Klassifikation SES · Psychische Auffälligkeiten bei sprachentwicklungsgestörten Kindern...
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Psychische Auffälligkeiten bei sprachentwicklungsgestörten Kindern
Heilbronn, September 2011
Prof. Dr. Michele Noterdaeme
Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie
Noterdaeme, psychische Auffälligkeiten bei sprachentwicklungsgestörten Kindern, Heilbronn 2011
Klassifikation SES ICD-10 Kriterien
Tiefgreifende Entwicklungsstörungen (F84) –! frühkindlicher Autismus –! atypischer Autismus –! Asperger Syndrom
Störungen der sozialen Funktionen mit Beginn in der Kindheit (F94)
–! elektiver Mutismus
Sonstige Verhaltens- und emotionale Störungen mit Beginn in der Kindheit (F98)
–! Poltern und Stottern
Umschriebene Entwicklungsstörungen (F80) –! Artikulationsstörung –! expressive Sprachstörung –! rezeptive Sprachstörung –! erworbene Aphasie/Epilepsie
Sprachstörungen bei leichter und mäßiger Intelligenzminderung (F7)
Dysphasie und Aphasie (R47), Apraxie (R48), Stimmstörung (R49) Hörstörung/Taubheit
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Klassifikation SES Ätiopathogenese
•! Primäre SES •! Sekundäre SES
•! Intelligenzminderung
•! Hörstörung
•! Neurologische Störung
•! Tiefgreifende Störung
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Klassifikation SES linguistische Kriterien
Sprachentwicklung
Rezeptive Ebene Expressive Ebene Phonologie
Wortschatz
Grammatik
Pragmatik
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•! Beginn, der im Kleinkindalter oder in der Kindheit liegt
•! Eine Einschränkung in der Entwicklung von Funktionen, die eng mit der biologischen Reifung des ZNS verknüpft sind
•! Mehr Jungen als Mädchen, familiäre Häufung
•! Stetiger Verlauf, der nicht die für viele psychische Störungen typischen Remissionen und Rezidive zeigt
Entwicklungsstörungen
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Entwicklungsstörungen
•! Umschriebene
Entwicklungsstörungen
Definition über Diskrepanzkriterium
•! Tiefgreifende Entwicklungsstörungen
Definition über eine bestimmte Verhaltenskonstellation
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Tiefgreifende Entwicklungsstörung Kommunikation
1.! Verspätung oder vollständige Störung der Entwicklung der gesprochenen Sprache, die nicht begleitet ist durch einen Kompensationsversuch durch Gestik oder Mimik als Alternative zur Kommunikation
2.! relative Unfähigkeit, einen sprachlichen Kontakt zu beginnen oder aufrechtzuerhalten (auf dem jeweiligen Sprachniveau), bei dem es einen gegenseitigen Kommunikationsaustausch mit anderen Personen gibt
3.! stereotype und repetitive Verwendung der Sprache oder idiosynkratischer Gebrauch von Worten und Phrasen
4.! Mangel an verschiedenen spontanen Als-ob-Spielen oder (bei jungen Betroffenen) sozialen Imitationsspielen.
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Spezifische Störung der Sprech- und
Sprachentwicklung
•! keine Hörstörung
•! keine Intelligenzminderung
•! keine Cerebralparese
•! keine Deprivation
•! keine psychiatrische Störung (z.B. Autismus)
Umschriebene Entwicklungsstörungen
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Klassifikation
•! F 80 Entwicklungsstörung des Sprechens und der Sprache –! F 80.0 Artikulationsstörung
–! F 80.1 Expressive Sprachstörung
–! F 80.2 Rezeptive Sprachstörung
–! F 80.3 Erworbene Aphasie
•! F 81 Entwicklungsstörung schulischer Fertigkeiten –! F 81.0 Lese- und Rechtschreibstörung
–! F 81.1 Isolierte Rechtschreibstörung
–! F 81.2 Rechenstörung
–! F 81.3 Kombinierte Entwicklungsstörung schulischer Fertigkeiten
•! F 82 Entwicklungsstörung der motorischen Fertigkeiten
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•! spätes Sprechen •! Geringer Wortschatz •! Äußerungslänge zu kurz für das Alter
–! Ein-/Zwei-Wort-Sätze mit 3 Jahren –! einfache Hauptsätze mit 6 - 7 Jahren
•! Wortstellung inkorrekt •! Wortform inkorrekt •! Erlebnisse werden nicht verständlich dargestellt •! Wortfindungsprobleme
Leitsymptome SES
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Prävalenz Entwicklungsstörungen
DSM-IV Psychische
Komorbidität
F 80.0 2-3 % 1-2 %
F 80.1 +F 80.2 3-5 % 40-60 %
F 84.0 0.6 % 50%
F 70 - 30-40 %
Nach Esser und Schmid 1994, Baird et al., Fombonne et al 2005., Sarimsky 2004
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Eine umschriebene Entwicklungsstörung, bei der die Artikulation des Kindes unterhalb des seinem Intelligenzalter angemessenen Niveaus liegt, seine sprachlichen Fertigkeiten jedoch im Normbereich liegen.
Artikulationsstörung
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Eine umschriebene Entwicklungsstörung, bei der das Sprachverständnis des Kindes deutlich unterhalb des seinem Intelligenzalter angemessenen Niveaus liegt.
In fast allen Fällen ist auch die expressive Sprache deutlich gestört, Unregelmäßigkeiten in der Wort-Laut-Produktion sind häufig.
Rezeptive Sprachstörung
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Leitsymptome rezeptive Ebene
Unzuverlässige Reaktion
auf Aufforderungen
Kauderwelschsprache
Jargon
Wenig kreatives Spiel
Ungenaue Beantwortung
von Fragen
Echolalie Unruhig, „mit den Augen
überall“
Antwortet häufig mit „ja“ Dysgrammatismus bei
teilweise korrekten
komplexen Sätze
Eigenwillig, selbstbestimmt,
soziale Schwierigkeiten
Wenig Aufmerksamkeit für
gesprochene Sprache
Sätze, die floskelhaft
wirken
(„weiß ich nicht“)
z.T. aggressiv
Zeigen kaum Interesse am
Vorlesen
z.T. zurückgezogen, ängstlich
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•! Im Vordergrund der Symptomatik stehen anfangs oft autistisch oder zwanghaft wirkende Verhaltensweisen, später Verhaltensstörungen mit geringem sozialen Kontakt, Rückzug, Depressivität, Schulverweigerung oder Aggressivität.
•! Die Sprachverständnisstörung wird erst bei gezielter Beobachtung und Untersuchung deutlich.
Leitsymptome rezeptive Sprache
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USES im Verlauf
Alter (Jahre, Monate) Suchodoletz et al. 2008
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Schulerfolg
%
Suchodoletz et al. 2008
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Häufigkeit LRS bei USES
%
Suchodoletz et al. 2008
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Verlauf
•! Nikotinkonsum* 56%
•! Alkoholkonsum* 31%
•! Arbeitsverweigerung 22%
•! Strafrechtliche Verurteilung 25%
*häufiger als bei anderen Entwicklungsstörungen
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Stichprobe
•! Expressive Sprachstörung N= 33
•! Rezeptive Sprachstörung N= 24
•! Kontrollgruppe N= 55
•! Alter 7,5 Jahre
•! Instrumente CBCL
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Child Behaviour CheckList
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Psychopathologie
Kontrollgruppe N=55 (%)
Expressiv N=33
Rezeptiv N=24
Sozialer Rückzug 1 (1.8%) 4 (12%) 8 (33%)
Körperliche Beschwerden 2 (3.6%) 1 (3%) 2 (8%)
Ängstlich-Depressiv 1 (1.8%) 5 (15%) 8 (33%)
Soziale Probleme 3 (5.4%) 7 (21%) 10 (42%)
Zwanghaft Schizoid 1 (1.8%) 2 (6%) 8 (33%)
Aufmerksamkeitssprobleme 3 (5.4%) 8 (24%) 9 (38%)
Aggressives Verhalten 1 (1.8%) 2 (6%) 4 (17%)
Delinquentes Verhalten 0 (0%) 1 (3%) 2 (8%)
Noterdaeme 2003
Noterdaeme, psychische Auffälligkeiten bei sprachentwicklungsgestörten Kindern, Heilbronn 2011
Psychopathologie CBCL
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Verlauf
nach
Behandlung !Katamnese
Therapeutische Maßnahmen
heilpädagogische Heimunterbringung 19 17
heilpädagogische Tagesstätte 22 21
Einzelbehandlung 16 8
Schulische Förderung
Sprachheilschule oder Regelschule 25 24
Lernförderschule 32 33
Noterdaeme et al. 2003
(N=57: T1=9, T2=13)
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Verlauf
RLD
(N=17)
Geschwister (N=16)
Intelligenz 80 (92/84) 102 (108/105)
Sprachverständnis 10 15
Lesen 36 50
Rechtschreiben 28 40
Phonol. Verarbeitung 11 23
TOM 16 20
Clegg, Hollis, Mawhood, Rutter, 2005 Noterdaeme, psychische Auffälligkeiten bei sprachentwicklungsgestörten Kindern, Heilbronn 2011
Verlauf
RLD
(N=17)
Geschwister (N=16)
Bezahlte Arbeit 3 15
Arbeitslos 14 1
Lebt selbständig 7 15
Bekanntschaften 10 16
Partnerschaft 4 11
Psychiatrische Probleme (MI-Score)
4.5 2.7
Clegg, Hollis, Mawhood, Rutter, 2005
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Zusammenfassung
•! Umschriebene Sprachentwicklungsstörungen werden oft begleitet von psychischen Auffälligkeiten. Dies ist vor allem bei rezeptiven Sprachentwicklungsstörungen der Fall –! Externalisierende Probleme
–! Internalisierende Probleme
•! Das Intelligenzprofil bei umschriebenen Sprachentwicklungsstörungen ist heterogen, im Verlauf ist oft ein Abfall im IQ zu beobachten
•! Es kommt zu Schulleistungsproblemen, Klassenwiederholungen und schlechteren Abschlüssen.
•! Die globale psychosoziale Anpassung ist gefährdet
•! Frühe Erkennung, umfassende Therapie