Lernen verstehen – die Sicht der Pädagogik · Universität Marburg ... neue gesellschaftliche...

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Lernen verstehen – die Sicht der Pädagogik Prof. Dr. Susanne Lin-Klitzing Universität Marburg Institut für Schulpädagogik

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Lernen verstehen – die Sicht der Pädagogik

Prof. Dr. Susanne Lin-Klitzing

Universität Marburg

Institut für Schulpädagogik

Definition

Forschendes Lernen bezeichnet ein Lernen,

“das sich im Gegensatz befindet zu rein rezeptivem Lernen, bei demdargebotene Inhalte aufgenommen, gespeichert und bei Anforderungwiedergegeben werden können. Lernen soll vielmehr aktiv, selbstbestimmt, experimentell, einfallsreich, produktiv sein, Fragenund Probleme selbst finden und Antworten suchen lassen.” (Bönsch2000: 235)

Hochschuldidaktische Anregung: ForschendesLernen

Lernarrangements mit

• problemorientierter Ausgangsfragestellung

• systematischem Problemlöseprozess analog der Phasen eines Forschungsprozesses

• sozialer Kontextuierung (Forschungs- bzw. Seminargemeinschaft)

• kritisch-konstruktiver gesellschaftlicher Verantwortungsübernahme

• mehrdimensionalem „Spannungsbogen“: kognitiv, emotional, sozial (vgl. Reiber 2007: 10)

Lernen verstehen – die Sicht der Pädagogik

„Wozu, was, wie und womit lernt der Mensch?“

1. … in der Geschichte der Pädagogik

2. Pädagogische Grundbegriffe: Lernen, Erziehung, Bildung

3. Ausgewählte didaktische Modelle des Lehrens und Lernens

4. „Neue“ Lernkultur: Selbststeuerung in Lernumgebungen

5. Hochschuldidaktik Literatur

1779: Erster Lehrstuhl für Pädagogik in Halle (Christian Trapp) Europäische Aufklärung neue gesellschaftliche Notwendigkeit guter Bildung und AusbildungEtablierung eines Berufsstandes, der diese „Belehrung“ übernimmt Vorrangiges Interesse an Bildung(stheorien): Pädagogik als Geisteswissenschaft mit hermeneutischer Methode

Ab 1960: Öffnung der geisteswissenschaftlichen Pädagogik zur SoziologieKritische Theorie (Frankfurter Schule)Positivismusstreit (Kritische Theorie - empirische Sozialforschung)„Empirische Wende“Theorienpluralismus: Bestimmung von Erziehung und Bildung aus Sicht dergeisteswissenschaftlichen Pädagogik, empirischen Erziehungswissenschaft,kritischen Erziehungswissenschaft ….

1 Zeitraffer: Geschichte der Pädagogik

2 Päd. Grundbegriffe: Lernen, Erziehung, BildungLernen • als Grundvoraussetzung aller Erziehungs- und Bildungsprozesse, hier für die

Gestaltung der gesellschaftlichen Zukunft im Zusammenspiel nach Marotzki 1996:Lernen

(relativ dauerhafter Erwerb von Kenntnissen, Fähigkeiten, Fertigkeiten, Einstellungen, Verhaltensweisen und ihre Änderung aufgrund von Erfahrung)

Erziehung Bildung

(gesellschaftliche Kernaktivität (reflektiertes Verhältnis zu sich undim Generationenverhältnis) der Welt („Flexibilität“))

• hat einen ungeklärten Stellenwert in der zeitgenössischen Erziehungswissenschaft und keine eigenständige, einheitliche Definition

• wird spezifisch pädagogisch mit Göhlich/Zirfas als „erfahrungsreflexiver, auf den Lernenden sich auswirkender Prozess der Gewinnung von spezifischem Wissen und Können“ verstanden

• bedarf im Interesse menschlichen, kulturellen Lernens der systematischen Vermittlung individuell und gesellschaftlich relevanter Wissensbestände und Werte. Dominant war in der pädagogisch-didaktischen, geisteswissenschaftlichen Tradition zunächst die Frage nach Kriterien für die Auswahl der Inhalte.

3 Ausgewählte didaktische Modelle

(Jank/Meyer 2003: 213ff)

3.1 W. Klafki (1958): Die fünf Grundfragen der Didaktischen Analyse

Quelle: Jank, W. / Meyer, H. (1994): Didaktische Modelle. Berlin, Seite 133.

3.2 Berliner Modell (-> Hamburger Modell)

(Peterßen, W. H. 2001: 54)

3.3 Lehr-lerntheoretisches und didaktisches Modell derWirksamkeit von Unterricht

(Arnold 2009: 23)

4 Gestaltung problemorientierter Lernumgebungen

(Vgl. Reinmann-Rothmeier/Mandl 2001: 625)

4.1 „Bausteine“ bildungswissenschaftlicher Lehrer-bildungsstandards 2004:

– Didaktik und Methodik: Gestaltung von Unterricht und Lernumgebungen

– Differenzierung, Integration und Förderung: Heterogenität und Vielfalt als Bedingungen von Schule und Unterricht

– Diagnostik, Beurteilung und Beratung: Diagnose und Förderung individueller Lernprozesse; Leistungsmessungen und Leistungsbeurteilungen

Kernelemente selbstständigkeitsfördernder, offener Lehr-Lernformen

Lernarrangements mit breitem Methodenrepertoire fürunterschiedliche Ziele (Selbststeuerung, Individualisierung, Kooperation der Lernenden):

• Selbststeuerung, Selbstregulation, Selbsttätigkeit der Lernenden

• Verbindung von „Leben und Lernen“, „Forschung und Lehre“• Lehrende als Helfer/innen und Berater/innen (gemeinsame

„Konstrukteure“)

Ausgewählte empirische Studien

• Deskription: Methoden– Terhart (1997) (Gage/Berliner (1984), Brophy/Good (1986)),

Weinert/Helmke (1996), – Hage (1985), Kanders/Rösner/Rolff (1996), Wiechmann (2004)

• Deskription: Gruppen-, “offener” Unterricht– Gage/Berliner (1996), Jürgens (1997/1998/1999), Dann, Diegritz,

Rosenbusch (1999), Bohl (2000/1), Lipowski (2002), Trautmann/Wischer (2008)

• Intervention mit Vergleichsgruppen: Gruppen-, kooperativer, “offener”Unterricht– Slavin (1993ff), Uhl (1996), Gruehn (2000), Lehmann-Grube

(2000), Jürgen-Lohmann, Borsch, Giesen (2001), Pauli, Reusser, Waldis, Grob (2003), Hartinger (2005), Huber (2007)

• Intervention mit Vergleichsgruppen: KonstruktivistischeLehrkonzeptionen/subjektive Theorien: – Möller, Hardy, Jonen, Kleickmann, Blumberg et al. (2006)

Empirie zu Formen “offenen Lernens”

• Probleme: Quantität/Qualität der Untersuchungen

• Offene Lehr-/Lernformen zunächst positiv fürLeistungsstärkere/Ungewissheitsorientierte

-> Sonderfall kooperative Unterrichtsformen

-> Sonderfall“: Gymnasium und Universität

• Vergleich Stärken/Schwächen offene und traditionelleLehr/Lernformen

Forschungsfragen zu Formen “offenen Lernens”

• Wie wird die Lernzeit genutzt?• Wie hängt die Diagnosekompetenz der Lehrenden mit

Strukturierungshilfen zusammen?• (Wie) Werden die Schüler/innen (unterschiedlich) betreut? • Wie werden die Schüler/innen auf das Lernen in „offenen

Unterrichtsformen“ vorbereitet?• (Wie) Wird der Lernprozess kumulativ organisiert? • Wie adaptiv ist der „Offene Unterricht“ ausgerichtet?• Wie wird ein positives sozial-emotionales Klima hergestellt?• Wie effizient wird die Klassenführung gehandhabt? (vgl. Bohl

2001: 16ff, vgl. auch „Lehr-lerntheoretisches und didaktischesModell der Wirksamkeit von Unterricht“ in Arnold 2006: 23)

5 Hochschuldidaktische Anregung: ForschendesLernen

Lernarrangements mit

• problemorientierter Ausgangsfragestellung

• systematischem Problemlöseprozess analog der Phasen eines Forschungsprozesses

• sozialer Kontextuierung (Forschungs- bzw. Seminargemein-schaft)

• kritisch-konstruktiver gesellschaftlicher Verantwortungs-übernahme

• mehrdimensionalem „Spannungsbogen“: kognitiv, emotional, sozial (vgl. Reiber 2007: 10)

Literatur

Anhalt, E. (2009): Gibt es einen Lernbegriff in der Pädagogik? In: Strobel-Eisele, G./Wacker, A. (Hrsg.): Konzepte des Lernens in der Erziehungswissenschaft, a.a.O. S. 18-45.

Arnold, K.H. (2009): Lehr-Lernforschung ohne Allgemeine Didaktik? Über die Notwendigkeit einer integrierten Wissenschaft vom Unterricht. In: Ders., Blömeke, S. / Messner, R. / Schlömerkemper, J.: Allgemeine Didaktik und Lehr-Lernforschung. Kontroversen und Entwicklungsperspektiven einerWissenschaft vom Unterricht. S. 27-47.

Becker, N., (2009): Lernen. In: Andresen, S./Casale, R./Gabriel, Th./Horlacher, R./Larcher Klee, S./Oelkers, J. (Hrsg.): HandwörterbuchErziehungswissenschaft. Weinheim/Basel. S. 577-592.

Göhlich, M./Zirfas, J. (2009): Lernen. Ein pädagogischer Grundbegriff. Stuttgart.

Göhlich, M./Wulf, Ch./Zirfas, J. (2007): (Hrsg.) Pädagogische Theorien des Lernens. Weinheim/Basel.

Helmke, A. (2009): Unterrichtsqualität und Lehrerprofessionalität. Diagnose, Evaluation und Verbesserung des Unterrichts. Seelze.

Jank, W./Meyer, H. (2003): Didaktische Modelle. Berlin.

Klafki, W. (2007): Neue Studien zur Bildungstheorie und Didaktik. Zeitgemäße Allgemeinbildung und kritisch-konstruktive Didaktik. 6. Auflage. Weinheim/Basel.

Künzli, R. (2004): Lernen. In: Benner, D./Oelkers, J. (Hrsg.): Historisches Wörterbuch der Pädagogik. Weinheim/Basel. S. 620-637.

Lenzen, D. ( 1994): Erziehungswissenschaft – ein Grundkurs. Reinbek.

Marotzki, W. (1996): Lernen, Erziehung und Bildung. In: Marotzki, W./Meyer, M./ Wenzel, H. (Hrsg.): Erziehungswissenschaft für Gymnasiallehrer. Weinheim. S. 15-37.

Peterßen, W. H. (2001): Lehrbuch Allgemeine Didaktik. 6. völlig veränd. akt. u. erw. Auflage. München.

Plöger, W. (2009): Wie lernen Schülerinnen und Schüler? In: Ders. (Hrsg.): Lernen in der Schule. Dimensionen einer schulpädagogischen Theorie des Lernens. In: Münstersche Gespräche zur Pädagogik. Hrsg. Von V. Ladenthin, W. Middendorf, J. Rekus. Münster. S. 69-90.

Reiber, K. (2007) (Hrsg.): Forschendes Lernen als hochschuldidaktisches Prinzip – Grundlegung und Beispiele. Aus der Reihe: Tübinger Beiträge zurHochschuldidaktik. Hrsg. v. C. Baatz/R. Richter. Tübingen.

Reinmann-Rothmeier, G. / Mandl, H. (2001): Unterrichten und Lernumgebungen gestalten. In: Krapp, A. /Weidenmann, B.: Pädagogische Psychologie. EinLehrbuch. 4. vollst. überarb. Afl. S. 603-647.

Schneider, R./Szcyrba, B./Welbers, U./Wild, J. (2009) (Hrsg.): Wandel der Lehr- und Lernkulturen. Aus der Reihe: Blickpunkt Hochschuldidaktik derDeutschen Gesellschaft für Hochschuldidaktik. Hrsg. von U. Welber. Bd. 120. Bielefeld.

Scholz, G. (2009): Lernen als kommunikative Haltung. Überlegungen zu einem erziehungswissenschaftlichen Lernbegriff. In: Strobel-Eisele, G./Wacker, A. (Hrsg.): Konzepte des Lernens in der Erziehungswissenschaft. a.a.O. S. 157-172.

Strobel-Eisele, G./Wacker, A. (Hrsg.): Konzepte des Lernens in der Erziehungswissenschaft. Phänomene, Reflexionen, Konstruktionen. In der Reihe: Beiträge zur Theorie und Geschichte der Erziehungswissenschaft. Im Auftrag der Kommission Wissenschaftsforschung der Deutschen Gesellschaft fürErziehungswissenschaft. Bd. 31. Hrsg. von J. Brachmann. Bad Heilbrunn.

Wiater, W. (2007): Wissensmanagement. Eine Einführung für Pädagogen. Wiesbaden.

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