnen weder be-stimmte, noch beliebige Zinsen zu gebenbrauche, und mit der Abmachung, daB ich
ihnen weder eine groBe, noch eine kleine
Summe auszahlen darf oder soli, es sei
denn mit dem ausdriicklichen Einverstànd-nis von alien dreien; dann aber soli ich dasGeld geben und bezahlen, wann immer sie
es wunschen und verlangen."
Als die Eintragung verlesen war, fragte
der Richter die Gegner des Bankhalters,nàmlich die zwei Gesellen, und sagte: „Ist
diese Eintragung so, wie sie nach EuermBedùnken und nach dem jedes ehrlichen
Menschen sein soli?"
Sie antworteten mit Ja und nun sagte
der Pfarrer zu ihnen: „Verlangt oder wollt
Ihr etwas andres, als daB der Richter denBankhalter zu dem verhalten solle, wasdiese Eintragung besagt?"
Sie antworteten , sie wollten nichts
andres.
Nun sagte der Pfarrer: „Ihr hort, wassie sagen. Von Stund an verzichtet dieser
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Bankhalter darauf, Gegenantràge zu stel-
len, ob er min recht hat oder nicht, und will
nur, daB die Eintragung eingehalten werde;und um nicht zu streiten, sagt er, er wolledie ausgezahlte Summe verloren haben undsie noch einmal bezahlen, aber sie sollen
alle drei kommen und ausnutzen, was die
Eintragung besagt, und auf eine andereWeise will er nicht zahlen."
Den Richter dàuchte es ein Wunder,daB der Pfarrer diesen unscheinbaren An-haltspunkt, der sonst alien entgangen war,
herausgefunden natte, und er gab denSpruch in diesem Sinne ab; und ùberdies
befahl er dem Bankhalter, von den sieben-
hundert Dukaten, die ihm noch von ihremGelde verblieben waren, nicht einen Heller
auszuzahlen, wenn nicht alle drei kàmen,um es zu verlangen.
Alle bewunderten den Pfarrer und dermachte sich nun auf den Weg nach Florenz,
und der Bankhalter gewann die siebenhun-
dert Dukaten, und die zwei Gesellen ver-
loren ali ihr unrecht erworbenes Gut undsie verlieBen Siena, um anderswo in Armutzu leben.
XLU. A N einem Samstage besuchte mich derWie der Pfarrer J\ Pfarrer Arlotto und sagte zumir: „Icheinen Metzger
, . . ,. . • dxi ein Sttick Kalb- kann morgen nicht m meiner riarre sein,
fleisch prellt, sondern muB hier in Florenz bleiben, und
112
um ein
da mòchte ich, daB du bei mir àBest; un- ihn aber spàter
angenehm ist mir dabei nur, daB mir das reichlich ent-
Geld fehlt, um Fleisch kaufen zu kònnen."'chadigt.
Ich antwortete: „Ich werde es Euchborgen, aber nicht wie es die Geistlichenwollen; ich will es nàmlich zuruckbe-kommen."
Er antwortete mir: „Wenn du es mirborgtest, so gàbe ich dir es auch zuriick;
aber ich will es nicht, weil ich keine Schul-den zu machen gedenke. Ich weiB ubrigensschon, wie ich es machen werde; kommmit."
Wir gingen zu einem Metzger, der Qua-zoldi hieB; der Pfarrer grùBte ihn undsagte: „Wie du weiBt, ist es schon einehùbsche Zeit her, daB wir uns kennen: nunwill ich etwas zu deinem Nutz und From-men tun und will dich tàglich zehn Soldieinnehmen lassen, an denen es dir nie man-geln soli, oder noch mehr, wenn du willst;
aber du muBt es dich etwas kosten lassen,"
Quazoldi sagte: „Ich bin bereit, Euch zugeben, was Ihr wollt."
Darauf antwortete der Pfarrer: „ImVerhàltnis zu dem, was ich verdienenwiirde, will ich nicht viel; du wirst mir vier
Pfund Kalbfleisch geben und dann werdeichs dich lehren."
Der Metzger gab ihm ein Stuck Kalb-fleisch von funf Pfund und acht Unzen; der
Arlotto, Schwanke I. 8 113
XLULWie der Pfarrer,
cls er mit einigen
Gesellen vonCasentino heim-
kehrt, den Mantelverliert, den er
auf dem Leibe
gehabt fiat.
Pfarrer schickte es nach Hause und dannsagte er: „Du wirst Quazoldi genannt; laBdich Quattordicisoldi * nennen, und ich will
der erste sein, der es tut, und auf einenandern Namen hòre nicht mehr."
Quazoldi sah, dafì ihn der Pfarrer ge-
foppt hatte, aber er wurde nicht àrgerlich.
Der Pfarrer und ich lieBen uns dasKalbfleisch schmecken; und der Pfarrer,
der, wie ich gesagt habe, voli Liebe undGute war, schickte dem Metzger, weil der
ein armer Mann war, zur Erntezeit um derLiebe Gottes willen sechs Scheffel Mehlund bezahlte so das Kalbfleisch.
Nicht unerwàhnt soli in diesem Bucheein lustiges MiBgeschick bleiben, das
dem Pfarrer zugestoBen ist; man kònnte es
fur ein Wunder halten, wenn dies nicht die
Fròmmigkeit verbote.
Der Pfarrer Arlotto reiste mit funf
Geistlichen nach Casentino zu S. Maria del
Sasso; als alter Mann, der er war, ritt er,
wàhrend die andern zu FuBe gingen, undweil er zu Pferde war, hatten ihm alle
andern ihre Mantel gegeben, Auf demRiickwege hielten sie sich bei Messer Gio-
vanni Boscoli auf, um bei ihm zu essen;
nachdem nun der Pfarrer abgestiegen war,
1 Quazoldi = vier Soldi; Quattordicisoldi
= vierzehn Soldi.
114
gab er die funf Màntel seinen Begleitern
zurùck, und dabei verlor er den seinigen,
den er auf dem Leibe natte.
Messer Giovanni empfing den Pfarrersamt seiner Gesellschaft mit Freuden undbewirtete sie.
Und der Pfarrer sagte: „Ich will Euchein Wunder erzàhlen, das mir heute ge-
schehn ist. Als wir aufbrachen, hàngteich mir meinen zerlòcherten Katalanier um;und damit die andern, die zu FuBe waren,besser ausschreiten kònnten, nahm ich ausMitleid ihre Màntel an mich, und jetzt be-
merke ich, daB ich den meinigen verlorenhabe, und getraue es mir vor Scham nicht
zu sagen, und von den Wundern, die ich in
dieser Welt gesehn habe, scheint es mirdas allergròBte."
E In witziges oder vielmehr drolligesWortsagte er eines Abends im Hause Messer
Carlos de* Medici1 zu Messer Falcone, derauf der Heimreise von Frankreich war. Ich
suchte den Pfarrer wegen eines Geschàftes,
1 Carlo de' Medici war ein unehelicher SohnCosimos und ein Bruder Pieros, des Vaters der zweiandern hier genannten Medici, und des oben in
der Facetie 12 genannten Giovanni; er gehorte demgeistlichen Stande an und war pàpstlicher Nuntiusin Toskana und (von 1460 an) Erzpriester vonPrato. 1492 ist er gestorben.
XLIV.Wie der Pfarrer
im HauseCarlos de* MediciMesser Falconeeine witzige
Antwort gegebenhai.
8* 115
das wir miteinander hatten, aber er warausgegangen, um mit Mcsser Falcone undMesser Carlo de' Medici zu esseri; es warim November und einigermaBen kalt. Ich
ging hin und er war eben mit einigen Edel-leuten, unter denen Lorenzo der Erlauchteund sein Bruder Giuliano de' Medici 2
waren, beim Feuer. Ich HeB mir ihn rufen
und er kam zu mir, und wir besprachenunsere Angelegenheit; es war um die zweite
Stunde nach Sonnenuntergang.Da sagte Messer Falcone: „Pfarrer, ist
es noch nicht Zeit zu essen?"Der Pfarrer antwortete: „Das unange-
nehmste fùr einen Renner ist, wenn ihm die
Bahn nicht geòffnet wird."
XIV.Wie sich der
Pfarrer an diesemAbende ent-
schuldigt, daB er
ein biBchenzu viel trinkt.
N diesem Abende kam der beste Weinauf den Tisch, den es in Florenz gab;
denn Messer Carlo, der in allem, was er be-
gann, freigebig und vornehm war, liebte
Messer Falcone herzlich und ihre Freund-schaft bestand schon seit einer langen Zeit.
Weil der Wein gar so edel und vortreff-
lich war und weil er Durst hatte und dannauch weil das Alter mehr zu trinken, als
zu essen gestattet, tat der Pfarrer stillver-
2 Giuliano de' Medici, geborcn 1453, wurde1478 bei der Verschworung der Pazzi ermordet; er
war der Vater jenes Giulio, der unter dem NamenClemens VII. den pàpstlichen Stuhl bestiegen hat.
116
gnùgt manchen Schluck und sah tief ins
Glas.
Dabei wuBte er aber sehr wohl, daB er
zu viel trank, und als er inne geworden war,daB es auch Messer Falcone und MesserCarlo und die andern, die bei Tische waren,bemerkt hatten, sagte er: „Ihr schaut, daBich Euerer Meinung nach zu viel trinke,
und bedenkt den Durst nicht, den ich habe;verwundert Euch daruber nicht: heuteNacht bin ich von Pisa auf einem Arnobootegekommen, das mit Salz beladen war, undhabe auf einem von diesen Salzsàcken ge-
schlafen, und das hat mich inwendig so aus-
getrocknet, daB ich meinen Durst binnenacht Tagen nicht werde loswerden, und vonungefàhr hat es am ersten Abende geradeEuch, Messer Carlo, betroffen,"
E Ines Morgens ging der Pfarrer die er-
habene Dame Monna Lucrezia \ die
Mutter des erlauchten Lorenzo de' Medici,
in Geschàften besuchen; und als er seine
Angelegenheit erledigt hatte , kam ihr
Sàckelverweser, ein gar trefflicher Mann,der Agostino Cegia hieB, und sagte: „Der
1 Lucrezia Tornabuoni war die Gattin Pierosde* Medici und die Mutter Lorenzos und Giulianos;sie ist 1482 gestorben. Die Hymnen, die sie hinter-
lassen hat und die auch im Drucke erschienen sind,
zeigen mehr Innigkeit als Kunst.
XLVI.Wie der Pfarrer
Arlotto einer vor-
nehmen Dameauseinandersetzt,
welchesgute Werk das
beste ist.
117
arme Teufel von einem Schustcr ist die
sechzehn Lire holen gekommen; soli ich sie
ihm geben?"Monna Lucrezia sagte: „Gib sie ihm";
dann wandte sie sich zum Pfarrer undsagte: „Das ist ein Almosen, das ich um derLiebe Gottes willen zur Ausstattung eines
Màdchens gebe, und auBer den zehn Lire
bar gebe ich ihr noch ein Kleid und einenRock um vierundzwanzig Lire, und dasselbeAlmosen lasse ich noch zwei andern gutenund rechtschaffenen Personen reichen."
Der Pfarrer sagte: „Ich weiB wohl, daI3
unter den guten Werken als die bestengelten, Màdchen auszuheiraten und die
Eingekerkerten zu befreien, sonderlich die
armen Menschen, die Schulden halber imGefàngnis sind, und ich gestehe auch, daBbeides gute und fromme Werke sind, undich hòre, Ihr ìibt sie fleifiig; aber ich weiBeines, das noch besser ist."
Monna Lucrezia begann zu lachen undsagte: „Und das wàre?"
Der Pfarrer sagte: „Ich habe keine Lust,
es Euch zu sagen, weil ich sehe, daB Ihr
lacht. Wàre ich einer von diesen prangen-den und aufgeblasenen Mònchen und hàtte
ich das, was ich jetzt gesagt habe, auf der
Kanzel gesagt, und bliebe ich dann eine
eine Weile stehn, wie in Gedanken ver-
sunken und verziickt, so stundet Ihr und
118
alle andern Zuhòrer vor lauter Begeisterung
mit offenen Mùndern da und glaubtet, Gott
weiB, was besonders zu hòren; weil es aber
nur der Pfarrer Arlotto ist, der es gesagt
hat, so lacht Ihr. Doch ich habe michanders besonnen und will es Euch immer-hin sagen. WiBt Ihr also, Monna Lucrezia,
welches gute Werk das beste ist und Gott
am lieblichsten?"
Sie antwortete: „Ich kann mir nicht
denken, dafi eins besser wàre als dieses."
Der Pfarrer antwortete: „Ich werdeEuch eines sagen, das besser ist, und das ist
dieses : das Gut der andern nicht zu nehmenund niemand um den Lohn seiner Muhe undseines SchweiBes zu bringen, sonderlich
nicht die armen Leute,"
IN Florenz ist auf dem Platze der Signori
eine Kirche, und vor und hinter ihr
sind viele Làden von Meistern verschiede-
nen Handwerks; weil nun der Platz, wo die
Kirche steht, nicht so ist, da8 die Damengern hingingen, so hòren die Messen dort
wenig Leute, und nur die Handwerker lau-
fen alle in dem Augenblicke hin, wo der
Leib des Herrn erhoben wird.
An einem Werktage ging der Pfarrer
hin, um eine Messe zu lesen; aber yondiesem Brauche der Handwerker wufite er
nichts.
XLV11.Warum der Pfarrer
Arlottoin der Kirche von
S. RomoloAngst bekommenhat und die Messenicht weiterlesen
wollte.
119
Als die Messe bis zur Hàlfte vorùberwar, làutete die Glocke zur Wandlung; undals der Pfarrer mit den stillen Gebeten be-
ginnen wollte, kamen ali die Handwerkerin der gewohnten Weise in die Kirche ge-
laufen, und in der Eile hatte hier ein Schnei-der die Schere, dort ein Schuster denKneip in der Hand behalten, und andereHandwerker andres Werkzeug.
Dann kamen viele Hàscher und Scher-gen, Soldaten und Stadtknechte gelaufen,
mit Schwertern und Dolchen an der Seite,
und die machten bei dem hastigen Kommenund bei dem Laufen ehien argen Làrm; dar-
ùber verwunderte sich der Pfarrer bafi undes begann ihm bange zu werden, weil er mit
den Umlagen und Zehnten der Geistlich-
keit im Riickstande war.Er wandte sich, wie wenn er hàtte aus-
spucken sollen, ein wenig um, und als er dadie Hàscher und Soldaten sah, zweifelte er
nicht, dafi sie beabsichtigten, ihn nur nochdie Messe fertig lesen zu lassen und ihn
sofort, wenn er vom Aitar weggehn werde,
zu greifen. Der Anblick der Handwerkerermutigte ihn zwar und er meinte, sie seien
vielleicht den Hàschern nachgelaufen, umihn zu verteidigen und ihn nicht gefangenwegfuhren zu lassen, weil er bei ihnen undin der ganzen Stadt sehr beliebt war; da er
aber furchtete, es konnte daraus ein Àrger-
120
nis entstehn oder ein groBes Ùbel erwach-
sen, beschlofi er, mit der geweihten Hostie
in der Hand zu warten.
Als die Leute den Pfarrer so starr
stehn sahen, verwunderten sie sich hòch-
lich und zwei Bùrger standen auf, um sich
von ihm sagen zu lassen, was es bedeute,
dafì er so unbeweglich dastehe und das
Sakrament nicht erhebe.
Er erzàhlte ihnen alles und darauf sag-
ten sie ihm, daB das von Alters her Brauchsei und daB er nichts zu befurchten habe;
er aber traute ihnen nicht und sagte: „Undwenn ich bis morgen frùh dastehn solite,
so gàbe ich den Herrgott nicht aus der
Hand."Und er las die Messe nicht eher zu
Ende, als bis ihm eine gute Sicherheit ge-
geben worden war.
M Esser Antonio von Cercina war zumSchiedsrichter zwischen dem Pfarrer
Arlotto und einigen reichen Bauern bestellt
worden. Als nun eines Tages der PfarrerArlotto in Cercina war und mit Messer An-tonio iiber diesen Handel sprach, kam eine
Frau und brachte Messer Antonio ein PaarHiihnchen, und nachdem sie ihr Anliegenvorgebracht hatte, ging sie ihres Weges.
Der Pfarrer Arlotto sagte: „Ihr tut
doch nichts andres als stehlen."
XLVIII.Wie der Pfarrerein Hiihnchen
kneitt, um einenihm
giinstigen Spruchzu erzielen.
121
Messer Antonio sagte: „Willst du sie
mir abkaufen? ich gebe sie dir billig."
Der Pfarrer kaufte die Huhnchen undnun sagte Messer Antonio:
„Alle sind nicht so undankbar wie du.Dieser Frau habe ich einen kleinen Dienstgeleistet und sie hat mir ein Paar Huhnchengebracht; und was fiir VerdruB ich schonin deinem Streite gehabt habe, das weiBtdu, aber Dank habe ich noch keinen von dir
gesehn. Was Teufel gibst du mir nicht
wenigstens diese Hùhner, die du mir ab-gekauft hast?"
Der Pfarrer sagte: „Einen groBern Diebals Euch habe ich mein Lebtag nicht gesehn!Soli es aber auf diese Hùhner ankommen,ob ich gewinne, so nehmt sie meinetwegen."Und er schenkte sie ihm aus Furcht.
Just in diesem Augenblicke kamen die
Gegner des Pfarrers und Messer Antoniosagte: „Fort mit dir, versteck dich, daB sie
dich nicht sehn."
Der Pfarrer versteckte sich mit denHuhnchen, die er noch immer in der Handhielt, hinter einer Wand; dort hòrte er alles,
was Messer Antonio mit seinen Gegnernsprach.
Die brachten ihm zwei Paar feiste Ka-paune und einige Rebhiihner. „0 weh,"sagte der Pfarrer zu sich selber, „die Sachegeht schief."
122
Im Gespràche mit den Bauern uber denHandel, den sie mit dem Pfarrer hatten,
neigte Messer Antonio einige Male auf ihre
Seite hin, und wann der Pfarrer horte, daBer gegen ihn sprach, kniff er das eine Huhnins Bein, bis sie alle beide laut kreischten;
das war Messer Antonio unangenehm under wurde verwirrt. Und als er wieder ein-
mal anfing, zu Ungunsten des Pfarrers zusprechen, lieB der die Hiihner dermaBenschreien, daB Messer Antonio die BauernentlieB; und dann sagte der zu ihm: „WasTeufel hast du mit den Huhnern gemacht?"
Der Pfarrer sagte: „Glaubt Ihr denn, ich
hàtte nicht gemerkt und erkannt, was Ihr
vorhattet? So einen Menschen habe ich
noch nicht gesehn; die Kapaune und die
Rebhuhner dieser Bauernflegel gelten Euchalso mehr als das Freundschaftsband, dasuns seit fiinfzig Jahren vereinigt, und als
alle Gefàlligkeiten, die ich Euch erwiesenhabe. Die zwei Hiihnchen, die ich Euch habeabkaufen mussen, haben Euch, wàhrend ich
sie in der Hand hielt, bescheiden an meineSache erinnert, und wenn Ihr nicht denSpruch zu meinen Gunsten fàllt, so werdeich nicht vielleicht nochmals die Hiihnchenschreien lassen, sondern selber schreien,
bei den Freunden und bei den Verwandtenund bei den fremden Leuten, was Euchvielleicht zu Schaden und Schande ge-
123
reichen wird, weil ich weiB, daB ich rechthabe."
Kurzum, der Pfarrcr crhielt den Spruchgegen die Bauern.
X¥X'
n ,I^Er Pfarrer natte in Fabriano, wohin sich
anstint umrQr *** in diesem Jahre Papst Nikolaus vor der
einen làstigen Karl ^est geflùchtet hatte 1, Geschàfte mit dem
los zu werden Hofe erledigt; als er dann heimritt, traf erund ihm Prùgel zu vier Florentiner, und die beschlossen, mit
verschaffen. ^m zu Unserer Frau von Loreto, dann nachAncona und endlich nach Florenz zu reisen.
Eines Abends herbergten sie in Mace-rata. Unter den fiinf Florentinern, die sie
nun waren, war der, der nach dem PfarrerArlotto der àlteste war, ein anspruchsvollerund widerwàrtiger Mensch, der auf niemandRiicksicht nahm, den er nicht zu brauchenglaubte; stets wollte er der Sprecher sein,
wollte vor alien geehrt sein und war in
allem, was er begann, ganz unverstàndig.
Am widerwàrtigsten war er dem Pfarrer
Arlotto, und der dachte nach, wie er ihn
sich und den andern vom Halse schaffen
kònnte. Als sie nun an diesem Abende zu
1 Der Pilgerstrom, der sich im Jubeljahre 1450
nach Rom ergoB, machte diese Stadt zum Haupt-herde der damals in Italien wiitenden Pest, so daBsich Nikolaus V. (Thomas Parentucelli) entschloB,
sich nach Fabriano in der Mark Ancona zuruckzu-ziehen.
124
Bette gegangen waren und das Licht aus-gelòscht hatten, verrichtete der Pfarrerseine Notdurft in die Stiefel des unan-genehmen Gesellen; der, der die Gewohn-heit natte, seiner kalten FùBe halber all-
morgentlich etwas warme Kleie in die
Stiefel zu tun, tat dies auch am nàchstenMorgen und zog sie an, ohne zu bemerken,daB verdautes Brot drinnen war.
Hierauf sagte der Pfarrer: „Ich will
vorausreiten zur gebenedeiten hi. Jung-frau."
Und als er in Loreto vom Pferde ge-
stiegen war, rief er den Wirt und sagte zuihm: „Ich habe vier Gesellen, die kommenhieher essen. Hast du etwas gutes, sowollen wir schlemmen; aber ich mòchteeinen Dienst von dir und will dir daheretwas erzàhlen, was sich auf unserer Reisezugetragen hat. Uns hat sich vor drei Tagenein Jude angeschlossen, ein zudringlicher
Mensch und ein Schwàtzer, und der be-làstigt uns mit seinen Zudringlichkeiten. Erwill mit uns essen und trinken, und nicht
nur das, er schàmt sich nicht, immler denEhrenplatz am Tische zu verlangen; wenndu es so zu machen verstùndest, daB er
nicht mit uns àBe, aber ohne daB wir ihn
dazu auffordern mtiBten, sondern als ob es
von dir ausginge, wàre ich dir sehr dank-bar. Damit du ihn kennst, sage ich dir, daB
125
er einen Braunen reitet, der an den Hinter-beinen weiBgesprenkelt ist, dafi er eineviolette Kapuze, eine schwarze Schaube undein rosenfarbiges Miitzchen tràgt und daBsein garstiger Blick den Juden verràt;
und wenn du ihm nahe kommst, so wirstdu bemerken, dafi er stinkt, wie ein Ab-tritt."
Der Wirt, der ein Marker 1 war, ant-wortete: „Messer, sage nichts weiter;
kommt er her, werde ich ihn dir so her-richten, dafi er von heute bis in achtTagen weder dich, noch andere belàstigen
soli"
Kaum war der Pfarrer in die Kirche vonUnserer Frau gegangen, um die Messe zuhoren, als auch schon seine Begleiter an-kamen; sie stiegen ab und gingen auch in
die Messe. Und als die zu Ende war undsie ihre Andacht verrichtet hatten, begabensie sich ins Wirtshaus zuriick, wo inzwischendas Mittagsmahl vorbereitet worden war.
Der Wirt wollte das Wasser fin* die Hàndeherumreichen und unser Jedice 2 wollte der
erste sein; als darum der Wirt zu ihm trat,
erkannte ihn der auch schon nach der Be-schreibung und auch an dem Gestanke, der
von ihm ausging, und sagte zu ihm: „Gesell,
1 Aus der Mark Ancona.2 Die alten Drucke haben Thedice oder Tedice.
126
fiir dich ist das Wasser nicht; du wirstnicht mit diesen rechtschaffenen Mànnernessen."
Und alsbald kam es zu einer Ausein-andersetzung zwischen ihnen, und der Wirtwolltc es ihm ttichtig geben und sagte:
„Du Schuft von einem hebràischen Gift-
mischerVJedice antwortctc: „Ich bin ein besserer
Christ als du."
Wiitend packte ihn der Wirt am Armeund schrie: „Hinaus mit dir, du jùdischerVerràter; du sagst, du seist kein Hebràer,und dabei stinkst du wie ein Hund."
Als sich Jedice daraufhin davonmachenwollte, sagte der Wirt: „Geh meinetwegenzum Teufel, aber zuerst wirst du mich be-zahlen."
Jedice zog es vor, nicht zu streiten, undging an den Gesindetisch und behalf sich
dort so gut, wie er konnte, und bezahlte umeinen Bolognino mehr als die andern; unddazu mufite er noch vom Wirte eine tiich-
tige Tracht Priigel und StòBe einstecken.Da er iiber seine Gesellen màchtig erbost
1 Im Texte: Ebreo Samalech ribaldo. Sama-lech soli wohl nach einer giitigen Mitteilung Pro-fessor Dr. Wùnsches (Dresden) eine Zusammen-setzung von Sam (Spezerei, Gift) und malach (be-reiten, machen) sein, so daB der Sinn mit „Gift-mischer" gut wiedergegeben erscheint.
127
war, brach er nach Ancona auf, ohne ihncnetwas zu sagen; er argwòhnte, daB sie sich
mit dem Pfarrer Arlotto verabredet hàtten,
um ihm also mitzuspielen. Und in Anconaherbergte er bei Giovanni degli Agli, wàh-rend der Pfarrer und die andern ins Wirts-haus gingen.
Als ihm dann am Abende GiovannisDiener den Stiefel auszog, stròmte die
Kleie, die sich mit dem verdauten Brote zueinem Teige verbunden hatte, einen so
ùbeln Gestank aus, daB der arme Dienerschier ohnmàchtig auf den Rucken fiel.
Spàter erfuhr Jedice, daB ihm diesen
Streich der Pfarrer gespielt hatte; er warauch von nun an nie sein Freund und auchnicht der der andern drei.
£• \Y7"Ie mànniglich bekannt, ist Fiesole eine
dtnVilarr2r ™ der alten Stàdte der Welt und ist
von Fiesole und beute gànzlich herabgekommen ;gerade daB
dessen Schreiber noch aus der alten Zeit die Domkirche dortins Gefàngnis verblieben ist samt dem Bistum, das aber
sperrt. wenig wert ist und wie die Stadt von denMotten gefressen wird. Und weil der
Bischof nur geringe Einnahmen hat, hàlt er
dort nur unfàhige Beamte und Diener. Sowar auch zur Zeit dieses Bischofs Vikar
einmal ein gutmùtiger Mann, der aus lauter
Giite alles, was er in Bologna gelernt hatte,
in dieser Stadt gelassen hatte; weil er aber
128
so gemùtsvoll gewesen war, der Stadt Bo-logna ihren Ruf als Muttcr der Weisheitnicht nehmen zu wollen, so weiB maneigentlich nicht, warum er diese Weisheitin Bologna gelassen hat, wo er doch wederan Wissenschaft, noch an Verstand hàttezu viel haben kònnen, da ihn sein Vater als
unachtsamer Mann hatte an einem Sonn-tage taufen lassen, als gerade dem Priester
das Salz ausgegangen war und es keins zukaufen gab, weil der Speicher des Sonntagshalber ebenso geschlossen war wie die Ver-kaufslàden.
Der Pfarrer, der ja ein kluger Mann war,erkannte augenblicklich, wie es mit seiner
Sinnesart und seiner Gelehrsamkeit be-schaffen war, brachte ihm aber als seinemVorgesetzten Ehrerbietung entgegen. Alsnun eines Tages vor dem bischòflichen Ge-richte gegen den Pfarrer verhandelt wurde,weil ihn eine Frau angeklagt hatte, er habeihren Sohn, der drei Jahre als MeBhelfer bei
ihm gewesen sei, nichts sonst gelehrt als dasOffizium Unserer Frau , behauptete derPfarrer, er habe ihn nicht nur die Pflichtender Frau, sondern auch die des Mannes 1
gelehrt: die der Frau, wie den Tisch be-
1 Das Wortspiel des italiànischen Textes kannim Deutschen nicht wiedergegeben werden: l'ufficio
della donna heifit sowohl „das Offizium der hi.
Maria", als auch ,,die Pflicht der Frau".
Arlotto, Schwànkel. 9 J29
stellen und abràumen, kochen, Schiisseln
waschen, fegen, die Betten machen und keh-ren, und die des Mannes, wie Vorschneidenbei Tische, Fleisch und andre Dinge ein-
kaufen und ein Pferd striegeln, fiittern undtummeln.
Den Vikar bedàuchte es, dafi sich derPfarrer ungebuhrlich gegen ihn betrage;
und nachdem er sich mit ihm eine Weile ge-
àrgert hatte, gedachten er und sein Schrei-
ber, ihn hinterlistig einzusperren.
Der Pfarrer aber merkte ihre Absicht,
und durch List und durch Kraft — er wardamals noch ein junger Mann — gelang es
ihm, alle beide ins Gefàngnis zu sperren,
und er schlofi sie ein und nahm die Schlùssel
mit. Dann ritt er nach Prato, wo derBischof eben zu seiner Lust verweilte,
brachte ihm die Schlùssel und erzàhlte ihmdie Geschichte.
Der Bischof hatte daran seine nelle
Freude und liefl die zwei etwa acht Tage imGefàngnis und belobte den Pfarrer fùr denveriibten Streich. Und nach den acht Tagenliefi er sie heraus und jagte den Vikar zumTeufel.
LI.
Wie der Pfarrerden HeberkrankenSer Venturazugedeckt hai.
DEr Pfarrer Arlotto ging Ser Ventura be-
suchen und fand, da6 er an einem Fieber
erkrankt war und Frostschauer hatte; undder Kranke sagte: „Seid willkommen,
130
Pfarrer; mir geht es schr schlecht und ich
hoffe auf Euern Beistand. Die da hohnenmich nur; seht, ich komme vor Kàlte um:laBt mir um Gottes wiìlen noch ctwas zumzudecken bringen."
Da der Pfarrer sah, daB schon alle
Tiicher und Kleider, die nur im Hausewaren, auf ihm lagen und daB er trotzdemschrie, ging er hinab in den Garten und holte
mit etlichen Bauern einen màchtigen Stein-
block herauf, der im Sommer dann undwann statt eines Tisches diente; der Steinhatte gute funfhundert Pfund, so daB ihndie Bauern kaum tragen konnten, und er
lieB ihn dem Kranken auflegen. Dannsagte er: ,,Seid Ihr jetzt gut genug zu-gedeckt?"
Ser Ventura antwortete: „Ja, ja, ich
danke Euch sehr; kommt mich doch òfter
besuchen." Und der Pfarrer sagte ihm dasbereitwilligst zu; dann beurlaubte er sich
bei ihm und sagte: „Leb wohl, Ser Ventura,und beruhige dich; lang kann das nichtdauern: entweder du wirst gesund oder dustirbst."
Nachdem der Pfarrer gegangen war,machte das kalte Fieber dem hitzigen Platzund Ser Ventura wollte sich der Deckenentledigen; als er fand, daB der Stein aufihm lag, schrie er, das Haus sei ihm aufden Leib und das Bett gefallen.
9* 131
UhVon einem
unangenehmenKlange.
LUI.Was fiir eine An-weisung der Pfarrer
einigen Freunden,die ihn auf seiner
Pfarre besuchthaben, vor demSchlafengehngegeben hat.
WEnn die Fiasche klingt, ist es ein
Zeichen, daB sie leer ist; wenn derSchwengel * klingt, so ist es ein trauriges
Zeichen, daB er nicht bei seinem BewuBt-sein ist.
SEr Giovanni Buonaccorsi und mir fiel es
ein, unsern Pfarrer zu besuchen, weil
es schon etwa vierzehn Tage waren, daBwir ihn in Florenz nicht gesehn hatten.
Als wir hinkamen, erfuhren wir, daB er
krank gewesen war; aber wir fanden ihnschon wieder gesund und munter.
Er bewirtete uns und wir unterhielten
uns trefflich; und als wir am Abende schla-
fen gingen, stellte er uns einen Humpen auf
die Truhe und sagte: „Ihr wiBt, wo der Ortist; wenn ihr aber in der Nacht das Wasserabschlagen wollt, und es ist euch zuwider,
aufzustehn, so piBt in den Humpen, undwenn es euch wegen der Kàlte oder aus
einem andern Grunde làstig ist, den Armauszustrecken, um nach dem Humpen zulangen, so nehmt aus euern Borsen vier
Groschen und legt sie auf das Kopfbrett
und scheiBt und piBt ins Bett."
Es wurde nicht notig, daB wir das ge-
macht hatten.
1 Schwengel [batisteo] ist wohl in derselben Be-deutung zu nehmen wie in der 17. Facetie; trotzdemist der Sinn des Ganzen unverstàndlich, wie schonBaccini bemerkt.
132
EIner, der sich fur besonders gescheit
hielt, sprach von vielen Dingen, die ihn
wundernàhmen.Der Pfarrer antwortete ihm: ,,Mich wun-
dert noch mehr als dich und sonderlich sind
es vier Dinge, und ich mochte, dafi du mu-da meine Zweifel aufklàrtest; und die sind:
warum das Meer nicht wàchst, obwohl es
doch so viel hineinregnet, und warum es
trotz dem vielen Salze stinkt, wieso sich
die Ratten nicht am Stroh die Augen aus-
stechen, warum die Armen nicht die Reichenumbringen, wo sie doch in der Mehrzahlsind, und wieso den Frauen nicht die Ein-
geweide herausfallen, wann sie Stiegen
steigen."
L1V.Wie der Pfarrereinem Menschengeantwortet hat,
der sich auf denWeisen
hinausspielte.
DEr Pfarrer sagt ofters: „Hùte dich vor
jeder Vertraulichkeit mit einem Men-schen, der eine bòse Zunge hat; denn keinTier auf der Welt ist giftiger, keine Krank-heit tuckischer, als eine schlechte Zungeund ein mit uns vertrauter Feind."
LV.Ein hiibscher
Spruch desPfarrers Arlotto.
BEi einer Fahrt nach Flandern hatte derPfarrer mit einem Pisaner, Monciatto
mit Namen, der Aufseher der Ruderknechtegewesen war, gewisse Geschàfte auf ge-
meinsame Rechnung gemacht; als sie nunbeide nach der Ankunft der Galeeren in
Pisa ans Land gestiegen waren, sagte er zu
133
LVI.Wie Meister
Mariano von Sienaden Pfarrer Arlottound dessen Gesellen
mit Grillen
vergleicht.
ihm: „Du weiBt, was fur Geschàfte wir mit-einander gemacht haben; bleiben wir ein
biBchen zusammen, weil wir, wie du weiBt,
nichts geschriebenes haben, ich mich hin-
gegen an alles erinnere."
Wàhrend sie nun in der Halle der Kata-lanier ihre Rechnungen durchgingen undabschlossen, war in ihrer Nane MeisterMariano von Siena und der erzàhlte geradeeine Geschichte; es ist ja die Art dieser
Quacksalber, bevor sie ihre Theriakbùchs-chen verkaufen, den Marktschreier zumachen, um so mehr Leute anzulocken.
Nun wurde ihm der Làrm, den derPfarrer und Monciatto knapp hinter ihmmachten, sehr làstig; und weil sie ihmdurch ihr lautes Sprechen geradezu dasWort aus dem Munde nahmen, sagte er
erbost zu seinen Zuhorern: „Ich muB diese
hiibsche Geschichte abbrechen oder auf
spàter verschieben; ich will euch dafùr
eine andere erzàhlen und dann SchluBmachen."
Und er sagte, es gebe unter den un-zàhligen Tieren, die im Wasser und auf demLande seien, drei, die eigentumlich lebten:
das eine esse wohl, trinke aber nicht, unddas sei der Holzwurm, das andere trinke,
aber esse nicht, und das sei die Mostfliege,
nàmlich der winzige Schmetterling, der
immer um die Weinfàsser und Mostbottiche
134
zu finden ist, und das dritte sei die Grille,
die nicht esse und nicht trinke und vomZirpen und Schwatzen lebe.
„Und wenn ihr mir nicht glaubt, seht
ihr die zweie da? Das sind solche, die
jetzt weder essen, noch trinken, aber der-maBen schwatzen, daB ich die Geschichtenicht habe zu Ende bringen konnen, weilsie mir schon den Kopf wirblig gemachthaben."
Der Pfarrer, der es nicht gemerkt hatteund auch nicht gedacht hatte, dafi er
ihn stòre, hatte ebensowenig wie sein Ge-sell etwas von dem gehort, was MesserMariano gesagt hatte; als sie ihre Rech-nung glatt gemacht hatten, gingen sie ihrer
Wege.Und nachdem Meister Mariano ausge-
predigt und seine Bùchschen verkauft hatte,
verliefen sich die Leute.
Einige von diesen Gesellen, die ihm zu-gehòrt hatten, trafen, als sie auf einenTrunk gingen, den Pfarrer und Monciattound begannen zu lachen und erzàhltenihnen, was Messer Mariano gesagt hatte.
Der Pfarrer hielt sich fiir verspottet undsagte zu ihnen: „Ich werde mich ràchen;denn meiner Treu, keiner von uns beidenhat geahnt, dafi wir ihn stòrten, und wirsind weggegangen, ohne uns uberhaupt umsein Tun gekummert zu haben."
135
WJft A M nàchsten Sonntage begann Messer
Pfarre/anMeìsterJ^^ Mariano von Siena an dem nàher zu
Mariano ràcht. $* Michele gelegenen Ende der Alten Brùckein Pisa zu quacksalbern; als ihn der Pfarrersah, ging er zu S. Michele und rief ein
Monchlein und sagte zu diesem: „Ich mochteeine Gefàlligkeit von dir." Und er gab ihmeinen Groschen und sagte: „Wenn ich dasund das Zeichen gebe, so làutest du heftig
Feuer; und hore ja nicht fruher auf, als bis
ich dirs sage."
Der Schlingel von einem Mondi ver-
sprach es.
Unterdessen hatte Messer Mariano seine
Schnurre fertig erzàhlt und nahm die
Theriakbùchschen zur Hand, um mit demVerkaufe zu beginnen; es war an diesemTage eine auBerordentliche Menschenmengeda, so dafi er zwei Dukaten zu lòsen hoffte.
Als der Pfarrer die Buchschen in seiner
Hand sah, gab er dem Monche das Zeichen,
und alsbald begann der heftig Feuer zulàuten.
Daraufhin begannen ali die Menschennach verschiedenenRichtungen auseinander-zulaufen, um zu sehn, wo es brenne; undMesser Mariano blieb allein und verkaufte
auch nicht ein einziges Buchschen.Bald hatte er den ganzen Hergang er-
fahren und daB ihn der Pfarrer und Mon-ciatto nicht mit Absicht gestort hatten; nun
136
tat ihm die Geschichte von den dreierlei
Tieren leid und er machte Friede mit dcmPfarrer und gab ihm auch den Groschenzuriick, weil er Angst hatte, der Pfarrerkònnte sich noch hàrter ràchen. Und vonnun an waren sie fùr immer Freunde.
E In junger Geistlicher, der mit demPfarrer befreundet war, hatte sich in
fiinfzehn Jahren etwa vierzig Gulden zu-
rùckgelegt, und die hùtete er wie seinenAugapfel; da er aber liistern nach Gewinnwar, sagte er eines Tages dem Pfarrer, dafi
er sich mit ihm einschiffen wolle. DerPfarrer riet ihm ernstlich ab; aber dafruchtete weder die Geschichte von denDrosseln, noch sonst etwas, und der Geist-
liche lieB es sich auf keine Weise nehmen,mitzufahren. Der Pfarrer brachte ihn also
auf einer von unsern Galeeren als Kap-lan unter.
Bevor sie noch nach Briigge kamen, warer dem Pfarrer schon in alien Hàfen, die
sie anliefen, mit seinen Kaufgeschàften aufdem Halse, als ob er die Gulden nur so zuTausenden in der Tasche gehabt hatte; undkaum waren sie in Flandern und hattennach ihrer Landung in Sluis die StadtBriigge betreten, als er so viel ùber seine
beabsichtigten Einkàufe zu schwatzen be-gann, dafi er dem Pfarrer verhaBt und zum
LVIII.Wie der
Pfarrer Arlotto in
Briigge einen Geist-lichen veranlaBtt
ein Armensunder-kleid zu kaufenund anzuziehen,und was daraus
entsteht.
137
Ekel wurde. Und als er ihn eines Tagesbesonders belàstigte, beschlofi der Pfarrer,
ihm endlich seinen Willen zu tun.
Dort zu Lande ist ein Brauch oder viel-
mehr eine Verordnung, daB die armen Sun-der auf ihrem letzten Gange ein langes
Kleid aus dem feinsten Tuche tragen, das
im Winter mit Pelz und im Sommer mit
Seide gefuttert ist, so daB es wohl sechzehn
Dukaten wert ist, und ich glaube, es ist gelb
oder grùn; und wann die Hinrichtung voll-
streckt ist, bekommt es der Henker als Teil
seines Lohnes.Sein Gewinn daraus ist nicht so klein,
weil die Verordnung im ganzen HerzogtumeBurgund gilt; und der Henker verkauft
diese Kleider an die Trodler, und die
mùssen sie wohlfeil abgeben, weil sie nie-
mand zu einem andern Zwecke kauft, als
um sie zu zertrennen oder um sie weiter-
zuverkaufen.
Weiter ist aber dort noch Brauch, daBdie Kinder jeden, den sie ungliicklicher-
weise mit einem solchen Kleide am Leibe
sehn, so lange steinigen, bis er es von sich
wirft.
Das wuBte der Pfarrer alles; auch
sprach er ein wenig vlàmisch.
Als er nun mit dem Geistlichen durch
die Stadt ging, sagte er zu ihm: „Hier gibt
es das beste Tuch, und billiger ist es nir-
138
gends; willst du etwa ein Kleid kaufen?"Der Geistliche bejahte.
Sie traten bei einem Tròdler ein, und denfragte der Pfarrer auf vlàmisch, ob er ein
Armensùnderkleid habe; und nachdem er es
hatte bringen lassen, sagte er zu dem Geist-
lichen: „Das ist das, was du brauchst; ge-
fàllt dir die Farbe nicht, so laB es in Florenzfàrben."
Sie kauften es um vier Goldscudi; wertwar es mehr als zehn und gekostet hatte es
uber sechzehn.
Als es aber der Geistliche wieder aus-ziehen wollte, sagte der Pfarrer: „Hierkennt dich niemand und es steht dir gut;
wàre ich an deiner statt, ich wiirde es an-behalten." Und sie bezahlten den Hàndlerund gingen weg.
Sie waren kaum einige Schritte ge-gangen, als der Pfarrer sah, daB die Kinderdie Sache bemerkten; darum entfernte ersich von dem Geistlichen. Und da kamenauch schon die Kinder gelaufen, mit Fall-obst, mit Steinen und mit anderm widerwàr-tigen Zeug, um dem Geistlichen ùbel mitzu-spielen; und dann stiirzten sie sich auf ihnund rissen ihm das Kleid vom Leibe undzerfetzten es, und hàtten ihm nicht etliche
rechtschaffene Menschen beigestanden, sowàre es mit ihm vorbei gewesen.
Auf diese Weise wurde ihm der Einkauf
139
LIX.Wie der Pfarrereinen vorwitzigenMenschen, der
alles wissen wollte,
um einige Dingegefragt hat.
so verleidet, daB er keinen mehr machteund auch mit dem Pfarrer nicht mehr davonsprach.
EInes Tages sprach der Pfarrer Arlotto
mit einigen Leuten, unter denen einer
war, der sich fiir einen Weisen hielt; undder begann Fragen ohne Kern und Sinn zustellen, wie zum Beispiele: „Warum hat es
Gott nicht so gemacht? er hàtte es auf die
und die Weise tun sollen. Warum hat er
uns nicht alle zu Christen gemacht? warumgibt es Juden und Mauren?"
Als er lang genug geplappert hatte,
sagte der Pfarrer: „Ich will dich nicht umtheologische Falle und Gegenstànde, son-
dern nur um geringe und niedrige Dingefragen. Warum ist der Beere der Traubeeine so wenig widerstandsfàhige Hùlle ge-
geben, daB sie ein Tautropfen gefàhrdet
und versehrt, wo doch die Traube eine so
edle Frucht ist in Anbetracht des edeln Saf-
tes, den sie liefert, und wie viel Kraft undNahrung sie gibt, und warum hat hingegender Pinienkern, der nicht so edel und nùtz-
lich ist, Wehr und Waffen zu seinemSchutze? Ich frage dich, warum ist die
Wade nicht vorn am Beine, so daB das
Schienbein geschiitzt wàre, das man sich so
oft und alle Augenblicke anstoBt und das
ungeschutzt ist, wàhrend die Wade nie eine
140
Verletzung erleidet. Weiter mòchte ich
wissen, warum der Kot der Ochsen nicht so
sufi und edel ist wie der der Biene; meinemBedùnken nach solite es umgekehrt sein.
Ich bin der Meinung, dafi der Natur in
vielen Dingen, sonderlich aber in diesen
dreien, der richtige Blick gemangelt hat.
Und diese drei mòchte ich, dafi du mir auf-
klàrst, weil ich sie nicht verstehe."
Und dann sagte der Pfarrer: „Nunkannst du sehn, dafi du ein ganz unvernùnf-tiger Mensch bist, weil du Streit und Eròrte-
rung iiber theologische Fragen fuhren willst,
wo du nicht einmal diese geringfùgigen
Zweifel aufklàren kannst."
E Ines Tages hatte der Pfarrer einenWort- LX.
wechsel mit einem Burger und der ging ^ie sich dVzum Erzbischof klagen; der Erzbischof liefi Erzbischofden Pfarrer holen, aber der verteidigte seine gegen die AnklageSache so gut, dafi sie alle beide entlassen eines Btirgers
wurden. verteidigt.
Der Grund und Anlafi des Streites wargewesen, dafi der Pfarrer seinen Hund, der
Rotzlòffel hiefi, mit diesem Namen gerufenhatte, als gerade der Burger vorbeigegangenwar; der hatte sich dadurch fùr verhòhntgehalten, und so hatte der Pfarrer seinen
Hund zum Erzbischof bringen mussen, umihm zu beweisen, dafi das sein wirklicher
Name war.
141
LXLWie sich
der Pfarrer beimErzbischofe ver-
teidigt, als er demHauptmanne
der Stadtknechte
Als sie, nachdem sie vom Erzbischof ent-
lassen worden waren, die Stiege hinab-schritten, schmàhten sie einander.
Der Pfarrer, der nie zornig wurde, sagte:
„Ich habe dir doch bewiesen, daB du ein
rechter Zipfel * bist."
Dieses Wort àrgerte den andern so, daBer wieder hinauflief und noch einmal vordem Erzbischof klagte und ihm sagte, wasihm Arlotto gesagt natte.
Auch der Pfarrer kam wieder hinauf,
und als er sich verteidigen wollte, sagteder Erzbischof: „Ist es wahr, dafì du ihmeinen so unanstàndigen Namen gegebenhast?"
Der Pfarrer antwortete und sagte: „Gnà-diger Herr, er ist ein Narr; glaubt Ihr denn,daB ich so etwas gesagt hàtte? Es ver-
drieBt mich, daB er Euch so wenig Achtungbezeigt, mich an einunddemselben Tagezweimal hieherkommen zu lassen, einmalRotzloffels halber und das andere Malwegen des Zipfels/'
DEr Hauptmann der Stadtknechte vonFlorenz wollte einem Pfarrer, der in
der Nàhe des Pfarrers Arlotto, bei S. Bar-bara, wohnte, eine Schussel Kalbsgekroseund Kalbshoden schicken.
1 Im Originale zugho.
142
Der, der die Schiissel trug, verwechselte eine Schtissel
die Tur und trug sie zum Pfarrer Arlotto; Kalbsgekróseweg-
er richtete ihm die Botschaft aus und sagte:^gessen hai.
„Der Hauptmann der Stadtknechte schickt
Euch diese Schtissel und làfit Euch sagen,Ihr sollet das Gekròse und die Hoden dagut zubereiten lassen, und er wird mit einemFreunde zu Euch essen kommen."
Der Pfarrer merkte es zwar, dafì derBote die Turen verwechselt hatte, sagteaber zu ihm: „Sag dem Hauptmanne, ermòge kommen, wie es ihm beliebt."
Und er beeilte sich, die geschenktenSachen zu kochen; und er fand auch etliche
Gesellen, die noch zur rechten Zeit kamenund es sich wohl schmecken lieBen,
Zur Essensstunde kam der Hauptmannmit einem Freunde zu dem andern Pfarrerund sagte zu ihm: „Sind wir rechtzeitig ge-kommen?"
Der antwortete: „Wozu?"Der Hauptmann sagte: „Habe ich Euch
nicht heute fruh die Schtissel mit dem Ge-kròse und den Hoden geschickt und Euchsagen lassen, da6 ich zu Euch essen kom-men wtirde?"
Der Pfarrer antwortete: „Hieher ist
nichts gekommen; ich habe vor einer Stundeein paar Bissen Hammelfleisch gegessen/'
Àrgerlich entfernte sich der Hauptmann.Er ging der Sache nach, kam ihr auch auf
143
den Grund und hatte mit dem Pfarrer Ar-lotto eine Auseinandersetzung. Dann ginger sich zum Erzbischof beschweren und derliefi den Pfarrer Arlotto holen. Als er ihnnun heftig schalt, sagte der Pfarrer: „Ichbin der, der sich zu beschweren hatte:
heute morgen hat mir dieser Biedermanneine Schussel mit Gekrose und Hoden ge-schickt und mir sagen lassen, er werde zumEssen zu mir kommen; ich habe dem Botengeantwortet, er solle nach seinem Beliebenmit der Gesellschaft, die er wolle, kommen,und habe, um ihn ehrlich zu bewirten, fur
einen Kapaun und Kalbfleisch gesorgt undauch anderswie Geld ausgegeben und da-nach habe ich gewartet und gewartet. End-lich bin ich mir, um die Sachen nicht weg-werfen zu mussen, ein paar Leute suchengegangen, damit sie mir essen hulfen,"
Der Erzbischof gab dem Hauptmann un-recht und entliefl ihn.
Nun sagte der Pfarrer zu ihm: „Gnà-diger Herr, neulich bin ich an einem Tagezweimal wegen des Zipfels hergekommen,und heute bin ich wegen der Hoden ge-kommen; weswegen soli ich das nàchste Malkommen?"
Der Erzbischof antwortete: „Du brauchstùberhaupt nicht mehr zu kommen, undwenn ich tausendmal um dich schicke,
auBer es ist dein eigener Wille."
144
ALs der Pfarrer eines Tages tiber die jX1
„.
StraBe ging, sah er zwei Burschen, die ^J*J ™J™an ciner Stange eine Anzahl Flaschen mit Freunde eine
Wein trugen; er sagte zu ihnen: „Was fur hubsche Geschichte
ein Wein ist das?" e'™MT^'J^Die Tràger antworteten: „Das ist ein un- TninhTe\dSt
gegohrener Wein, der beste, den es in Flo-
renz gibt, und Giovanni Benci hat ihn der
Signorìa um einen Groschen die Fiasche
verkauft."
Der Pfarrer rief zwei von seinen Gesel-
len und sagte zu ihnen: „Kommt mit mir."
Sie gingen zu dem besagten Giovanniund klopften an die Tur; Giovanni òffnete
ihnen und hieB den Pfarrer herzlich will-
kommen und sagte: „Was wollt Ihr bei mir?Das ist ja schier ein Wunder, dafi Ihr zumir kommt."
Der Pfarrer sagte: „Ich komme zu dir,
um das Wort des Evangeliums zu bewàhren,das da sagt: ,In ore duum vel trium omneverbum.' * Und um so zu tun, habe ich nicht
mehr als zwei Zeugen mitnehmen wollen,
die horen sollen, was ich dir vorzuhaltenhabe. WeiBt du nicht, was unter recht-
schaffenen Mànnern, die miteinander be-
freundet sind, Brauch ist? Ich mufi dir
einen Vorfall erzàhlen, der vor nicht garlanger Zeit geschehn ist.
1 Ev. Matth., XVIII, 16.
Arlotto, Schwanke I. 10 J45
Es war ein Geistlicher in der Romagna,der kam in Geschàften nach Florenz, under betrat die Stadt gerade um die Essens-stunde; und als er durch eine StraGe kam,horte er aus einem Hause , an dessenFenstern Òlzweige waren, Festesklànge, Erfragte: ,Was geschieht hier?' und ihm wurdegeantwortet: ,In diesem Hause ist eine
Hochzeitsfeier; seht Ihr denn die Òlzweigenicht?' Er stieg die Treppe hinauf undblieb im Saale stehn, und just setzte der
Tafelmeister die Gàste zu Tische; da trat
auch er vor ihn hin, um einen Platz amTische zu erhalten. Aber der Tafelmeister
sagte: ,Herr, fur Euch ist kein Platz; Ihr
seid ja nicht eingeladen.' Und der Geist-
liche antwortete: ,Wàre ich nicht eingeladen,
so wàre ich nicht gekommen.' Der Tafel-
meister aber sah nach und sagte: ,Entfernt
Euch; Ihr steht nicht im Verzeichnis.' Daantwortete der Geistliche: ,Und trotzdembis du im Irrtum: stehe ich nicht drinnen, so
schreib mich hinein; denn ich darf auf jeden
Fall dableiben. Ich tue nach dem Brauchemeiner Heimat, wonach sich bei einer òffent-
lichen Hochzeit jeder , der des Wegeskommt, als eingeladen betrachten kann undeintreten darf, um zu essen und zu trinken,
solange das Hochzeitsfest dauert: und darumwill ich heute Abend hier essen/
Ebenso will ich dir, mein lieber Giovanni,
146
sagen, elafi du einen Fchler begangcn hast,
als du ein Fafi Wein angezapft und davonverkauft hast, ohne einem Menschen ein
Wort zu sagen oder deine Freunde auf cinen
Trunk einzuladen. Um deine Ehre wieder-
herzustellen, sind wir, Antonio del Ponte,
dieser andere Gesell und ich, gekommenund wollen mit dir trinken und den Weinversuchen, den du der Signorìa verkauft
hast."
Giovanni nahm sie heitern und frohen
Gesichts auf und gab ihnen von diesemWeine und bat sie, solange noch etwas imFasse sei, alitaglieli wiederzukommen undsagte zum Pfarrer: „Verzeiht mir den Feh-ler, dafi ich Euch nicht auf der Stelle ein-
geladen habe, Euch so lange zu erquicken,
bis meine Schuldigkeit getilgt ist."
SEr Nastagio Vespucci * und der Schnei-der Zuta begegneten einander eines
Morgens zeitlich in der Frùhe.Ser Nastagio sagte: „Ich fùhle mich
heute gar nicht wohl im Magen; wenn ich
aber einen Tropfen Malvasier trànke, sowàre ich wieder gesund."
Zuta sagte: „Auch ich habe einen màch-tigen Durst und mochte gern trinken, frei-
1 Nastagio Vespucci, Notar in Florenz, war derVater Amerigo Vespuccis, nach dem der vierteWeltteil benannt ist.
10* 147
LXIII.Wie der Pfarrer
den Schneider Zutaund Ser Nastagio
Vespucci denMorgennebel be-
schwòren lehrt.
lich ohne daB es mich etwas kostete; wennIhr wollt, so habe ich das Herz, den PfarrerArlotto, der in einer halben Stunde kommenwird, um einen Mantel zu probieren, einenHumpen Malvasier zahlen zu lassen."
Ser Nastagio sagte: „Das wird dir nicht
gelingen; der Pfarrer ist ein zu geriebener
Kunde."Gerade bei diesem Gespràche kam der
Pfarrer Arlotto daher und sagte: „GutenMorgen miteinander!"
Zuta sagte: „Seid willkommen, Pfarrer!
Mich hat es eine Ewigkeit gedàucht, bis Ihr
gekommen seid; Ihr sollt mir nàmlich ein
Gesicht auslegen, das ich heute Nacht gegenMorgen gehabt habe. Es ist mir Euer Vatererschienen und er hat mich begrùBt und ge-
sagt: ,Ich bin Matteo Mainardi, der Vaterdeines Pfarrers Arlotto, und mochte, daBdu ihn am Morgen aufsuchst und ihm sagst,
daB ich im Fegefeuer bin und immerzubrenne, daB ich aber, wenn er fiir meineSeele zwolf schlechte Soldi Almosen gibt,
aus dem Fegefeuer und dieser Pein erlost
werde. LaB mich dir befohlen sein/ Ich
schlief nicht mehr ein, Pfarrer, und stand
zeitlich auf und ging in die Nunziatakirche,
um eine Messe fiir seine Seele lesen zulassen, und habe dafùr zwei Soldi bezahlt.
Ich bitte Euch, Pfarrer, tut dieses gute
Werk und tut es rasch; und bedenkt, daB
148
Ihr es nicht besser ttm kònnt, als wenn Ihr
Ser Nastagio und mir eine MaB Malvasier
zahlt."
Der Pfarrer sagte: „Sofort als ich her-
gekommen bin, habe ich bemerkt, dafì dumich in die Arbeit nehmen willst; SerNastagio kenne ich gar nicht und du, duscheinst mir nicht bei Troste zu sein: hast
du denn meinen Vater gekannt?"Zuta sagte: „Freilich habe ich ihn ge-
kannt; und er war ein rechtschaffener
Mensch und ein ehrlicher Kaufmann."Der Pfarrer antwortete: „Du hast ihn
nicht gekannt und hast ihn nicht einmal je
gesehn. Mein Vater war ein Schelm und ist
in den Stinche gestorben, und hàtte er acht
Tage lànger gelebt, so wàre er gehenktworden; fur ihn gebe ich keinen Heller aus.
Wenn aber ihr zwei einen Humpen Malva-sier fùr uns drei zahlen wollt, so will ich
euch lehren, wie man den Morgennebel be-
schwort, damit er einem nichts schadenkann."
So ging der Handel verkehrt und derVogelleim haftete nicht, und Ser Nastagiound Zuta zahlten fur den Pfarrer, und derlehrte sie den Nebel beschworen, indem er
sagte:
„Nehmt einen groBen Becher voli Mal-vasier und sagt zweimal: ,Nebel, Nebel,Morgennebel, alle Morgen bist du hier, die
149
LXIV.Was fiìr eine
Leichenrede derPfarrer einemKatalanier,
Don Lope mitNamen,
gehalten hai.
beste Medizin fùr dich ist ein Becher Mal-vasier', und damit trink den Becher ganzaus, und er wird dir nie mehr schaden."
EInmal hatten unsere Galeeren einige
katalanische Edelleute von Neapel nachKatalanien zu bringen; auf der Fahrt er-
krankte einer von ihnen, der Don Lope hieB,
und starb nach wenigen Tagen.Unsere Leute legten bei einer Stadt an
und veranstalteten ihm eine Totenfeier, wiees in diesem Orte moglich war, und derKapitàn wollte, dafi ihm der Pfarrer nachflorentinischem Brauche eine Leichenredehalte.
Der Pfarrer stieg auf die Kanzel undsprach also:
„Ungebuhrlicherweise stehe ich an die-
sem erhabenen Orte, um zu predigen; umaber dem Befehle unsers Kapitàns Folgezu leisten und die andern edeln Herrn zu-
friedenzustellen, will ich einige Wortesagen. Fùrchtet Gott und erfullet seine Ge-bote; und weil es ùblich ist, dafì den Toten,
wenn sie einen halbwegs guten Ruf auf der
Welt zuruckgelassen haben, eine kleine
Lobrede gehalten wird, so sage ich, dafì
es unter den Tieren vier gibt, die sonder-
liche Eigenschaften und Eigentumlichkeiten
haben: das eine ist lebendig gut und tot
nicht, und das ist der Esel, das zweite ist
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tot gut und nicht lebendig, und das ist dasSchwein, das dritte ist lebendig und tot gut
und das ist das Rind, und das letzte undvierte ist weder lebendig, noch tot gut, unddas ist der Wolf. Dieser Tote hieB Lopeoder Wolf und war ein Katalanier, undweil ich nicht weiB, was ich von ihm gutes
sagen kònnte, so will ich schweigen undmeine Predigt schlieBen. Pax et benedictio,
amen."
DEr Pfarrer Arlotto war mit einem w . jXV
pf
Schneider befreundet, der lange in ei
**
m ^ZhenFlorenz sein Nachbar gewesen war; er hatte Schneider einen
den Ruf eines tùchtigen Meisters in seinem Traum deutet
Handwerke, aber den schlechten Leumundeines Diebs und Schelms. Der Pfarrer hatteihm oft Vorwùrfe gemacht, genutzt jedochhatten sie wenig.
Nun geschah es eines Tages, daB dieser
Schneider an einem gefàhrlichen, hart-
nàckigen Fieber erkrankte, und das hielt
drei Monate lang ungeschwàcht an und ver-
schlimmerte sich tagtàglich; da er trotz-
dem weder beichten, noch das Abendmahlempfangen wollte, schalt ihn der Pfarrerzu often Malen. In dieser Widerspenstig-keit verharrte er noch, als er eines Nachtstràumte, er sehe einen Mann mit einer
Fahne in der Hand, und der winke ihm,ihm zu folgen.
151
Die Fahne war schier mit alien Farbenbemalt, die nur zu finden sind.
Nachdem er am Morgen erwacht war,schickte er ganz erschrocken um den Pfarrer
Arlotto und erzàhlte ihm die ganze Ge-schichte; und der Pfarrer antwortete: „Dubist widerspenstig und willst dich nicht mit
Gott versòhnen, obwohl es dir alle Tageschlechter geht; wenn du beichten willst, so
will ich dir sagen, was dasGesicht bedeutet."
Teils aus Angst, teils wegen der Bitten
und Drohungen willigte der Schneider ein,
zu beichten, und in der Beichte sagte ihmder Pfarrer, der, der ihm erschienen sei, sei
der Teufel gewesen, und die Farben seien
ali die Gattungen Tuch, die er beim Zu-schneiden gestohlen habe; und der Schnei-
der gestand ihm, daB er das Diebshandwerkseit funfzig Jahren ausùbe.
Nun sagte der Pfarrer: „Du mufit dasGestohlene zurùckgeben."
Der Schneider antwortete: „Das ist un-moglich: ich kann nicht fùr einen Hellerzurùckgeben, und das, was ich in denfunfzig Jahren gestohlen habe, das kònntemeine ganze Nachbarschaft nicht zurùck-geben; ich kann Euch nur sagen, ich habenie ein Stùck Zeug zerschnitten, und war es
noch so klein, ohne mindestens eine Hand-breit fùr ein Paar Handkrausen zu stehlen.
Wenn ich kònnte, gàbe ich es gern zuruck."
152
Darauf sagte der Pfarrer: „So tu wenig-stens das, daB du kùnftighin nicht mehrstiehlst."
Der Schneider antwortete: „Auch daskann ich nicht tun, weil ich so gewohnt bin,
mir ein Stùckchen Tuch zu nehmen, daB ich
beim Zuschneiden nie daran dàchte; wennich mich freilich daran crinncrte, nàhme ich
nicht ein Fleckchen."Der Pfarrer sagte: „Ich will dir ein
Mittel angeben, daB du dich immer daranerinnerst: ich bin ùberzeugt, daB du als
glàubiger Christ eine wahre Beichte abge-legt hast, und weil du so verhàrtet bist imBòsen und im Stehlen und dich beim Zu-schneiden nie auf etwas andres besànnest,
als dir etwas zu nehmen, so mach, daB,
wann du zuschneidest, immer ein Gehilfe
bei dir ist, und den sollst du, ohne ihmdeiner Ehre halber die ganze Wahrheit zusagen, anweisen, daB er jedesmal, wann dudie Schere ansetzst, zu dir sage: ,Meister,
die Fanne!', und dann wirst du dich er-
innern, daB du ehrlich sein sollst, und wirst
nicht sundigen/'
Der Schneider sagte: „Das ist eine guteErinnerung; ich danke Euch und versprecheEuch, so zu tun,"
Nicht lange darauf genas der Schneidervollstàndig und die Krankheit war von ihmgewichen; er begann wieder in seine Werk-
153
stati zu gehn, iind wann er zuschnitt, hatte
er stets entwcder cinen Gesellen, oder einenJungen bei sich, der ihm, sooft er die Schereansetzte, sagte: „Meister, die Fanne!"
Und hatte er auch schon die Hand aus-
gestreckt, um mehr Tuch abzuschneiden, als
er benotigt hàtte, so kehrte er doch, kaumdaB ihn der Gehilfe oder Junge an die
Fahne erinnert hatte, zum richtigen Striche
zurùck und blieb ehrlich.
Das hatte noch nicht lang gedauert, als
ein fremder Herr nach Florenz kam undviel Tuch einkaufte, darunter auch ein StùckBrokat, reich mit Gold durchwirkt und garkostbar; und der Pfarrer Arlotto, der, ich
weiB nicht wie, die Freundschaft dieses
Herrn, der mit ihm sehr vertraut umging,gewonnen hatte, verschaffte die Arbeit, ausdiesem Brokat ein Kleid fur den Herrn zumachen, dem ihm befreundeten Schneider.
Als der die Schere ansetzte, sah er, daB es
ein kostbarer Stoff war, und reckte die
Hand, soweit er nur konnte.
Plòtzlich rief der Junge: „Meister, die
Fahne!"Und der Meister antwortete unverzug-
lich: „Diese Farbe war nicht dabei."
Die Erinnerung des Jungen nùtzte eben-
so wenig wie die des Pfarrers; der Bose-wicht von einem Schneider stahl mehr als
eine Elle.
154
ALs Messer Antonio, der Pfarrer vonCercina, Vikar des Bischofs von Fie-
sole war, sagte er eines Tages zu MesserGirolamo Giugni 1
:
„Ich muB einige Dorfer und Kirchen imSprengel bereisen; wollt Ihr mitkommen?Ich weiB, daB es uns dabei nicht schlecht
gehn wird."
Messer Girolamo nahm die Einladung anund riet, es auch den Pfarrer Arlotto wissenzu lassen; und so machten sich denn die drei
mit einigen Begleitern auf den Weg. In zweiTagen waren sie in Chianti und von dort
begaben sie sich nach Brolio und Cacchiano,
zwei Burgflecken, die den edeln Herrn vonRicasoli gehoren; und bei denen blieben sie
etliche Tage und wurden so ehrlich be-
wirtet, daB sie es in einer groBen Stadt
nicht hàtten besser verlangen konnen.Von diesen zwei Burgflecken ritten sie
in die Pfarre von San Fedele, um MesserGiovanni Spinellini, Erzdiakon von Florenz,
zu besuchen, und stiegen dort um die Ves-perstunde von den Pferden; obwohl sie nunvon der Hitze arg mitgenommen waren und
1 Girolamo di Bernardo Giugni bekleidete nebenandern geistlichen Wurden seit 1452 auch die eines
Kanonikus des florentinischen Erzbistums. Als derPropst von Fiesole und Akoluth des Papstes Six-
tus IV., Giovanni Neroni Diotisalvi, auf seine Wur-den verzichtete, wurde er sein Nachfolger. 1476wurde er Archidiakon und 1489 starb er.
LXVI.Warum der Pfarrer
die StraBe vonSan Fedele
mit geschlossenenAugen geritten ist.
155
einen Riesendurst hatten, wurden sie dodizu keinem Trunkc eingeladen , sondernMesser Giovanni fùhrte sie, statt ihnen einen
ImbiB und eine Erfrischung anzubieten, zuden groBen Maurerarbeiten, die er an derKirche und am Hause hatte vornehmenlassen, und zeigte ihnen einige Weingàrtenund viele schone Làndereien, die er hatte
bestellen und mit zahlreichen Obstbàumenvon mancherlei Art bepflanzen lassen.
Alle Anspielungen des Pfarrers Arlotto, obboshaft oder gutmiitig, blieben ohne Erfolg;
sie muBten bis zur Essensstunde auf einen
ImbiB warten.Messer Giovanni war sowohl gegen sich,
als auch gegen sein Gesinde auBerordent-lich karg und war in alien Dingen uberausgeizig, ausgenommen daB er mit allem Ver-trauen und Eifer den Ausbau und die Ein~
richtung der Pfarre betrieb, um seine Ein-
kunfte zu vermehren.Bei Tische wurde ihnen ein nicht gerade
guter Wein vorgesetzt, und zu essen be-
kamen sie einen Salat von Borretsch undGànsedisteln, der dem, der ihn wusch, die
Hànde so zerstach, daB man ihn kaum an-
ruhren konnte; wie mag er erst im Mundegetan haben!
Nach diesem Salat kam eine Art Eier-
kuchen, aus so wenig Eiern und mit so wenigKàse bereitet, daB sich der Pfarrer Arlotto
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nicht enthalten konntc, zu Messer Giovannizu sagen: „Ihr habt heute wohl die Gerichtevertauscht: ich kann es wahrhaftig nicht
glauben, daB das die sind, die Ihr fiir unsbestimmt habt; es sind vielleicht die fiir
Euere Werkleute und Maurer."Dann bekamen sie Schoten und alten
Kàse. Nach dem Essen gingen sie zuBette.
Der Pfarrer sagte: „Morgen reiten wir,
solange es noch kùhl ist."
Messer Girolamo sagte: „Ihr steht ja
immer spàt auf und werdet nie munter."Der Pfarrer sagte: „Unser Messer Gio-
vanni hat uns dermaBen bewirtet, daB wirsicherlich heute Nacht nicht schlafen wer-den."
Am Morgen standen sie in aller Friihe
auf und machten sich auf den Weg; und als
sie so dahinritten, sah Messer Antonio, dersich einmal umwandte, daB der Pfarrer mitgeschlossenen Augen ritt.
Messer Girolamo sagte: „Hàttet Ihr
geglaubt, daB sich unser Pfarrer gesternso voli getrunken hat? Seht , wie er
schlàft."
Der Pfarrer antwortete: „Ich schlafenicht; dazu war gestern das Essen zu gutund der Wein zu reichlich."
Und er ritt weiter mit geschlossenenAugen.
157
Nach einer Weile sagte Messer Giro-lamo: „Schlaft Ihr noch immer, Pfarrer?"
Er antwortete: „Ich schlafe nicht."
Und als sie etwa acht Meilen geritten
waren, ohne daB der Pfarrer die Augen ge-
òffnet hàtte, sagte Messer Girolamo: „Ihrsagt, Ihr schliefet nicht, und dabei habt Ihr
die Augen geschlossen, und das macht Ihr
schon den ganzen Morgen so."
Der Pfarrer antwortete: „So wahr mirGott helfe, ich schlafe nicht und habe nicht
geschlafen."
Messer Girolamo sagte: „Warum habtIhr dann die Augen geschlossen?"
Der Pfarrer antwortete: „Ich habeweder in der Nacht geschlafen, noch jetzt
den ganzen Morgen, und habe die Augennur deshalb bis jetzt geschlossen gehalten,
um den Weg nicht zu sehn und mir ihn nicht
zu merken, damit ich mirs nie mehr ein-
falien lasse, in dieseGegend zu kommen, undsonderlich nicht in die Pfarre und das Pfarr-
haus dieses schurkischen Messers GiovanniSpinellini, der uns gestern Abend geradeso behandelt hat, als ob wir Eckensteherwaren; wenn es der Teufel will, dafi ich
ihn einmal in Florenz treffe, so habe ich
mir vorgenommen, ihn mir mit solchen
Ehren auszuborgen, wie es sein Essenverdient und die Aufnahme, die er uns be-
reitet hat."
158
ALs der Pfarrer eines Tages in der Nàhedes Hauses, wo der Gesandte des Her-
zogs von Ferrara wohnte, mit etlichen Geist-
lichen und Biirgern sprach und in der Unter-
haltung, die sich um Verschiedenes drehte,
gegenùber von der Tur stehn blieb, kam ein
hiibscher Knabe daher und trat ins Haus.Da sagte einer: „Was sagst du dazu?
glaubst du nicht auch, dafi der Gesandte anihm ali seinen Willen und seine Lust hat
und dafi er sichs mit ihm gut geschehnlaflt?"
Der Pfarrer sagte: „Das ist schwer zubeurteilen; aber wenn wir ein bifichen hier
bleiben, so werde ich euch Klarheit dar-
ùber verschaffen."
Es dauerte nicht lange, so trat der Ge-sandte unter die Tur, und als er unterdenen, die dort miteinander sprachen, denPfarrer sah, grùBte er ihn heiter und begannein Gespràch mit ihm, und da sagte derPfarrer: „Gnàdiger Herr Gesandter, ich
habe gehòrt, dafi Ihr ein rechtschaffenerund tugendreicher Herr seid, und nichts-
destoweniger macht man Euch einen schwe-ren Vorwurf; man sagt nàmlich, in Euchherrsche nicht so viel Giite, wie ich gemeinthàtte, und wenn das wahr wàre, so wùrde es
Euch gar nicht zur Ehre gereichen. In ganzFlorenz heifit es nàmlich, Ihr lieBet denKnaben, den Ihr im Hause habt und der mir,
LXVII.Wie schlau es derPfarrer angestellt
hat, um zu erfahren,
was an einemGerede iiber denGesandten des
Herzogs von Ferrarawahr sei.
159
wie vielen andern, eines rechtschaffenenMannes Kind zu sein scheint, im Stalle beiden Pferden schlafen; wenn das wahr wàre,so wàre es eine groBe Grausamkeit."
EinigermaBen erbost antwortete der Gè -
sandte auf der Stelle: „Wer das sagt, derliigt in seinen Hals; er schlàft in meinemGemache und in meinem Bette, und all-
nàchtlich halte ich ihn beim Schlafen in
diesen meinen Armen."Der Pfarrer kehrte sich zu seinen Ge-
sellen und sagte: „Wie viele sind ihrer dodi,die im Jahre einen ungerechten Tod er-
leiden! Seht nur, was diesem edeln Herrnaufgeburdet wird und wie ungerecht, unddarum ist es ubelgetan, uber etwas zu ur-teilen, was man nicht kennt, und sehr ubel-getan ist es, ihn auf diese Weise zu ver-
leumden, wenn ich euch auch schlieBlich
gleich gesagt habe, daB ich es nicht glaube."
LXVUI.Wie Arlotto eìnem
Vetter, derungeschickt ein-
gekauft hat, dieMósche Geschichtevon den Katzen
erzdhlt.
EIn Geistlicher, der mit dem Pfarrer Ar-lotto einigermaBen verwandt war, sagte
ihm eines Tages, daB er sich mit ihm ein-
schiffen wolle.
Der Pfarrer riet ihm ab und fùhrte viele
Griinde an, daB er es nicht tun solle unddaB es nichts fur ihn sei; aber alles war um-sonst: der Geistliche lieB sich nicht vonseinem Entschlusse abbringen und sagte,
er habe etwas Geld und damit wolle er
160
Geschàfte machen und einen Gewinn er-
zielen.
Tatsàchlich ging er denn auch in Seeund zwar nahm ihn der Eigentumer einer
der Galeeren mit, die unter dem Geleite derKapitànsgaleere, wo der Pfarrer Arlotto anBord war, fuhren; und als sie in Flandernangekommen waren, blieben die Kaufleuteetliche Monate in Briigge. Und der Geist-
liche war dem Pfarrer ununterbrochen auf
dem Halse.
In Brùgge und ebenso in ganz Flandernist das Ballspiel stark im Schwange und es
wird mit kleinen Bàllen gespielt; da die sehr
billig sind, so gibt es Leute, die das Ballver-
leihen berufsmàBig betreiben, und hat ein
Ball gewonnen, so wird ein anderer umge-tauscht und so wird stets der verlierende
Ball weggeworfen und durch einen neuenersetzt.
Die neuen Balle werden von den Spie-
lern dem Spielhalter bezahlt und dem ge-
hòren auch ali die weggeworfenen Bàlie, die
die Spieler liegen lassen; und von alien Leu-ten, die Spielhàuser halten, ist keiner, dernicht immer etliche Scheffel davon zu ver-
kaufen hàtte.
In der langen Zeit, die die von den Ga-leeren in Brtigge blieben, lernte der Geist-
liche alien Brauch im Ballspiele kennen undkam dabei zu der Meinung, es miisse mit
Arlotto, Schwankc I. 11 J^J
den Bàllen ein gutes Geschàft zu machetisein, wcil sie in Florenz mindestens drei
Quattrini das Stuck kosteten, wàhrend mandort fùr drei Quattrini funfe bekam.
Unùberlegterweise und ohne die Wohl-meinung des Pfarrers oder den Rat anderereinzuholen, kaufte er fùnf groBe Fàsser voli
Balle und gab darauf das ganze Geld aus,
das er hatte, so daB ihm nicht ein Heller
verblieb.
Dann ging er zum Pfarrer und erzàhlte
ihm ùbergliicklich von dem Kaufe der Balle;
als kluger Mann sah der Pfarrer davon ab,
ihn wegen der fertigen Tatsache zu tadeln,
sagte ihm aber, er solle ihn, wann sie wiederin Florenz seien, an die Geschichte von demgenuesischen Kaufmanne und den Katzenerinnern.
Als die Galeeren wieder in den Hafenvon Pisa eingelaufen und alle Florentiner
nach Florenz heimgekehrt waren, begannder Geistliche seine Balle zu verkaufen.
Und mit weniger als einem halben Fasseversorgte er alle Kràmer auf eine Reihe vonJahren; der Rest blieb ihm auf dem Halse,
und ich glaube nicht, daB er sie, ohne sie
wegzuwerfen, in fùnfundzwanzig Jahren los
geworden ist, und er hat ihrer wohl nochimmer.
Da er nun einsah, wie toricht er gewesenwar und was fur einen Unsinn er gemacht
162
hatte, besuchte er denPfarrer und jammerteklàglich, dafi er nicht nach dessen Weise ge-
tan habe,
Nun sagte der Pfarrer: „Jetzt will ich
dir die Geschichte von dem genuesischen
Kaufmanne und den Katzen erzàhlen:
Es war einmal ein genuesischer Kauf-mann, ein SchoBkind des Glùcks, der wurdeauf einer Seereise von einem heftigen Sturmein entlegene, unbekannte Gegenden ver-
schlagen, wo noch nie ein Christenmenschgesehn worden war, und lief in den Hafeneiner auBerordentlich reichen Insel ein,
deren Herr ein reicher, màchtiger Kònigwar; als der erfuhr, dafi das Schiff an-
gekommen war und auf was fiir eine Weise,war er sehr verwundert, und nach vielen
Hòflichkeiten lud er eines Tages denSchiffsherrn zu Tische.
Als nun das Wasser fùr die Hàndeherumgereicht war, wurde jedem eine Rutein die Hand gegeben, auch dem Konige undder Kònigin; daruber verwunderte sich der
Genueser hòchlich. Kaum hatten sie sich
aber mit diesen Ruten in den Hànden zuTische gesetzt, als plotzlich mit wutendemUngestiim und Làrm vielleicht tausendRatten herbeigelaufen kamen, um ihnen die
Speisen aus der Hand zu nehmen, so daB sie,
wenn sie die Speisen verteidigen wollten,
mit der Rute blind dreinschlagen mufiten.
11* 163
Ganz verdutzt fragte der Genueser denKonig, woher diese Menge von Rattenkomme.
Der Kònig sagte: ,Wenn diese Ratten-plage nicht wàre, wahrlich, wir in diesemReiche konnten uns die glticklichsten Men-schen nennen, die es gibt; derni hier wach-sen alle kostlichen Dinge der Welt, Gold,Silber, jedes Metall, Getreide, Korn undWein und Fruente aller Arten, Wachs undSeide und alles, was nur die Erde hervor-bringt: aber diese vermaledeiten Rattenbringen uns um unsere Ruhe, und wie Ihrseht, sind wir gezwungen, Brot, Kleiderund andere Sachen an diesen Eisenhaken,die am Gewòlbe angebracht sind, aufzu-hàngen/
Der Genueser sagte: ,Heute hat michEw. Majestàt zu Tische geladen, und fur
morgen bin ich so keck, mich selber einzu-
laden und wiederzukommen/Er empfahl sich und kehrte auf sein
Schiff zurùck; und am nàchsten Morgenging er wieder zum Essen hin, nahm abereine Schiffskatze mit, die er in einem Àrmelseines Rockes verwahrte.
Als er zum Kònige gekommen war, ging
man zu Tische und wieder erhielt jeder eine
Rute; und kaum hatten sie sich gesetzt, als
auch schon eine unzàhlige Menge von Rat*ten da war.
164
Nun òffnete der Genueser seinen Àrmelund die Katze schoB heraus und begann mitden Ratten zu kàmpfen; und in einemAugenblicke hatte sie mehr als hundert ge-
tòtet und der Rest stob entsetzt aus ein-
ander.
Den Kònig dàuchte es, wie auch alle
seine Leute, unerhort und schier unmòglich,als sie in einem so kleinen Tiere einensolchen Mut und eine solche Behendigkeitsahen; und er erkundigte sich eingehend,woher es stamme, wo es gezuchtet werdeund wovon es lebe.
Der Genueser sagte ihm alles und fuhrfort: ,Erlauchter Herr, ich will Euch nochzweiundzwanzig Paar von diesen Katzenzum Geschenke machen; wenn Ihr sie sorg-sam halten lafit, so werdet Ihr in wenigenJahren Euer ganzes Kònigreich voli davonhaben.'
Den Kònig dàuchte es, dieses Geschenksei allzu groB und so schon und trefflich,
dal3 er es ihm in Ewigkeit nicht zu ver-
gelten imstande sein werde, Er liefi seineWeisen Rat pflegen, was fùr einen Lohnder Fremde dafùr beanspruchen konne unddurre; und in Anbetracht, daB es dem gan-zen Kònigreiche zum Heile war, beschenkteer ihn mit Gold, Silber und Kleinoden imWerte von mehr als zweimalhunderttausendDukaten. Damit verabschiedete sich der
165
Genueser und kehrte mit seinen Schiffennach Genua zurùck.
Binnen wenigen Tagen verbreitete sich
das Gerùcht von den ungeheuern Reich-tiimern, die er erworben hatte, und aufwelchc Weise ihm das Gluck beschiedengewescn war, einen so unermeBlichen Schatzzu gewinnen.
Allgemein war das Staunen und die Ver-wunderung, und manch ciner machte Piane,mit einer Menge von solchen Tieren hinzu-reisen, obwohl der Weg weit war und un-gewohnlich und gefàhrlich.
Unter andern war einer, der mehr Herz-haftigkeit als Verstand hatte, und der be-dachte nicht, was fiir eine Dummheit es
war, und beschloB, hinzufahren, aber, umgroBere Schàtze zu erhalten, etwas andresals Katzen mitzunehmen; und so nahm er
als Geschenk fùr den besagten Konig Ge-wànder aus Gold- und Silberbrokat, Bett-
zeug, Pferdegeschirre, Hundekoppeln, Feder-spielfesseln und vielerlei andres Geràt undsonstige Kostbarkeiten im Werte von mehrals dreizehntausend Dukaten mit.
Nach langer Zeit und vielen Fàhrlich-
keiten kam er mit seinem Schiffe wohl-behalten zu der besagten Insel; er iibergab
dem Kònige das reiche Geschenk, und dernahm es mit Freuden an und erwies ihmmit Einladungen und auf andere Weise
166
viele Aufmerksamkeiten. Als er dann Ur-
laub heischte, dachte der Kònig mit seinen
Weisen nach, was er ihm schenken solle.
Der eine sagte zweihunderttausend Du-katen und der andere sagte Kleinode undder das und der jenes; aber dem Kònigewar alles zu gering, und er beschloB in sei-
ner Freigebigkeit und GroBmut, ihm etwas
von seinen kpstlichsten und seltensten Be-sitztùmern und Schàtzen, die ihm vor alien
andern wert waren, zu schenken, undschenkte ihm zwei von diesen Katzen. Undder gute arme Kaufmann kehrte ganz un-
tròstlich nach Genua zurtick.
Und so will ich dir folgendes sagen: In
deiner Widerspenstigkeit und aus Gewinn-sucht und Habgier hast du unùberlegter-
weise einkaufen und Geschàfte machenwollen, ohne daB du von der Ware etwasverstanden hàttest; du hast durchaus mit-
fahren miissen, und jetzt siehst du, wie es
dir ausgegangen ist und daB du dein Geldnicht einmal zur Hàlfte hereinbekommst.Hàtte der zweite Kaufmann uberlegt, daBder erste nicht absichtlich dorthin gekom-men ist, sondern durch MiBgeschick undmit so grofìer Todesgefahr, und daB er danndas grofie Gluck hatte, daB in diesem Landekeine Katzen waren, so hàtte er auf denRat des ersten gehòrt und ware nicht hin-
gefahren."
167
LXIX. "DE* einer Unterhaltung ùber mancherleiWer nach des _Q Ding bei der auch der pfarrer Ar-
Ptarrers Meinung , .. j ^ i_ 1 • jdie schlechtesten 1°™ anwesend war, gab es verschiedene
Handwerker sind. Meinungen, welche Handwerker gut undwelche weniger gut und welche die schlech-
testen seien.
Der eine sagte die, der andere jene.
Aber der Pfarrer sagte: „Ihr versteht
die Sache nicht; die allerbòsesten Hand-werker, die es gibt, sind die Bottcher undReifbinder, weil sie das Gerade krummmachen."
LXX. W/Ie ich gesagt habe, hieB die Kirche
AnZVrtTer Pfarrer™ und Pfarre des Pfarrers Arlotto San
einem Geistlichen Cresci a Maciuoli. Als nun einmal der Tagaut die Frage dieses Heiligen, wie es der Pfarrer alljàhr-
gegeben hat, was lich hielt, mit grofìer Feierlichkeit begangenSan Cresci^ gewesen wmde un<j sich dazu etwa zwanzig Qeist-
liche eingefunden hatten, sagte am Morgenvor der Messe einer von ihnen zu ihm:
„Diese meine Vàter und ehrwùrdigen Prie-
ster haben mir aufgetragen, zu predigen
und ein paar Worte zu sprechen, und weil
heute der Tag von S. Cresci ist, mufi ich
wohl einiges uber ihn sagen; ich habe aber
seine Legende nie gelesen, weiB auch nicht,
wie er gelebt hat, wo er geboren worden ist
und wo er gestorben ist. Sagt mir, bitte,
was er eigentlich gewesen ist, als er nochauf der Welt war."
168
DerPfarrer antwortete: „Etwas gewisses
kann ich Euch daruber nicht sagen; aber
ich glaube schier, er wird ein Postreiter ge-
wesen sein."
Der Geistliche sagte: „Wieso ein Post-
reiter? Hat er sonst keine Beschàftigunggehabt?"
Der Pfarrer antwortete: „Ich glaube,
nein."
Der Geistliche sagte: „Warum denn?"Der Pfarrer antwortete: „Weil es mich
bedunkt, da6 er zweimal im Jahre kommt;mir ist so, als seien es noch keine sechs
Monate, daB ich sein Fest das letzte Malgefeiert habe."
169
Anmerkungenliteratur- und stoffgeschichtlichen
Inhalts
MABC 1; abgedruckt in der Zeitschrift // Pio- I.
vano Arlotto, I, S. 510. — Domenichi, Facetie et
motti arguti, Fiorenza, 1548, Bl. F3a. — Manni, Leveglie piacevoli, seconda (in Wirklichkeit terza)
edizione fiorentina, 1815 ff., Ili, S. 75.
Le Patron*, Nr. 1.
MAB.— Domenichi, Facetie, 1548, BLD4b= Fa- ILcecies, et motz subtilz, Lyon, 1559, Bl. 15b = Dome-nichi, Detti, et Fatti, Fiorenza, 1562, S. 210 = Do-menichi, Facetie, Motti & Burle, Venetia, 1581,
S. 260= Facecies, et Mots subtils, Lyon, 1597, S. 49.
Johann Agricola, Dreyhundert Gemeiner Sprich-wòrter, Zwickaw, 1529, Bl. 140aff„ Nr. 283:
„Lieber Bruder Jhesu, zu Jerusalemempfieng man dich schon, wie gieng
dirs aber hernach.
Es ist ein Bischoff zu Bamberg gewesen, derhat ein narren gehabt, der hat gemeynet, er seyJhesus bruder, vnd hat darùmb stets begangen mitseinem gauckeln den einrit Jhesu zu Jerusalem, dasleiden vnd die aufferstehung. Nu haben die vonNùrmberg mit dem Bischoff zu handeln gehabt, der-
halben das er etliche leutte yn yhrem gerichte ge-
fangen vnd yhn zu nahe gegriffen hette. Vnd dadie sache vertragen was durch die Redte, lies derBischoff die von Nùrmberg zu tische laden, vnd da
1 Unter M ist das Manuskript der Laurenziana und bei denersten 200 Nummern auch die Ausgabe Baccinis (Le facezie del PiovanoArlotto, Firenze, 1884) verstanden, deren Zàhlung ùbernommen wordenist. Die Buchstaben A, B und C bedeuten, daB die betreffende Facetieauch in den in der Einleitung so bezeichneten Gruppen von Aus-gaben zu finden ist.
2 Auf die in der Pariser-Obersetzung von 1650 (Le Patron del'honneste raillerie) enthaltenen Stucke wird mit der Zahl, unter der sie
Ristelhuber in seiner Ausgabe (Les contes et facélies d'Arlotto de Florence,Paris, 1863) anfuhrt, verwiesen; da Ristelhuber alle ùbrigen Stuckeder Ausgabe C und — von einem Zusatze aus einem franzosischenSchwankbuche abgesehn — nur diese (ibersetzt hat, so werden seine
"Obertragungen nicht weiter erwiihnt.
173
sie widder heym ziehen wolten, gab yhn der Bischoffdie hende. Der narre sihet das gepreng, hendekùssen, biicken vnd hende geben vnd spricht: ,0lieber bruder Jhesu, am Palmtage empfieng mandich schon, wie gieng dirs aber hernach? sie
schlugen dich darnach an ein creutz', als solt dernarr sagen, es were ein lauter spiegelfechten, eswiirde dodi keins dem andern glauben halten."
Ebenso bei J. W. Zincgref, Teutsche Apo-phthegmata, Amsterdam, Elzevier, 1653, I, S. 278.
III. MAB; abgedruckt in der Zeitschrift // Chericodel Piovano Arlotto, 1878, Agosto, S. 37. — Dome-nichi, 1548, Bl. E8b.— (Sagredo,) L'Arcadia in Brenta(1. Ausg. 1667), Bologna, 1693, S. 320 (durchaus ver-àndert, was bei Marchesi, Per la storia della Novellaitaliana nel secolo XVII, Roma, 1897, S. 96 nicht an-gefuhrt wird). — Manni, III, S. 91 („Fa applausoa questa Predica Carlo Dati in una delle sueCicalate, che è quella sopra le Fave").
Ins Franzosische ist die Facetie iibertragen vonGabriel Chappuis de Tours in den Facetieuses Iour-nees, Paris, 1584, i. II, n. 9, Bl. 65a: Deux capitainesde galeres, l'vn Venitien, l'autre Florentin, debatentensemble de la doctrine et scauoir de leurs prestres,
qu'ils menent auec eux, chacun disant auoir le plusscauant: ils accordent d'en venir à la preuue: et
pour ce raire par deux iours diuers se donnent àdisner l'vn à l'autre, et font prescher leurs Chappel-lains, et celuy du Florentin gangne et emporte la
victoire de l'autre.
Zur Einfiihrung sagt Constance, die Erzàhlerin:
„Combien que ie scache bien que les nouuelles dusubiect d'amour soient trouuees de plusieurs
agreables et fort recreatiues, ce neantmoins, puis
qu'il est permis à chacun de nous de traiter et
discourir de telle matiere que bon semblera, laissant
amour à part pour vn peu, à fin de diuersifier nostre
plaisir, ie vous veux raconter s'il vous plaist m'ouyr,
174
vn plaisant sermon du Cure Arlotto, qui par auan-
ture ne vous fera pas moins rire que les precedentes
nouuelles icy racontees."
Ein kurzer deutscher Auszug dieses Schwankssteht bei F. H. v. d. Hagen, Briefe in die Heimat,Breslau, 1818, II, S. 227.
In Italien ist Arlottos Predigt sprichwortlich;
vgl. G. Strafforello, La sapienza del mondo, Torino
(1883), I, S. 116: „La predica del piovano Arlotto,
che non la intendeva né lui né gli ascoltanti."
Wàhrend Arlottos Predigt nur drei Abschnitte
hat, teilt der Pfaff im 20. Kapitel des Lalenbuchs
(1. Ausg. 1597) seine Predigt in vier Stucke; hier
handelt es sich nicht um ein Verstehn, sondernum ein Wissen (vgl. F. H. v. d. Hagen, Narrenbuch,Halle, 1811, S. 128; Das Lalenbuch, Stuttgart, 1839,
S. 93). Drei Stucke wieder, die entweder gewuBtwerden oder nicht, sind es bei Widmann, Ristori
Peter Lewen, Kap. 18, v. 1476 ff. (1. Ausg. gedrucktvon 1557 bis 1559; v. d. Hagen, Narrenbuch, S. 415;
Bobertag, Narrenbuch, Berlin und Stuttgart [1884],
S. 135), bei L. Sandrub, Delitiae historiae et poe-
ticae, Nr. 18 (1. Ausg. 1618; Neudruck Halle, 1878,
S. 30) und bei C. A. M. v. W., NeuauBgebutzter,Kurtzweiliger Zeitvertreiber, Zum Vierdtenmal ver-
mehrt, 1685, S. 107.
Weitere derartig geteilte Predigten finden sich
im 37. Kapitel des um 1700 erschienenen Moyen deparvenir von Francois Beroalde de Vendile (ed.
P. L. Jacob, Paris, 1841, S. 115) und in dem36. Stucke der den Facetien Frischlins und Bebelsbeigegebenen Additamenta von Philippus Hermo-timus (Nicodemi Frischlini Balingensis Facetiaeselectiores, Amstaelodami, 1660, S. 309). AndereNachweise gibt Bolte in seiner Ausgabe von Wick-rams Rollwagenbiichlein, Tubingen, 1903, S. 364,
FuBnote.
175
Ergànzt man zu Arlottos Teilung seiner Predigtnoch den im Lalenbuche vorhandenen vierten Ab-schnitt, der wohl nur seiner Trivialitàt halber weg-geblieben ist, nàmlich den Abschnitt, „den sowohlich, als auch Ihr verstehn werdet", so sind damitalle moglichen Falle erschopft.
Nun findet sich eine ganz àhnliche Einteilungder in der Erlàuterung der Schrift, in der Exegese,anzunehmenden Unterscheidungen; sie steht bei
Erasmus von Rotterdam, Ecclesiastes sive de rationeconcionandi, Basileae, 1535, S. 369:
„Scripturae sermo quadrifariam diuiditur.
Quaedam dictmtur, nec sunt. Quaedam sunt, necdicuntur. Quaedam dicuntur et sunt. Quaedamnec dicuntur, nec sunt."
Und zur Erklàrung fàhrt Erasmus fort:
„Primae classis sunt, quum deus dicitur obdor-misse, aut irasci, aut auertere faciem, aliaque huiusgeneris innumera, quorum nihil uere cadit in deumjsed quod sub his uerbis latet, congruit deo. Secundiordinis est, quod filius dicitur homusius patri, pateringenitus et àvctQxog, quum nihil horum expressumsit in sacris literis, sed hinc certa ratiocinatione
colliguntur. Tertiae sortis est, quod Paulus appellat
Christum deum et hominem. Hoc enim citra omnemtropum uerum est. Quarti generis sit, si quis dicat,
treis personas esse treis deos natura diuersos, aut
mundum caruisse initio, quod nec scriptum est, necullo tropo uerum est."
Wir haben also hier dieselbe Einteilungnach zwei in Gegensàtze gebrachtenaccidentiellen Relationen; die Sàtze des
Rotterdamer Theologen erkennen wir aber auchschon als eine Anwendung des Schemas, das Scotus
Erigena in die christliche Theosophie eingefiihrt hat
und das wenigstens àuCerlich die Grundlage seines
philosophischen Systems bildet. Im 1. Kapitel des
I. Buches De divisione naturae sagt Erigena (Patro-
logia latina, t. 122, S. 442):
176
„Videtur raihi divisio naturae per quattuordifferentias quattuor species recipere: quarumprima est in eam, quae creat et non creatur; se-
cunda in eam, quae creatur et creat; tertia in eam,quae creatur et non creat; quarta, quae nec creat,
nec creatur." (Ebenso II, 1, S. 525, III, 1, S. 621,
V, 39, S. 1021 usw.)
Aber Erigena war, in dieser Beziehung wenig-stens, kein origineller Denker. Ritter weist inseiner Geschichte der Philosophie, IV, S. 215 undVII, S. 375 nach, daB sich dieselbe Einteilung in derSchule der Sankhya findet: „Alles, was Gegenstandder Wissenschaft ist, ist entweder erzeugend undnicht erzeugt, oder zugleich erzeugend und erzeugt,oder nicht erzeugend, aber erzeugt, oder weder er-
zeugend, noch erzeugt."
Christlieb (Leben und Lehre des Johannes Sco-tus Erigena, Gotha, 1860, S. 129) will, weil zwischender Formel Erigenas und der der indischen Schulekein Zwischenglied gefunden ist, die OriginalitàtErigenas weiter bewàhren; aber Kaulich (Das spa-kulative System des Johannes Scotus Erigena, Prag,1680, S. 83) verweist auf die drei Unterscheidungenbei Aristoteles von einem Unbewegten, aber Be-wegenden, einem Bewegten und JBewegenden undeinem Bewegten, aber nicht mehr Bewegenden; ver-binde man damit die Theosis der Neuplatoniker, soseien die vier Unterschiede gegeben.
Handelt es sich jedoch nur um die formale Ein-teilung der Natur, dann braucht man die Theosisder Neuplatoniker nicht; sondern um das allge-meine Schema zu erhalten, geniigt es, daB das beiAristoteles fehlende vierte Glied aus den drei an-gegebenen Beziehungen hergestellt wird:
+ a, + b.
+ a, — b.— a, + b.
— a, — b.
Arlotto, Schwankc I. 12 177
Aber auch zwischen Aristoteles und Erigenagibt es Zwischenglieder; daB ich auf sie verweisenkann, verdanke ich einer gùtigen Mitteilung des
Herrn Professors Dr. Wiinsche in Dresden: in demtalmudischen Traktate Pirke Aboth oder Kapitel derVdter, dessen Abfassungszeit mindestens ein halbes
Jahrtausend vor der Geburt Erigenas liegt, stehn
folgende Sàtze (Wùnsche, Der babylonische Tal-
mud, II, 3, 1889, S. 462 f f.) :
„Vier Sinnesarten gibt es bei den Menschen:Wer da spricht: Das Meine ist mein und das Deineist dein, das ist die Sinnesart eines MittelmàBigen . .
.
Das Meine ist dein und das Deine ist mein, das ist
die Sinnesart eines Ungebildeten. Das Meine ist
Dein und das Deine ist dein, das ist die Sinnesart
eines Frommen. Das Meine ist mein und das Deineist mein, das ist die Sinnesart eines Frevlers.
Vier Gemùtsarten gibt es: Wer leicht zu erziir-
nen und leicht zu besanftigen ist, dessen Lohn geht
in dem Schaden auf, wer schwer zu erziirnen undschwer zu besanftigen ist, dessen Schade geht in
seinem Lohne auf, wer schwer zu erziirnen undleicht zu besanftigen ist, das ist der Fromme, undwer leicht zu erziirnen und schwer zu besanftigen
ist, das ist der Frevler.
Vier Eigenschaften sind an den Schiilern zu be-
merken: Wer schnell im Erfassen und schnell imVergessen ist, dessen Lohn geht in seinem Schadenauf, wer schwer im Erfassen und schwer im Ver-
gessen ist, dessen Schade geht in dem Lohne auf;
schnell im Erfassen und schwer im Vergessen, das
ist ein gutes Teil, schwer im Erfassen und leicht imVergessen, das ist ein boses Teil.
Vier Arten gibt es unter denen, die Almosenspenden: Wer gern selbst gibt und nicht will, daB
andere geben, der ist miBgùnstig in Bezug auf
andere, wer will, daB andere geben, aber selbst
nicht gibt, der ist miBgiinstig in Bezug auf sich, werselbst gibt und will, daB andere geben, der ist ein
178
Frommer, iind wer selbst nicht gibt, aber (nicht)
will, daB andere geben, der ist ein Frevler.
Vier Arten gibt es unter denen, die ins Lehr-haus gehen: Wer hingeht und nicht ausiibt, der hatdas Verdienst des Gehens, wer ausiibt und nichthingeht, der hat den Lohn fùr das Ausiiben, werhingeht und ausiibt, der ist ein Frommer, weraber nicht hingeht und nicht ausiibt, der ist einFrevler."
SchlieBlich sei es noch gestattet, eine jiingere
Parallele anzufuhren; sie steht in den Sorberiana,Tolosae, 1694, S. 90 fi.:
„Divisio rerum. Il y a des choses quii vautmieux faire que dire. Il y en a quii vaut mieux dire
que faire. Il y en a qu'il ne faut ni dire ni faire.
Il y en a qu'il faut faire et dire.
Dans le premier ordre je mets les plaisirs dessens, et particulierement ceux du goùt et de l'atou-
chement, desquels la prudence conseille de joui'r
en secret ou sans ostentation.
Du second rang sont toutes les choses qui vontà la défense, et qui servent à nous faire craindre,ou à oter les obstacles que l'on nous peut aporter.Et ainsi il vaut mieux que la bravour et le courageparoissent en tuant les gens de la langue, que de1 epée, et par les menaces, que par les éfets.
Du troisiéme rang sont toutes les choses in-
justes, et qui tendent à ravir le bien d'autrui.
Dans le dernier ordre je range tout ce que les
loix et la piété enseignent de pratique: il le fautfaire à la vue de tout le monde, et méme il est bonde s'en entretenir."
Kehren wir zu Arlotto zuriick. Es ist wohl an-zunehmen , daB zwischen Erigena und Erasmusirgend jemand das alte Schema zu einem Satze be-nutzt haben wird, der etwa so gelautet haben miiBte:Es gibt viererlei Dinge: 1. solche , die von denPriestern und von den Laien verstanden werden,
12* 179
2. solche, die wohl von den Priestern, aber nicht vonden Laien verstanden werden, usw. Dann hàtte ein-
fach der Pfarrer Arlotto oder schon vor ihm jemanddiesen Satz parodiert; und diese Annahme wirdsehr wahrscheinlich, wenn man dieFacetien 56 und 64betrachtet, wo es sich sicherlich um Parodien àhn-licher Sàtze handelt. Vgl. dazu die Anmerkung zurFacetie 64.
IV. MABC; abgedruckt im Piovano Arlotto, I,
S. 510. — Domeniche 1548, Bl. F3a. — Manni, III,
S. 81.
Les Facétieuses Iournées, i. IV, n. 5, Bl. 123b: LeCure Arlotto Florentin, estant en la ville de Londresen Angleterre, est prie de dire la Messe: et apresVauoir diete, voulant vser d'vne certame costumeet ceremonie quils ont (ou auoient de ce temps là)
il taxe Vyurongnerie des Anglois, qui disoient quela rougeur de leur visage et de leurs yeux procedoitde l'air trop subtil de leur pays; die Facetie wirddurch die Lebensbeschreibung des Pfarrers Arlotto
eingeleitet. — Le Patron, Nr. 2.
Denselben Schwank erzàhlt schon der um16 Jahre altere Landsmann Arlottos , Poggio , in
seiner 145. Facetie von einem florentinischen Geist-
iichen, der mit einem gewissen Philippus, „qui His-
panus cognominabatur", nach Ungarn gekommen sei,
wo fur die Augenkranken derselbe fromme Ge-brauch, wie er hier von England berichtet wird, ge-
golten habe. Dieser Philippus ist nun, wie Mannibemerkt, jener Filippo degli Scolari, der sich PippoSpano nannte und Generalkapitàn des Kaisers undKonigs Sigismund war; von diesem Pippo Spanoheifit es in der Novella del Grasso legnaiuolo, daBer seine Landsleute gern aufgenommen und ge-
fordert habe, weshalb sich denn auch der dicke
Tischler — der Held der 15. Facetie Arlottos —habe bereden lassen, nach Ungarn zu ziehen. Mansieht, daB in der Facetie Poggios ein historischer
180
Kern steckt, und darum diirfen wir sie wohl fiir dieurspriingliche halten, die, ob nun erfunden odernicht, etwa um 1410 in Florenz von Mund zu Mundgegangen sein diirfte.
MABC; abgedruckt im Cherico del PiovanoArlotto (Giugno), S. 46. — Manni, III, S. 82.
Eine der àltesten, vielleicht die àlteste Formdieses Schwankes steht im Libro de los Enxiemplosdel Conde Lucanor et de Patronio des InfantenJuan Manuel, enx. 20: De lo que contescio a un rreycon un omne quel' dixo quel' faria alquimia (Aus-gabe von Knust, Leipzig, 1900, S. 76 ff.; in der Aus-gabe Vigo, 1898, I, S. 78 ist dieses enxiemplo dascapitulo 8, ebenso in der Ausgabe von A. Keller,
Stuttgart, 1839, und in Eichendorffs Ùbersetzung,Berlin, 1840): Ein Kònig gibt einem Alchymisteneine groBe Summe Geldes, wofiir dieser ein zumGoldmachen nòtiges Ingrediens, Tabardie genannt,aus einem fernen Lande herbeischaffen will. Dasich nun die Spafivogel ùber den Konig lustig
machen und ihn mit andern als einen unklugenMenschen aufschreiben, ruft er sie zu sich und sie
sagen ihm, als er sie fragt, warum er ihrer Meinungnach unklug sei, dafì es wenig verniinltig gewesensei, einem Fremden so viel Geld zu geben; aufseinen Einwand, da6 der Fremde wohl wieder»kommen werde, antworten sie, dafi sie in diesemFall seinen Namen lòschen und dafùr den desFremden einsetzen wurden.
Etwas veràndert behandelt den Stoff die
74. Novelle in Borghinis Ausgabe der Novelle an-tiche, die 1572 unter dem Titel Libro de Novelle,et di bel Parlar Gentile in Florenz herausgekom-men ist. Borghini hat aus Rìicksicht fiir die Kircheaus der Ausgabe Gualteruzzis von 1525 17 Novellendurch andere ersetzt; eine von diesen eingescho-benen ist diese 74.: Qui conta di certi, che per cer-
care del meglio, perderono il bene, die er einem
181
sehr alten Umschlagblatte eines Livius entnommenhat (vgl. dariiber G. Biagi, Le Novelle antiche,Firenze, 1880, S. CLVff.). In dieser Fassung wirdschon der Betrogene, dessen Stand nicht nàher an-gegeben ist, von einem aufgeschrieben, der es sich
zur Beschàftigung gemacht hat, alle Dummheitenzu verzeichnen.
Um einen von einem Konige Eduard von Eng-land angestellten Schreiber mit dem Namen Merlin,dessen Amt es ist, alle einfàltigen Streiche, die amHofe geschehn, zu verzeichnen, handelt es sich in
dem 190. Stiicke der Facezie e motti dei secoli XV e
XVI, Bologna, 1874, die Papanti aus einer in diesemTeile (Nr. 1—263) dem 15. Jahrhundert angehòren-den Handschrift herausgegeben hat; der Konig wirdvon Merlin in das Buch eingetragen, weil er einemCourier fur eine Reise nach Rom, die in der ge-
stellten kurzen Frist unmoglich zuriickzulegen ist,
eine Belohnung von 1000 Dukaten vorausbezahlt hat.
Wie in der dritten Beilage des Anhanges aus-gefiihrt wird, beruht eine ganze Reihe von Er-zàhlungen dieser Handschrift auf derselben Quellewie die Facetie e motti arguti, die Domenichi 1548aus einem wohl handschriftlichen Buche des PadreStradino herausgegeben hat; die Geschichte vondem Konige von England und von Merlin steht
in dieser ersten Ausgabe der Facetien DomenichisBl. E5
a ff . und ist auch in den spàtern Druckenin dieser Form, hochstens textlich geringfiigig ge-
àndert, beibehalten worden (Firenze, 1562, S. 242 ff.,
Venetia, 1562, Bl. 145bff., Venetia, 1564, Bl. 145 b,
Firenze, 1564, S. 264, Venetia, 1565, S. 333 ff.,
Venetia, 1571, S. 300, Venetia, 1574, S. 300, Venetia,
1581, S. 300 ff. usw.j, so dafi fur ihre Verbreitungwohl genìigend gesorgt war; auf sie geht eine latei-
nische Darstellung im Democritus ridens, Amstelo-dami, 1649, S. 54 zuriick.
Demselben Buche des Padre Stradino hat aberDomenichi fùr die erste Ausgabe seiner Facetie,
182
und nur fùr diese, noch eine andere, denselben
Gegenstand behandelnde Anekdote entnommen;diese steht zehn Seiten weiter (Bl. F3 a) und stellt
sich als ein Auszug aus der in Rede stehendenFacetie des Pfarrers Arlottos dar, mit dessen ganzunvermittelt genanntem Libro degli errori sie be-
ginnt.
Im Gegensatz zu den kurzen Fassungen der
Novelle antiche und der zweiten besprochenen ita-
liànischen Version wird die Schnurre in alien Aus-gaben der Facetien Arlottos sehr ausfuhrlich er-
zàhlt; der Text bietet liberali nur geringfugige Ab-weichungen von dem Texte des auch von PadreStradino herriihrenden, ja sogar sicher von seiner
Hand stammenden Manuskriptes der Laurenziana,
auf dem die Ausgabe Baccinis und diese Ùber-tragung beruhen.
Kùrzer bearbeitet ist unser Schwank in der
Arcadia di Brenta (zit. Ausg., S. 320).
Nach einem Drucke der Gattung B hat ihn
Chappuis in den Facétieuses lournées, i. IV, n. 6,
Bl. 127a, ins Franzòsische ubersetzt; ebenso bringt
ihn der Patron de Vhonneste raillerie, Nr. 3.
Eine andere Version als die sonstigen Ausgabender Facetien Domenichis haben die italiànisch-
franzòsischen Ausgaben: die Facecies, et motz sub-
tilz erzàhlen (Lyon, 1559, Bl. 46b, Facecies, et motssubtils, Lyon, 1597, S. 147), dafi Konig Alfonso vonNeapel einem Mauren 10 000 Dukaten gegeben habe,
damit er in der Levante Pferde kaufe; daraufhinwird der Konig von seinem Hofnarren, der nicht
namentlich genannt ist, in das Buch eingetragen usw.
Leider war mir die von Gamba und Passano als
erste verzeichnete italiànisch-franzòsische Ausgabe(Lyon, 1556) nicht zugànglich; wenn sie aber wirk-
lich existiert, so enthàlt sie wohl denselben Text.
Ebenso war es mir unmoglich in die auch 1556,
aber in Paris erschienenen Divers propos memo-rables von Gilles Corrozet Einsicht zu nehmen, auf
183
deren Bl 104 a eine Anekdote von dem Kònige vonNeapel und seinem Narren steht, die dann in
den Recueil de plusieurs plaisantes nouvelles,apophtegmes et recreations diverses von Ant. Tyron,Anvers, 1578 und in ein niederlàndisches Schwank-buch iibergegangen ist (vgl. den Aufsatz von Stiefel
im Archiv f. d. Stud. d. neueren Sprachen, XCIV,3. 129 fi).
Nichts andres als der franzòsische Text derFacecies, et motz subtilz ist das Stiick Plaisanterie
du Bouffon du Roy des Napels im FacecieuxReveille-matin (1. Ausg. 1643), Nymegue, 1678, S. 9,
wiederabgedruckt im Roger Bontemps en Belle hu-meur, Cologne, 1670, S. 26 und in den NouveauxContes à rire, Cologne, 1722, I, S. 46. Mit gering-fiigiger Ànderung steht dieselbe Fassung auch bei
L. Garon, Le Chasse-ennuy (1. Ausg. 1628), Paris,
1641, I, Nr. 97, S. 95: Gaillardise du Fol du mesmePrince; nach Garon ist sie von Christoph Lehmannim Exilium melancholiae (1. Ausg. 1643), StraBburg,1669, T, Nr. 22, S. 436 ins Deutsche ùbertragen.
Bei G. Bouchet, Les Serées (1. Ausg. 1584 bis
1598), ed. C. E. Roybet (Ch. Royer et E. Courbet),1873 ff., V, S. 52 tritt an die Stelle des KònigsAlfonso un Due de Milan, der einem More — dasWort wird hier synonym mit Negre gebraucht —dreiBigtausend Dukaten gegeben hat, damit er in
der Berberei Pferde kaufe; in Baratons GedichtLe Boufon in den Poesies diverses, Paris, 1705, S. 9ist es wieder Konig Alfonso, der einen Griechenin die Levante Pferde kaufen schickt. Von KònigAlfonso und einem Mauren erzàhlt J. L. Weidnerin seiner Fortsetzung von Zincgrefs TeutschenApophthegmata, zit. Ausg. IH, S. 339 und IV, S. 263und nach Weidner K. F. Flògel in der Geschichteder Hofnarren, Liegnitz und Leipzig, 1789, S. 304.
Es ist nicht zu verwundern, dafi die Schnurreauch auf historische Personen iibertragen worden ist;
so ist ihr Held in mehrern Fassungen ein Hofnarr
184
Franz I . von Frankreich, Triboulet, woriiber M. D. D. A.(Dreux du Radier) Récréations historiques, critiques,
morales et d'érudition, A la Haye, 1768, I. S. 6 ff .,
P. L. Jacob (Paul Lacroix), Curiosités de Vhistoire
de France, Paris, 1858, S.120ff., A.Canel, Rechercheshistoriques sur les fous des rois de France, Paris,
1873, S. Ili ff. und Knust im Conde Lucanor, S. 351zu vergleichen sind.
In einer FuBnote erwàhnt Canel, daB Salaberryin einer dieser Anekdoten Triboulet durch seinenberiihmtern Kollegen Brusquet ersetzt; dies ist aberschon viel frùher geschehn und zwar von FrancisBacon in der Collection ot Apophthegms new andold [Essays età, London, 1902, S. 728).
Ein anderer Zweig von Nachahmungen, wo meistdas Vertrauen auf einen Alchymisten den Grundzur Eintragung in das Buch bildet, geht vom CondeLucanor aus. In dem Sobremesa y alivio de cami-nantes von Juan de Timoneda (1. Ausg. 1563), p. II,
e. 29 [Biblioteca de autores espanoles, III, Madrid,1850, S. 179) ist es ein gran seiior, der zu demSchaden auch den Spott leiden muB, in dem Librode chistes von Luis de Pinedo oder Liber facetiarumet similitudinum Ludovici de Pinedo et amicorum(A. Paz y Mélia, Sales espanolas, Madrid, 1890 ff.,
I, S. 302 ff.) und in der Fiorestà espanola von Mel-chor de Santa Cruz (1. Ausg. 1574), Bruxellas,
1598, p. I, e. 3, Nr. 1, S. 6 ist es der ErzbischofAlonso Carrillo. Vereinfacht ist die Geschichte in
einem der Cuentos von D. Juan de Arguijo (A. Pazy Mélia, Sales espanolas, II, S. 177 ff.). Die Fassungin der Silva curiosa von Juliàn de Medrano, Paris,
1583, S. 207 ist, was Knust, der sie zitiert, ent-gangen ist, nur ein Abdruck aus dem Sobremesa.Die Erzàhlung der Floresta espanola hat ChristophLehmann im Exilium melancholiae, A, Nr. 10, S. 4ins Deutsche ùbersetzt.
Auf einer spanischen Quelle beruhen fernernoch D'Ouville, L'Elite des contes (1. Ausg. 1641),
185
Paris, 1873, II, S. 314: Repartie hardie d'un secre-taire à son maistre, Joh. Balth. Schupp, Salomooder Regenten-Spiegel, Cap. 10 in Schuppii Schriff-
ten, Hanau, 1663, S. 117 und C. A. M. v. W„ Neu-auBgebutzter, Kurtzweiliger Zeitvertreiber, 1685,
S. 107 KVgl. auch Chauvin, Bibliographie des ouvrages
arabes, II, 1897, S. 153, Nr. 20. Bei Dunlop-Lieb-recht, Geschichte der Prosadichtungen, Berlin, 1851wird zu der Novelle des Conde Lucanor auf zweiErzàhlungen in den Disquisitiones Magicae vonDelrius verwiesen; diese handeln aber nur von be-truglichen Goldmachern und habe keine Beziehungzu unserm Schwanke.
Wie es aus den letzten Worten, die G. Amalfiin der Zeitschrift des Vereins ftir Volkskunde, VII,S. 265 dieser Facetie widmet, hervorginge, fàndesie sich auch in den Dieta et facta Alphonsi vonAntonius Panormita; naturiteli kommt in dem ganzenBuche nicht das mindeste Àhnliche vor.
VI. MA; abgedruckt in Cnerico del Piovano Arlotto,
Settembre, S. 33.
Der Umstand, daB dieser Schwank in den Aus-gaben B und C fehlt, verursacht es, daB er bis
jetzt unbeachtet geblieben ist, obwohl das MotivScheinzahlung fur Scheinleistung un-gewohnlich oft erortert worden ist, am ausfùhr-
lichsten wohl von Bolte in dem Neudrucke der
Wetzelschen Obersetzung von Christoforo ArmenosReise der Sòhne Giaffers, Tubingen, 1896, S. 209 ff.;
vgl. auch Hans Sachs, Schwanke, hg. v. Goetze undDrescher, Halle, 1893 ff., II, S. 578, III, S. 261 undV, S. 67 und meine Nachweisungen im Euphorion,
XV, S. 7.
1 Einc Anzahl der hier genanntenVersionen findet der Leser, wie
schon in der Einleitung bemerkt, am Schlusse des zweiten Bandes in
der zweiten Beilage des Anhanges abgedruckt.
186
Vgl. ferner Joannes de Nevizanis, Sylva nup-tialis, Lugduni, 1526, Bl. 119a und Scipio Glareano(d. i. Angelico Aprosio), La Grillaia, Napoli, 1668,
S. 443 ff., Grillo 39: Che tal'fiora anco dalle appa-renze l'huomo possa rimaner sodisfatto.
MA; abgedr. im Cherico del Piovano Arlotto VII.
(Giugno), S. 50. — Domenichi, 1548, F3b.
Eine hùbsche Parallele findet sich in einemApolog von Bernardino Ochino, der hier aus denFacetiae Henrici Bebelij, Jetzundt aber ge-bessert vnd gemehret, mit einer ordentlicher ab-wechselung vnd einmischung der Apologen deB Hoch-gelehrten vnd weitberùmbten Manns BernhardiniOchini von Senis Franckfurt am Mayn, 1589,
Bl. 99b wiedergegeben sei:
„Hierinn werden die lecherlichen Cere-monien der Pfaffen entdeckt.
Ein Dorf Pfaff solte an einem Sontag MeBhalten. Da nun die Kirch voller Volcks erschine,
hette er doch niemandts, der jhm geantwort oderzu Aitar gedient hett, dann sein helffer war kranck,ward also genotigt, allein MeB zu lesen vnd jmselbst zu dienen. Da er nun zu der verwandlungkam, erheischt sich es, das er drey sachen auff
einmal verrichten solte: Erstlich die Hostia in die
hòhe zuheben, jme daB MeBgewand hinden zuliipfen
vnnd ein Glócklein zuleuten, welches nicht weitvon dem Aitar vnnd also weit von den schranckenware, daB es kein Leye erreichen mochte. Dieweiler dann nicht drey Henden hette, die dazumal nothweren geweBt, hebt er mit der einen die Hostie vbersich, mit der andern lupffet er jm hinden das MeB-gewand, vnd an statt deB glocken leutens, pfeiffet
er oder schweglet mit dem mund, so starck er
mocht."
Etwas àhnliches, wo sich jedoch der Priester
dadurch hilft, daB er sich auch des FuBes bedient,
187
steht in der 12. Novelle Serminis [Le Novelle di
Sermini da Siena, Livorno, 1874, S. 170).
Zimmerische Chronik, hg. v. K. A. Barack,2. Aufl., Freiburg-Tiibingen, 1881, II, S. 548: „Er(Michel Narr 1
) hat uf ain zeit, als er aim priester
zue MoBkirch zu aitar gedienet, kein glogklin ge-
hapt, damit er ad elevationem klingln kinden; damitnun an seinem fleis nichs erwtinde, hat er, wie manelevirt und er hiinder dem priester gekniiet, mitbaiden henden an die rollen, so er an seinen orengehapt, zugleich als ob er klinglt, geschlagen; ist
abermals sein gelacht worden. Er het wol zu dempriester gefiiegt, der inter elevandum eucharistiamdie mit der ainen handt ufgehept und mit derandern handt geschnelt."
Zu dem Sprichworte „Wer abends hungrigschlafen geht" usw.. vgl. Boccaccio, Decameron,g. Ili, n. 4 (meine Obertragung, I, S. 300).
Vili. MAB. — Domenichi, 1548, Bl. Fab. — Manni,HI, S. 94.
Mit Ausnahme seines Schlusses deckt sich
dieser Schwank mit der 38. Facetie Poggios: DeReligioso, qui sermonem succinctissimum habuit.
Den SchluB, dafi die Wissenden die Unwissendenunterrichten mogen, werden wir bei Nasr-eddinwiederfinden.
IX. MABC. — Domenichi, 1548, F3b —- 1562, S. 255
= 1581, S. 315 usw. — Manni, III, 101 ff., wo eine
Anspielung Grazzinis auf diese Facetie verzeich-
net ist.
Les Facétieuses Iournées, i. IV, n. 7, Bl. 128b (ver-
breitert) : Arlotto a deux notaires en sa maison pour
vn soir, Vvn desquels est mal monte de cheual, quoyquon Veust asseuré, que son cheual aliasi comme
1 Narr Johann Wernhers des jungern von Zimbern.
188
vn nauire. A son partir du matin le cheual nebouge d'une place, pour Vesperon: Arlotto le charged'vne barre et perche, et monstre à le taire aller
commme une nauire. — Le Patron, Nr. 4.
Exilium melancholiae, P, Nr. 12, S. 333:
tfZween Notarii waren an einem Abend zu S.
Cresci (alido Piovano Arlotto wohnet) ankommen,welche er, seinem brauch nach auffs freundlichst
empfangen. Vnd indem er solche nach dem Nacht-essen fragen thàte, wo sie hinreisen willens, wardihme zur antwort, daB sie etlicher gewissen Ver-richtungen halber nach Florentz ziehen mùsten.Vnd weil sie sich selbigen Tag bey guter Tagszeitauff den Weg begeben, hàtten sie vermeynet, auff
den Abend dahin zu gelangen; jedoch wegen eines
schlimmen Pferds, welches Gerhardo Casini (seiti,
Arlotti, Verwandter) ihnen geliehen, hàtten sie nicht
vber fiinff Meil, vnd allein bifi allhero, kommenmogen, mit fernerm andeuten, was fùr ein guterCabali dieses were, ja, daB er auch wie ein Schiff
davon zu gehen pflegte. ,Ich kan mich', sagt Arlottohieriiber, ,deB Gerhardi halber nicht gnugsam ver-
wundern, als welcher sonst allezeit gute Pferd zuhalten im brauch gehabt, ich auch nun viel Jahrher ihn allezeit fùr einen redlichen Mann befunden.'
Als nun diese Gàste den andern Tag frii auff-
gestanden vnd von Arlotto ihren Abschied ge-
nommen, fieng der eine an, dem Pferdt die Sporenzu gèben, vnd kundte doch solches im geringsten
nicht von der Steli bringen, war auch nichts anders,
als wann er die Sporen auff einen Wollensackstossen thàte. DeBwegen er sich zu Arlotto wandtevnd sprach: ,Was dunckt euch von ewrem Ger-hardo? Sehet ihr auch, wie dieser Cabali als ein
Schiff laufft?' Darauff Arlotto einen starckenPriigel erwischt vnd das Pferd dermassen zer-
schlagen, daB es alsbald, vnd vollen sprungs, sich
davon gemacht. Welches als es Arlotto ersehen,
sprach er zu ihnen: ,Gerhardo hat euch noch die
189
rechte Warheit gesagt, daB sein Pferd wie ein Schiffdavon lauffe; dann auch, wann der FluB Arno kleinvnd wenig Wassers hat, so seynd auch die Schiffohne Stangen nicht fortzubringen.'
"
X. MABC. — Domenichi, 1548, Bl. F3b. — Manni,III, S. 99.
Les Facétieuses Iournées, i. Vili, n. 4, Bl. 260 b;
Bonne(s) trousse(s) du Cure Arlotto lequel ostaquatre tenches à vn Sienois (kombiniert mit der13. Facetie). — Le Patron, Nr. 5.
Vgl. das Fabliau De Brifaut (Montaiglon-Ray-naud, Recueil general et compiei des Fabliaux,Paris, 1872 ff., Ili, S. 151; Legrand d'Aussy, Fabliauxou Contes, 3e ed., Paris, 1829, III, S. 263; Bédier,Les Fabliaux, 2e ed., Paris, 1895, S. 451); Bouchet,Les Serées, III, S. 105; Les Récréations francoises
(1. Ausg. 1663), Utopie, 1681, I, S.320: D'un qui des-roba une piece de toille; L'Arcadia in Brenta, S. 91.
XI. MA. — Domenichi, 1548, Bl. F3b = 1562, S. 256= 1581, S. 315 usw. = Facecies et motz subtilz,
1559, Bl. 19 b —: 1597, S. 61.
XII. MA. — Domenichi, 1548, Bl. Fab = 1562, S. 256= 1581, S. 315 usw.
XIII. MABC. — Domenichi, 1548, Bl. F4a == 1562,
S. 256 = 1581, S. 316 usw. — Manni, III, S. 96.
Les Facétieuses Iournées, i. Vili, n. 4 als Fort-setzung der Facetie 10. — Le Patron, Nr. 6.
XIV. MAB.Les Facétieuses Iournées, i. IV, n. 8, Bl. 130b; Vn
riche pàisan meurt le iour du Vendredy Sainct, enla Parroisse du Cure Arlotto: La mere se deult et
plaint que les cloches ne sonnent à son enterrement,
et requiert au moins le son de quelque chose: elle
faict tant par importunité, que son Hls est enterré
et porte à VEglise, au son d'une Cornemuse.
190
MAB. — Domenichi, 1548, Bl. F4a — 1562, XV.S. 256 = 1581, S. 316 usw.
MA. — Domenichi, 1548, Bl. F4a. XVI.Vgl. die 30. Facetie Poggios: Confabulano Nico-
lai Anagnini.
MAB; abgedruckt im Cherico del Piovano Ar- XVII.lotto, Settembre, S. 36. — Facezie e motti dei sec.
XV e XVI, Nr. 167, S. 100. — Domenichi, 1548,Bl. Eb.
Vgl. Poggios Facetie 71: De quodam pastoresimulatim confitente = Gastius, Convivales ser-
mones, I (1. Ausg. 1540), Basileae, 1561, S. 215:De pastore quodam. Nach Gastius ist der Schwankiibersetzt von Domenichi, 1548, Bl. H2a (D'unPastore) = 1562, S. 159 = Facecies, et motz sub-tilz, 1559, Bl. 21a (1597, S. 67); etwas veràndertDomenichi, 1581, S. 197. Auf Poggio beruht auchCasalicchio, Lutile col dolce (1. Ausg. 1671), Vene-zia, 1708, cent. I, dee. II, arg. 8, S. 37; aus demVolksmunde erzàhlt Pitré, Fiabe, novelle e raccontipopolari siciliani, Palermo, 1875, IV, S. 137, Nr. 259:
Forisi scrupulu di la stizza di lu latti.
Schliefilich gehòrt noch hierher folgendeSchnurre Ochinos (zit. Ausg. Bl. 137 a):
„In diesem wirt angezeigt, was die
Weiber gewohnlich fiir ein beissendefi Gewissens haben.
Es ward ein alter erfahrner Beichtvatter ge-fragt, was gewohnlich die Weiber fùr ein nagen imGewissen hetten. Der antwortet: ,Fast wie einePfaffen Kellerin, die jhr, nach dem sie geborn hett,
ein Gewissen nam, in die Kirchen zu gehen, vordem sie aufi dem Kindbett gesegnet were, vnd namjhr gar keins, zu dem Pfaffen in die Kammer zugehen, sich daselbst zu besudlenV
191
Die Worte, womit der Pfarrer dem verstòrtenBauer zuredet, die schreckliche Siinde zu beich-ten, sind nicht ohne Beziehung zu den Reden desMonchs in der 1. Novelle des Dekamerons (in
meiner Ausgabe, I, S. 48).
XVIII. MA. — Domenichi, 1548, Bl. F4 a,
XIX. MABC. — Manni, III, S. 95.
XX. MAB.Domenichi erzàhlt eine beinahe identische
Schnurre von einem Ser Piero Lotti 1; bei ihm heiBt
es (1548, Bl. B3a — 1562, S. 92 = 1581, S. 113 etc.) :
„Ser Piero Lotti s'hauea recato à noia uno, chequando egli diceua messa sempre innanzi à lui
soleua dire, per omnia secula seculorum. Horahauendo Ser Piero un tratto à dire per omniasecula seculorum, e sentendo colui per essere in-
nanzi à lui, lo diceua forte, mutato proposito, disse,
Dominus uobiscum, e à quel tale: uè che non ti
apponesti."
XXI. MAB; abgedruckt in meiner Ausgabe von Hein-rich Bebels Schwànken, Miinchen, 1907, I, S. 176.
— Manni, III, S. 95 ff.
AuBer Bebel, II, Nr. 19 und den dort gegebenenVerweisen vgl. noch Henri Estienne, Apologie pourHérodote (1. Ausg. 1566), A la Haye, 1735, II,
Chap. XXXIX, 20, S. 344 und folgendes Stuck ausder Floresta espanola (p. I, e. VI, Nr. 16, zit.
Ausg. S. 16), das mit der Facetie Arlottos merk-wùrdig ubereinstimmt:
„Vn cauallero dixo a vn frayle, que se estaua
vistiendo para dezir missa, que la dixesse de caca,
* Von demselben Priester erzàhlt Domenichi ùbereinstimmendmit den Facezie e motti dei secoli XV e XVI, S. 83, Nr. 122 noch einen
andern lustigen Ausspruch ; dieser steht 1548 auf Bl. B a, 1562 S. 84,
1581 S. 102 etc.
192
porque fuesse breue. El frayle dissimulando,
estimo mirando el missal boluiendo muchas hojas:
y dende a mas de media hora respondio: En verdadSenor, que no he hallado en todo el missal tal
missa."Auch von einer Jàgermesse handelt die 7. Fa-
cetie Lodovico Carbones, eines Zeitgenossen Ar-lottos (Facezie di Lodovico Carbone Ferrarese, edite
da Abd-el-Kader Salza, Livorno, 1900, S. 8) ; das ist
aber auch der einzige Bertihrungspunkt mit dem in
Rede stehenden Schwanke. Zu der Facetie Car-bones wàren Pauli, Schimpf und Ernst, Nr. 75, hg. v.
Òsterley, Stuttgart, 1866, S. 60, Castiglione, // Corte-
giano, 1. II, e. 82 (meine Ausgabe I. Bd., S. 213) undfolgende Stelle aus der Predigt fur den Mittwoch in
der Karwoche in Gabriel Barletas Sermones quadra-gesimales (1. Ausg. 1497), Brixie, 1521, Bl. 147 b zuvergleichen: „Facetia de duobus capellanis in domoBartholomei, quorum vnus alterum increpabat, quodmedium canonis non dicebat, alius autem, quodnihil. Vis vituperare vnum sacerdotem? Quandomissam dicit da bestia."
MA. — Domenichi, 1548, Bl. F 4a = 1562, S. 257 XXII.
s= 1581, S. 317 usw.; der Pfarrer Arlotto wird wohlnicht erwàhnt, aber die Facetie steht mitten unterden auf ihn beziiglichen.
H. Estienne, Apologie pour Hérodote, chap. XIV,14, I, S. 194 fi:
„. . . Ils ont aussi accoustumé en plusieurs lieux
d'Italie de souhaiter à ceux qu'ils maudissent, il
malanno et la mala pasqua. Lequel maudisson mefait souuenir d'vne histoire fort plaisante, et venantbien à propos ici. C'est d'vn cousturier de Flo-rence, lequel ayant de long temps adoré auecgrande deuotion vne image de S. Iean Baptiste, quiestoit au tempie de santo Michaele Berteldi, vniour entre les autres de bon matin s'estant age-nouillé deuant ceste image, vient, apres quelques
Arlotto, Schwanke I. 13 J93
oraisons qui luy estoyent ordinaires, à tenir tels
propos à icelle, Glorioso santo Giouanni benedettoio ti priego che etc. C'est à dire, Glorieux sainctIehan benict, ie te prie de m'ottroyer ces deuxrequestes. La premiere est, que ie voudrois scauoirsi ma femme me fit iamais faute: la seconde, quiidoit aduenir d'vn fils que i'ay. Voila la priere dece deuotieux cousturier. Or faut-il noter qu'vnieune secretin qui s'estoit ia plusieurs fois apperceude ceste facon de faire d'iceluy, eut enuie de des-couurir le secret, et de scauoir quel propos cest
homme tenoit à ceste image: et de faict trouuamoyen d'ouir ladicte priere, s'estant cache derriere
l'autel ou elle estoit. Contrefaisant donc S. IehanBaptiste, respondit, Sappi charissimo figliolo, etc.
C'est à dire, le veux que tu scaches mon trescher
fils que pour la deuotion et reuerence que tu m'asportee long temps, tu seras exaucé. Reuien ici
demain matin, et tu auras certaine responce. Vat'en en paix. Le cousturier fort ioyeux de telle
response s'en retourna à la maison et ne faillit le
lendemain à l'assignation, ni n'oublia apres toutes
ses deuotions et oraisons ordinaires, de sommerledict S. Iehan Baptiste de sa promesse, disant,
Dolcissimo santo Giouanni io ti priego che mi ob-
serua la promessa. C'est à dire, Trescher S. Iean ie
te prie me tenir promesse. Alors ce secretin (qui
n'auoit failli aussi de retourner pour acheuer deiouer la farce) respondant en la personne dudict
S. Iean, luy dict, Seruo et amico mio sappi chel tuo
figliuolo sarà impiccato presto, et la tua donna hafatto fallo con più di vno. C'est a dire, Mon bonseruiteur et ami scache que ton fils sera bien tost
pendu, et que ta femme a faict faute auec plus d'vn.
Alors le cousturier estant entré en grande cholere,
se leue, et s'en va sans mot dire. Mais quand il
fut vers le milieu du tempie, se retourna, et sans
s'agenouiller, ni faire aucune de ses reuerences
accoustumees, mesme sans oster le bonnet, vint à
194
dire, Et quel S. Iean es tu? L'autre respond, le suis
ton S. Iean Baptiste. Alors ne se peut tenir le
cousturier de luy vser du maudisson lequel m'a missur ce propos: et de luy reprocher que ce n'estoit
pas d'alors qu'il auoit eu vne meschante langue,
et quelle auoit esté cause de luy faire couper la
teste par Herode. Mais ie metteray les propresmots, tels que ie les trouue, sans y rien changer, nonpas mesme l'orthographe, Sia col malanno et conla mala pasqua che Dio ti dia. Tu non dicesti maialtro che male, et per la tua pessima lingua ti fu
egli tagliato el capo da Herode. Et puis il adiousta,
So che tu non hai detto el vero di cosa io t'habi
domantata: io sono venuto qui ad adorarti da vinti-
cinque anni, o più, non ti ho mai dato impaccioalcuno: ma io ti prometto che mai più ci ritornerò
a vederti. Voila quell'est ceste histoire: et ha pourson auteur (au lieu dont ie l'ay prise) le seigneur
Piero di Cosmo di MediciVIn einer der unechten, erst in die 2. Ausgabe
(1558) aufgenommenen Novellen der Nouvellesrécréations et joyeux devis von Bonaventure DesPeriers, und zwar in der 124,, Comme un Escossois
fut guary du mal de ventre, au moyen que luy donnason hostesse (ed. P. L. Jacob, Paris, 1858, S. 381) ist
ein Schalk hinter dem Bilde des hi. Eutropius ver-
steckt, an den ein schottischer Soldat sein Gebetrichtet; der Soldat schieBt hin, nimmt aber, als er
den Làrm hort, den der andere bei seiner Fluchtmacht, Reifiaus, weil er furchtet, der Heilige ver-
folge ihn.
In der 71. Erzàhlung des 1602 erschienenenV. Buches von Hans Wilhelm Kirchhofs Wendunmuth(hg. v. Osterley, Tìibingen, 1869, III, S. 329) wirdeinem bayerischen Bauer, der vor einem hi. Leon-
1 Die Gcschichte ist ja Piero di Cosimo de'Medici in den Mundgelegt. Vgl. aber die zur nachsten Facetie mitgeteilten Stellen ausder Apologie pour Hérodote und aus Weidners Fortsetzung der Zinc-
grefschen Apophthegmata.
13* 195
hard kniet, von einem dahinter versteckten mit„Pfui dich, Bayer!" geantwortet; der Bayer entferntsich entriistet mit den Worten: „Pfui dich auch,Liendel, und abermal pfui dich, lieber Liendel!"
Bei Merckens, Was sich das Volk erzàhlt, II,
Jena (1895), S. 105, Nr. 123 ruft eine Schwàbin, die
vor einem Marienbilde betet, dem Jesuskinde, fùr
das ihr ein hinter dem Aitar versteckter geant-wortet hat, zu: „Du hàlschts Maul, wenn i mitdeiner Muatter schwàtz!" Àhnlich bei Sébillot,
Littérature orale de la Haute-Bretagne, Paris, 1881,
S. 112 und bei „Fulano, Zutano, Mengano y Peren-gano", Cuentos y chascarrillos andaluces, Madrid,1896, S. 189 ff., wozu der SchluB der zur nàchstenFacetie im Originai und in Weidners Bearbeitungmitgeteilten Stellen der Apologie pour Hérodotesamt ihrer zur Facetie 90 abgedruckten Fortsetzungzu vergleichen ist.
XXIII. MA.Ohne da6 Arlotto genannt wiirde, erzàhlt Do-
meniche 1548, Bl. G4 bff. :
„E io pazzo, andai a impacciarmi con fanciulli.
Questo disse uno, che haueua diuotione in quelDomenedio picciolino di Orto San Michele, che dis-
puta; il quale poi che hebbe accese molte candele,
perde il piato, di che si era a detto Domenediopiù uolte raccomandato."
H. Estienne, Apologie pour Hérodote, chap.
XXXIX, 12, II, S. 310 fi:
„ Tesmoin le Florentin qui dict à S. IeanBaptiste (c'est à dire à son image) Que de Dieusois tu maudict: tu as tousiours esté mesdisant, et
pour cela mesme Herode te coupa la teste. Et quile mouuoit à dire ceci, ie l'ay recite en la page 196
ou aussi sont les mots Italiens, ausquels respondentceux dont i'ay ici vsé. Or au mesme liure dont i'ay
pris ceste histoire là (intitulé Piaceuoleze del
piouano Arlotto) se trouue cest autre, qui vient au
196
mesme propos. Vn chaircuitier 1 de Florence auoitaccoustumé de venir faire ordinairement ses deuo-tions et donner des chandeles à l'image d'vn IesusChrist fort ieune (a-scauoir de cest aage qu'il auoitquand sa mere le trouua au tempie conferant auecles docteurs:) et s'estoit ainsi entretenu en sa bonnegrace par l'espace de plus de vint ans: au boutduquel temps auint qu'vne tuile tomba sur la teste
de son fils, et la luy accoustra de telle facon qu'onn'esperoit point qu'il en deust eschapper. Ce queluy voyant, il s'en vint trouuer son ieune IesusChrist, luy apportant vn assez beau cierge, au lieu
qu'il n'auoit accoustumé de luy apporter que deschandeles: et luy fit ceste priere, Dolce signore mioIesu Christo, io ti priego, renda (sic!) la sanità etc.
Cest à dire, Mon cher seigneur Iesus Christ, ie te
prie de rendre la sante à mon fils que i'aime tant.
Tu scais qu'il-y-a plus de vint-ans que ie te sers
fidelement, pendant lesquels ie ne t'ay iamais requisd'aucun plaisir: maintenant ie suis venu pour merecommander à toy, ayant mon fils en danger demort, qui est tout mon bien et toute mon esperance:de sorte que s'il mouroit, incontinent apres luy ie
mourrois desesperé. Pour les moins dois-tu auoiresgard à la deuotion qu'il te porte aussi bien quemoy. Ayant faict cest' oraison, s'en retourne en samaison, ou il trouue son fils mort. Et pourtantle lendemain estant en grande cholere s'en vint degrand matin trouuer son petit Iesus Christ, sans luyporter aucune chandelle: et luy vint à dire, sanss'agenouiller et sans oster le bonnet, le te renonce,et t'asseure que tu ne m'auras iamais aupres de toy.
le t'ay serui fidelement l'espace de plus de vint-ans,
et en tout ce temps ie ne t'ay requis que de ce seul
plaisir, et encore tu m'as esconduit. Si i'eusse faict
ceste requeste à ce grand crucefis qui est aupres de
1 Esticnne hat offcnbar das Wort farsettaio von dem lat. farcimenffranz. farce) hergeleitet; dahcr die Obersetzung durch charcutier.
197
toy, ie scay bien quii me l'eust ottroyee. le te pro-mets bien que toute ma vie ie me garderay d'auoir àfaire ni auec toy, ni auec enfant aucun. Et pourtoute raison aiousta ce prouerbe Italien, Chi s'im-paccia con fanciulli, con fanciulli si ritroua. La-quelle histoire (qui est là recitee plus au long, et
iusques à specifier le tempie, et l'endroit de la ville
auquel demeuroit ce chaircuitier) vient fort bien àpropos du prouerbe susdict, pour raison de cesteconclusion. Auec laquelle s'accorde bien aussi cequi fut dict par vn qui prioit vne Nostre Dame quitenoit son petit enfant: car au bout de sa priereayant eu quelque response qui ne luy plaisoit point,par vn qui s'estoit mis derriere l'image, (ainsi queceluy de Florence se mit derriere l'image de S. IeanBaptiste, et parla comme estant luy) il iugea à la
voix que ce n'estoit pas la mere qui auoit parie,
mais l'enfant, et pourtant luy dict, Taisez-vous petit
friand: laissez parler vostre mere qui est plus sageque vous."
Weidner hat im 4. Teile der Apophtegmata, zit.
Ausg. S. 257 ff. die zu dieser und zu der vorigen Fa-cetie mitgeteilten Stiicke der Apologie pour Héro-dote ausgeschrieben, ohne, wie er sonst wohl tut,
seine wirkliche Quelle zu nennen; hingegen hat ersich aus den beiden Angaben Estiennes dessenQuelle zu konstruieren versucht:
„Ein Metzger von Florentz.
Cosmus de Medicis erzehlet in seiner Bucherneim de S. Iouanno Arlotto (sic!), daB zu Florentzein Metzger gewesen, welcher alle tag vor ein JesuBilt gangen, das angebettet, jhm Wachskertzen ver-
ehrt: vff eine zeit war sein Sohngen todt kranck,derentwegen er seiner gewohnheit nach wieder vordem Bilt nidergefallen, vnd jhm ein viel gròsser
kertzen verehrt, vnd noch ein grossere dem ver-
heissen, wann er jhm seinen Sohn gesunt machenthàt: Aber als der gestorben, ist er den folgendentag in die Kirch geloffen, vnd mit zorn zum Bilt
198
geruffen: ,Wisse, das ich dir mein lebenlang keinkertz mehr bringe, den Hut nimmermehr vor dir
abnemen, viel weniger vor dir niederfallen will,
vnd dich anbetten: hàtte ich diesem bilt, so nechstda stehet, so viel Ehr erzeigt, es wùrde meinemSohn wol geholffen haben. Aber so gehet es,' sagt
er, ,wer sich mit Kindern anlegt, der wird vonKindern betrogen.' Rechter, wer sich mit gòtzenanlegt, der wird von gòtzen betrogen.
Ein anders dergleichen.
So wirdt von einem andern erzehlet, daB ein
Mann gewesen, der ein lange zeit die liebe Frawvnd das kindlein Jesu angebetten, aber vielleicht
nicht viel verehrte, derentwegen die Pfaffen vberjhn vnwillig; vnd als er vff ein zeit vor dem Bilt
bettend lag, rufft ein Pfaff, so nicht fern davonverborgen lag, daB sein bitten vergebens vnd nicht
erhòrt werd. Der Mann meinte, daB das KindleinJesu jhm diese Wort zugeruffen, vnd nit die MutterJesu, sagt: ,Schweig, du Jung leckergen, laB deineMutter sprechen, sie ist weiser vnd verstàndiger als
du.' Soli in Niderlandt, gleich als mir erzehlt, ge-
schehen seyn.
So war einer zu Florentz, der lag vor S. JoannisBilt, jhn bittend, daB er jhm vff zwey Dinge woltantwort geben. 1. Ob seine Fraw auch jhm vntrew,
vnd mit andern zu thun hàtte. 2. Wie es seinemSohn solt ergehen. DiB hòrt ein anderer, der aneinem ort heimlich verborgen lag, vnd sagt jhm:,Dein Fraw ist ein hur vnd ehebrecherinn, vnd dein
Sohn soli gehenckt werden.' Der Florentiner wurdzornig, steht auff vnd sagt zum Bilt: ,Du hast all-
zeit einen bòsen vnd vngehalttenen Mund gehabt,
daB du nicht schweigen kònnen: Darumb Herodes,daB du jhm ali zu viel in den Kappes geredt, dir
das Haupt hat lassen abschlagen; darumb hab ich
die liebe zeit von dir, such dir einen andern an-
better. Ich hab diese 25 jahr dir ali zu viel ehrangethan: ali zu viel ehr ist schand.'
199
Mercke, Leser, was die alien Papisten selbervon anbettung der Bilder gehalten, dieselbige vndandere Historien mehr beschrieben; vnd gleichwolwerden die jenige, so vom Papsthumb abgetretten,mit Fewer vnd Schwerdt verfolgt, weil sie diesenvnd dergleichen mehr MiBbràuchen im Papsthumbgebràuchlich, nicht wollen zustimmen."
XXIV. MABC.Le Patron, Nr. 7.
Die einleitenden Worte Dixit dominus dominomeo etc. des 110. Psalms scheinen von iibermùtigenKlerikern parodistisch in drohendem Sinne ge-
braucht worden zu sein; z. B. erzàhlt die Mensaphilosophica, ùber die mein Mònchslatein, Leipzig,
1909, S. XLI ff. zu vergleichen ist, im 32. Kapiteldes IV. Buches (Ausg. Francofurti, 1602, S. 259):
„Quidam clericus corruptissime dixit horas suas,
quem diabolus per capillos eleuans ait: ,Dixit domi-nus domino meo', et diu tenens grauiter caderepermisit, dicens: ,Sede a dextris meis.'
"
Zu den geringen Kenntnissen des Lateinischen,
die die italiànischen Priester aufwiesen, vgl. die
Nr. 33 im IL Buche von Bebels Schwànken (meineAusg. I, S. 63 und 182), wo der Italiàner seinemdeutschen Amtsbruder antwortet: „Non intelligo,
non sum sacerdos ad grammaticam" (d. i.: ad linguamlatinam) ; aber das Latein wurde (und wird auchwohl noch) meistens mit der Aussprache desheimischen Idioms gesprochen, so daJ3 sich An-gehorige fremder Nationalitàten nur schwer mit-
einander verstàndigen konnten, wozu man imGrillo XVI von P. Angelico Aprosios Grillaia, der
den Titel fìihrt: Non esser marauiglia, che vn Pre-
lato nel sentir fauellar Latino vn Tedesco s'imagi-
nasse, che discoresse nel proprio linguaccio, ein
paar hùbsche Belege findet.
XXV. MA.
200
MA; abgedruckt in Cherico del Piovano Arlotto,Giugno, S. 52.
Vgl. Abstemius, Hecatomythium (primum),fab. 19: De nautis sanctorum auxilium imploranti-bus (Aesopi Phrygis et aliorum fabulae, Venetiis,1539, Bl. 40 a) und Waldis, Esopus, II, Nr. 50 (hg.
v. Kurz, I, S. 236 und II, Anm., S. 100).
XXVI.
MAB.Domenichi, 1548, Bl. G5 aff. :
„Egli ha preso il porro, i.1
il sale, un prete leg-gendo porro unum est necessarium etc, daua al
popolo suo porri benedetti. Vn Cidattino paren-dogli pazzia, non uoleua pigliare il porro suo, Il
prete l'accusò per hertico al popolo, onde toccò dimolte pugna, tanto che prese il porro."
XXVIL
MABC.Le Patron, No. 8. — Gekurzt bei Flogel, S. 479= Fr. Nick, Die Hofnarren, Lustigmacher, Possen-
reiBer und Volksnarren, Stuttgart, 1861, I, S. 556.
XXVIII.
MA.
MA.
MABC.C. M. Robert, Fables inédites des Xlh, XHh
et XIVt siècles, Paris, 1825, II, S. 197 ff.; Benfey,Pantschatantra, Leipzig, 1859, I, S. 87; J. de LaFontaine, Oeuvres, ed. H. Regnier, Paris, 1883 ff.,
II, S. 358 ff.; Chauvin, Bibliographie, II, S. 113 ff.
MABC. — Manni, III, S. 96.
Le Patron, Nr. 9.
1i. = id est ; bemcrkt sei noch, daQ auch die vorhergehenden
Stiicke bei Domenichi Erklàrungen von Sprichwortern sind.
201
XXIX.
XXX.
XXXI.
XXXII.
XXXIII. MA; abgedruckt in meiner Ausgabe von BebelsSchwànken, I, S. 187. — Guicciardini, Detti, et fatti
piacevoli et gravi (1. Ausg. wohl 1565), Venetia,1581, S. 120: Parabola, dimostrante che la maluagiaè buona per tutto il pasto.
Danach deutsch von Daniel Federmann in denErquickstunden (1. Ausg. 1574), Basel, 1575, S. 170ff.:
„GleichnuB anzuzeigen, daB der Maluasierdurch die gantz malzeit gut ist.
Der Pfarrherr Arlotus Florentiner war ein sehrkurtzweiliger, sitlicher Prelat. Vnd als er auff ein
zeit zu Frantz Dini, ein fùrnemmen Burger, zumfruhmal gegangen ist, vnd zu tisch gesessen waren,saget gedachter Frantz: ,Herr Pfarrherr, ich habein guten Muscatell, wollen wir jhn vor oder nachdem fruhmal trincken?' Darauff antwort der Pfarr-
herr durch gleichnuB vnd sagt: ,Die lobwiirdige
Maria war jungfraw vor der geburt, in der geburtvnd nach der geburt.' Welche gleichnuB mehr ge-
melter Frantz Dini (als ein hofflicher, ehrerbietiger
Herr) alsbald verstanden, vnnd wolte, daB mandurch die gantze malzeit anders nicht trincken
solte, dann eytel Maluasier."
Danach Gerlach, Eutrapeliae (1. Ausg. 1639),
Leipzig, 1656, I, Nr. 911.
Bei Besprechung der Facetie Bebels II, Nr. 44habe ich die Meinung ausgesprochen, dafi sie auf
diese Facetie Arlottos zuriickgehe; diese Meinunghalte ich jetzt nicht mehr aufrecht, sondern glaube,
daB beide Schwànke auf eine und dieselbe Quelle
zurìickgehn, und die ist der von Bartolommeo daPisa zu Ende des 14. Jahrhunderts verfafite Liber
conformitatum s. Francisci cum Domino nostro Iesu
Christo, dessen erster Druck nach Brunet, III,
Sp. 1052 Mailand, 1510 ist.
Auszùge aus diesem sonderbaren Buche gibt
Erasmus Alberus in Der Barfuser Miinche Eulen-
202
spiegel vnd Alcoran, 1542 1; dieses Buch liegt
mir in einem Drucke o. O. vom Jahr 1614 vor, der
den Titel fùhrt : Alcoran. Wundermàssige, Aben-thewrliche Geschichtbericht, Von der Barfùsser
Mùnch, Eulenspiegels Francisci Leben, Thaten,
WunderwerckenDort heiBt es min, Bl. 25 a, No. 157: „Ein Pre-
diger Mùnch hatte vom Teuffel solche anfechtung,
daB er zweiffelt, ob Maria ein reine Jungfraw were,
vnnd als er vber solchen zweiffel zum Barfùser
Mùnche Egidio gehen wolt, vmb Raht zu fragen,
merckt solches Egidius im Geist vnd lieff jhm ent-
gegen vnd schlug mit einem Stecken dreymal auff
die Erden vnd sprach alle mal: ,Jungfraw fùr der
Geburt, in der Geburt, nach der Geburt'; vnd so
offt er auff die Erde schluge, wuchs ein Lilien auBder Erden." Und in margine steht: „DiB habensie den Prediger Mùnchen zum verdrieB erdacht."
Diese Stelle muBte zu einer Parodie, wenndieses Wort hier uberhaupt am Platze ist, geradezu
herausfordern und ist denn auch diesseits und jen-
seits der Alpen parodiert worden. Der Pfarrer
Arlotto mit seinem parodistischen Talente mag viel-
leicht der erste gewesen sein, der damit einmal
einen Franziskaner geneckt hat.
Nach Arlottos Facetie erzàhlt den SchwankFlògel, S. 479 = Nick, I, S. 554.
Meinen Nachweisen zu Bebel, II, Nr. 44 ist nochhinzuzufiigen Hermotimus, Additamenta, zit. Ausg.
S. 303: Quare MolUores candidis utantur vestibus.
MABC. — Manni, III, S. 103 ff. XXXIV.Les Facétieuses Iournées, i. IV, n. 9, Bl. 132af.:
Vn Angeuin estant arriué fard en une hostelle-
rie, tout trempé et mouillé, et ayant trouué deuant
le feu plusieurs gaudisseurs du lieu qui s amusoient
1 Obcr die franzosischen und lateinischen Ausgaben dieses
Buches vgl. Brunet, I, Sp. 151 ff.
203
à iouer et à boire, et qui Vempechoient de se chauf-fer à son aise, trouua vn subtil moyen pour les taire
sortir, et de se moquer d'eux. Die Novelle beginnt:„Vn Angeuin fort facetieux, venant de la Ferté vnsoir entre autres, logea à la Fleche, s'en voulantretourner à Angers: et voyant que ceux de la Flecheestoient grands moqueurs, il leur voulut bienmonstrer qu'il en scauvoit plus qu'eux . . .
." Wie manaus diesem Anfange und dem Argumente ersieht, ist
der Held nicht mehr Arlotto und auch die órtlich-
keit hat gewechselt; vgl. die zitierte Ausgabe vonBonav. Des Periers, Les nouvelles récréations,
S. 108. — Le Patron, Nr. 10.
Deutsche Ausziige bei Flògel, S. 480 {= Nick,I, S. 558) und F. H. v. d. Hagen, Briefe in die Hei-mat, II, S. 227.
XXXV. MAB. — Manni, III, S. 107.
XXXVI. MABC.Le Patron, Nr. 11.
XXXVII. MABC.Le Patron, Nr. 12 (zusammengezogen mit Fa-
cetie 40).
Vgl. Domenichi, 1562, S. 267 == 1581, S. 330(M. Lemmo Ricci) ; Strassburger Ràthselbuch (um1505), hg. v. Butsch, Strassburg, 1876, S. 21, Nr. 223:
„Ein frag. wòlchs das reinklichst hantwerck sey.
Antwort: ein haffner so die vff das heymlickait
geen wollen den bauch lem so weschen sie die
hendt vorhin."
XXXVIII. MA. — Guicciardini, S. 120: Perche Preti et
Frati sieno i più saui huomini del mondo (fehlt bei
Federmann)
.
Weidner, IV, S. 77 nach Marnix de St. Alde-gonde: „Dafi die Làyen miissen den geistlichen
Weiber vnnd Màgde auffziehen, gleich wie die
Bauren den Junckern die Hunden"; vgl. ebendort
S. 245.
204
MAB. XXXIX.Jo. de Nevizanis, Sylva nuptialis, Bl. 151 a :
„. . et est fatuum dictum, quod (mulieres) non pos-sint misse inseruire, quia nunquam perficereturKirieleyson, quia semper velint esse vltime ad lo-
quendum"; ebenso Bouchet, Les Serées, II, S. 270und Tabarin, Oeuvres complètes, Paris, 1858, I,
S. 107. Abraham a St. Clara sagt von einem zàn-kischen Weibe, sie habe allemal das letzte Kyrieeleison haben mussen (Judas der Erzschelm, Saltz-burg, 1710, II, S. 106).
MABC. XL.Le Patron, Nr. 12 (hinter Facetie 37).Jo. de Nevizanis, Sylva nuptialis, Bl. 113 a;
„. .vt est prouerbium: Amor de putane, careza decane, amicitia de preti, inuitamento de hosti non pòfar che non te costi, secundum Plebanum arlotum insuis facecijs." Vgl. auch Strafforello, I, S. 261,Carezza.
Weidner, IV, S. 251 ff.:
„Cursus asellorum celer, atque fides Monachorum,Gratia venalis meretricis, amor Monialis,Tunc cessant esse haec, quando magis est opus illis.
Eins Esels lauff, Mònchen Geistlichkeit,
Nonnen lieb, Huren getrewlichkeitSeynt vnbestàndig vnd nichs werth,Wann man am meisten sie begehrt."
MABC. — L'Arcadia in Brenta, S. 177 ff. — XLIManni, III, S, 99.
Les Facétieuses Iournées, i. IV, n. 10, Bl. 134 a:
Vn certain banquier de Sienne estant en peine pourhuict mille deux cents ducats quii auoit receu, et
estant en procez presi d'estre condamné à les rendredeux fois, ayant desia eu deux sentences contre luy,
à la troisieme gaigne la cause, par le moyen d'vnsien amy ignorant des loix et bonnes lettres. Wàh-rend die órtlichkeit beibehalten ist, ist aus Arlotto
205
ein Fiorentine!-, Lucio mit Namen, aus dem Erz-priester ein Seigneur Pandolphe und aus dem Ban-quier ein Seigneur Arnolfini geworden. — Le Patron,Nr. 13.
Ùber diese Novelle, die in letzter Instanz aufValerius Maximus, 1. VII, e. 3, ext., § 5 zuriickgeht,
haben mehr oder minder ausfuhrlich gehandeltKeller, Li Romans des sept sages, Tiibingen, 1836,
S. CLI; derselbe, Dyocletianus Leben, Quedlinburg,1841, S. 48; Òsterley zu Paulis Schimpf und Ernst,
Nr. 113, S. 485; Clouston, Popular tales and Hctions,
Edinburgh, 1887, II, S. 1 ff.; Waas, Die Quellen derBeispiele Boners, Dortmund, 1897, S. 54; Chauvin,Bibliographie, VIII, S. 63; Goetze-Drescher in HansSachsens Schwanken, IV, S. 225.
Ganz unbeachtet ist aber eine Fassung ge-
blieben, die mit unserer Version eine auffallende
Àhnlichkeit aufweist; sie steht schon in der ersten
Ausgabe der Facetien Domenichis und zwar in demTeile, der auf dem Buche des Padre Stradino be-
ruht. Sie ist in alien spàtern Ausgaben beibehaltenworden (1562, S. 210, 1581, S. 260, Facecies, 1559,
Bl. 16 a, 1597, S. 49 usw.) und zeigt nur in den ita-
liànisch-franzòsischen erheblichere Abweichungen;hier folge sie nach Domenichi, 1548, Bl. D 5
a;
„Tre giouani corsari fecero pensiero di habitare
in Siena, e posero su un banco 40 mila ducati di-
cendo non ne uolere discrettione nessuna, ma solo
che gli promettesse, non dare danaio nessuno, se nonin presenza di tutti tre. Vno die loro più cattiuo
pensò giuntargli e mostrò d'hauere alle mani di com-perare poderi, case e beni in comune: Fé dare untocco da gli altri giouani al banchieri, che stesse in
punto, perche di corto gli leuerebbono il danaio
intero: Poi osseruò un di che quelli due caualcauanoin caccia con altri giouani, e mentre erano à cauallo,
disse loro, che bisognaua 50 ducati per finire la
casa. Quelli due giouani passarono dal banco e
dissero: darai à costui quello ti chiede, non si aui-
206
sando dell'inganno, e rimaso leuò tutti e danari, e
con efìi uia caualcò. Tornano i giouani, intendonola cosa, muouono lite; da ognuno è dato il torto al
Banchiere, dicendo, che non doueua tanta somma si
tosto pagare se non 1] in presenza di tutti. Il ban-
chieri intesa la fama di Messer Gelio da Rezzo 2),
huomo non molto dotto ma naturale, se n'andò perconsiglio à lui, e trouollo in uilla, e il detto Messereordinato che il detto Banchiere l'aspettasse adArezzo, si consigliò del caso con alcuni de suoi
naturalozzi contadini, et la mattina con una con-chiusione ne andò ad Arezzo che il detto Banchiereconfessasse esser mal pagati detti danari, ma cheuoleua pagare di nuouo, osseruando la scritta, la-
quale diceua, che non si doueua pagare un quattrinosenone in presenza di tutti tre. siate adunque tutti
tre qui, e io ui pagarò e uostri danari."
Auf dieser Fassung beruht Democritus ridens,
Amstelodami, 1649, S. 188: Astus in judicio.
Weiter seien noch die Vergleichsstellen ausauch sonst genannten Biichern angegeben: Petrarca,Rerum memorandarum 1. Ili, e. 2 (Òpera, Basileae,
1581, S. 435); Guicciardini, Detti, S.106: Col con-siglio de' saui superarsi la malitia de' cattiui (nicht
bei Federmann) ; Bouchet, Les Serées, II, S. 145;
D'Ouville, L'Elite des contes, I, S. 133: Iugementsubtil du due d'Ossonne contre deux marchands.
MABC. • XLII.Le Patron, Nr. 14.
MA. XLIII.
MABC; abgedruckt im Piovano Arlotto, I, XLIV.S. 319.
1 se non fehlt 1548.
a 1562, 1581 etc. : Messer Gellio di Arezzo oder d'Arezzo.
207
XLV. MABC.Zu Arlottos Bemerkung, daB man sich u b e r
sein Trinken wundere, aber seinenDurstnicht bedenke, ist auf den 295. Schwankin Melanders Jocoseria (1. Ausg. 1600) zu verweisen,der unserm Scheffel nicht unbekannt geblieben seindurfte; dort heiBt es (Ausg. Lichae, 1604, S. 232):
„De Helio Eobano Hesso, Poétarum Rege.Helius Eobanus Hessus, incomparabile illud
Germanorum Poétarum decus, objurgatus aliquandoab amicis, quod poculis nimium dèditus esset,
respondisse fertur, ipsos de compotationibus qui-
dem suis multa verba tacere, de siti autem vehe-mentiori, qua dies noctesque vexaretur, prorsus eossilere et ne verbum quidem ullum."
Deutsche Ausgabe Lich, 1605, II, S. 69, Nr. 56;Sandrub, Delitiae historicae, S. 76, Nr. 64: Von einemartigen entschuldigen der Trunckenheit halber.
XLVI. MA.
XLVII. MAB.
XLVIII. MABC.Le Patron, Nr. 15.
Dieser Schwank ist eine besonders gliickliche
und selbstàndige Verarbeitung des Motivs von demdoppelt bestochenen Richter, wovonA. L. Jellinek im Euphorion, IX, S. 166 die àlteste
Fassung im talmudischen Traktat Schabbath nach-gewiesen hat (Wiinsche, Der babylonische Talmud,Leipzig, 1886 fi, I, 1, S. 160 fi.; Wiinsche, DerMidrasch Wajikra rabba, Leipzig, 1884, S. 143).
Ùber dieses Motiv haben gehandelt Òsterley zuPauli, Nr. 125 und 128, S. 488; derselbe zu Kirch-
hofs Wendunmuth, I, Nr. 126, V, S. 40; Waas, DieQuellen der Beispiele Boners, S. 65; Bolte zu Mon-tanus, Gartengesellschaft, Nr. 63 (Martin Montanus,Schwankbiicher, Tubingen, 1899, S. 608); Schròder
208
in der Zeitschrift tur deutsches Altertum, XLIV,S. 426; Letterio di Francia, Franco Sacchetti novel-
liere, Pisa, 1902, S. 135 zur 77. Novelle Sacchettis.
MABC; // Cherico del Piovano Arlotto, Luglio, XLIX.S. 78. — Manni, III, S. 99.
Les Facétieuses Iournées, i. V, n. 1, Bl. 138 b;
Le Cure Arlotto sestant acheminé à nostre Dame deLorette, en compagnie de quatre Florentins, reprimebien l'importunile, gioire et outrecuidance d'vn qui
vouloit tousiours parler le premier, et estre aBis
au hault bout, comme le plus honorable: et trouue
vn plaisant moyen de le taire chasser et battre parl'hoste, sans quils s'en meslassent. — Le Patron,
Nr. 16.
Ein àhnlicher Schwank steht in Michael Linde-ners Katzipori (1558), Nr. 43: Ein recepì auff einenapoteckers-gesellen, zu Cuzen geschehen (M. L.,
Rastbiichlein und Katzipori, hg. v. Lichtenstein,
Tùbingen, 1883, S. 101).
MABC. L.
Les Facétieuses Iournées, i. V, n. 5, Bl. 147 b: Legrand Vicaire de Fiesole se voulant venger d'Ar-lotto, pense finement faire entrer en la prison del'Euesché. Arlotto seni la malice, et par vne con-treruse, y fait entrer le Vicaire mesme, et l'enferme
là dedans: et puis porte les clefs de la prison àl'Euesque, auquel il raconte tout le faict, pour rire
(gegen den italiànischen Text verbreitert). — LePatron, Nr. 23.
Das Manuskript der Laurenziana, wie es Bac-cini abgedruckt hat und wie es hier nach Bacciniùbersetzt ist, gibt im Gegensatze zu sàmtlichen alten
Drucken, die mir vorgelegen haben, keine Auskunft,wie es der Pfarrer Arlotto angestellt hat, den Vikarsamt dem Schreiber in das Gefàngnis zu sperren,
worein er selber hàtte gesperrt werden sollen.
Arlotto, Schwanke I. 14 209
Nach Baccini lautet der SchluB der Facetie:
„Parve al Vicario che il Piovano lo ingiuriasse
e con lui crucciandosi da lì a un pezzo a tradimentoil buon Vicario e il Messo lo vogliono imprigionare.Accortosene il Piovano, con ingegno e forza, perchèallora era giovine, ve li mise dentro tutt' e due equelli vi serrò a chiave e portossele seco. Andòcon esse a trovare il Vescovo infino a Prato, il
quale era ito a piacere, e gli narrò tutto il fatto egli détte le chiavi. Della qual' opera il Vescovoebbe piacere assai e ve li fece stare circa a otto
giorni e commendò il Piovano della pera fatta. Poifattolo 1 aprire lo mandò via in ora spagnola."
In dem Drucke Venegia, Bindoni, s. a., Bl. E 7bff.
lautet die Stelle konform mit den andern alten Aus-gaben:
„pareua quel vicario chel piouano lo ingiuriassi,
et chelo delegiasse, pure rimanendo cosi la cosa el
vicario poco può ragionando col piouano andandoverso la prigione, cerco [Bl. E8a] con inganno farui
intrare il piouano dicendogli, in prigione non e al-
cuno: vogliamo noi piouano vedere che stanza ci
sia: io non ci fu mai dentro: accortosi el piouanodela malitia disse el piouano: si bene fate intrare
dentro el messo a ressettare vn poco: et cosi fatto
disse il vicario entrate dentro piouano disse il
piouano e tocca a vostra signoria ire inanzi, disse
il vicario no, io vi do licentia rispose el piouano, io
non intrerei inanzi a voi, volendo el vicario mostrarenon lo hauere detto per inganno, intro dentro el
vicario, et come lui fu di dentro, el piouano subito
ve li serro dentro tutti dua a chiaue portandonesequella, gridaua il vicario piouano aprite le sonodele vostre, il piouano andò via, et andonne insino
a prato, oue il vescouo era ito a piacere" etc. etc.
Es erscheint wohl als ausgeschlossen, daB ein
1 Soli wohl wie in den alten Drucken fattoli heiBen.
210
Abschreiber der Facetien diese Schnurre, wenn sie
in seiner Vorlage vorhanden gewesen wàre, weg-gelassen hàtte; man muB also annehmen, daB sie in
der àltesten Fassung dieser Facetie nicht enthaltenwar, sondern erst von einem spàtern Kopisten odergar erst von dem Herausgeber des ersten Druckeseingeschoben worden ist. Nun existiert auch einealtere Erzàhlung, wo etwas gleichartiges vorkommt,und das ist die 34. Novelle Sacchettis; dort geht dieAussperrung des Kanonikus Messer Francesco durchFerrantino folgendermaBen vor sich:
„ .... e scendendo amendue giù per la scala,
giunti alla porta, dice Messer Francesco a Ferrantino:va oltre: dice Ferrantino: io non andrei innanzi a voi,
che siete Oficiale di Cristo. E tanto disse, cheMesser Francesco uscì fuori prima. Come fu uscito,
e Ferrantino pigne l'uscio, e serrasi dentro; e subito,come su è, quante masserizie potè travare da ciò,
gitto giù per la scala, acciocché l'uscio dentro fusseben puntellato; e cosi n'empiè tutta la scala, tan-toché due portatori non l'arebbono sgombra in undì; e così s'assicurò, che l'uscio si potea ben pigneredi fuori, ma aprire no." (Delle Novelle di FrancoSacchetti, Firenze, 1724, I, S. 60 ff.)
Man sieht, der Vorfall spielt sich, von neben-sàchlichem abgesehn, in der gleichen Weise ab;nur das Verrammeln der Tiir wird, wie bei einerGefàngnistùr selbstverstàndlich, durch das einfacheAbsperren ersetzt. Es mag dahingestellt bleiben, obes gerade die Novelle Sacchettis ist, auf die diesesEinschiebsel zurùckgeht; unwahrscheinlich ist eseben nicht, weil wir auch sonst noch Gelegenheithaben werden, eine auffallende Ùbereinstimmungvon Facetien Arlottos mit Novellen Sacchettis zubeobachten.
Diese also zusammengefugte Facetie ist wohldie Vorlage fiir die Novelle gewesen, durch die imCodice Marciano die 54. der Novelle antiche in derAusgabe Gualteruzzis von 1525 ersetzt ist, um so
14* 211
frommen Gemùtern weniger AnstoB zu geben 1. Den
Namen des Hclden behielt der Interpolator aus demTexte Gualteruzzis bei, tibertrug aber auf ihn alles,
was die alteri Drucke der Facetien vom Pfarrer
Arlotto erzàhlen: hier wie dort handelt es sich umeinen Pfarrer der Diozese von Fiesole, hier wie dort
lautet die Anklage, daB der Pfarrer einen Kleriker
nur das Officium der Madonna gelehrt habe, hier
wie dort veriibt der Pfarrer dasselbe Wortspiel, hier
wie dort wird der Vikar auf dieselbe Weise ein-
gesperrt, hier wie dort werden die Schliissel demBischof nach Prato gebracht und hier wie dort bleibt
der Vikar acht Tage im Gefàngnis. Der Vollstàn-
digkeit halber sei auch diese Novelle mitgeteilt:
„I1 Piouano Porcellino fue accusato al Vicariodi Fiesole ke e non insengniaua lufitio della Donnaa uno Cherico il Piouano disse. Maisi messere i gli
o insengniato quello della Donna e quello delluomo.
e apparecchia e sparecchia e scopa e rifa le letta e
compera la carne a macello ella cuoce e stregghia
uno cauallo serue di coltello et al postutto ualente
e. Sauide il Vicario della beffa del Piouano e trasse
disse dengnio e costui di gastigo accio ke motteggiaennon iscusassi o pentessi. Andaro alla prigione.
Il Vicario disse, in prigione non e persona, uoglian-
noi uedere ke stanza ui sia? io non ci fui mai entro:
disse il Piouano. Sibbene. disse il Vicario. EntratePiouano. non, rispose il Piouano, Messere a uoi
tocca ke siete maggiore di me. Entro il Vicario.
Il Pieuano serro e uia ne porto le kiaui. monto a
cauallo, trouo il Vesco a Prato, dielli le chiaui della
* Der Codex der Bibliothek von San Marco in Venedig ist nachden Ausfùhrungen Aldo Aruchs, // manoscritto Marciano del Novellino,
Firenze, 1908 (Separatabdruck aus der Bibliofilia , X) nur eine Ab-schrift eines spàten Nachdrucks der Gualteruzzischen Ausgabe. Dadieser Druck, wie es scheint, verloren ist, kann nicht festgestellt
werden, ob sich die Einschiebungen, darunter auch die hier erwàhnteFassung der 54. Novelle , schon dort finden ; wahrscheinlich ist es, dasie in der Orthographie vòllig mit dem Reste ubereinstimmen.
212
prigione, rise il Vescouo della beffa. Il Vicario
stette in prigione otto di."
Vgl. zu der ganzen Erorterung Biagi, Le Novelle
antiche, S. CV ff . und 245.
Das Wortspiel mit dem Officium unserer Frau
findet sich auch in den Facezie von Arlottos Zeit-
genossen Carbone (zit. Ausg. S. 13, Nr. 13), waralso wohl damals ziemlich gemein.
Eine hùbsche Parallele zum Vortritte desKerkermeisters steht bei B. Kriiger, HansClawerts Werckliche Historien (1. Ausg. 1587),
Halle, 1882, S. 60, Nr. 22; eine andere Version in
der Note Paolo Minuccis zu Lorenzo Lippis Mal-mantile racquistato, cant. Ili, st. 64, Venezia, 1748,
I, S. 285 = Manni, VI, S. 108.
In stilistischer Beziehung lassen sich bei dieser
Facetie zwei Berùhrungspunkte mit Novellen des
Dekamerons feststellen: der Anfang mit dem An-fange der 4. Novelle des Vili. Tages und die Schil-
derung des Vikars mit der Stelle in der 3. Novelle
desselben Tages, wo Buffalmacco der Eigenliebe
Meister Simones schmeichelt (meine Ausgabe, III,
S. 26 und 96).
MABC. — Manni, III, S. 98. LI.
Le Patron, Nr. 17.
M. LII.
M. LUI.
MABC. LIV.Le Patron, Nr. 18.
An Vergleichsstellen zu den einzelnen FragenArlottos kann ich folgende beibringen:
B. Ochino, zit. Ausg., Bl. 69
a
:
„Hierinn wirt die vnersettlichkeit derBettler Mondi eroffnet.
213
Zween Obseruantzer Monch verwunderten sich,
daB das Meer nit zuneme, weil so vii Wasser dareinfliissen vnd doch keins x darauB kàme; disem ant-
wort einWeltlicher: ,Jr sollet euch viel mehr cuwersOrdens verwundern, dieweil euch von alien Ortender Christenheit wirt zu getragen, vnd jr nimmer-mehr andern gebt, vnnd bey diesem allem alles ver-
schlicken vnd solcher gestalt, daB jhr nit allein
reich, sondern allzeit ein weg als den andern armvnd Bettler bleibet.'
"
Beroalde de Verville, Le moyen de parvenir,
XLIII, S. 140: „Ne vous recordez-vous point que les
souris courant en la paille, sans se pocher les
yeux?"Benvenuto da Imola in seinem Dantekommentar
(nach Papanti, Dante, secondo la tradizione e i no-vellatori, Livorno, 1873, S. 36):
„A Dante in Verona fu chiesto come avvenga,che chi naufragò torni al mare: che una puerperatorni a partorire; e che il numero immenso dei po-veri non distrugga i pochissimi ricchi. Dante se necavò dicendo: Aggiungi, che i principi e sovrani
della terra bacino il piede al figlio del barbiere, odel macellaio, quando arrivi ad esser papa." Vgl.
dazu Reinh. Kòhler, Kleinere Schriften, II, S. 627 ff.
Adelphus, Margarita facetiarum (1. Ausg. 1508),
Argentinae, 1509, Bl. Pa:
„Facetia cuiusdam stulti.
In domo cuiusdam nobilis viri stultus erat
facundus, qui semper cum virginibus domus mora-batur. Accidit autem, vt eas audiret quadam vice
vrinam emittere, ac perinde sonitum eius; in maxi-mum prorupit risum: qui cum quereretur, vt quidita rideret, subdit, se mirari vehementer, quomodoaquam membro suo continere possent, cum ipsi cure
sit arbutos in eo posse seruari." Vgl. dazu Jak.
1 Im Texte: eins.
214
Frey, Gartengesellschaft (1. Ausg. 1556), hg. v.
J. Bolte, Tùbingen, 1896, S. 104, Nr. 88 und Boltes
Anmerkung ebendort S. 251.
MA. LV.
MABC. LVI.
Le Patron, Nr. 19 (zusammen mit 57).
VgJ. die Anmerkungen zu den Facetien 3 u. 64.
MABC. LVII.
Le Patron, Nr. 19 (zusammen mit 56).
MABC. LVIII.
Le Patron, Nr. 20.
MAB; abgedruckt im Piovano Arlotto, I, S. 253. LIX.
Vgl. H. Estienne, Apologie pour Hérodote, chap.
XXXV (zit. Ausg. II, S. 126 ff.).
MABC. — Manni, III, S. 107. LX.Le Patron, Nr. 21.
MABC. — Manni, III, S. 105 ff. LXI.
Le Patron, Nr. 22.
MAB. LXII.
MA; in B und C nur der SchluB. LXIII.
Le Patron, Nr. 24.
Eine Parallele zu dem Nebelsegen aus Ortensio
Landis Commentario de le più notabili e mostruose
cose d'Italia, Venetia, 1550 weist G. Rua im Gior-
nale storico della letteratura italiana, XVI, S. 247
nach.
MABC; abgedruckt in A. L. Stiefels Hans LXIV.Sachs-Forschungen, Nùrnberg, 1894, S. 79. — Manni,III, S. 91 ff.
215
Le Patron, Nr. 25.
C. A. M. v. W., Neu auBgebutzter, KurtzweiligerZeitvertreiber, 165, S. 83:
„Possirliche Leichen-Rede.
Piovano Aelatto (sic!), ein kurtzweiliger Tisch-Rath, solte einem Catholischen Ritter, Don Lupo ge-
nannt, eine Leich-Rede oder Abdunckung x thun,
welche er folgender Gestalt vorbrachte: Es seyndviererley Art Thiere: Etliche seynd nur in ihremLeben niitzlich, wie der Esel; Etliche dienen nurnach ihrem Leben oder Tod, wie das Schwein;Etliche seynd niitzlich in Leben und im Tod, wieder Ochse; Etliche aber seynd weder lebendig nochtod zu loben, wie der Wolff. Don Lupo, wer wasgutes von ihm zu sagen weiB, dem wil ich zu hòren."
Eine h u m o r i s t i s eh e Lobrede beimBegràbnis begegnet uns auch in einem Predigt-màrlein des englischen Dominikaners Johannes Brom-yard, das in meinem Mònchslatein, S. 122, Nr. 105 2
ùbersetzt ist; da an dem Toten eigentlich nichts
lobenswert gewesen wàre, so wird als letztes Aus-kunftsmittel sein Bart gelobt, der besonders leicht
zu scheren gewesen sei. Um eine Lobespredigt fùr
einen Verstorbenen handelt es sich auch in der22. Novelle Sacchettis, deren Argument lautet: Duefrati minori passano dove nella Marca è morto uno,
l'uno predica sopra il corpo per forma, che tale
avea voglia di piagnere, che fece ridere; hier wirdder Heiterkeitserfolg dadurch erzielt, daB der Pre-diger dem Toten die gewohnlichen Schwàchen derMenschen in einem Tone ironischer Salbung beilegt,
als ob er sie fur Tugenden hielte.
In beiden Fàllen wird die gewunschte Lobredein ihr Gegenteil verkehrt, und dasselbe trifft auch
1 soli wohl Abdanckung heiBen ; s. Grimm, Wórterbuch, I, S. 19.
2 In der Note dazu soli es nicht Bromyard, L, 3, 4, sondernBromyard, L, 2, 4 heiBen.
216
bei unserm Schwanke zu; Arlotto oder der Kom-pilator der Facetien benutzt aber hier, wie schon in
den Facetien 3 und 56, wieder eine jener Vier-t e i 1 u n g e n , die auf das Schema Scotus Erigenas
zurùckzugehn. Ftir die Verteilung der Tiere in
unserm Schwanke gibt es aber auch eine ziemlich
nahe kommende Parallele, und zwar in den GestaRomanorum; da in der Ausgabe von Wilhelm Dick,
wo dieses Stùck als Nr. 40 auf S. 28 steht, die
Reduktionen weggelassen sind, gebe ich es hier nachÓsterleys Ausgabe, S. 665, Nr. 261 wieder:
„Basilius dicit in exameron, quod quedam bestie
sunt ordinate ad laborandum et non valent ad come-dendum, sicut equus, mulus, asinus. Alie bestie
sunt ordinate ad comedendum et nichil valent adlaborandum, sicut oves, porci, galline, ance, pavo-nes. Sicut etiam alie bestie, que nichil valent nec
ad comedendum nec ad laborandum, sed ad domumcustodiendam, purgandam ut canes, catti; canes
custodiunt, catti purgant.
Reductio. Rarissimi, eodem modo est de homi-nibus; aliqui valent prò uno servicio et non prò alio.
Alique bestie querunt predam de die sicut aquila,
alique de nocte sicut vulpes, lupus et aliqui de die
et nocte sicut catti. Ita est de aliquibus magnatis,
qui sunt aquile ....." etc.
Wie eine Ùbersetzung dieser Stelle liest sich
der folgende Absatz der um 1325 geschriebenen
Metaphorae des Franziskaners Nikolaus Bozon [Les
contes moralisés de Nicole Bozon, publiés par
L. Toulmin-Smith et P. Meyer, Paris, 1889, S. 24):
„Lui bon clerke Basilius nous dit en un livere
qe Exameron est apellé qe les uns bestez en terre parDeux meismes soiit ordeinez pur travailler, e rien
ne valent a manger, si cum chivale e asne, les
autres soiit donez pur sustenaiice de manger, si nevalent rien a travailler, com berbitz, porcs, gelinez,
owes; e soiit les altres qe ne valent ne pur manger,ne pur travailler, mès soiit ordeinez pur la meisoun
217
garder e purger cum chiens e chatez. Les chiensgardent, les chatez purgent. Auxint est en religioni
e en chescum hostel de prodhome: les uns gentzvalent pur un mestier, les autres pur autres . . . .
' etc.
Wohl, behaupten die Herausgeber Bozons, dafi
zwischen dieser Einteilung der Tiere und zwischendem Hexameron des hi. Basilius, Hom. IX, § 43,
42, 5 ein allgemeiner Zusammenhang bestehe; dasist aber nicht richtig: weder bei Basilius, noch bei
seinem Nachahmer Ambrosius findet sich etwasàhnliches. Hingegen ist der Zusammenhang mitdem Schema Erigenas unverkennbar, obgleich die
Vierteilung weder in der Fabel, noch in der Reduk-tion gànzlich durchgefiihrt ist; dafi die absolut„guten" Tiere fehlen, in der Fabel die, die sowohlzur Arbeit bestimmt sind, als auch als Speisetaugen, in der Reduktion die, die weder bei Tag,noch bei Nacht auf Beute ausgehn, ergibt sich ausdem Charakter der Moralisation, die selbstverstànd-
lich nur Vergleiche mit „schlechten" Menschenbraucht.
Ersetzt man nun in der Reihe des Pfarrers Ar-lotto sinngemàB die Tiere, die lebend gut sind,
durch die Tiere, die zur Arbeit bestimmt sind, unddie Tiere, die tot gut sind, durch die, die als Speisetaugen, so ist die Identitàt seiner Reihe mit derersten der Gesta Romanorum und der MetaphoraeBozons hergestellt. Wir haben also hier, wenn nicht
die Quelle unsers Schwankes, so doch wenigstenseine altere Parallele zu einem Teile seiner Quelle.
Es ist nun kein Grund vorhanden zu der Annahme,Arlotto wàre der erste gewesen, der diese Vier-
teilung der Tiere in der obigen Weise verwertethàtte; fur das Gegenteil ergibt sich aber eine ge-
wisse Wahrscheinlichkeit.Dazu fuhrt folgende Erwàgung.Der Stoff ist auch von Hans Sachs bearbeitet
worden, und zwar am 25. September 1541 als
Spruchgedicht und als Meistergesang (Die viererley
218
thier auf erden, die sich dem menschen vergleichen
und Die fier thier) und am 21. Mai 1563 noch ein-
mal als Spruchgedicht [Viererley thier im leben vnddot); diese Bearbeitungen stehn in Goetze-Dre-
schers Ausgabe Sàmtliche Fabeln und Schwànke, I,
S. 215 ff., III, S. 277 ff und II, S. 416 ff. Ein Pfaff
in „welschem lant", der einmal Facetus heifit, ein
andermal nur seiner Possen halber so genannt wird,
soli einem schlechten Menschen, der Lupus heifit,
eine lobende Leichenrede halten; er nimmt seine
Hilfe zu einem Gleichnis von vier Tieren, die auf
Erden sind:
„Das erst thier ist nuecz in seim leben,
Thuet nach dem dot kein nucz mer geben;
Das ander nueczt im leben nicht,
Im dot vii guecz von im geschicht;
Das drit dir im leben vnd dot
Nuczt allzeit den menschen vnd got;
Das virde thier ist gar nit guet
Im leben, dot, wie man im thuet."
Das erste Tier ist die Katze, das zweite die
Sau, das dritte das Schaf und das vierte der Wolfoder Lupus. Der Tote heifit nun Lupus; sein Namesagt schon, was er auf Erden gewesen ist, und er
ist ein Wolf auch im Tode. Die Einkleidung, die
Arlotto dem Schwànke gibt, fehlt bei Hans Sachsvollstàndig.
In den Hans Sachs-Forschungen, S. 78 ff., ver-
tritt nun A. L. Stiefel die Meinung, Hans Sachs habeentweder aus einer jetzt verlorenen deutschen
Obertragung dieser Facetie oder aus einer Mittel-
quelle geschopft; beide Annahmen haben aber un-
leugbar etwas gezwungenes. Jetzt , wo wir das
wichtigste in dem ganzen Schwànke, nàmlich die
Einteilung der Tiere in vier Gattungen, in einer
àltern Form als bei Arlotto nachgewiesen haben,
liegt es wohl viel nàher, anzunehmen, dafi es eine
Erzàhlung gegeben hat, auf die sowohl Arlottos
219
Facetie, als auch der Schwank Hans Sachsens zu-
riickgeht. Von Hans Sachs wissen wir, daB er anseinen Quellen stofflich selten etwas àndert; wirhàtten demgemàB in der sowieso an ein Predigt-màrlein erinnernden Fassung seines Schwankes— die drei Bearbeitungen unterscheiden sich stoff-
lich nur durch die gròBere oder geringere Breite derDarstellung — nur die Bearbeitung eines Exempelsanzunehmen, um zugleich auch die Frage von Ar-lottos Quelle gelòst zu haben. Damit wurde auchtrefflich ubereinstimmen, daB die Erzàhlung HansSachsens unzweifelhaft den Eindruck der echternund ursprùnglichern macht.
Jedenfalls ist es sicher, daB die Mòglichkeit,Hans Sachsens Schwank stelle eine Bearbeitungvon Arlottos Quelle dar, wirklich vorliegt; damitverringert sich auch die Wahrscheinlichkeit, daBnoch andere Schwànke von Hans Sachs auf FacetienArlottos zuriickgingen.
Nicht uninteressant ist es, daB die Leichenredeauf den Katalanier Lope — bei Arlotto heiBt er
eigentlich, nebenbei bemerkt, Lupo — ein spanischesGegenstiick hat; dieses steht in den nur in einer
Handschrift des 16. Jahrhunderts erhaltenen Cuen-tos eines gewissen Garibay 1
), die A. Paz y Meliain der IL Serie der Sales espanolas herausgegebenhat, und lautet (S. 64 ff.) ;
„Un clérigo era capellàn de las galeras deCataluiia, y era General de ellas un caballero cata-
làn llamado Don Lope de Moncada, con el cual
estaba muy mal el clérigo; dióle al General cierta
enfermedad, de la cual murió, y a suo honras, porser su entiero en un lugar no grande, hicieron quepredicase el capellàn, por no haber otro. El cual,
puesto en el pùlpito, dijo que habia cuatro cosasmuy diferentes: La primera era que habia cosa que
1 Vielleicht identisch mit Estevan Garybay y Zamalloa, demVerfasser der Historia genealògica.
220
vivo era muy bueno, y muerto no valia nada. Lasegunda era que habia cosa que vivo no valia nada,
y muerto era bueno. La tercera era que vivo ymuerta era bueno. La cuarta, que habia cosa quevivo ni muerto no valia nada.
La primera cosa era el caballo, que vivo era
bueno, y muerto no valia nada. La segunda era
el puerco, que vivo no valia nada, y muerto era
bueno. La tercera cosa era el buey, que vivo ymuerto era bueno. La cuarta cosa, que vivo ni
muerto no valia nada, era el bolo 1, comò este ca-
ballero que ha muerto, que ni vivo ni muerto valió
nada a nadie."
Arlottos Einteilung der Tiere kehrt ubrigens in
der Form eines Frag- und Antwortspieles in der
Arcadia in Brenta, S. 21 wieder; vgl. auch Nugaevenales, s. 1., Anno XXXII (1632), Bl. A9 b : Auaruscui similis = Democritus ridens, S. 248.
MABC; abgedruckt in A. L. Stiefels Hans LXV.Sachs-Forschungen, S. 81.
Le Patron, Nr. 26.
Auch dieser Schwankstoff ist von Hans Sachsbearbeitet; da er sich aber auch bei Nassr-eddinfindet, sei seine Erorterung fùr den Nassr-eddinbehandelnden Band dieser Sammlung verschoben.
Hier sei nur noch bemerkt, dafi die Fahne des
Schneiders in Italien und Frankreich sprichwòrtlich
geworden ist, wozu man vergleiche: Strafforello, I,
S. 155: „Esser come la bandiera del Piovano Ar-lotto, fatta tutta di pezze rubate"; Tomaso Garzoni,
La piazza universale di tutte le professioni del
mondo (1. Ausg. 1579), Venezia, 1696, Bl. 354 a :
„. . . giuoca (il sartore) di mano molte volte perempire la bandiera del Piouano Arlotto"; P. J. Le-roux, Dictionnaire comique, satyrique, critique, bur-
lesque, libre et proverbiai, Pampelune (Paris), 1786,
* Soli wohl lobo heiBen.
221
I, S. 84 ff.; „. . . les tailleurs vont les premiers à la
procession, car ils portent la Banniere"; Bonav. DesPeriers, Les nouvelles récréations, nouv. 46, zit.
Ausg. S. 189 mit den dortigen Noten.
LXVI. MABC.Le Patron, Nr. 27.
Eine Geschichte entgegengesetzten Inhalts wirdvon einem PossenreiBer erzàhlt bei Garzoni, La sina-
goga de gl'ignoranti (1. Ausg. 1589), Venetia, 1605,
S. 114 ff.
LXVIL MAB.Auf eine àhnliche Weise uberfiihrt in den Face-
zie e motti dei secoli XV e XVI, S. 5, Nr. 7 Niccolòd'Andrea Giugni den Kònig Alfonso, daB ihm eine
Dame nàher steht, als er glauben machen mòchte:als Niccolò in bedauerndem Tone erwàhnt, er habegehort, daB die Dame am Leibe fingerlang behaartsei, antwortet der Konig unverzuglich: „Per cap deDeu, non è vero", worauf Niccolo lachend sagt: „Percap de Deu, la vostra maestà l'è fottuta."
Das Motiv, daB durch einen bewuBtfalschen Vorwurf ein Gestàndnis ent-lockt wird, kehrt u. a. in der in der deutschenSchwankliteratur weit verbreiteten Geschichte vondem stets gestiefelten und gespornten Ritter wieder,
der durch die Anklage, er habe ein Kind nieder-
geritten, zu dem Bekenntnisse gebracht wird, daBer gar kein Pferd besitzt; dazu vgl. die Nachweise,die Bolte bei Frey, Nr. 56, S. 235 gibt.
Hierher gehort auch das 297. Stiick bei J. P.
de Memel, Neu-vermehrt- und augirte Anmuthigelustige Gesellschafft (1. Ausg. 1656), Zippel-Zerbst,
1701, S. 124 ff.:
„Einer gieng gar selten in die Kirche, demsprach man beym Brantwein Trincken also zu: ,Ey,
ey, wie hore ich das von euch? man saget, ihr habet
die Lichter vom Aitar gestohlen.' Jener antwortet:
222
,1, wer das saget, der lieget als ein Schelm, bin ich
doch wol in dreyen Jahren nicht in der Kirche ge-
wesen.' [Eben das wolt ich.]"
MABC. — Manni, III, S. 85 ff. LXVIII.
Le Patron, Nr. 28.
Der Verkauf einer Katze in e i n e mkatzenlosen Lande weist auf die Zeit zu-
riick, wo die Hauskatze, zum mindesten im nòrd-
lichen Europa noch ein unbekanntes Tier war; tat-
sàchlich hat sie sich ja auch aus ihrer àgyptischen
Heimat erst mit dem Vordringen des Getreidebaus,
der die Màuseplage mit sich brachte, in Europa ein-
gebiirgert. Auf diese Zeit deuten noch die alten
deutschen, englischen und mittellateinischen NamenMàushund, mousehunt und murilegus.
Die erste der unserigen àhnliche Erzàhlungsteht in den von Albert von Stade (f 1264) ver-
fafiten Annales Stadenses zum Jahre 1175 (Monu-menta Germaniae, Script, t. XVI, S. 387): „Habi-taverant ibi (Venetiae) duo concives a principio,
unus dives, alter pauper. Dives ivit mercatum et
requisivit a socio mercimonium. Non habeo, pauperait, praeter duos catos. Hos dives secum assumpsit;
et casu in terram venit, ubi mures totum fere locumvastaverant. Vendidit catos suos prò magna pecu-nia, et suo socio per mercatum plurima comparansreportavit."
Grimm ist der Meinung, diese Stelle sei erst
spàter eingeschoben worden; dem widerspricht aber
die Tatsache, da6 etwas àhnliches, ebenfalls mitder Lokalisierung in Venedig, auch in der von demLùbecker Dominikaner Hermann Korner im dritten
Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts zusammengestelltenChronica novella steht. Albert v. Stade sagt an derangegebenen Stelle, Venedig sei von Flùchtlingenaus Aquilej a gegrùndet worden und der Name kommevon venalitas oder von venatio her; Korner làBt hin-
gegen, wohl mifiverstàndlich, Venedig von eben die-
223
sen zwei Kaufleuten gegrùndet und von ihnen nachihrem Berufe genannt werden: „Dàr vorkófte dekoepman sine catten unde gaff se vor XX ducàten.To den XX duccaten lède he ok XX ducàten undekópslaghede mit den XL ducàten so langhe, dat se
uppe gród gùd quèmen. De II kóplùde beghundendò de stede tó bùwende unde makeden dar dò ènestad mit hulpe anderer kóplùde unde nomeden se
Venecia, a venalitate, dat is ghesecht van velinghe"(Germania, IX, S. 278).
Im 16. Jahrhundert haben wir zwei deutscheVersionen des Stoffes; die eine steht in der erstenErzàhlung von Valentin Schumanns Nachtbùchlein(1. Ausg. 1559, hg. v. Bolte, Tùbingen, 1893, S. 10),
die zweite im 44. Kapitel des Lalenbuchs (v. d.
Hagen, Narrenbuch, S. 208 und 470; Lalenbuch, 1839,
S. 149).
Um diese Zeit diirfte auch die Legende vonWhittington und seinen Katzen entstanden sein;
nach dem Artikel von James Tait in Lee's Dictio-
nary of National Biography, XXI, S. 156, woher die
folgenden Angaben genommen sind, ist sie vor 1604bis 1605 nicht nachzuweisen. Am 8. Feber 1605 ist
die Druckbewilligung erteilt worden fùr ein DramaThe History of Richard Wittington, of his lowebyrth, his great fortune, as yt was plaied by theprynces servants, und am 16. Juli desselben Jahresfùr eine Ballade The vertuous Lyfe and memorableDeath of Sir Richard Whittington, mercer, sometymeLord Maiour. Beide Drucke sind nicht erhalten.
Die frùheste Erwàhnung der Legende findet sich in
Thomas Heywood's // you know not me, you knownobody (Akt. I, Se. 1), erschienen 1606 und in
Beaumont und Fletcher's Knight of the BurningPestle (1611). Der àlteste erhaltene Druck in
Balladenform ist erst vom Jahre 1641 und die erste
Prosabearbeitung gar von 1656.
Die Legende von Sir Whittington leitet uns zueiner Anzahl von Màrchen hinùber, deren Helden
224
ihr Gluck durch den Verkauf von Katzen machen;hierher gehòren die 10. ^Novelle" im Grand paran-
gon des nouvelles nouvelles von Nicolas de Troyes(geschrieben 1536), hg. v. Em. Mabille, Paris, 1859,
S. 37 ff ., das 70. der Kinder- und Hausmàrchen der
Brùder Grimm, ein tschechisches Màrchen bei Wal-dau, Bóhmisches Màrchenbuch, Prag, 1860, S. 176 ff.,
zwei sizilianische bei Gonzenbach, Sicilianische
Màrchen, Leipzig, 1870, II, S. 105 ff. und bei Pitrè,
Fiabe età, zit. Ausg., Ili, S. 24 ff. usw. usw. 1.
In alien diesen Versionen fehlt das Moment,daB der glùckliche Katzenverkaufer einen Nach-ahmer findet, dem aber die habgierigeSpekulation mifiglùckt; dies kommt nurin unserer Facetie und in ihren Ableitungen vor.
Direkt auf Arlotto beruht eine Novelle von LorenzoMagalotti, die nach Passano zum ersten Male in
der Ausgabe seiner Lettere familiari von 1769 ge-
druckt ist; ihr Argument lautet: Ansaldo degli Or-manni racconta nelle brigate d'amici d'avere avutoricchissimi doni dal re dell' isola Canaria, peravergli portati due gatti. Per la qual cosa Giocondode' Fifanti si risolve di navigare colà per tentar suaventura: vende una possessione, e co' denari d'essa
compera gioie ed altre cose preziose; e colà giunto,
le presenta al re, il quale lo contraccambia con ungatto; ond' egli scornato a Firenze poverissimo se nevenne (Raccolta di Novellieri italiani, Firenze,1833—34, I, S. 1086); diese Novelle ist, wie Baccinibemerkt, von G. V. Vannetti und von C. Cavaraversifiziert worden.
1 Ohnc màrchenhafte Beimischung crzàhlt Merz, Rothenburgo. Tauber in alter und neuer Zeit, Ansbach, 1873, S. 124 = Merkens,Was sich das Volk erzàhlt, II, S. 126 ff. Andere Nachweisc findet manbei Grimm KHM., Ili, S. 119, Benfev, Pantschatantra, I, S. 472, Reinh.Kòhler zu Gonzenbach, II, S. 261, dems., in der ZeitschriH des Vereinsfiir Voìkskunde, VI, S. 169, Bolte in Schumanns Nachtbuchlein, S. 383mit den Nachtragen in Freys GartengesellschaH, S. 276, Crane, Italian
{spular tales, London, 1885, S. 365, Clouston, Popular tales and fiction*,
I, S. 65: Whittington and his cat, etc. etc.
Arlotto, Schwanke I. 15 225
Der Zug nun, daB der aus Habgierschenkende mit dem ei g en 1 1 i eh wer t -
losen Geschenke des Harmlosen be-lohnt wird, findet sich schon in dem mittel-alterlichen lateinischen Gedichte Raparius, von demdie Bnider Grimm eine Prosaùbersetzung als
146. Stùck ihrer Kinder- und Hausmàrchen gegebenhaben. Auf dem Raparius beruht auch eine Er-zàhlung in den Colloquia familiaria von Erasmusvon Rotterdam und zwar im Convivium fabulosum(Ausg. Leipzig, 1828, I, S. 311), die von Gastius in
den Convivales sermones, zit. Ausg. S. 169 und vondem Jesuiten Simon Maiolus in den Dies caniculares(1. Ausg. 1600), Moguntiae, s. a. (1613), S. 737 Cabgedruckt worden ist und eine ungeheuere Verbrei-tung erfahren hat. Beispielsweise seien hier fol-
gende Bearbeitungen genannt: deutsch: Schertz mitder Warheyt, Franckfurt a. M., 1550, Bl. la; Kirch-hof, Wendunmuth, II, Nr. 39; M. C. Lundorff, Wi8-badisch Wisenbriinnleins Ander Theil, Darmbstadt,1611, S. 126, Historia 52; Lehmann, Exilium melan-choliae, F, 83, S. 149; C. A. M. v. W., Zeitvertreiber,
S. 24; Gerlach, Eutrapeliae, II, Nr. 226; franzòsisch:
Garon, Le Chasse-ennuy, I, Nr. 59, S. 61, deutschwieder im Exilium melancholiae, V, 31, S. 471; ita-
liànisch: Orazio Brunetto, Lettere, 1548, Bl. 15aff.
(nur die erste Hàlfte) ; Domenichi, 1562, S. 124, 1581,
S. 153 (nach Gastius) ; Giraldi Cinthio, Gli Ecatom-miti, dee. VI, nov. 9; Casalicchio, L'utile col dolce,
cent. III, dee. Ili, arg. 3, S. 382 (nach Maiolus) ; spa-niseli: Juan Aragonés, Doce cuentos, e. 5 (Biblio-
teca de autores espanoles, III, S. 167) ; englische Ab-leitungen bei Koeppel, Studien zur Geschichte deritalienischen Novelle in der englischen Literatur,
StraBburg, 1892, S. 60.
Eine einfachere und daher auch altere Formdes Motives, wo der Habgierige einfachin seinen Hoffnungen getàuscht wird,ohne daB er mit dem Geschenke eines Vorgàngers
226
belohnt wiirde, bietet die 152. Novelle Sacchettis:
Messer Giletto di Spagna dona uno piacevole asino
a Messer Bernabò; e Michelozzo da Firenze avvi-
sando, il detto signore essere vago d'asini, gliene
manda due coverti di scarlatto, de' quali gli è
fatto poco onore, con molte nuove cose, che perquello dono ne seguirono.
Wir konnen aber das Motiv noch weiter zuriick,
nàmlich bis in die Mitte des siebenten Jahrhunderts,verfolgen: der Midrasch Wajikra rabba erzàhlt (Par.
XXV, Cap. 19, 3, iibertragen v. Wunsche, Leipzig,
1884, S. 169), wie sich Kaiser Hadrian wundert, daBein hundertjàhriger Jude noch Bàume pflantzt; er
befiehlt dem Juden, ihn es wissen zu lassen, wenner trotz seinem Alter noch erlebe, daB die BàumeFrùchte tragen. Nach einiger Zeit tragen die Bàumewirklich Feigen und der Jude erscheint mit einemKorbe voli vor dem Kaiser. „Hadrian gab sogleich
den Befehl, daB man ihm einen mit Gold gezierten
Stuhl reiche und er sich darauf setze; auBerdembefahl er, daB man seinen Korb mit Denaren fulle.
,Wie,' sprachen seine Diener, ,all diese Ehre soli
dem alten Juden geschehen?' ,Sein Schópfer ehrt
ihn,' antwortete Hadrian, ,soll ich ihn nicht ehren?'Die Nachbarin des alten Mannes war ein niedrigesWeib. Sie sprach zu ihrem Manne: ,Du Narr, sieh
nur, wie sehr der Kònig die Feigen liebt; er bezahltsie mit Denaren.' Was tat er? Er fùllte einen Korbmit Feigen, ging und stellte sich vor den Palast.
Man fragte ihn: ,Was ist dein Anliegen?' ,Ich habegehòrt,' gab er zur Antwort, ,daB der Kònig dieFeigen sehr liebt und mit Denaren eintauscht.' Siegingen hinein und meldeten dem Konig: ,Ein Altersteht am Tore des Palastes und tràgt einen Korbvoli Feigen.' Er sprach zu ihm: ,Was ist dein An-liegen?' ,Ich habe gehòrt,' versetzte er,
fdaB der
Kònig die Feigen liebt und sie mit Denaren ein-
tauscht.' Der Kònig befahl, daB man ihn vor dasTor des Palastes setze und jeder Aus- und Ein-
j5* 227
gehende ihn mit seinen Feigen ins Gesicht werfensolle 1 ."
Man sieht, daB wir hier die Grundziige der Er-zàhlungen Sacchettis und des Raparius haben; bei
der Facetie Arlottos allerdings liegt die Sacheanders, weil hier der Konig gar nicht daran denkt,den Habgierigen zu strafen, sondern ihn wirklichbelohnen will. Arlottos Facetie stellt eben dasMotiv in seiner am meisten verfeinerten Form dar.
LXIX. MABC.Le Patron, Nr. 29.
L'Arcadia in Brenta, S. 22 (ohne ErwàhnungArlottos)
.
LXX. MAB.
1 Diese Erzahlung wird samt ihrer Fortsetzung, die cinem andernMotive zugehort, noch bei Nasr-eddin besprochen werden.
228