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‡ Kanon der finanziellen allgemein- bildung ‡ commerzbank Ideenlabor – ein Memorandum

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‡ Kanon der finanziellen allgemein-bildung ‡ commerzbank Ideenlabor – ein Memorandum

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Erarbeitet im Auftrag des Commerzbank Ideenlabors vonMarco Habschick, Martin Jung, Dr. Jan EversEVERS & JUNG – Forschung und Beratung in Finanzdienstleistungen

Herausgeber:Commerzbank Ideenlaborc/o Projektbüro IdeenlaborHainer Weg 4860599 Frankfurt am MainTel. (069) 91 33 31- 0 Internet: www.commerzbanking.de/ideenlabor

Alle Rechte vorbehalten; © Commerzbank, Oktober 2003

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Inhaltsübersicht

Grußworte 4

Vorwort 7

1. Einführung 9

1.1 Finanzielle Allgemeinbildung: Ein Thema von wachsender Bedeutung 9

1.2 Was ist finanzielle Allgemeinbildung? Begriffsklärung und Definitionsvorschlag 11

2. Was zur finanziellen Allgemeinbildung gehört 13

2.1 Berührungspunkte zwischen Privathaushalten und ihren Finanzen 14

2.2 Das Verhältnis der finanziellen Allgemeinbildung zur haushaltsökonomischen Bildung 16

2.3 Finanzdienstleistungen und finanzielle Bedürfnisse 17

3. Bildungsdefizite: Ursachen und Folgen 20

3.1 Defizite: Typische Beispiele aus der Praxis 21

3.2 Ursachenanalyse: Bisherige Formen der finanziellen Allgemeinbildung 23

3.3 Die Folgen unzureichender finanzieller Allgemeinbildung 27

4. Vorschlag für einen Kanon der finanziellen Allgemeinbildung 29

4.1 Inhalte: Die wichtigsten Themenfelder 30

4.2 Methodische Fragen und Verortung des Prozesses 37

5. Handlungsansätze zur Umsetzung 39

5.1 Banken und Versicherer 40

5.2 Schule und Bildungssektor 41

5.3 Medien 42

5.4 Beratungsstellen 43

5.5 Finanzielle Bildung durch die öffentliche Hand 44

Schlussbemerkung 45

Das Commerzbank Ideenlabor 46

Anhang 47

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Wirtschaft bestimmt unseren Alltag. Wer sie nicht versteht, dem erklärt sich ein wesentlicher Teil seiner Weltnicht. Dies gilt umso mehr vor dem Hintergrund der Reformen in den Systemen der sozialen Sicherung inDeutschland, die dem Bürger in zunehmendem Maße mehr Eigenverantwortung übertragen, ohne dass dieBürger auf die Übernahme dieser Eigenverantwortung vorbereitet werden.

In besonderer Weise hat sich diese Problematik im Projekt „Rentenreform – kapitalgedeckte Zusatzvorsorge“der Bertelsmann Stiftung am Beispiel der Alterssicherung gezeigt. Auf der einen Seite sind die angebotenenFinanzprodukte oft hochkomplex. Auf der anderen Seite fehlt vielen Bürgern ein grundlegendes Wissen überfinanzielle und ökonomische Zusammenhänge. So bleibt die Funktionsweise der Finanzprodukte eine un-durchschaubare Materie, die viele Bürger davon abschreckt, sich rechtzeitig mit ihnen zu befassen. In derFolge werden Vorsorgeentscheidungen oftmals jahrelang auf „morgen“ verschoben oder auf Grundlage un-zutreffender Erwartungen getroffen.

Schon heute wird deutlich, dass diese Problematik künftig nicht nur Konsequenzen für die Alterssicherung,sondern zunehmend auch für die Absicherung des Krankheits- und Pflegerisikos haben wird. Die jüngste Gesundheitsreform hat die Entwicklung bereits aufgezeigt: die Risikoabsicherung wird sich mehr und mehr inden privaten Bereich verlagern. Von jedem einzelnen wird also ein Mindestmaß an finanzieller – oder allge-meiner gesprochen – ökonomischer Grundbildung verlangt, um selbstständig seiner Situation angemesseneEntscheidungen treffen zu können. Nicht zuletzt durch die PISA-Diskussion wurde deutlich, dass es um dastatsächliche Niveau der ökonomischen und finanziellen Bildung in unserer Gesellschaft denkbar schlecht be-stellt ist – dies haben zahlreiche Studien in den letzten Jahren gezeigt. Weitgehend ungeklärt ist hingegen dieFrage, welche konkreten Schritte unternommen werden müssen, um dieses Defizit auszugleichen.

Vor diesem Hintergrund ist das vorliegende Memorandum des Ideenlabors der Commerzbank besonders zubegrüßen. Es stellt nicht nur einen wichtigen Beitrag im Sinne einer inhaltlichen Positionsbestimmung von finanzieller Allgemeinbildung dar, sondern zeigt darüber hinaus ein breites Spektrum an sehr konkreten Hand-lungsfeldern auf, die für eine systematische Verbreitung dieses Wissens genutzt werden können.

Auch die Bertelsmann Stiftung arbeitet mit den Projekten „Wirtschaft in die Schule!“ und „Ökonomische Bildung online“ seit Jahren an der Verbreitung ökonomischer Inhalte. So wird derzeit ein internetgestütztes,länderübergreifendes Qualifizierungsprogramm für angehende Ökonomielehrkräfte aufgebaut, das durch einPublic-Private-Partnership im Verbund mit weiteren Trägern finanziert wird. Inhaltlich wird dabei sowohl volks-und betriebswirtschaftliches Grundlagenwissen als auch praxisnahe Themen, wie „Geldanlage und Vermö-gensbildung“ oder „Finanzdienstleistungen und Verbraucherschutz für private Haushalte“ abgedeckt.

Gleichwohl können und dürfen Schulen nicht die einzigen Orte sein, an denen dem Bürger ökonomischesWissen vermittelt wird. Die Verbreitung ökonomischer Bildung ist vielmehr eine gesellschaftliche Herausfor-derung, der keine einzelne Institution und auch kein einzelner Träger gewachsen ist. Im Gegenteil, sie kannnur bewältigt werden, wenn mit vereinten Kräften an einem Strang gezogen wird. In diesem Sinne unterstüt-zen wir das Engagement der Commerzbank und hoffen, dass das Memorandum nicht nur die Diskussionenum die Notwendigkeit finanzieller Allgemeinbildung befruchtet, sondern darüber hinaus auch zu konkretenUmsetzungsschritten führt.

Grußwort von Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Heribert MeffertVorsitzender des Präsidiums der Bertelsmann Stiftung, Gütersloh

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Grußwort von Prof. Dr. Rüdiger von RosenGeschäftsführendes Vorstandsmitglied, Deutsches Aktieninstitut e.V., Frankfurt am Main

Die ökonomischen Grundkenntnisse der deutschen Bevölkerung sind erschreckend niedrig. Das gilt in besonderem Maße für geld- und finanzwirtschaftliche Fragen, die angesichts der zunehmend erforderlichenEigenvorsorge in den kommenden Jahren stark an Bedeutung gewinnen werden. Die Infratest-Umfrage imAuftrag des Commerzbank-Ideenlabors hat diese ernüchternde Feststellung leider eindrucksvoll bestätigt.

Wir tragen heute die Verantwortung dafür, dass auch die nächsten Generationen in unserem Land eine lebenswerte Zukunft haben. Sie müssen die erforderlichen Bedingungen vorfinden, ihr Leben nach eigenenVorstellungen frei und eigenverantwortlich zu gestalten. Niemand kann einer Gesellschaft diese Verantwor-tung abnehmen. Daher stellt sich immer wieder die Frage, ob und wie wir dieser Verantwortung gerecht wer-den.

Damit ist unmittelbar die Frage der Bildung angesprochen, die in Elternhaus und Schule, aber auch von an-deren Lehrinstitutionen vermittelt werden muss. Der Bildungskanon liegt nicht im Bereich des Beliebigen,über den nach Gutdünken oder nach Zeitgeist entschieden werden kann. Vielmehr entscheiden Wissen undFertigkeiten, die heute vermittelt werden, über die Berufschancen von morgen. Je besser die Bildungsinhalteauf die absehbaren Anforderungen abgestimmt sind, desto höher wird nicht nur das intellektuelle, sondernauch das materielle Niveau und damit die soziale Absicherung in den kommenden Jahrzehnten sein.

Ökonomische Bildung ist mehr als Bildung in Geld- und Finanzfragen. Diese bildet aber einen wesentlichenKern der ökonomischen Bildung, nimmt man die Bedeutung der auf diesem Feld zu treffenden Entscheidun-gen und die hieraus erwachsenden – positiven oder negativen – Konsequenzen als Maßstab für diese Rele-vanz. Fast täglich sind hier eigenverantwortliche Entscheidungen zu treffen, die ein Mindestmaß an finanz-wirtschaftlicher Kompetenz erfordern, sollen sie sachgerecht getroffen werden. Es geht nicht so sehr umgesamtwirtschaftliche Interessen, sondern um die ureigensten Interessen des Einzelnen zu den Themen Altersvorsorge und Vermögensaufbau.

Der hier vorgelegte Kanon zur finanziellen Bildung soll und will keinen abschließenden Katalog aller finanzwirt-schaftlichen Kenntnisse und Fertigkeiten darstellen, die der moderne Mensch heute braucht. Er versteht sichzu Recht als Grundlage für die weitere Diskussion und öffnet das Verständnis für die Komplexität der Sach-verhalte. Bemerkenswert ist die Zuweisung der Bildungsaufgabe nicht nur an Familie und Schule, sondernauch an Finanzdienstleister, Verbände, Medien und andere Institutionen. Auch wenn langfristig ein eigenstän-diges Schulfach Ökonomie an allen allgemein bildenden Schulen unverzichtbar ist, kann dieser übergreifendeAnsatz bei der schnellen Verbreitung gerade des finanziellen Wissens hilfreich und wichtig sein.

Wir brauchen in Deutschland eine über die engen Fachkreise der Bildungspolitik hinausgehende breite ge-sellschaftliche Diskussion über ökonomische und finanzielle Bildung. Der vorliegende Kanon liefert wichtigeGedankenanstöße hierzu.

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Grußwort von Prof. Dr. Bernd RolfesUniversität Duisburg-Essen, Standort Duisburg european center for financial services

Es gibt ein altes Sprichwort: Über Geld spricht man nicht, man hat es. Dieses Sprichwort bezeichnet präg-nant das Problem, das wir in unserer Gesellschaft haben. Wir sprechen nicht über Geld und wir sprechennicht über unsere Finanzen. Diese Haltung aber ist für den Einzelnen wie für uns alle – als Gesellschaft undnicht zuletzt auch als Volkswirtschaft – schädlich. Tagtäglich halten uns Begriffe wie Altersvorsorge oderVermögensaufbau vor Augen, dass wir über Geld sprechen müssen, weil wir es eben nicht mehr in dem ge-wünschten Maße haben.

Aber warum gelingen uns die Diskussionen so schlecht und warum sehen wir uns mit derartig vielenfinanziellen Problemen konfrontiert? Die Antwort ist gleichermaßen einfach, einsichtig und erschreckend:weil uns die richtigen Worte fehlen und uns die „Finanzsprache“ als Ganzes weitgehend fremd ist. Wir ver-stehen viele finanzielle Dinge nicht und wir erkennen häufig nicht, wann und in welchem Ausmaß unsereprivaten Finanzen angesprochen werden.

Was wir brauchen, um einen Weg aus dieser Misere herauszufinden, ist ein Leitfaden mit den wichtigstenBausteinen des finanziellen Allgemeinwissens. Er kann uns helfen, uns in verschiedenartigen finanziellenEntscheidungssituationen zurechtzufinden. Genau hier setzt der vorliegende Kanon der finanziellen Allge-meinbildung an: Er beschreibt systematisch, was jeder Einzelne an finanziellem Wissen beherrschen sollte.Dabei geht es nicht um einen Katalog aus Einzelheiten, sondern um die Herausbildung eines finanziellenBewusstseins. Der Kanon spricht dabei zwei Dimensionen an: die „finanzielle Grammatik“, um die Struk-turen der Finanzwelt zu verstehen, und das „finanzielle Vokabular“, das zur Verständigung in der Praxis – infinanziellen Entscheidungssituationen – notwendig ist.

Ihm kommt das Verdienst zu, als erstes Projekt in Deutschland überhaupt die Misere der unzureichendenfinanziellen Kenntnisse aufgearbeitet zu haben und gleichzeitig umfassende und praktikable Lösungen an-zubieten. Der Kanon hält uns nicht bloß unsere Defizite vor Augen, sondern liefert uns ein Grundgerüst, mitdem wir den Weg aus der finanziellen Unwissenheit heraus beschreiten können. Der Anspruch dieses Pro-jektes ist also sehr hoch.

Mit dem vorliegenden Memorandum erhält die Öffentlichkeit aber zum ersten Mal eine offene Diskussionsplatt-form, die gleichermaßen Bildungseinrichtungen, Medien, Finanzdienstleister und natürlich und im Besonderenuns alle als Privatpersonen anspricht und in den Diskussionsprozess einbinden will. Finanzielle Allgemeinbildungist kein Exklusivrecht und allein schon wegen des Umfangs der damit verbundenen notwendigen Aktivitäten nichtvon nur einer Institution oder Interessengruppe zu erreichen. Daher geht der Appell zur Förderung der finanziellenAllgemeinbildung an die Politik, die Wirtschaft, das Kreditwesen, die Medien.

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Vorwort

Was viele Experten schon vermuteten – die vonNFO Infratest im Auftrag des Commerzbank Ideen-labors durchgeführte Studie zum Stand der finan-ziellen Allgemeinbildung in Deutschland hat es bestätigt: Die Deutschen haben erhebliche Wis-sensdefizite bei finanziellen Themen. 42% der Be-fragten konnten nicht einmal die Hälfte der gestell-ten Fragen korrekt beantworten, obwohl sich 80%laut Selbsteinschätzung bei der Planung und Ab-wicklung ihrer eigenen Finanzangelegenheiten zu-mindest „einigermaßen sicher“ fühlten. Vor demHintergrund, dass von den Menschen in Deutsch-land – etwa bei der Altersvorsorge – immer mehr Eigenverantwortung verlangt wird, ist dies einalarmierender Befund.

Die erste umfassende, bevölkerungsrepräsentativeUntersuchung zu diesem Thema hat denn auch einstarkes öffentliches Echo ausgelöst – und damiteine längst überfällige Diskussion angestoßen. Siesoll im Rahmen des Commerzbank Ideenlabors fort-gesetzt werden. Mit dem vorliegenden Memoran-dum präsentieren wir eine vertiefte Analyse derSymptome, Ursachen und Auswirkungen mangeln-der finanzieller Allgemeinbildung. Es dient vor allemals Vorstufe auf dem Weg zu einem „Kanon der finanziellen Allgemeinbildung“, der die unverzichtba-ren Basiskenntnisse zum alltäglichen Umgang mitden persönlichen Finanzen benennen soll: Was mussjemand in der komplexer werdenden Welt wissen,um den finanziellen Alltag zu bestehen und nicht nurSchaden zu vermeiden, sondern womöglich auchgezielt Chancen zu nutzen? Im Rahmen des Memo-randums entwickeln wir einen Vorschlag zur Strukturund zu konkreten Inhalten für einen solchen Kanon.

Das Papier teilt sich grob in zwei Teile:

1. die Eingrenzung des Begriffs „finanzielle Allge-meinbildung“ sowie die Herleitung einer Kanon-Struktur (Kap.1 bis 3).

2. die Umsetzung mit konkreten Vorschlägen zu In-halten (Kap. 4 und 5). Dieser Teil ist stärkerhandlungsorientiert und richtet sich gezielt anPraktiker.

Für den eiligen Leser sind die zentralen Aussagen zuBeginn eines jeden Kapitels in kursiver Schrift zu-sammengefasst.

Hinter dem Memorandum steht ein Kreis von Ex-perten, der das in Deutschland noch junge Themaeiner breiteren Öffentlichkeit erschließen will. DasPapier soll die Grundlage für eine weitere Konkreti-sierung der gerade angestoßenen Diskussion zu die-sem Thema bilden. Multiplikatoren in Wissenschaft,Politik, Bildungssektor und Medien sind dabei genau-so gefragt wie die Akteure in der Finanzdienstleis-tungsbranche.

Commerzbank Ideenlabor, Oktober 2003

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1. Einführung

Finanzielle Fehlentscheidungen aufgrund mangeln-der Entscheidungskompetenz wirken sich nicht nur für die unmittelbar betroffenen Privathaushalte negativ aus, sondern sie haben auch schädliche Folgen für die Volkswirtschaft und die Gesellschaftinsgesamt. Die Verbesserung der finanziellen Allgemeinbildung ist daher eine gesamtgesellschaft-liche Herausforderung ersten Ranges. i

In der modernen Dienstleistungsgesellschaft kommteiner breiten finanziellen Allgemeinbildung der Be-völkerung immer größere Bedeutung zu. Denn ohnesie ist eine kompetente Teilnahme der Privathaus-halte am Wirtschaftsleben kaum noch möglich.Dafür gibt es mehrere Gründe: Zum einen wird denBürgern mehr Eigenverantwortung abverlangt – vorallem auf Grund der nachlassenden Leistungsfähig-keit der sozialen Sicherungssysteme. Außerdemführen zunehmend unstetere Lebensverläufe dazu,dass die Menschen ihre privaten Finanzen häufig anveränderte Bedingungen anpassen müssen. Wei-tere Faktoren sind der allgemeine Trend zur Indi-vidualisierung und das insgesamt hohe Wohlstands-niveau in Deutschland, aber auch die stetigsteigenden Verschuldungsraten der Privathaushalte:immerhin 2,8 Millionen Haushalte sind überschuldet– Tendenz weiter steigend. Vor dem Hintergrunddieser Entwicklungen spielen Finanzdienstleistun-gen für das Leben der Menschen eine zunehmendwichtige Rolle.

Zum anderen aber sind die Produkte und Dienstleis-tungen der Banken und Versicherungen immer viel-fältiger und komplexer geworden. Hinzu kommenneue Vertriebswege und Anbieter in den liberalisier-ten und globalisierten Märkten (Direktversicherun-gen, Finanzvertriebe, Internet etc.). Viele Menschensind angesichts dieser Situation inhaltlich überfordertund verunsichert.

Eine der grundlegenden Ursachen für diese Überfor-derung ist die Informationsverteilung zwischenKunde und Finanzdienstleister. Sie ist in aller Regelstark asymmetrisch: Nur wenige, in finanziellen Din-gen vorgebildete Kunden stehen inhaltlich mit ihremBerater auf einer Stufe oder wissen unter Umstän-den sogar mehr als dieser. Die Problematik dieser Si-tuation lässt sich verdeutlichen, indem man eineParallele zum Gesundheitsbereich zieht: Je engerArzt und Patient auf hohem inhaltlichem Niveau zu-sammenarbeiten können, desto wahrscheinlichersind Therapieerfolge (v.a. bei komplexen Erkrankun-gen). Und je weniger der Kenntnisstand von Beraterund Finanzkunde auseinanderklafft, desto eher führtdie Beratung zu guten, langfristig tragfähigen Ergeb-nissen. Die mangelnden Finanzkenntnisse vieler Kun-den bedingen daher, dass Beratungsergebnisse undEmpfehlungen meist weit schlechter sind, als siesein könnten. Das hat nicht nur negative Folgen fürdie Kunden, sondern ist auch aus Sicht des Finanz-dienstleisters schädlich: Die Effizienz des Beratungs-prozesses und die langfristige Tragfähigkeit der Kun-denbeziehung leiden.

Mehr Eigenverantwortung, komplexere Produkte,mangelnde finanzielle Kenntnisse der Kunden: Das alles führt regelmäßig zu Fehlentscheidungen, diedaraus resultierende Fehlallokation privaten Vermö-gens wiederum zu wirtschaftlichen Nachteilen – vonder ausbleibenden ökonomischen Weiterentwicklungeines Haushalts bis zu seinem sozialen Abstieg. Dies

1.1 Finanzielle Allgemeinbildung: Ein Thema von wachsender Bedeutung

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Abb.1: Finanzielles Unwissen als Risiko (1/2)

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bleibt auch nicht ohne Auswirkungen auf die Gesell-schaft insgesamt. Im angelsächsischen Sprachraum,wo die Diskussion weiter vorangeschritten ist als hierzu Lande, deutet das häufig verwendete Schlagwort„financial literacy“ den Zusammenhang an: Die man-gelnde Verbreitung von Wissen und Fertigkeiten imBereich der persönlichen Finanzen kann eine ähnlichspaltende Wirkung entfalten wie Unterschiede bei der Lese- und Schreibfähigkeit. Den (wenigen) „finanziellen Alphabeten“ stehen die (vielen) „finan-ziellen Analphabeten“ gegenüber – die negativen Folgen liegen auf der Hand.

Die mangelnde Verbreitung finanzieller Grundkennt-nisse zeitigt jedoch nicht nur für den Privathaushaltund auf gesellschaftlicher Ebene negative Folgen. Siehat auch suboptimale Marktstrukturen hervorge-bracht, in denen Finanzdienstleistungen nicht ihrtheoretisch gegebenes Potenzial im Sinne deshöchstmöglichen Nutzens für Privathaushalte undVolkswirtschaft entfalten können. So kommen nacheiner etwas älteren Berechnung der Commerzbankselbst vermögende Haushalte selten über eine Ver-mögensrendite von 4% p.a. hinaus. Und die Testsgroßer Publikums- oder Fachmedien – ebenso wiedie Veröffentlichungen von Verbraucherzentralen undähnliche Beratungseinrichtungen – zeigen immerwieder hartnäckige Qualitätsmängel im Finanzdienst-leistungsmarkt auf.

Anders als in vielen Gütermärkten – z.B. dem Auto-mobilsektor mit seinen hochgradig differenziertenZielgruppenmodellen und Produkten – steht auch dieKundensegmentierung im Finanzdienstleistungsbe-reich noch relativ am Anfang. Dies kann ebenso alsFolge mangelnder finanzieller Allgemeinbildung – bei Anbietern wie bei Kunden – interpretiert werden.Denn während Autokunden meist sehr genau be-schreiben können, welches Automodell für sie opti-mal wäre, scheitert der durchschnittliche Bankkundeschon an den Grundlagen – etwa der Frage, wie erdie Qualität von Finanzprodukten beurteilen und auf

seine individuelle Situation beziehen kann.ii Insofernwirkt also die mangelnde finanzielle Handlungskom-petenz der Bevölkerung zurück auf das Angebot undhat unmittelbare Auswirkungen auf die Entwicklungvon Produkten und Vertriebskanälen. Damit kommteiner Verbesserung der finanziellen Allgemeinbildungeine weitere gesamtwirtschaftliche Bedeutung zu:Sie kann die Marktkräfte in Richtung Qualitätswett-bewerb aktivieren.

All dies macht deutlich: Die Verbesserung der finanzi-ellen Allgemeinbildung ist eine gesamtgesellschaft-liche Aufgabe, an der kein Weg vorbeiführt. Ebensooffenkundig wie die skizzierte Lücke zwischen demAnspruch an die finanzielle Entscheidungskompetenzder Bevölkerung und den tatsächlich vorhandenenFähigkeiten sind jedoch die Defizite im Bildungs-system und bei weiteren potenziellen Vermittlern fi-nanzbezogener Wissensinhalte (siehe dazu Kapitel 3).Der Weg zu einer wirkungsvollen und nachhaltigenBehebung dieser Defizite führt dabei über die Beant-wortung zweier Grundfragen:

1. Welche (Grund-)Kenntnisse in finanziellen

Dingen benötigen die Menschen heute, um als

kompetente Markteilnehmer agieren zu können?

2. Wie, wann und wo können dieses Wissen und

die entsprechenden Fertigkeiten an die Bevölke-

rung vermittelt werden?

Das vorliegende Diskussionspapier versucht, hierauferste Antworten zu geben und einen „Kanon der finanziellen Allgemeinbildung“ zu skizzieren. Es ent-hält einen Vorschlag für die inhaltliche Strukturierungdieses Kanons und zeigt Handlungsansätze zur Ver-besserung der finanziellen Allgemeinbildung auf – mitdem Ziel, die Debatte zu diesem Thema anzuregen.

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Abb.2: Finanzielles Unwissen als Risiko (2/2)

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Der Begriff „finanzielle Allgemeinbildung“ bezeich-net eine handlungsorientierte Grundbildung in Be-zug auf die privaten Finanzen. Er umfasst sowohlOrientierungswissen als auch eine grundlegendeHandlungskompetenz (Sach-, Methoden-, Sozial-und Lernkompetenz).

In Deutschland ist die Debatte über finanzielleGrundbildung noch recht jungiii und wird hier vor allem unter dem Begriff „finanzielle Allgemein-bildung“ geführt.

Dieser Terminus ist nicht unproblematisch, da All-gemeinbildung umfassend definiert ist und sich eigentlich nicht auf einen eingeschränkten Gegen-stand wie den Umgang mit privaten Finanzen anwenden lässt. Im Humboldtschen Sinne kann Bil-dung nicht einmal zweckgebunden sein. Allgemein-bildung ist vor allem nicht einfach Erziehung und be-inhaltet keine klar umrissenen und über die Zeithinweg statisch bleibenden Inhalte.

Nicht von ungefähr wird in der Diskussion um einSchulfach Wirtschaft an allgemein bildenden Schu-len nicht von „ökonomischer Allgemeinbildung“ ge-sprochen. Vielmehr wird die ökonomische Bildunghier als unerlässlicher Teil einer umfassenden Allge-meinbildung verstanden.iv Analog hierzu ließe sich finanzielle Bildung als notwendiger Bestandteil

einer umfassenden Allgemeinbildung ansehen,zumal sie eine – wenn auch bisher vernachlässigte –Teilmenge der ökonomischen Bildung darstellt.

Dennoch hat der in der öffentlichen Debatte einge-führte Begriff „finanzielle Allgemeinbildung“ inso-fern seine Berechtigung, als er das Grundlegende anden damit bezeichneten Bildungsinhalten betont.Von seiner Intention her kommt er also dem Begriff„finanzielle Grundbildung“ am nächsten.

Wie lässt sich nun „finanzielle Allgemeinbildung“ inhaltlich eingrenzen? In der modernen, stark durchKreditkonstruktionen geprägten Dienstleistungsge-sellschaft sind finanzielle Grundkenntnisse eine entscheidende Voraussetzung für materielles Wohl-ergehen. Ob zur Bewältigung temporärer wirt-schaftlicher Krisen (z. B. durch Arbeitslosigkeit) oderfür einen kompetenten Umgang mit Ereignissen, diewirtschaftliche Auswirkungen haben (das erste Ein-kommen, Erbschaften, Scheidung etc.): Ohne finan-zielle Grundkenntnisse kommt es mit hoher Wahr-scheinlichkeit zu individuellen Fehlentscheidungen.

Bei diesen Grundkenntnissen kann es aber nicht in erster Linie um detailliertes Wissen zur Funktions-weise einzelner Finanzdienstleistungen und -pro-dukte gehen. Eine schlichte Ausrichtung des Wis-sens der Bevölkerung am bestehenden Angebot –wie es etwa der „financial literacy“-Begriff (= „fi-nanzielle Alphabetisierung“) impliziert – kann somitnicht Ziel finanzieller Allgemeinbildung sein. Ande-rerseits würde aber auch ein Ansatz zu kurz greifen,bei dem es darum ginge, die Verbraucher im Sinneeiner schlichten Verzichtslogik lediglich von als

1.2 Was ist finanzielle Allgemeinbildung?

Begriffsklärung und Definitionsvorschlag

Abb.3: Begriffserklärung finanzielle Allgemeinbildung

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schlecht identifizierten Finanzprodukten fern zu hal-ten. Denn dann blieben jegliche Impulse zur produk-tiven Weiterentwicklung von Produkten und Markt-strukturen aus.

Finanzielle Allgemeinbildung sollte daher sowohlOrientierungswissen als auch eine grundlegendeHandlungskompetenz umfassen.v Dazu gehört nichtzuletzt ein Verständnis davon, wie der Markt funk-tioniert (Anbieter- und Nachfragerinteressen, Pro-duktmechanismen, Probleme sozialer Sicherheitund deren Lösungsmöglichkeiten etc.) sowie dieFähigkeit, kompetent und selbstbewusst gegen-über den Anbietern von Konsumgütern und Finanz-dienstleistungen auftreten zu können.

Ziel finanzieller Allgemeinbildung muss es demnachsein, den Menschen zu helfen, finanzielle Hand-

lungskompetenz (Sach-, Methoden-, Sozial- undLernkompetenz) in allen sie betreffenden Lebenszu-sammenhängen zu entwickeln. Wenn also im Fol-genden von „finanzieller Allgemeinbildung“ gespro-chen wird, ist damit eine handlungsorientierte

Grundbildung in Bezug auf die privaten Finanzen

gemeint.

Definitionsvorschlag:

Finanzielle Allgemeinbildung ist die Grundlage fi-

nanzieller Handlungskompetenz der privatenHaushalte und damit ein handlungsorientierter Teil-

bereich der ökonomischen Allgemeinbildung.

Sie umfasst das Wissen, die Fähigkeiten sowie

die sozialen Kompetenzen, die notwendig sind,um sich bei Betrachtung des Haushalts als „Un-

ternehmen“ kompetent auf dem Finanzdienst-

leistungsmarkt bewegen zu können.So verstanden vermittelt finanzielle Allgemeinbil-dung weniger lexikalisches Wissen als Grundhal-

tungen und Verhaltensweisen.

Abb.4: Verortung der finanziellen Allgemeinbildung

Allgemeinbildung

Ökonomische Bildung

Finanzielle Allgemeinbildung

Probleme Lösung

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Gegenstand finanzieller Allgemeinbildung sind dieentscheidenden Basisfragen und Strategien (z.B. zurInformationsverarbeitung), die einen kompetentenUmgang mit den persönlichen Finanzen ermöglichen.Die Inhalte finanzieller Allgemeinbildung müssenaus einer handlungs- und bedarfsorientierten Per-spektive heraus bestimmt werden. Im Vordergrundstehen nicht die Eigenschaften von Finanzdienstleis-tungsprodukten.

Bei der Bestimmung der konkreten Inhalte finanziel-ler Allgemeinbildung ist zunächst noch einmal derBlick auf den Bereich Gesundheit und Medizin er-hellend. Unter „Allgemeinbildung“ wäre hier sichernicht die genaue Kenntnis von Krankheitsbildern,Medikamenten oder gar Therapien zu verstehen.Wer aber für seinen Körper sensibilisiert ist, Symp-tome identifizieren kann und seinem Arzt informiertund selbstbewusst gegenübertritt, kann Diagnoseund Therapie konstruktiv unterstützen – und hat so-mit letztlich größere Gesundungschancen. Übertra-gen auf den Bereich der privaten Finanzen bedeutetdas: Gegenstand finanzieller Allgemeinbildung soll-ten weniger die Eigenschaften der Finanzdienstleis-tungsprodukte sein als vielmehr die entscheidendenBasisfragen und Strategien (z.B. zur Infor- ma-tionsverarbeitung): Wie finde ich heraus, was für ein„Geldtyp“ ich in meinen Verhaltensweisen bin? Wieerkenne ich, dass Handlungsbedarf besteht (Sym-ptome!)? Wie sortiere ich aus, um was ich michnicht kümmern muss?

Dementsprechend sind auch die meisten Finanz-bücher wenig hilfreich, da sie zunächst im Stil einesLexikons alle möglichen Produkte beschreiben unddem Leser erst spät oder gar nicht vermitteln, wie ermit diesen Informationen Schritt für Schritt um-gehen kann.

Wo genau die Grenzen zwischen Grund- und Spe-zialwissen sowie zwischen lexikalischen und hand-lungsorientierten Inhalten im Einzelfall verlaufen,kann hier nicht abschließend definiert werden. Sogibt es etwa gute Gründe, weshalb man die Frage„Was ist der DAX?“ zur Allgemeinbildung zählenkönnte. Bei der konkreten Frage: „Wie gehe ich vor,um die für mich richtige Geldanlage zu finden?“ hilftdieses Wissen allein aber nicht weiter. Im Folgen-den muss es also darum gehen, die Inhalte finan-zieller Allgemeinbildung aus einer handlungs- undbedarfsorientierten Perspektive heraus so konkretweit wie möglich zu bestimmen.

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2. Was zur finanziellen Allgemeinbildung gehört

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2.1 Berührungspunkte zwischen Privathaushalten und ihren Finanzen

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Die beiden ersten Kategorien folgen der klassischenBetrachtung des Privathaushalts. Als dritte Katego-rie bieten sich die Finanzdienstleistungen an, da siezwischen Einkommen und Ausgaben vermitteln,selbst also keine herkömmlichen Einnahmen undAusgaben im Sinne von Konsum und Realinvestitiondarstellen. Entsprechend dieser Logik lassen sich imGrunde alle Berührungspunkte des privaten Haus-halts mit dem Bereich der Finanzen einer der dreigenannten Kategorien zuordnen wie im Folgendenbeispielhaft gezeigt wird:

Die Berührungspunkte eines privaten Haushalts mitdem Bereich der Finanzen lassen sich im Wesentli-chen den drei Kategorien Einnahmen, Ausgabenund Finanzdienstleistungen zuordnen. Finanzdienst-leistungen gewinnen zunehmend an Bedeutung undbieten sich als eigene Kategorie an, da sie zwischenEinnahmen und Ausgaben vermitteln.

Zur Identifikation möglicher Inhalte finanzieller Allge-meinbildung knüpfen wir an die Überlegung an, dassPrivathaushalte im Alltag an den verschiedenstenPunkten mit dem Thema Geld/Finanzen konfrontiertsind. Viele dieser „Berührungspunkte“ lassen sichbei näherer Betrachtung allerdings anderen unter-ordnen, sodass eine grobe Strukturierung entlangdreier Kategorien möglich wird, nämlich:

• Einnahmen

• Ausgaben und

• Finanzdienstleistungen

Abb.5: Beispiele für Berührungspunkte Haushalt /Finanzen und grobe Kategorisierung

Einnahmenseite

• Gehaltszahlungen• Staatliche Transferleistungen

(Rente, Kindergeld, Wohngeld etc.)

• Steuerrückzahlungen• Erbschaften• Taschengeld

Finanzdienstleistungen

• Zahlungsverkehr (Geldabhe-bungen, Kontoauszüge, Überweisungen etc.)

• Versicherungsprämien • Anlage (Altersvorsorgeraten

etc.)• Kreditraten

Ausgabenseite

• Mietzahlungen• Auto (Benzin, Wartung,

Reparatur)• Einkäufe des täglichen Bedarfs

und sonstiger Konsum• Ausgaben für Urlaub und

Reisen• Unterhaltsverpflichtungen• Steuernachzahlungen• Vereinsbeiträge u.ä.• Taschengeld

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Gleichzeitig sind einige dieser „Berührungspunkte“jedoch spezifisch für bestimmte Bevölkerungsgrup-pen bzw. Lebenssituationen – und somit nicht Be-standteil von „Allgemeinbildung“. Diese Unterschei-dung hilft, die Inhalte finanzieller Allgemeinbildungweiter einzugrenzen. Dazu ein Beispiel:

Das Thema „Steuerzahlung/Steuerersparnis“ lässtsich erfassen als Folgeerscheinung jedes erzieltenEinkommens. Somit kann das Wissen über dasSteuersystem bzw. die Steuergesetzgebung demBereich „Einkommen“ zugeordnet werden. Gleich-zeitig sind jedoch Steuerkenntnisse nicht für alle Be-völkerungsgruppen im gleichen Umfang relevant. Jehöher das Einkommen, desto relevanter sind dieseKenntnisse für den Einzelnen. Von dieser Überle-gung ausgehend, können Steuerkenntnisse alsoeher dem Spezialwissen als der finanziellen Allge-meinbildung zugerechnet werden.

Mit der hier gewählten groben Kategorisierung be-geben wir uns in die Nähe der Haushaltsökonomie.Der zentrale Gegenstand der klassischen haus-haltsökonomischen Bildung ist allerdings die Opti-mierung von Einnahmen und Ausgaben. FinanzielleAllgemeinbildung hingegen konzentriert sich aufden Bereich der Finanzen im Sinne von „Umgangmit Finanzdienstleistungen“ und kann damit diehaushaltsökonomische Diskussion erweitern.

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Finanzielle Allgemeinbildung kann als Sonderdis-ziplin oder Teilmenge der haushaltsökonomischen Bildung angesehen werden. Zentraler Gegenstandder klassischen Haushaltsökonomie ist die Optimie-rung von Einnahmen und Ausgaben des „Unterneh-mens Haushalt“. Finanzielle Allgemeinbildung soll dagegen vor allem dem Zweck dienen, einen kom-petenten Umgang mit Finanzdienstleistungen zu er-möglichen.

Die Haushaltsökonomie hat ihre Wurzeln in der So-zialberatung und versteht sich in ihren modernenStrömungen als differenzierte Betrachtung des „Un-ternehmens Haushalt” (Einnahmen und Ausgaben,„Bilanzierung“ der positiven und negativen Vermö-genswerte, Haushaltssimulationen etc.). Nicht-monetäre Vermögenswerte wie Familienarbeit oderfunktionierende Freundschafts- oder Nachbar-schaftsnetze werden dabei in die Betrachtung ein-bezogen. Ziel ist der Überblick über die finanzielle Situation vor dem Hintergrund eines sparsamenUmgangs mit den Ressourcen.

Da die mangelnde Kompetenz im Umgang mit Geldeine zentrale Problemquelle privater Haushalte dar-stellen kann, haben die klassischen Bildungs- undHilfsangebote der Haushaltsökonomie unzweifel-haft ihre Berechtigung. Weniger im Zentrum derhaushaltsökonomischen Betrachtung steht jedochbislang die Erkenntnis, dass auch der Umgang mitFinanzdienstleistungen eine Schlüssel-Kompetenzdarstellt.

Finanzdienstleistungen haben in modernen Gesell-schaften eine unverzichtbare Alltagsbedeutung er-langt und gesellschaftliche Institutionen wie etwadie Familie in ihrer sozialen „Absicherungsfunktion“ganz oder teilweise abgelöst (z. B. bei Altersversor-gung, Pflege und Hinterbliebenenabsicherung). Siesind als Bindeglied zwischen Einkommen und Kon-sum getreten, da sie

1. infrastrukturelle Basisdienste für den Geldalltaghervorgebracht haben (= Zahlungsverkehr),

2. für den Einzelnen untragbare finanzielle Risikenüber Kollektivsysteme beherrschbar machen (= Versicherungen),

3. späteren Konsum aus heutigem Einkommen ermöglichen (= Anlage/Sparen) und sogar

4. erst später erwirtschaftetes Einkommen schonheute nutzbar machen (= Kredit).

Immer größere Bereiche der privaten Finanzen wer-den durch Finanzdienstleistungen externalisiert (soz.B. in jüngster Zeit die Altersvorsorge). Dies zeigtdie enge Verknüpfung zwischen der Ökonomie desHaushalts und den Finanzdienstleistungen. Damitgewinnen jene Bildungsinhalte an Bedeutung, diezur kompetenten Nutzung von Finanzdienstleis-

tungen notwendig sind. Sie sollten den Schwer-punkt der finanziellen Allgemeinbildung darstellen.Nicht im Fokus stehen dagegen Fragen des indivi-duellen Konsumverhaltens und der Optimierung desErwerbseinkommens.

Finanzielle Allgemeinbildung lässt sich in dieser Per-spektive als Sonderdisziplin oder sogar Teilmengeder haushaltsökonomischen Bildung sehen, so wie„Investition und Finanzierung“ ein Spezialgebiet derBetriebswirtschaftslehre darstellt (neben „Marke-ting“, „Controlling“, „Personalwesen“ usw.). Dabeiist die Fähigkeit zum kompetenten Umgang mit Finanzdienstleistungen – nicht dessen Vermeidung– der Endzweck aller Bemühungen zur finanziellenAllgemeinbildung. Eine wichtige Voraussetzungdafür ist aber das Verständnis ihrer Wirkungsweise.

2.2 Das Verhältnis der finanziellen Allgemeinbildung

zur haushaltsökonomischen Bildung

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Zur Beschreibung der Inhalte finanzieller Allgemein-bildung bedarf es der Entwicklung eines Grund-gerüsts, das sich an der realen Lebenswelt der Men-schen orientiert. Die übliche produktorientierteSystematisierung finanzieller Wissensinhalte mussdaher zu einer an den finanziellen Bedürfnissen derMenschen orientierten Systematik (Bedarfssyste-matik) umgeformt werden.

Finanzielle Allgemeinbildung darf sich nicht auf dasWissen über die angebotenen Produkte beschrän-ken, sondern sollte die Handlungsfähigkeit der Men-schen im gesamten Prozess der sinnvollen Nutzungeiner Finanzdienstleistung anstreben:

1. Identifizierung und Bewertung eines Bedürfnisses,das möglicherweise mit einer Finanzdienstleis-tung zu befriedigen ist (z.B. Absicherung einesLebensrisikos);

2. Einholung der notwendigen Informationen;

3. Bewertung von Handlungsalternativen;

4. Kommunikation und Verhandlung mit den Anbie-tern;

5. Abschluss des Vertrages;

6. Umgang mit Rechten und Pflichten während derProduktlaufzeit und schließlich

7. Konstruktive Reaktion in Fällen, bei denen Anpas-sung notwendig wird.

Der zentrale Unterschied zwischen einer an Produk-ten und einer an Bedürfnissen orientierten Heran-gehensweise kann durch den Rückgriff auf dieBerührungspunkte von privatem Haushalt und Finanzen verdeutlicht werden. Fokussiert auf denBereich der Finanzdienstleistungen können private

Haushalte im Alltag u. a. konfrontiert sein mit:

• Kontoauszügen• Geldabhebungen • Überweisungsvorgängen• Lastschriften• Kreditkartenabrechnung• Änderungen beim Dispo• Kreditratenzahlung• Versicherungsprämien • Fondssparplan• Tagesgeldkonto• Termingeld• Aktien• Anleihen

Diese Berührungspunkte werden bei einer produkt-orientierten Klassifizierung den bereits erwähntenThemenfeldern Zahlungsverkehr, Anlage, Versiche-rungen und Kredit zugeordnet. Im Bewusstsein derMenschen stehen jedoch eher konkrete Bedürf-nisse im Vordergrund, zu deren Befriedigung Finanzdienstleistungen genutzt werden können. Da-bei geht es etwa um Fragen der Art:

• Wie organisiere ich meine alltäglichen Geldvorgänge?

• Wie gehe ich mit meinen Lebensrisiken um?

• Wie gestalte ich Vermögensaufbau und Altersvorsorge?

• Wie kann ich Geld leihen?

Zur Beschreibung der Inhalte finanzieller Allgemein-bildung bedarf es folglich der Entwicklung einesGrundgerüsts, das sich an der realen Lebensweltder Menschen orientiert. Hierzu gilt es, die bisherübliche produktorientierte Systematisierung zueiner Bedarfssystematik auszubauen und umzufor-

2.3 Finanzdienstleistungen und finanzielle Bedürfnisse

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men. Zwar sind Bedarfsfragen wie die oben beispiel-haft wiedergegebenen zumeist auf die herkömmli-chen Produktklassen bezogen. In der nachfolgendenGegenüberstellung wird aber deutlich, dass eine Bedarfssystematik zusätzlich wichtige Rand- undNachbarthemen abdeckt, die mit der konventionellenProduktlogik nicht erfasst werden. Sichtbar wird da-bei auch, dass finanzielle Fragestellungen nicht auto-matisch zu einem bestimmten Finanzprodukt führen.

Ergänzt man die vier Bereiche, die der herkömmli-chen Klassifizierung entsprechen, durch einen Grund-lagenteil, der das unverzichtbare Orientierungswis-sen enthält („Was muss man grundsätzlich über Geldwissen?“; mehr dazu im folgenden Kapitel), so ge-langt man mit der bedarfsorientierten Systematik zueinem ersten inhaltlichen Gerüst zur Beschreibungder Inhalte finanzieller Allgemeinbildung.

Es ergibt sich auf diesem Wege also ein Fünfklangaus Themenfeldern, aus denen ein „Kanon der finanziellen Allgemeinbildung“ zusammengesetztsein müsste.

Um dieses gedankliche Konstrukt mit Leben zu füllen, ist allerdings nochmals ein Blick auf die Praxisnotwendig.

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Abb.6: Gegenstand finanzieller Allgemeinbildung

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Produktorientierte Systematik

Volkswirtschaftliche Grundlagen• Inflationsrate• Zins und Zinseszins• Währungen• Wirtschaftswachstum• ...

Zahlungsverkehr• Girokonto• Tagesgeldkonto/Sparbuch• Überweisung, Lastschrift, Abbuchung• ec-Karte, Kreditkarte• ...

Versicherungen• Privathaftpflicht• Berufsunfähigkeit• Leben• Unfall• Sachversicherungen• ...

Anlage• Banksparplan• Private Rentenversicherung• Kapital bildende Lebensversicherung• Fondspolice• Bausparvertrag• Fondssparplan• Immobilien• ...

Kredit• Dispositionskredit• Konsumentenkredit• Immobilienfinanzierung• Lebensversicherungshypothek• Kfz-Finanzierung• ...

Bedarfsorientierte Systematik

Geld verstehen• Kaufkraft• Verhältnis von Zeit und Wert• Vertriebsstrukturen bei Finanzdienstleistungen

(Unterschiede bei den Anbietern)• Geldfunktionen/Zahlungsströme• ...

Geld-Management:• Einnahmen/Ausgaben• Kontenkonzept (Giro-, Tagesgeld-, Spezial- etc.)• Geldtransfers• Einsatz von „Plastikgeld“• Effiziente Bargeldhaltung

Umgang mit Lebensrisiken• Welche Risiken habe ich? • Was will ich versichern, welche Risken

trage ich? (Risikotyp)• ...

Vermögensaufbau und Altersvorsorge• Vermögensbilanz• Säulen der Altersvorsorge• Wohnen (Miete vs. Hypothek)• Immobilien als Geldanlage• Erben und Vererben• ...

Geld leihen• Ziel des Kredits• Welcher Kredit für welchen Zweck?• Immobilienfinanzierung• Kontoüberziehung• ...

Gegenüberstellung von produktorientierter und bedarfsorientierter Systematik

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3. Bildungsdefizite: Ursachen und Folgen

Der Wissens- und Kenntnisstand der Deutschen infinanziellen Dingen ist unzureichend. Das hat nichtzuletzt die Commerzbank/Infratest-Studie zur finan-ziellen Allgemeinbildung der Deutschen gezeigt, beider 35 Fragen aus fünf Wissensfeldern des Finanz-bereichs abgefragt wurden.

Nicht erst das „böse Erwachen“ vieler Erstanleger an-gesichts des Abwärtstrends an der Börse seit Früh-jahr 2001 hat deutlich gemacht, dass in Deutschlandgrundlegende Defizite bei der finanziellen Bildung bestehen. Vielmehr könnten als Belege dafür eineVielzahl weiterer Praxisbeispiele und typischer Ver-haltensmuster aus dem gesamten Bereich der Finanzdienstleistungen angeführt werden.

Die bereits erwähnte, von NFO Infratest im Auftragdes Commerzbank Ideenlabors durchgeführte Stu-die zur finanziellen Allgemeinbildung der Deutschenist die erste repräsentative Erhebung zu diesemThema und gibt einen guten Einblick in die Proble-matik. Dabei wurden 35 Fragen aus fünf Wissens-feldern des Finanzbereichs gestellt. Einige zentraleErgebnisse:

• Zwar fühlen sich vier von fünf Befragten lautSelbsteinschätzung bei Planung und Abwicklungihrer persönlichen Finanzen zumindest einiger-maßen sicher (36 % sehr sicher/sicher; 43 % eini-germaßen sicher). Doch die Auswertung der Wissensfragen zeigt ein anderes Bild: Ein „gutes“Finanzwissen (mehr als 80 % richtige Antworten)konnten nur 5 % der Befragten vorweisen. Insge-samt waren nur 58 % der Befragten in der Lage,wenigstens die Hälfte der Testfragen richtig zu be-antworten. Am besten waren die Ergebnisse nochim Bereich Einkommen und Zahlungsverkehr(76% beantworteten mehr als die Hälfte der Fra-gen richtig) sowie beim Thema Kredite (71 %).Schwächer sind die Ergebnisse vor allem bei derprivaten Vorsorge (63 %) und insbesondere im Be-reich Geldanlage (40 %). Auch beim volkswirt-

schaftlichen Orientierungswissen konnten nur56 % wenigstens die Hälfte der Fragen richtig beantworten.

• Im Gesamtergebnis zeigt sich ein deutliches „Bil-dungsgefälle“: Überdurchschnittlich gut – allerdingsgemessen an einem schwachen Gesamtniveau –schneiden die Bezieher höherer Haushalts-Net-toeinkommen (über 3.000 EUR pro Monat),Selbstständige, Leitende Angestellte, Beamte so-wie die Besitzer von Wertpapieren ab. Auch Men-schen mit einer kaufmännischen Ausbildung bzw.einem wirtschaftswissenschaftlichen Studium sindeher als andere in der Lage, die Fragen richtig zubeantworten. Zu den in Finanzdingen eher „Unge-bildeten“ zählen vor allem die Bezieher niedrigererHaushalts-Nettoeinkommen, jüngere Erwachsene(bis 29 Jahre) sowie Facharbeiter und Arbeiter.

• Trotz der schlechten Testergebnisse waren nur28 % der Befragten der Meinung, es gebe zu we-nige Informationen zum Thema private Finanzen.Fast ebenso viele (26%) meinen, es gebe schon zuviele Informationen dazu. Es mangelt also offen-kundig nicht an Informationen, sondern an der Fähig-keit, diese richtig zu verarbeiten und einzuordnen.

• Am meisten gelernt über Finanz- bzw. Geldan-gelegenheiten haben die Deutschen bisher beiBanken und Sparkassen (66%). Danach kommenGespräche im Familienkreis (57 %) sowie mitFreunden oder Bekannten (46 %). Allgemeinbildende Schulen (3 %) oder Universitäten (5 %)werden nur sehr selten als „Lehrstätten“ für fi-nanzwirtschaftliches Wissen angegeben. Gleich-wohl sahen jeweils mehr als die Hälfte der Test-personen vor allem berufsbildende Schulen/Fach-schulen und allgemein bildende Schulen in derPflicht, eine ausreichende finanzielle Allgemeinbil-dung zu vermitteln.

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Beispiele aus der Finanzpraxis geben Aufschlussüber typische Fehleinschätzungen und Bildungs-lücken im Bereich der persönlichen Finanzen. Dabeiwird deutlich, dass es oftmals weniger am Wissenim klassischen Sinne mangelt als vielmehr an einem Grundverständnis finanzieller Zusammen-hänge (z. B. an der Fähigkeit, in Zahlungsströmen zudenken).

Die Anwendungs- und Wirkungsebene von Finanz-dienstleistungen wird in Deutschland bislang wenigbetrachtet – wissenschaftliche Forschung zu die-sem Themenfeld gibt es hier zu Lande kaum. Den-noch liegen vielfältige Erkenntnisse darüber vor, wotypischerweise Fehlentscheidungen getroffen wer-den, Bildungslücken bestehen oder das Finanz-dienstleistungsgeschäft Strukturmängel aufweist.Auch hierzu bietet die Commerzbank/Infratest-Studie einige erhellende Beispiele:

• Jeder zweite Befragte kannte nicht den Unter-schied zwischen ec- und Kreditkarte;

• ebenso gering war der Anteil derjenigen, dienichts von ihrem Widerrufsrecht bei Kreditverträ-gen wissen;

• mehr als die Hälfte verstand nicht den Unterschiedzwischen Aktie und Anleihe;

• nur gut ein Viertel konnte zumindest abschätzen,wie viel Guthaben sich bei einem vorgegebenenSparplan bis zum Ende der Laufzeit ansammelt.

Aus der Praxis lassen sich viele weitere typischeFehleinschätzungen benennen:

• Der Sachverhalt, dass jeder Haushalt wie ein Un-ternehmen bilanziell dargestellt werden kann (Vermögen/Verbindlichkeiten) und auch eineideelle „Gewinn- und Verlustrechnung“ besteht(Einnahmen/Ausgaben), ist vielen Menschen nicht

klar. Anders lässt sich etwa das verbreitete Phäno-men „Sparen auf Kredit“ nicht erklären: In der Ge-samtschau ist es i.d.R. für einen Haushalt günsti-ger, zunächst bestehende Verbindlichkeiten (z. B.laufende Finanzierung oder häufige Dispo-Nut-zung) zu tilgen, bevor ein neuer Sparvertrag abge-schlossen wird. Die Zinsbelastung auf der Kredit-seite ist nämlich stets höher als die Rendite einer(risikofreien) Geldanlage. Ausnahmen von dieserRegel (Steuersparmodelle, endfällige Finanzierun-gen etc.) erweisen sich grundsätzlich als hochkomplex und enthalten immer eine Risikokompo-nente. Sie erfordern deshalb viel Spezialwissen –und häufig geht die Rechnung nicht auf.

• Das finanzielle Gesamtportfolio eines Haushalts(Liquidität, Spareinlagen, Kapital bildende Lebens--versicherung, Wertpapiere, Immobilien, Beteili-gungen etc.) ist meist das Ergebnis einer eher zu-fälligen Mischung über viele Jahre hinweg.Mangels Überblick und systematischer, integrie-render Betrachtungsansätze werden finanzielleEntscheidungen häufig ad hoc und aus dem Bauchheraus getroffen. In der Summe ergibt das nur sel-ten ein stimmiges Gesamtbild.

• Selbst alltägliche Finanzprodukte werden häufignicht verstanden. Der fundamentale Unterschiedzwischen einer Risiko- und einer Kapitallebensver-sicherung beispielsweise ist einem großen Teil derBevölkerung nicht klar. In der Regel glauben dieVersicherten, sie bekommen bei einer Kapitalle-bensversicherung am Ende der Laufzeit ihre„nicht verbrauchten“ Beiträge zurück. Tatsächlichist es jedoch nur der verzinste Sparanteil.

3.1 Defizite: Typische Beispiele aus der Praxis

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• Das Wertpapierhandelsgesetz verlangt von Anle-gern, dass sie sich einer Risikoklasse zuordnen.Da aber bei der Abfrage so gut wie nie Hilfsmittelzur Selbsteinschätzung angeboten werden und dieKlassifizierungen der Banken begrifflich wenigtrennscharf und nicht selbsterklärend sind (z.B.„sicherheitsorientiert“ – „wachstumsorientiert“ –„chancenorientiert“), wird diese inhaltlich wie for-mal-juristisch brisante Festlegung oft auf zweifel-hafter Basis getroffen. Dies führt regelmäßig zuStrategiefehlern der Anleger.

• Die Bindungswirkung von Langfrist-Produkten(Renten- und Lebensversicherungen, aber auchSteuersparkonstruktionen u.ä.) und das daraus resultierende finanzielle Risiko im Lebenszykluswerden kaum wahrgenommen. In aller Regel gehen die Menschen langfristige Bindungenfrüher ein, als es ihre Lebenssituation zulässt.Nach einer Untersuchung des Allensbach-Institutswird die Hälfte aller Kapital bildenden Lebensver-sicherungen mit teilweise hohen Verlusten wiederstorniert, weil sich unvorhergesehene Ereignisseim Lebensverlauf ergeben, die eine Fortführungunmöglich oder nicht sinnvoll machen.VII Ähnlichesgilt für das Bausparen.

• Die wenigsten Menschen sind in der Lage, zumin-dest grob in Zahlungsströmen zu denken – oderetwa die Relevanz der konkreten Zusammenset-zung einer Monatsrate zu erkennen. So ist bei-spielsweise kaum jemandem bewusst, dass esaufgrund des Zinseszinseffekts von erheblicherBedeutung ist, zu welchem Zeitpunkt bei einer

Geldanlage Kosten abgerechnet werden: Eine Regelung, bei der diese Kosten kontinuierlich überdie gesamte Laufzeit verteilt sind, ist grundsätzlichgünstiger als eine, bei der zu Laufzeitbeginn dergesamte Kostenblock belastet wird. Denn im letzteren Fall arbeitet weniger Kapital über dievolle Laufzeit.

Selbst das letztgenannte Beispiel stellt nur auf denersten Blick komplexes Fachwissen dar. Denn manmuss im Zweifelsfall nicht in der Lage sein, die Un-terschiede zwischen den beiden Modellen finanz-mathematisch exakt bestimmen zu können. EinGrundverständnis des skizzierten Zusammenhangsreicht völlig aus, um das vorteilhaftere Angebot zuidentifizieren. Ein „Denken in Zahlungsströmen“ er-möglicht es, wirtschaftliche Schieflagen sowie unsinnige Finanzkonstruktionen rechtzeitig zu er-kennen.

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Das niedrige Niveau finanzieller Allgemeinbildung inDeutschland hat zum einen vermutlich historischeGründe, ist aber auch der schwierigen didaktischenVermittelbarkeit des Themas geschuldet. Zudem ha-ben die potenziellen Träger finanzieller Allgemeinbil-dung (Bildungssektor, Anbieter von Finanzdienst-leistungen, Beratungsinstitutionen, Medien) bisherkein schlüssiges Gesamtkonzept zur Vermittlungentsprechender Bildungsinhalte entwickelt.

In Deutschland war lange Zeit nur wenig explizitesFinanzwissen zur Gestaltung des Alltags notwendig.Ursachen dafür können u. a. in der späten Wohl-standsmehrung, der obrigkeitsstaatlichen Traditionund dem tendenziell patriarchalischen System der so-zialen Sicherung gesehen werden. Dementspre-chend weist die „Landkarte der finanziellen Allge-meinbildung“ große weiße Flächen auf. Erschwerendkommt hinzu, dass das Thema Finanzen didaktischschwierig zu handhaben ist:

• Finanzdienstleistungen können nicht unmittelbarerlebt werden, sondern es handelt sich um ab-strakte Rechtskonstrukte (z. B.: für den Fall desEintretens eines Ereignisses X verpflichtet sich dieVersicherung, eine Leistung Y zu erbringen, wennder Kunde dafür einen Beitrag Z zahlt). Folglichmüssen bei dem Versuch, Finanzen verstehbar zumachen, ständig abstrakte Sachverhalte themati-siert werden. Doch wie erklärt man Risiko? Wasist Kapital? Wie lässt sich ein finanzieller Bedarf in30 Jahren ermitteln? Auch in den Produkten selbstfindet sich dieser hohe Abstraktionsgrad wieder:Was ist zum Beispiel eine Überschussbeteiligungund warum kann ich diese schon heute ausgezahltbekommen (Netto-Beitrag bei Versicherungen),obwohl sie erst in Zukunft entsteht?

• Die meisten Menschen setzen sich mit Finanzfra-gen nur ungern auseinander. Denn es macht nuneinmal mehr Spaß, sich etwa mit den möglichenAusstattungsvarianten eines neuen Autos zu be-

schäftigen, als das Kleingedruckte eines Versiche-rungsvertrags durchzuarbeiten. Die Ursachen hierfür liegen vermutlich – diesbezügliche For-schungen des Ideenlabors haben erst begonnen –auch in der mangelnden Reputation des ThemasGeld/Finanzen, in seiner gesellschaftlichen Tabui-sierung oder in der mangelnden „sozialen Rentabi-lität“ einer Investition von Zeit und Mühe in Geldfragen.

• Der Bildungsprozess erfolgt ganz überwiegend in-formell und anbieterabhängig. Wie die Commerz-bank/Infratest-Befragung zeigt, erwerben die meis-ten Menschen ihr Wissen bei den Anbietern vonFinanzdienstleistungen und/oder durch Familie,Freunde und Bekannte. Bei den Anbietern sind dieInformationen über Finanzdienstleistungen fastimmer produkt- und vertriebsorientiert gestaltet.Die Informationen aus dem persönlichen Umfeldhingegen bergen zumindest die Gefahr, unzutref-fend oder ungenau zu sein. Unabhängige, profes-sionelle Finanzberatung hat sich in Deutschlandbisher kaum durchgesetzt. Und im gesamten Bereich der Aus- und Weiterbildung ist das Themafinanzielle Bildung kaum präsent.

• „Lernen am Problem“: Häufig lernen Menschendann am besten, wenn sie sich in einer realen Ent-scheidungssituation befinden. Formelles Bildungs-angebot und persönliche Betroffenheit liegen aberzeitlich meist weit auseinander – zum Teil vieleJahre. Dieses typische Problem z. B. der Schulenzeigt sich bei den privaten Finanzen besondersdeutlich: So sind Jugendliche für Themen wie Bau-finanzierung und Altervorsorge wenig aufnahme-bereit.

• In kaum einem anderen Markt laufen Aktion undErgebnis zeitlich so extrem auseinander wie beivielen Finanzdienstleistungen. Bei Altersvorsorgeoder Wohneigentumsfinanzierung beispielsweise– aber auch bei Versicherungen – ist erst nach

3.2 Ursachenanalyse: Bisherige Formen der finanziellen Allgemeinbildung

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mehreren Jahrzehnten bzw. im Schadensfall be-wertbar, ob die eingeschlagene Strategie optimalwar. Viele Erfahrungen macht man nur ein einzigesMal im Leben und muss folglich für anstehendeEntscheidungen auf die Erfahrungen andererzurückgreifen. Das bringt weitere Abstraktions-und Methodikprobleme mit sich.

Neben den informellen Orten bzw. Kanälen finanzi-eller Allgemeinbildung (Familie, Freunde, Bekannteetc.) lassen sich folgende formelle Trägergruppenidentifizieren:

• Schulen/Bildungssektor

• Anbieter von Finanzdienstleistungen (Kreditinsti-tute, Versicherungen etc.)

• Beratungsstellen mit finanzbezogenen Aufgaben-stellungen (Verbraucherzentralen, Schuldnerbera-tungsstellen)

• Medien

Erste Analysen der Inhalte und Konzepte, der Ziel-gruppen sowie der Wirkung/Effizienz bestehenderBildungsangebote deuten darauf hin, dass von keiner dieser formellen Trägergruppen bislang einschlüssiges Gesamtkonzept zur Vermittlung einerbreiten finanziellen Allgemeinbildung entwickeltworden ist. Häufig sind entsprechende Angebotenur auf Teilbereiche fokussiert und nicht von einemintegrierenden Denkansatz im Hinblick auf die Ver-wirklichung finanzieller Allgemeinbildung geleitet.

Schule/Bildungssektor: Die allgemein bildendeSchule stellt auch beim Thema Finanzen die gewis-sermaßen „natürliche“ Bildungsinstanz dar. Aller-dings sind Inhalte, die auf den konkreten Umgangmit den eigenen Finanzen bezogen sind, innerhalbdes ohnehin schon schwach vertretenen ThemasÖkonomie unterrepräsentiert. Aus der Fachdiskus-

sion zur ökonomischen Bildung sowie den vorhan-denen Curricula ist zu entnehmen, dass Aspekte fi-nanzieller Allgemeinbildung bislang am ehesten inden Bereichen „Privater Haushalt“, „Konsum/Spa-ren“, „Geld und Kreditwesen“ u. ä. zu finden sind.An den Universitäten stellt die systematische Ver-mittlung finanzieller Handlungskompetenz nicht einmal im BWL- oder VWL-Studium einen Schwer-punkt dar. Und auch Fort- und Weiterbildungsange-bote gibt es – wenn überhaupt – nur im Umfeld derhaushaltsökonomischen Bildung.

Im Einzelnen lässt sich konstatieren: • Elemente finanzieller Allgemeinbildung finden sich

vereinzelt als Unterthemen von Schulfächern(meist Sozialwissenschaften/Gesellschaftskunde,ökonomische Bildung, Mathematik);

• die Stundendeputate für ökonomische Inhalte sindin den Lehrplänen allgemein bildender Schulensehr klein und meist nicht obligatorisch. DasThema steht und fällt daher mit der Eigeninitiativeder Lehrenden;

• der inhaltliche Schwerpunkt liegt auf VWL- undBWL-Themen. Handlungskompetenz in Bezug aufdie eigenen Finanzen wird dagegen kaum vermittelt;

• bei der Darbietung der Inhalte wird stark auf Mate-rialien von Sparkassen, Verbraucherzentralen o. ä.zurückgegriffen;

• die Mathematikbücher weisen oftmals Mängelauf: So ist beispielsweise die Zinsrechnung zwargrundsätzlich enthalten, doch wird dabei ein stati-sches Verständnis zugrunde gelegt und werdendie Zahlungsströme ausgeblendet;

• die erkennbaren Werthaltungen sind eher konser-vativ (Sparsamkeit, Kreditvermeidung etc.);

• eine übergreifende Systematik fehlt.

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Anbieter von Finanzdienstleistungen: Sowohlvom Umfang her als auch in der Wahrnehmung derBevölkerung (vgl. Commerzbank/Infratest-Studie) ge-hören Banken, Versicherungen und andere Finanz-dienstleister zu den wichtigsten Vermittlern finanzi-eller Bildungsinhalte. Es fällt jedoch auf, dass trotzder Verbreitung großer Informationsmengen wenigGrundwissen vermittelt wird. Finanzielle Allgemein-bildung im Sinne dieses Memorandums ist nicht Zielder Anbietermaterialien – leider allerdings auch kein„Nebeneffekt“. Der weit überwiegende Teil der Ma-terialien dient der Produktdarstellung und blendetAnwendungsaspekte aus. Auch die Finanzberatungist bislang nicht für Bildungsaspekte ausgelegt, ob-wohl sie einen der wirksamsten Kanäle darstellenwürde.

Für die Anbieterseite ist somit festzuhalten: • Der Informationsschwerpunkt der gängigen Mate-

rialien liegt auf Produkten, weniger auf deren Anwendung oder auf Bedarfssituationen;

• Nachteile, Komplexität oder Anwendungsprob-leme der Produkte werden kaum thematisiert, wo-durch die Information einen starken Werbe-charakter erhält;

• das bevorzugte Themenfeld ist (variierend nachAnbietergruppen) v. a. die Geldanlage, in geringe-rem Maße Versicherungen und Zahlungsverkehr,nur selten Kredite;

• die Zielgruppe stellen überwiegend Erwachsenedar, die als Kunden attraktiv sind; eine Ansprache potenziell schwieriger Kundengruppen erfolgt kaum;

• das durchgängige Kundenbild ist der mündige Bürger, der kompetente Entscheidungen trifft;

• selten findet sich eine übergreifende Informations-und Beratungssystematik in Richtung Finanz-planung.

Öffentliche Beratungseinrichtungen mit Bezug

zu den privaten Finanzen: Verbraucherzentralen,Schuldnerberatungsstellen und ähnliche öffentlicheEinrichtungen verstehen sich als korrigierende Insti-tutionen im Finanzmarkt und verfolgen entsprechendeinen wesentlich stärker problemorientierten Ansatzals andere Bildungsträger. Allgemeine Haushalts-beratung, Vorkaufsberatung und Krisenintervention stellen ihre Haupttätigkeiten dar. Die Ratsuchenden werden tendenziell als durch Marktungleichgewichteund Übervorteilungen gefährdet angesehen.

Des Weiteren ist hier festzustellen: • Ausgangspunkt ist ein produktneutraler, problem-

orientierter Ansatz;

• es wird Entscheidungshilfe für „Jedermann“ inkonkreten Problemlagen gegeben;

• thematisch sind die Informationen in der Regeleingeschränkt (Baufinanzierung, Schulden, Alters-vorsorge, Versicherungen o. ä.);

• es gibt keine übergreifende Systematik;

• es handelt sich v. a. um präventive Arbeit mit demZiel, vor Fehlern oder Verlusten zu bewahren;

• die Zusammenarbeit mit Schulen, Ausbildungsbe-trieben oder sonstigen Institutionen wird gesucht;

• das Klientenbild ist tendenziell der unmündigeBürger.

Medien: Der „Nutzwertjournalismus“ ist im Allge-meinen eine hilfreiche und differenzierte Wissens-quelle, zugleich aber unsystematisch, kurzlebig-aktualitätsbezogen und meist auf eine vorgebildeteKlientel zugeschnitten. Ein durchgängiger und nach-haltiger Bildungseffekt beim Thema Finanzen wirdweder angestrebt noch erreicht. Aussagen in Test-berichten oder Ratgeber-Serien beziehen sich zu-

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dem stets auf „Mediankunden“ – mithin auf Mus-terkunden, die in ihren Einzelmerkmalen statistischhäufig sind. In der Gesamtheit ist deren Profil jedochnicht realitätsnah: Aus mehreren statistisch gehäuf-ten Merkmalen wird noch kein in sich konsistenterMusterkunde und aus sehr simplen Musterprofilenlassen sich nur simple Aussagen gewinnen. Ent-sprechend sind die Musterlösungen bei solchenTests zwar einfach zu verstehen, aber umso schwe-rer auf die Wirklichkeit anwendbar – denn die Leser/Zuschauer sind von dem idealisierten Musterkun-den ebenso weit entfernt wie von einem Spezialfall.In solchen Fällen liefern Medien also lediglich einen„Schein-Nutzwert“.

Im Einzelnen ist festzuhalten: • Ausgangspunkt ist ein informierender, aufklären-

der „Know-how“-Ansatz;

• im Vordergrund stehen stets Anwendungstippsfür Rezipienten, fast nie wird ein Verbesserungs-appell an die Anbieter von Finanzdienstleistungengerichtet;

• der strikte Aktualitätsbezug führt dazu, dass wech-selnde „Modethemen“ behandelt werden und dieBerichterstattung keiner übergreifenden Systema-tik folgt;

• die Zielgruppe ist fast immer die erwachsene Bevölkerung;

• das zu Grunde liegende Rezipientenbild ist dermündige Bürger;

• Musterkunden bei Tests sind meist nicht realitäts-nah und komplex genug ausgearbeitet;

• einen Sonderfall stellt das Internet dar: hier ist per-manent Grundlagen-Wissen verfügbar.

Fazit: In der Gesamtschau ist zu konstatieren, dassdie potenziellen Träger finanzieller Allgemeinbildungin Deutschland bislang viel unzusammenhängendeInformation bieten, jedoch wenig finanzielle Hand-lungskompetenz vermitteln. Entweder sind die In-formationen aus Vertriebssicht optimiert oder siesind fragmentarisch bzw. auf Einzelaspekte gerich-tet oder aber sie brechen an der für den privatenHaushalt entscheidenden Stelle ab – bei der Anwen-dung und Wirkung. Doch nicht nur in thematischerHinsicht decken die verschiedenen Bildungsträgermeist nur isolierte Einzelbereiche ab. Wie die nach-folgende Grafik deutlich macht, konzentrieren siesich auch bezüglich des Lebens- bzw. Anwendungs-zyklus eines Finanzprodukts nur auf Teilstrecken. Esfehlt ein verbindendes „Dach“, also die integrierteGesamtbetrachtung der privaten Finanzen in ihrenQuerbezügen und (Wechsel-)Wirkungen. Nahezuvöllig ausgeblendet bleibt darüber hinaus der Zeit-raum, bis ein konkretes Produkt in den Blickpunktdes Interesses rückt. Gerade in dieser Orientie-rungsphase benötigen die Menschen eine solide finanzielle Allgemeinbildung, um zu den für sie rich-tigen Entscheidungen zu gelangen.

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Schule/Bildungssektor

Verbraucherzentralen

Schuldner-/Sozialberatung

Medien

FDL-Anbieter

Verbraucherzentralen

Medien

Anbahnung Abschluss Anpassung Auflösung

Abb.7: Fokus der Bildungsträger im Anwendungszyklus von Finanzproduk-ten: Von der Vorkaufsberatung (Anbahnung) bis zum Auslaufen/der Auflösungdes Produkts.

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Bildungsdefizite in finanziellen Angelegenheiten wir-ken sich nicht nur auf das materielle Wohlergehender jeweiligen Privathaushalte negativ aus, sondernhaben auch volkswirtschaftlich und gesellschaftlichschädliche Folgen.

Bildungsdefizite in alltäglichen Finanzfragen führen inaller Regel zur suboptimalen Ausgestaltung der priva-ten Finanzen. Im günstigsten Fall bedeutet dies Ren-diteschmälerungen in der Gesamtbilanz, im Extrem-fall aber auch Vermögensverluste oder sozialenAbstieg.

Hierzu einige Beispiele: • Kleine, aber auf lange Sicht beträchtliche Summen

gehen schleichend schon dadurch verloren, dassnur ein kleiner Teil der Bevölkerung ein zumindestrudimentäres „Cash-Management“ betreibt. In derRegel liegen zu hohe Summen auf unverzinstenGirokonten.

• Einen Renditenachteil erleiden regelmäßig Kunden,die Kombinationsprodukte erwerben. Damit sindnicht nur Fondspolicen (=Kombination aus Lebens/-Rentenversicherung und Fondssparplan) gemeint,über deren Für und Wider sich streiten lässt, son-dern auch alle Versicherungsformen mit Anlage derÜberschussbeteiligung bzw. mit einer integrierten„Mini-Sparfunktion“ (verbreitetes Modell z. B. beider Berufsunfähigkeitsversicherung). Für die Geld-anlage machen solche Produkte wenig Sinn, weildie später ausgeschütteten Beträge eher klein unddie Renditen bei genauerer Analyse unattraktivsind. Es ist zu vermuten, dass finanziell gebildeteKunden solche Produkte eher meiden oder zumin-dest sehr gezielt einsetzen würden.

• Versicherungsexperten weisen immer wieder da-rauf hin, dass die Deutschen zwar tendenziell vieleVersicherungsverträge abschließen, dabei jedochhäufig ausgerechnet die beiden unumstritten wich-tigsten Versicherungen auslassen: private Haft-

pflicht und Berufsunfähigkeitsschutz. Hier drohenunnötigerweise hohe finanzielle Schäden und per-sönliche Katastrophen.

• Die Börsenhausse der 90er Jahre hat gezeigt, dassbei bestimmten Marktkonstellationen Anlage-Neu-linge dazu tendieren, den zweiten Schritt vor demersten zu machen: Sie greifen bei ihren ersten In-vestments gleich zu hoch riskanten und komplex zuhandhabenden Wertpapieren.

• Nicht wenige Verbraucherinsolvenzen und Sozialhil-feersuchen wären zu vermeiden, wenn die häufigs-ten Auslöser von Überschuldung zuvor angemessenin der privaten Absicherungs- und Vermögensstrate-gie berücksichtigt würden. Die Verbraucherver-bände weisen seit langem auf die Gefahr hin: Unbe-dacht abgeschlossene Langfrist-Verträge (v.a. hoheKapital bildende Lebensversicherungen, Rentenver-sicherungen, Baufinanzierungen) können im Fallevon Arbeitslosigkeit, Krankheit oder Scheidung ex-trem krisenverschärfende Wirkung haben. DennKündigungen zur Unzeit bringen stets hohe finanzi-elle Verluste mit sich und gefährden die Altersver-sorgung. Steht ein ausreichendes Vermögenspols-ter zur Verfügung, muss es natürlich nicht zuZahlungsproblemen kommen. Die Verluste im Ge-samtvermögen bleiben jedoch dieselben.

3.3 Die Folgen unzureichender finanzieller Allgemeinbildung

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Quantitative Untersuchungen darüber, wie sich sol-che – und weitere – Bildungsdefizite auf Wohlstandund Versorgungsniveau der Bevölkerung sowie aufden Zustand der öffentlichen Kassen ausgewirkt ha-ben bzw. auswirken, stehen noch aus. Doch kanndurchaus vermutet werden, dass diese Auswirkun-gen beträchtlich sind.

Die unzureichenden Kenntnisse der Kunden in Finanz-angelegenheiten haben aber unzweifelhaft auch ne-gative Folgen für Banken und Versicherungen: Fehl-einschätzungen behindern die weitere ökonomischeEntwicklungsmöglichkeit der Kunden und damit auchderen Geschäftspotenzial („life-time value“). Zudemliegt auf der Hand, dass bei krassen Fehlentscheidun-gen auch die Kundenbeziehung insgesamt gefährdetist. Die Verbesserung der finanziellen Allgemeinbil-dung liegt also durchaus im Interesse auch der An-bieter von Finanzdienstleistungen.

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4. Vorschlag für einen Kanon der finanziellen Allgemeinbildung

Anstrengungen zur Verbesserung der finanziellenAllgemeinbildung bedürfen einer inhaltlichen Basis,d.h. einer Bestimmung der relevanten Bildungsin-halte. Diese umfassen sowohl Wissen als auch Fer-tigkeiten sowie Sozial- und Lernkompetenzen. Da finanzielle Allgemeinbildung handlungs- und bedarfs-orientiert sein sollte, dürfen diese Inhalte nicht lexi-kalisch angelegt sein, sondern müssen Entschei-dungswege aufzeigen und Komplexität reduzieren.Über die Bestimmung der Inhalte hinaus stellen sichaber auch Fragen nach den Methoden der Wissens-vermittlung und der zeitlichen, räumlichen und insti-tutionellen Verortung entsprechender Bildungsmaß-nahmen.

Eine wesentliche Voraussetzung zur Verbesserungder finanziellen Allgemeinbildung ist zweifellos die Festlegung, was man heute eigentlich wissenmuss, um seine persönlichen Finanzen im Griff zu haben. Doch das allein genügt nicht. Darüber hi-naus muss auch thematisiert werden, wie diesesWissen erworben und vermittelt werden kann. Und schließlich: wo, wann und durch wen diesesWissen vermittelt werden kann bzw. soll. Es stellensich mit anderen Worten die Fragen nach den Inhalten, den Methoden und der Verortung

finanzieller Allgemeinbildung:

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Was?(Inhalte)

Wie?(Methoden)

Wer, wo, wann?(Verortung)

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Auf der Basis eines bedarfsorientierten Systemati-sierungsansatzes können die wichtigsten Themen-felder finanzieller Allgemeinbildung bestimmt wer-den. Dies erfolgt in Form der Benennung vonLeitfragen, denen konkrete Inhalte zugeordnet wer-den. Gedankliche Ausgangsbasis ist dabei die Be-trachtung des Haushalts als Unternehmen.

Nach dem Verständnis des vorliegenden Memoran-dums sollte finanzielle Allgemeinbildung Wissen,Fertigkeiten sowie Sozial- und Lernkompetenz um-fassen. Sie sollte die Basis für die Handlungsfähig-keit des Individuums im Umgang mit Finanzdienst-leistungen sein. Aus diesem Grund dürfen ihreInhalte nicht lexikalisch angelegt sein, sondern müssen vielmehr Entscheidungswege aufzeigenund Komplexität tendenziell eher reduzieren als erhöhen.

Der in Kapitel 2 skizzierte Systematisierungsansatzbietet eine hervorragende Grundlage, um im Folgen-den die wichtigsten Themenfelder finanzieller Allge-meinbildung zu bestimmen und ihnen konkrete Inhalte zuzuordnen. Gedankliche Ausgangsbasis ist dabei die Betrachtung des Haushalts als Unter-nehmen.

4.1 Inhalte: Die wichtigsten Themenfelder

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InhalteLeitfragen

1. Verstehe ich mein „Unternehmen Haushalt“?

2. Welche ökonomischenGrundmechanismen mussich verstehen, weil sie unmittelbar Einfluss aufmeine Finanzen haben?

3. Welche gesamtwirt-schaftlichen Rahmenbedin-gungen muss ich verste-hen, weil sie unmittelbarenEinfluss auf meine Finanzen haben?

4. Wozu können mir Finanzdienstleistungen dienen?

5. Wie wichtig ist mir meinfinanzielles Wohlergehenheute und später?

6. Wer sind meine Partnerund welche Interessen haben sie?

7. Wie komme ich an die entscheidenden Informationen?

8. Welche Änderungen meiner Lebenssituation haben Auswirkungen aufmeine Finanzen?

• Jede Finanzentscheidung wirkt auf das gesamte Vermögen (Leitbilder Bilanz undEinnahmen/Ausgabenrechnung).

• Man sollte nicht versuchen, einzelne Bausteine zu optimieren, sondern stattdessendie Gesamtkonstruktion der privaten Finanzen betrachten (Leitbild der „optimiertenLebensrendite“).

• Neben dem Status des Gesamthaushaltes sollte man auch die individuellen Bilan-zen der Haushaltsmitglieder beachten wie beispielsweise den Altersvorsorgestatusdes Ehe-/Lebenspartners.

• Verhältnis von Zeit und Wert: Geld arbeitet immer – entweder auf dem eigenenKonto oder bei jemand anderem. Die Wertveränderung gilt selbst für Bargeld, nurim umgekehrten Sinne, da dessen Kaufkraft durch die Inflation schwindet.

• Alle Finanzdienstleistungen kosten Geld. Die Kosten gehören zu dem entscheiden-den Erfolgsfaktor einer Strategie. Oft ist es besser, ein als nicht mehr optimal erkann-tes Produkt beizubehalten, als es in ein neues zu ändern. Ein Neuabschluss bringtneue Kosten mit sich, die den Vorteil schmälern oder auffressen können.

• Für die Bewertung von Finanzprodukten und -strategien ist es wichtig zu wissen, zuwelchem Zeitpunkt welche Kosten berechnet und welche Erträge ausgeschüttetwerden („cash-flow“-Sichtweise, Effektivzinsrechnung).

• Langfristverträge haben meist hohe finanzielle Volumina, ohne dass dies sichtbarwird (Beispiel: 10 Jahre lang 100 EUR monatlich für eine Versicherung ergeben eineSumme von 12.000 EUR)

• Es gibt keine echte Eile bei Finanzentscheidungen. Vorteile aus schnellen Ent-schlüssen (z. B. vor einem bestimmten Stichtag) erkauft man oft damit, dass manNachteile übersieht.

• Die demographische Entwicklung verändert die Grundlagen der sozialen Siche-rungssysteme. Dadurch wird mehr Eigenvorsorge notwendig.

• „Abgerechnet wird zum Schluss“: Auch heute attraktive Finanzprodukte verlierenihren Glanz, wenn nicht alle der Modellrechnungen zu Grunde liegenden Annahmeneintreffen. Daher sind beispielsweise kapitalmarktabhängige Renditeprognosen nurein Entscheidungsmerkmal unter mehreren.

• Finanzdienstleistungen vermitteln zwischen Einnahmen und Ausgaben: entwederdurch alltägliche Basisfunktionen (Zahlungsverkehr), das Beherrschbarmachen vonRisiken (Versicherungen) oder durch die Verschiebung von Einkommen im Lebens-verlauf (Aufschieben = Sparen, Vorziehen = Kredit).

• Sieht man von Sonderfällen wie Erbschaften oder Lottogewinnen ab, kommt der gesamte Konsum im Lebensverlauf aus dem heutigen und künftigen Einkommen.Man steht immer vor der Entscheidung, ob man heute besser leben will oder später.

• Mein Gegenüber hat andere Interessen als ich – und das ist legitim. Man muss sichdessen allerdings bewusst sein und die wichtigsten Akteure und Marktstrukturenkennen.

• Finanzdienstleistungen sind geschäftliche Rechtskonstrukte, keine mildtätigenWohltaten. Deshalb gelten auch juristische Spielregeln. Banken unterscheiden sichhierin nicht von Unternehmen.

• Man muss nicht alles über Finanzen wissen, aber man muss wissen, wo es Infor-mationen und kompetenten Rat gibt. Es empfiehlt sich dazu, die wichtigsten Spe-zialmedien und Beratungsangebote zum Thema Geld zu kennen und sich auchFachleute zu suchen, denen man vertraut. Grundsätzlich sollte man vor jeder größe-ren Entscheidung eine zweite Meinung einholen.

• Finanzentscheidungen müssen regelmäßig geprüft werden, vor allem bei Änderun-gen der Lebenssituation (Kinder, Heirat, Rente) oder bei Veränderungen wichtigerRahmenbedingungen (Rentenreform, starke Veränderungen an den Finanzmärkten).

Kanon der finanziellen Allgemeinbildung

Geld verstehen

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InhalteLeitfragen

1. Gebe ich nur so viel aus,wie ich einnehme?

2. Mit welchen Kosten undwelchem Aufwand organi-siere ich meine alltäglichenGeldgeschäfte?

3. Welche Konten und welche Bankverbindungbrauche ich?

4. Welche Zahlungsmittelbrauche ich außer Bargeld?

• Unternehmen Haushalt: Die monatlichen Einnahmen und Ausgaben müssen in ei-nem angemessenen Verhältnis zueinander stehen. Überschüsse können entwederfür Konsum oder für Vermögensbildung genutzt werden.

• Viele finanzielle Entscheidungen sind Typfragen. Oft lautet die Frage: Geldsparen/Rendite erhöhen und dafür mehr eigene Aktivität und Know-how einbringenoder auf Geldvorteile verzichten und dafür mehr Bequemlichkeit erhalten? Wer dieszu Beginn für sich klar stellt, trifft bessere Entscheidungen.

• Zu jedem unverzinsten Girokonto gehört ein Tagesgeldkonto oder zumindest einSparbuch! Dorthin sollte im Prinzip alles Geld überwiesen werden, das nicht in dennächsten Tagen gebraucht wird.

• Nicht alle Banken bieten alle Kontotypen und Zugangsmöglichkeiten (Filiale, Tele-fon, Internet). Daher muss man erst wissen, was man braucht, bevor man die ge-eignete Bank findet.

• Von Sparbuch oder Tagesgeldkonto sind keine direkten Überweisungen möglich.Das Geld muss erst wieder auf das normale Girokonto übertragen werden.

• Der Kontoauszug gibt Zwischenstände beim Zahlungsverkehr an und hilft, denÜberblick zu behalten. Also mindestens 1-2 mal monatlich prüfen. Bei unberechtig-ten oder unklaren Transaktionen sofort mit der Bank sprechen, einiges kann manrückgängig machen!

• Bei jährlich wiederkehrenden Zahlungen kann man vermeiden, dass sie den aktuel-len Kontostand zu stark beeinträchtigen, indem man die Summe aufteilt und überdas Jahr verteilt auf einem Tagesgeldkonto ansammelt, bevor man sie überweist.

• Faustregel: In Deutschland und Europa reicht meist die ec-Karte für das bequemebargeldlose Einkaufen. Kreditkarten (maximal zwei sind überhaupt notwendig) eig-nen sich vor allem für den geschäftlichen Einsatz oder wenn man viel internationalreist.

Geld-Management

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Umgang mit Risiken

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InhalteLeitfragen

1. Was kann in meinem Leben passieren, das michin finanzielle Schwierig-keiten bringt?

2. Wie gehe ich mit Risikenüblicherweise um?

3. Wie funktioniert eine Versicherung?

4. Passen meine Versiche-rungen zu meinem Verhal-ten?

5. Welche Versicherungenbrauche ich, welche nicht?

• Die größten finanziellen Risiken sind Arbeitslosigkeit, Krankheit/Arbeitsunfähigkeitund Scheidung. Daneben hat man möglicherweise individuelle Risiken, die große finanzielle Folgen haben können (Selbstständigkeit, riskante Hobbys o. ä.). Auf dieseGroß-Risiken sollte man seine Anstrengungen konzentrieren.

• Auch ein zu „illiquide“ angelegtes Vermögen (kein oder zu wenig Geld kurzfristigverfügbar) stellt ein finanzielles Risiko dar.

• Versicherungen sind oft eine Typfrage. Auch international scheinen sich unter-schiedliche Versicherungsmentalitäten herausgebildet zu haben: In Deutschlandund manchen anderen Ländern werden relativ viele Versicherungen abgeschlossen,in anderen tragen die Menschen mehr Risiken selbst. Viel hängt auf jeden Fall da-von ab, ob man selbst einen eher risikobehafteten Lebensstil führt (z.B. riskantereSportarten) oder sich nur mit umfassendem Versicherungsschutz wohl fühlt.

• Versicherungen kann man sich vorstellen wie eine Wette: Man wettet mit der Ver-sicherung, ob ein bestimmtes Ereignis mit bestimmten finanziellen Auswirkungeneintritt und zahlt dafür einen Beitrag („Versicherungsprämie“). Tritt das Ereignis ein,muss die Versicherung die finanziellen Folgen bezahlen, tritt es nicht ein, behält siedie Prämie. Die Versicherung kalkuliert die Beiträge stets so, dass aus ihrer Summealle statistisch zu erwartenden Versicherungsfälle bezahlt werden können.

• Es gibt zwei Arten finanzieller Risiken: existenzbedrohende und ärgerliche. Die Ersteren sollte man unbedingt für sich herausfinden und versichern. Für Letzterekann man fallweise auch zwei andere Strategien wählen: das Risiko eingehen oderdas Risiko vermeiden.

• Eine Reihe von Risiken muss man nicht unbedingt versichern. Den Verlust des Rei-segepäcks kann man möglicherweise verkraften. Häufig sind auch die Versiche-rungsbedingungen rigider als angenommen. Einigen Reiserücktrittsversicherungenreicht selbst ein Gipsbein nicht aus, um einen Leistungsanspruch zu begründen.

• Für jede Lebenskonstellation ergibt sich eine Prioritätenreihenfolge aus unverzicht-baren, weniger wichtigen und überflüssigen Versicherungen. Man kann sie vonoben nach unten abarbeiten, je nach Einkommen, Risikoneigung und Vorlieben.

• Existenzsicherung geht vor Altersvorsorge: Das heutige Einkommen ist die wesent-liche Quelle für heutigen oder künftigen Konsum. Daher muss ihm die erste Sorgegelten. Ist beispielsweise das Risiko der Berufsunfähigkeit nicht abgesichert, wirdjeder Altersvorsorgevertrag zu einer riskanten Strategie. Gerade finanziell oder orga-nisatorisch „wacklige“ Haushalte tun gut daran, vor der Überlegung zur Altervor-sorge zunächst deren Basis zu sichern: nämlich die langfristige Stabilisierung vonEinkommen und Zahlungsfähigkeit.

• Risikoabsicherung und Vermögensbildung sind zwei unterschiedliche Dinge, die getrennt durchdacht werden sollten – auch wenn sie teilweise in Versicherungs-produkten kombiniert angeboten werden.

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Vermögensaufbau und Altersvorsorge

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InhalteLeitfragen

1. Wie ermittle ich, wo ichstehe (Status quo)?

2. Wie viel kann und soll ichsparen?

3. An welchem Grundmo-dell zum Vermögensaufbaukann ich mich orientieren?

4. Wie intensiv will undkann ich mich um meinenVermögensaufbau küm-mern?

• Eigene Anstrengungen zur Altersvorsorge sind unverzichtbar geworden und müs-sen im Mittelpunkt der Auseinandersetzung mit den privaten Finanzen stehen.

• Jeder Haushalt hat genau wie ein Unternehmen eine Bilanz: Man kann alle positi-ven Vermögenswerte den finanziellen Verbindlichkeiten gegenüberstellen und daraus ablesen, ob sich der Haushalt „im Gleichgewicht“ befindet. Nur aus dieserAnalyse lässt sich eine tragfähige Vermögensstrategie entwickeln.

• Viele Finanzentscheidungen hängen davon ab, welche Ziele man verfolgen möchte.Ist man sich darüber im Unklaren, darf man keine Entscheidungen treffen, die Klar-heit voraussetzen (z.B. Investition in langfristige, wenig flexible Anlageprodukte).

• Jeden Euro kann man zu jedem Zeitpunkt nur einmal verwenden, und zwar entwe-der für Konsum oder für eine Investition in Vermögensaufbau und Altervorsorge.

• Im Prinzip gilt wegen des Zinseszinseffektes: Je früher man mit der Altersvorsorgeanfängt, desto weniger muss man sich dafür einschränken. Langfristig bindendeVerträge sollte man allerdings nur abschließen, wenn man sich auch langfristig bin-den kann. Ist das nicht sicher zu stellen, muss man flexible Strategien verfolgen. Inder Praxis heißt das, dass flexible Produkte eigentlich die Regel und starre die Aus-nahme sein sollten.

• Leitbild: Der Vermögensaufbau sollte im Prinzip von der Kurzfristigkeit in die Lang-fristigkeit erfolgen und „terrassenförmig“ gestaltet sein: Wie Wasser über ein Reis-feld sollte das Geld vom Girokonto ab einem Höchstbetrag auf ein Tagesgeldkontofließen, dann in kurz- und mittelfristige Anlagen und zum Schluss erst in die Lang-fristanlagen (Altersvorsorge). Das minimiert das Risiko, dass man die Langfristan-lagen (Altersvorsorge!) zur Unzeit antasten muss.

• Liquiditätssicherung geht vor Renditeoptimierung: Wer viel Geld hat, kann die Ren-dite in den Mittelpunkt seiner Bemühungen stellen. Wer wenig hat, sollte alle Ent-scheidungen zunächst daran ausrichten, dass auch mittel- und langfristig keine Zah-lungsengpässe auftreten.

• Grundregel: Je jünger ich bin, je niedriger mein Einkommen und/oder je größer diemöglichen Veränderungen im Lebensverlauf, desto flexibler muss die Vermögens-struktur sein. Als Ausrede, nie etwas für die Altersvorsorge zu tun, weil immernoch etwas Wichtigeres ansteht, gilt dies allerdings nicht.

• Leitbild „Schuster, bleib bei deinen Leisten“: Wie auch die anderen Geldthemen istder Vermögensaufbau stark typabhängig. Wer bereit und in der Lage ist, sich inten-siv mit Geldanlage und Altersvorsorge zu beschäftigen, hat andere Möglichkeitenals jemand, der diese Eigenschaften nicht mitbringt.

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Vermögensaufbau und Altersvorsorge

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InhalteLeitfragen

5. Wie kann man Geld anlegen?

6. Wie kann ich ein Geld-anlage-Angebot für michbewerten?

7. Welche Möglichkeitenhabe ich bei Anpassungs-bedarf und Krisen?

• Geld kann man auf zwei Arten anlegen: Als Kredit oder als Beteiligung. Beim Krediterhält man vom Schuldner die vertragliche Zusage, dass man sein Geld am Endeder Laufzeit mit Zinsen zurück erhält. Das Risiko besteht hauptsächlich darin, ob derSchuldner bis zum Ende zahlungsfähig bleibt. Letztlich ist sogar das Sparbuch einemKredit ähnlich: Man „leiht“ der Bank Geld und erhält dafür Zinsen. Ganz andersfunktionieren die Beteiligungen wie Aktien, Fonds und GmbH-Beteiligungen: Hiererhält man weder automatisch sein Geld zurück, noch wird eine Verzinsung ver-sprochen. Geht das Unternehmen Pleite, ist das Geld verloren. Dafür erhält man ei-nen Anteil vom Gewinn und profitiert von Steigerungen des Unternehmenswertes.

• Geldanlagen bewertet man gewöhnlich an Hand des „Dreiecks“ der Faktoren Ren-dite, Risiko und Liquidität. Sie passen umso besser zum individuellen Anleger, jeähnlicher dessen Profil in diesen Aspekten dem Anlageprodukt ähnelt. Daher sollteman sich selbst zunächst hinsichtlich Liquiditätserfordernissen, Risiko-Belastbarkeitund Renditevorgabe einstufen und dies mit dem Profil des Produkts vergleichen.

• Modellrechnungen bleiben Modellrechnungen. Man sollte daher immer mehrereSzenarien für unterschiedliche Lebensentwicklungen berücksichtigen („Stress-Test“).

• Steuerüberlegungen sind ein wichtiger Faktor, sollten aber nicht der Ausgangs-punkt der Vermögensanlage sein. Es werden viele Fehler bei dem Versuch ge-macht, Geld „vor dem Fiskus zu retten“.

• Wohneigentum ist einer der wichtigsten Pfeiler der Altersvorsorge. Allerdings giltes auch hier, die Entscheidung sorgfältig vorzubereiten und Alternativen zu prüfen.Immobilien, insbesondere selbst genutztes Wohneigentum, sind eine sehr langfris-tig bindende Anlageform, die auch viele Verpflichtungen und Folgekosten mit sichbringt. Auch deutet die demographische Entwicklung darauf hin, dass Wohneigen-tum nicht mehr als praktisch risikofreie Altersvorsorge betrachtet werden kann.

• Ein zunehmendes Problem ist die „Vermögensvolatilität“: Zwischenzeitliche Einkom-mens- und Vermögensrückgänge (durch Arbeitslosigkeit, Babypause, Anlagefehler)werden durch moderne Lebensverläufe in allen Bevölkerungsgruppen häufiger.

• Eine Berücksichtigung des Terrassenmodells (vgl. Frage 3) kann vor hohen Verlustenschützen.

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Geld leihen

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InhalteLeitfragen

1. Wann ist eine Kreditauf-nahme sinnvoll?

2. Wie viel Kredit kann ichmir leisten?

3. Welche Kreditform fürwelchen Zweck?

4. Wie bewerte ich für michein Kreditangebot?

5. Wie erkenne ich aufkom-mende Probleme und wel-che Anpassungsmöglichkei-ten habe ich?

• Durch einen Kredit wird künftiges Einkommen für heutige Zwecke nutzbar. DiesesEinkommen steht dann jedoch in Zukunft nicht mehr zur Verfügung.

• Es gibt im Wesentlichen nur drei Gründe für einen Kredit: Entweder dient er imweitesten Sinne einer Investition in die Zukunft (z.B. Ausbildung, neues beruflichgenutztes Auto oder eine neue, sparsame Waschmaschine), der Überbrückung eines absehbar vorübergehenden Zahlungsengpasses (z.B. zwischen zwei Arbeits-verhältnissen) oder dem Konsum (z.B. Urlaub auf Kredit). In den ersten beiden Fäl-len kann man die Entscheidung gut vertreten, weil der Kredit „produktiv“ ist. Wennjedoch Konsum auf Kredit finanziert werden soll, muss die Entscheidung genauüberdacht werden, selbst wenn die Zahlungsfähigkeit noch nicht gefährdet scheint.

• Kreditwürdigkeit ist das eigentliche Kapital moderner Volkswirtschaften. Wenn manwenig Geld besitzt, ist das nicht weiter problematisch, so lange man sich noch Geld lei-hen kann. Erst wenn diese Möglichkeit versiegt, ist die ökonomische Weiterentwick-lung verbaut. Daher sollte man seine Kreditwürdigkeit (Bonität) sehr pfleglich behan-deln. Schon eine erst nach mehreren Mahnungen bezahlte Handyrechnung kann dasEnde der „weißen Weste“ bedeuten, denn der Handybetreiber meldet solche Vorfällean die SCHUFA, von wo aus sie jedem künftigen Kreditgeber bekannt werden.

• Neben der Kreditwürdigkeit spielt eine Rolle, wie diszipliniert man in finanziellenAngelegenheiten normalerweise handelt, ob man der Bank Sicherheiten anbietenkann und wie viel Geld man überhaupt zur Bedienung einer Kreditverpflichtung zurVerfügung hat.

• Es ist nicht sinnvoll, den größten Teil des monatlich noch frei verfügbaren Einkom-mens für eine Kreditrate zu verplanen. Bei der Ermittlung des „freien“ Einkom-mens sind alle bereits eingegangenen Zahlungsverpflichtungen zu berücksichtigen(Ratenkredite, Leasingraten etc.).

• Zinsen sind eine Art Miete für Geld. Wie bei einer Wohnung muss man Miete be-zahlen, allerdings kann man Geld „zimmerweise“ an den „Vermieter“ (Gläubiger)zurückgeben. Die Geldmiete (Zinsen) muss man nur für den Teil zahlen, den mannoch nicht zurückgegeben (getilgt) hat.

• Jede Kreditform eignet sich für bestimmte Zwecke. Eine falsche Nutzung ist meistteuer und riskant. Beispielsweise sollte ein dauerhaft genutzter Dispositionskredit ent-weder ausgeglichen oder aber in einen günstigeren Ratenkredit umgeschichtet werden.

• Eine niedrige Monatsrate sagt noch nichts darüber aus, ob ein Kredit billig ist. Tilgungssatz, Zins, Nebenkosten und Laufzeit bestimmen die Monatsrate.

• Das Hauptinstrument zur Bewertung eines Kreditangebots ist der Effektivzins, weiler unterschiedliche Konstellationen vergleichbar macht. Zu berücksichtigen sinddarüber hinaus Nebenkosten, beispielsweise für Restschuldversicherungen.

• Wer laufende Kredite hat, muss sehr genau auf Veränderungen im eigenen Lebens-verlauf achten. Einkommensrückgänge, z.B. durch eine neue Stelle oder eine Baby-pause, können schnell zu unangenehmer Geldverknappung führen, weil Kreditratenin jedem Fall bezahlt werden müssen. Wird die finanzielle Situation eng, sollte manfrühzeitig mit dem Kreditgeber sprechen und nach Lösungen suchen.

• Jede Tilgungsaussetzung bedeutet, dass man mehr Zinsen zahlen muss. Je schnellerein Kredit getilgt wird, desto billiger wird er also.

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Finanzielle Allgemeinbildung lässt sich am bestenvermitteln, wenn sie mit der unmittelbaren Lebens-situation des Lernenden zu tun hat. Bildungsange-bote sollten also auf konkrete Zielgruppen und Fra-gestellungen zugeschnitten sein. Hierzu bietet sicheine Palette verschiedener Methoden des hand-lungsorientierten Lernens an, die eine Differenzie-rung der Bildungsangebote nach Lernsituation undZielgruppe erlauben. Träger dieser Bildungsange-bote können aber nicht nur die Schulen sein, son-dern auch Institutionen der Erwachsenenbildung so-wie Anbieter von Finanzdienstleistungen, Beratungs-stellen und Medien.

Unsere methodische Ausgangsthese lautet:

Finanzielle Allgemeinbildung sollte auf reale

Handlungssituationen bezogen sowie problem-

und entscheidungsorientiert angelegt sein und

die Eigenaktivität der Lernenden begünstigen.

Die produktive Nutzung des Wissens stellt noch

vor dem Wissen selbst die entscheidende Kom-

petenz dar.

Als Ausgangspunkt des Lernprozesses bietet sicheine problemhaltige Entscheidungssituation an. Siekann sowohl extern vorgegeben als auch durch denLernenden selbst benannt werden und sollte –wenn irgend möglich – dem Erfahrungsbereich derLernenden entstammen. Konkret bedeutet dies: Bildungsangebote sollten nicht die gesamte Fülletheoretisch vorstellbaren Stoffes abzudecken ver-suchen. Sie sollten vielmehr auf konkrete Ziel-

gruppen und Fragestellungen zugeschnitten

sein. Bei Erwachsenen – denen zumindest theore-tisch die gesamte Palette der Finanzdienstleistun-gen offen steht – sollten sie sich an tatsächlichenProblemfeldern orientieren, die bestimmte Ent-scheidungen mit sich bringen (Erwerb von Wohn-eigentum, Eintritt in den Ruhestand etc.). Vor allemim Hinblick auf den Schulunterricht müssen jedochauch geeignete Mittel und Wege gefunden werden,

wie solche Situationen überzeugend zu simulierensind. Denn Kinder und Jugendliche können oder dür-fen viele Finanzdienstleistungen noch gar nicht inAnspruch nehmen – und können folglich auch selte-ner auf eigene Erfahrungen zurückgreifen.Auch der Zusammenhang zwischen der Einkom-mens-/Vermögenshöhe und der Relevanz bestimm-ter Bildungsinhalte macht eine Zielgruppendifferen-zierung sinnvoll: Je niedriger das Einkommen bzw.Vermögen der Zielgruppe, desto mehr sollte dasThema langfristige Liquiditätssicherung im Zentrumstehen. Mit steigendem Einkommen tritt es zu Guns-ten der Renditeoptimierung zurück.

In der Diskussion um handlungsorientiertes Lernen(v.a. auch im Zusammenhang mit der Forderungnach ökonomischer Bildung in Schulen) werden unterschiedlichste Methoden beschrieben, die eineUmsetzung des Lernkonzepts ermöglichen sollen.Hierzu zählen etwa:• Zukunftswerkstatt• Fallstudie• Rollenspiel• Planspiel• Erkundung• Expertengespräch• Szenariomethode • Themenbezogene Projekte

Diese Methoden eignen sich – je nach Lernsituationund Zielgruppe in unterschiedlichem Maße – zur Um-setzung eines handlungs- und problemorientiertenLernkonzepts in der finanziellen Allgemeinbildung.

Als weiteres hilfreiches Instrument ist das Modellder „einfachen Heuristiken“ zu nennen. Solche„einfachen Heuristiken“ berücksichtigen die Erfah-rung, dass Menschen in Entscheidungssituationenin aller Regel nur sehr wenig kognitive Informationverarbeiten können, dies aber mit hoher Effizienz.Daraus lässt sich die Lehre ziehen, dass die Inhaltefinanzieller Allgemeinbildung nicht überfrachtet wer-

4.2 Methodische Fragen und Verortung des Prozesses

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den sollten (z. B. mit abstrakten Definitionen). Statt-dessen sollte immer die Förderung der Handlungs-kompetenz im Mittelpunkt stehen. In der reflexivenBildungssituation kann im Dialog – beispielsweisewährend eines Beratungsgesprächs – auch nachund nach Wissen vermittelt werden, damit nicht be-reits zu Beginn ein Zuviel an Information die Infor-mationsverarbeitung erschwert.

Erfolg versprechend wäre es in jedem Fall, Situatio-nen zu identifizieren, in denen Kunden ein konkretesProblem lösen müssen oder ohnehin bereits lernen.Angebote zur finanziellen Allgemeinbildung wärendann – soweit möglich – dort „anzudocken”, weil indiesen Situationen die Aufnahmebereitschaft be-

sonders hoch ist und das Gelernte auch unmittelbarangewandt werden kann. In Einzelbereichen (v.a.bei der Baufinanzierung) funktioniert dieser Ansatzin der Praxis schon länger.

Diese Überlegungen machen einmal mehr deutlich,dass – neben der Schule als Vermittler finanziellerGrundbildung – auch Institutionen der Erwachse-nenbildung sowie Anbieter von Finanzdienstleistun-gen, Beratungsstellen und Medien wirkungsvolleTräger finanzieller Allgemeinbildung sein können.Der abschließende Teil des Memorandums enthältdementsprechend Anregungen für konkrete Hand-lungsansätze bei den unterschiedlichen potenziellenTrägergruppen.

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5. Handlungsansätze zur Umsetzung

Die Verbesserung der finanziellen Allgemeinbildungkann nicht durch eine einzelne Institution wie dieSchule geleistet werden. Der Bildungssektor musszwar ein wichtiger Träger entsprechender Bildungs-maßnahmen werden, doch benötigt er wirkungs-volle Unterstützung durch eine Vielzahl weiterer Akteure. Hierzu gehören die Anbieter von Finanz-dienstleistungen ebenso wie Medien, Beratungs-institutionen und die öffentliche Hand. Für jeden dieser potenziellen Träger lassen sich spezifischeAnsatzpunkte identifizieren, wie und wo sie zur Verbesserung der finanziellen Allgemeinbildung beitragen können.

Die vorangegangenen Ausführungen sollten esdeutlich gemacht haben: In Deutschland besteht er-heblicher Handlungsbedarf im Hinblick auf die finan-zielle Allgemeinbildung. Doch von wem kann undmuss man entsprechende Anstrengungen erwarten?Eines dürfte sicher sein: Die Verbesserung des finanziellen Allgemeinbildungsniveaus kann nichtdurch eine einzelne Institution wie etwa die Schulegeleistet werden. Stattdessen sind hier eine Vielzahlvon Akteuren gefordert, einen – ihnen jeweils in Artund Umfang angemessenen – Beitrag zu leisten. ImFolgenden werden daher konkrete Handlungs-ansätze für eine Reihe solcher potenzieller Trägerfinanzieller Allgemeinbildung skizziert.

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Die Commerzbank/Infratest-Studie hat ergeben,dass die Anbieter von Finanzdienstleistungen ausSicht der Bevölkerung die Hauptquelle finanziellerInformationen darstellen. Daraus folgt: Zur Verbes-serung der derzeitigen Situation steht über dieFinanzdienstleister ein besonders schnell und effek-tiv wirkender Hebel zur Verfügung. Außerdemwürde der deutsche Kreditsektor mit einer Intensi-vierung der Bemühungen um finanzielle Allgemein-bildung nachvollziehen, was international teilweisebereits Standard ist.viii

Als erster Schritt wäre eine Bestandsaufnahme be-stehender Materialien und Prozesse sinnvoll. Denndort lässt sich durchaus einiges finden, was – ge-wollt oder nicht – bereits in Richtung des hier skiz-zierten Kanons geht.

Danach gibt es verschiedene Bereiche, in denen angesetzt werden kann:

1. Informationsmaterialien

Die Anbieter (ggf. über die Verbände) sollten ihrenKunden Grundlagenmaterialien anbieten, in denendie wesentlichen Inhalte der finanziellen Allgemein-bildung aufbereitet sind. Sie können und sollten fürverschiedene Zielgruppen spezifiziert sein und auchin die Online-Angebote einfließen (Profiling, Check-listen zur Beratungsvorbereitung etc.).

Die vertriebsunterstützenden Informationsmateria-lien sollten in Aufbau und Inhalt eher dem Bedarfs-als dem Produktansatz folgen.

2. Beratung

Der Beratungsprozess ist ein ganz entscheidenderAnsatzpunkt, wobei eine Orientierung am „FinancialPlanning“ den (vermeintlichen bzw. meist über-schätzten) Widerspruch zwischen den Vertriebsin-teressen des Anbieters und den Interessen der Kun-

den aufweichen könnte. Dieser nicht rein produkt-oder absatzorientierte Ansatz versucht, in Abhängig-keit vom Lebenszyklus des Mandanten streng nut-zenorientiert und ganzheitlich vorzugehen. Wichtigist auch, in einem partnerschaftlichen Arbeitsver-hältnis zwischen Kunde und Anbieter Transparenzüber die Geschäftsgrundlagen herzustellen (Interes-sen, Provisionshöhen, Prozess etc.).

Einige Kreditinstitute setzen im Beratungsprozessbereits auf eine ganzheitlichere Betrachtung der finanziellen Situation ihrer Kunden und orientierensich an Lebensphasenmodellen. In vielen Fällenlässt sich das noch deutlich weiterentwickeln und inder Anwendung verbreitern (Stärkung der Kunden-kompetenz als „Geschäftpartner“, Orientierung anden Anliegen der Kunden und nicht an der gegebe-nen Produktpalette, langfristige Kundenbindung).

3. Sonstiges

Seminarangebote zur grundlegenden Informationder Kunden über komplexere Themen wie Baufinan-zierung, Altersvorsorge etc. werden an Bedeutunggewinnen. Die Erfahrung zeigt, dass hier auch bei den Kunden die Bereitschaft besteht, Zeit zu in-vestieren und einen Kostenbeitrag zu zahlen.Schließlich geht es regelmäßig um finanzielle Ent-scheidungen im sechsstelligen Euro-Bereich mitjahrzehntelangen Laufzeiten.

Im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit sind verschie-dene weitere Projekte zur Förderung der finanziellenAllgemeinbildung denkbar: Messen zu Geldthemen,Angebote für Schüler, Jugendliche, Frauen, Studen-ten, Rentner etc., die auf die besonderen Lebens-umstände und Bedürfnisse dieser Zielgruppen ein-gehen. Zum Teil lässt sich hier auf vorhandenenStrukturen oder Materialien aufbauen.

5.1 Banken und Versicherer

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Die Diskussion um ein Schulfach „Wirtschaft“ bzw.die verstärkte Integration ökonomischer Inhalte in dieCurricula der allgemein bildenden Schulen ist bereitseröffnet. Finanzielle Allgemeinbildung sollte im Rah-men dieser Diskussion in die Schulen hinein getragenwerden. Sie kann als jener handlungsorientierte undden Alltag betreffende Teil ökonomischer Bildung betrachtet werden, der weniger auf makroökonomi-sche Zusammenhänge als auf den Umgang mit den privaten Finanzen ausgerichtet ist. Diese Inhalte werden bisher in zu geringem Maße und nurunzusammenhängend berücksichtigt. Sie stellenauch methodisch andere Anforderungen an die Lehrer als die Vermittlung etwa von Begriffen wieWährung, Zentralbank und Bruttoinlandsprodukt.

Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Schulekeine Verhaltensweisen vermitteln kann. Sie kann nurden Erwerb von Kompetenzen fördern, indem derAufbau entsprechender Verhaltensdispositionen un-terstützt wird. Aufgrund der Diskrepanz zwischenWissen und Handeln kann vom Schulunterricht realis-tischerweise mehr nicht erwartet werden.

Folgende Schritte erscheinen als sinnvoll:

1.Entwicklung eines Curriculums zur

finanziellen Allgemeinbildung in Schulen

Das Curriculum sollte entweder als eigenständigerTeil eines Fachs „Wirtschaft“ oder als Querschnitts-ansatz für eine Integration des Themas in relevanteSchulfächer wie Sozial-/Gesellschaftskunde oderMathematik angelegt sein.

2.Entwicklung von geeigneten Unterrichts-

materialien

Hier ist eine Orientierung an den Schulmaterialiender Banken und Sparkassen möglich. Allerdingsmüssten diese zu eigenständigen Unterrichtsmate-rialien weiterentwickelt werden (s.o.).

3.Integration in die Lehreraus- und

-weiterbildung

Es ist davon auszugehen, dass auch Lehrerinnenund Lehrer über zu wenig finanzielles Wissen verfü-gen. Finanzielle Allgemeinbildung sollte deshalb ver-stärkt Thema der Lehreraus- und -weiterbildungwerden. Auch hier besteht wieder eine Analogie zurDiskussion um ökonomische Bildung insgesamt.

4.Systematische Evaluation der Bildungserfolge

Mit einem „Finanz-Pisa“ könnte ein Curriculum zurfinanziellen Allgemeinbildung kontinuierlich weiter-entwickelt werden.

Neben der Schule müssten sich allerdings auch die Hochschulen und weitere Bildungsinstitutionendes Themas annehmen. So sind zum Beispiel „Jedermann-Angebote“ der Volkshochschulen zuden privaten Finanzen bislang die Ausnahme. Mitsolchen Angeboten ließe sich aber eine sehr breiteZielgruppe ansprechen.

5.2 Schule und Bildungssektor

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Für die Medien gilt es, jene riesige Zielgruppe zu er-schließen, die Hilfestellung in alltäglichen Finanzfra-gen sucht, ohne großes inhaltliches Interesse anGeldthemen oder einen starken Optimierungstriebzu entwickeln. Die Service- und Finanzredaktionensollten die Inhalte des Kanons im Rahmen des heu-tigen Angebots transportieren oder sogar als eigen-ständiges Thema behandeln.

Wie kann das konkret aussehen?

1. Handlungsorientierung

Die Berichterstattung sollte so gestaltet sein, dasssie für die Rezipienten unmittelbar handlungsanlei-tend ist. Die Leser/Zuhörer/Zuschauer sollten ihrepersönlichen Finanzen vor dem Hintergrund derneuen Information prüfen können. Eine anwen-dungsorientierte Information zum Tagesgeld müs-ste beispielsweise so formuliert sein: „Wenn Sie regelmäßig in den Tagen vor dem neuen Gehalts-eingang auf Ihrem Girokonto ein Guthaben vonmehr als 500 Euro haben, sollten Sie ein Tagesgeld-konto eröffnen, auf dem Sie dieses Geld zinsbrin-gend anlegen können.“

2. Ganzheitliche Betrachtungsweise

Den Medien mangelt es vielfach an einer integrier-ten, ganzheitlichen Betrachtungsweise der privatenFinanzen. Dieses Manko ließe sich überwinden – z. B. durch Serien zu den privaten Finanzen insge-samt. Hilfreich wären auch stetige Hinweise darauf,dass man Produkte nicht isoliert beurteilen kann undsich ihre Wirkung immer auf das gesamte Vermö-gen erstreckt („Dem Euro ist es egal, ob er eineHausratversicherung oder eine Riester-Rate bezahlt,auf Ihre Bilanz wirkt das aber unterschiedlich“).

3. Konzentration auf Probleme und Bedürfnis-

lagen der Rezipienten

Eine solche Ausrichtung würde unweigerlich eineweniger starke Orientierung an aktuellen Markt- undProdukttrends mit sich bringen – und einen souverä-neren Umgang mit der Tatsache, dass immer wie-der gleiche Produkte in neuer Gestalt auf den Marktkommen („alter Wein in neuen Schläuchen“).

4. Entwicklung attraktiverer Lehrstück-Formate

„Schulfernsehen“ gilt als altbacken. Dennoch kön-nen lehrreiche Medieninhalte durchaus modern undunterhaltsam aufbereitet werden. Im TV-Bereich haben Formate wie „Galileo“ neue Zuschauer-schichten erschlossen und damit bewiesen, dassWissenschaftsthemen attraktiv sein können. Daskönnte auch für Finanzthemen gelingen.

5.3 Medien

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Verbraucherzentralen, Schuldnerberatungsstellen undähnliche Einrichtungen genießen in der Bevölkerunghohes Vertrauen. Daher sind sie als Bildungsinstan-zen gut geeignet. Bisher konzentrieren sie sich je-doch überwiegend auf die negativen Seiten von Fi-nanzdienstleistungen. Mögliche Ansätze zur Weiter-entwicklung könnten sein:

1. Ausbau der Vorkaufsberatung

Die Beratungsstellen (insbesondere die Verbrau-cherzentralen) haben sich in den vergangenen Jah-ren immer stärker der Vorkaufsberatung zugewandt– zusätzlich zum traditionellen Feld der Problemhilfebei bereits laufenden Verträgen. Das reaktive Know-how aus der Beratung bei Problemen lässt sich nochstärker für Bildungszwecke nutzen („aus Fehlern lernen“) – nicht nur für diejenigen, bei denen etwasfalsch gelaufen ist, sondern auch für die Vorkaufsbe-ratung.

2. Ganzheitliche Beratung

Auch wenn die Beratungsstellen Querbezüge zwi-schen den verschiedenen Themenbereichen leich-ter herstellen als manche Bank oder Versicherung,kann die Beratungssystematik noch deutlicher ganz-heitlich ausgerichtet werden. Auch bei Verbraucher-zentralen gibt es zum Beispiel dezidierte Baufinan-zierungsberatung, die sich in der Regel nicht alssystematische Vermögensstrukturierung sieht unddie übrigen Themenbereiche häufig nicht in die Be-trachtung des Bauvorhabens integriert.

3. Mehr Breitenwirkung

Das anwendungsorientierte Know-how der Bera-tungseinrichtungen und ihre unabhängige Stellungeignen sich hervorragend für breit angelegte Infor-mationsveranstaltungen. Hier könnten noch mehrAktionen in Kooperation mit Medien, Schulen o. ä.stattfinden.

4. Rückkopplung von Fehlentwicklungen an

die Anbieter

Die Beratungsstellen sehen sich traditionell als Anwälte der Verbraucher, was häufig zu Konfliktenmit den Anbietern von Finanzdienstleistungen führt.Die praktischen Erfahrungen der Verbraucher imHinblick auf Anwendungsprobleme und Wirkungenvon Finanzprodukten bzw. -strategien könnte jedochwesentlich stärker konstruktiv-kritisch in das Be-schwerdemanagement und die Produktentwicklungbei Banken und Versicherern einfließen.

5. Moderationsfunktion

Die oftmals suboptimale oder festgefahrene Kom-munikation zwischen den Anbietern von Finanz-dienstleistungen und ihren Kunden in Konfliktfällenkann durch unterstützende Begleitung von Bera-tungsstellen wieder in ein konstruktives Miteinan-der überführt werden. Auch dies hätte bildende Wir-kung auf die Beteiligten.

5.4 Beratungsstellen

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Starken Auftrieb könnte die finanzielle Allgemeinbil-dung auch dadurch erhalten, dass sie als öffentlicheAufgabe begriffen würde. Nicht nur der Bildungssek-tor, sondern auch Behörden und andere öffentliche In-stitutionen könnten Bildungsfunktionen übernehmen.

Dass dies realistisch ist, zeigt ein Blick ins Ausland.Einen interessanten Weg beschreitet die FinancialServices Authority (FSA), die zentrale Finanzmarkt-aufsicht in Großbritannien. Die deutsche Bundes- regierung bezog sich bei der Fusion der Auf-sichtsämter für Kreditwesen, Versicherungswesenund Wertpapierhandel zur Bundesanstalt für Finanz-dienstleistungsaufsicht (BaFin) im Jahre 2002 aus-drücklich auf das Vorbild FSA, hat dabei jedoch eineentscheidende Funktion nicht übernommen: Der FSAobliegt eine zentrale Rolle in der finanziellen und öko-nomischen Bildung der Bevölkerung („financial education“). Hier zeigt sich ein tief greifender Unter-schied in der Aufsichtsmentalität. In den sehr lesens-werten Materialien der FSA (auch auf der Websitewww.fsa.gov.uk) artikuliert sich ein nach deutschenMaßstäben ungewöhnliches Selbstverständnis:

“Consumer education is a key part of consumer pro-tection, and we aim to help consumers make in-formed choices and manage their finances better.Consumer education should also lead to more com-petition in financial services markets by increasingconsumer pressure. This should in turn encourageinnovation, better quality and better value for money.

Work to achieve this falls under two main headings:• education for financial capability – to give individu-

als the knowledge, understanding and skills necessary to become questioning and informed financial consumers; and

• consumer information and advice – to give impar-tial information and general advice to help consu-mers plan their finances and make informed choices. This work does not involve recommend-ing individual products and services.

Over the longer term, we are working to ensure thatfinancial literacy is part of the education system pre-paring school students for adult life. We provide in-formation, general advice and education for adultsand young people, focusing on the retail mass mar-kets for financial products such as banking services,insurance and pensions, and on the needs of in-experienced and vulnerable consumers of financialservices.”

In der britischen Lesart erstreckt sich „consumer edu-cation“, die hier als umfassender Ansatz gleichzuset-zen ist mit finanzieller Allgemeinbildung, auf drei Be-reiche. Dabei dürfte insbesondere der dritte durchseinen moralischen Impetus in Deutschland als unge-wohnt empfunden werden:

1. Financial knowledge and understanding („What’s money all about?“)

2. Financial skills and competencies (budgeting, planning etc.)

3. Financial responsibility (ethical aspects)

Der Ansatz der FSA sticht insofern hervor, als er keinebloße Anpassung der Bevölkerung an die bestehen-den Gegebenheiten anstrebt (im Sinne des Erlernenseines „finanziellen Alphabets“), sondern ausdrücklicheine Rückwirkung auf die Marktstrukturen durch diekompetent agierenden Nachfrager einfordert, damitProdukte und Beratung qualitativ weiterentwickeltwerden.

Finanzielle Allgemeinbildung könnte in diesem Sinneauch das Aufgabenspektrum der BAFin erweitern.Geprüft werden sollte auch, ob Teile der Aufgabennicht von der Bundesbank und ihren Niederlassungenübernommen werden können, die ihr Aufgabenspekt-rum derzeit ohnehin neu definieren.

Mit einem solchen Schritt erhielte das Thema inDeutschland ein völlig neues Gewicht und eine auch in-stitutionell verankerte Rückendeckung durch den Staat.

5.5 Finanzielle Bildung durch die öffentliche Hand

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Schlussbemerkung

Das vorliegende Memorandum lädt zur Diskussionein. Unser Ziel ist es, die offensichtlich unzurei-chende finanzielle Handlungskompetenz vieler Menschen zu verbessern. Dies wird nur durch diegemeinsame Anstrengung verschiedener Akteuregelingen.

Symptome und Ursachen der bestehenden Bil-dungsdefizite wurden in diesem Memorandumebenso dargestellt wie mögliche Handlungsansätzezur Verbesserung der finanziellen Allgemeinbildung.Um entsprechenden Maßnahmen eine konsistenteinhaltliche Ausgangsbasis zu geben, wird die Ent-wicklung eines „Kanons der finanziellen Allgemein-bildung“ vorgeschlagen. Struktur und Leitfragen eines solchen Kanons sind dabei in Kapitel 4 beschrieben und mit beispielhaften Inhalten verse-hen worden.

Die Debatte über finanzielle Allgmeinbildung stehtnoch am Anfang. Deshalb erhebt dies alles wederAnspruch auf Endgültigkeit noch auf Vollständigkeit,sondern soll die fundierte Grundlage für einen ge-meinsam mit anderen Akteuren zu entwickelndenProzess bilden.

Zwei Erkenntnisse sollte das Memorandum jedochbereits transportiert haben:

1. Finanzielle Allgemeinbildung ist als Thema inDeutschland noch weitgehend unerschlossen.

2. Finanzielle Allgemeinbildung ist notwendig undmachbar.

Wie so häufig besteht auch hier die größte Heraus-forderung darin, das notwendige Zusammenspiel aller in Frage kommenden Akteure zu organisieren.Die schlichte Zuweisung der Aufgabe an den Bildungssektor greift in jedem Fall zu kurz.

Wir hoffen, dieses Memorandum gibt der Diskus-sion sowohl entscheidende Impulse als auch einenkonkreten Kern, aus dem heraus sich die weitereAusgestaltung von Prozess und Inhalten konstruktiventwickeln lässt. Die Mitwirkung breiter Kreise derFachwelt wird erforderlich sein, um dem Thema dieBreitenwirkung zu verschaffen, die es verdient.

Frankfurt am Main, Oktober 2003

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Das Commerzbank Ideenlabor

Das Commerzbank Ideenlabor dient unabhängigenExperten aus Wissenschaft, Gesellschaft und Wirt-schaft als Plattform, das Thema „finanzielle Allge-meinbildung“ aus verschiedenen Blickwinkeln zuanalysieren. Ziel ist es, Lösungsansätze und Hand-lungsanweisungen zum Management der persönli-chen Finanzen zu erarbeiten.

Die Experten des Ideenlabors sind:

• Martin Blessing, Mitglied des Vorstands der Com-merzbank AG und zuständig für das Geschäft mitdem privaten Kunden

• Dr. Christine Bortenlänger, Geschäftsführerin derBörse München und Vorstand der BayerischeBörse AG

• Privatdozent Dr. Volker Brettschneider, Institut fürÖkonomische Bildung, Universität Oldenburg

• Dominique Döttling, Mittelständische Unterneh-merin und Vizepräsidentin des Weltverbands derWirtschaftsjunioren

• Prof. Dr. Hariolf Grupp, Leiter des Instituts fürWirtschaftspolitik und Wirtschaftsforschung derUniversität Karlsruhe (TH) und stellvertretenderLeiter des Fraunhofer-Instituts für Systemtechnikund Innovationsforschung, Karlsruhe

• Prof. Dr. Dr. h. c. Stefan Hradil, Institut für Soziologie der Universität Mainz

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Anhang

i Vgl. Commerzbank/NFO Infratest Finanzforschung:Finanzielle Allgemeinbildung der Deutschen. Repräsentative Umfrage, Mai 2003.

ii Vgl. Brost., M./Rohwetter, M.: Das große Unver-mögen. Warum wir beim Reichwerden immerwieder scheitern. Weinheim, 2003. S.28.

iiiDie zwei wichtigsten Projekte waren ein For-schungsprojekt zur Finanziellen Allgemeinbildung(veröffentlicht in Reifner, U.: Finanzielle Allgemein-bildung. Bildung als Mittel der Armutsprävention inder Kreditgesellschaft, Baden-Baden 2003), das1999 –2001 durch das Bundesfamilienministeriumim Rahmen der Armutsprävention gefördertwurde, sowie die bereits erwähnte Commerz-bank/Infratest Umfrage 2003.

iv Kashnitz, D.: Marktwirtschaft, individuelle Frei-heitsrechte und Persönlichkeitsentwicklung – Allgemeinbildung erfordert ein Unterrichtsfach fürSozioökonomie. In: http://www.sowi-onlinejour-nal.de/2001_2/soziooekonomie_kashnitz.htm, S. 12.

v Dietrich Schwanitz formuliert das so: „Zur Bildunggehört auch zu wissen, was man nicht wissendarf. Wir müssen nur in der Lage sein, die richti-gen Fragen zu stellen. Wir müssen wissen, woherwir uns Wissen beschaffen können. Und dabei immer im Hinterkopf behalten, dass es falscheFreunde gibt.“ Vgl. Schwanitz, D.: Bildung – Alles,was man wissen muss. Zit.n. Brost, M./Rohwet-ter, M.: Nichts wissen. Alles verlieren. DIE ZEIT06/2003 (s.a.http://www.zeit.de/2003/06/Finanz%5FAnalphabeten%5FII)

vi „Zur Bildung gehört auch zu wissen, was mannicht wissen darf. Wir müssen nur in der Lagesein, die richtigen Fragen zu stellen. Wir müssenwissen, woher wir uns Wissen beschaffen kön-nen. Und dabei immer im Hinterkopf behalten,dass es falsche Freunde gibt.“ formuliert esSchwanitz. Vgl. Schwanitz, D.: Bildung – Alles,was man wissen muss. Zit.n. Brost, M./Rohwet-ter, M.: Nichts wissen. Alles verlieren. DIE ZEIT 06/200 (s.a.http://www.zeit.de/2003/06/Finanz%5FAnalphabeten%5FII)

vii 26% der Befragten gaben Geldnot als Grund fürden Ausstieg an, 15,5% eine Scheidung, 13,4%Arbeitslosigkeit. Nur 28% lösten die Versiche-rung auf, weil sie eine bessere Anlageformwählen wollten. Vgl. „LV: Weshalb kündigt die Hälfte vorzeitig?“ in: Versicherungsjournal,www.deutsche-versicherungsbörse.de, 20.9.01.

viii 97% aller US-Banken beispielsweise geben an,finanzielle Bildung zu fördern oder selbst anzu-bieten. Vgl. Brost/Rohwetter, S. 133.

vx Deutsches Aktieninstitut: Memorandum zur ökonomischen Bildung. Ein Ansatz zur Ein-führung des Schulfaches Ökonomie an allgemeinbildenden Schulen. Frankfurt, Juli 1999.

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‡ ideen nach vorn ‡