Klinische Prüfung mit Betäubungsmitteln und die Verkehrserlaubnis nach § 3 BtMG—ein Junktim 1

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Wagner, Klinische Prüfung mit Betäubungsmitteln und die Verkehrserlaubnis nach § 3 BtMG MedR 2004, Heft 7 373 Effekte der Arzthaftung reichen nicht nur deshalb nicht aus, weil ihre Erkenntnisse zu spät kommen, sondern vor allem auch deshalb, weil der Einzelfallbezug schon prozessual nur sehr begrenzte Erkenntnisse über die Gesamtbefindlichkeit der Vorsorge vor Ort erlaubt 60 . Anstelle einer Strafbarkeit des Krankenhausträgers für ganz konkrete Versäumnisse wäre es daher sinnvoller, an „Sanktionen“ des Sozialversi- cherungsrechts zu denken, wenn das Krankenhaus sich weigert, an Qualitätssicherungs-Vereinbarungen teilzuneh- men 61 . Und noch eine letzte Anmerkung: Vieles wäre einfacher und ein Teil der Haftung wegen Organisationsverschuldens würde sich von selbst erledigen, wenn das Problem des Kostendrucks minimiert würde. Ich denke an die vielfäl- tigen Möglichkeiten etwa der Telemedizin. So kann wegen der elektronischen Speicher- und Transferierbarkeit medi- zinischer Daten z.B. ein Konsiliararzt ohne teure und zeit- aufwendige Überweisungen des Patienten beigezogen wer- den, die dezentrale Nutzung teurer Großgeräte wird mög- lich u.s.w. Zwar verlangt die Verwendung digitaler Bilder oder sonstiger Daten wiederum die Einhaltung besonderer organisatorischer Sorgfaltspflichten – so etwa die Sicherstel- lung der Authentizität der übermittelten Daten. Jedoch sollte bedacht werden, daß durch die Nutzung telematisch gestützter Leistungen im Endeffekt – einigen Schätzungen zufolge – nicht nur die Kosten um insgesamt 1/3 gesenkt werden können, sondern auch, daß über eine Optimierung des gesamten Informationsaustauschs eine Qualitätsverbes- serung erreicht werden kann. Dieses Potential sollte ak- tiviert werden, statt Gedanken auf die Ausweitung der Strafbarkeit von Ärzten zu verwenden. 60) Steffen, in: FS f. Erwin Deutsch, 1999, S. 799, 811. 61) Steffen (Fn. 60), S. 812, schlägt vor, daß das Krankenhaus in sol- chen Fällen von der Krankenversorgung der Gesetzlichen Kran- kenversicherung ausgeschlossen wird. Marc Wagner DOI: 10.1007/s00350-004-1201-4 Klinische Prüfung mit Betäubungsmitteln und die Verkehrserlaubnis nach § 3 BtMG – ein Junktim 1 Ist ein Arzneimittel gemäß § 2 AMG zugleich Betäubungs- mittel i.S. von § 1 Abs. 1 BtMG und ist umgekehrt ein Betäubungsmittel zugleich Arzneimittel, so ist im Verhält- nis von BtMG und AMG nach § 81 AMG weder das eine noch das andere Gesetz eine lex specialis 2 . Mitunter kumu- lieren die gesetzlichen Anforderungen. So verhält es sich etwa, wenn ein Stoff der Anlage III zum BtMG, der zu- gleich dem Arzneimittelbegriff des § 2 AMG unterfällt, im Rahmen einer für die Zulassung als Arzneimittel nach § 22 Abs. 2 Nr. 3, § 24 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AMG obligatorischen klinischen Prüfung zur Anwendung gebracht werden soll. Der Einsatz von Betäubungsmitteln – beispielsweise das als Hauptinhalts- und Wirkstoff von Cannabis sativa anerkann- te und in Anlage III zum BtMG genannte Dronabinol (Delta-9-Tetrahydro-cannabinol) – in einer klinischen Arz- neimittelprüfung fordert dem pharmazeutischen Unterneh- men zweierlei ab: Auf der einen Seite bedarf es für die Durchführung der klinischen Studien der Beachtung der §§ 40, 41 AMG. Auf der anderen Seite ist für die gesamte klinische Studie – unabhängig von der jeweiligen Phase der klinischen Prüfung – eine Erlaubnis zum Verkehr mit Betäubungsmitteln gemäß § 3 BtMG beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) einzuho- len 3 . Wer ohne diese Verkehrserlaubnis Betäubungsmittel „einführt“ oder „erwirbt“, um dieselben im Rahmen einer klinischen Prüfung an Probanden und Patienten anzuwen- den 4 , wer also eine erlaubnispflichtige Handlung nach § 3 BtMG ohne Erlaubnis vornimmt, der – und nicht das BfArM, das die Erlaubnis einfordert – handelt contra le- gem 5 . I. § 13 Abs. 1 S. 1 BtMG Dähne ist der Auffassung, der Beurteilungsmaßstab für die Frage der Erlaubnispflichtigkeit nach § 3 BtMG sei allein § 13 Abs. 1 BtMG 6 . Die Norm gelte nicht ausschließlich für eine individuelle ärztliche Standardtherapie. Im Falle der zulässigen Behandlung eines Patienten nach § 41 AMG sei die Behandlung mit Betäubungsmitteln ausnahmslos i.S. des § 13 Abs. 1 BtMG „begründet“. Eine Erlaubnispflich- tigkeit bestünde nur für klinische Prüfungen der Phase I mit gesunden Versuchspersonen. Diese Auffassung ist nicht Dr. iur. Marc Wagner, Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, Kurt-Georg-Kiesinger-Allee 3, D-53175 Bonn 1) Zugleich eine Replik auf Dähne, Klinische Prüfung mit Betäu- bungsmitteln, MedR 2003, 547–553. 2) Vgl. Körner, BtMG-Kommentar, 5. Aufl. 2001, § 1, Rdnr. 12. 3) So ausdrücklich Hügel/Junge/Lander/Winkler, Deutsches Betäu- bungsmittelrecht, Bd. 1, 8. Aufl., § 1 BtMVV, Rdnr. 4.2 (Stand: 2003), § 13 BtMG, Rdnr. 3 (Stand: 2003); Körner (Fn. 2), § 3, Rdnr. 11. 4) Die Anwendung von Betäubungsmitteln an Probanden oder Pa- tienten in einer klinischen Prüfung ist in den meisten Fällen keine „Abgabe“ i.S. von § 3 Abs. 1 Nr. 1 BtMG. Abgabe bedeutet jede Gewahrsamsübertragung an eine andere Person zu deren freier Verfügung, vgl. Körner (Fn. 2), § 29, Rdnr. 931 mit Rechtspre- chungsnachweisen. Eine freie Verfügbarkeit wird den Probanden und Patienten in der klinischen Prüfung in der Regel nicht einge- räumt, vielmehr wird das Betäubungsmittel sofort konsumiert. Dann handelt es sich aber – bei Zufuhr des Betäubungsmittels durch die Prüfärzte – um ein „Verabreichen“ respektive – bei Zu- fuhr durch den Empfänger des Betäubungsmittels – um ein „Überlassen zum unmittelbaren Verbrauch“ und damit nicht um eine Abgabe. 5) A.A. Dähne, MedR 2003, 547, 553. 6) Satz 1 dieser Vorschrift lautet: „Die in Anlage III bezeichneten Betäubungsmittel dürfen nur von Ärzten, Zahnärzten und Tier- ärzten und nur dann verschrieben oder im Rahmen einer ärzt- lichen, zahnärztlichen oder tierärztlichen Behandlung einschließ- lich der ärztlichen Behandlung einer Betäubungsmittelabhängig- keit verabreicht oder einem anderen zum unmittelbaren Ver- brauch überlassen werden, wenn ihre Anwendung am oder im menschlichen oder tierischen Körper begründet ist.“

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Wagner, Klinische Prüfung mit Betäubungsmitteln und die Verkehrserlaubnis nach § 3 BtMG MedR 2004, Heft 7 373

Effekte der Arzthaftung reichen nicht nur deshalb nicht aus,weil ihre Erkenntnisse zu spät kommen, sondern vor allemauch deshalb, weil der Einzelfallbezug schon prozessual nursehr begrenzte Erkenntnisse über die Gesamtbefindlichkeitder Vorsorge vor Ort erlaubt60. Anstelle einer Strafbarkeitdes Krankenhausträgers für ganz konkrete Versäumnissewäre es daher sinnvoller, an „Sanktionen“ des Sozialversi-cherungsrechts zu denken, wenn das Krankenhaus sichweigert, an Qualitätssicherungs-Vereinbarungen teilzuneh-men61.

Und noch eine letzte Anmerkung: Vieles wäre einfacherund ein Teil der Haftung wegen Organisationsverschuldenswürde sich von selbst erledigen, wenn das Problem desKostendrucks minimiert würde. Ich denke an die vielfäl-tigen Möglichkeiten etwa der Telemedizin. So kann wegender elektronischen Speicher- und Transferierbarkeit medi-zinischer Daten z.B. ein Konsiliararzt ohne teure und zeit-aufwendige Überweisungen des Patienten beigezogen wer-den, die dezentrale Nutzung teurer Großgeräte wird mög-

lich u.s.w. Zwar verlangt die Verwendung digitaler Bilderoder sonstiger Daten wiederum die Einhaltung besondererorganisatorischer Sorgfaltspflichten – so etwa die Sicherstel-lung der Authentizität der übermittelten Daten. Jedochsollte bedacht werden, daß durch die Nutzung telematischgestützter Leistungen im Endeffekt – einigen Schätzungenzufolge – nicht nur die Kosten um insgesamt 1/3 gesenktwerden können, sondern auch, daß über eine Optimierungdes gesamten Informationsaustauschs eine Qualitätsverbes-serung erreicht werden kann. Dieses Potential sollte ak-tiviert werden, statt Gedanken auf die Ausweitung derStrafbarkeit von Ärzten zu verwenden.

60) Steffen, in: FS f. Erwin Deutsch, 1999, S. 799, 811.61) Steffen (Fn. 60), S. 812, schlägt vor, daß das Krankenhaus in sol-

chen Fällen von der Krankenversorgung der Gesetzlichen Kran-kenversicherung ausgeschlossen wird.

Marc Wagner DOI: 10.1007/s00350-004-1201-4

Klinische Prüfung mit Betäubungsmitteln und die Verkehrserlaubnis nach § 3 BtMG – ein Junktim1

Ist ein Arzneimittel gemäß § 2 AMG zugleich Betäubungs-mittel i.S. von § 1 Abs. 1 BtMG und ist umgekehrt einBetäubungsmittel zugleich Arzneimittel, so ist im Verhält-nis von BtMG und AMG nach § 81 AMG weder das einenoch das andere Gesetz eine lex specialis2. Mitunter kumu-lieren die gesetzlichen Anforderungen. So verhält es sichetwa, wenn ein Stoff der Anlage III zum BtMG, der zu-gleich dem Arzneimittelbegriff des § 2 AMG unterfällt, imRahmen einer für die Zulassung als Arzneimittel nach § 22Abs. 2 Nr. 3, § 24 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AMG obligatorischenklinischen Prüfung zur Anwendung gebracht werden soll.Der Einsatz von Betäubungsmitteln – beispielsweise das alsHauptinhalts- und Wirkstoff von Cannabis sativa anerkann-te und in Anlage III zum BtMG genannte Dronabinol(Delta-9-Tetrahydro-cannabinol) – in einer klinischen Arz-neimittelprüfung fordert dem pharmazeutischen Unterneh-men zweierlei ab: Auf der einen Seite bedarf es für dieDurchführung der klinischen Studien der Beachtung der §§ 40, 41 AMG. Auf der anderen Seite ist für die gesamteklinische Studie – unabhängig von der jeweiligen Phase derklinischen Prüfung – eine Erlaubnis zum Verkehr mitBetäubungsmitteln gemäß § 3 BtMG beim Bundesinstitutfür Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) einzuho-len3. Wer ohne diese Verkehrserlaubnis Betäubungsmittel„einführt“ oder „erwirbt“, um dieselben im Rahmen einerklinischen Prüfung an Probanden und Patienten anzuwen-den4, wer also eine erlaubnispflichtige Handlung nach § 3BtMG ohne Erlaubnis vornimmt, der – und nicht dasBfArM, das die Erlaubnis einfordert – handelt contra le-gem5.

I. § 13 Abs. 1 S. 1 BtMG

Dähne ist der Auffassung, der Beurteilungsmaßstab für dieFrage der Erlaubnispflichtigkeit nach § 3 BtMG sei allein § 13 Abs. 1 BtMG6. Die Norm gelte nicht ausschließlichfür eine individuelle ärztliche Standardtherapie. Im Falleder zulässigen Behandlung eines Patienten nach § 41 AMG

sei die Behandlung mit Betäubungsmitteln ausnahmslos i.S.des § 13 Abs. 1 BtMG „begründet“. Eine Erlaubnispflich-tigkeit bestünde nur für klinische Prüfungen der Phase Imit gesunden Versuchspersonen. Diese Auffassung ist nicht

Dr. iur. Marc Wagner, Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, Kurt-Georg-Kiesinger-Allee 3, D-53175 Bonn

1) Zugleich eine Replik auf Dähne, Klinische Prüfung mit Betäu-bungsmitteln, MedR 2003, 547–553.

2) Vgl. Körner, BtMG-Kommentar, 5. Aufl. 2001, § 1, Rdnr. 12.3) So ausdrücklich Hügel/Junge/Lander/Winkler, Deutsches Betäu-

bungsmittelrecht, Bd. 1, 8. Aufl., § 1 BtMVV, Rdnr. 4.2 (Stand:2003), § 13 BtMG, Rdnr. 3 (Stand: 2003); Körner (Fn. 2), § 3, Rdnr. 11.

4) Die Anwendung von Betäubungsmitteln an Probanden oder Pa-tienten in einer klinischen Prüfung ist in den meisten Fällen keine„Abgabe“ i.S. von § 3 Abs. 1 Nr. 1 BtMG. Abgabe bedeutet jedeGewahrsamsübertragung an eine andere Person zu deren freierVerfügung, vgl. Körner (Fn. 2), § 29, Rdnr. 931 mit Rechtspre-chungsnachweisen. Eine freie Verfügbarkeit wird den Probandenund Patienten in der klinischen Prüfung in der Regel nicht einge-räumt, vielmehr wird das Betäubungsmittel sofort konsumiert.Dann handelt es sich aber – bei Zufuhr des Betäubungsmittelsdurch die Prüfärzte – um ein „Verabreichen“ respektive – bei Zu-fuhr durch den Empfänger des Betäubungsmittels – um ein„Überlassen zum unmittelbaren Verbrauch“ und damit nicht umeine Abgabe.

5) A.A. Dähne, MedR 2003, 547, 553.6) Satz 1 dieser Vorschrift lautet: „Die in Anlage III bezeichneten

Betäubungsmittel dürfen nur von Ärzten, Zahnärzten und Tier-ärzten und nur dann verschrieben oder im Rahmen einer ärzt-lichen, zahnärztlichen oder tierärztlichen Behandlung einschließ-lich der ärztlichen Behandlung einer Betäubungsmittelabhängig-keit verabreicht oder einem anderen zum unmittelbaren Ver-brauch überlassen werden, wenn ihre Anwendung am oder immenschlichen oder tierischen Körper begründet ist.“

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374 MedR 2004, Heft 7 Wagner, Klinische Prüfung mit Betäubungsmitteln und die Verkehrserlaubnis nach § 3 BtMG

nur aus systematischen Erwägungen, sondern auch mangelsTatbestandserfüllung des § 13 Abs. 1 BtMG abzulehnen.

1. Systematische Erwägungen§ 4 BtMG zählt enumerativ die Ausnahmen von dem Er-laubnisvorbehalt des § 3 Abs. 1 BtMG auf. Demgegenüberkonstituiert § 13 BtMG einen „erlaubnisrechtlichen Frei-raum“7, innerhalb dessen Betäubungsmittel verschriebenoder im Rahmen einer ärztlichen Behandlung verabreichtoder überlassen werden dürfen. Soweit man einmal unter-stellt, nur klinische Prüfungen der Phase I seien erlaubnis-pflichtig, erkennt man grundsätzlich eine wenn auch nurpartielle Erlaubnispflichtigkeit nach § 3 BtMG für klinischePrüfungen an. Verhielte es sich de jure so, dass je nachPhase der klinischen Prüfung ein Antrag auf Erteilung derVerkehrserlaubnis nach § 3 BtMG zu stellen ist, so wärenaus systematischen Gründen in § 4 BtMG die erlaubnisfrei-en Phasen als Ausnahme zur Erlaubnispflichtigkeit zu re-geln gewesen. Einen Erlaubnisbefreiungstatbestand für kli-nische Prüfungen mit Betäubungsmitteln innerhalb derPhasen II-IV enthält letztere Vorschrift nicht. Die Annah-me einer Erlaubnispflichtigkeit für klinische Prüfungen derPhase I nach § 3 BtMG bei gleichzeitiger Subsumtion derPhasen II-IV unter § 13 BtMG ist wegen der damit korre-spondierenden Ausblendung der sachnäheren Erlaubnisaus-nahmetatbestände des § 4 BtMG systematisch verfehlt.

2. Die individuelle Therapie in § 13 BtMGDie Anwendung von Betäubungsmitteln an Probanden undPatienten im Rahmen klinischer Prüfungen ist phasenunab-hängig erlaubnispflichtig. § 13 Abs. 1 BtMG räumt insoweitkeinen Dispens ein. Mit letzterer Vorschrift wird ein unge-hinderter, jedoch in engen Bahnen laufender Betäubungs-mittelverkehr zu individuell-therapeutischen Zwecken ge-währleistet. Das Verabreichen von Betäubungsmitteln inklinischen Prüfungen läßt sich nicht unter die Norm subsu-mieren – auch dann nicht, wenn man die Behandlung imRahmen einer klinischen Studie als individuelle ärztlicheHandlung sui generis qualifiziert8.

Zunächst sind die in § 13 Abs. 1 BtMG normierten Fälleärztlichen Handelns zum einen per definitionem, zum an-deren aus teleologischen Erwägungen keine statthaften ärzt-lichen Handlungsformen in einer klinischen Prüfung. Dieshängt an erster Stelle damit zusammen, dass eine „Ver-schreibung“ in einer klinischen Prüfung denklogisch unsin-nig ist.

Die ärztliche Verschreibungshandlung ist in dem Sinneeinzelfallbezogen, als ihr zwingend die ärztliche Untersu-chung eines Patienten und die Abwägung der Kriterieneines Betäubungsmitteleinsatzes vorausgehen. Dieses indivi-duell-therapeutische Moment einer Verschreibung er-schließt sich aus der Legaldefinition in § 1 Abs. 2 BtMVV,wonach „Betäubungsmittel für einen Patienten (…) und fürden Praxisbedarf eines Arztes (…) nur nach Vorlage einesausgefertigten Betäubungsmittelrezeptes (Verschreibung),für den Stationsbedarf nur nach Vorlage eines ausgefer-tigten Betäubungsmittelanforderungsscheines (Stationsver-schreibung) abgegeben werden dürfen“. Die Verschreibunghat also Anweisungen für einzelne Kranke zum Gegenstandoder dient dem Sprechstundenbedarf, wobei die Betäu-bungsmittel einzelfallbezogen zum Einsatz kommen. Dabeibedarf es zur Besitzerlangung an einem Betäubungsmittelausweislich der Legaldefinition jeweils der Vorlage einerVerschreibung. Dieses die Verschreibung kennzeichnendeund für die Abgabe erforderliche Betäubungsmittelrezept istnicht erforderlich, um ein Betäubungsmittel in einer klini-schen Prüfung einzusetzen. Nur die ärztliche Individualbe-handlung außerhalb einer klinischen Prüfung wird durchdie Verschreibung abgeschlossen. Die Handlungsform„Verschreibung“ ist damit in einer klinischen Prüfung, also

nach § 22 Abs. 2 Nr. 3 AMG der Erprobung von Arznei-mitteln in stationärer oder ambulanter Betreuung, keinestatthafte Form ärztlichen Handelns.

Die exponierte gesetzliche Stellung der Verschreibung9 –die „Verschreibung“ ist neben der „Abgabe auf Verschrei-bung“ alleiniger Gegenstand der amtlichen Überschrift des§ 13 BtMG und außerdem der in der Vorschrift erstge-nannte Fall ärztlichen Handelns – ist maßgeblich für dieratio legis der übrigen beiden ärztlichen Handlungsformen,die „Verabreichung“ und die „Verbrauchsüberlassung“. Siesind ebenfalls nur für den Fall einer individuellen Therapie,nicht aber bei klinischen Prüfungen vorgesehen.

Schließlich sind nach § 13 Abs. 1 S. 1 BtMG die dreiFälle des ärztlichen Handelns nur zulässig bei Indikation,namentlich wenn die Anwendung des Betäubungsmittels„am oder im menschlichen oder tierischen Körper begrün-det ist“. „Begründet“ ist die Verschreibung, Verabreichungoder Verbrauchsüberlassung von Betäubungsmitteln, wennnach den anerkannten Regeln der ärztlichen Wissenschaf-ten die Anwendung des Betäubungsmittels zulässig und ge-boten ist10. Wie aber kann die Anwendung eines Betäu-bungsmittels im Rahmen einer klinischen Prüfung der Pha-sen I-III geboten sein, wenn die klinische Prüfung, einArzneimitteltest, bestenfalls Erkenntnisse gerade darüber zuTage fördert, ob und in welchem Ausmaß die Anwendungeines Betäubungsmittels geboten sein kann, also medizi-nisch begründet ist. Wie kann also eine Betäubungsmittel-verabreichung in einer klinischen Prüfung der Phasen I-IIImedizinisch indiziert sein, wenn die klinische Prüfungselbst ausweislich des Gesetzes – § 24 Abs. 1 S. 2 Nr. 3AMG – darauf angelegt ist, Daten für einen Sachverhalt zu-sammenzutragen, der eine Begutachtung über die Wirk-samkeit, die Verträglichkeit, die Dosierung, die Gegenan-zeigen und Nebenwirkungen erst ermöglichen soll? DieAufgabe der klinischen Prüfung ist es gerade, die im Zulas-sungsverfahren für den Nachweis der therapeutischenWirksamkeit erforderlichen Daten zu erbringen11. Regeltaber § 13 BtMG den Betäubungsmittelverkehr zu thera-peutischen Zwecken12, so können Betäubungsmittel, derentherapeutischer Gehalt erst noch in einer klinischen Prü-fung eruiert wird, nicht gezielt zu therapeutischen Zwe-cken eingesetzt werden.

Ein mit § 13 BtMG intendierter therapeutisch weitestge-hend abgesicherter Einsatz eines Betäubungsmittels ist imübrigen Voraussetzung dafür, den Subsidiaritätsgrundsatzdes § 13 Abs. 1 S. 2 BtMG sachgerecht zur Anwendung zubringen.

Endlich gestattet § 13 Abs. 1 S. 1 BtMG die Verabrei-chung und Verbrauchsüberlassung eines Betäubungsmittelsnur „im Rahmen einer ärztlichen, zahnärztlichen oder

7) So Lundt/Schiwy, Betäubungsmittelrecht, § 13, Anm. I (Stand:2002).

8) Eine entsprechende Einordnung ließe sich darauf stützen, dass derStudienarzt vor Durchführung der klinischen Prüfung eruiert, obder einzelne Patient den Ein- und Ausschlusskriterien so ent-spricht, dass eine vorab festgelegte Behandlung an ihm durchge-führt werden darf. Werden also im Vorfeld einer klinischen Prü-fung durch einen Arzt Patienten gesucht, bei denen der Einsatzeines Betäubungsmittels gerechtfertigt wäre, so mag man indivi-dualärztlichen Handlungscharakter ausmachen, wenn auch Stan-dardisierungen der Behandlung festgelegt sind.

9) Weber, BtMG-Kommentar, 2. Aufl. 2003, § 13, Rdnr. 5.10) So Joachimski/Haumer, BtMG-Kommentar, 7. Aufl. 2002, § 13,

Rdnr. 9; Hügel/Junge/Lander/Winkler (Fn. 3), § 13 BtMG, Rdnr. 5.1.

11) Sander, Arzneimittelrecht, Bd. 1, § 40, Erl. 2 (Stand: 1999).12) Hügel/Junge/Lander/Winkler (Fn. 3), § 13 BtMG, Rdnr. 1; Joa-

chimski/Haumer (Fn. 10), § 13, Rdnr. 4; Körner (Fn. 2), § 13,Rdnr. 1; Lundt/Schiwy (Fn. 7), § 13, Anm. I.

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Heitz, Behördliche Überwachungsbefugnisse bei der Arzneimittelherstellung durch Ärzte MedR 2004, Heft 7 375

tierärztlichen Behandlung“. Eine ärztliche Behandlung ineiner klinischen Prüfung ist hingegen keine „ärztliche Be-handlung“ i.S. von § 13 Abs. 1 S. 1 BtMG. Letztere setztvoraus, dass der Arzt im Rahmen seines Heilauftrages – Le-benserhaltung, Krankheitsheilung und Leidenslinderung –handelt13. Diesem Heilauftrag widerspricht das Wesen einerklinischen Prüfung als Arzneimitteltest, als wissenschaft-lichem – weil nach einem Prüfplan ablaufendem – Versuch.Dient die klinische Prüfung originär und primär wissen-schaftlichen und nicht therapeutischen Zwecken, so erfolgtdie dortige Anwendung eines Betäubungsmittels nicht imRahmen einer ärztlichen Behandlung nach § 13 Abs. 1 S. 1BtMG14.

II. Ergebnis

Sofern Betäubungsmittel zu anderen als rein therapeu-tischen Zwecken benötigt werden, zum Beispiel als Rea-

genzien oder Vergleichsmuster für analytische Untersu-chungen zur Narkotisierung von Versuchstieren oder zurDurchführung einer klinischen Prüfung, bedarf es einerVerkehrserlaubnis nach § 3 BtMG. Die Betäubungsmittel-verabreichung in einer klinischen Prüfung ist nach § 13Abs. 1 S. 1 BtMG nicht „begründet“ und erfolgt auchnicht „im Rahmen einer ärztlichen Behandlung“. Weil derGesetzgeber das BfArM in § 8 BtMG anhält, innerhalb vondrei Monaten nach Antragseingang über die Erlaubnisertei-lung zu entscheiden, werden sorgfältig geplante klinischeStudien durch die Erlaubnispflichtigkeit nach § 3 BtMGnicht behindert, die Sicherheit und Kontrolle des Betäu-bungsmittelverkehrs aber gesteigert.

13) Weber (Fn. 9), § 13, Rdnr. 10 m.w.N.14) Weber (Fn. 9), § 13, Rdnr. 13.

I. Einführung

Die Arzneimittelsicherheit wird im Arzneimittelgesetz(AMG) nicht allein durch die Statuierung eines Zulassungs-verfahrens und die Formulierung materieller Sicherheitsan-forderungen rechtlich strukturiert, sondern durch eineVielzahl weiterer, für die Qualität und Sicherheit von Me-dikamenten bedeutsamer Instrumente gewährleistet. Hierzugehören unter anderen die Überwachungs- und Kontroll-befugnisse gem. §§ 64 ff. AMG, welche den zuständigenBehörden Betretungs-, Einsichts- und Auskunftsrechte einräu-men und die Befugnis zum Treffen vorläufiger Anordnungenumfassen. Der Überwachung unterliegen unter anderemBetriebe und Einrichtungen, in denen Arzneimittel her-gestellt, geprüft, gelagert, verpackt oder in den Verkehr ge-bracht werden oder in denen sonst mit ihnen Handel ge-trieben wird (§ 64 Abs. 1 S. 1 AMG), sowie Personen, dieentsprechende Tätigkeiten berufsmäßig ausüben, ohneeinen Betrieb zu unterhalten oder einer Einrichtung i.S.des § 64 Abs. 1 S. 1 AMG anzugehören (§ 64 Abs. 1 S. 3AMG).

Ein Arzt, der Arzneimittel selbst herstellt2, unterliegt derÜberwachung gem. § 64 AMG dann, wenn die von ihm her-gestellten Medikamente auch in den Verkehr gegeben werden3.Dies ist bereits dann anzunehmen, wenn der Arzt seinemPatienten das Medikament zur Eigenanwendung mitgibt4,oder aber, wenn im Rahmen einer Gemeinschaftspraxisoder Praxisgemeinschaft von einem Arzt selbst hergestellteMedikamente an den/die anderen zugehörigen Ärzte über-lassen werden5, weil damit ein Wechsel in der Verfügungsge-walt über das Arzneimittel stattfindet6. Keine Inverkehrgabeist allerdings die durch den herstellenden Arzt erfolgendeAnwendung am eigenen Patienten7. Die Überwachung auf derGrundlage der §§ 64 ff. AMG ist der Behörde wegen § 4aAMG dann nicht möglich8. Die tatbestandliche Vorausset-zung der Arzneimittelherstellung beim Arzt i.S. des § 64 Abs. 1 S. 1 und 3 AMG ist im Kontext der Gesetzgebungs-

kompetenz des Bundes und der insoweit eindeutigen Re-gelung des § 4a AMG restriktiv so auszulegen, dass dieseHerstellung mit einer nachfolgenden Inverkehrgabe ver-knüpft sein muss oder doch jedenfalls im Zeitpunkt derHerstellung diese Absicht bestehen muss9.

Rechtsassessorin Dr. iur. Simone Heitz, Wissenschaftliche Mitarbeiterin,Institut für Gesundheits- und Medizinrecht, Universität Bremen,Postfach 330440, D-28334 Bremen

1) OVG Nordrh.-Westf., MedR 2004, 394 (in diesem Heft).2) § 64 Abs. 1 S. 1 AMG knüpft die Überwachung unter anderen an

die tatbestandliche Voraussetzung des „Herstellens von Arzneimit-teln“.

3) BVerfGE 102, 26 ff., 35, zu den dahinterstehenden gesetzgeberi-schen Erwägungen.

4) BayObLG, NJW 1998, 3430 ff., 3431.5) BVerfGE 102, 26 ff., 35.6) BVerfGE 102, 26 ff., 35; OVG Nordrh.-Westf., NJW 1995, 802 f.;

Hess. VGH, MedR 1993, 150; Wolfslast/Rosenau, NJW 1993,2348 ff., 2350.

7) BVerfGE 102, 26 ff., 34; BVerwGE 94, 341; OVG Nordrh.-Westf., NJW 1998, 847; OLG Bremen, PharmaR 1987, 241 f.;Hoppe, MedR 1996, 72 ff., 73; Pabel, NJW 1989, 759 f., 760; Räp-ple, Das Verbot bedenklicher Arzneimittel, 1991, S. 36 ff.; Wolz,Bedenkliche Arzneimittel als Rechtsbegriff, 1988, S. 40 ff.; vgl. al-lerdings auch die alte – zwischenzeitlich aufgegebene – Rechtspre-chung des OVG Nordrh.-Westf., NJW 1989, 792 ff. (Frischzellen-Beschluss): die Anwendung des hergestellten Arzneimittels am Pa-tienten durch den herstellenden Arzt wurde als Abgabe an anderegewertet.

8) Auch vor Einfügung des § 4a in das AMG durch das 11. Ände-rungsgesetz v. 21. 8. 2002 war die materielle Rechtslage nicht an-ders zu beurteilen, weil der Bundesgesetzgeber gem. Art. 74 Abs. 1 Nr. 19a GG die Gesetzgebungskompetenz nur für den Ver-kehr mit Arzneimitteln hat.

9) BVerfGE 102, 26 ff., 36, 39; Rehmann, AMG, 2. Aufl. 2003, § 4a,Rdnr. 4; OVG Nordrh.-Westf., PharmaR 2001, 103 f.

Simone Heitz

Behördliche Überwachungsbefugnisse bei der Arzneimittelherstellung durch Ärzte (§§ 64 ff. AMG) Besprechung des Beschlusses des OVG Nordrhein-Westfalen v. 24. 1. 2003 – 13 A 451/011